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German Pages 694 [695] Year 1988
HELMUTH SCHULZE-FIELITZ Theorie und Praxis parlamentarischer Gesetzgebung
Schriften zum Öffentlichen Recht Band 528
Theorie und Praxis parlamentarischer Gesetzgebung — besonders des 9. Deutschen Bundestages (1980-1983) —
Von Helmuth Schulze-Fielitz
Duncker & Humblot · Berlin
A l s Habilitationsschrift auf Empfehlung der Rechts- u n d Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät der Universität Bayreuth gedruckt m i t Unterstützung der Deutschen Forschungsgemeinschaft
CIP-Titelaufnahme der Deutschen Bibliothek Schulze-Fielitz, Helmuth: Theorie und Praxis parlamentarischer Gesetzgebung: bes. d. 9. Dt. Bundestages (1980-1983) / von Helmuth Schulze-Fielitz. — Berlin: Duncker u. Humblot, 1988 (Schriften zum Öffentlichen Recht; Bd. 528) Zugl.: Bayreuth, Univ., Habil.-Schr., 1986 ISBN 3-428-06376-7 NE: GT
Alle Rechte vorbehalten © 1988 Duncker & Humblot GmbH, Berlin 41 Hagedornsatz, Berlin 46 Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin 61 Printed in Germany ISBN 3-428-06376-7
Für Christiane, Alexander; Friedemann und Maximilian
Vorwort Wer Theorie und Praxis parlamentarischer Gesetzgebung thematisch umfassend angehen wollte, der käme wohl kaum je zu einem Abschluß. Auch diese Arbeit kann nur einigen Perspektiven unter vielen nachgehen. I m Mittelpunkt steht eine empirisch orientierte Bestandsaufnahme der Gesetzgebungsarbeit des (9.) Deutschen Bundestages (bes. Kapitel IV und DC bis XI). Sie füllt den verfassungsrechtlichen Rahmen anders aus, als es ein allein an Normtexten orientierter Ansatz erarbeiten könnte. Eine solche Bestandsaufnahme ist nicht ohne theoretische Voraussetzungen möglich. Der reale Gesetzgebungsprozeß bestätigt und illustriert verfassungstheoretische Thesen (in Kapitel VIII), die das Verfahren parlamentarischer Gesetzgebung als einen Kommunikations-, Aushandlungsund Entscheidungsprozeß und seine vertragsartigen Ergebnisse insoweit als immer wieder neue Konkretisierung und Fortschreibung der Verfassung als Vertrag interpretieren. Ein derartiger theoretischer Zugang ergänzt andere, hier nur bilanzierte Ansätze, die im Mittelpunkt der bisherigen verfassungsrechtlichen und -theoretischen Diskussion stehen. Alle zusammen mögen sich zu Bausteinen fügen, die einmal das Fundament für eine im Entstehen befindliche Gesetzgebungslehre bilden könnten. Es ist allerdings bislang kaum mehr als eine Hoffnung, daß die Gesetzgebungswissenschaft wirklich einen Ausweg aus dem Prozeß der Verrechtlichung unserer Alltagswelt weisen könnte. Diese Arbeit lag im Sommersemester 1986 der Rechts- und Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät der Universität Bayreuth als Habilitationsschrift vor. Literatur und Rechtsprechung aus der Zeit nach dem 1.5.1986 konnten nur gelegentlich nachgetragen werden. Mein herzlicher Dank gilt an erster Stelle meinem verehrten Lehrer, Herrn Prof. Dr. Peter Häberle. Sein Vorbild und seine ständige Ermutigung und vertrauensvolle Förderung über viele Jahre haben mir und der Arbeit mehr geholfen, als ich an dieser Stelle ausdrücken könnte. Herrn Prof. Dr. Walter Schmitt Glaeser verdanke ich ein ebenso faires wie anregendes Zweitgutachten. Im übrigen bin ich vielen zu Dank verpflichtet, im Großen wie im Kleinen: der Deutschen Forschungsgemeinschaft (für ein Stipendium und einen Druckkostenzuschuß), meinen Eltern, der hilfreichen Patentante, den leselustigen Freunden oder den am alltäglichen Gesetzgebungsprozeß beteiligten Gesprächspartnern. Vor allem bin ich meiner Frau dankbar, die als Ehefrau und Mutter wie als Ministerialbeamtin wesentlich dazu beigetragen hat, daß ich bei der Arbeit an diesem Buch den Boden der Realität, wie ich hoffe, nicht verlassen habe. Helmuth Schulze-Fielitz
Gliederungsübersicht Α. Ausgangspunkte für die Analyse der modernen Gesetzgebung I. Gesetzgebung als symptomatischer Wachstumsprozeß 1. Erscheinungsformen des Gesetzgebungswachstums 2. Erklärungsansätze 3. Kritik der „Gesetzesflut" 4. Therapeutische Patentrezepte? 5. Anti-Kritik: „Gesetzesflut" als Symptom 6. Zwischenbilanz II. A u f der Suche nach Hilfen: Wege und Ansätze einer Gesetzgebungswissenschaft 1. Neuere Anstöße für eine Gesetzgebungswissenschaft 2. Widerstände gegen eine Gesetzgebungslehre 3. Die Heterogenität der Gesetzgebungslehren als Problem — Gesetzgebungslehre als Steinbruch 4. Die Anforderungen an eine verfassungsstaatliche Gesetzgebungslehre .. 5. Methodische Folgerungen für den Fortgang der Untersuchung B. Erscheinungsformen der Gesetze — am Beispiel der Praxis des 9. Deutschen Bundestages
1 1 1 4 9 12 17 20
22 22 27 31 35 37
39
III. Probleme einer Typologie der Gesetze 1. Der Sinn einer typologischen Betrachtung der Gesetze 2. Begriffliche Vorgaben des Grundgesetzes 3. Begriffsprägungen in der wissenschaftlichen Diskussion 4. Spezielle Probleme einer Typologie der Gesetzgebungspraxis der 9. Wahlperiode
39 39 41 46
IV. Die Gesetze des 9. Deutschen Bundestages in typologisierendem Überblick 1. Die Vertragsgesetzgebung nach Art. 59 I I 1 GG 2. Die international determinierte Kooperationsgesetzgebung 3. Die Kodifikationsgesetzgebung 4. Die Anpassungsgesetzgebung 5. Einige allgemeine Folgerungen
79 79 83 88 94 132
C. Theorien zur parlamentarischen Gesetzgebung V. Parlamentsgesetzgebung und allgemeine Regelungstheorie 1. Das Gesetz und die Krise der Rechtsquellenlehre 2. Die Relativität des parlamentarischen Gesetzes
72
135 135 135 136
X
Gliederungsübersicht 3. 4. 5. 6.
Das Gesetz im Prozeß arbeitsteiliger Rechtskonkretisierung Das Gesetz und seine Anwendung Abhilfe durch Reanimierung klassischer Modellvorstellungen? Die Schlüsselstellung des Parlamentsgesetzes
VI. Verfassungsrechtliche Bestimmungen der Parlamentsgesetze 1. Verfassungsrechtlicher Begriff des Gesetzes 2. Der Vorbehalt des Gesetzes in der neueren Entwicklung 3. Eine Synthese: Die Wesentlichkeitsdoktrin 4. Gesetzgebung als Verfassungsverfahren
139 143 149 152 156 156 157 162 177
VII. Funktionen der Gesetzgebung 1. Rechtssetzung zwischen Anpassung und aktiver Gestaltung 2. Die Reichweite des gesetzlichen Gestaltungsanspruchs 3. Die Unvermeidbarkeit von Rechtssetzung 4. Einige zentrale Funktionen heutiger parlamentarischer Gesetzgebung . . 5. Die Unersetzbarkeit des Gesetzgebungsverfahrens
184 184 188 196 198 206
VIII. Gesetzgebung als Konkretisierung der Verfassungsvertragsgerechtigkeit . . . 1. Verfassung als Vertrag 2. Zur Ergiebigkeit des vertragstheoretischen Modells 3. Verfassungs(vertrags)gerechtigkeit 4. Gesetzgebung als vertragliche Konkretisierung des Verfassungsvertrages 5. Realvertragliche Elemente in der Gesetzgebung 6. Reziprozität als Basis der Gesetzgebung 7. Gesetzgebung zwischen politisch-strategischem Handeln und diskursiver Rechtfertigung
213 213 219 227 231 239 241
D. Die parlamentarische Gesetzgebungspraxis, besonders in der 9. Legislaturperiode IX. Bundesgesetzgebung als abgestuft kontrollierter Kommunikations-, Verhandlungs- und Entscheidungsprozeß 1. Gesetzgebung als Prozeß 2. Das vorparlamentarische Verfahren als erste Strukturgebung des Gesetzesentstehungsprozesses 3. Der Gesetzgebungsprozeß im Bundestag als diskursives Verfahren parlamentarischer Kontrolle 4. Parlamentarische Kontrollinstanzen und rechtliche Verfahrensstationen . 5. Das informale Gesetzgebungsverfahren 6. Das nachparlamentarische Gesetzgebungsverfahren 7. Bilanz: Das parlamentarische Gesetzgebungsverfahren als institutionalisierte Annäherung an Verfassungsgerechtigkeit durch Kontrolle X. Politik durch Gesetzgebung als Kompromiß- und Mehrheitsentscheidung . 1. Gesetzgebung als Politik 2. Die Erforderlichkeit der Gesetzgebung als politische Grundsatzentscheidung 3. Der politische Prozeß als Grenze für rationale Gesetzgebung 4. Gesetzgebung als institutionalisierte Kompromißbildung 5. Die Mehrheitsentscheidung
246
255
255 255 280 292 301 354 361 371 375 375 379 393 404 443
Gliederungsübersicht XI. Rationalität als Maßstab der Gesetzgebung 1. Gesetzgebung zwischen Rationalität und Politik 2. Instanzen distanzierender Rationalisierung 3. Gesichtspunkte materieller Rationalität 4. Die formale Qualität von Gesetzen 5. Rationalität durch Verfassungsrecht 6. Grenzen gesetzgeberischer Rationalität
XI 454 454 461 480 514 541 553
£. Zusammenfassung in Thesen
562
Literaturverzeichnis
576
Sachregister
646
Inhaltsverzeichnis Α. Ausgangspunkte für die Analyse der modernen Gesetzgebung
1
I. Gesetzgebung als symptomatischer Wachstumsprozeß
1
1. Erscheinungsformen des Gesetzgebungswachstums
1
a) Gesetzgebung als Teilelement der Verrechtlichung in Staat und Gesellschaft?
1
b) Intensive und extensive Wachstumsprozesse
2
c) Quantitative und qualitative Indikatoren
3
2. Erklärungsansätze
4
3. Kritik der „Gesetzesflut"
9
a) Legistische Ebene
9
b) Verfahrensebene
10
c) Politische Ebene
10
d) Die Kritik an zu zahlreichen Gesetzen
11
e) Die Freiheit des Bürgers als juristischer Fixpunkt
12
4. Therapeutische Patentrezepte?
12
a) Vereinfachungstrategien
13
b) Abschichtungsstrategien
14
c) Organisatorische Verbesserung des Gesetzgebungsverfahrens
15
d) Appelle an den guten Willen der Gesetzesmacher
16
e) Passiv-resignative Strategien
17
5. Anti-Kritik: „Gesetzesflut" als Symptom
17
a) Die lange Tradition der Gesetzeskritik
17
b) Die internationale Ubiquität der Verrechtlichung
18
c) Differenzierungsnotwendigkeiten
19
d) Die empirischen Defizite der Juristen-Diskussion
20
6. Zwischenbilanz II. A u f der Suche nach Hilfen: Wege und Ansätze einer Gesetzgebungswissenschaft 1. Neuere Anstöße für eine Gesetzgebungswissenschaft
20
22 22
a) Fünf zentrale Impulse
22
b) Der ungeklärte Status der Gesetzgebungslehre(n)
26
Inhaltsverzeichnis 2. Widerstände gegen eine Gesetzgebungslehre
27
3. Die Heterogenität der Gesetzgebungslehren als Problem — Gesetzgebungslehre als Steinbruch
31
a) Gesetzgebungslehre als methodisch-wissenschaftstheoretisches Problem
31
b) Gesetzgebungslehre als Theorie-Praxis-Problem
32
c) Folgerungen: Gesetzgebungswissenschaft als Integrationswissenschaft
34
4. Die Anforderungen an eine verfassungsstaatliche Gesetzgebungslehre ..
35
a) Verfassungsstaatliche Gesetzgebungslehre als Rahmenprogramm
35
b) Politische Neutralität der Gesetzgebungslehre
36
5. Methodische Folgerungen für den Fortgang der Untersuchung
B. Erscheinungsformen der Gesetze — am Beispiel der Praxis des 9. Deutschen Bundestages III. Probleme einer Typologie der Gesetze
37
39 39
1. Der Sinn einer typologischen Betrachtung der Gesetze
39
2. Begriffliche Vorgaben des Grundgesetzes
41
a) Einzelbereichsgesetze
41
b) Sachliche Regelungsgebiete
43
c) Vom Grundgesetz vorausgesetzte Gesetzestypen
43
3. Begriffsprägungen in der wissenschaftlichen Diskussion
46
a) Rechtstheoretische Betrachtungsweisen aa) Begrenzung auf Rechtsgesetze bb) Semantisch geschönte Gesetze cc) Normlogische Verallgemeinerungen
46 46 47 48
b) Gesetzgebungspragmatische Betrachtungsweise
49
c) Verfassungsrechtliche Ebene aa) Gesetzgebung im Bundesstaat (1) Die Verteilung der Gesetzgebungsbefugnisse (2) Abschichtungen im Gesetzgebungsverfahren bb) Gesetze als „klassische" Form des Rechtsstaates cc) Sozialstaatlich-leistungsstaatliche Schwerpunkte dd) Demokratische Gesetzgebung
53 53 53 57 58 61 64
Inkurs: Das steuernde Entwicklungsgesetz
65
d) Gesellschaftstheoretische Ebene aa) Makrotheoretische Perspektive bb) Politisch-mikrosoziologischer Ansatz über Gesetze cc) Effektivitätsperspektive bei Gesetzen
65 65 66 67
e) Raumstrukturelle Ebene
68
XI
Inhaltsverzeichnis f) Zeitstrukturelle Betrachtungsweise
69
g) Sachstrukturelle Ebene
71
4. Spezielle Probleme einer Typologie der Gesetzgebungspraxis der 9. Wahlperiode
72
a) Kritik der Gesetzesbezeichnungen
72
b) Fragerichtungen einer empirisch angemessenen Typologisierung
74
c) Die Repräsentativst der 9. Legislaturperiode als Stichprobe
76
IV. Die Gesetze des 9. Deutschen Bundestages in typologisierendem Überblick
79
1. Die Vertragsgesetzgebung nach Art. 59 I I 1 GG
79
a) Vergleichende Statistik
79
b) Zur Analyse der Vertragsgesetze nach Art. 59 I I 1 GG
81
2. Die international determinierte Kooperationsgesetzgebung
83
a) Europa als Dimension innerstaatlicher Gesetzgebung
84
b) Sonstige internationale Verpflichtungen
85
c) Zur Analyse der typischen Kooperationsgesetzgebung
86
3. Die Kodifikationsgesetzgebung
88
a) Die Gegenstandsbereiche der Kodifikationsgesetze
89
b) Charakteristische Eigenarten der Kodifikationsgesetze im Vergleich mit Reformgesetzen :..
91
4. Die Anpassungsgesetzgebung
94
a) Allgemeines Inkurs: Reformgesetze zwischen Kodifikations- und Anpassungsgesetzen b) Gesetze zur Selbstorganisation des Staates als Handlungs- und Wirkungseinheit aa) Organisation bb) Informationsbeschaffung cc) Selbstentlastungsreaktionen dd) Einige Auffälligkeiten der Selbstorganisationsgesetzgebung c) Gefahrenabwehr und Sicherung aa) Strafgesetzgebung bb) Besondere Sicherheitsgesetzgebung cc) Die Sicherheitsgesetzgebung im Kontrast zur Ordnungsgesetzgebung
94 96 97 97 100 101 102 104 104 105 106
d) Gesetzgebung als Ordnungsrahmen für Wirtschaft und Gesellschaft .
106
e) Verteilungsgesetzgebung aa) Allgemeines: Der Finanzstaat als Kräfteparallelogramm
109 von
Steuer-, sozial-, leistungs- und interventionsstaatlichen Imperativen bb) Periodische gesetzliche Anpassungen an die (z.T. inflationsbedingte) Finanz- und Wirtschaftsentwicklung cc) Haushaltsgesetze dd) Steuer(erhöhungs)gesetze
110 111 114 117
Inhaltsverzeichnis ee) Haushaltsanpassungsgesetze ff) Wirtschafts- und sozialpolitische Interventionsgesetzgebung gg) Zur Analyse der Verteilungsgesetzgebung f) (Selbst-)Korrekturgesetzgebung aa) Aufhebungsgesetze bb) Schnellkorrekturgesetze cc) Klarstellungsgesetze dd) Zur Analyse der (Selbst-)Korrekturgesetzgebung 5. Einige allgemeine Folgerungen a) Die Irreführung durch quantifizierende Generalisierungen b) „Gesetzesflut" im 9. Deutschen Bundestag?
C. Theorien zur parlamentarischen Gesetzgebung V. Parlamentsgesetzgebung und allgemeine Regelungstheorie
118 122 126 128 128 129 130 131 132 132 133
135 135
1. Das Gesetz und die Krise der Rechtsquellenlehre
135
2. Die Relativität des parlamentarischen Gesetzes a) Die rechtstheoretische Dimension: Die relative gesetzliche Bindungskraft b) Die sachliche Dimension c) Die zeitliche Dimension: Die relative Dauerhaftigkeit d) Die räumliche Dimension e) Die relative Verfahrensgerechtigkeit
136
3. Das Gesetz im Prozeß arbeitsteiliger Rechtskonkretisierung a) Die Unterschiedlichkeit von Gesetzen
136 137 137 138 139 139 139
b) Die Notwendigkeit komplementärer Normgebung
140
c) Rechtsnormenhierarchie?
143
4. Das Gesetz und seine Anwendung
143
a) Gesetz und Verwaltung
144
b) Gesetz und Gerichtsbarkeit aa) Der Bedeutungszuwachs von Richterrecht bb) Besonders: Die Verwaltungsgerichtsbarkeit c) Gesetz und gesellschaftliche Instanzen seiner Konkretisierung
145 145 147 149
5. Abhilfe durch Reanimierung klassischer Modellvorstellungen? a) Rechtstheoretische Abschichtungsversuche
149 149
b) „Gewaltenteilung" als Gegen-Argument?
150
6. Die Schlüsselstellung des Parlamentsgesetzes a) Das Gesetz als zentrales Steuerungsmedium b) Entstehungsprozeß und Gesetz
152 152 153
VI. Verfassungsrechtliche Bestimmungen der Parlamentsgesetze 1. Verfassungsrechtlicher Begriff des Gesetzes
156 156
XVI
Inhaltsverzeichnis 2. Der Vorbehalt des Gesetzes in der neueren Entwicklung a) Erweiterungstendenz I: Der Totalvorbehalt b) Erweiterungstendenz II:Die Vergesetzlichung der Besonderen Gewaltverhältnisse und der staatlichen Binnenorganisation c) Erweiterungstendenz III: „Grundrechtspolitik"
157 158
3. Eine Synthese: Die Wesentlichkeitsdoktrin
162
159 161
a) Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts
162
b) Kriterien des „Wesentlichen" aa) Die Grundrechtsrelevanz bb) Das Demokratie-Kriterium cc) Die rechts-, sozial- und bundesstaatliche Bedeutung
163 164 166 167
c) Der Parlamentsvorbehalt aa) Die Differenz von Parlamentsvorbehalt und Gesetzesvorbehalt . . bb) Neuere Abgrenzungsversuche
169 169 170
d) Kritische Diskussion der Wesentlichkeitsdoktrin
171
e) Folgerungen
174
4. Gesetzgebung als Verfassungsverfahren
177
a) Die begrenzte Sichtweise des GG-Textes
177
b) Gesetzgebung als Form und Verfahren
.
178
c) Verfassungsrechtliche Charakteristika des Gesetzgebungsverfahrens
.
179
d) Verfassungsverfahrensrechtliche Folgerungen VII. Funktionen der Gesetzgebung 1. Rechtssetzung zwischen Anpassung und aktiver Gestaltung
180 184 184
a) Das unentrinnbare Erbe der Aufklärung
184
b) Die Evolution des Rechts
186
2. Die Reichweite des gesetzlichen Gestaltungsanspruchs
188
a) Die Unbestimmbarkeit einer feststehenden sachlichen Grenze der Rechtssetzung
188
b) Funktionale Äquivalente als Alternativen zum Recht? aa) Subsidiarität des Rechts durch Regelungsverzichte bb) Inkorporation außergesetzlicher Regelungen cc) Finanzierungsanreize und sonstige Betroffenenaktivierung dd) „Reflexives Recht" ee) Revitalisierung statt Verrechtlichung von sozialen Normen?
189 189 190 191 193 194
3. Die Unvermeidbarkeit von Rechtssetzung
196
a) Die begrenzte praktische Bedeutung der Alternativen zum Recht . . .
196
b) Gesellschaft ohne Recht? c) Minimierung von Recht durch „Entrechtlichung"?
197 198
4. Einige zentrale Funktionen heutiger parlamentarischer Gesetzgebung . . a) Gesetzgebung als permanente Rechtsbereinigung
198 199
Inhaltsverzeichnis aa) Gesetzgebungstechnische Rechtsbereinigung
199
bb) Kodifikatorische Rechtsbereinigung
200
cc) Rechtsklärende Rechtsbereinigung, Richtigstellungen und Klarstellungen
203
b) Die Anpassungsgesetzgebung
204
5. Die Unersetzbarkeit des Gesetzgebungsverfahrens
206
a) Die demokratische Legitimation
207
b) Die Öffentlichkeit und Allgemeinheit der Gesetzgebung
208
c) Die Offenheit der Gesetzesberatungen
209
d) Integration durch Gesetzgebung
210
VIII. Gesetzgebung als Konkretisierung der Verfassungsvertragsgerechtigkeit
...
1. Verfassung als Vertrag
213 213
a) Verfassung als Generationenvertrag
213
b) Verfassung als Bundesvertrag
215
c) Verfassung als Gesellschaftsvertrag
217
d) Verfassung als Rahmen(-vertrag)
219
2. Zur Ergiebigkeit des vertragstheoretischen Modells a) Die Kritik am Sozialvertragsgedanken
219 219
b) Die Renaissance der Vertragstheorie
221
c) Die Vertragsfiktion als regulative Gerechtigkeitsidee
223
d) Zur Plausibilität der Vertragskonstruktion
225
Exkurs: Verfassungsänderung als Vertrag
226
3. Verfassungs(vertrags)gerechtigkeit
227
a) Gerechtigkeit als Verfassungsgerechtigkeit
227
b) Verfassungsgerechtigkeit als Vertragsgerechtigkeit
228
c) Erscheinungsformen und Ebenen der Konkretisierung
229
aa) Das positive Verfassungsrecht und die Verfassungsrechtsdogmatik ..
229
bb) Verfassungsgerechtigkeit durch den Gesetzgeber
230
4. Gesetzgebung als vertragliche Konkretisierung des Verfassungsvertrages
231
a) Gesetzgebung als Konkretisierung des Verfassungsrechts
232
b) Gesetzgebung als Konkretisierung des impliziten Verfassungsvertrages
233
aa) Die nicht-rechtlichen Bestandteile der Verfassung
233
bb) Der Begriff des impliziten Verfassungsvertrages
234
cc) Die sachliche Zweckmäßigkeit dieser Begrifflichkeit
235
5. Realvertragliche Elemente in der Gesetzgebung
239
6. Reziprozität als Basis der Gesetzgebung
241
a) Zum Begriff der Reziprozität
241
Inhaltsverzeichnis
XVIII
b) Funktionsvoraussetzungen
243
c) Reziprozität als vertragsergänzender Gerechtigkeitsmaßstab
245
7. Gesetzgebung zwischen politisch-strategischem Handeln und diskursiver Rechtfertigung
246
a) Die Unterscheidung von politisch-strategischem und diskursivem Handeln
246
b) Der Begriff des allgemeinen praktischen und juristischen Diskurses .
247
c) Das Gesetzgebungsverfahren — ein juristischer Diskurs? aa) Einschränkende Bedingungen bb) Kritik
249 249 250
d) Folgerungen: Die Aufgabe des Gesetzgebungsverfahrens
252
D. Die parlamentarische Gesetzgebungspraxis, besonders in der 9. Legislaturperiode IX. Bundesgesetzgebung als abgestuft kontrollierter Kommunikations-, Verhandlungs- und Entscheidungsprozeß 1. Gesetzgebung als Prozeß a) Die aa) bb) cc) dd)
255
255 255
(prinzipiell) offene Gesellschaft der Gesetzgeber Folgen des parlamentarischen Regierungssystems Parteipolitisierung Gesetzgebung im informalen Verfassungsstaat Der Bund und die Länder (1) Der Bundesrat als formeller Gesetzesinitiant (2) Die weiterreichende Rolle der Bundesländer im Gesetzgebungsprozeß ee) Die Rolle von Staatsorganen ohne Gesetzesinitiativrecht ff) Gesellschaftliche Gruppen und einzelne Bürger als Gesetzgeber .
262 263 264
b) Impulse zur Gesetzgebung aa) Typologisierung der Impulse bb) Internationalrechtliche Impulse cc) Impulse für Kodifikationsgesetze dd) Anlässe für die Anpassungsgesetzgebung (1) Verwaltungspraxis (2) Gerichtsurteile (3) Interessenverbände (4) Der dynamische Gesetzgebungsprozeß ee) Bilanz: Konzentrationsprozesse bei den Impulsgebern für Gesetze
266 266 267 268 270 270 271 275 275 276
c) Gesetzgebung im Prozeß der Verhandlungsdemokratie
277
2. Das vorparlamentarische Verfahren als erste Strukturgebung des Gesetzesentstehungsprozesses a) Charakteristische Kraftlinien des „Vor"-Verfahrens aa) Die Kanalisierung (partei-)politischer Konflikte
255 255 257 259 260 260
280 280 280
Inhaltsverzeichnis bb) Die Sicherung der Regelungsakzeptanz durch frühzeitige Integration von Sachverstand und Interessenberücksichtigung cc) Die methodische Versachlichung der Politik durch die Gesetzgebung als Bürokratisierungsprozeß dd) Der Regierungsentwurf als (Regel-)Abschluß des vorparlamentarischen Gesetzgebungsverfahrens b) Das faktische Gesetzeserarbeitungsmonopol derMinisterialbürokratie(n) aa) Die Insuffizienz des Bundestages als Gesetzesinitiant i. S. von Art. 76 Abs. 1 GG bb) Gegentendenzen: Politische Anstoß-Wirkungen des Bundestages 3. Der Gesetzgebungsprozeß im Bundestag als diskursives Verfahren parlamentarischer Kontrolle a) Begriff der Kontrolle aa) Die zeitliche Dimension bb) Das Verhältnis von Entscheidung und Kontrolle cc) Einsichten aus der neueren rechtswissenschafllichen Diskussion über Kontrolle
281 282 284 285 286 289 292 292 293 294 295
b) Allgemeine Folgerungen für das Gesetzgebungsverfahren
297
c) Kontrollkriterien aa) Effektivität und Legitimation bb) Zur Verbesserung der Gesetzesproduktion cc) Kontrollrestriktionen
299 299 300 301
4. Parlamentarische Kontrollinstanzen und rechtliche Verfahrensstationen .
301
a) Die Stellungnahmen des Bundesrates
301
b) Die (Ausschuß-)Beratungen des Bundestages aa) Erscheinungsformen der Änderungen
304 305
bb) Materielle Umgestaltungen aufgrund von Ausschußberatungen? (1) Wesentliche materielle Änderungen (2) Materiell unveränderte Gesetze (3) Besonderheiten der Haushaltsgesetzgebung zwischen legislatorischer Routine und politischem Konflikt (4) Beobachtungen bei (partiell) fehlgeschlagenen Änderungsversuchen: Zur Dynamik der Ausschußberatungen cc) Das Verhältnis der beteiligten Ausschüsse untereinander
312 312 318 320 322 323
dd) Ausschußänderungen zwischen Bundesrat und Bundesregierung
329
ee) Ausschußberatungen und Gesetzestyp (1) Unterschiede der Beratungsintensität (2) Auswirkungen des Diskontinuitätsgrundsatzes
335 335 336
ff) Ausschußanhörungen gg) Die Rolle der Berichterstatter („Unterausschüsse"?) hh) Bilanz: Ausschußberatungen als Korrektiv durch Kontrolle? (1) Die qualitative Bedeutung der Entwurfsveränderungen (2) Ausschußberatungen als Kompromißverhandlungen ? (3) Das Ergebnis der Ausschußberatungen: Legitimation durch Kontrolle
337 342 344 344 346 347
X
Inhaltsverzeichnis c) Fraktionsberatungen
348
d) Die einzelnen Abgeordneten
349
e) Plenumsberatungen und Beschluß
351
5. Das informale Gesetzgebungsverfahren
354
a) Interfraktionelle Gesetzesinitiativen
355
b) Parallele informale Einflußinstanzen
356
c) Außerordentliche Verfahrensdurchbrechungen
357
d) Umgehungen der Stationen des Gesetzgebungsverfahrens
358
6. Das nachparlamentarische Gesetzgebungsverfahren a) Der Bundesrat und die Rolle des Vermittlungsausschusses aa) Der Bundesrat im Gesetzgebungsprozeß bb) Der Vermittlungsausschuß (1) Der Vermittlungsausschuß als Erscheinungsform institutionalisierter Kompromißbildung (2) Das Beispiel der 9. Legislaturperiode cc) Gesetzgebungstechnische Folgen der Stellung des Bundesrates im informalen Verfassungsstaat b) Die weitere Konkretisierungsarbeit am Gesetzestext
361 361 361 363 363 365 368 370
7. Bilanz: Das parlamentarische Gesetzgebungsverfahren als institutionalisierte Annäherung an Verfassungsgerechtigkeit durch Kontrolle
371
Exkurs: Volksgesetzgebung?
373
X. Politik durch Gesetzgebung als Kompromiß- und Mehrheitsentscheidung . 1. Gesetzgebung als Politik
375 375
a) Politik als Freiheit zur alternativen Gestaltungsentscheidung
375
b) Trennung von Politik und Gesetzgebung?
376
c) Gesetzesrecht als spezifische Aggregatform von Politik
377
2. Die Erforderlichkeit der Gesetzgebung als politische Grundsatzentscheidung
379
a) Determinanten und Rahmenbedingungen aa) Staatsaufgabenentwicklung und -kritik bb) Verfassungsdirektiven für die Erforderlichkeit von Gesetzen? . . . cc) Finanzgesteuerte Politik
379 379 380 382
b) Allgemeine Kriterien für die Erforderlichkeit von Gesetzen aa) Strafgesetzgebungstheoretische Beweislastregeln bb) Verallgemeinerungen
383 383 384
c) Grundsatzprobleme der Erforderlichkeitsprüfung aa) Die Ausgestaltung der Gesetze als politische Entscheidung bb) Verfahrensprobleme der Erforderlichkeitsprüfung cc) Erforderlichkeit und Privatisierung von Gesetzgebung als Problem materieller Kompetenzverteilung
385 385 387 387
Inhaltsverzeichnis d) Parlamentarische „Entrechtlichungs"-Tendenzen in der 9. Wahlperiode 3. Der politische Prozeß als Grenze für rationale Gesetzgebung
389 393
a) Strukturschwächen des Pluralismus als politische Grenze rationaler Gesetzgebung
393
b) Eigengesetzlichkeiten und Restriktionen der Politik
395
c) Der Zeitdruck im Gesetzgebungsverfahren
397
aa) Erscheinungsformen und Folgen
397
bb) Einige Ursachen — fehlende Abhilfemöglichkeiten?
400
4. Gesetzgebung als institutionalisierte Kompromißbildung
404
a) Die Vernachlässigung des politischen Kompromisses in der Gesetzgebungstheorie
404
aa) Die tendenzielle Geringschätzung von Kompromissen
404
bb) Spezielle verfassungstheoretische Belastungen des Kompromißgedankens
405
cc) Der Begriff des Kompromisses zwischen inhaltlichem Ergebnis und Verfahren
408
b) Gerechtigkeitsvoraussetzungen des Kompromißbilcfungsverfahrens
..
409
aa) Allgemeine Überlegungen zum Verfahren der Kompromißbildung
409
bb) Die ausbalancierte Vielfalt der Kompromißbildungsebenen
413
cc) Verfahrensrechtliche Strukturen im Lichte der Kompromißbildung
414
c) Erscheinungsformen von Kompromißregeln auf einzelgesetzlicher Ebene, besonders am Beispiel der 9. Wahlperiode
415
aa) Inhaltliche Lösungen
415
bb) Verfahrenskompromisse cc) Besonders: Formelkompromisse als funktionell-rechtliches Problem (1) Hochabstrakte Gesetzesbegriffe als Delegationsnormen
420 423 423
(2) Qualitätskriterien für Formelkompromisse
425
dd) Der unterschiedliche Tiefgang von Kompromissen
427
d) Funktionen von Gesetzeskompromissen in der Verfassung des Pluralismus
429
aa) Kompromisse als notwendige Folge der Verfassung als Konfliktordnung
429
bb) Der Gesetzeskompromiß im Spannungsfeld von Politik und Rationalität
431
cc) Der Komp romiß als Bedingung für Mehrheiten und Konsens . . .
432
dd) Besondere Funktionen von Gesetzeskompromissen
434
e) Gefahren und Grenzen der Rationalität von Kompromissen
437
aa) Einwände grundsätzlicher Art
437
bb) Prozedurale und gesetzesspezifische Gefahren
439
f) Wege zu „guten" Kompromissen im Gesetzgebungsprozeß
441
XII
Inhaltsverzeichnis 5. Die Mehrheitsentscheidung a) Die Mehrheitsregel als verfassungsstaatliche Notwendigkeit
443 443
b) Voraussetzungen und Grenzen des Mehrheitsprinzips
444
c) Die Mehrheitsverhältnisse in der 9. Wahlperiode
446
aa) Probleme der Mehrheitsfeststellung
446
bb) Tendenzen der Mehrheitsbildung in der 9. Wahlperiode (1) Konsensuale Gesetzgebung (2) Tendenzen der Kontroversgesetzgebung (3) Mehrheitsverhältnisse bei erfolgreichen Gesetzesinitiativen des Bundesrates
447 447 450
XI. Rationalität als Maßstab der Gesetzgebung 1. Gesetzgebung zwischen Rationalität und Politik
453 454 454
a) Begriffe der Rationalität
454
b) Die Forderung nach rationaler Gesetzgebung und ihr Spannungsverhältnis zur Politik
455
c) Rationalität und Gesetzgebung
457
d) Verfahrensrechtliche Differenzierungen aa) Rationalitätsebenen im Gesetzgebungsprozeß bb) Distanz und Gesetzgebungsverfahren
459 459 459
2. Instanzen distanzierender Rationalisierung a) Die Bundesregierung und ihre Ministerialbürokratie aa) Die regierungsinterne Problemverarbeitung bb) Kooperation mit regierungsexternem Sachverstand
461 461 461 464
b) Der Bundesrat
466
c) Der Bundestag aa) Enquete-Kommissionen bb) Ausschußberatungen Inkurs: Gesetzgebungsspezifische Parlamentsreform cc) Besonders: Anhörungen
467 467 468 468 470
d) Sonstige (z.T. verselbständigte) staatliche Instanzen aa) Der Bundesrechnungshof und der Beauftragte für die Wirtschaftlichkeit der Verwaltung bb) Dauerhaft Staatsbeauftragte und gesetzliche Kommissionen cc) Justiz
471 472 474 475
e) Gesellschaftliche Instanzen der Rationalisierung aa) Die Rechtswissenschaft bb) Formen institutionalisierter Rechtspolitik cc) Sonstige Wissenschaftsimpulse dd) Die (allgemeine) Öffentlichkeit
475 476 478 479 479
3. Gesichtspunkte materieller Rationalität
480
a) Rationalitätskriterien
480
b) Förderung des Alternativendenkens
481
Inhaltsverzeichnis aa) bb) cc) dd)
Alternativentwürfe und Entwürfe Aktivierung externen Sachverstandes Einige Kreativitätsbedingungen für Alternativen Alternativen in der Gesetzgebungspraxis der 9. Wahlperiode . . .
482 483 486 487
c) Rationalitätsgarantien für Abwägungen und Prognosen aa) Die Ausschöpfung der Erkenntnisquellen bb) Mindestmaß an empirisch-analytischem Sachverhaltswissen cc) Zum Ausmaß inhaltlicher Rationalität dd) Forschungspflichten des vorparlamentarischen Gesetzgebers? . . . ee) Typische Folgenanalysen in der 9. Wahlperiode ff) Kostenanalysen
490 490 491 493 496 497 503
d) Sicherungen für pluralistische Abwägungsprozeduren
507
aa) Die Zusammensetzung von Sachverständigenkommissionen
507
bb) Betroffenen-Analyse
509
cc) Pluralitäre Anhörungen?
510
e) Parlamentarische Gesetzesevaluation? 4. Die formale Qualität von Gesetzen a) Formale Qualität als Rationalitätskriterium b) Die Begründung von Gesetzen
511 514 514 516
aa) Probleme der Entwurfsbegründungen
516
bb) Die Gestaltung der Ausschußberichte
520
c) Zweckbestimmungsklauseln in Gesetzen
521
d) Rechtsdogmatische Rationalität
523
aa) Rechtsdogmatik als Hilfe und Gefahr für den Gesetzgeber
523
bb) Offengelegte Erscheinungsformen
525
cc) Grenzen rechtsdogmatischer Rationalität
527
e) Kontinuität der Gesetzgebung
528
f) Die Vernetzung der Gesetzesregeln
530
g) Praktikabilität aa) Allgemeines
532 532
bb) Praktikabilitätskriterien in der Gesetzgebungspraxis h) Sachangemessenheit i) Verständlichkeit 5. Rationalität durch Verfassungsrecht
533 536 539 541
a) Verfassungsrechtliche Auseinandersetzungen im Gesetzgebungsprozeß aa) Unmittelbare regelungsbezogene verfassungsrechtliche Erörterungen
542 542
bb) Mittelbare bzw. allgemeine verfassungsrechtliche Diskussionen .
546
b) Erste verfassungsgerichtliche Judikate
550
c) Verfassungsrechtliche Anschlußdiskussionen in Rechtsprechung und Lehre
551
d) Bilanz
552
XI
Inhaltsverzeichnis 6. Grenzen gesetzgeberischer Rationalität a) Grenzen aus der Eigengesetzlichkeit der Politik
553 553
b) Grenzen wissenschaftlicher Rationalität
554
c) Besonders: Experimentelle Gesetzgebung
556
d) Rationalität und symbolische Gesetzgebung
558
E. Zusammenfassung in Thesen
562
Literaturverzeichnis
576
Sachregister
646
Abkürzungsverzeichnis und Zitiertechnik 1. Abkürzungen entsprechen grundsätzlich den Vorschlägen von Hildebert Abkürzungsverzeichnis der Rechtssprache, 3. Aufl. 1983.
Kirchner,
Ergänzend oder abweichend wird verwendet: A AB BT-Drs. DZ E EB FAZ FG FR FS G GedS KZfSS MS Wistra WP ZG ZSR
Ausschuß (z.B. InnenA) Ausschußbericht Bundestagsdrucksache Die Zeit Entwurf (eines Gesetzes, z.B. StGB(E)) Entwurfsbegründung Frankfurter Allgemeine Zeitung Festgabe Frankfurter Rundschau Festschrift Gesetz Gedächtnisschrift Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie Manuskriptseite Zeitschrift für Wirtschaft, Steuer, Strafrecht Wahlperiode (Legislaturperiode) Zeitschrift für Gesetzgebung Zeitschrift für schweizerisches Recht
2. Die Abkürzungen (nur) der Gesetze der 9. Deutschen Bundestages sind in einer gesonderten Liste alphabetisch mit ihrem vollständigen Titel und den Fundstellen zusammengestellt und im Text kursiv hervorgehoben; zur Zitiertechnik im einzelnen s. Kap. IV/Fn. 1. Im übrigen wurde im Hinblick auf das ergiebige Gesetzes(abkürzungs)verzeichnis von Kirchner, a.a.O., S. 293 ff. auf ein Fundstellenverzeichnis aller sonst erwähnten Gesetze verzichtet. 3. Mehrfach zitierte Bücher oder Beiträge in Büchern werden beim zweiten Male nur verkürzt mit Namen und einem Kurztitel unter Hinweis auf die Erstanmerkung mit bibliographisch vollständigen Angaben (oder Verweisen auf sie) zitiert. Einfache Ziffern (z.B.: Fn. 12) verweisen dabei auf eine Anmerkung im gleichen Kapitel; erfolgt eine Notation zusätzlich mit römischer Ziffer (z.B.: Fn. III/123), so wird auf eine Fußnote in einem anderen (vorausgehenden) Kapitel/Abschnitt verwiesen (im Beispiel: auf Fußnote 123 in Kapitel III).- Einige verfassungsrechtliche oder gesetzgebungstheoretische Standardwerke und spezielle, in der Arbeit besonders häufig zitierte Arbeiten werden ohne Hinweise auf eine Erstanmerkung zitiert; insoweit wird wegen genauerer Angaben auf das Literaturverzeichnis verwiesen.
Verzeichnis der Abkürzungen der selbständigen Gesetze der 9. Wahlperiode (ohne Vertragsgesetze nach Art. 59 Abs. 2 GG) 2. AbfÄndG
Zweites Gesetz zur Änderung des Abfallbeseitigungsgesetzes ( = AbfG i. d. F. v. 5. 1. 1977, BGBl. I, 41) vom 4. 3. 1982, BGBl. I, 281
6. AFGÄndG
Sechstes Gesetz zur Änderung des Arbeitsförderungsgesetzes ( = AFG v. 25. 6. 1969, BGBl. I, 582) (Wartezeitgesetz) vom 3. 8. 1981, BGBl. I,
802 AFKG
Gesetz zur Konsolidierung der Arbeitsförderung (ArbeitsförderungsKonsolidierungsgesetz — A F K G ) vom 22. 12. 1981, BGBl. I, 1497
AGVwZG
Gesetz zur Ausführung des Europäischen Übereinkommens vom 24. November 1977 über die Zustellung von Schriftstücken in Verwaltungssachen im Ausland und des Europäischen Übereinkommens vom 15. März 1978 über die Erlangung von Auskünften und Beweisen in Verwaltungssachen im Ausland vom 20. 7. 1981, BGBl. I, 665
AGZWfG-N
Gesetz zur Ausführung des Vertrages vom 17. Juni 1977 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Königreich Norwegen über die gegenseitige Anerkennung und Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen und anderer Schuldtitel in Zivil- und Handelssachen vom 10. 6. 1981, BGBl. I, 514
1. A M Ä n d G
Erstes Gesetz zur Änderung des Arzneimittelgesetzes ( = AMG ν. 24. 8. 1976, BGBl. I, 2445) vom 24. 2. 1983, BGBl. I, 169
11. AnpG-KOV Elftes Gesetz über die Anpassung der Leistungen des Bundesversorgungsgesetzes (Elftes Anpassungsgesetz-KOV —11. AnpG-KOV) vom 20. 11. 1981, BGBl. I, 1199 AsylVfG
Gesetz über das Asylverfahren (Asylverfahrensgesetz — AsylVfG) vom 16. 7. 1982, BGBl. I, 946
3. AufenthÄndG-EWG
Drittes Gesetz zur Änderung des Aufenthaltsgesetzes/EWG ( = AufenthG-EWG i. d. F. v. 31.1.1980, BGBl. I, 116) vom 11.9.1981, BGBl. I, 949
7. BAföGÄndG Siebentes Gesetz zur Änderung des Bundesausbildungsförderungsgesetzes ( = BAföG i. d. F. v. 9. 4. 1976, BGBl. I, 989) vom 13. 7. 1981, BGBl. I, 625 2. BApOÄndG
Zweites Gesetz zur Änderung der Bundes-Apothekerordnung ( = BApO v. 5. 6. 1968, BGBl. I, 601) vom 13. 8. 1982, BGBl. I, 1138
3. BbÄndG
Drittes Gesetz zur Änderung des Bundesbahngesetzes ( = BbG v. 13. 12. 1951, BGBl. I, 955)(3. BbÄndG) vom 22. 12. 1981, BGBl. I, 1689
Abkürzungen der selbständigen Gesetze der 9. Wahlperiode BBVAnpG 81
Gesetz über die Anpassung von Dienst- und Versorgungsbezügen in Bund und Ländern 1981 (Bundesbesoldungs- und -Versorgungsanpassungsgesetz 1981 — BBVAnpG 81) vom 21. 12. 1981, BGBl. I, 1465
BBVAnpG 82
Gesetz über die Anpassung von Dienst- und Versorgungsbezügen in Bund und Ländern 1982 (Bundesbesoldungs- und »Versorgungsanpassungsgesetz 1982 — BBVAnpG 82) vom 20. 12. 1982, BGBl. I, 1835
1. BeitrÄndGEG
Erstes Gesetz zur Änderung des Beitreibungsgesetzes-EG ( = BeitrGEG v. 10. 8. 1979, BGBl. I, 1429) vom 7. 8. 1981, BGBl. I, 807
BerBiFG
Gesetz zur Förderung der Berufsbildung durch Planung und Forschung (Berufsbildungsförderungsgesetz — BerBiFG) vom 23. 12. 1981, BGBl. I, 1692
3. BerlinFÄndG Drittes Gesetz zur Änderung des Berlinförderungsgesetzes ( = BerlinFG i. d. F. v. 23. 2. 1982, BGBl. I, 225) vom 20. 12. 1982, BGBl. I, 1828 BeschäftFG
Gesetz über steuerliche und sonstige Maßnahmen für Arbeitsplätze, Wachstum und Stabilität (Beschäftigungsförderungsgesetz — BeschäftFG) vom 3. 6. 1982, BGBl. I, 641
BesRÄndG
Gesetz zur Änderung besoldungsrechtlicher 20. 12. 1982, BGBl. I, 1916
BillBG
Gesetz zur Bekämpfung der illegalen Beschäftigung (BillBG) vom 15. 12. 1981, BGBl. I, 1390
9. BKGÄndG
Neuntes Gesetz zur Änderung des Bundeskindergeldgesetzes ( = BKGG i. d. F. v. 31. 1. 1975, BGBl. I, 412) vom 22. 12. 1981, BGBl. I, 1566
BKleingG
Bundeskleingartengesetz (BKleingG) vom 28. 2. 1983, BGBl. I, 210
Vorschriften
vom
1. BNotOÄndG Erstes Gesetz zur Änderung der Bundesnotarordnung ( = BNotO v. 24. 2. 1961, BGBl. I, 97) vom 7. 8. 1981, BGBl. I, 803 BtMNG
Gesetz zur Neuordnung des Betäubungsmittelrechts vom 28. 7. 1981, BGBl. I, 681
6. BWÄndG
Sechstes Gesetz zur Änderung des Bundes Wahlgesetzes ( = Β WG i. d. F. v. 1. 9. 1975, BGBl. I, 2325) vom 7. 12. 1982, BGBl. I, 1613
ERPWiPlG 1981
Gesetz über die Feststellung der Wirtschaftspläne des ERP-Sondervermögens für das Jahr 1981 (ERP-Wirtschaftsplangesetz 1981) vom 31.7. 1981, BGBl. I, 745
ERPWiPlG 1982
Gesetz über die Feststellung der Wirtschaftspläne des ERP-Sondervermögens für das Jahr 1982 (ERP-Wirtschaftsplangesetz 1982) vom 27. 7. 1982, BGBl. I, 1065
ERPWiPlG 1983
Gesetz über die Feststellung der Wirtschaftspläne des ERP-Sondervermögens für das Jahr 1983 (ERP-Wirtschaftsplangesetz 1983) vom 21.2. 1983, BGBl. I, 129
FischAufhG
Gesetz über die Aufhebung fischereischeinrechtlicher Vorschriften vom 30. 7. 1981, BGBl. I, 778
GrEStG 1983
Grunderwerbssteuergesetz (GrEStG 1983) vom 17. 12. 1982, BGBl. I, 1777
XXVIII
Abkürzungen der selbständigen Gesetze der 9. Wahlperiode
3. GüKÄndG
Drittes Gesetz zur Änderung des Güterkraftverkehrsgesetzes ( = GüKG i. d. F. v. 6. 8. 1975, BGBl. I, 2132) vom 9. 3. 1983, BGBl. I, 249
HBeglG 1983
Gesetz zur Wiederbelebung der Wirtschaft und Beschäftigung und zur Entlastung des Bundeshaushalts (Haushaltsbegleitgesetz 1983) vom 20. 12. 1982, BGBl. I, 1857
H G 1981
Gesetz über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 1981 (Haushaltsgesetz 1981) vom 13. 7. 1981, BGBl. I, 630
H G 1982
Gesetz über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 1982 (Haushaltsgesetz 1982) vom 17. 2. 1982, BGBl. I, 161
H G 1983
Gesetz über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 1983 (Haushaltsgesetz 1983) vom 20. 12. 1982, BGBl. 1,1811
2. HStruktG
Zweites Gesetz zur Verbesserung der Haushaltsstruktur (2. Haushaltsstrukturgesetz — 2. HStruktG) vom 22. 12. 1981, BGBl. I, 1523
IRG
Gesetz über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen (IRG) vom 23. 12. 1982, BGBl. I, 2071
KDVNG
Gesetz zur Neuordnung des Rechts der Kriegsdienstverweigerung und des Zivildienstes (Kriegsdienstverweigerungs-Neuordnungsgesetz — K D V N G ) vom 28. 2. 1983, BGBl. I, 203
KHGÄndG
Gesetz zur Änderung des Gesetzes zur wirtschaftlichen Sicherung der Krankenhäuser und zur Regelung der Krankenhauspflegesätze (Krankenhaus-Kostendämpfungsgesetz) ( = KHG v. 29. 6. 1972, BGBl. I, 1009) vom 22. 12. 1981, BGBl. I, 1568
KSVG
Gesetz über die Sozialversicherung der selbständigen Künstler und Publizisten (Künstersozialversicherungsgesetz — KSVG) vom 27. 7. 1981, BGBl. I, 705
KVEG
Gesetz zur Ergänzung und Verbesserung der Wirksamkeit kostendämpfender Maßnahmen in der Krankenversicherung (KostendämpfungsErgänzungsgesetz — KVEG) vom 22. 12. 1981, BGBl. I, 1578
LStPauschG
Gesetz zur Vereinfachung der Lohnsteuerpauschalierung für Teilzeitbeschäftigte vom 16. 12. 1982, BGBl. I, 1738
4. LwRentenbÄndG
Viertes Gesetz zur Änderung des Gesetzes über die Landwirtschaftliche Rentenbank ( = BGBl. III, 7624-1) vom 14. 12. 1981, BGBl. I, 1389
LwSiedlÄndG
Gesetz zur Änderung der Finanzierung landwirtschaftlicher Siedlungen (= LwSiedlG v. 15. 5. 1953, BGBl. I, 224) vom 25. 2. 1983, BGBl. I, 199
MErhAngG
Gesetz zur Erhöhung des Angebots an Mietwohnungen 20. 12. 1982, BGBl. I, 1912
MikroZG
Gesetz über die Durchführung einer Repräsentativstatistik der Bevölkerung und des Erwerbslebens (Mikrozensusgesetz) vom 21. 2. 1983, BGBl. I, 201
MinAGG
Gesetz zur Kürzung des Amtsgehalts der Mitglieder der Bundesregierung und der Parlamentarischen Staatssekretäre vom 22. 12. 1982, BGBl. I, 2007
vom
Abkürzungen der selbständigen Gesetze der 9. Wahlperiode MinöBranntwStÄndG 1981
Mineralöl- und Branntweinsteuer-Änderungsgesetz BranntwStÄndG 1981) vom 20. 3. 1981, BGBl. I, 301
1981 (Minö-
2. MinöStÄndG Zweites Gesetz zur Änderung des Mineralölsteuergesetzes ( = MinöStG 1964 i. d. F. v. 11. 10. 1978, BGBl. I, 1669) vom 22. 12. 1981, BGBl. I, 1561 1. MOÄndG
Erstes Gesetz zur Änderung des Gesetzes zur Durchführung der gemeinsamen Marktorganisation ( = MOG v. 31. 8. 1972, BGBl. I, 1617) vom 24. 5. 1982, BGBl. I, 625
MontanMitbestÄndG
Gesetz zur Änderung des Montan-Mitbestimmungsgesetzes und des Mitbestimmungsergänzungsgesetzes vom 21. 5. 1981, BGBl. I, 441
3. MRBlnÄndG Drittes Gesetz zur Änderung mietrechtlicher und mietpreisrechtlicher Vorschriften im Land Berlin vom 3. 8. 1982, BGBl. I, 1106 (1.) N H G 1982
Gesetz über die Feststellung eines Nachtrags zum Bundeshaushaltsplan für das Haushaltsjahr 1982 (Nachtragshaushaltsgesetz 1982) vom 11. 10. 1982, BGBl. I, 1389
2. N H G 1982
Gesetz über die Feststellung eines Zweiten Nachtrags zum Bundeshaushaltsplan für das Haushaltsjahr 1982 (Zweites Nachtragshaushaltsgesetz 1982) vom 20. 12. 1982, BGBl. I, 1802
5. PBefÄndG
Fünftes Gesetz zur Änderung des Personenbeförderungsgesetzes ( = PBefG i. d. F. vom 21. 3. 1961, BGBl. 1,241) vom 25. 2. 1983, BGBl. I, 196
(3.) PersAÄndG (Drittes) Gesetz zur Änderung des Gesetzes vom 6. 3. 1980 ( = Gesetz über Personalausweise — PersAG — v. 6. 3. 1980, BGBl. I, 270) vom 7. 8. 1981, BGBl. I, 806 4. PersAÄndG
Viertes Gesetz zur Änderung des Gesetzes über Personalausweise ( = PersAG v. 6. 3. 1980, BGBl. I, 270) vom 25. 2. 1983, BGBl. I, 194
PImpfAufhG
Gesetz zur Aufhebung des Gesetzes über die Pockenschutzimpfung vom 24. 11. 1982, BGBl. I, 1529
R A G 1982
Gesetz über die Anpassung der Renten der gesetzlichen Rentenversicherung im Jahr 1982 vom 1. 12. 1981, BGBl. I, 1205
3. SeemÄndG
Drittes Gesetz zur Änderung des Seemannsgesetzes ( = SeemG v. 26. 7. 1957, BGBl. III, 9513-1) vom 1. 3. 1983, BGBl. I, 215
SGB-X/3
Sozialgesetzbuch (SGB) —10. Buch — Zusammenarbeit der Leistungsträger und ihre Beziehungen zu Dritten (3. Kapitel) vom 4. 11. 1982, BGBl. I, 1450
StHG
Staatshaftungsgesetz vom 26. 6. 1981, BGBl. I, 553; für nichtig erklärt von BVerfGE 61, 149 ff
3. StiftHKÄndG Drittes Gesetz zur Änderung des Gesetzes über die Errichtung einer Stiftung „Hilfswerk für behinderte Kinder" ( = StiftHKG v. 17. 12. 1971, BGBl. I, 2018) vom 22. 12. 1982, BGBl. I, 2006 19. StrÄndG
Neunzehntes Strafrechtsänderungsgesetz 7. 8. 1981, BGBl. I, 808
(19.
StrÄndG)
vom
XX
Abkürzungen der selbständigen Gesetze der 9. Wahlperiode
20. StrÄndG
Zwanzigstes Strafrechtsänderungsgesetz (20. StrÄndG) vom 8.12.1981. BGBl. I, 1329
StVÄndG
Gesetz zur Änderung des Straßenverkehrsgesetzes ( = St VG v. 19. 12. 1952, BGBl. I, 837) vom 28. 12. 1982, BGBl. I, 2090
StVUnßtatG
Gesetz zur Durchführung einer Straßenverkehrsunfallstatistik (Straßenverkehrsunfallstatistikgesetz — StVUnfStatG) vom 22. 12. 1982, BGBl. I, 2069
SubvAbG
Gesetz zum Abbau von Subventionen und sonstigen Vergünstigungen, zur Erhöhung der Postablieferung sowie zur Klarstellung von Wohngeldregelungen (Subventionsabbaugesetz — SubvAbG) vom 26. 6. 1981, BGBl. I, 537
TiefsBergbÄndG Gesetz zur Änderung des Gesetzes zur vorläufigen Regelung des Tiefseebergbaus ( = TiefsBergbG v. 16. 8. 1980, BGBl. I, 1457) vom 12. 2. 1982, BGBl. I, 136 14. VAÄndG
Vierzehntes Gesetz zur Änderung des Versicherungsaufsichtsgesetzes (= VAGi.d.F. v. 6. 6.1931, RGBl. I, 315) vom 29. 3.1983, BGBl. I, 377
VAHRG
Gesetz zur Regelung von Härten im Versorgungsausgleich vom 21.2. 1983, BGBl. I, 105
VerbStÄndG 1982
Gesetz zur Änderung von Verbrauchssteuergesetzen (Verbrauchssteueränderungsgesetz 1982 —VerbStÄndG 1982)vom22. 12. 1981,BGBl. I, 1562
VerschmelzRiG Gesetz zur Durchführung der Dritten Richtlinie des Rates der Europäischen Gemeinschaften zur Koordinierung des Gesellschaftsrechts (Verschmelzungsrichtlinie-Gesetz) vom 25. 10. 1982, BGBl. I, 1425 3. VwGOÄndG Drittes Gesetz zur Änderung der Verwaltungsgerichtsordnung ( = VwGO v. 21. 1. 1960, BGBl. I, 17) vom 20. 12. 1982, BGBl. I, 1834 V Z G 1983
Gesetz über eine Volks-, Berufs-, Wohnungs- und Arbeitsstättenzählung (Volkszählungsgesetz 1983) vom 25. 3. 1982, BGBl. I, 369; z.T. für nichtig erklärt durch BVerfGE 65, 1 ff.
WBeauftrÄndG Gesetz zur Änderung des Gesetzes über den Wehrbeauftragten des Deutschen Bundestages (Gesetz zu Art. 45b des Grundgesetzes — WBeauftrG) vom 16. 6. 1982, BGBl. I, 673 WehrRÄndG 1983
Gesetz zur Änderung des Wehrrechts und des Zivildienstrechts vom 24. 2. 1983, BGBl. I, 179
4. WeinÄndG
Viertes Gesetz zur Änderung des Weingesetzes ( = WeinGw. 14. 7. 1971, BGBl. I, 893) vom 27. 8. 1982, BGBl. I, 1177
WertgrErhG
Gesetz zur Erhöhung von Wertgrenzen in der Gerichtsbarkeit vom 8. 12. 1982, BGBl. I, 1615
WoBindAndG
Gesetz zur Änderung des Wohnungsbindungsgesetzes ( = WoBindG i. d. F. v. 30. 7. 1980, BGBl. 1,1120), des Zweiten Wohnungsbaugesetzes (II. WoBauG i. d. F. v. 30. 7. 1980, BGBl. I, 1085) und des Wohnungsbaugesetzes für das Saarland (i. d. F. v. 10. 6. 1980, ABl. des Saarlandes, 802) vom 21.7.1982, BGBl. I, 969
Abkürzungen der selbständigen Gesetze der 9. Wahlperiode 10. WSÄndG
Zehntes Gesetz zur Änderung des Wehrsoldgesetzes ( = WSG i. d. F. v. 20. 2. 1978, BGBl. I, 265) vom 25. 1. 1982, BGBl. I, 69
1. ZahnHKÄndG
Erstes Gesetz zur Änderung des Gesetzes über die Ausübung der Zahnheilkunde ( = ZahnHKG v. 31.3.1952, BGBl. I, 221) vom 25. 2. 1983, BGBl. I, 187
2. ZerlÄndG
Zweites Gesetz zur Änderung des Zerlegungsgesetzes ( = ZerlegG i. d. F. v. 25. 2. 1971, BGBl. I, 145) (2. ZerlÄndG) vom 8. 12. 1981, BGBl. I, 1331
4. ZuckStÄndG Viertes Gesetz zur Änderung des Zuckersteuergesetzes ( = ZuckStG i. d. F. v. 19. 8. 1959, BGBl. I, 645) vom 18. 2. 1983, BGBl. I, 101 ZündwMonAufhG
Gesetz zur Abschaffung des Zündwarenmonopols vom 27. 8. 1982, BGBl. I, 1241
Α. Ausgangspunkte für die Analyse der modernen Gesetzgebung I. Gesetzgebung als symptomatischer Wachstumsprozeß Gesetzgebung hat als rechtswissenschaftliches Thema einen steilen Karrieresprung hinter sich; ihre „Krise" scheint der gemeinsame diagnostische Nenner in der Veröffentlichungsflut der letzten Jahre zu sein. Das Krisenbewußtsein nährt sich aus sehr unterschiedlichen, teilweise gegensätzlichen Vorstößen. Dem begrifflich-terminologischen Wildwuchs (Verrechtlichung, Vernormung, Normenflut, Gesetzesinflation, Gesetzesflut, Gesetzesperfektionismus, Bürokratisierung usw.) entspricht eine Vielfalt disparater Erklärungen und Bewertungen mit einer Palette oft schlichter Therapien; hinter der Kritik der Krise verbirgt sich ein falscher, nur negativer Konsens. 1. Erscheinungsformen des Gesetzgebungswachstums a) Gesetzgebung als Teilelement der Verrechtlichung in Staat und Gesellschaft?
In Anlehnung an die verfassungsstaatliche Funktionenteilung ist der Prozeß der „Verrechtlichung" in drei „Grundtypen" der Vergesetzlichung ( = Parlamentarisierung: Zunahme der Zahl der Gesetze), der Bürokratisierung ( = Verrechtlichung in der und durch die Verwaltung) und Justizialisierung geordnet worden 1 . Der analytische Erkenntnisgewinn dieser Unterscheidung ist gering 2 . Weder kommen Verrechtlichungstendenzen im gesellschaftlichen Bereich (Stichworte: Kautelarjurisprudenz; Privatbürokratie) in das Blickfeld 3 noch die zugrundeliegenden Zusammenhänge und Wechselwirkungen zwischen Vergesetzlichung, Bürokratisierung und Justizialisierung 4. Die Probleme der (Parlaments-) 1
R. Voigt, in: ders. (Hg.), Verrechtlichung, 1980, S. 15 (18ff.); J. Staupe, Leviathan 10 (1982), 273 (276 f.); R. Hendler, DVB1. 1983, 873 (883); W. Hugger , Gesetze — Ihre Vorbereitung, Abfassung und Prüfung, 1983, S. 29. 2 Zu Recht krit. H. Dreier, ZfRSoz 4 (1983), 101 (103). 3 Vgl. dazu H. Föhr und H. Bosetzky, in: H. Geißler (Hg.), Verwaltete Bürger — Gesellschaft in Fesseln, 1978, S. 45 ff. bzw. 55 ff.; krit. zur insoweit verzerrten Diskussion um die Normenflut R. Schubert, RuP 17 (1981), 126 (126). 4 Vgl. zur Gesetzgebung als Ursache für Bürokratisierung etwa: E. Pappermann, Der Städtetag 1980, 667 (667 f.); als Ursache für Justizialisierung: nahegelegt von G. Berner, BayVBl. 1978, 617 (621 ff.); zu Gerichten als Verursacher der Gesetzesflut ζ. Β. H. Simon, 53. DJT, Band 2, 1980, Teil Q, S. 28ff.; H. Sendler, ZRP 1979, 227ff. 1
Schulze-Fielitz
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I. Gesetzgebung als symptomatischer Wachstumsprozeß
Gesetzgebung liegen „quer" zu solcher Systematisierung. Trotz begrifflicher Bedenken5 bleibt festzuhalten, daß das Wachstum von (Parlaments-) Gesetzgebung nur Teil eines weitergreifenden Prozesses der „Verrechtlichung des Gemeinwesens"6 i. S. der Zunahme des Bestandes an rechtlichen Regelungen auf allen Ebenen der Rechtssetzung ist. b) Intensive und extensive Wachstumsprozesse
Verrechtlichung soll nach einer anderen Unterscheidung eine doppelte Dimension aufweisen: quantitativ eine Vermehrung des Bestandes von Rechtsregeln durch Ausdehnung des Rechts, qualitativ eine Verdichtung (Detaillierung oder Spezialisierung) des normativen Regelungsinhalts7. Indessen liegt auch in der Verfeinerung normativer Gehalte eine Vermehrung von Normen und eine stärkere rechtliche Einhegung; umgekehrt liegen der Ausdehnung des Rechts neue detaillierte Regelungsbedürfnisse zugrunde. Abgesehen von Extrembeispielen evident neuer Rechtsregeln (man denke an die Einführung von Datenschutznormen) bzw. neuer gesetzlicher Spezifizierungen von Generalklauseln (ζ. B. die Kodifizierung der BGH-Rechtsprechung zur Sittenwidrigkeit von AGB im AGB-Gesetz) erscheint auch die analytische Unterscheidung von intensiver und extensiver Verrechtlichung ohne typenbildende Kraft. Die Hochstufung von untergesetzlichen zu gesetzlichen Rechtsnormen im Schulrecht etwa läßt sich weder nur als Ausdehnung noch allein als Intensivierung von 5 Zur begrifflichen Unschärfe der hochabstrakten „Verrechtlichung" s. E. Blankenburg, JbRSoz 6 (1980), 83 (88 f.); A. Laaser, in: Bildung in der Bundesrepublik Deutschland 2, 1980, S. 1343 (1345 f.); T. Rasehorn, RuP 17 (1981), 41: „Kampfbegriff"; R. Werle, ZfRSoz 3 (1982), 2 (4 ff.); F.-X. Kaufmann, JbRSoz 12 (1988), MS. 14 ff.
Dennoch setzt sich der Begriff z. B. mit H.-D. Weiß, DÖV 1978,601 ff; W. Leisner, JZ 1977, 537 (540, 541), zumindest in Anführungszeichen, durch, s. etwa W. Schmitt Glaeser, AöR 107 (1982), 337 (361); O. Bachof, JZ 1983, 469 (470, 472); P. Lerche (1983), in: T. Maunz/G. Dürig, GG, Kommentar, 1958ff, Art. 83/Rdn. 60; G. Roellecke, DÖV 1983, 653 (659); R. Grawert, DVB1.1983,973 (977) und auch BVerfGE 45,187 (243). Der Begriff hat durchaus Tradition, s. z. B. W. Schmidt, Der Staat 9 (1970), 481 (491 f.); nach R. Hendler, DVB1. 1983, 883 leistet selbst jede dogmatisch neue Rechtsprechung, die textgenauer und stärker differenziert, schon deshalb ein Stück „Verrechtlichung". Begriffsfortbildungen wie „Verarbeitsrechtlichung" — so H. Lecheler, W D S t R L 43 (1985), 48 (67 f.) — überschreiten Grenzen rechtssprachlicher Ästhetik.- Zum Problem eindringlich jetzt G. Teubner, in: F. Kübler (Hg.), Verrechtlichung von Wirtschaft, Arbeit und sozialer Solidarität, 1984, S. 289 (294ff). 6 S.a. am Bsp. des Polizeirechts J.Pietzcker, DVB1. 1984, 457 (458).- Weiter ausgreifend wird Verrechtlichung z.T. als der wohl „verbreitetste Problemtopos unter Rechts- und Sozialwissenschaftlern, die sich heute mit Recht und Gesellschaft befassen", qualifiziert und in den Zusammenhang gesamtgesellschaftlicher Theoriebildung gestellt, so R. Wiethölter, KJ 18 (1985), 126 (130). 7 So bereits Κ Eichenberger (1954), in: ders., Der Staat der Gegenwart, 1980, S. 251 (271); ferner etwa H.-D. Weiß, DÖV 1978, 602; R. Voigt, in: ders. (Hg.), Verrechtlichung (Fn. 1), S. 16, und andere Mitarbeiter dieses Bandes; R. Hendler, DVB1. 1983, 883 und ders., JbRSoz 9 (1983), 59 (63); G. Schmidt-Eichstaedt, DVB1. 1985, 645 (645).
1. Erscheinungsformen des Gesetzgebungswachstums
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Recht angemessen begreifen 8 . Gleichwohl bildet sie den A n k n ü p f u n g s p u n k t für die äußeren Indikatoren der Verrechtlichung. c) Quantitative und qualitative Indikatoren Quantitativer I n d i k a t o r für die Verrechtlichung sind das Wachstum der Z a h l der Parlamentsgesetze u n d Rechtsverordnungen 9 , wie es auch i n der zunehmenden Stärke der Gesetzes- u n d Verordnungsblätter v o n B u n d u n d Ländern sichtbar zu werden scheint — die N o r m e n f l u t gewinnt so jedenfalls Anschaul i c h k e i t 1 0 . Freilich lassen der mittlerweile hohe A n t e i l ζ . B. an deklaratorischen Neufassungen, Neuverkündungen oder technischen Formblattmustern, A n l a gen usw. einen unmittelbaren Vergleich nicht z u 1 1 ; auch ist ein A b b a u v o n solchen Rechtsvorschriften aufzurechnen, die n u n etwa statt als Verwaltungsvorschriften als Gesetze oder Verordnungen publiziert w e r d e n 1 2 . Qualitativ sind auch die immer zahlreicheren Gesetze ohne Verhaltenssteuerung für den Bürger (von Organisationsnormen bis zu internationalen A b k o m men) beim Vergleich „ m i t früher" zu gewichten 1 3 . Das sekundäre Gemein8 Primär werden hier Verantwortungs- und Kontrollbereiche zwischen den Staatsfunktionsträgern verschoben, vgl. dazu etwa L.-R. Reuter, in: R. Voigt (Hg.), Verrechtlichung (Fn. 1), S. 116 (118); F. Ossenbühl, in: V. Götz u. a. (Hg.), Die öffentliche Verwaltung zwischen Gesetzgebung und richterlicher Kontrolle, 1985, S. 9 (13) m. Nw.; allg. auch D. Merten/F. Kirchhof, Quantitative Analyse der zentralen Rechtsnormen des Bundes und Bayerns, 1983, S. 177. 9 Die genaue Zahl der geltenden Gesetze und Rechtsverordnungen im Bunde wird erst nach Abschluß der EDV-Bestandsaufnahme feststellbar sein. 1977 schätzte die Bundesregierung den Bestand auf ca. 1480 Gesetze und 2280 Rechtsverordnungen, davon ca. 310 Gesetze und 440 Rechtsverordnungen aus der Zeit vor dem 8.5.1949, vgl. BT-Drs. 8/212, zit. nach DÖV 1977, 438 (439); demgegenüber soll es nach a.A. nur ca. 900 geltende Bundesgesetze geben, s. G. Schmidt-Eichstaedt, DVB1. 1985, 645. 10 Vgl. die Angaben betr. den Bund zsfssd. E. MüllerIW. Nuding, PVS 25 (1984), 74 (74f.); s. a. G. Berner, BayVBl. 1978, 617f.; H.-J. Vogel, JZ 1979, 321 (321 f.); C. Starck, ZRP 1979, 209; F. Thedieck, JA 1981, H. 4, S. X X V I I I f . ; A. Heldrich, FS f. K. Zweigert, 1981, S. 811 (812 ff.); G. Schmidt-Eichstaedt, Bundesgesetze und Gemeinden, 1981, S. 13 ff.; H. Köstering, VR 1982, 73 (74); W. J. Dodenhoff VerwArch 75 (1984), 1 (10); Η. Η. v. Arnim, Staatslehre der Bundesrepublik Deutschland, 1984, S. 462; C. Starck, in: V. Götz u. a. (Hg.), Verwaltung (Fn. 8), S. 1 (2). 11 H.-J. Vogel, a. a. Ο., S. 322; für Österreich: B. Schilcher, in: G. Winkler/B. Schilcher (Hg.), Gesetzgebung, 1981, S. 35 (41); ausf. E. Müller/W. Nuding, a.a.O., S. 76ff.; H. Rottleuthner, ZfRSoz 6 (1985), 206 (212ff.). Im übrigen beansprucht auch die Aufhebung von Gesetzen Raum im Bundesgesetzblatt. 12 In diesem Lichte hat die „Vergesetzlichung" des Schulwesens quantitativ nicht zu einer „Gesetzesflut" geführt: J. Staupe, Leviathan 10 (1982), 280, wohl aber zu einer „Erlaßflut". 13 B. Schilcher, in: G. Winkler u.a. (Hg.), Gesetzgebung (Fn. 11), S. 41; nach T. Ellwein, DVB1.1984,255 (259) haben im Bund 36 %, im Land sogar 77 % der Gesetze imd Verordnungen ihren Adressaten innerhalb des politisch-administrativen Systems; s. a. E. Bülow, 53. DJT, 1980, Bd. II/Q, S. 18 (19).
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I. Gesetzgebung als symptomatischer Wachstumsprozeß
schaftsrecht der EG und die Zunahme von Verwaltungsvorschriften sowie von veröffentlichten, normbildenden Gerichtsurteilen (einschließlich der Untergerichte) sind Belege für die quantitative Dimension der Verrechtlichung 14 und doch mit unmittelbar wirksamen Verhaltensvorschriften für den Bürger nicht vergleichbar. Ein quantitatives Kriterium scheint auch die zunehmende Länge bestimmter einzelner Gesetzesparagraphen von Novelle zu Novelle zu sein; beispielhaft werden immer wieder § 34 BBauG 1 5 , die Regelungen des Versorgungsausgleichs 16 und verschiedene Planungsleitzielbestimmungen (§§ 1 BBauG, 2 BROG) 1 7 diskutiert. Indessen ist der Wortreichtum oft nur Ausdruck einer qualitativen Komplizierung der Rechtsregeln (die Länge einzelner Paragraphen bzw. die Zahl ihrer Absätze ist funktional prinzipiell beliebig); sie findet verwaltungspraktisch einerseits in „vollzugsdefizitären" (nicht angewendeten) Normen (ζ . B. im Umweltschutzrecht 18 ), andererseits im Wachstum auch der Verwaltungsvorschriften (z. B. § 38 I NRWBauO 1 9 ), justiziell im wachsenden kasuistischen Richterrecht selbst zu neuen Gesetzen (z. B. § 1579 BGB) und gesetzgebungspraktisch in der Akzeleration von Gesetzesnovellen (z.B. vom BBauG 1960 über die Ergänzung durch das StBFG 1971 zu den Novellen von 1976, 1979, 1984 und evtl. 1986) Ausdruck. Solche äußerlichen Prozesse veranschaulichen zugleich die qualitative Komplizierung des Rechts: Die „Normüberflutung" hat eine quantitative und eine qualitative Dimension 20 .
2. Erklärungsansätze Diese Erscheinungsformen progressiver Verrechtlichung finden eine Fülle von Erklärungen und Bewertungen 21 . Während im sozialwissenschaftlichen 14 Die „Gesetzesflut" ist eine Normenflut: D. Boerlin u. a., in: K. Eichenberger u. a. (Hg.), Grundfragen der Rechtssetzung, 1978, S. 295 (296). Jüngstes Symptom ist die Herausgabe einer reinen Rechtsprechungszeitschrift (NJW-RR, ab 1986). 15 Zuerst K. Redeker, NJW 1977, 1183 (1184); dann pass., etwa H. Maassen, NJW 1979,1473 (1474: „Musterbeispiel"); H. Sendler, ZRP 1979, 228, 230; K. Stern, 53. DJT, 1980, Bd. II/P, S. 13 (14); H Köstering, VR 1982, 74; C. Weidemann, NVwZ 1983, 441 (441); aus jüngerer Zeit wieder K. Redeker, UPR 1984, 313 (315); H. Sendler, FS Juristische Gesellschaft Berlin, 1984, S. 753 (768 f.). 16 K. Hillermeier, BayVBl. 1978, 321 (323) im Anschluß an die Presseerklärung des DAV v. 28. 10. 1976. 17
S. zur Kritik W. Schmitt Glaeser, Die Verwaltung 14 (1981), 277 (297 ff.). Grdl. R. Mayntz u. a., Vollzugsprobleme der Umweltpolitik, 1978; vgl. auch R. Dieckmann, VuF 8 (1980), 155 (159). 19 Beispiel betr. Sicherheit der Treppen mit einer Fülle von Folge-Vorschriften bei H. Maassen, NJW 1979, 1474. 18
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Zu den Folgen für die Juristenausbildung: H. A. Hesse, JZ 1982, 272 (278). Zsfssd. etwa H. Köstering, VR 1982, 73 (75 ff.); D. Boerlin u. a., in: K. Eichenberger u. a. (Hg.), Grundfragen (Fn. 14), S. 299ff.; W. Hugger , Gesetze (Fn. 1), S. 41 ff. 21
2. Erklärungsansätze
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Schrifttum eine eher erklärende Betrachtungsweise auf makrotheoretischer Ebene dominiert 22 , schlägt der alltagspraktische Unmut der Juristen schnell um in kritische Vorwürfe speziell an „den" Gesetzgeber 23. Auch Abgeordnete 24 und Minister 25 haben das Thema „Gesetzesflut" schnell aufgegriffen und ein kritisches Selbstverständnis entwickelt 26 . Die Diskussion ist um so wertfreier, je schwerer sich der parlamentarische (Landes- oder Bundes-)Gesetzgeber den Normierungszwängen entziehen kann. Er ist ζ. T. auch Adressat von Verrechtlichungszwängen durch Dritte 2 7 . Als nahezu unvermeidlicher Sachzwang internationaler Verflechtung erscheint die Transformation europäischer Rechtsimpulse sowie völkerrechtlicher Verträge in deutsches Recht durch Gesetze und Rechtsverordnungen 28. Auch die durch das Grundgesetz (in der vom BVerfG entwickelten Geltungsform 29 ) gesetzten Imperative für die Gesetzgebung gelten weithin als unvermeidlich 30 . Die Trias von rechtsstaatlichem Gesetzesvorbehalt, Dynamik des Gleichheitssatzes und der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz entfaltet, auch jenseits von ausdrücklichen Gesetzgebungsaufträgen des BVerfG, normproduzierende und -verfeinernde Kraft. Zusammen mit dem Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung (Art. 20 I I I GG) und der Rechtsweggarantie (Art. 19 IV GG) ist der Prozeß der Verrechtlichung geradezu ein Kennzeichen der Rechtsstaatstradition unter dem G G 3 1 ; sein Ende ist unabsehbar. 22
Z. B. R. Werte, ZfRSoz 3 (1982), 8 ff. S. ζ. B. die Forderung nach Abbau der Rechtssetzungsflut ohne jede Frage nach ihren Gründen bei W. J. Dodenhoff VerwArch 75 (1984), 12. 24 Vgl. P. Schulz, N G 26 (1979), 1083ff.; H. Brandt, N G 26 (1979), 1090f.; A. Wernitz, VOP 1 (1979), 135 ff.; C.-O. Lenz, FS f. F. Schäfer, 1980, S. 66ff. 25 K. Hillermeier, BayVBl. 1978, 321 ff.; E.Gries, Der Landkreis 1979, 483 ff.; B. Hirsch, VR 1979, 113 ff.; G. R. Baum, Bulletin 1979, 269 ff. 23
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G. Kretschmer, in: H. Kindermann (Hg.), Studien zu einer Theorie der Gesetzgebung 1982, 1982, S. 117ff.- Auch Festreden eignen sich für einschlägige Forderungen, s. ζ. B. Bundestagspräsident R. Barzelvov dem D I H T , Bulletin 1984, S. 165 ff. (167: „Laßt uns Paragraphen streichen! Es gibt zu viele davon."). 27 Vgl. zu „Normdefiziten": F. Ossenbühl, in: V. Götz u. a. (Hg.), Verwaltung (Fn. 8), S. 11 f. Es ist deshalb nur sachdienlich, daß die hektische Debatte um die „Gesetzesflut", nach ihrem Abebben als Mode-Thema, seit einiger Zeit in ruhigere Bahnen geraten ist. Mitunter wird das Thema sogar schon für „ausgeschrieben" gehalten, so J. Jekewitz, RuP 20 (1984), 45; s. aber erneut T. Mayer-Maly, FS Juristische Gesellschaft Berlin, 1984, S. 423ff.; J. Isensee, ZRP 1985, 139ff 28
Für viele: H.-J. Vogel, JZ 1979, 323. Vgl. E.-W. Böckenförde, Gesetz und gesetzgebende Gewalt, 2. Aufl. 1981, S. 373; danach haben die Wirkungen der Leitentscheidungen des Bundesverfassungsgerichts die „Verfassungsrechtslage" ζ . T. verändert. 30 Dazu H.-J. Vogel, JZ 1979, 322; H. Sendler, ZRP 1979, 228; I. v. Münch, in: Probleme des Föderalismus, 1985, S. 143; krit. aber C. Pestalozza, NJW 1981, 2081 (2084); zuletzt J. Becker, DÖV 1985, 1003 (1004, 1011). 31 S. etwaC. Starck, ZRP 1979,210,211; zum Beispiel der Schule Staupe, Leviathan 10 (1982), 290 f. 29
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I. Gesetzgebung als symptomatischer Wachstumsprozeß
In engem Zusammenhang damit steht die Vergesetzlichung der staatlichen Binnenorganisation: M i t dem Wachstum der Staatsaufgaben wächst auch die Staatsbürokratie, deren rechtliche Ausformung vor dem Hintergrund der Pluralisierung der Staatsgewalt zunehmend nicht (mehr nur) durch organisationsinterne Richtlinien der Verwaltungsspitzen, sondern (auch) durch Parlamentsgesetze erfolgt. Ein Drittel der Bundes- und drei Viertel der Landesgesetze sollen ihren Adressaten innerhalb des politisch-administrativen Systems haben 32 . Jenseits der genannten Erklärungen beginnt ein Bereich von Erklärungsmustern, die nur abstrakt konsensfahig wirken. Gesetzgebung muß (unstreitig) die sozialen, wirtschaftlichen und technischen Veränderungen sei es aufnehmen, sei es antizipieren — in welchem Umfang das konkret geschehen sollte, ist nur begrenzt objektivierbar. Hier wird bald das soziale und politische Vorverständnis vom angemessenen staatlichen Gestaltungsanspruch zentral wirksam. Die Anpassung bestehender Rechtsnormen wegen solcher tatsächlichen Veränderungen (ζ . B. Inflation, neue technische Erkenntnisse und Voraussetzungen) ist gewiß unvermeidlich. Die Komplizierung der Verhältnisse durch den naturwissenschaftlich-technischen Fortschritt findet weithin Zustimmung als wesentlicher Grund für die Gesetzesflut 33; hier werden auch gegenwärtig noch am ehesten Defizite eingeräumt 34 . Auch sonst gründen solche „Überlastungen des Gesetzgebers" 35 vor allem in den technischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Ansprüchen unserer Zeit 3 6 . Das Selbstbewußtsein des Gesetzgebers, einen generationenlangen Regelungsstau durch dauerhafte Kodifikationen abgebaut zu haben und damit den Gesetzgeber der näheren Zukunft entlastet zu haben 37 , dürfte freilich nicht ungeteilte Zustimmung finden. Ähnlich berühren die weiteren Erklärungen den Nerv sozialphilosophischer und politischer Sollensvorstellungen. Das — sozialstaatlich aufgenommene — Bedürfnis nach sozialer Sicherheit führt zur Verdichtung von Rechtsvorschriften im „sozialen Netz" 3 8 , der Interventions32
S. schon die Nw. oben in Fn. 13. G. Berner, BayVBl. 1978, 618; C. Starck, ZRP 1979,210; H. Honseil, Vom heutigen Stil der Gesetzgebung, 1979, S. 21; W.Leisner, DVB1. 1981, 849 (853); J.Staupe, Leviathan 10 (1982), 292 f. 34 H.-D. Weiß, DÖV 1978,603 betr. das Atomrecht; G. Berner, BayVBl. 1978,618; vgl. auch E. Deutsch, ZRP 1978,228 ff. (zur Gen-Manipulation); H.-J. Vogel, DVB1.1979,897 (898); P. Noll, Gesetzgebungslehre, 1973, S. 165 f. 35 K. Zweigert, 51. DJT, 1976, Bd. I I / K , S. 1 (8). 36 So W. Buser, SchwZblStuG 1984,145 (152); ähnlich W. Braun, VerwArch 76 (1985), 24 (37 f.). 37 So H.-J. Vogel, JZ 1979,323 für die Jahre 1973 —1976.- Gegen den vorschnellen Ruf nach Gesetzesänderungen R. Wassermann, RuP 18 (1982), 165 (171, 173). 38 Vgl. speziell zum Sozialrecht: G. Berner, BayVBl. 1978, 619f.; H. F. Zacher, in: Der Wohlfahrtsstaat auf dem Prüfstand, 1983, S. 30 (38 f.): „monetäre Verrechtlichung". 33
2. Erklärungsansätze
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oder Sozialstaat gilt als besonders normhungri^ 9, zumal wenn „Verteilungen großen Stils" sich nur durch Festlegungen „bis in die Einzelheiten hinein" regeln lassen sollten 40 . Allgemein verlangt das engere und riskantere, konfliktgenerierende soziale Zusammenleben nach mehr Rechtsregeln. Auch entspricht z.B. dem Wachstum des gesellschaftlichen Reichtums ein Wachstum des Rechts zur Verteilung der knappen Güter, denn paradoxerweise wächst mit der Vielfalt der Konsummöglichkeiten auch das Problem der Knappheit: I m sozialen Rechtsstaat einer industriellen Massengesellschaft erscheint das Anwachsen des Rechtsstoffes unvermeidlich 41 . Die wachsende Anzahl von Juristen, die Eigendynamik der bestehenden Rechtsregeln mit ihrem Konkretisierungsbedarf und die Gesetzgebung entfalten, obwohl primär Folge tiefergehender Wandlungsprozesse, ebenso Eigenwirkung wie die rechtsetzende (ministeriale) „Koordinierungsbürokratie" mit ihrer tendenziell „permanenten Niveauanhebung in der Leistungsdarbietung der öffentlichen Verwaltung" 42 , ohne daß die Rückbindung des Rechts an die Dynamik der sozialen Wirklichkeit wirklich gesichert wäre 43 : In unserer rechtsund richterfreundlichen politischen Kultur ist denn auch der Grund der Verrechtlichung gesehen worden 44 . Hinter dem Verrechtlichungsbedürfnis verbirgt sich, historisch manifest zuerst in den großen zivilrechtlichen Kodifikationen (PrALR; Code civil; A B G B ) 4 5 , der primär aufklärerisch-rechtsstatliche Impuls nach rationaler gesellschaftlicher Gestaltung und ihrer Kontrolle. Das positive Recht als flexibles und wichtigstes Steuerungsmittel des modernen Staates läßt sich in seiner Bedeutung nur in einem säkularen Entwicklungszusammenhang angemessen begreifen, parallel zur Herausbildung des neuzeitlichen Staates46. M i t dessen zunehmender gesellschaftlicher Gestaltungsmacht wird auch das Recht 39 So bereits Κ Eichenberger (1954), in: ders., Staat (Fn. 7), S. 314; P. Noll, Gesetzgebungslehre, S. 164f.; H. Nef FS f. K. Eichenberger, 1982, S. 559ff.; H. P. Westermann, ZRP 1983, 249 (252); J. Isensee, ZRP 1985, 142; J. Becker, DÖV 1985, 1004. 40 So E. Forsthoff Lehrbuch des Verwaltungsrechts, 10. Aufl. 1973, S. 61. 41 F. Kubier, JZ 1969, 645 (647f.); M. Rehbinder, JbRSoz 3 (1972), 25 (29); W. Hug , GedS f. J. Rödig, 1978, S. 3 (5); A. Wernitz, VOP 1 (1979), 139; S. Simitis, 53. DJT, 1980, Bd. II/Q, S. 35 (39); vgl. auch W. Schreckenberger, FS f. F. Schäfer, 1980, S. 76 (80). 42 So F. Wagener, VVDStRL 37 (1979), 215 (242f.); s. auch J. Staupe, Leviathan 10 (1982), 293. 43 W. Schreckenberger, FS f. F. Schäfer, 1980, S. 82f. 44 U. Matz, in: W. Hennis u. a. (Hg.), Regierbarkeit 2,1979, S. 211 (228 ff.); W. Seibel, VerwArch 74 (1983), 325 (334). 45 Vgl. F. Wieacker, Privatrechtsgeschichte der Neuzeit, 2. Aufl. 1967, S. 312fT., 322ff., 327ff., 335ff., 339ff.; W. Hug , GedS f. J. Rödig, 1978, S. 6ff. 46 W. Schreckenberger, FS f. F. Schäfer, 1980, S. 81 f.; W. Hug , GedS f. J. Rödig, 1978, S. 3, 6 ff.
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I. Gesetzgebung als symptomatischer Wachstumsprozeß
als „machbar" empfunden, nicht mehr als organisch gewachsene Ordnung einer Gemeinschaft 47. Ein weiterer Problembereich verbirgt sich hinter dem behaupteten Verlust gesellschaftlicher Selbstregulierungsmechanismerf 8 im Zusammenhang mit einem Verlust an Gemeinsinn, die zu Gesetzen als Kompensation führten 49 . Die verbreiteten soziologischen Hypothesen von der Ersetzung nicht-rechtlicher, sozialer Regelungen durch rechtliche 50 bzw. vom Anwachsen des rechtlich geregelten Bereichs „zu Lasten nahezu aller anderen Sozialbeziehungen"51 sind selten durch Beispiele belegt und empirisch kaum überprüft 52 ; sie werden durch derartige Defintionen bereits vorausgesetzt 53. Kulturkritische Rufe nach „Rückbesinnung auf die sittlichen und politischen Grundwerte" 54 geben deshalb zu schnell dem eigenen Zeitgefühl nach. Der Verrechtlichungsprozeß läßt konträre Deutungen zu: ob der politische Neugestaltungswille des Gesetzgebers sich ein neues Gesetzgebungsfeld bewußt und gewollt erschlossen hat 5 5 oder ob der Gesetzgeber (relativ abhängig) nur gesellschaftliche Entwicklungen rechtlich ratifiziert hat (er kann damit freilich auch dysfunktional wirken). Eine vorläufige Bilanz dieser vielfaltigen Erklärungen kommt über Ulrich Scheuners 25 Jahre alte Analyse zwar kaum hinaus 56 ; anders aber als Scheuner 51 will sich die neuere Kritik nicht mit dem dauernden Anstieg der legislativen Aktivitäten abfinden.
47 A. Kaufmann (1962), in: ders., Rechtsphilosophie im Wandel, 2. Aufl. 1984, S. 131 (146 f.); s. näher unten Kap. VII/1, 2. 48 Z.B. H.-J. Vogel, JZ 1979, 322; A. Heldrich, FSf. K. Zweigert, 1981, S. 823f.; J. Staupe, Leviathan 10 (1982), 291. 49 C. Starck, ZRP 1979, 212f.; zust. H. Maassen, 53. DJT, 1980, Bd. II/Q, S. 5 (8). 50 So z. B. W. Schluchter, Die Entwicklung des okzidentalen Rationalismus, 1979, S. 78, im Anschluß an E. Durkheim ; W. Hug , GedS f. J. Rödig, 1978, S. 4; U. MeyerCording, Die Rechtsnormen, 1971, S. lOf.; s. a. J. Isensee, ZRP 1985, 142. 51 R. Voigt, in: ders. (Hg.), Verrechtlichung (Fn. 1), S. 15. 52 C. Bohret, in: W. Hugger, Gesetze (Fn. 1), S. 6. 53 Vgl. zur Kritik R. Werle, ZfRSoz 3 (1982), 6f. 54 S. z. B. G. Berner, BayVBl. 1978, 625. 55 S. z. B. zur Verwandlung von wissenschaftsimmanenten Grundsätzen der Forschungsethik in (Datenschutz-)Rechtsvorschriften, vgl. dazu Ε. K. Scheuch, in: M. Kaase u. a. (Hg.), Datenzugang und Datenschutz, 1980, S. 252ff. 56 S. U. Scheuner (1960), in: ders., Staatstheorie und Staatsrecht, 1978, S. 501 ff. 57 U. Scheuner, a. a. Ο., S. 518.
3. Kritik der „Gesetzesflut"
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3. Kritik der „Gesetzesflut" Die Kritiker der Normenflut setzen auf verschiedenen Ebenen an — an Qualität und Quantität der Gesetze. a) Legistische Ebene
Ein Grund schlechter Gesetze wird im „ Verfall der Gesetzgebungskunst gesehen, die in der Juristenausbildung nicht angemessen gepflegt werde, und die der heutige Gesetzgeber nicht beherrsche 58, in schlichter Fassung: Das Justizministerium versagt 59 , auch wegen parteipolitischer Präferenzen bei der Personalauswahl 60 . Der Gesetzgeber sei zu sehr den Einzelheiten verhaftet 61 , wenn er ζ. B. konkrete Angaben von DM-Grenzen vorsehe 62 , und beherrsche die Sozialtechnologie nicht 6 3 . Sein „Sündenregister" ist lang: Perfektionismus 64 , zu komplizierte Regelungen65, unverständliche 66 , jedenfalls sprachlich mißglückte 6 7 durch Organisationsjargon und wissenschaftlichen Dialekt angereicherte und deshalb weniger informative 68 , wenn nicht überhaupt oft nur verbalkosmetische 69 Rechtsnormen, übertriebener Gebrauch von Verweisungen 70, Lückenhaftigkeit von Regelungen71, überflüssige Beredsamkeit bis zur „Geschwätzigkeit im unverbindlichen Bereich" 72 , Ineffektivität 73 , Widersprüchlichkeit 74 , 58 S. R.Bender, Zur Notwendigkeit einer Gesetzgebungslehre, 1974, S. Iff.; KE. Gebauer, VuF 4 (1976), 3 (5); K. Seemann, Die Verwaltung 14 (1981), 133 (143). 59 So E. Wolf ZRP 1982, 1 (2 f.). 60 So T. Mayer-Maly, FS Juristische Gesellschaft Berlin, 1984, S. 425 f. 61 R. Bender, Gesetzgebungslehre (Fn. 58), S. 3 unter Berufung auf P. Noll, Gesetzgebungslehre, S. 72ff.; ferner: H. Sendler, ZRP 1979, 228; H. Honseil, Stil (Fn. 33), S. 9,19; F. Bydlinksi, Juristische Methodenlehre und Rechtsbegriff, 1982, S. 627. 62 H.-D. Weiß, DÖV 1978, 603 unter Hinweis auf §§ 8 I 2. WoGG (i. d. F. v. 1973), 12 BAFöG; s. a. S. 608. 63
R. Bender, Gesetzgebungslehre (Fn. 58), S. 3 unter Berufung auf K-D. Opp, Soziologie im Recht, 1973, S. 216 ff. 64 H. Honseil, Stil (Fn. 33), S. 9; H. Maassen, NJW 1979,1474; Κ Redeker, NJW 1977, 1184; P. Noll, Gesetzgebungslehre, S. 166. 65 H. Honseil a. a. O., S. 10; H. Maassen, a. a. O., ebd. 66 H. Honseil, a. a. O., S. 14. 67 H.-D. Weiß, DÖV 1978,607 f.; H. Kindermann, in: ders. (Hg.), Studien 1982 (Fn. 26), S. 258 (261 f.). 68 R. Altmann, FAZ v. 27. 8. 1983, Beilage. 69 H. Honseil, Stil (Fn. 33), S. 16f. 70 H. Honseil, a. a. O., S. 17. 71 H. Honseil, a. a. O., S. 18 f.; R. Grawert, DVB1. 1983, 979. 72 K. Redeker, NJW 1977,1184 unter Hinweis auf F. Weyreuther,OVQ\A91?>, 199 zum Städtebauförderungsgesetz (dagegen: H. Schulze-Fielitz, Sozialplanung im Städtebaurecht, 1979, S. 22f., 43ff., 231 ff., 279ff. u.ö.); s. ferner für das Umweltrecht J. Salzwedel, Das Parlament Nr. 19/1984, S. 14; für Österreich F. Bydlinski, Methodenlehre (Fn. 61), S. 627.
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I. Gesetzgebung als symptomatischer Wachstumsprozeß
überflüssige Normen 7 5 , künstlich überhöhtes gesetzliches Anspruchsniveau 76 , Unbeständigkeit 77 , „Hypertrophie" 7 8 —für alle diese Erscheinungen lassen sich (wie schon immer) auch unschwer (zumindest einzelne) Beispiele nennen. Tiefer bohrt die Kritik an Wertungswidersprüchen und „Systembrüchen" durch Sondergesetze und Einzelvorschriften neben und im Gegensatz zu den großen (Haupt-)Kodiflkationen 79 bzw. an „rechtsimmanenten" Fehlentwicklungen 80 . Alle diese defizitären Erscheinungen lassen sich phänomenologisch auch auf die Formel vom Verlust der Formqualität des Gesetzes bringen 81 . b) Verfahrensebene
Das Parlament und seine Abgeordneten degenerierten zu routinierten Verwaltern eines äußeren Sachzwanges im Sog ministerialbürokratischer Fremdbestimmung 82 ; unter dem Zeitdruck angesichts der Zunahme der Gesetze leide die Sorgfalt der Gesetzesberatungen 83. Der parlamentarische Gesetzgeber sei mit solider, mit juristischen Mitteln nachvollziehbarer Tätigkeit qualitativ überfordert 84 . c) Politische Ebene
Eher unterschwellig wird gelegentlich speziell der sozial-liberale Reformgesetzgeber wegen seiner „ideologisch" bestimmten Gesetzgebungspolitik für die Vermehrung und unsachgemäße Komplizierung des Rechts verantwortlich gemacht 85 . Die Normenflut-Diskussion, die wohl nicht zufallig in Verarbeitung 73
P. Noll, Gesetzgebungslehre, S. 167;/). Boerlin u. a.,in:K. Eichenberger u. a. (Hg.), Grundfragen (Fn. 14), S. 302. 74
H. Nef FS f. K . Eichenberger, 1982, S. 559 (559). F. Thedieck, JA 4/1981, S. XXVIIff.; D. Boerlin u. a., in: K. Eichenberger u. a. (Hg.), Grundfragen (Fn. 14), S. 301.- Freilich läßt sich bei konkreten Beispielen selten Einmütigkeit feststellen. So soll z.B. die Unklarheitsregel des § 5 AGB-Gesetz überflüssig, weil selbstverständlich sein (so T. Sambuc, NJW 1981, 313), andererseits aber auch ungeklärt sein. 75
76
D. Boerlin u. a., a. a. O., S. 301. Ζ. Β. G. Berner, BayVBl. 1978, 620. 78 Ζ. Β. Η. Röken, DÖV 1984, 443 (444) am Bsp. § 5 WissHGNRW. 79 S. U. Diederichsen, AcP 182 (1982), 101 (101, 103, 121, 124) aus Anlaß der BGBSchuldrechtsüberarbeitung; F. Bydlinski, Methodenlehre (Fn. 61), S. 627; Η. A. Engelhard, NJW 1984, 1201 (1202). 77
80
F. Kubier, NJW 1984, 1857 (1858). So J. Isensee, ZRP 1985, 139 f. 82 H.-D. Weiß, DÖV 1978, 602, 603; C. Starck, ZRP 1979, 213; W. Leisner, DVB1. 1981, 852. 81
83 Vgl. Hans Schneider, FS f. Gebh. Müller, 1970, S. 421 ff.; D. Boerlin u.a., in: K . Eichenberger u. a. (Hg.), Grundfragen (Fn. 14), S. 305 f.; s. a. K. Stern, Verfassungsgerichtsbarkeit zwischen Recht und Politik, 1980, S. 33: „Qualitätsmängel unserer Legislative". 84 F. Weyreuther, DVB1. 1976, 853 (857).
3. Kritik der „Gesetzesflut"
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der Gesetzesproduktion der reformaktiven 7. Wahlperiode (1972 — 1976) 8 6 einsetzte, k a n n so als „ V o r w a n d für R e f o r m u n W i l l i g k e i t " 8 7 erscheinen, auch wenn es Grenzen der Gesetzgebung auch für sozialdemokratische Reformpolit i k g i b t 8 8 . Freilich erfolgt solche K r i t i k oft nicht i m Sinne (partei-)politischer Auseinandersetzung, sondern unter vertiefendem R ü c k g r i f f auf die zugrundeliegenden sozialtheoretischen u n d verfassungstheoretischen Konzepte: Stichworte sind etwa Anspruchsdenken oder „ A n s p r u c h s i n f l a t i o n " 8 9 , das Übermaß an staatlicher Präsenz 9 0 , sozialdemokratische U m g e s t a l t u n g s p o l i t i k 9 1 , das übersteigerte Egalisierungsstreben des Sozialstaates 9 2 . Das sozialstaatliche Gesetz entspringt danach dem „ M i ß t r a u e n gegen den B ü r g e r " 9 3 . D o c h „welche Aufgaben der Staat erfüllen soll, ist eine politische F r a g e " 9 4 . d) Die Kritik an zu zahlreichen Gesetzen Dahinter steht die Kritik an einem „Rechtsimperialismus" 9 5 der zu zahlreichen (neuen) Regelungen: Der Gesetzgeber müsse stärker die Notwendigkeit 85
Vgl. H.-D. Weiß, DÖV 1978, 606; C. Starch, JZ 1978, 746 (749); J. Isensee, ZRP 1985,139; s. auch für Österreich G. Winkler, in: G. Winkler u. a. (Hg.), Gesetzgebung (Fn. 11), S. 100 (102 ff.) betr. die Universitätsgesetzgebung. Offene (rechts-)politische Kritik etwa bei E. Wolf, ZRP 1983, 241 (246 ff); zuletzt K.-M. Groll, In der Flut der Gesetze, 1985, S. 47 ff. Der Bundesrat berief sich auf die Gesetzesflut gerade oft bei Einwänden gegen politisch sehr kontroverse Reformvorhaben, so F. Thedieck, JA 4/1981, S. X X V I I ( X X X I I I ) unter Hinweis auf Jugendhilfegesetz, Reisevertragsgesetz, Beratungshilfegesetz und Landwirtschaftsbesteuerungsgesetz. 86
Die Veröffentlichungsflut zur Gesetzesflut setzte 1977 ein, in Reaktion auf die Kontroverse zwischen J. Esser, in: H.-J. Vogel/J. Esser, 100 Jahre Oberste deutsche Justizbehörde, 1977, S. 13ff., und K. Redeker, NJW 1977, 1183f. sowie W.Schier, BayVBl. 1977, 681 ff. 87
So H.-J. Vogel, JZ 1979, 325; polemisch H. Brandt, N G 26 (1979), 1091. R. Schubert, RuP 17 (1981), 126ff; s. schon oben Fn. 37. 89 W. Hug, GedS f. J. Rödig, 1978, S. 4; H. Honseil, Stil (Fn. 33), S. 21; W. Schmitt Glaeser, AöR 107 (1982), 354f.; s. weiter C. Starck, ZRP 1979,213; zust. H. Sendler, ZRP 1979, 232. 90 H. Honseil, a. a. O., S. 13. 91 S. T. Mayer-Maly, FS Juristische Gesellschaft Berlin, 1984, S. 428 f., wonach auch viele „bürgerliche" Parteien politologisch sozialdemokratische Rechtspolitik betreiben sollen. 92 W. Leisner, DVB1. 1981, 855ff, für den konkret (S. 856) „bis zur Unerträglichkeit übernormativiert" sind Miet- und Pachtrecht, Arbeitsrecht, Ehe- und Familienrecht, viele Sektoren des Wirtschaftsrechts — anscheinend solche Normen, die dem „Schutz des Schwächeren" im Zivilrecht dienen, vgl. die Problemfelder bei E. v. Hippel, Der Schutz des Schwächeren, 1982, S. 2 f f , 19ff, 26ff., 74ff. 88
93
J. Isensee, ZRP 1985, 143. H. Nef, FS f. K . Eichenberger, 1982, S. 562, Hervorhebung bei Nef D. Boerlin u. a., in: K. Eichenberger u. a. (Hg.), Grundfragen (Fn. 14), S. 311. 95 So R. Wassermann, Aus Politik und Zeitgeschichte, Β16/85, S. 3 (11); s. a. J. Isensee, ZRP 1985, 139: „Elefantiasis des Gesetzesstaates". 94
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I. Gesetzgebung als symptomatischer Wachstumsprozeß
neuer Regeln prüfen und sich eines „legal self-restraints" befleißigen 96, mit dem „ M u t zur (Regelungs-)Lücke" 97 . Anderenfalls schaffe er nur Rechtsunsicherheit aufgrund der Undurchschaubarkeit der Rechtsordnungen 98 ; letztlich werde die Autorität der Rechtsordnung und das Vertrauen in sie unterhöhlt 99 ; durch Übersteuerung drohe die Gefahr eines Leerlaufs des Gesetzes: „Der faktischen legislatorischen Entwicklung entspricht ein wachsender praktizierter Gesetzesungehorsam auf der Vollzieherseite" 100 . Hinter der Gesetzgebungsfreude und ihrer Fehlerhaftigkeit verberge sich letztlich eine Überschätzung der nur teilordnenden legislatorischen/rechtlichen Funktionen 1 0 1 ; der Kodifikationsidee sei die Begrenzung auf das Wesentliche eigen 102 . e) Die Freiheit des Bürgers als juristischer Fixpunkt
Jedenfalls wird die zunehmende (qualitative und quantitative) Verrechtlichung als Gefährdung von Legitimität des Rechts, Freiheit des einzelnen sowie der Effektivität des Rechts empfunden 103 . Für die einen ist jener Punkt des Umschlags in die Selbstgefahrdung des Rechts erreicht 104 , vor allem aus der Perspektive maximaler Entfaltung der wirtschaftlichen Freiheit 105 . Andere sehen diesen Punkt, gemessen an den Grenzen der Informationsverarbeitungskapazität der professionellen Juristen sowie der Kraft zur Steuerung des Verhaltens der Rechtsgenossen (vermittelt durch rechtsberatende Instanzen und Justiz), nicht erreicht 106 . 4. Therapeutische Patentrezepte? Den kritischen Thesen zur „Gesetzesflut" entspricht eine Fülle gut gemeinter, oft freilich zu einfacher Therapie-Vorschläge. Ihre Postulate zielen auf einzelne Probleme, die oft bereits von den legistischen Richtlinien der verschiedenen 96 H. Maassen, NJW 1979,1476ff.; zust. A. Gerontas, EuGRZ 1982,145 (152f.); krit. C. Pestalozzi, NJW 1981, 2084. 97
R. Krumsiek, DÖV 1983, 481 (486). W. Leisner, DVB1. 1981, 850 ff. 99 W. Hug , GedS f. J. Rödig, 1978, S. 5; H. Nef, FS f. K. Eichenberger, 1982, S. 559; W. Seibel, VerwArch 74 (1983), 334f. 98
100
T. Ellwein, DVB1. 1984, 260. H.-D. Weiß, DÖV 1978, 604 f. 102 E. Wolf ZRP 1982, 2. 103 H.-D. Weiß, DÖV 1978,602fT., 604ff. bzw. 606ff.; H. Honseil, Stil (Fn. 33), S. 9ff.; H. Maassen, NJW 1979, 1474f.; differenzierend Κ Lange, DVB1. 1979, 533 (533 ff.); W. Leisner, DVB1. 1981, 851. 101
104 H.-D. Weiß, a. a. O.; R. Seeger, Die Gemeinde 1981,261 ff.; polemische Bündelung aller Argumente jetzt bei K-M. Groll, Flut (Fn. 85), S. 85 ff., pass. 105 106
Vgl. zuletzt Becker, DÖV 1985, 1004f., 1011. H.-J. Vogel, JZ 1979, 323 f.; K. Lange, DVB1. 1979, 534f.
4. Therapeutische Patentrezepte?
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Bundesländer erhoben werden oder Regierungsbeschlüssen entsprechen! Kaum eine Forderung kennt andererseits nicht zugleich auch ein gegenläufiges Postulat. a) Vereinfachungsstrategien
Gemeinsames Merkmal eines Teiles der Vorschläge ist der Versuch einer radikalen Vereinfachung des Rechts 101. Nach einer Vermutung von Peter Noll soll sich der geltende Gesetzesstoff auf ein Drittel seines Umfangs reduzieren lassen 108 . Die Palette reicht vom Programm eines „Allgemeinen Teils des Rechts" 109 über Versuche seiner „Vergröberung" u. a. durch bürgernahe Extrakte eines Rechtsgebietes110 bis hin zur Pauschalforderung nach Ersetzung differenzierender Detailregelungen zugunsten von vageren unbestimmten Rechtsbegriffen, Generalklauseln, Zweck- statt Konditionalprogrammen usw. i. S. (relativ unbestimmter) „offener Kompetenznormen" 111 , Gesetzen mit Richtliniencharakter für die Gesetzesanwender 112 oder auch nur einer vermehrten Zusammenfassung von Teilregelungen in größeren Kodifikationen 113 oder der schlichten Intensivierung der Rechtsbereinigung 114 . Mag eine zu radikale generelle Vereinfachung sich auch als im schlechten Sinne abstrakt-utopisch erweisen 115 — es gibt Grenzen differenzierender Gerechtigkeit. Ihre sach- und rechtsbereichsspezifische Konkretisierung ist selten und erfolgt in aller Regel dann nur unter Vereinfachungsgesichtspunkten 116.
107 Schon G. W. Leibniz wollte im 17. Jahrhundert mit seinem Corpus juris reconcinnatum, einer Tafel mit den komplizierten Hauptregeln des (römischen) Rechts, den Mängeln des Justiz-Wesens abhelfen, vgl. G. Dilcher, JZ 1969, 1 (3). 108 P. Noll, Gesetzgebungslehre, S. 166. 109 B. Schilcher, in: G. Winkler u. a. (Hg.), Gesetzgebung (Fn. 11), S. 35 ff.; zur Kritik H. Kindermann, in: H. Schäffer/O. Triffterer (Hg.), Rationalisierung der Gesetzgebung, 1984, S. 71 (78 ff.). 110 Vor allem T. Mayer-Maly, Rechtskenntnis und Gesetzesflut, 1969, S. 80ff.; für die „Entfeinerung" des Verwaltungsrechts um ihrer Vollzugsfahigkeit willen: F. Wagener, VVDStRL 37 (1979), 254 ff. 111 S. nur aus neuerer Zeit: W. Braun, VerwArch 76 (1985), 24 (36ff.); skeptisch aus verwaltungswissenschaftlicher Sicht G. Hillmann, VerwArch 77 (1986), 1 (21 f.); zur Kritik s. a. Β. v. Maydell, FS Juristische Gesellschaft Berlin, 1984, S. 407 (419). 112
T. Rasehorn, RuP 16 (1980), 184 (186). H. Nadler, JZ 1977, 296 (297). 114 H.-J. Vogel, JZ 1979, 324f.; T. Mayer-Maly, Rechtskenntnis (Fn. 110), S. 80; S. Simitis, 53. DJT (Fn. 41), S. 41; H. Nadler, a. a. O., S. 297f. 115 Zur Kritik J.Esser in: H.-J. Vogel u.a., Justizbehörde (Fn. 86), S. 38ff.; H. Kindermann, in: ders. (Hg.), Studien 1982 (Fn. 26), S. 260 ff.; nicht zufällig gibt es nur in Utopia (Nirgendwo) sehr wenige Gesetze: T. Morus, Utopia (1515), in: K.J. Heinisch (Hg.), Der utopische Staat, 1960, S. 85; s. a. G. Berner, BayVBl. 1978, 624. 116 S. z. B. aus jüngster Zeit für das Steuerrecht: B. Löhning, ZRP 1985, 157ff. 113
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I. Gesetzgebung als symptomatischer Wachstumsprozeß b) Abschichtungsstrategien
Versuche, zwischen allgemeinen, d. h. dem Bürger potentiell bekannten, und besonderen, d. h. eher an den Fachmann adressierten Normen zu unterscheiden 111 , können sich wie die ähnliche Differenzierung in grundsätzlich-fundamentale Rechtsregeln einerseits und fachliche Spezialvorschriften (ζ. B. Steuerrecht, Rentenrecht) andererseits 118 aufrichtige Beobachtungen stützen. Es ist evident, daß das Diebstahlsverbot einen anderen Stellenwert im Alltag und im Bewußtsein der Bürger innerhalb der westlichen Rechtskultur hat als etwa die ordnungswidrig unvollständige Abgabe einer Mineralölnachsteuererklärung 1 1 9 . Solche Unterscheidungen mögen deshalb in nachträglicher Analyse typologischen Gewinn versprechen 120. Als gesetzgebungspolitische Strategie ex ante sind sie indessen untauglich, weil die Zweiteilung zu undifferenziert ist; die „Bürger-Nähe" einzelner Normen kann sich ζ. B. im Zeitverlauf ändern 121 . Ein praktischer Zweck ist auch nicht ersichtlich, denn hier werden Ursache und Wirkung verwechselt: Nicht weil das Gesetz sich an den Fachmann wendet, darf es sich einer fachlich-technischen Sprache bedienen, sondern weil es fachbezogene Speziairegeln trifft, wendet es sich an den Fachmann; dieser mag es (über Verbandsrundschreiben, Verwaltungsvorschriften oder andere Erklärungsformen wie etwa das Begleitheft der Finanzbehörden für die Einkommenssteuererklärung) an den Bürger weitervermitteln. Anderes scheint für die sachliche Abschichtung zwischen Verhaltensrecht und Organisationsrecht 122 zu gelten: Kompetenz-, Organisations- und Verfahrensregeln für den staatlichen Rechtsstab interessieren den Bürger nur bedingt; hier bietet sich eine Differenzierung zumindest in der technischen Gestaltung an, die die nur verwaltungsbezogenen von nur bürgerbezogenen Normen gliederungstechnisch trennt. Indessen ist die Differenzierung der Gesetzesspräche überhaupt kein geeignetes Kriterium 1 2 3 : Jedes Gesetz soll möglichst verständlich sein; seine „Unverständlichkeit" ergibt sich aus seiner Sachregelung oder aber aus der mangelnden Sprachkultur, unter der Fachmann und Bürger gleichermaßen leiden. Die Vorschläge zur Verbesserung der Gesetzessprache reichen 117 U. Krüger, Der Adressat des Rechtsgesetzes, 1969, S. 84ff.; H. Ryffel, JbRSoz 3 (1972), 225 (235); Κ Redeker, NJW 1977, 1184; H.Jellinek, VuF 6 (1978), 62 (68); P. Tettinger, Rechtsanwendung und gerichtliche Kontrolle im Wirtschaftsverwaltungsrecht, 1980, S. 53 f.; F. Bydlinski, Methodenlehre (Fn. 61), S. 633 f. 118
W. Schier, BayVBl. 1979, 321 (327); P. Tettinger, a. a. O., ebd. Vgl. Art. 1 Abs. 2 Nr. 9 MinöBranntwStÄndG 1981. 120 S. a. E. Bülow, 53. DJT (Fn. 13), S. 19. 121 Vgl. H. Kindermann, in: ders. (Hg.), Studien 1982 (Fn. 26), S. 261; D. Boerlin u. a., in: K. Eichenberger u. a. (Hg.), Grundfragen (Fn. 14), S. 295. 122 B.Schilcher, in: G. Winkler u.a. (Hg.), Gesetzgebung (Fn. 11), S. 45 ff.; F. Bydlinski, Methodenlehre (Fn. 61), S. 633 f. 123 Vgl. skeptisch auch J. Isensee, ZRP 1985, 144. 119
4. Therapeutische Patentrezepte?
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deshalb durchweg nicht über bare Selbstverständlichkeiten längst bekannter Art hinaus 124 . Gesetzgebungstheoretisch ist die (für sich nicht unwichtige) Frage von Gesetz und Sprache marginal, der Verfall der traditionellen Sprachkultur 125 eher ein Epiphänomen. Es verdeckt das methodische Stukturproblem, ob Sprache die gesteigerte Komplexität der Wirklichkeit gesetzestechnisch noch angemessen einfangen kann. Die erfolgreichen praktischen Versuche zur Verbesserung der Gesetzessprache führen offenbar zu keiner verbesserten Gesetzeskenntnis126. c) Organisatorische Verbesserung des Gesetzgebungsverfahrens
Verbesserungsvorschläge für das Gesetzgebungsverfahren versprechen sich eine Qualitätsverbesserung der Gesetze u. a. durch Einschränkung einer zu frühzeitigen Anhörung der Verbände 127 (zugunsten von Planspielen, Gesetzgebungskommissionen ohne Juristen, Ausbau der Parlamentsstäbe), durch zeitlich entzerrte Gesetzgebungsberatungen 128, funktionelle Restriktionen des Vermittlungsausschusses 129, Entlastung der Parlamente durch partielle Delegation von Rechtssetzungskompetenz (für detaillierende Normen) an die Exekutive 1 3 0 oder stärkere Verlagerung der Gesetzesberatungen (oder gar Entscheidungen 1 3 1 ) in die Parlamentsausschüsse 132, dem Aufbau eines (parlamentarischen) Gesetzgebungsdienstes133, Gesetzesbefristungen 134, Kommissionen für die 124
So auch T. Ellwein, DVB1. 1984, 257. Dazu H. Kindermann, in: ders. (Hg.), Studien 1982 (Fn. 26), S. 262 ff.; s. a. T. Mayer-Maly, FS Juristische Gesellschaft Berlin, 1984, S. 425. 126 S. Belege aus Österreich bei H. Kindermann, in: H. Schäffer u. a. (Hg.), Rationalisierung (Fn. 109), S. 74ff. 127 T. Rasehorn, RuP 16 (1980), 186; W. Hugger, Gesetze (Fn. 1), S. 68; krit. W. Leisner, DVB1. 1981, 854. 128 H.-J. Vogel, JZ 1979, 324; H. Simon, 53. DJT (Fn. 4), S. 29f.; E. Bülow, 53. DJT (Fn. 13), S. 25. 125
129
H.-J. Vogel, JZ 1979, 324; s. a. H. Schulze-Fielitz, NVwZ 1983, 709 (712 ff.). So schon U. Scheuner, W D S t R L 15 (1957), 69 (75) — Diskussion; H. Ehmke, Wirtschaft und Verfassung (1961), jetzt in: ders., Beiträge zur Verfassungstheorie und Verfassungspolitik, 1981, S. 208 (279 ff.); speziell für von technischem Sachverstand geprägte Normen Herb. Krüger, NJW 1966, 617ff; s. weiter F. Weyreuther, DVB1. 1976, 858; H. Simon, 53. DJT (Fn. 4), S. 30; E. Bülow, 53. DJT (Fn. 13), S. 25; jetzt wieder W. Wallmann, FAZ v. 31.12.1982, S. 10 und H.-J. Papier, in: V. Götz u.a. (Hg.), Verwaltung (Fn. 8), S. 36 (62). 131 Zum italienischen Modell: R. v. Lucius, AöR 97 (1972), 568 ff. 132 W. Schreckenberger, FS f. F. Schäfer, 1980, S. 76 (85). 133 y gi ff Kindermann, in: J. Rödig u. a., Vorstudien zu einer Theorie der Gesetzgebung, 1975, S. 147 ff.; W. Hugger, Gesetze (Fn. 1), S. 72; für die Schweiz: D. Boerlin u. a., in: K. Eichenberger u. a. (Hg.), Grundfragen (Fn. 14), S. 309 f. 130
134 Vgl. zur Kritik H. Kindermann, in: H. Schäffer u. a. (Hg.), Rationalisierung (Fn. 26), S. 133 ff.
16
I. Gesetzgebung als symptomatischer Wachstumsprozeß
sprachliche Gesetzesredaktion 135, bis hin zu organisatorisch-technischen Vorschlägen wie der Intensivierung der Rechtstatsachenforschung 136, allgemein: der Gesetzesplanung137, namentlich der Stärkung der innerministeriellen Fachreferate und ihrer Informationsverarbeitungsmöglichkeiten durch Evaluationsmethoden, Kommissionen, Planungsausschüssen, häufigeren Hearings usw. 1 3 8 Gewiß wird damit die Problematik hinsichtlich der Quantität teilweise nur verschoben 139 ; doch die qualitative Dimension der Gesetzesflut wird damit erreicht. d) Appelle an den guten Willen der Gesetzesmacher
Vorschläge einer weiteren Gruppe zielen weniger auf strukturell-organisatorische Defizite; sie appellieren an den guten Willen der Gesetzesmacher als Individuen. Strukturprobleme werden zu einer Frage der „politischen Führung" 1 4 0 oder zu einer Frage besserer „Gesetzestechnik" 141 . Die Gesetze sollen sprachlich sorgfaltiger formuliert werden 142 , der Bedarf nach neuen Rechtsregeln hinsichtlich Ob und Wie ist selbstkritisch zu überprüfen 143 , möglicherweise durch Aktivierung des Veto-Rechts der Bundesminister der Justiz und des Innern nach § 26 I I GO-BReg 1 4 4 oder durch Institutionalisierung eines weiteren Kontrollgremiums vor Verabschiedung eines Gesetzentwurfs 145 . Eine „enzyklopädische Jurisprudenz" soll zu spezialisierte Ministerialbeamte verhindern 14 *. Das Dilemma solcher Vorschläge liegt darin, daß sie sich 135 Vgl. allg. zu den heutigen Problemen der Gesetzessprache Hans Schneider, Gesetzgebung, 1982, Rdn. 423 ff. m.ausf.Nw. 136 Z.B. H.-J. Vogel, JZ 1979, 324; E. Bülow, 53. DJT (Fn. 13), S. 25. 137 D. Boerlin u. a i n : K. Eichenberger u. a. (Hg.), Grundfragen (Fn. 14), S. 307ff. 138 W. Hugger , Gesetze (Fn. 1), S. 67f, 70f. 139 Krit. T. Mayer-Maly, Rechtskenntnis (Fn. 110), S. 17 f. 140 So C. O. Lenz, FS f. F. Schäfer, S. 66; sein guter Wille zur Eindämmung treibt freilich abenteuerliche Blüten, wenn der Normierungsbedarf der Industriegesellschaft von vorher den federführenden Ministerien zugeteilten BGBl.-Seiten abhängig gemacht werden soll (S. 69 f.)! 141
Ausf. H. Jellinek, VuF 1978, 67; s. auch H. Nadler, JZ 1977, 297; skeptisch zu solchem Kurieren an Symptomen durch Appelle H. Nef \ FS f. K. Eichenberger, 1982, S. 560f.; T. Öhlinger, in: ders. (Hg.), Methodik der Gesetzgebung, 1982, S. 17 (21). 142 Ζ. Β. Κ . Redeker, NJW 1977, 1184; H.-J. Vogel, JZ 1979, 324; R. Grawert, DVB1. 1983, 979, 981. 143 Von H.-J. Vogel, a. a. O., ebd. bis H. Engelhard,, ZRP 1983, 233 (234 f.); s. ferner T. Mayer-Maly, Rechtskenntnis (Fn. 110), S. 78f.; W. Hugger , Gesetze (Fn. 1), S. 44f.; G. Berner, BayVBl. 1978,625; H. Jellinek, VuF 6 (1978), 66; R. Grawert, DVB1.1983,979, 981. 144 H. Maassen, NJW 1979,1478; diese Minister müssen dann freilich Gesetzentwürfe ihrer Kabinettskollegen wegen „Unvereinbarkeit mit geltendem Recht" inkriminieren — grds. wohl zust. C. O. Lenz, FS f. F. Schäfer, S. 71 f.; W. Leisner, DVB1. 1981, 855. 145 E. Bülow, 53. DJT (Fn. 13), S. 26; T. Mayer-Maly, Berlin, 1984, S. 426. 146 T. Mayer-Maly, Rechtskenntnis (Fn. 110), S. 85 ff.
FS Juristische Gesellschaft
5. Anti-Kritik: „Gesetzesflut" als Symptom
17
unmittelbar oder mittelbar aus den gültigen Gesetzgebungsrichtlinien des Bundes ableiten lassen; diese bräuchten eigentlich „nur" strikt befolgt zu werden 147 . e) Passiv-resignative Strategien
Schließlich bleibt stets auch der Weg der (eher resignierenden) Anpassung ζ. B. durch bessere Dokumentation des Rechts 148 , durch Maßnahmen zur Weitervermittlung an die Betroffenen 149 , durch eine nach Sachgebieten geteilte Verkündung der Rechtsvorschriften 150 u. a. m. 5. Anti-Kritik: "Gesetzesflut" als Symptom In einer solchen, umstandslos erweiterbaren Bilanz der Argumente erscheint die juristische Diskussion reichlich vordergründig geführt zu werden; dafür sprechen prima facie vier Überlegungen. a) Die lange Tradition der Gesetzeskritik
Die Kritik der Gesetzesflut hat eine lange Tradition 1 5 1 , von der griechischen und römischen Antike a n 1 5 2 über Mittelalter und Neuzeit 153 bis in die unmittelbar vergangene Gegenwart unter dem Grundgesetz: Schon in den 50er Jahren war die Klage über die Normenflut allenthalben virulent, die Argumente nahezu deckungsgleich 154 ; sogar die Diskussion um Begriff und Erscheinung des 147
Vgl. W. Hugger , Gesetze (Fn. 1), S. 69. H.-J. Vogel, JZ 1979, 325; D. Boerlin u. a. in: K. Eichenberger u. a. (Hg.), Grundfragen (Fn. 14), S. 311. 14θ
149
H.-J. Vogel, a. a. O., ebd. H. Nadler, JZ 1977, 297. 151 D. Simon, 53. DJT, 1980, Bd. II/Q, S. 12ff.; / . Staupe, Leviathan 10 (1982), 274; s. a. F. Bydlinski , Methodenlehre (Fn. 61), S. 626. 152 Vgl. St. Gagner , Studien zur Ideengeschichte der Gesetzgebung, 1960, S. 29 m.Nw.; H. Honseih Stil (Fn. 33), S. 5f.; A. Heldrich, FS f. K . Zweigert, 1981, S. 811 f. 153 Zur Kritik von Leon Battista Alberti , Thomas Morus, Martin Luther und Charles Montesquieu s. Nw. bei P. Noll, Gesetzgebungslehre, S. 167ff., 280; aus dem 19. Jahrhundert etwa J. v. Kirchmann, Die Wertlosigkeit der Jurisprudenz als Wissenschaft (1848), 1969, S. 8, 22ff., 34; s. jetzt empirisch belegte Nachweise bei R. Grawert, in: Gesetzgebung als Faktor der Staatsentwicklung, 1984, S. 133 (124,135,142f., 148 u. a.). 154 Vgl. H. Jahrreiss, in: ders./W. Richter, Größe und Not der Gesetzgebung, o.J. (1952), S. 5 (39ff.); H. Huber (1953), in: ders., Rechtstheorie, Verfassungsrecht, Völkerrecht, 1971, S. 27 (39ff., 47ff.); E. Schiffer, JZ 1953, 1 (5f.); J. W. Hedemann, FS f. W. Schmidt-Rimpler, 1957, S. 23 (26ff.); U. Scheuner, VVDStRL 15 (1957), 69 ff. (Diskussion); ders. (1957), in: T. Stammen (Hg.), Strukturwandel der modernen Regierung, 1967, S. 296 (306f.); ders. (1960), in: ders., Staatstheorie (Fn. 56), bes. S. 507ff.; H. Eichler, Das Wesen des Gesetzes, 1959, S. 5ff.; O. Bühler, JZ 1959, 297ff.; F. Werner (1960), in: ders., Recht und Gericht in unserer Zeit, 1971, S. 176 (186 ff.); R. Bäumlin, Staat, Recht und 150
2
Schulze-Fielitz
18
I. Gesetzgebung als symptomatischer Wachstumsprozeß
„Maßnahme"-Gesetzes läßt sich als eine ihrer Erscheinungsformen ansehen 1 5 5 . D i e Konstanz solcher K u l t u r k r i t i k und/oder Regierungskritik belegt freilich nicht schon ihre Vergleichbarkeit 1 5 6 oder Fehlsamkeit. D o c h bedarf es offenbar differenzierterer Überlegungen, u m zwischen einem sich heute unter Juristen verbreitenden kulturkritischen L a m e n t o 1 5 7 u n d einer spezifisch neuen Qualität der Gesetzesflut unterscheiden zu können, w i l l m a n nicht einem „legistischen H i s t o r i s m u s " 1 5 8 aufsitzen, der die „gute alte Z e i t " selektiv verherrlicht. b) Die internationale Ubiquität der Verrechtlichung A u c h rechtsvergleichend erweist sich die Zunahme der Verrechtlichungsdiskussion als ein internationales Phänomen, oberhalb der unterschiedlichen Rechtskulturkreise. K r i t i k an Verrechtlichung, am überzogenen Wachstum der Gesetzgebung bzw. an „schlechten" Gesetzen w i r d ζ. B. berichtet aus Großbrita n n i e n 1 5 9 , der S c h w e i z 1 6 0 , Österreich 1 6 1 , F r a n k r e i c h 1 6 2 , B e l g i e n 1 6 3 , I t a l i e n 1 6 4 , für das Fallrecht der U S A 1 6 5 , v o n den zentral verwalteten staatskapitalistischen Geschichte, 1961, S. 15; Hans Schneider, NJW 1962,1273 ff.; A. Röttgen, JöR 11 (1962), 173 (222); Hw. Müller, DÖV 1964, 226 (226). 155 Die „Krise des Gesetzes" stellte schon W. Kägi, Die Verfassung als rechtliche Grundordnung des Staates, 1945, S. 29 ff. kulturkritisch in den Zusammenhang der „antinoetischen" Entwicklungen des 20. Jahrhunderts; ähnlich H. Huber, a. a. O., S. 47ff. 156 D. Boerlin u. a., in: K . Eichenberger u. a. (Hg.), Grundfragen (Fn. 14), S. 300; D. Simon, 53. DJT (Fn. 151), S. 12f. 157 Typisch H.-D. Weiß, DÖV 1978, z.B. 603: schnellebig-nervöse Wegwerfkultur; richtige Beobachtungen im Detail ändern daran nichts. Verfalldenken etwa auch bei R. Altmann, FAZ v. 27.8.1983 (Beilage); zur Kritik bereits F. Kubier, JZ 1969, 651. 158 Vgl. B. Schilcher, in: G. Winkler u. a. (Hg.), Gesetzgebung (Fn. 13), S. 40; Κ Schmidt, Die Zukunft der Kodifikationsidee, 1985, S. 16. 159 Vgl. A. Stainton, in: J. Rödig (Hg.), Studien zu einer Theorie der Gesetzgebung, 1976, S. 120 (123) und S. Simitis, 53. DJT (Fn. 41), S. 36 f., beide unter Hinweis auf den Bericht des Renton Committee (1975) und seine ca. 120 Empfehlungen; s. a. schon F. Kubier, JZ 1969, 647 m. Nw. 160 R. J. Schweizer, in: J. Rödig (Hg.), Studien (Fn. 159), S. 146 (146 f.) mit Hinweis auf die „ständig wachsende Aufgabenfülle"; W. Hug , GedS f. J. Rödig, 1978, S. 4; H. Nef, \ FS f. K. Eichenberger, 1982, S. 559ff.; D. Boerlin u. a., in: K. Eichenberger u. a. (Hg.), Grundfragen (Fn. 14), S. 295 ff; auch in der Schweiz hat diese Kritik eine längere Tradition, vgl. bereits M. Imboden (1945 und 1951) in: ders., Staat und Recht, 1971, S. 145 (160 f.) bzw. 447 (459 f.); K. Eichenberger (1954), jetzt in: ders., Staat (Fn. 7), S. 271 ff. u.ö. 161 So vor allem W. C. Müller, in: H. Kindermann (Hg.), Studien 1982 (Fn. 26), S. 31 ff; ferner: Γ. Mayer-Maly, Rechtskenntnis (Fn. 110), S. 13 ff; G. Winkler, in: ders. u. a. (Hg.), Gesetzgebung (Fn. 11), S. 100ff. 162 Vgl. S. Simitis, 53. DJT (Fn. 41), S. 37 f.; so soll es dort über 22 000 Strafbestimmungen (incl. Übertretungen) geben, zit. nach G. Kaiser, Kriminologie, 1980, S. 116 m.Nw. 163 U. Scheuner, W D S t R L 15 (1957), 74 f. — Diskussion; ein Hinweis auf Schweden bei Κ Zweigert, 51. DJT (Fn. 35), S. 6. 164 Vgl. S. Ortino, in: Verfassung und Verfassungswirklichkeit 4 (1969), 82 (86 f.); Κ v. Beyme, Leviathan 12 (1984), 39 (46).
5. Anti-Kritik: „Gesetzesflut" als Symptom
19
Ländern ganz abgesehen166. Dieser Umstand verlangt die Suche nach Ursachen, die möglicherweise strukturell in den (Wachstums-)Gesellschaften der westlichen Verfassungsstaaten eingelassen sind 1 6 7 . Auch der Umstand, daß im kirchlichen Bereich Erscheinungsformen zunehmender Verrechtlichung zu beobachten sind 1 6 8 , sowie die Normenflut in der privaten Wirtschaft indizieren tieferliegende Ursachen in der Entwicklung der modernen Industriegesellschaften; auch läßt sich das Wachstum der Rechtsprechung nicht nur als Folge des Gesetzgebungswachstums erklären. Die „Gesetzesflut" erscheint danach nur als Symptom für Strukturprobleme der Rechtssetzung in hochindustrialisierten Gesellschaften 169. c) Differenzierungsnotwendigkeiten
Schließlich leidet die Kritik an einem Überschuß an Verallgemeinerungen. Ohne Differenzierungen nach Politik- oder Rechtsbereichen bleiben Analysen zu grob, Therapien wirkungslos oder schädlich, weil zu vereinfachend 170 . Es fehlt bereits weitgehend an Beurteilungsmaßstäben, geschweige daß angemessene Theorien zur Bewertung der „Krise" der Gesetzgebung zur Verfügung stünden 171 . Negative Einzelbeispiele rechtfertigen nicht immer die Vehemenz des „ideologisch" oder politisch gefärbten Urteils. Auch kann die Klage über die Einschränkung der Freiheit gerade Symptom für die Existenz von mehr Entfaltungsfreiheit i. S. realer Freiheit sein: Dann werden auch rechtliche Bindungen stärker sichtbar. Zudem ist die Paradoxie zu erklären, daß oft zugleich auch Vorwürfe erhoben werden, der Gesetzgeber weiche gesetzlichen Entscheidungen aus politischen Gründen aus 1 7 2 . Die Entbürokratisierungs165 Vgl. M. Rehbinder, JbRSoz 3 (1972), 25; S. Simitis, 53. DJT (Fn. 41), S. 35f.; F. Kubier, NJW 1984,1858 am Bsp. des Gesellschaftsrechts m.ausf.Nw.; ausf. Überblick über die dortige Entregelungsdebatte jetzt bei W. Hoffmann-Riem, Der Staat 23 (1984), 17 ff. für den Bereich der economic und social regulation. 166
S. etwa für Ungarn: /. Vida, in: H. Kindermann (Hg.), Studien 1982 (Fn. 26), S. 70 (77,92); für die D D R (indirekt): H. Klenner, StuR 1980,425 (426); anders für die Zeit nach 1975 die statistischen Hinweise bei Κ . A. Mollnau (Hg.), Probleme einer Rechtsbildungstheorie, 1982, S. 39f., zit. nach H. Rottleuthner, ZfRSoz 6 (1985), 217f.; s. a. für die Sowjet-Union: A. Blankenagel, JöR 29 (1980), 293 (306). 167 S. a. G. Teubner, in: F. Kübler (Hg.), Verrechtlichung (Fn. 5), S. 290f.; H. D. Jarass, in: V. Götz u. a. (Hg.), Verwaltung (Fn. 8), S. 87 — Diskussion. 168 Vgl. die Tagung der Evangelischen Akademie Arnoldshein ν. 10./11. 12. 1982: Haben wir zu viel Kirchenrecht? 169 Vgl. auch G. Berner, BayVBl. 1978, 625. Solche Fragen sind nicht bloß Fragen des „Stils", so aber etwa H. Honseil, Stil (Fn. 33), a. a. O.; Hans Schneider, Gesetzgebung, Rdn. 427. 170 J. Staupe, Leviathan 10 (1982), 275; H. Nef FS f. Κ . Eichenberger, 1982, S. 564ff. 171 M. Drath, KZfSS 17 (1965), 556 (557); s. a. G. Teubner, in: F. Kübler (Hg.), Verrechtlichung (Fn. 5), S. 295. 172 S. ζ. B. F. Wieacker, GedS f. F. Gschnitzer, 1969, S. 467 (474).
2*
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I. Gesetzgebung als symptomatischer Wachstumsprozeß
kommissionen der Bundesländer sind in ihren Berichten zu sehr differenzierten empirischen Ergebnissen gelangt. Nicht „Gesetzesflut", sondern längst notwendige, aber vergessene Rechtsbereinigungen machen die Rechtslage unübersichtlich, weil Rechtsbereinigung als Daueraufgabe vernachlässigt wurde 1 7 3 . d) Die empirischen Defizite der Juristen-Diskussion
Auch die schmale empirische Grundlage der Diskussion unter Juristen spricht für eine Differenzierung. Die Zahl der Gesetze und Paragraphen und die Seitenzahl der Gesetzblätter sind ohne nähere Aufschlüsselung unbrauchbare Indikatoren für eine „Flut" neuer Gesetze. Ein formaler empirischer Vergleich zwischen den Gesetzblättern des Deutschen Reiches und des Großherzogtums Baden 1878 — 1882 mit denen im Bund und in Baden-Württemberg 1978 — 1982 relativiert bereits die Thesen von einer „Gesetzesflut" hin zu einer Änderungsflut 174 , auch wenn die dort verwendeten formalen Kriterien selber mehr als problematisch sind und die Folgeprobleme bleiben. Er verdeutlicht aber, daß die im juristischen Schrifttum immer wieder variierten quantitativen Angaben der Bundesregierung ohne eine nähere inhaltsanalytische Durchdringung ohne Aussagekraft sind. 6. Zwischenbilanz Grundlage für den weiteren Fortgang der Untersuchung sind die folgenden Ausgangspunkte. (a) Klagen und Analysen über die Gesetzesflut sind Ausdruck struktureller Probleme von Rechtssetzung unter veränderten gesamtgesellschaftlichen Bedingungen; sie lassen sich — ähnlich wie bei der parallelen Klage gegen die wissenschaftlich-technische Entwicklung unserer Zivilisation — nicht mit Patentrezepten lösen. Wenn sich historisch regelmäßig bei kulturellen Umwälzungen eine (neue) Lehre von der Gesetzgebung entwickelt 175 , dann ist die Suche nach einer angemessenen Gesetzgebungslehre wissenschaftlicher Ausdruck von kulturellen Wandlungsprozessen, die auch in einem sich wandelnden Staats- und Verfassungsverständnis, allgemein im Wachstum der planenden Kapazität der Gesellschaft, des Staates als ihrer Selbst-Organisation und ihrer Gesetzgebung erkennbar werden.
173
Zsfssd. für NRW: T. Ellwein, DVB1. 1984, 256. E. Müller/W. Nuding, PVS 25 (1984), 93. Zahlreiche Differenzierungsnotwendigkeiten zeigt auch der empirisch-historische Vergleich von H. Rottleuthner, ZfRSoz 6 (1985), 21 Iff. 175 So F. Ebel, in: J. Rödig (Hg.), Studien (Fn. 159), S. 337 (339), der Humanismus, Aufklärung und das bürgerliche Freiheitsdenken des 19. Jahrhunderts anführt. 174
6. Zwischenbilanz
21
(b) Die Gesetzgebungsdiskussion bedarf verstärkt der Differenzierung nach Norm- und Sachbereichsebenen: Was für Parlamentsgesetze des Bundestages gilt, ist nur begrenzt verallgemeinerbar für andere Bereiche der Rechtssetzung. (c) Der Prozeß der Gesetzgebung bedarf verstärkter empirischer Bestandsaufnahme 176 . Das gilt zumal für Bundesgesetze angesichts des Ergebnisses der Entbürokratisierungskommissionen der Länder, denen zufolge von einer (Parlaments-)Gesetzesflut keine Rede sein kann 1 7 7 . (d) Eine Gesetzgebungswissenschaft verspricht Erfolg nur bei interdisziplinärer Vergegenwärtigung aller einschlägigen Forschungen, deren Integration erst in den Anfängen steckt. Ungeachtet langer Grundsatzdebatten um Gesetz und Recht fehlt es an Theorien zur Gesetzgebung, die auf verfassungstheoretischer Ebene empirisch-analytische und juristisch-normative Erkenntnisse vereinigen 178 . Die nachstehende Arbeit sammelt Bausteine für eine solche Theorie. Sie will am Beispiel vor allem der 9. Legislaturperiode als „Stichprobe" verbreitete empirische Annahmen und gesetzgebungstheoretische bzw. juristische Alltagstheorien über heutige parlamentarische Gesetzgebung prüfen.
176
So auch U. Thaysen, ZParl 15 (1984), 137 (142); H.-J. Mengel, ZRP 1984, 153
(153 f.). 177
S. ζ. B. für NRW: T. Ellwein, DVB1. 1984, 256. Es fallt auf, daß im staatsrechtlichen Schrifttum die gelegentliche Warnung vor der Gefahr des „Methodensynkretismus" regelmäßig ohne konkrete abschreckende Beispiele erfolgt. Das wäre dann kein Zufall, wenn es insoweit wissenschaftstheoretisch bei den abstrakten Positionen der 20er Jahre (ζ . Β. H. Kelsen) stehen geblieben sein sollte. 178
II. Auf der Suche nach Hilfen: Wege und Ansätze einer Gesetzgebungswissenschaft 1. Neuere Anstöße für eine Gesetzgebungswissenschaft Es gibt bis heute keine Gesetzgebungswissenschaft (oder „die" Gesetzgebungslehre) als selbständige Disziplin 1 . Viele Wissenschaften thematisieren Gesetzgebung ( = Rechtssetzung i. w. S.) unter jeweils unterschiedlichen Erkenntnisinteressen. Die neueren Bemühungen um eine Gesetzgebungslehre2 verdanken sich fünf zentralen Impulsen. a) Fünf zentrale Impulse
(1) Einmal steht die herkömmliche Gesetzgebungstechnik als handwerkliche Lehre für die Gestaltung von (vor allem parlamentarischen) Gesetzen vor den neuen Herausforderungen immer zahlreicherer, heterogener, kurzfristig politisch (re-)agierender und immer enger „vernetzter" Gesetze3. Die Praxis der Regierungen bzw. der Ministerialverwaltungen versucht hier, sich über ihre Rechtsförmlichkeitsprüfungen 4 hinaus selber zu helfen. Das geschieht vor allem durch legistische Richtlinien 5 bzw. entsprechende Anforderungen ζ . B. in der Gemeinsamen Geschäftsordnung der Bundesministerien 6, sog. „Checklisten" zur Prüfung von Gesetzentwürfen zwecks Mängelbeseitigung7 u. a. m. 1 S. etwa auch U. Thaysen, ZParl 15 (1984), 137 (137); H.-J. Menget, ZRP 1984, 153 (153 f.). 2 S. zuletzt U. Karpen, ZG 1 (1986), 5 (6ff.); H. Hill, Jura 1986, 57ff.; s. a. die knappe Sammelskizze bei W. Hugger , Gesetze (Fn. 1/1), S. 29ff.; vgl. ferner J. Kölble, Die Verwaltung 18 (1985), 388ff.; H. Schulze-Fielitz, Z G 1 (1986), 87ff. 3
Insoweit unverändert aktuell: Hw. Müller, Handbuch der Gesetzgebungstechnik (1963), 2. Aufl. 1968; s. jetzt die praxisbezogene Bilanz aller einschlägigen Bemühungen von: Bundesakademie für öffentliche Verwaltung (Hg.), Praxis der Gesetzgebung, 1984; s. a. zur Gesetzgebungslehre als Symptom für die Gesetzesflut: D. Simon, 53. DJT (Fn. 1/151), S. 12(16). 4
Dazu L. Göbel, in: BAköV (Hg.), Praxis (Fn. 3), S. 104ff. Überblicke bei H. Kindermann, Ministerielle Richtlinien der Gesetzestechnik, 1979, S. 7ff., 16ff., 20ff.; ders., DÖV 1982, 855ff.; R. Hotz, Methodische Rechtsetzung — eine Aufgabe der Verwaltung, 1983, S. 111 ff. 6 §§ 22 ff. GGO I I i. d. F. v. 15. 10. 1976 (GMBl., S. 550), abgedruckt im Anhang bei Hans Schneider, Gesetzgebung, 1982, S. 347ff. 7 S. J. Vollmuth, in: BAköV (Hg.), Praxis (Fn. 3), S. 178 ff.; s. jetzt den Beschluß der Bundesregierung vom 11.12.1984, abgedruckt u. a. in Jura 1986,66 f.; s. a. für Österreich R. Grüner, ZBR 1980,165 ff.; skeptisch aber W. Schreckenberger, FS f. F. Schäfer, 1980, S. 76 (79 f.). 5
1. Neuere Anstöße für eine Gesetzgebungswissenschaft
23
Solche Bemühungen treffen dabei auf eine für solche Fragen neu sensibilisierte Rechtswissenschaft (Rechtsdogmatik) und Rechtspraxis 8, denen an „guten" i. S. von klaren, widerspruchsfreien, systematischen, adressatengerechten 9 wie funktionsgerechten Gesetzen liegt 10 . Moderne Gesetzgebungspraxis findet hier viel Kritik, vor allem auch in sprachlicher Hinsicht 11 . Die Rechtswissenschaft kann hier zwar mit einer ganzen Reihe von Einzelstudien zu einzelnen Gesetzgebungstechniken und Normtypen, verstreut über alle Rechtsgebiete, aufwarten 12 ; solche Studien sind aber in ihrer gesetzgebungspraktischen Umsetzung ohne erkennbares Gewicht und haben in ihrer Integration noch kein gemeinsames theoretisches Gehäuse gefunden. (2) Ein zweiter Impuls ist Folge der theoretischen Verarbeitung von praktischen Erfahrungen, die einige („ Alternativ"-)Strafrechtslehrer bei ihrem Kampf um die Strafrechtsreform machten. In seiner Pionierarbeit versuchte vor allem Peter Noll, die Möglichkeiten und praktischen Bedingungen einer Rationalisierung von Gesetzgebung zu erkunden 13 , wissenschaftlich-rechtssystematisches Denken von der Rechtsanwendungs- in die Rechtserzeugungsperspektive umzudenken 14 . Dabei liegt eine Hinwendung zur sozialen Realität als Basis für die Geltungskraft von Gesetzen15 in der Logik der Sache. Diese strafrechtspolitische Wurzel, aber auch die Eigenart strafrechtlicher Normen, im Rechtsstaat besonders bestimmt und rechtfertigungsfahig sein zu müssen, haben gerade im Strafrecht bereichsspezifisch „Besondere" Gesetzgebungslehren entstehen lassen16.- Doch fehlt es auch sonst nicht an (oft wohl zu rationalen) Versuchen, den Gesetzgebungsprozeß in abgrenzbare Phasen und entsprechende Gesetzesplanungstechniken zur rechtswissenschaftlichen Rationalisierung der Zielfindung und -umsetzung (doch wohl mehr analytisch) aufzuspalten 17 . 8
S. a. als Bsp. für solche Kontakt-Seminare: C. Bohret (Hg.), Gesetzgebungspraxis und Gesetzgebungslehre, 1980. 9
S. früh U. Krüger, Adressat (Fn. 1/117), S. 82 ff. S. grdl. R. Walter, ÖJZ 1963, 85 ff.; zuletzt zsfssd. H. Hill, Jura 1986, 63 ff. 11 S. a. P. J. Tettinger, Rechtsanwendung (Fn. 1/117), S. 51 ff.; zur Leistungsfähigkeit sachkundiger Sprachkritik am konkreten Gesetzesbeispiel s. F. Schönherr, in: H. Kindermann (Hg.), Studien 1982 (Fn. 1/26), S. 219ff. 10
12 Hans Schneider, Gesetzgebung, Rdn. 351 ff. m. ausf. Nw. betr. Legaldefinitionen, Vermutungen, Fiktionen, Verweisungen, Technik-Klauseln u. a.; zu Leitvorschriften (Zweckbestimmungen, Präambeln) krit. Rdn. 327, 436 f. 13
P. Noll, Gesetzgebungslehre, 1973; zu ihm R. Bender, ZRP 1976, 132ff; zur Rezeptionsgeschichte Ρ. Häberle, JZ 1981, 853 ff. 14 S. a. Ρ. Noll, JbRSoz 2 (1972), 524ff. 15 S. W. Maihof er, JbRSoz 2 (1972), 51 (56 ff.); weiter existieren gesetzgebungstheoretische Arbeiten aus diesem Kreise von J. Baumann, U. Klug, H. Jäger, K . Rolinski u. a. 16 S. nur H.-L. Günther, JuS 1978, 8 f f ; Κ Amelung, ZStW 92 (1980), 19ff; H. Jäger, FS f. U. Klug I, 1983, S. 83 ff. 17 S. ζ . Β. B. Krems, Grundfragen der Gesetzgebungslehre, 1979, S. 116ff, 231 ff; W. Hugger, Gesetze, S. 112 ff; R. Hotz, Rechtsetzung (Fn. 5), S. 290 ff.
24
II. Wege und Ansätze einer Gesetzgebungswissenschaft
(3) Ein dritter Impuls läßt sich als Folge der (auch) die Rechtswissenschaft vor eineinhalb Jahrzehnten stark belebenden methodischen Grundsatzdiskussionen interpretieren. Die Relativität gesetzlicher Bindungskraft 18 und die Rezeption (sprach-)analytischen und logisch-mathematischen Denkens 19 , wohl auch vor den Herausforderungen der Elektronischen Datenverarbeitung 20 , haben zu einer normen- und rechtstheoretischen Besinnung mit dem Anspruch einer (allerdings nicht unzweifelhaften) Nähe zur Gesetzgebungspraxis auch des Alltags geführt 21 . Solche rechtstheoretischen Bemühungen zielen auf eine allgemeine Regelungstheorie 22 und konnten sich unschwer mit herkömmlichen rechtsphilosophischen Ansätzen verbinden 23 . (4) Einen vierten Impuls bildet die in ihrer Bedeutung gewichtiger gewordene Normenkontrolljudikatur des BVerfG mit ihren Anforderungen an verfassungsgerechte (Reform-)Gesetze und ggf. Nachbesserungspflichten des Gesetzgebers: Sie formulieren zugleich Anforderungen i. S. einer Gesetzgebungslehre 24. Solche verfassungsrechtlichen Überlegungen können unschwer an die üblichen verfassungsrechtlichen Diskussionen um den Begriff des Gesetzes und seine verfassungsrechtlichen Einbindungen anknüpfen, andererseits aber auch an spezifisch öffentlich-rechtlich geprägte Schweizer Studien zur Gesetzgebungslehre 25 . Die deutsche verfassungsrechtlich geprägte Gesetzgebungsdiskussion wurde 1982 ausführlich bilanziert 26 . (5) Ein fünfter Impuls, vor allem aus dem Bereich der empirischen Sozialwissenschaften, reagiert auf den anspruchsvollen Wandel zum planenden, aktiv 18
S. noch unten Kap. V/1 m. ausf. Nw. S. jetzt vor allem R. Hotz, Rechtsetzung (Fn. 5), S. 7ff., aber zuvor auch die Arbeit von J. Rödig (Fn. 20) u. a. 20 Vgl. speziell auch hierzu J. Rödig, in: ders. (Hg.), Studien (Fn. 1/159), S. 5 (16 ff.) und ebd. die Beiträge S. 592 — 704; s. jetzt auch T. Öhlinger (Hg.), Gesetzgebung und Computer, 1984; s. aber auch zu den Anforderungen der Praxis an automationsgerechte Normen: G. Thieler-Mevissen, in: BAköV (Hg.), Praxis (Fn. 3), S. 115 ff. 19
21
S. vor allem J. Rödig u. a., Vorstudien zu einer Theorie der Gesetzgebung, 1975; ders. (Hg.), Studien (Fn. 20). 22 S .E. Baden, Gesetzgebung und Gesetzesanwendung im Kommunikationsprozeß, 1977, S. 29ff.; er führt insoweit Impulse von J. Rödig fort, s. E. Baden, in: GedS f. J. Rödig, 1978, S. llOff. 23 Vgl. J. Mokre/O. Weinberger (Hg.), Rechtsphilosophie und Gesetzgebung, 1976, bes. auch die Beiträge von L. Reisinger. 24 Ausf. G. Schwer dtfeger, FS f. H. P. Ipsen, 1977, S. 173 ff.; P. Lerche, in: ders. u. a., Verfahren als staats- und verwaltungsrechtliche Kategorie, 1984, S. 97 (109 ff.); zur evtl. Nachbesserungspflicht des Gesetzgebers s. zuletzt A. Roßnagel, JZ 1985, 714ff. 25 S. vor allem K. Eichenberger (1954, 1974, 1978) in: ders., Staat (Fn. 1/7), S. 251 ff., 332 ff. bzw. 349 ff. u.ö.; ders., VVDStRL40 (1982), 7 ff.; G. Müller, Inhalt und Formen der Rechtssetzung als Problem der demokratischen Kompetenzordnung, 1979, bes. S. 111 ff.; K. Meier, Kooperation von Legislative und Exekutive bei der Rechtssetzung im Bunde, 1979. 26 S. Hans Schneider, Gesetzgebung, 1982; M. Kloepfer, VVDStRL 40 (1982), 63 ff.; s. a. H. Hill, Einführung in die Gesetzgebungslehre, 1982, S. Iff.
1. Neuere Anstöße für eine Gesetzgebungswissenschaft
25
gestaltenden, sozialen Leistungsstaat und seinen offenbar doch nur begrenzten Möglichkeiten zur Realisierung der von ihm verfolgten Staatsaufgaben. Realisierungsschwierigkeiten bei der sozial-liberalen Reformgesetzgebung haben die empirischen Sozial- (und Verwaltungs-)wissenschaften (wie zeitversetzt schon zuvor in den USA in Reaktion auf die Politik der Johnson-Ära) für die praktischen Probleme der effektiven Realisierung gut gemeinter gesetzlicher (wie planerischer) Absichten sensibilisiert. In Anknüpfung an den amerikanischen Forschungsstand will die schnell haussierende Implementationsforschung den gesamten Prozeß von „Programm"-Verwirklichung (auch) durch Recht auf seine Einflußfaktoren hin erarbeiten 27 , gerade auch unter Berücksichtigung alternativer äquivalenter Regelungsmöglichkeiten28, so sehr ihre FallstudienErgebnisse Einwänden gegen ihre Verallgemeinerungsfähigkeit ausgesetzt sind 29 . Die Evaluationsforschung, allgemeiner die Wirkungsforschung will den Erfolg von Gesetzen (unter sachlich mehr oder weniger begrenzten Fragestellungen) nachträglich prüfen, um ggf. zu novellieren 30 ; die Policy-Forschung untersucht Gesetze und den ihrer Entstehung zugrundeliegenden Problemverarbeitungs- und Entscheidungsprozeß 31; die Effektivitätsforschung analysiert den Wirksamkeitsgrad gesetzlicher Normen 3 2 , die durch (Praxis-)Teste, Planspiele usw. von vornherein optimiert werden sollen 33 . Gemeinsames Ziel aller dieser sich zu einem großen Teil überschneidenden Ansätze ist letztlich die Erhöhung der Steuerungskraft von Gesetzen.- Neben dieser „Kleinarbeit" wurden Recht und Gesetz aber auch auf „makrotheoretischer" Ebene verstärkt Gegenstand der Theoriebildung 34 .
27 S. grdl. R. Mayntz, in: Die Verwaltung 10 (1977), 51 ff.; s. als Überblick dies., in: J. J. Hesse u. a. (Hg.), Politikwissenschaft und Verwaltungswissenschaft, 1982, S. 74ff.; ferner (auch krit.) W. Bruder, VerwArch 75 (1984), 129ff.; H.-U. Derlien, VerwArch 75 (1984), 256 (259 ff.). 28 F.-X. Kaufmann/B. Rosewitz, in: R. Mayntz (Hg.), Implementation politischer Programme II, 1983, S. 25 (37ff.). 29 W. Bruder, VerwArch 75 (1984), 131 f., 140ff.; ähnlich R. Mayntz, in: dies. (Hg.), Implementation I I (Fn. 28), S. 7 (9 ff.). 30
S. bereits R. Steinberg, Der Staat 15 (1976), 185ff.; W. Zeh, Wille und Wirkung der Gesetze, 1984, hier S. 18 ff.; zuletzt K. König, in: W. Schreckenberger (Hg.), Gesetzgebungslehre, 1986, S. 96 ff. 31 Einführend W. Jann, Aus Politik und Zeitgeschichte, Β 47/1983, S. 26 ff.; enger FX. Kaufmann u. a., in: R. Mayntz (Hg.), Implementation I I (Fn. 28), S. 35: Policy betreffe nur die materialen Politikbereiche. 32 S. zuletzt W. Zeh und (sehr skeptisch) E. Blankenburg, in: W. Schreckenberger (Hg.), Gesetzgebungslehre, S. 57 (62ff.) bzw. 109ff. 33
S. z. B. C. BohretIW. Hugger, Test und Prüfung von Gesetzentwürfen, 1980; zuletzt dies., in: W. Schreckenberger (Hg.), Gesetzgebungslehre, S. 135ff.; zsfssd. W. Hugger, Gesetze, S. 325 ff.; speziell zum Erfolg von Verwaltungsplanspielen ders., VerwArch 75 (1984), 162 (165 ff.). 34 S. etwa (mit Breitenwirkung) J. Habermas, Theorie des kommunikativen Handelns, Band 2, 1981, S. 522ff.; G. Teubner, ARSP 68 (1982), 13 ff.
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II. Wege und Ansätze einer Gesetzgebungswissenschaft b) Der ungeklärte Status der Gesetzgebungslehre(n)
Die genannten fünf Impulse haben in den letzten 15 Jahren erheblich an Kraft gewonnen 35 und verbinden sich z. Zt. zu einem etwas unübersichtlichen, interdisziplinären Gefüge, das noch keine selbständige Wissenschaftsdisziplin konstituiert. Charakteristisch sind noch immer Forschungsprogramme und Forderungskataloge mit Aufgaben, die eine Gesetzgebungslehre zu leisten hätte 36 , oder von Systematisierungsversuchen der Gesetzgebungslehre als Wissenschaftsdisziplin 37, die nicht auf einhellige Zustimmung stoßen können. Gesetzgebungsstudien müssen deshalb (zumindest vorerst) vom gesicherten Boden einer „etablierten" wissenschaftlichen Perspektive aus betrieben werden, doch ohne interdisziplinäre Scheuklappen. Eine empirisch wahre und präskriptiv richtige Theorie der Gesetzgebung, die sich von der Verfassungstheorie als Integrationswissenschaft 38 leiten läßt, muß die Vielfalt dieser rechts- und sozialwissenschaftlichen Ansätze zwar nicht erschöpfend verarbeiten 39 , aber doch durch Offenheit integrieren (können) 40 . Dem Dilemma heutiger Gesetzgebung läßt sich deshalb ohne Besinnung auf die theoretischen Grundlagen von Gesetzgebung nicht entkommen. Die Gesetzgebungswissenschaft ist sachgegenständlich und terminologisch nicht festgelegt. Sie umfaßt eine eher praktische und eine eher empirische FrageRichtung. In diesem Sinne wird Gesetzgebungslehre (als Teilbereich der Gesetzgebungswissenschaft 41) in dieser Arbeit begrifflich verstanden als (normative bzw. präskriptive 42 ) Theorie von „guter" Gesetzgebung, wie sie sein soll 43. Sie 35
Noch 1974 war eine Gesetzgebungswissenschaft „weitgehend unbekannt", so etwa die Feststellung von W. Hoppe, DVB1. 1974, 641 (645). 36 H. Kindermann, Richtlinien (Fn. 5), S. 95ff.; P. Tettinger, Rechtsanwendung (Fn. 11), S. 59 ff.; W. Maihofer, in: G. Winkler u. a. (Hg), Gesetzgebung (Fn. 1/11), S. 3 (24 ff.); P. Häberle, JZ 1981, 854 f.; s. a. W. Hugger, Gesetze, S. 39ff. 37 Ρ. Fricke/W. Hugger, Test von Gesetzentwürfen, Teil 1, 1979, S. 172; ähnlich W. Hugger, Gesetze, S. 33; K.-H. Mattern, in: H. Kindermann (Hg.), Studien 1982 (Fn. 11), S. 270 (271 f., 277); U. Karpen, Z G 1 (1986), 6ff.; vgl. ferner schon Κ.Έ. Gebauer, VuF 4 (1976), 3 (6 ff.). 38 Vgl. in diesem Sinne P. Häberle, Verfassungslehre als Kulturwissenschaft, 1982, S. 53, 74 f. 39 Ein solcher „großer Wurf 4 ist zuletzt von den Makro-Theorien des 19. Jahrhunderts beansprucht worden; er kann heute nicht mehr ohne wissenschaftstheoretische Naivität gefordert werden, geschweige gelingen. 40 S.a. Κ Eichenberger, in: ders. u.a. (Hg.), Grundfragen (Fn. 1/14), S. 3 (7); W. Maihofer, in: G. Winkler u. a. (Hg.), Gesetzgebung (Fn. 36), S. 19 ff. 41 S. W. Maihofer, a.a.O., S. 24ff., 33. 42 Präskriptiv meint (auch: hier) die Sollenskomponente in einer wissenschaftlichen Theorie und wird außerhalb der Rechtswissenschaft oft mit „normativ" als Gegensatz zu empirisch gleichgesetzt. Präskriptive Aussagen können nicht wahr, sondern nur richtig sein. Innerhalb der Rechtswissenschaft erhält „normativ" aber i. d. R. die Färbung i. S. des zugleich rechtlich Gesollten. Eine Gesetzgebungslehre ist in diesem Sinne präskiptiv und normativ, da nicht alle ihre präskriptiven Aussagen zugleich rechtlich geboten sind;
2. Widerstände gegen eine Gesetzgebungslehre
27
setzt wahre empirisch-analytische Theorien über Gesetzgebung, also Gesetzgebungstheorie(n) 4* voraus. Beide Fragerichtungen sind ihrerseits Teil einer empirisch informierten und richtigen (normativen bzw. präskriptiven) Theorie des Verfassungsstaats ( = Verfassungstheorie 45 i. S. von Verfassungslehre). Diese ist als „verfassungsbezogene Gesellschaftstheorie" 4* im Kontext der Wissenschafts- und Gesellschaftstheorien zu diskutieren 47 ; deshalb kann eine solche verfassungsstaatliche Gesetzgebungslehre nicht nur als moderne Variante einer längeren Tradition betrachtet werden 48 . 2. Widerstände gegen eine Gesetzgebungslehre Das Vertrauen in die potentielle Ertragskraft einer Gesetzgebungslehre sieht sich einer Reihe von traditionellen kritischen Vorbehalten gegenüber. (a) Eine Position repräsentiert das ausgeprägte Selbstbewußtsein der praktischen Rechtsdogmatik. Sie vertraut (ausdrücklich) den einfachen Regeln der Logik und des Stils mehr als einer Gesetzgebungstheorie, geschweige den Nachbarwissenschaften 49. Sie bleibt programmatisch der Perspektive des richterlichen Rechtsanwenders und seiner Alltagspraxis verhaftet 50 . Sie muß die Krise der Gesetzgebung als ein Strukturproblem verkennen, weil sie diese nur in ihren Einzelerscheinungen registrieren kann. Deutlich wird das an der Diskrepanz von Gesetzgebungskritik und Abhilfeinstrumentarium. So ist schlechterdings nicht erkennbar, wie ζ . B. die inhaltliche (Pauschal-)Kritik u. a. am verbandspluralistischen Interessenausgleich, an einer zu engen Verfassungsdea. A. U. Karpen, Z G 1 (1986), 27: Gesetzgebungslehre „kann ... niemals normativ sein".Vgl. zu den hier insoweit verwendeten begrifflichen Prämissen etwa H.-J. Koch, in: ders. (Hg.), Die juristische Methode im Staatsrecht, 1977, S. 13 (48 ff.). 43
S. P. Noll, Gesetzgebungslehre, S. 15: „Lehre, die Form und Inhalt der Rechtsnormen mit dem Ziel untersucht, Kriterien, Richtlinien und Anleitungen zur rationalen Normgebung und Normgestaltung zu erarbeiten"; zu diesem Begriffsgebrauch auch B. Krems, Grundfragen (Fn. 17), S. 42 f.; s. a. H. Hill, Jura 1986, 57; oft werden aber Gesetzgebungstheorie und -lehre gleichgesetzt, s. etwa O. Triffterer, GedS f. H. Schröder, 1978, S. 505 ff.; H.-J. Mengel, ZRP 1984, 153; zuletzt wieder U. Karpen, Z G 1 (1986), 6: „Wissenschaft von der Gesetzgebung". 44 B. Krems, a.a.O., ebd.; andere wieder sehen in Gesetzgebungstheorie eine „technische Wissenschaft" i. S. von Legistik: so F. Lachmayer, DÖV 1978, 33 (36 f.). 45 . Zu diesem Verständnis der Verfassungstheorie s. M. Morlok, Was heißt und zu welchem Ende studiert man Verfassungstheorie?, 1987 (i. E.); s. a. E. V. Heyen, in: W. Schreckenberger (Hg.), Gesetzgebungslehre, S. 11 (19). 46
W. Schmidt, in: D. Grimm (Hg.), Rechtswissenschaft und Nachbarwissenschaften I, 1973, S. 89 (96). 47 Vgl. P. Häberle (1974), in: ders., Verfassung, S. 93 (103 ff.). 48 Vgl. aber F. Bydlinski, Methodenlehre (Fn. 1/61), S. 618 f. 49 S. ζ. Β. H. Honseil, Stil (Fn. 1/33), S. 23; vgl. auch Hans Schneider, Gesetzgebung, Rdn. 109. 50 Vgl. P. Noll, Gesetzgebungslehre, S. 18 f.
28
II. Wege und Ansätze einer Gesetzgebungswissenschaft
terminiertheit bundesdeutscher Gesetzgebung, an einem Übermaß staatlicher Sanktionsandrohungen, an zu feinen Gerechtigkeitsabstufungen oder an der Verrechtlichung innerfamiliärer Personenbeziehungen als gesetzesverschlechternden Faktoren 51 durch einfache Regeln der Logik und des Stils besänftigt werden könnte 52 . Soweit „die" Rechtsdogmatiker auf die Kraft der bestehenden „klassischen" Kodifikationen vertrauen 53 , delegieren sie verschwiegen die Kompetenz zur (faktisch permanenten) Rechtsfortbildung primär statt an den parlamentarischen Gesetzgeber an die (primär einzelfallorientierte) Justiz, obwohl deren Kapazität zu Folgenanalysen und theoretisch verallgemeinerungsfahigen Lösungen und Begründungen pluralistischen Interessenausgleichs generell eher geringer ist 5 4 . (b) Eine andere Denkrichtung befürchtet wissenschaftstheoretisch unzulässige Grenzüberschreitungen. In der Logik von Bernhard Windscheids berühmter Feststellung, Gesetzgebung beruhe oft auf ethischen, politischen oder volkswirtschaftlichen Erwägungen, die nicht „Sache des Juristen als solchen" seien 55 , ist wie in Paul Labands staatsrechtlichem Positivismus 56 eine wissenschaftstheoretische Trennung zwischen Recht und Nicht-Recht angelegt, die das Verfahren der Gesetzesentstehung dem Bereich der Politik zuweist 57 . Diese Trennung kann wohl analytisch, nicht aber rechtspraktisch durchgehalten werden 58 . Denn Juristen stehen, ob als Rechtsanwender oder als Gesetzgeber, im Rahmen der Bandbreite ihres gesetzlichen oder politischen Entscheidungsspielraums unter Entscheidungszwängen, denen sie sich nicht entziehen können; dann aber haben auch Juristen ihre Entscheidungen zu optimieren. So erklärt es sich auch, daß gerade strenge Positivisten etwa in der — einer Gesetzgebungslehre prinzipiell eher abgeneigten59 — Denktradition Hans Kelsens sich mit der Gesetzgebungslehre intensiv beschäftigen 60. 51
So H. Honseil, Stil (Fn. 49), S. 10 ff. So H. Honseils Therapievorschläge, a. a. O., S. 23. 53 S. für das BGB etwa E. Wolf ; ZRP 1982, 1 ff. 54 S. nur P. Noll, Gesetzgebungslehre, S. 95. 55 S. B. Windscheid (1884), in: ders., Gesammelte Reden und Abhandlungen, 1904, S. 100 (111); zust. (für die Rechtsfortbildung) W. Flume , 46. DJT (1967), Bd. 2, Teil K , S. 5 (17ff.); differenzierend F. Bydlinski, Methodenlehre (Fn. 48), S. 619f. 56 Vgl. aber auch W. Henke, Der Staat 21 (1982), 277 (279 f.). 57 Vgl. (zur Kritik) P. Noll, Gesetzgebungslehre, S. 58 ff.; G. Schwerdtfeger, FS f. H. P. Ipsen, 1977, S. 177. 58 Vgl. P. Noll, a. a. O., S. 22ff.; im „Werturteilsstreit" und im „Positivismusstreit" der deutschen Soziologie findet diese Diskussion ihr theoretisches Pendant und im „pragmatistischen Modell" der Politikberatung eine (auch gesetzgebungsrelevante) praktische Lösung. 52
59 S. (krit.) ζ . B. O. Weinberger, in: H. Schäffer u. a. (Hg.), Rationalisierung (Fn. 1/109), S. 212 (222). 60 S. z. B. R. Walter, ÖJZ 1963, 85ff.; ausdrücklich rechtfertigend ders., in: H. Kindermann (Hg.), Studien 1982 (Fn. 1/26), S. 144ff.; krit.'zu solcher „systemimmanenten" Inkonsequenz F. Bydlinski, Methodenlehre (Fn. 48), S. 620 mit Fn. 20.- Auch in
2. Widerstände gegen eine Gesetzgebungslehre
29
(c) Diese Vorbehalte werden verstärkt von einer fehlenden Institutionalisierung der Gesetzgebungslehre im Wissenschaftssystem. In diesem dominiert die Perspektive des Vollzugs von Rechtsnormen 61 . So läßt sich die Entwicklung ζ. B. der Verwaltungsrechtswissenschaft und ihrer spezifisch positivistischen, am Rechtsstoff orientierten Methodik vor allem auch mit der Abhängigkeit von und dem Zusammenhang mit der Institutionalisierung der Verwaltungsgerichtsbarkeit erklären. Deren Perspektive und Entscheidungsnotwendigkeiten „reinigten" die traditionelle Verwaltungswissenschaft von allen interdisziplinären Sichtweisen und lösten das Berufsfeld des Verwaltungsjuristen vom Bezugsfeld der Verwaltungswissenschaft ab zugunsten des Berufsfeldes des Verwaltungsrichters; so werden „juristische Reinkulturen" vor allem im wissenschaftlichen Umkreis der Verwaltungsgerichtsbarkeit gepflegt 62 . Auch im zivilrechtlichen und strafrechtlichen Bereich steht der Justizjurist im Zentrum 6 3 ; das steht im Widerspruch zur Vielfalt juristischer Berufe und Aufgaben, die — auch historisch 64 — Bedingung für das reibungslose Funktionieren einer komplexen Gesellschaft sind. Diese Leitrolle des Richters in der Juristenausbildung erschwert eine Entfaltung der Gesetzgebungslehre, die dem wachsenden Anteil schöpferischer Rechtssetzungstätigkeit auf allen Ebenen juristischer Tätigkeiten entsprechen würde 65 . Eine Rechtssetzungslehre (und ihre stärkere universitäre Verankerung 66 ) könnte Ansätze zu interdisziplinärem Denken aktivieren, die unter dem Primat des Rechtsanwendungsdenkens wenig Chancen haben 67 . (d) Gesetzgebungsskeptische Positionen stehen zudem in einer spezifisch deutschen Wissenschaftstradition, wie sie bereits in der Verneinung jeder Gesetzgebung bei F.C. v. Savigny i.S. einer „Gesetzgebungswissenschaft mit negativem Vorzeichen" 68 angelegt wurde. Der Kodifikationsstreit des Jahres der Bundesrepublik arbeitet ζ. Β. N. Achterberg sowohl in der Denktradition Kelsens als auch auf dem Gebiet der Gesetzgebungslehre. 61 Vgl. etwa F. Lachmayer, DÖV 1978, 34; J. Wroblewski, Einführung in die Gesetzgebungstheorie, 1984, S. 5; U. Karpen, ZG 1 (1986), 11. 62 So die Thesen von E. V. Heyen, Der Staat 22 (1983), 21 (24, 26). 63 S. zum „habilitierfahigen Oberlandesgerichtsrat" als Idealvorstellung der Juristenausbildung (krit.) R. Wiethölter, in: R. Wassermann (Hg.), Erziehung zum Establishment, 1969, S. 1 (20); zum Rechtsreferendar degradiert bei U. Karpen, ZG 1 (1986), 11 ; krit. auch P. Noll, Gesetzgebungslehre, S. 16 ff. 64 S. zur früheren Rolle der Juristen F. Wieacker, GedS f. F. Gschnitzer, 1969, S. 467 (469). 65 S. R. Dreier, FS f. H. J. Wolff, 1973, S. 3 (30 f.). 66 F. Lachmayer, DÖV 1978, 34; zur Kritik an diesem Ziel aber D. Merten, in: W. Schreckenberger (Hg.), Gesetzgebungslehre, S. 178 (184). 67 Vgl. A. Büllesbach, in: A. Kaufmann/W. Hassemer (Hg.), Einführung in die Rechtsphilospohie und Rechtstheorie der Gegenwart, 4. Aufl. 1985, S. 361 (376 ff.); E. V. Heyen, Der Staat 22 (1983), 26, der auf den Erfolg der Naturrechtslehre der Aufklärung verweist; entscheidend ist letztlich die Gestaltung der Prüfungsordnungen und damit der Lehrpläne (nicht umgekehrt). 68
G. Dilcher, JZ 1969, 1 (6).
30
II. Wege und Ansätze einer Gesetzgebungswissenschaft
1814 zwischen A.F.J. Thibaut und Savigny 69 hat auch das Defizit einer Gesetzgebungslehre in Deutschland mitprägen helfen. Indem sich Savigny gegen die Forderung nach einem gemeinsamen Gesetzbuch gegen die deutsche Rechtszersplitterung und damit für das angeblich aus dem Volksgeist sich (weiter-)entwickelnde und von einer organisch fortschreitenden Rechtswissenschaft zu wahrende gemeine Recht historisch durchzusetzen vermochte, hat er auch die Sichtweise von Rechtswissenschaft mit Wirkungen bis heute (mit-) geprägt 70 . Hinter diesem Streit verbergen sich wohl (auch) die Konfliktlinien von fortschrittlich-bürgerlicher Position (Kodifizierung von bürgerlicher Freiheit und Gleichheit) und Restauration (Code Napoleon als Schritt in die Revolution; Würdigung des traditionell Gewachsenen und Gewordenen im Recht), auch wenn sie sich nicht einfach personalisieren lassen 71 . Der juristische Positivismus (Puchta, Laband) läßt sich jedenfalls als eine Spätfolge dieses begrifflich-systematischen Denkens der Juristen-Rechtswissenschaft ansehen, die Juristenrecht gegen demokratische Rechtsetzung stellt 72 . (e) Ergänzend zu diesen Traditionen und Belastungen ließen sich auch kulturelle Tiefendimensionen ermitteln, wie sie im Vergleich mit der Schweizer Gesetzgebungslehre 73 deutlich werden. Spezifische Schweizer Traditionen wie das bündische Element und die dortige „große Koalition" im Bundesrat fördern ein „rein sachorientiertes" Denken, eine gewisse Entpolitisierung des Gesetzgebungsprozesses. Gesetzgebungslehre betont die eigengesetzlichen Sachstrukturen von Gesetzgebung zulasten politischer Vorgaben, die den Prinzipien „relativ guter" Gesetze74 zu weichen haben. Die „Konsensgesetzgebung" in der Schweizer Konkordanzdemokratie ist der Humus für die Gesetzgebungslehre. Demgegenüber wird die politisch-kulturelle Tradition in der Bundesrepublik wohl stärker bestimmt vom politischen Prozeß als Konflikt der großen weltanschaulichen „Lager" seit Beginn der Entstehung der Sozialdemokratie, den sozialen Konflikten im Bismarck-Reich und der Revolution von 1918.
69 Vgl. H. Hattenhauer (Hg.), Thibaut und Savigny. Ihre programmatischen Schriften, 1973; dazu H.-P. Benöhr, JuS 1974, 681 ff. 70 S. A. Rinken, Einführung in das juristische Studium, 1977, S. 201: „Savignys Wissenschaftstheorie und Methodenlehre prägen die deutsche Rechtswissenschaft bis heute". Eine Vernachlässigung der Gesetzgebungslehre hat möglicherweise auch hier seine Wurzeln. Zum romantischen Hintergrund s. S. Tönnies, FS f. R. Schmid, 1985, S. 375 (385 f.). 71 S. aber H. Wrobel, KJ 6 (1973), 149ff.; krit. H.-P. Benöhr, JuS 1974,684; H. Kiefner, FS f. R. Gmür, 1983, S. 53 ff. 72
So A. Rinken, Einführung (Fn. 70), S. 205ff.; ferner H. Hattenhauer, Die geistesgeschichtlichen Grundlagen des deutschen Rechts, 3. Aufl. 1983, Rdn. 408 ff. 73 S. neben den Nw. in Fn. 25 und den Arbeiten von P. Noll (Fn. 13) und R. Hotz (Fn. 5) noch R. A. Rhinow, Rechtsetzung und Methodik, 1969; T. Fleiner-Gerster, Wie soll man Gesetze schreiben?, Vorlesungsmanuskript 1984 (1985); ferner H. W. Kopp (Fn. III/41). 74
R. Hotz, St. Galler Festgabe, 1981, S. 297 ff.; ders., Rechtsetzung (Fn. 5), S. 97 ff.
3. Die Heterogenität der Gesetzgebungslehren
31
Dieser Konflikt scheint den Blick auf das „Politische" des Machtkampfes, das der Gesetzgebung vorausliegt, zu lenken. Er verhinderte anscheinend die wissenschaftliche Erkenntnis und Hegung seiner „Gesetzmäßigkeiten", Regelmäßigkeiten und grundlegenden Sachstrukturen. Die hier nur skizzierten, oft unterschwelligen Vorbehalte mögen unverändert wirksam sein und den deutschen Nachholbedarf an Gesetzgebungslehre erklären. Sie beschreiben indessen mehr (beachtliche) Probleme für die Angemessenheit der gesetzgebungswissenschaftlicher Bemühungen als daß sie solche widerlegen. Sie sensibilisieren aber wissenschaftstheoretisch und praktisch bei dem Versuch, aus der Fülle der angebotenen Gesetzgebungslehren die verfassungsrechtlich und verfassungstheoretisch bedeutsamen „Bruchstücke" für das öffentliche Recht fruchtbar zu machen. 3. Die Heterogenität der Gesetzgebungslehren als Problem — Gesetzgebungslehre als Steinbruch a) Gesetzgebungslehre als methodisch-wissenschaftstheoretisches Problem
Die gegenwärtigen Bemühungen um eine Gesetzgebungslehre wurzeln in zwei gegensätzlichen wissenschaftspolitischen Positionen: Ein eher rechtswissenschaftlich-rechtsphilosophischer Ansatz bemüht sich um das „gute", „richtige" oder „vollkommene" Gesetz; die sozialwissenschaftlich orientierten rechtspolitischen Grundposition scheinen Gesetze demgegenüber eher als Mittel zur Zielsetzung zu betrachten und in diesem Sinne „erfolgreiche" Gesetze anzustreben 75 . Aufgabe einer anwendungsorientierten Gesetzgebungslehre im umfassenden Sinne ist es demnach, beide Ansätze zu versöhnen 76 und durch empirische Wirkungskontrolle von Rechtsvorschriften schon im Vorbereitungsstadium zu ergänzen, um so zu relativ erfolgreichen Gesetzen zu gelangen, sich mithin dem guten Ideal weiter anzunähern 77 . Anders formuliert nimmt diese These (jedenfalls auch) eine seit Max Weber geläufige Trennung auf: Empirischanalytisches Erfahrungswissen der Sozialwissenschaften soll um einer (besseren) Gesetzgebungspraxis willen den bloß rechtswissenschaftlichen, normativen Ansatz einer Gesetzgebungslehre integrativ-sozialwissenschaftlich ergänzen 78. Die verschiedenen Gesetzgebungslehren lassen sich dementsprechend nach ihrem fachlichen Wissenschaftsideal gruppieren. Entgegen einer spezifisch 75
So C. Bohret, in: W. Hugger, Gesetze, S. 5 (10f.); vgl. schon oben bei Fn. 41 ff. S. demgegenüber die gegenseitigen Abwertungsversuche, einerseits ζ . B. Hans Schneider, Gesetzgebung, Rdn. 106f., andererseits z. B. W. Hugger , VerwArch 75 (1984), 162, 165. 76
77
C. Bohret, in: W. Hugger, Gesetze, S. 11 f.; ähnlich J. Kölble, Die Verwaltung 18 (1985), 388. 78 Zur Paralle auf der Ebene der Verwaltungsplanung s. etwa H. Schulze- Fie lit ζ , Sozialplanung (Fn. 1/72), S. 104ff.
32
II. Wege und Ansätze einer Gesetzgebungswissenschaft
juristischen Betrachtungsweise 79 und einer eher rechtsfernen rein sozialwissenschaftlichen Sicht muß sich aber die interdisziplinäre Offenheit je nach dem Erkenntnisinteresse der Fragestellungen von den Problemen des Gegenstandsbereichs Gesetzgebung, nicht aber von (historisch variablen) akademischen Abgrenzungsstrategien vorgeben lassen. Parallel (nicht identisch) verläuft die Abgrenzung zwischen Recht und Politik innerhalb der Rechtswissenschaft. In einem engeren Sinne klammert diese den Entstehungszusammenhang von Recht aus und überläßt ihn dem Bereich „der" Politik bzw. der Politikwissenschaft. Ein weniger enges Verständnis versucht auch den Entstehungszusammenhang von Recht im Hin-Blick auf „richtiges Recht" methodisch und sachlich (rechts-)wissenschaftlich zu disziplinieren 80 . Das gelegentlich konstatierte Defizit der Gesetzgebungstheorie bei der Behandlung von Gerechtigkeitsfragen 81 gründet sowohl in der Distanz der Rechtsphilosophen zum politischen Tagesgeschehen wie den Schwerpunkten der heterogenen Gesetzgebungstheorien, die materiale Gesichtspunkte vernachlässigen. b) Gesetzgebungslehre als Theorie-Praxis-Problem
Auf einer Skala lassen sich die Gesetzgebungslehren nach ihrer Nähe zur tatsächlichen Gesetzgebungspraxis ordnen. So gibt es einerseits zahlreiche Bemühungen i. S. unmittelbarer Handlungsanleitungen für die praktischen Probleme der ministerialen Gesetzesmacher im Alltag, etwa im „Handbuch zur Gesetzgebungstechnik" oder den verschiedenen legistischen Richtlinien 82 . Gesetzgebungstheorie versteht sich hier ganz als (präskriptive) Handlungswissenschaft für die Praxis 83 . Diese scheint weitergehende Bemühungen der „akademischen" Gesetzgebungslehren nach Maßgabe der eigenen, unmittelbaren Bedürfnisse sehr schnell als praktisch wenig förderlich wahrzunehmen 84 , ohne die Chancen mittelbarer Wirkungen solcher „praxisfernen" Bemühungen recht zu würdigen. Ein Grund dürfte der Umstand sein, daß die Vorherrschaft der Ministerialbürokratie durch eine unmittelbar technisch optimierende Gesetzgebungslehre nicht „gefährdet" wird, während gesetzgebungstheoretische Überlegungen weitergehender Art 79 S. prononciert D. Merten, in: W. Schreckenberger (Hg.), Gesetzgebungslehre, S. 178 f. 80 S. nur W. Schmitt Glaeser, AöR 107 (1982), 337 (339 ff., 346ff.). 81 S. H. Kindermann, in: M . W. Fischer u. a. (Hg.), Hermeneutik und Strukturtheorie des Rechts, 1984, S. 141 (141 f.). 82 S. Hw. Müller, Gesetzgebungstechnik (Fn. 3) bzw. §§ 28 ff. GGO II; s. dazu neben den Nw. in Fn. 5 und 7 noch H. Kindermann, in: T. Öhlinger (Hg.), Methodik der Gesetzgebung, 1982, S. 21 Iff. 83 So z. B. auch (zuletzt) W. Maihofer, JbRSoz 12 (1988), MS. 8. 84 S. etwa den Grundtenor der Sammelrezension von J. Kölble, Die Verwaltung 18 (1985), 391, 392, 393, 394, 396.
3. Die Heterogenität der Gesetzgebungslehren
33
den status quo der Arbeitsteilung, etwa zwischen Parlament und Regierung, möglicherweise „unrealistisch" infragezustellen drohen. Auf der anderen Seite gibt es auch gesellschafts-, rechts- und normtheoretische Überlegungen auf höchster Abstraktionsstufe i. S. von Grundlagenforschungen, die sich als Beitrag zur Rechtssetzungstheorie verstehen 85. Normlogische Überlegungen parallel zur Verarbeitung der EDV im Recht 86 z.B. beschreiben Normen und ihre Strukturen durch logische Einordnungen, vergleichen sie i. S. von optimaler Regelungsklarheit oder umschreiben sie in nicht-juristischer Sprache mit Hilfe von Wahrheitstafeln 87 . Sie drohen (nicht nur) die Praxis abzuschrecken 88 und den Beitrag ζ . B. logischer Sprachanalysen für eine Rationalisierung von Gesetzgebung eher zu verschütten. Gesetzgebungslehre darf nicht mit bestimmten „esoterischen" rechtstheoretischen Ansätzen identifiziert werden, deren Praxisrelevanz zudem oft nur behauptet wird 8 9 . Auch Bemühungen um eine Gesetzgebungsmethodenlehre 90 stecken noch in „praxisfernen" Anfangen. Methodische Arbeiten wie solche, die am Beispiel der Lücke zeigen, wie unbestimmte Rechtsbegriffe und Generalklauseln instrumentell als Kompensation für Lücken eingesetzt werden können 91 , stehen neben Überlegungen auf einem Abstraktionsgrad, wie sie als „umgekehrte Subsumtion" 9 2 diskutiert werden. Alltagspraktische Wirkungen solcher Ansätze dürften sich derzeit kaum feststellen lassen93. Wohl auch deshalb gibt es Bemühungen um besondere, rechtsgebietsspezifische Gesetzgebungslehren 94; 85 S. etwa Wróblewski, Gesetzgebungstheorie (Fn. 61), etwa S. 14f., 24ff., 35ff.; G. Teubner, JbRSoz 12 (1988), i.E. 86 S. jetzt abgewogen einführend: C.-E. Eberle , in: W. Schreckenberger (Hg.), Gesetzgebungslehre, 1986, S. 121 ff.; vgl. auch O. Triffterer, GedS f. H. Schröder, 1978, S. 517ff. 87 S. z. B. R. Hotz, St. Galler Festgabe, 1981, S. 302ff.; ders., Rechtsetzung (Fn. 5), S. 13 ff.; krit. G. Müller, DÖV 1984, 647f.; s. ferner F. Lachmayer, in: J. Rödig (Hg.), Studien, S. 494 (498). Eine Beobachtung, daß 37 % der Argumente in den Untersuchungen des Bundeskanzleramts-Verfassungsdienstes (!) sich auf die Verfassung, 13 % auf das Gesetz und 28 % auf die Legistik bezogen seien (S. 495 f.), ist mehr ein Problem als eine Erkenntnis. 88 So H. Kindermann, in: ders. (Hg.), Studien 1982 (Fn. 1/26), S. 258 (259); s. etwa auch die Vorbehalte bei H.-J. Mengel, ZRP 1984, 154. 89 S. z.B. Th. Schlapp, JuS 1984, 505 (508 f.); J. Rödig, in: ders. (Hg.), Studien, S. 592 ff., dessen formallogische Analysen (597ff.) ich nicht überprüfen kann. Sein Ergebnis, die logische Gleichwertigkeit von Verweisung, Fiktion, Legaldefinition und Allgemeinem Teil (603 ff.) erübrigt z. B. nicht die gesetzgebungspraktisch bedeutsame Frage, wie ihr Einsatz „anhand von Zweckmäßigkeitsgesichtspunkten" zu motivieren ist (S. 610). 90
Gefordert z. B. von O. Triffterer, GedS f. H. Schröder, 1978, S. 507. S. D. Freischmidt, in: J. Rödig (Hg.), Studien, S. 421 (424ff). 92 S. z. B. F. Bydlinski, Methodenlehre (Fn. 48), S. 641 ff. 93 S. a. die generelle Skepsis bei K. Eichenberger, GedS f. P. Noll, 1984, S. 37ff. 94 S. für das Strafrecht Nw. in Fn. 16; ferner P. J. Schick, in: G. Winkler u. a. (Hg.), Gesetzgebung (Fn. 1/11), S. 84ff.; J. Driendl, Zur Notwendigkeit und Möglichkeit einer Strafgesetzgebungswissenschaft in der Gegenwart, 1983. 91
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Schulze-Fielitz
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II. Wege und Ansätze einer Gesetzgebungswissenschaft
diese argumentieren nicht mehr nur „oberhalb" der Fachdogmatik, sondern werden von vornherein praxisnah durch diese konkretisiert 95 . c) Folgerungen: Gesetzgebungswissenschaft als Integrationswissenschaft
Ausgrenzende Auseinandersetzungen um die Eigenart einer Wissenschaft sind ebenso wie postulatorische Aufgabenkataloge 96 Indiz für ihre Statusunsicherheit. In diesem Sinne sind die skizzierten wissenschaftstheoretischen Reflexionen Indiz für die Nicht-Existenz einer die Gesetzgebungslehren integrierenden Gesetzgebungslehre. Der bemerkenswerte Umstand, daß ein Sozialwissenschaftler im Namen der „juridischen Rationalität" sich gegen die Möglichkeit einer Gesetzgebungslehre als „interdisziplinäre Beratungswissenschaft für den Gesetzgeber" wendet 97 , Juristen aber die Gesetzgebungslehre per se als multidisziplinäre Disziplin verstehen 98, ist Anzeichen für die Unergiebigkeit disziplinärer Ab- und Ausgrenzungsversuche. Aus der Perspektive der Sache Gesetzgebung kann es ungeachtet dessen nur sinnvoll sein, alle gesetzgebungsrelevanten Wissens- und Theoriebestände im Hinblick auf den jeweiligen Regelungsgegenstand zu integrieren: „Gesetzgebungslehre ist per se eine interdisziplinäre Wissenschaft" 99 . Auch als „Normierungsspezialist" ist der Jurist auf die jeweiligen fachwissenschaftlichen Kenntnisse angewiesen100. Gesetzgebungswissenschaft ist Norm- und Sozialwissenschaft, die ihre Belebung gerade erst der Verbindung von Rechtstheorie und Sozialwissenschaften verdankt 101 . Gesetzgebungstheorie als Teil der Rechtstheorie ist insoweit eine „Grenzpostendisziplin" (/. Agge), die als „Selektionsfilter" die Nachbarwissenschaften empirisch und normlogisch, sachbereichsspezifisch und generell auf ihre Relevanz für die Gesetzgebungslehre hin prüft 1 0 2 und dabei Bezüge zu allen Zweigen der Staatswissenschaften herstellen muß 1 0 3 . Sie
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Vgl. P. Noll, Gesetzgebungslehre, S. 71. S. Nw. in Fn. 36; ferner noch R. Bender, ZRP 1976, 133 f.; O. Triffterer, GedS f. H. Schröder, 1978, S. 507ff.; U. Scheuner, FS f. H. Huber, 1981, S. 127 (141 f.). 97 H. Schelsky, Die Soziologen und das Recht, 1980, S. 34 (58 ff.). 98 P.Noll, Gesetzgebungslehre, S. 64ff., 67f.; zust. P. Häberle, JZ 1981, 853; W. Schmitt Glaeser, AöR 107 (1982), 343; s. schon W. Burckhardt (1936), in: ders., Aufsätze und Vorträge, 1970, S. 93 (97). 96
99
So zuletzt U. Karpen, Z G 1 (1986), 9; a. A. zuletzt D. Merten, in: W. Schreckenberger (Hg.), Gesetzgebungslehre, S. 178 f. 100 v g l ρ Bydlinski, Methodenlehre (Fn. 48), S. 622f.; P. Noll, Gesetzgebungslehre, S. 68, 71 u.ö. 101 So K.-E. Gebauer, VuF 4 (1976), 7f.; s. zuletzt W. Maihofer, MS. 6 ff. 102 103
(225).
JbRSoz 12 (1988),
Vgl. R. Dreier (1975), in: ders., Recht, Moral, Ideologie, 1981, S. 17 (24f.). So N. Wimmer, in: H. Schäffer u. a. (Hg.), Rationalisierung (Fn. 1/109), S. 225
4. Anforderungen an eine verfassungsstaatliche Gesetzgebungslehre
35
analysiert Gesetze, wie sie sind und wie sie sein sollen 104 . Die fehlende Festlegung als Wissenschaftsdisziplin ist insoweit weniger Grenze als Chance.
4. Die Anforderungen an eine verfassungsstaatliche Gesetzgebungslehre a) Verfassungsstaatliche Gesetzgebungslehre als Rahmenprogramm
Eine spezifisch „verfassungsstaatliche Gesetzgebungslehre" 105 setzt aber ungeachtet dieser Offenheit grundsätzliche Wertungen voraus, die sich aus ihrem verfassungsrechtlichen und -theoretischen Bezug erklären 106 . Die Erörterungen dieser Arbeit verstehen sich als Beitrag einer verfassungsrechtlichen Optimierung von Gesetzgebung. Diese wird vom verfassungstheoretischen Vorverständnis mitgeprägt, dessen Rationalisierung ebenfalls Teil einer verfassungsstaatlichen Gesetzgebungslehre ist. Das Gesetz ist der zentrale Kern des Parlamentarismus und damit „auch weiterhin die staatsrechtswissenschaftliche Zentralfigur" 107 . Es geht nicht um Rechtssetzung „an sich", sondern um parlamentarische Gesetzgebung, diszipliniert nach Maßgabe der Verfassungstheorie des Grundgesetzes. Damit sind Lernprozesse durch verfassungsstaatliche Rechtsvergleichung nicht ausgeschlossen. Eine verfassungsstaatliche Theorie der Gesetzgebungswissenschaft kann deshalb die verschiedenen wissenschaftlichen Impulse aus der Schweiz und aus Österreich von vornherein im Rahmen der Möglichkeiten des Verfassungsrechts und der Verfassungspolitik aufnehmen, Verfassung verstanden als Grundordnung von Staat und Gesellschaft unter Einbeziehung von Norm und Wirklichkeit 1 0 8 . Insoweit sind auch Ansätze zu berücksichtigen, die Gesetzgebungslehre bewußt als Einübung in normative Vorgaben oder i. S. einer Stärkung der Demokratie 109 oder doch wenigstens als „politische Tugendlehre für den demokratischen Gesetzgeber" 110 ansehen oder Gesetzgebungsleh104
S. P. Häberle, JZ 1981, 854. S. P. Häberle, a. a. O., S. 854. Die Geschichte des Verfassungsstaates und die Zunahme der Normdichte verlaufen parallel, vgl. W. Kaegi, Verfassung (Fn. 1/135), S. 94. 106 S. in diesem Sinne auch H. H. v. Arnim, Staatslehre, S. 6 ff. 107 H. P. Ipsen, AöR 109 (1984), 555 (576) in Zustimmung zu Ρ. Badura, VVDStRL 40 (1982), 105 ff.(Diskussion). 108 S. zu diesem Verfassungsbegriff: P. Häberle, Verfassung (Fn. 47), S. 121 (122 ff.); s. a. Η. Η. v. Arnim, Staatslehre, S. 3 ff. 109 S. schon R. Herzog, FS f. T. Maunz, 1971, S. 145 (156).- Von den vier Hauptaufgaben der Gesetzgebungslehre nach O. Weinberger, in: H. Schäffer u. a. (Hg.), Rationalisierung (Fn. 59), S. 223 f., gilt nur eine der Fragen der Gesetzgebungstechnik (1), die anderen (2) einer Theorie rechtspolitischer Argumentation im Rahmen demokratischer Konsenssuche, (3) rechtssoziologischen Fragen des Gesetzes und (4) den demokratisch-institutionellen Rahmenbedingungen. 110 So C. Gusy, ZRP 1985, 291 (298); unklar U. Karpen, Z G 1 (1986), 22, 27. 105
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II. Wege und Ansätze einer Gesetzgebungswissenschaft
re nicht mehr als eine spezifische (materiell-)verfassungsrechtliche Erscheinungsform des Öffentlichen Rechts betrachten. Demgegenüber wird mitunter „die Gesetzgebungstheorie und die Gesetzgebungstechnik als von nationalen Bindungen weitgehend unabhängig" angesehen 1 1 1 . Gesetzgebungstheorie wird dabei implizit auf eine sprach- und normlogische Betrachtungsweise verengt; Rechtsvergleichung gerät zur bloß „Rechtsformenvergleichung" 112 . So sehr eine solche Formulierung den internationalen Rechtsvergleich fördert — hier soll verfassungstheoretisch versucht werden, die spezifischen Bedingungen und Auswirkungen des demokratischen Verfassungsstaats westlichen Typs am Beispiel des GG für die Gesetzgebung zu berücksichtigen. Ein solcher Ansatz muß „oberhalb" der Details streitiger (verfassungs-) rechtlicher Einzelfragen und doch im Rahmen und nach Maßgabe des materiellen Verfassungsrechts der Bundesrepublik argumentieren. Er muß die reale Gesetzgebungswirklichkeit mit den normativen Ansprüchen des Rechts verknüpfen. Er muß die informalen Regeln, die das Verfassungsrecht ergänzen, mitberücksichtigen (und darf schon deshalb keine interdisziplinären Berührungsängste haben). Er darf dabei das Ziel, Lehren für „gute" Gesetze und Gesetzgebungsprozesse zu erarbeiten, nicht aus dem Auge verlieren, ohne daß eine Gesetzgebungslehre jemals zu einer kanonisierten Handreichung für inhaltlich „gute" Gesetze werden könnte. b) Politische Neutralität der Gesetzgebungslehre
Eine solche Gesetzgebungslehre muß zudem (partei-)politisch neutral sein. Sie hat zunächst eine dienende Funktion für den politischen Entscheidungsprozeß. Sie hat die politischen Wertvorstellungen und „rationalitätsmindernden" Kompromisse der Politik entsprechend den getroffenen Entscheidungen zu respektieren und zuvor in verfahrensmäßiger, begrenzt auch in inhaltlicher Richtung zu optimieren. Jede Form von Gesetzgebungslehre beraubt sich ihrer praktischen Möglichkeiten, wenn sie als Ersatzpolitik auftreten will. Eine Beachtung dieses (partei-)politischen Primats schließt nicht aus, daß der Rationalitätsanspruch der Gesetzgebungslehre bestimmte Politikfolgen als schlecht erweisen und damit kritisierbar machen kann. Aber die politischen Akteure und die Eigengesetzlichkeiten des politischen Prozesses entziehen sich ohnehin den äußeren Rationalitätsmaßstäben der Wissenschaft; das gälte erst recht, wenn diese in Verdacht gerät, eigene Vorstellungen von Sachgerechtigkeit an die Stelle der demokratischen Politik zu setzen 113 . Die primäre Aufgabe von 111
O. Triffterer, GedS für H. Schröder, 1978, S. 521. O. Triffterer, a. a. O., S. 522, im Anschluß an J. Rödig, in: ders. (Hg.), Studien (Fn. 20), S. 47. 113 S. W. Zeh, JbRSoz 12 (1988), MS. 1 f. 112
5. Methodische Folgerungen für den Fortgang der Untersuchung
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Politikern, Entscheidungen unter Unsicherheit zu treffen und zu verantworten, bleibt nur bei einem Verständnis von Gesetzgebungslehre gewahrt, das wissenschaftliche Rationalitätsanforderungen, z.B. im Rahmen von Wirksamkeitsforschungen, als Hilfsmittel und Angebot an die verantwortlichen Politiker versteht 114 , nicht aber (in der Tradition eines Aufgeklärten Absolutismus) heimlich ein gesetzgeberisches Philosophenkönigtum anstrebt 115 . Eine Verbesserung der Rationalität der Gesetzgebung hat von vornherein die Strukturen des Gesetzgebungsverfahrens und die Eigengesetzlichkeiten der Politik zu beachten. 5. Methodische Folgerungen für den Fortgang der Untersuchung Der gegenwärtige Stand der Gesetzgebungswissenschaft ermutigt zu einer empirischen Bestandsaufnahme der Gesetzgebungspraxis. Die Gesetzgebungslehre leidet weniger an Theorie-Defiziten als am Fehlen gesicherten empirischer Erkenntnisse. Für diese Bestandsaufnahme ist es unmöglich, sämtliche Gesetze der 9. WP empirisch hinsichtlich aller wichtigen veröffentlichten Quellen und zentralen informellen Weichenstellungen zu analysieren; solches ist nur bei Fallstudien zu einzelnen Gesetzen möglich. Die nachfolgende Darstellung beschränkt sich in ihrer empirischen Analyse schwerpunktmäßig auf allgemein zugängliche, veröffentlichte Gesetzesmaterialien (systematisch vor allem Entwurfsbegründungen und Ausschußberichte, im Einzelfall auch Plenumsanträge, vereinzelt Ausschußprotokolle, Debatten usw.). Ein solches Verfahren sucht den Nachteil von Fallstudien zu einzelnen Gesetzen oder Gesetzgebungsbereichen 116 zu vermeiden, deren Verallgemeinerbarkeit sich stets unter Hinweis auf die Singularität des Falles und die ganz anders gearteten Verhältnisse bei anderen Gesetzen oder Sachbereiche anzweifeln läßt. Es versucht vielmehr 114
Vgl. W. Zeh, a. a. O., MS. 3. Vgl. zu diesen aufklärungsphilosophischen Traditionen W. Schneiders, Der Staat 24 (1985), 383 (384, 387, bes. 401 ff.); s. a. parallel gegen eine Verfassungsinterpretation als Politikersatz R. Wahl, NVwZ 1984, 401 (407). Die Konzeption eines „idealen Gesetzes" als Orientierungsgröße taugt auch nicht als Fiktion für eine Theorie der Verfassung realer Gemeinwesen, s. aber auch W. Hugger , Gesetze, S. 34; ferner A. Freibert, in: BAköV (Hg.), Praxis (Fn. 3), S. 27 ff. 115
116 S. dazu ausf. Nw. bei P. Schindler (Bearb.), Datenhandbuch zur Geschichte des Deutschen Bundestages 1949 - 1982, 1983, S. 721 ff.; ders. (Bearb.), Datenhandbuch zur Geschichte des Deutschen Bundestages 1980 bis 1984, 1986, S. 686 ff.,sowie bei H. J. Schröder, Gesetzgebung und Verbände, 1976, S. 15 (Fn. 8); s. ferner als neuere Fallstudien zu einzelnen Gesetzen bzw. Gesetzgebungsbereichen etwa: P. Nahamowitz, Gesetzgebung in den kritischen Systemjahren 1967 — 1969,1978; J. Schlicht, Verrechtlichung der Gesetzgebung, 1982 (Vergleich EStG 1950 mit EStG 1977); s. ferner S. Scheerer, Die Genese der Betäubungsmittelgesetze in der Bundesrepublik Deutschland und in den Niederlanden, 1982; M. Ellwardt, Demokratischer Staat, Verbändestaat, Staat der Monopole?, 1983 (zum GWB); G. Müller-List (Bearb.), Montanmitbestimmung, 1984; C. Lüdemann, Gesetzgebung als Entscheidungsprozeß. Zur Normgenese der strafrechtlichen Regelung zur Strafaussetzung bei lebenslanger Freiheitsstrafe, 1986; s. a. aus dem Bereich des Landesrechts zuletzt B. Becker, BayVBl. 1985, 641 ff.
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II. Wege und Ansätze einer Gesetzgebungswissenschaft
„querschnittsartig" verallgemeinerungsfahige Aussagen am Beispiel einer Wahlperiode als „Stichprobe". Dieser Vorteil wird unvermeidbar erkauft mit einer gewissen Verkürzung der Tiefendimension bzw. des Detaillierungsgrades der Analysen zugunsten einiger eher grundsätzlicher Fragestellungen. Dieses Verfahren nimmt den Einwand hin, es werde das gedruckte Selbstverständnis der Verfasser von Gesetzesmaterialien für bare Münze genommen. Diese Begrenzung der Erkenntnismöglichkeiten läßt sich nicht nur mit (ohnehin zwingenden) pragmatischen Gründen rechtfertigen. Unter der Voraussetzung, daß der „schriftliche Gesetzgeber" nicht systematisch, sondern zufallig reale Probleme verzerrt, wird man auch methodologisch im Einzelfall untypische Abweichungen im Gesetzgebungsverfahren im Gesetzesvergleich insgesamt eher vernachlässigen können. Die (vom Ausschuß gebilligten) Ausschußberichte etwa werden in gewissem Umfang auch ein konzentriertes Abbild von Wesentlichem enthalten. Problematischer ist der Einwand, das „Eigentliche" am Gesetzgebungsverfahren im parlamentarischen Parteienstreit lasse sich geschriebenen Texten nicht entnehmen. Selbst wenn dem so wäre, so läßt sich dieses — erstens — bei Inhaltsanalysen nicht vermeiden; der Einwand formuliert keine Forschungsalternativen, sondern unvermeidbare Vorbehalte aus der Perspektive des „informalen Verfassungsstaates" gegenüber zu weitgehenden Folgerungen. Zweitens läßt sich allein schon den Ausschußberichten in einer Querschnittsanalyse, möglicherweise auch nur „zwischen den Zeilen", doch viel mehr Typisches jenseits des jeweils konkreten Sach- bzw. Regelungsgehaltes entnehmen, als gemeinhin vermutet wird. Schließlich gibt es eine „geheime" Logik hinter dem Rücken der beteiligten Gesetzgebungs-Akteure, die zwar nicht deren subjektiv bewußtes Selbstverständnis trifft, aber doch der objektivierten theoretischen Erfassung des Gesetzgebungsprozesses angemessen ist. Die Fruchtbarkeit eines solchen Vorgehens läßt sich nur ex post, durch den praktischen Versuch, belegen.
Β. Erscheinungsformen der Gesetze — am Beispiel der Praxis des 9. Deutschen Bundestages III. Probleme einer Typologie der Gesetze Voraussetzung für theoretische Einsichten in zentrale Wesensmerkmale verfassungsstaatlicher Gesetzgebung unter dem GG ist eine empirische Analyse der tatsächlichen Gesetzgebung anhand ausgewählter theoretischer Gesichtspunkte 1 . Die Vielfalt der Gesetze erscheint als deutlich strukturierbar. Die Gesetze lassen sich nach charakteristischen Merkmalen ordnen, die die Gesetzgebung des 9. Deutschen Bundestages insgesamt typologisch aufbereiten. 1. Der Sinn einer typologischen Betrachtung der Gesetze Eine solche typologische2 Aufbereitung der Gesetze läßt nach dem Sinn einer Typologie fragen. Man wird in Betonung der systematisch-dogmatischen Aufgabe einer Typologie deren Erarbeitung (nur) von ihrer „rechtlichen Relevanz" abhängig machen dürfen 3 , doch wird damit zirkulär auf einen veränderlichen Bezugspunkt verwiesen. Rechtliche Relevanz läßt sich nicht immer ex ante typisierend bestimmen4. Die „Typen" der Gesetzgebung etwa konstituieren selber erst (verfassungs-)rechtliche Bedeutung (Beispiel: die verfassungsrechtlichen Probleme der „Artikelgesetze"). Zudem sprengt eine nicht von den Vorgaben eines vorfindlichen dogmatischen Systems, sondern von der Vielfalt der Wirklichkeit ausgehende und interdisziplinäre Betrachtungsweise eine systematische Vor-Verengung 5. 1 Vgl. ähnlich schon T. Ellwein/A. Görlitz, Parlament und Verwaltung, 1. Teil: Gesetzgebung und politische Kontrolle, 1967, S. 98. 2 Diese Typologie ist keine Konzeption von „Typen" i. S. von Rechtsbegriffen, die sich ihrer logischen Struktur nach von klassifikatorischen Begriffen unterschieden; ein derartiger Anspruch, der eine Undefinierbarkeit von Typenbegriffen behaupten würde, ließe sich nicht halten, vgl. H.-J. Koch/ Η. Rüßmann, Juristische Begründungslehre, 1982, S. 73 ff.; ausf. L. Kuhlen, Typuskonzeptionen in der Rechtstheorie, 1977, zsfssd. S. 160 ff. 3 So ζ. B. F. Ossenbühl, Verwaltungsvorschriften und Grundgesetz, 1968, S. 278; s. a. H. F. Zacher, VVDStRL 25 (1967), 308 (332 ff., 336). 4 Für F. Ossenbühl a. a. O. waren etwa Fragen der Außenwirkungen von Verwaltungsvorschriften und der rechtlichen Dichte der Selbstbindung der Verwaltung „klassische" Themenvorgaben, vgl. S. 250ff., 282ff., mit 502ff., 544ff. 5 Eine solche liegt den „Gesetzestypen" (für die verfassungsgerichtliche Normenkontrolle in Österreich) bei H. Haller, Die Prüfung von Gesetzen, 1979, S. 78ff., 94ff. zugrunde.
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III. Probleme einer Typologie der Gesetze
Die hier angestrebte, oft geforderte 6 Typologie orientiert sich am schlichten Motiv, die Vielfalt der gesetzlichen Wirklichkeit nach sachlich heterogenen Gesichtspunkten zu ordnen, auch wenn deren rechtliche Relevanz ζ. T. nur eine mittelbare ist. Bestimmte einzelne Merkmale (Erscheinungsformen), deren Häufigkeit auffallt, werden als Charakteristikum unterschiedlicher Gesetze herausgearbeitet. Diese Merkmale sind nicht stets auf derselben sachlichen Ebene angeordnet und müssen einander nicht stets logisch oder systematisch ausschließen7. Gerade darin liegt die Logik der Typologie: eine unübersehbare sachliche Vielfalt unter verschiedenen Fragestellungen induktiv zu ordnen, wenn sich nur diese Fragestellungen bzw. die charakterisierende Begrifflichkeit als zweckmäßig erweisen 8. Sie kann dazu anregen, die einzelnen Argumentationsebenen logisch auseinanderzuhalten 9. Fehlt es an der Evidenz solcher Zweckmäßigkeit, bedarf sie — im Vorgriff auf spätere Explikationen — näherer Begründung. Auch die folgende Bestandsaufnahme der bisherigen Gesetzesklassifikationen ist von solchen Zweckmäßigkeitsüberlegungen geleitet. Sie verzichtet damit von vornherein auf den rechtsdogmatischen Anspruch, „den" Begriff des Gesetzes aus dem Text des GG zu ermitteln 10 . Verfassungen sind keine Definitionsurkunden; ihre Begriffe können nicht ohne Bezug zur Wirklichkeit, oft nicht ohne Rückgriff auf einfaches Gesetzesrecht mit Inhalt gefaßt werden 11 (oder aber die formalisierten Begriffe sind von fragwürdigem Erkenntniswert). Die begriffliche und klassifikatorische Bestandsaufnahme im grundgesetzlichen Selbstverständnis (2.) wie im juristischen Schriftum (3.) offenbaren eine außerordentliche Vielfalt von Begriffen. Sie wollen auf unterschiedlichem Abstraktionsniveau jeweils bestimmte Eigenarten eines Gesetzes als typisch hervorheben. Sie knüpfen entweder an unterschiedliche Funktionen oder 6 S. schon W. Hoppe, DÖV 1965, 546 (547, Fn. 10); M. Kloepfer, Der Staat 13 (1974), 457 (459). 7 Die zwölf verschiedenen, phänotypisch und/oder funktional gefaßten typologischen Verwendungsformen des „öffentlichen Interesses" in Gesetzen i. S. von P. Häberle, Öffentliches Interesse als juristisches Problem, 1970, S. 32 ff. schließen nicht alle einander logisch aus (ebd. S. 78 f.), sondern können sich ergänzen (vgl. S. 274ff. zur Parallele in der Rechtsprechung); s. auch M. Stolleis, VerwArch 65 (1974), 1 (11 f., 16,26); am Bsp. von § 1 BBauG H. Schulze-Fielitz, Sozialplanung (Fn. 1/72), S. 297 f. 8
S. zur Logik und Methodik der Typenbildung F.-X. Kaufmann/ Β. Rosewitz, in: R. Mayntz (Hg.), Implementation I I (Fn. 11/28), S. 25 (27ff.); auch G. F. Schuppert, Die Erfüllung öffentlicher Aufgaben durch verselbständigte Verwaltungseinheiten, 1981, S. 5 ff. 9 S. a. G. F. Schuppert, VerwArch 71 (1980), 309 (310). 10 Vgl. aber ζ. Β. N. Achterberg, DÖV 1973, 289 (289f.). 11 Grundlegend hierzu P. Lerche, Übermaß und Verfassungsrecht, 1961, S. 99ff.; P. Häberle, Die Wesensgehaltgarantie des Art. 19 Abs. 2 G G (1962), 3. Aufl. 1983, S. 167 ff.; W. Leisner, Von der Verfassungsmäßigkeit der Gesetze zur Gesetzmäßigkeit der Verfassung, 1964, S. 5, 56, pass.; s. auch Η. Schulze-Fielitz, DVB1. 1982, 328 (333 f.) m. w. Nw.; a. A. für den Begriff des Gesetzes N. Achterberg, a. a. O., S. 290.
2. Begriffliche Vorgaben des Grundgesetzes
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Sachstrukturen eines Gesetzes an, oder sie entsprechen den einzelnen Ansätzen der Gesetzgebungswissenschaft. 2. Begriffliche Vorgaben des Grundgesetzes Dem Grundgesetz selber oder seinem (Kon-)Text sind bestimmte Gesetzestypen bekannt, die die wissenschaftliche Diskussion prägen, auch wenn sie nicht immer terminologisch ausdrücklich so genannt werden. a) Einzelbereichsgesetze
Das GG verweist oft konkret auf sehr spezielle Gesetze, deren Benennung unmittelbar auf solche inhaltlichen Vorgaben des GG zurückgeführt werden können. Verfassungsrechtstechnisch sind diese Bezüge zwischen GG und einfachen Gesetzen unterschiedlich ausgeformt 12 ; sie lassen sich als „Verfassungskonkretisierung" bündeln. So gibt es eine Reihe unmittelbarer Einzelbereichsgesetze. Das Grundgesetz sieht sie ausdrücklich vor; für den Gesetzgeber waren sie begriffsprägend. Ein Bundesgesetz regelt mit umfassenden Anspruch die Einzelheiten einer bestimmten Verfassungsbestimmung „näher" 1 3 , auch wenn sich ein solcher Regelungsanspruch in verschiedenen (bereits bestehenden) Gesetzen niederschlägt 14. Solche „Einzelsachbereichsgesetze" gibt es auch, ohne daß ein Gesetz im Verfassungstext ausdrücklich vorgesehen ist 1 5 . Mitunter werden derartige 12 Es gibt unmittelbar „zwingende" Gesetzgebungsaufträge oder Formeln wie „Das Nähere regelt eines (Bundes-)Gesetz"; der Bundesgesetzgeber „kann" oder er „muß" regeln usw. — auf diese Umterschiede kommt es hier nicht an. 13 Genannt seien Art. 12a I I 3 GG i. V. m. ZivildienstG i. d. F. vom 24. 2. 1983 (BGBl. I, 179); Art. 26 I I 2 G G i. V. m. Gesetz über die Kontrolle von Kriegswaffen v. 20. 4. 1961 (BGBl. I, 444); Art. 45b S. 2 GG i. V. m. Gesetz über den Wehrbeauftragten des Deutschen Bundestages i. d. F. v. 16. 6. 1982 (BGBl. I, 678); Art. 45 I I G G i. V. m. Gesetz über die Befugnisse des Petitionsausschusses des Deutschen Bundestages v. 19. 7. 1975 (BGBl. I, 1921); Art. 48 I I I 3 GG i. V. m. Gesetz zur Neuregelung der Rechtsverhältnisse der Mitglieder des Deutschen Bundestages v. 18. 2. 1977 (BGBl. I, 297); Art. 54 V I I GG i. V. m. Gesetz über die Wahl des Bundespräsidenten durch die Bundesversammlung v. 25. 4. 1959 (BGBl. I, 230); Art. 94 I I 1 GG i. V. m. Gesetz über das Bundesverfassungsgericht i. d. F. der Bek. v. 3. 2. 1971 (BGBl. 1,105); Art. 95 I I I GG i. V. m. Gesetz zur Wahrung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung der obersten Gerichtshöfe des Bundes v. 19. 6. 1968 (BGBl. I, 661); Art. 135 V G G i. V. m. Rechtsträgerabwicklungsgesetz v. 5. 9. 1965 (BGBl. 1,1065); Art. 135 V I 2 GG i. V. m. ReichsvermögensG v. 15. 6. 1961 (BGBl. I, 597); s. auch Art. 131 G G i. V. m. Gesetz zur Regelung der Rechtsverhältnisse der unter Art. 131 des Grundgesetzes fallenden Personen i. d. F. v. 13. 10. 1965 (BGBl. I, 1686). 14 Vgl. Art. 6 V GG i. V. m. Gesetz über die rechtliche Stellung der nichtehelichen Kinder v. 19. 8. 1969 (BGBl. I, 1243). 15 S. Art. 88 i. V. m. Gesetz über die Deutsche Bundesbank v. 26. 7. 1957 (BGBl. I, 745); Art. 95 I I i. V. m. RichterwahlG v. 25. 8. 1950 (BGBl., 368).
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III. Probleme einer Typologie der Gesetze
spezielle, sachlich mehrspurige Verfassungsregeln in mehreren, sachangemessen getrennten Gesetzen „näher" ausgefüllt, obwohl der Verfassungswortlaut ζ . T. nur ein Gesetz nahezulegen scheint 16 ; oder eine ursprüngliche EinzelfragenRegelung wird später in anderen Gesetzen wesentlich ergänzt 17 . Gelegentlich werden verschiedene Verfassungsdirektiven in einem Gesetz vereinigt konkretisiert 18 . Der Umstand, daß schließlich manche solcher Verfassungskonkretisierungen als Teilregelung in einem umfassenderen Gesetzeswerk erscheinen 19, belegt nicht nur eine gewisse historische Zufälligkeit der Gesetzgebung aufgrund von speziellen inhaltlichen Verfassungsdirektiven. Er verdeutlicht das Fehlen jeglicher typenbildenden Kraft dieser „Einzelbereichsgesetze". Es gibt ζ . B. keine „Rechnungshofgesetzgebung", die mehrere unterschiedliche Gesetze umgreift; selbst in rechtspolitischem, rechtsgeschichtlichem oder rechtsvergleichendem Zusammenhang zeigt der Nichtgebrauch solcher abstrahierenden Begriffe 20 die Singularität dieser Einzelbereichsgesetze21. Indiz für diese „Zufallsstruktur" ist auch der Umstand, daß eine Reihe solcher Normen noch nicht zu einem Konkretisierungsgesetz geführt haben 22 . 16
Vgl. Art. 21 I I I GG i. V. m. ParteienG v. 24. 7. 1967 (BGBl. I, 773) i. d. F. v. 21. 12. 1979 (BGBl. I, 2358) und §§ 13 Nr. 2, 43ff. BVerfGG; Art. 38 I I I G G i. V. m. Gesetz zur Neuregelung der Rechtsverhältnisse der Mitglieder des Deutschen Bundestages v. 18. 2. 1977 (BGBl. 1,297) und Bundeswahlgesetz i. d. F. v. 7. 12. 1982 (BGBl. 1,1613); Art. 41 I I I G G i . V. m. WahlprüfungsGi. d. F.v.24. 6. 1975(BGB1.1,1593)w«rf§§13Nr. 3, 14, 48 BVerfGG; Art. 89 I I 2 GG i. V. m. Gesetz über die Aufgaben des Bundes auf dem Gebiet der Binnenschiffahrt vom 15. 2. 1956 (BGBl. II, 317) und Gesetz über die Aufgaben des Bundes auf dem Gebiet der Seeschiffahrt i. d. F. v. 30. 6. 1977 (BGBl. I, 1314); Art. 91a I I - IV GG i. V. m. drei Gesetzen über die Gemeinschaftsaufgabe Ausbau und Neubau von Hochschulen einschließlich der Hochschulkliniken (i. d. F. v. 21. 1. 1976, BGBl. I, 185), Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur (i. d. F. v. 23. 12. 1971, BGBl. 1,2140) sowie Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes (i. d. F. v. 23. 12. 1971, BGBl. I, 2140). 17 Vgl. z. B. Art. 114 I I 3 G G i. V. m. Gesetz über die Errichtung und Aufgaben des Bundesrechnungshofes v. 27. 11. 1950 (BGBl. I, 765) und® 88ff., 119 I I BHO. 18 Vgl. z. B. Art. 29 V I 2 und V I I 2 GG i. V. m. Gesetz über das Verfahren bei Volksentscheiden, Volksbegehren und Volksbefragung v. 30. 7. 1979 (BGBl. I, 1317); Art. 98 I und I I I 2 G G i. V. m. Deutsches Richtergesetz i. d. F. v. 19. 4. 1972 (BGBl. I, 713); Art. 12a I I I - V I GG i. V. m. Gesetz zur Sicherstellung von Arbeitsleistungen für Zwecke der Verteidigung einschließlich des Schutzes der Zivilbevölkerung v. 9.1. 1968 (BGBl. I, 787). 19 Vgl. Art. 87d I I GG i. V. m. § 31 I I LuftverkehrsG i. d. F. v. 14. 1. 1981 (BGBl. I, 61); Art. 87c GG i. V. m. § 24 I 1 AtomG i. d. F. v. 31.10.1976 (BGBl. I, 3053); Art. 4 I I I GG i. V. m. § 26 WehrpflichtG i. d. F. v. 8. 12. 1972 (BGBl. I, 2277). 20 Vgl. am Bsp. der Rechnungshofgesetzgebung H. H. v. Arnim, DVB1. 1983, 664 (671 ff., 675); K. Wittrock, DVB1. 1983, 883 (886); ders., DÖV 1984, 649ff. 21 Das gilt selbst für die „Wahlgesetzgebung", die—trotz der ausdrücklichen Nennung in Art. 137 I I G — wohl nur (verfassungs-)rechtsvergleichend verwendet wird; s. auch Lastenausgleichsgesetzgebung (Art. 120a I GG); Friedensschlußgesetze (Art. 1151 I I I GG). 22 Vgl. Art. 96 I I 3 (Wehrstrafgerichtsbarkeit); Art. 104a V 2 (Behördenhaftung von Bund und Ländern); Art. 140 GG i. V. m. Art. 138 I 2 WRV (Staatsleistungen an
2. Begriffliche Vorgaben des Grundgesetzes
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b) Sachliche Regelungsgebiete
Auch die Regelungsgebiete in abstrahierender Form, die sich entweder gemäß einem materialen Kompetenzverständnis 23 aus den mittelbaren Gesetzgebungsaufträgen der Gesetzgebungsbefugnisse aus Art. 72ff. GG (z.B. Art. 74 Nr. 11 GG: „Wirtschaftsgesetzgebung", besonders „Handwerksrecht" usw.) oder speziellen Regelungsaufträgen 24 ergeben, scheinen als solche keine „Typen" zu kennzeichnen. Die Gebiete sind im Verhältnis zueinander und in sich sehr heterogen; schon die Terminologie der Verfassung ist uneinheitlich (vgl. Art. 36 I I „Wehrgesetze" gegenüber Art. 17a GG: Gesetz über Wehrdienst bzw. zur Verteidigung). Ferner lassen sich konkrete einzelne Gesetze in ihren unterschiedlichen Teilen oft auf mehrere Kompetenzbestimmungen zurückführen. Der Grund für das Fehlen solcher typisierenden Kraft liegt kaum darin, daß es keine „gesetzesfesten" Materien gibt, deren Regelung dem Parlament prinzipiell entzogen wäre 25 . Denn dieser Umstand erlaubt nicht den Schluß auf die Bedeutungslosigkeit des Regelungsgebietes: Art und Ausmaß einer gesetzlichen Regelung könnten gebietsspezifisch variieren. Die Abgrenzung der Gebiete richtet sich indessen nicht nach den begrifflichen Vorgaben der Verfassung, sondern nach den Eigenarten der zugrundeliegenden Sachstrukturen. Diese müssen sich nicht mit den kompetenzrechtlichen Verfassungsbegriffen decken. Nur insoweit vom GG vorgesehene Regelungsgebiete derartige sachliche Eigenarten bündeln, könnten sie typenbildende Kraft entfalten. c) Vom Grundgesetz vorausgesetzte Gesetzestypen
Dennoch setzt das G G verschiedene Gesetzestypen voraus. Es kennt außer sich selbst als „Grundgesetz" (von der Präambel angefangen, zuletzt in Art. 146 G G 2 6 ) namentlich „allgemeine" Gesetze (Art. 5 II; 191 GG; s. auch Religionsgesellschaften).- Eine andere Frage ist, ob das Haushaltsgesetz als Ersatz für eine Rechtsgrundlage ausreicht: so für die personellen und materiellen Vorbereitungsmaßnahmen für eine Wehrstrafgerichtsbarkeit der Petitionsausschuß des Bundestages, zit. nach B. Schulz, ZRP 1984, 131 (132f.). 23 Vgl. dazu in Fortschreibung von BVerfGE 4, 7 (13, 15); 12, 45 (50) bes. H. Ehmke (1961), jetzt in: ders., Beiträge (Fn. 1/130), S. 208 (230f., 235f., 361 f.); H. W. Bayer, Die Bundestreue, 1961, S. 60ff.; C. Pestalozza, Der Staat 2 (1963), 425 (439f.); zuletzt A. Bleckmann, DÖV 1983, 129ff., 808f.; krit. A. Menzel, DÖV 1983, 805ff. 24 Z. B. Art. 8 II; 74 Ziff. 3 GG mit dem „Versammlungsrecht", bes. also dem VersammlungsG v. 24. 7. 1953 (BGBl. I, 684) und den Bannmeilengesetzen; Art. 12a I; 17a I und II; 87a I; 87b I I G G i. V. m. der „Verteidigungsgesetzgebung", bes. also WehrpflichtG, SoldatenG usw.; Art. 137 I I G G i . V. m. Wahlgesetz v. 15. 6. 1949 (BGBL, 21) i. d. F. v. 5. 8. 1949 (BGBL, 25); s. a. Art. 7 IV GG i. V. m. der „Privatschulgesetzgebung" der Länder. 25 So N. Achterberg, DÖV 1973,293, freilich bezogen auf den Gesetzestegnjff des GG. 26 Vgl. ferner Art. 23 S. 1; 28 I 1; 30; 37 I; 56 S. 1; 61 I 1 und I I 1; 70 I und II; 79 I 1 und 2, III; 80a 11; 81 IV; 83; 87a II; 92; 93 I Ziff. 1,2 und 5; 100 I 2, III; 117 I; 121; 122 I; 127; 134 I I 1; 135 I, VII; 139; 140; 142; 144 I; 145 I und I I GG.
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III. Probleme einer Typologie der Gesetze
Art. 103 I I I GG), „für alle geltende" Gesetze (Art. 140 GG i. V. m. Art. 137 I I I 1 WRV), „förmliche" Gesetze (Art. 104 I 1; s. auch 59 I I 1 GG); „Geldleistungen gewährende" Gesetze (Art. 104a I I I 1 GG); Bundesgesetze (z. B. Art. 4 III; 135 V I G G 2 7 ) , Landesgesetze (z. B. Art. 7 IV; 140 GG i. V. m. Art. 138 11 W R V 2 8 ) , ja sogar „das Sittengesetz" (Art. 2 I GG). Ferner lassen sich kategorial ablesen: Einzelfallgesetze (Art. 191 GG), Eingriffsgesetze (Art. 2 I I 3; 13 III; s. auch 87b I 4 GG), Schutzgesetze (Art. 5 II; 11 II; 73 Ziff. 1 und 9; 74 Ziff. 5, I I a , 12, 17, 20; 75 Ziff. 3; 140 GG i. V. m. 139 WRV), vor- und fürsorgende Gesetze (Art. 74 Ziff. 7, 10, 12; 74a I GG) und fördernde Gesetze (Art. 74 Ziff. 13, 17, 19a GG), beschränkende Gesetze (Art. 8 II; 10 I I 1; 11 II; 13 III; 14 I 2; 19 I 1 GG; s. auch Art. 104 I 1 GG), gefahrenabwehrende Gesetze (Art. 11 II; 13 III; Art. 73 Ziff. 10; 74 Ziff. I I a , 16,19 GG), eigentumsinhaltsbestimmende Gesetze (Art. 1412 GG), Vertragsoder Zustimmungsgesetze (Art. 59 I I 1 GG); Organisationsgesetze (Art. 86 S. 2; 87 I 2, I I I G G 2 9 ) , Rahmengesetze (Art. 75; 98 I I I 2 GG), Grundsatzgesetze (Art. 91a I I 2; 109 I I I 1 GG; s. auch Art. 75 Ziff. la; 140 GG i. V. m. 138 I 2 WRV), Haushaltsgesetze (Art. 104a IV 2; 110 I I - IV GG), finanzwirksame Gesetze (Art. 113 I 1, 2 GG), „notstandsfeste" Gesetze (Art. 115e I I i.V.m. Art. 24 I, 29 GG; s. auch Art. 115g GG), Ermächtigungsgesetze (Art. 129 III; s. auch Art. 71 G G 3 0 , ferner 119 GG), Aufhebungsgesetze (Art. 117 I I GG), „Befreiungsgesetze" (Art. 139 GG), verfassungsändernde Gesetze (Art. 79 I, I I GG; s. auch Art. 81 IV, 115e I I 1 GG). Die Akzentsetzungen im Text des GG lassen ferner das Gesetz begrifflich als Formtyp Parlamentsgesetz erkennen (vor allem, wenn es heißt: „durch Gesetz", zumal in Parallele zu „oder auf Grund eines Gesetzes", ferner „förmliches Gesetz", ζ . T. auch „durch Bundesgesetz": von Art. 6 I I I bis 137 I G G 3 1 ) , im 27 Vgl. bes. Art. 37 I; 77 I 1; 83; 100 I 2 GG; ferner: Art. 21 III; 26 I I 2; 29 I I 1, IV, V 3 und 4, V I 2, V I I 1 und 2; 38 I I I ; 41 III; 45b S. 2; 45c II; 48 I I I 3; 54 VII; 59 I I 1; 61 I 1, I I 1; 71; 72 II; 74a I I und III; 80 II; 80a I 1; 84 I, III, IV 1 und V 1; 85 I; 87 I 2, I I I 1; 87b I 3, I I 1; 87d II; 91a I I 1; 93 II; 94 I I 1; 95 I I I 2; 96 I I 3, V; 98 I; 100 I 2; 104a I I I 1, IV 2 und V 2; 105 III; 106 I I I 3, IV 2, V 2 und V I 5; 107 I 2 und 4; 108 I 1, 2, I I 2, IV 1, V I , 2 und VI; 109 III, IV 1 und 4; 112 S. 3; 114 I I 3; 115 11,3,11; 115c I I - I V ; 115k I I I 2; 115 1 III; 117 II; 118 S. 2; 119 S. 1; 120 I 1 - 3; 123 I und II; 131 S. 1 und 3; 134 IV; 135 I V - V I GG. 28 Vgl. ferner Art. 72 II; 93 I Ziff. 4b; 98 I I I 1; 99; 100 I 2; 106 V I 1, 6, V I I 1 und 2; 123 II; 135 VII; 140 GG i. V. m. 137 V I I I WRV. 29 S. auch Art. 87b I 3 und 4, II; 87c; 87d II; 108 I 2, I I 2, IV 1, V 1 und 2, V I 1 GG. 30 Vgl. W. Rudolf AöR 88 (1963), 159 (177). 31 S. ferner Art. 8 II; 11 II; 12 I 2; 12a I I I 1, IV, V 2 und V I 1; 14 I I I 2; 15 S. 1; 16 I 2; 19 I 1; 24 I; 25 S. 2; 29 I I 1, IV, V 3 und V I I 1; 37 I; 59 I I 1; 60 I; 61 I 1, I I 1; 71; 77 I I 4, I I I 1; 78; 80 I 1; 81 I I 1; 82 I 1 und 2, I I 1; 89 I I 2; 97 I I 1; 100 I 1; 101 II; 104 I 1 (zum Sonderproblem der Blankettgesetze: BVerfGE 14, 174, 186f.); 104a IV 2; 111 I und II; 115 I 1; 115 1 III; 116 I; 119 S. 1; 120 I 5; 121; 129 I I I ; 137 I GG; s. aber auch Art. 2 I I 3 (h. M., vgl. BVerfGE 22, 180, 219); 13 I I und I I I (h. M., vgl. E. Pappermann, in: I. v. Münch (Hg.), GG-K I, 3. Aufl. 1985, Art. 13/Rdn. 28 und 35 m. w. Nw.) u. a.
2. Begriffliche Vorgaben des Grundgesetzes
45
Unterschied zu einem Parlamentsgesetz mit bestimmtem Inhalt (vor allem, wenn es heißt: durch „ein [seil, einschlägiges, bestimmtes, näher regelndes] Bundesgesetz", und/oder wenn der Gesetzesinhalt vom GG bereits inhaltlich spezifiziert wird, vgl. zuerst Art. 4 I I I , zuletzt 134 IV G G 3 2 ) , sowie im Unterschied zum Gesetz als abstrakt-genereller rechtlicher Regelung über Parlamentsgesetze hinaus (Art. 3 I; 10 I I l 3 3 ; 14 I 2; 17a I, I I 3 4 ; 20 III; 28 I I 1, 2 3 5 ; 93 I Ziff. 4b; 97 I; 101 I; 103 II; 122 I; wohl auch 36 I I G G 3 6 ) . Auch läßt sich „Gesetzgebung" als Zugleich von Hervorbringungsprozeß und Gesetz(esprodukt) verstehen (vgl. z. B. Art. 1 I I I bis 135a G G 3 7 ) . Feinnervigspezielle dogmatische Kategorien wie ζ . B. „grundrechtsprägende" Gesetze lassen sich dem GG(~Text) zwar nicht entnehmen (vgl. aber z. B. Art. 4 I I I 2; 12 I 2; 14 I 2 GG); dafür aber solche wie die zustimmungsbedürftigen Gesetze im Gegensatz zu „bloßen" Einspruchsgesetzen (Art. 77 I I 4, I I I 3 8 ) . Im übrigen wird das Wörtchen „Gesetz" auch ohne inhaltlich aus sich heraus evidenten Begriffsgebrauch im Sinne eines äußeren Zuordnungsbegriffs verwendet, dessen Sinn sich aus dem zugeordneten Kontext ergibt 39 . Überdies kann auch das Adjektiv „gesetzlich" auf zentrale Parlamentsgesetze verweisen 40. 32 S. ferner Art. 12a I I 3; 21 III; 26 I I 2; 29 V 1,2 und 4, V I 2 und V I I 2; 38 III; 41 III; 45b S. 2; 45c II; 48 I I I 3; 54 VII; 91a II, I I I 1, IV 3; 93 II; 94 I I 1; 95 I I I 2; 96 I I 3, V; 98 I; 104 I I 4; 104a I I I 1, IV 2, V 2; 106 IV 2, 3, V 2 und V I 5; 107 I 2 - 4, II; 112 S. 3; 114 I I 3; 115 I 3, II; 115c I I - IV; 131, 134 IV GG, auch Art. 17a I und I I GG. 33 Wohl h. M., vgl. BVerfGE 33, 1 (12); P. Badura (1965), in: BonnKomm, Art. 10/Rdn. 45; a. A. (nur förmliche Gesetze): BVerwGE 6,299 (301); E. Pappermann, in: I. v. Münch (Hg.), GG-K I, Art. 10/Rdn. 21 m. w. Nw. 34 H. M., vgl. G. Dürig (1961), in: T. Maunz/G. Dürig, GG, Art. 17a/Rdn. 25. 35 H. M., vgl. W. Roters, in: I. v. Münch (Hg.), GG-K I, Art. 28/Rdn. 51; K. Stern (1964), in: BonnKomm, Art. 28/Rdn. 115 m. w. Nw.; zuletzt H. Faber, in: AK-GG, Art. 28 - Kommunalverfassung/Abs. 2/Rdn. 37; a. A. T. Maunz (1977), in: T. Maunz/G. Dürig, GG, Art. 28/Rdn. 51. 36
Schon dieser, keineswegs allein in Art. 3 I und 97 I GG auf auch nicht-parlamentarische Regelungsträger abstellende grundgesetzliche Sprachgebrauch verbietet es, den Gesetzesbegriff des GG vom Begriffsgebrauch im GG her zu bestimmen, vgl. etwa P. J. Tettinger, Rechtsanwendung (Fn. 1/117), S. 7 f.; anders wohl N. Achterberg, DÖV 1973, 292; vgl. auch K. Hesse, Grundzüge, Rdn. 507. 37 Vgl. ferner Art. 6 V; 20 I I und III; 32 III; 50; 70 I und II; 71; 72 I und II; 73; 74; 74a I; 79 III; 87 I I I 1 und 2; 97 I I 2; 105 I, I I und IIa; 115c I 1; 115d I; 122 II; 124; 125 GG. 38 Vgl. einerseits Art. 29 V I I 1 und 2; 74a I I und I I I (und IV); 84 I und V 1; 85 I; 87 I I I 2; 87b I 3 und 4, I I 1 und 2; 87c; 87d II; 91a I I 1; 96 V; 104a I I I 3, IV 2, V 2; 105 I I I ; 106 I I I 3, IV 2, V 2, V I 5; 107 I 2, 4; 108 I I 2, IV 1, V 2; 109 III, IV 1; 115c I 2, III; 115k I I I 2; 120a I 1; 134 IV; 135 V GG; andererseits z. B. Art. 29 I I 1, IV, V 3 und 4, V I 2; 87 I 2, I I I 1; 87b I 4, 2. Hbs.; 89 I I 2; 96 I I 3; 108 I 2, V 1, VI; 115 11 und 3, II; 115c II; 118 S. 2; 135 IV und V I GG. 39 Vgl. z. B. Art. 10 I I 3; 29 V 1 und 2; 74a IV 2; 81 IV; 87b I 4, 2. Hbs., I I 2; 87c; 91a I I 2, I I I 1; 104a I I I 2 und 3; 106 IV 3; 107 I 3, I I 1 und 2; 115d I I 3, III; 115g S. 2 und 3; 115 k; 116, 117 II, 121, 128 GG. 40 Vgl. z. B. Art. 104 I I 4 GG (betr. Freiheitsentzug nur aufgrund eines formellen Gesetzes).
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III. Probleme einer Typologie der Gesetze
Die Vielfalt der vom GG verwendeten oder nahegelegten Gesetzesbezeichnungen verweist darauf, daß die Bestimmung ζ. B. eines einheitlichen Gesetzesbegriffs allein schon dem Differenzierungsreichtum des GG selber nicht gerecht werden kann. 3. Begriffsprägungen in der wissenschaftlichen Diskussion Die Palette der grundgesetzlichen Vorgaben wird erheblich erweitert durch eine undisziplinierte Fülle von Gesetzeskennzeichnungen in der Literatur („babylonische Sprachverwirrung" 41 ). Gemeinsam ist ihnen, daß sie jeweils ein besonderes, vielleicht charakteristisches, jedenfalls vom Autor für wesentlich gehaltenes Merkmal hervorheben 42 . Die Vielfalt der Fragestellungen der Gesetzgebungswissenschaften und die elementaren Eigengesetzlichkeiten (Funktionen oder Sachstrukturen) jeder Gesetzgebung erscheinen hier gesetzestypisierend verallgemeinert; sie ergeben ein Raster zur Systematisierung. a) Rechtstheoretische Betrachtungsweisen
aa) Begrenzung auf Rechtsgesetze Die Erwähnung „des" Sittengesetzes (vor allem in Art. 2 I GG im Kontrast zu den „Rechten" anderer und der verfassungsmäßigen Ordnung) verdeutlicht den Unterschied zu den hier allein thematisierten Rechtsgesetzen. Deren Durchsetzung ist auch gegen den Willen des einzelnen grundsätzlich erzwingbar; für die ethischen Imperative des Sittengesetzes gilt das nur, wenn und insoweit sie rechtlich inkorporiert worden sind 43 , es sei denn, man bezieht auch Normen religiöser Art wegen ihres imperativen Kerns in den Begriff des Rechts ein 4 4 . Sittengesetze sind indessen keine Rechtsgesetze. Der Begriff des ,,-gesetzes" signalisiert lediglich den dauerhaften und insoweit im sozialen Wandel relativ stabilen Kern allgemeiner, je unterschiedlicher sanktionierbarer moralischer Fundamente 45 . M i t Rechtsgesetzen ist hier (im weiten Sinn von Art. 2 EGBGB) die Gesamtheit der staatlichen Rechtsnormen gemeint, deren Gemeinsamkeit, unabhängig von der Art ihrer Entstehung, ihre prinzipielle Durchsetzbarkeit mit 41 H. W. Kopp, Inhalt und Form der Gesetze 1,1958, S. 329; G. Roellecke, Der Begriff des positiven Gesetzes und das Grundgesetz, 1969, S. 23; L. Wildhaber, ZSchwR N. F. 941 (1975), 113 (117). 42 Vgl. auch die typisierenden Ansätze bei P. J. Tettinger, Rechtsanwendung (Fn. 36), S. 12ff.; P. Häberle (1972), in: ders., Verfassung, S. 445 (447 ff.); H. Höger, Die Bedeutung von Zweckbestimmungen in der Gesetzgebung der Bundesrepublik Deutschland, 1976, S. 70ff., 74ff.; P. Fricke/W. Hugger , Test 1 (Fn. 11/37), S. 16ff. 43 Vgl. A. Podlech, in: AK-GG, Art. 2 I/Rdn. 66. 44 So in der Tat W. Hirsch, Das Recht und die sozialen Gruppen, 1983, S. 4. 45 Zu den Schwierigkeiten einer näheren Bestimmung s. etwa I. v. Münch, in: ders. (Hg.), GG-K I, Art. 2/Rdn. 33 ff. m. ausf. Nw.; ausf. C. Starck, FS f. W. Geiger, 1974, S. 259 ff.
3. Begriffsprägungen in der wissenschaftlichen Diskussion
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Hilfe staatlicher Herrschaftsgewalt ist 4 6 . Damit sind auch Kirchengesetze und andere nicht-staatliche Gesetzeserscheinungen in dieser Arbeit weitgehend ausgeklammert. bb) Semantisch geschönte Gesetze Ohne typenbildende Kraft sind naturgemäß die vom Gesetzesinitianten erfundenen Titel eines Gesetzes. Sie umreißen den Inhalt oft nur ungenau oder verklärt, ζ . B. wenn sich hinter „Anpassungs-" 47 , „Verbesserungs-" 48 oder „Konsolidierungsgesetzen" 49 Leistungskürzungen verbergen 50 , oder die im Titel angegebenen und/oder auch angestrebten Ziele nicht notwendig auch erreicht werden. Dieser Sprachgebrauch wird nicht völlig zu Unrecht oft eher als „demagogische" Verschleierung angesehen51. Ein großer Teil jener Gesetze aus der 7. Wahlperiode (WP), die die Diskussion um die Normenflut ausgelöst haben, wurde (vereinzelt vom Gesetzgeber selber 52 , vor allem aber) in der öffentlichen Diskussion als „Reformgesetze" qualifiziert. Reformen in jenem sehr grundsätzlichen, gesellschaftstheoretischen Sinne, daß eine bestehende Rechtslage tiefgreifend umgewandelt wird und alte durch gänzlich neue Rechtsregeln ersetzt werden 53 , sind formal überwiegend daran erkennbar, daß nicht ein Gesetz novelliert, sondern kodifikatorisch neu gesetzt wird 5 4 . Aber auch grundsätzliche Neuerungen in Änderungsgesetzen lassen sich als Reform begreifen, namentlich bei Änderung der „großen" Kodifikationen. Der Begriff des Reformgesetzes hat sich aber unter dem Einfluß eines inflationären symbolischen Sprachgebrauchs so verflacht, daß angestrebte Teil-Verbesserungen schon im Titel des Gesetzes benannt (G. zur Reform..., G. zur Verbesserung...) und bereits dadurch zur „Reform" werden, obwohl es sich 46 Zu dieser „Erzwingbarkeitsthese" und ihren Schwierigkeiten, die sie mangels besserer Erklärungen nicht untauglich machen, s. etwa M. Rehbinder, Rechtssoziologie, 1977, S. 49 f., 96f. u. ö.; R. Zippelius, Rechtsphilosophie, 1982, S. 34 ff. 47 S. z. B. 11. AnpG-KO V; RAG 1982\ BBVAnpG 81; BBVAnpG 82. 48 S. 2. HStruktG; KVEG. 49 S. AFKG. 50 Beispiele bei Hans Schneider, Gesetzgebung, Rdn. 313. 51 S. z. B. J. Α. E. Meyer, DuR 13 (1985), 33 (36f.), dessen eigene Terminologie (S. 37: „Sozialabbau-Gesetze") der selben Politisierung mit umgekehrtem Vorzeichen entspringt. 52 S. bes. 4. StrafrechtsreformG v. 23. 11. 1973 (BGBl. I, 1725) betr. das Sexualstrafrecht; 5. StrafrechtsreformG v. 18.6.1974 (BGBl. I, 1297) betr. §218 StGB; 1. StrafverfahrensreformG v. 9. 12. 1974 (BGBl. I, 3393); GrundsteuerreformG v. 7. 8. 1973 (BGBl. 1,965); Erbschaftssteuer- und SchenkungssteuerreformG v. 17. 4. 1974 (BGBl. I, 933); VermögenssteuerreformG v. 17. 4. 1974 (BGBl. I, 949); EinkommensteuerreformG v. 5. 8. 1974 (BGBl. 1,1769); 1. EherechtsreformG v. 14. 6. 1976 (BGBl. I, 1421) betr. Ehescheidungsrecht. Bemerkenswerterweise hat der Gesetzgeber seitdem keines seiner Gesetze mehr offiziell zum „Reformgesetz" getauft. 53 S. näher unten bei Fn. 197ff. und Kap. IV/3. 54 So ζ. Β. E. Müller/W. Nuding, PVS 25 (1984), 74 (87).
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III. Probleme einer Typologie der Gesetze
um relativ geringfügige Änderungen bestehender Gesetze handelt. Nur die Semantik des Änderungsgesetzgebers führt hier zu einer „Reform" oder „Verbesserung". Solche Worthülsen entpolitisieren und verallgemeinern den Regelungsgehalt i. S. der Technik zur gesetzgeberischen „Deutungsherrschaft" 55 , die die Ziele des Gesetzes in seine Überschrift und damit für bare Münze nimmt. Eine rechtstheoretische Gemeinsamkeit kommt diesen unterschiedlichen Gesetzen aber nicht zu, denn die damit angesprochenen inhaltlichen Sachbereiche sind so heterogen wie die gesamte Gesetzgebungspraxis überhaupt. In diesem Sinne sind Verbesserungsgesetze (ζ . B. 2. HStruktG; KVEG), Beschleunigungsgesetze, Entlastungsgesetze 56 (z. B. HBeglG 1983), -förderungsgesetze (z. B. BerBiFG), Neuordnungsgesetze (ζ. B. BtMNG; KDVNG), Konsolidierungsgesetze (ζ . B. AFKG), Bekämpfungsgesetze (z. B. BillBG), Wiederbelebungsgesetze (ζ. B. HBeglG 1983), Vereinfachungsgesetze (ζ. B. LStPauschG), u. U. auch Erhöhungsgesetze (ζ . B. MErhAngG), Kostendämpfungsgesetze (s. ζ. B. auch KVEG) usw. über die programmatische Absichtserklärung hinaus ohne Aussagegehalt über den „eigentlichen" Charakter des Gesetzes57. Das gilt nicht nur für Begriffsprägungen des Gesetzgebers selber, sondern auch für solche Charakterisierungen, die bestimmte Gesetze wertend (dis-) qualifizieren wollen und dabei die Vielschichtigkeit einer Gesetzgebungskompetenz verfehlen können, ζ . B. Begrifflichkeiten wie „Reduktionsgesetzgebung" zum Abbau des Sozialstaates58. cc) Normlogische Verallgemeinerungen Rechts- bzw. normlogische Gesichtspunkte sind maßgeblich für Begriffsbildungen wie Kerfotegesetze 59, Schrankengesetze 60 (zur Schrankenziehung für 55
Vgl. F. Lachmayer, in: T. Öhlinger (Hg.), Methodik (Fn. 1/141), S. 250 (255 ff.). Typisierend (zur befristeten Teil-Reform der Verwaltungsgerichtsordnung) verwendet aber z. B. bei R. Naumann, FS f. H. P. Ipsen, 1977, S. 323 (332). 57 S. als „ideologieverdächtige" Beispiele aus der 9. WP: AFKG·, IL AnpG-KOV', BerBiFG; BeschäftFG; BillBG', HBeglG 1983; 2. HStruktG; KVEG; MErhAngG. So enthält das BillBG ζ. B. Vorschriften zur Einsparung von Ausgaben der Sozialversicherungsträger, die in keinem Zusammenhang mit dem Bekämpfungsziel stehen, s. dazu D. Marschall, NJW 1982,1363 (1363).- Auch eine prägende Kennzeichnung durch einen rechtstheoretisch aussagekräftigen Gesetzesnamen (ζ. B. „Leitsätzegesetz", vgl. W. Meng, DVB1. 1980, 613, 614) ist ohne klassiflkatorische Bedeutung über das einzelne Gesetz hinaus. 58 Vgl. G. Stahlmann, KJ 18 (1975), 171 (183).- Nicht anders die (wahlkampfpolitisch motivierte) Kritik, die jüngsten „Sicherheitsgesetze" werbender als Gesetze „zur Bekämpfung von Schwerstkriminalität" schon im Titel wertend „aufzuladen", vgl. Der Spiegel Nr. 10/1986, S. 30. 59 Ζ. Β. P. Noll, Gesetzgebungslehre, S. 183. 60 Z. B. W. Hoffmann-Riem, AöR 109 (1984), 304 (315). 56
3. Begriffsprägungen in der wissenschaftlichen Diskussion
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grundrechtliche Freiheiten zur Ermöglichung des Ausgleichs von Rechtsgüterkonflikten), allgemeiner noch für Verhaltensgesetze (mit Ver- und Geboten für das soziale Verhalten der Bürger als den Gesetzesadressaten) oder Organisationsgesetze 61 (mit gesetzlichen Regeln für den Aufbau, die Kompetenzabgrenzung und das Zusammenwirken von Verwaltungsbehörden). Im speziellen Fall von „Modellgesetzen" 62 werden staatliche Handlungseinheiten (vor allem Körperschaften) organisatorisch-institutionell typusmäßig vorgeformt, ehe sie konkret durch normative Einzelakte errichtet werden können.- Der Begriff des Organgesetzes 63 zielt wieder etwas anders auf Gesetze, die nur für den Innenrechtsbereich des Staates gedacht sind (z. B. auch das Haushaltsgesetz)64. — Aber auch (vor allem Steuer- oder strafrechtliche) Blankettgesetze, die den Tatbestand nicht im einzelnen umschreiben, sondern durch Verweisung auf andere Normen angeben 65 , zeigen den normlogischen Zusammenhang an, daß ihr Inhalt durch andere, nachrangige Rechtsnormen variabel verändert werden kann 6 6 . Rechtsgrundlagengesetze schaffen primär Verordnungsermächtigungen, ohne selbst mehr als notwendig inhaltliche Entscheidungen zu treffen 67 . b) Gesetzgebungspragmatische Betrachtungsweise
In der Perspektive der Gesetzgebungspragmatiker geht es nüchterner zu; charakteristische Prägung geben formale Äußerlichkeiten oder inhaltliche Sachgesichtspunkte, die sich in formalen Äußerlichkeiten niederschlagen. (aa) „Artikelgesetze" (z. T. auch Mantelgesetze genannt) sind Gesetze, die zur Lösung eines oder mehrerer bestimmter Probleme im Ziel gleichsinnig mehrere 61
S. H. Höger, Zweckbestimmungen (Fn. 42), S. 106 ff. m. Nw. S. E. Schmidt-Jortzig, Kommunale Organisationshoheit, 1979, S. 21. 63 Grdl. Κ Stern (1961), zuletzt in: ders., Staatsrecht II, 1980, S. 570, 1203; ähnlich z. B. M. Bullinger, DÖV 1970,761 (770); s. aus neuerer Zeit P. Kirchhof \ NVwZ 1983, 505 (506); A. v. Mutius, VVDStRL 42 (1984), 147 (150). 64 Demgegenüber sind „organische Gesetze" in der französischen Staatsrechtstradition Gesetze, die in erschwerten Verfahren die Verfassung ändern, ähnlich wie die (unter dem GG nicht existierenden) „Erschwerungsgesetze" als einfache Gesetze für ihre (zukünftige) Änderung eine Mehrheit wie bei Verfassungsänderungen verlangen, vgl. zu diesen Typen Κ Loewenstein, Über Wesen, Technik und Grenzen der Verfassungsänderung, 1961, S. 41 f. 62
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S. Hw. Müller, Gesetzgebungstechnik (Fn. II/3), S. 184; J. Isensee, NJW 1985,1007 (1008 f.); zuletzt war das Gesetz zur steuerlichen Förderung schadstoffarmer Autos als Blankettgesetz ohne eine Definition von „schadstoffarm" Gegenstand verfassungspolitischen Streits, s. FAZ v. 20. 4. 1985, S. 4. 66 S. ζ . B. die Strafandrohung des § 370 AO (betr. Steuerhinterziehungen); zur grundsätzlichen verfassungsrechtlichen Zulässigkeit s. BVerfGE 14, 174 (187); zur Abwehr eines Blankettgesetzes aus rechts- und verfassungspolitischen Bedenken in der 9. WP s. die Änderungen des federführenden Ausschusses beim 4. WeinÄndG: BT-Drs. 9/1770, S. 4. 67 S. F. Ossenbühl, in: V. Götz u. a. (Hg.), Verwaltung (Fn. 1/8), S. 90 (91 f.). 4
Schulze-Fielitz
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III. Probleme einer Typologie der Gesetze
oder gar zahlreiche bereits bestehende Gesetze in einem „Paket" partiell neu fassen 68; meist haben sie außer den Änderungen der bestehenden Gesetze keinen selbständigen Inhalt 6 9 . Berühmt-berüchtigte Beispiele sind jene neueren „Haushaltsstrukturgesetze" 70 , in denen zur Haushaltskonsolidierung eine Fülle gesetzlicher Leistungsbegrenzungen gebündelt wurden, von Gesetz zu Gesetz, gesetzestechnisch von Artikel zu Artikel; im 2. HStruktG 71 wurden auf diese Weise in 41 Artikeln 38 Gesetze (davon in 2 Fällen durch bloße Streichung eines einzelnen Paragraphen) verändert, eines aufgehoben, allerdings auch weitere 3 völlig neu verabschiedet. Gemeinsames Kennzeichen solcher Artikelgesetze ist ihr „Querschnittscharakter" 72 , der aber nicht nur haushaltsbezogenen73, sondern auch allen Artikelgesetzen mit nicht-finanziellen Zielen eigentümlich ist 7 4 . Für eine rechtsstaatliche Kompetenz- und Zuständigkeitsverteilung (bei der Amtshilfe) sind demgemäß ausdrücklich Querschnittsgesetze (als mehrere Komplexe übergreifende Regeln) von Spezialgesetzen (bzw. Fachgesetzen) abgeschichtet worden, die nur eine spezielle Kompetenz bzw. Zuständigkeit begründen 75 . Diese Artikelgesetze sind nicht mit dem Umstand zu verwechseln, daß zahlreiche Gesetze in (äußerlich gegliederter) Artikel-Form novelliert oder neu geschaffen werden; es können nur drei Artikel sein, deren beiden letzten mit der 68 S. a. D. Merten, FS Gesellschaft für Rechtspolitik, 1984, S. 295 (297, 300): „PaketGesetze".- Hans Schneider, Gesetzgebung, Rdn. 199, 218, 332 bevorzugt den Ausdruck „Mantelgesetz"; ähnlich auch R. Mußgnug, Der Haushaltsplan als Gesetz, 1976, S. 351; Hw. Müller, Gesetzgebungstechnik (Fn. 65), S. 277 ff. und jetzt BVerfGE 70, 69 (88 f.). Der Begriff Mantelgesetz wird freilich mitunter auch für die Vertragsgesetze nach Art. 59 I I 1 GG verwendet (vgl. z. B. W. Wiese, DVB1. 1975, 73) oder für Übernahmegesetze, die Bundesrecht in Berliner Recht transformieren (vgl. ζ. Β. K. Finkelnburg, JuS 1968,10, 11) und wird hier zur Vermeidung von Mißverständnissen nicht weiter benutzt. 69 S.z. B.fürdas£///£GZ>. Marschall, NJW 1982,1363; für ein Bodenschutz-Gesetz de lege ferenda: P.-C. Storm, DVB1. 1985, 317 (322). 70
Vgl. (1.) HStruktG v. 18.12.1975 (BGBl. I, 3091); 2. HStruktG; neuerdings firmieren sie als Haushaltsbegleitgesetze, ζ . B. HBeglG 1983. 71 2. HStruktG. 72 S .Ε. M oeser, Die Beteiligung des Bundestages an der staatlichen Haushaltsgewalt, 1978, S. 96 (dort nur betr. Haushaltsstrukturgesetze); zust. etwa G. F. Schuppert, VVDStRL 42 (1984), 216 (228). 73 S. aber auch die Tendenz zur Gleichsetzung von Artikelgesetzen mit Haushaltsstrukturgesetzen z. B. bei Α. υ. Mutius, W D S t R L 42 (1984), 188. 74 Sie werden im Beamtenjargon auch „Omnibusgesetze" genannt: Es läßt sich in ihnen alles unterbringen, so z. B. FAZ v. 28. 3. 1984, S. 1; selbst inhaltlich voneinander ganz unabhängige Grundgesetzänderungen werden mitunter äußerlich zusammengefaßt, vgl. S. Schaub, Der verfassungsändernde Gesetzgeber 1949 — 1980, 1984, S. 18 ff.- Das gilt freilich dann nicht, wenn nur ein spezielles Ziel in mehreren verstreuten Gesetzen umgesetzt werden soll, s. z. B. (aus der 8. WP) das „Gesetz zur Berücksichtigung des Denkmalschutzes im Bundesrecht" vom 1. 6. 1980 (BGBl. 1,649), dazu: C. Moench, NJW 1980, 2343 f. 75 So B. Schlink, Die Amtshilfe, 1982, S. 148; E. Denninger, KJ 18 (1985), 215 (230f.).
3. Begriffsprägungen in der wissenschaftlichen Diskussion
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Berlin-Klausel und der Inkrafttretens-Klausel identisch sind.- Auch die Bayerische Landestradition der „Artikelgesetzgebung", alle Gesetze stets statt in sonst üblichen Paragraphen in Artikeln zu gliedern, ist ohne eine hier gemeinte typenbildende Bedeutung. (bb) Direktes Gegenstück zu Artikelgesetzen bilden Kodifikationsgesetze, die durch Zusammenfassung von unterschiedlichen, in mehreren Einzelgesetzen verstreuten Rechtsregeln in einem vereinheitlichenden Gesetzeswerk bei teilweiser Reform der Rechtslage unter Berücksichtigung der höchstrichterlichen Rechtsprechung und der herrschenden Lehre ein Rechts- oder Sachgebiet gesetzlich neu strukturieren 76 ; sie sind stets eine Teilbereinigung der Rechtsordnung 7 7 . Sie sind Ergebnis jahrelanger Bemühungen von vorparlamentarischem und parlamentarischem Gesetzgeber, in Kooperation mit der Wissenschaft. Beispiele aus der 9. Wahlperiode 78 sind das StaatshaftungsG (StHG), die völlige Neuordnung der internationale Rechtshilfe in Strafsachen (IRG), ferner die seit Jahren stattfindende Schaffung eines Sozialgesetzbuches (in der 9. WP: Buch X, 3. Kap.: Zusammenarbeit der Leistungsträger und ihre Beziehungen zu Dritten, §§ 86 ff. SGB-X/3). Oft sprengen die Beratungen solcher Neukodifikationen die Dauer einer Legislaturperiode. Teilweise werden die Einzelgesetze als Regelform für neue gesetzgeberische Lösungen 79 in eine der großen Altkodifikationen als „Muttergesetz" re-integriert 80 . (cc) Rechtsbereinigungsgesetze haben — im Unterschied zu Kodifikationsgesetzen — primäre Ordnungs- und Sichtungsfunktionen. Gemeint ist weder jener Auftrag zur „großen" Rechtsbereinigung, wie sie 1963 im BGBl. I I I und durch eine Abschlußgesetz 81 ihre Vollendung gefundet hat, noch die bloße gesetzestechnische Folgeänderung in einem Gesetz, das auf ein Bezugsgesetz verweist 82 , noch die bloße Beseitigung rechtlicher Unklarheiten 83 . Gemeint sind auf einer „mittleren" Ebene die kodifikatorischen Anpassungen verschiedener Gesetze an die Entwicklung in anderen Teilbereichen des Rechts i. S. gesetzgebungstechnischer Rechtsbereinigung ohne Neuerungsanspruch oder mit Neuerungsanspruch als kodifikatorische oder rechtsklärende Rechtsbereinigung 84. 76
S. Hellner, FS f. K. Zweigert, 1981, S. 827 (833). P. Noll, Gesetzgebungslehre, S. 215 f. 78 Viel diskutierte Beispiele sind auch die Bemühungen um die VPO oder ein Arbeitsgesetzbuch (vgl. zu diesem im Verhältnis zum BGB: A. Söllner, GedS f. J. Rödig, 1978, S. 91 ff.). 77
79 P. Noll, Gesetzgebungslehre, S. 214f.; H. Höger, Zweckbestimmungen (Fn. 42), S. 71; J. Esser, in: H.-J. Vogel u. a., 100 Jahre Jusitzbehörde (Fn. 1/86), S. 13 (24). 80 S. H. Hill, Einführung (Fn. 11/26), S. 28. 81 Vgl. Hw. Müller, Gesetzgebungstechnik (Fn. 65), S. 334. 82 S. ζ. Β. T. Ellwein, DÖV 1984, 748 (753). 83 Wilhelm Ebel prägte insoweit in historischer Perspektive den Begriff „Kontroversgesetzgebung", zit. bei D. Rethorn, in: J. Rödig (Hg.), Studien (Fn. 1/159), S. 296 (301). 84 S. ähnlich J. Hellner, FS f. K. Zweigert, 1981, S. 833.- S. als Bsp. der 9. WP das GrEStG 1983. 4*
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III. Probleme einer Typologie der Gesetze
(dd) Die Kategorie der Änderungsgesetze stellt formal auf die (Teil-)Änderung einzelner Regeln in bestehenden Gesetzen ( = „Stammgesetzen") ab 8 5 . Oft sind die Änderungsgesetze schon als solche offiziell so benannt (G. zur Änderung...) und wegen ihrer regelmäßigen Wiederkehr nach Maßgabe von § 29 I I I GGO I I schon durchnummeriert (z.B. 20. StrÄndG). Sie werden mitunter „Reformgesetzen" (als altes Recht umfassend ersetzenden Normen) gegenübergestellt 86 und bezeichnen den Regelfall heutiger Gesetzgebung87. I m Unterschied zu ihnen lassen Ergänzungsgesetze einen bestehenden Wortlaut unverändert, beeinflussen aber die bisherige Regelung inhaltlich 88 . „Widerrufsgesetze" 89 meinen Änderungsgesetze, die legislatorische Fehlleistungen korrigieren. (ee) Folgegesetze 90 verdanken ihre Existenz einem anderen Gesetz mit meist grundsätzlichen Neuerungen, das sie rechtstechnisch und -praktisch durch Begleitnormen ergänzen bzw. umsetzen (müssen): zeitlich oder räumlich als mit dem einzuführenden Gesetz gleichzeitig verabschiedeten Einführungsgesetze 91, dem unterrangigen Rechtsquellenträger nach als Ausführungsgesetze 92; Verlängerungsgesetze lassen befristete Regelungen befristet weiter gelten. Ablösegesetze ersetzen als neue Gesetze alte, obwohl sie, dem sachlichen Gewicht nach, auch als Novelle hätten erlassen werden können.- Vertragsgesetze (in hier nicht weiter verwendeter Terminologie auch Abkommensgesetze 93, Zustimmungsgesetze 94, 85 Vgl. „authentisch" §§ 29 II, I I I GGO II; aus der Literatur ζ . B. Hw. Müller, Gesetzgebungstechnik (Fn. 65), S. 231 ff.; P. Noll, Gesetzgebungslehre, S. 215; E. Baden, Gesetzgebung (Fn. 11/22), S. 254ff.; zur partiell abnehmenden Rolle der Stammnormen s. D. Merten/F. Kirchhof, Rechtsnormen (Fn. 1/8), S. 29 f. u. ö. 86 So ζ . Β. E. MüllerIW. Nuding, PVS 25 (1984), 87 f.; ζ . T. (in Österreich) werden freilich „Veränderungsgesetze" terminologisch mit Reformgesetzen identifiziert, s. etwa F. Lachmayer, in: T. Öhlinger (Hg.), Methodik (Fn. 55), S. 255 u. ö. 87 S. auch M. Kloepfer, JZ 1984, 685 (688 f.); für Österreich E. Mock , in: G. Winkler u. a. (Hg.), Gesetzgebung (Fn. 1/11), S. 167 (167).- Aus ihrer Zunahme leiten E. MüllerjW. Nuding, a. a. O., S. 91 ff. die „Gesetzesflut" ab, die als „Änderungsflut" zu charakterisieren sei. 88
S. Hw. Müller, Gesetzgebungstechnik (Fn. 65), S. 231. S. z. B. D. Merten, FS Gesellschaft für Rechtspolitik, 1984, S. 311; sie werden (wohl polemisch) auch „Reparaturgesetze" genannt, etwa K -Α. Klauser, DRiZ 1982, 102ff.; H. Plagemann, NVwZ 1985, 885 (886). 89
90
Vgl. H. Hill, DÖV 1981, 487 (489). Hw. Müller, Gesetzgebungstechnik (Fn. 65), S. 285 ff.; Hans Schneider, Gesetzgebung, Rdn. 314. 92 Ausf. Hw. Müller, a. a. O., S. 287ff.; H. Maurer, FS f. K . Obermayer, 1986, S. 95 ff.; s. a. Hans Schneider, a. a. O., Rdn. 315; Ausführungsgesetze werden neben ihrer bundesstaatlichen Hauptbedeutung auch solche Gesetze genannt, die in Ergänzung zu Vertragsgesetzen usw. eine völkerrechtliche Vereinbarung „umsetzen" („Gesetz zur Ausführung ..."); s. aus der 9. WP: AGZVVfG-N und AGVwZG. 91
93
Z. B. Hw. Müller, a. a. O., S. 290ff. S. ζ. B. W. Lauff NJW 1982, 2700 (2704f.). Der Begriff des Zustimmungsgesetzes soll hier für Gesetze reserviert werden, die der Zustimmung des Bundesrates nach Art. 76, 77 GG bedürfen; ebenso Hw. Müller a. a. O., S. 290. 94
3. Begriffsprägungen in der wissenschaftlichen Diskussion
53
Transformationsgesetze 95, Mantelgesetze 96 oder Ratifikationsgesetze 97 genannt) setzen internationale Vereinbarungen in deutsches Recht um. Abwicklungsgesetzgebung beseitigt die Folgen einer beendeten Maßnahmegesetzgebung98. c) Verfassungsrechtliche Ebene
Ein Schwerpunkt der rechtswissenschaftlichen Diskussion liegt auf einer spezifisch verfassungsrechtlichen Ebene. Drei Wege sind erkennbar. Entweder wird unmittelbar begrifflich an den Text des G G angeknüpft. Oder aus den zentralen Strukturentscheidungen des GG werden, mitunter in Entsprechung zu Grundrechtstheorien 99 , die verschiedenen Gesetzesbegriffe entwickelt oder aber in deren Strukturentscheidungen von außen her entwickelte Gesetzestypen eingeordnet. Die nachstehende Systematik orientiert sich an den Staatszielbestimmungen des Grundgesetzes, ohne daß Überschneidungen ganz vermieden werden könnten. aa) Gesetzgebung im Bundesstaat Die Strukturentscheidung des GG für den Bundesstaat (Art. 20 I GG), die gerade auch „die grundsätzliche Mitwirkung der Länder bei der Gesetzgebung" für verfassungsrechtlich unabänderlich erklärt (Art. 79 I I I GG), wirkt sich in einer differenzierten Abschichtung der unterschiedlichen Gesetze aus. (1) Die Verteilung der Gesetzgebungsbefugnisse Die differenzierte Verteilung der Gesetzgebungsbefugnisse auf Bund und Länder wirkt sich in einer vierfachen begrifflichen Abschichtung aus.- Der grundgesetzliche Bundesstaat unterscheidet Bundesgesetze und Ländergesetze. In tatsächlicher Umkehrung der Regel-Ausnahme-Konstruktion von Art. 70 I G G hat die Verteilung der Gesetzgebungsbefugnisse nach Art. 70 II, 71 ff. GG zu einer dominanten Bundesgesetzgebung geführt. Das gilt nicht nur im Bereich der „ausschließlichen" Gesetzgebung (vgl. Art. 70 II, 71 1 0 0 ,73,74a I, 105 I, 124 G G ) 1 0 1 , sondern auch im Bereich „wr/scharakter der Verfassung 117 als immer neu fortzuentwickelnder Zukunftsaufgabe, die Maßstäbe für soziale Gerechtigkeit je neu zu finden bzw. sich über sie zu verständigen. Selbst z. B. der Ausgleich sozial-räumlicher Disparitäten im Gemeinwesen läßt sich sozialphilosophisch mit vertragstheoretischen Argumenten begründen 118 .- Er entspricht weiter dem Verständnis von Gerechtigkeit als Zeit-Gerechtigkeit. Der Gedanke des (prinzipiell auflösbaren) Vertrages harmoniert mit der Erkenntnis, daß es zeitunabhängige, „ontologische" Gerechtigkeit etwa i. S. des absoluten Naturrechtsdenkens nicht gibt, sondern immer nur eine Zeitgerechtigkeit des Rechts 119 , wie sie sich im jeweiligen Stand der Verfassungsentwicklung niederschlägt. Das Gerechtigkeitsgefühl kann immer nur durch die hier und heute lebenden Bürger eines Gemeinwesens konkretisiert und fortentwickelt werden 1 2 0 . Die vertragliche Konstruktion des gerechten Ausgleichs erweist sich auch begrifflich als zweckmäßig, weil der Vertragsgedanke rechtlicher und nichtrechtlicher Natur ist und insoweit einen den rechtlichen und den nichtrechtlichen (Doppel-)Charakter der Verfassung übergreifenden, d. h. gemeinsamen Beurtei115
P. Häberle (1975), in: ders., Verfassung, S. 155ff. Grdl. W. Schmidt-Rimpler, AcP 147 (1941), 130 (155 ff.); s. heute etwa E. A. Kramer, Die „Krise" des liberalen Vertragsdenkens, 1974, S. 20f., 38f., 42ff. u. ö. 117 S. neben den Nw. in Fn. 103 zur „evokativen" Aufgabe von Verfassungen auch A. Arndt (1960), in: ders., Gesammelte juristische Schriften, 1976, S. 141 (155). 118 Vgl. R. Hantschel, Räumliche Aspekte sozialphilosophischer Ansätze und Theorien, 1982, S. 14ff., 24ff. 119 S. A. Arndt (1955), in: ders., Schriften (Fn. 117), S. 37 (48 f.). 120 Vgl. zuletzt K. Obermayer, JZ 1986, 3; s. a. A. Bleckmann, NJW 1985, 2856 (2857 ff.), im Hinblick auf die Folgewirkungen im europäischen Rechtsvergleich.Insofern ist auch der Gesetzesvorbehalt ein Gebot zur Wahrung der Menschenwürde, s. A. PodlecK in: AK-GG, Art. 1/Rdn. 41. 116
3. Verfassungs(vertrags)gerechtigkeit
229
lungsmaßstab bereitstellt. Relative Tauschgerechtigkeit ist sowohl bei der Konkretisierung von Verfassungsrecht wie bei der Konkretisierung der „politischen" Appelle, Forderungen, Grundsätze usw. der Verfassung i. w. S. gefordert. c) Erscheinungsformen und Ebenen der Konkretisierung
aa) Das positive Verfassungsrecht
und die Verfassungsrechtsdogmatik
Zahlreiche verfassungsrechtsdogmatische Grundsätze konkretisieren die Verfassungsgerechtigkeit. Verankert im Rechtsstaatsprinzip oder im Gleichheitssatz (bes. Art. 3 I, 20 III, 79 I I I GG), lassen sich im Sinne der Rechtsprechung des BVerfG als Inhalte der Gerechtigkeit etwa das Willkürverbot und das Gleichbehandlungsgebot, die Strafgerechtigkeit, der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz (einschließlich seiner einzelpersonbezogenen Erscheinungsform der Unzumutbarkeit) und der Grundsatz der Einzelfallgerechtigkeit nennen 121 , aber auch andere Rechtssätze, ζ . B. die Grundrechte als „Prinzipien" für die Schaffung sozialer (Grundrechts-)Gerechtigkeit 122 . Diese Gerechtigkeitsmaßstäbe eröffnen einen breiten Entscheidungsspielraum. Zahlreiche Argumentationsfiguren in der Judikatur des BVerfG wie etwa der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit 123 , die Einheit der Verfassung oder die Wesentlichkeitsdoktrin, lassen sich als Versuch werten, die Konkretisierung der Gerechtigkeit auf einzelgesetzlicher Ebene wie auf Einzelfallebene zu ermöglichen. Das BVerfG kann so die Problemebenen festlegen, auf der typische Grundsatzkonflikte im Verfassungsstaat angemessen entschieden werden können 1 2 4 . Häufig kritisierte Folge dieser Materialisierung vor allem durch Abwägungen ist eine größere Unbestimmtheit des Verfassungsrechts mit entsprechenden Folgen einer Offenheit der Verfassungsinterpretation und einer Unsicherheit über die vermutlichen Entscheidungsinhalte im Falle eines verfassungsgerichtlichen Verfahrens usw. 1 2 5 . Der wesentliche Grund dafür liegt weniger in der Art der Verfassungsrechtsdogmatik als darin, daß ihre nähere Bestimmung je sachproblemabhängig ist. Die Gerechtigkeitskriterien des Einzelfalles bzw. der zu regelnden Sachbereiche ergeben sich aus deren sachlichen Eigenarten; diese begründen generelle Grenzen verfassungsdogmatischer Systembildung. Die Versuche zur Konkretisierung von Verfassungsgerechtigkeit steuern konsequent zu sach- und rechtsbereichsspezifischen Gerechtigkeitsprinzipien, wie sie ζ . B. in den Formeln der 121 122
Ausf. G. Robbers, Gerechtigkeit als Rechtsprinzip, 1980, S. 40ff. m.ausf.Nw.
In diesem Sinne P. Häberle (1972), in: ders., Verfassung, S. 445 (462f.). Zu seiner Einordnung in die klassischen Gerechtigkeitsideen („Stiftungsidee der bürgerlichen Gesellschaft") zuletzt R. Wiethölter, KJ 18 (1985), 126 (132f.)· 124 S. hierzu E. Denninger, FS f. R. Wassermann, 1985, S. 279 (bes. 288 ff., 294, 297 u. ö.); I. Ebsen, Bundesverfassungsgericht (Fn. 32), S. 70f. 125 Ausf. /. Ebsen, a. a. O., S. 72ff. 123
230
VIII. Gesetzgebung als Konkretisierung der Verfassungsgerechtigkeit
Strafgerechtigkeit, Verfahrensgerechtigkeit, Wehrgerechtigkeit, Steuergerechtigkeit, auch „Systemgerechtigkeit" u. a . 1 2 6 zum Ausdruck kommen 1 2 7 . Solche Formeln versuchen im GG-Text nicht ausdrücklich enthaltene Maßstäbe rechtlich handhabbar zu machen. Sie belegen den Umstand, daß die Konkretisierung der Gerechtigkeitsmaßstäbe im positiven Verfassungstext für die Einzelfallentscheidung (notwendig) unzureichend, weil zu abstrakt ist. Das positive Verfassungsrecht und seine Dogmatik sind nur eine lückenhafte, selektive Konkretisierung allgemeiner Rechtsgrundsätze in der Verfassung i. S. einer Annäherung an materiale Gerechtigkeit. bb) Verfassungsgerechtigkeit
durch den Gesetzgeber
Die Aufgaben des Gesetzgebers setzen dort an, wo die Evidenz der materialen Gerechtigkeitsprinzipien des Verfassungsrechts endet. Gerechtigkeit ist nicht nur eine Frage letzter fundamentaler Wertvorstellungen, sondern auch eine alltägliche Frage der Feinstrukturen des Rechts unterhalb des Verfassungsrechts. Der Gesetzgeber justiert die Detaillierungen der Gerechtigkeit immer wieder neu: „Der gesamte politische Tageskampf stellt sich als eine endlose Diskussion über die Gerechtigkeit d a r " 1 2 8 ; das wird auch im Bezug der öffentlichen Auseinandersetzung auf „Gerechtigkeit" sichtbar 129 . Ihre Ausformung auf einfachgesetzlicher Ebene ist die zentrale Aufgaben des Gesetzgebers; er nimmt auch in seinen Gesetzesbegründungen auf sachbereichsspezifische Gerechtigkeitsüberlegungen Bezug 130 . Gerade wegen des Pluralismus der politischen Auffassungen von Gerechtigkeit ist diese Aufgabe in Rückbindung an das Volk (Art. 1, 20 II, I I I GG) zuvörderst dem politisch-parlamentarischen Gesetzgeber übertragen; seine 126 Vgl. z. B. zur Steuergerechtigkeit: BVerfGE 6, 55 (70); 61, 319 (343 f.); aus der Lit. vor allem K. Tipke, Steuergerechtigkeit in Theorie und Praxis, 1981; D. Birk, ZRP 1979, 221 ff.; ders., Das Leistungsfahigkeitsprinzip als Maßstab der Steuernormen, 1983, S. 139ff. (Verteilungsgerechtigkeit), 161 ff. u. ö.; fernery. Berkemann, EuGRZ 1985, 137 (141 f.); C. Herrmann, FS f. H. v. Wallis, 1985, S. 195 (198 ff. u. ö.); K.-G. Loritz, NJW 1986, 1 (6 f.); krit. D. G. Bodenheim, Der Staat 17 (1978), 481 (505); F.-J. Peine, Rechtstheorie 16 (1985), 108 ff.- Die Diskussionen finden auf den entlegensten Feldern statt, z. B. zur „Versorgungsgerechtigkeit" im Beamtenrecht: W. Fürst/W. Loschelder, ZBR 1983, Iff. 127
Vgl. auch die „Problemfelder" bei R. Zippelius, Rechtsphilosophie, 1982, S. 89 ff.Soweit er dort (S. 92 f.) „Verfassungsgerechtigkeit" hinzufügt, ist damit in einem engeren Sinne als hier nur die Regelung von Machtausübungsproblemen i. S. der Verfassung als Organisationsstatut angesprochen. 128 G. Radbruch, Rechtsphilosophie (1932), 6. Aufl. 1963, S. 169; zust. R. Dreier, in: D. Grimm (Hg.), Einführung (Fn. 111), 1985, S. 105. 129 S. z. B. zum koalitionspolitischen Streit „über die Wehrgerechtigkeit" FAZ v. 25. 1. 1986, S. 6. 130 S. z. B. zur „Beitragsgerechtigkeit" im Rentenrecht: BT-Drs. 9/2140, S. 103 (EB) betr. Art. 18 HBeglG 1983(E) .
. Gesetzgebung als Konkretisierung de Verfassungsertge Mehrheitsentscheidung ist im Regelfall Gerechtigkeitskonkretisierung 131 . Der Gesetzgeber handelt nicht als „Souverän", sondern ist von den politischen Gestaltungsbestrebungen im Rahmen einer rechtsstaatlichen Demokratie abhängig — vom Willen der einzelnen Verfassungsbürger als Wähler wie von den Vorstellungen der in Gruppen organisierten Bürger, d. h. ihren korporativen Organisationen (wie etwa Interessen verbänden). Der parlamentarischen Entscheidung geht stets ein Aushandlungsprozeß voraus. Die organisatorische und rechtliche Ausgestaltung des Gesetzgebungsverfahrens sucht als Ergebnis ein (relativ) gerechtes Gesetzes-„Produkt" zu ermöglichen: In ihm ereignet sich Gerechtigkeit 132 . Der Gesetzgeber ist von Irrtümern nicht frei. Neue Erkenntnisse und Erfahrungen und damit auch Gerechtigkeitsvorstellungen führen zu neu angepaßten allgemeinen Gesetzesregeln 133. Das parlamentarische Gesetzgebungsverfahren ist mithin ein institutionalisiertes Einigungs- und Entscheidungsverfahren zur Annäherung an die (Verfassungs-)Gerechtigkeit i. S. eines Prozesses von trial und error und conjectures und refutations (Karl R. Popper); es ist Ausdruck relativer, prozeduraler Gerechtigkeit am Ende eines zeitlich gestreckten und rechtlich organisierten Aushandlungsprozesses 134, durch den auch der Verfassungsvertrag immer wieder neu bestimmt w i r d 1 3 5 .
4. Gesetzgebung als vertragliche Konkretisierung des Verfassungsvertrages Der verfaßte Gesellschaftsvertrag findet demnach auf der Ebene der „einfachen" Gesetzgebung seine Fortsetzung; die Gesetzgebung steht in innerem Bezug zur Idee der Gerechtigkeit 136 . Sie konkretisiert die Gerechtigkeitsmaßstäbe der Verfassung als Gesellschaftsvertrag auf eine doppelte Weise. 131
S. K-U. Meyn, Kontrolle (Fn. VI/5), 1982, S. 329f.- Nicht jede rechtliche Regelung mag einen unmittelbaren Bezug zu Gerechtigkeitsfragen haben, steht aber doch in einem (zumindest mittelbaren) Zusammenhang mit ihnen. Auch die StVO als angeblich reine Sicherheitsgesetzgebung i. S. der Ordnungsfunktion des Rechts ist ein weithin verfehlt zitiertes Gegenbeispiel. Denn ihre Entscheidungen über die Konkretisierung der Verkehrssicherheit stehen in engem Zusammenhang mit politischen Vorzugsentscheidungen gerechtigkeitsorientierter Art. Eine StVO ζ. B., die die (fast) völlige Beseitigung oder — realer — eine Halbierung der Zahl von Verkehrstoten zur leitenden Vorstellung i. S. von Gerechtigkeit erheben wollte, sähe gewiß anders aus als die gegenwärtige StVO. 132 So P. Kirchhof,\ FG BVerfG 1,1976, S. 50 (51 f.); s. a. U. Scheuner (1974), in: ders., Staatstheorie, S. 529 (530, 542 f.). 133
S. nur R. A. Rhinow, Rechtsetzung (Fn. 11/73), S. 231. Zur Systematik prozeduraler Gerechtigkeitstheorien s. R. Dreier, in: D. Grimm (Hg.), Einführung (Fn. I l l ) , S. 111 ff. (hier: bes. 113ff.). 135 Kritische Vorbehalte bei I. Ebsen, Bundesverfassungsgericht (Fn. 32), S. 136 ff. 136 S. für viele: U. Scheuner (1974), in: ders., Staatstheorie, S. 530; M. Kriele, Recht (Fn. 93), S. 78. 134
232
VIII. Gesetzgebung als Konkretisierung der Verfassungsgerechtigkeit a) Gesetzgebung als Konkretisierung des Verfassungsrechts
Wegen der Abstraktionshöhe der Verfassungsrechtsnormen gestalten Gesetze die rechtlichen Staatszielbestimmungen des GG als Verfassungsgesetzes aus. Gesetzgebung ist insoweit Verfassungsrechtskonkretisierung, speziell für den Bereich der Grundrechte etwa als „Grundrechtspolitik" 137 . Nach einer neuerdings betonten Differenzierung ist den Grundrechten, allgemein dem Verfassungsrecht etwa in Form der Staatszielbestimmungen ein Doppelcharakter eigentümlich. Sie sind einerseits Rechtsprinzipien (Grundsätze), die Optimierungsgebote an Konkretisierungsinstanzen (z. B. den Gesetzgeber) formulieren, ohne i. S. von Tatbestand und Rechtsfolgeanordnung (und nach Art. 1 I I I GG) stets unmittelbar subsumtionsfahig zu sein; andererseits formulieren sie zugleich unmittelbar anwendbare und subsumtionsfahige Rechtsrege/jz 138. Die Gesetzgebung (wie auch die Verfassungsrechtsprechung 1 3 9 ) ist Teil eines Transformationsprozesses der Rechtsprinzipien zu subsumtionsfahigen Regeln 140 . Wegen des vom G G eingeräumten breiten Spielraums für den Gesetzgeber bei der Konkretisierung seiner (Grund-) Rechtsprinzipien sind verschiedene Gesetzesregeln „verfassungsgerecht" möglich 1 4 1 ; in diesem Rahmen sind Auseinandersetzungen um den „richtigen" Gesetzesinhalt verfassungspolitische Auseinandersetzungen 142. Der Sache nach ist die VerfassungsrecAtekonkretisierung durch eigenständig und politisch diskutierbare Gesetze deutlich von der gesetzlichen Konkretisierung unmittelbar geltender Verfassungsrechtsregeln zu unterscheiden 143 ; allerdings wirkt die einfache Gesetzgebung auch auf den Verfassungsinhalt zurück 1 4 4 . 137 S. am Bsp. der Grundrechte P. Häberle, VVDStRL 30 (1972), 43 (69ff.); grdl. zum Ausgestaltungsauftrag ders., Wesensgehaltgarantie (Fn. I I I / l l ) , S. 126ff., 180ff., 340f.; krit. C. Gusy, „Verfassungspolitik" zwischen Verfassungsinterpretation und Rechtspolitik, 1983, S. 15 ff., 28 ff., pass.; wohl auch R. Wahl, NVwZ 1984, 401 (407). 138
S. R. Alexy, Grundrechte (Fn. 94), bes. S. 71 ff., 75 ff., 87 ff., 117 ff., unter Rückgriff auf R. Dworkin; ähnlich /. Ebsen, Bundesverfassungsgericht (Fn. 32), S. 61 ff.; s. a. R. Dreier, JZ 1985, 353 (356); ders., NJW 1986, 890 (892f.).- Diese Konstruktion schließt nicht aus, daß auch Grundrechte wie andere Verfassungsnormen selber von weiteren außerrechtlichen Rechtsgrundsätzen abhängig sind oder mit ihnen konkurrieren, vgl. auch zur „geräumigen Welt der Prinzipien" R. Alexy, a. a. O., S. 120. 139
S. dazu R. Dreier, JZ 1985, 356. Auf zivilrechtlicher Ebene hat / . Esser jenen Transformationsprozeß grdl. erarbeitet, s. ders., Grundsatz und Norm (Fn. V/8); auf verfassungstheoretischer Ebene einschlägig zur Differenz von „Rechtssatz und Rechtsgrundsatz" auch schon H. Heller, VVDStRL 4 (1928), 98 (118 ff.). 141 Vgl. ausf. I. Ebsen, Bundesverfassungsgericht (Fn. 32), S. 81 ff. 140
142
Vgl. H. Vorländer, Verfassung (Fn. 72), S. 119 ff. Ausf. R. Wahl, NVwZ 1984, 402, 406ff.; s. a. I. Maus, GedS f. H. Heller, 1984, S. 113 (119f., 125f.). 144 Aus der Notwendigkeit einer permanenten Geltungsfortbildung des Verfassungsrechts (s. am Bsp. der Grundrechte P. Häberle, VVDStRL 30 (1972), 69; s. a. Herb. Krüger, Staatslehre (Fn. 11), S. 702) mit allen Folgen auch für die Gesetzgebung als 143
. Gesetzgebung als Konkretisierung de Verfassungsertge b) Gesetzgebung als Konkretisierung des impliziten Verfassungsvertrages
aa) Die nicht-rechtlichen
Bestandteile der Verfassung
Wegen des fragmentarischen Charakter des Verfassungsgesetzes gibt es neben dem expliziten Verfassungs(rec/zta)vertrag noch ungeschriebene, implizite Verfassungsvereinbarungen, die sich nur ζ. T. den geschriebenen rechtlichen Verfassungsgrundsätzen zuordnen lassen. Deren Ausgestaltung durch den Gesetzgeber neben und im Rahmen des geschriebenen Verfassungsrechts nach Maßgabe der „außerrechtlich normierten Verfassungselemente" 145 ist verfassungsrec/tflich frei, soweit sie nicht elementare Grenzen der positivierten Verfassungsgerechtigkeit überschreitet. Es wäre dennoch ein „positivistischer" Irrtum zu glauben, der Gesetzgeber sei deshalb dabei ungebunden 146 . Die politische (Gesamt-)Verfassung geht nicht im Verfassungsgesetz auf; sie umfaßt zusätzlich implizite, nicht-rechtliche gesellschaftsvertragliche Verfassungsvereinbarungen mit faktischer Bindungskraft 147 jenseits des geschriebenen Verfassungsrechts, die Herrschaftsträger und Verfassungsbürger aneinanderbinden 148 . Auf der Ebene des „Staatsörgawwai/owsrechts" läßt sich eine Vielzahl präzise bestimmbarer nicht-rechtlicher Verfassungsregeln feststellen, die die Verfassung als Vertrag prozedural um Regeln des Staatswillensbildungsprozesses ergänzen 1 4 9 und dabei vor allem der Dynamik des Parteienstaates anpassen 150 . Auch auf inhaltlicher Ebene lassen sich nicht-rechtliche Prinzipien der Verfassung als Gesellschaftsvertrag ausmachen, die verfassungs rechtlich gar nicht, nicht eindeutig (ζ. B. das Kulturstaatsprinzip) oder — wie beim Sozial„Schrittmacher" der Verfassungsentwicklung folgt, daß die Gesetzgebung langfristig das Verfassungsrecht (als „Konzentrat" auch einfachgesetzlichen Rechts) fortentwickelt, weniger subjektiv-final als objektiv, vgl. Ρ. Lerche, FS f. T. Maunz, 1971, S. 285 ff. Wenn schon (unvermeidlich) der „Zeitgeist" in die Verfassungsinterpretation eingeht, dann erst recht der zu Gesetzesrecht verfestigte Zeitgeist. 145
S. H. Heller, Staatslehre, S. 255; s. jetzt eindringlich D. Schef old, GedS f. H. Heller, 1984, S. 555 (557 ff.); krit. J. Meinck, ebd., S. 621 (649 ff. u. ö.). Rechtstheoretisch entsprechende Unterscheidungen finden sich bei R. Dworkin, s. dazu R. Dreier, NJW 1986, 893. 146 Vgl. aber z. B.C. Gusy, EuGRZ 1982,94, wonach das Grundgesetz als Kompromiß auf der Hoffnung von SPD und C D U beruht habe, ihr politisches Programm später „ i m Wege der Gesetzgebung ohne den Gegner verwirklichen zu können." Zu den parteipolitischen Frontverschiebungen im Parlamentarischen Rat s. K. Niclauß, Demokratiegründung (Fn. 23), S. 220 ff. 147 Vgl. zu diesem weiten Verfassungsverständnis H.Heller, Staatslehre, S. 255 ff., 259 ff.; s. a. zum Verfassungsbegriff K. Hesse, Grundzüge, Rdn. 5 ff. 148 Vgl. auch B. Moore, Ungerechtigkeit, 1982, S. 38, für „Herrscher und Beherrschte" als „ganz generelle, einfache und überaus abstrakte Termini für Individuen und öfter für Gruppen" (S. 40). 149 Ausf. H. Schulze-Fielitz, Der informale Verfassungsstaat, 1984, S. 99ff., 109ff. 150 H. Schulze-Fielitz, a. a. O., S. 105 ff; auch sie könnten weithin durch Rechtsgesetze ersetzt werden, vgl. S. 128 ff.
234
VIII. Gesetzgebung als Konkretisierung der Verfassungsgerechtigkeit
staatsgedanken — nur in einem Kernbereich als erschwert änderbar „festgeschrieben" und dem „einfachen" parlamentarischen Gesetzgebungsprozeß rigide entzogen sind. Sie werden durch die Parlamentsgesetzgebung der jeweiligen Mehrheit(en) konkretisiert und laufend unter Beachtung der bestehenden (und damit entgegenstehenden) Normalität 1 5 1 fest- und fortgeschrieben. Hier liegt die genuine Aufgabe parlamentarischer Gesetzgebung: die (nichtrechtliche) Verfassung als impliziten Gesellschaftsvertrag im begrenzenden Rahmen des expliziten Verfassungsrechts zu konkretisieren und durch Kompromiß fortzuentwickeln 152 . Parlamentsgesetzgebung verrechtlicht die Inhalte der nicht-rechtlichen Bestandteile der Verfassung als Vertrag, d. h. die „gesellschaftlichen Wertmaßstäbe, die nicht schon verfassungsrechtlich verankert sind, hingegen die Grundauffassungen eines Volkes zum Ausdruck bringen" 1 5 3 . Anders formuliert: Ihr primärer Bezugspunkt sind die politischen Funktionen der Verfassung (im Gegensatz zu ihren juristischen) 154 . bb) Der Begriff
des impliziten
Verfassungsvertrages
Implizite Vertragselemente der Verfassung als Gesellschaftsvertrag sind solche zentralen Vorstellungen vom menschlichen Zusammenleben, die nicht ausdrücklich Gegenstand der Verfassungsberatungen waren und auch nicht explizit im Verfassungstex/ Niederschlag gefunden haben. Sie liegen den Verfassungsregeln oder lagen den Beratungen unausgesprochen zugrunde (und hätten real erörtert werden können), weil sie von den betroffenen Verfassungsbürgern erwartet werden. So legt z. B. das GG jenseits grundrechtlicher Maßgaben nur vage die Prinzipien fest, die die Verteilung gesellschaftlicher Vorteile und Nachteile organisieren 155 ; es deutet nur punktuell den Kulturauftrag des (bundes-)staatlichen Gemeinwesens a n 1 5 6 ; auch die Steuerstaatlichkeit unter dem GG wird eher vorausgesetzt als rechtlich konstituiert 157 . In solchen 151 S. H. Heller, Staatslehre, S. 253 ff.; vgl. dazu auch W. Schluchter, Entscheidung für den sozialen Rechtsstaat (1968), 2. Aufl. 1983, S. 183ff. 152
Vgl. H. Hofmann, Legitimität (Fn. 57), S. 86 f. („Aktualisierung, Konkretisierung und Ausbau dessen, was den Verfassungskonsens und damit die Legitimitätsgrundlage ausmacht"); s. a. D. Schef old, GedS f. H. Heller, S. 559 ff., 566 ff. 153 So T. Fleiner, Delegation (Fn. VI/26), S. 132. 154 Vgl. zu diesem Doppelcharakter der Verfassung R. Wahl, NVwZ 1984, 402. 155 C. Gusy, EuGRZ 1982,94.- S. zum Gedanken des „impliziten" Gesellschaftsvertrages als einer auf stillschweigende Zustimmung durch Integration gegründeten Ordnung K. Ballestrem, ZfP 30 (1983), 5 ff. 156 Ygi ρ Häberle, in: ders. (Hg.), Kulturstaatlichkeit und Kulturverfassungsrecht, 1982, S. 1 (36 f.); W. Schmitt Glaeser, AöR 107 (1982), 337 (363 ff.); Der Bundesminister des Innern u. a. (Hg.), Staatszielbestimmungen/Gesetzgebungsaufträge, Bericht der Sachverständigenkommission, 1983, Rdn. 171 ff.; U. Steiner/D. Grimm, VVDStRL 42 (1984), 7 (12 ff.) bzw. 46 (63 ff.). 157 Vgl. J. Isensee, FS f. Η . P. Ipsen, 1977, S. 409 (420f.), der freilich dann zum Ergebnis einer auch normativen Festlegung kommt (S. 436).
. Gesetzgebung als Konkretisierung de Verfassungsertge Fällen konkretisiert die Parlamentsgesetzgebung jene gleichwohl dem Verfassungsvertrag zugrundeliegenden stillschweigenden — impliziten — Vereinbarungen. Diese unterscheiden sich von fiktiven Vertragselementen dadurch, daß sie Gegenstand ausdrücklicher rechtlicher Verfassungsnormen durch am Prozeß der Verfassunggebung Beteiligte real hätten werden können oder auch noch (deklaratorisch) werden können. cc) Die sachliche Zweckmäßigkeit
dieser Begrifflichkeit
Die hier zugrundegelegte verfassungstheoretische Trennung (oder „Vermengung") der Verfassung (bzw. des Verfassungsvertrages) in einen formellen, verfassungsrechtlichen und (vor allem:) justitiablen Teil (Verfassungsgesetz) und einen ungeschriebenen, ζ . T. impliziten nicht-verfassungsrechtlichen Teil (Verfassung) widerspricht einem engeren juristischen Denken, das Recht möglichst positiv, eindeutig und justitiabel bestimmen und von Politik abgrenzen w i l l 1 5 8 . Ein solches sehr weites, materiales Verfassungsverständis 159 kann sich nur durch seine Zweckmäßigkeit rechtfertigen. Denn nach verbreiteter Ansicht gilt eine solche Ausdehnung als unzweckmäßig, wenn nicht gefahrlich, weil sie die Bedeutung des geschriebenen Verfassungsrechts abwerten könne und im übrigen inhaltsleer, weil ohne analytische Kraft sei; im Recht solle der Unterschied zur der durch das GG konstituierten rechtlichen Verfassung der Bundesrepublik nicht durch eine Ausweitung des Verfassungsbegriffs verwischt werden 160 , rechtliche und politische Verfassungsbestandteile sollen nicht gegeneinander ausgespielt werden können. Andererseits läßt sich kaum bestreiten, daß auch der vom Verfassungsrecht umhegte Raum der Politik nicht völlig beliebig ausgefüllt werden kann, sondern materialen Bindungen unterliegt. Soweit diese doppelte Ebene ζ. T. als unvermeidlich akzeptiert wird, wird zumindest ihre analytisch scharfe Unterscheidung angestrebt 161 . Die doppelte Ebene einer rechtlichen und ergänzenden nicht-rechtlichen Verfassung kann eine Reihe von umstrittenen verfassungstheoretischen Problemen plausibel klären. (1) Ein Verständnis der Rechtsverfassung nur als fragmentarischer, rechtlich dem Streit enthobener Teil der (Gesamt-)Verfassung kann plausibel erklären, daß die Verfassung sowohl der Bundesländer als auch der verschiedenen 158 S. z. B. W. Henke, DRiZ 1974,173 (174f.); ders., Der Staat 19 (1980), 181 (199ff.); vgl. in diesem Zusammenhang zur bleibenden Leistung von C. Schmitt und R. Smend: H. Hofmann, Legitimität (Fn. 57), S. 57. 159 Vgl. auch P. Badura, FS f. U. Scheuner, 1973, S. 19 (21, 35f.); K. Hesse, Grundzüge, Rdn. 13. 160 S. a. D. Schefold, GedS f. H. Heller, S. 568. Gerade Hellers Verfassungslehre wird oft auch schnell als rechtssoziologisch oder politologisch aus dem Bereich der Rechtswissenschaft ausgegrenzt, s. z. B. J. Meinck, GedS f. H. Heller, S. 621 ff. 161 S. R. Wahl, NVwZ 1984, 402, s. a. 406ff.
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VIII. Gesetzgebung als Konkretisierung der Verfassungsgerechtigkeit
westlichen Verfassungsstaaten trotz ihrer unterschiedlichen Traditionen je untereinander und ungeachtet ihrer unterschiedlichen verfassungsrechtlichen Detailgestaltung als Typen sehr ähnliche Grundverfassungen besitzen. Es gelten je unterschiedlich nur bestimmte Teile als Verfassungsrecht; nicht verfassungsrechtlich geregelte Fragen werden tendenziell im gleichen Sinne gelöst, wie sie in anderen Verfassungen rechtlich geregelt sind. Verfassungsvergleichung als verfassungsrecAift'c/z&s Interpretationsprinzip gewinnt daraus seine Legitimation. (2) Zugleich wird deutlich, weshalb Verfassungsänderung, Verfassungs(interpretations)wandel und (Verfassungs-)Politik so dicht beieinanderstehen 162. Je nach den Herausforderungen der Wirklichkeit gewinnen bestimmte Antworten Verfassungsrechtsrelevanz durch Interpretation, andere durch Textänderung des Verfassungsgesetzes. Ein Standardeinwand gegen (irgend-)eine verfassungsrechtliche (Neu-)Verankerung des Umweltschutzes als Staatsaufgabe lautet, letztlich ändere sich dadurch nichts, weil die Politik diese Aufgabe ohnehin als zentral erkannt habe 163 oder die Neuformulierung rechtlich keine normative Erweiterung der bestehenden Verfassungsinterpretation bedeute 164 . Eine Verfassungsänderung werde die Politik, ihre Umsetzung in Umweltgesetzgebung und ihre sachlich-finanziellen Restriktionen nicht ändern 165 . Gleichsinnig wird etwa auch in der Frage der grundgesetzlichen Ergänzung um eine Kulturstaatsklausel argumentiert 166 . Diese behauptete Äquifunktionalität von politischer und verfassungsrechtlicher Aufgabe oder von ausdrücklicher Verfassungstextergänzung und Verfassungsrechtsinterpretation belegt eine Relativität der Verortung von Staatsaufgaben und damit eine gewisse Austauschbarkeit der expliziten und impliziten Gehalte des Verfassungsvertrags. Auch der Umstand, daß der Verfassungskompromiß im Parlamentarischen Rat die so zentrale Entscheidung über die Wirtschaftsordnung dem parlamentarischen Gesetzgeber der Zukunft überlassen hat 1 6 7 , zeigt, daß es zwar graduelle Abstufungen in der Normenhierarchie und beim Mehrheitsquorum für rechtliche Änderungen gibt; aber dem Verfassungsrecht und dem einfachen Gesetzesrecht ist die Ordnung und Gestaltung
162
S. P. Häberle, in: ders., Verfassung, S. 182ff.; zur Kritik etwa /. Maus, GedS f. H. Heller, 1984, S. 134ff. 163 S. z. B. H. H. Rupp, DVB1.1985,990 (990); H. P. Bull , FS f. R. Wassermann, 1985, S. 45 (51 f.). 164 H. H. Rupp, a. a. O., S. 990f.; a. A. Sachverständigenkommission Staatszielbestimmungen (Fn. 156), Rdn. 142, die Schutzlücken sieht. les ]sj w bei d e r Sachverständigenkommission Staatszielbestimmungen (Fn. 156), Rdn. 138 ff., s. a. 166 ff. 166 S. ζ . B. einerseits U. Steiner, W D S t R L 42 (1984), 39 betr. Äquifunktionalität Recht/Politik; andererseits D. Grimm, W D S t R L 42 (1984), 65, 67: Verfassungsänderung schließe nur Text-, keine Rechtslücke. 167 Vgl. Nw. oben Fn. 35.
. Gesetzgebung als Konkretisierung de Verfassungsertge der einen selben, nur insoweit „vollständigen" Gesamtverfassung 168 aufgegeben. Umgekehrt würde ζ . B. die Verankerung eines Grundrechts auf Datenschutz kaum anderes oder mehr bedeuten können als das, was bereits Lehre und Rechtsprechung als Grundrecht auf „informationelle Selbstbestimmung" aus Art. 1, 2 I GG „herausgelesen" haben 169 . Grundrechtsdogmatik wie die Gesetzgebung antworten hier auf Verfassungsentwicklungsprobleme, die durch die Notwendigkeit einer Klärung der impliziten Verfassungsvereinbarungen provoziert werden. Die Gemeinsamkeit des Gesellschaftsvertrages verbindet rechtliche (verfassungsgerichtlich überprüfbare) und nicht-rechtliche (nur politisch sanktionierte) Elemente — und kann so die „Schrittmacher"-Funktion einfachen Gesetzesrechts für die Verfassungsentwicklung auch dort erklären, wo es nicht nur um die Ausfüllung von Verfassungsrechtsbegriffen geht 1 7 0 . Das „Wachstum" des Verfassungsgehalts bei unverändertem Verfassungstext läßt sich nur durch solche „Osmosen" erklären. Diese Variabilität der „Grenze" zwischen Recht und Politik und sich ändernde Interpretationen ohne Änderung der Rechtstexte bleiben unverständlich, wenn man Recht mit dem Bereich des vorentschiedenen Streits gleichsetzt 171 ; dann kann man nur noch richtige oder falsche Rechts-Anwendung unterscheiden. Die (nur analytisch mögliche) Trennung jedes Begriffs in seinen rechtlichen und politischen Bestandteil verkennt, daß Recht ein von allgemeinen Rechtsgrundsätzen, d. h. auch der Verfassungsgerechtigkeit angeleiteter dauerhafter Prozeß ist, der solche Trennungen praktisch nur für den je neuen richterlichen Einzelfallentscheid, nicht aber generell gestattet 172 . Verfassungstheorie und Verfassungsrecht als (besonders) politisches Recht sollten beide Ebenen zusammen betrachten, um nicht wesentliche Verfassungsfragen vorschnell auszuklammern, indem man sie der praktischen Politik überläßt 173 . Jedenfalls greifen besonders beim Gesetzgebungsverfahren Recht und Politik untrennbar ineinander 174 . (3) Die Annahme von impliziten Verfassungsvereinbarungen kann nichtverfassungsrechtliche Grenzen der Gesetzgebung (d. h. zugleich auch: des Mehr168 Zum Vollständigkeitsanspruch der Verfassung s. nur Sachverständigenkommission Staatszielbestimmungen (Fn. 156), Rdn. 213. 169 S. BVerfGE 65, 1 (41 ff.); s. dazu etwa S. Simitis, NJW 1984, 398 (399f.) und die Konferenz der Datenschutzbeauftragten: DÖV 1984, 504ff.; strukturell ebenso für eine Kulturstaatsklausel: D. Grimm, VVDStRL 42 (1984), 67. 170 Eine „andere Republik" ist in gewisser Weise (begrenzt) auch ohne Verfassungstextänderungen — allmählich — denkbar. 171 Vgl. W. Kaegi, Verfassung (Fn. 4), S. 127ff.; W. Henke, Der Staat 19 (1980), 200f. 172 Grdl. J. Esser, Grundsatz und Norm (Fn. 140). 173 So aber (bewußt) W. Henke, Der Staat 19 (1980), 211, s. a. 207f.; vgl. zur Kritik auch H. Schulze-Fielitz, Verfassungsstaat, S. 149 ff. 174 So auch W. Henke, Der Staat 19 (1980), 201.
238
VIII. Gesetzgebung als Konkretisierung der Verfassungsgerechtigkeit
heitsprinzips) empirisch plausibel machen. Das Scheitern von Gesetzentwürfen wegen des Widerstands der Öffentlichkeit kann als-Folge eines Verstoßes gegen zentrale Reziprozitätsbedingungen des impliziten Verfassungsvertrages erklärt werden. Man denke an den Amnestieversuch für Parteispender (1984): Obwohl prima facie verfassungsgemäß 175 und von einem starken Eigeninteresse der Parlamentarier als Parteipolitiker getragen, stieß er auf Grenzen. Weniger die äußerlich entscheidende die Kritik in „der" FDP oder „der" Medienöffentlichkeit, sondern ihr materieller Grund, das Überschreiten impliziter Verfassungsgrenzen, waren letztlich entscheidend 176 . Das gilt allgemein, wenn Handlungen oder Unterlassungen des Gesetzgebers sich zu sehr vom Verfassungskonsens entfernen 177 .- Auch der oft zitierte Irrtum des SPD-Politikers H. Wehner wird so erklärbar, als er der damaligen CDU/CSU-Parlamentsminderheit zurief, die Opposition brauche man nicht, Mehrheit sei Mehrheit. Vielmehr ist ein Konsens über die Mehrheit der jeweiligen Regierungsfraktionen hinaus — ungeachtet ihres unentziehbaren Gesetzesänderungsrechts — in vielen (fundamentalen) Fragen eine zentrale Bedingung für längerfristig dauerhafte verfassungsstaatliche Gesetzgebung178. (4) Die politischen Verpflichtungen des Staates zur Gesetzgebung (über unmittelbar verfassungsrechtliche Gesetzgebungspflichten hinaus) lassen sich gerade als Bestandsgarantie für eine vertragsgerechte gesellschaftliche Solidarität angemessen begreifen, wie sie Walter Leisner am Beispiel des Waldsterbens vom Staat eingefordert hat 1 7 9 . Dem doppelten Verfassungsbegriff entspricht auch die Einsicht von der Doppelrolle des Gesetzes, Rechtsbûàung und Form der politischen Selbstgestaltung des Gemeinwesens zu sein 180 . (5) Gesetzgebung als Konkretisierung des impliziten Gesellschaftsvertrages macht einsichtig, weshalb das Gesetzgebungsverfahren in seiner gewachsenen Form so aufwendig und differenziert ist. Evident einseitige Verschiebungen im „Hau-Ruck-Verfahren" sollen trotz Geltung des Prinzips einfacher Mehrheitsentscheidungen verhindert werden; gerade weil sie verfassungsrechtlich grund-
175
S. E. Samson, Wistra 1983, 235 (240f.); M. Breitbach, DuR 12 (1984), 124 (137ff.); anders (und vielleicht richtiger) H. Franzheim, NStZ 1982, 137 (140); C. Pestalozza, JZ 1984, 559 (560f.); B. Schünemann, ZRP 1984, 137ff.; M. Lemke, RuP 20 (1984), 198ff. 176 Vgl. auch M. Breitbach, DuR 12 (1984), 128, 131, 134 zum Zusammenhang von Verfassungskonsens und Amnestie; allg. auch W. Brugger, JuS 1984, 793 ff. 177 S. a. H. Hofmann, Legitimität (Fn. 57), S. 86f.; T. Saretzki, ZParl 16 (1985), 256 (258 f.). 178 S. grds. B. Guggenbergeric. Offe , Aus Politik und Zeitgeschichte, Β 47/83, S. 3 (6f.) und unten Kap. X/5 (bei Fn. 423 ff.); konkret am Bsp. des Rentenrechts W. Rüfner, JZ 1984, 801 (804); gefordert für das Umweltrecht von H.-J. v. d. Heide, DÖV 1985, 461 (467); w. Bsp. unten Kap. IX/Fn. 33. 179 W. Leisner, Waldsterben, 1983, S. 91 ff. (107). 180 S. U. Scheuner (1974), in: ders., Staatstheorie, S. 538 f. unter Berufung auf R. Smend (1928), in: ders., Abhandlungen (Fn. 74), S. 210f.
5. Realvertragliche Elemente in der Gesetzgebung
239
sätzlich zulässig sind, sollen sie jedenfalls an eine ausführliche öffentliche Kontrollmöglichkeit gebunden werden. Die Annahme impliziter, durch Gesetzgebung zu konkretisierender Verfassungsvertragselemente erklärt schließlich plausibel den partiellen Verhandlungs- und Tauschcharakter von Gesetzgebung allgemein (5.) und die zugrundeliegenden Reziprozitätsbedingungen parlamentarischer Gesetzgebung (6.). 5. Realvertragliche Elemente in der Gesetzgebung Gesetzgebung ist eine Form vertraglicher oder vertragsähnlicher Konsensfindung 1 8 1 . Auf allen Ebenen und in allen Phasen der Gesetzesentstehung finden Aushandlungsprozesse statt, die mit Kompromissen und Vereinbarungen enden — und seien es auch nur DuldungsVereinbarungen. Die informalen und die (geschäftsordnungs- und verfassungsrechtlich geregelten Stationen lassen sich als Schnittstellen eines permanenten Willensbildungs- und Entscheidungsprozesses beschreiben. Wie die pluralistische Gesellschaft generell 182 wird die Demokratie des GG deshalb zu Recht als „spezifische Verhandlungsdemokratie" tituliert 1 8 3 , besonders im Hinblick auf die Verhandlungsmacht der Verbände und den daraus folgenden Vertragscharakter gesetzgeberischer Entscheidungen 1 8 4 . Das gilt in der Geschichte der Bundesrepublik mit dem Kompromiß in der Frage der Montanmitbestimmung 185 von Anfang a n 1 8 6 .
181
So etwa U. Scheuner, in: G. Jakobs (Hg.), Rechtsgeltung (Fn. 3), S. 65 unter Berufung auf L. Wildhaber, ZSchwR N. F. 94 I (1975), 113 (120f., 122ff.); H. Hofmann, Legitimität (Fn. 57), S. 89; H. Schelsky, Der Staat 22 (1983), 342; jüngst P. Badura, Demokratie (Fn. 1), S. 20 u. ö.; s. a. R. Marcie , Koalitionsdemokratie (Fn. 32), S. 9f.; für die Weimarer Zeit O. Kirchheimer (1941), in: ders., Von der Weimarer Republik zum Faschismus, 1976, S. 213 (224f.). 182 S. N. Bobbio, in: B. Guggenberger u. a. (Hg.), Grenzen (Fn. 59), S. 116 f. 183 Κ . Eichenberger, VVDStRL 40 (1982), 7 (29). Speziell für das Schweizer Vernehmlassungsverfahren werden der Einfluß und die Verhandlungs-, mitunter Veto-Macht der Verbände vor dem Hintergrund ihres Drohpotentials und die Folgen des Vertrags(verhandlungs)charakters der Gesetzgebung stark betont, s. L. Wildhaber, ZSchwR N. F. 94 I (1975), 134ff.; ferner D. Boerlin u. a., in: K. Eichenberger u. a. (Hg.), Grundfragen (Fn. 1/14), S. 295 (310). 184 S. schon W. Weber (1959), in: ders., Spannungen (Fn. V/134), S. 152 (163); B. Keller, Aus Politik und Zeitgeschichte, Β 24/1983, S. 34 (40 f.) betr. den Einfluß der Beamtenverbände; s. a. H. Schelsky, Soziologen (Fn. 11/97), S. 34ff. (47). 185 Ausf. H.Thum, Mitbestimmung in der Montanindustrie, 1982, S. 71 ff.; zur Zustimmung des DGB zum Schuman-Plan (auch zum Plan der Bundesregierung gegen die restriktiven Entflechtungsbemühungen der Alliierten) als „Tauschobjekt" s. G. MüllerList (Bearb.), Montanmitbestimmung (Fn. 11/110), S. LH, LIV, L X X , 525 f. 186 Selbst außerhalb der Gesetzgebung setzt sich das Verständnis von (informalen) Vertragsbeziehungen fort, s. ζ. B. das Angebot der SPD an die Bundesregierung für einen „Bildungspakt" bei der Bewältigung steigender Studentenzahlen: FAZ v. 18. 7. 1984, S. 1 und 10.
240
VIII. Gesetzgebung als Konkretisierung der Verfassungsgerechtigkeit
Diese vertragstheoretische Betrachtungsweise, (auch 1 8 7 ) die Konsequenz der oben skizzierten verfassungsvertraglichen Konstruktion, ist theoretisch erklärungskräftig. Sie macht plausibel, daß heutige Gesetzgebung empirisch ein permanenter Aushandlungs- und Kommunikationsprozeß zwischen (Koalitions-)Parteien, Regierungsparteien und Opposition, Regierung und Interessenverbänden, Bund und Ländern oder (über den Bundesrat) von Ländergruppen untereinander ist 1 8 8 . Selbst Einsparungszwänge in wirtschaftlichen Krisenzeiten werden nach Maßgabe der unterschiedlichen Machtpositionen der einzelnen (Regierungs-)Ressorts durch politische Verhandlungen umgesetzt 189 . Der Verhandlungsabschluß durch Gesetz läßt sich weithin als kompromißhafter, durch Tauschvereinbarungen ermöglichter „Vertrag" auf Zeit auffassen 190 . Deshalb ist nicht von der Überlegenheit des Vertrages gegenüber dem Gesetz 191 , sondern von der Durchdringung des Gesetzes durch die regulative Idee des Vertrages auszugehen. Die Feriragskonstruktion (auch als Fiktion) kann z. B. die relative tatsächliche Bindung des Gesetzgebers an seine eigenen Vor-Entscheidungen erklären, ohne von dem Zufallsargument abhängig zu sein, Kontinuität sei bloß „zweckmäßig" oder als Vertrauensschutz rechtlich geboten 192 . Selbstbindungen des Gesetzgebers sind nur ausnahmsweise (verfassungs-)rechtlich, möglicherweise aber implizit verfassungsvertraglich geboten, um sich nicht zu weit von den Erwartungen der Verfassungsbürger zu entfernen. Politische Wahlen lassen sich als Sanktionsinstrument bei einem Bruch des impliziten Gesellschaftsvertrages interpretieren; allein die Möglichkeit solcher Sanktion zwingt Regierungsparteien zu Abstrichen von ihren programmatischen politischen (Extrem-) Vorstellungen zugunsten alternativer Vorstellungen (auch) der parlamentarischen Opposition 193 . So wird auch das verbreitete Argument plausibel, der erreichte Stand des Unternehmensmitbestimmungsrechts sei irreversibel 194 . Die Vertragskonstruktion erklärt die permanente Rückbindung des Gesetzgebers an 187
Prozedurale und inhaltliche Elemente des informalen Verfassungsstaates können, verfassungspolitisch, Vorformen des Verfassungsrechts sein, s. H. Schulze-Fielitz, Verfassungsstaat, S. 128 ff. 188
S. näher unten Kap. IX/1. S. a. H. Lange, DÖV 1985, 169 (177). 190 Das gilt nicht nur für die Schweizer Konkordanzdemokratie, in der besonders die Drohung mit dem Referendums-Veto Gesetzgebung zur „kontrahierten Gesetzgebung" zwischen Exekutive und Spitzenverbänden macht, vgl. L. Wildhaber, ZSchwR N. F. 94 I (1975), 133 ff., 143. 191 So Η. Η. v. Arnim, Staatslehre, S. 64f.; s. aber auch S. 194. 192 S. zur verfassungsrechtlichen Selbstbindung des Gesetzgebers zuletzt G. Haverkate, Rechtsfragen (Fn. III/146), S. 123 ff.; R. Rausch-Gast, Selbstbindung des Gesetzgebers, 1983; C. Pestalozza, JZ 1984, 560; F.-J. Peine, Systemgerechtigkeit, 1985, S. 105ff.; s. ferner H. Schulze-Fielitz, JZ 1982, 799 (800f.). 193 S. die empirische Hinweise bei D. Thränhardt, PVS 25 (1984), 440 (457 f.). 194 S. F. Ossenbühl, FG BVerfG I, 1976, S. 458 (513); P. Lerche, FS f. H. P. Ipsen, 1977, S. 437 (445, 447). 189
6. Reziprozität als Basis der Gesetzgebung
241
den Verfassungsbürger 195, obwohl das Verfassungsrecht nur letzte rechtliche Grenzen zu errichten und den Gesetzgeber auf vier Jahre von jenen Bindungen freizustellen scheint 196 . 6. Reziprozität als Basis der Gesetzgebung Die Kommunikations- und Aushandlungsprozesse im Gesetzgebungsverfahren gehen nicht vollständig in Gesetzgebungs-„Verträgen" auf. Nicht alle Gegenstände der Gesetzgebung eignen sich als Aushandlungsobjekte; nicht alle beteiligten Interessen können Verhandlungsmacht und „Drohpotentiale" in das Gesetzgebungsverfahren einbringen, und nicht alle Gesetzesprobleme müssen zum Objekt eines ausdrücklichen Interessenausgleichsverfahrens werden. Dennoch stehen alle (Teil-)Interessen in einem zeitlichen und sachlichen Zusammenhang, der es verbietet, nur auf einzelne Gesetzesobjekte abzustellen: Die Aushandlungsprozesse bei der Gesetzgebung werden insgesamt durch Reziprozitätserwartungen auf allen Seiten strukturiert; diese wirken als nicht-rechtliche Regeln politischer Gestaltung (auch) durch Gesetzgebung. a) Zum Begriff der Reziprozität
Reziprozität als Norm für vertragliche und vertragsähnliche politische Beziehungen und Bindungen ist in der soziologischen Theorie ansatzweise aufbereitet 197 und auch verfassungstheoretisch fruchtbar 198 . Reziprozität ist das Prinzip, daß empfangene Leistungen zu erwidern sind 1 9 9 , sei es im Nachgang als Dankesschuld 200 , sei es im Vorhinein als Fremdbindungsinstrument, andere zu Gegenleistungen zu bringen 201 . Im Unterschied zum 195 Vgl. auch die Berufung des französischen Staatspräsidenten F. Mitterand auf den „Vertrag" mit den Wählern zur Rechtfertigung seiner Reformabsichten: FAZ v. 11. 12. 1981, S. 1. 196 Diese Rückbindung darf nicht mit „Populismus" identifiziert werden, vgl. aber F. U. Fach, FAZ v. 27. 3. 1985, S. 1, der Enttäuschungen über die Grenzen der (politischen) „Wende" (1982 ff.) allein mit populistischen Neigungen der Parteien erklären will. 197 S. vor allem A. W. Gouldner (1973), in: ders., Reziprozität und Autonomie, 1984, bes. S. 79ff.; s. a. früh schon G. Simmel (1907), in: ders., Schriften zur Soziologie, 1983, S. 21 Off.; M. Mauss, Die Gabe (1923), in: ders., Soziologie und Anthropologie II, 1978, S. 9, bes. 123 ff.; Κ F. Röhl, FS f. H. Schelsky, 1978, S. 435 (446ff.); s. a. W. Schmid, Zur sozialen Wirklichkeit des Vertrages, 1983, S. 85 ff. 198 Zum folgenden bereits H. Schulze-Fielitz, Verfassungsstaat, S. 118 ff. und (auch zum folgenden Text) J. Köndgen, Selbstbindung ohne Vertrag, 1981, bes. S. 240 ff.; W. Schmid, a. a. O., S. 84ff.; ferner Β. Moore, Ungerechtigkeit (Fn. 148), S. 666ff. 199 M. Mauss, Gabe (Fn. 197), S. 13, 16ff., 77ff. 200 S. a. zur Dankesschuld als „Ergänzung" und „Stellvertreterin des Rechts" schon G. Simmel (1907), in: ders., Schriften (Fn. 197), S. 210. 201 J. Köndgen, Selbstbindung (Fn. 198), S. 244f.
16
Schulze-Fielitz
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VIII. Gesetzgebung als Konkretisierung der Verfassungsgerechtigkeit
Austauschverhältnis des (vertraglichen) Do-ut-des ist der Leistungsaustausch nicht im voraus genau „bestimmt"; Reziprozität ist zeitlich, gegenständlich und personal asymmetrisch und bildet nur eine „Hintergrunderwartung" der Gegenseitigkeitsbeziehungen202 . Zeitlich sind Leistung und Gegenleistung unbestimmt versetzt („diachron"). Die Erwiderung eines Nachgebens bei Verhandlungen heute z. B. kann (möglicherweise lange) aufgeschoben werden; je nach Häufigkeit und Wachstum wechselseitiger Beziehungen bildet sich schrittweise Vertrauen in die Zuverlässigkeit des Interaktionspartners. Politische Verhandlungen zwischen Koalitionspartnern (Regierungsparteien) 203, zwischen Regierung und Verbänden, zwischen Regierung und Opposition bzw. den politischen Parteien im Gesetzgebungsprozeß überstehen dann kurzfristige Balancestörungen. Unmittelbare Aushandlungsprozesse werden in der Zeitachse durch eine allgemeine Reziprozitätserwartung überlagert 204 . Gegenständlich sind die Tauschobjekte mangels einer geldähnlichen Verrechnungseinheit sehr variabel (Rechts- und Leistungsansprüche, Posten, Prestige, Gruppenmacht, Geld usw.) und vor allem nicht notwendig äquivalent. Wer bei Vereinbarungen nachgibt, kann nicht notwendig beim nächsten Mal „Zug um Zug" in anderem Zusammenhang mit gleichartigem oder gleichgewichtigem Entgegenkommen rechnen 205 . Personal kann Reziprozität nicht nur zwischen zwei Personen, sondern als generalisierte Reziprozität wirken. Die Leistungserwiderung wird nicht notwendig vom selben Interaktionspartner erwartet, sondern es wird in Umkehrung der Situation virtuell unterstellt, man könne selber einmal in der vergleichbaren Situation des anderen sein — entsprechend der goldenen Regel: Was D u (nicht) willst, daß man Dir tu ... 2 0 6 . Alle informalen Vereinbarungen im Gesetzgebungsprozeß leben von ihr, auch wenn sie in einer neuen Legislaturperiode je neu
202
J. Köndgen, a. a. O., S. 246ff., 258ff.; W. Schmid , Wirklichkeit (Fn. 197), S. 89f.,
94. 203
L. Wildhaber, ZSchwR N. F. 94 I (1975), 137. Ein historisch erforschtes Beispiel scheint das Einverständnis der Gewerkschaften in Κ Adenauers Politik der Westintegration nach dessen Einsatz für die Montanbestimmung zu sein, vgl. H. Thum, Mitbestimmung (Fn. 185), S. 105 ff.; G. Müller-List, Aus Politik und Zeitgeschichte, Β 18/85, S. 15 ff. 205 K F. Röhl, FS f. H. Schelsky, S. 451 f.; W. Schmid , Wirklichkeit (Fn. 197), S. 92ff. 206 J. Köndgen, Selbstbindung (Fn. 198), S. 249.- Eben dieser Gedanke der Reziprozität liegt auch der Fiktion des „Schleiers des Unwissens" der Vertragsparteien über den eigenen späteren gesellschaftlichen Platz zugrunde, mit der J. Rawls die Gerechtigkeit seines Gesellschaftsvertrages garantieren will, s. ders., Theorie (Fn. 60), S. 159ff., oder auch den diskursethischen Bemühungen um die „ Wahrheitsfahigkeit" praktischer Fragen, die die Verallgemeinerungsfahigkeit von ethischen Normen fiktiv an eine Zustimmung aller Betroffenen bindet (s. die Nw. oben Fn. 66), letztlich auch dem Kategorischen Imperativ. 204
6. Reziprozität als Basis der Gesetzgebung
243
gewonnen werden müssen. Als verinnerlichte Norm erzeugt sie Motive zur Leistungserwiderung über kurzfristige, machtverzerrte Interessenkalkulation hinaus. Machthaber werden so (auch) vor sich selbst geschützt 207 , weil sie sich selber nach einer Wahl ζ . B. in der Opposition sehen können. Gemeinsame Funktion von Reziprozität im Verfassungsstaat ist es letztlich, Vertrauen, Kooperation und soziale Solidarität zu stiften und durch immer wieder neue Leistungen auf (relativer) Gegenseitigkeit aufrechtzuerhalten 208 . Weil Vertrauen nur durch (riskante) Vorleistung erbracht werden kann, stiften reziproke (weniger am Do-ut-des des Vertrages orientierte) wechselseitige Beziehungen Vertrauen 209 als „Geschäftsgrundlage" im Gesetzgebungsprozeß 210. Gemeinsamkeiten in den Ausschußberatungen ζ. B. erwachsen auf dieser Grundlage 211 . b) FunktionsYoraussetzungen Dieses theoretische Prinzip der Reziprozität hat Schwächen 212.- Vertrauen ist zunächst personengebunden; bei Beziehungen zwischen Organisationen, auf Verfassungsebene ζ. B. zwischen Verfassungsorganen oder politischen Parteien als bürokratischen Großorganisationen, scheint es dem Funktionsinhaber als Amtsträger nur sekundär um die personale Ebene zu gehen. Das erschwert aber nur spontane Reziprozität 213 — als einmal eingelebte, im gesetzgebungspraktischen Umgang bewährte Norm bleibt sie handlungsorientierend. Reziprozität setzt ein erstmaliges Gelingen von Reziprozität und damit einen Test von gegenseitigem Vertrauen voraus, das doch zugleich erst noch geschaffen werden soll 2 1 4 . Hier kann langfristige Interaktion Mißtrauen abbauen und Vertrauen initiieren und stabilisieren, wie es in langer Parlamentstradition zwischen den „etablierten" Parteien auch gewachsen ist und heute primär ein Problem neuer Parteien und neuer Parlamentarier zu sein scheint. Reziprozität versagt in formal asymmetrischen Beziehungen des Beteiligten 2 1 5 , also wenn Austauschpartner material (zu) ungleich sind und Gegenleistungen von einer Seite gar nicht oder nicht annähernd angemessen erbracht 207
A. W. Gouldner (1973), in: ders., Reziprozität (Fn. 197), S. 104. Vgl. zu einer parallelen Konstruktion der Wissenschaftlergemeinschaft: A. Blankenagel, AöR 105 (1980), 35 (60f.). 209 N. Luhmann, Vertrauen, 1968, S. 41, s. a. 35. 210 So auch T. Fleiner, Delegation (Fn. 153), S. 134f. 211 S. am Bsp. des BT-Haushaltsausschusses R. Sturm, PVS 26 (1985), 247 (253). 208
212
Vgl. J. Köndgen, Selbstbindung (Fn. 198), S. 243 f. Vgl. J. Köndgen, a. a. O , S. 208, 244. 214 Vgl. Κ Röhl, FS f. H. Schelsky, 1978, S. 452ff., 470ff. 215 Auch der Vertragsgedanke hat hier seine sozialen Schwächen, vgl. etwa E. A. Kramer, „Krise" (Fn. 116), S. 20ff.; s. a. H. Klein, Koalitionsfreiheit im pluralistischen Sozialstaat, 1979, S. 143 ff. m. w. Nw. 213
16*
244
VIII. Gesetzgebung als Konkretisierung der Verfassungsgerechtigkeit
werden können 2 1 6 . Gerade der Gesetzgebungsprozeß ist durch die politisch unterschiedlich verteilten Chancen zur Interessendurchsetzung asymmetrisch. Die Opposition ist ein der Regierungsmehrheit im parlamentarischen Regierungssystem unterlegener Vertragspartner, Reziprozität mithin eher schwächer handlungsleitend — anders als z. B. bei der Verteilung der Chancen zwischen Koalitionsfraktionen, die aufeinander angewiesen sind. Für bedeutende Machtungleichgewichte gilt: Nicht organisierte oder organisierbare Interessen bleiben bei der korporatistischen Zusammenarbeit vernachlässigt 217 ; viele Proporzregeln benachteiligen die kleineren Parteien oder schwächeren Interessengruppen bei ihren Einflußchancen im Gesetzgebungsverfahren. Solche Erscheinungsformen können im Extremfall zum Reziprozitätsversagen führen. Reziprozität wird auf Dauer nur gesichert, wenn einzelne Parteien oder Funktionsträger nicht zu übergewichtig werden, d. h. ein „Machtwechsel" aufgrund von Wahlen nicht bloß theoretische Fiktion bleiben 218 . Ein solches Reziprozitätsversagen bildet indessen keine zentrale Gefahr für die Funktionsfähigkeit des Gesetzgebungsstaates. Gesetzgebung kann nur im Rahmen und nach Maßgabe des Verfassungs rechts wirken 2 1 9 , das solchen Selbstgefährdungen (weit weniger elastische) Grenzen setzt 220 . Das Grundgesetz bildet den Rahmen für die (flexibleren) Ausgestaltungsmöglichkeiten des impliziten Gesellschaftsvertrages. Gesetzgebung ohne eine Bindung an das Verfassungsra:/^ würde bald atavistisch ungebundener Macht verfallen. 216
A. W. Gouldner (1973), in: ders., Reziprozität (Fn. 197), S. 118 ff.; N. Luhmann, Rechtssoziologie, 2. Aufl. 1983, S. 155. Zur Reziprozität als Ideologie s. (historisch) B. Moore, Ungerechtigkeit (Fn. 148), S. 668 f. 217
S. am (Extrem-)Beispiel der Strafgefangenen Vertretung bei der Strafvollzugsgesetzgebung: C. Hoffmeyer, Grundrechte im Strafvollzug, 1979, S. 69 f. 218 Ein exemplarischer Fall der Durchbrechung bestehender Reziprozitätserwartungen war die Planung einer Amnestie für Steuerhinterziehungen mit Hilfe von Parteispenden. Darin lag eine Aufgabe der interparteilichen Gemeinsamkeit in parteienrechtlichen Dingen, wie sie schon in den streng geheim gehaltenen monatelangen Vorberatungen innerhalb der Regierungskoalition (s. FAZ v. 4. 5. 1984, S. 7) zum Ausdruck kam. Der Verzicht auf eine derartige Amnestie war einige Monate zuvor die Bedingung der informalen Vereinbarung gewesen, aufgrund der damals auch die SPD einer neuen gesetzlichen Regelung der Parteienfinanzierung zugestimmt hatte (Der Spiegel Nr. 19/1984, S. 23.- Noch wenige Stunden vor der 2. und 3. Lesung war dieses in einer geänderten Fassung des Berichts des Bundestagsinnenausschusses dokumentiert worden, vgl. dazu G. Offczors, DuR 12 (1984), 141 (164)). Die Grundlage jenes Kompromisses wurde durch die geplante Amnestie einseitig aufgekündigt. Der Verzicht auf eine „Zustimmung oder wenigstens das billigende Stillschweigen der Mehrheit der SPDOpposition" (so krit. F. K. Fromme, FAZ v. 5. 5. 1984, S. 1) war ein partieller Verzicht auf den informalen Grundkonsens. 219 Die Nähe des Reziprozitätsgedankens zu nicht-rechtlichen Normen betont W. Schmid, Wirklichkeit (Fn. 197), S. 91 f. 220 A u f formaler (rechtlicher) Ebene verschafft deshalb z. B. die Notwendigkeit einer 2/3-Mehrheit für Verfassungsänderungen in Bundestag und Bundesrat (Art. 79 GG) Minderheiten Gegenleistungsmacht, nicht nur in Verfassungsänderungs(vertrags)verhandlungen, sondern auch reziprok für geplante oder künftige Verfassungsänderungen.
6. Reziprozität als Basis der Gesetzgebung
245
c) Reziprozität als vertragsergänzender Gerechtigkeitsmaßstab
Soweit der vorparlamentarische und parlamentarische Gesetzgebungsprozeß in Respekt aller beteiligten Interessen, Parteien und Personen ein Mindestmaß an Reziprozität im Aushandlungsprozeß gewährleistet, garantiert er jenes Maß der Mitte, der dem Verfassungsstaat allgemein und seiner Gesetzgebung im besonderen eigentümlich ist. Reziprozität der gesetzlichen Konfliktlösungsvorschläge im Sinne von gesellschaftlicher Ausgewogenheit und dem schonendsten Ausgleich aller Interessen ist ein Gerechtigkeitsmaßstab im Rahmen des Verfassungsrechts 221. Soziale Leistungskürzungen dürfen ζ . B. nicht immer (nur) dieselben sozialen Gruppen treffen. Gesetzgebung konkretisiert den impliziten Verfassungsvertrag immer wieder neu und ist deshalb notwendig auf pluralistische Verfahren und inhaltliche Ausgewogenheit hin angelegt. Anders als beim relativ „rigiden" Verfassungsrecht sind hier die Grenzen der Reziprozitätsbindungen verschiebbar und immer wieder neu herauszufinden. Die Bedingungen des (impliziten) Gesellschaftsvertrages werden immer wieder neu ausgehandelt, und zwar auf vielen verschiedenen Autoritätsebenen innerhalb des modernen (Verfassungs-)Staates 222. Noch die Akzeptanz von Strafrechtsnormen oder von der bestehenden Organisation der Arbeitsteilung ist Teil des ständigen Testens des impliziten (auch des expliziten) Gesellschaftsvertrages 223 — ob in der Frage einer neuen Regelwochenarbeitszeit (35-Stunden-Woche) oder der Amnestie für bestimmte Rechtsverstöße. Reziprozität ist positive Voraussetzung, daß die Verteilung gesellschaftlicher Vor- und Nachteile als (relativ) gerecht erfahren und akzeptiert wird, eben weil Vor- und Nachteile dieser Organisation Beherrschten und Herrschenden im Ergebnis einander entsprechend annäherungsweise bzw. befriedigend zugutekommen (können) 224 , also einseitige Verschiebungen erklärtermaßen nur vorübergehend erfolgen. Reziprozität ist immer wieder neu kooperativ herzustellen unter Hintanstellung einseitiger, egoistischer Partialinteressen 225, die sie immer wieder gefährden. Die impliziten Elemente der Verfassung als Vertrag versuchen, Reziprozität und ihre Bedingungen insoweit zu organisieren, als sie nicht ausdrücklich im Verfassungstext Niederschlag gefunden haben. Aus dem Grundsatz der Reziprozität gewinnt eine Verfassungsordnung Legitimität. Auch die impliziten Vertragselemente haben einen starken Realitätsgehalt. Die Verfassung wird empirisch als unvermeidlich und präskriptiv als historisch relativ optimal gerecht von tendenziell allen Staatsbürger-Gruppen 221
S. a. H. Schelsky, Soziologen (Fn. 184), S. 71, 73 zur Gegenseitigkeit als einer der drei zentralen Leitideen des Rechts; einschränkend zust. P. Koller, GedS f. I. Tammelo, 1984, S. 97 (104). 222 223 224 225
S. B. Moore, Ungerechtigkeit (Fn. 148), S. 39f. B. Moore, a. a. O., S. 55 bzw. 57. Β. Moore, a. a. O., S. 50f., 666ff. Β. Moore, a. a. O., S. 667.
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VIII. Gesetzgebung als Konkretisierung der Verfassungsgerechtigkeit
(tatsächlich) akzeptiert. Die „Unvermeidlichkeit" einer bestimmten Verfassungsordnung von Staat und Gesellschaft 226 ist das negative, historisch als vorläufige Zwischenstation gedachte Kriterium; die in der Bundesrepublik dominierende Betrachtungsweise entwirft das positive Bild vom GG als der besten je auf deutschem Boden bestehenden Verfassungsordnung. Ob so jeweils zukunfts- oder vergangenheitsorientiert: In beiden Fällen wird Verfassungsentwicklung als (unabgeschlossener) Prozeß deutlich. Gesetzgebung ist (ein) Schrittmacher dieser Verfassungsentwicklung. 7. Gesetzgebung zwischen politisch-strategischem Handeln und diskursiver Rechtfertigung Die Bestimmung von Gesetzgebung als „Konkretisierung von Verfassungsgerechtigkeit" nach Maßgabe von unterschwelligen Reziprozitätserwartungen scheint „naiv" zu vernachlässigen, daß Gesetzgebung durch politisches Handeln und dieses von der Durchsetzung bestimmter politischer (Teil-)Ziele geprägt wird. Die Akteure des politischen Prozesses wollen subjektiv nicht abstrakt „objektive" (Verfassungs-)Gerechtigkeit verwirklichen; sie verfolgen meist bestimmte konkrete Interessen, deren Realisierung sie als politisch zweckmäßig und sach-gerecht empfinden, ohne daß sie „objektiv" gerecht oder verfassungsgemäß sein müßten. Eine realitätsgerechte Theorie des Gesetzgebungsverfahrens muß diese Diskrepanz, eine Erscheinungsform der klassischen Differenz von Individualinteressen und Gemeinwohl, harmonisieren können. a) Die Unterscheidung von politisch-strategischem und diskursivem Handeln
In der neueren praktischen Philosophie wird zur Kennzeichnung solcher divergierenden Sinnperspektiven die Unterscheidung zwischen strategischem und kommunikativ-diskursivem Handeln eingeführt. Strategisches Handeln sucht auf andere durch Androhung mit Sanktionen oder Aussicht auf Gratifikationen einzuwirken 227 . Gesteuert von „egozentrischen Erfolgskalkulationen" 226
Nach der Theorie der C/ngerechtigkeit von Barrington Moore a. a. O. werden die im impliziten Gesellschaftsvertrag festgelegten t/wgleichheitsregeln (ebd., S. 8 f.) als unvermeidlich und deshalb legitim hingenommen, weil eine stärker egalitäre und autoritätsfreiere Gesellschaft je aktuell nicht herstellbar ist; erst bei einem bestimmten Leidensdruck mit einer Perspektive auf gerechtere Verhältnisse entsteht im Laufe der Zeit ein elementares kollektives Gefühl für Ungerechtigkeit (mit Folgen wie Widerstand, Revolten, Revolutionen), vgl. S. 604ff., 645 ff. Unter heutigen verfassungsstaatlichen Bedingungen wäre die Verfassung danach jedenfalls schon mangels besserer realistischer Alternativen legitim. Ein solches Verständnis kollidiert zwar mit dem Bild vom aktiven Grundrechtsbürger als Citoyen, hätte aber empirisch für sich, daß Privatismus, Apathie, soziale Deprivation oder politisches Desinteresse gleichwohl mit Verfassungsakzeptanz ( Φ Legitimität) kompatibel sein kann. — Freilich wird man die von B. Moore verallgemeinerten historischen Fallstudien kaum umstandslos auf die Verfassungsordnungen westlicher Verfassungsstaaten übertragen dürfen.
7. Gesetze zwischen politischem Handeln u. diskursiver Rechtfertigung
247
sucht es zweckgerichtet soziale Ziele durchzusetzen, ohne daß die davon Betroffenen durch Argumente von der Richtigkeit der Ziele überzeugt werden müßten 228 . Ziel des strategischen Handelns ist der (ggf. im Konflikt zu erkämpfende) Erfolg. Politisches Handeln ist typischerweise sei es als sozialer Interessenkampf, sei es als politischer Machtkampf um Ämter und Befugnisse von derartigem instrumenteilen strategischen Handeln geprägt. Demgegenüber zielt diskursives Handeln auf kooperative Wahrheitssuche mit dem Ziel rationaler Verständigung über die Wahrheit / Richtigkeit von bestimmten Aussichten durch subjektiv für wahr gehaltene Argumente. Der voraussetzungsvolle Begriff des Diskurses in der Verfassungstheorie ist nicht selbstverständlich und erklärungsbedürftig. b) Der Begriff des allgemeinen praktischen und des juristischen Diskurses
Als praktischer Diskurs wird in der praktischen Philosophie ein Verfahren genannt, in dem die Richtigkeit der Geltungsansprüche von Aussagen durch rationale sprachliche Diskussion der Diskursteilnehmer festgestellt wird 2 2 9 . Diskussionsbeherrschend ist die Diskurstheorie der Wahrheit von Jürgen Habermas 230. In Erkenntnis von der täuschenden Kraft von Gewißheitserlebnissen 231 und anderen philosophischen Annahmen über Wahrheit und Gerechtigkeit aus der älteren Tradition 2 3 2 wird im praktischen Diskurs die Richtigkeit normativer Aussagen durch intersubjektiv festgestellte Geltungsansprüche ermittelt 2 3 3 . Richtig sind nur solche Aussagen, denen potentiell alle Menschen 227 In diesem Sinne für gerichtliche Prozesse J. Habermas, in: ders./N. Luhmann, Theorie der Gesellschaft oder Sozialtechnologie — Was leistet die Systemforschung?, 1971, S. 142 (200 f.); H. Rottleuthner, KJ 12 (1979), 332 (334). 228 Zur Unterscheidung von instrumentellem, strategischem und kommunikativem Handeln s. J. Habermas (1977 bzw. 1980), in: ders., Vorstudien (Fn. 66), S. 441 (459ff.) bzw. 475 (541, dort das Zitat); vgl. ders., in: ders., Moralbewußtsein und kommunikatives Handeln, 1983, S. 53 (68); I. Ebsen, Bundesverfassungsgericht (Fn. 32), S. 233 ff. 229 S. (für den Bereich der Rechtswissenschaft diskussionsbestimmend): R. Alexy, Theorie (Fn. 66), S. 32; I. Ebsen, a. a. O., S. 249ff.; vgl. zu dieser Möglichkeit einer normativen (Sozial-)Wissenschaft allgemein auch H. Schulze-Fielitz, Sozialplanung (Fn. 71), S. 124ff. 230 J. Habermas (1972), in: ders., Vorstudien (Fn. 66), S. 127ff.; ders., Legitimationsprobleme (Fn. 66), S. 140ff.; ders., in: ders., Moralbewußtsein (Fn. 228), S. 53ff.; vgl. auch die zsfssd. krit. Darstellung bei R. Alexy, a. a. O., S. 134ff.; W. Krawietz, Rechtstheorie 15 (1984), 423 (436 ff.). 231
J. Habermas (1972), in: ders., Vorstudien (Fn. 66), S. 154ff. S. ζ. B. die Kritik des Intuitionismus bei R. Alexy, Theorie (Fn. 66), S. 58 ff. 233 Parallel wird im theoretischen Diskurs die Wahrheit empirisch-theoretischer Aussagen intersubjektiv ermittelt, vgl. J. Habermas (1972), etwa in: ders., Vorstudien (Fn. 66), S. 127f., 140 u. ö.; ders., Legitimationsprobleme (Fn. 66), S. 140ff.; auf die nicht unumstrittenen sprachanalytischen Festlegungen von Habermas kommt es hier nicht an, vgl. dazu aber R. Alexy, a. a. O., S. 143 ff.- Im Hinblick auf den hier primär interessieren232
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VIII. Gesetzgebung als Konkretisierung der Verfassungsgerechtigkeit
begründet zustimmen könnten 234. Zwar ist bei der (deduktiven) Begründung dessen, was richtig ist, dem unendlichen Regreß i. S. des MünchhausenTrilemmas durch immer wieder neue Begründung einer Aussage durch eine neue Aussage nicht zu entkommen 235 ; durch Festlegung rationaler Anforderungen an die Modalitäten der Begründungstätigkeit läßt sich aber das konsensuale Ergebnis solcher Begründungsverfahren als (relativ) rational (und stets revidierbar) auszeichnen236. Die Pointe der Diskurstheorie liegt darin, daß sie statt auf Dezision (Dogmatismus) oder Abbruch auf das Verfahren der Gewinnung von konsensualen Geltungsansprüchen abstellt: Sie macht es durch Angabe von Bedingungen, Kriterien oder Regeln rationaler 237 . Theoretisch lassen sich so allgemeine Regeln für einen (stets regelgeleiteten 238) rationalen praktischen Diskurs erarbeiten, wie man von gegebenen (unterschiedlichen) Ausgangspunkten (Prämissen) der beteiligten Sprecher her zu begründeten normativen Aussagen kommen kann 2 3 9 , die sich bei Einhaltung der Diskursregeln u. U. als (relativ und vorläufig) richtig (bzw. wahr) bezeichnen lassen 240 . Die formalen Eigenschaften für eine solche Konsensfindung bilden gebündelt die „ideale Sprechsituation" 241 . Außer dem Rationalitätspostulat als einziger Voraussetzung (sei es aufgrund einer persönlichen Entscheidung 2 4 2 , sei es, daß es impliziert wird im — bewußten oder unbewußten — SichEinlassen auf die Argumente des anderen 243 oder durch das unvermeidliche kommunikative Handeln jedes Menschen mit anderen 244 ) sind alle Regeln des Sprechens und Argumentieren rationaler Überprüfung zugänglich 245 . den juristischen Diskurs wird nur auf die Richtigkeit, nicht die Wahrheit von Aussagen abgestellt, auch wenn es z. B. bei Prognosen auch auf die Wahrheit von Aussagen ankommt und normativen Aussagen meist (auch) empirische Aussagen zugrundeliegen. 234 J. Habermas, wohl zuerst in: ders./N. Luhmann, Theorie (Fn. 227), S. 101 (124); ausf. ders. (1972), in: ders., Vorstudien (Fn. 66), S. 137 ff. (zur Konsensfrage), 160 ff., 172 ff. (zur Begründetheit des Konsenses); ausf. zum zugrundeliegenden Universalitätsgrundsatz s. ders., Theorie 2 (Fn. 33), S. 141 ff.; ders., in: ders., Moralbewußtsein (Fn. 228), S. 73 ff. 235 S. K. R. Popper, Logik der Forschung (1934), 7. Aufl. 1982, S. 60 ff.; H. Albert, Traktat über kritische Vernunft (1968), 3. Aufl. 1975, S. 13. 236 R. Alexy, Theorie (Fn. 66), S. 223 f. 237 Vgl. R. Alexy, a. a. O., S. 356; die Theorie des rationalen Diskurses ist normativer Art, ebd. S. 225. 238
S. R. Alexy, a.a.O., S. 68, 70, 75 u. ö. R. Alexy, a. a. O., S. 35 f., 233 ff. 240 R. Alexy, a. a. O., S. 36. 241 S. J. Habermas (1972), in: ders., Vorstudien (Fn. 66), S. 174ff.; vgl. dazu R. Alexy , a. a. O., S. 155ff. 242 S. zu diesem Restdogmatismus K.-O. Apel (1972), in: ders., Transformation 2 (Fn. 65), S. 420 f.; s. als locus classicus: Κ. R. Popper, Die offene Gesellschaft und ihre Feinde (1944), 4. Aufl. 1975, Band 2, S. 283 ff.; ferner H. Albert, Traktat (Fn. 235), S. 40; ähnlich auch H. Rüßmann, Rechtstheorie 10 (1979), 110 (112). 243 Vgl. O. Schwemmer, Philosophie (Fn. 67), S. 194, 247f., 269f. 239
7. Gesetze zwischen politischem Handeln u. diskursiver Rechtfertigung
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Der juristische Diskurs, also die Feststellung der Richtigkeit eines gerichtlichen Urteils, einer rechtswissenschaftlichen Aussage oder auch eines Gesetzes, läßt sich dabei wegen verschiedener einschränkender Bedingungen als ein Sonderfall des praktischen Diskurses ansehen. Auch hier werden zumindest teilweise praktische Fragen mit dem Anspruch auf Richtigkeit diskutiert 246 . Das Gesetzgebungsverfahren kann demzufolge als eine Form des juristischen Diskurses aufgefaßt werden 247 ; deren Teilnehmer argumentieren — gesetzgebungsspezifisch — nach Regeln, die sich an den logischen Grundregeln, Vernunftregeln, Argumentationslastregeln, Argumentationsformen und Begründungsregeln des allgemeinen praktischen Diskurses orientieren 245 . c) Das Gesetzgebungsverfahren — ein juristischer Diskurs?
aa) Einschränkende Bedingungen Die Freiheit des Gesetzgebungsverfahrens unterliegt im Gegensatz zum allgemeinen Diskurs einschränkenden Bedingungen 240 . Sie ergeben sich ζ. B. aus dem Verfassungsrecht, dem Organisationsrecht des Gesetzgebungsverfahrens, den Bedingungen der Mehrheitsentscheidung und der politischen Programmatik der gewählten politischen Mehrheitsparteien. Solche Einschränkungen sind vernünftig und erforderlich, weil sie der Notwendigkeit der zeitlichen und sachlichen Begrenzung des Diskurses über Rechtssetzung entsprechen 250 . Die Einhaltung der Diskursregeln gewährleistet, daß das Gesetz als Ergebnis im Rahmen der geltenden Verfassungsordnung vernünftig begründet werden kann. Der Richtigkeitsanspruch des Gesetzgebungsverfahrens ist insoweit offener als der anderer juristischer Diskurse. Der Anspruch von gerichtlichen juristischen Diskursen beschränkt sich auf vernünftige Begründbarkeit aus der Rechtsordnung; wegen der relativ engen Gesetzesbindung an das Gesetzesrecht 244 So die Position von J. Habermas, (z.B.) Legitimationsprobleme (Fn. 66), S. 152f. (Fn. 160); ders. (1983), in: ders., Moralbewußtsein (Fn. 228), S. 109 ff.; ähnlich R. Alexy, Theorie (Fn. 66), S. 165 ff. 245 Der fachphilosophische Begründungsweg dieser „Universalpragmatik" oder „Transzendentalpragmatik" und seine verzweigte Diskussion bedarf hier keiner näheren Darstellung, vgl. aber J. Habermas (1976), in: ders., Vorstudien (Fn. 66), S. 353ff.; KO. Apel (Hg.), Sprachpragmatik und Philosophie, 1976. 246 So die Kernthese von R. Alexy, Theorie (Fn. 66), S. 33f., 38, 224, 263ff.; zust. J. Habermas, Theorie 1 (Fn. 33), S. 62; s. allg. ferner J. M. Broekman, in: O. Ballweg/Th.M. Seibert (Hg.), Rhetorische Rechtstheorie, 1982, S. 197 (216ff., 225ff.); zur Kritik U. Neumann, Phil. Rundschau 28 (1981), 189 (209ff.). 247 Grdl. R. Alexy, a. a. O., S. 261 ff., 349 ff., der freilich an der Rechlsanwendung, nicht an der Rechtssetzung orientiert argumentiert, vgl. S. 273 ff., 351 f. 248 S. die Erarbeitung solcher Regeln bei R. Alexy, a. a. O., S. 233 ff., zsfssd. 361 ff.; zust. J. Habermas (1973), in: ders., Moralbewußtsein (Fn. 228), S. 97 ff. 249 Vgl. R. Alexy, a. a. O., S. 37, 256 f. 250 Vgl. R. Alexy, a. a. O., S. 37, 349f., 355; s. a. ders., Grundrechte (Fn. 94), S. 521.
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VIII. Gesetzgebung als Konkretisierung der Verfassungsgerechtigkeit
ist der Anteil allgemeiner praktisch-vernünftiger und allgemeiner empirischer Argumente dort sicher geringer 251 als im nur an die Verfassungsordnung gebundenen Gesetzgebungsdiskurs. Der Anspruch auf Richtigkeit des Ergebnisses solcher Gesetzgebungsdiskurse geht aber zugleich über die bloße Begründbarkeit im Rahmen des Verfassungsrechts hinaus. Denn die Verfassungsordnung des GG formuliert normativ die fundamentalen, entwicklungsoffenen Maßstäbe der Verfassungsgerechtigkeit, deren Konkretisierung (auch) dem Gesetzgeber aufgegeben ist. Wenn Gesetze selber als Konkretisierung der Verfassungs(vertrags)gerechtigkeit gerecht sein wollen, dann erheben sie auch einen Richtigkeitsanspruch, der diskursiv einlösbar sein muß: Der Anspruch auf Gerechtigkeit ist ein Sonderfall des Anspruchs auf Richtigkeit 2 5 2 . In diesem Rahmen gewährleistet das Gesetzgebungsverfahren als Diskurs, daß das Gesetz (vorläufig) „richtig" ist i. S. einer Vernünftigkeit des Ergebnisses der Konkretisierung der Verfassungsgerechtigkeit; dieses schließt also vor allem (negativ) unvernünftige Beurteilungen aus 2 5 3 und nähert sich insoweit „der" Verfassungsgerechtigkeit an. bb) Kritik (1) Offenkundig ist ein solches Verständnis des Gesetzgebungsverfahrens eher realitätsfern. Seine Idealität ist oft kritisiert worden.- Wichtig ist dabei allerdings, daß normativ-analytische und empirische Argumentationsebene nicht umstandslos vertauscht werden. Der konsenstheoretische Anspruch von allgemeinen praktischen Diskursen, die Geltung einer Norm mit dem Anspruch zu begründen, daß jeder, nähme er nur am Diskurs teil, ihr zustimmen könnte 2 5 4 , ist nicht mit der praktischen Institutionalisierung von Diskursen als bloßen „Annäherungen" 255 zu verwechseln 256 , wie ein verbreiteter empirischer Einwand argumentiert 257 . Auch das Gesetzgebungsverfahren ist nur approximativ gerecht. Selbst mit diesem Vorbehalt läßt sich das parlamentarische Gesetzgebungsverfahren nur schwer allein in den Kategorien juristischer Diskurse beschreiben. Zu sehr sind die politischen Auseinandersetzungen im Parlament von diskursi251
S. zu diesem Verhältnis bei der Verfassungsinterpretation durch das BVerfG /. Ebsen, Bundesverfassungsgericht (Fn. 32), S. 32ff., 249ff, 255ff. 252
R. Alexy, Theorie (Fn. 66), S. 242. Vgl. R. Alexy, a. a. O., S. 351 f., 356ff. 254 S. die Nachweise oben Fn. 234. 255 J. Habermas, in: ders., Moralbewußtsein (Fn. 228), S. 101. 256 S. schon J. Habermas (1972), in: ders., Kultur und Kritik, 1973, S. 378 (382ff.). 257 So z. B. N. Luhmann, in: J. Habermas/ders., Theorie (Fn. 227), S. 291 (336 f.); R. Spaemann (1972), in: ders., Zur Kritik der politischen Utopie, 1977, S. 104 (117ff); H. Rüßmann, JuS 1975,352 (355); vgl. zu dieser Kontroverse auch A. Wellmer, Praktische Philosophie und Theorie der Gesellschaft, 1979, S. 31 ff. 253
7. Gesetze zwischen politischem Handeln u. diskursiver Rechtfertigung
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ven Erörterungen entfernt; auch ein Verständnis des Gesetzgebungsverfahrens als Diskurs unter sehr zahlreichen einschränkenden Bedingungen kann jenes nicht nur als spezielles diskursives Verfahren ansehen. Empirisch stehen Gesetzgebungsverfahren meistens nicht unter dem Anspruch kooperativer Richtigkeits- (bzw. Wahrheits-)Suche, sondern oft unter schlicht politischen Machtansprüchen. Zwar ist es als kommunikatives Handeln zu betrachten; es mag andere rational motivieren, verzichtet aber durchaus auf die diskursive Einlösung. Ein Verständnis des praktisch durch dominierende politische Interessen verzerrten Gesetzgebungsverfahrens allein als rationaler Diskurs legitimiere, so wird gefolgert, affirmativ die bestehende, nicht diskursive Praxis 258 . Ein weiterer Einwand sieht die institutionellen Voraussetzungen einer Diskurspraxis entscheidend vernachlässigt 259 . Schließlich wird generell bestritten, daß parlamentarische Gesetzgebung ein optimierbares Erkenntnisverfahren sei, sondern allein auf den Entscheidungscharakter abgestellt 260 , insoweit es in seiner gegenwärtigen Praxis unter den Bedingungen des parteienstaatlichen parlamentarischen Regierungssystems weithin festgelegte Vorgaben der (Koalitions-)Mehrheitsparteien bzw. der Regierung und Minsterialbürokratien nur noch in verbindliche Gesetzesform zu gießen scheint. Gesetzgebung ist tatsächlich vom Aushandeln von Kompromissen zwischen partikularen Interessen, nicht durch Diskussion der verallgemeinerungsfahigen Interessen geprägt 2 6 1 und findet oft ohne diskursive Willensbildungsprozesse statt; solches kann empirisch je nach den Umständen entbehrlich oder sinnlos sein 262 . (2) Das Gesetzgebungsverfahren wäre andererseits aber nur dann allein (politisch-)strategisches Handeln (oder kommunikatives Handeln ohne diskursive Selbstreflexion), wenn es unter den Handlungszwängen zur Konfliktlösung (nur) der — und sei es einverständlichen — Realisierung festgelegter Geltungsansprüche diente. Dieser Schein tritt ζ . B. auf, wenn man das parlamentarische Gesetzgebungsverfahren isoliert und nur insoweit betrachtet, als außerparlamentarische Entscheidungen Dritter formell „umgesetzt" werden; selbst Sachverständigenanhörungen erscheinen dann oft wenig diskursiv. Man muß aber die informalen vor- und paraparlamentarischen Gesetzgebungsprozesse der 258 S. die Kritik an R. Alexys Beschreibung des gerichtlichen Verfahrens von E. Tugendhat, in: W. Hassemer u. a. (Hg.), Argumentation und Recht, 1980, S. Iff. 259 S. etwa W. Krametz, Rechtstheorie 15 (1984), 437f. m. Nw.; vgl. auch M. Kriele, Recht (Fn. 93), S. 50f. für das Gesetzgebungsverfahren; s. a. allg. S. 32 ff., 61 ff. u. ö. 260 S. als Bsp. für diesen Neo-Dezisionismus jüngst C. Gusy, ZRP 1985, 291 (298). 261 Zum Verhältnis von Kompromißbildung und praktischem Diskurs J. Habermas, in: ders., Moralbewußtsein (Fn. 228), S. 83, dort freilich einen Diskursabbruch durch Kompromiß außer acht lassend. 262 Zur Unterscheidung von Handlung und Diskurs s. Habermas (1972), in: ders., Vorstudien (Fn. 66), S. 130f.; R. Alexy, Theorie (Fn. 66), S. 138ff.; praktische Diskurse sind „Inseln im Meer" einer generell diskursabgeneigten Praxis, vgl. J. Habermas, in: ders., Moralbewußtsein (Fn. 228), S. 116.
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VIII. Gesetzgebung als Konkretisierung der Verfassungsgerechtigkeit
offenen Gesellschaft der Gesetzgeber und ihre Grundsatzdiskussionen, und sei es auch nur als „Hintergrund", in die Betrachtung mit aufnehmen. Dann läßt sich das Verfahren politischer Gestaltung durch Rechtssetzung empirisch insgesamt als Diskussion auch um (problematische) Geltungsansprüche angemessen fassen; anders als bei strategischen Handlungen werden hier Informationen durchaus auch angezweifelt und in theoretischen Diskursen überprüft. Auch die Protagonisten von Partialinteressen (z. B. Verbandsvertreter) gehen bei ihren argumentativen Auseinandersetzungen von der Notwendigkeit aus, den entscheidenden Adressaten zu überzeugen, und sie gehen häufig von der Wahrhaftigkeit/Richtigkeit ihrer Argumente aus — insofern hat der politische Konflikt diskursive (Teil-)Elemente 263 . Der partielle Diskurscharakter des Gesetzgebungsverfahrens wird empirisch bestätigt, wenn man im parlamentarischen Gesetzgebungsverfahren Veränderungsprozesse an Gesetzentwürfen feststellen kann, die in umfassenden Diskussionen von Geltungsansprüchen gründen 264 . Dafür spricht auch eine argumentationstheoretische Überlegung: Alle Argumentationen um Fragen von Recht und Moral erfordern „dieselbe grundlegende Organisationsform kooperativer Wahrheitssuche, die das Mittel der Eristik dem Ziel unterordnet, intersubjektive Überzeugungen kraft besserer Argumente herauszubilden" 265 . d) Folgerungen: Die Aufgabe des Gesetzgebungsverfahrens
Das Gesetzgebungsverfahren läßt sich mithin weder als rein diskursives noch als nur politisch-strategisches Handlungssystem angemessen fassen. Seine charakteristische Eigenart erschließt sich gerade aus der Kombination beider Elemente. Das Gesetzgebungsverfahren ist ein Handlungssystem, in dem sich beide Formen, strategisches und diskursives Handeln, überlagern und gegenseitig beeinflussen 266. Gesetzgebung als politisch-strategisches Handeln zur rechtlichen Verbindlichmachung bestimmter Ziele der politischen Parteien oder Interessenträger wird verfahrensrechtlich auf eine Weise eingebunden, die jenes politische Handeln zur potentiellen Rechtfertigung zwingt; durch diskursive Diskussionen werden die Gesetzeskonzeptionen auf ihre Richtigkeit hin rationaler Kritik unterworfen 267 . Die Gesetzesinitiativen (vor allem) der Regierung(smehrheit) 263 264 265
S. hierzu /. Ebsen, Bundesverfassungsgericht (Fn. 32), S. 251 f. Ausf. zu solchen s. u. Kapitel IX/4 bei Fn. 364 ff. J. Habermas, Theorie 1 (Fn. 33), S. 62.
266 So schon für das BVerfG: /. Ebsen, Bundesverfassungsgericht (Fn. 32), S. 250.- Die mit dieser Kombination verbundene Gefahr holistischer Argumentation hier (wie bei Ebsen) ist kein prinzipieller Einwand gegen die Verknüpfung.- Ähnlich unterscheidet Η. Η. v. Arnim allgemeiner für „gemeinschaftserhebliche Verfahren" (ohne nähere Herleitung) ein wert- und erkenntnisorientiertes Verfahren von einem interessenorientierten Verfahren, die sich wechselseitig ergänzen können, vgl. ders., Staatslehre, S. 203 ff.
7. Gesetze zwischen politischem Handeln u. diskursiver Rechtfertigung
253
werden vom Parlament und (vor allem) seiner Opposition diskursiven Rechtfertigungszwängen unterworfen. Das Gesetzgebungsverfahren schafft auf diese Weise Zonen der Interpénétration von Politik und Rationalität 2 6 8 , in denen Entwürfe (in freilich sehr unterschiedlichem Ausmaß) diskursiven Kontrollen ausgesetzt werden (können). Die rechtlichen Regeln des Gesetzgebungsverfahrens haben (auch) die Funktion, die Voraussetzungen für die tatsächliche Möglichkeit abzusichern, selbst „nur" von der Opposition veranlaßte Diskurse zu führen und dennoch auch dort praktische Lösungen zu ermöglichen, wo keine diskursive Einigung erzielt werden kann 2 6 9 . Auch der verfahrensrechtlich geregelte Abbruch eines Gesetzgebungsdiskurses im Interesse einer vernünftig begründbaren Entscheidung ist selber vernünftig. Ausschlaggebend ist, daß im Gesetzgebungsverfahren überhaupt mit dem Anspruch auf Richtigkeit diskutiert werden kann 2 7 0 ; damit ist im Gesetzgebungsverfahren die Möglichkeit eines Verständnisses des Gesetzgebungsverfahrens als eines juristischen Diskurses angelegt. Denn (wohl nur) dann kann parlamentarische Rechtssetzung als (relativ) richtig i. S. von vernünftig begründbar und damit auch von annähernd gerecht beschrieben werden, wie es auch im traditionellen Begriff der „Allgemeinheit" des Gesetzes intendiert sein mag. Nur so auch läßt sich die Vermutung für die Gerechtigkeit einer eingespielten Reziprozität zwischen den Parteien und Interessen i. S. pluralistischer Entscheidungsfindung überprüfen 271 . Gerade die diskursive Begründbarkeit kann schließlich die Dauerhaftigkeit von Gesetzen gewährleisten und insoweit Gesetzgebung als eine zentrale Erscheinungsform der Legitimation des Verfassungsstaates bekräftigen 272 .
267 Auch die Regeln des Gesetzgebungsverfahrens in GG und GO-BT als Regeln zur Aufnahme und zum Abbruch juristischer Diskurse werden so selber diskursiv einlösbaren Ansprüchen unterstellt, vgl. J. Habermas (1972), in: ders., Kultur (Fn. 256), S. 384ff.; Diskursregeln und rechtliche Regeln für ihre Institutionalisierung sind analytisch zu trennen, vgl. J. Habermas, in: ders., Moralbewußtsein (Fn. 228), S. 102. 268
S. R. Münch, ZfRSoz 6 (1985), 19 (22 f.). Vgl. R. Alexy, Theorie (Fn. 66), S. 257. 270 Vgl. R. Alexy, a. a. O., S. 271 f.; der Sache nach auch E. V. Heyen, in: W. Schreckenberger (Hg.), Gesetzgebungslehre, S. 11 (18). 271 Vgl. dazu M. Kriele, Recht (Fn. 93), S. 40ff. (der von Vernünftigkeit statt von Gerechtigkeit spricht).- Nach (m. E. nur definitorisch) abweichender Auffassung sollen die Diskursregeln jenseits der Gerechtigkeitsfrage die Auseinandersetzung nur rational strukturieren (so H. Rüßmann, Rechtstheorie 10 (1979), S. 113 f.) oder nur individuelle Absichten für kollektive Beschlüsse koordinieren und als für alle gleichermaßen gut rechtfertigen, indem sie Partizipation und Machtausgleich gewährleisten, so E. Tugendhat, krit. referiert bei J. Habermas, in: ders., Moralbewußtsein (Fn. 228), S. 80ff. 269
272 Auch Versuche zur Begründung juristischen Argumentierens aus der bestehenden Argumentations/?rajcw heraus (vgl. z. B. R. Gröschner, JZ 1985,170,174) kommen für den Bereich der (verallgemeinernden) Rechtsetzung ohne solche entsubjektivierenden Begründungselemente nicht aus.
254
VIII. Gesetzgebung als Konkretisierung der Verfassungsgerechtigkeit
Dieses Modell bildet den Hintergrund für die nachstehende, empirisch geprägte Analyse des Gesetzgebungsverfahrens. Es kann verschiedene empirische Entwicklungen plausibel erklären: die Entwicklung des parlamentarischen Gesetzgebungsverfahrens zu einem Prozeß der Kontrolle (IX.), die Grenzen und Brechungen politischen Handelns im eigengesetzlichen Bereich der Politik (X.) und die realen Möglichkeiten einer Rationalisierung von Politik in der Form der Gesetzgebung (XI.). Zugleich wird nach Problembereichen gefragt, in denen der rationale Diskurscharakter zulasten strategischen und kommunikativen Handelns der Parlamentsmehrheit im gemeinsamen Interesse einer Rationalisierung der Politik gesteigert werden kann. Die Konsenstheorie in ihrer juristischen Adaption hat dabei nur eine heuristische Funktion 2 7 3 . Diese Vorgehensweise verkennt keineswegs die große Distanz zwischen dem Alltag des Gesetzgebungsverfahrens und den hohen „idealen" Ansprüchen der Diskurstheorie, die wie jedes „Ideal" nur annäherungsweise realisierbar ist 2 7 4 ; gerade darin besteht ein wesentlicher Unterschied zwischen der Reziprozität als empirisch wirksamem Gerechtigkeitsmaßstab und diskursiv gewonnenen Geltungsansprüchen. Gleichwohl bildet die Konsenstheorie gesetzgeberischer Richtigkeit ein begründetes Instrument der Kritik 215. Die gesellschaftskritische Sprengkraft der Diskursethik als solcher 276 bleibt hier verfassungsstaatlich ein- und damit an den verfassungsrechtlichen Grundkonsens angebunden.
273
Fachphilosophische Streitigkeiten bleiben dabei ausgeklammert, weil sie den Grundansatz letztlich nicht berühren. 274 Vgl. auch R. Dreier, FS f. H. J. Wolff, 1973, S. 3 (25 ff.). 275 Vgl. auch allg. R. Alexy, Theorie (Fn. 66), S. 358 f., 241. 276 Vgl. dazu A. Wellmer, Philosophie (Fn. 257), S. 46f.; J. Habermas, in: ders., Moralbewußtsein (Fn. 228), S. 116 ff.
D. Die parlamentarische Gesetzgebungspraxis, besonders in der 9. Legislaturperiode I X . Bundesgesetzgebung als abgestuft kontrollierter Kommunikations-, Verhandlungs- und Entscheidungsprozeß 1. Gesetzgebung als Prozeß a) Die (prinzipiell) offene Gesellschaft der Gesetzgeber
Unter den Bedingungen einer Verfassung des Pluralismus wirkt anstelle „des" Gesetz-Gebers eine unübersehbare Vielfalt von „extrakonstitutionellen" tatsächlichen Wirkkräften und Entscheidungs(bei)trägern in einem abgestuften, sich wechselseitig beeinflussenden, dauerhaften und durch die Verkündung eines Gesetzes nicht einmal beendeten Kommunikations- und Entscheidungsprozeß 1. In den Nischen des GG gelten in Konkretisierung und Ergänzung allgemeiner Verfassungsgrundsätze die materiell-verfassungsrechtlichen Regelungen der Geschäftsordnungen von Bundesregierung und Bundesministerien bzw. des Bundesrates (in der vorparlamentarischen Phase). Für das Bundestagsverfahren als „Haupt- und Beschlußphase" des Gesetzgebungsprozesses2 gilt die GO-BT. Zudem ergänzen tatsächliche Verfassungsentwicklungen und informale Verfassungsregeln das (materielle) Verfassungsrecht wesentlich. aa) Folgen des parlamentarischen
Regierungssystems
Das Modell der grundgesetzlichen Gewaltenteilung wird überlagert durch rechtlich nicht oder nur teilweise strukturierte Gewichtsverschiebungen im Verfassungsleben. Die Eigengesetzlichkeiten der parteienstaatlichen Demokratie schaffen ein Ergänzungs- und Spannungsverhältnis zum geschriebenen Verfassungsrecht. Seit langem erkannt sind Folgen der Entwicklung zum parlamentarischen Regierungssystem, also zur Annäherung von parlamentarischen Mehrheitsfraktionen und Regierung, die den Oppositionsfraktionen des Parlaments gegen1 Vgl. K. Eichenberger (1974), in: ders., Staat (Fn. 1/7), S. 332 (346); zust. R. A. Rhinow, in: J. Rödig (Hg.), Studien, S. 154 (157); zuletzt G. Kretschmer, in: W. Schreckenberger (Hg.), Gesetzgebungslehre, S. 167 (168 mit Fn. 3); U. Karpen, ZG 1 (1986), 5 (21 f.) m. Nw. 2 So G. Kretschmer, a. a. O., S. 167; s. aber auch zur Beratungsphase N. Achterberg, Parlamentsrecht, 1984, S. 356 — 359.
256
IX. Bundesgesetzgebung als Verhandlungs- und Entscheidungsprozeß
überstehen 3. Die Regeln und Einrichtungen der Verfassung können so einen Funktionswandel erfahren, auch wenn das unveränderte verfassungsrecMiche Gerüst auf die Schematisierung von Mehrheit und Opposition nicht zugeschnitten ist 4 . Bei den Gesetzesinitiativen ζ. B. können Regierungsvorlagen insoweit gerade politischen Aufträgen der Mehrheitsfraktion(en) nachkommen 5 ; umgekehrt leisten Ministerien bei Kompromiß-Absprachen der Koalitionsabgeordneten untereinander Formulierungshilfe, selbst wenn ein abweichender Regierungsentwurf im parlamentarischen Gesetzgebungsverfahren vorliegt (vgl. aber § 44 GGO I I ) 6 . Die Gegenüberstellung von Regierung und Parlament wird auf diese Weise modifiziert 7 . Eine verbreitete These folgert, daß parlamentarische Kontrolle heute primär von der Minderheit der Opposition ausgeübt werde; die Mehrheitsfraktionen scheinen sich mit der Regierung zu identifizieren, wie ζ. B. in Kabinettssitzungen unter Teilnahme von den Mehrheitsfraktionsvorsitzenden anschaulich wird 8 . Diese These ist zwar nur ζ. T. richtig9. Erstens ist die politische Kontrolle durch die Opposition(sfraktionen) wesentlich auf die Öffentlichkeitsfunktion des Bundestages beschränkt und im Ergebnis oft wenig effektiv 10 . Zweitens kontrollieren auch die Mehrheitsfraktionen die Regierung, aber nicht oder weniger öffentlichkeitsbezogen — „diskreter" 11 ; es bleibt trotz aller Einbindun3
S. jetzt W.Mößle, Regierungsfunktionen, S. 117ff.; K.Stern, Staatsrecht I, S. 1032ff.; H.-P. Schneider, in: HdbVerfR, S. 239ff.; K-U. Meyn, Kontrolle (Fn. VI/5), S. 306ff.; D. Th. Tsatsos/M. Morlok, Parteienrecht, 1982, S. 198 ff.; F. Ossenbühl, DÖV 1980,545 (546 f.); S. Magiera, Staatsleitung (Fn. III/134), S. 228 ff.; H. Meyer, W D S t R L 33 (1975), 69 (81, 85 ff.); H. Trautmann, Innerparteiliche Demokratie im Parteienstaat, 1975, S. 58ff.; N. Gehrig, Parlament (Fn. V/133), S. 85ff. 4 W. Krebs, Kontrolle (Fn. V/137), S. 130 ff. 5 H. Oberreuter, in: ders. (Hg.), Parlamentsreform, 1981, S. 11 (21, 23).- S. (als Beispiele) aus der Frühzeit der Bundesrepublik: G. Loewenberg, Parlamentarismus im politischen System der Bundesrepublik Deutschland, 1969, S. 349; zu Klagen von Bundestagsabgeordneten, die jeweiligen Minister verzögerten aus (partei-)politischen Gründen die Ausarbeitung und Vorlage von Gesetzentwürfen, die die Koalitionsfraktionen angefordert hätten, FAZ v. 28. 3. 1985, S. 2 betr. FDP gegen (CSU-)Innenminister in strittigen Fragen der Innenpolitik; FAZ v. 27. 3. 1985, S. 4 betr. SPD (!) zum Koalitionsauftrag an den Justizminister in Sachen Auschwitz-Lüge-Gesetz. 6
S. am Bsp. der Vermummungsregelung FAZ v. 2. 2. 1985, S. 2. S. H.-P. Schneider, in: HdbVerfR, S. 244. 8 S. ζ . Β. N. Gehrig, Parlament (Fn. 3), S. 94ff., 124ff.; H.-P. Schneider, AöR 105 (1980), 4 (18); differenzierter ders., in: HdbVerfR, S. 245; E. Röper, ZParl 13 (1982), 304 (312); K-U. Meyn, Kontrolle (Fn. 3), S. 308ff.; zuletzt wieder C.-C. Schweitzer, Aus Politik und Zeitgeschichte, Β 24-25/85, S. 45 (51). 9 S. H. Meyer, W D S t R L 33 (1975), 101; zuletzt ausf. W. Krebs, Kontrolle (Fn. 4), S. 128 ff. 10 Vgl. im einzelnen Ν. Gehrig, Parlament (Fn. 3), S. 135 ff.; ähnlich W. Steff ani, in: ders. (Hg.), Parlamentarismus ohne Transparenz, 1971, S. 17 (36); s. aber auch W. Ismayr, Aus Politik und Zeitgeschichte, Β 24-25/85, S. 32 (34ff.). 11 Vgl. ausf. N. Gehrig, a. a. O., S. 129ff.; W. Ismayr, a. a. O., S. 39f. 7
1. Gesetzgebung als Prozeß
257
gen und Solidarität ein Spannungsverhältnis zwischen der Parlamentsmehrheit als „Resonanzboden des politisch Zumutbaren" 12 und der Regierung 13 . Schließlich gibt es unverändert ein rechtlich konstituiertes gemeinsames Interesse des gesamten Parlaments in seiner Heterogenität gegenüber der Regierung 14 , gerade wenn und obwohl die Regierungsmehrheit primär daran interessiert ist, die Regierung regierungsfähig zu halten. Dennoch verliert die Dichotomie Parlament/Regierung erheblich zugunsten weiterer „Frontlinien" 1 5 an Bedeutung. bb) Parteipolitisierung Ein zweiter, von der Entwicklung zum parlamentarischen Regierungssystem zu unterscheidender Entwicklungsprozeß gründet einerseits im Verhältniswahlsystem, das in der Geschichte der Bundesrepublik in aller Regel zu Koalitionsregierungen führt, andererseits in der bundesstaatlichen Struktur und seinen parteipolitischen Folgen. Zunehmend deutlich wird eine Verlagerung politischer Entscheidungen in Gremien, deren Zusammensetzung und Logik sich parteipolitischen Kalkülen, nicht aber einer staatsrechtlichen Logik organschaftlichen Zusammenwirkens verdankt. Zentrale politische Entscheidungen auch über Fragen der Gesetzgebung fallen auf Koalitionsebene in Spitzengesprächen zwischen den Parteivorsitzenden (unabhängig von ihren staatlichen Ämtern), in Koalitionsspitzengesprächen hoch- und höchstrangiger Koalitionspolitiker jenseits der staatsrechtlichen Funktionstrennung oder in informell erweiterten Sitzungen bestehender Gremien (ζ. B. Teilnahme von Bundesministern an Sitzungen der Landesregierung zur Beseitigung „unionsinterner Meinungsunterschiede" 16 oder Parteivorstandssitzungen mit den „parteieigenen" Ministerpräsidenten der Länder als Gästen) 17 . Die parlamentarischen Ausschußberatungen werden detailliert in Fraktionsarbeitskreisen und Ausschußgruppen vorbereitet 18 , ζ . T. mit frak12
W. Steffani, in: ders. (Hg.), Parlamentarismus (Fn. 10), S. 37. Ζ. T. instrumentalisieren die Regierungsfraktionen die Oppositionsfraktionen gegen die eigene Regierung, s. am Bsp. des Haushaltsausschusses R. Sturm, PVS 26 (1985), 247 (253). 14 S. W.Krebs, Kontrolle (Fn. 4), S. 133; H. Troßmann, JöR 28 (1979), 1 (59 f.); G. Leibholz (1965), in: ders., Strukturprobleme der modernen Demokratie, 3. Aufl. 1974, S. 295 (298).- Diese Dimension wird ζ. B. allein betont in BVerfGE 67,100 (128 ff.); krit. H. Bogs, JZ 1985, 112 (114, 118 f.). 15 S. jetzt W. Mößle, Regierungsfunktionen, S. 120f.; K. Stern, Staatsrecht I, S. 1022ff.; s. a. Magiera,, Staatsleitung (Fn. 3), S. 228ff.; H. Meyer, VVDStRL 33 (1975), 88, 111: „gewaltenverschränkendes, unvollkommen zweipoliges System". 13
16 S. die Werbung von BMVtg. M. Wörner (CDU) für seinen Plan zur vorzeitigen Pensionierung von Offizieren in der Sitzung der Bayerischen Landesregierung, FAZ v. I . 3 . 1985, S. 4. 17 S. als aktuelleres Beispiel das Prozedere beim Gesetz zur „Auschwitz-Lüge", berichtet bei G. Hofmann, D Z v. 15. 2. 1985, S. 6. 18 S. am Bsp. des Haushaltsausschusses R. Sturm, PVS 26 (1985), 250f.
17
Schulze-Fielitz
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IX. Bundesgesetzgebung als Verhandlungs- und Entscheidungsprozeß
tionsinternen Sachverständigen-Anhörungen 19 oder mit Gesprächen der Fraktionsexperten mit Vertretern (nur) aus den (Länder-)Fachministerien, die der gleichen politischen Partei angehören 20 ; selbst vor Ausschuß-Anhörungen treffen sich teilweise Parlamentarier einer Fraktion mit den von ihnen vorgeschlagenen Sachverständigen am Abend vorher zur Feinabstimmung von strategisch gestellten Fragen und Antworten; nicht anders unterliegen selbst Enquete-Kommissionen einer deutlichen Parteipolitisierung 21 . Die einzelnen Abgeordneten werden weitgehend in eine vorher schon festgelegte Fraktionssolidarität eingebunden22. Auf Bundesstaatsebene agieren die Länder, geteilt in A- und B-Länder, über den Bundesrat weithin parteipolitisch. Je nach den Mehrheitsverhältnissen in Bundestag und Bundesrat wirken sie i. S. einer informellen Großen Koalition oder als föderalistische Fraktion innerhalb der führenden Regierungspartei der Koalition auf Bundesebene23 oder als Forum für die Oppositionsparteien im Bundestag, mit Hilfe der Ministerialbürokratien „ihrer" Länder alternative Gesetzentwürfe und damit auch alternative politische Gestaltungsvorschläge einzubringen 24 . Daneben gibt es koalitions- bzw. parteipolitisch motivierte informelle (Bund-)Länder-Länder-Kontakte 25 . Die Logik der Parteipolitik wirft in allen diesen Fällen ein eigenes Netz von Entscheidungsformen und regeln über die verfassungsrechtlichen, formell eingehaltenen (gewaltenteilenden) Verfahrensprozeduren 26. 19
Vgl. G. Kretschmer, Fraktionen, 1984, S. 94ff.; s. als Beispiel die Expertenbefragung der Innen- und Rechtspolitiker der CDU/CSU-Bundestagsfraktion zur Kriminalitätsbekämpfung, FAZ v. 16. 5. 1984, S. 6; die Anhörung der SPD-Bundestagsfraktion zur künstlichen Befruchtung, Leihmutterschaft, FAZ v. 17. 4. 1985, S. 3, oder zu den Folgen der Neuen Technologien für die Bildung, s. FAZ v. 29. 5. 1985, S. 12. 20 S. ζ. B. die Besprechung der Innenpolitiker der Unionsfraktion mit Vertretern von Innen- und Justizministerien aus unionsregierten Bundesländern, FAZ v. 26. 3. 1985, S. 2.- Der entscheidende Kompromiß zum Ehescheidungsfolgenrecht (in der 10. WP) wurde in einer Sitzung in der Parlamentarischen Gesellschaft zwischen BMJ Engelhard und den MdB Kleinen (FDP), Hellwig (CDU) und Sauter (CSU) gefunden, ehe sie im Rechtsausschuß beraten wurden, s. FAZ v. 26. 10. 1985, S. 6. 21
Nw. am Bsp. der Enquete-Kommission „Neue Informations- und Kommunikationstechniken" bei W. Hoffmann-Riem, JbRSoz 12 (1988), MS. 74ff. 22 N. Gehrig, Parlament (Fn. 3), S. 123 f.; w. Nw. unten bei Fn. 638 ff. 23 S. ζ. B. die Einigung der Unionskultusminister mit Bundesbildungsministerin Wilms (CDU) über die Änderung des Hochschulrahmengesetzes, FAZ v. 6. 2. 1985, S. 2; s. a. die Kritik am Meinungswandel des BMJ H. A. Engelhard (FDP) zur Reform der Juristenausbildung nach einer Besprechung mit den Justizministern (nur) der CDU/CSU-regierten Länder bei D. Haak, ZRP 1984, 113 (116). 24
S. als jüngstes Bsp. die Bundesratsinitiative der 4 „SPD-Länder" für ein Gesetz zur Einführung einer allgemeinen Pflegeversicherung, FAZ v. 5. 2. 1985, S. 6. 25 Ζ. B. Fachministerkonferenzen mit Ministern nur einer Partei, ζ . B. bei den CDU/CSU-Innenministern die „Möcklinghoff'-Runde, vgl. FAZ v. 5. 9. 1985, S. 6; eine Stellungnahme der SPD-Länderinnenminister (zur Reform des Demonstrationsstrafrechts) in FAZ v. 14. 2. 1985, S. 2; s. allg. auch H. Herles, FAZ v. 23. 11. 1985, S. 10.
1. Gesetzgebung als Prozeß
259
Die Folgen der Parteipolitisierung für den Gesetzgebungsprozeß sind trotz aller Theorien vom „Parteienstaat" noch nicht angemessen erfaßt. Als Beispiel sei die wachsende Politisierung der Referentenentwürfe erwähnt. Sie werden heute oft von vornherein durch parteipolitische Vorgaben vor-geprägt — zulasten einer „sachlichen", alternativ-offenen Diskussion „im Hause"; oder sie werden zu früh, d. h. unausgereift als Entscheidungsgrundlage vom politischen Prozeß abgefordert und im Parlament eingebracht. cc) Gesetzgebung im informalen
Verfassungsstaat
Auf diese Weise hat sich, unter dem Einfluß der politischen Parteien und entlang der Konfliktlinien des parlamentarischen Regierungssystems, eine Vielzahl nicht-rechtlicher, d. h. informaler Verfassungsregeln herausgebildet. Teils ergänzen sie das geschriebene Verfassungsrecht, teils umgehen, teils konterkarieren sie es 27 . Proporzregeln und ungeschriebene Regeln der Zusammenarbeit und der informalen Machtbalancierung sind die Erscheinungsformen dieser informalen verfassungsstaatlichen Struktur 28 . Sie ergänzen das verfassungsrechtliche System der Gewaltenteilung um Formen inter-parteilicher Machtbalancierung: „Die konkurrierenden Parteien bewachen sich gegenseitig" (Dieter Grimm 29). In (i. e. S.) parakonstitutionellen Entscheidungsgremien werden, auf der Basis eines gegenseitigen politischen Vertrauens der Funktionseliten, parteipolitische Absprachen in Form von Koalitionsvereinbarungen und den diese konkretisierenden Absprachen getroffen. Durch sie wird vor allem auch der Gesetzgeber gebunden. Funktionsmerkmale sind dabei die vertrauenschaffende Kontinuität und Selbstbindung der (Koalitions-)Partner an politische Absprachen und eine reziproke Tauschgerechtigkeit der Vereinbarungen 30. In bestimmten Grundsatzfragen ist auch die (i. S. Otto Kirchheimers:) „loyale" 3 1 Opposition einbezogen32, traditionell in Fragen der Außen-, Deutschland- und Friedenspolitik; jüngstes innenpolitisches Beispiel war die Ankündigung des Bundesinnenministers, die Volkszählung 1986 von der Zustimmung der SPD abhängig machen zu wollen 33 . 26
S. auch H. H. v. Arnim, DÖV 1985, 593 (597 f. u. ö.). Ausf. H. Schulze-Fielitz, Verfassungsstaat, S. 105 ff.; vgl. auch W. Berg (1986), in: BonnKomm, Art. 45 a/Rdn. 23 u.ö. 28 H. Schulze-Fielitz, a. a. O., S. 21 ff., 46ff., 69ff. 29 D. Grimm, in: HdbVerfR, S. 317 (370). 27
30
S. zum Vertrauen als Basis der parteienstaatlichen Demokratie H. Schulze-Fielitz, Verfassungsstaat, S. 86ff., 97f., 120; Κ. M. Meessen, NJW 1985, 2289 (2294). 31 S. O. Kirchheimer (1966), in: ders., Politische Herrschaft, 1967, S. 58 ff.; s. zur Kritik aber H.-P. Schneider, Die parlamentarische Opposition im Verfassungsrecht der Bundesrepublik Deutschland, 1974, S. 106ff. 32
Vgl. H. Schulze-Fielitz, Verfassungsstaat, S. 53 ff. FAZ v. 15. 2. 1985, S. 1; s. a. umgekehrt die Reaktion der SPD, FAZ v. 11. 4. 1985, S. 1: „Es gibt Dinge, die ohne uns nicht laufen". 33
17*
260
IX. Bundesgesetzgebung als Verhandlungs- und Entscheidungsprozeß
M i t den genannten parteienstaatlichen Entwicklungen sind verfassungsrechtliche Gefahren verbunden: vor allem die Arkanisierung der Entscheidungsprozesse, die Verlagerung der Kompetenz- und Verantwortungszuweisungen, die Abwertung des Verfassungsverfahrensrechts und die Schwächung der Gewaltenteilung 34 . Dennoch muß jede verfassungsrechtlich und verfassungstheoretisch angemessene Erfassung des parlamentarischen Gesetzgebungsprozesses diese für die Gesetzgebung hochbedeutsamen Erscheinungen der Parteipolitisierung, des parlamentarischen Regierungssystems und des informalen Verfassungsstaats (mit-)berücksichtigen. dd) Der Bund und die Länder Neben Regierung und Parlament bzw. den politischen Parteien spielen die übrigen Verfassungsorgane eine wesentliche Rolle im Gesetzgebungsprozeß. (1) Der Bundesrat als formeller Gesetzesinitiant Von besonderer institutioneller Bedeutung ist dabei der Bundesrat: Er korrigiert die Gesetzgebungsaktivitäten von Regierung und Parlament. Er stößt aber auch die Gesetzgebung des Bundes unmittelbar als Gesetzesinitiant an, selbst wenn er mit seinem Gesetzesvorschlag nicht unmittelbar Erfolg hat 3 5 . Gerade parteipolitisch konträre Mehrheitsverhältnisse in Bundesrat und Bundestag bis kurz vor Ende der 9. WP verdeutlichen empirisch eine besondere Rolle des Bundesrates. Von den 136 verkündeten Gesetzen der 9. WP gingen acht ( = 6 %) auf Gesetzentwürfe des Bundesrates zurück. Parteipolitische Gesetzmäßigkeiten sind bei diesen nicht erkennbar. Eine erste Gruppe von Gesetzen betrifft spezifische Länderprobleme, nämlich erstens die (nach Art. 30, 83 ff. GG die Länder besonders berührende) Verwaltungsvereinfachung, und zwar in Fällen einer notwendigen Zerlegung der Einkommens- und Körperschaftssteuer zwischen den Ländern 36 bzw. bei der Grunderwerbssteuer (einschließlich ihrer gemeindeutschen Vereinheitlichung 37 ), schließlich bei der verwaltungsökonomischen Bewältigung von voll-
34 S. H. Schulze-Fielitz, Verfassungsstaat, S. 134ff.; krit. zur Verwischung der politischen Verantwortlichkeit durch eine „verdeckte Allparteienregierung" mit ihrer „Politik des kleinsten gemeinsamen Nenners" ζ . Β. H. Rausch, in: H. Oberreuter (Hg.), Parlamentsreform (Fn. 5), S. 143 (155). 35 S. ζ. B. die Rolle des — selber als länderübergreifender Kompromiß verabschiedeten — Bundesratsentwurfs für ein 2. AsylVfG (BT-Drs. 9/221), der Bundesregierung und Bundestag vor Handlungszwänge stellte und dann mit zum AsylVfG führte. 36 37
S.2. ZerlÄndG, eine von Baden-Württemberg im Bundesrat eingeleitete Initiative. S. Gr EStG Ì983 , eingebracht von Niedersachsen.
1. Gesetzgebung als Prozeß
261
zugserschwerenden Gesetzeslücken, die durch das 2. HStruktG vom 22. 12. 1981 entstanden waren und nach gesetzlicher Harmonisierung verlangten 3 8 . Zweitens geht es um die Entlastung der (unmittelbar: Länder-)Gerichte durch Erhöhung der Wertgrenzen 39 , drittens um länderspezifische Sonderprobleme, hier die nur noch für Berlin bedeutsame Verlängerung der bundesgesetzlichen Mietpreisbindung 40 . Erfolgreiche Bundesratsinitiativen erweisen sich folglich zur Hälfte als überparteiliche Transmissionsriemen von Gesetzgebungsimpulsen aufgrund spezifischer (oder „gemeindeutscher") Länderinteressen; sie entsprechen damit „ureigenen" Bundesratsfunktionen. Bei der verbleibenden Restgruppe von 3 Bundesratsinitiativen fallt als signifikante Gemeinsamkeit ihre untypische, außerordentlich spezielle „EinPunkt"-Problematik auf: die längst überfallige Streichung von § 80 V I 2 VwGO a. F. ( = Einführung der Beschwerdemöglichkeit bei stattgebenden Entscheidungen in Verfahren nach § 80 V VwGO) 4 1 , die Änderung von § 11 I I I BundesApothekerordnung ( = Ermöglichung nur befristeter Approbationen für ausländische Apotheker) 42 und die Aufhebung der Pockenschutzimpfpflicht 43 : Hier haben offenkundig Verwaltungsfachleute „ihre" Einzelprobleme auf die Aufmerksamkeitsebene von Gesetzentwürfen emporheben können. Auch insoweit aktualisiert der Bundesrat als erfolgreicher Gesetzesinitiant bürokratische Sachkunde. Daneben sind auch verschiedene Bundesregierungsentwürfe entscheidend von Wünschen der Bundesländer angeregt oder beschleunigt worden 44 . Der Erfolg des Bundesrates als Gesetzes initiant bei parteipolitisch abweichender Bundestagsmehrheit, so lautet die (angesichts der schmalen empirischen Basis vorsichtige) Folgerung, hängt mithin davon ab, daß er „überparteilich" länderspezifische Probleme in bundesgesetzliche Form umsetzen kann und singuläre Probleme als unumstrittene Einzelsachentscheidungen darstellen kann. Erst recht können breite, überparteiliche Länderinitiativen Erfolg haben. Bei parteipolitisch parallelen Mehrheiten in Bundestag und Bundesrat dürfte diese Sachlage nicht anders sein. Gesetzgebungsimpulse i. S. aktiver politischer Gestaltung von Gesetzentwürfen gehen eindeutig auch dann primär von der Bundesregierung aus. Der Bundesrat hat insoweit eine überwiegend reagieren38 39 40 41 42 43 44
(AB).
WoBindÄndG, von Bremen eingebracht. WertgrErhG, von Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen eingebracht. 3. MRBlnÄndG, eingebracht von Berlin. 3. VwGOÄndG, eingebracht von Hessen. 2. BApOÄndG, eingebracht von Bremen. PimpfAufhG, eingebracht von Berlin. S. etwa zum FischAufhG BT-Drs. 9/312, S. 4 (EB); 2. AbfÄndG, BT-Drs. 9/1222, S. 8
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IX. Bundesgesetzgebung als Verhandlungs- und Entscheidungsprozeß
de, korrigierende, nur bei einzelnen länderspezifischen Sonderinteressen selbst aktive Funktion. Anders als bei konträren Mehrheitsverhältnissen kann der Bundesrat aber Forum für innerparteiliche Beschleunigungs- oder Akzentsetzungsversuche sein, um eine koalitionspolitisch bedingte Entscheidungsunlust der Bundesregierung zu konterkarieren. In diesem Sinne läßt sich seit der 10. WP empirisch eine deutlich intensivere Wahrnehmung des Gesetzesinitiativrechts durch den Bundesrat feststellen, die einem entgegenstehenden Trend seit der 5. WP (1965 - 1969) widerspricht 45 . Eine Primärfunktion gewinnen Gesetzesinitiativen des Bundesrates dadurch aber nicht; sie verdeutlichen nur die korrigierende Funktion des Bundesrates auch im Initiativ-Stadium. (2) Die weiterreichende Rolle der Bundesländer im Gesetzgebungsprozeß Gesetzgebungswirksam sind die Bundesländer nicht nur über den Bundesrat, sondern auf allen Ebenen und Stationen des Gesetzgebungsprozesses. Neben und vor dem Stadium von Bundesratsinitiativen entfalten Gesetzgebungswünsche der Fachministerkonferenzen Wirkkraft, ohne daß sie stets in einer Bundesratsinitiative münden würden 46 . Ihr Einfluß beginnt schon in den Vorverhandlungen vor Erstellung eines Referentenentwurfes, wenn (partei-) politische Impulse in Gesetzesprogramme umgesetzt werden sollen. Diese oft parteipolitisch einseitigen und informellen Vorverhandlungen formalisieren sich spätestens nach der Versendung des Referentenentwurfs nach § 26 I GGO I I an alle Bundesländer, die nun auf vielfältige, vor allem informelle Art und Weise den Gesetzgebungsprozeß beeinflussen können. Gerade Finanzwirkungen zulasten der Länder aktivieren ihre Einflußnahme auf den Gesetzgebungsprozeß. Die wichtige Rolle auch der informalen Bund-Länder-Kooperation wird deutlich, wenn Gesetzentwürfe des Bundes in Umsetzung von Beschlüssen der Ministerpräsidentenkonferenz und ihrer Bund-Länder-Arbeitsgruppe erarbeitet werden 47 , oder wenn die Bundesregierung eigene gesetzgeberische Prüfungen und Initiativen im Hinblick auf eine von den Ministerpräsidenten eingesetzte Bund-Länder-Arbeitsgruppe zurückstellt 48 bzw. den Inkrafttretenstermin eines seit langem verabschiedeten Gesetzes wegen neuer Beschlüsse der Innerministerkonferenz zwecks erneuter, vorheriger Novellierung 49 aufhebt 50 . Auch das 45 Statistische Zwischenbilanz (Stand vom 23. 4. 1985) in: Das Parlament Nr. 23/1985, S. 11; s. a. U. Thaysen, Aus Politik und Zeitgeschichte, Β 35/85, S. 3 (6). 46 S. ζ. Β. betr. 5. PBefÄndG die Länderverkehrsministerkonferenz, s. BT-Drs. 9/2128, S. 6 (EB); zum GrEStG 1983 s. u. bei Fn. 82. 47 So für das AsylVfG, vgl. BT-Drs. 9/875, S. 12 f. (EB); s. a. zur Rolle der „Steuerabteilungsleiter des Bundes und der Länder" für das GrEStG 1983 BT-Drs. 9/251, S. 13 (EB); vgl. für das AFWoG = Art. 27, Unterart. 1 2. HStruktG: H. Dyong, B1GBW 1982, 141 (142). 48 S. BT-Drs. 9/409, S. 6 (betr. 6. AGFÄndG).
1. Gesetzgebung als Prozeß
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Ergebnis der Ausschußberatungen im Bundestag kann davon abhängen, wie die Länder auf einen Regelungsvorschlag informell reagieren 51. Insgesamt kann der informale und formelle Einfluß von Bundesländern und Bundesrat kaum überschätzt werden. ee) Die Rolle von Staatsorganen ohne Gesetzesinitiativrecht Zentrales Element der (vor-)parlamentarischen Gesetzesberatungen ist, vor allem bei staatsorganisatorischen Regelungen, die kommunikative Auseinandersetzung zwischen den Verfassungsorganen bzw. den Amtsinhabern in obersten Staatsorganen oder den Leitern von Bundesoberbehörden (vgl. § 26 I I GGO II) über geplante oder eingebrachte Gesetzesvorlagen bzw. rechtspolitische Ideen. Das gilt naturgemäß für rechtspolitische Probleme in „eigenen Angelegenheiten" i. w. S. Ein Beispiel ist die detaillierte Stellungnahme des Präsidenten des BRH zu den Erwägungen für eine Neuregelung des Rechts der inneren Verfassung des Bundesrechnungshofs und der Präsidentenbestellung 52. Auch das gesetzgeberische Handeln in Sachen BVerfG vollzieht sich in Abstimmung mit dem Gericht bzw. seinen Präsidenten 53. Aber auch sonst sind „offiziöse" Stellungnahmen hoher Amtsträger als Persönlichkeiten publizistisch im Raum der politischen Öffentlichkeit wirksam; das gilt zumal dort, wo solche Amtsträger als Verwaltungs- oder Gerichts^acAverständige im geregelten Anhörungsverfahren um ihre Ansichten gebeten werden 54 . 49 S. 4. PersAÄndG, BT-Drs. 9/1809, S. 5 ff. (EB) betr. Einführung fälschungssicherer Personalausweise. 50 S. beim (3.) PersAÄndG, s. BT-Drs. 9/427, S. 4 (EB). 51 S. ζ . B. den vom Ausschuß den Bundesländern zur Stellungnahme übersandten Vorschlag, statt der (dann wegen des Widerspruchs der Länder realisierten) bundeseinheitlichen Personalausweisgebührenfestsetzung den Ländern die Festsetzung selber zu überlassen, BT-Drs. 9/2262, S. 3 (AB) betr. 4. PersAÄndG; die Änderung der Geschäftszuweisung in § 78 IRG(E) „dem Wunsche einiger Bundesländer folgend", BT-Drs. 9/2137, S. 27 (AB); ähnlich zu Art. I I § 19 V SGB-X/3: BT-Drs. 9/1753, S. 48 (AB). 52 S. K. Wittrock, Bull. 1984, 613 ff. vor der Konferenz der Bund/LänderRechnungshofpräsidenten; ders., DÖV 1984, 649 ff.- Auch das WBeauftrÄndG war vom Wehrbeauftragten selber (mit) initiiert worden, vgl. unten bei Fn. 193. 53 Vgl. R. Zuck, NJW 1986, 968 (970) m. Nw. 54 Dabei gibt es auch „versteckte" Formen von Stellungnahmen zu heiklen Gesetzgebungsfragen allein durch die Art der Kompetenzausübung. Als eine derartige versteckte Form der Ermahnung des Gesetzgebers zum Handeln läßt sich möglicherweise die Vorgehensweise des BVerfG verstehen, durch eine rechtlich neuartige, ζ. T. für unhaltbar gehaltene Argumentation zur Zulässigkeit einer Richtervorlage nach Art. 100 I GG einer materiellen Entscheidung über die Verfassungsmäßigkeit einer „Abtreibung auf Krankenschein" auszuweichen, s. BVerfGE 26 (36ff.); zust. H. Aretz, JZ 1984, 918 (922f.); krit. W. Geiger, EuGRZ 1984, 409 (420); P. Krause, NVwZ 1985, 87 (90).
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IX. Bundesgesetzgebung als Verhandlungs- und Entscheidungsprozeß ff)
Gesellschaftliche
Gruppen und einzelne Bürger als Gesetzgeber
Es gehört zu den Stereotypien der Gesetzgebungsdiskussion, daß der Einfluß der Interessenverbände den Entstehungsprozeß der Gesetze stark beeinflußt 5 5 . Dieser Einfluß w i r d gerade i m Vorfeld des parlamentarischen Verfahrens deutlich, insofern die gesetzesinitiierende Ministerialbürokratie, jedenfalls nicht das Parlament Adressat v o n Regelungswünschen u n d Stellungnahmen der Verbände i s t 5 6 . D i e M i t w i r k u n g der Verbände ist auch unerläßlich, weil ihr Sachverstand u n d i h r Problembewußtsein sie zu unverzichtbaren Teilnehmern a m pluralistischen Gesetzgebungsprozeß m a c h t 5 7 . V o n ihnen gehen auch viele Initiativen zu Gesetzen aus; freilich sind viele „ d e r " i n der Lobbyisten-Liste des Bundestages registrierten 1226 Verbände (1985) nahezu ohne politische Bedeutung58. Diese D o m i n a n z des Sachverstandes schlägt sich auf natürliche Weise auch i n Regelungen nieder, die den Verbandsinteressen zumindest entgegenkommen u n d „verbandsfest" gemacht worden sind. Dabei scheint sich diese faktische M a c h t der Verbände gerade auf WirtschaftsvQibände zu konzentrieren. I m m e r wieder zeigen A n a l y s e n 5 9 beispielhaft den erfolgreichen Widerstand gegen
55 S. etwa schon J. H. Kaiser, Die Repräsentation organisierter Interessen (1956), 2. Aufl. 1978, S. 255fr., 267ff.; W. Hennis, PVS 2 (1961), 23 (29f.); G. Loewenberg, Parlamentarismus (Fn. 5), S. 342ff.; E.-W. Böckenförde, Der Staat 15 (1976), 457 (460ff.); H. Leßmann, Die öffentlichen Aufgaben und Funktionen privatrechtlicher Wirtschaftsverbände, 1976, S. 53 ff.; H. Schröder, ZParl 8 (1977), 491 (495 ff.); s. zuletzt mit ausf. Nw. U. v. Alemann, Aus Politik und Zeitgeschichte, Β 49/85, S. 3 ff.; s. ferner zur Korporatismus-Diskussion U. v. Alemanni R. G. Heinze, ZParl 10 (1979), 469 ff. 56
Bereits in den Jahren 1949 — 1958 hatten (mit Gespür für die entscheidenden Stellen) 82,8 % der offiziellen Stellungnahmen des Bundesverbandes der Deutschen Industrie zu Gesetzgebungsprojekten die Bundesregierung, nur 7 % den Bundestag zum Adressaten, der Rest ging an Bundesbahn und Zentralbankrat, so W. Hennis , PVS 2 (1961), 25; keinen Vorrang der Regierung sieht H. Leßmann, a. a. O., S. 55 f. 57 S. schon J. H. Kaiser, Repräsentation (Fn. 55), S. 269ff.; H. J. Schröder, Gesetzgebung und Verbände, 1976, S. 24ff.; ders., ZParl 8 (1977), 494; Κ Stern, Staatsrecht II, S. 616f.; J. Becker, Gewaltenteilung im Gruppenstaat, 1986, S. 212ff. 58 Die Verbände haben nicht nur Millionen Mitglieder (wie ζ. B. DGB, I G Metall oder die Aktionsgemeinschaft der Kriegsopfer und Sozialrentner mit 2,9 Mill. Mitgliedern), sondern gelegentlich auch nur 7 oder gar 3 Mitglieder (Vereinigte Landwarenkaufleute bzw. Verband deutscher Fischmehl- und Fischölfabriken), vgl. M. Antwerpen, Bonner GA v. 9./10. 11. 1985, S. 4.- Ihre Fähigkeit zur Interessenaggregation schwankt entsprechend ihrer Interessenspezifikation außerordentlich; bei der Verbandsbeteiligung im Gesetzgebungsverfahren dominiert wohl ein „Kartell von Spitzenverbänden", vgl. H. J. Schröder, a. a. O., S. 120. 59 Vgl. ausf. Nw. von Einzelstudien betr. Unternehmer- und Bauernverbände, Kassenärztlichen Vereinigung, Vertriebenenverbände und Industrie- und Handelskammern usw. etwa bei R. Steinberg, Politik und Verwaltungsorganisation, 1979, S. 245 und (zuletzt) U. v. Alemann, Aus Politik und Zeitgeschichte, Β 49/85, S. 6ff. Regelmäßig werden dabei Ergebnisse von Fallstudien verallgemeinert, s. ζ. B. zum D I H T am Bsp. von Berufsbildungsgesetz und Bundesimmissionsschutzgesetz H. Adam, Der Einfluß der
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staatliche Interventionen, d. h. gegen eine stärkere rechtliche Gemeinwohlbindung von Unternehmen, oft auch gegen den Rat der Sachverständigen 60; es gibt aber auch erfolglose Einflußversuche 61. Ein wesentlicher Grund liegt in den klaren, meist in finanziellen Kategorien verrechenbaren (privat-)wirtschaftlichen Zielen der Wirtschaftsverbände und ihrer strukturell zentralen Bedeutung für die Funktionsfahigkeit einer Industriegesellschaft. Ein erfolgreicher gesellschaftlicher Einfluß auf dieses vorparlamentarische Verfahren ist aber nicht zwingend auf machtvolle Verbände konzentriert. Zwar haben Verbände mit einem breiten und diffusen Interessenspektrum nur geringe Organisations- und Durchsetzungsmacht 62. Doch bei sehr speziellen und abgrenzbaren Interessen verschafft die Vielfalt der Verhandlungssysteme, Kompromißmöglichkeiten und Entscheidungsstufen mitunter selbst einflußarmen kleineren Gruppen Gehör. Ζ. B. konnte die „Interessengemeinschaft der mit Ausländern verheirateten deutschen Frauen" (IAF) durch rührige Aktivität die Vorarbeiten für die fallige Anpassung des deutschen IPR an den Grundsatz der Gleichberechtigung der Frau erheblich beschleunigen63, so schleppend dieses Gesetzgebungsprojekt auch behandelt wurde. Ähnlich ist (allgemein) einer Fülle gesellschaftlicher Gruppen mehr oder weniger bedeutsamer Einfluß auf den Gesetzgeber bescheinigt worden, ζ. B. selbst der „Frauenbewegung" 64 . Entsprechend kontrovers ist die Würdigung des Einflusses der Verbände, denen teilweise mehr Einfluß auf die politische Willensbildung eingeräumt wird als den politischen Parteien 65 . Man wird dabei aber angesichts der Vielfalt der Industrie- und Handelskammern auf politische Entscheidungsprozesse, 1979, S. 151 ff., in Anknüpfung an ältere Fallstudien. 60 Aktuelle Beispiele außerhalb der 9. WP: Der Entwurf eines Zweiten Gesetzes zur Bekämpfung der Wirtschaftskriminalität (von 1978) schrumpfte zu einem Torso, weil durch Lobby-Tätigkeit der Bauindustrie der Verzicht auf eine Kriminalisierung der illegalen Arbeitnehmerüberlassung und des Ausschreibungsbetruges vom Wirtschaftsminister zur „Koalitionsfrage" erhoben worden war und, nach Einwänden des Bankenverbandes, auch die Strafbarkeitslücken beim Kreditkartenmißbrauch nicht mehr geschlossen werden sollten, vgl. K. Liebl, RuP 20 (1984), 125 (127f.) m. ausf. Nw.- Unter dem Druck und im Interesse der mittelständischen Industrie wurde im Entwurf eines BilanzRichtlinie-Gesetzes vom August 1983, anders als noch im Regierungsentwurf der 9. WP (BT-Drs. 9/1878) und im Widerspruch zu grundlegenden Rechtsprechungseinsichten, die GmbH & Co. K G ausgeklammert (vgl. BT-Drs. 10/317, S. 64) und damit jenes Schlupfloch geöffnet, sich dadurch rechtlichen Regeln der Besteuerung, Mitbestimmung und des Gläubiger- und Anlegerschutzes entziehen zu können, vgl. F. Kübler, NJW 1984, 1857 (1864, 1868 ff.); s. a. Hahn, Z G 1 (1986), 66 ff.- Die Urheberrechtsreform 1985 wurde (außer durch den Bundesrat) vor allem auch durch die Hersteller von Videoleerkassetten und ihre Hinweise auf eine „bedrohte Marktlage" verwässert, s. G. Kahn-Ackermann, FAZ v. 17. 4. 1985, S. 27. 61 62 63 64
Ältere Bsp. bei E.-W. Böckenförde, Der Staat 15 (1976), 462 m. Fn. 13. S. D. Grimm, HdbVerfR, S. 373 (376 f.); w. Nw. unten Kap. X/bei Fn. 131 ff. Vgl. P. H. Neuhäusl,J. Kropholler, JZ 1981, 58 (59). So D. Lücke, ZfRSoz 5 (1984), 203 (212).
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IX. Bundesgesetzgebung als Verhandlungs- und Entscheidungsprozeß
organisierten Interessen 66 nach ihrer Nähe zur Wirtschaft deutlich differenzieren müssen, wie sich politikwissenschaftlich an der Fortführung der Theorie des Verbände-Pluralismus zum „Neo-Korporatismus" zeigt 67 . Interessenverbände sind durch ihre Vertreter meist auch in den Parteien, vor allem beratenden Sachverständigengremien und den von ihnen besetzten Staatsämtern der ministeriellen Leitungsebene gut „integriert" 68 .- Stets wird man zudem die Tatund Wirkkraft einzelner dominierender Persönlichkeiten im Rahmen ihrer Gruppenbindung nicht vernachlässigen dürfen. b) Impulse zur Gesetzgebung
Vor dem Hintergrund jener Instanzenvielfalt in der offenen Gesellschaft der Gesetzgeber ist zu fragen, wie die realen Impulse (Anlässe, Ideengeber) für die Gesetzgebung namentlich in der 9. WP verlaufen sind. aa) Typologisierung
der Impulse
Nach einer älteren Gruppenbildung lassen sich die Anlässe zur Gesetzgebung auf fünf Gründe zurückführen 69 : (1) Ein neuer Sachbereich wird infolge der technischen Weiterentwicklung erstmalig geregelt. (2) Ein bisheriges FlickwerkRecht wird durch eine übersichtliche und einheitliche Regelung ersetzt; Rechtssetzung pendelt hier zwischen Rechtsbereinigung und Kodifikation. (3) Der Gesetzgeber erfüllt Gesetzgebungsaufträge (verfassungs- oder völkerrechtlicher Art) oder einfachgesetzliche Verheißungen bzw. Ankündigungen neuer Gesetzesregeln. (4) Eine Regelung wird wegen Verfassungswidrig- bzw. Nichtigerklärung durch das BVerfG angepaßt, oder (5) der Gesetzgeber antwortet auf Entscheidungen sonstiger Gerichte, um Richterrecht zu bestätigen, ihm entgegenzuwirken oder offene Regelungslücken zu schließen bzw. Unklarheiten zu beseitigen. Diese Aufschlüsselung und ihre Untergliederungen orientieren sich an allgemeinsten rechtlichen Anlaßquellen (Gesetzgeber oder Gerichtsurteile), weniger an sachlich-inhaltlichen Kriterien (technische Entwicklung). Ihr Verhältnis zueinander bleibt ungeklärt. Die (dauernde) Rechtsbereinigung i. S. von 65 So Rottmann, FS Gesellschaft für Rechtspolitik, 1984, S. 329 (334 ff.); zuletzt M. Stolleis, W D S t R L 44 (1986), 7 (20 f.); krit. Κ. M. Meessen, e bd. S. 136 f. (Diskussion). 66 S. zsfssd. zur Typologie der organisierten Interessen Vielfalt U. v. Alemann, Aus Politik und Zeitgeschichte, Β 49/85, S. 6ff. m. ausf. Nw. 67 S. Nw. in Fn. 55 sowie die Beiträge in U. v. Alemann (Hg.), Neokorporatismus, 1981. 68
S. H. J. Schröder, Verbände (Fn. 57), S. 140 (s. a. S. 112 zu den Ausschüssen: „Verbands-Inseln"); zu den Formen des Verbandskontakts: R. Steinberg, Politik (Fn. 59), S. 248ff.; (krit.) H. Leßmann, Aufgaben (Fn. 55), S. 63f., 318ff., 322ff. (u. a. für die Schaffung von Verbandsinkompatibilitäten). 69 S. hierzu Hw. Müller, DÖV 1964, 226 (228 ff.). Vgl. jetzt auch P. Schindler (Bearb.), Datenhandbuch II, S. 645 ff.
1. Gesetzgebung als Prozeß
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(2) ist oft auch nur eine Erscheinungsform der Reaktion auf Gerichtsentscheidungen (5), vielleicht auch von Gesetzgebungsaufträgen (3, 4). Eine erstmalige Regelung wird nicht nur durch die Technik veranlaßt; ohne nähere inhaltliche Bestimmung des „Erstmaligen" gelten auch viele Einzelregelungen in Änderungsgesetzen erstmalig. Dieser Anlaß verweist auf zusätzliche sachliche Kriterien hinter sich. Auch einfachgesetzliche Ankündigungen bzw. Verheißungen sind Ausdruck der heute zeitlich gestreckten Gesetzgebungsprozesse, die in sachlichen Eigenarten begründet sind. Eine andere, primär an Institutionen und Rechtsquellen orientierte Übersicht 70 hat weniger analytischen als deskriptiven Charakter. Einzig die „materiellen Impulse" entlang der rechtlichen Kategorien Rechtsstaat und Sozialstaat im Prozeß der Technisierung und Wirtschaftsentwicklung verweisen auf tieferliegende inhaltliche Überlegungen 71 . Insoweit läßt sich stärker differenzieren. bb) Internationalrechtliche
Impulse
Komplementär zur Völkerrechtsoffenheit des G G 7 2 und zur Außenwirtschaftsabhängigkeit der Wirtschaft der Bundesrepublik, zur geographischen Mittellage mit einer Vielfalt von Nachbarn in Europa und zur (auch reisefreudigen) Weltoffenheit ihrer von nationalen Übersteigerungen abgerückten Bürger wächst notwendig der rechtliche Regelungsbedarf. Die völkerrechtliche Vertragsgesetzgebung und die innerstaatliche, vor allem durch europäische Institutionen veranlaßte Kooperationsgesetzgebung 73 sind Ausdruck dieser vor allem durch die wirtschaftliche Entwicklung gebotenen und geförderten Gesetzesentwicklung 74 , denen Verfahrens- 75, straf- 76 , sozial- und kulturrechtliche Regelungen nachfolgen 77 . Vor allem die wirtschaftsrelevante Steuergesetzgebung ist im Detail von solchen Impulsen „durchsetzt" 78 . A u f EG-Recht wird allenthalben Bezug genommen 79 . 70
H. Hill, DÖV 1981, 487 ff. H. Hill, DÖV 1981, 496f.- S. auch allg. R. J. Schweizer, in: K . Eichenberger u. a. (Hg.), Grundfragen (Fn. 1/14), S. 19ff.; speziell zur Schweizer Empirie ebd. J. Bally u. a., S. 239 (260 ff.). 71
72 Grdl. K. Vogel, Die Verfassungsentscheidung des Grundgesetzes für eine internationale Zusammenarbeit, 1964, S. 15ff., 27ff., 39ff. 73
S. oben Kap. IV/bei Fn. 30ff. Vgl. für viele R. Schmidt, VVDStRL 36 (1978), 65 (68 ff., 78 ff.). 75 S. für das IRG: BT-Drs. 9/2137, S. 23. 76 S. z. B. §§ 1 III, 5 II, 9 II, 11 II, 19 II, 26 III, 27 II, 28 I, I I u. ö.: B t M G i. d. F. von Art. 1 BtMNG betr. die internationalen Suchtstoffabkommen, vgl. dazu BT-Drs. 9/3551, S. 26 ff. 74
77 S. zur nachwachsenden kulturellen Dimension auf europäischer Ebene (weniger durch Recht-Setzung als im Rahmen des Rechts): P. Häberle, JöR 32 (1983), 9 ff. 78 S. für viele: BT-Drs. 9/842, S. 74ff. (EB) betr. UStG i. d. F. von Art. 34 Nr. 1, 4, 7 2. HStruktG(E).
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IX. Bundesgesetzgebung als Verhandlungs- und Entscheidungsprozeß
Dementsprechend trägt die Ministerialbürokratie des Bundes einerseits, lange vor jeder parlamentarischen Problembefassung, rechtspolitische Impulse in internationale Gremien hinein; hauptsächlich ist sie „ i m Gegenzug" Vollstrecker der Verhandlungsergebnisse der internationalen Normsetzung. Trotz der Versuche des Europäischen Parlaments zu öffentlichen Diskussionen vollzieht sich, jenseits von Preisfestsetzungen im Rahmen der Marktordnungen, dieser Rechtssetzungsprozeß weithin abgehoben von öffentlichen Willensbildungsprozessen im Schöße europäischer Instanzen sowie der Bundesregierung unter Beteiligung des Sachverstandes der Interessenverbände. Ähnlich wie im Bund-Länder-Verhältnis entfalten Einigungen auf europäischer Ebene einen eigengesetzlichen Sachzwang. Die Regierungsbürokratie ist, zuvor rechtlich abgeschirmt durch den Regierungsvorbehalt in Auswärtigen Angelegenheiten 8 0 , ein exklusiver Impuls- und Gesetzgeber in einer relativ geschlossenen Gesellschaft internationalrechtlicher Gesetzgeber. cc) Impulse für Kodifikationsgesetze Die besondere Anstrengung bei der Erarbeitung neuer Kodifikationen läßt bestimmte institutionelle Schubkräfte besonders bei der Ministerialbürokratie vermuten. Die Wirklichkeit kennt auch hier eine Vielfalt von Impulsgebern. Nimmt man die sieben Reformkodifikationen der 9. WP als Beispiel, so gingen die entscheidenden Impulse aus: von einem umfänglichen und gründlichen Beschluß des BVerfG (betr. das BKleingG) 81, weiter von einem einstimmigen Beschluß der (Länder-) Finanzministerkonferenz und seiner forcierten Umsetzung (betr. GrEStG 1983)82, ungeachtet reformerischer Appelle bereits der Steuerreform-Kommission 1971.- Zweimal gab die Kombination aus internationalen Verpflichtungen und spektakulären öffentlichkeitsbedeutsamen Erscheinungen den wesentlichen Impuls: beim IRG durch europäische Übereinkommen auf der Ebene des Europarats in Verbindung mit Aufsehen erregenden, in den Massenmedien diskutierten Fällen 83 , beim BtMNG durch Umsetzung zweier 79
S. z. B. §§ 9 I Nr. 5, 12 Nr. 10, 13, 26 S. 2 HG 1981(E) , vgl. BT-Drs. 9/90, S. 4ff.; §§ 5 II, 8 II, 11 I I B t M G i. d. F. von Art. 1 BtMNG, betr. Rechtsakte der EG-Organe; vgl. auch H. Hill, DÖV 1981, 487f. 80 S. zuletzt H. Maurer, W D S t R L 43 (1985), 135 (151 f.); W. Mößle, Regierungsfunktionen, S. 124,125; vgl. ferner M. Oldiges, Die Bundesregierung als Kollegialorgan, 1983, S. 311 ff., 393 ff. 81 S. BVerfGE 52, 1 ff. und BT-Drs. 9/1900, S. 9 (EB); W. Bielenberg u. a., AöR 107 (1982), 513 (524); erst damit wurde die seit Jahrzehnten geforderte Neuregelung zu einer vordringlichen Aufgabe des Gesetzgebers, so: H.-G. Landfermann, NJW 1983, 2670 (2670). 82
Vgl. BT-Drs. 9/251, S. 12 und 13. Obwohl die Sachverständigenkommission schon 1969 ihre Tätigkeit mit einem Gesetzentwurf beendet hatte, machten Europäische Übereinkommen von 1970 und 1983 die Schaffung der Voraussetzungen für ihre Ratifizierung dringlich; dafür sprechen 83
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1974 und 1978 in Kraft getretener internationaler Suchtstoffabkommen i. V. m. dem stetigen bedrohlichen Anstieg der Drogenkriminalität und der offenkundigen Hilflosigkeit der alten Gesetze84.- Das StHG wurde entscheidend durch die Beratungen und Empfehlungen mit einer einstimmigen Forderung des 47. DJT 1968 initiiert 8 5 . Das KSVG verdankt seine Entstehung maßgeblich einer (von der Bundesregierung in Auftrag gegebenen) Studie über die soziale Lage der Künstler von K. Fohrbeck IA .J. Wiesand 86 ; sie wurde gekürzt auch als Künstlersozialbericht der Bundesregierung veröffentlicht 87 und führte zum Gesetzentwurf. Auch ein Vergleich der ausländischen Pflichtversicherungen war insoweit offenkundig anregend gewesen88.- Der dem Sozialgesetzbuch (hier: SGB-X/3) zugrundeliegende Gedanke einer Kodifikation des in über 800 Gesetzen verstreuten Sozialrechts schließlich wurde (nach ihrer wissenschaftlichen Forderung durch die Rothenjeiser Denkschrift von 1955 und ihrer politischen Forderung im Godesberger Programm der SPD von 1959) in der ersten sozial-liberalen Regierungserklärung 1969 angekündigt und seitdem — nach der Zwischenphase einer Sachverständigenkommission — schrittweise realisiert, ohne daß ein Ende absehbar wäre 89 (zumal die Begeisterung für dieses Projekt angesichts seiner Unzulänglichkeiten deutlich nachgelassen hat 9 0 ). Vielleicht bedarf es für den Anlauf zu einem solchen Jahrhundertvorhaben auch eines Regierungswechsels i.S. eines emphatischen Erneuerungsanspruchs einer „politischen Wende" 91. parallele Gesetzeswerke in Österreich und der Schweiz (in Kraft seit 1980 bzw. 1983). „Schrittmacher" für die Reform insgesamt war die Ermöglichung der inländischen Vollstreckung ausländischer Strafurteile; ausschlaggebend war die — auch medienöfifentlich diskutierte — Verbüßung überharter Strafen für Deutsche im Ausland, vgl. die Angaben bei T. Vogler, NJW 1983, 2114 (2114, 2121, 2124) und BT-Drs. 9/2137, S. 23. 84
Vgl. Jg., JuS 1981, 855.- M. Slotty, NStZ 1981, 321 ff. S. G. Dilcher, Der Deutsche Juristentag 1960 — 1980, 1980, S. 76ff.; ausf. zur Gesetzgebungsgeschichte H. Maurer, Gesetzgebungskompetenz (Fn. IV/77), S. 8ff.; H.J. Papier, NJW 1981, 2321 (2322); H. J. Bonk , DVB1.1981, 801 (803). Erst danach folgte der „Regel-Weg": Sachverständigenkommission 1970 - 1973, nach Rechtstatsachenforschungen Referentenentwurf (1976) und der Regierungsentwurf (1978). 86 Der Künstler-Report, 1975 ( = überarbeitete Fassung der Künstler-Enquete); s. a. L. Osterloh, NJW 1982, 1617 (1617). 87 BT-Drs. 7/3071 (offiziell: „Künstlerbericht"). 88 K. Fohrbeck/A. J. Wiesand, Künstler-Report (Fn. 86), S. 499 ff.- Dieser Auslandsvergleich entsprach dem Gutachtenauftrag des BMA, der seinerseits einen Beschluß des Bundestages vom 30. 4. 1972 gemäß seinem Ausschuß für Bildung und Wissenschaft folgte (ebd. S. 3); das KSVG ist deshalb eine späte Frucht sozialliberaler Reformpolitik nach 1969. 85
89 Vgl. H. F. Zacher, Sozialgesetzbuch, Einführung A, S. 9ff., 17ff.; B. v. Maydell, FS Juristische Gesellschaft Berlin, 1984, S. 407 (41 Iff.). 90 J. Isensee, ZRP 1985, 139 (144): „melagomanisches Unterfangen"; s. a. Β. v. Maydell, a. a. O., S. 413 f. 91 Nur so läßt sich das (sachlich wohl verfehlte) Engagement zu einem kompletten neuen „Baugesetzbuch" in der 10. WP erklären.
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IX. Bundesgesetzgebung als Verhandlungs- und Entscheidungsprozeß
Schon auf dieser schmalen Basis fallt auf, daß der Erstimpuls zu Kodifikationsgesetzen offenkundig außerhalb der Ministerialbürokratie des Bundes zu suchen ist; diese hat hier zunächst eine eher dienende, umsetzende Funktion. Auch ist eine Vielfalt erkennbar, die den Schluß auf Regelmäßigkeiten nicht erlaubt. dd) Anlässe für die Anpassungsgesetzgebung Für den gesetzgeberischen (Regel-)Fall der Anpassungsgesetzgebung verlaufen die Impulse ζ. T. „quer" zur Gesetzestypologie. Das ist wenig verwunderlich, weil sich jene formale Typologie am jeweiligen Charakter und Inhalt des Gesetzes, nicht an den Anlässen zur inhaltlichen Anpassung orientiert. Dennoch lassen sich tendenziell einige Verwandtschaften zwischen bestimmten Gesetzen und den Impulsgebern feststellen. (1) Verwaltungspraxis Die alltägliche (Vollzugs-) Verwaltungspraxis ist ein wesentlicher Gesetzesinitiator. Dort, wo Unzulänglichkeiten neuer Gesetze am schnellsten festgestellt werden können, liegt ein erster Grobfilter für die Einschätzung neuer Regelungsnotwendigkeiten. Im Bereich der (Selbst-) Korrekturgesetze 92 reagieren Schnellkorrekturgesetze auf die erste Erfahrung der Verwaltungspraxis; hier gewinnt der Gesetzgeber Aufklärung über die Möglichkeit oder Notwendigkeit von Aufhebungsgesetzen 93. Auch die Zweifel, die zu Klarstellungsgesetzen führen, haben die Verwaltungspraxis zum Filter, selbst wenn die Zweifel durch nicht-verfassungsgerichtliche Gerichtsurteile verursacht werden. Ein zweiter von der Verwaltungspraxis „vor Ort" dominierter Bereich sind Gesetze der staatlichen Selbstorganisation, ob es nun um Fragen der Organisation des Staates nach außen oder nach innen, der Informationsbeschaffung oder der Selbstentlastung geht 94 . Die Impulse zu Gesetzesänderungen kommen meist aus der (auch: Justiz-)Verwaltung selbst, die „ i n eigener Sache" handelt, weil sie auf Grenzen oder Effektivitätsprobleme gestoßen ist 9 5 . In diesen Sachbereichen werden sich, von vereinzelten Ausnahmen abgesehen, kaum gesellschaftliche Anstöße „von außen" maßgeblich durchsetzen, von Kritik oder unterstützenden Stellungnahmen der Beamten- oder Richterverbände abgesehen96. 92
Zu diesen Kap. IV/nach Fn. 268 ff. Die politisch-symbolisch motivierte Aufhebung der §§ 88 a, 130 a StGB ( = 19. StrÄndG) ist insoweit eine untypische Ausnahme. 94 S. ζ . B. BT-Drs. 9/1897, S. 1 betr. WehrRÄndG: „den Erfordernissen der Praxis anzupassen". 95 S. a. das BesRÄndG, dessen (kostenneutrale) Einführung eines Spitzendienstgrades erstmals 9 Jahre zuvor am 5. 12. 1973 durch Beschluß des VerteidigungsA gefordert worden war, s. BT-Drs. 9/2119, S. 1 (EB). 93
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Auch das „aus der Mitte des Bundestages" eingebrachte WBeauftrÄndG wurde in seinem kompetenzklärenden Teil erstmals im Jahresbericht 1971 (und dann immer wieder)
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Die bedeutsame Rolle der nach den Art. 30 ff., 83 ff. GG vor allem den Ländern überantworteten Verwaltungspraxis für diese beiden Gruppen der Anpassungsgesetzgebung bestätigt sich auch hinsichtlich der Gesetzesinitiativen: M i t Ausnahme des hier als Kodifikationsgesetz eingeordneten, doch ebenfalls von einer selbstentlastenden Organisationseffektivierung gekennzeichneten GrEStG 1983 gehören sämtliche erfolgreichen Bundesratainitiativen nach der hier vertretenen Typologie zu den beiden Formen der (Selbst-)korrekturoder Selbstorganisationsgesetze 97. Drittens schließlich kommen die Impulse zur Effektivitätssteigerung im Bereich der Besonderen Sicherheitsgesetze primär — anders als bei der Strafgesetzgebung — aus den im Verwaltungsalltag erfahrenen Mißerfolgen der Hoheitsverwaltung bzw. den Notwendigkeiten staatlicher Steuerung durch hoheitliche Aufsichts- und Durchsetzungsbefugnisse. Nicht zufallig gehen hier deshalb entscheidende Impulse von den Bundesländern aus 98 . (2) Gerichtsurteile (aaa) Die gesetzesauslösenden Urteile des BVerfG lassen sich naturgemäß keinen spezifischen Gesetzesbereichen formaler oder inhaltlicher Art zuordnen. Ihr korrigierender Impuls betrifft unmittelbar die Ministerialbürokratie (vgl. §31 BVerfGG). Er ist wegen seiner Verbindlichkeit besonders wirksam und führt entweder zur Aufrechterhaltung eines Gesetzes, insoweit es verfassungsgemäß war, bzw. zu einer positiven verfassungsrechtlich einwandfreien Neuregelung 9 9 , ζ. T. als immer wieder neue Daueraufgabe über mehrere Legislaturperioden hinaus 100 . Teils handelt es sich zugleich um (partei-)politisch hochumstrittene Gesetze, deren Unwirksamkeit nach einem erfolgreichen Normenkontrollverfahren zur vom Wehrbeauftragten selber angesprochen. Die von einer am 8. 6. 1972 gebildete Kommission des Verteidigungsausschusses in ihrem Bericht vom 24. 5. 1976 empfohlene Gesetzesnovelle wurde Grundlage für Beratungen des VerteidigungsA, dessen Empfehlungen vom 11.2. 1981 Grundlage des interfraktionellen Gesetzentwurfs wurde, vgl. BTDrs. 9/1367, S. lf., 10. 97
Vgl. oben bei Fn. 35 ff.; ferner Kap. IV/bei Fn. 145 ff. Das 2. AbfÄndG wurde allein wegen des Wunsches der Bundesländer nach einer Ermächtigungsgrundlage für die Klärschlammverordnung vorgezogen, s. BT-Drs. 9/1222, S. 8 (AB); die Abfallarten-Bestimmung wurde von der Länderarbeitsgemeinschaft Abfall (LAGA) in Zusammenarbeit mit dem Bundesminster des Innern erarbeitet, s. BT-Drs. 9/667, S. 6 (EB); das 4. PersAÄndG folgt einem Beschluß der Innenministerkonferenz der Länder, s. BT-Drs. 9/1809, S. 1 (EB). 99 So ζ. B. bei Art. 1 Nr. 1, 2a, 3 und 12 3. GüKÄndG(E) aufgrund von BVerfGE 40,196, vgl. BT-Drs. 9/1909, S. llff.(EB);s. a .H. Hill, OÖV 1981,493 f.; zum BKleingG s. bereits oben Fn. 81. 100 S. z. B. die wieder im 6. BWÄndG neu aufgenommene Wahlkreiseinteilung nach den Maßstäben von BVerfGE 16, 130ff., s. BT-Drs. 9/2034, S. 4 (EB). 98
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Fortsetzung der politischen Auseinandersetzungen bei der Neugestaltung führt. Diese Schwierigkeiten können dann zur völligen Aufgabe des Gesetzgebungsprojekts bzw. zur partiellen Aufrechterhaltung des alten Gesetzeszustandes führen 101 . Verfassungsgerichtsurteile können aber auch gesellschaftlichen Reformbestrebungen zugunsten einer Minderheit eine Stoßkraft geben, die den Gesetzgeber überhaupt erst zum Handeln veranlaßt. In der 9. WP verdankt das 20. StrÄndG (Reform der lebenslangen Freiheitsstrafe) den entscheidenden Impuls — nach jahrelangen Diskussionen eines entsprechenden Vorstoßes im Alternativ-Entwurf der Strafrechtslehrer (1966), auf Tagungen der Strafrechtslehrer (1970), der Gesellschaft für die gesamte Kriminologie (1973), später auch des 53. DJT (1980) — einem durch das L G Verden veranlaßten Urteil des BVerfG: Es gab durch verfassungskonform einengende Interpretation dem Gesetzgeber einen (Neu-)Regelungsauftrag 102 .- Auch die Reform des Auslandsrentenrechts im RAG 1982 wurde erst durch das BVerfG ausgelöst 103 . Indessen werden nicht nur ganze Gesetze oder wesentliche Teile von ihnen, sondern auch zahlreiche einzelne vom BVerfG beanstandete Regelungen im laufenden Gesetzgebungsverfahren im Zuge der „normalen" Anpassungsgesetzgebung, besonders zugunsten von Minderheiten, neu gefaßt 104 bzw. Rechtsprechungsleitlinien berücksichtigt 105 . 101 Die Verfassungswidrigkeit des Ausbildungsplatzförderungsgesetzes (BVerfGE 55, 274 ff.) führte in der 9. WP nur noch zu dem Rumpf des BerBiFG, unter Aufgabe der politischen Idee einer Ausbildungsplatzförderungsabgabe — wegen wesentlicher tatsächlicher Änderungen des Ausbildungsplatzangebotes, so BT-Drs. 9/279, S. 9 (EB); die Verfassungswidrigkeit der Investitionshilfeabgabe nach Art. 10 HBeglG 1983 (BVerfGE 67,256 ff.) führte in der 10. WP zur Aufgabe der politischen Absicht, die Besserverdienenden durch besondere Lasten an der „Wende" zu beteiligen. 102
BVerfGE 45, 187 ff.; s. a. BT-Drs. 9/22, S. 5 (EB) betr. 20. StrÄndG.- Zur Vorgeschichte s. die Übersicht bei Jg., JuS 1982, 222ff. 103 S. die Verfassungswidrigerklärung der gleichheitswidrigen Ausländerbehandlung, BVerfGE 51,1 ff. und zur „Antwort" des RAG 1982 s. BT-Drs. 9/458, S. 27 ff. (EB); s. als weitere Bsp. die Regelanpassungspflicht für die Leistungen an Contergan-Geschädigte, BVerfGE 42, 263 und 3. StiftHKÄndG, BT-Drs. 9/2038, S. 4 (EB); BVerfGE 53, 257 und das VAHRG, BT-Drs. 9/2296, S. 7 ff. 104 S. ζ. Β. aufgrund von BVerfGE 39,216 und 55,100ff.: Art. 5 Nr. 3 RAG 1982 (betr. Kinderzuschüsse nach § 16 ArVNG), BT-Drs. 9/458, S. 42 (EB), sowie ähnlich Art. 24 Nr. 19 HBeglG 1983(E) (betr. § 33 b BVG), BT-Drs. 9/2140, S. llOf. (EB); s. dazuauch J. Ipsen, JZ 1983, 41 ff.; s. aufgrund von BVerfGE 51, 193ff.: Art. 1 Nr. 57 4. WeinÄndG(E), BT-Drs. 9/785, S. 36 (EB); aufgrund von BVerfGE 57, 395ff.: Art. 18 Nr. 26 b HBeglG 1983(E) betr. § 1255 IV, 1255a RVO (gleichheitswidrige Tabellenwerte bei Rentenberechnung für Frauen), BT-Drs. 9/2140, S. 102 f. (EB); aufgrund von BVerfGE 61, 319ff.: Art. 1 Nr. 20 HBeglG 1983 betr. § 33 a I I I EStG bei Alleinerziehenden, BT-Drs. 9/2290, S. 9 (AB). 105 S. ζ. B. die Begrenzung der Nachtragshaushaltsregelung in § 5 ERP-WiPIG 1981, s. BT-Drs. 9/228, S. 8 (EB); die Verlängerung der Übergangsregelung in § 52 EStG i. d. F. von Art. 25 2. HStruktG( E), s. BT-Drs. 9/971, S. 89 (AB).
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Impulse gehen aber auch schon von verfassungsrechtlichen oder sachlichen Zweifeln aus, die das BVerfG über die Verfassungswidrigerklärung hinaus in obiter dicta äußert und denen der Gesetzgeber gerecht zu werden sucht 106 . Diese Wirkungsvielfalt macht das BVerfG zu einem „Rechtserzeuger des zweiten Zuges" 1 0 7 . Seine „Langzeitwirkung" wird deutlich, wenn über Jahre immer wieder neu auf dieselbe Rechtsprechung verwiesen wird 1 0 8 . (bbb) Dem entsprechen Urteile der sonstigen (Bundes-) Gerichte) diese wirken in aller Regel mittelbar auf die Ministerialbürokratie, indem sie erst über die (im Prozeß möglicherweise unterlegene) Verwaltungspraxis gefiltert zum rechtspolitischen Gegenstand werden und vor allem in die gesetzgeberischen Detailarbeiten „eingespeist" werden 109 . Das Ausmaß ihrer Wirkung ist umstritten. Oft wird heutiger Gesetzgebung nachgesagt, sie sei „realiter kaum mehr als Nachvollzug und Festschreibung richterlicher Spruchpraxis" no. Tatsächlich verbirgt sich hinter vielen Gesetzen stets (auch) eine „Anpassung" an die Rechtsprechung 111 . Dieses Urteil gilt, auch am Maßstab der 9. WP, als charakteristisch prägendes Merkmal tendenziell allenfalls für rechtsbereinigende Kodifikationsgesetze; deren Aufgabe ist wesentlich gerade auch in der Konzentration eines erreichten Rechts- und Rechtsprechungszustandes 112, wie viele innovative (Teil-)Elemente auf der Basis jenes errichten Zustandes ein Kodifikationsgesetz auch enthalten mag. Im übrigen aber verfehlt es die praktische Vielfalt der Gesetzgebung, so sehr immer wieder auf Rechtsprechungsergebnisse auch unterer Instanzen Bezug genommen w i r d 1 1 3 . Im übrigen sind Gerichtsurteile auch unmittelbar (eher) punktuelle Anreger zur Korrektur von (Teil-)Regelungen durch (Änderungs-)Gesetz. Einmal geht es um Verstöße gegen europäisches Recht 1 1 4 oder das G G 1 1 5 , die korrigiert 106 Vgl. ζ . B. BT-Drs. 9/842, S. 70 f. (EB) betr. § 9 Nr. 1 GewStG i. d. F. von Art. 28 2. HStruktG( E); s. a. allg. H. Hill, DÖV 1981, 493. 107 Im Unterschied zur „erstzügigen Rechtsproduktion der formellen Rechtserzeugungsinstanzen", so H. Ridder, FS f. A. Arndt, 1969, S. 323 (346). 108 S. betr. §§ 5 jeweils in HG 1981, HG 1982, HG 1983, ERP-WiPIG 1981, ERPWiPlG 1982, ERP-WiPIG 1983 betr. § 37 I 3 - 5 BHO als Folge von BVerfGE 45,1 (LS 6). 109 Aus der Fülle der Gesetzgebungsmaterialien ζ. B. BT-Drs. 9/1488, S. 16 (Urteile des BFH und die Investitionszulage nach Art. 1 I I BeschäftFG); BT-Drs. 9/2140, S. 109 (EB) betr. BSG zu § 12 BVG im Rahmen von Art. 24 HBeglG 1983(E). 110
So R. Wassermann, Aus Politik und Zeitgeschichte, Β 16/85, S. 3 (10). So ζ. Β. ausdrücklich BT-Drs. 9/1897, S. 1, 12 (EB) betr. WehrRÄndG 1983. 112 S.z. B. zum IRG(E) BT-Drs. 9/1338, S. 32,33,35,36, pass. (EB) die Auseinandersetzung mit dem und Rezeption des Standes der höchstrichterlichen Rechtsprechung. 113 S. ζ. B. zum 3. MRBlnÄndG(E) BT-Drs. 9/1640, S. 24 (KG; OVG Berlin); ähnlich beim MErhAngG(E), s. BT-Drs. 9/2079, S. 10, 16f. u. ö. (EB). 114 S. ζ. B. Art. 13 Nr. 8 und 9 SubvAbG(E), BT-Drs. 9/378, S. 30 (AB); w. Nw. oben Kap. IV/bei Fn. 39 ff. 115 S. ζ. B. BVerwGE 51, 235 und das 5. PBefÄndG, BT-Drs. 9/2128, S. 6 (EB); s. a. BVerwGE 8, 121 (!) und Art. 1 §§ 3, 5 BtMNG, BT-Drs. 8/3551, S. 28 (EB) betr. Verfassungswidrigkeit einer Bedürfnisprüfung. 111
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Schulze-Fielitz
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werden. Dazu gehören auch Gesetze(snormen) als Antwort des Gesetzgebers auf (verfassungs-)rechtliche Zweifel der (fach-)gesetzlichen Spruchpraxis an der Rechtmäßigkeit des bisherigen Rechtszustandes116. Oft richten sich neue Gesetzesregelungen aber gerade final gegen eine nach Ansicht des Gesetzgebers falsche 117 oder von ihm nicht intendierte Spruchpraxis 118 ; oder eine Rechtsprechung soll bei widersprüchlichen Tendenzen vereinheitlicht 119 , ihre Ergebnisse zumindest (wenn auch mitunter nur geringfügig) modifiziert werden 120 . Namentlich die Rechtsprechung des B F H 1 2 1 und die des BSG 1 2 2 scheinen, entsprechend dem sozial- und steuerrechtlichen Schwerpunkt heutiger Gesetzgebung, die Ministerialbürokratie besonders zu Korrekturen bzw. „Klarstellungen" herauszufordern. Obwohl erst Gerichtsurteile gesetzgeberischen Handlungsbedarf auslösen, reagiert der Gesetzgeber hier mitunter schon vorwirkend, „weil zunehmend im Schrifttum die nicht der Absicht des Gesetzgebers entsprechende gegenteilige Auffassung vertreten w i r d " 1 2 3 . Umgekehrt wird auch in Kritik an der Rechtsprechung eine entsprechende Neuregelung abgelehnt, weil die geltende Rechtslage bereits ausreiche 124 . 116 S. ζ. B. das 6. AFGÄndG, das allein der Beseitigung von Zweifeln von Sozialgerichten an der Rechtmäßigkeit bestimmter genereller Ergänzungsregeln im Erlaß- bzw. Rechtsverordnungswege diente, vgl. BT-Drs. 9/409, S. 4 (EB); vgl. als Bsp. zur BFHRechtsprechung BT-Drs. 9/842, S. 71 (EB) betr. Art. 28 Nr. 1 2. HStruktG(E). 117 S. als besonders markantes Beispiel BT-Drs. 9/2326, S. 6 (AB) betr. MikroZG: gegen die Entscheidungen des OLG Düsseldorf zur aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs gegen Befragungen durch die Statistischen Ämter; auch das 3. VwGOÄndG scheint speziell durch die Demonstrationsrechtsprechung des V G Frankfurt veranlaßt worden zu sein, so T. Blanke, KJ 16 (1983), 170 (171). 118 S. z. B. Art. 1 Nr. 1 b) 9. BKGÄndG(E) = § 2 I I B K G G gegen die Rechtsprechung des BSG zu Warte- und Übergangszeiten, s. BT-Drs. 9/842, S. 54 (EB); Art. 1 Nr. 8 7. BAföGÄndG(E) = § 13 I I I a BAföG gegen die Rechtsprechung des BVerwG, s. BT-Drs. 9/603, S. 21 (AB); Art. 1 Nr. 9 a KHKÄndG(E) betr. Rechtsprechung des BVerwG zu Befristungen, s. BT-Drs. 9/976, S. 31 (AB); Art. 18 Nr. 30 HBeglG 1983(E) = § 1260c RVO gegen das vom BSG zugesprochene Wahlrecht zwischen Beitragszeit/Ersatzzeit, s. BT-Drs. 9/2140, S. 103 (EB); § 22 G ü K G i. d. F. von Art. 1 Nr. 7 3. GüKÄndG(E), BTDrs. 9/2173, S. 11 (AB) betr. BGH zur Tarifgestaltung. 119
S. ζ. B. betr. das 2. BApOÄndG BT-Drs. 9/1765, S. 4 (AB). S. betr. die Rechtsprechung des BFH zur Rückstellung bei Patentverletzungen: BTDrs. 9/2140, S. 64f. (EB) und BT-Drs. 9/2290, S. 9 (AB) betr. Art. 1 Nr. 3 HBeglG 1983(E); zur Mietrechtsprechung einiger Oberlandesgerichte bzw. zu den (gerichtlich strengen) formalen Anforderungen an Mieterhöhungsverlangen s. BT-Drs. 9/2079, S. 11 bzw. 16f. (EB) betr. MErhAngG. 121 S. ζ. B. BT-Drs. 9/842, S. 71 betr. 2. HStruktG(E); BT-Drs. 9/2140, S. 62, 67 (EB); BT-Drs. 9/2290, S. 9 (AB), alle betr. HBeglG 1983. 122 S. ζ . B. BT-Drs. 9/846, S. 41 betr. Art. 1 § 1 Nr. 22 AFKG(E); BT-Drs. 9/2140, S. 108 und 109 betr. HBeglG 1983(E). 123 So BT-Drs. 9/2140, S. 66 (EB) betr. Art. 1 Nr. 6 HBeglG 1983(E); ähnlich das Motiv in BT-Drs. 9/971, S. 90 (AB) betr. Art. 34 2. HStruktG(E) oder in BT-Drs. 9/842, S. 72 (EB) betr. Art. 29 Nr. 5 2. HStruktG(E). 120
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Schließlich lassen sich gesetzgeberische Motive nachweisen, die gezielt die bestimmte (bundes-)gerichtliche Auslegung eines Gesetzesbegriffs bewahren wollen 1 2 5 . Gelegentlich wird ausdrücklich hervorgehoben, daß zu einer bestimmten Einzelfrage und ihrer Lösung durch die Rechtsprechung gerade keine Stellung genommen werden solle 126 . Im übrigen wird verbreitet auf eine bestehende Rechtsprechung — diese bekräftigend und das eigene Ziel legitimierend — Bezug genommen 127 . (3) Interessenverbände Die Interessenverbände sind von ihrer wirtschaftlichen Interessenlage her Hauptimpulsgeber bei Ordnungsrahmengesetzen für Wirtschaft und Gesellschaft 128 . Deren offenkundig eigenartige Nähe zu Berufsverbänden bzw. -Organisationen wurde schon beschrieben 129. Aber auch bei der Verteilungsgesetzgebung — in der die Verbände ohnehin „bremsend" gegenüber geplanten spezifischen Belastungen tätig werden — lassen sich im speziellen Fall wirtschafts- und sozialpolitischer Interventionsgesetze positive verbandspolitische Impulse feststellen 130 . Namentlich Gesetze zur Beseitigung von Wettbewerbsverzerrungen (4. ZuckStÄndG) und allgemein zur Wirtschaftsförderung bestimmter Produkte und Märkte (3. BerlinFÄndG), aber auch allgemein in bestimmten Zeitabschnitten (BeschäftFG) lassen Impulse aus einer bestimmten Interessenlage heraus vermuten. Gleiches gilt für die Art der Kostendämpfungsgesetze im Gesundheitswesen. Solche verbandspolitischen Impulse werden aber durch die primär volkswirtschaftspolitischen Überlegungen des Gesetzgebers gefiltert und korrigiert. (4) Der dynamische Gesetzgebungsprozeß Impulse für eine fortlaufende Anpassungsgesetzgebung gehen schließlich auch von „dem" Gesetzgeber selber aus. Gemeint ist nicht der eigenständige 124 Vgl. BT-Drs. 9/1753, S. 44 (AB) betr. § 122 SGB-X/3(E) zur BGH-Rechtsprechung betr. Beschränkung des Rückgriffsanspruchs eines Sozialversicherungsträgers. 125 S. z. B. Art. 1 Nr. 3 7. BAföGÄndG ( = § 7 I I Nr. 1 BAföG), BT-Drs. 9/603, S. 18 (AB). 126 S. ζ. B. betr. Verzinsung von Kautionen in Art. 4 Nr. 2 MERhAngG(E), BT-Drs. 9/2079, S. 19 (EB). 127 S. ζ. B. betr. das BAG: BT-Drs. 9/847, S. 8 und 9 zu Art. 1 Nr. 1 BillBG(E); betr. das BVerfG: BT-Drs. 9/846, S. 35 (EB) zu Art. 1 § 1 Nr. 2 AFKG(E); betr. den BGH: BT-Drs. 9/2173, S. 11 (AB) betr. Art. 1 Nr. 7 3. GüKÄndG(E); betr. das BSG: BT-Drs. 9/845, S. 13 (EB) zu Art. 1 Nr. 3 KVEG(E); BT-Drs. 9/846, S. 41 (EB) zu Art. 1 § 1 Nr. 21 AFKG(E); zu OLG-Urteilen ζ . B. BT-Drs. 9/1900, S. 18 (EB) betr. § 14 BKleingG(E). 128 Vgl. auch R. Herber, in: Theorie und Methoden der Gesetzgebung, 1983, S. 31 (35). 129 S. bereits Kap. IV/nach Fn. 173. 130 S. schon Kap. IV/bei Fn. 240ff.; vgl. zur Aktivität betr. staatliche Interventionen ζ. B. auch H. Leßmann, Aufgaben (Fn. 55), S. 54.
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Gestaltungswille speziell der Regierungsbürokratie, sondern die Anpassungsdynamik in Parallele zur sozialen und wirtschaftlichen Entwicklung. Der Gesetzgeber setzt durch seine laufende Gesetzgebung immer neue Veränderungszwänge auch für sich selber, die Eigendynamik entfalten und unter dem Zwang zur Rechtssetzung immer neue Änderungsgesetze hervorbringen. Formell kommt die Änderung in den Berichtspflichten der Bundesregierung dem Bundestag gegenüber oder in gesetzlich vorgesehenen Dauergremien als Formen „institutionalisierter Rechtspolitik" (ζ . B. die Monopolkommission nach § 24b GWB) zum Ausdruck 1 3 1 , material auch besonders in der fortlaufenden periodischen Anpassungsgesetzgebung132 — z. T. in Verknüpfung mit speziellen, einmaligen Berichtspflichten 133 ; namentlich der Finanzminister ist durch die Haushaltspflichten immer wieder neu gefordert. Primäre Verarbeitungsinstanz für diese fortlaufende Anpassungsdynamik ist die Ministerialbürokratie. ee) Bilanz: Konzentrationsprozesse
bei den Impulsgebern für Gesetze
Eine Bilanz zeigt, daß die vielschichtigen neuen Impulse zur Gesetzgebung in einer (prinzipiell) offenen Gesellschaft der Gesetzgeber vor allem aus den bestehenden (über-)staatlichen Einrichtungen kommen. Ein zweiter großer Motor sind die Interessenverbände (namentlich im Rahmen der Ordnungs- und Verteilungsgesetzgebung); auch das BVerfG läßt sich wegen seiner eigenständigen Wirkkraft als wichtiger Impulsgeber ansehen. Darüber hinaus sind die Impulse für jedes einzelne Gesetz so vielfaltig, daß sich eindeutige Zuordnungen schwer treffen lassen. Der Hinweis auf „die Verwaltung" läßt sich bei den ganz überwiegend öffentlich-rechtlichen Gesetzen nicht als Erklärung, sondern nur als Frage auffassen. Stets wird es neben dem „Haupt"-Impuls eine ganze Reihe weiterer Motive geben 134 . Erstaunlicherweise spielen die Erst-Impulse der politischen Parteien nur eine sehr untergeordnete Rolle, wenn man nicht Wahlprogramme schon als Gesetzgebungsprogramm ansehen w i l l 1 3 5 . Parteien nehmen bestehende Impulse offenbar erst spät auf, soweit sie sich in den abstrakten Rahmen ihrer Grundsatzprogrammatik einfügen. Intensive parteipolitische Konflikte um Gesetze, jenseits von ideologischen „Groß-Streitigkeiten", entzünden sich in erster Linie im Stadium konkreter Ausgestaltung abstrakter Leitvorstellungen.- Private und 131
S. P. Häberle (1977), in: ders., Verfassung, S. 17 (51); die „Nachbesserungspflicht" des Gesetzgebers ist nur eine verfassungsgerichtlich-dogmatische Entsprechung. 132 S. o. Kap. IV/bei Fn. 96 ff. 133 S. zum 7. BAföGÄndG den Vierten Bericht nach § 35 BAföG (betr. die Überprüfung der Bedarfssätze), BT-Drs. 9/206, und eine Bundestagsentschließung vom 18.5.1979, vgl. BT-Drs. 9/603, S. 14. 134 S. z. B. BT-Drs. 9/1987, S. 1 betr. / . ZahnHKÄndG(E): „Anläßlich der Gesetzesänderung (aufgrund EWG-Rechtsgeboten) soll ..." 135 So H. Hill, DÖV 1981, 494.
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gesellschaftliche (Rand-)Gruppen lassen sich als unmittelbare Impulsgeber für Gesetze in der 9. WP nicht auszumachen. Das schließt ihren mittelbaren nachträglichen konkreten Einfluß im Gesetzgebungsverfahren auf bestehende Regierungsvorschläge nicht aus. Zudem verbergen sich hinter Gerichtsurteilen letztlich die Aktivitäten einzelner Bürger, die so jedenfalls mittelbar Gesetzesimpulse auslösen können 1 3 6 . c) Gesetzgebung im Prozeß der Verhandlungsdemokratie
Die am Gesetzgebungsprozeß Beteiligten ermitteln im politischen Prozeß die angemessenen Formen der Umsetzung politischer Impulse in Gesetze. Kennzeichnend für die am politischen Tausch orientierten Verhandlungen ist eine vertragsähnliche, verhandlungsdemokratische Konkretisierung der Verfassung als Vertrag 137 . Analytisch lassen sich solche Verhandlungstrukturen schon im vorparlamentarischen Gesetzgebungsverfahren auf allen Ebenen der offenen Gesellschaft der Gesetzgeber nachweisen. (aa) Weithin verdeckt sind dabei nichtöffentliche Kontroversen und Verhandlungsprozesse innerhalb der Bundesregierung zwischen den einzelnen Bundesministerien. Diese betrachten gleiche Sachverhalte in je unterschiedlicher Interessen-Perspektive (und sind ζ. T. entsprechend in sog. „Spiegelreferaten" organisiert). In diesem Stadium (vor der Veröffentlichung eines Referentenentwurfs) sind die Verhandlungen mit den Vertretern von Verbänden und ihren Sachverständigen weithin „unsichtbar". (bb) In ihrer präjudizierenden Wirkung bedeutsam und ζ . T. öffentlich sichtbar sind Konsensfindungsprozesse innerhalb der einzelnen Regierungsparteien, namentlich der führenden Partei(en) einer Regierungskoalition. Der gesellschaftliche Pluralismus bildet sich in Volksparteien innerparteilich — nur unterschiedlich gebrochen — ab und führt zu entsprechenden Aushandlungsprozessen auf der Suche nach politischer Gerechtigkeit. Das Beispiel der monatelangen Diskussionen um die geplante Steuerreform im Jahr 1984 138 verdeutlicht: Es geht um einen Verteilungskampf, in dem zwischen verschiedenen Parteien und Gruppen divergierende Interessen zum Ausgleich gebracht und durch entsprechende innerparteiliche Protagonisten als Sprecher gegeneinander geltend gemacht werden 139 . Solche Prozesse ließen sich wohl generell für alle Verteilungsgesetze belegen. 136
Vgl. H. Simon, 53. DJT (Fn. 1/4), S. 28 (29). Vgl. näher oben Kap. VHI/bei Fn. 136 ff. 138 Da die (an sich notwendige) politikwissenschaftliche Erforschung solcher Vorgänge in der 9. WP hier nicht möglich ist, kann nur beispielhaft eine Struktur anschaulich gemacht werden; deshalb lassen sich auch aktuelle Beispiele aus der 10. WP als prototypisch anführen. 139 Streit bestand zwischen den „Familienpolitikern", den Mittelstandspolitikern, den Wirtschaftspolitikern usw., die jeweils bestimmte Ziele favorisierten: Entlastung speziell 137
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IX. Bundesgesetzgebung als Verhandlungs- und Entscheidungsprozeß
(cc) Die in der Öffentlichkeit sichbarsten Verhandlungen sind Einigungsprozesse zwischen den Koalitionsparteien bzw. (parteipolitisch motiviert) innerhalb der Bundesregierung. Die Verhandlungstufen im Koalitionsvorfeld lassen sich anhand der — gemäß den Koalitionsvereinbarungen vom 23. 3. 1983 geplanten — Neuregelung des Scheidungsfolgenrechts ablesen. Langwierige Verhandlungen zwischen den Expertengruppen beider Fraktionen endeten mit einem Kompromiß, der von den Parteivorständen gebilligt wurde. Er wurde als regierungsinterner Referentenentwurf mit Anhörung der Verbände ausgearbeitet, ehe er dann als Regierungsentwurf in das parlamentarische Verfahren ging (mit erneuter Experten-Anhörung) 140 . Parteiinterne Kritiker am Koalitionskompromiß können unter Hinweis darauf beruhigt werden, selbst der Regierungsentwurf sei nicht das letzte W o r t 1 4 1 ; im parlamentarischen Verfahren kann auf die Sachzwänge des erfolgten, koalitionsnotwendigen Kompromisses verwiesen (werden). In diesem Sinne verlaufen viele Koalitionsverhandlungen, ohne daß diese stets dem Regierungsentwurf zeitlich vorausgegangen sein müssen. Viele Gesetzesprobleme werden durch „koalitionsinterne" Beratungen neben den Ausschußberatungen im parlamentarischen Verfahrensstadium gelöst 142 . Die Interessen-Abstimmung verläuft nicht zwingend entlang den parteipolitischen Frontlinien; sie kann der Vermittlung von gegenläufigen Interessen ζ . B. zwischen Wirtschaft und Finanzverwaltung dienen 143 . (dd) Weitere Verhandlungsebenen sind die zwischen Regierung und Opposition; man denke an die Zusammenarbeit bei interfraktionellen Gesetzentwürfen 1 4 4 oder besonderen politischen Grundsatzfragen 145 . Hier kann es dann auch zu gesetzesinhaltsbestimmenden Kontroversen und Kompromissen innerhalb der Oppositionsfraktionen kommen, ehe Vereinbarungen oder Kompromisse zwischen Regierung und Opposition auf der Ebene der Fachausschüsse des Bundestages getroffen werden, möglicherweise unter dem Eindruck von Sachder (kinderreichen) Familien, der in den Vorjahren in die „Steuerprogression" Geratenen, des leistungsbewußten Mittelstandes, des Bundeshaushalts (fiskalisches Interesse) usw., s. die Zwischenbilanz bei W. Kannengießer, FAZ v. 15. 5. 1984, S. 3, der vom „Luxus einer großen Meinungsvielfalt" in der C D U spricht. 140 S. zu den Stationen FAZ v. 3. 7. 1984, S. 5. 141 FAZ v. 3. 7. 1984, S. 5. 142 Man denke ζ . B. an die rechtspolitischen Tausch-Überlegungen innerhalb des CDU/CSU-FDP-Koalitionslagers, etwa Vermummungsverbot als Ordnungswidrigkeit „gegen" Reform des Landfriedensbruchs, vgl. zu diesen Auseinandersetzungen: FAZ v. 1. 2. 1985, S. 1 (Berliner Kompromißbeschluß der Fraktionsexperten); zur nachträglichen (Wieder-)Infragestellung s. FAZ v. 2. 2. 1985, S. 2; 6. 2. 1985, S. 1; 11. 2. 1985, S. 1; diese koalitionsinterne Auseinandersetzung wurde primär zwischen CSU-Innenminister und FDP (mit zwei Innenministern a. D.) parteipolitisch geführt, s. a. FAZ v. 29. 3. 1985, S. 6. 143 144 145
S. am Bsp. des Steuerbereinigungsgesetzes: FAZ v. 21. 11. 1985, S. 13. Ausf. Nw. bei H. Schulze-Fielitz, Verfassungsstaat, S. 54f. und bei Fn. 669 ff. S. zur Rolle der Opposition beim V Z G 1986 schon oben bei Fn. 33.
1. Gesetzgebung als Prozeß
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verständigen-Anhörungen; auch kann es zu—parteipolitisch übergreifenden — Gegensätzen zwischen den verschiedenen Fach-Ausschüssen kommen. (ee) Verhandlungsfeld ist weiter das Verhältnis von Bund und Ländern, wie es im Vermittlungsverfahren mit dem Bundesrat nur besonders deutlich wird. Auch ohne Vermittlungsverfahren vollziehen sich solche informalen Verhandlungen über vorgreifliche, reziprozitätsorientierte Verhandlungen, wenn etwa Bremen im Bundesrat mit den „CPU-Ländern" für die frühzeitige Pensionierung von 1500 Bundeswehroffizieren stimmte, „um sich auf diesem Umweg eine günstige Ausgangsstellung für die Wünsche des Küsten-Stadtstaates im Hinblick auf Strukturhilfen nach dem Muster des Saarlandes zu verschaffen" 146 . Noch stärkere Sachzwänge entfaltet die gewachsene Politikverflechtung von Bund und Ländern i. S. einer „Konkordanzdemokratie" auf dem kleinsten gemeinsamen Nenner 147 . (ff) Auch die Länder untereinander verhandeln zur Vorbereitung von Gesetzesinitiativen des Bundesrates, vor allem auf parteipolitisch gleichsinniger Ebene. So heißt es, Niedersachsen suche „Verbündete" unter den unionsregierten Ländern (gelegentlich einer Innenminister-Konferenz) für einen Gesetzentwurf 1 4 8 ; umgekehrt kann ein Land sich einem gemeinsamen Konzept der unions-regierten Länder in bestimmter Weise widersetzen 149 . (gg) Die kontroversen politischen Ziele von Parteien und Verfassungsorganen werden schließlich verstärkt oder geschwächt, mitunter überlagert durch die politischen Vorstellungen der Interessenverbände, die im Konflikt und Ausgleich untereinander zugleich ihre Interessen gegen und durch den Staat zu verwirklichen suchen. Auch sie nehmen, obwohl oft nicht sichtbar, in erheblichem Umfang teil am „täglich neuen 'contract social'" im Rahmen der Verfassung als Vertrag 150 .
146 So FAZ v. 21. 2. 1985, S. 2; vgl. das Gesetz zur Verbesserung der Personalstruktur der Streitkräfte vom 30. 7. 1985 (BGBl. I, S. 1621). 147 So T. Ellwein, HdbVerfR, S. 1093 (1118); s. grdl. zur Politikverflechtung: F. W. Scharpf/B. Reissert/F. Schnabel, Politikverflechtung, 1976. 148 S. FAZ v. 30. 5. 1984, S. 5, betr. ein schärferes Vorgehen gegen ausländische politische Extremisten. 149 S. ζ. B. den Widerstand Baden-Württembergs gegen ein gemeinsames Konzept der unions-regierten Länder für die Einführung eines umweltfreundlichen Autos im Interesse „für größere Wagen, deren Produktion in Baden-Württemberg einen Schwerpunkt hat": FAZ v. 31.8.1984, S. 1.- Zu den Partei-Fachministerrunden s. oben Fn. 25. Eine Beteiligung der jeweiligen Bundesminister (nur) an „ihrer" Minister-Körrunde ist verfassungsrechtlich grundsätzlich nicht problematisch, vgl. BVerfGE 12, 205 (256). 150 So P. Häberle, Z H R 145 (1981), 473 (503).
280
IX. Bundesgesetzgebung als Verhandlungs- und Entscheidungsprozeß 2. Das vorparlamentarische Verfahren als erste Strukturgebung des Gesetzesentstehungsprozesses a) Charakteristische Kraftlinien des "Vor"-Verfahrens
Die Vielfalt von Legislativkräften und Verhandlungsebenen zwingt eine verfassungsrealistische Betrachtungsweise, den Gesetzgebungsprozeß nicht nur beim parlamentarischen, sondern auch beim vorparlamentarischen Verfahren zu beachten. aa) Die Kanalisierung
(partei-)politischer
Konflikte
Kennzeichnend für das Vorverfahren ist dabei ein Ineinander von rechtlichen und informalen Verfassungsregeln. Neben den Geschäftsordnungen der Bundesregierung und der Bundesministerien bzw. des Bundesrates mit ihren rechtlich strukturierten Verfahrensstationen sind Regeln, Verfahrensebenen und politische Entscheidungen bedeutsam, die unter parteienstaatlichen Bedingungen das (vor-)parlamentarische Gesetzgebungsverfahren informal prägen 1 5 1 . Sie entziehen sich weithin einer juristischen Analyse, sind aber dennoch von erheblicher Bedeutung für die Gesetzgebung als Verfassungsverfahren. Grundsatzentscheidungen, zumal über das Ob gesetzlicher Regelungen, fallen in Koalitionsabsprachen (ζ . T. in Konkretisierung der Koalitionsvereinbarungen) zwischen den Regierungsparteien und ihren Vorständen, ferner zwischen den Fraktionen und ihren Experten. Über die innerparteilichen Diskussionen auf Vorstandsebene wirken auch die Parteivorsitzenden (und ζ. T. Ministerpräsidenten) der Länder ζ. T. schon von vornherein auf die Gesetzeskonzeption ein; selbst Entschließungen von Parteitagen und der auf ihnen gegenwärtigen Gruppierungen können so wirksam sein. Namentlich Koalitionskonflikte werden angesichts der informalen Regel von Koalitionsvereinbarungen, daß im Bundestag „nicht mit wechselnden Mehrheiten" abgestimmt werden dürfe, oft bereits vor den Gesetzesinitiativen ausgetragen, etwa zwischen den Ressortministern und den Fraktionen bzw. ihren beauftragten Vertretern — gerade hier gibt es noch wesentliche Möglichkeiten für die Regierungsfraktionen, den inhaltlichen Gang der Gesetzgebung zu beeinflussen 152. Die Ministerialbürokratie wird vom Minister frühzeitig auf politische Grundsatz-Entscheidungen festgelegt, die der Minister als Parteipolitiker i. d. R. auch mit Hilfe seiner (Regierungs-) Fraktionen durchsetzen wird, notfalls mit einem Kompromiß auf der Basis solcher Grundsatzentscheidungen. Grundsätzliche Alternativen werden so i. d. R. schon frühzeitig im vorparlamentarischen Verfahren ausgeschieden. Diese Vielfalt parteipolitischer Impulse beeinflußt, vermittelt über die Minister 151 So schon G. Loewenberg, Parlamentarismus (Fn. 5), S. 346 ff.; vgl. jetzt Κ König, FS f. C. H. Ule, 1987, S. 121 ff. 152 S. C.-C. Schweitzer, Aus Politik und Zeitgeschichte, Β 24-25/85, S. 52.
2. Das vorparlamentarische Verfahren als erste Strukturgebung
281
und Parteipolitiker in den Leitungsebenen der Ministerien, ζ . T. schon die Vorarbeiten im Ministerium wesentlich. bb) Die Sicherung der Regelungsakzeptanz durch frühzeitige Integration von Sachverstand und Interessenberücksichtigung Nach den rechtlichen Regeln der §§ 22 ff. GGO I I ist es gerade die Aufgabe des vorparlamentarischen (Regierungs-)Verfahrens, die Vielfalt der Interessenartikulation zu sichern, aufzunehmen, zu kanalisieren und im Kontakt mit den organisierten Interessen produktiv zu verarbeiten. Gerade der frühzeitige Kontakt mit Interessenverbänden gibt der Ministerialbürokratie unentbehrliche Informationsgrundlagen für sachangemessene Lösungsvorschläge 153. In der Praxis geschieht das in aller Regel 154 . Interessenverbände kontrollieren bereits im Vorverfahren die Gesetzesimpulse ζ. T. doppelt: zunächst informell-punktuell; die ersten vollständigen („Referenten"-)Entwürfe werden den interessierten Verbänden erst dann zu einer zweiten, umfassenden Prüfung geschickt (§ 24 GGO II). Der frühe, meist nicht-öffentliche Kontakt mit Interessenvertretern wird weithin mit Mißtrauen betrachtet 155 . Zweifellos versuchen die jeweiligen Interessenverbände ihre Interessen zu wahren bzw. staatliche Regelungsansprüche interessen-gerecht zu harmonisieren 156 . Solche Konsensfindungsprozesse garantieren erst eine hohe Wirksamkeit neuer (belastender) Gesetzesregeln 157. Indessen fehlen genaue empirische Kenntnisse verallgemeinerungsfahiger Art angesichts des informalen Charakters solcher Verhandlungen besonders für das „non-decision-Problem": Gesetze, die auf nachhaltigen Widerstand der Interessenverbände stoßen, werden in relevantem Umfang mangels Erfolgsaussicht gar nicht erst beim Bundestag eingebracht 158 . 153
S. vor allem H.J.Schröder, Verbände (Fn. 57), S. 24 ff., 139 ff.; R.Steinberg , Politik (Fn. 59), S. 244 ff.; ferner J. Bally u. a., in: K. Eichenberger u. a. (Hg.), Grundfragen (Fn. 71), S. 243 ff., 258 ff.; zuletzt W. Mößle, Regierungsfunktionen, S. 16 m. Nw.; ausnahmsweise ist die „Beteiligung" gesetzlich vorgeschrieben (§ 94 BBG), s. dazu M. G. Ammermüller, Verbände im Rechtssetzungsverfahren, 1971 und H. J. Schröder, ebd., S. 54ff., 83 ff. 154
S. H. J. Schröder, a. a. O., S. 113f., 141; R. Herber, in: Theorie und Methoden (Fn. 128), S. 31, 35, 39f.; Κ . König, FS f. C. H. Ule, 1987, S. 135f. 155 S. ζ. B. H.-J. Mengel, ZRP 1984, 153 (156); Η. Η. ν . Arnim, Staatslehre, S. 291 f.; J. Rottmann, FS Gesellschaft für Rechtspolitik, 1984, S. 332f.; R. Voigt, JbRSoz 12 (1988), MS. 4. 156 Empirisch grdl. die Fallstudie zum Personalvertretungsgesetz von Ο. Stammer u. a., Verbände und Gesetzgebung, 1965, S. 58ff., 77ff., 107ff. 157 Vgl. P. Kirchhof, F G BVerfG II, 1976, S. 50 (57); R. Steinberg, Politik (Fn. 59), S. 245 f. 158 Vgl. H. J. Schröder, Verbände (Fn. 57), S. 141; J. Rottmann, FS Gesellschaft für Rechtspolitik, 1984, S. 332f., 335f.
282
IX. Bundesgesetzgebung als Verhandlungs- und Entscheidungsprozeß
Der Sachbezug der verschiedenen Gesetze wird oft sichtbar an der außerordentlichen Detailgenauigkeit vor allem von Steuer(erhöhungs)gesetzen und wirtschafts- und sozialpolitischen Interventionsgesetzen, so wenn aus energiepolitischen Gründen die Mineralölsteuerbefreiung speziell „für Probeläufe von Ausfuhrmotoren" aufgehoben w i r d 1 5 9 oder einzelne Änderungen des Tabaksteuergesetzes „ i m Interesse der Tabakwirtschaft erforderlich sind" 1 6 0 . Beim 3. BerlinFÄndG geht es um die Marktsituation bei entbeintem Schinken, die Absicht der Kafferöster zu größeren Packungen u. a. m., denen der Gesetzgeber detailliert gerecht werden w i l l 1 6 1 . Selbst der Unrechtsgehalt von Straf- und Bußgeldregelungen wird (auch) zusammen mit betroffenen Interessenverbänden neu bestimmt 162 . Viel zu selten berichten Entwurfsbegründungen ausdrücklich, daß und warum sie den Wünschen der Verbände nachgekommen sind 1 6 3 — gerade in einer solchen Begründung würde der Gemeinwohlgehalt der legitimen Berücksichtigung spezifischer privater Interessen deutlich, rational und material legitimitätsfördernd. Deutlich wird aber die unterschiedliche „Nähe" auch der verschiedenen Ministerien zu Verbänden: Weniger eng bei den „klassischen", stärker bei den „Daseinsvorsorgeministerien" und kleinen „Häusern" 1 6 4 . cc) Die methodische Versachlichung der Politik durch die Gesetzgebung als Bürokratisierungsprozeß Das vorparlamentarische Gesetzgebungsverfahren im Schöße der Ministerialbürokratie(n) entzieht die methodisch-technischen Fragen (prinzipiell) den unmittelbaren politischen Ansprüchen. Es soll im Schutze der NichtÖffentlichkeit sachlich (politisch und rechtstechnisch) gute Gesetze(sentwürfe) rational erarbeiten 165 . Damit ist eine problematische Anonymisierung der Wahrnehmung politischer Gestaltungsfreiheit verbunden. Der differenziert erarbeitete Gesetzentwurf erschwert als Regierungsentwurf politische Kritik und Änderungen im Grundsätzlichen 166 , zumal wenn in der Vorbereitungsphase die Zielsetzung 159
So Art. 4 VerbStÄndG 1982, vgl. BT-Drs. 9/797, S. 7 und 10 (EB). So Art. 1 VerbStÄndG 1982, vgl. BT-Drs. 9/797, S. 7 (EB); aus Wettbewerbsgründen wurden z. B. Zigarren von der Steuererhöhung ausgenommen (S. 7), der mittelständischen Struktur der Hersteller von Pfeifentabak Rechnung getragen (S. 8) usw. 161 S. BT-Drs. 9/2086, S. 14ff. (EB) betr. Art. 1 Nr. 3 ff. 3. BerlinFÄndG(E). 162 S. z. B. beim 4. WeinÄndG, s. BT-Drs. 9/785, S. 37 (EB). 163 S. z. B. beim 3. SeemÄndG betr. BMVerkehr als Widerspruchsbehörde, s. BT-Drs. 9/1829, S. lOf. (EB). 164 Vgl. dazu R. Steinberg, Politik (Fn. 59), S. 250 f. 165 S. aus der verwaltungswissenschaftlichen Lit. etwa F. W. Scharpf \ in: R. Mayntz u. a. (Hg.), Planungsorganisation, 1973, S. 68ff.; H. Treiber, ZfP 24 (1977), 213 (216ff.); R. Mayntz, Soziologie (Fn. III/263), S. 181 ff. i. V. m. 60 ff. 160
2. Das vorparlamentarische Verfahren als erste Strukturgebung
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(koalitions-)parteipolitisch unumstritten ist bzw. der Minister (als Parteipolitiker) eine entsprechende Haus- und Durchsetzungsmacht besitzt. Die vorbereitenden Entscheidungen der — im Führungs- und Gesetzgebungsbereich weitgehend parteipolitisch harmonisierten 167 — Ministerialbürokratie werden selber zum „Sachzwang" im Gesetzgebungsprozeß. Der Führungskern der Verwaltung „hat es gelernt, den Gesetzgeber in Dienst zu nehmen" 168 . Die oft beschriebenen Vorteile der Ministerialbürokratie im Verhältnis zu Ministern 1 6 9 (bzw. Kabinett) und Abgeordneten 170 (bzw. Parlament), namentlich ihr Informationsvorsprung und die größere Sachkenntnis, erscheinen als unvermeidliche Folge einer Bürokratisierung der Gesetzgebung. Die politischen Grundsatzentscheidungen sind gefallen, bevor das Bundeskabinett den Regierungsentwurf verabschiedet. Parlamentarier tragen nun die Begründungslast für eine Veränderung des status quo (des Regierungsentwurfs). Der Gesetzgebungsprozeß verdeckt die Wahrnehmung politischer Gestaltungsfreiheit zwischen Alternativen — hinter dem Schein bloßer neutraler Sachwalterschaft der durchaus politisch tätigen Beamten 171 . Die politischen Konflikte im parlamentarischen Beratungsprozeß ranken sich deshalb oft nur um politische Einzelfragen. Ihr logischer Status im systematischen Gesamtzusammenhang eines Regelungspakets kann sehr unterschiedlich sein. Je fundamentaler eine Entscheidung im Regierungsentwurf, um so wahrscheinlicher bleibt sie unverändert. Änderungen in den Ausschuß- oder Bundesratsberatungen führen zu oft unübersichtlichen Folgewirkungen für andere Regelungsbereiche. Hier liegt der Keim für die Kritik an „schlechter", weil unausgewogener Gesetzgebung heute: Der parlamentarische Gesetzgeber steht vor dem Dilemma, entweder sich dem „Sachzwang" der Regierungsvorgaben zu fügen — und damit auf politisch eigenverantwortete Entscheidungen, oft schon auf die Kenntnis der Alternativenvielfalt zu verzichten; oder die Gesetzesberatungen zu politisieren — und damit Gefahr zu laufen, einem sachlich differenzierten und angemessenen Regelungsentwurf ohne ausreichende (Folgen-)Anlayse Unstimmigkeiten einzuverleiben. Die Gesetzgebungspraxis durchschaut das „Gestrüpp" ihrer Detailänderungen mitunter selbst nicht mehr 1 7 2 . 166
T. Ellwein u. a., Parlament und Verwaltung, 1. Teil: Gesetzgebung und politische Kontrolle, 1967, S. 250 f. 167 Vgl. F. Wagener, W D S t R L 37(1979), 215 (236 f.); R. Steinberg, Die Verwaltung 11 (1978), 309 (316 f.); H. Schulze-Fielitz, Verfassungsstaat, S. 25 ff. 168 T. Ellwein, HdbVerfR, S. 1120; ähnlich F. Wagener, a. a. O., S. 242; W. J. Dodenhoff, VerwArch 75 (1984), 1 (7ff.). 169
R. Steinberg , Die Verwaltung 11 (1978), 323 ff. S. D. Lattmann, Die Einsamkeit des Politikers, 1977, S. 58 ff. 171 S. etwa: H. Apel, Der deutsche Parlamentarismus, 1968, S. 193 ff.; H. Friedrich, Staatliche Verwaltung und Wissenschaft, 1970, S. 98ff.; E. Blankenburg! H. Treiber, Die Verwaltung 5 (1972), 273 ff., im Kontrast zum traditionellen Selbstverständnis älterer Ministerialbeamter bei J. Kölble, DÖV 1969, 25 (37). 170
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IX. Bundesgesetzgebung als Verhandlungs- und Entscheidungsprozeß
Der Anspruch einer optimalen methodischen Rechtssetzung durch die Verwaltung 173 vor ihrer politisch-parlamentarischen Diskussion durch perfektionierte Formen der Wert- und Interessenermittlung bzw. -abwägung stößt indessen auf Grenzen. Die parlamentarische Demokratie des GG lebt vom politischen Konflikt, von Kontroversen, die nicht nur personal zum Elitentausch, sondern sachlich in der Ideenkonkurrenz und Konzeptkonkurrenz des gemeine Beste fördern soll. Eine Verbesserung des Gesetzgebungsverfahrens hat Gesetzgebung als politischen Selektionsprozeß zu betrachten und nicht nur den einen „perfekten" (oder schein-perfekten) Entwurf, sondern auch alternative Konzeptionen zu erarbeiten. Gute Gesetzgebung ist auf allen Ebenen — auch solchen scheinbar nur „technischer" Art — ein ständiger politischer Selektionsprozeß, der institutionalisiert und organisiert werden muß, um alternative Lösungsmöglichkeiten erst einmal in die (politische) Diskussion einzubringen. dd) Der Regierungsentwurf als (Regel-) Abschluß des vorparlamentarischen Gesetzgebungsverfahrens Die Gesetzentwürfe der Bundesregierung sind Ausdruck einer strukturell begründeten politischen und sachlich-organisatorischen Überlegenheit 174 . Politisch liegen sie regelmäßig auf der Linie einer (im Vorfeld auch mit den Regierungsfraktionen im Parlament durch Kompromisse abgestimmten) parlamentarischen Mehrheit; für Gesetzesinitiativen des Bundesrates oder gar der Bundestags-(Oppositions-)Fraktionen gilt diese Vermutung politischer Mehrheitsfähigkeit nicht.- Sachlich-organisatorisch haben zahlreiche Experten als Abschluß eines längeren internen Abwägungs- und Konkretisierungsprozesses ein abgezirkeltes Regelungsgewebe angefertigt, daß die politischen und sachlichen Verwerfungen seines Gegenstandes kaum noch erkennen läßt; die dafür erforderlichen rationalisierenden organisatorisch-technischen Arbeitskapazitäten stehen den Initianten „aus der Mitte des Bundestages" nicht zur Verfügung. Regierungsentwürfe sind (prinzipiell) keine Diskussionsvorlagen (mehr), sondern sie erscheinen als durchzusetzende Gestaltungsentscheidungen der politischen Staatsführung 175 , deren Scheitern mit einem Prestige- oder Autori172
Vgl. ζ . Β. T. Ellwein, DVB1. 1984, 255 (259) für NRW. S. R. Hotz, in: H. Kindermann (Hg.), Studien 1982 (Fn. 1/26), S. 152ff.; Schwachpunkt bei Hotz ist die rechtzeitige politische Rückkoppelung und Erarbeitung entsprechender Lösungsansätze, vgl. S. 167, wo zwar eine rein legistische Erarbeitung des Gesetzesentwurfs kritisiert wird, die institutionellen politischen Vorgaben und Rückkoppelungsprozesse aber unausgeführt bleiben; s. auch ders., Methodische Rechtsetzung — eine Aufgabe der Verwaltung (!), 1983, wo der politische Prozeß denn auch nicht vorkommt. 174 S. generell K. Eichenberger, VVDStRL 40 (1982), 7 (29ff.); zum Verfahren der Erarbeitung von Gesetzentwürfen jetzt K. König, FS f. C. H. Ule, 1987, S. 127ff. 175 So für die Schweiz schon K. Eichenberger (1954), in: ders., Staat (Fn. 1), S. 284: „Die Regierung führt das Parlament"; vgl. zur Regierung als Organ für politische 173
2. Das vorparlamentarische Verfahren als erste Strukturgebung
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tätsverlust verbunden ist. Schon Kontroversen im Bundeskabinett sind selten und enden in der Regel mit einem Beschluß i. S. des zuständigen Fachministers 176 . Sie sind bereits das — für den parlamentarischen Gesetzgebungsgang letztlich maßgebliche — Ergebnis eines Kommunikations-, Verhandlungs- und Entscheidungsprozesses, der (partei-)politisch nicht konsensfähige, sachlich unangemessene oder nicht interessengerechte sowie legislatorisch schlechte Regelungsalternativen bereits ausgefiltert hat (bzw. haben soll). Regierungsentwürfe sind der regelmäßige Abschluß des vorparlamentarischen Gesetzgebungsverfahren. b) Das faktische Gesetzeserarbeitungsmonopol der Ministerialbiirokratie(n)
Es gehört zu den Stereotypien der wissenschaftlichen Diskussion, den beherrschenden Einfluß der Ministerialbürokratie bei der Gesetzesvorbereitung festzustellen 177. Gesetzgebungsstatistisch beruhen 75 % ( = 102) aller verkündeten Gesetze der 9. WP auf Regierungsvorlagen, 11 % ( = 15) gehen auf Bundestagsinitiativen, 5,9 % ( = 8 ) auf Bundesratsinitiativen, 8,1 % ( = 1 1 ) auf vereinigte Initiativen des Bundestages mit solchen der Bundesregierung (9) bzw. des Bundesrates (2) zurück 1 7 8 . I m Vergleich mit der 7. und 8. WP scheint der Anteil der Regierungsvorlagen sogar rückläufig zu sein 179 . Wenn man die Vertragsgesetze (betr. völkerrechtliche Verträge) unberücksichtigt läßt, weil sie wegen der Besonderheiten der Auswärtigen Gewalt (Regierungsvorbehalt!) naturgemäß Regierungsvorlagen sind 1 8 0 , dann scheinen 40 % ( = 3 4 von 85) aller Gesetze keine Regierungsvorlagen zu sein. Dieses Bild ändert sich, wenn man die erfolgreichen Gesetzesinitiativen nach Entstehung, Motiv und Gewicht materiell näher betrachtet. Schon die acht erfolgreichen Bundesratsinitiativen sind naturgemäß von den Vorarbeiten der Leitentscheidungen auch W. Mößle, AöR 107 (1982), 311 (314f.); ders., Regierungsfunktionen, S. 100. 176 So auch für die Schweiz Alt-Bundesrat R. Friedrich, zit. nach N Z Z v. 12. 2. 1985, S. 12.- Zum rechtlichen Verhältnis von Kabinett und Fachministerien s. a. M. Oldiges, Bundesregierung (Fn. 80), S. 163 ff. 177 S. aus jüngerer Zeit etwa H. Hill, DÖV 1981, 491; H. Frohn, Gesetzesbegriff und Gewaltenteilung, 1981, S.41f., 71; K. Eichenberger, W D S t R L 40 (1982), 17f.; 29ff.; W. Zeh, in: Theorie und Methoden (Fn. 128), S. 57 (58); H.-P. Schneider, HdbVerfR, S. 261; C.-E. Eberle , DÖV 1984,485 (488); M. Kloepfer, JZ 1984,685 (687); M. Schröder, DVB1.1984,814 (815); Kölble, Die Verwaltung 18 (1985), 388 (388); B. Becker, BayVBl. 1985, 641 (642); s. aus der älteren Literatur vor allem K. Eichenberger (1954), in: ders., Staat (Fn. 1), S. 283 ff.; T. Ellwein u. a., Parlament (Fn. 166), S. 83 ff.; G. Loewenberg, Parlamentarismus (Fn. 5), S. 325ff.; D.Grimm, ZParl 1 (1969/70), 448 (454ff.); U. Scheuner, Die Kontrolle der Staatsmacht im demokratischen Staat, 1977, S. 34f. 178
Vgl. die statistischen Angaben in GESTA/9. WP (Fn. III/267), S. 24. Er betrug damals 83,2 % bzw. 81,4 %, s. P. Schindler (Bearb.), Datenhandbuch (Fn. 11/116), S. 685. 180 Nach h. M. müssen es Regierungsvorlagen sein; a. A. jetzt S. Förch, JR1984,366 ff. 179
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IX. Bundesgesetzgebung als Verhandlungs- und Entscheidungsprozeß
Ministerialbürokratien der Länder geprägt 181 . Gleiches gilt aber auch für nahezu alle anderen erfolgreichen Gesetzgebungsinitiativen. aa) Die Insuffizienz des Bundestages als Gesetzesinitiant i. S. von Art. 76 Abs. 1 GG Dabei sticht zunächst die Insuffizienz des Deutschen Bundestages als Initiant von Gesetzen ins Auge. Es gibt formal 15 „reine", d.h. nicht mit Gesetzesinitiativen von Bundesrat oder Bundesregierung zusammengeführte Bundestagsinitiativen. In Wahrheit handelt es sich freilich meist um verkappte Regierungsentwürfe. (1) Von den 6 Gesetz gewordenen BT-Initiativen der SPD-FDP-Koalition 182 waren fünf schon in der 8. WP als Regierungsvorlagen eingebracht oder sogar als Gesetze verabschiedet, aber nicht mehr vom Bundesrat verkündungsreif behandelt worden; ihre Einbringung als BT-Initiative geschah — wie seit langem üblich und häufig 18 3 — lediglich zur Ersparnis nunmehr sachlich entbehrlicher Verfahrensschritte („1. Durchgang" beim Bundesrat gem. Art. 76 I I GG). Die sozial-liberalen Koalitionsfraktionen haben einzig (anscheinend) von sich aus die ersatzlose Streichung der §§ 88a, 130a StGB initiiert; kaum zufallig sind dafür keine (Formulierungs-)Leistungen der Ministerialbürokratie erforderlich. (2) Bei einer Reihe weiterer Initiativen des Bundestages handelt es sich um verkappte Regierungsentwürfe, die aus zeitlichen Gründen zur Verkürzung des Verfahrens als parlamentarische Initiative eingebracht worden sind. Denn selbst für eilbedürftig erklärte Regierungsvorlagen verlangen nach Art. 76 I I GG eine dreiwöchige Wartefrist. Nicht zufallig häufen sich solche Vorlagen am Ende der Legislaturperiode bzw. zum Jahresende hin. Kennzeichnend ist, daß sie möglichst bald (i. d. R. zum bevorstehenden Jahreswechsel) in Kraft treten sollen und faktisch nicht im Bundestag, sondern von der Bundesregierung vorbereitet worden sind. Von der SPD-Fraktion wurde am 24. 11. 1982 noch schnell der Entwurf des 5. PBefÄndG als (in der 9. WP einzige) eigene Initiative ausgegeben, obwohl sie dabei auf die bis dahin im Bundesverkehrsministerium geleisteten Vorarbeiten zurückgriff 184 . Auch alle vier von CDU!CSU und FDP gemeinsam eingebrachten Initiativen lassen sich auf den zeitlichen Verfahrensdruck zurückführen: die Änderung der Dienstgradbezeichnung bei Unteroffizieren, eingebracht am 23. 11. 1982 ÇBesRÄndG), der Entwurf eines MietwohnungsG v. 3. 11. 1982 (MErhAngG) und 181
Vgl. oben bei Fn. 35ff. Betr. 19. StrÄndG; 20. StrÄndG; 1. BNotOÄndG; StHG; KSVG; BtMNG. 183 S. a. H. Schmitt-Vockenhausen, in: E. Hübner u. a. (Hg.), Der Bundestag von innen gesehen, 1969, S. 137 (143). 184 S. G. Fromm, NVwZ 1984, 348 (350); zu den Gründen der Einbringung der Regierungsvorlage als BT-Initiative s. K. Haselau, GewArch 1983, 113 (114). 182
2. Das vorparlamentarische Verfahren als erste Strukturgebung
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die Änderung des StVG (StVÄndG) zur Anhebung der Eintragungsgrenze bei Bußgeldbescheiden (am 1.12. 1982) sind alle je am 1. 1. 1983 in Kraft getreten; auch die Neuordnung der Kriegsdienstverweigerung durch das KDVNG (v. 24. 11. 1982). Letztere trat zwar erst am 1. 1. 1984 in Kraft, sollte aber vor den Bundestagswahlen die Handlungsfähigkeit der neuen Bundesregierung in Antwort auf einen zuvor vorgelegten Gesetzentwurf der SPD beweisen 185 . Sachlich können sich diese Entwürfe auf einen (unveröffentlichten) Referentenentwurf (ÄndPBefGE) bzw. auf textidentische (für erledigt erklärte) Gesetzentwürfe von CDU/CSU und Bundesrat vom Mai 1981 (MietwohnungsGE) stützen. Beim KDVNG hatte eine breite Diskussion bereits in der 8. WP nach jahrelangen, vergeblichen interfraktionellen Verhandlungen zu zwei getrennten Gesetzentwürfen von CDU/CSU und SPD/FDP geführt 186 ; die jetzt entscheidenden Impulse oder Ausarbeitungen kamen aus dem (vom Generalsekretär der C D U geführten) Ministerium.- Die Regelung der Eintragungsgrenze ist RumpfGegenstand eines zuvor bereits eingebrachten Entwurfs der sozialliberalen Bundesregierung. Einzig die „Besoldungsstrukturreform" läßt äußerlich keine Vor-Arbeit erkennen, auch wenn sie Beschlüsse des BT-Verteidigungsausschusses vom 5. 12. 1973, 22. 4. 1977 und 8. 11. 1978 umsetzt; hinter diesem Etikett verbirgt sich eine schlichte und unproblematische Änderung des BBesG. (3) Von den verbleibenden vier interfraktionellen Gesetzentwürfen ist der zum 3. BerlinFÄndG textidentisch mit einer christlich-liberalen Regierungsvorlage, die nur aus Zeitgründen und Gründen der GO-BT nicht zusammengeführt wurden 1 8 7 . Auch das damals zeitlich dringende Tiefs BergbÀndG zur Ermächtigung, völkerrechtliche Vereinbarungen durch Rechtsverordnung in Kraft zu setzen, ist aus zeitlichen sowie diplomatischen Gründen — die Bundesregierung wollte den Entwicklungsländern optisch nicht als Initiant erscheinen — eine parlamentarische Initiative, der Sache nach aber eine „frisierte" Regierungsvorlage 188 . Das 6. BWahlÄndG (betr. die Neuordnung des Wahlkreises 228 — Erlangen) ist durch den Bericht der Wahlkreiskommission (nach § 3 BWahlG) 1 8 9 von der 185
Minutiöse Darstellung des Gesetzgebungsverfahrens und der zeitlichen Stationen Ende 1982 bei R. Eckertz, KJ 16 (1983), 250 (252 ff.); F. Κ Schoch, Verfassungsmäßigkeit (Fn. IV/93), S. 3 ff. 186 Einzelheiten bei A. Krölls, KJ 14 (1981), 255 (265ff.). 187 Der (wohlgemerkt: textidentische!) Regierungsentwurf wurde ohne Aussprache zeitgleich mit der einstimmigen Annahme des interfraktionellen Entwurfs in 3. Lesung am 3. 12. 1982 nach 1. Beratung an die Ausschüsse verwiesen! § 80 I GO-BT gebietet nach der 1. Lesung die Überweisung an einen Ausschuß — wäre er in derartigen Fällen nicht teleologisch reduziert auszulegen? Zur Vermeidung solcher Sinnlosigkeiten wäre jedenfalls das Verfahren nach § 126 GO-BT (Abweichung von der GO-BT mit Zwei-DrittelMehrheit) angezeigt gewesen. 188 Ausf. belegt mit Einzelheiten des merkwürdigen Gesetzgebungsverfahrens und seinen Gründen bei W. Lauff NJW 1982, 2700 (2701). 189 BT-Drs. 9/1636.
288
IX. Bundesgesetzgebung als Verhandlungs- und Entscheidungsprozeß
Regierung vorbereitet worden; für die Einbringung als interfraktionelle Gesetzesinitiative „aus der Mitte des Bundestages" 190 war entscheidend, daß die Wahlkreisänderung im Hinblick auf die geplante Auflösung des Bundestages möglichst schnell geregelt werden, der 1. Durchgang beim Bundesrat ausgespart werden sollte 191 . Das WBeauftrÄndG bestimmt in Umsetzung überarbeiteter Empfehlungen im Bericht einer (erstmals schon 1972) vom Verteidigungsausschuß gebildeten Kommission vom 24. 5. 1976 den rechtlichen und organisatorischen Standort des Wehrbeauftragten im Gefüge des Bundestages neu und ist eine genuin parlamentseigene Materie 1 9 2 . Ungeachtet dessen beruhte der Gesetzentwurf auf dem Referentenentwurf einer auf Anregung des Wehrbeauftragten vom Bundestagspräsidenten beauftragten Arbeitsgruppe aus Beamten der Bundestagsverwaltung und der Dienststelle des Wehrbeauftragten 193 . (4) Weitere neun Initiativentwürfe des Bundestages sind mit Regierungsvorlagen im Verlaufe der Gesetzesberatungen zusammengeführt worden. Auch hier trügt der Anschein parlamentarischer Initiative: 8 Gesetzentwürfe waren mit später ebenfalls eingebrachten Regierungsvorlagen textidentisch und wurden allein aus Gründen des zeitlich abgekürzten Verfahrens auch von den jeweiligen Regierungsfraktionen parallel im Bundestag eingebracht 194 . Scheinbare Ausnahme bleibt das VAHRG. Der von der sozial-liberalen Bundesregierung eingebrachte Gesetzentwurf 195 hatte einen Alternativentwurf der CDU/CSU in Anknüpfung an die Einwände der Ausschüsse des Bundesrates 1 9 6 provoziert. Die nach dem Koalitionswechsel im Herbst 1982 erheblichen Veränderungen in den Ausschußberatungen führten zu einer Neuregelung, die unter Zusammenführung der beiden Entwürfe mit einem zweiten sozialliberalen Gesetzentwurf (i. S. eines verkappten Regierungsentwurfs) erheblich von der ursprünglichen Regierungsvorlage, aber auch vom ursprünglichen Entwurf der CDU/CSU abwich 1 9 7 . Nur der Katalysator Mehrheitswechsel hat 190 In der 7. und 8. Wahlperiode waren die entsprechenden Änderungen des BWahlG als Regierungsentwurf eingebracht worden, vgl. BT-Drs. 7/2873 bzw. 8/2682 und ausf. H. Schulze-Fielitz, Verfassungsstaat, S. 54 ff. 191 Der Gesetzentwurf (BT-Drs. 9/2034 v. 13. 10. 1982) wurde bereits am 15. 10. 1982 in 1. Lesung beraten und am 12. 11. 1982 in 3. Lesung verabschiedet. 192
Vielleicht hatte die Gesetzesänderung deshalb von ihrer Anregung im Jahresbericht 1971 des Wehrbeauftragten an über die Kommissionsbildung am 8. 6. 1972 bis zum Inkraftreten der Gesetzesänderung am 24. 6. 1982 vier verschiedene Bundestage beschäftigt. 193 Zur Vorgeschichte im Detail s. P. Wolf, NZWehrr 24 (1982), 8 (9ff.). 194 S. die Entwürfe für das AFKG; 2. HStruktG; StVÄndG; KVEG; 11. AnpG-KOV; BillBG; BeschäftFG; HBeglG 1983. 195 BT-Drs. 9/34 v. 5. 12. 1980. 196 BT-Drs. 9/562 v. 11. 6. 1981, vgl. S. 5 f. 197 Inhaltsüberblick bei P. Friederich , NJW 1983, 785 ff.
2. Das vorparlamentarische Verfahren als erste Strukturgebung
289
hier äußerlich eine parlamentarische Initiative zum Erfolg geführt, die überdies auf Problemaufbereitungen durch BVerfG, Bundesrat und Bundesregierung zurückgreifen konnte. (5) Bei den beiden mit Bundesratsinitiativen vereinigten Bundestagsinitiativen handelt es sich einmal um den Entwurf des LStPauschG der CDU/CSUBundestagsfraktion, der textidentisch mit einem vorher beim Bundesrat von Baden-Württemberg und Bayern eingebrachten und vom Bundesrat beim Bundestag eingebrachten Gesetzentwurf 198 war. Auch der von den sozial-liberalen Koalitionsfraktionen eingebrachte Entwurf eines Asyl Verfahrensgesetzes (AsylVfG) ist nur scheinbar eine reine Parlamentsinitiative: Als faktischer Regierungsentwurf wurde er nur zur Beschleunigung als Fraktionsentwurf eingebracht. In Antwort auf einen vom Bundesrat (mit Zustimmung auch von SPD-regierten Ländern) beim Bundestag eingebrachter (Kompromiß-)Entwurf zur Beschleunigung des Asylverfahrens 199 konnte sich die sozial-liberale Bundesregierung unter Federführung des Bundesinnenministers lange nicht auf einen alternativen Regelungsvorschlag einigen. Als man sich nach langer Diskussion (u. a. mit einem koalitionsinternen Hearing) endlich auf einen Gesetzentwurf geeinigt hatte 2 0 0 , hat man diesen Gesetzentwurf „auch zur Beschleunigung als Fraktionsentwurf eingebracht" 201 , obwohl die Bundesregierung am Zustandekommen des Koalitionsentwurfs beteiligt war — eine besondere Initiative der Bundesregierung „hätte nichts beschleunigt" 202 . Bereits der im Vergleich zum Bundesratsentwurf viel umfassendere, kodifikatorische Gesetzentwurf verweist auf die exekutivische „Handschrift". bb) Gegentendenzen: Politische Anstoß-Wirkungen
des Bundestages
(1) Eine erste Bilanz kann dem Deutschen Bundestag nur bescheinigen, daß wirklich autonome Gesetzesinitiativen aus seiner Mitte praktisch nicht, jedenfalls nicht statt der Regierung erfolgreich wären. Er vertraut offenbar den Exekutiven von Bund und Ländern, d. h. er überläßt ihnen auch die Vorhand zur politischen Gestaltung. Er wird eigeninitiativ in der Regel nur als Hilfskraft der 198
S. BT-Drs. 9/1886 v. 29. 7. 1982. BT-Drs. 9/221 v. 10. 3. 1981. 200 BT-Drs. 9/875 v. 7. 10. 1981.- Dauer und Gründe dieser Einigungsbemühungen waren mehrfach Gegenstand öffentlicher Kritik: S. MdB Dr. Bötsch (CDU/CSU), in: Deutscher Bundestag, 9. WP, Protokoll der 59. Sitzung am 22. 10. 1981, S. 3411 f.; ders., in: Deutscher Bundestag, 9. WP, Protokoll der 101. Sitzung am 14. 5. 1982, S. 6089; Ministerpräsident Dr. Vogel, ebd., S. 6101; Ministerpräsident Börner, ebd., S. 6103; MdB Fellner (CDU/CSU), ebd., S. 6116. 199
201
So MdB Engelhard (FDP), in: Deutscher Bundestag, 9. WP, Protokoll der 59. Sitzung am 22. 10. 1981, S. 3407. 202 S. Justizminister Dr. Schmude, in: Deutscher Bundestag, 9. WP, Protokoll der 101. Sitzung am 14. 5. 1982, S. 6104. 19
Schulze-Fielitz
290
IX. Bundesgesetzgebung als Verhandlungs- und Entscheidungsprozeß
Ministerialbürokratie tätig. Es bleiben kaum mehr als die Streichung zweier StGB-Paragraphen und der Abschluß einer 11 Jahre währenden Diskussion um die Neudefinition der Stellung des Bundestags-Wehrbeauftragten (mit Hilfe einer Arbeitsgruppe von Verwaltungsbeamten). I m übrigen verbergen sich hinter den erfolgreichen formellen parlamentarischen Initiativen wesentliche verkappte ministeriale Formulierungshilfen bzw. die politischen Mehrheitsveränderungen in der 9. WP (etwa KDVNG, VAHRG). Angesichts 136 verkündeter Gesetze erscheint dieses Ergebnis nicht gerade eine überzeugende Bilanz parlamentarischer Initiativkraft. Die Ministerialbürokratie ist der entscheidende Filter parlamentarischer Gesetzgebung. Der Bundestag ist ein primär reagierender Gesetzgeber. Es fällt zudem auf, daß es sich (mit Ausnahme des WBeauftrÄndG) vor allem um politisch-ideologisch in außerordentlicher Weise umstrittene Gesetzentwürfe handelt, die den Weg auch über die Parlamentsfraktionen nehmen. Damit kann eine symbolische Dimension parlamentarischer Initiative deutlich werden; sie scheint sich ideologisch tiefgründiger Probleme besonders anzunehmen. (2) Allerdings ist vor dem ebenso verbreiteten wie voreiligen Schluß auf eine heillos-strukturelle Schwäche des Bundestages als Gesetzgebungsorgans 203 zu warnen 204 . Die verschiedenen Sachverhalte indizieren eine Initiativschwäche bei der Erarbeitung von Gesetzentwürfen; sie erlauben keine generelle Würdigung der Gesetzgebungstätigkeit. Der Bundestag gilt bislang — auch im internationalen Vergleich — als fleißiger und erfolgreicher Gesetzgeber, namentlich in der Wiederaufbauphase nach 1949 205 . Dieses Bild der Parlamentsgesetzgebung fügt sich in die allgemeine Schwächung von Parlament und (besonders) der Opposition gegenüber der Regierung, wie aufgrund deren fachlicher Überlegenheit und autonomisierter Wirkungsmöglichkeiten seit langem anerkannt ist 2 0 6 . Speziell bei der Gesetzesvorbereitung hatte die Administration überdies schon immer — auch unter den konstitutionellen Bedingungen des 19. Jahrhunderts — eine dominierende Vorhand 2 0 7 , auch wenn das im Reichstag vorübergehend anders gewesen sein sollte 208 ; auch heute betrachtet die Regierung nach eigenem Selbstverständnis die Vorbereitung der Gesetze als ihre ureigene Aufgabe 209 . 203
S. wohl zuerst: H.-J. Blank u. a., in: G. Schäfer u. a. (Hg.), Der CDU-Staat, 1967, S. 80 (89 ff.); aus jüngerer Zeit z. B. C. Bohret, in: K. König u. a. (Hg.), Öffentliche Verwaltung in der Bundesrepublik Deutschland, 1981, S. 53 (58 ff.). 204 Vgl. insoweit W. Steffani, in: ders. (Hg.), Parlamentarismus (Fn. 10), S. 32ff.; H.-P. Schneider, AöR 105 (1980), 9; W. Zeh, in: Theorie und Methoden (Fn. 177), S. 58 f. 205 S. z. B. W. Hennis , in: R. Löwenthal/H.-P. Schwarz (Hg.), Die zweite Republik, 1974, S. 203 (221): „bewundernswürdige Leistung". 206 S. z. B. N. Gehrig, Parlament (Fn. 3), S. 165 ff.; D. Grimm, ZParl 1 (1969/70), 457ff.; S. Magiera, Staatsleitung (Fn. 3), S. 232ff.; H. Hill, DÖV 1981, 492f. 207 Vgl. die Beiträge in: G. A. Ritter (Hg.), Regierung, Bürokratie und Parlament in Preußen und Deutschland von 1848 bis zur Gegenwart, 1983.
2. Das vorparlamentarische Verfahren als erste Strukturgebung
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Hinter den Initiativschwächen könnte sich eine bloße Funktionsverschiebung, jedenfalls ein falsches, von fiktiven Gewaltenteilungsmodellen beherrschtes Funktionsverständnis verbergen. Einerseits bliebe die detaillierte Ausarbeitung von Gesetzen im immer komplizierteren Geflecht der Gesamtrechtsordnung der Ministerialbürokratie überlassen, die gleichwohl im Auftrag der Mehrheitsfraktionen handeln möge 2 1 0 ; andererseits könnte der Bundestag, statt sich in der Ausarbeitung von Gesetzentwürfen samt unwesentlicher Einzelheiten zu verzetteln, diese durch verstärkte Kontrolle in den Beratungen distanzierter, grundsätzlicher, nur auf das Wesentliche konzentriert durcharbeiten. Der Bundestag macht die Gesetze nicht, aber er macht sie verbindlich 211 . Insoweit wäre eine starke Regierung gerade Voraussetzung für ein politisch gewichtiges Parlament 212 , dessen Fraktionen ihre Gestaltungskapazitäten durch Erarbeitung eigener ausformulierter Gesetzentwürfe eher vergeuden würden. Die formelle Gesetzesinitiativschwäche des Bundestages muß mithin materiell keine politische Führungsschwäche sein. Unter den Bedingungen des parlamentarischen Regierungssystems handelt auch die Regierung in Erfüllung politischer Vorgaben von Mehrheitsfraktionen, aber auch Ausschußmehrheiten, die von außen an die Parlamentarier herangetragenen Probleme in Entschließungen des Ausschusses zur Aktivierung der Bundesregierung umwandeln (können) 213 . Noch stärker führen die Spitzengremien der politischen Parteien und Koalitionsausschüsse214; namentlich das in der Regierungserklärung niedergelegte Regierungsprogramm aufgrund von Koalitionsvereinbarungen entfaltet unter den Bedingungen einer „Ankündigungsdemokratie" eine erheblichen Aktivitäts-Druck auf die Politik von Regierung und Parlament. Wo der Bundesra/ zentrale politische Anliegen in Gesetzesform initiiert, ist eher eine Führungsschwäche der Regierung, weniger des Bundestages215 angezeigt. Schon jetzt liegt die Folgerung nahe, Gesetzgebungstheorie und -technik sollten 208
Vgl. empirische Belege und Diskussion bei R. Grawert in: Gesetzgebung (Fn. 1/153), S. 113 (120ff., 152, 155f.) bzw. 164ff. (Diskussion mit H. Boldt u. a.); ähnliche Akzente (starke Stellung des Reichstages) bei: K. v. Zwehl, in: G. A. Ritter (Hg.), Regierung a. a. O., S. 90 (96ff., 113 f.); gegenläufig aber P.-C. Witt, ebd., S. 117 (140ff.). 209 Deshalb werden auch offenkundige Fehlleistungen noch vor dem BVerfG verteidigt, s. krit. D. Katzenstein, DRV 1983, 337 (343).- Auch die Entwicklung zur Parteipolitisierung der leitenden („politischen") Beamten ist Reflex der Insuffizienz des Bundestages zur parlamentarischen Initiative. 210 W. Steffani, in: ders. (Hg.), Parlamentarismus (Fn. 10), S. 33; Ρ. M. Stadler, Die parlamentarische Kontrolle der Bundesregierung, 1984, S. 101. 211
S. C. Gusy, ZRP 1985, 291 (292). So R. A. Rhinow, in: J. Rödig (Hg.), Studien, S. 156. 213 So aus jüngster Zeit (10. WP) ζ . B. für das neue Bundesrechnungshofgesetz: P. Eickenboom u. a., DÖV 1985, 997 (997f.). 214 Vgl. auch Β. v. Maydell, FS Juristische Gesellschaft Berlin, 1984, S. 414. 215 So F. Schäfer, Aus Politik und Zeitgeschichte, Β 6/85, S. 25 (26) betr. die Bundesratsinitiative zur Kfz.-Steuerbefreiung bei abgasarmen Autos. 212
19*
292
IX. Bundesgesetzgebung als Verhandlungs- und Entscheidungsprozeß
nach ihrem Selbstverständnis als Gegengewicht gegen die Ministerialbürokratie i.S. parlamentarisch-demokratischer Stärkung betrieben werden 216 (zumal die Informationsverarbeitungskapazität der Ministerialbürokratie ohnehin i. d. R. überschätzt wird 2 1 7 ). Das gilt namentlich nach Maßgabe der Wesentlichkeitsdoktrin des BVerfG. Sie erlangt reale Bedeutung, wenn das Parlament jene Verfahrensmodalitäten auch ausfüllt, die parlamentarische von exekutiver Rechtssetzung unterscheidet. Unter den heutigen Bedingungen der Gesetzgebung ist das parlamentarische Gesetzgebungsverfahren als spezifisches, demokratisches Kontrollverfahren angemessen zu fassen. 3. Der Gesetzgebungsprozeß im Bundestag als diskursives Verfahren parlamentarischer Kontrolle a) Begriff der Kontrolle
Unabhängig von einem allgemeinen Begriff der Kontrolle 2 1 8 wird der Begriff der parlamentarischen Kontrolle meist spezifisch verwendet 219 . Entsprechend dem „klassischen" Schema der Gewaltenteilung werden die Aufgaben des Parlaments (bzw. konkret: des Bundestages) unterschiedlich systematisiert i. S. einer Zwe/teilung in Gesetzgebung einerseits und (nachgängige) Kontrolle von Regierung und Verwaltung andererseits 220 oder durch eine Dre/teilung, die zusätzlich die Kreationsfunktion des Parlaments betont, durch Wahl an der Bildung und Zusammensetzung anderer Verfassungsorgane mitzuwirken 221 . Eine K/erteilung sieht zudem eine Repräsentationsfunktion 222 ; im Anschluß an W. Bagehot werden die fünf Funktionen Wahlen, Gesetzgebung, Willensbil216
So bezogen auf Japan Y. Takeuchi u. a., in: J. Rödig (Hg.), Studien, S. 132 (137). S. a. S. Magiera, Staatsleitung (Fn. 3), S. 232 f. 218 Vgl. dazu W. Krebs, Kontrolle (Fn. 4), S. 4ff.; P. M. Stadler, Kontrolle (Fn. 210), S. 1 ff. Eine Kontrolldefinition ist verfassungstheoretisch variabel und auch nach (parteipolitischem Vorverständnis unterschiedlich möglich, vgl. G. Mann, ZParl 15 (1984), 494 (495). 219 S. P. M. Stadler, a. a. O., S. 6ff. m. ausf. Nw.; ferner: Κ v. Beyme, in: Handbuch des deutschen Parlamentarismus, 1970, S. 251 ff.; N. Gehrig, Parlament (Fn. 3), S. 3 ff. 220 S. ζ . B. G. Leibholz (1965), in: ders., Strukturprobleme (Fn. 14), S. 295; zust. U. Scheuner (1970), in: ders., Staatstheorie, S. 293 (310); vgl. auch H.-W. Bayer, Die Aufhebung völkerrechtlicher Verträge, 1969, S. 122; W. Kewenig, Staatsrechtliche Probleme parlamentarischer Mitregierung am Beispiel der Arbeit der Bundestagsausschüsse, 1970, S. 12; G.-M. Hellstern u. a., ZParl 11 (1980), 547 (549); s. a. BVerfGE 10, 4 (17): „Parlament als dem Gesetzgebungs- und obersten Kontrollorgan". 217
221
M. Schröder, Grundlagen und Anwendungsbereich des Parlamentsrechts, 1979, S. 206; W. Graf Vitzthum, Parlament und Planung, 1978, S. 249; H. Steiger, Organisatorische Grundlagen des parlamentarischen Regierungssystems, 1973, S. 18; s. a. R. Hendler, Selbstverwaltung als Ordnungsprinzip, 1984, S. 289. 222 So K. Stern, Staatsrecht II, S. 47; s. a. H. Oberreuter, in: ders. (Hg.), Parlamentsreform (Fn. 5), S. 19ff.: Gesetzgebung; Kontrolle; Kommunikation.
3. Der Gesetzgebungsprozeß im Bundestag als diskursives Verfahren
293
dung, Öffentlichkeit und Kontrolle unterschieden 223 . In jedem Falle kontrastiert die parlamentarische Kontrollfunktion als eigenständig der Gesetzgebungsfunktion 22*. Diese wird offenkundig als eine eher kreativ-originäre Aufgabe des Parlaments angesehen, im Gegensatz zur Kontrolle als Prüfung, Bewertung und ggf. Korrektur von Handlungen der Bundesregierung 225. Indessen ist zu fragen, ob nicht auch das Gesetzgebungsverfahren nur noch als Kontrollverfahren angemessen zu begreifen ist 2 2 6 . aa) Die zeitliche Dimension Ein älterer juristischer Kontrollbegriff orientiert sich (primär) an einer nachträglichen, „negativen" Kontrolle (ex post) im Sinne eines Soll-IstVergleichs; er wird im gerichtlichen Verfahren beispielhaft sichtbar. Kontrolle ist dabei ein (rationales) Nach-Vollziehen 227 . Empirisch machen faktische Grenzen die Ausgewogenheit dieses Kontrollverständnisses problematisch: Kommt nachträgliche rechtliche Kontrolle zu spät, wird sie auch deutlich wirkungsloser. Das Recht antwortet seit langem auf diesen Schwachpunkt durch vielfaltige Formen vor-verlagerter, „präventiver", d. h. vorgängiger oder begleitender („mitwirkender") Kontrolle, um es zu Situationen des „Alles oder nichts" 223 Z. B. F. Schäfer, Der Bundestag, 4. Aufl. 1982, S. 15 ff.; ferner W. Steff ani, in: ders. (Hg.), Parlamentarimus (Fn. 10), S. 25; ders., ZParl 9 (1978), 233 (237 f.); H.-P. Schneider, AöR 105 (1980), 16ff.; ähnlich ders., in: HdbVerfR, S. 261 ff.; N. Achterberg, Parlamentsrecht, S. 322 ff. unterscheidet Geschäftsordnungsgebung, Gesetzgebung, Kontrolle, Kreation und Feststellung des Verteidigungsfalles. 224 S. noch H.-W. Bayer, Aufhebung (Fn. 220), S. 172; W. Berg, Der Staat 9 (1970), 21 (23 f., 31 f.); H. Meyer, W D S t R L 33 (1975), 99 f.; W. Graf Vitzthum, Parlament (Fn. 221), S. 288, 332. 225 „Klassische" Kontrollinstrumente sind z. B. Mißtrauensvotum, Vertrauensfrage, Mißbilligungsanträge, Herbeirufung von Regierungsmitgliedern, das freie Mandat, Große und Kleine Anfragen, Einzelanfragen, Fragestunde und Aktuelle Stunde, Anhörungen, Untersuchungsausschüsse, Ständige Ausschüsses, Parlamentarische Kontrollkommission für die Nachrichtendienste, Enquete-Kommissionen, Wehrbeauftragte, Datenschutzbeauftragte, Petitionsausschuß, Budgetkontrolle, Präsidentenanklage u. a., vgl. zuletzt P. M. Stadler, Kontrolle (Fn. 210), S. 140 ff.; G. Memminger, DÖV 1986, 15 (18 ff.); L. Kißler, Die Öffentlichkeitsfunktion des Deutschen Bundestages, 1976, S. 149ff., 216ff.; N. Achterberg, DÖV 1977, 548ff.; jenseits des Bundestages sind als weitere Institute zu nennen z. B. Ministeranklagen; Ombudsmänner/Bürgerbeauftragte u. a. 226 In diesem Sinne K. Loewenstein, Verfassungslehre (1959), 3. Aufl. 1975, S. 195; G. Leibholz (1965), in: ders., Strukturprobleme (Fn. 14), S. 295; zust. D. Grimm, ZParl 1 (1969/70), 456; U. Scheuner, Kontrolle (Fn. 218), S. 35 und neuerdings W.Krebs, Kontrolle (Fn. 4), S. 120ff.; ferner etwa N. Achterberg, Parlamentsrecht, S. 41 Iff.; G. Memminger, DÖV 1986, 19: Gesetzesbeschluß „Kontrollmittel im weiteren Sinne". 227 Vgl. K. Eichenberger (1965), in: ders., Staat (Fn. 1), S. 415; W. Graf Vitzthum, Parlament (Fn. 221), S. 333f.; U. Scheuner, Kontrolle (Fn. 218), S. 7ff., zsfssd. 26f.
294
IX. Bundesgesetzgebung als Verhandlungs- und Entscheidungsprozeß
(letztlich zu Lasten des Rechts) gar nicht erst kommen zu lassen 228 . Staatsrechtliche Standardbeispiele sind etwa die Mitwirkung des Auswärtigen Bundestagsausschusses beim Abschluß völkerrechtlicher Verträge oder die Mitwirkung des Verteidigungsausschusses bei Beschaffungskäufen der Bundeswehr, auch die Haushaltskontrolle ζ . B. durch Sperrvermerke usw 2 2 9 . Die nichtrechtliche Antwort auf die faktischen Grenzen der ex-post-Kontrolle sind informale Vor-Verständigungen: durch faktisch präjudizierende Absprachen vor und neben rechtlichen Entscheidungsverfahrensregeln und andere Formen informeller Vermeidung rechtlicher Risiken. Die Gemeinsamkeit dieser vorverlagerten Kontrollen liegt in der Erkenntnis der höheren Effektivität von Prävention: Die Folgewirkungen von Änderungen sind weniger tiefgreifend; Fehler werden nicht durch weitere Fehler geheilt oder gar vertieft usw. 2 3 0 . Festzuhalten ist: Kontrolle ist nicht nur ein nachträglicher, sondern auch ein vorgängiger und begleitender Prozeß. bb) Das Verhältnis
von Entscheidung und Kontrolle
Ein weiterer Unterschied liegt in der unvermeidlichen Notwendigkeit des Zusammenwirkens (vor allem) bei der vorgängigen Kontrolle 2 3 1 . Kontrolle wird zu einem Prinzip gegenseitiger Machtbegrenzung bei der Kompetenzausübung: Niemand kann dem anderen seinen Willen aufzwingen; es müssen zwei Machtträger zusammenwirken 232 . Auch wenn das Zusammenwirken nicht notwendig in einer gemeinsamen Entscheidung sich ausdrückt und Machtträger formell-rechtlich unabhängig voneinander nach eigenem Ermessen handeln, geschieht das nicht kontrollfrei: Jede Form politischer Teilhabe ermöglicht Kontrolle, auch und gerade eigenverantwortliche Teilhabe an Entscheidungsprozessen durch beeinflussendes Wirken auf andere Machtträger 233 . Insoweit ist die Gewaltenteilung als Kontroll228
S. grdl. R. Bäumlin, ZSR N. F. 85 I I (1966), S. 165 (244 ff.); ferner Κ Eichenberger, a. a. O.; zust. U. Scheuner, a. a. O., S. 27; jetzt P. M. Stadler, Kontrolle (Fn. 210), S. 46; s. a. W. Mößle, AöR 106 (1981), 157 (158f.). 229 Zu nennen ist etwa auch im Grundrechtsbereich die organisations- und verfahrensrechtliche Dimension von Grundrechten u. a. m. 230 Ein Bsp. ist die wachsende Irreversibilität der Entscheidung zur bedingungslosen Förderung des Baues des „Schnellen Brüters" in Kalkar, s. dazu H.-P. Schneider, HdbVerfR, S. 283; O. Keck, PVS 25 (1984), 296ff. 231 Zur Kontrolle durch Zusammenwirken: R. Bäumlin, ZSR N. F. 85 I I (1966), 244ff.; S. Magiera, Staatsleitung (Fn. 3),S. 269ff.; K.-U. Meyn, Kontrolle (Fn. 3),S. 159, 173 ff. 232 Vgl. Κ Loewenstein, Verfassungslehre (Fn. 226), S. 47, 188. 233 S. U. Scheuner, Kontrolle (Fn. 218), S. 26, s. a. 15; R. Bäumlin, ZSR N. F. 85 I I (1966), 238ff; zur Kritik an der Macht-Orientierung des Kontrollbegriffs W.Krebs, Kontrolle (Fn. 4), S. 12ff.
3. Der Gesetzgebungsprozeß im Bundestag als diskursives Verfahren
295
prinzip schon bei Montesquieu auf ein Zusammenwirken hin angelegt 234 . Kompetenzausübung „zur gesamten Hand" schafft wirkungsvolle Kontrolle, selbst wenn der kontrollierte Aufgabenverpflichtete jeweils selbständig handelt 2 3 5 . Nicht zufallig suchen auch die sich dem Verfassungsrecht anlagernden informalen ( = nicht-rechtlichen) Verfassungsregeln getrennte Funktionsträger und Organe zu verbinden 236 . „Kontrolle" und „Mitwirkung" i. S. einer „Kontrolle durch Zusammenwirken" 2 3 7 wie auch einer „Mitwirkung durch Kontrolle" sind also von vornherein zwei Seiten der selben wechselseitigen Einwirkung 2 3 8 : In beiden Fällen ist Kontrolle „Hilfe zur Erzielung sachrichtiger Entscheidungen" 239 . cc) Einsichten aus der neueren rechtswissenschaftlichen Diskussion über Kontrolle (1) Nach der neuesten Definition von Walter Krebs ist Kontrolle „der auf die (Mit-)Bestimmung einer Entscheidung gerichtete Vergleich eines Soll-Wertes mit einem Ist-Wert" 2 4 0 . Er versteht staatliche Entscheidungsprozesse (generell) als phasenweise strukturierte, permanente Informationsverarbeitungsprozesse, die schrittweise zwischen Alternativen rational wählen müssen. Jede neue Entscheidung ist danach zugleich — rationalisierende — Kontrolle der VorEntscheidung durch Vergleich der Entscheidungsalternativen mit Entscheidungsmaßstäben241; Kontrolle ist von der Entscheidung funktional nicht abhebbar 242 — sie ist allgegenwärtig. Konsequent hält er eine Unterscheidung der parlamentarischen Kontrolle von anderen Parlamentsfunktionen wie ζ. B. der Gesetzgebung weder verfassungsrechtlich noch sachlogisch für möglich 2 4 3 . 234
U. Scheuner (1957), in: Th. Stammen (Hg.), Strukturwandel (Fn. 1/154), S. 296 (305), im Anschluß an C.K. Allen, Law and orders, 2. Aufl. 1956, S. 9ff.; K-U. Meyn, Kontrolle (Fn. 3), S. 38 ff. 235 S. A. Greifeid, Der Staat 23 (1984), 501 (509) unter Bezug auf H. D. Jarass, Politik und Bürokratie, 1975, S. 95 ff.; K. Meier, Kooperation (Fn. 11/35), S. 94ff. 236 Vgl. H. Schulze-Fielitz, Verfassungsstaat, S. 106ff. 237 R. Bäumlin, ZSR N. F. 85 I I (1966), 244ff. 238 In diesem Sinne: R. Bäumlin, a. a. O., 247,250 ff.; W. Kewenig, Probleme (Fn. 220), S. 11,14, 23 f f , 31; vgl. auch W. Graf Vitzthum, Parlament (Fn. 221), S. 334f.- Die Kritik an diesem Verständnis befürchtet eine Verwischung der Verantwortlichkeiten; sie kann unter dem hier interessierenden Gesichtspunkt parlamentarischer Gesetzgebung vernachlässigt werden. 239
So W. Krebs, Kontrolle (Fn. 4), S. 134; s. schon Κ Eichenberger (1965), in: ders., Staat (Fn. 1), S. 420, 421; ferner die Besprechungsübersicht von U. Thaysen, ZParl 15 (1984), 577 ff. 240 W. Krebs, a. a. O., S. 34. 241 W. Krebs, a. a. O., S. 31 ff. 242 W. Krebs, a. a. O., S. 40f. 243 W. Krebs, a. a. O., S. 126f.
296
IX. Bundesgesetzgebung als Verhandlungs- und Entscheidungsprozeß
Die Schwäche dieses äußerst weiten Kontrollbegriffs liegt in seinem verfassungsrechtlich und verfassungstheoretisch aussagearmen Charakter. Da so jede staatliche Entscheidung stets zugleich Kompetenzausübung und Kontrolle ist und Kontrolle sich auf die bloße, stets sachnotwendige Prüfung im Entscheidungsprozeß beschränkt, ist die Frage nach besonderen rechtlichen Formen und Verfahren der Prüfung und Korrektur von Begriff und Funktionsbestimmung der Kontrolle abgeschnitten. Über die konkrete rechtliche (und zweckmäßige) Ausgestaltung der Kontrollordnung entscheidet die — so oder so gegebene — positive Rechtsordnung 244 . Kriterien für eine rechtliche Optimierung der Kontrolle lassen sich so nicht gewinnen. Die Besonderheit einer Verfassungsordnung verlangt aber nicht zufallig bestimmte staatliche Entscheidungen mit bestimmten rechtlichen Kontrollen; ein verfassungsrechtlich und verfassungstheoretisch angemessenes Kontrollverständnis verlangt materiale Aussagen über die je unterschiedliche Funktion der besonderen Kontrollverfahren. (2) Dementsprechend läßt sich Kontrolle verfassungsspezifisch als „vorgängige, begleitende oder nachträgliche Einwirkung eines Verfassungsorgans oder einer sonstigen Verfassungsinstitution auf andere Organe oder Institutionen" bestimmen 245 . Die Einwirkung dient dabei nicht nur der „negativen" Machtóegrenzung und -balancierung 246, sondern hat zugleich „positiv" eine rationalisierende, entscheidungseffektivierende und -optimierende Funktion i. S. einer (vermutlichen) Steigerung der inhaltlichen Entscheidungsrichtigkeit 247 . Kontrolle begrenzt und optimiert staatliche Herrschaft. Auch dieser Kontrollbegriff ist differenzierungsbedürftig, insofern er die Binnenkontrolle innerhalb von Verfassungsorganen bzw. Verfassungsinstitutionen nicht zu erfassen scheint: Kontrollinstanzen sind auch (unselbständige) Organteile, sofern sie abschließend (Zwischen-)Entscheidungen fallen. Nach diesem vom Begriff der Entscheidung unabhängigen, aber am gegliederten Entscheidungsprozeß orientierten Verständnis begleitet Kontrolle den (etwa parlamentarischen) Entscheidungsprozeß kontinuierlich 248 . Das Problem ausreichender Kontrolle verlagert sich damit auf die Frage nach den spezifischen verfahrensrechtlichen Erscheinungsformen dieses Kontrollprozesses und seiner
244
W. Krebs, a. a. O., S. 47f., 51. S. K.-U. Meyn, Kontrolle (Fn. 3), S. 26, ohne daß damit die problematische These vom Surrogat für die demokratische Identität (vgl. S. 117, 183ff., 198ff., 205ff.) übernommen werden müßte, vgl. zur Kritik: P. Häberle, DVB1.1984,61 ff.; s. a. W. Krebs, a. a. O., S. 25 ff. 245
246
Betonung dieser Funktion auch bei U. Scheuner, Kontrolle (Fn. 218), S. 15; K. Loewenstein, Verfassungslehre (Fn. 226), S. 46. 247 Ζ. Β. Κ Eichenberger (1965), in: ders., Staat (Fn. 1), S. 421.- Die Anerkennung dieses „positiven" Kontrollelements (vgl. W. Krebs, Kontrolle (Fn. 4), S. 45 ff.) zwingt keineswegs zur Übernahme des Kontrollbegriffs von Krebs. 248 S. W. Krebs, a. a. O., S. 122ff. (128), 164f.; S. Magiera, Staatsleitung (Fn. 3), S. 262ff.; N. Achterberg, Parlamentsrecht, S. 41 Iff.
3. Der Gesetzgebungsprozeß im Bundestag als diskursives Verfahren
297
zugleich machtbegrenzenden und entscheidungseffektivierenden Ausgestaltung. b) Allgemeine Folgerungen für das Gesetzgebungsverfahren
Dieses Kontrollverständnis gilt auch für das Gesetzgebungsverfahren in seinen vorparlamentarischen, parlamentarischen und nachparlamentarischen Stationen 249 . Auch Gesetzgebung als Teil der Staatsleitung 250 steht „Regierung und Parlament gewissermaßen zur gesamten Hand" z u 2 5 1 . Das Zusammenwirken von Regierung und Parlament an der Gesetzgebung dient der gegenseitigen Machtbegrenzung wie der Optimierung der Gesetzgebung. Dennoch bleibt die Zuständigkeits- und Verantwortlichkeitsverteilung im Detail klärungsbedürftig 2 5 2 . (aa) Allgemein muß ein spezifisch verfassungsrechtliches Kontrollverständnis reale Funktionsverschiebungen im Verfassungsstaat verfassungsrealistisch reflektieren und verfassungspolitisch und/oder verfassungsrechtsdogmatisch bzw. -interpretatorisch i. S. funktionssichernder Geltungsfortbildung 253 verarbeiten und evtl. kompensieren. Beispielsweise berücksichtigt ein verfassungsrealistisches Verständnis der parlamentarischen Gesetzgebungspraxis den Funktionszuwachs für die Exekutive; es verarbeitet den stets nur punktuellen und selektiven Charakter der parlamentarischen Mitwirkung im Gesetzgebungsprozeß realitätsgerecht 254 und berücksichtigt verfassungsrechtlich die Funktionsgesetze der parteienstaatlichen Demokratie und des parlamentarischen Regierungssystems. (bb) Kontrolle durch Zusammenwirken denkt Kompetenzausübung nicht von den eigenständigen "Vorbehalten" der Verfassungsorgane her, sondern be249
Grdl. R. Bäumlin, ZSR N. F. 85 I I (1966), 257, 259ff.; vgl. zuletzt W. Krebs, a. a. O., S. 125ff., 135f. 250 S. jetzt ausf. W. Mößle, Regierungsfunktionen, S. 11 Iff., 204ff.; zur Regierungsfunktion des Parlaments früh U. Scheuner (1957) in: T. Stammen (Hg.), Strukturwandel (Fn. 234), S. 301 ff.; W. Kewenig, Probleme (Fn. 220), S. 5f., 8ff. 251
So die „klassische" Formel von E. Friesenhahn, W D S t R L 16 (1958), 9 (37 f.); zust. zuletzt wieder H. Maurer, W D S t R L 43 (1985), 135 (152f.) m. Nw.; H. Bogs, JZ 1985, 116. 252 Vgl. S. Magiera, Staatsleitung (Fn. 3), S. 252 ff.; krit. zur Gesamthand-Formel: U. Scheuner, FS f. W. Weber, 1974, S. 369 (383); H.-P. Schneider, AöR 105 (1980), 26f.; W. Graf Vitzthum, Parlament (Fn. 221), S. 259ff. 253 Vgl. parallel zur grundrech ^sichernden Geltungsfortbildung P. Häberle, W D S t R L 30 (1972), 43 (69ff.); zuletzt ders., Wesensgehaltgarantie (Fn. I I I / l 1), S. 356ff., 369, 381 u. ö. 254 Sie vernachlässigen die historisch und demokratietheoretisch falschen Fiktionen etwa bei C. Schmitt, Die geistesgeschichtliche Lage des Parlamentarismus, 2. Aufl. 1926, S. 41 ff.; ders., Verfassungslehre (Fn. 12), S. 307ff.; J. Habermas, Strukturwandel der Öffentlichkeit, 1962, S. 74ff., 197f., 223ff. u. ö.; zuletzt wieder H. Schelsky, Der Staat 22 (1983), 321 (336, 343 f.); s. zur Kritik nur P. Häberle (1969), in: ders., Verfassung, S. 225 (230ff.); W. Hennis, FS f. A. Arndt, 1969, S. 147 (152f.); D. Grimm, ZParl 1 (1969/70), 457; W. Mößle, AöR 101 (1976), 113 (116); H. de With , Aus Politik und Zeitgeschichte, Β 6/85, S. 41 (43).
298
IX. Bundesgesetzgebung als Verhandlungs- und Entscheidungsprozeß
rücksichtigt die gemeinsame Basis 255 der Kompetenzzusammenhänge. Die „Verfassungsentwicklung" 256 i. S. eines permanenten Wandlungsprozesses „hinter" formal gleichbleibenden Kompetenzen und Instituten ist stärker einzubeziehen zulasten begrifflicher Vorstellungen, etwa von Kontrolle als einer unabhängigen Beziehung von Kontrolleur und Kontrolliertem. So ist zum Beispiel die Abschichtung der Funktions- und Kompetenzbereiche speziell von Regierung und Parlament nicht von vornherein unter Berufung auf die Eigenständigkeit der Regierung gegen denkbare erweiterte Mitwirkungsbefugnisse des Bundestages zu immunisieren 257 . (cc) Ein weites Kontrollverständnis korrespondiert auch dem weiten Begriff von Gesetzgebung. Das Parlament als legitimatorisch unverändert zentrale Instanz im Gesetzgebungsprozeß ist „Zwischenstation" und im Verhältnis zur vorangehenden und nachfolgenden Gesetzgebungsphase genauer zu betrachten und in seiner Kontrollfähigkeit zu optimieren. Das parlamentarische Gesetzgebungsverfahren beginnt ζ . B. nicht erst mit der Einbringung eines Gesetzentwurfs beim Parlament nach Art. 76 I GG! (dd) Verfassungen erfüllen über den Kernbestand ihrer Rechtsregeln hinaus zentrale politische Funktionen nicht-rechtlicher A r t 2 5 8 . Wegen dieser politischen Eigenart werden sie durch nicht-rechtliche, d. h. informale Verfassungsregeln ergänzt. Eine Betrachtung der zentralen Prozesse politischer Machtausübung muß sich vor der Gefahr hüten, zu schnell konkrete verfassungsrechtliche Folgerungen aus „vagen" GG-Forderungen zu ziehen. Es ist Aufgabe der Verfassungsrechtslehre, in konkreter Ergänzung zum Verfassungsrecht gute verfassungspolitische Empfehlungen zu erarbeiten 259 . Beispielsweise lassen sich Gebote, in welchen Fällen Anhörungen von Sachverständigen usw. während der Gesetzesberatungen erforderlich sind, weniger verfassungsrechtlich als verfassungspolitisch begründen. Programmatisch sind sich alle politischen Parteien darin einig, den Bundestag gegenüber der Verwaltung durch Ausbau seiner Kontrollfahigkeit zu stärken 260 . Gesetzgebungsspezifische Vorschläge zur Parlamentsreform setzen indessen genauere Ziele und Maßstäbe voraus.
255 Vgl. dazu U. Scheuner, Kontrolle (Fn. 218), S. 29ff. 256 y g l B.-O. Bryde, Verfassungsentwicklung, 1982, S. 111 ff. 257 Vgl. W. Graf Vitzthum, Parlament (Fn. 221), S. 338.- Auch die politischen Anstöße der Mehrheitsfraktionen für die Regierung zur Erarbeitung eines Gesetzentwurfs erweisen sich insoweit als Element der Kontrolle durch Zusammenwirken (s. o. bei Fn. 213 ff.). 258 259 260
S. bereits oben Kap. VHI/bei Fn. 145 ff. S. C. Starck, VVDStRL 43 (1985), 207 (208 f.) — Diskussion. Programmvergleichend G. Mann, ZParl 15 (1984), 502 ff.
3. Der Gesetzgebungsprozeß im Bundestag als diskursives Verfahren
299
c) Kontrollkriterien
aa) Effektivität
und Legitimation
Der bestehende Prozeß der Gesetzgebungskontrolle 261 und seine Verbesserung können auf eine Optimierung der staatlichen Gesetzesproduktion zielen, etwa i. S. rechtswissenschaftlicher Versuche der Gesetzgebungslehre zur Qualitätssteigerung und Effektivierung von Gesetzen. Optimierungsvorschläge gelten aber auch der Öffentlichkeits- bzw. Repräsentationsfunktion des Bundestages als Vermittlungs- und Legitimationsinstanz für die politische Ziele und Mittel der Gesetze. Nicht nur die „Selbstverständnisdebatten" der Bundestagsabgeordneten 262, allgemeiner die „Parlamentarismus"-Diskussion und Vorschläge zur Parlamentsreform beziehen sich ganz überwiegend auf diese „Öffentlichkeits"- oder „Repräsentationsfunktion" des Bundestages263; sie erschöpfen sich meist in einer demonstrativ-symbolischen Dimension des „Sichtbarmachens". Angesichts der unvermeidlichen Unterlegenheit der Parlamentarier gegenüber den Sachverständigen wird in einer Abkehr vom Bundestag als detailversessenem „Arbeitsparlament" hin zu einem Bundestag als einem Forum für politische Grundsatzentscheidungen eine verfassungspolitische Tugend gesehen264. Solche Vorschläge gelten nicht einer Optimierung speziell des Gesetzgebungsprozesses — und vernachlässigen damit die Bedeutung der Kontrolle 2 6 5 . Nur eine ζwzspurige Optimierungsstrategie kann zur Verbesserung auch der je einzelnen Ziele führen. Ohne die Bewältigung der „politischen" Legitimations· und Akzeptanzprobleme läßt sich die Qualität der Gesetzgebung nicht steigern. Umgekehrt lassen sich qualitativ schlechte Gesetze politisch-öffentlich nicht gut rechtfertigen. Das VZG 1983 ist ein anschaulicher Beleg dafür, daß und wie die Politisierung von Gesetzen (hier freilich erst mit „Nachhilfe" des BVerfG) auch zur (verfassungs-)rechtlichen und gesetzgebungstechnischen Optimierung führen kann. Sachverstand und Politik müssen sich gegeneinander 261
Allg. zu den Funktionen parlamentarischer Kontrolle s. K. Eichenberger (1965), in: ders, Staat (Fn. 1), S. 419ff.; ähnlich H. Mandelartz, ZParl 13 (1982), 7 (11 ff.). 262 S. ζ. B. die „Selbstverständnisdebatte" des Bundestages am 20. 9. 1984: Stenographische Berichte des 10. Deutschen Bundestages, 85. Sitzung v. 20. 9. 1984, S. 6062ff.; s. a. H. Hamm-Brücher, M. Langner und H. de With , in: ZParl 16 (1985), 246ff, 249 ff. bzw. 293 ff.; s. zuletzt wieder die „Fortsetzung" dieser Debatte im Bundestag am 30. 1. 1986, auszugsweise abgedruckt in: Das Parlament Nr. 8/1986 v. 22. 2. 1986. 263 S. L. Kißler, Öffentlichkeitsfunktion (Fn. 225), S. 562ff.; W. Steffani (1971), in: ders. Parlamentarische und präsidentielle Demokratie, 1979, S. 169 (175 ff.); zuletzt wieder E. Czerwick, W. Ismayr und C.-C. Schweitzer, Aus Politik und Zeitgeschichte, Β 24-25/85, S. 17 (17 f., 26 ff. u. ö.), 22 (24 ff. u. ö.) bzw. 45 (52 f.); zu den Folgerungen für den Umgang mit den Massenmedien s. R. Binder, DVB1. 1985, 1112 (1114ff.). 264 S. etwa D. Grimm, ZParl 1 (1969/70), 463 ff. 265 So auch H. Rausch, in: H. Oberreuter (Hg.), Parlamentsreform (Fn. 5), S. 152.
300
IX. Bundesgesetzgebung als Verhandlungs- und Entscheidungsprozeß
beeinflussen können 2 6 6 . Die wissenschaftliche Diskussion um die Stärkung des Parlaments als Plenum wird deshalb zu einseitig von öffentlichkeits- bzw. plenumsbezogenen Vorstellungen beherrscht 267 und verkennt damit den Bedingungszusammenhang guter Gesetze. Demgegenüber ist eine Verbesserung des Gesetzesproduktionsprozesses durch ein optimales Verfahren der Gesetzgebungskontrolle gleichrangig. bb) Zur Verbesserung der Gesetzesproduktion Bei der Qualitätssteigerung von Gesetzen geht es vor allem um die Verbesserung der Gesetzgebungstechnik i. S. einer ywrâ/wc/z-legislatorischen Verbesserung, um eine Reduktion der Gesetzesproduktion durch eine verstärkte Notwendigkeitsprüfung, vor allem aber um das Ziel, dem Parlament (bzw. seinen Abgeordneten) eine bessere Wahrnehmung seiner politischen Gestaltungsaufgaben erkennbar werden zu lassen. Der Bundestag und seine Abgeordneten sollen Gesetze als politisch, d. h. alternativ entscheidbar erörtern und die getroffenen Entscheidungen in der Öffentlichkeit als gerecht rechtfertigen und als vertretbar politisch verantworten. Insoweit ermöglicht eine Politisierung der Gesetzgebung i. S. einer Offenlegung der Möglichkeiten von Alternativen und Kriterien ihrer Bewertung auch eine parlamentarische Kontrolle. Viele Vorschläge zur Parlamentsreform mögen im Detail die Bundestagsarbeit organisatorisch straffen und seine Öffentlichkeitsfunktion verbessern; oft sind sie ohne wesentliche Bedeutung für eine solche Optimierung speziell des Gesetzgebungsprozesses. Eine solche Politisierung dient beiden Kontrollkriterien: sowohl der Effektivität der Gesetze durch deren Fehlerkontrolle als auch der Legitimation von Gesetzen durch Rechtfertigung der ihnen zugrundeligenden politischen Wertungen i. S. einer Konkretisierung von Gerechtigkeit. Voraussetzung sind Möglichkeiten für den Bundestag, den Prozeß der strategisch-instrumentalen Umsetzung von Politik durch Gesetze im parlamentarischen Verfahren auf Zeit zu unterbrechen, um sich „wesentliche" Entscheidungen durch diskursive Diskussionen zu eigen zu machen und/oder doch wenigstens (wie meist bei der Opposition) in Rede und Widerspruch zu vergegenwärtigen.
266 Das ist ein Ergebnis der weitläufigen Planungsdiskussionen der 70iger Jahre; grdl. war das „pragmatistische" Modell der Politikberatung bei J. Habermas (1964), in: ders., Technik und Wissenschaft als „Ideologie", 1968, S. 120 (126ff.). 267 S. W. Hennis, FS f. A. Arndt, 1969, S. 151: „Das Parlament als Institution ist heute nur noch zu rechtfertigen aus dem, was es im Plenum tut"; ähnlich: D. Grimm, ZParl 1 (1969/70), 462; E. Friesenhahn, VVDStRL 16 (1958), 31 ff.; H.-J. Varain, PVS 5 (1964), 339 (342); T. Ellwein u. a., Parlament (Fn. 166), S. 241 f.; W. Steffani (1971), in: ders., Demokratie (Fn. 263), S. 176; H. Oberreuter, in: ders. (Hg.), Parlamentsreform (Fn. 5), S. 12, 19ff., 25 ff.
4. Parlamentarische Kontrollinstanzen und Verfahrensstationen
301
cc) Kontrollrestriktionen Eine permanente und allumfassende Kontrolle auch nur des Gesetzgebungsprozesses ist praktisch nicht möglich: Gesetzgebungskontrolle erfolgt zeitlich und sachlich selektiv — tendenziell sporadisch, zufallig, in gewisser Weise unverhältnismäßig 268 . Auch Kontrolle ist eine „knappe Ressource". Das Gesetzgebungsverfahren zielt darauf, Kontrollen zu verstetigen, zu systematisieren und zu globalisieren, ohne doch je permanent und allumfassend sein zu können. Es muß aber die (parlamentarische) Kontrolle bestimmter wesentlicher Zentralfragen garantieren.
4. Parlamentarische Kontrollinstanzen und rechtliche Verfahrensstationen a) Die Stellungnahmen des Bundesrates
Einen ersten wesentlichen Kontrollgang durchlaufen die Regierungsentwürfe durch eine sog. erste Stellungnahme des Bundesrates nach Art. 76 I I 1 GG. Diese Stellungnahmen haben verschiedene Funktionen: (aa) Auf gesetzestechnischer Ebene spüren Fachleute der Länderbürokratien legislatorischen Fehlern der Fachleute aus den Bundesministerien nach; hier liegt ein praktisch erstaunlich wichtiges Kontrollfeld. Entsprechende Anregungen des Bundesrates ohne politischen Hintergrund werden von der Bundesregierung schon in ihrer Gegenäußerung regelmäßig positiv aufgenommen und bilden einen wesentlichen (wenn nicht gar den zentralen) Teil jener Änderungen einer Regierungsvorlage, die diese in den Ausschußberatungen erfahrt 269 . So punktuell und „technisch" die Einwände des Bundesrates mitunter auch sind — sie bilden einen bedeutsamen Bestandteil rationalisierender Kontrolle im Gesetzgebungsprozeß, auch wenn sie sich nicht (vollständig) durchsetzen 270 . In aller Regel verbinden sie sich mit sachlich-technischen Zweckmäßigkeitsüberlegungen zu einer Fülle bedenkenswerter Anregungen für den Bundestag 271 , auch im Falle lange vorbereiteter, aufwendiger kodifikatorischer Gesetze 272 . So 268
So Κ Eichenberger (1965), in: ders, Staat (Fn. 1), S. 431; ähnlich H.-W. Bayer, Aufhebung (Fn. 220), S. 135 f.; speziell für die Haushaltskontrolle ist der „inkrementale" Charakter gezeigt worden, s. R. Sturm, PVS 26 (1985), 247 (260ff„ 265). 269 S. dazu näher unten bei Fn. 495 ff. 270
S. ζ. B. den Streit um die gesetzestechnische Fassung von § 4 AGVwZG, BT-Drs. 9/69, S. 8 (EB) und BT-Drs. 9/299, S. 2 (AB). 271
S. am Bsp. des Î. AMÄndG(E) die ausf. Stellungnahme in BT-Drs. 9/1598, S. 19ff. S. ζ. B. zum BKleingG^E): BT-Drs. 9/1900, S. 20ff.; beim SGB-X/3 erreichte die Stellungnahme des Bundesrates fast das Ausmaß der Entwurfsbegründung, vgl. BT-Drs. 9/95, S. 33 ff.; die Ausschußänderungen übernehmen zahlreiche dieser Vorschläge, vgl. BT-Drs. 9/1753, S. 42 ff. Neuestens erreicht die bloße Gegenüberstellung von Regierungsentwurf und Bundesratskritik auch die Ebene von Zeitschriftenaufsätzen, vgl. W. Bielenberg u. a , DVB1. 1986, 377 ff. 272
302
IX. Bundesgesetzgebung als Verhandlungs- und Entscheidungsprozeß
entsteht ein „Dialog der Exekutiven von Bund und Ländern", bevor der Bundestag von den Gesetzentwürfen offiziell Kenntnis bekommt 2 7 3 . Diese Rolle des Bundesrates für die praktische Gesetzgebung des Bundestages dürfte weithin unterschätzt werden. (bb) Wichtig ist hierbei zugleich, daß die Verwaltungserfahrungen der Länder auf diese Weise vor allem dort fruchtbar gemacht werden können, wo der Bund ohne eigenen Verwaltungsunterbau und damit ohne entsprechende Eigenerfahrungen handeln muß. Auch aus diesem Grunde werden schon die Referentenentwürfe den zuständigen Ministerien der Ländern zugeleitet, deren Reaktionen auch das Verhalten des Bundesrates gegenüber dem Gesetzentwurf zu prognostizieren erlaubt 2 7 4 . Die Verwaltungserfahrungen der Länder, oft geltend gemacht unter der Rubrik „Verwaltungsvereinfachung", schlagen auf die Stellungnahmen des Bundesrates offenkundig und deutlich durch 2 7 5 . (cc) Politisch versuchen die Länder freilich auch, ihre ganz „egoistischen" Länderinteressen gegen die Bundespolitik geltend zu machen; gerade insoweit scheint die Bundesregierung in ihren Gegenäußerungen besonders detailliert zu argumentieren, gerade wenn sie ihre Meinung nicht ändern w i l l 2 7 6 . Zu solchen Fragen gehören die Auswirkungen für die Länderverwaltungsbehörden 277 ; Rechtsvorschriften betr. das Verwaltungsverfahren von Landesbehörden finden eher Widerspruch 278 — eher symptomatisch als substanziell sichtbar an der Forderung nach einer „Stadtstaatenklausel" 279 . Besonders finanzielle Folgen für die Länder „sensibilisieren" den Bundesrat 280 , auch wenn sie nur mittelbar (durch Entlastung der Bundesanstalt für Arbeit zulasten der Gemeinden wegen vermehrter Beanspruchung der Sozialhilfe) erfolgen 281 . Die Stellungnahmen enthalten häufiger die Prüfungsbitten nach einem finanziellen Ausgleich 282 . Doch auch mittelbar versucht der Bundesrat
273 So W. Zeh, in: Theorie und Methoden (Fn. 177), S. 60; zum präjudizierenden Einfluß der Landesbeamten in den Bundesratsausschüssen vgl. auch H. H. Klein, AöR 108 (1983), 329 (345 f.); R. Herzog, in: Der Bundesrat als Verfassungsorgan und politische Kraft, 1974, S. 235 (248f.). 274
R. Herber, in: Theorie und Methoden (Fn. 128), S. 39. S.z. B. (wahllos für viele) die Stellungnahmen zum 4. WeinÄndG(E), BT-Drs. 9/785, S. 39ff.; zu Art. 18 Nr. 1 HBeglG 1983(E), BT-Drs. 9/2140, S. 135f. (EB). 276 S. ζ. B. betr. Art. 3 SubvAbG(E) die Antwort auf die Bundesratsbedenken zu den Folgen des Abbaues der Gasölbeihilfe für die Länder: BT-Drs. 9/217, S. 3. 277 S. ζ. B. BT-Drs. 9/458, S. 51 f. (betr. RAG 1982). 278 S. ζ. B. BT-Drs. 9/847, S. 13 (EB) betr. Art. 3 Nr. 3, 4 Nr. 3 BillBG(E). 279 S. BT-Drs. 9/1900, S. 25 betr. § 17 a BKleingG(E). 280 S. bes. zum VZG 1983, dessen Vorläufer-Entwurf schon an der Finanzierungsfrage gescheitert war, BT-Drs. 9/451, S. 14 (zu einer Lösung kam es erst im Vermittlungsausschuß); betr. Art. 214. PersAÄndG(E) den Versuch, die Kosten der Herstellung der neuen Personalausweise auf den Bund abzuwälzen, BT-Drs. 9/1809, S. 7 und 8 (EB). 281 S. ζ. B. betr. Art. 1 § 1 Nr. 16 AFKG{E) BT-Drs. 9/846, S. 60 (EB). 275
4. Parlamentarische Kontrollinstanzen und Verfahrensstationen
303
wirtschaftlichen (Teil-)Interessen der Länder gerecht zu werden, ζ . B. für Kurorte und Kureinrichtungen 283 . (dd) Weiter bringt der Bundesrat auch auf der Ebene von Einzelgesetzen oder -normen Folgeanalysen ein, die sich gegen die Gesetzeslösungen des Regierungsentwurfs vorbringen lassen, aber von der Entwurfsbegründung nicht (ausreichend) zum Thema erhoben worden sind 2 8 4 . (ee) In fundamentalen (auch partei^politischen Grundsatzfragen bildet der Bundesrat bei parteipolitisch gegenläufigen Mehrheitsverhältnissen im Bundestag einen Resonanzboden für das Ausmaß des (partei-)politischen Grundkonsenses in der Bundesrepublik, über die Grenzen der politischen Parteien hinweg. Das gilt vor allem dann, wenn er bei Zustimmungsgesetzen mit rechtlicher VetoMacht ausgerüstet ist. Seine (Mehrheits-)Stellungnahmen nehmen in Grundsatzfragen die Positionen der parteipolitisch gleichgerichteten Fraktionen des Bundestages in allgemeinen politischen Grundsatzerklärungen auf 2 8 5 . Seine Stellungnahmen beschränken sich aber regelmäßig nicht auf allgemeine politische Einschätzungen, sondern trennen sie oft deutlich von ebenfalls dargelegten legislatorischen Stellungnahmen im Detail 2 8 6 . Als Ausfluß solcher hochpolitischen Auseinandersetzungen werden Gesetzesänderungen bzw. -ergänzungen vorgeschlagen, die ganz neuen Novellen gleichkommen 287 . Auch die Haushaltsgesetzentwürfe der Bundesregierungen werden im Planteil in finanzieller und allgemeinpolitischer Hinsicht ausführlich kritisiert und diskutiert 288 . 282
S. ζ. B. BT-Drs. 9/409, S. 5 (betr. 6. AFGÄndG). In jüngster Zeit ist der finanziell begründete Widerstand des Bundesrates gegen eine „zu hohe" Betreiber- oder Geräteabgabe für Photokopien ein besonders zweifelhafter Erfolg gewesen, vgl. dazu ausf. G. KahnAckermann, FAZ v. 17. 4. 1985, S. 27; s. a. S. Ott, ZRP 1985, 11 ff. 283 S. die Vorschläge des Bundesrates zur Milderung der Auswirkungen des Rückgangs der Kuren in BT-Drs. 9/2140, S. 136 (EB) betr. Art. 20 HBeglG 1983(E). 284 S. ζ. B. die Stellungnahme zu Art. 9, 10 - 12 und 13 SubvAbG(E) (BT-Drs. 9/217, S. 4 f.) mit der Hervorhebung u.a. leistungs- und innovationshemmender Auswirkungen (betr. die Beseitigung der Steuerermäßigung wissenschaftlicher usw. Nebeneinkünfte) und von Wettbewerbsverzerrungen und Existenzgefahrdungen mittelständischer Betriebe (betr. Steuer- und Abgabengesetzgebung). 285 S. ζ . B. zum 2. HStruktG(E): BT-Drs. 9/842, S. 80ff.- Die Stellungnahmen des Bundesrates und die Gegenäußerungen der Bundesregierung unmittelbar nach dem Regierungswechsel 1982 waren freilich auffallig von gegenseitigem Lob geprägt, s. ζ. B. zum HG 1983(E) , BT-Drs. 9/2139, S. 1 f.; dieser Umgangsstil dürfte sich aber mittlerweile wieder zugunsten der distanzierten Sachlichkeit zwischen Verfassungsorganen normalisiert haben. 286 S. ζ. B. die Stellungnahme des Bundesrates zum SubvAbG(E), BT-Drs. 9/217; zum 2.HStruktG(E), BT-Drs. 9/842, S. 80 ff. einerseits, S. 83 ff. andererseits. Nur selten spezifiziert der Bundesrat nicht so, daß er nicht zu einzelnen §§ Stellung nimmt, s. aber BTDrs. 9/279, S. 12 betr. BerBiFG(E). 287 S. ζ . B. die ausf. Änderungsvorschläge zum BAföG und zum BSHG in der Stellungnahme zum 2. HStruktG(E), BT-Drs. 9/842, S. 83 ff., 85ff. 288
9/2139.
S. betr. HG 1981: BT-Drs. 9/265; HG 1982: BT-Drs. 9/965; HG 1983: BT-Drs.
304
IX. Bundesgesetzgebung als Verhandlungs- und Entscheidungsprozeß
(ff) Mitunter nimmt der Bundesrat auch die Gelegenheit wahr, statt einer selbständigen Gesetzesinitiative zu versuchen, sachlich nur sehr mittelbar mit einem Gesetz Zusammenhängendes dem „Omnibus" im Wege seines Vorschlags anzufügen 289 oder grundlegende systemändernde Neuregelungen eines Gesetzes im Rahmen eines scheinbar nur ergänzenden Änderungsvorschlages anzustreben 2 9 0 . Solche „Überrumpelungsversuche" in Form verkappter Gesetzesinitiativen sind im Bundestag in aller Regel, jenseits parteipolitischer Überlegungen, (zu Recht) erfolglos; sie können aber mitunter durch den Bundesrat im Vermittlungsverfahren erzwungen werden 291 . b) Die (Ausschuß-)Beratungen des Bundestages
Die Sachkontrolle der Gesetzentwürfe findet vor allem in den — maßgeblichen — ständigen Ausschüssen statt, auf die sich die Gesetzgebungsberatungen „des" Bundestages verlagert haben 292 . Jeder Gesetzentwurf wird nach 1. Lesung durch Plenarbeschluß an einen „federführenden" (regelmäßig dem federführenden Ministerium der Bundesregierung entsprechenden) Ausschuß und oft an einen oder mehrere „mitberatende" Ausschüsse zur Beratung überwiesen (§ 80 I 1 GO-BT). Die Ausschußarbeit wird in der älteren wie in der neueren Literatur unverändert sehr unterschiedlich eingeschätzt, weil sie bis heute empirisch weithin unerforscht 293 geblieben ist. Die positiven Stellungnahmen,
289 S. ζ. B. die Vorschläge in BT-Drs. 9/458, S. 52f. betr. Art. 10 RAG 1982, abgelehnt von der Bundesregierung ebd. S. 56; in BT-Drs. 9/842, S. 93 f. (EB) betr. das Unterhaltsvorschußgesetz und das StVollzG als Art. 21 b, 23 a 2. HStruktGÇE), abgelehnt von der Bundesregierung, s. BT-Drs. 9/888, S. 5; in BT-Drs. 9/2140, S. 129f. (EB) betr. die Ermöglichung einer Überbelegung von Hafträumen durch Änderung des StVollzG in Art. 11 HBeglG 1983(E), abgelehnt von der Bundesregierung ebd. 290 S. ζ. B. BT-Drs. 9/2140, S. 132 (EB) betr. Art. 15 HBeglG 1983(E) betr. Privatisierung der Darlehensverwaltung nach dem BAföG (mit Zeitdruck-Argument abgelehnt von der Bundesregierung ebd.). 291 S. ζ . B. zu den Änderungen des StVollzG durch Art. 22 2. HStruktG (BGBl. I, S. 1535) den erstmaligen Vorstoß in der Stellungnahme zum 2. HStruktG(E), BT-Drs. 9/842, S. 94. 292 Vgl. aus neuerer Zeit ζ . Β. T. Ellwein, DÖV 1984, 748 (753); G. Kretschmer, in: W. Schreckenberger (Hg.), Gesetzgebungslehre, S. 172f.; J. Kürschner, Die Statusrechte des fraktionslosen Abgeordneten, 1984, S. 112ff.; N. Achterberg, Parlamentsrecht, S. 672ff., 683 ff.; s. a. BVerfGE 44, 308 (317) und dazu H.-P. Schneider, AöR 105 (1980), 22. Umfassend zur rechtlichen und tatsächlichen Stellung der BT-Ausschüsse jetzt W. Berg (1986), in: BonnKomm, Art. 45a/Rdn. 1-62. 293 S. aber die durch eigene Erfahrungen geprägte Darstellung bei F. Schäfer, Bundestag (Fn. 223), S. 108 ff.Eher irreführend scheint im Zusammenhang der Gesetzesarbeit die Dokumentation der Gesetzgebung des Bundestages durch die Gruppe Datenverarbeitung von Bundestag und Bundesrat („GESTA", vgl. Fn. 170) zu wirken. Als formale Verlaufsstatistik registriert sie Veränderungen des Gesetzentwurfes in den Ausschußberatungen z. B. auch dann, wenn wegen anderer (Änderungs-)Gesetze lediglich das Rubrum des Gesetzes oder wegen der
4. Parlamentarische Kontrollinstanzen und Verfahrensstationen
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die den Ausschußberatungen eine bedeutsame (Um-)Gestaltungskraft bescheinigen 2 9 4 , können sich ebenso auf Erfahrungsberichte von aktiv beteiligten Politikern 295 berufen wie die negativen Einschätzungen 296 . Die Ausschußberatungen als Kern der Sachberatungen im Bundestag sind nach der Logik des verfassungsrechtlichen Gesetzgebungsverfahrens institutioneller Kern diskursiver Problemlösungsdiskussionen und kooperativer Kompromißsuche 297 ; die NichtÖffentlichkeit ihrer Beratungen wird gerade auch im Hinblick auf die Erleichterung von Kompromissen gerechtfertigt 298 . Änderungen der Gesetzentwürfe im Ausschuß könnten daher ein Indikator inhaltlicher Auseinandersetzungen mit anschließender Kompromißbildung sein. Abweichend von den quantifizierenden Ansätzen der empirischen Sozial- bzw. Verwaltungsforschung, die auf die Zahl der veränderten Wörter abstellt und (insoweit) zu eindeutigen Antworten auf qualitative Fragen nicht gelangen kann 2 9 9 , soll hier einer von vornherein qualitativen Bewertung und Gewichtung gefolgt werden. aa) Erscheinungsformen
der Änderungen
(1) Die Bundestagsausschüsse leisten ausweislich der Änderungen von Gesetzentwürfen vor allem Fein-Arbeit an Details. Erstens läßt sich, auch unter der selbst-korrigierenden Mithilfe der Ministerialbürokratie, eine letzte Perfektionierung in Formalismen i. w. S. gesetzestechnischer Art feststellen 300 ; sie scheinen sich bei sachlich umfangreichen neuartiDauer der Gesetzesberatungen der Inkrafttretenstermin hinausgeschoben werden; sie läßt keinen Schluß auf die inhaltliche Ausschußarbeit des Bundestages zu. 294 Positiv aus der älteren Literatur: K. J. Ρ arisch, W D S t R L 16 (1958), 74 (104); E. Pikart, ZfP 9 (1962), 201 (211) i. S. starker Modifikation; in neuerer Zeit vor allem W. Zeh, in: Theorie und Methoden (Fn. 177), S. 63 f. 295 Positive Einschätzungen ζ . B. bei H. Schmitt Vockenhausen, in: E. Hübner u. a. (Hg.), Bundestag von innen (Fn. 182), S. 137 (138 ff., 143, 145), bis 1969; zuletzt H. Helmrich, ZRP 1987, 204ff.; negativ: D. Lattmann, Einsamkeit (Fn. 170), S. 58 f. 296 Krit. in der älteren Literatur: D. Sternberger, PVS 1 (1960), 22 (25); s. a. R. Herzog, W D S t R L 24 (1966), 183 (199); Η Rausch/H. Oberreuter, in: W. Steffani (Hg.), Parlamentarismus (Fn. 10), S. 141 (147 f.); H. Steiger, Studium generale 23 (1970), 710 (721); U. Lohmar, Das Hohe Haus, 1975, S. 202f.; aus neuerer Zeit sehr krit. C.-C. Schweitzer, Der Abgeordnete im parlamentarischen Regierungssystem der Bundesrepublik, 1979, S. 157, 174 f f , 222 f. u. ö.; W. Maihof er, zit. nach H. Kindermann, in: Theorie und Methoden (Fn. 128), S. 87 (96 f.); für die Schweiz J. Bally u. a , in: K . Eichenberger (Hg.), Grundfragen (Fn. 71), S. 267ff. 297 S. etwa H.-P. Schneider, HdbVerfR, S. 262. 298 Vgl. Nw. unten Fn. 621; anders aber H. Oberreuter, ZParl 6 (1975), 77 (85 f.) aufgrund der Praxis des Bayerischen Landtags mit öffentlichen Ausschußsitzungen. 299 Zur methodischen Problematik s. B. Becker, BayVBl. 1985, 641 (643). 300 N u r selten unterlaufen dabei dem Ausschuß selber formale Fehler, s. aber das Redaktionsversehen in § 57 I I KSVG (betr. 28. statt 29.2.1984), BT-Drs. 9/429, S. 30 (AB). 20
Schulze-Fielitz
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IX. Bundesgesetzgebung als Verhandlungs- und Entscheidungsprozeß
gen Regelungen zu häufen 301 . In den Ausschußberichten wird ζ. T. ausdrücklich auf die Beseitigung von Inter punktions-, Druck- bzw. Schreibfehlern verwiesen 302 , eine arabische in eine römische Bezifferung verwandelt 303 , werden Abkürzungen in Gesetzen 304 wie Gesetzesabkürzungen selber verbessert 305 , Irrtümer bei der Bezifferung von Paragraphen, Absätzen oder Sätzen beseitigt 3 0 6 , übersehene notwendige Folgeänderungen im gleichen Gesetz (bzw. der erörterten Gesetzesgruppe 307) oder in anderen, zunächst übersehenen Gesetzen 3 0 8 nachträglich eingefügt, Normen-Teile (ohne inhaltliche Veränderung) von Absätzen in selbständigen Paragraphen oder Artikel umgruppiert 309. Die (im Regierungsentwurf mitunter noch offen gelassenen) Namen der Gesetze oder zu ändernder Gesetze werden vervollständigt 310 oder hinsichtlich (mitunter im Hinblick auf die unbestimmte Verfahrensdauer von vornherein im Entwurf offen gelassener) zeitlicher Daten oder Stichtage auf den zeitlich neuesten Stand gebracht 311 . Ebenso werden Inkrafttretensterminklauseln angepaßt 312 und mit-
301 S. ζ. B. betr. die Einführung des Kranken Versicherungsbeitrages der Rentner in Art. 2 RAG 1982 die zahlreichen Klarstellungen und Feinkorrekturen in BT-Drs. 9/884, S. 59 f. (AB); s. a. zu einem anderen Bsp. Fn. 532. 302 S. z.B. BT-Drs. 9/164, S. 8 und BT-Drs. 9/167, S. 8 (AB) betr. Klein- und Großschreibung des Wörtchens „zur" in § 103 a V I Nr. 3 BranntwMonG ( = Art. 2 1 Nr. 6 MinöBranntwStÄndG 1981); BT-Drs. 9/378, S. 32 (AB) betr. Art. 13 Nr. 5 SubvAbG(E); BT-Drs. 9/450, S. 9 (AB) betr. Art. 4 Nr. 1 e 20. StrÄndG(E); BT-Drs. 9/979, S. 15 (AB) betr. VerbStÄndG 1982; BT-Drs. 9/1507, S. 9 (AB) betr. Art. I V I BeschäftFG( E).
Das geht mitunter so weit, daß stilistische Korrekturen nicht etwa an dem Normtext der neuen Sach-Regelung, sondern an der Formulierung des technischen Rahmens im Artikelgesetz angebracht werden, s. BT-Drs. 9/856, S. 5 (AB) betr. Art. 1 Nr. 5 2. ZerlÄndG(E): „Dem § 8 wird folgender Absatz 5 angefügt" statt „ I n § 8 wird nach Absatz 4 folgender neuer Absatz 5 angefügt"; vielleicht ist der FinanzA wie in Finanzdingen auch in solchen Fragen ebenso penibel wie sensibel. 303 S. BT-Drs. 9/500, S. 1 zu Art. 1 § 3 I I BtMNG(E). 304 S. z.B. § 103 a I Nr. 2 BranntwMonG ( = Art. 2 Nr. 6 MinöBranntwStÄndG 1981): „ % " statt „v. H.", BT-Drs. 9/167, S. 7. 305 S. z. B. BT-Drs. 9/979, S. 15 (AB). 306 S. z. B. BT-Drs. 9/378, S. 14 (AB) betr. Art. 10 SubvAbG(E) ( = § 52 Abs. 25 a EStG); BT-Drs. 9/429, S. 10 (AB) betr. § 11 I I KSVG(E); BT-Drs. 9/500, S. 2 (AB) betr. Art. 1 § 27 I I BtMNG(E). 307 S. z. B. BT-Drs. 9/2293, S. 15 (EB) betr. Art. 3 Nr. 5 a KDVNG. 308 S. etwa Art. 9 SubvAbG (betr. Entwicklungspolitik) als Folge von Art. 5 SubvAbG, s. BT-Drs. 9/378, S. 32 betr. Art. 8 a SubvAbG(E). 309 S. z. B. BT-Drs. 9/972, S. 6 (AB) betr. Art. 2 9. BKGÄndG.- Hinter einer Umgruppierung kann sich aber im Einzelfall auch eine inhaltliche Änderung „verstecken", s. z. B. bei Art. 1 Nr. 5 c 1. BNotOÄndG(E), BT-Drs. 9/597, S. 6 und 10 (AB). 310 Der als 19. StrÄndG eingebrachte Entwurf z. B. wurde wegen seiner langen Beratungsdauer das 20. StrÄndG (und umgekehrt). Mitunter wird der Name ganz geändert, z. B. beim LwSiedlÄndG, BT-Drs. 9/2269, S. 3 (AB), statt: 3. Gesetz zur Änderung des Bundesvertriebenengesetzes.
4. Parlamentarische Kontrollinstanzen und Verfahrensstationen
307
unter nur deshalb umformuliert, weil das Gesetz wegen der Dauer des Gesetzgebungsverfahrens bei unverändertem Stichtag rückwirkend i n K r a f t gesetzt werden m u ß 3 1 3 . A u c h vorläufig berechnete u n d zugrundegelegte Eckdaten werden n u n durch endgültige ersetzt 3 1 4 oder erst jetzt eingefügt 3 1 5 . Solche Entwurfsänderungen, besonders Streichungen oder Umgruppierungen v o n Paragraphen, führen i n aller Regel zu weiteren, redaktionell zu beachtenden Folge-Änderungen. Redaktionell i. S. sprachlicher Umformulierungen ohne inhaltliche Veränderungen werden vor allem klarere Formulierungen bzw. verdeutlichende Sprachverbesserungen angestrebt, ohne daß der Sinn der Regelung verändert würde (bzw. werden s o l l t e ) 3 1 6 , etwa durch Streichung eines infolge der Gesetzesänderung überflüssig oder sinnlos gewordenen W o r t e s 3 1 7 oder durch „terminologische K o r r e k t u r e n " 3 1 8 oder einfach verständlichere F o r m u l i e r u n g e n 3 1 9 . Solche
311
S. ζ. B. BT-Drs. 9/278, S. 3 ff. (AB) betr. §§33,34 AGZVVfG-N; BT-Drs. 9/378, S. 9, 16, 19 (AB) betr. Art. 4, 13, 19 SubvAbG(E); BT-Drs. 9/429, S. 18, 23, 25, 28, 29, 30, 31 (AB) betr. §§ 34 I, 49, 50, 52 III, 55, 57 - 59, 61 KSVG; BT-Drs. 9/597, S. 4 betr. Art. 1 1. BNotOÄndG; BT-Drs. 9/972, S. 5 (AB) betr. Art. 1 Nr. 7 9. BKGÄndG; BT-Drs. 9/1068, S. 4 (AB) betr. §1 VZG 1983; BT-Drs. 9/1500, S. 13f., 16f. betr. Art. 9 1 - V I BeschäftFG{E); BT-Drs. 9/1770, S. 5 (AB) betr. Art. 4 4. WeinÄndG(E): „ergibt sich aus dem Stand des Gesetzgebungsverfahrens"; BT-Drs. 9/2262, S. 2 (AB) betr. Art. 2 II, 3, 4 4. PersAÄndG; BT-Drs. 9/2293, S. 11 (AB) betr. Art. 2 KDVNG. 312
S. ζ . Β. Art. 8 20. StrÄndG, BT-Drs. 9/450, S. 7; Art. 9 KHGÄndG(E), BT-Drs. 9/976, S. 37 (AB); Art. 4 3. VwGOÄndG, BT-Drs. 9/2107, S. 3 (AB). 313 S. ζ. B. BT-Drs. 9/2176, S. 2 (AB) betr. § 2 MinAGG; sie können aber auch Ausdruck von Kompromissen sein, s. u. Kap. X/bei Fn. 264. 314 S. betr. die Steigerungsrate der Renten nach § 56 BVG in 11. AnpG-KOV (5,76 % statt 5,8 %): BT-Drs. 9/868, S. 15 (AB). 315 S. betr. Art. 1 Nr. 4 2. HStruktG(E), BT-Drs. 9/971, S. 9 und 86 (AB) betr. Minderung der Versorgungsbezüge. Deutlich wird der Charakter verspäteter „Hausaufgaben" der Ministerialbürokratie bei den rechnerisch aufwendigen Anlagen: § 104 BewG 1. d. F. von Art. 36 2. HStruktG( E), s. BT-Drs. 9/971, S. 69 ff. (AB). 316 S. ζ. B. § 4 AGZVVfG-N („im Geltungsbereich dieses Gesetzes" statt „inländisch"), s. BT-Drs. 9/278, S. 3 (AB); § 10 KSVG( E), s. BT-Drs. 9/429, S. 9 (AB); Art. 1 Nr. 3 20. StrÄndG(E), BT-Drs. 9/450, S. 9 (AB); Art. 1 Nr. 71. BNotOÄndG(E), BT-Drs. 9/597, S. 6 (AB); Art. 1 § 1 Nr. 2 AFKG(E), BT-Drs. 9/966, S. 7 und 76 (AB); Art. 1 Nr. 6 9. BKGÄndGiE) ( = § 29 I Ziff. 2 BKGG), s. BT-Drs. 9/972, S. 5 (AB); Art. 3 Nr. 3 BillBG( E), s. BT-Drs. 9/975, S. 28 („Behörden" statt „Stellen"); Art. 1 Nr. 3 b 2.AbfÄndG(E) ( = § 1 2 1 AbfG), s. BT-Drs. 9/1222, S. 4 und 12 (AB); sie können überhaupt die einzige Entwurfsänderung sein, s. Art. 3 I I 2 ZündwMonAufhG, BT-Drs. 9/1789, S. 2; ihre Erforderlichkeit kann auch bis zum Schluß umstritten, die Verbesserung möglicherweise entbehrlich sein, s. ζ. B. zu § 4 AGVwZG: BT-Drs. 9/299, S. 2 (AB). 317 S. ζ. B. zu Art. 1 § 1 Nr. 14 d AFKG(E), BT-Drs. 9/966, S. 12 und 77 (AB). 318 S. ζ. B. zu § 11 IRG(E), BT-Drs. 9/2137, S. 25 (AB). 319 S. als markantes Beispiel von vielen § 17 I WehrBeauftrG i. d. F. von Art. 1 Nr. 18 WehrBeauftrÄndG: Statt „§ 3 Nr. 4 und § 5 Abs. 2 bleiben unberührt" heißt es nun: „mit Ausnahme des Rechts nach § 3 Nr. 4" sowie „§ 5 Abs. 2 findet entsprechende Anwendung", vgl. BT-Drs. 9/1367, S. 8 und 11 (AB). 20*
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Formulierungsänderungen zielen insgesamt auf klarere, Probleme schon durch den Gesetzeswortlaut lösende Gesetze 320 . Speziell werden Formulierungen vergleichbar benutzten Formulierungen im gleichen Gesetz oder in anderen Gesetzen vereinheitlichend angepaßt 321 bzw. (evtl. mit inhaltlichen Wirkungen) Begriffe verschiedener Gesetze harmonisiert 322 oder auch nur, wegen begrifflich präziser Definitionen, auf Begriffsbestimmungen in bestimmten Erlassen verwiesen 323 . Die Reihenfolge von Prüfungskriterien wird umgestellt 324 . Redaktionelle Streichungen vollständiger Gesetzesänderungen wegen Übernahme der Regelungen in ein anderes (Artikel-)Gesetz runden dieses Bild 3 2 5 . (2) Weiterhin lassen sich Vereinfachungen i. w. S. als Ergebnis der Ausschußberatungen feststellen, denn solche scheinen auch am einfachsten den Konsens im jeweils federführenden Ausschuß zu finden. Insbesondere Vereinfachungen des Verwaltungsverfahrens finden offenkundig weitgehend konfliktfrei Zustimmung 326 , ζ . B. durch Vereinfachung von Berechnungsgrundlagen 327, von Straf- und Bußgeldkatalogen 328 , durch Abschaffung aufwendiger Kontrollen von schriftlichen Erklärungen gegenüber der Verwaltung 329 , durch konkretere, 320
S. ζ. B. die eine Änderung begründende Formel, damit werde (anders als vorher) „dem Umstand Rechnung getragen", etwa BT-Drs. 9/2284, S. 4 betr. Art. 2 Nr. 3 MERhAngG. 321 Ζ. B. betr. Art. 1 Nr. 3 KHGÄndG(E) das Wort „teilstationär" statt „halbstationär", vgl. BT-Drs. 9/976, S. 5f., 31 (AB); betr. Art. 1 Nr. 43 a, 46 a 4. WeinÄndG(E) das Wort „hergestellt" statt „verarbeitet", vgl. BT-Drs. 9/1770, S. 4 (AB); betr. Art. I Nr. 1 b, gg BesRÄndG die übliche Formulierung von Höchstsatzgrenzen bei Stellenanteilen, BT-Drs. 9/2223, S. 3 (AB). 322 S. ζ. B. die Übernahme des Hauptwohnungsbegriffs nach § 12 I I M R R G in das VZG 1983, s. BT-Drs. 9/1068, S. 4 (AB). 323 S. z. B. Art. 1 Nr. 6 HBeglG 1983(E) zum Begriff „Beginn der Bauarbeiten", s. BTDrs. 9/2290, S. 9 und 29 (AB). 324 S. z. B. § 13 IV PBefG i. d. F. von Art. 1 Nr. 2 5. PBefÄndG(E): BT-Drs. 9/2266, S. 3 und 6 (AB). 325 S. ζ. B. zu Art. 11 2. HStruktG(E): BT-Drs. 9/971, S. 86 (AB). 326 S. für unübersehbar viele Beispiele: Art. 1 Nr. 12 7. BAföGÄndG(E) ( = § 18 V a BAföG) betr. das Verfahren der Darlehensrückzahlung, s. BT-Drs. 9/603, S. 7 und 31 f. (AB); Art. 1 § 1 Nr. 49 b AFKG(E) betr. die Benutzung von Vordrucken, BT-Drs. 9/966, S. 27 und 81 (AB). 327 S. z. B. Art. 1 I I Nr. 6 MinöBranntwStÄndG 1981(E) betr. praxisnähere Termine, s. BT-Drs. 9/167, S. 5; § 7 V KSVG(E) betr. Berechnungsgrundlage bei Widerruf der Befreiung von Versicherungspflicht, s. BT-Drs. 9/429, S. 7 f. (AB); § 112 V a A F G i. d. F. von Art. 1 § 1 Nr. 32 b 1 AFKG(E) betr. Facharbeiterlohn als Bemessungsgrundlage (trotz teilweisem Status als Auszubildender), s. BT-Drs. 9/966, S. 80 (AB); Art. 18 Nr. 1 b HBeglG 1983(E) betr. keine individuelle Spitzenberechnung bei Versorgungsbezügen, s. BT-Drs. 9/2290, S. 20 (AB); ebd. S. 22 (AB) betr. die Berechnung der Abschmelzung besitzstandsgeschützter Beitragszuschüsse gemäß Art. 21 Nr. 6 HBeglG 1983(E). 328
S. z. B. Art. 1 Nr. 59 - 61 und 64 4. WeinÄndG(E\ vgl. BT-Drs. 9/1770, S. 4 (AB). S. die vom Ausschuß gestrichene Pflicht arbeitsloser Leistungsempfanger zur schriftlichen Abgabe einer Nebenverdiensterklärung in Art. 1 § 1 Nr. 34 AFKG(E), BT329
4. Parlamentarische Kontrollinstanzen und Verfahrensstationen
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d. h. leichter nachprüfbare Anwendungsvoraussetzungen 330, durch die Konzentration von Aufgaben bei einer bestimmten schon bestehenden Verwaltungseinheit 3 3 1 oder dadurch, daß eine (zeitlich unnötig verzögernde) Verwaltungsvereinbarung zwischen Bund und Ländern entbehrlich gemacht wird 3 3 2 . Sie konstituieren ein einheitliches Selbstverständnis der Abgeordneten i. S. von Entrechtlichungs- und Entbürokratisierungsbemühungen „gegen" die Regierungs-Bürokratie. Daneben geht es i.S. mittelbarer Vereinfachungen um präzisere Terminbestimmungen 333, Harmonisierung mit der bislang üblichen Gesetzestechnik 33+, (allenthalben) um Klarstellungen 335 oder auch die Rückkehr „zum einheitlichen Verordnungsrang" (der Sprachförderungsverordnung) im Interesse flexibler, den aktuellen zur Verfügung stehenden Finanzmitteln angepaßter Regelungen durch die Bundesregierung 336 u. a. (3) In gleicher Weise entpuppen sich (materiell, nicht nur redaktionell bedeutsame) Streichungen bestimmter Regelungen in den Regierungsvorlagen nicht nur als Beseitigung schlicht überflüssiger Regeln 337 oder einzelner Formulierungen 338 , sondern meist als spezielle Form der Vereinfachung 339 , auch wenn sie ζ . T. lediglich durch eine entsprechende Ermächtigung zu Rechtsverordnungen abgelöst werden 340 . Hinter solchen Vereinfachungen Drs. 9/966, S. 80 (AB) zugunsten anderer Kontrollmaßnahmen (Betriebsprüfungen, Datenabgleich der Sozialversicherungsträger). 330 S. z. B. betr. § 13 V PBefG i. d. F. von Art. 1 Nr. 2 5. PBefÄndG(E\ BT-Drs. 9/2266, S. 6 (AB). 331 S. z. B. § 393a I I RVO i. d. F. von Art. 2 Nr. 15 RAG 1982 betr. — evtl. zentralisierte — Beitragseinziehung durch Krankenkassen, vgl. BT-Drs. 9/884, S. 13 (AB). 332 S. BT-Drs. 9/2290, S. 20 (AB) betr. Art. 6 a HBeglG 1983(E) betr. zusätzliche Bundesmittel für Krankenhausinvestitionen. 333
BT-Drs. 9/979, S. 15 (AB) betr. Art. 3 Nr. 2 und 3 VerbStÄndG 1982 (Terminierung für Nachsteuerentrichtung); BT-Drs. 9/2293, S. 5 (EB) betr. Art. 1 § 2 IV KDVNG(E). 334 S.z. B. im BesRÄndG statt Angaben über die Zulagen-Höhe in Ziffern Verweis auf die Bezugsgröße in der Gesetzesanlage, s. BT-Drs. 9/2223, S. 3. 335 S. Art. 8 § 8 HBeglG 1983(E) betr. Rückzahlungsmodalitäten der Investitionshilfeabgabe, s. BT-Drs. 9/2290, S. 11 (AB). Klarstellungen werden unübersehbar oft im Gesetzgebungsprozeß als Rechtfertigungsgrund genannt. 336
S. BT-Drs. 9/2290, S. 18 (AB) betr. Art. 35 HBeglG 1983(E); die Sprachförderungsverordnung war erst kurz zuvor aus Gründen zeitlicher Beschleunigung durch nachgeschobene Regeln im Gesetzesrang verändert worden, s. Fn. 364. 337 So für § 49 IV PBefG i. d. F. von Art. 1 Nr. 3 5. PBefÄndG( E), s. BT-Drs. 9/2266, S. 6 (AB); Art. 18 Nr. 11 HBeglG 1983(E) : BT-Drs. 9/2290, S. 21 (AB) betr. Überwachung des therapeutischen Nutzens. 338 So z. B. betr. § 13 IV PBefG i. d. F. von Art. 1 Nr. 2 5. PBefÄndG(E): BT-Drs. 9/2266, S. 6 (AB) betr. Existenzfahigkeit des örtlichen Gewerbes. 339 S. z. B. § 6 I I I WoGG(E) in Art. 17 Nr. 1 SubvAbG(E) betr. Klarstellung nicht gerechtfertigter Wohngeldleistungen durch Auslegungserlaß im Verwaltungswege statt durch Gesetz, BT-Drs. 9/378, S. 18, 25, 33 (AB).
310
IX. Bundesgesetzgebung als Verhandlungs- und Entscheidungsprozeß
durch selektive Streichung verbergen sich aber nicht nur allgemeine Entbürokratisierungsintentionen, sondern konkrete einzelfallbezogene politische Überlegungen, die der Vereinfachung parallel laufen 341 , so wie Streichungen mitunter auch Vereinfachungen bzw. Rationalisierungen der Verwaltung verhindern können 3 4 2 . Ζ. T. führt das Ergebnis der Ausschußberatungen auch zur Aufhebung von Regeln, die der Regierungsentwurf ursprünglich gar nicht tangierte 343 . Eher selten spiegeln vereinfachende Streichungen auch eine (Teil-)Rücknahme des Regelungsanspruchs des Ministeriums, weil nach erneuter Prüfung „kein praktisches Bedürfnis besteht" 344 , bzw. des Gesetzgebers allgemein zugunsten des Gesetzesadressaten345 i. S. einer Beschränkung der Regelung „auf das rechtlich Notwendige" 346 . (4) Unter den (bei materiellen Änderungen vorherrschenden) Ergänzungen der Gesetzesvorlage fallen solche auf, die ganz unpolitische und unumstrittene Fehler des Gesetzentwurfs „ausbügeln" 347 oder von der Ministerialbürokratie als für zu wichtig erachtete einzelne Regeln nachreichen, als daß man auf sie verzichten könnte 3 4 8 . In diesen Zusammenhang gehören Vereinheitlichungen (Anpassungen) gesetzessystematischer Art an vergleichbare Regelungen in Parallelgesetzen 349 und eine Vielzahl von sonstigen Gesetzes-Detaillierungen in 340
S. z. B. § 49 Nr. 7 KSVG(E) = § 318 d RVO(E) betr. § 50 Nr. 5 KSVGÇE) = § 126 a AngVersG(E) betr. Meldepflichten an Krankenkassen bzw. die BfAng, s. BT-Drs. 9/429, S. 24 und 27 (AB); Art. 1 Nr. 4 4. WeinÄndG(E) betr. (fakultative) Ermächtigung der Länder zur amtlichen Lesegutkontrolle, s. BT-Drs. 9/1770, S. 2 (AB). 341 S. z. B. § 84 I I Nr. 3 BranntwMonG(E) = Art. 2 Nr. 3 SubvAbG: keine Steuererhöhung bei bestimmter (isopropylhaltiger) Massenware aus beschäftigungs- und umweltpolitischen Gründen, s. BT-Drs. 9/164, S. 6 und BT-Drs. 9/167, S. 8 (AB). 342
S. z.B. §63 1112 KVLG(E) i. d. F. von Art. 13 Nr. 3 RAG 1982(E): keine Zentralisierung des Beitragseinzuges bei der Bundesvereinigung der landwirtschaftlichen Krankenkassen, s. BT-Drs. 9/884, S. 47 (AB). 343 S. ζ. B. die zuvor in § 115 I I A F G a. F. vorgesehene Nebenverdienstmeldepflicht, da diese ineffektiv sei: BT-Drs. 9/966, S. 80. 344 So BT-Drs. 9/2290, S. 8 (AB) betr. Art. 1 Nr. 2 HBeglG 1983(E) betr. Bescheinigung verkehrspolitischer Unbedenklichkeit. 345 S. ζ. B. zu Art. 1 Nr. 4 und 5 5. PBefÄndG(E): BT-Drs. 9/2266, S. 6f. (AB). 346 So BT-Drs. 9/850, S. 21 (AB) betr. den Umfang der Auskunftspflicht nach § 18 I I I BerBiFG( E). 347 S. ζ. B. die Lückenfüllung für die Grundlohnberechnung bei bestimmten Rentnern in § 180 V I I I S. 2 RVO i. d. F. von Art. 2 Nr. 2 RAG 1982, s. BT-Drs. 9/884, S. 58 (AB); betr. Art. 9 SubvAbG wie Fn. 308. 348 S. etwa Art. 14 Nr. 8 und 9 SubvAbG (betr. §§151, 152 BranntwMonG) als nachträglich ergänzte Konsequenz daraus, daß das FinG Hamburg für die Altfassung einen Verstoß gegen Art. 95 EWG-Vertrag festgestellt hatte, s. BT-Drs. 9/378, S. 30; (wohl) auch Art. 1 Nr. 5 b und 5 c / . BNotOÄndG(E), BT-Drs. 9/597, S. 5 und 10 (betr. Verfügungsbefugnis amtsenthobener Notare nach § 55 I I 3 BNotO bzw. Notarverweser nach § 56 BNotO). 349 S. ζ. B. betr. die Anpassung der Beweisunterlagen-Aufbewahrungszeit bei Schlechtwettergeld wie bei Wintergeld in Art. 1 § 1 Nr. 24 b AFKG(E), BT-Drs. 9/966, S. 79 (AB);
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den eilig erarbeiteten Gesetzentwürfen 350. Mitunter werden so ganz neue Gesetzesmaterien „nachgereicht" 351 , nicht bloß Vorschläge aus anderen, sachlich zusammenhängenden und zeitlich in etwa parallel eingebrachten und in 1. Lesung beratenen Entwürfen übernommen 352 . In der ergänzenden Aufnahme neuer Regeln „entsprechend" einer im Regierungsentwurf vorgesehenen Neuregelung liegt oft nicht nur eine rechtstechnisch-systematische, sondern materiell eine (durchaus sachgerechte) Ausweitung eines Regelungszieles (ζ . B. einer bestimmten Leistungskürzung) i. S. einer sachlichen Vereinheitlichung 353 . Zugleich gibt es auch sonst unscheinbare ergänzende „Klarstellungen" oder Ergänzungen, hinter denen sich materiell Bedeutsames unerkannt verbergen kann 3 5 4 , schließlich auch ausdrücklich und offenkundig als wesentlich intendierte materielle Ausschußänderungen 355. (5) Weiterhin gibt es im Bereich quantifizierbarer Größen Verschiebungen der Ausgangsgrößen in den Tatbestandsumschreibungen der Rechtsnormen, insbesondere beim Finanzierungsrahmen bzw. der Finanzwirksamkeit 356 bzw. bei festen Geldbeträgen 351, weitere bei Zeiträumen 358, Fristen 359 — schon zur Wahrung von Vertrauensschutztatbeständen — oder Inkrafttretensterminen 360, die „weitere Gleichstellung" von Behinderten mit nicht-behinderten Teilnehmern an Rehabilitationsmaßnahmen in Art. 32 Nr. 1 a, 2 HBeglG 1983(E), s. BT-Drs. 9/2290, S. 20 (AB); die Anlehnung im WehrBeauftrÄndG(E) an das Gesetz über die Befugnisse des Petitionsausschusses, vgl. BT-Drs. 9/1367, S. 10, 11 (AB). 350 S. ζ. B. die zahlreichen Detail-Änderungen von Art. 18 HBeglG 1983(E) : BT-Drs. 9/2290, S. 20 f. (AB). 351 S. z. B. § 8 a BBVAnpG 81(E) betr. die Verlängerung der Übergangsregelung zur Stufenlehrerbesoldung, „um die rechtzeitige gesetzliche Regelung dieser Verlängerung zu gewährleisten", BT-Drs. 9/815, S. 21 (AB); Art. 7 a HBeglG 1983(E) betr. Änderung des Verzinsungssatzes der Ausgleichsforderungen der Bundesbank nach dem Umstellungsgesetz, s. BT-Drs. 9/2290, S. 32 (AB). 352
S.z. B. für das 2. HStruktG(E): BT-Drs. 9/971, S. 38 f., 42,44,48 ff., 64,67,80 (AB). S. z.B. die nachträgliche Angleichung von Arbeitslosengeld und Kurzarbeitergeld hinsichtlich einiger Bemessungsfaktoren in Art. 1 § 1 Nr. 22 a und 24 a AFKG(E), BTDrs. 9/966, S. 78 f. (AB). 353
354 S. ζ. B. die Übernahme des Begriffs der Hauptwohnung nach § 12 I I M R R G in das VZG 1983, vgl. BT-Drs. 9/1068, S. 4; zu möglichen weitgehenden Folgerungen vgl. nur (krit.) W. Steinmüller, Leviathan 12 (1984), 176 (186f.). 355
S. dazu noch näher bei Fn. 366ff. S. z. B. § 34 I KSVG (betr. Bundesanteil bei der Künstlersozialabgabe), BT-Drs. 9/429, S. 35 f.; ferner die Beispiele Fn. 371 ff. betr. Änderungen i. S. stärker differenzierender Einzelfallgerechtigkeit. 356
357 S. ζ. B. BT-Drs. 9/977, S. 22 (AB) betr. Erhöhung der Verordnungsblattgebühren in Art. 1 Nr. 3 KVEG(E). 358 S. z. B. Nw. in Fn. 386. 359 S. ζ. B. BT-Drs. 9/966, S. 77 betr. Art. 1 § 1 Nr. 11 AFKG(E) betr. Erweiterung der Rahmenfrist nach § 46 AFG. 360 S. z. B. Art. 41. BNotOÄndG, BT-Drs. 9/597, S. 8 und 10 (AB); § 3 PimpfAufhG, BT-Drs. 9/1996, S. 2 (AB).
s.
312
IX. Bundesgesetzgebung als Verhandlungs- und Entscheidungsprozeß
aber auch bei sonstigen in meßbaren Größen formulierten Tatbestandsvoraussetzungen 361 . (6) In einer Restgruppe lassen sich sonstige Änderungen zusammenfassen, deren Zweck nicht unmittelbar zu erschließen ist und auf gewandelten Zweckmäßigkeitsüberlegungen beruht, möglicherweise aufgrund der Stellungnahme beteiligter Verbände oder Gesetzesadressaten. (7) Schließlich gibt es Schein-Ergänzungen einer Gesetzesvorlage: Sie haben mit deren Regelungsgehalt nahezu nichts zu tun, sondern die Ministerialbürokratie (Regierung) schiebt in ihnen eine notwendige Gesetzes(teil)änderung eines ganz anderen Gesetzes nach, um ein vollständiges förmliches Verfahren (incl. Durchgang beim Bundesrat) zu ersparen. Anknüpfungspunkt für diesen „Omnibus" 3 6 2 ist ein gänzlich äußerlicher Sachzusammenhang, ζ . B. wenn gelegentlich der Änderung der BNotO auch ein durch den Beitritt Griechenlands zur EG umzuformulierendes Gesetz über Rechtsanwälte geändert w i r d 3 6 3 , wenn es nur das gleiche federführende Ministerium (entsprechend der Ausschuß) ist 3 6 4 . bb) Materielle
Umgestaltungen aufgrund von Ausschußberatungen?
(1) Wesentliche materielle Änderungen Gewiß lassen sich —jenseits von Vorschlägen des Bundesrates, denen die Bundesregierung zugestimmt hat 3 6 5 — auch materielle Änderungen der Regierungsvorlagen im Zuge der Ausschußberatungen feststellen. Sie beruhen aber in aller Regel weniger auf den Ausschußberatungen des ganzen Parlaments als auf koalitionsinternen Beratungen in den Regierungsfraktionen in Fühlungnahme mit der Bundesregierung oder in der Bundesregierung selber 366 und sind insgesamt, gemessen am Hauptziel des Regierungsentwurfes und abgesehen von Ausnahmen, tendenziell eher marginal. Oder sie kommen im Vorgriff dem Bundesrat und seiner Veto-Macht entgegen 367 . Allerdings häufen sie sich mitunter bei Gesetzen, die offenbar unter hohem Zeitdruck erarbeitet wurden bzw. verabschiedet werden sollten: Die Fülle von Detailveränderungen verweist 361 S. ζ. B. die Anhebung der Mindestarbeitsausfallgrenzen in § 64 A F G durch Art. 1 § 1 Nr. 21 AFKG(E), BT-Drs. 9/966, S. 78 (AB). 362 S. zum Typ des „Omnibusgesetzes" oben Kap. III, in und bei Fn. 74. 363 S. Art. 2 1. BNotOÄndG, dazu BT-Drs. 9/597, S. 8 und 10 (AB). 36+ S. Art. 6 c BillBG(E), BT-Drs. 9/975, S. 27 f. (AB) betr. (haushaltsentlastende) Änderung der Sprachförderungsverordnung (!), nicht zufallig in einem „Dezembergesetz". 365 S. speziell zu diesen näher bei Fn. 495 ff. 366 S. ζ. B. die neue Finanzierungsregelung im VZG 1983 nach einer „Erklärung" des Bundesfinanzministers, s. BT-Drs. 9/1068, S. 10 und 17. 367 S. die Fülle der Änderungen beim BtMNG, BT-Drs. 9/500, S. 1 ff.
4. Parlamentarische Kontrollinstanzen und Verfahrensstationen
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hier auf Nachbesserungen durch die Ministerialbürokratie 368 . Andererseits unterliegen auch Gesetze, die routiniert eine bestehende Gesetzeslage fortschreiben, Verbesserungen bzw. Veränderungen durch den Ausschuß. (aa) Strukturell lassen sich vor allem punktuelle inhaltliche Verfeinerungen i.S. von sozial stärker differenzierender Einzelfallgerechtigkeit vor allem zugunsten sozial Schwächerer feststellen. In finanzieller Hinsicht ist das ζ. B. zugunsten der jungen Generation der Fall, wenn etwa arbeitslose Jugendliche, die keine Ausbildungsstelle gefunden und auch sonst keine Einkünfte haben, von der Kindergeldkürzung unter bestimmten Bedingungen ausgenommen werden 369 ; auch sonst findet die soziale Situation etwa von Berufsanwärtern im Ausbildungsverhältnis besondere, weniger schematisierende Beachtung 370 . Die Berücksichtigung von Kindern als solchen erweist sich als häufiges Kriterium für eine sozial gerechtere, differenzierende Lösung 3 7 1 . Aber auch die Folgen ζ. B. für Behinderte werden ζ. T. für „sozialpolitisch unvertretbar" gehalten 372 , oder es werden Ausnahmen für besonders schwer vermittelbare Arbeitslose neu zugelassen373. In diesem Sinne wirken die Ausschußberatungen oft so, daß sie die sozialen Zumutbarkeitsbedingungen von Leistungskürzungen prüfen und evtl. einen präziseren sozialen Ausgleich schaffen 374 oder sachliche Besonderheiten stärker gewichten 375 , indem sie Ausnahmen schaffen 376 oder Übergangsvorschriften den unterschiedlichen Vertrauenstatbeständen entsprechend stärker differenzieren 377 . Verallgemeinert 368 S. ζ. B. die Detaillierungen zum BillBG(E) als einem typischen „Dezembergesetz": BT-Drs. 9/975, S. 24 ff. (AB). 369 So Art. 1 Nr. 1 f 9. BKGÄndG, BT-Drs. 9/972, S. 4 und 7 (AB). 370 S. z. B. Art. 1 § 1 Nr. 13 b AFKG(E), BT-Drs. 9/966, S. 12 und 77 (AB). 371 S. ζ. B. betr. die Senkung des Unterhaltsgeldes in Art. 1 § 1 Nr. 9 AFKG(E), BTDrs. 9/966, S. 77 (AB). 372 S. ζ . B. betr. die geplante Versagung von Übergangsgeld in Art. 1 § 1 Nr. 17 AFKG( E), s. BT-Drs. 9/966, S. 78 (AB). 373 Ζ. B. durch die entsprechende Ermächtigung des Verwaltungsrates der BfArb in Art. 1 § 1 Nr. 26 a AFKG(E), s. BT-Drs. 9/966, S. 79 (AB). 374 S. ζ. B. die Erhöhung des Kinderfreibetrages in Art. 1 Nr. 17 7. BAföGÄndG ( = § 25 IV BAföG), vgl. BT-Drs. 9/603, S. 27f. und 32 (AB); Beibehaltung eines Rechtsanspruchs auf Fortbildungs- oder Umschulungsmaßnahmen gemäß Art. 27 Nr. 2 und 3 HBeglG 1983(E) betr. §§ 44, 45 AFG, s. BT-Drs. 9/2290, S. 17 und 22 (AB). 375
S. die Verlängerung der Höchstbetragsfrist für Kurzarbeitergeld „wegen der besonderen Verhältnisse" für den Bereich der Stahlindustrie, BT-Drs. 9/2290, S. 18 und 22 (AB) betr. Art. 27 Nr. 5 a HBeglG 1983(E) = § 67 I I Nr. 3 AFG. 376
S. die Herausnahme der Kinder bis 16 Jahre bei der Ausgrenzung von Bagatellarzneimitteln nach § 182 f RVO = Art. 18 Nr. 4 HBeglG 1983, s. BT-Drs. 9/2290, S. 20 (AB). 377 S. betr. Art. 1 § 2 Nr. 3 AFKG(E): BT-Drs. 9/966, S. 81 (AB); die feinstufigere ; Übergangsvorschrift bei der Kürzung der Beamten- und Soldatenversorgung in Art. 2 § 2, 3 § 3 2. HStruktGÇE), s. BT-Drs. 9/971, S. 11,15, 86 (AB); das Problem wurde zuerst vom Bundesrat angesprochen, s. BT-Drs. 9/842, S. 98.
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geht es um die Korrektur von (zu) schematisierenden Regeln 378 , mitunter ausdrücklich als Tendenz formuliert: Individualisierung statt Pauschalierung 379 . Entsprechend sollen Härtefalle in besonderen Wirtschaftsbereichen oder (evtl. wettbewerbsverzerrende) Benachteiligungen vermieden 380 bzw. differenzierter behandelt werden 381 . Auch sonst kann dieses Ziel größerer Einzelfallgerechtigkeit durch Verschiebung der Anspruchsvoraussetzungen auf der Tatbestandsebene gesetzlicher Normen ermittelt werden, etwa durch tatbestandserweiternde Neudefinitionen 3 8 2 , Präzisierungen 383 , Abschaffung zeitlicher Begrenzungen 384, Tatbestandsausgrenzung bestimmter Einzelfalle 385 und sonstige Akzentverschiebungen 3 8 6 . In aller Regel muß allerdings der Ausschuß bei ausgabenerhöhenden Änderungen selber zugleich einen finanziellen Ergänzungsvorschlag zur Ausgabensenkung erarbeiten 387 bzw. andere Vorschriften der Gesetzesvorlage i. S. von Einsparungseffekten verschärfen 388 .
378
S. ζ. B. die Akzentverlagerung von der billigsten auf die preiswerteste Maßnahme in Art. 1 § 1 Nr. 4 AFKG(E), BT-Drs. 9/966, S. 76 f. (AB). 379 In diesem Sinne betr. Art. 1 § 1 Nr. 21 AFKG(E): BT-Drs. 9/966, S. 78 (AB). 380 S. ζ . B. die Einbeziehung der Stiftungssparkassen in § 23 I I KStG durch Art. 11 Nr. 3 SubvAbG(E), BT-Drs. 9/378, S. 30 (AB); Einbeziehung konzernverbundener Unternehmen in Art. 1 Nr. 4 HBeglG 1983(E) , s. BT-Drs. 9/2290, S. 9 (AB). 381 S. die Sonderregelungen für die (von Sonne nicht verwöhnten) Weinbaugebiete Mosel-Saar-Ruwer, Mittelrhein und Ahr bzw. ihre Weinbauern in Art. 1 Nr. 7 b, l i e , 12 c, 13 Ob, c 4. WeinÄndG(E\ BT-Drs. 9/1770, S. 2f. (AB) — einer der beiden Berichterstatter zum 4. WeinÄndG (MdB Schartz) war (nach Angaben des Bundestagshandbuches) als Winzer zugleich Präsident des Weinbauverbandes Mosel-Saar-Ruwer; s. ferner Fn. 407, 408. 382 S. z. B. Art. 1 Nr. 3 7. BAföGÄndG, BT-Drs. 9/603, S. 19 und 30f. (betr. förderungsfahige Ergänzungsstudien). 383 S. z. B. Art. 1 Nr. 1 BeschäftFG (= § 4 b I I Nr. 2 und 4 InvZulG) betr. Behaltefrist auch für nachträgliche Herstellungsarbeiten, s. BT-Drs. 9/1507, S. 7 und 9 (AB), auf Antrag der Opposition. 384 S. ζ. B. die Aufhebung der Altersgrenze für Studierende mit Nichtschülerprüfung in Art. 1 Nr. 5 7. BAföGÄndG, vgl. BT-Drs. 9/603, S. 30f. (AB); Abschaffung der Wartezeit als Anspruchsvoraussetzung für Bildungsbeihilfen in bestimmten Härtefallen in Art. 8 § 2 BeschäfFG( E), s. BT-Drs. 9/1500, S. 13 und BT-Drs. 9/1507, S. 10 (AB).- Zu einem untypischen weiteren Fall s. u. Fn. 426. 385 S. betr. Art. 18 Nr. 27 und 29 HBeglG 1983(E) , BT-Drs. 9/2290, S. 21 (AB). 386 S. ζ. B. die Rückgängigmachung der Anrechnung der Hinterbliebenen-Grundrente beim Wohngeld und stattdessen Wegfall der Freibeträge für mitverdienende Kinder und bestimmte Schwerbehinderte in Art. 13 Nr. 3 - 5 HBeglG 1983(E) , s. BT-Drs. 9/2290, S. 32 (AB). 387 S. zu den Verbesserungen im 7. BAföGÄndG (Fn. 384, 374) als Ausgleich die Senkung der prozentualen Sozialpauschale (§ 21 I I BAföG), vgl. BT-Drs. 9/603, S. 17f., 32 (AB).
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Einzelfallgerechtigkeit ist aber nicht nur bei sozialen Leistungsgesetzen, sondern auch im Rahmen der „klassischen" Eingriffsgesetze Ziel von Ausschußveränderungen, ζ . B. durch Einführung eines stärker differenzierenden Sanktionsinstrumentariums, speziell bei Bußgeldtatbeständen389, oder durch punktuelle Verbesserungen des individuellen Datenschutzes 390 . (bb) Zentraler Diskussionspunkt in den Ausschüssen sind auch Gesichtspunkte der Vollzugspraktikabilität und Gesetzesvereinfachung; politisch „neutrale" Vereinfachungen erfolgen dann regelmäßig einmütig. Dazu gehören etwa (auch) 391 : der schnellere Rückfluß von staatlichen Darlehen 392 , einfachere Methoden der Auskunftserlangung 393 , förmliche Belegbarkeit bei Nachweis von Voraussetzungen 394, fakultative Ermöglichung statt zwingende Verpflichtung 3 9 5 , Einsparung bürokratisch aufwendiger Entscheidungsunterlagen 396, Streichung von Ausnahmen oder Differenzierungen, die zu Abgrenzungsschwierigkeiten führen 3 9 7 , möglichst weitgehende Anknüpfung an (ohnehin im Regelfall erhobene) steuerliche Feststellungen bei Leistungsgewährungen 398, die Flexibilisierung von zu praxisfernen Bearbeitungsfristen 399 u. a. Die Intentionen zur Gesetzesvereinfachung können dabei gerade vom Streben nach sozialer Gerechtigkeit motiviert sein 400 . Die Vielfalt solcher Überlegungen können im
388
S. ζ . B. bei Art. 1 § 1 Nr. 32 Oa AFKG(E) die weitere strukturelle Kürzung des Arbeitslosengeldes, BT-Drs. 9/966, S. 79 (AB). 389 S. z. B. Art. 1 Nr. 2 BiUBG(E), BT-Drs. 9/975, S. 7, 22 und 25 (AB). 390 S. ζ. B. bei § 5 StVUnfStatG: BT-Drs. 9/2129, S. 5 (AB). 391 S. ferner Art. 12 Nr. 1 HBeglG 1983(E) betr. Vereinfachungen bei Teilkindergeldzahlungen: BT-Drs. 9/2290, S. 25 (AB). 392
S. z. B. Art. 1 Nr. 12 7. BAföGÄndG, vgl. BT-Drs. 9/603, S. 3, 23 und 31 f. (AB). S. Art. 3 7. BAföGÄndG, vgl. BT-Drs. 9/603, S. 32f. (AB). 394 S. Art. 1 Nr. 1 BeschäftFG, vgl. BT-Drs. 9/1507, S. 9 (AB) betr. Streichung des Investitionsgüterverzeichnisses. 395 So betr. die amtliche Lesegutkontrolle im 4. WeinÄndG (Nw. Fn. 340). 396 S.z. B. die Einsparung von Lohnsteuer(zusatz)tabellen für Arbeitnehmer mit mehr als 12 Kindern in Art. 1 Nr. 10 HBeglG 1983(E) , s. BT-Drs. 9/2290, S. 9 (AB); Verzicht auf verwaltungsinterne Unterrichtungspflichten in § 8 AsylVfG( E), s. BT-Drs. 9/1630, S. 18 (AB). 397 S. ζ . B. betr. Sonder-Anwartschaftszeit für Saisonarbeitnehmer in Art. 1 § 1 Nr. 29 a AFKG(E\ BT-Drs. 9/966, S. 79 (AB); betr. Bagatellarzneimittel zu Lasten der Kasse in bestimmten Fällen betr. § 182 f RVO i. d. F. von Art. 18 Nr. 4 HBeglG 1983(E) , s. BT-Drs. 9/2290, S. 20 (AB). 398 S. betr. Kindergeldzahlungen etwa die Außerachtlassung steuerlich nicht erfaßter Einnahmen in Art. 12 Nr. 3 HBeglG 1983(E) , s. BT-Drs. 9/2290, S. 26 (AB). 393
399 S. betr. die Genehmigung von Pflegesatzvereinbarungen Art. 1 Nr. 18 KHGÄndG(E), BT-Drs. 9/976, S. 33 (AB). 400 S. die Schätz-Möglichkeiten der Arbeitsverwaltung zur schnelleren Auszahlung von Konkursausfallgeld nach § 141 e A F G i. d. F. von Art. 1 § 1 Nr. 49 a AFKG(E), BT-Drs. 9/966, S. 81.
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IX. Bundesgesetzgebung als Verhandlungs- und Entscheidungsprozeß
Einzelfall einen derartigen U m f a n g an Gesetzesergänzungen annehmen, daß ein wesentlich verbessertes u n d detaillierteres Gesetz verabschiedet w i r d 4 0 1 . V o n der Verbesserung der Vollzugspraktikabilität besteht ein fließender Übergang zu punktuellen Effektivierungen v o n Regeln i. S. ergänzender Zweckmäßigkeitsüberlegungen 4 0 2 . (cc) A u c h Regeln zur Mißbrauchsabwehr oder zweckwidrigen Ausnutzung, deren Notwendigkeiten offenbar zunächst übersehen worden waren, werden mitunter erst i n den Ausschußberatungen eingefügt 4 0 3 . (dd) Eher selten lassen sich auch Änderungen feststellen, die aufgrund von Sachverständigen&nhömngen nicht nur Klarstellungen 404, sondern inhaltliche 405 Verbesserungen a u f n e h m e n — u n d sei es nur eine Hinausschiebung des Inkrafttretenstermins i m Interesse sachangemessener Verwaltungsvorbereitungen406. (ee) Punktuell können sich doch noch (spät) i m parlamentarischen Stadium Interessen (verbände) m i t spezifischen Anliegen durchsetzen, sofern sie gegen offenbar evidente Sachungerechtigkeiten gerichtet s i n d 4 0 7 oder ihre Interessen m i t plausiblen, gemeinwohlrelevanten Überlegungen parallel v e r l a u f e n 4 0 8 . 401 So beim politisch unumstrittenen WoBindÄndG{E), einem Bundesratsentwurf, der offenbar von den Regierungsexperten kräftig „in die Mangel" genommen worden ist, vgl. BT-Drs. 9/1777, S. 3 ff. Gleiches gilt für das zeitlich parallel beratene, ebenfalls vom Bundesrat initiierte 3. MRBlnÄndG, vgl. BT-Drs. 9/1780, S. 4ff. (AB). 402 S. z. B. betr. § 2 I I Nr. 3 a StVUnfStatG(E[), BT-Drs. 9/2169, S. 5 (AB) betr. Feststellung der Gurtanschnallpflichterfüllung. 403 S. z. B. Art. 2 Nr. 3 a KHGÄndG(E) betr. (Wieder-)Einführung der Quartalsbindung von Krankenscheinen, BT-Drs. 9/976, S. 35 (AB); Art. 1 Nr. 3 b 3. BerlinFÄndG(E) betr. Überpräferenzierung bei bestimmten Halbfabrikaten der Trinkbranntweinherstellung, s. BT-Drs. 9/2182, S. 16 f. (AB). 404 Z.B. Art. 1 § 17 KDVNG (betr. Widerspruchsausschluß), vgl. BT-Drs. 9/2293, S. 9 (AB); Art. 4 Nr. 2 BeschäftFG, vgl. BT-Drs. 9/1507, S. 9 (AB), aber aufgrund des Vermittlungsverfahrens (aus anderen Gründen) nicht Gesetz geworden. 405 S. ζ . B. die Vielzahl äußerst spezieller, nicht schon vom Bundesrat angeregter Modifikationen im Detail bei der Einführung des Krankenversicherungsbeitrages für Rentner durch Art. 2 RAG 1982, für die eine Ausschußanhörung stattgefunden hatte, s. BT-Drs. 9/884, S. 54 und 58 ff. (AB); ausf. w. Bsp. m. Nw. unten Fn. 583 ff. 406 S. z. B. beim § 3 PimpfAufliG (aufgrund des Votums der Bundesärztekammer), vgl. BT-Drs. 9/1996, S. 3 (AB). 407 S. ζ. B. die Änderung der Nachversteuerungsfreigrenze im MinöBranntwStÄndG 1981 (auf Antrag der Opposition!): Die andere Bezugsmenge berücksichtigt Besonderheiten der Land- und Forstwirtschaft (vgl. BT-Drs. 9/167, S. 5). 408 S. ζ. B. den Erfolg der Kosmetikindustrie gegen eine Erhöhung der Steuersätze für spezielle Alkohole aus beschäftigungs- und umweltpolitischen Gründen im MinöBranntwStÄndG 1981, vgl. BT-Drs. 9/167, S. 6 und 8; keine Erweiterung der Notarversicherungspflicht im 1. BNotOÄndG, vgl. BT-Drs. 9/597, S. 9f.; s. zum „Verbraucherschutz" die Herkunftsbezeichnungen bei Perl- und Schaumweinen in Art. 1 Nr. 18, 26 4. WeinÄndG(E\ BT-Drs. 9/1770, S. 3 (AB); s. a. Fn. 381; s. die den Verwaltungsaufwand mindernde Fassung des § 2 3. VermögensbildungsG i. d. F. von Art. 26 2. HStruktG(E)
4. Parlamentarische Kontrollinstanzen und Verfahrensstationen
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Freilich wird nur selten ausdrücklich betont, daß ihre Anregungen und Bedenken im Ausschuß erörtert werden 409 . Doch offenbar nicht nur dann: Die Korrektur kann erstaunlicherweise sogar so weit gehen, daß europarechtswidrige Regelungen verabschiedet werden und die Bundesregierung zu Aktivitäten in Richtung auf eine Änderung des EG-Rechts aufgefordert wird 4 1 0 . In solchen Fällen scheint es eine fraktionsübergreifende Interessengemeinsamkeit der Fachpolitiker im Ausschuß zugunsten bestimmter Interessen zu geben 411 . Ausnahmsweise kann es aber auch einmal zur völligen „Umkehr" kommen. So lehnte der federführende (!) Verkehrsausschuß einstimmig die in der Regierungsvorlage des 3. GüKÄndG vorgesehene und vom (mitberatenden) Wirtschaftsausschuß stark favorisierte Reform des Tarifbildungswesens erfolgreich ab (mit der Folge einer wesentlichen Umgestaltung des Gesetzentwurfs): Statt der absehbaren Folgewirkung eines wettbewerbsbedingten niedrigeren Preisniveaus im Güterfernverkehr zugunsten der verladenden Wirtschaft entschied er sich im Interesse des Verkehrsgewerbes für den status quo 4 1 2 . (ff) Schon die Ausschußänderungen spiegeln oft Konfliktlinien zwischen Bund und Ländern und suchen den Länderinteressen frühzeitig (und ebenfalls punktuell) gerecht zu werden 413 ; sie laufen meist mit den durch den Bundesrat initiierten Änderungen parallel und werden gesondert untersucht 414 . (gg) Überhaupt „glätten" Ausschußberatungen, indem sie „Mißverständnisse" ausräumen 415 , „der technischen Abrundung" bei Unvollständigkeiten dienen 416 , auch wenn damit inhaltliche Änderungen oder Ergänzungen verbunaufgrund einer Eingabe des Bundesverbandes Deutscher Investmentgesellschaften e. V , vgl. BT-Drs. 9/971, S. 89 (AB). 409
So BT-Drs. 9/2221, S. 26 (AB) betr. 1. AMÄndG. S. die generelle (statt nach Gemeinschaftsverordnung nur witterungsabhängige) Anreicherungshöchstgrenze für bestimmte Weinbaugebiete in Art. 1 Nr. 7 4. WeinÄndG(E), s. BT-Drs. 9/1761, S. 8, und BT-Drs. 9/1770, S. 2 (AB). 411 S. a. die (wesentlichen) Änderungen hinsichtlich der Übertragung von TaxiGenehmigungen bzw. -betrieben im § 2 I I I PBefG i. d. F. von 5. PBefÄndG, BT-Drs. 9/2266, S. 6 (AB) „hinter" dem Argument der Zweckmäßigkeit der Formulierung; der Gesetzgeber hat hier das verfassungsrechtlich aufgegebene und (wohl nur) anfanglich vom Taxigewerbe selber gewünschte Ziel einer Erschwerung des Konzessionshandels „zweifellos aufgegeben", s. H. Bidinger, D A R 1983, 369 (370 mit Fn. 29); vgl. dazu auch Kap. IV/Fn. 174. 412 Vgl. BT-Drs. 9/2173, S. lOff. (AB) zum 3. GüKÄndG(E).- S. a. aus der 10. WP die vollständige „Umkrempelung" des Bilanzrichtlinie-Gesetzentwurfs im Interesse der gewerblichen, namentlich mittelständischen Wirtschaft, s. J. Hahn, Z G 1 (1986), 66 (69, 71, 73 u. ö.). 413 S. ζ. B. BT-Drs. 9/2262, S. 3, betr. höhere Gebühren (zugunsten der Länder) für die Ausstellung der Personalausweise; zum BtMNG s.a. in und bei Fn. 541. 414 S. u. bei Fn. 495 ff. 415 So (betr. Art. 1 §§ 2, 5, 6, 7,17,18; Art. 2 Nr. 1; Art. 3 Nr. 2, 5a KDVNG) BT-Drs. 9/2333, S. 2. 416 So betr. § 3 I InvHG = Art. 8 HBeglG 1983(E), BT-Drs. 9/2290, S. 10 (AB). 410
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IX. Bundesgesetzgebung als Verhandlungs- und Entscheidungsprozeß
den sind 4 1 7 . Vermeidbare und vom Regierungsentwurf nicht intendierte Mißbrauchsmöglichkeiten oder Unzweckmäßigkeiten werden hier korrigiert 4 1 8 , unter den Parteien umstrittene Detailfragen über die Bedeutung bestimmter Gesichtspunkte klargestellt 419 , (Strafbarkeits-)Lücken beseitigt 420 u. a. (hh) Eng damit verbunden ist die Beseitigung von zwischenzeitlich erkannten 421 Verfassungswidrigkeiten oder (zunächst im Entwurf unerkannt gebliebenen) Verstößen gegen internationale Abkommen 4 2 2 . (ii) Als eher rare Besonderheiten seien erwähnt: im Ausschuß einstimmige Sozialleistungskürzungen, über den Vorschlag des Regierungsentwurfs hinaus 4 2 3 , Änderungen der Vorlage, die das Gesetz „nunmehr" zustimmungsbedürftig machten 424 und eine völlige Neu- bzw. Umgestaltung des Gesetzes425. (jj) Neben den vorgenannten „regulären" Veränderungen lassen sich unter den spezifischen Bedingungen der 9. WP mit ihrem Regierungs- und Mehrheitswechsel 1982 eine Reihe von untypischen gesetzlichen Veränderungen feststellen, die einzig aus der geänderten Regierungspolitik herrühren und insoweit keine „typische" Erscheinungsform darstellen. Dazu gehört ζ. B. die Verkürzung des Hinausschiebens der Beamtenbesoldungserhöhung auf 2 (statt zuvor 3) Monate im BBVAnpG 82426. (2) Materiell unveränderte Gesetze Bemerkenswert sind auch jene Gesetze, die im Ausschuß inhaltlich (materiell) überhaupt nicht (oder allenfalls sprachlich-redaktionell) geändert worden sind. 417
Ζ. B. (betr. Art. 2 Nr. 1 KDVNG) kein Zivildienst im Bereich des Zivilschutzes; neuer Fristbeginn für Antragsteller (Art. 1 § 2); Entscheidungen nach Aktenlage (Art. 1 § 7 und 18); Anrechnung von Zivildienst bei (neuer) Wehrdienstzeit (Art. 3 Nr. 2 a KDVNG), vgl. dazu BT-Drs. 9/2293 und BT-Drs. 9/2333. 418 S. ζ. B. zu Art. 1 Nr. 15 7. BAföGÄndG: BT-Drs. 9/603, S. 32 (betr. § 21 I S. 3 und 4 BAföG); Art. 1 Nr. 6 HBeglG 1983(E) , BT-Drs. 9/2290, S. 9 (Vermeidung doppelten Schuldzinsenabzugs). 419 S. ζ. B. zu Art. 2 Nr. 1 c 20. StrÄndG: BT-Drs. 9/450, S. 5 und 9 (AB) betr. § 454 I 5 StPO. 420 421 422
S. ζ. B. zu Art. 5 Nr. 1 a BillBG(E) BT-Drs. 9/975, S. 27 (AB). S. ausf. Nw. unten Kap. XI/5 bei Fn. 615 ff. So beim 2. BApOÄndG, s. BT-Drs. 9/564, S. 4 (EB) i. V. m. BT-Drs. 9/1765, S. 3
(AB). 423
S. die zusätzliche strukturelle Kürzung der Ausländerrenten (!) im Rahmen der vom BVerfG erzwungenen Reform des Auslandsrentenrechts im RAG 1982: BT-Drs. 9/884, S. 56 und 58 (AB); s. a. BT-Drs. 9/966, S. 77 betr. die Lernmittelerstattung bei der Berufsausbildungsbeihilfe betr. Art. 1 § 1 Nr. 7 b AFKG(E). 424 S. aufgrund der Erweiterung der Zusammenarbeitsvorschriften betr. das BillBG: BT-Drs. 9/975, S. 24 (AB). 425 S. betr. das AsylVfG: BT-Drs. 9/1630, S. 13 ff. (AB). 426 S. BT-Drs. 9/2193, S. 3 (AB).
4. Parlamentarische Kontrollinstanzen und Verfahrensstationen
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(aa) Dabei handelt sich einmal u m solche (sensiblen u n d politisch umstrittenen) Gesetze, an denen die Regierungsmehrheit gerade u n d nur i n dieser F o r m ein zentrales Interesse hatte, ohne sich — aus welchen Gründen i m Detail auch immer — auf Änderungen oder Kompromisse einzulassen oder aufgrund der Rechtslage einlassen zu m ü s s e n 4 2 7 . Die hohe „Streitwertigkeit" w i r d teilweise durch namentliche A b s t i m m u n g e n oder durch die A n r u f u n g des Vermittlungsausschusses 428 i n diesen Fällen bestätigt. (bb) Beim anderen, stärker verbreiteten Typ geht es u m „technokratische", ganz v o n der Sache her gesteuerte, i n aller Regel politisch unumstrittene ( u n d deshalb auch durchweg nahezu einstimmig verabschiedete) Gesetze 4 2 9 . Typologisch gehören d a z u 4 3 0 v o r allem die (Selbst-)Korrekturgesetze, also etwa die Klarstellungsgesetze 4 3 1 , Schnellkorrekturgesetze 4 3 2 u n d die meisten jener Gesetze, die bestimmte Leistungsregeln periodisch an die Finanz- u n d Wirtschaftsentw i c k l u n g anpassen 4 3 3 , sowie die meisten Aufhebungsgesetze 4 3 4 u n d ein Teil der (Selbst-)Organisationsgesetze des Staates 4 3 5 . N i c h t zufallig fehlt es hier i n der Regel auch schon an Stellungnahmen des Bundesrates. Der insoweit einzige 427 S. MontanMitbestÄndG, vgl. BT-Drs. 9/306, S. 3 (AB); 19. StrÄndG, vgl. BT-Drs. 9/135, S. 2 (AB); 2. MinöStÄndG, vgl. BT-Drs. 9/955, S. 3 (AB); s. auch das politisch hochumstrittene, „im wesentlichen unverändert" verabschiedete MErhAngG, vgl. BT-Drs. 9/2248, S. 1 und 3. 428 So beim 19. StrÄndG; 2. MinöStÄndG; namentliche Abstimmungen gab es beim MontanMitbestÄndG, MErhAngG. 429 S. etwa AGZVVfG-N, vgl. BT-Drs. 9/278, S. 3ff. (AB); AGVwZG, vgl. BT-Drs. 9/299, S. 2; 6. AFGÄndG, vgl. BT-Drs. 9/517, S. 3 und 4 (AB); 3. AufenthÄndG-EWG, vgl. BT-Drs. 9/588, S. 2 (AB); FischAufhG, BT-Drs. 9/430, S. 2 (AB); 4. LwRentenbÄndG, BTDrs. 9/892, S. 3 (AB); 10. WSÄndG, vgl. BT-Drs. 9/1042, S. 3 (AB); 6. BWÄndG, vgl. BTDrs. 9/2065, S. 2 (AB); 1. BeitrÄndG-EG, vgl. BT-Drs. 9/594, S. 2 (AB); ZündwMonAufhG, vgl. BT-Drs. 9/1789, S. 2 (AB); 3. VwGOÄndG, BT-Drs. 9/2107, S. 4 (AB); 3. BerlinFÄndG, BT-Drs. 9/2182, S. 1 (AB); mit Einschränkungen das 14. VAÄndG, s. BTDrs. 9/2222, S. 18 (AB); aber auch das (nur mit Mehrheit verabschiedete) (3.) PersAÄndG, vgl. BT-Drs. 9/587, S. 2 (AB). 430 S. aber auch das „symbolische" Min AGG, vgl. BT-Drs. 9/2176, S. 2 (AB); das 4. ZuckStÄndG, vgl. BT-Drs. 9/2252, S. 2 (AB). 431 S. ζ. Β. 6. AFGÄndG, BT-Drs. 9/517; 3. AufenthÄndG-EWG, BT-Drs. 9/428. 432 S. LStPauschG, BT-Drs. 9/1671 bzw. 2057. 433 S. etwa 11. AnpG-KOV, dessen vom Ausschuß geänderte Ziffern lediglich Konsequenzen aus dem vom Statistischen Bundesamt zwischenzeitlich ermittelten endgültigen Anpassungssatz von 5,76 % zog, während der Regierungsentwurf zunächst eine vorläufige voraussichtliche Steigerungsrate von 5,8 % zugrundegelegt hatte, vgl. BT-Drs. 9/868, 5. 15 (AB); ferner: BBVAnpG 81, BT-Drs. 9/815, S. 21 (AB), dessen inhaltliche Ergänzung nicht den Gesetzesinhalt betraf; 4. LwRentenbÄndG, BT-Drs. 9/892; 10. WSÄndG, BTDrs. 9/1042; 3. StiftHKÄndG, BT-Drs. 9/2038. 434 ZündwMonAufhG, BT-Drs. 9/1789, S. 2 (AB); FischAufhG, BT-Drs. 9/430, S. 2 (AB); s. a. (3.) PersAÄndG, BT-Drs. 9/587, S. 2 (AB). 435 S. BesRÄndG, BT-Drs. 9/2223, S. 3 (AB) mit sprachlich-redaktioneller Änderung (s. a. S. 1: „im politisch-parlamentarischen Raum nicht mehr streitig"); 6. BWahlÄndG, BT-Drs. 9/2065, S. 2 (AB); StVÄndG, BT-Drs. 9/2264, S. 2 (AB).
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politisch umstrittene Fall gründet in einem sehr merkwürdigen, interfraktionell kritisierten Verfahren 436 . (3) Besonderheiten der Haushaltsgesetzgebung zwischen legislatorischer Routine und politischem Konflikt Die acht Haushaltsgesetze der 9. WP stellen nicht nur wegen ihrer „formell"gesetzlichen Eigenarten eine deutlich abgehobene Sonderform der Gesetzgebung dar 4 3 7 . Ihre Rechtsregeln werden im Jahresrhythmus weitgehend unverändert erneuert und schreiben das Haushaltsrecht in bewährter, wenig spektakulärer legislatorischer Routine fort. Das gilt nicht nur für die im Ausschuß einmütig verabschiedeten drei fast gleichlautenden, allenfalls marginal ergänzten ERPWirtschaftsplangesetze 438. Auch die meist geringfügigen Änderungen der Haushaltsgese/zentwürfe durch die Ausschußberatungen erfolgen in Distanz zum politischen Streit: Der Entwurf des HG 1983 durch die neue Bundesregierung nach dem Regierungswechsel 1982 unterscheidet sich nur in drei Absätzen vom Entwurf der alten Regierung 439 . Darin spiegelt sich, daß die Haushaltsgesetzgebung insoweit kein Gesetzgebungsproblem ist. Das folgt schon aus dem Bepackungsverbot (Art. 110 IV G G ) 4 4 0 : Die gesetzlichen Regeln in Haushaltsgesetzen sind, anders als die in „Haushaltsbegleitgesetzen" zusammengefaßten materiellen Rechtssätze, nur längst bewährte Formen der „technischen" Umsetzung allein budgetbezogener, ausgabenpolitischer Entscheidungen. Einzelne, eher punktuelle Änderungen der Haushaltsgesetzentwürfe im Ausschuß folgen denn auch besonderen Einsparungsbemühungen 441. Dennoch sind die Ausschußberatungen hinsichtlich der Haushaltsgesetzgebung besonders gründlich 442 ; schon das fraktions436 S. zum (3.) PersAÄndG als einem Sonderfall, dessen politisch umstrittene Verfahrensweise „eigentlich" von allen Fraktionen mißbilligt wurde, BT-Drs. 9/587, S. 2 (AB), betr. die Aufhebung eines Inkraftretenstermins eines Gesetzes! 437 S. zur Bundeshaushaltsgesetzgebung i. e. S. (HG 1981, HG 1982, HG 1983, NHG 1982 und 2. NHG 1982) vgl. bereits Kap. IV/bei Fn. 196ff.; s. zur Distanz von Gesetzesbegriff und Haushaltsgesetzgebung E. Moeser, Beteiligung (Fn. III/72), S. 23 ff.; A. ν. Mutius, VVDStRL 42 (1984), 147 (161 ff.). 438
S. ERP-WiPIG 1981, ERP-WiPIG 1982, ERP-WiPIG 1983. S. BT-Drs. 9/2050 betr. §§ 2 I I I , V, 4 I X HG 1983(E). 440 Vgl. E. Moeser, Beteiligung (Fn. 437), S. 116 ff. 441 S. ζ . B. die (gewiß von der Bundesregierung geforderte weitere wesentliche) Einsparung von 3 000 Planstellen nach Maßgabe des eingefügten § 19 a HG 1981(E), vgl. BT-Drs. 9/514, S. 2 (AB); die Ermöglichung weitergehender Stellenausgleichsmaßnahmen in Art. 1 Nr. 3 und 4 NHG 1982, s. BT-Drs. 9/1965, S. 2 und BT-Drs. 9/1967, S. 3 (AB). 442 Das HG 1981 wurden ausweislich der Ausschußberichte in 15 oft ganztägigen Ausschußsitzungen beraten, das HG 1982 in 10, das HG 1983 in 9 Sitzungen; kein anderes Gesetz der 9. WP ist erkennbar häufiger im Ausschuß beraten worden (ohne Berücksichtigung von Berichterstattersitzungen). Vgl. auch allg. zum verhandlungsdemokratischen Austarieren finanzieller Verfassungsgerechtigkeit i. S. der Richtigkeit des budgetären 439
4. Parlamentarische Kontrollinstanzen und Verfahrensstationen
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übergreifende, gemeinsame Kontrollverständnis des Haushaltsausschusses gegenüber der Regierung 443 stärkt dessen Kontrollkraft. Der politische Streit verlagert sich aber auf die Art und Höhe der verschiedenen Ausgabe-Positionen: (Partei-)Politische Konflikte erscheinen weniger als legislatorisches als ein Problem quantitativer Größen. Durch die Verschiebung von Zahlen (Finanzvolumina) verschieben sich auch Schwerpunkte und Inhalte der Politik, ohne daß es wesentlicher gesetzlicher Änderung bedürfte. So wurde der Entwurf des ERPWiPlG 1982 allein durch die Erhöhung bestimmter Ansätze aufgrund neuer konjunkturpolitischer Absichten der Bundesregierung in einem Maße verändert, daß der Bundesrat in Erkenntnis der Änderungsbedürftigkeit um einen neuen Entwurf bat 4 4 4 . Auch die Detaillierung des Haushaltsplans im Haushaltsausschuß spiegelt die zentralen Fragen der Gesellschaftspolitik — auf das Haushaltsgesetz selber kommt es dabei kaum an: Dieses ist nur ein formeller Rahmen für die zentralen Fragen der Politik in Form von Ausgabenentscheidungen („Regierungsprogramm in Zahlen"). Haushaltsgesetze sind für eine Analyse der Gesetzesinhalte unergiebig, nicht für die zentrale, hier aber (unter legislatorischen Gesichtspunkten vernachlässigbare) Frage nach der ausgabenpolitischen Gestaltungsmacht des Haushaltsausschusses (für oder gegen die RegierungsVorschläge). Prima facie scheint der Haushaltsausschuß in seinem Kernbereich eine im Rahmen seiner Gestaltungsmöglichkeiten hohe Kontrolleistung zu erbringen 4 4 5 . Gerade weil der Aspekt legislatorischer Kontrolle bei der Haushaltsgesetzgebung zurücktritt, hat die Praxis eine Reihe ergänzender, nicht-gesetzlicher Kontrolltechniken entwickelt 446 .
Willensbildungsprozesses: H. H. v. Arnim, W D S t R L 42 (1984), 302 f. — Diskussion; zust. G. F. Schuppert, ebd., S. 319. 443 Vgl. R. Sturm, PVS 26 (1985), 247ff.; s. a. E. Moeser, Beteiligung (Fn. 437), S. 127; zur Dominanz des HaushaltsA auch W. Graf Vitzthum, Parlament (Fn. 221), S. 322ff.; A. v. Mutius, W D S t R L 42 (1984), 181.- Vgl. auch die „interfraktionelle Kommission" betr. Einsparungen bei Forschungsvorhaben, erwähnt in BT-Drs. 9/514, S. 2 (AB) zu HG 1981(E). S. zur Entsprechung auf Länderebene: J. Welz, Parlamentarische Finanzkontrolle in den Bundesländern, 1982, bes. S. 109ff., 114ff. 444 S. BT-Drs. 9/1576, S. 37; die Bundesregierung folgte dem aus Zweckmäßigkeitsund Zeitgründen nicht, s. ebd. S. 38 f.; zu den Veränderungen s. BT-Drs. 9/1752, S. 3 ff. und BT-Drs. 9/1773, S. 2 (AB). 445
Vgl. ausf. mit empirischen Nachweisen E. Moeser, Beteiligung (Fn. 437), S. 126, 129 ff.; dabei muß offen bleiben, in welchem Umfang die „autonomen" Ausschußänderungen in Wahrheit auf Regierungsinitiativen zurückgehen, s. a. Moeser, ebd., S. 134, 150, zsfssd. S. 148; vgl. für die Länderebene J. Welz, Finanzkontrolle (Fn. 443), S. 115ff., 118 ff. 446 Vgl. E. Moeser, a. a. O., S. 140ff., zu ihrer Zulässigkeit S. 151 ff. 21
Schulze-Fielitz
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IX. Bundesgesetzgebung als Verhandlungs- und Entscheidungsprozeß
(4) Beobachtungen bei (partiell) fehlgeschlagenen Änderungsversuchen: Zur Dynamik der Ausschußberatungen Die bloße Änderung oder Nichtänderung von Gesetzesvorlagen gibt nicht angemessen die (mögliche) Dynamik in den Ausschußberatungen wieder. Hinter beiden Formen eines Beratungsergebnisses kann sich ein (mehr oder weniger) intensiver inhaltlicher Beratungsprozeß verbergen, oder es wird ein Deliberationsprozeß nicht erkennbar. Gerade bei parteipolitisch unumstrittenen Gesetzen oder Gesetzesteilen können auch hinter unveränderten Gesetzesvorschlägen lange und ernsthafte Diskussionen zu einer vertieften, materiell legitimierenden Ausschußdiskussion führen 447 . Für das materiell unveränderte 14. VAÄndG etwa ist eine ausführliche und intensive inhaltliche Diskussion im Ausschuß erkennbar, angeregt von der Anhörung, auch über zukünftige Verbraucherschutzregeln 448. So kann sich hinter einem abgelehnten Oppositionsantrag durchaus eine intensive, ernsthafte Beratung verbergen. Die Anträge der CDU/CSU-Fraktion ζ. B. zum 7. BAföGÄndG, den erhöhten Bedarfssatz für nicht mehr im Elternhaus wohnende Studierende nicht zu gewähren, wenn das Elternhaus in zumutbarer Entfernung erreichbar sei (keine „Selbstverwirklichung auf Staatskosten") und die mögliche Bereitstellung von Wohnraum der Eltern entsprechend zu verrechnen 449 , wurden erst abgelehnt, nachdem die Bundesregierung die Frage nach Lösungsmöglichkeiten für dieses Problem mit Hinweisen auf die komplizierende Vielfalt von Ausnahmenotwendigkeiten und den Verwaltungsaufwand negativ beantwortet hatte; freilich sind hier auch ideologische Tiefendimensionen hinsichtlich der Wünschbarkeit „der notwendigen Verselbständigung der jungen Menschen nach dem Ende der schulischen Ausbildungsphase" und damit korrespondierende Familienideale angesprochen.- In anderen Fällen wurde die Einbeziehung des (abgelehnten) Oppositions-Antrages in die nächsten anstehenden Gesetzesberatungen beschlossen450 oder dilatorisch mit der für eine erneute Prüfung offenen Argumentation abgelehnt, aus Zeitgründen habe keine Gelegenheit bestanden, die Streitfrage eingehend zu diskutieren 451 .
447
S. ζ. B. BT-Drs. 9/598, S. 3 f. (AB) betr. Refinanzierung von privaten Kapitalbeteiligungsgesellschaften nach dem ERP-WiPIG 1981; BT-Drs. 9/2137, S. 25 (AB) betr. § 21 IRGÇE) zur Frage der Einschaltung eines Staatsanwalts beim OLG (gescheitert an organisatorischen Bedenken der Bundesländer); BT-Drs. 9/977, S. 22 (AB) betr. Art. 1 Nr. KVEG(E) zum Problem der Wirtschaftlichkeitsprüfung bei kassenzahnärztlichen Leistungen. 448 Vgl. BT-Drs. 9/2222, S. 28 ff. (AB); die europaorientierte Rechtsbereinigung und Fortentwicklung des Versicherungsaufsichtsrechts selber spielte nur eine untergeordnete Rolle (S. 30). 449 Vgl. BT-Drs. 9/603, S. 20 f. 450 S. z.B. BT-Drs. 9/815, S. 21 (AB) betr. Einfrieren von Amtsbezügen im BBVAnpG 81; die Bundesregierung ist dem durch einen Beschluß über eine einjährige „Gehaltspause" gefolgt, s. BT-Drs. 9/1912, S. 20 (betr. BBVAnpG 82).
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Ebenso bemerkenswert wie konsequent ist auch, daß Änderungsversuche der Verbände i. w. S. in diesem parlamentarischen Verfahrensstadium nur noch sehr begrenzt erfolgreich sind, wenn sie nicht zuvor im vorparlamentarischen Verfahren die Bundesregierung haben überzeugen können. Die Erfolglosigkeit ist „programmiert", wenn nur die Oppositionsfraktion im Ausschuß und sogar im Plenum ein bestimmtes Anliegen verfolgt 452 . Aber auch dann, wenn ihre Anliegen bei einem sehr spezifischen Gesetz ausdrücklich noch im Ausschuß beraten werden und ζ. T. Erfolg haben, läßt sich doch andererseits beobachten, daß solches oft unter genauer Abwägung geschieht: Einmütigkeit im Ausschuß kann insoweit Indiz für eine nicht allein an Verbandsinteressen orientierte Gesetzesberatung sein 453 . So konnten ζ. B. auch die beiden Großkirchen beim VZG1983 den von ihnen gewünschten Melderegisterabgleich betr. die Religionszugehörigkeit nach intensiver Beratung im Innenausschuß nicht durchsetzen, der sich insoweit im Einklang mit Bundesregierung und Bundesrat befand 454 ; allerdings wurde diese Möglichkeit, obwohl ein Novum in der Volkszählungsgesetzgebung, durch entsprechende Streichung der tatbestandlichen Einschränkungen im Vermittlungsverfahren doch noch Gesetz (vgl. § 9 I VZG 1983). —Auch die kommunalen Spitzenverbände konnten sich im Innenausschuß mit ihren Forderungen nach einem optimalen Informationsanschluß an die Ergebnisse der Volkszählung (mit Streichung des Satzungserfordernisses nach § 9 I I I VZG 1983(E)) nur vorübergehend durchsetzen 455 . Insgesamt belegen auch die erfolglosen Änderungsversuche, daß der Ausschuß (jedenfalls seine Experten) dann weiß, was er tut: Die Ausschußmehrheit akklamiert nicht bloß den Vorschlägen der Bundesregierung oder den Verbandsinteressen. cc) Das Verhältnis der beteiligten Ausschüsse untereinander Ähnlich den inter-ministeriellen Kontroversen innerhalb der Bundesregierungen lassen sich korrespondierende Kontroversen zwischen dem federführenden und meist mehreren weiteren (mit-)beratenden Bundestagsausschüssen feststellen 4 5 6 . Sie werden abschließend durch den federführenden Ausschuß und i. d. R. 451
So ζ . B. beim Vorstoß der Opposition, Folgerungen aus einer Entscheidung des BVerwG für § 8 K H G i. d. F. von Art. 1 Nr. 9 a KHGÄndG(E) zu ziehen, vgl. BT-Drs. 9/976, S. 31 f. (AB); ebenso ausdrücklich betr. das erweiterte Splitting beim VAHRG(E): BT-Drs. 9/2296, S. 13 (AB). 452 S. ζ. B. den außergewöhnlichen Einsatz der Opposition (zugunsten der Bauwirtschaft) gegen das Verbot der gewerbsmäßigen Arbeitnehmerüberlassung in Art. 1 Nr. 2 AFKG, vgl. BT-Drs. 9/966, S. 76 (AB) und BT-Drs. 9/995 (Plenarantrag). 453 S. als Beispiel das 1. AMÄndG, BT-Drs. 9/2221, S. 26ff. (AB). 454 S. BT-Drs. 9/1068, S. 16 (AB). 455 S. BT-Drs. 9/1068, S. 16 f. (AB). 2
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IX. Bundesgesetzgebung als Verhandlungs- und Entscheidungsprozeß
unter D o m i n a n z seiner Haupt-Perspektive entschieden 4 5 7 . Strukturell gewinnen auf diese Weise solche Interessen ein Übergewicht, für deren Wahrnehmung ein eigenes M i n i s t e r i u m u n d damit ein eigener Ausschuß eingerichtet worden i s t 4 5 8 . (1) D i e schwächste F o r m eines Vorbehalts ist der Ausdruck der „Erwartung" einer bestimmten P r a x i s 4 5 9 . (2) Eine schwache F o r m sind „Prüfungsempfehlungen" des mitberatenden Ausschusses, die in aller Regel nicht zu Meinungsänderungen i m federführenden Ausschuß, zumal gegen die Regierung, f ü h r e n 4 6 0 . Anderes gilt, wenn solche Prüfungsempfehlungen sich a u f wichtige institutionelle „Verbündete" berufen können, ζ. B. die Bundesvereinigung der k o m m u n a l e n Spitzenverbände 4 6 1 oder Verfassungsrechtsexperten i m H e a r i n g 4 6 2 . (3) Eine Vorstufe zu Änderungsempfehlungen (in Ansehung einer antizipierten Aussichtslosigkeit v o n Änderungsempfehlungen) bilden Anregungen zur Verabschiedung einer Bundestagsentschließung, durch die eine Kompensation für bestimmte Nachteile der gesetzlichen Neuregelung politisch (selbst-) verbindlich gemacht werden soll; solche Anregungen sind bis auf A u s n a h m e n 4 6 3 eher e r f o l g l o s 4 6 4 . 456
Das HBeglG 1983 wurde neben dem federführenden HaushaltsA von weiteren 10 Ausschüssen mitberaten, s. BT-Drs. 9/2290, S. 1 (AB). 457
S. a. G. Kretschmer, in: W. Schreckenberger (Hg.), Gesetzgebungslehre, S. 173. Vgl. schon P. Noll, JbRSoz 2 (1972), 524 (531). 459 S. ζ . B. die Erwartung, daß beim 2. AbfÄndG der (im Gesetz ermächtigte) Verordnungsgeber „tatsächlich" nach 5 Jahren erneut überprüft und er den neuesten Stand der Technik berücksichtigt, s. BT-Drs. 9/1222, S. 8 (AB). 460 S. ζ. B. die Prüfungsempfehlungen: des WissenschaftsA an den Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung ( = ArbeitsA) betr. die Möglichkeiten einer Effektivierung bestehender Versorgungseinrichtungen für jetzt schon ältere Künstler, BT-Drs. 9/429, S. 32 (AB); des InnenA an den ArbeitsA betr. Ausnahmeregeln für Asylbegehrende aus Staaten des Warschauer Paktes beim 6. AFGÄndG, BT-Drs. 9/517, S. 4f. (AB), durch dilatorisches Votum; der verschiedenen mitberatenden Ausschüsse an den FinanzA betr. die Wohnungsbau-bedeutsamen Vorschriften im 2. HStruktG, s. BT-Drs. 9/971, S. 84 (AB); des WirtschaftsA an den (federführenden) FinanzA betr. Einzelfragen von Steuererhöhungen beim VerbStÄndG 1982, s. BT-Drs. 9/979, S. 13 (AB); des WirtschaftsA an den InnenA betr. das Ausmaß der Genehmigungsfreistellungen im 2. AbfÄndG, s. BT-Drs. 9/1222, S. 8 und 10 f. (AB); des InnenA an Verkehrs A betr. befristete Amtsverhältnisse im 3. BbÄndG, BT-Drs. 9/1033, S. 3 (AB). 458
461 Vgl. zum 2. AbfÄndG BT-Drs. 9/1222, S. 11 (AB); allg. zur Sonderrolle der kommunalen Spitzenverbände s. H. J. Schröder, Verbände (Fn. 57), S. 116ff. 462 S. die Empfehlungen des WissenschaftsA zur Spartentrennung bei der Künstlersozialabgabe, BT-Drs. 9/429, S. 32, 34 und 35 (AB). 463 S. ζ. B. zum 7. BAföGÄndG die Übernahme einer Entschließungsempfehlung des HaushaltsA, BT-Drs. 9/603, S. 23 (AB); zum KVEG die Übernahme einer Empfehlung des GesundheitsA, BT-Drs. 9/977, S. 18 (AB). 464 S. ζ. B. die Ausgleichsforderungen für die Landwirtschaft aufgrund der Steuererhöhungen des MinöBranntwStÄndG 1981 durch den Land WirtschaftsA, s. BT-Drs. 9/167, S. 2; die Forderung nach stärkerer Investitionsförderung des ÖPNV durch Verkehrs- und
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(4) Eine andere, zentrale F o r m sind Änderungs- bzw. Ergänzungsempfehlungen an den federführenden Ausschuß. Sie sind nur teilweise erfolgreich, tendenziell vor allem dann nicht, wenn die mitberatenden Ausschüsse zu enge „egoistische" Einzel-Interessen verfolgen, sei es zugunsten „ihres" Minister i u m s 4 6 5 , sei es — wenn auch nur scheinbar 4 * 6 — zugunsten der v o n ihnen vertretenen Interessenten- bzw. W ä h l e r - K l i e n t e l 4 6 7 . Das gilt zumal dann, wenn unter U m g e h u n g eines selbständigen Gesetzesverfahrens i m „Verborgenen" neu genannte Gesetze geändert werden sollen, die m i t dem eigentlichen Anliegen des Gesetzes wenig zu t u n h a b e n 4 6 8 . Weiterhin werden sie eher abgelehnt 469, u n d sei es auch nur (durch einen dilatorischen K o m p r o m i ß ) auf Zeit i n E r w a r t u n g späterer Berücksichtigung 4 7 0 , als daß sie modifiziert (abgeschwächt) angenommen w ü r d e n 4 7 1 , wenn sie InnenA bei Art. 2 - 4 SubvAbG, s. BT-Drs. 9/378, S. 25; nach einer Berichtspflicht der Bundesregierung über eine Ausnahmepraxis bei alkoholbrennrechtlichen Beschränkungen betr. Art. 14 SubvAbG, s. BT-Drs. 9/378, S. 30 betr. Art. 13 SubvAbG(E); ferner BTDrs. 9/2221, S. 25 und 30 (AB) betr. 1. AMÄndG. 465 S. BT-Drs. 9/1222, S. 8 und 12 (zusätzliche Einvernehmenspflicht für B M W i „nicht erforderlich"). 466 S. zur abgelehnten, aber vom Plenum „in letzter Minute" doch noch erfüllten Forderung des InnenA nach einer Anrechnungskorrektur betr. das RAG 1982 s. Fn. 657. 461 S.z.B. die Forderungen des (landwirtschafts-interessenpolitisch stets recht aktiven) LandwirtschaftsA, s. ζ. B. BT-Drs. 9/167, S. 2, und BT-Drs. 9/164, S. 3, nach Einkommensentlastungen für die Landwirte (betr. MinöBranntwStÄndG 1981); nach Einbeziehung der Wanderimker in die Gasölverbilligung nach Art. 1 SubvAbG, BT-Drs. 9/378, S. 25 und 27; nach Beibehaltung der Zuschüsse für den Absatzfonds zur Verwertung landwirtschaftlicher Erzeugnisse entgegen Art. 15, 16 SubvAbG, BT-Drs. 9/378, S. 29 (AB) betr. Art. 14,15 SubvAbG(E); nach einem Haftungsausschluß speziell für Landwirte (als einziger Berufsgruppe!) im 2. AbfÄndG, BT-Drs. 9/1222, S. 8 und 12; nach Ausnahmen im GrEStG 1983(E), BT-Drs. 9/2114, S. 4; s. a. die Forderung des InnenA nach einem Beitragszuschuß für Empfanger beamtenrechtlicher Versorgungsbezüge, s. BT-Drs. 9/884, S. 53 f. (AB) im Zusammenhang mit der Einführung des Krankenversicherungsbeitrages für Rentner im RAG 1982(E); des ArbeitsA betr. Ausnahmen für Kriegsbeschädigte im GrEStG 1983(E), s. BT-Drs. 9/2114, S. 4f.; s. aber zu Erfolgen auch Fn. 471 betr. SubvAbG, 4. WeinÄndG. 468 S. das vom federführenden Haushalts A abgelehnte Votum des Finanz A für Ausnahmen von der Einschränkung der Verlustabzugsmöglichkeiten für im westlichen Ausland hergestellte Waffenprodukte im HBeglG 1983, BT-Drs. 9/2290, S. 31 (AB). 469 S. ζ. B. das Votum des PostA gegen die Erhöhung der Postabliefung nach Art. 17 SubvAbG ( = Art. 16 SubvAbG(E), BT-Drs. 9/378, S. 25 und 29); Bedenken des InnenA gegen die Stärkung der Bundesbahn bei Planungen in eigener Sache im 3. BbÄndG zugunsten einer Alternative des Bundesrates, BT-Drs. 9/1033, S. 3 (AB). 470 S. ζ. B. betr. die rechtsförmliche Neufassung von § 8 SGB/IV als neuer Art. 9 a des BeschäftFG(E): BT-Drs. 9/1507, S. 6 (abgelehnte Forderung des ArbeitsA). 471 So aber ζ . B. als (Teil-)Erfolge: die differenzierte Entschärfung der Regelung bei außerhalb des Brennrechts hergestelltem Alkohol zugunsten einer eng zu haltenden Ausnahmeermächtigung gem. § 72 b I I I BranntwMonG ( = Art. 14 Nr. 7 SubvAbG), s. dazu BT-Drs. 9/378, S. 17, 25, 29 und 30, betr. Art. 13 Nr. 7 SubvAbG(E); die Auflockerung der Grenzen für ein förderungsfahiges Zweitstudium gem. § 7 I I BAföG ( =
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IX. Bundesgesetzgebung als Verhandlungs- und Entscheidungsprozeß
spezifische, fachpolitische Teilinteressen gegen die vom Gesetz intendierte und dem federführenden Ausschuß anvertraute übergreifende Perspektive geltend machen 472 . So erklärt sich wohl nicht nur aus Gründen politischer Beschleunigung, daß die Ausschußberatungen mitunter überstürzt abgeschlossen werden können, ohne daß ein „verspätet" eingegangener Änderungsvorschlag des mitberatenden Ausschusses beraten w i r d 4 7 3 . Eine solche Praxis läßt sich sonst gelegentlich nur bei den Routine-Stellungnahmen des Haushaltsauschusses nach § 96 GO-BT beobachten 474 . Auch Kompromißvorschläge eines mitberatenden Ausschusses im Vorgriff, die den eigenen Widerstand von vornherein abschwächen, sind Indiz für die strukturell schwächere Position als (nur) mitberatender Ausschuß und den Verhandlungscharakter des Gesetzgebungsprozesses auch bei der Vermittlung unterschiedlicher Ausschuß-Perspektiven, die sich dann (wie beim Erhebungsumfang des VZG 1983) in Kompromissen spiegeln können 4 7 5 . Die Änderungsvorschläge mitberatender Ausschüsse werden dann übernommen, wenn sie bei übereinstimmender Bejahung des Normzieles einfachere oder sonst formal bessere Lösungen als die vorgeschlagenen anbieten können 4 7 6 . Deshalb werden rechtliche Verbesserungsempfehlungen speziell des Rechtsausschusses eher positiv aufgenommen 477 , aber auch Verbesserungsvorschläge betr. Rechtsförmlichkeiten 478 und textliche Vereinfachungs- bzw. ganz neue Verbesserungsvorschläge anderer Ausschüsse 479. Art. 1 Nr. 3 7. BAföGÄndG), s. dazu BT-Drs. 9/603, S. 15 und 18 ff. (AB); die Ausnahmen von der Destillationspflicht von Trauben nicht genehmigter Rebanlagen bei Eigenverbrauch des Weinbauern in Art. 1 Nr. 2 Abs. Oal 4. WeinÄndG(E), s. BT-Drs. 9/1770, S. 2 (AB); s. ebd. S. 2 ff. die vom LandwirtschaftsA erfolgreich initiierte Wahrung der Weinbauern-Interessen betr. Art. 1 Nr. I I a , 12 c u. ö. 4. WeinÄndG(E). 472 S. ζ . B. die breit diskutierte Forderung des StädtebauA an den federführenden FinanzA, entgegen Art. 6 SubvAbG die Bindungsfrist für die Bausparprämie nicht zu verlängern (BT-Drs. 9/378, S. 25 und 28). 473 474 475
S. betr. KDVNG: BT-Drs. 9/2333, S. 2 (AB). S. ζ. B. BT-Drs. 9/2269, S. 6 (AB) betr. LwSiedlÄndG(E). S. ζ. B. die Stellungnahme des StädtebauA zum VZG 1983(E) , BT-Drs. 9/1068, S. 11
(AB). 476
S. etwa den Vorschlag des StädtebauA, statt einer Gesetzesänderung sich mit einem Verwaltungserlaß (zu§ 6 I I I WoGG) zu begnügen, s. dazu betr. Art. 17 Nr. 1 SubvAbG(E) BT-Drs. 9/378, S. 18, 25, 33 (AB). 477 S. BT-Drs. 9/975, S. 20, 25 und 27 (AB) betr. Wegfall einer praxisfernen Bußgeldandrohung bzw. eine klarere Straftatbestandsfassung und Heraufsetzung des Strafrahmens in Art. 1 Nr. 2 bzw. 5 Nr. 1 BillBG(E); zu Sprachverbesserungen ebd. S. 28; BT-Drs. 9/2333, S. 4 (AB) betr. eine (verfassungsnähere) Verdeutlichung der Modalitäten der Gewissensprüfung gemäß Art. 1 § 5 KDVNG. 478 S. ζ. B. die Rechtsförmlichkeitsvorschläge des ArbeitsA betr. Art. 9 BeschäftFG(E), BT-Drs. 9/1507, S. 10 (AB) i. V. m. BT-Drs. 9/1500, S. 13ff.; die redaktionelle Klarstellung des GesundheitsA betr. Art. 1 Nr. 5 KVEG(E), BT-Drs. 9/977, S. 22 und 18 (AB). 479 S. z.B. Art. 17 Nr. 2 SubvAbG( E) betr. eine vom StädtebauA vorgeschlagene flexiblere Berücksichtigung sich ändernder Einkommensverhältnisse nach § 11 I I WoGG,
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A u c h sonst sind „einfühlsame" sachliche Ergänzungen der Fachausschüsse fachlich begründeter A r t i. S. des übergeordneten Regelungszieles eines Entwurfs erfolgreich 4 8 0 , möglicherweise besonders bei unter hohem Zeitdruck verabschiedeten Gesetzen 4 8 1 . Z u m a l Haushalts- u n d Finanzausschuß scheinen den Voten des Wirtschaftsausschusses gegenüber aufgeschlossen zu s e i n 4 8 2 . A b e r auch sonst werden sachverständige Voten allenthalben a u f g e n o m m e n 4 8 3 . Eine weitere Erscheinungsform bilden bedeutsame fachliche Einwände der oft i n Einzelfragen sachnäheren mitberatenden Ausschüsse, die der federführende Ausschuß nicht übergehen kann. So spielte ζ . B. das V o t u m des Städtebauausschusses für eine unabdingbar möglichst umfassende Gebäudezählung eine zentrale Rolle bei den Beratungen über den U m f a n g des Erhebungsprogramms beim VZG 1983, auch wenn sich der Städtebauausschuß nicht vollständig durchsetzen k o n n t e 4 8 4 . A b e r auch differenzierende, einzelfallgerechtere L ö sungsvorschläge der Fachausschüsse, i n Abweichung v o n „ z u strengen" oder schematischen Entwürfen, finden positive R e s o n a n z 4 8 5 . I n Zeiten, i n denen s. BT-Drs. 9/378, S. 19, 25, 30, 33 (AB); betr. Art. 3 7. BAföGÄndG die einstimmig übernommene Empfehlung des FinanzA, die Methoden des Auskunftsverlangens den Finanzämtern freizustellen bzw. durch die Möglichkeit gezielter Auskünfte im Einzelfall zu verbessern, vgl. BT-Drs. 9/603, S. 32f. (AB). 480 S. ζ. B. die Übernahme der JugendA-Empfehlung betr. die Erfüllung der Quartalsbindung für Krankenscheine in Art. 2 Nr. 3a KHGÄndG(E), BT-Drs. 9/976, S. 26 und 35 (AB); die ergänzende Änderung der Rechtsstellung der Vorstandsmitglieder im Stabilisierungsfonds für Wein durch Art. 2 a 4. WeinÄndG(E\ s. BT-Drs. 9/1770, S. 4 f. (AB). 481 S. die zahlreichen Ergänzungen im BillBG(E) aufgrund von Empfehlungen mitberatender Ausschüsse, s. die Einfügung eines § 31 a AO (betr. Weitergabe von Erkenntnissen der Finanzbehörden) in Art. 6 b BillBG(E) auf Vorschlag des FinanzA, s. BT-Drs. 9/975, S. 20, 23 und 25 (AB); ebd. S. 14 und 22 ff. die Einbeziehung weiterer Behörden in Art. 4 Nr. 3 BillBG(E), die Regelungen einer datenschutzrechtlich angemessenen Zusammenarbeit der verschiedenen Behörden (Art. 2 - 4,6 a) und Neuregelung des AuslG i. S. einer verschärften Bekämpfung der illegalen Einreise per Luft und See (Art. 5 Nr. 1 a) aufgrund des InnenA; ebd. S. 23,26 f. die Änderung der Strafvorschriften gegen das Schlepperunwesen aufgrund von Innen- und RechtsA; die Erhaltung des § 4 ERPWiPlG 1982 im ERP-WiPIG 1983 entgegen Regierungsentwurf, Bundesbank und BRH aufgrund des Votums des HaushaltsA, s. BT-Drs. 9/2239, S. 4 (AB): „nochmals genau zu prüfen"; zu erfolgreichen Änderungsvorschlägen des StädtebauA zum MErhAngG s. BTDrs. 9/2284, S. 1 (AB). 482
S. ζ. B. der HaushaltsA bei Art. 38 2. HStruktG(E), BT-Drs. 9/971, S. 90 (AB); der FinanzA beim MinöBranntwStÄndG 1981: BT-Drs. 9/167, S. 2 und 6 (keine Steuererhöhung bei Alkohol zu kosmetischen Zwecken). 483 S. ζ. B. die Übernahme zahlreicher Anregungen und Empfehlungen des InnenA durch den RechtsA in: BT-Drs. 9/1630, S. 19ff. betr. §§ 9,10,13,14,17,18,20,22,25 u. a. AsylVfG(E); des LandwirtschaftsA betr. Tierarzneimittelregeln des 1. AMÄndG(E), BTDrs. 9/2221, S. 25 („uneingeschränkt berücksichtigt"). 484 S. dazu BT-Drs. 9/1068, S. 11 und 15 (AB); s. a. das Expertenvotum des StädtebauA für die Detailänderungen im WoGG i. d. F. von Art. 21 2. HStruktG(E), vgl. BT-Drs. 9/971, S. 87 f. (AB). 485
S. den erfolgreichen Vorschlag des InnenA für eine differenzierendere Übergangsregelung bei der Kürzung der Beamten- und Soldatenversorgung in Art. 2 § 2, 3 § 3
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Gesetzgebung stark von Leistungskürzungen des Sozialstaats geprägt wird, erscheint auch der Ausschuß für Arbeit und Soziales solchen Überlegungen gegenüber besonders aufgeschlossen zu sein 486 . (5) Die schärfste (und ebenso seltene wie letztlich erfolglose) Form eines MitBeratungsergebnisses ist ein (nicht zufällig: interfraktionelles) Votum, das für Nichtbefassung oder sonst Ablehnung eines ganzen Gesetzentwurfes plädiert 4 8 7 ; gerade hier wirkt sich die Prädominanz des federführenden Ausschusses nachhaltig aus. (6) Schließlich werden mitberatende Ausschüsse im Benehmen mit dem federführenden Ausschuß (vgl. § 80 I 2 GO-BT) gutachtlich zu bestimmten Einzelfragen tätig 4 8 8 und finden insoweit regelmäßig Gehör mit ihren Voten; gelegentlich wirkt hier der federführenden Ausschuß als Schiedsrichter zwischen zwei konträren Voten anderer Ausschüsse 489. (7) Zwischen den unterschiedlichen Handlungsperspektiven der jeweiligen Ausschüsse gibt es aus der Sache heraus begründete „strukturelle" Gegensätze. Ein Fachausschuß kann ζ. B. aus seinen speziellen sozialpolitischen Interessen heraus in Konflikt mit anderen Ausschüssen auf Feldern geraten, die zu „Domänen" anderer Ausschüsse gehören — im Konfliktfall setzt sich dann eher der fachlich näher zuständige Ausschuß durch 4 9 0 . Hinter solchen Konflikten können sich strukturelle Gegensätze verbergen 491 . Ein solcher kann typischer-
2. HStruktG(E\ s. BT-Drs. 9/971, S. 11, 15, 86 (AB); des LandwirtschaftsA für Einschränkungen des GrEStG 1983ÇE) betr. Flurbereinigungsverfahren, s. BT-Drs. 9/2114, S. 6 (AB). 496 S. etwa die Voten des ArbeitsA gegen eine zu enge Einschränkung der Rehabilitation (u. a.) in § 1236 I RVO i. d. F. von Art. 8 Nr. 4 a 2. HStruktG( E), s. BT-Drs. 9/971, S. 20 und 86 u. a. (AB); für eine weniger strenge „Mißbrauchsabwehrnormierung" beim Mutterschutzgeld in Art. 15 2. HStruktG{ E), s. BT-Drs. 9/971, S. 29 und 87 (AB); ebd. für die härtemildernde Übergangsvorschrift des § 27 h BVG i. d. F. von Art. 16 2. HStruktG( E), s. BT-Drs. 9/971, S. 29 und 87 (AB); für eine Zulassung fördernder Bildungsmaßnahmen für Jugendliche u. U. auch ohne dreimonatige Arbeitslosigkeit BTDrs. 9/1507, S. 6 und 10 betr. Art. 8 § 2 BeschäftFG(E). 487 So der VerteidigungsA (substanziell erfolglos) beim PimpfAufliG, s. BT-Drs. 9/1996, S. 3 (AB). 488 S. ζ . B. den RechtsA bei der Beratung des SubvAbG, BT-Drs. 9/378, S. 20; den LandwirtschaftsA betr. die Nachbarschaftshilfe zum BillBG(E), BT-Drs. 9/975, S. 23 (AB) und betr. das AFKG(E), BT-Drs. 9/966, S. 70 (AB); den WahlprüfungsA betr. das WehrBeauftrÄndG(E), BT-Drs. 9/1367, S. 10 (AB). 489 S. zum Zeugnisverweigerungsrecht des Wehrbeauftragten BT-Drs. 9/1367, S. 11 (AB) die Differenzen zwischen RechtsA und WahlprüfungsA betr. WehrBeauftrÄndG(E). 490 S. die Kontroverse zwischen FinanzA und GesundheitsA betr. § 7 b EStG und seine Berücksichtigung bei der Zahlung von Kindergeld in §11 BKGG, s. Art. 12 Nr. 3 HBeglG 1983(E) und BT-Drs. 9/2290, S. 25 (AB). 491 S. ζ. B. den Streit zwischen WirtschaftsA (soll „unbedingt bei der Regierungsvorlage bleiben") und dem federführenden, sich durchsetzenden VerkehrsA betr. eine (vom
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weise zwischen dem Wirtschaftsausschuß und dem Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit bestehen angesichts einer — nach dem Regierungswechsel 1982 politisch wesentlich abgeschwächten — unterschiedlichen InteressenPerspektive: Sie fand ζ. B. darin Ausdruck, daß im Falle des TiefsBergbG der nur mitberatende Auschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit von einer formellen Beschlußfassung absah 492 . (8) Sehr selten ist eine einmütige Haltung aller (mit-)beratenden Ausschüsse gegen den Regierungsentwurf — nicht zufallig geht es dabei um die parteipolitisch übergreifenden Rechte des gesamten Parlaments 493 . (9) Zur bewährten Routine ist die besondere Praxis nach § 95 12 GO-BT geworden. Danach sind seit 1980 bei den Haushaltsberatungen alle Fachausschüsse auf ihr Verlangen vom Haushaltsausschuß anzuhören; dieser hat deren gutachtliche Stellungnahmen wiederzugeben. Ausweislich der Ausschußbericht e 4 9 4 führen die gutachtlichen Stellungnahmen jedenfalls regelmäßig zu einschlägigen Beratungen auch im Haushaltsausschuß, auch wenn er ihnen (zumal bei ausgabewirksamen Empfehlungen) regelmäßig nur teilweise folgt bzw. folgen kann. dd) Ausschußänderungen zwischen Bundesrat und Bundesregierung Die Beratungen der Ausschüsse führen zwar oft zu Änderungen der Gesetzesvorlage. Doch spiegeln diese nicht notwendig einen gestaltenden Einfluß des Bundestages wider: Ein großer Teil solcher Veränderungen beruht auf konkreten Verbesserungsvorschlägen des Bundesrates in seinen Stellungnahmen nach Art. 76 II 2 GG, und zwar (nur) dann, wenn die Bundesregierung in ihrer Gegenäußerung i. w. S. diese positiv aufgenommen hat, und sei es nur in der Absicht „zu prüfen"; anderenfalls bleiben die Vorschläge des Bundesrates in aller Regel auch in den Ausschußberatungen erfolglos. Nicht selten werden VerkehrsA abgelehnte) Reform des Tarifbildungsprozesses im Güterkraftverkehr im 3. GüKÄndG(E), BT-Drs. 9/2173, S. 11 f. (AB); „hinter" den Ausschußpositionen steht der Interessengegensatz zwischen verladender Wirtschaft und Verkehrsgewerbe, das ein (str.) zu niedriges Verkehrspreisniveau zu fürchten hatte, vgl. ebd. S. 10 f. 492 S. BT-Drs. 9/1176, S. 3. 493 S. betr. den (gescheiterten) Plan der Bundesregierung im 4. WeinÄndG(E), europäisches Wein-Recht zukünftig ohne ein parlamentarisches Verfahren durch RVO in nationales Recht umzusetzen, vgl. BT-Drs. 9/1770, S. 1 (AB); vgl. auch den einvernehmlich zurückgewiesenen Versuch der Bundesregierung, den Wohngeld- und Mietenbericht nur noch alle vier Jahre erstatten zu müssen, s. BT-Drs. 9/2290, S. 28 (AB) betr. Art. 13 Nr. 2 HBeglG 1983(E). 494 Erstmals BT-Drs. 9/514, S. 1, 6 ff. (AB) betr. HG 1981, wo 15 Ausschüsse Gelegenheit für 23 Stellungnahmen (zu je unterschiedlichen Einzelplänen) beanspruchten; die Stellungnahmen sind in der späteren Praxis zusammenfassend referiert worden, s. BTDrs. 9/1257, S. 2 ff. betr. HG 1982; BT-Drs. 9/2298, S. 1 ff. betr. HG 1983; BT-Drs. 9/1967, S. 2 betr. NHG 1982; BT-Drs. 9/2286, S. 1 betr. 2. NHG 1982, wo der einzigen gutachtlichen Empfehlung (des InnenA) gefolgt wurde.
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IX. Bundesgesetzgebung als Verhandlungs- und Entscheidungsprozeß
Regierungsentwürfe überhaupt nur insoweit verändert 495 ; oft machen sie jedenfalls den wesentlichen Teil der Änderungen aus 4 9 6 . Diese Tendenz gilt auch umgekehrt bei Stellungnahmen der Bundesregierung zu Gesetzesinitiativen des Bundesrates 497 . Diese fruchtbare Zusammenarbeit beider Verfassungsorgane bezieht sich vor allem auf punktuelle gesetzgebungstechnisch-rechtsdogmatische Probleme und läßt sich in unterschiedlichen Erscheinungsformen nachweisen. Aber auch die Stellungnahmen zu umfangreichen Kodifikationsgesetzen sind ζ. T. von einer ausführlichen, detaillierten und sachverständigen Durcharbeit des Regierungsentwurfs gekennzeichnet498. Nur ganz selten wird ein Änderungsvorschlag des Bundesrates, dem die Bundesregierung ausdrücklich zugestimmt hat, nicht auch vom federführenden Ausschuß aufgenommen 499 . (1) Einmal geht es um „Prüfungsempfehlungen" (Bitten) des Bundesrates hinsichtlich ungeklärter Fragen, die die Bundesregierung positiv aufgenommen und, zu einem konkreten neuen Vorschlag ausgearbeitet, in die Ausschußberatungen eingebracht hat, etwa zur Abgrenzung gesetzlicher Regelungsbereiche 5 0 0 , oder auch rechtsgutachtlicher Art, ζ . B. über die Tragfähigkeit einer Verordnungsermächtigung 501 ; ferner zur kostensenkenden Vereinfachung 502 , betr. Gebührenerhöhungen zugunsten der Länder 5 0 3 , fakultative Ermächtigun-
495
Ζ. B. 6. AFGÄndG, vgl. BT-Drs. 9/517, S. 3/4 (AB); 1. MOÄndG, vgl. BT-Drs. 9/941, S. 2/3 (AB); von den (bloßen) Terminfortschreibungen abgesehen auch beim 4. PersAÄndG, vgl. BT-Drs. 9/2262, S. 2 (AB); MikroZG, vgl. BT-Drs. 9/2326, S. 2f. (AB). 496 So beim Ver schmelzRiG, BT-Drs. 9/1785, S. 24 (AB), wo dementsprechend auf die Gründe der Bundesratsstellungnahme nur verwiesen zu werden brauchte; ferner etwa BTDrs. 9/2169, S. 5 (AB) betr. StVUnfStatG; BT-Drs. 9/2269, S. 6 (AB) betr. LwSiedlÄndG; BT-Drs. 9/2279 und BT-Drs. 9/2328 betr. WehrRÄndG 1983; BT-Drs. 9/2228, S. 11 f. (AB) betr. 3. SeemÄndG. 497 S. z. B. für das 2. ZerlÄndG: BT-Drs. 9/572, S. 8 und BT-Drs. 9/856, S. 4, 5,7 (AB); für das 2. BApOÄndG: BT-Drs. 9/564, S. 4 (EB) und BT-Drs. 9/1765, S. 3 (AB). 498 S. z. B. die Stellungnahme zum IRG(E), BT-Drs. 9/1338, S. 103 — 111, denen Bundesregierung und Ausschuß vielfach gefolgt sind, vgl. BT-Drs. 9/2137, S. 25 ff. z. B. betr. §§9, 10, 14ff., 48, 61, 65, 68, 71 IRG( E); s. a. zum BtMNG(E), BT-Drs. 8/3551, 5. 39 ff. 499 So geschehen bei Art. 2 Nr. 6 b RAG /952(E), s. BT-Drs. 9/456, S. 51 und 55 (EB) und BT-Drs. 9/884, S. 10 (AB). Die einzige (wesentlichere) Ausnahme im Falle des 1. ZahnHKÄndG, das der Ausschuß mit einer Ausnahme trotz vieler gemeinsamer Änderungsvorstellungen von Bundesregierung und Bundesrat unverändert beließ, läßt sich sachlich nicht, vielleicht aber mit dem Zeitdruck erklären, unter dem der federführende GesundheitsA bei den parallelen Beratungen des KDVNG in jenen Dezembertagen und -wochen stand. 500 Vgl. BT-Drs. 9/667, S. 8, 10 (EB) und BT-Drs. 9/1222, S. 10 (AB) betr. die präzise Abstimmung AbfG/BBergG. 501 S. BT-Drs. 9/667, S. 9 (EB) betr. § 15 AbfG mit der Folge von Ergänzungen der Eingriffsermächtigung, s. BT-Drs. 9/1222, S. 9 und 12. 502 S. BT-Drs. 9/451, S. 14, 15 (EB) betr. VZG 1983 und sein Erhebungsprogramm. 503 S. BT-Drs. 9/1809, S. 7 und 8 (EB) und BT-Drs. 9/2262, S. 2f. betr. 4. PersAÄndG.
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gen zugunsten der Länder, Einschränkungen von Einwirkungsmöglichkeiten auf die Länderverwaltung(sbehörden) 504 , weniger verwaltungsaufwendige Lösungen bei gleichem (Finanz-)Rahmen 505 , Effektivierung von delegierten Rechtssetzungsformen 506 oder (Härte-)Klauseln i. S. von mehr Einzelfallgerechtigkeit 507 . (2) Zweitens geht es um konkrete Verbesserungsvorschläge, besonders um Lückenfüllung bzw. Ergänzung politischer oder gesetzessystematisch nicht eindeutig geklärter Regelungen vor allem i. S. von Klarstellungen 50*, die freilich zugleich die Gesetze i. d. R. ausweiten bzw. „perfektionieren" 509 , oder um Ausweitungen zur Abrundung eines Regelungsbereichs 510. In den Regierungsentwürfen wird mitunter die (Folge-)Änderungsbedürftigkeit in anderen Gesetzen einfach übersehen 511 . Umgekehrt sorgt der Bundesrat auch für die Streichung überflüssiger Regelungen 512 . (3) Der spezifisch juristische Sachverstand der Länderbürokratien wird besonders deutlich in rechtsdogmatisch oder gesetzgebungstechnisch begründeten Verbesserungsvorschlägen, vor allem in Rechtsgebieten, die den juristischen 504 S. zu den Bedenken gegen die Einwirkungsbefugnisse der Krankenkassen betr. Art. 2 Nr. 15 und 13 Nr. 6 RAG 1982(E), BT-Drs. 9/458, S. 51 f. und 56 (EB) sowie BT-Drs. 9/884, S. 59, 60 (AB). 505 S. BT-Drs. 9/2140, S. 130 (EB) und BT-Drs. 9/2290, S. 25f. (AB) betr. Art. 12 HBeglG 1983(E) . 506 S. BT-Drs. 9/570, S. 39 (EB) und BT-Drs. 9/976, S. 36 (AB) betr. Art. 2 Nr. 6 KHGÄndG( E). 507 S. BT-Drs. 9/842, S. 98 (EB) und BT-Drs. 9/971, S. 11 und 86 (AB) betr. Art. 2 2. HStruktG(E). 508
S. ζ. B. betr. Art. 5 Nr. 1 BillBG(E) die sprachliche Mißverständnisse ausschließende Neufassung des § 47 a AuslG(E), s. BT-Drs. 9/847, S. 14 und 15 (EB) und BT-Drs. 9/975, S. 27 (AB); betr. Art. 1 Nr. 15 KVEG(E), daß der Bundesinnungsverband die Zahntechniker vertritt, BT-Drs. 9/845, S. 19 und 20 und BT-Drs. 9/977, S. 22 (AB); betr. 2. AbfÄndG(E), daß die Kampfmittelbeseitigung nicht dem AbfG unterfallt, BT-Drs. 9/667, S. 8 und 10 (EB) sowie BT-Drs. 9/1222, S. 9 (AB); betr. Art. 1 Nr. 2 b und 4 4. WeinÄndG(E), daß „flachgründige" Böden beregnungsbedürftig sein können bzw. zur Lese-Terminierung, BT-Drs. 9/785, S. 39 und 43 (EB) bzw. BT-Drs. 9/1770, S. 2 (AB); s. weiter etwa betr. Art. 1 Nr. 1 und 3 2. HStruktG(E) BT-Drs. 9/842, S. 97; BT-Drs. 9/888, 5. 7 und BT-Drs. 9/971, S. 8 und 85 (AB). 509 Ζ. B. Harmonisierung des Begriffs der Hauptwohnung in Melderecht und Statistikrecht in § 2 VZG 1983, s. BT-Drs. 9/451, S. 14 und 15 (EB) sowie BT-Drs. 9/1068, S. 4 und 16 (AB). 510 S. ζ. B. die Einbeziehung des ordnungsrechtlichen Instrumentariums des AuslG in das BillBG, s. BT-Drs. 9/847, S. 13 und 15 (EB) und BT-Drs. 9/975, S. 22 und 24 (AB). 511 S. ζ. B. zu den Konsequenzen aus der Besoldungs- und Versorgungskürzung in den neu eingefügten Art. 4 und 5 2. HStruktG: BT-Drs. 9/842, S. 99 (EB — Bundesratsstellungnahme), BT-Drs. 9/888, S. 8 und BT-Drs. 9/971, S. 16f. und 86 (AB) betr. Art. 3 a, 3 b 2. HStruktG(E). 512 Z. B . A r t . l Nr. 11 c4. WeinÄndG(E), s. BT-Drs. 9/785, S. 40 und 44 (EB) sowie BTDrs. 9/1770, S. 3 (AB).
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Spezialisten v e r l a n g e n 5 1 3 , aber auch i n allgemeinen juristisch-technischen Fragen514. Bestimmte derartige Verbesserungen scheinbar gesetzgebungstechnischer A r t überschreiten aber die Grenze zu materiellen Veränderungen, wenn ζ . B. eine Maßnahme-Regelung zur Dauerregelung verallgemeinert w i r d 5 1 5 oder i n Parallele zu sehr ähnlichen Gesetzen auch entsprechende Regelungen (neu) eingeführt w e r d e n 5 1 6 oder miteinander verbunden w e r d e n 5 1 7 . (4) Dabei dominiert auch die Perspektive der Gesetzesvereinfachung 51*, vor allem zur Vermeidung schwieriger und aufwendiger Feststellungen 519, die Begrenzung v o n Bemessungsgrundlagen zur Vermeidung überflüssiger u n d verwaltungsaufwendiger Erstattungsverfahren 5 2 0 , Beseitigung vollzugsaufwendiger Verwaltungszuständigkeiten 5 2 1 , Verzichte auf unverhältnismäßig aufwendige Regelungen auch i m gesellschaftlichen B e r e i c h 5 2 2 , aber auch durch ergänzende Ausweitung des Geltungsbereichs verfahrenskonzentrierender Regelungen 522. 513
S. ζ. B. für das Rentenrecht die zahlreichen, von der Bundesregierung (und dem Ausschuß) zustimmend aufgenommenen Vorschläge betr. Art. 2 Nr. 2, 12, 15, 21 sowie Art. 13 Nr. 2 - 6 RAG 1982(E) , vgl. BT-Drs. 9/458, S. 50ff. bzw. 55 ff. (EB) mit BT-Drs. 9/884, S. 57 ff. (AB); ähnlich für das Gesellschaftsrecht betr. das VerschmelzRiG(E), vgl. BT-Drs. 9/1065, S. 30 ff. 514
S. ζ. B. die Verarbeitung der BVerwG-Judikatur in Art. 1 Nr. 9 a KHGÄndG(E) in BT-Drs. 9/570, S. 34 (EB). 515 S. z.B. § 34 a M O G i. d. F. des Art. 1 1. MOÄndG (statt nur den Beitritt Griechenlands nun alle etwaigen neuen EG-Mitgliedsstaaten betreffend), s. BT-Drs. 9/836, S. 4 und BT-Drs. 9/941, S. 3 (AB). 516
S. ζ. B. die Ergänzung des Art. 1 Nr. 53 4. WeinÄndG(E) um die Mitteilungsmöglichkeiten von Verdachtsmomenten entsprechend dem Lebensmittelrecht, s. BT-Drs. 9/785, S. 41 (EB) und BT-Drs. 9/1770, S. 4 (AB). 517 S. ζ. B. die Fortschreibung von Blindenhilfe und Pflegegeld nach §§ 67 VI, 69 V I BSHG in Anbindung an § 56 BVG in Art. 10 Nr. 2 HBeglG 1983(E) , s. BT-Drs. 9/2140, S. 128 (EB) und BT-Drs. 9/2290, S. 25 (AB). 518
S. ζ. B. die Formulierungshilfen der Bundesregierung beim 2. ZerlÄndG, BT-Drs. 9/856, S. 7 (AB) betr. die „weitere Straffung des Zerlegungsverfahrens". 519 Ζ. B. durch die Freistellung von Autowracks und Altreifen von der Genehmigungspflicht nach § 12 I AbfG, s. BT-Drs. 9/667, S. 8 f. und 10 (EB), und BT-Drs. 9/1222, S. 5 (AB) betr. 2. AbfÄndG(E); der polizeiliche Feststellungsaufwand bei Unfallverletzungen, s. BT-Drs. 9/1910, S. 6 betr. StVUnfStatG; die Nichtberücksichtigung von negativen Einkünften bei Art. 12 Nr. 3 HBeglG 1983(E), s. BT-Drs. 9/2290, S. 11 (AB). 520 S. Art. 8 § 3 I I HBeglG 1983(E) betr. „sonstige" Bezüge als Bemessungsgrundlage für die Investitionshilfeabgabe, s. BT-Drs. 9/2140, S. 127 (EB) und BT-Drs. 9/2290, S. 10 (AB). 521
S. Art. 18 Nr. 5 und 12 a HBeglG 1983(E) betr. Zahlung der Krankenhauszuzahlung ans Krankenhaus, BT-Drs. 9/2140, S. 136 (EB) und BT-Drs. 9/2290, S. 20 f. (AB). 522 S. z. B. Art. 1 Nr. 16 Ver schmelz RiG(E) betr. Genehmigungsbeschlüsse der Hauptversammlung auch bei mehr als 90%igen Tochtergesellschaften, BT-Drs. 9/1785, S. 24 (AB). 523 S. die (im Grundsatz) vom Bundesrat angeregte Regelung in Art. 2 2. AbfÄndG, dazu BT-Drs. 9/1222, S. 10 (AB) sowie BT-Drs. 9/667, S. 8 und 10 (EB).
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Ausnahmen 524 bestätigen nur diese Regel. Mitunter wird auf Anregung des Bundesrates ein selbständiges Gesetz eingefügt mit dem Ziel, eine Verwaltungsvereinbarung zwischen Bund und Ländern entbehrlich zu machen 525 . (5) Nicht sehr selten werden erst vom Bundesrat auch eindeutige rechtliche Fehler aufgedeckt, ζ. B. eine fehlerhafte Bezugnahme in bzw. der Fassung der Berlin-Klausel 526 , doch gilt eben dies auch umgekehrt für die Kontrolle der Bundesregierung gegenüber Bundesratsentwürfen 527. (6) Aber es gibt auch über die erwähnten Zusammenhänge hinaus spezifische, „rein" sachliche Bedenken und Anregungen, die bei der Bundesregierung sofort (durch Zustimmung) 528 oder auch erst nach längerem Überlegungsprozeß („Die Bundesregierung wird prüfen") auf fruchtbaren Boden fallen 529 . Die gelegentliche Brisanz solcher Empfehlungen wird sichtbar am positiv aufgenommenen Vorschlag eines „schon immer" bei Volkszählungen möglichen Melderegisterabgleichs gemäß § 9 I VZG 1983(E) 530; gerade diese Norm wurde als einzige später für verfassungswidrig erklärt 5 3 1 . Diese sachlichen Bedenken sind sehr heterogener Art, und reichen von allgemeinen Grundsatzüberlegungen bis hin zu sehr speziellen Interessen 532 . Sie lassen sich auch in ihrer Vielfalt auf die Formel des Strebens nach mehr „Sachgerechtigkeit" bringen 533 . 524 S. die Verschärfung der Kontrolle in Art. 1 Nr. 14. WeinÄndG, BT-Drs. 9/785, S. 39 und 43 (EB) bzw. BT-Drs. 9/1770, S. 2 (AB). 525 S. Art. 6 a HBeglG 1983(E), BT-Drs. 9/2140, S. 125 f. (EB) und BT-Drs. 9/2290, S. 20 (AB). 526 S. Art. 2 6. AFGÄndG, BT-Drs. 9/409, S. 5 und BT-Drs. 9/517, S. 2; Art. 2 1. MOÄndG, BT-Drs. 9/836, S. 4 und BT-Drs. 9/941, S. 43; Art. 15,16 und 18 AFKG(E), BT-Drs. 9/846, S. 62 und 64 (EB) sowie BT-Drs. 9/966, S. 84 (AB). 527 S. die Korrektur der Berlinklausel im (Bundesrats-)Entwurf zum 2. ZerlÄndG: BTDrs. 9/856, S. 5 (AB). 528 S. ζ. B. zu Art. 61. BNotOÄndG ( = § 52 I I 2, I I I 3 BNotO) BT-Drs. 9/597, S. 5 und 10 (AB) sowie BT-Drs. 8/2782, S. 15 (betr. Führung des Grades „a. D." zur Vermeidung unehrenhaften Scheins bei Notariatsaufgabe aus Anlaß der Neuregelungen). 529 S. zur Härteregelung des Art. 13 SubvAbG(E) bereits die Gegenäußerung der Bundesregierung (BT-Drs. 9/217, S. 5: „teilt allerdings die Auffassung"); zur Änderung nach dem Votum des AgrarA s. bereits oben Fn. 471; zur Gebührenerhebung bei der Durchführung des A Ü G in Art. 1 Nr. 01 BillBG( E) s. bereits BT-Drs. 9/847, S. 13 und 15 (EB); zu der dem Wohnsitzstaat des Kindes angemessenen differenzierten Bemessung des Ausbildungsfreibetrages nach § 33 a I I EStG s. BT-Drs. 9/842, S. 100, BT-Drs. 9/888, S. 9 und BT-Drs. 9/971, S. 88 (AB) betr. Art. 25 Nr. 9 2. HStruktG(E). 530 S. BT-Drs. 9/451, S. 14 und 15 (EB) und BT-Drs. 9/1068, S. 16 (AB). 531 BVerfGE 65, 1 (63 ff.). 532 S. ζ. B. die außerordentlich speziellen weinwirtschaftlich begründeten Anregungen des Bundesrates in seinen Stellungnahmen zum 4. WeinÄndG(E), vgl. BT-Drs. 9/785, S. 39 ff. 533 S. ζ. B. die verschiedenen punktuellen Änderungen von § 6 K H G i. d. F. von Art. 1 Nr. 6 KHGÄndG(E), s. BT-Drs. 9/570, S. 32f. und 41 f. (EB) bzw. BT-Drs. 9/976, S. 31 (AB); die Berücksichtigung Berliner Besonderheiten beim Lohnsteuer-Abzugsverfahren
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(7) Auch wenn die Bundesregierung nicht zustimmt, so kann sie dennoch — gewiß eher ausnahmsweise — im Ausschuß nachgeben oder korrigiert werden 5 3 4 . Bei zustimmungsbedürftigen Gesetzen (vor allem) kann die Bundesregierung und mit ihr die Ausschußmehrheit auf diese Weise unter Kompromißzwang geraten und dem Bundesrat auf halbem Wege entgegenkommen — und dennoch im Vermittlungsverfahren i. S. des Bundesrates korrigiert werden 535 . Jedenfalls finden die Einwände des Bundesrates offenbar gerade dann besondere Beachtung, solange sie noch irgendwie mit den (politischen) Zielsetzungen des Entwurfs vereinbar sind 5 3 6 . In allen jenen Fällen lassen sich Änderungen auf eine tendenzielle Übereinstimmung von Bundesrat und Bundesregierung durch Entgegenkommen zurückführen. Nur ausnahmsweise kann der Ausschuß bei unüberbrückbaren Positionen „Schiedsrichter" spielen: wenn Bundesrat und Bundesregierung in der Sache einig sind und letztlich nur „besserwisserisch" um gesetzestechnische Details streiten 537 , ganz selten im Wege eines inhaltlich-sachlichen Kompromisses 538 .- Alle genannten Tendenzen können sich ausnahmsweise verbinden: So entstand das AsylVfG aus konträren Gesetzentwürfen von Bundesrat und Bundesregierung und wurde vom Ausschuß in einem Ausmaß zu einem Kompromiß um- und durchgearbeitet, der die übliche Synopse von Gesetzentwurf und Ausschußveränderungen im Ausschußbericht nicht mehr zuließ 539 . betr. Art. 8 § 3 HBeglG 1983(E), s. BT-Drs. 9/2140, S. 126f. (EB) und BT-Drs. 9/2290, S. 10 (AB). 534 S. die Abkehr von der Erhöhung der Besteuerung des Alkohols für kosmetische Zwecke: BT-Drs. 9/144, S. 1 (Bundesrat), S. 2 (Gegenäußerung der Bundesregierung) und BT-Drs. 9/164, S. 1 und BT-Drs. 9/267, S. 6 (AB); die Delegation der Regelung einer amtlichen Lesegutkontrolle im 4. WeinÄndG: BT-Drs. 9/785, S. 40 bzw. 43 f. (EB) und BTDrs. 9/1770, S. 2 (AB). 535 S. ζ . B. betr. die Kürzung der Förderungsdauer für Behinderte in Behindertenwerkstätten nach § 58 A F G i. d. F. von Art. 1 § 1 Nr. 16 AFKG(E): Obwohl der Ausschuß einstimmig der Kritik des Bundesrates (BT-Drs. 9/846, S. 60) entgegenkommend den Kürzungsvorschlag durch eine Kompromißlösung teilweise zugunsten der Behinderten zurücknahm (BT-Drs. 9/966, S. 13 und 77 f.), setzte sich die Bundesratsmehrheit im Vermittlungsverfahren mit ihrer Kritik vollständig durch, s. die endgültige Fassung in Art. 1 § 1 Nr. 17 b AFKG', Parallelen etwa bei der Einbeziehung der Anwärterbezüge in die Sparvorschläge von Art. 1 Nr. 2 a 2. HStruktG( E), s. BT-Drs. 9/842, S. 83 (EB), BT-Drs. 9/971, S. 8 und 85 (AB) und Art. 1 Nr. 3 2. HStruktG(E), BGBl. I, 1523 (1524). 536 So ζ. B. für das KHGÄndG: BT-Drs. 9/976, S. 29 (AB); dieses (zustimmungsbedürftige) Gesetz hat auffallig viele und sachlich sehr unterschiedliche Anregungen des Bundesrates realisiert. 537 S. den (sachlich substanzarmen) Streit zwischen Bundesregierung und Bundesrat um eine erforderliche angemessene Verweisung auf subsidiär anzuwendende Zustellungsvorschriften betr. § 4 AGVwZG, BT-Drs. 9/69, S. 8, den der InnenA durch eine eigenständige Ergänzung (zusätzliche Erwähnung von § 7 VwZG) vermittelte, BT-Drs. 9/299, S. 2. 538 So im Streit um Erhebungen zu Urlaubsreisen im MikroZG, vgl. BT-Drs. 9/2326, S. 2 (Bundesregierung: ja; Bundesrat: nein; InnenA: ja, aber nur freiwillig). 539 Vgl. BT-Drs. 9/1630, S. 5 ff. (AB) betr. AsylVfG(E).
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ee) Ausschußberatungen und Gesetzestyp (1) Unterschiede der Beratungsintensität A m bedeutungsvollsten für die Detailgestaltung erscheinen die Ausschußberatungen bei Kodifikationsgesetzen, in denen neue Gesetze oder erneuerungsbedürftige Gesetze als Regelungen auf Dauer die Ausschußarbeit sichtbar versachlichen. Als Beispiel sei die Neuordnung des Betäubungsmittelrechts (BtMNG) genannt, die trotz gravierender sachlicher Gegensätze mit einem breiten Konsens von Bundestag und Bundesrat verabschiedet wurde. Eine Besonderheit dieses Gesetzes besteht darin, daß es bereits in der 8. WP bei Einstimmigkeit im Ausschuß 540 und mit Zustimmung der Opposition verabschiedet worden war, aber wegen Anrufung des Vermittlungsausschusses durch den Bundesrat nicht mehr erneut beraten und verabschiedet werden konnte. Durch die „Drohung" des Bundesrates, die Zustimmung zu diesem zustimmungsbedürftigen Gesetz zu verweigern, wurde das Gesetz in der 9. WP erneut beraten, und zwar in enger „Fühlungnahme" mit dem Bundesrat 541 . Die Gründe des Bundesrates zur Anrufung des Vermittlungsausschusses in der 8. Wahlperiode 5 4 2 wurden nun zum größten Teil in den Ausschußberatungen berücksichtigt 5 4 3 . Insgesamt ergab sich so aus den Ausschußberatungen der 8. wie der 9. WP ein sehr grundsätzliches, viele Details veränderndes, auf einem breiten Konsens beruhendes Kompromißgesetz.- Auch das (später für verfassungswidrig erklärte) StHG war trotz seiner Umstrittenheit lange und gründlich beraten worden. Für beide Gesetze hatten schon in der 8. WP zahlreiche Beratungen und ausführliche Anhörungen stattgefunden 544 . Auch politisch unumstrittene, im Ausschuß nur relativ kurz beratene Kodifikationsgesetze — wie das IRG oder das BKleingG — werden nach einer außergewöhnlich guten Vorbereitung der Exekutiven und der Berichterstattergruppe gründlich beraten 545 , ohne daß solches in einer Änderungsvielfalt sich niederschlagen müßte. Vielleicht erklärt diese Vorbereitung durch Sachverständigengruppen, denen die Gesetzentwürfe weitgehend folgten, daß beim IRG und beim SGB-X/3 auf eine erneute Sachverständigenanhörung im Ausschuß ganz 540
BT-Drs. 8/4238, S. 2. Vgl. MdB Hartmann, Stenographisches Protokoll, 9. WP/38. Sitzung, S. 2013. 542 BT-Drs. 8/4407. 543 Vgl. BT-Drs. 9/500, S. Iff. 544 Für das BtMNG(E) gleich zwei, vgl. BT-Drs. 8/4283, S. 1 (AB); für das StHG s. BTDrs. 8/4144, S. 32 (AB). 545 Im Fall des IRG war die Diskussion gut vorbereitet: Die Begründung des Regierungsentwurfs hat den Rang eines Referentenkommentars (vgl. BT-Drs. 9/1338), die Stellungnahme des Bundesrates war sehr detailliert, die Ausschußberatungen durch eine „erweiterte" Berichterstattergruppe aus MdB-Experten vorbereitet, vgl. BT-Drs. 9/2137, S. 23; der Ausschußbericht kann sich auf politische Kernfragen beschränken, vgl. ebd. S. 26.- Auch das BKleingG war gut durch eine Sachverständigenarbeitsgruppe vorbereitet worden, vgl. im übrigen die durchgebildete Entwurfsbegründung BT-Drs. 9/1900, S. 9 ff. 541
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IX. Bundesgesetzgebung als Verhandlungs- und Entscheidungsprozeß
verzichtet wurde und beim BKleingG nur eine sehr kleine Veranstaltung stattfand. Die Technizität solcher Gesetzesmaterien eignet sich oft nicht für politische Kontroversen. Schließlich werden auch politisch hochumstrittene Gesetze im Ausschuß eher ausführlicher beraten als „technokratische", politisch unumstrittene Gesetze, zumal wenn es sich um abgegrenzte Problemstellungen handelt. (2) Auswirkungen des Diskontinuitätsgrundsatzes Die Beratungen (vor allem, aber nicht nur) von Kodifikationsgesetzen erstrecken sich in aller Regel über mehr als eine Wahlperiode. Sie werden nicht immer in Einzelteile zerstückelt 546 . Der neue Bundestag scheint umstandslos dort anzuknüpfen, wo der alte aufhören mußte. So wurden die vom 8. Bundestag schon in 3. Lesung verabschiedeten, aber wegen des Vermittlungsverfahrens nicht mehr verbindlich gewordenen Gesetze als parlamentarische Initiativen der Regierungsfraktionen neu eingebracht — und erneut mit materialen Veränderungen auch durch den Bundestag selber erneut modifiziert 5 4 7 . Sie werden also nicht bloß „abgehakt", auch wenn die Entwürfe nicht mehr der Kritik des Bundesrates ausgesetzt und gleich als Vorlage der Regierungsfraktionen beim Bundestag eingebracht werden, die Entwurfsbegründungen unter Hinweis auf den früheren Gesetzesbeschluß erheblich verkürzt sind 5 4 8 und die Ausschußberichte weitgehend auf die früheren Ausschußberichte Bezug nehmen können 5 4 9 . Freilich sind auch die Ausschußberatungen vor dem Hintergrund der Arbeit in der alten Legislaturperiode nun deutlich kürzer, Änderungen geringfügiger; doch erscheint es bemerkenswert, daß der Bundestag erneut intensiv materiell berät (und verändert). Damit wird der Charakter der Gesetzgebung als Dauer-Prozeß, aber auch eine sinnvolle positive Funktion des Diskontinuitätsgrundsatzes über den bloß arbeitsbereinigenden Schlußstrich-Charakter hinaus deutlich 550 . Er „korrigiert" insoweit (materiell) die formelle Unverrückbarkeit von Gesetzesbeschlüssen des Bundestages. Doch auch über diesen Sonderfall hinaus gilt für Kodifikationsgesetze entgegen der Kritik an der Kodifikationsfeindlichkeit des Diskontinuitätsgrundsatzes 551 generell, daß sie unter Berücksichtigung der geleisteten Arbeit 546
So aber D. Merten u. a., Rechtsnormen (Fn. 1/8), S. 164f., die aus der Aufteilung auf eine Steigerung der Gesamtnormenmenge schließen; zur Kritik an quantitativen Fehlschlüssen s.o. Kap. IV/bei Fn. 288 ff. 547 S. selbst beim StHG(E) die Streichung von § 21, BT-Drs. 9/130, S. 6 (AB). 548 S. betr. StHG: BT-Drs. 9/25, S. 12f., unter Beigabe von BT-Drs. 9/2079 ( = Entwurfsbegründung von 1978). 549 S. betr. 20. StrÄndG: BT-Drs. 9/22, S. 5 ff. (EB) und BT-Drs. 9/450, S. 8 (AB). 550 Vgl. auch U. Scheuner, DÖV 1965, 510 (512f.); zur Kritik K. Müller, DÖV 1965, 505 (508); N. Achterberg, DÖV 1975, 833 (843).
4. Parlamentarische Kontrollinstanzen und Verfahrensstationen
337
neu aufgenommen u n d durchdacht werden. N i c h t nur bei Kodifikationsgesetzen, auch für andere, i n einer Wahlperiode nicht verschiedete Gesetzentwürfe erweist sich Gesetzgebung als D a u e r - P r o z e ß 5 5 2 . I m übrigen läßt sich eine entscheidungsfördernde F u n k t i o n der D i s k o n t i n u i t ä t vermuten. Regelmäßig n i m m t die Z a h l der Gesetzesverabschiedungen i m letzten (Wahl-)Jahr der Legislaturperiode sprunghaft zu, weil lange Beratungen n u n abgeschlossen werden553. ff)
Ausschußanhörungen
(1) Bei fast allen wichtigen Gesetzen sind (meist ö f f e n t l i c h e 5 5 4 , aber auch nicht-öffentliche 5 5 5 , vereinzelt auch nur schriftliche 5 5 6 ) Anhörungen i m Bundestagsausschuß, ζ . T. „ u n t e r Beteiligung v o n Mitgliedern der mitberatenden Ausschüsse" 5 5 7 , schon heute eine regelmäßige Praxis. Sie sucht den umfassenden Aufklärungspflichten des Gesetzgebers gerecht zu w e r d e n 5 5 8 . Beim
551
Vgl. § 125 GO-BT und skeptisch z. B. G. Dürig (1973), in: T. Maunz/G. Dürig, GG, Art. 3 I/Rdn. 18 (Fn. 1); zuletzt H. H. Rupp, in: W. Schreckenberger (Hg.), Gesetzgebungslehre, S. 42 (49). W. Nw. oben Kap. VII/Fn. 110. 552 So wurde ζ. B. der in der 8. WP dem Diskontinutitätsgrundsatz zum Opfer gefallene Regierungsentwurf für die Änderung der BNotO in der 9. WP erneut eingebracht, nun aber ersatzlos gekürzt um Änderungsvorschläge, die „in Fortentwicklung des Berufsrechts" (BT-Drs. 8/2782, S. 10) bloß deklaratorisch, präventiv oder sprachgebrauchsangleichend gelöste Probleme gesetzlich fortschreiben wollten; die Diskontinuität führte hier zum Abbau der Gesetzes(änderungs)flut. 553 Ausf. D. Merten u. a., Rechtsnormen (Fn. 546), S. 158 f., 161 f., die freilich aus den abweichenden Hamburger Verfassungsrechtsverhältnissen auch für den Bund eher die Wahl-Bilanz als den Diskontinuitätsgrundsatz für ausschlaggebend halten. 554 Öffentliche Anhörungen fanden statt beim MinöBranntwStÄndG 1981, BT-Drs. 9/167, S. 2ff.; MontanMitbestÄndG, s. BT-Drs. 9/306, S. 4; SubvAbG, BT-Drs. 9/378, 5. 21 ff.; RAG 1982, s. BT-Drs. 9/884, S. 54; AFKG, s. BT-Drs. 9/966, S. 71; BillBG, s. BTDrs. 9/975, S. 21; KHKÄndG, s. BT-Drs. 9/976, S. 26; KVEG, s. BT-Drs. 9/977, S. 19; BeschäftFG, s. BT-Drs. 9/1507, S. 1; AsylVfG, BT-Drs. 9/1630, S. 13; GrEStG 1983, s. BTDrs. 9/2114, S. 2f.; MErhAngG, s. BT-Drs. 9/2284, S. 1; KDVNG, BT-Drs. 9/2332, S. 2; zu Art. 1 - 8 HBeglG 1983(E), Art. 9 HBeglG 1983(E) sowie Art. 17-37 HBeglG 1983(E), s. BT-Drs. 9/2290, S. 3, 24 bzw. 12 (AB).- Beim BtMNG hatten je eine öffentliche und eine nicht-öffentliche Anhörung in der 8. WP stattgefunden, s. BT-Drs. 8/4283, S. 1 (AB); zur Anhörung beim StHG s. BT-Drs. 9/4144, S. 32 (AB). 555 Nicht-öffentliche Anhörungen fanden statt: KSVG, s. BT-Drs. 9/429, S. 32; 7. BAföGÄndG, s. BT-Drs. 9/603, S. 15; BerBiFG, s. BT-Drs. 9/850, S. 2 (AB); 4. WeinÄndG, s. BT-Drs. 9/1770, S. 1; WertgrErhG, s. BT-Drs. 9/1793, S. 5 (AB); 14. VAÄndG, s. BT-Drs. 9/2222, S. 28 (AB); BKleingG, s. BT-Drs. 9/2232, S. 14 (AB); Art. 6, 10 und 17 - 37 HBeglG 1983(E), s. BT-Drs. 9/2290, S. 7f., 25 bzw. 12 (AB). Der Öffentlichkeitscharakter ist ausweislich der Ausschußberichte unklar (und deshalb war die Anhörung wohl eher nicht-öffentlich) bei: PimpfAufhG, s. BT-Drs. 9/1996, S. 3; BBVAnpG 82, BT-Drs. 9/2193, S. 3; Art. 15 HBeglG 1983(E), BT-Drs. 9/2290, S. 30. 556 So beim 3. GüKÄndG(E), BT-Drs. 9/2173, S. 10 (AB). 557 S. ζ. B. BT-Drs. 9/1507, S. 1 (AB) betr. BeschäftFG·, ähnlich in Form der Beteiligung des mitberatenden Ausschusses ζ . B. für das MErhAngG BT-Drs. 9/2284, S. 1 (AB).
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IX. Bundesgesetzgebung als Verhandlungs- und Entscheidungsprozeß
HBeglG 1983 wurden gleich 7 A n h ö r u n g e n i n 6 mitberatenden Ausschüssen d u r c h g e f ü h r t 5 5 9 .
(Fach-)
Sie sollen regelmäßig das gesamte politisch-pluralistische Spektrum (auch:) der Sachverständigen z u m Ausdruck b r i n g e n 5 6 0 . I m m e r h i n fallt auf, daß solche formellen A n h ö r u n g e n o f t 5 6 1 ein sehr umfangreiches Programm umfassen 5 6 2 u n d oft nur auf Interessenverbände bzw. ihre Vertreter sich beschränken 5 6 3 ; seltener geht es u m spezielle, relativ offene Fachprobleme 5 6 4 ·. Berücksichtigt m a n zudem das Fehlen v o n A n h ö r u n g e n bei bedeutenden kodifikatorischen, v o n Juristen-Kommissionen vorbereiteten, politisch eher p u n k t u e l l oder nicht umstrittenen „technizistischen" Gesetzen 5 6 5 , dann w i r d eine ambivalente Eigenart der A n h ö r u n g e n i n der Praxis deutlich: Sie sind politisch funktionalisiert, insofern sie regelmäßig nur bei partei- oder interessenpolitischem Streit anberaumt w e r d e n 5 6 6 u n d generell auch nur als taktisches Instrument zur
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Daraus wird mitunter — je nach den Umständen zu Recht — ein „Anhörungsgebot" abgeleitet, s. R. Wimmer, DVB1.1985,773 (775). Nw. über weitere, nicht unmittelbar gesetzgebungsbezogene Anhörungen bei P. Schindler (Bearb.), Datenhandbuch (Fn. 179), S. 615f.; ders., Datenhandbuch II, S. 589ff. 559 S. BT-Drs. 9/2290, S. 3 f., 7f., 8, 12, 24, 25, 30 (AB). 560 S. F. Schäfer, Aus Politik und Zeitgeschichte, Β 6/85, S. 28 f. 561 S. aber betr. BKleingG(E): nur Vertreter des Bundesverbandes der Deutschen Gartenfreunde und der Bundesvereinigung der Kommunalen Spitzen verbände, s. BT-Drs. 9/2232, S. 14 (AB). 562 MinöBranntwStÄndG 1981: Vertreter von 55 Verbänden an 1 Tag; MontanMitbestÄndG: Vertreter von 5 Verbänden an 1 Tag; SubvAbG: 91 Verbände an 2 Tagen; BeschäftFG: 45 Verbände an 1 Tag; GrEStG 1983: 49 Institutionen und Verbände an 3 Tagen; 14. VAÄndG: 26 Sachverständige, Verbände und Institutionen an 1 Tag; Art. 1 - 8 HBeglG 1983(E): 36 Verbände an 1 Tag; Art. 17-37 HBeglG 1983(E): 35 Verbände und Sachverständige an 2 Tagen; MErhAngG: 21 Vertreter von Verbänden und Sachverständigen an 2 Tagen. Die Zahl der Verbände bzw. Sachverständigen ist ausweislich der Ausschußberichte unklar beim KHKÄndG, KVEG, WertgrErhG, 4. WeinÄndG, KDVNG, Art. 8, 10 und 15 HBeglG 1983(E) (Dauer der Anhörung: je 1 Tag); beim BillBG, AFKG (Dauer der Anhörung: je 2 Tage). 563 Ζ. B. MinöBranntwStÄndG 1981; SubvAbG; BeschäftFG; BBVAnpG 82; 3. GüKÄndG. 564 S. aber vor allem zu verfassungsrechtlichen Streitfragen ζ. B. beim KS VG BT-Drs. 9/429, S. 32: „vier Sachverständige aus dem Bereich des Verfassungsrechts zu dem Gesetzentwurf hinsichtlich der Rechtsqualität der Künstlersozialabgabe und der Dekkungsgleichheit"; beim AsylVfG(E) 5 Verwaltungsrichter, 5 Verbandsvertreter und der Vertreter des UN-Flüchtlingskommissars; beim Art. 6 HBeglG 1983(E) betr. den Finanzausgleich: 5 Staatsrechtslehrer und ebd. zu Art. 9 (E) = BBVAnpG 83 (neben den Verbandsvertretern) 2 Staatsrechtslehrer sowie zu Art. 8 (E) betr. das Investitionshilfegesetz eine unbekannte Zahl von Sachverständigen, s. BT-Drs. 9/2290, S. 7 f., 24 bzw. 8 (AB); zum PimpfAufhG BT-Drs. 9/1996, S. 3: „eine Reihe von Sachverständigen"; zum BillBG, BT-Drs. 9/975, S. 21: „Sachverständige der Sozialpartner und der Sozialversicherungsträger". 565 S. o. nach Fn. 545 betr. IRG, SGB-X/3 und BKleingG.
4. Parlamentarische Kontrollinstanzen und Verfahrensstationen
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Hinauszögerung des Gesetzesbeschlusses eingesetzt werden können; insoweit ihr Inhalt am „neutralen" Sachverstand nicht evident interessengebundener Sachverständiger orientiert ist, wird gerade dieser dann wegen der politischen Polarisierung kaum zum Zuge kommen (können). Eine hohe Teilnehmerzahl mit vielen gegensätzlichen Interessen ermöglicht dabei leicht Pro- und Contra-Stellungnahmen 567 , die sich nur selten quantitativ gewichten lassen und so wieder dem Gesetzgeber selber die (qualitative) Entscheidung zuweisen bzw. ihm politische „Ermessensspielräume" eröffnen 568 . Es ist eine seltene Ausnahme, wenn die Vertreter aller eingeladenen Verbände und die Sachverständigen einmütig ein Gesetzesvorhaben grundsätzlich ablehnen 5 6 9 . Im Rahmen der wirtschafts- und sozialpolitisch relevanten Gesetzgebung lassen sich meist Entsprechungen der Stellungnahmen von Verbänden der Wirtschaft und CDU-geführter Bundesregierung sowie von Gewerkschaften und SPD-Opposition feststellen, namentlich wo es um die Anhörung sozialer und politischer Interessenlagen geht 5 7 0 . In Reaktion auf die Art der Verbändebeteiligung im vorparlamentarischen Verfahren besteht hier gleichwohl auch die Chance zu einer kompensatorischen Berücksichtigung von bislang vernachlässigten Interessen(verbänden) 571 und die Ermittlung unterschiedlicher Verbandspositionen im Detail 5 7 2 , die zu punktuell differenzierteren Lösungen Anlaß geben kann. Neben solchen formellen Anhörungsverfahren lassen sich aber auch informelle Sachverständigen-Abstimmungen feststellen, so wenn ζ . B. das positive Ergebnis einer vom Ausschuß (!) initiierten Besprechung zwischen der Bundesregierung und den Dienstaufsichtsbehörden der Statistischen Landesämter über sea Yon den 24 Gesetzen, zu denen (bzw. deren Teilen) ein oder (wie beim HBeglG 1983) mehrere Anhörungen durchgeführt worden sind, sind nur 4 einstimmig vom Plenum verabschiedet worden, die meisten anderen in Kampf-Abstimmungen. Von den 85 Gesetzen der 9. WP insgesamt ist aber über die Hälfte einstimmig verabschiedet worden, vgl. näher Kap. X/bei Fn. 474 ff. 567
S. ζ . Β. die Meinungsvielfalt bei der Anhörung zum SubvAbG, BT-Drs. 9/378, S. 21 ff. (AB); s.a. zum MErhAngG BT-Drs. 9/2284, S. 1: „Stellungnahme ... fiel entsprechend der Interessenlage unterschiedlich aus"; s. a. die Aufteilung in Gruppen betr. das GrEStG 1983(E) , BT-Drs. 9/2114, S. 3 f. 568 S. die Hervorhebung der Stellungnahme des Justizministers von Baden-Württemberg, im Gegensatz zum Bundesratsentwurf reiche eine wesentlich geringere Anhebung der Streitwertgrenze aus — sie legitimierte zugleich die vermittelnde Position des RechtsA, vgl. BT-Drs. 9/1793, S. 5 (AB) betr. WertgrErhG. 569 So betr. Kürzungen der Sozialhilfe parallel zu Renten und Beamtengehältern in Art. 10 HBeglG 1983(E) : BT-Drs. 9/2290, S. 25 (AB). 570 S. ζ . B. betr. Art. 1 - 8 HBeglG 1983(E): BT-Drs. 9/2290, S. 4ff. (AB); zu Mietrechtsänderungen im MErhAngG: BT-Drs. 9/2284, S. 2f. (AB). 571 S. H. Schröder, ZParl 8 (1977), 504. 572 S. ζ. B. Einzelhandel vs. Gros der Wirtschaftsverbände bzw. sonstige Differenzierungen in BT-Drs. 9/2290, S. 4ff. (AB) betr. HBeglG 1983.
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IX. Bundesgesetzgebung als Verhandlungs- und Entscheidungsprozeß
einen Modellvorschlag der Berichterstattergruppe ausschlaggebender Gesichtspunkt für die Beschlußempfehlung des Innenausschusses wurde 5 7 3 . Ähnlich scheinen die nicht-öffentlichen Aussprachen mit einzelnen speziellen Interessenorganisationen, in Distanz zu öffentlichen Repräsentationsbedürfnissen, intensive Sachdiskussionen zu ermöglichen 574 . Gelegentlich wird auch auf dem Ausschuß vorliegende Petitionen verwiesen 575 . Freilich wird im allgemeinen oft (nicht zu Unrecht) ein gewisser „ritueller", symbolischer Charakter dieser Anhörungen behauptet 576 . Das gilt nicht nur für jene Karikatur einer Sachverständigenanhörung zwei Tage vor der endgültigen Beschlußfassung über das Gesetz im Ausschuß, wie sie (in der 9. WP) beim KDVNG sichtbar wurde 5 7 7 . Wenn ζ . B. rund 50 Sachverständige in 1 oder 2 Tagen angehört werden, nähert sich dieses Institut seiner Funktionsgrenze 578 . Wenn gar den Abgeordneten die Fragen, die sie zu stellen haben, von den Fraktionsassistenten der Opposition bzw. von den Beamten in den Ministerien selber (im Falle der Regierungsfraktionen) vorbereitet formuliert zugesteckt werden, wie das mitunter der Fall ist, dann wird der wenig effektive Charakter der Anhörung offenkundig: Die Regierung kann sich so selber befragen und bestätigen. Sachverständige und Anhörung werden so ohne große Kontrollwirkung politisch instrumentalisiert; selten entspricht das Votum eines Sachverständigen nicht den Intentionen der Fraktion, die ihn für die Anhörung benannt hat. Die Politiker erwarten „keine Entscheidungs-, sondern Argumentationshilfen" 579 . Vielleicht erscheint (auch) deshalb der Argumentationsgang bei den Anhörungen so selten detailliert in den Ausschußberichten 5 8 0 ; er wird oft durch bloßen Verweis auf die Protokolle des (federführenden) Ausschusses ersetzt 581 oder gar nur mit 1 Satz erwähnt 582 . 573
So beim VZG 1983, s. näher BT-Drs. 9/1068, S. 16. S. die nichtöffentliche Aussprache zum 7. BAföGÄndG (BT-Drs. 9/603, S. 15: nur mit Deutschem Studentenwerk und Bundeselternrat). 575 So BT-Drs. 9/2222, S. 30 betr. 14. VAÄndG(E).- S. jetzt auch zum BilanzRichtlinienG in der 10. WP: Hahn, ZG 1 (1986), 66 (73): „über 100 Eingaben und Stellungnahmen Betroffener und Interessierter". 576 Z. B. C.-C. Schweitzer, Der Abgeordnete (Fn. 296), S. 157; H.-J. Menget, DÖV 1983,226 (227ff., 231); am Bsp. der Anhörung zum KSVG(E) in der 8. WP A. Schneider, U F I T A 91 (1981), 111 (116); s. a. zum HBeglG 1984 D. Katzenstein, FS Gesellschaft für Rechtspolitik, 1984, S. 139 (151); allg. P. Lerche, in: ders. u. a., Verfahren (Fn. 11/24), S. 97 ( l l l f . ) ; anders jetzt H. Helmrich, ZRP 1987, 207f.- S. a. oben nach Fn. 20. 574
577
S. BT-Drs. 9/2333, S. 1 f. (AB). S. H. Höcherl, Aus Politik und Zeitgeschichte, Β 6/85, S. 11 (14): „psychologischer Wahnsinn". 578
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G. Weck, NJW 1985, H. 22, S. X X V I I . S. aber eher als Ausnahmen BT-Drs. 9/429, S. 34 (AB) betr. KSVG; BT-Drs. 9/1507, S. 2ff. (AB) betr. BeschäftFG; BT-Drs. 9/2222, S. 29ff. betr. 14. VAÄndG(E); BT-Drs. 9/2290, S. 4ff. (AB) betr. Art. 1 - 8 (allg.) und S. 7 f. (speziell) betr. Art. 6 HBeglG 1983(E). 581 Das gilt gerade für den ArbeitsA ζ . B. beim AFKG, BT-Drs. 9/966, S. 71 (AB); KHGÄndG, BT-Drs. 9/976, S. 26 (AB); BillBG, BT-Drs. 9/975, S. 21 (AB); Art. 17-37 580
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Es lassen sich aber auch Fälle (mehr oder weniger) bedeutsamer Wirkungen aufgrund v o n parlamentarischen Anhörungen nennen. Einzelne herausragende Persönlichkeiten können den I n h a l t v o n Gesetzen durch i h r V o t u m i n den Ausschuß-Anhörungen nachhaltig beeinflussen. E i n Beispiel aus der 9. W P 5 8 3 ist der Einfluß mehrerer Verwaltungsrichter unter F ü h r u n g des Präsidenten des B V e r w G Sendler u n d des Präsidenten des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs Schmidt bei der A n h ö r u n g z u m umstrittenen E n t w u r f z u m AsylVfG: Ihre Äußerungen war „ v o n besonderer B e d e u t u n g " 5 8 4 . A u c h i m übrigen sind Sachverständigenvoten nicht wirkungslos. Sie können parteipolitisch übergreifende Kompromisse a n r e g e n 5 8 5 , Zugeständnisse v o n Regierungs- oder Oppositionsfraktionen erleichtern oder neue Hearings zu speziellen Fragen provozier e n 5 8 6 , j a sogar den Gesetzgeber zur Aufgabe seiner Absichten bewegen 5 8 7 , jedenfalls aufgrund der jeweiligen A n h ö r u n g e n verfassungsrechtliche Risiken v e r r i n g e r n 5 8 8 , spezielle (Schutz-)Regeln für übersehene Adressaten-Teilgruppen erfolgreich anregen 5 8 9 , aber auch die Zweckmäßigkeit oder Effektivität der gesetzlichen Ziele wesentlich verbessern h e l f e n 5 9 0 .
HBeglG 1983(E), s. BT-Drs. 9/2290, S. 12 i. V. m. S. 2 (AB); s. ferner etwa betr. Art. 15 HBeglG 1983(E) , BT-Drs. 9/2290, S. 30 (AB). Das ist nicht unverständlich: Die knapp vierstündige, sehr konzise und sachnahe Anhörung von 11 Sachverständigen zum AsylVfG füllt 82, zusammen mit den vorab eingereichten schriftlichen Stellungnahmen ca. 300 MS-Seiten (vgl. Protokoll Nr. 32 des RechtsA). Gerade wegen der ArgumentationsÜberflutung bedarf es aber der Konzentration auf das Wesentliche durch argumentative Zusammenfassungen. 582 S. BT-Drs. 9/2290, S. 8 (AB) betr. Art. 8 HBeglG 1983(E) , zu den Gründen s. u. Kap. XI/4 (bei Fn. 453 ff.). 583 Berühmt-umstrittene ältere Beispiele sind der Streit um die Einführung eines Sondervotums anläßlich der Entstehung des DRiG, vgl. im einzelnen K.-G. Zierlein, DÖV 1981, 83 (84 bei Fn. 7 ff.), oder die Aufnahme der Sozialplanung als rechtlich geregeltes Institut 1971 „in letzter Minute" in das Städtebauförderungsgesetz, vgl. H. SchulzeFielitz, Sozialplanung im Städtebaurecht, 1979, S. 43. 584
So der Ausschußbericht selber, s. BT-Drs. 9/1630, S. 13, der ausdrücklich wesentliche Anregungen und Bestätigungen aus der Anhörung aufgreift, s. ebd. S. 13,14,15,26,27 u. ö. Wohl nicht zufallig ist gerade das BtMNG eines der (durch Anhörungen vorbereiteten) Kompromißgesetze, das im Bundestag einstimmig verabschiedet worden ist. 585 S. ζ. B. bei Art. 1 I I Nr. 5 MinöBranntwStÄndG 1981 betr. die landwirtschaftsuntypische Bemessungsgrundlage, BT-Drs. 9/167, S. 5. 586 So wurde (in der 10. WP) aufgrund der Sachverständigen-Voten zur Hinterbliebenen-Reform im Februar 1985 ein erneutes Hearing allein zu den verfassungsrechtlichen Problemen angesetzt (am 24. 4. 1985). 587 S. ζ. B. (aus der 8. WP) zur Aufgabe des Planes automatisierter Landesadreßregister aufgrund einer „denkwürdigen" Sachverständigen-Anhörung zum Melderecht am 20./21. 11. 1978 in Bonn: W. Steinmüller, Leviathan 12 (1984), 176 (180). 588 S. die Spartenbildung bei der Festsetzung des Vomhundertsatzes der Künstlersozialabgabe nach § 26 KSVG aufgrund der Anhörung (nur) von vier Verfassungsrechtlern, vgl. BT-Drs. 9/429, S. 15, 32, 34 und 35 (AB). 589 S. z. B. die für Studenten wirtschaftlichere Kautionsregelung und andere Sonderregelungen aufgrund des Anhörungs-Votums des Studentenwerks beim MErhAngG, BT-
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IX. Bundesgesetzgebung als Verhandlungs- und Entscheidungsprozeß
Möglicherweise unterscheidet sich die Wirksamkeit von Anhörungen nicht bloß nach dem Grad, in dem die Fraktionsvertreter politisch festgelegt sind. Von zentraler Bedeutung ist schon die Präzision der Fragen und der konkrete Sachverstand der Sachverständigen, die den Abgeordneten Lösungsalternativen möglicherweise erst eröffnen; Sachverständigenansichten können so auch „katalysatorische" Wirkungen auf (eher verborgen wirkende) Minderheitsansichten in der Regierungsmehrheit haben, die so gegen die eigene Regierung zum Zuge kommen können. Voraussetzung für klare Gesetzesregeln sind stets klare politische Entscheidungen und Interessen und entsprechende Begründungen. Solche Interessen sollten offengelegt und gegenübergestellt werden. Deshalb muß der Gesetzgeber ein Interesse daran haben, daß die Stellungnahmen der Verbände (auch) in den Ausschußanhörungen nicht Interessenkonflikte geradezu verdecken, so wie es in der Organisation des Handwerks seit ca. 1966 durch eine binnenorganisatorische Konfliktvermeidungsstrategie praktiziert w i r d 5 9 1 . Eine Selbst-Entwertung solcher Stellungnahmen sollte der Gesetzgeber mitreflektieren. gg) Die Rolle der Berichterstatter
(„Unterausschüsse"?)
Die materiellen Ausschußentscheidungen können deutlich durch die Berichterstatter beeinflußt werden, die federführend ein Gesetzgebungsprojekt teils vor, teils nach den Ausschußberatungen durch den Bericht an das Plenum „betreuen" 592 . Im Falle politisch stark umstrittener oder sehr umfangreicher Projekte werden zwei oder drei Berichterstatter benannt, die für die Regierung(sparteien) und die Opposition(sparteien) stehen. Es handelt sich oft um sachlich und räumlich mit der Materie besonders vertraute Abgeordnete 593 , Drs. 9/2284, S. 3 (AB), ungeachtet der Verschlechterung ihrer Rechtsstellung im übrigen, s. krit. W. Lechner, W u M 1983, 71 ff. 590 S. ζ. B. die Beseitigung der Anwendungsprobleme bei § 104 A F G i. d. F. von Art. 1 § 1 Nr. 29 a AFKG( E), s. BT-Drs. 9/966, S. 79 (AB); die Einbeziehung der für den Arbeitsschutz zuständigen Landesbehörden auf Anregung des Hauptverbandes der Berufsgenossenschaften und der BfArb in Art. 1 Nr. 3, 3 Nr. 3, 4 Nr. 3, 5 Nr. 2 BillBG(E\ s. BT-Drs. 9/975, S. 24 (AB); die Auflösung von Bilanzrückstellungen wegen virtueller Patentverletzungen gemäß der vom Institut für Wirtschaftsprüfer in der Anhörung dargelegten Praxis in Art. 1 Nr. 3 HBeglG 1983(E), s. BT-Drs. 9/2290, S. 8 (AB). 591
S. dazu W. Hoffmann-Riem, NVwZ 1984, 286 (288 ff.). Ausf. G. Weng, ZParl 15 (1984), 31 (35). Es handelt sich i. d. R. um langfristig aufgebaute Fachleute, so W. Zeh, in: Theorie und Methoden (Fn. 177), S. 57 (64f.); vgl. schon H. Schatz, Der Parlamentarische Entscheidungsprozeß, 1970, S. 64 ff. 593 S. ζ . B. zwei Berliner MdB als Berichterstatter beim 3. MRBlnÄndG, BT-Drs. 9/1780, S. 21; den Präsidenten des Weinbauverbandes Mosel-Saar-Ruwer und einen weiteren Abgeordneten aus der Pfalz beim 4. WeinÄndG, BT-Drs. 9/1770, S. 1; eine ehemalige ltd. Angestellte in Unternehmen der pharmazeutischen Industrie beim 1. AMÄndG, BT-Drs. 9/2221, S. 25ff.; indessen beruht i. d. R. die sachverständige Nähe 592
4. Parlamentarische Kontrollinstanzen und Verfahrensstationen
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was andererseits nicht gerade die Distanz zu abgewogenen "Entscheidungen fördert 594 . Der Berichterstatter erstellt (formell) und verantwortet den Text des Ausschußberichtes an das Plenum selbständig, freilich unter dem Vorbehalt, daß nicht der Ausschuß (empirisch allenfalls ausnahmsweise) kontrovers einen abweichend abgefaßten Bericht befürwortet 595 . Ausnahmsweise werden (Teil-) Berichte der Berichterstatter in (mit-)beratenden Fachausschüssen einfach als Teile im Bericht des federführenden Ausschusses übernommen 596 . Mehrere Berichterstatter für eine Vorlage können als eine Art „Unterausschuß" tätig werden 597 , ohne daß immer ein Unterausschuß (§ 55 GO-BT) aus wenigen Abgeordneten formell eingesetzt würde, um ihnen die Beratungen eines Gesetzes „stellvertretend" zu übertragen 598 . Manchmal wird aber auch formell eine interfraktionelle, erweiterte „Berichterstattergruppe" eingesetzt 599 , die zur „Vorbereitung" der Stellungnahme des Ausschusses „zusammen mit den Berichterstattern aus den beteiligten Ausschüssen, mit der Bundesregierung und mit den kommunalen Spitzenverbänden den Gesetzentwurf materiell entscheidend beraten hat 6 0 0 . Eine zentrale Aufgabe solcher Gruppen ist eine allseits akzeptable Kompromißfindung 601 . Die parlamentarische Kontrolle der Gesetzgebung kann sich auch sonst durch das Gewicht der Berichterstatter im Einzelfall auf einige wenige Spezialisten reduzieren, ohne daß der Sinn des parlamentarischen Verfahrensaufwandes noch sichtbar würde 6 0 2 . Ähnliche informale Prozesse der Entschei-
auch auf langjähriger parlamentarischer Spezialisierung im selben Ausschuß ohne eine spezifische fachliche Vorbildung. 594 Krit. ζ . Β. Η. Η. v. Arnim, Staatslehre, S. 292 m. Nw.- Die Eigenvorschläge der einzelnen Abgeordneten haben schon bei der Besetzung der Ausschüsse hohes Gewicht, so H. Schatz, Entscheidungsprozeß (Fn. 592), S. 55ff. 595
S. G. Weng, ZParl 15 (1984), 38 f., 43. Zur Anfertigung der Ausschußberichte s. aber Kap. XI/Fn. 67. 596 So beim HBeglG 1983, s. BT-Drs. 9/2290, S. 2 (AB) als unter hohem Zeitdruck verabschiedetem umfangreichen Artikelgesetz. 597 G. Weng, ZParl 15 (1984), 36. 598 S. ζ . B. die Ausschußberatungen des 2. AbfÄndG „auf der Grundlage intensiver Berichterstatterbesprechungen zusammen mit Vertretern der Bundesregierung", so BTDrs. 9/1222, S. 8 (AB). 599 Allg. dazu: C. L. Sträter, ZParl 8 (1977), 27 ff.; W. Zeh, in: Theorie und Methoden (Fn. 177), S. 65.- S. aus der 9. WP ζ . B. beim IRG, BT-Drs. 9/2137, S. 23. 600 So BT-Drs. 9/1068, S. 11 und 15 (AB) betr. VZG 1983; ähnlich (statt mit den Kommunen mit dem Statistischen Bundesamt) für das MikroZG BT-Drs. 9/2326, S. 1 (AB).- Speziell für die ERP-Wirtschaftsplangesetze berät regelmäßig ein spezieller, ständiger Unterausschuß des WirtschaftsA, vgl. dazu BT-Drs. 9/2293, S. 4 (betr. ERPWiPlG 1983). 601 So ζ . B. für das AFWoG ( = Art. 27, Unterartikel 1 2. HStruktG): H. Dyong, BIG BW 1982, 141 (142 f.), auch wenn die Bemühungen durch die Vorgehensweise des Vermittlungsausschusses vorzeitig hinfallig gemacht worden sind.
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IX. Bundesgesetzgebung als Verhandlungs- und Entscheidungsprozeß
dungsverlagerung haben sich bei der Berichterstattung im Haushaltsausschuß herausgebildet, in dem die eigentlichen Beratungen und Vorentscheidungen in Vorbesprechungen des Berichterstatters mit den Haushaltsreferenten des jeweiligen Ministeriums fallen (können) 603 ; das Votum des Berichterstatters kommt jedenfalls faktisch der Funktion eines Unterausschusses nahe 6 0 4 . Die sachlich prägende Rolle von Berichterstattergruppen läßt sich für die Detailarbeit wohl kaum überschätzen 605 . Mitunter kann (freilich: nur ausnahmsweise) ein Unterausschuß aus fachlich besonders interessierten Abgeordneten einen Regierungsentwurf völlig „umkrempeln" 6 0 6 ; mitunter wird ein kompletter selbständiger Entwurf eines Berichterstatters zur weiteren Beratungsgrundlage des Ausschusses607. Damit verbindet sich die Gefahr, daß Spezialisten unter sich politische (Entscheidungs-)Probleme als unpolitischsachlich definieren; zudem neigen Spezialisten dazu, anderen Fachleuten in deren Wirkungskreis zu vertrauen 608 . hh) Bilanz: Ausschußberatungen als Korrektiv
durch Kontrolle?
(1) Die qualitative Bedeutung der Entwurfsveränderungen Man wird bei einer Gesamteinschätzung dieser Änderungsvielfalt zu differenzieren haben, doch läßt sich per saldo eine eher kritische Betrachtungsweise jedenfalls nicht eindeutig widerlegen. Wie im Bereich der Ratifikationsgesetze nach Art. 59 GG ist der Bundestag auch beim größten Teil der international determinierten Kooperationsgesetzgebung weithin Vollzugs- bzw. Ratifikationsorgan exekutiver „Vorgaben".- Bei der kleinen Gruppe von Kodifikationsgesetzen, die partiell den traditionellen Dauerhaftigkeitsanspruch der „klassischen" Gesetze erheben und in aller Regel 602 So ist die GmbH-Novelle 1980 wesentlich von einem Dreier-Ausschuß — aus drei Berichterstattern — beraten, geändert und wesentlich zusammengestrichen worden sein, vgl. T. Raiser , ZRP 1985, 111 (116): „Streichtrio", im Anschluß an P. Ulmer. 603 S. C. Tomuschat, Der Staat 19 (1980), 1 (4); G. Weng, ZParl 15 (1984), 42; R. Sturm, PVS 26 (1985), 247 (266). 604 Vgl. R. Sturm, a. a. O., S. 260; für die Länderebene J. Welz, Finanzkontrolle (Fn. 443), S. 355 ff. 605 Vgl. jetzt auch H.Helmrich, ZRP 1987, 205 f.- Zur zentralen Bedeutung der Berichterstattergruppe für die Konsensfähigkeit des VZG 1983 s. BT-Drs. 9/1068, S. 11, 14ff. (AB); s. a. als weiteres Bsp. betr. 4. WeinÄndG oben Fn. 381.- Krit. u. a. zur engen Zusammenarbeit mit der Regierung: C.-C. Schweitzer, Der Abgeordnete (Fn. 296), S. 146 f. 606 S. für die 10. WP am Bsp. des Bilanzrichtliniengesetzes: J. Hahn, Z G 1 (1986), 66ff. 607 S. zum AsylVfG(E): BT-Drs. 9/1630, S. 13 (AB); der Ausschußbericht ähnelt auf diese Weise trotz zahlreicher Quer-Verweisungen auf die Alt-Fassungen im Regierungsentwurf einer selbständigen Gesetzesbegründung, vgl. ebd. S. 15 ff. 608 T. Ellwein u. a., Parlament (Fn. 166), S. 253.
4. Parlamentarische Kontrollinstanzen und V e r f a h r e n s s t a t i o n e n 3 4 5 auch mehr als eine Legislaturperiode lang im Bundestag beraten werden, führen die Ausschußberatungen zu mehr oder weniger großen, meist auch fraktionsübergreifenden Modifikationen; hier ist auch die vor- oder nachparlamentarische Sachverständigen-Mitwirkung substanziell (breiten-)wirksam.- Bei dem größten Teil der verbleibenden Anpassungsgesetze handelt es sich einerseits um (Änderungs-)Gesetze mit eher „technokratischem" Inhalt, die in den Ausschußberatungen dann ohne wesentliche materielle Veränderungen kurzerhand bestätigt werden. Bei allen übrigen, vor allem den finanzwirksamen Gesetzen im Rahmen der Verteilungsgesetzgebung lassen sich Gesetzesveränderungen durch Ausschußberatungen in zwei Gruppe aufteilen. Entweder konstatieren sie nur, daß auch die Bundesregierung — namentlich auf Anregung des Bundesrates — ihre Ansicht geändert hat 6 0 9 . Viele Ausschußveränderungen am Regierungsentwurf sind von der Bundesregierung selber lancierte Änderungen, die eine zwischenzeitlich erfolgte Meinungsänderung der Bundesregierung oder anderer maßgeblicher Meinungsträger nachtragen 610 . Die Vertreter der Ministerien nehmen an den Ausschußberatungen ständig teil (vgl. Art. 43 I I G G ) 6 1 1 ; ohne ihre Mithilfe könnte der Ausschuß oft schlechterdings nicht erfolgreich beraten—man denke nur an die Berechnungen finanzieller Folgewirkungen von abweichenden Ausschußentscheidungen612. Finanzielle (Ausgaben-)Entscheidungen werden denn auch materiell maßgeblich meist von der Bundesregierung entschieden 613 . 609 Vgl. C. L. Sträter, ZParl 8 (1977), 27 (31).- Insoweit materiell typisch BT-Drs. 9/2232, S. 17 betr. § 1 a BKleingGÇE ): „wird auf Anregung des Bundesrates nach einer Formulierungshilfe der Bundesregierung eingefügt". 610 S. aus der 9. WP ζ. B. die (nur selten so hervorgehobene) ausdrückliche Benennung der Entwurfsveränderungen als Anregungen oder Formulierungshilfen der Bundesregierung beim 2. ZerlÄndG, BT-Drs. 9/856, S. 7 (AB); oder als Übernahme einer Erklärung der Bundesregierung beim Art. 6 HBeglG 1983(E), BT-Drs. 9/2290, S. 10 (AB); als „Anregungen" der Bundesregierung ζ. B. betr. Art. 1 Nr. 4 WehrBeauftrÄndGiE), s. BTDrs. 9/1367, S. 10 (AB), auf S. 12 ζ. T. zum „Verlangen der Bundesregierung" verdeutlicht. S.a. ausdrücklich beim ERP-WiPIG 1982, BT-Drs. 9/1773, S. 2 (AB), dort ausnahmsweise mit Kritik der Opposition wegen der fundamentalen Veränderung „in inoffizieller Weise" (ebd. S. 3).- Als neueres spektakuläres Bsp. die nachträgliche Änderung des Gesetzentwurfes betr. die Steuerbefreiung für Katalysator-Autos nach den Verhandlungen auf EG-Ebene, FAZ v. 6. 4. 1985, S. 4.- Erst recht bitten die Ministerien um Berichtigungen und Klarstellungen eher technischer Art, als Brief des B M I an den Direktor des Deutschen Bundestages erwähnt in BT-Drs. 9/815, S. 21 (AB) betr. BBVAnpG 81. 611
Nach F. Schäfer, Bundestag (Fn. 223), S. 118, ist es „wohl die Regel, daß 10 - 30 Beamte bei den Sitzungen zugegen sind"; vgl. zur Parallele auf Landesebene: B. Becker, BayVBl. 1985, 641 (647). 612 S. ζ. B. die Summenverschiebungen nach der Beratung des HBeglG 1983: BT-Drs. 9/2290, S. 33 (AB). 613 Sichtbar ζ . B. beim ERP-WiPIG 1981, BT-Drs. 9/598, S. 4 (AB); das ist auch Ausfluß der (auch hier einschlägigen) Notwendigkeit der Zustimmung der Bundesregierung aus Art. 113 GG (s. zum verfassungsrechtlichen Streitstand E. Moeser, Beteiligung (Fn. 437), S. 119 f.).
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IX. Bundesgesetzgebung als Verhandlungs- und Entscheidungsprozeß
Auch umfassendere Aufhebungskataloge wie der in § 25 GrEStG Î983ÇE) liegen jenseits sinnvoller parlamentarischer Aktivität 6 1 4 . Die Ministerialbürokratie denkt dabei oft in der Perspektive: „Was bringen 'wir' im Ausschuß durch?" 6 1 5 ; hinter den „Formulierungshilfen" ihrer Vertreter im Ausschuß 616 verbergen sich oft zugleich die eigenen Voten für bestimmte Sachentscheidungen617. Namentlich politisch kontroverse Ausschußdiskussionen bei finanzwirksamen Sozialleistungsgesetzen (bzw. Kürzungen des Leistungsumfangs) erweisen sich eher als Ausfluß politischer Groß-Kontroversen als von detaillierten politischen Gesetzgebungsalternativen. Oder aber die Änderungen im Ausschuß beziehen sich auf (mehr oder weniger zahlreiche) Ein-Punkt-Probleme, in denen eine Regelung nicht im Grundsatz verändert, sondern in ihrem „Wie" quantitativ modifiziert wird (ζ . B. Verlängerung/Verkürzung von Fristen; Erhöhung/Senkung eines Leistungsniveaus usw.). Ausschußberatungen können Gesetzentwürfe grundsätzlich nicht mehr konzeptionell ändern. (2) Ausschußberatungen als Kompromißverhandlungen? . Entgegen einem verbreiteten staatsrechtlich geleiteten Verständnis 618 sind jedenfalls weder die öffentlichen parlamentarischen Verhandlungen noch die formellen Ausschußberatungen institutioneller Kern von Kompromißbildungsprozessen. Solche finden in informalen Instanzen und Begleitverhandlungen, vor allem im Rahmen der Mehrheitsfraktionen statt. Nur ganz selten werden überhaupt einmal Regierungsentwürfe von vornherein unter den Vorbehalt ihrer Veränderung im Gesetzgebungsverfahren gestellt, weil die partei- und regierungsinternen Kontroversen und die Einwände des interessierten Sachverstandes offenkundig nicht ausdiskutiert worden sind, aber ein politischer Zeitdruck besteht 619 . Solche koalitionsintern umstrittenen Projekte können dann während der Ausschußphase wesentliche Änderungen erfahren. Die Behauptung, „nicht selten" gingen „erhebliche Teile" eines Gesetzentwurfes der 614 S. dazu BT-Drs. 9/2104, S. 20 ff. und BT-Drs. 9/2114, S. 6 f. („Ausschuß hat sich der von der Bundesregierung vertretenen Auffassung angeschlossen ...")· 615 Vgl. auch R. Sturm, PVS 26 (1985), 247 (258) am Bsp. des HaushaltsA. 616 Vgl. hierzu auch W. Zeh, in: Theorie und Methoden (Fn. 177), S. 57 (67); J. Kölble, Die Verwaltung 18 (1985), 388 (388); G. Kretschmer, in: W. Schreckenberger (Hg.), Gesetzgebungslehre, S. 170. 617 S. auch zur Kritik C.-C. Schweitzer, Der Abgeordnete (Fn. 296), S. 144ff.; H.-P. Schneider, HdbVerfR, S. 285; G. Hillmann, VerwArch 77 (1986), 1 (14). 618 Vgl. etwa H. Kelsen, Das Problem des Parlamentarismus, 1926, S. 32; H. Steiger, Studium Generale 23 (1970), 710 (731); H. Oberreuter, Aus Politik und Zeitgeschichte, Β 2/83, S. 19 (24); H.-P. Schneider, HdbVerfR, S. 262; H. H. v. Arnim, Staatslehre, S. 323. 619 S. aber ζ . B. zum Scheidungsfolgenrecht-Reformentwurf der christlichliberalen Koalition in der 10. WP: FAZ v. 25. 10. 1984, S. 1; FR v. 25. 10. 1984, S. 3.
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Opposition in die Beschlußempfehlungen des Ausschusses ein 6 2 0 , läßt sich für die 9. WP nicht wirklich (d. h. in Absehung von unmittelbaren Folgen des Regierungswechsels 1982 bzw. von der Rolle des Bundesrates als Opposition bei zustimmungsbedürftigen Gesetzen) verifizieren; dieses dürfte generell eine singuläre Erscheinung sein. Selbst eine Neigung zur Konsensfindung über die Regierungsmehrheit hinaus 621 läßt sich bei materialer Betrachtungsweise empirisch anhand der Entwurfsveränderungen im Ausschuß nur begrenzt verifizieren. (3) Das Ergebnis der Ausschußberatungen: Legitimation durch Kontrolle Andererseits läßt sich aus dem Umstand, daß Regierungsentwürfe weitgehend unverändert verabschiedet werden, nicht schließen, der Ausschuß habe nicht gründlich beraten oder sanktioniere immer bloß „blind" die Vorgaben der Regierung 622 . Er mag durchaus eingehend und vielleicht kontrovers beraten und den Entwurf dennoch legitimatorisch bewußt bestätigt haben. Freilich berät der Ausschuß ein Gesetz oft nur einmal; auch hochumstrittene Gesetze werden mitunter nur in zwei oder drei Sitzungen beraten. Bedeutsam ist auch der Umstand, daß die jeweils unterschiedlichen speziellen Schwerpunktinteressen der einzelnen Ministerien sich auf der Ebene der Ausschüsse wiederholen, die die Gesetzesprojekte unter verschiedenen (Sach-)Gesichtspunkten und deshalb durchaus kontrovers beurteilen können 6 2 3 . Insgesamt läßt sich die Ausschußarbeit im Bundestag praktisch nur begrenzt als Korrektiv der ministeriellen Gesetzentwürfe ansehen; empirisch wird mithin eine starke Bindungskraft des Regierungshandelns 624 für die Gesetzgebungspraxis bestätigt. Aber der Bundestag kontrolliert: selektiv, punktuell, konzeptionell immanent. Das schließt nicht aus, daß im Einzelfall ganze Gesetze auch einmal völlig umgestaltet werden 625 oder jedenfalls intensiv diskutiert und modifiziert werden — die Regel ist das keineswegs626. Dennoch sind Diskussionen und 620
So A. Ger ont as, EuGRZ 1982,145 (148) unter Berufung auf H. Troßmann, JöR 28 (1979), 1 (287 ff.). 621 S. W. Zeh, in: Theorie und Methoden (Fn. 177), S. 64; V. Nienhaus, ZParl 16 (1985), 163 (165); anders U.Lohmar, Haus (Fn. 296), S. 159f.- Die Nicht-Öffentlichkeit der Ausschußberatungen wird gerade im Hinblick auf die Erleichterung von Kompromissen gerechtfertigt, s. W. Zeh, ebd., S. 65 f.; ferner Η. Η. v. Arnim, DÖV 1985, 593 (597). 622 Vgl. aber W. Maihofer, in: G. Winkler u. a. (Hg.), Gesetzgebung, 1981, S. 3 (22): Parlament „bloßes Ratifikationsorgan für Regierungsinitiativen". 623 Vgl. H. Schmitt-Vockenhausen, in: Bundestag von innen (Fn. 182), S. 137 (138; s. a. 147). Als extremes Beispiel s. das 3. GüKÄndG{E), vgl. oben bei Fn. 412. 624 Zu ihr S. Magiera, Staatsleitung (Fn. 3), S. 280 ff. 625 S. ζ. B. aus der 9. WP das AsylVfG, aus der 10. WP das Bilanzrichtlinie-Gesetz. Indiz kann dabei der Verzicht auf die übliche Synopse von (Regierungs-)Entwurf und Ausschußfassung im Ausschußbericht sein. 626 S. a. zur Parallele auf Landesebene als Bsp. für intensive Politik-Gestaltung durch inhaltliche Zielsetzung betr. das BayEUG: B. Becker, BayVBl. 1985, 641 (646, 647).
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Kontrollen in den Ausschüssen offenbar so genau und intensiv, daß der „Wertungsvorsprung" des Parlaments 627 mehr als nur eine Fiktion ist: „Der" parlamentarische Gesetzgeber nimmt in den Ausschußberatungen den Regelungsinhalt der Gesetzentwürfe in ausreichendem Maß in seinen Willen auf, diskutiert — sei's strategisch-instrumental, sei's diskursiv — einige wesentliche, politisch umstrittene Fragen auf ihre Vertretbarkeit hin und legitimiert damit das Gesetz materiell, über die legitimatorische Kraft des Gesetzgebungsverfahrens als solches hinaus. Die Mehrheit rechtfertigt die Regelungen trotz rationaler Kritik und beglaubigt damit die Sach-Gerechtigkeit des Gesetzentwurfs. c) Fraktionsberatungen
Parallel zu den Ausschußberatungen finden über die (partei-)politischen Grundsatzfragen der Gesetzentwürfe Beratungen in den Bundestagsfraktionen 6 2 8 , unter den Ausschußabgeordneten sowie vor allem in den einschlägigen Fraktionsarbeitskreisen 629 statt. Diese betreuen (mitunter mehrere) ihnen zugeordnete Fachausschüsse; die „Obleute" jeder Fraktion in den Fachausschüssen bilden das organisatorische Scharnier zur Koordination zwischen Fraktion(svorstand) und Ausschuß(vertretern), zwischen den verschiedenen Ausschußmitgliedern aus derselben Fraktion untereinander und zwischen den Parteien im Ausschuß. Vor allem koalitionsintern offene Konflikte werden hier außerhalb des Ausschusses beigelegt 630 , oft zusammen mit Vertretern der Regierung, nicht nur den parlamentarischen Staatssekretären. Die entscheidenden, permanenten Einflüsse des Parlaments auf die Regierung und damit die Inhalte auch der Gesetzgebung erfolgen im Rahmen der Arbeit der (Mehrheits-)Fraktionen i. S. einer pragmatischen Zusammenarbeit von Politik und bürokratischem Sachverstand 6 3 1 . Die Fraktionen bleiben rechtlich Parlamentsgliederungen 632 und können und sollen daher ihren Parteigremien gegenüber (relativ) distanziert und unabhängig 627
S. S. Magiera,, Staatsleitung (Fn. 3), S. 234ff. Allg. zur Stellung der Fraktionen H. Meyer, VVDStRL 33 (1975), 92ff.; H. Borchers AöR 102 (1977), 210 (222ff.); N. Achterberg, Parlamentsrecht, S. 274ff. m. ausf. Nw.; zur Stellung des Abgeordneten in der Fraktion s. Κ Abmeier, Die parlamentarischen Befugnisse der Abgeordneten des Deutschen Bundestages nach dem Grundgesetz, 1984, S. 196ff. 629 Vgl. zu diesen F. Schäfer, Bundestag (Fn. 223), S. 144ff.; G. Kretschmer, in: W. Schreckenberger (Hg.), Gesetzgebungslehre, S. 170f.; zur Vielfalt der weiteren Abgeordneten-Gruppierungen H. J. Schröder, Verbände (Fn. 57), S. 145 f.; zu den ObleuteBesprechungen U. Lohmar, Haus (Fn. 296), S. 156f.; speziell zu den Fraktionsvollversammlungen H. Schatz, Entscheidungsprozeß (Fn. 592), S. 68 ff. 628
630
S. W. Zeh, in: Theorie und Methoden (Fn. 177), S. 68 f. S. W. Mößle, Regierungsfunktionen, S. 147; zur Parallele auf Landesebene vgl. B. Becker, BayVBl. 1985, 641 (647 f.). 632 S. BVerfGE 20, 56 (104f.). 631
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sein 633 . Eben weil aber der Schwerpunkt (partei-)politischer Diskussionen mit faktisch bindender Wirkung auch für die Gesamtpartei in den Fraktionen erfolgt, sind diese zugleich der permanente Resonanzboden für das der jeweiligen politischen (Bundes- bzw. Landes-)Partei Zumutbare. Breite innerfraktionelle Diskussionen auf der Ebene der Gesamtfraktion gelten in aller Regel nur hochpolitischen Gesetzesfragen, deren Heraushebung aus dem Strom der Gesetzgebung weniger nach legislatorischen als nach nicht immer durchschaubaren Kriterien politischer Sensibilität (und potentieller Wählerwirksamkeit) erfolgt. Regelmäßig dominieren die Fraktionsarbeitskreise, die personell weithin identisch sind mit den Fachleuten im Bundestagsausschuß. Kontroversen zwischen Ausschußmitgliedern einerseits und Fraktionsarbeitskreisen andererseits werden demzufolge kaum je erkennbar. d) Die einzelnen Abgeordneten
Dem grundgesetzlichen Anspruch nach konstituiert sich „der Mehrheitswille in den parlamentarischen Gremien" aus der individuellen Auseinandersetzung mit den Standpunkten der einzelnen und unabhängigen Abgeordneten (Art. 38 I G G ) 6 3 4 , auch innerhalb der Fraktion 6 3 5 . Das setzt „umfassende politische Kommunikation, Berücksichtigung der zu erwartenden Reaktionen in der Öffentlichkeit und 'beim Wähler', politischen Tausch und Kompromiß voraus" 6 3 6 , wie es Freiheit, Gleichheit und Öffentlichkeit des Abgeordnetenstatus rechtlich gewährleisten 637 . Alle Erfahrungsberichte von Abgeordneten selber bestätigen die faktische Einbindung der einzelnen in das Fraktionsmanagement bzw. auf gesamtparlamentarischer Ebene in die parlamentarische Führung durch den Ältestenrat 638 . Vor diesen organisationssoziologisch letztlich unvermeidlichen Zwängen nimmt sich der Einfluß des einzelnen Abgeordneten bescheiden aus 6 3 9 . Das einzelne MdB ist schlechterdings nicht in der Lage, 633 S. A. Greifeid, Der Staat 23 (1984), 501 (504); D. Sternberger, JöR 33 (1984), 1 (27); H.-H. Kasten, ZParl 16 (1985), 475 (476). 634 S. A. Greifeid, Der Staat 23 (1984), 501 (503, 515); ausf. zur Rechtsstellung des einzelnen Abgeordneten: Ρ. Badura, in: BonnKomm, Art. 38/Rdn. 70ff.; N. Achterberg, Parlamentsrecht, S. 215ff.; K. Abmeier, Befugnisse (Fn. 628), S. 25ff., 76ff.; für ihre Verstärkung aus verfassungsrechtlichen Gründen J. Kürschner, Statusrechte (Fn. 292), S. 139 ff. 635 Zuletzt m. w. Nw. H.-H. Kasten, ZParl 16 (1985), 475 (479f.) zum Stand der (eher realitätsfernen) rechtlichen Diskussion. 636
G. Zimmer, Funktion (Fn. III/171), S. 254. S. P. Häberle (1976), in: ders., Verfassungsrechtsprechung, S. 215 (218ff.). 638 S. etwa D. Lattmann, Einsamkeit (Fn. 170), S. 14ff.; C.-C. Schweitzer, Der Abgeordnete (Fn. 296), S. 53 ff., 91 ff., 232ff. u. ö.; s. a. ders., Aus Politik und Zeitgeschichte, Β 24-25/85, S. 45 ff. 639 Aus der Lit. s. H. Sendler, NJW 1985, 1425 (1426 ff., 1431 f.); W. Maihofer, in: G. Winkler u. a. (Hg.), Gesetzgebung, 1981, S. 3 (22) sieht schon eine „Denaturierung der Rolle des Abgeordneten". 637
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allein die amtlich gedruckte Informationsflut zu lesen, geschweige zu verarbeiten 6 4 0 . Vereinzelte Initiativen von Abgeordneten in Richtung auf mehr Freiheit des einzelnen MdB bestätigen diese Einschätzung, insofern sie durchweg die Stellung des einzelnen MdB zu stärken suchen 641 ; strukturelle Abhilfe ist nicht ersichtlich. Selbst in den Beratungen der (ständigen) Ausschüsse finden die Änderungsvorschläge der Abgeordneten als einzelne trotz guter Gründe nicht einmal die Mehrheit der eigenen Fraktionsgenossen 642. Ohne Fraktionssolidarität kann es keine parteienstaatliche Demokratie geben, wie sie im Verhältniswahlrecht und der politischen Kultur in Deutschland seit langem an- und festgelegt ist 6 4 3 . Allenfalls in jenen Ausnahmefallen, in denen parteipolitisch umstrittene Gesetze zusätzlich von fundamentalen Gewissensproblemen bei einem erheblichen Teil der Abgeordneten überlagert werden (ζ. B. die Verjährung von Mord bei Nazi-Verbrechen; ζ. T. auch die Reform des §218 StGB), kann das einzelne MdB gesetzesentscheidende Bedeutung jenseits der Vorabentscheidungen in den Fraktion(sführung)en gewinnen. Im Regelfall ist seine Wirkung fraktionsabhängig in einem „Geflecht von Solidarität, persönlicher Autorität und wechselseitigem Vertrauen" 644 . Nur deshalb ist es erträglich, daß der einzelne Abgeordnete außerhalb seines Spezialgebietes auch ohne nähere Sachkenntnis den ihm unbekannten Gesetzen zustimmen und sie politisch verantworten kann. Abgeordnete gewinnen individuellen, wesentlich gesetzesgestaltenden Einfluß als sachbereichsspezifisch maßgebende Fachleute für die Fraktion 6 4 5 . Maßgebend werden sie als Berichterstatter eines Gesetzes im Ausschuß, als Obleute ihrer Fraktionen in bestimmten Ausschüssen und/oder als Vorstandsmitglied jener Fraktionsarbeitskreise oder als Mitglied von koalitionsinternen 640
S. J. Rottmann, FS Gesellschaft f. Rechtspolitik, 1984, S. 329 (333 f.).- Der Verfasser dieser Arbeit kann die Plausibilität dieser auch woanders häufiger geäußerten These nur unterstreichen. 641 S. o. vor allem die „Hamm-Brücher-Initiative" und die Selbstverständnis-Debatten des Deutschen Bundestages, s. Nw. in Fn. 262. 642 S. ζ. B. BT-Drs. 9/979, S. 15 (Vorstoß von MdB Langner, der eine Anregung des BRH sich zu eigen machte); BT-Drs. 9/2137, S. 27 (Antrag von MdB Lowack betr. Zuständigkeit beim Rechtshilfeverkehr gemäß IRG).- Dennoch soll schon die bloße Möglichkeit von Plenaranträgen zu Konsensbildung in der Fraktion führen, so W. Zeh, in: Theorie und Methoden (Fn. 177), S. 71. 643
S. G. Dürig, Abweichende Stellungnahme zum Bericht des vom Bundesminister des Innern eingesetzten Beirats für Fragen der Wahlrechtsreform, zit. nach P. Lücke, Ist Bonn doch Weimar?, 1968, S. 146 (148, 150f.); weiter H. Sendler, NJW 1985, 1427f.; H.-H. Kasten, ZParl 16 (1985), 475 (476 ff.); s. a. W. Ismayr, Aus Politik und Zeitgeschichte, Β 24-25/85, S. 32 (40 f.). 644 M. Kriele, VVDStRL 29 (1971), 46 (71); zust. H.-H. Kasten, a. a. O., S. 477; s. a. H. Steiger, Grundlagen (Fn. 221), S. 200 f. 645 S. C.-C. Schweitzer, Der Abgeordnete (Fn. 296), S. 155 f.; G. Kretschmer, in: W. Schreckenberger (Hg.), Gesetzgebungslehre, S. 171 f.
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Expertengruppen, in denen die Gesetzgebung entscheidend beraten w i r d 6 4 6 . Hier ist der Einfluß des einzelnen MdB im sachbereichsspezifischen Detail sehr groß: Ihre Arbeit als einzelne entscheidet letztlich über die Kontrollkraft des gesamten Bundestages. In Verbindung mit parteipolitischen Konfliktlinien können einzelne Parlamentarier besonderen Einfluß erlangen 647 . Es bleiben erhebliche Zweifel, ob selbst diese Experten, unter dem Zeitdruck und der Arbeitsbelastung des politischen Prozesses, die akribischen Feinheiten der Fachgesetze in ihrer Vielfalt wirksam kontrollieren können, über die herausgegriffenen, politisch umstrittenen Einzelfragen hinaus 648 : Die Kontrolle ist wohl ζ. T. zu punktuell. e) Plenumsberatungen und Beschluß
Die Plenumsberatungen haben nur noch eine sehr mittelbare Kontrollwirkung auf den Gesetzgebungsprozeß. Ein Viertel aller Gesetze (9. WP: 21 von 85) werden nach Maßgabe der interfraktionellen Vereinbarungen im Ältestenrat ohne jede Aussprache, im Plenum also gar nicht erst „verhandelt"; mit einer Ausnahme (2. BApOÄndG) war in diesen Fällen auch die Ausschußempfehlung einstimmig verabschiedet worden. Ihre Einzelregelungen erscheinen den Politikern politisch unergiebig und/oder nur für einen kleinen Expertenkreis von Interesse. Plenumsberatungen sind, abgesehen von der abschließenden entscheidenden Abstimmung durch den Gesetzesbeschluß, ohne immittelbare Wirkung auf den Gesetzesinhalt. Das Prinzip der Repräsentation ist in die Ausschüsse und Fraktionen des Parlaments „'vorverlagert'" 649 . Die schnelle Kritik am Fehlen großer Gesetzgebungsdebatten, an Verzichten auf Debatten zumindest in 1. Lesung oder gar in allen Lesungen eines Gesetzes, Verzichte des Bundestages auf Plenumsdebatten zu bedeutungsvollen Detailfragen und auch an der Verlagerung der Diskussionen in die Ausschüsse und an dem damit verbundenen Öffentlichkeitsverlust usw. 6 5 0 hat weniger politisch beliebige als tiefsitzende 646 S. ζ. B. in der 10. WP die Rolle der „Innenpolitiker" Miltner, Laufs und Fellner (CDU/CSU) und Baum und Hirsch (FDP) bei den Beratungen über die Gesetze zum Datenschutz und zur inneren Sicherheit, etwa FAZ v. 22. 11. 1985, S. 2; zur Analyse bereits H. Schatz, Entscheidungsprozeß (Fn. 592), S. 64ff.; zur parallelen Konzentration der Diskussion auf wenige Abgeordnete auch im Ausschuß auf (bayerischer) Landesebene: Β. Becker, BayVBl. 1985, 641 (647). 647 Man denke an das Bonmot, was (zu Zeiten der sozial-liberalen Koalition) rechtspolitisch möglich sei, entscheide der (FDP-)Abgeordnete Kleinert; s. a. zum Votum „der maßgeblichen Steuerpolitiker der Koalition, Professor Reinhold Kreile (CSU) und Hans H. Gattermann (FDP)" betr. die Einigung über das Steuerbereinigungsgesetz der 10. WP: FAZ v. 21. 11. 1985, S. 13. 648 Sehr skeptisch J. Rottmann, FS Gesellschaft f. Rechtspolitik, 1984, S. 341: „keine reale Chance". 649 So BVerfGE 44,308 (319); vgl. zur Rolle der Fraktion auch BVerfGE 20,56 (104 f.). 650 Vgl. T. Ellwein, DÖV 1984, 753 f.
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strukturelle Gründe, v o n denen einer die sachliche Vor-Prägung der Gesetze durch die Regierung i s t 6 5 1 . D i e Änderungsanträge der Opposition i n der 2. Lesung sind ohne Ausnahme erfolglos. Sie spiegeln nur die hochgradigen Auseinandersetzungen i n der Sache u n d wiederholen meist nur einige der Anträge, m i t denen die Minderheitsfraktionen schon i m Ausschuß unterlegen s i n d 6 5 2 , u m politische Alternativen grundsätzlicher A r t öffentlichkeitswirksam zu demonstrieren. Entweder handelt es sich u m die generelle A b l e h n u n g eines Gesetzes oder wesentlicher Kernbestandteile, oder u m symbolkräftige punktuelle Einzelregelungen 6 5 3 . Vereinzelt w i r d so auch der (vergebliche) Einsatz für eine bestimmte Wähler-Klientel oder für bestimmte Interessen d e m o n s t r i e r t 6 5 4 . Erst recht sind entsprechende Änderungsanträge v o n einzelnen (fraktionslosen) Abgeordneten e r f o l g l o s 6 5 5 . Soweit Änderungsanträge Erfolg haben, sind sie entweder i n t e r f r a k t i o n e l l 6 5 6 oder von der Regierungsmehrheit getragen. Sie korrigieren „ i n letzter M i n u t e " eine i m Gesetzgebungsverfahren nicht erkannte oder angemessen bearbeitete, fehlerhafte (eher „technische") Regelung(slücke) 6 5 7 oder eine zweifelhafte
651 Vgl. zu Parallelen auf Landesebene B. Becker, BayVBl. 1985, 641 (646 f.); zu Abhilfemöglichkeiten s. u. Kap. XI. 652 S. ζ . B. betr. 20. StrÄndG, BT-Drs. 9/450, S. 8f. (AB) und BT-Drs. 9/608; betr. BerBiFG, BT-Drs. 9/850, S. 2, 7 ff. u. ö. (AB) und BT-Drs. 9/854; RAG 1982, BT-Drs. 9/884, S. 57 (AB) und BT-Drs. 9/924; AFKG, BT-Drs. 9/966, S. 76 (AB) und BT-Drs. 9/995 — 997; KVEG, BT-Drs. 9/977, S. 21 (AB) und BT-Drs. 9/1005 — 1016; MErhAngG, BTDrs. 9/2284, S. 2ff. und BT-Drs. 9/2277; KDVNG, BT-Drs. 9/2333, S. 2f. (AB) und BTDrs. 9/2338,2339 und 2340; HBeglG 1983, BT-Drs. 9/2290, S. 18,27,17f., 32,15ff. und 24 und entsprechend BT-Drs. 9/2317, 2318, 2319, 2322, 2323 bzw. 2324.- Derartige Änderungsanträge gab es zudem beim SGB-X/3. 653 Vgl. zu gesundheits(ordnungs)politisch umstrittenen Einzelregelungen des KHGÄndG die Oppositionsversuche: BT-Drs. 9/998 — 9/1004; zur öffentlichen Zugänglichkeit von Kleingartenanlagen betr. BKleingG: BT-Drs. 9/2241; zur paritätischen Mitbestimmung bei Abweichung von der Regelbesatzung betr. 3. SeemÄndG, BT-Drs. 9/2242. 654
S. ζ. B. betr. das Verbot der Arbeitnehmerüberlassung in der Bauwirtschaft den vergeblichen, auch vom Bundesrat nicht durchgesetzten Plenar-Antrag der Opposition, BT-Drs. 9/995, gegen Art. 1 § 1 Nr. 2 AFKG(E). 655 S. betr. KDVNG: BT-Drs. 9/2346 (MdB Coppik und Hanseh); ebenso dies. betr. HG 1983, s. BT-Drs. 9/2321 und 2327. 656 S. die 3 Anträge betr. VerschmelzRiG, BT-Drs. 9/1977 (bloße Verschiebung des Inkrafttretenstermins); betr. SGB/X-3, BT-Drs. 9/1779 (Härtebeseitigung einer Anrechnungsregel des 2. HStruktG); betr. WBeauftrÄndG, BT-Drs. 9/1441 (besoldungstechnische Fehlerbeseitigung). 657 S. ζ. B. die Erweiterung der RVO-Ermächtigung in § 267 I I I L A G i. d. F. Art. 18 RAG 1982(E), um Auswirkungen des Krankenversicherungsbeitrages der Rentner auf die Kriegsschadensrente zu mindern, vgl. BT-Drs. 9/922, S. 2, betr. eine bereits vom InnenA gegenüber dem federführenden ArbeitsA monierte, von diesem aber nicht verarbeitete Ungleichbehandlung von Kriegsschadensrentnern, vgl. BT-Drs. 9/884, S. 53 f. (AB); s. ferner die Harmonisierung von Einkommensteuer- und Kindergeldrecht in Art.
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politische Entscheidung 658 . Sie sind stets Ausdruck einer besonderen Ausnahmesituation. Die Veröffentlichungsfunktion der Plenumsberatungen 659 hat aber eine zentrale mittelbare Wirkung: Probleme, Kontroversen oder Alternativen aus den internen Ausschuß- und Fraktionsberatungen werden in besonderer Weise öffentlich sichtbar gemacht, auch wenn sie über die Massenmedien schon im Vorfeld registriert und erörtert worden sein sollten. Die Plenumsauseinandersetzung hat politisch eine eigene kontrollierende, informierende und meinungsbildende Bedeutung erhalten, insofern die politischen Ziele und Alternativen eines Gesetzes am Ende eines Entscheidungs- und Kontrollprozesses öffentlich plausibel gemacht werden (müssen) 660 . Von den 31 (von 85) Gesetzen, die in allen drei Lesungen jeweils zu Aussprachen führten, sind nur 5 vom Plenum, 7 vom Ausschuß einstimmig verabschiedet worden; aber 8 von 9 namentlichen (Kampf-)Abstimmungen der 9. WP (in 2. oder 3. Lesung) beziehen sich auf diese 31 Gesetze. Plenardebatten legen politische Kontroversen offen. Auf den Gesetzesinhalt ist diese Verfahrensstation im Gesetzgebungsprozeß praktisch weitgehend ohne Einfluß 6 6 1 , mag aber auf spätere Beratungen anderer Gesetze sich auswirken. Die Existenz von drei Lesungen ist nicht nur ein ritualisierter historischer Irrtum 6 6 2 , sondern ein institutionalisierter Aufruf zur Selbstreflexion: Wer als Abgeordneter dreimal bewußt abstimmt, kann sich hinterher nur schwer auf einen politischen „Irrtum" berufen. Insofern erschweren 3 Lesungen es dem einzelnen Abgeordneten, sich von seiner politischen (Gesamt-)Verantwortung zu distanzieren. Das parlamentarische Verfahren endet mit einem formellen (Mehrheits-) Beschluß, der — ähnlich wie Plenumsberatungen — materiell primär eine öffentlichkeitsbezogene Bedeutung hat und den Konsens „notariell" bestätigt oder den Konflikt auf Zeit verbindlich schlichtet 663 .
25 Nr. 7 d, bb 2. HStruktG(E), BT-Drs. 9/1022; die Giôichbehandlung betr. Unterhaltsgeld im Bereich der beruflichen Rehabilitation wie der beruflichen Bildung in Art. 1 Nr. 9 a, aa AFKG(E), BT-Drs. 9/1023. 658 S. (ζ. B.) die Verschiebung der Stelleneinsparung um 1 % bei der BfArb auf das Jahr 1983 (wegen der steigenden Arbeitslosigkeit): BT-Drs. 9/1025 betr. Art. 5 § 1 2. HStruktG(E), o. Begr.; die Ausweitung des (erst in den Ausschußberatungen festgelegten) Berechtigtenkreises für eine verkürzte Krankenpflegerausbildung: BT-Drs. 9/1024 betr. Art. 6 a KHGÄndG(E). 659 S. etwa L. Kißler, Öffentlichkeitsfunktion (Fn. 225), S. 304ff.; W. Mößle, AöR 101 (1976), 113 (116); R. Binder, DVB1. 1985, 1112ff. 660 S. Η. Η. v. Arnim, Staatslehre, S. 321. 661 Vgl. auch T. Ellwein u. a., Parlament (Fn. 166), S. 252. 662 S. J. Jekewitz, Der Staat 15 (1976), 537 (540ff.) 663 Zu den Arten der Mehrheitsfeststellung s. P. Schindler (Bearb.), Datenhandbuch, S. 704; s. näher unten Kap. X/bei Fn. 447 ff. 23
Schulze-Fielitz
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IX. Bundesgesetzgebung als Verhandlungs- und Entscheidungsprozeß
Zahlreiche Gesetzesbeschlüsse sind dabei auf Ausschußempfehlungen hin von einer Entschließung des Bundestages i. S. eines schlichten Parlamentsbeschlusses begleitet 664 . Sie sind durchweg Ausdruck von Problemen, die in engem Zusammenhang mit dem Gesetz stehen, aber von diesem nicht oder nicht eindeutig gelöst worden sind. Die — ζ . T. mit konkreten Fristsetzungen verbundenen 665 — Entschließungen formulieren politische Absichtserklärungen, Klarstellungen, mehr oder weniger konkrete Aufforderungen an die Bundesregierung zu bestimmten politischen Aktivitäten, Prüfungsempfehlungen usw. und ordnen das Gesetz als Regelwerk auf diese Weise in übergreifende politische Zusammenhänge, namentlich den dauerhaften, end-losen Politikformulierungs- und Gesetzgebungsprozeß ein. Nur selten werden sie in den Ausschußberichten näher erläutert 666 . Sie sind Indiz für weiteren Lösungsbedarf, den das verabschiedete Gesetz nur unvollkommen befriedigt hat. Ihre konkrete Wirksamkeit entzieht sich einer näheren Analyse, auch wenn auf solche Ersuchen des Bundestages gelegentlich in Entwurfsbegründungen ausdrücklich Bezug genommen wird 6 6 7 . Als ergänzende Erläuterung gesetzgeberischer Zielvorstellungen können sie aber die gesetzlichen Zielvorstellungen und damit die Auslegung des Gesetzes erschweren 668. 5. Das informale Gesetzgebungsverfahren Eine realistische Betrachtung des Gesetzgebungsverfahrens wird nicht nur die rechtlich vorgesehenen Verfahrensstationen und die dort formell vorgesehenen Diskussions- und Entscheidungsprozesse ansehen, sondern sie zugleich im Zusammenhang mit den außerverfahrensrechtlichen Prozeduren betrachten.
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Vgl. BT-Drs. 9/429, S. 3 (AB) betr. KSVG; BT-Drs. 9/443, S. 4 (AB) betr. BtMNG; BT-Drs. 9/603, S. 5 (AB) betr. 7. BAföGÄndG; BT-Drs. 9/827, S. 3 betr. BerBiFG; BT-Drs. 9/884, S. 4 (AB) betr. RAG 1982; BT-Drs. 9/972, S. 2 (AB) betr. 9. BKGÄndG; BT-Drs. 9/975, S. 5 (AB) betr. BillBG; BT-Drs. 9/977, S. 3 (AB) betr. KVEG; BT-Drs. 9/1176, S. 2 (AB) betr. Tiefs Ber gbÄndG; BT-Drs. 9/1630, S. 4 (AB) betr. AsylVfG; BT-Drs. 9/1753, S. 4 (AB) betr. SGB-X/3; BT-Drs. 9/1761, S. 3 (AB) betr. 4. WeinÄndG; BT-Drs. 9/1996, S. 2 (AB) betr. PimpfAufhG; BT-Drs. 9/2235, S. 3 betr. 1. ZahnHKÄndG; BT-Drs. 9/2264, S. 2 betr. StVÄndG; BT-Drs. 9/2283, S. 4f. betr. HBeglG 1983; BT-Drs. 9/2293, S. 3 (AB) betr. KDVNG. 665 S. z. B. BT-Drs. 9/827, S. 3 betr. BerBiFG: „bis zum Sommer 1982" Konzepte zur Verbesserung der Ausbildungsplatzsituation; BT-Drs. 9/2283, S. 5 betr. HBeglG 1983: „ i m Laufe der Jahre 1983/84": Vorlage eines Gesetzentwurfs betr. sozial gerechtere Altershilfe für Landwirte. 666 667 668
Zu einer solchen Ausnahme s. BT-Drs. 9/2326, S. 3 f. betr. MikroZG. So z. B. beim 3. StiftHKÄndG( E), s. BT-Drs. 9/2038, S. 4 (EB). S. zu einem Bsp. aus der 10. WP: H. Schnellenbach, NVwZ 1985, 327 (328).
5. Das informale Gesetzgebungsverfahren
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a) Interfraktionelle Gesetzesinitiativen
Für bestimmte Sachbereiche haben sich überparteilich-interfraktionelle Gesetzesinitiativen als Regel-Praxis herausgebildet. Diese von Regierungs- und Oppositionsfraktionen gemeinsam eingebrachten Gesetzentwürfe werden stets auch weithin einmütig zu Gesetzen. Ihr Anteil an allen verkündeten Gesetzen ist gering und betrug in der 9. WP 2,9 o/o 669. Dabei ging es um die neue Wahlkreiseinteilung 670 und um Änderungen der Stellung der Wehrbeauftragten des Bundestages671, des BerlinförderungsG 672 (ungeachtet eines parallelen textidentischen Regierungsentwurfs) sowie des TiefseeBergbG 673 . Im Vergleich auch mit vorherigen Wahlperioden führen, verallgemeinert, regelmäßig zu interfraktionellen Gesetzentwürfen 674: (1) Berlin direkt betreffende Gesetze, zur Demonstration einmütiger Verbundenheit; (2) Gesetze, die die innere Organisation des Bundestages betreffen, bis zum Einzug der „Grünen" in den Bundestag auch Gesetze über Abgeordnete (und ihre Diäten) und über die Parteien; (3) parlamentarische Initiativen, die auch völkerrechtliche Beziehungen des Bundes zu Drittstaaten i. S. einer einmütigen Stützung auswärtiger Aktivitäten abzielen; ferner (4) bei Stützung der Regierung in inneren und äußeren Ausnahmesituationen, bei (5) Kriegsfolgenbeseitigung als Sache des ganzen Volkes sowie (6) bei Verfassungsänderungen. Auch dort, wo die Initiative allein von der Regierung ausgeht, können in den Parlaments- und Ausschußberatungen interfraktionelle Gemeinsamkeiten informale Regeln konstituieren. So soll der Innenausschuß bemüht sein, die Frage der Wahlkreisänderungen stets einmütig zwischen allen Fraktionen zu regeln 675 ; bis 1969 wurde stets auch die Strafgesetzgebung einmütig verabschiedet 676. Auch in den allgemeinen Ausschußberatungen wird den Interessen Berlins in aller Regel entgegengekommen677. Geschieht das ausnahmsweise nicht, hilft spätestens der Bundesrat 678 .- Primär wegen des interfraktionellen Einverneh-
669 In der 7. WP betrug dieser Anteil 3,0 % ( = 15 Gesetze), in der 8. WP 4,1 % ( = 14 Gesetze). 67 0 6. BWahlÄndG, s. BT-Drs. 9/2034. 67 1 WehrbeauftrÄndG, s. BT-Drs. 9/419. 67 2 3. BerlinFÄndG, s. BT-Drs. 9/2086. 67 3 Tiefs Ber gbÄndG, BT-Drs. 9/1074; zu den Einzelheiten s. W. Lauff NJW 1982, 2700ff.; ebenso schon das TiefseebergbauG selber, s. BT-Drs. 8/2363. 674 Ausf. Nw. zum folgenden Text bereits bei H. Schulze-Fielitz, Verfassungsstaat, S. 54f. 67 5 S. F. Schäfer, Diskussionsbeitrag auf der Veranstaltung der Vereinigung für Parlamentsfragen am 22. 6. 1983 im Bonner Bundeshaus, Stenographische Niederschrift, S. 35. 676 Vgl. in diesem Sinne jedenfalls Κ Lackner, NJW 1976, 1233 (1234f.). 677 S. ζ. B. die Streichung von § 2 des BerlinFG i. d. F. von Art. 29 2. HStruktG(E), vgl. BT-Drs. 9/971, S. 89 (AB).
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IX. Bundesgesetzgebung als Verhandlungs- und Entscheidungsprozeß
mens wird unter Zeitdruck auch einmal die Stellungnahme eines mitberatenden Ausschusses nicht abgewartet 679 . Und der Ausschuß verzichtet auf den Plan ein Plenarentschließung mit Berichtspflichten für die Bundesregierung, wenn diese schon in den Ausschußberatungen selber erklärt, sie werde bis zu einem bestimmten Termin den Ausschuß über ihr Prüfungsergebnis unterrichten 680 . b) Parallele informale ËinfluBinstanzen
Dem Gesetzgebungsverfahren laufen fraktions- oder parteiinterne und öffentliche Willensbildungsprozesse parallel, die sich — vermittelt über fachspezifische Parteigremien — auch im parlamentarischen Gesetzgebungsverfahren niederschlagen können 6 8 1 . Nicht nur, aber vor allem in Koalitionsregierungen können so besonders Veto-Positionen öffentlich durchgesetzt werden, mitunter aber auch positive Gestaltungsvorschläge; das gilt vor allem bei dem „Parteitagsvorbehalt", d. h. wenn politische Grundsatzentscheidungen in Regierung und Fraktionen innerparteilich an Parteitagsvoten gebunden worden sind. Auch der diskursive, der Entscheidungsbildung vorgelagerte Abwägungsprozeß findet heute vor allem auf und anläßlich von Parteitagen statt 6 8 2 . Neben den Parteitagen sind es u. a. Spitzengespräche der Parteivorsitzenden einer Koalition, die maßgebliche Entscheidungen vorformen oder Kompromisse schließen können. Im übrigen ist die Fülle denkbarer informaler Instanzen für Diskussions-, Kompromiß- und Entscheidungsfindungsprozesse unübersehbar und nicht zu überschätzen 683 . Ein Kern der parlamentarischen Entscheidungsfindung sind die Fraktionsvorstände, auch wenn sich in Ausnahmefallen die Fraktion gegen ihren Vorstand durchzusetzen vermag. Die zentralen, hochpolitischen Fragen werden aber in Koalitionsgesprächen auf höchster Ebene entschieden. Ihre Form und Zusammensetzung schwanken. Weniger bekannt als die Spitzentreffen der Parteivorsitzenden („Elefantenrunde") sind (un-) regelmäßige Treffen, in denen unter Leitung des Bundeskanzlers Vertreter seines Amtes, Fachminister, Fraktionsvorsitzende (z. Zt. incl. des CSU-Landesgruppenvorsitzenden) und (z. T.) Fraktionsgeschäftsführer die zentralen Entscheidungen fällen. Diese informalen Formen der Entscheidungsfindung wandeln 678
S. z. B. die Änderung von § 3 I InvestitionszulagenG (Kumulierungsvorschrift) i. d. F. von Art. 37 2. HStruktG(E) durch den Vermittlungsausschuß, BT-Drs. 9/971, S. 77 f. und BGBl. I, S. 1558. 679 So beim 3. StiftHKÄndG, BT-Drs. 9/2234, S. 2 (AB). 680 So z. B. beim (interfraktionell initiierten) 3. BerlinFÄndG, BT-Drs. 9/2182, S. 17 (AB) betr. die Überpräferenzierung von Fertigschokolade. 681 Vgl. auch (für die Landesgesetzgebung) Β. Becker, BayVBl. 1985, 641 (645). 682 S. a. Η. Η. v. Arnim, Staatslehre, S. 320. 683 S. (auf Landesebene) zum „Zehnerklub" im Landtag von N R W als Gremium zur Vorbereitung der Entscheidungen zur Gebietsreform (Innenminister und weitere 9 MdL): VerfGH NRW, OVGE 30,285: „zur Unterstützung des Plenums, der Fraktionen und der Ausschüsse und zur Koordinierung ihrer Arbeit gebildet".
5. Das informale Gesetzgebungsverfahren
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sich von Regierung zu Regierung — entscheidend ist, daß dabei stets alle Koalitionsparteien und Vertreter von (Mehrheits-)Fraktionen und Regierung prominent vertreten sind 6 8 4 . Daneben gibt es eine Fülle institutionalisierter Kontakt-Instanzen. Die Verbandsvertreter suchen noch (letzten) Einfluß zu nehmen 685 . Versteckte spezielle Kampagnen einzelner Verbände gegen einen Regierungsentwurf etwa durch abgestimmte Brief-Aktionen an Abgeordnete 6 8 6 , sind eher Ausdruck von Hilflosigkeit nach einer „verlorenen Schlacht" im (vor-)parlamentarischen Gesetzgebungsprozeß: Solche Einflußnahmen in diesem Stadium haben am wenigsten Erfolg 6 8 7 .- Auch die Öffentlichkeit, namentlich sachverständige Teil-Öffentlichkeiten können wesentlichen Einfluß auf das Gesetzgebungsverfahren nehmen 688 — je früher, desto eher sind Änderungen möglich. Gelegentlich wird auf parallele Verhandlungen auch beim schriftlichen Gesetzgeber Bezug genommen, etwa bei Art. 6 HBeglG 1983(E) auf die laufenden Verhandlungen zwischen Bund und Ländern zum Finanzausgleich, dessen Ergebnis die Bundesregierung rechtzeitig mitteilen werde 689 ; auch sonst wird auf weitere Besprechungen mit den Ländern verwiesen 690 . e) Außerordentliche Verfahrensdurchbrechungen
Außerordentliche Gesetzgebungslagen führen zu außerordentlichen Verfahrensgestaltungen. So gab es anläßlich der Beratungen des BBauG 1960 gemeinsame Sitzungen der beiden Fachausschüsse von Bundestag und Bundesrat 691 , 684 Das in der 10. WP entstandene Gremium, daß auch sehr detaillierte Einzelfragen z. T. über die Leitungsebene der Ministerien hinweg entscheidet, wird im Bonner Ministerialjargon „Politbüro" genannt. Dieser spöttische Ausdruck zielt insoweit treffend auf den die staatsrechtlichen Organe und ihre Kompetenzen übergreifenden Charakter solcher Gremien.- Vgl. zu solchen „Spitzengesprächen" auch C.-C. Schweitzer, Der Abgeordnete (Fn. 296), S. 152 f. 685 H. Leßmann, Aufgaben (Fn. 55), S. 64f.; zu den verschiedenen Instrumenten J. Rottmann, FS Gesellschaft für Rechtspolitik, 1984, S. 338 f.; dabei sind die Fraktionsarbeitskreise ein bevorzugtes Objekt der Interessenbeeinflussung, so H. J. Schröder, Verbände (Fn. 57), S. 146, der den praktisch kaum erforschbaren (und in seiner Bedeutung „kaum zu überschätzenden") informalen Charakter dieser Einflußnahmen betont, s. S. 152, 154 u. ö.; vgl. auch J. H. Kaiser, Repräsentation (Fn. 55), S. 255ff. 686 Z. B. in der 10. WP die Brief-Aktion des Bundesverbandes der Pharmazeutischen Industrie gegen eine Begrenzung von Tierversuchen in der Tierschutzgesetz-Novelle, FR v. 29. 7. 1985, S. 1. 687 So auch R. Voigt, JbRSoz 12 (1988), MS. 4; zu erfolgreichen späten Interventionen s. bereits Fn. 407 ff. 688 S. jetzt G. Kretschmer, in: W. Schreckenberger (Hg.), Gesetzgebungslehre, S. 175 f. 689 BT-Drs. 9/2140, S. 71 (EB). 690
S. z. B. BT-Drs. 9/570, S. 32 zum KHGÄndG betr. Bund-Länder-Arbeitsgruppe zum Abbau der Mischfinanzierung; BT-Drs. 9/971, S. 85 (AB) betr. steuersystematische Bedenken zu § 7 b EStG i. d. F. des 2. HStruktG. 691 S. H.-J. v. d. Heide, FS f. W. Ernst, 1980, S. 185 (195).
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IX. Bundesgesetzgebung als Verhandlungs- und Entscheidungsprozeß
um den Interessen der Länder von vornherein entgegenzukommen. Auch haben damals zwei Sachverständige der Bundesvereinigung der kommunalen Spitzenverbände jahrelang in den Ausschußberatungen des federführenden Bundestagsausschusses infolge informaler Kooptation mitgewirkt 6 9 2 . In der 9. WP lassen sich solche außerordentlichen, mit traditionellen Gewaltenteilungsdogmen unvereinbare Erscheinungsformen ebenfalls festeilen, wenn beim VZG 1983 auf Ersuchen des Innenausschusses die Innenministerkonferenz Länderbeauftragte zu den Ausschußberatungen entsandte, um in der umstrittenen Finanzierungsfrage schon vor einer Beschlußfassung des Ausschusses von vornherein eine Annäherung von Bund und Ländern zu bewirken 693 . Im übrigen dürfte solches (wohl) eher eine Ausnahme sein — und sei es nur deshalb, weil äquivalente informale Kontakte eine solche Formalisierung überflüssig machen. d) Umgehungen der Stationen des Gesetzgebungsverfahrens
Von solchen letztlich optimierenden informalen Verfahrensweisen sind Umgehungen der verfassungs- und geschäftsordnungsrechtlich vorgesehenen Kernstationen des Gesetzgebungsverfahrens zu unterscheiden. Diese haben eine Vermutung der Verfassungswidrigkeit für sich, wenn die Verfahrenssicherungen für eine Optimierung des Konkretisierungsprozesses von Verfassungsgerechtigkeit umgangen werden. Diese Vermutung ist widerlegbar, wenn es objektive, rechtfertigungsfahige und öffentlich begründete und begründbare gegenläufige Gesichtspunkte gibt und die Rechte mitwirkungsberechtigter Verfassungsorgane nicht beschnitten werden. Beispielhaft sei der besonders plastische und spektakuläre Versuch (aus der 10. WP) erwähnt, eine Amnestie für Parteispenden-„Steuersünder" als einfachen Änderungsantrag im Rahmen der Ausschußberatungen zum Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Einkommensteuergesetzes und des Körperschaftssteuergesetzes zu verabschieden und damit die 1. Lesung des Gesetzes und mit ihr eine parlamentarische und öffentliche Grundsatzberatung zu umgehen sowie die Dauer des Gesetzgebungsverfahrens und der Gesetzgebungsdiskussion zu verkürzen. Schon der „Aufschrei gegen diese parlamentarische F o r m " 6 9 4 hat zu einem (später aus sachlichen Gründen zurückgezogenen 695) „ordentlichen" Gesetzentwurf der Regierungsfraktionen geführt 696 . Allerdings muß es in Ausschußberatungen möglich sein, durch Änderungsund Ergänzungsanträge einen Gesetzentwurf wesentlich umzugestalten, ohne daß diese stets als selbständige Gesetzentwürfe in einer ersten Plenumslesung 692 693 694 695 696
H.-J. υ. d. Heide, a. a. O., S. 196. So BT-Drs. 9/1068, S. 11 und 14 (AB). H. Herles, FAZ v. 15. 5. 1984, S. 5; s. a. FAZ v. 9. 5. 1984, S. 1. FAZ v. 16. 5. 1984, S. 1, und v. 17. 5. 1984, S. 1. BT-Drs. 10/1421.
. Das n r m a e Gesetzgebungsverfahren
359
behandelt werden, doch gibt hier es Grenzen 697 . Kritikwürdig sind solche Regelungen, die nicht bloß einen Gesetzentwurf ergänzen und umgestalten, sondern um Regelungsbereiche ergänzen, die sachlich nichts mit den in 1. Lesung an die Ausschüsse verwiesenen Gesetzentwürfen zu tun haben, sondern aus Gründen der Zeitersparnis oder Bequemlichkeit in den Ausschußberatungen „nachgeschoben" werden 698 . Der Sachzusammenhang liegt umgekehrt gewiß dann vor, wenn Änderungen an Gründe oder Ziele des Gesetzentwurfes unmittelbar anknüpfen 699 , etwa dann, wenn (wie in der 9. WP in den Ausschußberatungen zum 2. HStruktG) ein Vorschlag zur Änderung des BSHG nachgereicht wird, der den Einsparungsbemühungen des gesamten 2. HStruktG folgt und Ergebnis ausgefeilter Beratungen schon der 8. WP ist 7 0 0 und der Bundesrat in seiner Stellungnahme zum zustimmungsbedürftigen 2. HStruktG selber wesentliche BSHG-Änderungen in den Beratungszusammenhang einstellte 701 . Weitgehend ungeklärt sind nähere Bestimmungskriterien. (1) Die Umstände dürfen nicht den Verdacht des Mißbrauches provozieren. So wurde z. B. der Änderungsantrag bei der geplanten Amnestie nach Angaben des Parlamentarischen Geschäftsführers der CDU/CSU-Fraktion „seit Monaten" streng geheim, zuletzt unter den Parteivorsitzenden der Regierungsparteien, vorbereitet 702 und völlig überraschend der Öffentlichkeit vorgestellt; er sollte bereits tags darauf in einer Ausschußsondersitzung schnell verabschiedet werden 703 — diese informellen Umstände machen den Mißbrauchsverdacht unwiderleglich 704 . Gerade das Scheitern des Gesetzesvorhabens durch den breiten Widerstand in der F D P 7 0 5 , vermittelt durch die Kritik der Öffentlichkeit im Europawahlkampf, belegt die das Gesetzgebungsverfahren prägende, in diesem Verfahren gefürchtete Kraft der Öffentlichkeit 706 . 697
S. auch die Anrufung des BT-Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung durch die SPD zur Prüfung dieser Rechtsfrage am Beispiel der Amnestieplanung: FAZ v. 5. 5. 1984, S. 1, und v. 9. 5. 1984, S. 1. 698 699
Nw. oben Fn. 363, 364. Vgl. G. Kretschmer, in: W. Schreckenberger (Hg.), Gesetzgebungslehre, S. 167
(173). 700
S. Art. 21 a 2. HStruktG(E),
BT-Drs. 9/971, S. 32 f. und 88 (AB).
701
Vgl. BT-Drs. 9/842, S. 85 ff.- Das Ergebnis im Vermittlungsausschuß war ein Kompromiß, der die Elemente beider Vorschläge verband, vgl. Art. 21 2. HStruktG, BGBl. I, S. 1533 ff. 702
Zit. nach G. Bannas, FAZ v. 4. 5. 1984, S. 7. S. R.-D. Schwartz, FR v. 5. 5. 1984, S. 3. 704 So im Ergebnis auch B. Schünemann, ZRP 1984, 137 (143); weitergehende Folgerungen bei M. Breitbach, DuR 12 (1984), 124 (133). 703
705 FAZ v. 12. 5. 1984, S. 3, und v. 14. 5. 1984, S. 1 und 3; FR v. 7. 5. 1984, S. 1. S. a. oben Kap. Vlll/bei Fn. 175 f. 706 S. die Warnung von Ministerpräsident B. Vogel, das negative publizistische Echo auf die Amnestiepläne dürfe nicht dazu führen, daß die Entscheidungsfunktion des Gesetzgebers abgegeben werde (FAZ v. 8. 5. 1984, S. 2).
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IX. Bundesgesetzgebung als Verhandlungs- und Entscheidungsprozeß
(2) Zugleich wird man, in Übertragung der Differenzierungskriterien aus der Diskussion des „Wesentlichen" beim Parlaments- und Gesetzesvorbehalt, nach der Wichtigkeit des Ergänzungs- und Änderungsantrages für den zu beratenden Gesetzentwurf fragen müssen. Vorschläge, die einen Gesetzentwurf in seinem zentralen Kern verändern und ζ. B. die Grundsatz-Auseinandersetzungen einer ersten öffentlichen Lesung als neben der Sache erscheinen lassen, sollten regelmäßig auch nicht ohne vollständiges reguläres Gesetzgebungsverfahren erfolgen. Nur so bleibt die so zentrale Verkoppelung von Gesetzgebungsverfahren und Öffentlichkeit als (nicht nur punktueller, sondern vorher über einen längeren Zeitraum ablaufender) Prozeß erhalten 707 ; „wesentliche" Fragen erforden auch ein vollständiges Verfahren. (3) Ausnahmen müssen möglich sein, sollten aber an eine prozedurale Übereinstimmung der Fraktionen (sei es durch einstimmige konsensuale interfraktionelle Vereinbarung, sei es durch Beschluß mit einer § 127 GO-BT entsprechenden 2/3-Mehrheit) gebunden werden. Gerade eine solche, Minderheitenschutz wahrende und doch querulatorische Filibuster-Taktiken hindernde Verfahrensbindung würde ein verfassungsverfahrensgerechtes Gesetzgebungsverfahren garantieren. In der 9. WP fühlten sich vor allem Bundesrat und/oder Opposition unter dem Zeitdruck von „Dezembergesetzen" oder sonstigen zeitlich drängenden Gesetzen dann in ihren verfassungsmäßigen Rechten berührt, wenn die Bundesregierung im Zuge der Ausschußberatungen wesentliche Änderungen „nachschob" und der Bundesrat in seinem Recht zu Stellungnahme nur formell zum Zuge kommen konnte 7 0 8 . Auch sonst werden am Ende einer Legislaturperiode mitunter Teile von Gesetzentwürfen, die in den Ausschüssen nicht mehr umfassend beraten werden können, einfach in andere Gesetz(entwürf)e übernommen, um wenigstens diese Teilregeln vor den Folgen des Diskontinuitätsgrundsatzes zu bewahren; die mitberatenden Ausschüsse werden dabei überspielt. Kontroversen um solche Vorgänge haben nachhaltigen Tiefgang nicht gewonnen.
707 Nach einer entsprechenden Anweisung des BT-Präsidenten soll die Praxis in der 10. WP inzwischen restriktiver verfahren.- Demgegenüber erscheint die praktische Möglichkeit, durch eine BT-Initiative als „verkappter" Regierungsvorlage den 1. Durchgang beim Bundesrat zu umgehen, gesetzestechnisch zwar sehr unzweckmäßig, verfassungsrechtlich aber gangbar; das Votum des Bundesrates kann wegen des nachparlamentarischen Gesetzgebungsverfahrens letztlich nicht umgangen werden. 708 So beim ERP-WiPIG 1982, s. BT-Drs. 9/1576, S. 37 und BT-Drs. 9/1773, S. 3 (AB) und beim HG 1981, s. die Entschließung des Bundesrates angesichts der Rücknahme seiner Anrufung des Vermittlungsausschusses, BT-Drs. 9/651, S. 2: Jeweils wurde stattdessen ein Ergänzungshaushalt gefordert.- S. auch betr. HG 1982 BT-Drs. 9/1257, S. 14 (AB) die Forderung der Opposition nach realistischen Regierungsvorlagen, die die erforderlichen Korrekturen nicht dem Ausschuß überläßt. Konsequent hat die neue Bundesregierung 1982 einen kompletten Ergänzungsentwurf für ein HG 1983 dem von der alten Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf nachgereicht, vgl. BT-Drs. 9/2050.
6. Das nachparlamentarische Gesetzgebungsverfahren
361
6. Das nachparlamentarische Gesetzgebungsverfahren a) Der Bundesrat und die Rolle des Vermittlungsausschusses
aa) Der Bundesrat im Gesetzgebungsprozeß Als die zentrale institutionalisierte Instanz zur Geltendmachung bundesstaatlicher bzw. länderspezifischer Interessen und als zusätzliches Element der Gewaltenteilung sieht das GG als ein Bundesverfassungsorgan den Bundesrat v o r 7 0 9 . Seine Mitwirkung beginnt schon, wenn der Bundestag sich mit dem Gesetzentwurf noch gar nicht befaßt h a t 7 1 0 ; und sie endet materiell auch bei ihm, auch wenn formell der Bundestag auch dann das letzte Wort hat, wenn er (als Ausnahme vom Grundsatz der Unverrückbarkeit des Gesetzesbeschlusses) „erneut" Beschluß zu fassen hat (Art. 77 I I 5 GG). Der Bundesrat hat nur ein korrigierendes Mitgestaltungsrecht 711 , schränkt insoweit aber die „Souveränität" des Parlaments von GG wegen ein. Sein Einfluß läßt sich nicht an der Häufigkeit der Versagung der Zustimmung oder der Anrufung des Vermittlungsausschusses712, sondern am Erfolg seines vorwirkenden Einflusses bereits im Vorfeld ablesen, nämlich in den Ausschußberatungen 713 ; seine tatsächliche Wirksamkeit beginnt freilich noch früher 7 1 4 . Die Entwicklung des Bundesrates zu einer faktischen 2. Kammer ist real (auch) ein Stück Kompensation für die Zentralisierungstendenzen seit 1949, wie sie sich faktisch durch eine unitarisierende Zentralisierung 715 und rechtlich auf GGEbene in zahlreichen Kompetenzverschiebungen zum Bund niedergeschlagen haben („Beteiligungsföderalismus") 716 . Der Bundesrat ist als ein politisches Organ des Bundes ein Kernelement der Gewaltenteilung im „parlamentarischen Bundesstaat" 717 . Neben ihm wirken eine Fülle von weiteren Erscheinungsfor709
S. Κ Stern, Staatsrecht II, S. 123 ff.; s. zu diesem Verständnis schon des Parlamentarischen Rates Κ Lange, FS f. Erw. Stein, 1983, S. 181 f.; zur Rolle des Bundesrates im Gesetzgebungsverfahren ferner: G. Fritz, Teilung von Bundesgesetzen, 1982, S. 21 ff. 710
S. o. bei Fn. 269ff. Für viele: G. Fritz, Teilung (Fn. 709), S. 24 f. 712 S. aber Η. H. Klein, AöR 109 (1983), 362, 363. 713 S. W. Zeh, in: Theorie und Methoden (Fn. 177), S. 57 (76) und bereits oben bei Fn. 495 ff. 714 So werden Ausschußempfehlungen oft schon in frühzeitiger Abstimmung mit den Ländervertretern beschlossen, s. ζ. B. zum VZG 1983 BT-Drs. 9/1068, S. 14ff. (AB). 715 Vgl. zum „Abstieg des Föderalismus im Sozialstaat": W. Schmitt Glaeser, AöR 107 (1982), 337 (355ff.); s. a. A. Laaser, RdJB 30 (1982), 352 (354ff.). 716 S.E.-fV. Böckenförde, FSf.F. Schäfer, 1980, S. 182 (188 f.); G. Kisker, in: Probleme des Föderalismus, 1985, S. 23 (29 f.); krit. zum Kompensationsgedanken E. Klein, DVB1. 1981, 661 (663 f.).- Der Bedeutungszuwachs des Bundesrates erfolgte nicht aufgrund von Kompetenzzuwächsen durch neue verfassungsrechtliche Zustimmungsklauseln, s. G. Limberger, Die Kompetenzen des Bundesrates und ihre Inanspruchnahme, 1982, S. 33. 717 S. W. Steffani, ZParl 16 (1985), 219 (221 ff., 228 f.). 711
362
IX. Bundesgesetzgebung als Verhandlungs- und Entscheidungsprozeß
men oft informaler Art, die die Interessen der Länder durch Kooperation harmonisieren wollen und i. S. des kooperativen Förderalismus unitarisierende Wirkung entfalten 718 . Der Bundesrat hat dennoch unverändert zugleich Bundes· und Länderinteressen zu vermitteln 719 . Notwendige Kehrseite der gewachsenen bundespolitischen Orientierung ist eine seit jeher bestehende, aber heute wohl wachsende (Partei-) Politisierung 120. Sie führt bei unterschiedlichen parteipolitischen Mehrheiten in Bundestag und Bundesrat auch im Gesetzgebungsprozeß zu entsprechenden Gegensätzen721. Aber auch bei parteipolitischem „Gleichklang" kommt es neuerdings zu (informalen) Kompromißabsprachen zwischen Bundesregierung und B-Ländern außerhalb der rechtlichen Verfahrensstrukturen 722 . Andererseits gilt das Verhandeln und Aushandeln als den Bundesrat zentral charakterisierendes Konfliktregelungsmodell, dem das stärker ausgrenzende Modell des Parteienwettbewerbes widerspreche 723 . Seit 1973 läßt sich aber empirisch im Entscheidungs- und Konfliktverhalten des Bundesrates ein deutlicher Bruch im Vergleich zur Bundesratspraxis seit 1949 nachweisen. Parteipolitische und allgemeinpolitische Kontroversen und die Wahrnehmung von Kompetenzen durch den Bundesrat nahmen zu, die rechtlichen (gesetzestechnischen usw.) und finanzpolitischen Gegenvorstellungen des Bundesrates gingen in ihrem Gewicht als einzelne Sachüberlegungen zurück 7 2 4 . 718
S. zum „kooperativen Föderalismus" vor allem Κ Hesse (1970), in: ders., Ausgewählte Schriften, 1984, S. 148 ff.; R. Grawert, Der Staat 14 (1975), 229 ff.; U. Thaysen, Aus Politik und Zeitgeschichte, Β 35/85, S. 3 (6 ff.); H. Schulze-Fielitz, Verfassungsstaat, S. 57 ff. 719 Κ Lange, FS f. Erw. Stein, 1983, S. 187 ff.- Deshalb ist auch der Vorschlag einer Teilhabe der Länderparlamente bei der Bundesgesetzgebung (so wohl H.-J. Mengel, ZRP 1984, 155) verfassungsrechtlich problematisch, weil er die Rolle des Bundesrates als Bundesorgan verfehlt und zudem die grundgesetzliche Ordnung des Gesetzgebungsverfahrens unterläuft bzw. erschwert. Das berechtigte Motiv einer Stärkung der Länderparlamente im kooperativen Bundesstaat muß sich eher an der informalen Kooperation der Landesregierungen und an der — landesverfassungspolitisch relevanten — Präventivkontrolle der jeweiligen Landesregierungen durch die Landesparlamente orientieren, nicht an zusätzlichen rechtlichen Mitwirkungsformen der Länder im Bund. 720 S. H.H.Klein , DÖV 1971, 325 (326f.); G. Limberger, Kompetenz (Fn. 716), S. 37ff., 158ff.; s. a. G. Lehmbruch, Parteienwettbewerb im Bundesstaat, 1976, S. 133ff.; E. Franßen, FS f. M.Hirsch, 1981, S. 273 (276); H. Abromeit, ZParl 13 (1982), 462 (465 ff.). 721 S. K. Lange, FS f. Erw. Stein, 1983, S. 192 ff., der als rechtliche Konsequenzen eine restriktive Interpretation der Kompetenzen des Bundesrates befürwortet (ebd. S. 195 ff.); H. H. Klein, AöR 108 (1983), 358 ff. 722 S. M. Dietlein, ZRP 1985, 322 (325) und als Bsp. die Einigung zwischen Bundesfinanzminister und den B-Ländern über die Höhe des Anteils der Länder am Mehrwertsteueraufkommen als Ausgleich für die Steuerreform, s. FAZ v. 10. 6. 1985, S. 2 und FR v. 15. 6. 1985, S. 1; allg. U. Thaysen, Aus Politik und Zeitgeschichte, Β 35/85, S. 16. 723 So W. Steffani, ZParl 16 (1985), 226f. 724 S. ausf. G. Limberger, Kompetenzen (Fn. 716), S. 120ff. (122ff., 126f.), 131 ff., 141 f.
6. Das nachparlamentarische Gesetzgebungsverfahren
363
Dennoch sind der Oppositionsrolle des Bundesrates Grenzen gesetzt, insofern er unverändert auf Mitgestaltung bei der Gesetzgebung statt auf bloße Verhinderung abzielt. Zudem können unterschiedliche Koalitionspartner in Bund und Land den Erfolg des Bundesrates ohne parteipolitische Einseitigkeiten erhöhen 725 . Letztinstanzliches Konfliktbewältigungsgremium für derartige Auseinandersetzungen ist der Vermittlungsauschuß. bb) Der Vermittlungsausschuß (1) Der Vermittlungsausschuß als Erscheinungsform institutionalisierter Kompromißbildung Der Vermittlungsausschuß ist Zentrum der (partei-)politischen Auseinandersetzung (1) zwischen divergierenden parteipolitischen Mehrheiten in Bundestag und Bundesrat, weiter (2) Zentrum für fundamentale, nicht frühzeitig zum Ausgleich zu bringende Interessenkonflikte zwischen den Interessen der Länder(mehrheit) einerseits und dem Bund andererseits und mittelbar auch (3) zwischen den divergierenden Länderinteressen untereinander. In jeder Hinsicht ist er eine Erscheinungsform verfassungsstaatlich institutionalisierter Kompromißbildung 726 . Die Kompromißbildungsprobleme vertiefen sich deshalb, wenn die Interessen der Ländermehrheit im Bundesrat einerseits und die Interessen des Bundes andererseits sowohl parteipolitisch wie landespolitisch auseinanderlaufen. Die Kompromißbildung im Vermittlungsausschuß erfolgt indessen nicht völlig „freiwillig", sondern wird im Verhältnis von Bund und Ländern vor allem durch die Veto-Macht des Bundesrates infolge der Zustimmungsbedürftigkeit von Bundesgesetzen gestärkt 727 . Der Vermittlungsausschuß ist „Katalysator der politischen Harmonisierung im Bereich der staatlichen Legislativtätigkeit" 728 . Vor allem bei Zustimmungsgesetzen, aber auch bei Einspruchsgesetzen wird die Anrufung des Vermittlungsausschusses dazu benutzt, daß der Bundesrat allgemeinpolitische (d. h. nicht notwendig länder-spezifische), rechtliche und finanzpolitische Gesichtspunkte kontrollierend zur Geltung bringen kann 7 2 9 ; 725
S. G. Limberger, a. a. O., S. 159f., 164. Zur Funktion des Vermittlungsausschusses s. etwa H. Schäfer, in: Der Bundesrat (Fn. 273), S. 277 (296f.); G. Fritz, Teilung (Fn. 709), S. 163 ff.; H. H. Klein, AöR 108 (1983), 363 ff.; W.-R. Schenke, Die verfassungsrechtlichen Grenzen der Tätigkeit des Vermittlungsausschusses, 1984, S. 21 ff. 726
727
S. G. Limberger, Bundesrat (Fn. 716), S. 76. E. Hasselsweiler, Der Vermittlungsausschuß, 1981, S. 289. 729 Ausf. empirische Nw. über die ersten acht Legislaturperioden (1949 — 1980) bei G. Limberger, Kompetenzen (Fn. 716), S. 55 ff., bes. 63ff., 79 (zu den Zustimmungsgesetzen); 87 ff. (zu den Einspruchsgesetzen), 165. Eines Rückgriffs auf die 9. WP als Stichprobe bedarf es angesichts dieser empirischen Aufbereitung nicht, zumal sich gegenüber den Ergebnissen von Limberger keine Abweichungen akzentuieren lassen. 728
364
IX. Bundesgesetzgebung als Verhandlungs- und Entscheidungsprozeß
die verfassungsrechtlichen Rechtfertigungsgründe für die Zustimmungsbedürftigkeit — vor allem (zu 64 %) Regeln des Verwaltungsverfahrens nach Art. 84 I G G 7 3 0 oder gesteigerte Länderinteressen, d. h. die Eigenstaatlichkeit und Besonderheit der Länder betreffende Belange — spielen als solche eine untergeordnete Rolle: Anrufungs- und Verweigerungsgründe sind nicht identisch. Der Vermittlungsausschuß wird so „faktisch ein Organ des Bundesrates" 731 . Der Vermittlungsausschuß hat bei Zustimmungsgesetzen, die doppelt so oft zur Anrufung des Vermittlungsausschusses führen als bei Einspruchsgesetzen, eine sehr starke Stellung; seine auf Mitgestaltung gerichteten Vorschläge sind zu einem erheblichen Teil erfolgreich 732 ; sein Einfluß ist bei Einspruchsgesetzen deutlich schwächer 733 . Unter den Bedingungen des informalen Parteienstaates dominiert bei gegebenen tatsächlichen Voraussetzungen die erste Funktion parteipolitischer Vermittlung 7 3 4 . Unter den Bedingungen konträrer parteipolitischer Mehrheiten in Bundestag und Bundesrat endet dann der Gesetzgebungsprozeß leicht einem Allparteienkompromiß einer informellen „Großen Koalition" 7 3 5 . Nicht nur der abrupte Bedeutungsverlust des Vermittlungsausschusses seit dem parteipolitischen „Gleichklang" von Bundesregierung, Bundestagsmehrheit und Bundesratsmehrheit 1982 belegt diese parteipolitische Überformung 736 , sondern auch die Gesetzgebung der 9. WP; die zweite Funktion wird dabei überlagert, ohne jedoch an Bedeutung zu verlieren 737 .
730 G. Limberger, a. a. O., S. 32; eine Zustimmungsbedürftigkeit von 77 % aller zustimmungsbedürftigen Gesetze gründet auf Art. 84 1,85 I oder 105 I I I GG, s. ebd. S. 33. 731 G. Limberger, a. a. O., S. 80. 732 Empirische Nw. bei G. Limberger, a. a. O., S. 75ff. 733 G. Limberger, a. a. O., S. 85 ff.; der Vermittlungsausschuß wurde in 6,9 % aller Einspruchsgesetze angerufen (ebd. S. 83, 87). 734 S. G. Lehmbruch, Parteienwettbewerb (Fn. 720), S. 139 ff.; H. Abromeit, ZParl 13 (1982), 468. 735 Vgl. E.-W. Böckenförde, FS f. F. Schäfer, 1980, S. 190f.; E. Franßen, FS f. M . Hirsch, 1981, S. 277 („Allparteienbundesstaat"); G. Kisker, in: Föderalismus (Fn. 716), S. 23 (33). 736 Der Vermittlungsausschuß ist seit der Amtszeit der christlich-liberalen Regierung im Oktober 1982 einmal am 29. 10. 1982, in der 10. WP erstmals am 4. 12. 1985 angerufen worden, s. F. Κ Fromme, FAZ v. 12. 4. 1985, S. 12, H. Herles, FAZ v. 12. 12. 1985, S. 12, und (der Ausschußvorsitzende) M. Langner, FAZ v. 30. 4. 1985, S. 7, dessen Hinweis auf das frühzeitige Eingehen der Bundesregierung auf die Wünsche der Länder dem parteipolitischen Argumentationsstrang nicht widerspricht, sondern ihn eher bestätigt. Auch früher schon verhinderten parallele parteipolitische Mehrheiten in Bundestag und Bundesrat eine Aktivität des Bundesrates, s. G. Limberger, Kompetenzen (Fn. 716), S. 158, 163 f., 167. 737 Dieser Umstand wird deshalb ebenso regelmäßig wie zweifelhaft gegen die These einer Parteipolitisierung des Bundesrates ins Feld geführt, s. etwa den Grundtenor bei F. Κ Fromme, Gesetzgebung im Widerstreit, 2. Aufl. 1976; s. a. G. Limberger, a. a. O., S. 14 f.
6. Das nachparlamentarische Gesetzgebungsverfahren
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Aber auch bei parteipolitischem Gleichklang von Bundestag(smehrheit) und Bundesrat(smehrheit) verliert der Vermittlungsausschuß nur scheinbar seine kompromißfördernde Rolle. Er wirkt nun stärker präventiv: Die Kompromißfmdungsprozesse verlagern sich trotz vorhandener Gründe für eine Anrufung des Vermittlungsausschusses noch stärker auf das informale Vorfeld des Vermittlungsverfahrens. Der Verzicht auf die Anrufung des Vermittlungsausschusses wird Teil von (Verfahrens-)Kompromissen 738 .
(2) Das Beispiel der 9. Legislaturperiode Nimmt man die 9. Legislaturperiode als Beispiel, so wurden von den 136 verkündeten Gesetzen ganze 16 im Vermittlungsausschuß behandelt. In 10 Fällen wurde das Gesetz als Ergebnis des Vermittlungsverfahrens und des anschließenden erneuten Bundestagsbeschlusses verändert. Nur in 3 von diesen Fällen war das Gesetz nicht zustimmungsbedürftig 739 , ebenso wie in den übrigen 6 erfolglosen Vermittlungsverfahren. Nur in einem der „erzwungenen" Kompromisse (VZG 1983) läßt sich primär 7 4 0 ein Bund-Länder-Konflikt (vor allem über die Finanzierung) feststellen; in allen übrigen Fällen ging es um zentrale (partei-)politischen Kontroversen, vor allem über das Ausmaß staatlicher Intervention in die Wirtschaft im Sinne wirtschafts-, sozial- oder gesundheitspolitischer Ziele 7 4 1 , aber auch um die Reichweite der Bewältigung der gestiegenen Asylbewerberzahlen 742 . So waren ζ. B. den Streichungen und Ergänzungen des 2. HStruktGÇE) im Vermittlungsausschuß zufolge besonders strittig 7 4 3 : die Umstellung der Alterssicherung der Landwirte, das Ausmaß der Kürzungen der Sozialhilfe, im Steuerrecht der Ausschluß der Anschaffung von Betriebs-Pkw vom Vorsteuerabzug, der Umfang der Übertragung von Veräußerungsgewinnen und familienbezogene Steuerbelastungen sowie die erst vom Vermittlungsausschuß forcierten wohnungswirtschaftlichen Förderungsmaßnahmen. Allerdings können sich solche politischen Grundsatzstreitigkeiten mit föderalistischen
738 Belege bei M. Dietlein, ZRP 1985, 325f., der aber weniger die parteipolitischen Mehrheitsverhältnisse als die Ermüdung durch Überstrapazierung des Vermittlungsausschusses vor dem Regierungswechsel hervorhebt. Zu den Erscheinungsformen von Verfahrenskompromissen s.u. Kap. X/bei Fn. 282 ff. 739 Die Zustimmungsbedürftigkeit des BerBiFG war zunächst vom Bundestag bestritten worden, ist aber nach Verkündungsformel und der Sache nach wohl eindeutig, vgl. dazu BT-Drs. 9/991, S. 4. 740 Im Vermittlungsverfahren wurde nicht nur der Finanzierungsanteil des Bundes wesentlich erhöht, sondern auch der vom InnenA abgelehnte Melderegisterabgleich für Konfession und Staatsangehörigkeit und das Fehlen der aufschiebenden Wirkung von Widerspruch und Anfechtungsklage eingeführt, s. BT-Drs. 9/1350, S. 7. 741 742 743
2. HStruktG; BeschäftFG; SBG/X-3; KHKÄndG; BerBiFG. AsylVfG. Vgl. das 2. HStruktG (BGBl. 1,1523 ff.) mit BT-Drs. 9/971, S. 26 ff., 32ff., 36 ff., 52.
366
IX. Bundesgesetzgebung als Verhandlungs- und Entscheidungsprozeß
Grundsatzfragen verbinden, wenn ζ . B. Gesundheits(ordnungs)politik und Länderfinanzinteressen übereinstimmen 744 . Oft werden im Vermittlungsverfahren die vom Bundesrat bereits in seinen Stellungnahmen vorgeschlagenen und vom Bundestag bzw. der Bundesregierung 7 4 5 nicht übernommenen Vorschläge erst hier „durchgesetzt" 740 . Auch bei den 9 Vermittlungsverfahren, die sich auf Einspruchsgesetze bezogen, handelte es sich um hochpolitische Streitigkeiten, die die „Basisphilosophien" der politischen Parteien betreffen: die Frage von Steuererhöhungen 747, das (symbolische) Ausmaß von Strafbarkeit 74 *, die Reichweite staatlicher Ingerenz durch Sozialgesetze749 und die Familienpolitik 750 ; auch hier läßt sich nur einmal eine reine Bund-Länder-Streitigkeit 751 feststellen. Insgesamt gibt es in der 9. WP vor dem Regierungswechsel 1982 nicht nur eine deutliche Übereinstimmung zwischen grundsatzpolitischen Einwänden von Opposition und Bundesrat, sondern auch von Bundesratsstellungnahmen und den Veränderungen, die Gesetze im Vermittlungsausschuß erfahren haben 752 . Im Einzelfall können selbst im Vermittlungsausschuß spezielle Forderungen von Interessenverbänden, die im Ausschuß, von der Opposition aufgenommen,
744 S.z. B. beim KHGÄndG(E), dessen (eher punktuelle) Änderungen im Vermittlungsverfahren sowohl mit abgelehnten Anträgen der CDU/CSU-Opposition übereinstimmten als auch die Länder bei der Krankenhaus(finanzierungs)politik rechtlich eingrenzende Regelungen betrafen, vgl. KHGÄndG mit BT-Drs. 9/976, S. 8, 12 f., 15, 28 ff. (AB). 745 Zu Einzelheiten dieses Verhältnisses s. o. bei Fn. 495 ff. 746 S. ζ. B. beim VZG 1983 die Regelung (§ 5 II), daß Widerspruch und Klage keine aufschiebende Wirkung haben: BT-Drs. 9/451, S. 14 und 15 (EB), BT-Drs. 9/1068, S. 7 (AB); in Art. 21 2. HStruktG die in der Stellungnahme zum Regierungsentwurf vorgeschlagenen Änderungen des BSHG, vgl. BT-Drs. 9/842, S. 85ff.; in Art. 22 2. HStruktG(E) die Änderung des StrVollzG, vgl. BT-Drs. 9/842, S. 94; in §§ 2 und 6 BerBiFG(E) die klaren Begrenzungen auf die berufliche Ausbildung und der Aufgaben des Bundesministers für Berufsbildung, s. BT-Drs. 9/279, S. 12 und BT-Drs. 9/1081, S. 2; beim AsylVfG lag sogar ein Bundesratsentwurf vor; einen wesentlichen Teil seiner Vorstellungen setzte der Bundesrat im Vermittlungsverfahren durch, vgl. BT-Drs. 9/1792, S. 2 ff. (ζ. B. das Verfahren bei „offensichtlich unbegründeten" Asylanträgen; Einzelrichterregelung; Verbindlichkeit von Sammelunterkünften). 747
MinöBranntwStÄndG 81; 2. MinöStÄndG; VerbStÄndG 1982. 19. StrÄndG; 20. StrÄndG. 749 AFKG; KVEG.- Hier wäre auch das in seiner Zustimmungsbedürftigkeit umstrittene BerBiFG hinzuzurechnen, wenn man es nicht für zustimmungsbedürftig hielte (s.aber oben Fn. 741). 75 0 9. BKGÄndG. 75 1 WertgrErhG. 752 S. z. B. beim AFKG(E) den Einwand von Bundesrat und Vermittlungsausschuß gegen die Sozialversicherungspflicht auch geringfügiger Einkommen, BT-Drs. 9/846, S. 62 (EB); beim BeschäftFG den Widerspruch von Bundesrat und Vermittlungsausschuß gegen die Umsatzsteuererhöhung und Grundstücks(neu)bewertung: BT-Drs. 9/1508, S. 2, bzw. BT-Drs. 9/1647, S. 2. 748
6. Das nachparlamentarische Gesetzgebungsverfahren
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keine Mehrheit fanden, doch noch durchgesetzt werden 753 . Bei den Veränderungen im Vermittlungsverfahren geht es deshalb in aller Regel um „hochpolitische" Veränderungen der vom Bundestag verabschiedeten Vorlagen, die auch schon in den Ausschußberatungen des Bundestages hochkontrovers waren 7 5 4 ; es geht nicht mehr um Fragen rein gesetzestechnischer Art oder Redaktionsversehen 755 . Doch lassen sich auch hier noch rechtsanwendungspraktisch nicht bedeutungslose Vereinfachungen beobachten 756 . Der nur scheinbar quantitativ geringe Anteil an Vermittlungsverfahren und den Folgen des Vermittlungsverfahrens erklärt sich bei einer materialen Betrachtungsweise der Gesetzgebung. Ein Großteil der Bundesgesetzgebung besteht aus bundesstaatlich und parteipolitisch konfliktfreien, meist auf Einstimmigkeit beruhenden Vertragsgesetzen nach Art. 59 Abs. 2 GG. Ein weiterer erheblicher Teil besteht aus relativ unumstrittenen, formalen, punktuellen Gesetzen. Weiterhin sind allein 30 Gesetze vom Bundestag erst nach dem Mehrheitswechsel 1982, also unter den Bedingungen parteipolitischer Harmonie von Bundestags- und Bundesratsmehrheit, abschließend beraten worden. Schließlich gibt es eine Reihe von Gesetzen, die durch die Art ihrer Ausgestaltung von vornherein nicht zustimmungsbedürftig geworden sind, so daß dem Bundesrat eine Anrufung des Vermittlungsausschusses unzweckmäßig erschienen sein mag 7 5 7 . Unter Berücksichtigung dieser Umstände läßt sich bei materialer Betrachtungsweise feststellen: Alle umfassenderen Gesetze und politisch bedeutsamen Regelungswerke (Artikelgesetze) fanden unter der Bedingung parteipolitisch kontroverser Mehrheitsverhältnisse in Bundestag und Bundesrat den Weg in das Vermittlungsverfahren. Nicht zufällig gehören 9 der 16 im Vermittlungsausschuß behandelten Gesetze zu den Typen der Steuererhöhungs-, Haushaltsan753 S. am Bsp. des Wunsches der Werftwirtschaft (in der öff. Anhörung), den Schiffsbau zugunsten der Aufstockung der Reederbeihilfe von der Investitionszulage auszunehmen, BT-Drs. 9/1507, S. 3 und 9 (AB) bzw. BT-Drs. 9/1647, S. 2. 754 S. ζ. B. die Streichung der im Ausschuß heftig umstrittenen und durch Änderungsantrag der Opposition im Plenum (BT-Drs. 9/997) vergeblich angegriffenen Regelungen betr. den Wegfall der Sozialversicherungsfreiheit bei geringfügiger Beschäftigung in Art. 3 u. a. AFKG(E), vgl. noch BT-Drs. 9/966, S. 36 ff. (AB) mit dem AFKG. 755 S. aber als Ausnahmen ζ. B. die redaktionelle Korrektur betr. § 42 A F G durch den eingefügten Art. 1 § 1 Nr. 9 AFKG, BGBl. I, S. 1497 (1498); betr. § 5 I I BerBiFG s. BTDrs. 9/991, S. 2; mitunter muß der Bundesrat allerdings im Vermittlungsverfahren für das eine Gesetz redaktionelle Folgerungen ziehen (ζ. B. im 2. HStruktG{E) für Art. 18 durch dessen Streichung), die sich aus Änderungen in anderen Gesetzen während des Vermittlungsverfahrens ergeben, hier betr. Art. 1 § 1 Nr. 16 b AFKG(E). 756
S. ζ. B. die Angleichung in Art. 1 § 1 Nr. 36 AFKG, BGBl. I, S. 1502 betr. 360 statt 300 Tage als Bezugsgröße; die „Entrechtlichung" von § 8 I I BerBiFG(E), vgl. BT-Drs. 9/827, S. 6 mit BT-Drs. 9/1081, S. 2. 757 Erfolg i. S. einer Kompromißregelung bei Einspruchsgesetzen war schon immer deutlich geringer, s. G. Limberger, Bundesrat (Fn. 716), S. 85 ff.; vgl. aber auch W. Zeh, in: Theorie und Methoden (Fn. 177), S. 74.
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IX. Bundesgesetzgebung als Verhandlungs- und Entscheidungsprozeß
passungs- und wirtschafts- und sozialpolitischen Interventionsgesetze: Hier lag der Schwerpunkt der Konflikte zwischen Regierungsmehrheit und Opposition in der 9. W P 7 5 8 . Erst der Mehrheitswechsel 1982 hat diese Streitbelastung des Bundesrates wieder gemindert. Nach allem ist der Einfluß von Länderregierungen, die von den Oppositionsparteien des Bundestages geführt werden, auf die Bundesgesetzgebung empirisch offenbar so bedeutsam, daß sich von einem „Beteiligungsföderalismus" sprechen läßt: Er führt generell zu einer kompromißfreudigen Lage im Vermittlungsausschuß und oft zum „Allparteienkompromiß" 759 . Die parteienstaatliche Ausprägung solcher Konfliktlösungen hat dabei auch die (positive) Funktion, die Gefahr der Selbstblockierung des Entscheidungsprozesses zugunsten nur institutioneller (Regierungs-)Interessen einzelner Länder zu mindern 7 6 0 . cc) Gesetzgebungstechnische Folgen der Stellung des Bundesrates im informalen Verfassungsstaat Diese parteipolitischen Überformungen des Gesetzgebungsprozesses haben unter den Bedingungen der 9. WP im Verhältnis zum Bundesrat zu einer Reihe von Gefahren geführt. Problematisch erscheint vor allem die Verwischung von Verantwortlichkeiten für Gesetzgebungsentscheidungen wie von der politischen Konkurrenz im Parteienwettbewerb. Auch können sich Kompromisse in solchen Situationen leicht am kleinsten gemeinsamen Nenner orientieren mit der Folge, daß lösungsbedürftige Probleme mangels Konsensfahigkeit ungelöst bleiben 761 . Weniger oft gesehen werden eine Reihe von gesetzgebungstechnisch bedenklichen Erscheinungsformen im informalen Gesetzgebungsprozeß. (1) Vor Einbringung eines Regierungsentwurfes wurden regierungsintern alle Gesetze generell verfassungsrechtlich auf ihre Zustimmungsbedürftigkeit hin geprüft 762 . Sie wurden daraufhin von vornherein oft so gefaßt, daß die Zustimmungsbedürftigkeit vor allem aufgrund von Art. 84 I G G 7 6 3 entfiel — mit der Folge, daß zweckmäßigere oder bessere Gestaltungsalternativen schon 758 75 9
Dazu ausf. Kap. X/bei Fn. 474ff.
G. Kisker, in: Föderalismus (Fn. 716), S. 33; U. Thaysen, Aus Politik und Zeitgeschichte, Β 35/85, S. 3 (9ff.); s. a. (eher kritisch) schon E.-W. Böckenförde, FS für F. Schäfer, 1980, S. 182 (189ff.); G. Lehmbruch, Parteienwettbewerb (Fn. 720), S. 135 ff., 160ff.; ferner H. Abromeit, in: B. Guggenberger u. a. (Hg.), A n den Grenzen der Mehrheitsdemokratie, 1984, S. 132 (143 f.); insgesamt positiver zuletzt P. Lerche (1985), in: T. Maunz/G. Dürig, GG-K, Art. 84/Rdn. 73. 760 Vgl. (ji e These von der Blockade-Gefahr der institutionellen Regierungs-Interessen im Bereich der Politikverflechtung von F. W. Scharpf PVS 26 (1985), 323 (327 f.). 761 So G. Kisker, in: Föderalisms (Fn. 716), S. 31. 762 S. zu einschlägigen Absichtserklärungen der Bundesregierung G. Fritz, Teilung (Fn. 709), S. 17ff.; Regierungssprecher Κ Becker, Bonner G A v. 8. 10. 1981, S. 1. 763 Zur besonderen Bedeutung von Art. 84 I G G s. G. Fritz, a. a. O., S. 102ff.
6. Das nachparlamentarische Gesetzgebungsverfahren
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aus diesen formellen Gründen ausgeschieden wurden. Damit sollten politisch gegenläufige Bestrebungen auf möglicherweise ganz anderer Ebene präventiv abgewehrt werden; diese hätten sich einer einzelnen, die Zustimmungsbedürftigkeit des ganzen Gesetzes auslösenden764 Norm als Hebel bedienen können. Zwar ist wegen der ihrerseits inkonsistenten und ausdehnenden Rechtsprechung des BVerfG die Beseitigung der Zustimmungsbedürftigkeit mitunter erst im parlamentarischen Verfahren 765 oder gar nicht „gelungen" 766 ; folgewirksam war aber schon im vorparlamentarischen Gesetzgebungsverfahren eine selbstveranlaßte Einengung der Gestaltungsfreiheit des Bundesgesetzgebers, die der Qualität der Gesetze nicht zugutekommen konnte 7 6 7 . (2) Die rechtlich bis zu einer extremen Mißbrauchsgrenze 768 im Regelfall mögliche 769 , aber sachlich-legislatorisch mitunter zweifelhafte, weil der Idee der Gesetzeseinheit widersprechende Aufspaltung von Gesetzen 770 in politisch brisante, aber auf die Zustimmung des Bundesrates nicht angewiesene, und politisch unumstrittene oder auch nur „unvermeidbar" zustimmungsbedürftige (Teil-)Gesetze ist eine andere Erscheinungsform der Verhinderung „guter" Gesetzgebung durch die Parteipolitisierung des Bundesrates 771 . (3) Eine (mehr oder weniger unvermeidliche) Zustimmungsbedürftigkeit hat das Gesetzgebungsverfahren im Vermittlungsausschuß unter dem Eindruck der Veto-Macht des Bundesrates bzw. der Differenz von Regierungsmehrheit und 764 So bereits BVerfGE 8, 274 (294f.); ausf. F. Ossenbühl, AöR 99 (1974), 369 (395 ff.); krit. G. Limberger, Kompetenzen (Fn. 716), S. 34ff.; für eine Korrektur dieser „fatalen Rechtsprechung" G. Kisker, in: Föderalismus (Fn. 716), S. 34. 765 S. ζ . B. betr. Art. 1 Nr. 9 3. BbÄndG: BT-Drs. 9/910, S. 1 und 3 sowie BT-Drs. 9/1033, S. 2 und 4 (AB). 766 S. dazu näher H. Schulze-Fielitz, DVB1. 1982, 328 ff.; zur Offenheit der Rechtsprechung s. a. P. Lerche (1985), in: T. Maunz/G. Dürig, GG, Art. 84/Rdn. 30ff.; a. A. T. Maunz, BayVBl. 1982, 353. 767 S. als Beispiel aus der 8. WP das Gesetz zur Einführung des Mutterschaftsurlaubs v. 25. 6. 1979 (BGBl. 1,797), ausf. Nw. bei H. Schulze-Fielitz, NVwZ 1983,709 (716, Fn. 106 — 115).- Solche „gesetzgebungstechnischen" Qualitätsverluste werden vernachlässigt, wenn man gegen die Kritik am verfassungspolitisch problematischen Wachstum zustimmungsbedürftiger Gesetze die Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers bei Einbezug zustimmungsbegründender Verfahrensvorschriften betont, s. P. Lerche (1985), in: T. Maunz/G. Dürig, GG, Art. 84/Rdn. 74 und 10, 73; vgl. auch H. H. Klein, AöR 108 (1983), 366 f. 768 S. zu solchen gesetzgebungsverfahrensbezogenen Versuchen A. Dittmann, DÖV 1974,402 f.; C. Pestalozza, ZRP 1976,153 ff.; W.-R. Schenke, Die Verfassungsorgantreue, 1977, S. 86f.; vgl. auch G. Fritz, Teilung (Fn. 709), S. 108ff., llOff., 115ff., 120fT., 135ff. 769 Vgl. nur G. Janson, DVB1. 1978, 318ff.; ausf. G. Fritz, a. a. O., S. 106f.; s. zsfssd. S. 192ff.; H. Schulze-Fielitz, NVwZ 1983, 714ff. 770 Das Argument gilt nicht für die Aufteilung von (in sich heterogenen) Artikelgesetzen, s. ζ. B. die Ausgliederung des (nicht zustimmungsbedürftigen) 9. BKGÄndG aus dem (Art. 6) des (zustimmungsbedürftigen) 2. HStruktG(E), vgl. BT-Drs. 9/842, S. 53 ff. 771 S. zur Staatspraxis in repräsentativen Beispielen G. Fritz, Teilung (Fn. 709), S. 30 ff.
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Schulze-Fielitz
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IX. Bundesgesetzgebung als Verhandlungs- und Entscheidungsprozeß
Gesetzgebungsmehrheit 772 erheblich partei-politisiert mit weiteren problematischen Folgen. Einerseits kam es zu Kompromissen „ i n letzter Minute" im Vermittlungsausschuß, die als Entscheidungen auf einer der sachfernsten Ebenen die Vermutung eines legislatorischen Qualitätsverlustes infolge sachlicher Inkompetenz begründen; die Vermutung hat sich in manchen Fällen auch der 9. WP bestätigt 773 . Jedenfalls führt allein schon der Umstand, daß vom Vermittlungsausschuß neu eingefügte Rechtsnormen ihren Zweck wegen fehlender Begründungen in den Gesetzesmaterialien oft nicht erkennen lassen, zu mehr Auslegungszweifeln als erforderlich wäre 7 7 4 . (4) Zum anderen kam es zu einer ausdehnenden Interpretation der rechtlichen Kompetenzen des Vermittlungsausschusses durch die Verfassungspraxis 775. Sie hat dessen Kompetenzen in der 9. WP unter Berufung auf das Kriterium der politischen Durchsetzungsfähigkeit bzw. des Kompromißbedürfnisses 776 grenzen-los ausgeweitet und dadurch ζ. T. die verfassungsrechtlichen Kompetenzen des Bundestages verfassungswidrig beschnitten 777 .
b) Die weitere Konkretisierungsarbeit am Gesetzestext
M i t der engültigen Bestätigung des Gesetzes durch Bundestagsbeschluß und der Ausfertigung und Verkündung durch den Bundespräsidenten (Art. 82 GG) endet das formelle Gesetzesentstehungsverfahren. Auch das BVerfG ist keine Gesetzgebungsinstanz mehr, sondern auf eine Verwerfungs- und (verfassungskonform auslegende) Konkretisierungskompetenz beschränkt. I m Prozeß der Gesetzesanwendung können „Wille und Wirkung" der Gesetze aber auch sonst auseinanderklaffen, weil eine Vielfalt von Instanzen das Gesetz für den Alltagsgebrauch zubereiten muß 7 7 8 . Gesetzgebung findet hier ihre Fortsetzung in anderer Form. Alle Konkretisierungsinstanzen, auch die Judikatur des BVerfG einschließlich ihrer obiter dicta, können als Impulse den Gesetzge772 773
So W. Steff ani, ZParl 16 (1985), 227 f.
S. z. B. zu den „nicht ganz unerheblichen Schwierigkeiten" mit dem AFWoG ( = Art. 27, Unterartikel 1 2. HStruktG), dessen komplette Einfügung durch den Vermittlungsausschuß aber auf einen Regierungsentwurf zurückgreifen konnte: W. Jäckle, NJW 1984, 2131 (2135). 774 S. z. B. BVerwG DVB1. 1986, 105 (107f.) betr. § 120 I I BSHG i. d. F. von Art. 21 Nr. 29 2. HStruktG. 775 Krit. E. Franßen, FS f. M. Hirsch, 1981, S. 279ff. m. Bsp. aus der 8. WP; Rechtfertigungen bei M.-J. Dietlein, AöR 106 (1981), 525 (538 ff.); ders., NJW 1983, 81 ff. 776 S. E. Hasselsweiler, Vermittlungsauschuß (Fn. 728), S. 37, 49; P. Henseler, NJW 1982, 849 (850); W. Strohmeier, ZParl 13 (1982), 473 (477, 478); krit. H. Troßmann, JZ 1983, 11; H. Bismark, DÖV 1983, 269 (276); W.-R. Schenke, Grenzen (Fn. 726), S. 53 ff. 777 S. zum 2. HStruktG nur H. Bismark, a. a. O., S. 275; H. Schulze-Fielitz, NVwZ 1983,713 f.; W.-R. Schenke, a. a. O., S. 20 ff., 27 ff., 69 u. ö.; anders die h. M., s. ausf. Nw. unten Kap. I X / F n . 704. 778 S. o. Kap. V/bei Fn. 21 ff., 51 ff.
7. Bilanz
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bungsprozeß neu anstoßen 779 . Insofern liegen in jedem Abschluß des Gesetzgebungsverfahrens mehr oder weniger, kurz- oder langfristige Impulse zu einer Fortsetzung des permanenten Gesetzgebungsprozesses verborgen: Positives Gesetzesrecht ist „law in action" (Josef Esser). 7. Bilanz: Das parlamentarische Gesetzgebungsverfahren als institutionalisierte Annäherung an Verfassungsgerechtigkeit durch Kontrolle Die parlamentarischen Meinungs- und Willensbildungsprozesse und die Konfrontation der Argumente von Politikern und Sachverständigen in den Gesetzesberatungen führen im Wechselspiel der parlamentarischen und außerparlamentarischen Gremien, von Fraktionen bzw. Fraktionsarbeitskreisen und Parteigremien, von überparteilichen Foren (Tagungen u. a.) und alltäglichen Erfahrungen einzelner Abgeordneter doch zur einer sachlichen Vertiefung der Gesetzesberatungen und zu partiell „besseren" Gesetzen. In diesem Sinne erweist eine Bilanz das parlamentarische Gesetzgebungsverfahren als eine institutionalisierte Form der Annäherung an die Verfassungsgerechtigkeit durch Kontrolle. (1) Es ist zunächst in eine Vielfalt von Verfahrensstationen aufgegliedert, die durch unterschiedliche Gremien, Personen, Kompetenzen und Perspektiven auch differenzierte Gesichtspunkte zur Geltung bringen 780 . Die Stellungnahmen des Bundesrates etwa folgen schwerpunktmäßig anderen (ζ. B. gesetzestechnischen, verwaltungspraktischen oder länderspezifischen) Gesichtspunkten als die Fraktionsberatungen (mit ihren vor allem auch partei-politischen Opportunitätsüberlegungen). (2) Auf allen Ebenen finden zwischen (mehr oder weniger) konträren Positionen sachorientierte und (partei-)politische Auseinandersetzungen und Verhandlungen mit dem Ziel einer nach Möglichkeit einverständlichen Regelung statt. So ist „gewissermaßen die Denkmethode der Dialektik förmlich institutionalisiert" 781 . Die „Frontlinien" verlaufen zwischen Verfassungsorganen (ζ. B. Bundesregierung und Bundesrat oder zwischen Bundesregierung und Bundestag), zwischen den Mehrheits- und Oppositionsparteien, zwischen Koalitionspartnern, zwischen Fraktions- und Parteigruppierungen oder zwischen Parteiflügeln, im vorparlamentarischen Verfahren auch zwischen Ministerien oder Abteilungen innerhalb der Ministerien. (3) Neben den rechtlichen Verfahrensstationen verlaufen jene „Frontlinien" auch auf der nicht-rechtlichen ( = informalen) Ebene politischer Gremien und 779
S. o. bei Fn. 92ff. 780 vgl. d a z u a u c h d Rauschning, Die Sicherung der Beachtung von Verfassungsrecht, 1969, S. 147ff. 781 G. Kretschmer, in: W. Schreckenberger (Hg.), Gesetzgebungslehre, S. 171. 24*
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IX. Bundesgesetzgebung als Verhandlungs- und Entscheidungsprozeß
Instanzen. In der Gesetzgebungspraxis erweisen sich solche Gremien (vor allem Koalitionsgremien) als von besonders großer Maßgeblichkeit in politisch hochumstrittenen Gesetzgebungsfragen. (4) Die Kontrollfähigkeit des Bundestages nimmt fortschreitend ab, je mehr Instanzen bereits abschließend beteiligt (worden) sind und je mehr sich das Verfahren dem formellen Ende des Verfassungsverfahrens nähert. Die Entscheidung nach der abschließenden 3. Lesung durch Gesetzesbeschluß des Plenums ist in ihrem formellen Gewicht umgekehrt proportional zu ihrer Bedeutung für die inhaltliche Detaillierung eines Gesetzes. (5) Eine frühzeitige und/oder fundamentale (Partei-)Politisierung kann die Offenheit des Gesetzgebungsprozesses begrenzen oder unerwartete Kompromisse erzwingen, je nach den verschiedenen Möglichkeiten der Beteiligten, ihre Minderheiten- bzw. Veto-Macht-Positionen zu mobilisieren. Eben diese tendenzielle Ausgewogenheit in Aushandlungsprozessen läßt eine (relative) Verfassungsvertragsgerechtigkeit der Gesetzgebung vermuten. (6) Wegen des insgesamt erheblichen Verfahrensaufwandes der parlamentarischen Gesetzgebung hat das Gesetz eine „größeren Rechtswert" 782 als andere Formen des Rechts. Vor allem rechtfertigt der Aufwand sich nur im Hinblick auf sein intendiertes Ergebnis: also auf ein Gesetz, das unter Berücksichtigung aller einschlägigen Interessen abgewogen sich auf einen (möglichst breiten) Mehrheitskonsens stützen kann und die (selber differenzierte) Verfassungsvertragsgerechtigkeit differenziert konkretisiert — zwischen Wettbewerb und Konsens 783 . Gewiß spielt der Gesichtspunkt der sozialen „Gerechtigkeit" gerade im Rahmen der Verteilungsgesetzgebung oft nur ein parteipolitisch-strategische oder nur implizite Rolle. Dennoch ist es nicht unbeachtlich und symptomatisch, wenn etwa selbst bei Steuergesetzen in Ausschußberichten auf die „Steuergerechtigkeit" abgehoben w i r d 7 8 4 . (7) Dennoch scheint die Fähigkeit des Bundestages und seiner Fraktionen zu diskursiver Kontrolle verbesserungsfähig und -bedürftig. Damit wird keiner Wiederbelebung des Bildes vom Parlament als Stätte gegenseitiger rationaler Überzeugungsarbeit das Wort geredet. Aber ein Zwang zur rationalen Argumentation und Rechtfertigung im parlamentarischen Verfahren wirkt sich mittelbar vor- oder nachwirkend auch in jenen informalen Gremien aus, die die Entscheidungen präjudizieren. Ein wesentliches Kriterium zur Optimierung scheint eine zeitliche Entzerrung und Mindestdauer des Gesetzgebungsverfahrens zu sein. Sie soll nicht nur 782
So BVerfGE 7, 282 (302). G. Kretschmer, in: W. Schreckenberger (Hg.), Gesetzgebungslehre, S. 176; s. a. O. Weinberger, in: H. Schäffer u. a. (Hg.), Rationalisierung der Gesetzgebung, 1984, S. 212 (223). 784 S. ζ. B. BT-Drs. 9/167, S. 6 („stärker verwirklicht") — man beachte das Verständnis von Gerechtigkeit als Prozeß. 783
7. Bilanz
373
(negativ) überstürzte Entscheidungen verhindern 785 , sondern (positiv) „unter verschiedenen strukturellen und situativen Bedingungen unterschiedliche Akzentuierungen" zur stückweisen Verbesserung des Entwurfs führen, zur Erhöhung der Rationalität des Gesetzgebungsverfahrens und der Chance, die politisch „richtige" Entscheidung herbeizuführen 786 . (8) Das parlamentarische Gesetzgebungsverfahren ist nicht besser oder schlechter als die Gesamtverfassung eines demokratischen Verfassungsstaates. Strukturelle Verzerrungen im Gesetzgebungsprozeß etwa zugunsten bestimmter Interessengruppen lassen sich nicht entscheidend den konkreten parlamentarischen Verfahrensstrukturen anlasten; dieses spiegelt die selbstgefährdenden Defizite der pluralistischen Demokratie. Deren Verstärkung im Gesetzgebungsverfahren sollte freilich verhindert werden — solches bleibt ständige Aufgabe. Jede neue Lösung setzt voraus, Gesetzgebung stärker als Teil des politischen Prozesses in der Demokratie zu betrachten.
Exkurs: Volksgesetzgebung? Das Verständnis von Gesetzgebung als vertragsgeprägtem Verhandlungsund Kommunikationsprozeß erklärt auch, weshalb die demokratische Ausgestaltung des GG den Gedanken repräsentativer Entscheidungsgremien bevorzugt und Ansätze zur direkten Demokratie stark zurückdrängt 787 . Jedenfalls für den Bereich der Gesetzgebung haben Formen direkt-plebiszitärer Abstimmungsdemokratie am Maßstab verfassungsvertraglicher Tauschgerechtigkeit die Vermutung von Defiziten gegen sich 7 8 8 , denn die einseitige Vor-Entscheidung durch die Formulierung des jeweiligen Abstimmungsthemas, die Unmöglichkeit differenzierender Kompromisse zwischen den Mahlsteinen des Entweder/Oder bzw. Ja/Nein und die Entkoppelung des Verfahrens von den prozeduralen Sicherungen des verfassungsrechtlichen Gesetzgebungsverfahrens verhindern schon die Möglichkeit kommunikativ optimierter Gesetzgebung789. Damit wird die grammatisch, historisch und objektiv-teleologisch belegbare juristische Differenzierung bestätigt, das GG sehe einen Verfassungsvorbehalt für Volksbegehren und Volksentscheide vor, nicht aber für sonstige Formen der Volksab785 Vgl. dazu Hans Schneider, FS f. Gebh. Müller, 1970, S. 421 (432 ff.); K. Stern/ H. Bethge, Öffentlich-rechtlicher und privatrechtlicher Rundfunk, 1971, S. 34ff.; M. Kloepfer, Der Staat 13 (1974), 457 (462ff.) und näher unten Kap. X/bei Fn. 149 ff. 786 G.Zimmer, Funktion (Fn. 636), S. 261; vgl. ferner H.Steiger, Grundlagen (Fn. 221), S. 87. 787
E.-W. Böckenförde, FS f. K . Eichenberger, 1982, S. 301 ff. Vgl. zum folgenden Text A. Greifeid, Volksentscheid durch Parlamente, 1983, zsfssd. S. 113 ff. 789 Ähnlich U. K. Preuß, Freibeuter 9, 1981, S. 83 (91 f.); s. a. R. Streinz, Die Verwaltung 16 (1983), 293 (308); R. Steinberg, Die Verwaltung 16 (1983), 465 (482). 788
374
IX. Bundesgesetzgebung als Verhandlungs- und Entscheidungsprozeß
Stimmungen790, die vielmehr durch (einfache) Parlamentsgesetze organisiert werden können 7 9 1 . Damit ist auch eine Volksabstimmung nach Maßgabe des parlamentarischen Gesetzgebers 792 in solchen geeigneten (Einzel-)Fällen nicht ausgeschlossen, in denen etwa grundlegende Entscheidungen für die staatliche Gesamtordnung zu treffen und eine Privilegierung von Minoritäten nicht zu befürchten sind 7 9 3 oder über grundsätzliche politische Richtungsentscheidungen abzustimmen ist, oder in denen das Problem sich wirklich auf eine Ja-Nein-Alternative reduzieren läßt. Die verfassungsrechtlichen Gesetzgebungsverfahrensregeln und Kompetenzen der anderen Gesetzgebungsorgane (Bundesrat, Vermittlungsausschuß) sind dabei zu wahren 794 . Die verfassungspolitischen Stimmen für eine begrenzte plebiszitäre „Öffnung" des G G mehren sich 7 9 5 . Trotz der am Schweizer Beispiel offenbar werdenden Grenzen direktdemokratischer Beteiligungsformen 796 wird man im Hinblick auf die ebenfalls öfter sichtbaren Grenzen der Problemerkenntnis der parlamentarischen (Partei-)Politik Volksinitiativen zumindest im Vorfeld der Gesetzgebung als komplementäres, punktuelles „Ventil" für Ausnahmefalle 797 oder für einzelne Bereiche (wie ζ . B. das Landesplanungsrecht 798 ) zulassen müssen, wenn man sie nicht ohnehin nur als Veto-Recht „der" Bevölkerung auffassen w i l l 7 9 9 .
790
So /. Ebsen, AöR 110 (1985), 2 (4ff., 20). So (mit unterschiedlicher Reichweite) H. Meyer, VVDStRL 33 (1975), 115 (LS 28); A. Bleckmann, JZ 1978, 217ff; K.-U. Meyn, Kontrolle (Fn. 3), S. 379ff; zuletzt Ekk. Stein, A K - G G , Art. 20 Abs. 1 - 3 II/Rdn. 39 f. 791
792
S. /. Ebsen, AöR 110 (1985), 20 ff. Vgl. die (freilich zu engen bzw. analogiebegründenden) Beispiele bei A. Greifeid, Volksentscheid (Fn. 788), S. 60ff. 794 S. im einzelnen /. Ebsen, AöR 110 (1985), 24ff. 795 S. C. Pestalozza, Der Popularvorbehalt, 1981; D. Deiseroth, DuR 10 (1982), 123 (139ff.); R. Steinberg, Die Verwaltung 16 (1983), 465ff, 485f.; H. H. v. Arnim, Staatslehre, S. 514ff; R. Wassermann, JZ 1984, 263 (265f.); B. Huber, ZRP 1984, 245ff. (bes. 248f.); A. Weber, DÖV 1985,178 (184f.); Ekk. Stein, AK-GG, Art. 20 Abs. 1 - 3 II/Rdn. 40; P. Häberle, DÖV 1985,611 (613f.);M. Stolleis, VVDStRL44(1986), 7 (36ff); s. selbst D. Sternberger, JöR 33 (1984), 1 (35). 796 Zsfssd. R. A. Rhinow, ZSchwR N. F. 103 I I (1984), 111 (225ff); s. aber auch P. Saladin, Verantwortung als Staatsprinzip, 1984, S. 65f., 180ff. 797 Ζ. B. als Korrektiv für informale konkordanzdemokratische Erscheinungen, so H. Abromeit, in: B. Guggenberger u.a. (Hg.), Grenzen (Fn. 759), S. 132 (145 f.). 798 S. R. Steinberg, ZRP 1982,113 (117f.); ähnl. E. Wienholtz, DÖV 1985,136 (140f.); speziell für Finanzvorlagen H. H. v. Arnim, DVB1. 1985, 1286 (1293 f.). 799 Vgl. A. Herbert-Rothe, FR v. 29. 5. 1985, S. 14. 793
X. Politik durch Gesetzgebung als Kompromiß- und Mehrheitsentscheidung 1. Gesetzgebung als Politik a) Politik als Freiheit zur alternativen Gestaltungsentscheidung
Politisches Handeln ist mit der Freiheit verbunden, unter Handlungsalternativen wählen zu können 1 . In diesem weiten, neutralen Sinne ist Gesetzgebung politisches Entscheiden über Alternativen, ist Gesetzesrecht verbindlich gewordene politische Entscheidung. Gegenüber Bestimmungen, die Politik primär nach Maßgabe inhaltlicher Bezugspunkte wie ζ. B.: dem Handeln des Staates2, der Macht 3 , dem Bezug zum Gemeinwohl 4 , einer gemeinsamen Regelordnung für das gebietsgesellschaftliche Zusammenwirken 5 , der Verfolgung von (Partial)Interessen 6, dem Klassenkampf 7 , dem Verhandeln oder dem Ermöglichen von Verhandeln über Konflikte 8 usw. kennzeichnen, kann eine formale Bestimmung das Verhältnis von Recht und Politik nach dem gemeinsamen Kriterium der unterschiedlichen Alternativenfreiheit vergleichen; sie kann für diskursives und strategisches Handeln Geltung beanspruchen. Diese Freiheit zur Alternative kann Politik in ihrem Bezug zur Gesetzgebung allerdings nicht erschöpfend beschreiben. Hinzu kommt der intendierte Zweck des politischen Handelns, nämlich die Möglichkeiten staatlicher MachtKonzentration für bestimmte Gestaltungsziele einzusetzen, weil deren konfliktregelnde Verwirklichung letztlich für alle Bürger des Gemeinwesens vorteilhaft 1
S. etwa R.-R Grauhan, Politische Verwaltung, 1970, S. 31 f., 46ff.; s. ferner W.-D. Narr, in: G. Kress/D. Senghaas (Hg.), Politikwissenschaft, 1969, S. 9 (22 ff.); zust. R. Bartlsperger, W D S t R L 33 (1975), 221 (249); allg. zum Begriff der Politik vor allem V. Sellin, Art. Politik, in: Geschichtliche Grundbegriffe (GGb.), Band 4,1978, S. 789ff.; D. Sternherger, PVS 24 (1983), 6 (8 ff.). 2 S. ζ. B. U. Scheuner (1952) bzw. (1962), in: ders., Staatstheorie, S. 455 (472) bzw. 45 (71 f., 77); vgl. dazu auch H. Kaiser, AöR 108 (1983), 5 (19f.). 3 „Klassisch" Max Weber, Politik als Beruf, 2. Aufl. 1919, S. 8,9; s. ferner U. Scheuner (1952), in: ders., Staatstheorie, S. 472f. 4 S. ζ. B. W. Henke, Das Recht der politischen Parteien, 2. Aufl. 1972, S. 33; s. aber auch ders., NVwZ 1985, 616 (618). 5 S. H. Heller, Staatslehre, 1934, S. 204. 6 /. Ebsen, Das Bundesverfassungsgericht als Element gesellschaftlicher Selbstregulierung, 1985, S. 237 ff. 7 Zum Politik-Begriff bei Karl Marx s. U. Bermbach, PVS Ì4 (1983), 15 (18 ff.). 8 S. D. Sternberger, PVS 24 (1983), 13.
376
X. Gesetzgebung als Kompromiß- und Mehrheitsentscheidung
zu sein scheint. Politik ist stets mehr als nur Selbstzweck oder irrationaler Machtkampf 9 ; in ihrem in der aristotelischen Denktradition unveränderten Kern eines Bezugs auf die Polis bezieht sich Politik auf eine vernünftige, „gute" Gestaltung des gesamten politischen Gemeinwesens, heute also von „offenem Staat und verfaßter Gesellschaft" (.Peter Häberle). In der öffentlichen Auseinandersetzung werden soziale und politische (Partial-)Interessen nicht zufallig stets auch als Gemeinwohlinteressen dargestellt 10 . Politik und Gesetzgebung können nach dem Kriterium eines ordnungsstiftenden Gemeinwohlzusammenhangs ebenfalls gemeinsam beurteilt werden; sie sind beide verfassungsstaatlich eingebunden11. b) Trennung von Politik und Gesetzgebung?
Eine Freund-Feind-Bestimmung als empirisches Kriterium (nicht: als abschließende Wesensbestimmung) für das Politische 12 ist deshalb für den innerstaatlichen politischen Gesetzgebungsprozeß schlechthin unangemessen 13 ; gerade wegen der Unentrinnbarkeit des einzelnen aus seinem Staatsverband ist das verfaßte Gemeinwesen für alle Bürger verantwortlich: Innerstaatliche Feinderklärungen i. S. ausgrenzender Politik und Gesetzgebung wären ein verfassungsstaatlicher Widerspruch in sich. Das Gesetzgebungsverfahren ist ein institutionalisierter Gegenbeweis: Es schafft (partiell diskursive) Distanz zu existenziellen und damit emotionalen, unmittelbar-unvermittelten Feinderklärungen und ist auf Vermittlung von Gegensätzen durch Kompromißbildung und Vereinbarung hin angelegt. Neuere Versuche, die Freund-Feind-Kategorien zur Bestimmung des Politischen heranzuziehen 14, sind mit dem Modell pluralistischer Konfliktaustragung im grundgesetzlichen Verfassungsstaat, und speziell seinem Gesetzgebungsverfahren, unvereinbar 15 .
9 S. Η. Heller, Staatslehre, S. 206; U. Scheuner (1962) in: ders., Staatstheorie, S. 73; P. Häberle (1972), in: ders., Verfassung, S. 246 (261). 10 S. I. Ebsen, Bundesverfassungsgericht (Fn. 6), S. 251 f. und bereits oben Kap. Vlll/bei Fn. 263. 11 S. dazu K. Stern, Verfassungsgerichtsbarkeit zwischen Recht und Politik, 1980, S. 18ff.; W. Schmitt Glaeser, AöR 107 (1982), 337 (338 f.); vgl. auch U. Scheuner (1962) und (1974), in: ders., Staatstheorie, S. 73 ff. bzw. 537. 12 So C. Schmitt, Der Begriff des Politischen, Auflage 1933, S. 7f., 20ff.; zust. C. Meier, Die Entstehung des Politischen bei den Griechen, 1980, S. 32ff.; s. a. H. Schelsky, Der Staat 22 (1983), 321 ff. 13 Jedenfalls vor 1933 wurde diese Bestimmung von Carl Schmitt selber, in nationalstaatlicher Denk-Tradition, primär im Verhältnis zum aw/terstaatlichen Fremden als absolutes Kriterium für den Staat als maßgebende politische Einheit behauptet, vgl. aber C. Schmitt, a. a. O., S. 26; ferner C. Meier, a. a. O., S. 31, der gar die Begriffsausweitung den Gegnern C. Schmitts anlastet (S. 33); vgl. demgegenüber C. Schmitt, ebd., S. 9ff., 21 u. ö. und zur Selbstwidersprüchlichkeit Schmitts auch V. Sellin, in: GGb. (Fn. 1), S. 871 f.; J. Seifert, KJ 18 (1985), 193 (196f.). 14 Nw. bei R. Saage, Rückkehr zum starken Staat?, 1983, S. 22ff., 246ff.
1. Gesetzgebung als Politik
377
Auch ein „negatives" Verständnis von Politik im Gefolge einer „realistischen" Tradition seit Machiavelli 16 verrät wenig Sinn für den Zusammenhang von Recht, Rechtsetzungsverfahren und Politik. Recht setzt danach der — von ihr streng geschiedenen — Politik nur äußere Schranken 17 . In der Politik selber ist jedes politisch zweckdienliche Motiv wie z. B. Manipulation, Verschleierung, „Dosierung von Wahrheit", Übertreibung und Verteufelung, wechselseitige Verdächtigung der Motive (?) des gegnerischen Handelns, die nicht-öffentliche Wahrnehmung „gewisser prekärer Interessen" nicht nur praktisch (empirisch) verbreitet, sondern als dem politischen Prozeß eigenartig vom Recht (normativ) zu respektieren, weil ein juristisches Korsett sonst die Politik denaturieren würde 18 . Nach einer Variante dieses Verständnisses hat die Medienpublizität die Politik wesentlich verändert und damit die Art der Herrschaftsausübung durch die Politiker. Statt der Reihenfolge: Absicht — Handlung — Wirkung — Medien herrsche heute das Modell: Absicht — Medien — Wirkung — Handlung 19 — mit der Folge einer Dominanz opportunistischer Werbestrategien. Diese Beschreibungen betrachten Recht und Politik als streng geschiedene Bereiche; beide stehen indessen in einem realen Wechselbezug20. Wer auf verfassungsmoralische Maßstäbe zugunsten „der" Politik verzichtet, der läuft Gefahr, bald auch die verfassungsrechtlichen Maßstäbe zu verlieren. Jedenfalls kann ein solches macht-orientiertes „realistisches" Verständnis den spezifischen Zusammenhang von Recht und Politik im Gesetzgebungsverfahren nicht angemessen erfassen. c) Gesetzesrecht als spezifische Aggregatform von Politik
Politische Entscheidungen in Form von Gesetzen machen bestimmte Alternativen der zukünftigen Gestaltung eines Gemeinwesens auf Zeit verbindlich. Sie 15 S. zur Kritik etwa H. Kremendahl, Pluralismustheorie in Deutschland, 1977, S. 95 ff.; B. GuggenbergerIC. Offe , Aus Politik und Zeitgeschichte, Β 47/83, S. 3 (9 ff.); zuletzt wieder D. Sternberger, FAZ ν. 1. 6. 1985, Beilage („gegenüber der inneren Beschaffenheit und 'Verfassung' des Staates seltsam indifferent"); J. Seifert, KJ 18 (1985), 199; vgl. andere Einwände bei H. Wehrhahn, W D S t R L 15 (1957), 35 (43 f.) (mit dem dauerhaftgenerellen Anspruch von Gesetzen unvereinbar). 16 S. dazu V. Sellin, in: GGb. (Fn. 1), S. 809ff., 826ff., 831 ff.; zum traditionellen Politikbegriff bei Machiavelli s. D. Sternberger, Drei Wurzeln der Politik 1,1978, S. 239 ff.; s. a. C. Meier, Entstehung (Fn. 12), S. 28 f. 17
S. W. Geiger, JöR 33 (1984), 41 (53). So W. Geiger, a. a. O., 44f., der mit solchen Argumenten die politischen Vorgänge vor der Bundestagsauflösung 1982/83 rechtfertigen möchte — ausgerechnet in Anknüpfung an die zweifelhafte Tradition, die in Politik primär das „schmutzige Geschäft" sieht. 19 H. Schelsky, Der Staat 22 (1983), 321 (331 ff.). 20 H. Ryffel, ZSchwR N. F. 91 I (1972), 459 (460ff.); W. Schmitt Glaeser, AöR 107 (1982), 337 (338). 18
378
X. Gesetzgebung als Kompromiß- und Mehrheitsentscheidung
sind zugleich Form der Rechtsfeststellung wie Mittel der politischen Formung 2 1 . Sie verdichten die „beliebige" Freiheit zu Recht und engen die Möglichkeit zu politischen Alternativen auf Zeit verbindlich ein. Politik durch Gesetze zielt heute in aller Regel auf die Änderung bestehender Gesetze, um bestimmte politische Zwecke des Gesetzgebers instrumenteil umzusetzen, ohne daß Recht genuin neu gebildet würde 2 2 . Das positive Gesetzesrecht als das zentrale Steuerungsmedium für die moderne Gesellschaft ist „geronnene" Politik 2 3 , d. h. eine auf Zeit verbindlich verdichtete Aggregatform von Politik: „Recht als Kontrolle staatlicher (und gesellschaftlicher) Macht ist eine Form von Politik" 2 4 . Gesetzgebung ist daher stets ein Stück „Verrechtlichung" von Politik in dem Sinne, daß die Beliebigkeit von Handlungsalternativen verbindlich eingeengt wird; die rechtsstaatliche Gesetzesform ermöglicht so eine rationale Domestizierung der politischen Machtausübung 25 . Einerseits wird ein mehr oder weniger enger Rahmen gesetzt, andererseits werden punktuell bestimmte Einzelfragen verbindlich entscheiden. Gesetzgebung ist nur ein Teil des staatlichen Steuerungsinstrumentariums und kann deshalb nur partiell stabilisieren 26 ; sie hat kein Politik-Monopol 2 7 . Die Verfestigung des kollektiven politischen Wollens durch Gesetzesrecht setzt das aufwendigste staatliche Verfahren voraus, das Verfahrensgerechtigkeit garantiert: Der „Vernunftfilter" (Christian Tomuschat) des Gesetzgebungsverfahrens soll Inhalte für alle Staatsbürger an jenen fiktiven vertraglichen Konsens binden, der zugleich Legitimität und Effektivität der Rechtssetzung garantiert. Ein Verzicht des Gemeinwesens auf politische Gestaltung durch Gesetzesrecht ist nicht mehr möglich; er würde oft nur die Regelungsmacht auf die gesellschaftlichen Instanzen delegieren. Gesetzgebung und Nicht-Gesetzgebung sind so Ausdruck politischer Entscheidung.
21
S. U. Scheuner (1952), in: ders., Staatstheorie, S. 455 (478). U. Scheuner (1974), in: ders., Staatstheorie, S. 540f.; W. Schmitt Glaeser, AöR 107 (1982), 337. 23 D. Grimm, JuS 1969, 501 (502); W. Henke, Der Staat 19 (1980), 181 (201); zur zentralen Rolle des Gesetzes s.o. Kap. V/bei Fn. 127 ff. 24 P. Häberle (1973), in: ders., Verfassung, S. 271 (282); Recht ist deshalb meist auch alternativ möglich, vgl. H. Ryffel, ZSchwR N. F. 91 I (1972), 470. 25 S. N. Wimmer, in: H. Schäffer u. a. (Hg.), Rationalisierung der Gesetzgebung, 1984, S. 225 (227). 22
26 27
T. Ellwein, DÖV 1984, 748 (751). A. v. Mutius, W D S t R L 42 (1984), 147 (164 u. ö.).
2. Die Erforderlichkeit der Gesetzgebung
379
2. Die Erforderlichkeit der Gesetzgebung als politische Grundsatzentscheidung Es gehört zu den heute wieder aktualisierten Stereotypien einer jahrzehntelangen Diskussion, die strenge Prüfung der Erforderlichkeit einer Normsetzung als Therapie gegen die Gesetzesflut zu fordern 28 . Schnell wird von einzelnen, beispielhaften rechtspolitischen Plänen oder Gesetzen29 auf die Überflüssigkeit vieler Normen geschlossen. Eine vertiefte Betrachtung wird auf die Aufgaben des modernen Verfassungsstaates und die Grenzen seiner Leistungskapazitäten im Spannungsfeld zwischen den Eigengesetzlichkeiten der Politik und den sachlichen Regelungsnotwendigkeiten abstellen müssen. a) Determinanten und Rahmenbedingungen
aa) Staatsaufgabenentwicklung
und -kritik
Ein verbreitetes verfassungspolitisches Argument sieht den modernen Staat vor vielen „neuen" Aufgaben gestellt und fordert seine Entlastung zugunsten der gesellschaftlichen Selbstregulierungskräfte 30. In „Selbstüberforderung der Politik" (Niklas Luhmann)31 werde die staatliche Steuerungskraft überschätzt, wenn man ihr eine Gesamtverantwortung für die gesellschaftliche Wohlfahrt aufbürde. Unter Leitbegriffen wie Privatautonomie, „Weniger Staat", „Grenzen des Sozialstaats?" oder Subsidiarität u. a. m. wird der Aktivität der einzelnen freien Bürger mehr (gesamt-)gesellschaftliche Ordnungskraft zugetraut als dem Staat 32 . M i t dieser Staatsaufgabenkritik wird implizit unterstellt, Wachstum der Staatsaufgaben und Verrechtlichung verliefen parallel 33 — was plausibel ist, wenn man die Verrechtlichung als Verregelung i. w. S. auffaßt und nicht mit 28
S. die Nw. oben Teil Kap. I/Fn. 143; ferner: H. Jahrreiß, in: ders. u. a., Größe und Not der Gesetzgebung, o. J. (1952), S. 5 (51 f.); R. Hotz, Methodische Rechtssetzung — eine Aufgabe der Verwaltung, 1983, S. 121 ff.; zuletzt wieder J. Isensee, ZRP 1985, 139 (144f.). Die Kurzatmigkeit der Verbesserungsvorschläge führt zu Wünschen wie etwa der Art, die (Partei-)Vorstände sollten sich mit neuen Gesetzgebungsplänen in Wahlprogrammen zurückhalten, vgl. C.-O. Lenz, FS f. F. Schäfer, 1980, S. 66 (68). 29 Als ein Beispiel für leicht verzichtbare Gesetz(gebungsplän)e seien Kultur-Fachgesetze für die Gemeinden genannt, s. krit. E. Pappermann, DVB1. 1980, 701 (704f.). 30 S. ausf. H.H. v.Arnim, Staatslehre, 1984, S. 65, 465ff., 470ff.; zurückhaltend H. P. Bull, Die Staatsaufgaben nach dem Grundgesetz, 2. Aufl. 1977, S. 417ff. 31 Vgl. N. Luhmann, Politische Theorie im Wohlfahrtsstaat, 1981, S. 152; s. bes. 97 ff. 32 Vgl. für viele W. Leisner, DVB1. 1981, 849 (855ff.); Deutsche Bank (Hg.), Weniger Staat. Auszug aus dem Geschäftsbericht 1981 der Deutschen Bank AG, Frankfurt 1982, unter Berufung auf F. Α. ν . Hayek, Recht, Gesetzgebung und Freiheit, Bd. 1,1980, S. 74; J. Strasser, Grenzen des Sozialstaats, 1979. 33 S. ζ . Β. T. Mayer-Maly, FS Juristische Gesellschaft Berlin, 1984, S. 423 (428); Η. Η. v. Arnim, DVB1. 1985, 1286 (1286).
380
X. Gesetzgebung als Kompromiß- und Mehrheitsentscheidung
Parlamentsgesetzgebung gleichsetzt. So gewiß Gesetzgebung mit den Staatsaufgaben gewachsen ist 3 4 , so gewiß werden aber viele „neue" Staatsaufgaben ohne parlamentarische Gesetze ζ. B. lediglich durch die Gestaltung des Haushaltsplans erfüllt. Empirisch läßt sich plausibel machen, daß das Wachstum parlamentarischer Gesetze durchaus nicht allein auf die Ausdehnung der Rechtsnormen aufgrund „neuer" Staatsfunktionen zurückzuführen ist, sofern man die traditionellen, „primären" Staatsfunktionen i. S. der Sicherungs- und Ordnungsfunktion und der Aufrechterhaltung des Staates weit faßt im Kontrast zum Leistungsstaat und seinen „sekundären" Aufgaben der Bereitstellung staatlicher Dienstleistungen und der Steuerung und Sicherung der allgemeinen Wohlfahrt 35 . Die Staatsaufgabenkritik überschneidet sich jedenfalls nur ζ . T. mit dem Problem des Wachstums der Parlamentsgesetzgebung. bb) Verfassungsdirektiven
für die Erforderlichkeit
von Gesetzen?
Auch die Direktiven des GG erweisen sich gegenüber der Frage nach der Notwendigkeit von Parlamentsgesetzen als ambivalent. Das Sozialstaatsprinzip ist einerseits ein Motor der Gesetzgebung, insofern gesetzgeberische Aktivitäten zur Veränderung einer bestehende Verteilungsstruktur unter dem Zwang stehen, mehr Normen zu produzieren 36 ; gerade die Schaffung zwingenden Rechts charakterisiert die Differenz von sozialem Rechtsstaat und anderen Formen sozialen Engagements37. Kritik an Gesetzesflut und an der Sozialstaatsentwicklung fallen deshalb oft zusammen 38 . Andererseits gibt es Grenzen des Sozialstaats, soweit das Streben nach sozialer Gerechtigkeit zu praktischen Ungerechtigkeiten führt, die das sozialstaatliche Ziel konterkarieren. Umfang und Grenzen des sozialen Leistungsstaats sind indessen Ausfluß politischer Entscheidung; der Umfang sozialstaatlicher Budgets läßt sich nicht theoretisch „objektiv" bestimmen 39 . Auch der wirtschaftsinterventionistische Staat kann durch Handeln wie durch Unterlassen (fehl-)steuern. Allein im Unterlassen des Gesetzgebers kann bei veränderter tatsächlicher Ausgangssituation eine Abkehr von den einstigen gesetzgeberischen Zielen liegen 40 . 34 Empirische Nachweise bei R. Grawert, in: Gesetzgebung (Fn. 1/153), S. 113 (127 ff.); s. a. H. Lange, DÖV 1985, 169 ff. 35 So die empirischen Untersuchungen von E. Müller/W. Nuding, PVS 25 (1984), 74 (80 ff.); vgl. auch T. Ellwein, DÖV 1984, 748 (749 f.). 36 S. ζ. B. H.-J. Vogel, 50. DJT, Band II/H, S. 17ff.; D. Stobbe, RuP 16 (1980), 181 ff.; krit. zur Dominanz des „Sozialen" W. Schmitt Glaeser, AöR 107 (1982), 353 ff. 37 So F.-X. Kaufmann, JbRSoz 12 (1988), MS. 6. 38 Ζ. B. W. Braun, VerwArch 76 (1985), 24 (28, 42 f.). 39 R. Musgrave, in: P. Koslowski u. a. (Hg.), Chancen und Grenzen des Sozialstaats, 1983, S. 90 (99 ff.); s. a. Η. H. v. Arnim, DVB1. 1985, 1288. 40 Vgl. W. Hoffmann-Riem, NVwZ 1984, 286 (290) am Bsp. der Handwerksordnung. Durch Unterlassen können ganze Märkte in Länder mit anderen rechtlichen Rahmenbe-
2. Die Erforderlichkeit der Gesetzgebung
381
Deshalb ist auch die Berufung auf das Rechtsstaatsprinzip bzw. seine Konkretisierungen (Einfachheit und Klarheit des Gesetzesrechts, „Recht wird Unsinn...") ambivalent. Der Verzicht auf eine gesetzliche Regelung bedeutet keine Regellosigkeit, sondern die Ersetzung parlamentarischer durch administrative oder private Rechtssetzung oder nicht-rechtliche Regeln. Der Verzicht auf die Möglichkeiten der zwingenden Durchsetzung(smöglichkeit) solcher Regeln trifft gerade die rechtlich Schutzbedürftigen. Wenn sogar „das bewußte Inkaufnehmen kalkulierter Normenungerechtigkeit im Einzelfall" als Auftrag des Gesetzgebers in unserer Zeit angesehen wird 4 1 , so läuft das auf eine Kapitulation des Rechtsstaates hinaus. Umgekehrt liegt im Versuch, ein rechtsstaatliches Verbot „überflüssiger" Normen zu begründen 42 , zugleich der Ansatz, politische Diskussionen auf die Ebene verfassungsrechtlicher Diskussionen zu heben mit der Gefahr, die Verfassung zu überfordern. Auch die neuerdings wieder häufigere Berufung auf das Subsidiaritätsprinzip ist in konkreten Fragen ambivalent. Die Maßstäbe für die Leistungsfähigkeit der „kleineren Einheiten" sind nicht „objektiv" vorgegeben, sondern selber von ihrer Aufgabenbestimmung her politisch entscheidbar. Die Diskussion 43 wird in neuerer Zeit vor allem am Beispiel der kommunalen Selbstverwaltung allgemein 4 4 und des Verhältnisses von Gemeinde- und Kreisaufgaben zueinander im besonderen 45 geführt. Sie hilft auch im Bereich der Delegation von Rechtssetzungsbefugnissen konkret nicht wesentlich weiter. Der Subsidiaritätsgrundsatz wurde gerade in Sachzusammenhängen empfohlen, deren Eigengesetzlichkeit sich gegen rechtliche Reglementierung überhaupt sträubt 46 . Zugleich wird in ihm unter dem Stichwort der „Aufgabenverlagerung" ein Leitgedanke zur dingungen ausweichen, vgl. zum veralteten deutschen Recht betr. den Euro-Kapitalmarkt: FAZ v. 29. 5. 1985, S. 13. 41
So R. Seeger, Die Gemeinde 1981, S. 261 (264). S. M. Kloepfer, VVDStRL 40 (1982), 63 (79 f.); vgl. dazu Κ Stern, Staatsrecht I, S. 831. 43 Vgl. R. Herzog, Der Staat 2 (1963), 399ff.; J. Isensee, Subsidiaritätsprinzip und Verfassungsrecht, 1968, S. 220ff.; M. Stolleis, ZevKR 18 (1973), 376ff.; Η. P. Bull, Staatsaufgaben (Fn. 30), S. 190ff., 202ff.; E. Schmidt-Jortzig, Kommunale Organisationshoheit, 1979, S. lOOff.; Η. H. v. Arnim, Staatslehre, S. 474ff.; s. a. R. Hendler, Selbstverwaltung als Ordnungsprinzip, 1984, S. 340 ff. 44 Zuletzt wieder W. Blümel, VerwArch 75 (1984), 197 (208f.) m. ausf. Nw.; krit. ζ. B. E. Schmidt- Jortzig, a. a. O., S. 113 ff. 45 Diskussionsanregend war hier die Abfallbeseitigung in Rastede und Buxtehude, vgl. OVG Lüneburg, DÖV 1980,417 ff.; BVerwG DÖV 1984,164ff. m. Anm. F. Wagener; aus der Lit. (mit einer fast unübersehbaren Anzahl von Rezensionen): H.-J. Papier, DVB1. 1984,453 (453,456); W. Blümel, a. a. O., bes. S. 202ff, 297ff. m. ausf. Nw.; s. a. am Bsp. der Schulträgerschaft A. Dittmann, Schulträgerschaft zwischen Kreisen und Gemeinden, 1978, S. 48 ff., 56ff, 66ff; s. ferner F.-L. Knemeyer, DVB1. 1984, 23 (27f.); E. SchmidtJortzig, a. a. O., S. 118ff; H. H. Schröer, DÖV 1984, 550ff; F. Erlenkämper, NVwZ 1985, 795 (798 f.). 42
40
Ζ. B. U. Steiner, VVDStRL 42 (1984), 7 (28) betr. Kulturpolitik.
382
X. Gesetzgebung als Kompromiß- und Mehrheitsentscheidung
Entbürokratisierung staatlicher Aufgabenerfüllung gesehen47; er reicht aber über subsidiaritätsfreundliche gesetzliche Ausgestaltungen in Einzelbereichen 48 nicht hinaus und hat sich nicht als allgemeines verfassungsrechtliches oder verfassungspolitisches Prinzip durchsetzen können. Durchweg verweist der Abstraktionsgrad der verfassungsrechtlichen Maßstäbe für die Erforderlichkeit von Gesetzen auf die politische Entscheidung durch den Gesetzgeber — und führt damit in einen Zirkel. Die Frage der Erforderlichkeitsprüfung von Gesetzen ist eine politische, für die gegenwärtige Gesetzgebungspraxis nicht rechtlich determinierte Frage 49 . cc) Finanzgesteuerte
Politik
Stärker als die erwähnten Verfassungsgrundsätze wirkt in der Politik die Knappheit der finanziellen Mittel auch für den Gesetzgeber. Die Finanzierbarkeit als ein entscheidendes Steuerungskriterium gewinnt unter den Bedingungen wachsender Knappheit öffentlicher Finanzen zunehmende Bedeutung. Gesetze haben in Form des Typs der Haushaltsanpassungsgesetze50 jene eigentümliche Perspektivenumkehr erfahren, daß nicht die gestalterische Absicht des Gesetzes, sondern umgekehrt ihre Finanzierbarkeit zum maßgeblichen Bezugspunkt des Gesetzesinhaltes wird 5 1 . Neue Gesetzgebungsprojekte scheitern mangels genauer Kalkulationen oft von vornherein an ihrer problematischen Finanzierbarkeit. In einem weithin unterschätzten Ausmaß bestimmen finanzielle Restriktionen auch Form und Inhalt von Gesetzen. Gesetzgebungstheoretisch ist wichtig, daß unterschiedliche rechtliche Regelungsmodelle mitunter nicht nach ihrer juristischen Sachgerechtigkeit, sondern nur nach ihren finanziellen Auswirkungen getroffen werden 52 . Stark komplizierende Verfeinerungen entspringen oft minimierenden Einsparungsbestrebungen, die klare Einschnitte aus Erwägungen sozialer Akzeptanz zugunsten differenzierender Regelungen zu vermeiden suchen 53 . Finanzrestrik47 S. etwa H. Lange, DÖV 1985, 169 (175ff.); J.Becker, DÖV 1985, 1003 (1005) m. w. Nw.; s. a. G. F. Schuppert, VerwArch 71 (1980), 309 (333ff.). 48 Ζ. B. im Recht der Schulträgerschaft in Baden-Württemberg (Nw. bei A. Dittmann, Schulträgerschaft (Fn. 45), S. 56ff.). 49 S. in diesem Sinne ζ . Β. T. Mayer-Maly, FS Juristische Gesellschaft Berlin, 1984, S. 428f.; ferner (naheliegenderweise) Politiker selber, ζ . Β. A. Wernitz, VOP 1979, 135 (139).- Verfassungsrechtliche Determinante ist nur der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit im Hinblick auf einzelne Gesetzesnormen. 50 S. dazu oben Kap. IV/bei Fn. 220ff. 51 S. E. Moeser, Mitwirkung (Fn. III/72), S. 95 f. 52 Vgl. BT-Drs. 10/2677, S. 22; s. dazu etwa F. Ruland, NJW 1986, 20 (21, 22, 25). 53 S. aus der 9. WP ζ . B. das 7. BAföGÄndG, dessen Rechtsänderungen von der innerhalb der Koalition vereinbarten Vorgabe eines festzuschreibenden Niveaus von 2,4 Mrd. D M bestimmt war, s. BT-Drs. 9/603, S. 11 und 15 (AB).
2. Die Erforderlichkeit der Gesetzgebung
383
tionen und ressortegoistisches Ausschöpfen des finanziellen Spielraums können zu rechtlich problematischen (Kompromiß-)Regelungen führen. b) Allgemeine Kriterien fur die Erforderlichkeit von Gesetzen
Die Erforderlichkeit gesetzlicher Regeln läßt sich nur schwer objektivieren. A m rechtlich scheinbar besonders eindeutigen (Extrem-)Beispiel hoheitlich durchzusetzender, in die Freiheit des einzelnen (potentiell) am tiefsten eingreifender Rechtsbereiche müßten sich Erforderlichkeitskriterien am ehesten finden lassen. aa) Strafgesetzgebungstheoretische
Beweislastregeln
Speziell im Strafrecht wird dementsprechend, unter dem Einfluß des Prinzips der Kriminalstrafe als „ultima ratio", beispielhaft über die Erforderlichkeit von Straftatbeständen diskutiert. Im Mittelpunkt steht die Frage nach der „Beweislast" für gesetzliche (Ver-)Änderungen in jenen Zweifelsfallen, in denen entscheidungsrelevante Sachverhalte nicht oder nicht mit hinreichender Sicherheit aufzuklären sind 54 . (1) Nach dem Prinzip „in dubio pro liberiate" 55 in einem umfassenden Sinne sollen Bewertungszweifel jeder Art stets gegen eine Kriminalisierung sprechen. Diese Formel verschiebt das Problem auf die Ermittlung und Abgrenzung der verschiedenen betroffenen, durch das Strafgesetz gerade auch geschützten Freiheitsbereiche 56. Sie wird der Schutzfunktion des Strafrechts mangels differenzierender Kriterien kaum gerecht, weil sie keine Antworten darauf gibt, wessen Freiheit(en) bevorzugt sein soll(en). In abgeschwächter Form soll dieses Prinzip sich nur auf Tatsachenzweifel beziehen57; doch auch diese hängen mittelbar von der zugrundeliegenden Fragestellung und den sie begründenden Bewertungszweifeln ab und sind im Gesetzgebungsverfahren regelmäßig unsicher; die Überzeugungsbildung muß meist ohne die Möglichkeiten zweifelsfreier (nämlich nur mit „relativer") Gewißheit stattfinden 58 . (2) Eine zweite Beweisregel erlegt generell dem die Begründungs- (und, hinsichtlich des empirischen Bezug, die Beweis-)Last auf, der den rechtlichen status quo verändern will. Eine besonders dem status quo verhaftete Variante fordert dafür möglichst eine parlamentarische Einmütigkeit entsprechend der 54
S. zum folgenden vor allem H. Jäger, FS f. U. Klug 1,1983, S. 83 (91 ff.) m. ausf. Nw. Es soll zuerst von Ulrich Klug in die .y/ra/rechtliche Diskussion eingeführt worden sein, so H. Jäger, FS f. U. Klug 1,1983, S. 92 m. Nw.; s. ferner W. Maihofer, Rechtsstaat und menschliche Würde, 1968, S. 133; E. Gehrhardt, NJW 1975, 375 (376ff.).- Aus der jtoûterechtlichen Diskussion s. P. Schneider, W D S t R L 20 (1963), 1 (31 ff.). 56 S. a. H.-L Günther, JuS 1978, 1 (10). 57 H. Jäger, a. a.O., S. 93 m. Nw. 58 H. Jäger, a. a. O., S. 95; s. aber zum 19. StrÄndG: BT-Drs. 9/23, S. 2 (EB) und BTDrs. 9/135, S. 3 (AB). 55
384
X. Gesetzgebung als Kompromiß- und Mehrheitsentscheidung
bundesdeutschen Praxis bis 1969 — mit der ausdrücklichen Konsequenz, Strafrecht könne „nur eine im Kern konservative Ordnung sein" 59 . (3) Eine dritte Ansicht vertraut einem abwägenden, differenzierenden Wahrscheinlichkeitsurteil hinsichtlich der Sozialschädlichkeit des zu inkriminierenden Verhaltens 60 nach Schadensausmaß, Schadenswahrscheinlichkeit und der Intensität des Grundrechtseingriffs 61 . (4) Eine vierte Ansicht kehrt die Beweislast faktisch um, wenn Strafgesetzgebung auch dann schon möglich sein soll, wenn sich anderenfalls nach der Wahrscheinlichkeitsprognose die Möglichkeit sozialschädlicher Wirkungen nicht ausschließen läßt. (5) Eine letzte Tendenz überläßt die Frage des „Ob" der ( Straf) Gesetzgebung einfach politischer Dezision des Gesetzgebers bzw. seinem Ermessen oder Beurteilungsspielraum, ohne ihn an explizite Regeln der Beweisleist binden zu wollen 6 2 . bb) Verallgemeinerungen Diese diskutierten Positionen lassen sich auch in der allgemeinen Diskussion wiederfinden bzw. fruchtbar machen. Dem Grundsatz des „in dubio pro libertate" entspricht ζ. B. jene strenge Form des Subsidaritätsprinzips, nach dem jedes Gesetz, das nicht „notwendig" ist, als Mißbrauch der Rechtssetzungskompetenz und damit als verfassungswidrig anzusehen ist 6 3 . Indessen zeigen schon die Unschärfe, Offenheit und Vielfalt der spezifisch strafrechtspolitischen Erforderlichkeitskriterien, daß der selbst im Strafrecht existierende politische Entscheidungsspielraum erst recht und verstärkt in allen anderen, weniger freiheitsbegrenzenden Rechtsbereichen gelten muß. Solche Notwendigkeitsprüfungen lassen sich nur im Rahmen des konkreten Sachbereichs näher diskutieren. Anders als im Strafrecht, wo in der Regel bestimmte strafwürdige Verhaltensweisen (Tatbestände) präzise Reaktionen des Gesetzgebers erlauben, die nach Art, geschütztem Rechtsgut, Ziel, Rechtspraxis, Folgen usw. auch im Rahmen des geltenden Strafrechts eindeutig festliegen, geht es im übrigen Recht oft um viel diffusere Verhaltensweisen und Ziele, die eine größere Vielfalt gesetzgeberischer Reaktionen erlauben. Diese Vielfalt verhindert praktisch jene detaillierte Notwendigkeitsprüfung, wie sie im kleinen Teilbereich einzelner Strafrechtsnormen möglich ist. 59 K. Lackner, NJW 1976, 1233 (1234), der die Pluralisierung der gesellschaftlichen Anschauungen primär dem Gesetzgeber anzulasten scheint. 60 K. Amelung, ZStW 92 (1980), 19 (71). 61 H.-L. Günther, JuS 1978, 10. 62 Diese strafrechtsspezifischen Beweisregeln differenzieren allerdings oft nicht nach der Sanktionsart, s. aber H.-L. Günther, JuS 1978, 13 f. 63 So C. Pestalozzi, NJW 1981, 2081 (2083); krit. H.-J. Mengel, ZRP 1984,154 (155).
2. Die Erforderlichkeit der Gesetzgebung
385
Dennoch bleibt festzuhalten, daß der verändernde Gesetzgeber unter einer gesteigerten rechtspolitischen Begründungslast steht 64 ; die Vermutung der Vernünftigkeit des status quo ist zu widerlegen. Die Kriterien für die Vernünftigkeit des status quo bzw. für die „bessere" gesetzliche Lösung sind indessen großenteils nur politisch, d. h. durch Wertungspräferenzen entscheidbar 65. Es ist die begrenzte Aufgabe der Gesetzgebungslehre, die unterschiedlichen Maßstäbe für die Erforderlichkeit am konkreten Beispiel deutlich zu machen und den politischen Charakter solcher Entscheidungen (und ihrer praktisch möglichen Alternativen) herauszustellen, gerade auch um ζ. B. die Kosten einer zu starken Vereinfachung des Rechts deutlich zu machen 66 . Insoweit kann es auch zur Überprüfung der Ziele eines Gesetzes kommen, ob sie realisiert werden sollen, ob sie, wenn sie nur der Einzelfallgerechtigkeit dienen sollen, wirklich erforderlich sind, ob der Aufwand zur Befolgung der Gesetze in angemessenem Verhältnis zum Ziel steht usw. 67 . In diesem Sinne hat die Bundesregierung durch Beschluß vom 11. 12. 1984 „Prüffragen" für Rechtsvorschriften verabschiedet 68, in denen neben der Prüfung, ob überhaupt etwas zu geschehen habe, nach Problemlösungsalternativen, nach der Ranghöhe und der zeitlichen Notwendigkeit von Rechtsnormen, ferner nach Regelungsumfang, Geltungsdauer und sprachlicher, praktischer und finanzieller Angemessenheit gefragt wird. Es handelt sich um einen weniger theoretisch als pragmatisch begründeten Versuch, Kriterien für innerministerielle Reflexionsprozesse anzugeben69. c) Grundsatzprobleme der Erforderlichkeitsprüfung
aa) Die Ausgestaltung der Gesetze als politische Entscheidung Charakteristisch für die Prüffragen der Bundesregierung ist die Verknüpfung von Fragen des Ob und des Wie gesetzlicher Regelungen; beide sind (auch) politischer Dezision zugänglich. Denn entgegen einem ersten Anschein sind 64 J. Isensee, ZRP 1985,139 (144 f.); s. a. R. Hotz, Rechtsetzung (Fn. 28), S. 132 f.- Das hat auch Konsequenzen für die Begründung von Gesetzentwürfen, s. u. Kap. XI/4 (bei Fn. 422 ff.). 65
S. T. Mayer-Maly, FS Juristische Gesellschaft Berlin, 1984, S. 429; vgl. als ein Bsp. die Einschätzung der Flexibilisierung und Deregulierung im Arbeitsrecht in der 10. WP bei U. Mückenberger, KJ 18 (1985), 255ff., 268ff. 66
K. Lange, DVB1. 1979, 533 (537). S. nur K. Lange, a. a. O., 538. Deshalb liegt in einer Verrechtlichung nicht nur eine problematische Einschränkung politisch-gesetzgeberischer Gestaltungsfreiheit oder gesellschaftlicher Freiheit, sondern auch sein Schutz zur Entfaltung der einzelnen und zur Schaffung von Verfahrenssicherheit, vgl. E. Denninger, JZ 1982, 225 (229). 68 Jetzt abgedruckt in: Jura 1986, 66 f. 69 S. zu Theorie und Praxis der „Checklisten" Nw. in Kap. II/Fn. 5; ferner J. Vollmuth, in: BAköV (Hg.), Praxis der Gesetzgebung, 1984, S. 178 ff. 67
25
Schulze-Fielitz
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X. Gesetzgebung als Kompromiß- und Mehrheitsentscheidung
auch die Fragen der Ausgestaltung der Gesetze (des Wie) keine „rein sachlichen", den Gesetzgebungsexperten überlassene Fragen der Gesetzgebungstechnik. Es handelt sich auch insoweit um politische Fragen, denn die Frage der Erforderlichkeit und der Ausgestaltung von Gesetzen ist nicht voneinander zu trennen 70. Die Erforderlichkeitsprüfung bezieht sich weniger auf „Gesetze" als komplette Paragraphenwerke als auf den einzelnen Paragraphen und seinen spezifischen, auf bestimmte Probleme bezogenen Regelungsgehalt. Gerade weil jedes Gesetz nur (Teil-)Regelungen enthält, ist jede Entscheidung über die Dichte der Rahmensetzung durch die einzelne Regelung auch eine Entscheidung, ob eben diese Frage gesetzlich geregelt werden soll. Zur Notwendigkeitsprüfung gehören im umfassenden Sinn die Prüfung der Regelungsbedürftigkeit der einzelnen Sachverhalte und damit die Präzisierung, Abgrenzung und Systematisierung des (evtl. politischen) Regelungsauftrages, die Prüfung der Alternativen, der Detailliertheit von Regeln bzw. ihrer Ersetzung durch Generalklauseln und Finanzprogramme, der Verfahrensmöglichkeiten (als Verzicht auf zu detaillierte Normen), der Regelungshöhe und damit der Frage nach Möglichkeiten einer (Sub-)Delegation von Normsetzungsbefugnissen usw. 71 . Die (populäre) Forderung nach Vereinfachung des Rechts ζ. B. kann deshalb nie allein unter diesem einen Gesichtspunkt 72 , sondern stets nur im Kontext der sozialen Auswirkungen und Gewichtsverschiebungen und damit unter politischen Wertungskriterien geführt werden. I m Rahmen dieser politischen Diskussionen sind alle Funktionsäquivalente für rechtliche Regeln bis hin zur Privatisierung der Gesetzgebung oder einen Regelungsverzicht zu berücksichtigen; ihre Angemessenheit entzieht sich weitgehend einer (rechts-) wissenschaftlich „objektiven" Beurteilung. Die Ausgestaltung der Gesetze unterliegt mithin einer abgestuften gesetzgeberischen Freiheit des Gesetzgebers. So gibt es Gesetze, bei denen der Gesetzgeber gar keine Gestaltungsfreiheit hat, weil ihr Inhalt selber gesetzlich festgelegt ist 7 3 . Anderseits provozieren gänzlich neue Gesetze nach der praktischen Erprobung regelmäßig die Frage ihrer Novellierungsbedürftigkeit. Deren Einschätzung läßt angesichts ungesicherter Maßstäbe einen breiten, subjektiv fast beliebigen Spielraum zu 7 4 .
70
Vgl. auch R. Hotz, Rechtsetzung (Fn. 28), S. 127f., 130, 132f. Vgl. H. Ent, in: T. Öhlinger (Hg.), Methodik der Gesetzgebung, 1982, S. 50ff. i. S. von „Gesetzgebungsökonomie"; K. Lange, DVB1.1979, 537 f.; die Unterscheidungen von R. Hotz a. a. O. in Notwendigkeit, Stufengerechtigkeit, angemessene Regelungsdichte, Systemgerechtigkeit, Gerechtigkeit und gesetzestechnische Zweckmäßigkeit haben eher analytischen als praktischen Wert. 72 So etwa B. Löhning, ZRP 1985, 157 ff. (für das Steuerrecht). 73 S. z.B. 11. AnpG-KOV, dessen Steigerungsrate nach §56 BVG i. S. jährlicher Anpassung festgelegt ist, vgl. BT-Drs. 9/848, S. 8 (EB). 71
2. Die Erforderlichkeit der Gesetzgebung bb) Verfahrensprobleme
387
der Erforderlichkeitsprüfung
Die „theoretische" Forderung nach einer Erforderlichkeitsprüfung verdeckt die wesentliche Verfahrensfrage nach ihrem institutionellen Ort. Eine Prüfung im Rahmen des parlamentarischen Verfahrens kommt in aller Regel zu spät. Denn über das grundsätzliche Ob der Wahrnehmung einer staatlichen Aufgabe wird schon vor der Einbringung einer Gesetzesinitiative entschieden, hinter der dann der politisch durchsetzungsmächtige Wille der Regierungsmehrheit steht; bei der Erforderlichkeitsprüfung im Detail könnten die Ausschußabgeordneten leicht überfordert sein. Die von der Erforderlichkeitsprüfung intendierte „Reflexionspause" 75 steht in diametralem Gegensatz zum üblichen Zeitdruck im parlamentarischen Gesetzgebungsverfahren sowie zum Selbstverständnis der Parlamentarier, die als Politiker neu gestalten bzw. Probleme aktiv lösen und nicht nur verwalten (kontrollieren) wollen. Im vorparlamentarischen Verfahren innerhalb der Ministerialbürokratie neigen wiederum (juristische wie nicht-juristische) Fachleute eher zu mehr und zu detaillierteren Regelungen76. Möglicherweise wäre im Grundsätzlichen deshalb schon hier, bei der Erarbeitung eines Referentenentwurfs, eine Anhörung über die Erforderlichkeit von Gesetzesplänen zeitlich angemessen. Freilich ist innerhalb der Ministerialbürokratie die Sensibilität für die Erforderlichkeit von neuen Gesetzen gewachsen77. cc) Erforderlichkeit und Privatisierung von Gesetzgebung als Problem materieller Kompetenzverteilung Hinter der Frage nach dem Ausmaß der Parlamentsgesetzgebung verbirgt sich ein Kompetenzverteilungsproblem. Insofern Kompetenzfragen stets (auch) juristisch verkleidete Machtfragen sind 7 8 , liegt in der Rücknahme vom staatlichen Rechtsgestaltungsanspruch eine Verschiebung parlamentarisch-demokratischer Gestaltungsmacht sei es zugunsten einer stärker „sachorientiert"technokratischen Exekutivgestaltungsmacht, sei es zugunsten einer stärker an privaten Interessen orientierten gesellschaftlichen Gestaltungsmacht. Die Forderung nach „Privatisierung der Gesetze" 79 vertraut der Gerechtigkeit privater Regelungsmacht. Insofern jener Funktionsdifferenzierung unterschiedliche Sichtweisen der Akteure entsprechen, ist eine solche Zuordnung im Einzelfall 74 Ζ. B. werden für das AFWoG ( = Art. 27 2. HStruktG) in der 9. WP „nicht ganz unerhebliche Schwierigkeiten" der Praxis eingeräumt, nicht aber „im Vergleich zu anderen jungen Kodifikationen", ein „nach einer Novelle rufendes Praktikabilitätsdefizit", so W. Jäckle, NJW 1984, 2131 (2135), jedoch ohne Nennung von Vergleichsmaßstäben. 75 76 77 78 79
25*
S. Simitis, 53. DJT, 1980, Band 2/Teil Q, S. 35 (42). S. Κ Lange, DVB1. 1979, 539. So R. Herber, in: Theorie und Methoden der Gesetzgebung, 1983, S. 31 (34). Vgl. auch R. Stettner, Grundfragen einer Kompetenzlehre, 1983, S. 33 m. Nw. W. Leisner, DVB1. 1981, 855f.; W. Braun, VerwArch 76 (1985), 43f.
388
X. Gesetzgebung als Kompromiß- und Mehrheitsentscheidung
davon abhängig, ob sie die (Haupt-)Funktionen des anderen Funktionsträgers nicht unterbindet oder wesentlich beeinträchtigt bzw. ob sie die spezifische Schutzfunktionen des Rechts verfehlt: Privatisierung, Dezentralisierung und Selbstregulierung sind für den Bürger ambivalent 80 . Dies läßt sich wiederum nur sach- und regelungsspezifisch politisch entscheiden. Zugleich läßt sich eine „Privatisierung" der Rechtssetzung (auch durch funktionale Äquivalente für gesetzliche Entscheidungen) nicht a priori als rechtswidrig disqualifizieren 81 , sondern nur nach Maßgabe des Sachbereichs, der (faktischen, nicht nur theoretischen) Revisibilität der Entstaatlichungsentscheidungen, der konkreten Verfahrensausgestaltung u. a. Hier liegen noch weithin ungelöste Probleme der Gesetzgebungslehre 82. Im Rahmen der Privatisierungsdiskussion lassen sich verschiedene Ebenen unterscheiden, auch in der Gesetzgebung der 9. WP. Einmal wird die Kompetenz zur Regel-Setzung partiell von staatlichen Regelungsinstanzen auf halb-öffentliche Gremien oder Private delegiert; dazu gehört auch die Ermächtigung der Notarkammern zum Abschluß von Vertrauensschadensversicherungen 83 oder der Krankenkassen zum Abschluß von Preisvereinbarungen mit den Erbringern von Heil- oder Hilfsmitteln 84 . Davon zu unterscheiden ist die Art der Regel-Setzung, die statt durch hoheitliche Ver- oder Gebotsnormen den Privaten ihre Interessenwahrnehmung überläßt und/oder durch ein marktwirtschaftlich-privates Anreizsystem die Art der rechtlichen Regelbefolgung zum unternehmerischen Kostenfaktor macht. Vor allem im Umweltschutzrecht, namentlich in der Luftreinhaltung werden (neben Emissionszertifikaten und Kompensationsmodellen) Formen der Umweltabgabengestaltung diskutiert, die unter Beibehaltung des traditionellen ordnungsrechtlichen Rahmens die Verbesserung von Vorrichtungen zur Senkung der Emissionsmengen wirtschaftlich dadurch belohnt, daß dem abgabepflichtigen Tatbestand ausgewichen werden kann 8 5 . Wieder andere Formen privater Beteiligung am Gesetzgebungsprozeß sind: die Einräumung von Wahlfreiheiten für den einzelnen Gesetzesadressaten (Bürger) 86 wie für eine vom Gesetz abweichende selbstorganisierte Verteilung 80
S. zuletzt G. Hillmann, VerwArch 77 (1986), 1 (21). Krit. ζ . B. zur ,,'Pluralisierung' von Verwaltungsentscheidungsmacht" noch F. Ossenbühl, DVB1. 1974, 309 (312). 82 S. aber U. Brunner, Rechtssetzung durch Private, 1982; vgl. auch S. ν . Heimburg, Verwaltungsaufgaben und Private, 1982, S. 61 ff., 183ff. am Bsp. des Baurechts. 83 S. § 67 I I BNotO i. d. F. des 1. BNotOÄndG, vgl. BT-Dr c 9/597, S. 6 und 9 (AB) sowie schon BT-Drs. 8/2782, S. 12 (EB). 84 S. § 376 d RVO i. d. F. von Art. 1 Nr. 19 KVEG(E), BT-Drs. 9/845, S. 15 f. (EB). 85 Vgl. G. Feldhaus, DVB1. 1984, 552 (555 f.). 86 S. ζ . B. hinsichtlich der Befreiungen von der Künstlersozialversicherungspflicht durch eigenes Handeln wie umgekehrt durch freiwillige Weiterversicherung nach §§ 6, 49 Nr. 6 KSVG(E), vgl. BT-Drs. 9/29, S. 19 und 24. 81
2. Die Erforderlichkeit der Gesetzgebung
389
der Abgabenlast 87 oder die informative oder Einvernehmens-Beteiligung von Betroffenen 88 bzw. eines weisungsfreien, beratenden Sachverständigen-Gremiums unter Einschluß (auch) der Betroffenen (Mieter) 89 .
d) Parlamentarische „Entrechtlichungs"-Tendenzen in der 9. Wahlperiode
Jenseits der zuvor skizzierten theoretischen Überlegungen lassen sich sowohl in den Regierungsentwürfen wie den parlamentarischen Ausschußberatungen der 9. WP ausführliche Erforderlichkeitsdiskussionen bzw. Entrechtlichungsbemühungen im Detail feststellen. Die sachliche Notwendigkeit von Rechtsregeln scheint überhaupt ein wesentlicher Diskussionspunkt in den Ausschüssen zu sein. (aa) Aufhebungsgesetzen 90 als spezifischen Erscheinungsformen der offenkundigen Nicht-Erforderlichkeit von Regelungen scheint der Entrechtlichungsgedanke immanent zu sein — und doch kann sich dahinter auch eine bloße Kompetenzverschiebung verbergen, die nur andere rechtliche Regeln durch andere Kompetenzträger ermöglichen soll 9 1 oder aber gerade die Wahrnehmung neuer Rechte bzw. Verfahrensmöglichkeiten eröffnet 92 .- Auch Kodifikationsgesetze bewirken in ihrer rechtsbereinigenden Kraft einen Abbau der „Normenflut", so wenn ζ. B. nach Verabschiedung des BtMNG nur noch 4 (statt vorher 16) Rechtsverordnungen neben dem B t M G gelten 93 . (bb) Vor allem die Begrenzung der Reichweite staatlicher Befugnisse zu Einwirkungen („Eingriffen") in den privaten, hier vor allem in den wirtschaftlichen Bereich ist ein steter Diskussionspunkt, hinter dem sich offenbar grundlegende (partei-)politische Konfliktlinien verbergen, ζ. B. im Rahmen der Frage nach dem Umfang der Genehmigungspflicht bei der Abfallbeseitigung (2. AbfÄndG) 9* und der Reichweite staatlicher Regelungen des Gesundheitswesens95. Eine andere Erscheinungsform dieser Konfliktlinie ist das Ausmaß „dirigistischer" Marktregulierungen, auf das sich Fachexperten mitunter durch87
S. z. B. betr. § 32 KSVG(E): BT-Drs. 9/29, S. 21 f. S. ζ. Β. § 368 g IV RVO i. d. F. von Art. 1 Nr. 15 KVEG(E) betr. Beteiligung von Zahntechnikern bei Erstellung der Liste abrechnungsfahiger zahn technischer Leistungen, BT-Drs. 9/845, S. 15 (EB). 88
89 S. den Auschuß für die Feststellungen von Mieterhöhungen nach Art. 2 § 1 5. MRBlnÄndG{E), vgl. dazu BT-Drs. 9/1640, S. 15 f. (EB). 90 S. oben Kap. IV/bei Fn. 269 ff. 91 S. ζ. B. das FischAufhG, BT-Drs. 9/312, S. 2 (EB). 92 S. ζ . B. die Streichung von § 80 V I 2 VwGO als Einführung einer 2. Instanz im einstweiligen Rechtsschutzverfahren durch das 3. VwGOÄndG, BT-Drs. 9/1905, S. 5 f. (EB). 93 94 95
S. H. H. Körner, NJW 1982, 673 (673). S. betr. § 12 AbfG i. d. F. des 2. AbfÄndG: BT-Drs. 9/1222, S. lOff. (AB). S. ζ. B. betr. KVEG(E) BT-Drs. 9/977, S. 20 f. (AB).
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X. Gesetzgebung als Kompromiß- und Mehrheitsentscheidung
aus parteiübergreifend einigen können 96 , freilich nicht, wenn die Materie an die „Basisphilosophien" der Parteien, zumal im Vorfeld eines Wahlkampfes, rührt 9 7 . Freilich werden solche Gesichtspunkte der Entrechtlichung ζ. T. auch durch finanzielle bzw. fiskalische Interessen überlagert. Der Streit etwa um das Ausmaß der Genehmigungspflicht (und damit der Gewerbefreiheit) bei der Abfallbeseitigung (betr. das 2. AbfÄndG), veranlaßt von einer Stellungnahme der Bundesvereinigung der kommunalen Spitzenverbände, war offenbar auch durch deren Gebühren-Interessen geleitet, auch wenn die „möglichst optimale" Ausgestaltung des Abfallbeseitungsvorgangs den Argumentationskern bildete 9 8 . Auch die Vereinfachung und Reduzierung des Volkszählungsprogramms im VZG 1983 war (auch) durch die hohen Kosten der Volkszählung veranlaßt 99 . Dennoch läßt sich hier, stärker noch beim MikroZG, eine sorgfaltige Abwägung der Erforderlichkeit des Erhebungsprogramms feststellen 100 . (cc) Eine andere Form von Entrechtlichungstendenzen sind Ermächtigungen zur ( Sub-) Delegation von Normsetzungen 101, subsidiäre Verordnungsermächtigungen an die Länder 1 0 2 , Erweiterung des Kreises der Delegatare 103 , Herabstufungen der Rechtsquellenebene104, Eröffnung breiterer Gestaltungsspielräume bei der delegierten Normgebung 105 , die Überlassung der Regelung(sdetaillierung) an eine VerwaltungsVereinbarung 106 oder an die bereits bestehende 96 S. ζ. B. die einmütigen Änderungen des 3. MRBlnÄndG(E) durch den federführenden StädtebauA, der entgegen den Vorschlägen der Bundesratsvorlage einerseits die Einschaltung der Preisbehörde häufiger für notwendig, andererseits den Ausschluß der Eigenbedarfskündigung für entbehrlich hielt, vgl. zu Art. 2 § 9 und 12 a: BT-Drs. 9/1780, S. 23 (AB); zu neuen Nachweispflichten für bestimmte verschreibungspflichtige Tierarzneimittel s. BT-Drs. 9/2221, S. 27 (AB) betr. 1. AMÄndG. 97 S. ζ. B. den Streit um die „Lockerung" i. S. einer Ent-Regelung des Wohnraummietrechts zugunsten von „mehr Marktwirtschaft" im MErhAngG: BT-Drs. 9/2284, S. 2 u. ö. (AB). 98
Vgl. BT-Drs. 9/1222, S. 11 (AB). S. BT-Drs. 9/451, S. 14 und 15 (EB); BT-Drs. 9/1068, S. 2 und 14ff. (AB). 100 S. zum MikroZG: BT-Drs. 9/2326, S. 44ff. (AB); zu Entrechtlichungserfolgen der Ausschußberatungen s. ferner Kap. IX/Fn. 337 ff. 101 S. ζ. B. § 4 IV AbfG i. d. F. von Art. 1 Nr. 2 2. AbfÄndG(E), BT-Drs. 9/667, S. 5f. (EB); Art. 1 Nr. 12 f 4. WeinÄndG(E) = § 10 V I I I WeinG, BT-Drs. 9/785, S. 26. 102 S. ζ. B. § 15 I I 3 AbfG i. d. F. von Art. 1 Nr. 5 d 2. AbfÄndG, s. BT- Drs. 9/667, S. 6f. (EB). 103 S. ζ. B. § 51 I 2 PBefG i. d. F. von Art. 1 Nr. 5 5. PBefÄndG( E), s. BT-Drs. 9/2128, S. 9 (EB). 104 S. BT-Drs. 9/785, S. 22 (EB) betr. Ermächtigung zur Regelung der Anbaumethoden durch Rechtsverordnung statt durch Landesgesetz in Art. 1 Nr. 2 4. WeinÄndG{E)\ BTDrs. 9/2232, S. 15 f. (AB) betr. Anpassung des Höchstpachtzinses durch Vertragsparteien vor Ort statt durch Rechtsverordnung in § 4 I I BKleingG(E). 105 S. BT-Drs. 9/450, S. 9 (AB) betr. nur teilweise Zuständigkeitskonzentration nach § 9 S. 1 EGGVG in Art. 3 a 4. WeinÄndG(E). 99
2. Die Erforderlichkeit der Gesetzgebung
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gerichtliche Praxis 107 u. a.; selbst Härten sollen „zunächst im Verwaltungswege beseitigt werden" 1 0 8 . Dabei erweist sich als eine spezifische Form die Delegation unter Vorbehalt: (Nur) für den Fall der Nicht-Einigung der Delegatare auf eine gemeinsame Lösung innerhalb einer bestimmten Frist behält sich der Staat eine selbständige Regelung doch noch v o r 1 0 9 . Auch in der abgeschwächten Form einer gesetzlichen Pflicht zur Vereinbarung von Schlichtungsregelungen wegen Schwierigkeiten in der Vergangenheit wird der Umstand beleuchtet, daß alle staatliche Delegation von Rechtskonkretisierungs- bzw. Rechtsetzungskompetenzen stets deren Reversibilität und damit eine laufende (Mißbrauchs-) Kontrolle i.S. eines spezifischen Ausflusses gesetzgeberischer Nachbesserungspflichten voraussetzt. Auf dieser Linie liegt es, wenn die Präjudizierung der (gesetzlichen) Konzertierten Aktion im Gesundheitswesen durch vorweg abgeschlossene Verträge der Partner im Gesundheitswesen (Kassen und Ärzte) für die Zukunft unterbunden werden mußte 1 1 0 . Diese Tendenzen zur „Entrechtlichung" sind aber nicht ungebrochen: So scheiterten Versuche der Bundesregierung wie der im 4. WeinÄndG(E) in allen (mit-)beratenden Ausschüssen, zukünftig weinrechtlich einschlägiges EG-Gemeinschaftsrecht durch Rechtsverordnung statt durch förmliches Gesetz in nationales Recht umzusetzen 111 . Mitunter kämpfte der Bundesrat vergeblich um eine (zuvor bestehende) Rechtsverordnungsermächtigung an die Landesregierung 112.- Andererseits gibt es allenthalben neue Ermächtigungen zum Erlaß von Rechts Verordnungen. Auch werden bisherige nicht-rechtliche „Empfehlungen" des Ministers in Gesetzesnormen transformiert 113 . Die Tendenz zur Delegation erweist sich auch nicht immer als praktikabel, so wenn eine gesetzeszweckwidrige Begünstigungspraxis im Erlaßwege korrigiert werden sollte und erneut zu Auslegungschwierigkeiten führte, die den Gesetzgeber zur Streichung der (zur Verwaltungsvereinfachung eingeführten) Vorschrift veranlaßte 114 . 106
S. BT-Drs. 9/2290, S. 26 (AB) betr. Datenabgleich betr. § 11 B K G G i. d. F. von Art. 12 Nr. 3 HBeglG 1983(E). 107 So die (letztlich aber nicht erfolgreiche) Position der Opposition beim 2. BApOÄndG, s. BT-Drs. 9/1765, S. 4 (AB). 108 So BT-Drs. 9/971, S. 90 (AB) betr. Folgen des ausgedehnten Verlustrücktrags für Körperschaften in Art. 32 2. HStruktG(E). 109 So ζ. B. BT-Drs. 9/976, S. 34 (AB) betr. Art. 1 Nr. 19 KHGÄndG(E): Rechtsverordnung der Bundesregierung für den Fall der Nichteinigung der Verbände betr. Maßstäbe und Grundsätze für die Wirtschaftlichkeit der Krankenhäuser. 110
So durch Art. 1 Nr. 14 KVEG( E), s. BT-Drs. 9/845, S. 14f. (EB). S. BT-Drs. 9/1770, S. 1 (AB) betr. 4. WeinÄndG. Ähnlich etwa die (erfolglosen) Versuche beim IRG, zur Förderung des Rechtshilfeverkehrs völkerrechtliche Vereinbarungen durch Rechtsverordnungen ohne Zustimmung des Bundesrates in Kraft zu setzen, s. BT-Drs. 9/2137, S. 24 (AB). 112 S. ζ. B. BT-Drs. 9/1910, S. 6 und 8 bzw. BT-Drs. 9/2169, S. 3 betr. StVUnfStatG. 113 S. ζ . B. BT-Drs. 9/570, S. 28 (EB) betr. § 371 RVO i. d. F. Art. 2 Nr. 4 KHGÄndG(E). 111
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X. Gesetzgebung als Kompromiß- und Mehrheitsentscheidung
(dd) Mitunter stehen Erforderlichkeitsprüfungen ausdrücklich im Kontext der Frage nicht-öffentlichrechtlicher Alternativen , ζ. B. betr. die Leistungspflicht der standesrechtlichen Versicherungspflichten statt der gesetzlichen aufgrund des 1. BNotOÄndG 115. Auch der Verzicht auf rentenrechtliche Sonderregelungen für Missionare rechtfertigt sich damit, „daß die Missionsgesellschaften inzwischen selbst für eine ausreichende Altersversorgung gesorgt haben" 1 1 6 . Hier ist dann der Übergang zu „belastenden Privatisierungen" fließend, wenn etwa geringfügige Beschäftigungsrisiken unterhalb einer neuen Bagatellgrenze ohne Mittel von der Bundesanstalt für Arbeit vom Betrieb selber aufgefangen werden sollen 117 und den Krankenkassen und ihren Vertragspartner preiswettbewerbsorientierte Abschlüsse (neu) ermöglicht werden 118 . Im übrigen zeigt sich in gesetzesbegleitenden Entschließungen des Bundestages ein Vertrauen in die Handlungsfähigkeit gesellschaftlicher (Gruppen-) Mächte, das die gesetzgeberische Zurückhaltung zugleich erklärt und rechtfertigt 1 1 9 . (ee) Vor allem Klarstellungsgesetze provozieren, weil sie die alte Rechtslage unverändert lassen wollen, die Frage nach der Notwendigkeit vor dem Hintergrund der existierenden Ergebnisse anderer Rechtskonkretisierungsinstanzen 120 , wenn zwischen den Gerichten nicht gerade Rechtsunsicherheit schaffende Auslegungszweifel bestehen 121 . (ff) Schließlich lassen sich Zweckmäßigkeitserwägungen feststellen, ob bestimmte RegelungsmAtf/te nicht „verzichtbar" sind, etwa beim Umfang der Angaben im Personalausweis betr. die Identitätsfeststellung 122 oder beim Umfang eines staatlichen Registrierungsprogramms 123 u. a. m . 1 2 4 . Erst recht 114
S. BT-Drs. 9/842, S. 62 (EB) betr. Streichung von § 6 I I I WoGG in Art. 21 2. HStruktG(E). 115 S. BT-Drs. 9/597, S. 9f.: Der Rechtsausschuß verzichtete im Hinblick auf einen zusätzlichen geplanten Vertrauensschadensfonds der Notarkammern ausdrücklich auf weitergehende (zugleich den Berufszugang beeinflussende) gesetzliche Versicherungspflichten. 116 So BT-Drs. 9/458, S. 43 betr. § 41 a A r V N G i. d. F. von Art. 5 Nr. 6 RAG 1982(E); ähnlich der (politisch umstittene) Verzicht auf eine gesetzliche Regelung der Allgemeinzugänglichkeit von Kleingartenanlagen angesichts der bestehenden freiwilligen Praxis, vgl. BT-Drs. 9/2232, S. 15 (AB) betr. BKleingG(E). 117 So BT-Drs. 9/846, S. 41 (EB) betr. Art. 1 § 1 Nr. 21 AFKG(E). 118 S. BT-Drs. 9/845, S. 15 f. betr. Art. 1 Nr. 19 KVEG(E). 119 S. ζ. B. BT-Drs. 9/977, S. 3 (AB) betr. KVEG: Der Bundestag „geht davon aus", daß ... (betr. Verhaltensweisen der Krankenversicherungen und Ärzte bzw. Preisdisziplin der Pharmazeutischen Industrie); entsprechend war der federführende Ausschuß vom HaushaltsA gebeten worden zu prüfen, ob die entsprechende Zusicherung der Verbände bzw. der Pharmaindustrie „verbindlich eingehalten wird", so BT-Drs. 9/977, S. 18 (AB). 120 So beim 3. AufenthXndG-EWG, BT-Drs. 9/588, S. 2 (AB). 121 So beim 6. AFGÄndG, s. BT-Drs. 9/517, S. 4 (AB). 122 S. betr. 4. PersAÄndG, BT-Drs. 9/1809, S. 5 (EB).
3. Der politische Prozeß als Grenze für rationale Gesetzgebung
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gilt das bei „deklaratorischem" Gesetzesinhalt wie Zahlenwerken (Rechenergebnissen) im Rahmen des Besoldungsrechts, die zur Entlastung und Vereinfachung bei den Grundgehaltssätzen nicht mehr in das Gesetz aufgenommen wurden 1 2 5 . Schließlich verbinden sich Bemühungen um Rechtsvereinfachung mit dem Gedanken der Entrechtlichung 126 . So wurde die Regelung der Arbeitsgemeinschaften im SGB-X/3 „auf die für das Funktionieren der Arbeitsgemeinschaften unbedingt notwendigen Bestimmungen" reduziert 127 . 3. Der politische Prozeß als Grenze für rationale Gesetzgebung Die Modellvorstellung von Politik als der Freiheit zur gemeinwohlkonkretisierenden, alternativen Gestaltungsentscheidung ist empirisch restriktiven Bedingungen unterworfen. Materiell muß mit dem Zerfall einheitlicher Glaubensund Weltbilder und mit der Nicht-Identifikation des Staates mit gesellschaftlichen Teil-Bestrebungen die Entscheidungsklarheit „des" Gesetzgebers leiden. Parteipolitische Gegensätze spiegeln und vereinfachen den gesellschaftlichen Reichtum autonomer Bürger-Welten — deren konfliktreiche kulturelle Ausdifferenzierung muß auch den wägenden Gesetzgeber polarisieren.- M i t der Herausbildung einer pluralistisch vermachteten Gesellschaft kann der gesellschaftsabhängige Staat zum verlängerten Arm von Gruppenmacht werden. Verfahrensmäßig führen die wachsenden Entscheidungszwänge und ihre Komplexität nach Maßgabe einer gestiegenen Verantwortung des Sozialstaats auch im Gesetzgebungsverfahren zu einem Zeitdruck, die der Rationalität der staatlichen Entscheidungen begrenzt und die Kontrollfähigkeit des parlamentarischen Gesetzgebers einschränkt. a) Strukturschwächen des Pluralismus als politische Grenze rationaler Gesetzgebung
Gesetzgebung in der Verhandlungsdemokratie ist unter den Bedingungen des GG im Kontext von vier zentralen Annahmen der Pluralismustheorie 128 zu 123 S. die materielle Begrenzung der Verstöße, die im Verkehrszentralregister eingetragen werden, im StVÄndG, BT-Drs. 9/2264, S. 3 (AB). 124 S. ζ. B. zum Verzicht auf persönliche Anwesenheit des Tierarztes bei Fütterungsarzneimitteln BT-Drs. 9/2221, S. 27 (AB) betr. 1. AMÄndG. 125
S. betr. BBVAnpG 81, BT-Drs. 9/557, S. 17 (EB). S. ζ. B. den Verzicht auf schriftliche Nebenverdiensterklärungen der Leistungsempfanger zugunsten punktueller Betriebsprüfungen und Datenabgleiche der Sozialversicherungsträger in Art. 1 § 1 Nr. 34 AFKG( E), s. BT-Drs. 9/966, S. 80 (AB). 127 Nämlich von 6 auf 1 Paragraphen, BT-Drs. 9/1753, S. 43 (AB); noch restriktiver war der Vermittlungsausschuß durch die schlichte Begrenzung auf die Eingliederung Behinderter, vgl. BT-Drs. 9/1944, S. 2 betr. § 94 SGB-X/3(E). 126
128 S. zu dieser zsfssd. H. Kremendahl, Pluralismustheorie (Fn. 15), S. 32ff.; s. a. P. Häberle, in: ders., Verfassung, S. 121 (bes. 137ff., 140ff.); F. Lehner, in: U. v. Alemann u. a. (Hg.), Interessenvermittlung und Politik, 1983, S. 102 (103 ff.).
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X. Gesetzgebung als Kompromiß- und Mehrheitsentscheidung
sehen: (1) Die empirisch bestehende (legitime) gesellschaftliche Vielfalt von Individuen und Gruppen ist berechtigt; (2) nach Maßgabe eines am — freilich nur ex post bestimmbaren — Gemeinwohl als „regulativer Idee" 1 2 9 ausgerichteten politischen Willensbildungsprozesses werden die (unvermeidlichen, innovationsfördernden und insoweit erwünschten) Konflikte zwischen diesen unterschiedlichen Interessen (3) auf der Basis eines (notwendigen) Minimalkonsenses durch Kompromißlösungen geregelt; dieser Basiskonsens umfaßt neben den zentralen (scheinbar formalen) „Spielregeln" (ζ. B. dem Mehrheitsprinzip) auch bestimmte zentrale Inhalte (wie ζ . B. das Toleranzprinzip); (4) die Art der Konfliktregelungen erfolgt dabei nach Maßgabe demokratischer Wahlen der Bürger als Machtadressaten unter konkurrierenden politischen Richtungen und Eliten; Konkurrenz ist die demokratische Methode der Interessenaggregation. Die Funktionsfahigkeit dieses pluralistischen Modells und einer entsprechend gemeinwohlorientierten Gesetzgebung hängt von Voraussetzungen ab, die sich nicht garantieren lassen und empirisch — jenseits normativ-ideologischer Pluralismuskritik — auf unrealistischen Annahmen beruhen 130 . Gesellschaftliche Interessen sind ungleich organisations- und konfliktfähig 131 ; sie konkurrieren nicht systematisch miteinander (und beschränken und kontrollieren sich deshalb auch nicht immer wechselseitig); die politischen Willensbildungsprozesse aufgrund solcher strukturellen Ungleichgewichte führen nicht „von selbst" zum Interessenausgleich und optimieren nicht zwingend das Gemeinwohl. Vielmehr lassen sich Legitimations- und Rationalitätsdefizite als Folge ungleichgewichtiger pluralistischer Strukturen feststellen 132 . Auch gesetzgeberische, im Schöße der Ministerialbürokratie entwickelte Lösungen können auf diese Weise zugunsten leichter durchsetzungsfähiger Sonderinteressen kleiner Gruppen 133 die allgemeineren Interessen größerer, aber dennoch weniger durchsetzungsfähiger Bevölkerungskreise vernachlässigen. „Volksparteien" sollen innerparteilich solche strukturellen Verzerrungen zum Ausgleich bringen; modellwidrig werden die Pluralismusdefizite innnerhalb der Parteien aber nicht notwendig kompensiert, sondern oft verstärkt. So verlangt die Bindung der Regierungsparteien an die Bestätigung durch die Wähler spezifische Rücksichtnahmen auf ihre je besondere Klientel und deren Erwartungen und K r i t i k 1 3 4 . Interessen ζ . B. der Landwirtschaft waren auch in der 129
E. Fraenkel (1960), in: ders., Deutschland und die westlichen Demokratien, 5. Aufl. 1973, S. 13 (42). 130 Knapp zsfssd. Kritik bei F. Lehner, Der Staat 24 (1985), 91 (95 ff.). 131 C. Offe, in: G. Kress u. a., Politikwissenschaft, 1969, S. 155 (167 ff.); F. W. Scharpf Demokratietheorie zwischen Utopie und Anpassung (1970), 2. Aufl. 1975, S. 42ff. 132 F. Lehner, Der Staat 24 (1985), 96 f. 133 F. Lehner, in: U. v. Alemann u. a. (Hg.), Interessenvermittlung (Fn. 128), S. 104; ders., Der Staat 24 (1985), 99. 134 S. ζ. B. das Eingehen der C D U als Regierungspartei auf ihrem Parteitag auf die Kritik aus den Reihen der Bauern, Rentner, dem Mittelstand und den Vertriebenen, FAZ
3. Der politische Prozeß als Grenze für rationale Gesetzgebung
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9. WP bei der CDU/CSU-Opposition — spätestens im Vermittlungsausschuß — gut „aufgehoben" 135 . Es ist eine der „Verfassung des Pluralismus" (Peter Häberle) eigentümliche Gefahr, daß „die Gesellschaft der organisierten Interessen ... Loyalitäten aufbaut, die stärker sind als diejenige gegenüber einer Mehrheitsentscheidung", die ohnehin vom korporatistischen Gruppenkonsens und einem allen Veto-Positionen gerecht werdenden Minimalkonsens gebildet wird 1 3 6 . Das (durch Verkürzung des Hinausschiebens) im Vergleich zum sozialliberalen Regierungsentwurf geringere „Sonderopfer" für die Beamten im BBVAnpG 82131 ist nur ein Beispiel für viele kleine strukturelle Vorteile zugunsten einer bestimmten Wähler-Klientel, ohne daß solche unterschiedlichen Interessenbewertungen in den Gesetzgebungsmaterialien ausreichend zum Ausdruck kämen. b) Eigengesetzlichkeiten und Restriktionen der Politik
Der politische Prozeß entfaltet im Rahmen des Gesetzgebungsprozesses unübersehbar vielfaltige Formen der Eigendynamik, die einer rationalen Gesetzgebung „an sich" abträglich sein können. Es gibt verbreitete politische Hindernisse für rationale Gesetze, die von der Antizipation von bloß vermuteten Widerständen etwa bei den Verbandsinteressenten bis zur Phantasiearmut der Berufspolitiker reicht und in der Chiffre des „politisch Machbaren" eine politische Umschreibung finden 138. Zudem ist es ein charakteristisches Kennzeichen heutiger Politik, daß ihre steigende Komplexität Entscheidungsmodalitäten fördert, die Entwicklungen und Optionen möglichst lange offen halten 1 3 9 ; Politik bedeutet dann ζ . T. nur Verhinderung von Fehlentscheidungen, auch i. S. der Offenhaltung von Alternativen 140 . Ein solches Verfahren findet seine implizite Grenze am Zwang zu Entscheidungen, ohne die ein Schaden absehbar größer, eine Fehlentwicklung unvermeidlicher werden würde als bei jeder anderen (Fehl-)Entscheidung. Irreversible gesetzliche Bindungen zukünftiger Politik können daher geradezu geboten sein, um der relativen Offenheit
v. 21. 3. 1985, S. 1 und 2. Diese Nähe läßt sich im Gesetzgebungsprozeß ständig nachweisen, s. zuletzt betr. die Herausnahme der Altershilfe für Landwirte aus den Regeln der Einkommensanrechnung bei der Hinterbliebenen-Reform F. Ruland, NJW 1986, 20 (21).- Ähnliches gilt für die Nähe der SPD zu den Gewerkschaften. 135
S. ζ. B. die Streichung der Umstellung der Altersversorgung der Landwirte in Art. 13 Nr. 5 und 14 2. HStruktG(E), vgl. BT-Drs. 9/971, S. 26f. (AB) und BGBl. I, S. 1523 (1530 f.); s. auch Kap. IX/Fn. 467. 136 So H. Hofmann, Legitimität und Rechtsgeltung, 1977, S. 89; s. a. R. Zippelius, Allgemeine Staatslehre, 9. Aufl. 1985, S. 228 ff. 137 Vgl. BT-Drs. 9/2193, S. 3 (AB). 138 Vgl. auch Ε. v. Hippel, JZ 1984, 953 (959 f.). 139 T. Ellwein, DÖV 1984, 748 (752 f.). 140 Zu dieser Notwendigkeit P. Häberle (1977), in: ders., Verfassung, S. 17 (22f., 24f. u. ö.).
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X. Gesetzgebung als Kompromiß- und Mehrheitsentscheidung
demokratischer Alternativen willen, gerade auch bei langfristigen „zukunftsbelastenden" Entscheidungen mit Wirkung über eine Legislaturperiode hinaus 141 . Der politische Prozeß neigt aber unter dem (vermeintlichen) Druck der Öffentlichkeit zur Favorisierung möglichst schnell wirksamer, einfacher, einseitiger Regelungen statt zu abgewogenen, differenzierten, erst später wirksamen Regelungen. Nicht nur im Falle öffentlich besonders diskutierter Probleme, sondern auch unter dem Bedürfnis nach Demonstration von Handlungsfähigkeit nach Maßgabe der Erforderlichkeit von Erfolgsbilanzen vor Wahlen dominieren kurzfristige Perspektiven unter Vernachlässigung langfristiger Gemeinwohlinteressen 142. Der politische Druck in der „Öffentlichkeit" läßt Politiker nach der Handlungsform des Gesetzes rufen, jenseits aller gut gemeinten Vorsätze der „Erforderlichkeitsprüfung" 143 . Je frühzeitiger dabei ein gesetzgeberisches Problem (partei-)politisiert wird, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, daß Gestaltungsalternativen frühzeitig ausgeschieden und die Rationalität einer „sachlichen" Lösung (parteipolitischen Kalkülen unterworfen werden. Insoweit läßt sich ein wohl verbreiteter Funktionswandel der ReferentenEntwürfe von einem primär sachlösungsorientierten Entwurf eines Referenten (heute „Referatsleiter") 144 zu einem bereits frühzeitig von der politischen Spitze im Ministerium nach politischen Vorgaben (möglicherweise schon in Absprache mit anderen Parteigremien) vorgeprägten Entwurf 1 4 5 feststellen. Die frühzeitige Prägung erschwert ein grundsätzliches Umdenken selbst bei schwerwiegenden sachlichen Einwänden, zumal wenn der Diskussionsprozeß mit den Folgeproblemen eines etwaigen politischen „Gesichtsverlustes" verknüpft wird. Gerade in der frühzeitigen Reduktion von Lösungsalternativen auf das „politisch Machbare" liegt einer der Fehler und eine der Fehlerquellen heutiger Gesetzgebung 14