Immunität im demokratischen Rechtsstaat: Verfassungsgrundlagen und Parlamentspraxis des Deutschen Bundestages [1 ed.] 9783428473052, 9783428073054


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German Pages 463 Year 1991

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Immunität im demokratischen Rechtsstaat: Verfassungsgrundlagen und Parlamentspraxis des Deutschen Bundestages [1 ed.]
 9783428473052, 9783428073054

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Beiträge zum Parlamentsrecht

Band 20

Immunität im demokratischen Rechtsstaat Verfassungsgrundlagen und Parlamentspraxis des Deutschen Bundestages Von

Dr. Hermann Butzer

Duncker & Humblot · Berlin

HERMANN BUTZER

Immunität im demokratischen Rechtsstaat

Beiträge zum Parlamentsrecht Herausgegeben von

Werner Kaltefleiter, Ulrich Karpen, Wolfgang Zeh in Verbindung mit Peter Badura, Wolfgang Heyde, Joachim Linck Georg-Berndt Oschatz, Hans-Peter Schneider Uwe Thaysen

Band 20

Immunität im demokratischen Rechtsstaat Verfassungsgrundlagen und Parlamentspraxis des Deutschen Bundestages

Von

Dr. Hermann Butzer

DUßcker & Humblot . Berliß

Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme

Butzer, Hermann:

Immunität im demokratischen Rechtsstaat : Verfassungsgrundlagen und Parlamentspraxis des Deutschen Bundestages / von Hermann Butzer. - Berlin : Duncker und Humblot, 1991 (Beiträge zum Parlamentsrecht ; Bd. 20) Zug\.: Bochum, Univ., Diss., 1990/91 ISBN 3-428-07305-3 NE: GT

Dieses Buch wurde mit freundlicher Unterstützung der Firma Gothe Programmierung, Dirschauer Str. 8, 4630 Bochum I auf deren GOPRO 486/33 - Computer mit MS - Word 5.0 und einem HP III P - Laserdrucker im Originaldruck erstellt.

Alle Rechte vorbehalten © 1991 Duncker & Humblot GmbH, Berlin 41 Fotoprint: Wemer Hildebrand, Berlin 65 Printed in Germany ISSN 0720-6674 ISBN 3-428-07305-3

Meinen Pflegeeltern

Geleitwort

In Kontinentaleuropa läßt sich das Immunitätsrecht als der dem Parlament garantierte Genehmigungsvorbehalt bei der Verfolgung, der Verhaftung und der freiheitsbeschränkenden Behinderung seiner Abgeordneten auf einen Beschluß der Französischen Nationalversammlung vom 26. Juni 1790 zurückführen. Eines der wichtigsten Schutzrechte des Parlaments ist also so alt wie das Parlament der Neuzeit selbst. Vielfach ist an seinem Fortbestand Kritik geübt worden: Es sei ein veraltetes Privileg und im modemen Rechtsstaat überflüssig. Diese Auffassung teilt der Verfasser nicht, und er begründet ausführlich und überzeugend, warum das Immunitätsrecht als eine zulässige Kompetenzverschrankung zwischen Exekutive und Legislative ebenso notwendig wie erhaltenswert ist. Das Buch hat seinen Wert nicht nur in den verfassungsgeschichtlichen und dogmatischen Untersuchungen, sondern vor allem auch in der Darstellung der Immunitätsaufhebungspraxis des Deutschen Bundestages. Gerade insoweit ist es eine Bereicherung der Reihe "Beiträge zum Parlamentsrecht" , die auch Handreichungen für die Parlamente des Bundes und der Länder geben wollen.

Ulrich Karpen

Vorwort Die vorliegende Untersuchung hat im Wintersemester 1990/1991 der Juristischen Fakultät der Ruhr-Universität Bochum als Dissertation vorgelegen. Rechtsprechung und Literatur sowie Parlamentsmaterialien sind bis einschließlich Mai 1991 berücksichtigt. Für die wissenschaftliche Betreuung bin ich meinem Doktorvater, Herrn Prof. Dr. Friedrich E. Schnapp, zu großem Dank verpflichtet. Herrn Prof. Dr. Dr. h. c. Knut Ipsen LLD h. c. danke ich für seine Mitberichterstattung. Von Herrn Ministerialrat Dr. Gerald Kretschmer, Sekretär des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages, erhielt ich nicht nur wertvolle Anregungen aus der Praxis, sondern auch die Gelegenheit, über längere Zeit einen Einblick in die Arbeit des Ausschusses zu nehmen. Ebenso gaben mir dessen Mitarbeiter, Frau Gerti Offermann und Herr Werner Güth, viele Auskünfte zur Arbeitsweise des Immunitätsausschusses. Daneben gilt mein Dank denjenigen Abgeordneten des Deutschen Bundestages und des Europäischen Parlaments, die mir Fragen über sie betreffende Immunitätsangelegenheiten beantworteten und mir Unterlagen zur Verfügung stellten. Informationen aus der Immunitätspraxis einer Verfolgungsbehörde vermittelten mir die Herren Oberstaatsanwälte Dieter Irsfeld und Peter Iwand von der Staatsanwaltschaft in Bonn. Anregungen und Hinweise verdanke ich nicht zuletzt auch meinen leselustigen Freunden, den Rechtsanwälten Thomas Toews und Dr. Hans Gummert, dem Historiker Dr. Michael Gante sowie Rechtsreferendar Eugen Eigemann, der mich von Anfang an bis zum Erstellen der Druckvorlagen durch die Fährnisse der elektronischen Datenverarbeitung gesteuert hat. Der Bundesminister des Innern unterstützte die Veröffentlichung der Arbeit durch einen großzügigen Druckkostenzuschuß. Schließlich danke ich der Gesellschaft der Freunde der Ruhr-Universität Bochum für die Auszeichnung mit dem Wilhelm-Hollenberg-Universitätspreis. Dieses Buch habe ich meinen Pflegeeltern Hella und Kurt-Peter Brandt gewidmet, die meine Schwester und mich nach dem frühen Tod unserer Eltern in ihre Familie aufgenommen haben. Hermann Butzer

Inhaltsübersicht § 1. Tenninologische, verfassungsgeschichtliche, teleologische, verfassungssystematische und nonnative Grundlagen des Immunitäts-

rechts ........................................................................................... 27 A. Tenninologische Grundlagen........................................................ 28 B.

Verfassungsgeschichtliche Entwicklung des Immunitätsrechts in England, Frankreich, Belgien und Deutschland ...................................... 30

C.

Rechtfertigung der Immunität trotz des Bedeutungswandels im demokratischen Verfassungsstaat .......................................................... 66 D. Verfassungssystematische Grundlagen des Immunitätsrechts ................. 86 E.

Die Rechtsquellen des Immunitätsrechts ......................................... 124

§ 2.Die Auslegung der Immunitätsvorschriften im Hinblick auf einen umfassenden Schutz bei der Wahrnehmung aller Parlamentsauf-

gaben .......................................................................................... 151 A.

Der Maßstab für die Auslegung des Immunitätsrechts ........................ 151

B.

Einzelfragen der Verfassungsauslegung .......................................... 168 I.

Persönlicher Schutzbereich des Immunitätsrechts ........................ 168

II.

Sachlicher Schutzbereich des Immunitätsrechts ........................... 170

III. Zeitlicher Schutzbereich des Immunitätsrechts ............................ 283 IV. Räumlicher Schutzbereich des Immunitätsrechts ......................... 288

§ 3.Die Entscheidungspraxis des Deutschen Bundestages in Immunitätsangelegenheiten ... ................................................................... 291 A.

Die bisherige Entscheidungspraxis des Deutschen Bundestages ............ 291

B.

Überlegungen zur Praxis des Europäischen Parlaments und einiger Landtage, die Strafverfolgung bei allen Delikten politischen Charakters nicht freizugeben ....................................................................... 297

§ 4.Das Verfahren der Immunitätsaufhebung in der Parlamentspraxis des Deutschen Bundestages - Bisherige Handhabung und Vorschläge ........................................................................................ 305 A.

Der Ablauf eines staatsanwaltlichen EnniUlungsverfahren gegen einen Abgeordneten ........................................................................... 306

B.

AntragsteIlung auf Erhebung der öffentlichen Klage bzw. auf Durchführung eines Enniulungsverfahrens .............................................. 323

12

Inhaltsübersicht

C.

Das Entscheidungsverfahren im Bundestag ..................................... 335

D. Das Verfahren nach der Entscheidung des Bundestages über die Freigabe der Verfolgung des Abgeordneten .......................................... 361 E. Zur Durchführung von Verfahren, die nach Art. 46 Abs. 2, 2. Halbsatz GG genehmigungsfrei sind.......................................................... 365 F. Der Vollzug von (genehmigungsbedürftigen) Zwangsmaßnahmen ........ 366 G. Überlegungen zur Zulässigkeit einer vollständigen Delegation von immunitätsrechtlichen Entscheidungskompetenzen ............................... 381 H. Rechtsfolgen einer Nichtbeachtung der Immunität durch die Verfolgungsbehörden ......................................................................... 385 I.

Überlegungen zur Frage einer gesetzlichen Regelung des Immunitätsrechts ..................................................................................... 389

§ 5. Ergebnisse in Thesen ................................................................... 392 Literaturverzeichnis ......................................................................... 398 Anhang I ( Rechtsquellen ) ................................................................ 427 Anhang 11 ( Statistik )....................................................................... 448 Sachverzeichnis. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 451

Inhaltsverzeichnis Aufgabe und Gang der Untersuchung................................................... 23

§ 1. Tenninologische, verfassungsgeschichtliche,

teleologische, verfassungssystematische und nonnative Grundlagen des Immunitätsrechts

27

A. Tenninologische Grundlagen .............. ............................................. 28 B. Verfassungsgeschichtliche Entwicklung des Immunitätsrechts in England, Frankreich, Belgien und Deutschland............................... 30 I. Die Herausbildung des "privilege of freedom from arrest and molestation " in England ......................................................................................... 1. Der Schutz des angelsächsischen witanagemot und der nonnannischen curia regis .....................................................................................

31 32

2. Die konkrete Herausbildung des Privilegs seit etwa 1400............ ........... 34 3. Der heutige Umfang des privilege .................................................... 37 11. Die Entwicklung der Immunität in Frankreich......................................... 38 1. Die geistigen Grundlagen der Französischen Revolution........................ 38 2. Die Beschlüsse der Nationalversammlung zur Redefreiheit und zur Immunität....... ......... ... ....... ...... ...... ............ ... ........... ............. ............. 41 3. Die Entwicklung bis in die heutige Zeit........................................... .. 43 III. Die Immunitätsbestimmung der Belgischen Verfassung...... ....................... 45 IV. Die Entwicklung des Immunitätsrechts in Deutschland.............................. 1. Die Immunitätsbestimmungen der Deutschen Länder ............................ a) Die Immunitätsbestimmungen im Frühkonstitutionalismus .................. b) Die Immunitätsbestimmungen aus der Zeit nach 1830....................... c) Die Immunitätsbestimmungen aus der Zeit nach 1848 ....................... d) Die Immunitätsbestimmung der Preußischen Verfassung. ... ........... ..... e) Zur These von der Rückführbarkeit auf zwei Archetypen .................. 2. Das Immunitätsrecht des Deutschen Reiches.......................................

47 47 48 52 54 55 58 60

3. Das Immunitätsrecht der Weimarer Republik...................................... 63

Inhaltsverzeichnis

14

c.

Rechtfertigung der Immunität trotz des Bedeutungswandels im demokratischen Verfassungsstaat ......................................................... 66 I. Der verfassungstheoretische Ansatz...................................................... 69 1. Herleitung aus dem Souveränitätsgedanken ......................................... 69

2. Herleitung aus dem Repräsentationsgedanken ...................................... 71

11. Der rechtspolitische Ansatz................................................................. 1. Die ursprüngliche Rechtfertigung durch Abgeordnete............................ 2. Die spätere Rechtfertigung in Lehre und Rechtsprechung....................... a) Schutz vor tendenziöser Verfolgung des Abgeordneten.... .................. b) Ansehen und Würde des Parlaments.............................................. c) Arbeits- und Funktionsfähigkeit des Parlaments ................................

75 75 77 78 82 84

D. Verfassungssystematische Grundlagen des hnmunitätsrechts ............. 86 I. Das Immunitätsrecht als Statusrecht des Parlaments.................................. 86 1. Herrschende Meinung: Das Immunitätsrecht als Status recht des Abgeordneten .......................................................................................... 88

2. Zuordnung zu den Rechten der (äußeren) Parlamentsautonomie ............... 91 3. Das Immunitätsrecht als Teil des Prinzips der Funktionenverschränkung .......................................................................................... 94 4. Exkurs: Immunität und Art. 3 Abs. 1 GG ........................................... 98

11. Die Verankerung des Immunitätsrechts im Internbereich des Parlaments ............................................................................................ 100 III. Zu den Konsequenzen dieser verfassungssystematischen Zuordnung ............ 105 1. Die Interpretationskompetenz des Parlaments in bezug auf den Schutzbereich von Art. 46 Abs. 2 - 4 GG ...................................................... 106 a) Zuweisung einer Auslegungsprärogative an das Parlament.. ............... 106 b) Gerichtliche Kontrolldichte der Auslegungsergebnisse .............. .. ...... 107 2. Die Sachentscheidungskompetenz des Parlaments................................ 110 a) Einordnung als politische Entscheidung ......................................... 110 b) Gerichtliche Kontrolldichte einer Sachentscheidung.......................... 113 3. Die Organisationskompetenz des Parlaments für das Immunitätsverfahren ........................................................................................... 115 a) Zur Herleitung der Organisationsbefugnis ...................................... 116 b) Z.u~eisung von Organisationsfreiheit bei der Ausgestaltung des Immumtatsverfahrens ....................................................................... 119 c) Gerichtliche Kontrolldichte der immunitätsrechtlichen Verfahrenspraxis .................................................................................... 120

E. Die Rechtsquellen des hnmunitätsrechts........................................... 124 I. Gesetzliche Regelungen ..................................................................... 125

11. Parlaments rechtliche Regelungen ...................................... ....... ............ 125

Inhaltsverzeichnis

15

1. Die Regelung des § 107 GO-BT ...................................................... 126

2. Grundsätze in Immunitätsangelegenheiten .......................................... 126

a) Die Grundsätze als Reaktion auf die Weimarer Praxis ....................... b) Inhalt und Rechtsbedeutung der Grundsätze in Immunitätsangelegenheiten .................................................................................... c) Rechtsverbindlichkeit der Grundsätze ............................................ aa) Rechtssatzqualität und Rechtsnatur der GO-BT .......................... bb) Rechtssatzcharakter der Grundsätze in Immunitätsangelegenheiten .............................................................................. cc) Sonderproblem: Grundsätze mit Außenwirkung ......................... 3. Immunitätsrechtliches Gewohnheitsrecht ........................................

126 130 132 132 135 138 145

III. Immunitätsrechtliche Regelungen in den Richtlinien fUr das Straf- und Bußgeldverfahren (RiStBV) ..................................................................... 147 IV. Rundschreiben des Bundesministers des Innern bzw. der Innenminister der Länder betr. Indemnität und Immunität. ................................................. 149

§ 2. Die Auslegung der Immunitätsvorschriften

im Hinblick auf einen umfassenden Schutz bei der Wahrnehmung aller Parlamentsaufgaben

151

A. Der Maßstab für die Auslegung des Immunitätsrechts ...................... 151 I. Verfassungsrecht und Verfassungswirklichkeit.. ...................................... 153

11. Die Parlamentsarbeit in der parlamentarischen Demokratie des Grundgesetzes ................................................................................................ 156 1. Verlagerung der Entscheidungsprozesse ............................................ 156 2. Wahrnehmung der Kontrollaufgaben ................................................. 159 3. Kommunikation mit Bürgern, gesellschaftlichen (Interessen-) Gruppen und Medien ................................................................................ 161 4. Verpflichtung der Abgeordneten zur Parteiarbeit ................................. 163

III. Konsequenzen für die Auslegung des Schutzbereichs des Art. 46 GG ........... 164

B. Einzelfragen der Verfassungsauslegung ............................................ 168 I. Persönlicher Schutzbereich des Immunitätsrechts ..................................... 168

11. Sachlicher Schutzbereich des Immunitätsrechts ....................................... 170 1. Umfang des Schutzes nach Art. 46 Abs. 2, 1. Halbsatz GG .................... 170 a) Der Begriff der "mit Strafe bedrohten Handlung" ............................. 171 aa) Immunitätsschutz und Kriminalstrafen ..................................... 171 aaa) Genehmigungsbedürftigkeit von Verfahren, die auf Maßregeln nach §§ 61 ff StGB, §§ 111 a, 126 a, 132 a StPO zielen .......................................................................... 171

16

Inhaltsverzeichnis bbb) Genehmigungsbedürftigkeit von Verfahren wegen Privatklagedelikten . . . .. .. . . . .. .. . . . . . .. .. . . . .. . . . .. .. . .. . .. .. . . .. .. . . . . . . . . . . . . . . .. 173 bb) Immunitätsschutz im Bußgeldverfahren ................................... 175 aaa) Historische Auslegung........................ ........................ 177 bbb) Komparative Auslegung ............................................... 180 ccc) Einwände gegen die Verfassungsinterpretation des Bundestages ....................................................................... 182 ddd) Sonderfall der Verwarnung und des Verwarnungsgeldes nach § 56 OWiG ........................................................ 184 cc) Immunitätsschutz und Disziplinarverfahren .............................. 185 aaa) Das Verhältnis von Disziplinar- und Strafrecht .................. 187 bbb) Disziplinarverfahren und Zweck des Immunitätsschutzes ...... 190 ccc) Richterrecht statt Normsetzung des Bundestages ................ 192 dd) Immunitätsschutz in ehren- und berufsgerichtlichen Verfahren ....... 193 ee) Immunitätsschutz im zivilgerichtlichen Verfahren ...................... 194 ff) Immunitätsschutz und das auf die Verhängung von Ordnungsbzw. Zwangsmitteln gerichtete Verfahren................................ 197 aaa) Das auf die Verhängung präventiver Ordnungsmittel gerichtete Verfahren ........................................................... 198 bbb) Das auf die Verhängung repressiver Ordnungsmittel gerichtete Verfahren ........................................................... 199 ccc) Das Verfahren nach § 890 ZPO.................................... 200 b) Die Auslegung des Begriffs "Zur-Verantwortung-Ziehen" in Art. 46 Abs. 2, 1. Halbsatz, 1. Alt GG .................................................... 203 aa) Die Auslegung des Reichsgerichts .......................................... 204 bb) Genehmigungsfreie Maßnahmen im Vorermittlungsverfahren ....... 206 aaa) Genehmigungsfreie Aufklärungsarbeit ............................. 206 bbb) Genehmigungsbedürftigkeit von Beweissicherungsmaßnahmen ........................................................................ 208 ccc) "Zur-Verantwortung-Ziehen" und repressive Ordnungsmittel. .......................................................................... 210 c) Die Auslegung des Begriffs "verhaftet werden" in Art. 46 Abs. 2, 1. Halbsatz, 2. Alt. GG ............................................................. 211 2. Die Ausnahme des Art. 46 Abs. 2, 2. Halbsatz GG .............................. 214 a) Zur Auslegung der beiden Alternativen in Art. 46 Abs. 2, 2. Halbsatz GG ................................................................................. aa) Auslegung inhaltsgleich mit § 127 Abs. 1 StPO ......................... bb) Auslegung enger als § 127 Abs. 1 StPO .................................. cc) Auslegung weiter als § 127 Abs. 1 StPO ................................. b) Eigener Auslegungsvorschlag ..................................................... aa) Zum Verhältnis der beiden Alternativen zueinander ................... bb) Zur inhaltlichen Auslegung der Ausnahmeregelung .................... aaa) Bezug der Ausnahmeregelung nur auf Art. 46 Abs. 2, 1. Halbsatz, 2. Alt. ("verhaftet werden") ......................... bbb) Wahrscheinlichkeit der Tatbegehung als Maßstab...... .. ......

216 216 217 220 221 221 224 225 227

Inhaltsverzeichnis

17

c) Der Festnahmebegriff des Art. 46 Abs. 2, 2. Halbsatz GG ................. 228 3. Umfang des Schutzes nach Art. 46 Abs. 3,1. Alt. GG .......................... 233 a) Genehmigungsbedürftige Freiheitsentziehungen ............................... aa) Freiheitsstrafen und sonstige Haftmaßnahmen ........................... bb) Die polizeiliche Ingewahrsamnahme eines Abgeordneten ............. cc) Schutzmaßnahmen nach dem Bundes-Seuchengesetz ................... b) Genehmigungsbedürftige Freiheitsbeschränkungen i. e. S ................. aa) Genehmigungsbedürftige, physisch wirkende Freiheitsbeschränkungen ............................................................................. bb) Genehmigungsbedürftigkeit von psychisch wirkenden Maßnahmen, die auf die räumlich-körperliche Fortbewegungsfreiheit des Abgeordneten zielen ........................................................... aaa) Platzverweisung und präventiv-polizeiliche Aufenthaltsbeschränkung ............................................................... bbb) Gerichtliche Aufenthaltsbeschränkungen, Vorladung als Zeuge, zur Polizei und zum Verkehrsunterricht ................. c) Genehmigungsbedürftige Freiheitsbeschränkungen i. w. S. . .............. aa) Rechtfertigung und Umfang einer erweiternden Auslegung .......... bb) Die Auslegung des Art. 37 Abs. 2 WRV durch die Weimarer Staatspraxis ....................................................................... aaa) Die Praxis des Weimarer Reichstags ............................... bbb) Die Auffassung der Weimarer Staatsrechtslehre ................. cc) Notwendigkeit der Einbeziehung von Zwangsmaßnahmen in den Immunitätsschutz des Art. 46 Abs. 3 GG ................................. aaa) Verfassungsrechtliche "Schutzlücke" bei Zwangsmaßnahmen gegen Abgeordnete ............................................... bbb) Strafprozessuale "Schutzlücke" bei Durchsuchungen und Beschlagnahmen im Ermittlungs- I Untersuchungsverfahren .......................................................................... (1) Anordnung bereits aufgrund eines Antimgsverdachts ................................................................ (2) Regelung der Anwesenheitsrechte in der StPO ............. (3) Planmäßige Suche nach "Zufalls-"funden ................... (4) Durchsicht der beschlagnahmten Aufzeichnungen ........ ccc) "Schutzlücke" bei Durchsuchungen und Pfändungen im Vollstreckungsverfahren .............................................. ddd) "Schutzlücken" bei Überwachungen des Brief-, Post- und Fernmeldeverkehrs ..................................................... (1) Mögliche Folgen von Überwachungsmaßnahmen für die Parlamentsarbeit .............................................. (2) "Schutzlücken" bei Überwachungsmaßnahmen ............ (a) Maßnahmen nach G 10 gegen einen verdächtigen Abgeordneten ................................................ (b) Maßnahmen nach § 100 a StPO, § 1 G 10 gegen einen nicht beschuldigten oder nicht verdächtigen Abgeordneten ................................................ 2 Butzer

236 236 237 242 244 246 248 249 250 252 254 256 257 261 263 263 265 266 268 268 270 271 273 275 276 277 277

18

Inhaltsverzeichnis 4. Umfang des Schutzes nach Art. 46 Abs. 3, 2. Alt. GG ......................... 279 5. Das Anforderungsrecht nach Art. 46 Abs. 4 GG ................................. 280

111. Zeitlicher Schutzbereich des Immunitätsrechts ........................................ 283 1. Der Immunitätsschutz bei mitgebrachten Verfahren .............................. 285 2. Der Immunitätsschutz bei fortgesetzten Verfahren ............................... 286 3. Der Immunitätsschutz und eine erneute AntragsteIlung ......................... 288 IV. Räumlicher Schutzbereich des Immunitätsrechts ...................................... 288

§ 3. Die Entscheidungspraxis des Deutschen Bundestages in Immunitätsangelegenheiten

291

A. Die bisherige Entscheidungspraxis des Deutschen Bundestages.......... 291 I. Das Prinzip der Gleichbehandlung ....................................................... 291 11. Die Abwägung der parlamentarischen Interessen mit den Interessen der Rechtspflege an der Strafverfolgung..................................................... 294 111. Ausnahme von der regelmäßigen Freigabe der Strafverfolgung bei Beleidigungen politischen Charakters............................................................ 294

B. Überlegungen zur Praxis des Europäischen Parlaments und einiger Landtage, die Strafverfolgung bei allen Delikten politischen Charakters nicht freizugeben................................................................. 297 I. Straftaten als Ausdruck des politischen Aktionsverständnisses .................... 299 11. Kritik dieser Entscheidungspraxis ........................................................ 301

§ 4. Das Verfahren der Immunitätsautbebung in der

Parlamentspraxis des Deutschen Bundestages - Bisherige Handhabung und Vorschläge

305

A. Der Ablauf eines staatsanwaltlichen Ennittlungsverfahren gegen einen Abgeordneten........................................................................... 306 I. Verfahren in der Ennittlungszuständigkeit der Staatsanwaltschaften ............. 307 1. Anzeige und Anfangsverdacht (§ 152 Abs. 2 StPO) .............................. 307 2. Einleitung eines fonnellen Ennittlungsverfahrens gegen einen Abgeordneten (§ 160 StPO) .......................................................................... 309

Inhaltsverzeichnis

19

a) Ennittlungsverfahren, die von der generellen Genehmigung nicht erfaßt werden.... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 310 b) Generell genehmigte Ennittlungsverfahren ..................................... 312 aa) Zulässigkeit des Beschlusses über die generelle Genehmigung strafrechtlicher Ennittlungsverfahren ...................................... 312 bb) Wirksamwerden der generellen Genehmigung nach Zugang einer Mitteilung an den Bundestag ................................................. 315 c) Vorschlag: Einbeziehung weiterer Verfahren und Maßnahmen in die generelle Genehmigung ............................................................. 318 3. Entscheidungsmöglichkeiten nach Abschluß des Ennittlungsverfahrens ........................................................................................... 319 11. Verfahren in der Ennittlungszuständigkeit einer obersten Dienstbehörde oder einer berufsständischen Einrichtung ...................................................... 322

B. AntragsteIlung auf Erhebung der öffentlichen Klage bzw. auf Durchführung eines Ennittlungsverfahrens ..................................... 323 I. Der Kreis der Antragsberechtigten ....................................................... 324

11. Dienstweg, Fonnulierung und Begründung des Antrags ............................ 328 III. Das Problem der Publizität von Verfahren gegen Abgeordnete .................... 331

C. Das Entscheidungsverfahren im Bundestag ....................................... 335 I. Die Konstituierung des Immunitätsausschusses ........................................ 336

11. Die Beratung und Entscheidung von Immunitätsangelegenheiten im Immunitätsausschuß .................................................................................... 339 1. Der Ablauf der Ausschußsitzung ...................................................... 339 a) Teilnehmer der Sitzung, Bekanntmachungen, Beratungen über Immunitätsfälle ................................................................................ b) Die Beteiligung des betroffenen Abgeordneten ................................ c) Das Verbot der Beweiswürdigung ................................................ 2. Beschlußempfehlung des Ausschusses und Plenarentscheidung ............... a) Das vollständige Entscheidungsverfahren im Bundestag .................... aa) Beschlußempfehlung und Berichterstattung im Plenum ................ bb) Gründe für die Übereinstimmung von Beschlußempfehlung und Plenarentscheidung ............................................................. b) Das vereinfachte Beschlußverfahren ............................................. aa) Ablauf und Anwendungsbereich des Vorentscheidungsverfahrens ................................................................................ bb) Zur rechtlichen Einordnung und Zulässigkeit des Vorentscheidungsverfahrens ................................................................. ce) Vorschlag: Ausdehnung des Vorentscheidungsverfahrens auf die Genehmigung aller Freiheitsentziehungen ................................. 3. Umfang der Genehmigung des Bundestages ........................................

339 342 344 346 347 347 350 351 351 355 358 359

20

Inhaltsverzeichnis

D. Das Verfahren nach der Entscheidung des Bundestages über die Freigabe der Verfolgung des Abgeordneten ...................................... 361 I. Verfahren bei Aufhebung der Immunität .......................... .. ................... 361

11. Verfahren bei Nichtaufhebung der Immunität ......................................... 363

E. Zur Durchführung von Verfahren, die nach Art.46 Abs.2, 2. Halbsatz GG genehmigungsfrei sind........................................... 365 F. Der Vollzug von (genehmigungsbedürftigen) Zwangsmaßnahmen ...... 366 I. Fälle, Regelungen und Regelungsversuche. ............................................ 366

11. Rechtsfragen im Zusammenhang mit dem Vollzug von Durchsuchungen und Beschlagnahmen bei Abgeordneten ...................................................... 373 1. Die Auflage nach Nr. 5 des Beschlusses betr. Aufhebung der Immunität von Mitgliedern des Bundestages..................................................... 373 2. Das Verfahren bei Durchsuchungen und Beschlagnahmen ..................... 376 III. Rechtsfragen im Zusammenhang mit einer verfahrens rechtlichen Regelung für Maßnahmen nach §§ 100 a, 100 b StPO, § 1 G 10 .............................. 378

G. Überlegungen zur Zulässigkeit einer vollständigen Delegation von immunitätsrechtlichen Entscheidungskompetenzen ........................... 381 H. Rechtsfolgen einer Nichtbeachtung der Immunität durch die Verfolgungsbehörden ............................................................................ 385 I. Überlegungen zur Frage einer gesetzlichen Regelung des Immunitätsrechts .............................................................................................. 389

§ 5. Ergebnisse in Thesen

392

Literaturverzeichnis ................... ...................................... . . .. .. 398 Anhang I (Rechtsquellen ) ...................................................... 427 Anhang n ( Statistik ) ............................................................ 448 Sachverzeichnis .................................................................... 451

Abkürzungsverzeichnis BP

Bayernpartei

BVP

Bayerische Volkspartei

BT-Ausschuß-Drs.

Drucksachen eines Ausschusses des Deutschen Bundestages

BT-Ausschuß-Prot.

Protokolle von Sitzungen eines Ausschusses des Deutschen Bundestages

BT-Drs.

Drucksache des Deutschen Bundestages

BT-PlPr

Stenographische Berichte des Deutschen Bundestages ab 1949

CDU

Christlich-Demokratische Union

CSU

Christlich-Soziale Union

DDP

Deutsche Demokratische Partei

DFrP

Deutsche Freisinnige Partei

DHP DNVP

Deutsch-Hannoversche Partei

DP

Deutsche Partei

DRP

Deutsche Reichspartei

DVP

Deutsche Volkspartei

EP-Doc. A 2

Dokumente des Europäischen Parlaments aus der 2. Legislaturperiode

EP-StenBer

Stenographische Berichte des Europäischen Parlaments

Deutschnationale Volkspartei

F

Fortschrittspartei

FAZ

Frankfurter Allgemeine Zeitung

F. D. P.

Freie Demokratische Partei

FU

Föderalistische Union

GB/BHE

Gesamtdeutscher Block I Block der Heimatvertriebenen und Entrechteten

HChE

Herrenchiemseer Entwurf des Grundgesetzes

KPD

Kommunistische Partei Deutschlands

LDA

Liberale und Demokratische Fraktion im Europäischen Parlament

LegPer

Legislaturperiode

22

Abkürzungsverzeichnis

MdB

Mitglied des Deutschen Bundestages

MdEP

Mitglied des Europäischen Parlaments

MdL

Mitglied des Landtags

MdR

Mitglied des Reichstags

NL

Nationalliberale Partei

Norddt. Bund-StenBer

Stenographische Berichte des Norddeutschen Bundes

NSDAP

Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei

ParlRat-StenBer

Stenographische Berichte des Parlamentarischen Rates

ParlRat-StenBer-HA

Stenographische Berichte des Hauptausschusses des Parlamentarischen Rates

ParlRat-StenBer-OrgA

Stenographische Berichte des Organisationsausschusses des Parlamentarischen Rates

Rdschr. des BMI

Rundschreiben des Bundesministers des Innem zur Indemnität und Immunität von Abgeordneten

Reuß j. L.

Fürstentum Reuß jüngere Linie

RT-StenBer

Stenographische Berichte des Reichstags von 1871 - 1918

SPD

Sozialdemokratische Partei Deutschlands

USPD

Unabhängige Sozialdemokratische Partei Deutschlands

Verh. des 57. DJT

Verhandlungen des 57. Deutschen Juristentages

WAV

Wirtschaftliche Aufbauvereinigung

WRT -StenBer

Stenographische Berichte des Weimarer Reichstages von 1919 - 1933

WRV

Weimarer Reichsverfassung

WV

Wirtschaftliche Vereinigung

Z

Zentrum (Deutsche Zentrumspartei)

Soweit die Abkürzungen nicht besonders erläutert sind, wird verwiesen auf: Kirchner, Abkürzungsverzeichnis der Rechtssprache, Berlin 1983.

Aufgabe und Gang der Untersuchung

"Der ist ja Abgeordneter, dem kann nichts passieren" - solche Worte der Mißgunst pflegt mancherorts die Nachricht von einer behaupteten strafrechtlichen Verfehlung eines Abgeordneten auszulösen. Die kritische Einstellung der meisten Bundesbürger zur Immunität wird durch eine repräsentative Umfrage des EMNID-Instituts aus dem Jahre 1978 anläßlich des Immunitätsfalls des zu Unrecht der Spionage verdächtigten Abg. Prof Dr. Uwe Holtz bestätigt, bei der 63 % der Befragten auf die Frage "Welche Meinung haben Sie dazu, daß den Parlamentariern Immunität garantiert ist, d. h., daß sie frei von Strafverfolgung und Strafe bleiben?" antworteten: "Ich finde das eher nicht richtig " (eher richtig: 34 %, keine Angabe: 3 %) 1. Die seit jeher kontroverse Beurteilung der Immunität in der öffentlichen Meinung fmdet auch unter den Abgeordneten und in der wissenschaftlichen Diskussion ihren Niederschlag. Dabei wird nicht nur die "Existenzberechtigung" der Immunität in Frage gestellt - auch Inhalt, Umfang und Grenzen der Immunitätsregelungen sind nicht abschließend geklärt und Gegenstand vielfältiger Meinungsstreite. Insoweit läßt sich die in anderem Zusammenhang geäußerte Bemerkung Adolf Arndts 2, daß alles umstritten ist, und die Dissertationen eine Bibliothek füllen, mit vollem Recht auf das Immunitätsrecht übertragen. 1 Spionageverdacht im Parlament - Die Affäre Holt:., in: EMNlD-Informationen, Nr. 10 I 1978. Bei dieser Umfrage äußerten jüngere Befragte eher die Einstellung, daß Immunität gewährt werden sollte: bei den 14 - 19-jährigen waren dies immerhin 41 %, dagegen bei den über 65-jährigen nur 28 %. Unter den Befragten mit Abitur oder Hochschulabschluß sprachen sich sogar 51 % für die Immunität aus. Ob die Befragung im Sinne der Immunität positiver verlaufen wäre, wenn das Institut die Frage korrekt formuliert hätte (Welche Meinung haben Sie dazu, daß den Parlamentariern bei uns Immunität garantiert ist, d. h., daß sie zeitweilig frei von Strafverfolgung und Strafe bleiben, sofern der Bundestag die Immunität nicht aufhebt ?), muß offen bleiben.

2 Arndt, Reform der parlamentarischen Untersuchungsausschüsse, in: DRiZ 1964, 290 (291).

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Aufgabe und Gang der Untersuchung

Dennoch zeichnet sich die immunitätsrechtliche Literatur durch eine gewisse "Überalterung" aus. Die zu Art. 46 GG nach wie vor grundlegende Monographie des Göttinger Strafrechtslehrers Paul Bockelmann stammt aus dem Jahre 1951 und ist in vielen Punkten überholt. Ebenso sind die meisten Dissertationen und Aufsätze zu immunitätsrechtlichen Einzelfragen in den fünfziger Jahren erschienen: beispielhaft seien die Beiträge von Herlan, Koch und Meyer genannt. Nicht anders ist es mit den wegweisenden Kommentierungen von Maunz (1960) und von v. Mangoldt I Klein (1964) 3. Dieser Stillstand kann aber nicht darauf zurückgeführt werden, daß die Probleme des Immunitätsrechts als gelöst angesehen werden könnten. Vielmehr bestehen in der Praxis weiterhin eine Vielzahl gewichtiger EinzeIprobleme bei der Auslegung des Art. 46 GG, die sich angesichts der knappen Verfassungsregelung - je nach dem weiteren oder engeren Vorverständnis gegenüber der Immunität - unterschiedlich lösen lassen. Zudem hat der Deutsche Bundestag gerade in der 10. und 11. Wahlperiode das Immunitätsrecht in Reaktion auf Probleme, die bei der Abwicklung mehrerer spektakulärer Immunitätsfälle aufgetreten waren, auf der Ebene seiner Geschäftsordnung (§ 107 GO-BT, Grundsätze in Immunitätsangelegenheiten, Beschluß betr. Aufhebung der Immunität, beide Anl. 6 zur GO-BT) erheblich geändert und ergänzt. In der gleichen Zeit haben sich das Bundesverwaltungsgericht und zwei Oberlandesgerichte zu immunitätsrechtlichen Fragen geäußert 4. Von erheblicher Bedeutung für das Verfahren der Immunitätsaufhebung ist auch die unter Mitwirkung des Bundestages im Jahre 1987 erfolgte vollständige Überarbeitung der Richtlinien für das Straf- und Bußgeldverfahren (RiStBV). Diese Änderungen und Ergänzungen haben in der Literatur mit Ausnahme des Urteils des Bundesverwaltungsgerichts kaum Beachtung gefunden. Mit der vorliegenden Arbeit wird nicht nur eine monographische Darstellung des Immunitätsrechts auf neuestem Stand vorgelegt; es soll auch ein Beitrag zur dogmatischen Erfassung des Immunitätsrechts und zu einer zeitgemäßen Auslegung des Art. 46 GG im demokratischen Verfassungsstaat geleistet werden. Diese Aufgabe gewinnt zusätzliche Aktualität vor dem Hintergrund von Überlegungen des Deutschen Bundestages, das Immunitätsrecht ge3 Auch neuere Erläuterungen zu Art. 46 GG wie z. B. von Magiera (in: Bonner Kommentar zum Grundgesetz, 1981), Schneider (in: Altemativkommentar zum Grundgesetz, 1989), Schmidt-Bleibtreu / Klein, Franz (in: Kommentar zum Grundgesetz, 1990) oder Klein, Hans Hugo (in: Parlaments recht und Parlamentspraxis, § 17, 1989) beschränken sich weitgehend auf die Wiedergabe des damaligen Meinungsstandes.

4 BVerwGE 83, 1 (1 ff) - Immunitätsschutz bei Disziplinarverfahren; OLG Köln, NStZ 1987, 564 (564 f), OLG Köln, NJW 1988, 1606 (1606), und OLG Düsseldorf, NJW 1989, 2207 (2207) - Immunitätsschutz im Bußgeldverfahren.

Aufgabe und Gang der Untersuchung

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setzlieh ZU regeln 5. Die Aufarbeitung der immunitätsrechtlichen Literatur und Rechtsprechung macht insbesondere deutlich, wie sehr man bis heute einem altliberal-repräsentativen Abgeordnetenbild verhaftet ist, das in der modemen pluralistischen Demokratie des Grundgesetzes nicht mehr der Verfassungswirklichkeit und wohl auch nicht mehr der Verfassungslage entspricht. Ebenso wird bei der Schutzbereichsauslegung des Art. 46 Abs. 2 - 4 GG weithin ignoriert, daß die Komplexität politischer Entscheidungsvorgänge und die technischen Möglichkeiten und Forderungen des modemen Industrie- und Sozialstaates gravierende Veränderungen im politisch-parlamentarischen Willensbildungs- und Entscheidungsprozeß bewirkt haben. Die vorliegende Untersuchung zielt deshalb darauf ab, mit einer (teilweisen) Neubestimmung der Schutzrichtung des Immunitätsrechts zu erreichen, daß die Immunität auch im Verfassungsstaat des Grundgesetzes das Parlament vor Behinderungen bei der Wahrnehmung seiner Funktionen schützt, und das Parlament so seine Aufgabe als Teil der politischen Führung erfüllen kann. Trotz des heute veränderten Umfelds bleiben aber für die Interpretation der seit etwa 150 Jahren nahezu unveränderten Immunitätsvorschriften viele tradierte Interpretationen des zum Teil generalklauselartig weiten Verfassungstextes ebenso wie die Parlamentspraxis unter früheren Verfassungen von hoher Bedeutung. Entscheidend für die Auslegung und Fortbildung des Immunitätsrechts war von Anfang an die Parlamentspraxis, weit mehr als Rechtsprechung, Staatsrechtslehre oder die Praxis der Verfolgungsbehörden. Das Immunitätsrecht ist nämlich in erheblichem Umfang "case law", und Anstöße zu Änderungen der Immunitätspraxis gehen bis heute durchweg auf Probleme bei der Bewältigung von Immunitätsf:illen zurück. Deshalb erfahren Äußerungen von Abgeordneten, Stellungnahmen der zuständigen Parlamentsausschüsse und Beschlüsse der Parlamente in einzelnen Immunitätsf:illen besondere Beachtung. Die Arbeit gliedert sich folgendermaßen: Im ersten Teil wird zunächst die historische Entwicklung des Immunitätsrechts aufgezeigt, bevor die verfassungstheoretische und rechtspolitische Rechtfertigung der Immunität sowie ihre verfassungssystematische Position im Gewaltenteilungsmodell des Grundgesetzes einschließlich deren Konsequenzen für Auslegung und Ausgestaltung des Immunitätsrechts erörtert werden. Den Abschluß des ersten Teils bildet eine Übersicht über die weit verstreuten Rechtsquellen des Immunitätsrechts. 5 BT-Ausschuß-Drs. / 11. WP / Immunität / Nr. 4. Siehe auch den Bericht des früheren Ausschußvorsitzenden Manfred SchuUe (SPD), der das Immunitätsrecht beschreibt als "ein lückenhaftes und verstreut geregeltes Rechtsgebiet ... , das weiter durchgebildet werden muß" (BT-PIPr 10. WP / 255. Sitzung vom 10. Dezember 1986/ S. 19999 (Anlg.».

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Aufgabe und Gang der Untersuchung

Der zweite Abschnitt der Untersuchung beschäftigt sich mit der Auslegung des Schutzbereichs von Art. 46 Abs. 2 - 4 GG, der dritte mit der Entscheidungspraxis des Bundestages in Immunitätsangelegenheiten. Hier wird auch auf die Entscheidungspraxis der Bundesländer und des Europäischen Parlaments eingegangen, während ansonsten die weithin dem Art. 46 GG entsprechenden Immunitätsregelungen der Länder und des Europäischen Parlaments nur am Rande Erwähnung fmden. Nach Erörterung des Verfahrens der Immunitätsaufhebung in der Parlamentspraxis des Deutschen Bundestages sowie der Vorstellung einer Reihe von Änderungs- und Ergänzungsvorschlägen enden die Betrachtungen in einem fünften Teil mit der Zusammenfassung der wesentlichen Ergebnisse. In einem Anhang fmden sich schließlich die Rechtsquellen des Immunitätsrechts und eine statistische Übersicht zu den bisherigen Immunitätsfällen des Bundestages von der 1. bis zur 11. Wahlperiode.

§ 1. Terminologische, verfassungsgeschichtliche, teleologische, verfassungssystematische und normative Grundlagen des Immunitätsrechts Im Unterschied zu den meisten einfachen Gesetzen zeichnen sich Verfassungen durch ihren fragmentarischen Charakter aus. Der Grund dafür liegt vor allem in der Absicht der Verfassungsgeber, für lange Zeiträume geltende Normen zu schaffen, im Umfang der zu regelnden Materie und in der Tatsache, daß Verfassungen politische Kompromisse in sich integrieren müssen. So werden durch Ausklammern von Problemen und offene, relativ weite Formulierungen Gestaltungsfreiräume geschaffen, bei deren späterer Ausfüllung die unterschiedlichsten politischen Zielsetzungen und Konzeptionen verwirklicht werden können 6. Auch das Immunitätsrecht in Art. 46 Abs. 2 - 4 GG ist eine in hohem Maße fragmentarische Regelung. Sie enthält eine Reihe generalklauselartiger, auslegungsbedürftiger Rechtsbegriffe wie "wegen einer mit Strafe bedrohten Handlung", "zur Verantwortung ziehen" oder "andere Beschränkungen der persönlichen Freiheit des Abgeordneten". Völlig ausgespart sind Bestimmungen über den Ablauf des Immunitätsaufhebungsverfahrens. Dieser fragmentarische Charakter geht jedoch nicht auf einen schwierigen Prozeß der Konsensfindung im Parlamentarischen Rat zurück 7. Vielmehr liegt der Grund für die offene und unvollständige Regelung der Immunität darin, daß die Vorschrift in das Grundgesetz nicht als neuartige Erscheinung aufgenommen wurde, sondern in herkömmlicher Formulierung als geschichtlich geprägtes Institut des deutschen Verfassungsrechts 8. 6

Gusy, Parlamentarischer Gesetzgeber und Bundesverfassungsgericht, S. 93 ff.

7 V gl. zu den in großer Übereinstimmung der Parteien geführten Beratungen im Parlamentarischen Rat die Nachweise bei Füßlein, Entstehungsgeschichte der Artikel des Grundgesetzes (Art. 46), in: ]öR (n. F.) 1, S. 371 - 374, und bei Pfeifer, Die parlamentarische Immunität, S. 39 - 59. 8 Bereits 1886 prophezeite deshalb Stoerck, Besprechung von v. Kissling, Die Unverantwortlichkeit der Abgeordneten, in: AöR 1 (1886), 620 (620), daß "die gesetzestechnische Unfertigkeit, welchem dem Institut der parlamentarischen Immunität anhaftet, die fragliche Materie dauernd auf der Tagesordnung der literarischen Diskussion erhalten < wird> '.

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§ I. A. Terminologische Grundlagen des Imrnunilätsrechts

Nach einer kurzen, wegen des früher sehr uneinheitlichen Sprachgebrauchs gebotenen, terminologischen Klärung soll deshalb zunächst in einem verfassungsgeschichtlichen Überblick unter anderem die sehr weitreichende Übereinstimmung des Wortlauts von Art. 46 Abs. 2 - 4 GG mit den Formulierungen seiner historischen Vorläufer in Deutschland, Belgien und Frankreich bzw. England aufgezeigt werden.

A. Tenninologische Grundlagen Abgesehen von seiner Verwendung in den Naturwissenschaften fmdet sich der Begriff "Immunität" in der juristischen Terminologie des Völkerrechts, des katholischen Kirchenrechts und des Staatsrechts. In fränkischer Zeit verstand man unter Immunität (emunitas), entsprechend der bereits dem spätrömischen Recht bekannten Immunität der Großpächter der kaiserlichen Domänen 9, ein Gebiet, das von gewissen staatlichen Einwirkungen - insbesondere öffentlichen Abgaben, Frondiensten, der allgemeinen Gerichtsbarkeit und der staatlichen Zwangsgewalt - frei blieb, und in dem der Kirche und weltlichen Grundherren staatliche Aufgaben - vor allem die Immunitätsgerichtsbarkeit - übertragen wurden 10. Diese Freistellung blieb im katholischen Kirchenrecht bis 1983 in Form eines - zuletzt allerdings nur noch formal aufrechterhaltenen - Anspruchs auf Befreiung kirchlicher Personen, Orte und Güter von weltlich-rechtlichen Abgaben, Diensten, Lasten und Eingriffen erhalten, insbesondere in bezug auf das kirchliche Asyl und die klerikalen Standesprivilegien 11. Einen ähnlichen Bedeutungsinhalt hat der Begriff der Immunität auch im Völkerrecht, wo er als persönliche (z. B. von Diplomaten oder UNO-Beamten) und sachliche Immunität (z. B. von Staatsschiffen) in verschiedenen Gebieten Verwendung findet 12.

9

Dulckeit / Schwarz / Waldstein, Römische Rechtsgeschichte, § 31, S. 231.

Conrad, Deutsche Rechtsgeschichte, S. 142 f; Miueis / Lieberich, Deutsche Rechtsgeschichte, S. 84 ff. 10

11 Der CIC von 1917 enthielt Bestimmungen zu den Standesprivilegien (Can. 120122), zur Immunität heiliger Orte (Can. 1160) und zum Asylrecht (Can. 1179). Vgl. Eichmann / Mörsdorff, Lehrbuch des Kirchenrechts, Bd. 1, S. 253 ff, Bd. 2, S. 307, 315 f; Plöchl, Geschichte des Kirchenrechts, Bd. 1, S. 184 ff; Schwendenwein, Die Rechte und Pflichten der Kleriker, in: Listl! Müller! Schmitz: Handbuch des katholischen Kirchenrechts, § 20, S. 206 ff.

12 Der völkerrechtliche Bedeutungsinhalt der Immunität kann hier nicht behandelt werden; siehe insoweit die einschlägige völkerrechtliche Literatur, z. B. Ipsen, Völkerrecht ; Verdross / Simma, Universelles Völkerrecht. Theorie und Praxis.

§ I. A. Tenninologische Grundlagen des Immunitätsrechts

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Aus jüngerer Zeit stammt dagegen die Verwendung des Begriffs "Immunität" im Parlaments- und Prozeßrecht. Ursprünglich aus der französischen Parlamentssprache kommend 13, tauchte er in Deutschland etwa ab 1880 zunächst in der Literatur 14 auf. Etwa seit 1890 benutzten ihn auch Reichstagsabgeordnete 15. Das Reichsgericht verwandte ihn erstmalig in seinem Urteil vom 25. Februar 1892 16 • Dieser Ausdruck war damals aber gemeinsamer Oberbegriff für Redefreiheit und Unverfolgbarkeit der Abgeordneten; nach der Aufnahme eines Zeugnisverweigerungsrechts für Abgeordnete in die Weimarer Reichsverfassung wurde sogar dieses Recht vielfach unter den Begriff "Immunität" gezogen. Die heute etablierte Dreiteilung in die Begriffe Indemnität, Immunität (im engeren Sinne) und Zeugnisverweigerungsrecht setzte sich erst in der Zeit des Grundgesetzes durch. Im älteren Schrifttum wurden dagegen eine Vielzahl von Bezeichnungen synonym gebraucht: das heute als Indemnität bezeichnete Recht wurde zum Beispiel als Redefreiheit, Abstimmungs- und Redefreiheit, Wortprivileg, Verantwortungs-Immunität, materielle Immunität, berufliche Immunität, parlamentarische Immunität oder Verantwortungsfreiheit bezeichnet. Für die Immunität fanden sich Bezeichnungen wie (persönliche) Unverletzlichkeit, Unantastbarkeit, Verfolgungsprivileg, Untersuchungsfreiheit, Haftfreiheit, Verfolgungsfreiheit, Verfolgungs-Immunität, Justizprivileg, formelle Immunität, außerberufliche Immunität, außerparlamentarische Immunität oder prozessuale Immunität. Dieses über ein Jahrhundert bestehende "Begriffschaos" beendete erst eine Begriffswahl Carlo Schmids während der Beratungen des Parlamentarischen 13 In Frankreich haben sich die Bezeichnungen "irresponsabilite parlamentaire" (Indemnität) und "inviolabilite parlamentaire" (Immunität) eingebürgert, in England die Bezeichnung "privilege of freedom of speech" und "privilege of freedom from arrest and molestation" , wobei sich letzteres im Umfang erheblich von den kontinentaleuropäischen Regelungen unterscheidet. 14 Fuld, Die strafrechtliche Immunität der Mitglieder des deutschen Reichstags, in: GS 35 (1883), S. 529 ; ders., Die Immunität der Mitglieder gesetzgebender Versammlungen, in: AöR 4 (1889), S. 341, S. 495, jeweils im Titel; Zimmermann, Zur Auslegung der §§ 11, 199,233 des Strafgesetzbuchs, in: GA 31 (1883), S. 197 (201).

15 Während der Immunitätsdebatte am 13. Januar 1882 über die Haftentlassung des aufgrund des Sozialistengesetzes wegen Verbreitung von Druckschriften verhafteten Abg. Dietz (SPD) gebrauchte noch keiner der Redner das Wort "Immunität", siehe RT-StenBer /5. LegPer, 11. Session 1882/83/ Bd. 69/32. Sitzung vom 13. Januar 1883/ S. 883f. Erstmals verwendeten ihn wohl Abg. Dr. Horwitz (DFrP) auf RTStenBer VIII. LegPer, 11. Session / Bd. 129/61. Sitzung vom 8. März 1893 / S. 1512 B, und Singer (SPD) auf RT-StenBer IX. LegPer, 111. Session / Bd. 138/ 10. Sitzung vom 9. Januar 1895 / S. 204 D. 16

RGSt 22,379 (Ls., durchgängig).

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§ 1. B. Verfassungsgeschichtliche Entwicklung

Rates 17, die sich wegen ihrer Einprägsamkeit trotz eines damit verbundenen Bruchs mit der früheren Umgangs- und Rechtssprache 18 schnell überall durchgesetzt hat. Der von Schmid ohne besondere Begründung eingeführte und an die fremdsprachigen Ausdrücke "indemnitas, indemnite, indemnity" anknüpfende Begriff "Indemnität" kennzeichnet zumindest den Normzweck des Art. 46 Abs. 1 GG insofern zutreffend, als daß dem Abgeordneten aus seinem Verhalten im Parlament kein Schaden oder Nachteil erwachsen soll. Im Einklang mit diesem neueren Sprachgebrauch wird im folgenden unter Indemnität die Unverantwortlichkeit des Abgeordneten für seine Amtshandlungen im Bundestag (Art. 46 Abs. 1 GG) verstanden, unter Immunität der dem Parlament garantierte Genehmigungsvorbehalt bei der Verfolgung seiner Abgeordneten oder bei ihrer freiheitsbeschränkenden Behinderung (Art. 46 Abs. 2 - 4).

B. Verfassungsgeschichtliche Entwicklung des Immunitätsrechts in England, Frankreich, Belgien und Deutschland Art. 46 Abs. 2 - 4 GG übernimmt altes, bis in die Anfange des Konstitutionalismus zurückgehendes Recht, das in Deutschland Vorläufer in den frühen Länderverfassungen, in Art. 31 RV von 1871 und in Art. 37 WRV von 1919 besitzt. Die Immunität läßt sich in Kontinentaleuropa bis in die Tage der Französischen Revolution zurückverfolgen und findet historische Vorbilder im spätmittelalterlichen England und sogar im alten Rom. Bereits in Rom hatte die Plebs durch sakralen Erbeid ihre Tribunen gegenüber jedermann für sakrosankt erklärt, in dem sie die sakralrechtliche Verpflichtung eingegangen war, jedem Angriff auf die Person eines Volkstribunen - als einer vogelfrei machenden Verletzung ihrer Gottheiten - mit der Tötung des Angreifers zu begegnen 19. Da die Nichtbeachtung der Unverletzlichkeit zum Aufstand der Plebs hätte führen können, wurde sie - obwohl eigentlich offener Widerstand gegen die Staatsgewalt - auch von den mit der Durchführung von Koerzititionsmaßnahmen beauftragten Liktoren für den Fall respektiert, daß ein Tribun 17

ParIRat-StenBer-HA /2. Sitzung vom 11. November 1948, S. 20 f.

18

Dazu v. Mangoldt / Klein, Grundgesetz, Art. 46, Anm. 11 3, S. 966 f.

19 Zum folgenden Mommsen, Römisches Staatsrecht, Bd. 2/ 1, S. 286 f, 302 ff, 305 f; Dulckeit / Schwarz / Waldstein, Römische Rechtsgeschichte, § 8, S. 44 f.

I. Verfassungsgeschichtliche Entwicklung in England

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einem bedrohten Plebejer zu Hilfe kam (sacra potestas) 20. Möglicherweise ist die Unverletzlichkeit der Volkstribunen bereits im Jahre 449 v. Chr. - lange vor Abschluß des Ständekampfes (287 v. Chr.) - sogar durch eine lex Valeria Horatia von den ordentlichen patrizischen Magistraten anerkannt worden.

I. Die Herausbildung des "privilege of freedom from arrest and molestation" in England Von größerer Bedeutung für die kontinentaleuropäische Entwicklung war das englische Parlamentsrecht. Zwar ist eine direkte Verbindungslinie zwischen dem englischen "privilege of freedom from arrest and molestation " und dem kontinentaleuropäischen, insbesondere dem französischen Immunitätsrecht - wie sie gelegentlich angenommen wird oder jedenfalls anklingt 21 - nicht nachgewiesen und wegen der verschiedenen Reichweite beider Rechtsinstitute und ihrer unterschiedlichen staatstheoretischen Herleitung wohl auch unwahrscheinlich. Doch hat die Ausformung des englischen Parlamentsrechts und die englische Verfassungstheorie - vermittelt durch die Französische Revolution von 1789 - erheblichen Einfluß auf den kontinentaleuropäischen Konstitutionalismus gehabt. Da das englische Immunitätsrecht zumindest auch rechtsvergleichend von Interesse ist, soll im folgenden auf die früheste Ausprägung und die wesentlichen Entwicklungsschritte des Rechtsinstituts im spätmittelalterlichen England eingegangen werden. 20 Auf diese sog. tribuzinische Interzession verwies der Abg. Prof Dr. Carlo Schmid (SPD) in einer leidenschaftlichen Rede anläßlich des ersten Immunitäts falls im Deutschen Bundestag: "Zu den fundamentalen Rechten: dem Recht, sich frei zu versammeln, dem Recht, Eingriffe der Exekutive - und stünde sie noch so hoch - in seinen Bestand zurückzuweisen, gehört, was man die Immunität der Abgeordneten nennt. Das alles sind mühselig unter Blut und Tränen erkämpfte Prärogativen der Parlamente. Ohne die Unantastbarkeit dieser Prärogativen kann man eine Demokratie nicht führen. Das wußten schon die Römer, und aus diesem Grunde haben sie den Volkstribun für sakrosankt erklärt: die Liktoren durften an ihn nicht rühren. Die Etappen der Entwicklung auf diesen Wegen markieren den Fortschritt der Demokratie". Vgl. BT-PIPr 1. WP /14. Sitzung vom 3. November 1949 / S. 335 A. 21 So RT-StenBer 11. LegPer / 11. Session 1874/75/ Bd. 35 /32. Sitzung vom 16. Dezember 1874/ S. 750 ff (Abg. Prof Dr. v. Gneist (NL) ; Hatschek / Kurtzig, Deutsches und Preußisches Staatsrecht, § 24, S. 515 ; Kuziatin, Die Unverantwortlichkeit der Abgeordneten, rechtsvergleichend dargestellt, S. 12 ; Magiera, in: Bonner Kommentar, Art. 46, Rdn. 6. Die hier vertretene Auffassung findet sich bei Weismann, Die strafprozessuale Privilegierung gesetzgebender Versammlungen, in: ZStrW 9 (1889), 379 (380) ; Domke, Die Immunität der Volksvertreter in rechtsvergleichender Darstellung, S.5. Vgl. auch Soulier, L'inviolabilite parlamentaire en droit francaise, S. 13.

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§ 1. B. Verfassungsgeschichtliche Entwicklung

Bemerkenswert ist zunächst, daß sich die Entwicklung des "privilege of freedom of speech", dessen Inanspruchnahme erstmals für das Jahr 1397 (Haxey's case) belegt ist, und das über Strode's case von 1512 im Jahre 1689 in Art. 9 der Bill of Rights seine endgültige Bestätigung fand 22, unabhängig von der des "privilege of freedom from arrest and molestation" vollzog. Als erster - urkundlich nachweisbarer - "Immunitätsfall" wird allgemein der Fall Bogo de Clare aus dem Jahre 1290 genannt 23: Bogo de Clare hatte dem Earl of Comwall, der sich auf dem Weg zur Ratsversammlung des Königs im Hof der Westminster Abtei befand, durch einen Vertreter eine Gerichtsladung übergeben lassen. Die Übergabe der Ladung an diesem Ort und an einen Mann, der zur königlichen Ratsversammlung ging, sah das königliche Gericht als "contemptus Regis" und "prejudicium officii predictorum Senescalli et Marescalli" an und ließ Bogo de Clare in den Tower werfen. Erst nach einer Entschuldigung und Zahlung einer Geldbuße an den König und den Earl of Comwall wurde Bogo de Clare aus dem Gefängnis entlassen.

Da das englische Parlament nicht durch einen staatsrechtlichen Akt entstanden ist, sondern sich allmählich aus dem angelsächsischen witanagemot, dem Rat der witan 24, und ab 1066 aus der normannischen curia regis entwickelt hat, besteht Einigkeit darüber, daß dieser Fall anband von Rechtsgrundlagen entschieden worden ist, die noch aus der normannischen bzw. aus der angelsächsischen Zeit stammten 25.

1. Der Schutz des angelsächsischen witanagemot und der nonnannischen curia regis Der im 6. /7. Jahrhundert entstandene Rat der witan bestand aus dem König, einigen seiner Familienangehörigen, den Prälaten und den Magnaten der 22 Siehe zur Entwicklung des privilege of freedom of speech May, Treatise on the law, privileges, proceedings and usage of parliament, (zitiert: May, Treatise on privileges), S. 77 ff; Härth, Die Rede- und Abstimmungsfreiheit der Parlaments-Abgeordneten in der Bundesrepublik Deutschland, S. 26 ff. 23 Der Fall ist wiedergegeben bei HatseIl, Precedents of Proceedings in the House of Commons under seperate Titles with observations, Bd. I, S. 4 ff; Meyer, Die Entstehung und Entwicklung des privilege of freedom from arrest and molestation und des privilege of freedom of speech des englischen Parlaments bis zum Jahre 1688 (zitiert: Meyer, Entstehung des Privilegs), S. 9.

24 Als "Witena-gemot" wird der Rat (= gemotes, Name der sächsischen Gerichtsversammlungen) der witan (= Weisen) bezeichnet. Siehe Gneist, Das Englische Parlament in tausendjährigen Wandlungen vom 9. bis zum Ende des 19.Jahrhunderts, S. 82 ; Meyer, Entstehung des Privilegs, S. 12. 25 Meyer, Entstehung des Privilegs, S. 45 ff. Vgl. auch May, Treatise on privileges, S. 97.

I. Verfassungsgeschichtliche Entwicklung in England

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Grafschaften und Provinzen. Störungen bei der Ratsversammlung waren untersagt und mit Bußgeld bedroht. Dieses Verbot wird übereinstimmend 26 aus dem germanischen Rechtsinstitut des Königsfriedens abgeleitet, wobei bereits das älteste erhaltene angelsächsische Gesetzeswerk des Königs Aethelberht (etwa 602 n.Chr.) einen ausdrücklichen Hinweis auf den Schutz der witan enthält 27. Der Königsfriede (King's peace), der sich mit dem Erstarken des germanischen Königtums möglicherweise aus dem Frieden der Volksversammlung entwickelt hat 28, schützte zunächst allein die Person des Königs, wurde aber im Laufe der Zeit auf den Ort ausgedehnt, an dem sich der König dauerhaft oder vorübergehend aufhielt (sog. Palastfrieden) und damit auch auf Personen erstreckt, die zum König kamen, um ihn zu beraten oder bei ihm Recht zu suchen 29. Da die Ratsversammlung in Anwesenheit des Königs oder wenigstens in seinem Ortsbezirk stattfand, garantierte er so die Unantastbarkeit der witan während der Dauer des witanagemot. Zusätzlichen Schutz erhielten die witan dadurch, daß sie neben ihrer beratenden Funktion auch die Aufgabe einer Gerichtsversammlung für Streitigkeiten unter Mitgliedern der Ratsversammlung wahrnahmen, und die angelsächsische Gerichtsverfassung Störungen einer Gerichtsversammlung ausdrücklich verbot. Ebenso trug das hohe Wergeld, daß der Sippe eines getöteten witan zur Abwendung der Blutrache hätte gezahlt werden müssen, zu dessen Schutz bei 30. Das angelsächsische witanagemot hat in seiner personellen Zusammensetzung und in seinem Aufgabenkreis die normannische Eroberung überlebt, da sich Wilhelm I. der Eroberer (1066 - 1087) nicht als Begründer eines neuen 26 Blair, An Introduction to Anglo-Saxon England, S. 196 (214) ; Erdmann, Die Parlamentsprivilegien der deutschen Reichs- und Landtags-Abgeordneten, S. 23 ; Gneist, Das Englische Parlament, S. 219 f; Hatschek, Englische Verfassungsgeschichte, S. 229 f; ders., Das Asylrecht des englischen Parlaments, in: AnnDR 1906, 801 (804) ; HatseIl, Precedents of Proceedings, Bd. 1, S. 1 f; May, Treatise on privileges, S. 72, 97 ; Meyer, Entstehung des Privilegs, S. 51 und S. 261 ff; Seid/er, Die Immunität der Mitglieder der Vertretungskörper nach österreichischem Rechte, S. 11 f. 27 Vgl. Liebermann, Die Gesetze der Angelsachsen, Bd. 1, S. 3 (Aethelberht von Kent, c 3 und 5). 28 Vgl. zu Inhalt und Bedeutung des Versammlungsfriedens: Schräder / Künßberg, Lehrbuch der deutschen Rechtsgeschichte, S. 27 f. 29 Planitz / Eckhardt, Deutsche Rechtsgeschichte, S. 82; Schräder / Künßberg, Rechtsgeschichte, S. 126 ; Hatschek, Das Asylrecht des englischen Parlaments, in: AnnDR 1906, 801 (804) ; Meyer, Entstehung des Privilegs, S. 34 ff.

30 Vgl. dazu die Nachweise bei Liebermann, Die Gesetze der Angelsachsen, Bd. 2, S. 731 ff. 3 Butzer

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§ I. B. Verfassungsgeschichtliche Entwicklung

Reiches, sondern als legitimer Nachfolger Edward des Bekenners betrachtete. Er arbeitete zunächst in seiner curia regis 31 mit denselben Ratgebern wie Edward und wendete in Prozessen um Landbesitz und Wegezoll nicht normannisches Recht an, sondern machte Präzedenzfälle aus angelsächsischer Zeit zur Entscheidungsgrundlage. Ebenso wie das frühere witanagemot nahm die curia regis neben der Tätigkeit als beratende Versammlung die Funktion eines höchsten königlichen Gerichtshofs wahr 32. Aufgrund dieser historischen Entwicklung ist es einhellige Auffassung, daß bis zur Zeit der Wandlung der normannischen curia in ein Parlament etwa zwischen 1250 und 1300 33 die geladenen Magnaten nicht als Versammlung direkt gesichert waren, sondern nur mittelbaren Schutz durch den Königsfrieden und die Gerichtsverfassung sowie durch das hohe Wergeld für ihre Verletzung oder Tötung genossen. Der Grund der Bestrafung Bogo de Clare 's lag deshalb sehr wahrscheinlich darin, daß er mit der Zustellung der Ladung an den Earl of Cornwall im Hof der Westminster Abtei in das Rechtsinstitut des Königsfriedens eingegriffen hatte. Für diese Interpretation spricht auch, daß das Verhalten Bogos als "contemptus regis" bezeichnet wurde, und daß das Gericht auch den Palastfrieden als verletzt ansah. Die erwähnte Verletzung von Rechten des Seneschalls und des Marschalls kann nämlich nur darin gesehen werden, daß sie beide mit der Wahrung des Palastfriedens betraut waren. 2. Die konkrete Herausbildung des Privilegs seit etwa 1400

Beginnend mit Chedder's case im Jahre 1404 ist das Bemühen des House of Commons, das sich in einer allmählichen Entwicklung etwa ab 1350 vom 31 Die große Ratsversammlung des Königs wurde im 12. / 13.Jahrhundert nachoder sogar nebeneinander als magnum concilium, curia regis, king's council oder Parlamentum (Runimede) bezeichnet. Siehe dazu Gneist, Das Englische Parlament, S. 262; Halschek, Englische Verfassungsgeschichte, S. 208, dazu Anm. S. 916 ff m. w. N. zur neueren Literatur. 32 Gneist, Das Englische Parlament, S. 146, 209 ff; Kyriazis-Gouvelis, Magna Charta. Palladium der Freiheiten oder Feudales Stabilimentum, S. 14 f; Meyer, Entstehung des Privilegs, S. 31. 33 Der Beginn dieser Entwicklung fallt in das Jahr 1254, in dem Heinrich 1Il. die bisher nur aus den Kronvasallen, den Spitzen der Geistlichkeit und den königlichen Beamten bestehende Ratsversammlung durch zwei gewählte Ritter als Vertreter jeder Grafschaft (insgesamt 37) erweiterte, um seine hohen Steuerforderungen eintreiben zu können. Die ständige Beteiligung der Vertreter der Gemeinwesen (Commons) wurde dann unter Eduard I. (1272 - 1307) ab 1295 im sog. Model Parliament erreicht. Allerdings waren curia und Parlament im Jahre 1305 im sog. Frühjahrparlament noch nicht getrennt. Siehe dazu Loewenstein, Staatsrecht und Staatspraxis von Großbritanien, Bd. 1, S. 6 ff; Gneist, Das Englische Parlament S. 271 ff; Hatschek, Englische Verfassungsgeschichte, S. 173, S. 224, dazu Anm. S. 916 m. w. N.

I. Verfassungsgeschichtliche Entwicklung in England

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House of Lords abgespalten hatte 34, zu erkennen, die Gewährleistung ihres Schutzes von dessen ursprünglichem Garanten, dem König, abzulösen. Chedder, ein Mann aus der Begleitung eines knight, war 1404 auf der Reise zum Parlament überfallen und schwer mißhandelt worden. Daraufhin richteten die Commons eine Petition an Heinrich IV. (1399 - 1413), in der sie Schutz für sich und ihre Diener auf der Reise zum und vom Parlament und die Dauer ihres Aufenthalts dort erbaten. Außerdem forderten sie Sicherungen gegen künftige Übergriffe. Heinrich IV. lud den Täter vor Gericht und versprach, bei tätlichen Angriffen auf Commons in Zukunft ebenso wie in diesem Fall zu verfahren . Petition und Antwort des Königs wurden in die Statute Roll 5 Hen. IV. c. 6 eingetragen 35.

Neben der Tatsache, daß die Antwort des Königs in einem statute festgehalten wurde, ist auch hervorhebenswert, daß das Recht erstmals nicht nur für einen Abgeordneten persönlich, sondern auch für seine Begleitung gefordert und bewilligt wurde. Diese Erweiterung des Schutzes blieb bis 1770 bestehen. Der nächste wichtige Schritt zur Ablösung des Schutzes von der Person des Königs war der Fall des Abgeordneten lohn Atwyll im Jahre 1477 36: Atwyll war während einer Parlamentssession verklagt und im Säumnisverfahren verurteilt worden, ohne daß er überhaupt Kenntnis von dem gegen ihn gerichteten Verfahren hatte. Das House of Commons berief sich in seiner Petition gegenüber König Eduard IV. (1461 - 1483) auf ein seit langem bestehendes Privileg und nicht auf bestimmte Präjudizien oder auf das im Rahmen der Petition von 1404 dargestellte Verfahren.

Mit diesem Präzedenzfall wurden die Privilegien auf den Boden eines seit alter Zeit bestehenden Gewohnheitsrechts gestellt. Zudem machten sich die Commons zum Rechtsträger des Privilegs und legten so den Grundstein für ihre spätere Berechtigung, gegen Privilegienbrüche selbst einzuschreiten. Bereits im Jahre 1429 war die Freiheit von Haft im Zwangsvollstreckungsverfahren (Schuldhaft) Gegenstand einer Petition des House of Commons 37 • 34 Den ersten Anstoß für die allmähliche Trennung des Parlaments in House of Lords (oberstes Gericht) und House of Commons (Unterhaus) gab die dem französischen Vorbild nachgeahmte Ausbildung des Pairprivilegs, wonach die Peers nur von ihresgleichen Urteil entgegennehmen wollten. Vgl. May, Treatise on privileges, S. 74 ; Gneist, Das Englische Parlament, S. 353 ff. 35 HatseIl, Precedents of Proceedings, Bd. 1, S. 15 ff; May, Treatise on privileges, S. 99 ; Meyer, Entstehung des Privilegs, S. 101 ff.

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Der Fall ist bei May, Treatise on privileges, S. 100, wiedergegeben .

37 HatseIl, Precedents of Proceedings, Bd. 1, S. 18 ff; Meyer, Entstehung des Privilegs, S. 137 ff.

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§ I. B. Verfassungsgeschichtliche Entwicklung

Larke - Diener eines Abgeordneten - war zu Schadensersatz und zu einer Geldbuße an die Krone verurteilt worden, hatte aber die Leistung nicht erbracht und war deshalb während der Sitzungsperiode des Parlaments in Schuld haft genommen worden. In ihrer Petition beriefen sich die Commons auf das Privileg des Parlaments, von jeder Inhaftierung während der Sitzung befreit zu werden. Unberührt sollte aber das Recht der Klägerin bleiben, die Zwangsvollstreckung aus dem Titel gegen Larke nach dem Ende des Parlaments weiter zu betreiben. Außerdem erhoben die Commons die Forderung, daß kein Abgeordneter oder einer seiner Begleiter während einer Parlaments session eingesperrt oder im Gefängnis gehalten werden sollte außer in den Fällen von treason, felony and surety ofthe peace.

Die in dieser Petition erstmals nachweisbare, später regelmäßig wiederkehrende Formel "except for treason, felony and surety (or breach) of the peace" 38 beschränkte den wesentlichen Anwendungsbereich des Privilegs auf das Zivilrecht, da wichtige Straftatbestände ausgenommen wurden. In Ferrer's case von 1543 konnten die Commons erstmals das Privileg der Freiheit von Schuldhaft ohne Hilfe der Krone oder der Kronbeamten als eigenes Recht durchsetzen 39. Georg Ferrer, Angehöriger des königlichen Hofes und zugleich Abgeordneter, war auf dem Weg zum Parlament aufgrund eines vollstreckbaren Titels aus einer Bürgschaftsforderung festgenommen und in ein Londoner Schuldgefängnis eingeliefert worden. Die Commons beauftragten ihren serjeant at arms mit der Befreiung Ferrers. Obwohl sich die Gefängniswärter und die beiden Sheriffs von London zunächst weigerten, Ferrer freizulassen, setzte sich das House of Commons mit Unterstützung der Lords letztendlich durch. Das Vorgehen der Commons fand die ausdrückliche Billigung Heinrichs VIII.

1603 unter Jakob I. (1603 - 1625) wurde das Privileg zum ersten Mal gesetzlich verankert 40. Gleichzeitig erlangten Ober- und Unterhaus eine beschränkte Strafjustiz ähnlich der der ordentlichen Gerichte in contempt-Fällen. Der Abgeordnete Sir Thomas Shirley wurde kurz nach seiner Wahl und vor Beginn des Parlaments wegen einer Geldschuld in London in Vollstreckungshaft genommen. Die Commons forderten daraufhin vom Aufseher des Gefängnisses die Freilassung Shirleys und nahmen den Aufseher, als dieser sich weigerte, in Beugehaft. 38 Meyer, Entstehung des Privilegs, S. 142 ff übersetzt dies mit "Hochverrat, Kapitalverbrechen und dr