Möglichkeiten und Grenzen der Befristung parlamentarischer Gesetzgebung [1 ed.] 9783428496495, 9783428096497


138 58 15MB

German Pages 135 Year 1999

Report DMCA / Copyright

DOWNLOAD PDF FILE

Recommend Papers

Möglichkeiten und Grenzen der Befristung parlamentarischer Gesetzgebung [1 ed.]
 9783428496495, 9783428096497

  • 0 0 0
  • Like this paper and download? You can publish your own PDF file online for free in a few minutes! Sign Up
File loading please wait...
Citation preview

Schriften zum Öffentlichen Recht Band 780

Möglichkeiten und Grenzen der Befristung parlamentarischer Gesetzgebung

Von Antonis Chanos

Duncker & Humblot · Berlin

ANTONIS CHANOS

Möglichkeiten und Grenzen der Befristung parlamentarischer Gesetzgebung

Schriften zum Öffentlichen Recht Band 780

Möglichkeiten und Grenzen der Befristung parlamentarischer Gesetzgebung

Von Antonis Chanos

Duncker & Humblot · Berlin

Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Chanos, Antonis: Möglichkeiten und Grenzen der Befristung parlamentarischer Gesetzgebung / von Antonis Chanos. - Berlin : Duncker und Humblot, 1999 (Schriften zum öffentlichen Recht ; Bd. 780) ISBN 3-428-09649-5

Alle Rechte vorbehalten © 1999 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fotoprint: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0582-0200 ISBN 3-428-09649-5 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706 Θ

Vorwort Die rechtsstaatliche parlamentarische Gesetzgebung im Bereich des öffentlichen Rechts verstand sich für lange Zeit als Setzung von Recht „auf Dauer". Mit dem Übergang vom liberalen zum sozialen Rechtsstaat wurde auch ein Funktionswandel der parlamentarischen Gesetzgebung vollzogen. Nicht zuletzt mit der allmählichen Etablierung eines anderen, instrumentellen und funktionsbedingten Verständnisses des Gesetzes in der Rechts- und Gesetzgebungspraxis des öffentlichen Rechts wurde deutlich, daß parlamentarische Gesetze durchaus Regelungen „auf Zeit" enthalten können und gegebenenfalls — unter gesetzgebungspolitischen Aspekten gesehen — auch sollten. Die parlamentarische Gesetzgebung eines staatlich organisierten Rechtssystems, wie sie heute in einer spätindustriellen Risiko- und Informationsgesellschaft wirkt, muß — auch und gerade ihrem eigenen Selbstverständnis entsprechend - dieser Gesellschaft flexible normative (Zeit-)Strukturen vorgeben, um die gesellschaftlichen Prozesse effektiv und zeitgerecht steuern zu können. Andererseits ist der Gesetzgeber aber auch immer mehr darauf angewiesen, die Zeitstrukturen der jeweiligen gesellschaftlichen, zum Beispiel wirtschaftlichen, Sachbereiche, die er normativ zu steuern sucht, in seine Regelungen zu übernehmen oder zumindest zu berücksichtigen. Das rechtspolitische Desiderat einer Verschlankung der staatlichen Tätigkeit auch im Bereich der parlamentarischen Gesetzgebung sowie einer größeren Effektivierung legislativer Steuerung legt auch die intensivere Zeitgebundenheit gesetzlicher Normtexte nahe. Fristsetzung als Element legislativer Steuerung wird heute im Bereich des öffentlichen Rechts, insbesondere des Verwaltungsrechts, immer häufiger eingesetzt. Dennoch ist der Einbau von Befristungen in die Geltungs- und Verbindlichkeitsstruktur legislativer Akte im öffentlichen Recht bislang kaum Gegenstand dogmatischer Auseinandersetzung geworden. Im folgenden soll deshalb versucht werden, dieser Forderung der staats- und verwaltungsrechtsdogmatischen Diskussion nachzukommen. Angesichts der immer häufigeren Verwendung und Verbreitung der Befristung gesetzlicher Normtexte als Instrument normativer Steuerung und Kontrolle parlamentarischer Gesetzgebung erscheint es erforderlich, die Betrachtung auf ein bestimmtes Referenzgebiet des Allgemeinen Verwaltungsrechts zu beschränken. Kaum in einem anderen sozialen Bereich ist heute die Erkenntnis gegenwärtiger, daß Gesetzgebung und Gesellschaft unterschiedlichen Zeitrythmen unter-

Vorwort

6

liegen, als im Bereich der Wirtschaft. Aus diesem Grund wird der Bedarf einer Angleichung des Rhythmus gesetzgeberischer Tätigkeit an den der gesellschaftlichen Prozesse gerade im Bereich der Wirtschaft als besonders dringlich empfunden. Die Rolle der Befristung von Gesetzestexten als Mittel zur Erreichung einer solchen Angleichung im Bereich des öffentlichen Wirtschaftsrechts ist bislang dennoch kaum untersucht worden. Ziel dieser Arbeit ist es deshalb, am Beispiel des öffentlichen Wirtschaftsrechts und insbesondere des Wirtschaftsverwaltungsrechts, Grundlagen und Grenzen der Befristung parlamentarischer Gesetzgebung in verfassungs- und verwaltungsrechtsdogmatischer sowie rechtsvergleichender Perspektive zu untersuchen. Die Anregung zur Auseinandersetzung mit dem Thema geht auf einen Vorschlag von Herrn Professor Dr. Martin Schulte, Direktor des Instituts für Technik- und Umweltrecht der Juristischen Fakultät der TU Dresden, zurück, als dessen wissenschaftlicher Assistent ich tätig bin. Dafür sowie für die vielfältige, großzügige Unterstützung, die mir während der Durchführung der Untersuchung zuteil wurde, bin ich ihm zu großem Dank verpflichtet. Meinen verehrten Lehrern, Herrn Professor Dr. Dr. Dr. h.c.mult. Werner Krawietz (Münster) und Herrn Professor Dr. Johannes Strangas (Athen), habe ich für fortwährende Unterstützung sehr zu danken. Herrn Prof. Krawietz danke ich insbesondere im Zusammenhang mit dieser Arbeit für wertvolle Förderung und Diskussionsbereitschaft, Herrn Prof. Strangas für seine Offenheit und wertvolle Hinweise. Nicht zuletzt möchte ich Herrn Professor Dr. h.c. Norbert Simon, dem Geschäftsführer des Verlages Duncker & Humblot, für sein Entgegenkommen und seine Bereitschaft, diese Studie in die Reihe „Schriften zum Öffentlichen Recht" aufzunehmen, sehr danken. Dresden, im September 1998

Antonis Chanos

Inhaltsverzeichnis

Α. Einleitung

11

Β. Begriffliche Abgrenzungen

18

I. Vorüberlegungen zum begrifflichen Rahmen

18

1. Allgemeines

18

2. Z u m Begriff des zeitlichen Geltungsbereichs gesetzlicher Normtexte

20

3. Z u m

Begriff

des

zeitlichen

Verbindlichkeitsbereichs

gesetzlicher

Rechtsnormen

21

4. Z u m Begriff der Wirksamkeit gesetzlicher Rechtsnormen

24

II. Abgrenzung des Themas

25

1. Zeitgeprägte legislative Maßnahmen, die keine Zeitgesetze darstellen

.

25

2. Zeitgeprägte legislative Maßnahmen, die keine ZW/gesetze darstellen

.

28

a) Abgrenzung v o m Begriff des Maßnahmegesetzes

28

b) Abgrenzung v o m Begriff des vorläufigen Gesetzes

30

c) Abgrenzung v o m Begriff des Experimentiergesetzes

33

C. Befristung gesetzlicher Normtexte als Mittel normativer Steuerung und Selbstkontrolle parlamentarischer Gesetzgebung am Beispiel des öffentlichen Wirtschaftsrechts I. Befristetes Gesetzesrecht als M i t t e l normativer Steuerung

37 37

1. Allgemeines

37

a) Fristsetzung als Element materialer und prozeduraler Steuerung i m Verwaltungsrecht

37

b) Insbesondere: Normative Steuerung durch Befristung von Gesetzesnormen

38

aa) Normative Steuerung durch Zeitgesetze i m engeren Sinne

...

42

bb) Normative Steuerung durch Zeitgesetze i m weiteren Sinne . . .

46

8

Inhaltsverzeichnis 2. Befristung des Geltungs- und Verbindlichkeitsbereichs normen am Beispiel des öffentlichen Wirtschaftsrechts

von Gesetzes47

a) Befristung des Geltungsbereichs öffentlicher Wirtschaftsgesetze b) Befristung des Vcrbindlichkcitsbereichs setze

öffentlicher

...

50

Wirtschaftsge51

II. Befristetes Gesetzesrecht als Mittel (institutionalisierter) Selbstkontrolle parlamentarischer Gesetzgebung

normativer 54

1. Allgemeines

54

2. Einzelfragen der (institutionalisierten) normativen Selbstkontrolle der parlamentarischen Gesetzgebung durch befristetes Gesetzesrccht . . . .

55

a) Erscheinungsformen legislativer Erfolgskontrolle

55

b) Subjekt legislativer Erfolgskontrolle

59

c) Gegenstand legislativer Erfolgskontrolle

61

d) Zwischenergebnis

62

D. Verfassungsrechtliche Rahmenhedingungen und Grenzen befristeter Gesetzgebung am Beispiel des öffentlichen Wirtschaftsrechts I. Verfassungsrechtliche

63

Anforderungen an die befristete Gesetzgebung aus

dem Prinzip der Rechtssicherheit

63

1. Gebot der Klarheit und Bcreehcnbarkcit

63

2. Zur Bestandskraft und „Gesetzeskraft'' legislativer Rechtsnormen . . . .

64

3. Beeinträchtigung der Rcchtssichcrheit durch befristete Gesetze?

65

a) Zur verfassungsrechtlichen zen

Zulässigkeit der Befristung von Geset65

b) Fragen der Selbstbindung des Gesetzgebers an befristete Gesetze . .

71

II. Verfassungsrechtliche Anforderungen an die befristete Gesetzgebung aus dem Prinzip des Vertrauensschutzes

74

1. Vorbemerkung

74

2. Befristete Gesetzgebung als Grundlage für den Ausschluß bzw. die Begrenzung eines (auf unbestimmte Dauer angelegten) „Gcltungsvcrtrauens"

77

3. Befristete Gesetzgebung als Grundlage für die Schaffung rechtcrhallung eines (gesteigerten) Kontinuitätsvertraucns

80

4. Insbesondere: Befristete Subventionsrecht

Gesetzgebung

als

und

Vcrtraucnsgrundlagc

Auf-

im

III. K o n f l i k t der Prinzipien der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes mit dem Grundsatz der Effizienz und anderen Vcrfassungsgütcrn

82

85

Inhaltsverzeichnis IV. Verfassungsrechtliche

Anforderungen an die befristete Gesetzgebung aus

dem allgemeinen Gleichheitssatz

91

1. Zur Zulässigkeit des Erlasses befristeter

Gesetze unter dem

Aspekt

des allgemeinen Gleichheitssatzes 2. Zulässigkeit

der vorfristigen

91

Außerkraftsetzung

bzw. Änderung

befristeten Gesetzen unter dem Aspekt des allgemeinen

von

Gleichheits-

satzes?

93

V. Zwischenergebnis

95

E. Rechtsvergleichende Überlegungen

97

I. D i e sog. „sunset legislation" in den Vereinigten Staaten von A m e r i k a

. .

1. Zur Entstehung des Sunset-Konzepts

98 98

2. D i e grundlegenden Bestandteile des Sunset-Konzepts

100

a) Gemeinsame M e r k m a l e der bundesstaatlichen Sunset-Ansätze

. . . .

100

b) Unterschiede zwischen den bundesstaatlichen Sunset-Ansätzen

...

101

3. Z u r Diskussion über „sunset legislation" i m US-amerikanischen

Bun-

desrecht

102

4. Z u r heutigen Bedeutung und Relevanz der „sunset legislation" in den USA

103

II. Vergleich der Erfahrungen m i t der „sunset legislation" in den U S A und der befristeten Gesetzgebung in der Bundesrepublik Deutschland 1. Besonderheiten

des US-amerikanischen

105

Gesetzgebungs- und

Verwal-

tungssystems 2. Vergleich rechts-

105

des

und

US-amerikanischen

gesetzespolitischen

Sunset-Konzepts

Bestrebungen

um

mit einen

neuesten rationalen

Einsatz parlamentarischer Gesetzgebung auf Zeit in der Bundesrepub l i k Deutschland

107

I I I . Zwischenergebnis

109

F. Zusammenfassung und Ausblick

111

Literaturverzeichnis

115

Sachwortverzeichnis

130

Α. Einleitung Das Thema der befristeten parlamentarischen Rechtsetzung hat neuerdings rechts- und gesetzgebungspolitische Aktualität erlangt. Zu den Beschlüssen des Sachverständigenrates „Schlanker Staat"1, der sich am 21. September 1995 konstituierte, gehörte nämlich auch die Empfehlung, für gesetzgeberische Vorhaben einen Testkatalog einzuführen. Dabei sollte die Möglichkeit einer Befristung von Rechtsvorschriften verstärkt in Betracht gezogen werden.2 Der Gesetzgeber solle nach Auffassung des Sachverständigenrats verstärkt die Möglichkeit nutzen, gesetzliche Regelungen von vornherein zeitlich zu befristen. Dies gelte jedenfalls dann, wenn die Regelung erkennbar auf zeit- bzw. situationsbezogenen Anlässe beruhe. Der Gesetzgeber solle gezwungen sein, nach einem gewissen Zeitablauf zu prüfen, ob weiterhin Bedarf für die Regelung bestehe. Die Entscheidung über die Verlängerung des Gesetzes biete zugleich die institutionalisierte Möglichkeit der Prüfung, ob das Gesetz im bisherigen Gesetzesvollzug Schwachstellen etc. aufgewiesen habe, die anläßlich der Verlängerungsentscheidung „ausgemerzt" werden könnten.· Der Gesetzgeber wäre damit zu einer periodischen Erfolgs- und Wirkungskontrolle seiner Gesetzgebung verpflichtet; eine Verlängerung der gesetzlichen Regelung käme nur in Betracht, wenn sowohl der bisherige Erfolg wie auch ein weiteres Bedürfnis für diese Regelung nachgewiesen wären. 4 Es solle also bei der Vorbereitung von Gesetzen „in der Regel eine zeitliche Befristung eines Gesetzes erwogen werden" 5. Parlamentarische Gesetzgebungsakte sollten früher - und sollen auch heute noch - als grundsätzlich dauerhafte, auf unbestimmte Dauer angelegte Regelungen gelten. In der „paradoxen Form zeitlich unbeschränkter, aber stets widerruflicher Geltung" 6 sollen Parlamentsgesetze nach dieser Auffassung rechtliche Kontinuität und Dauerhaftigkeit im Sinne zeitlicher Allgemeinheit der 1 Sachverständigenrat „Schlanker Staat" (Hrsg.), Abschlußbericht, Bd. I (Bonn 1997). S. hierzu im allgemeinen Meyer-Teschendorf/Hofmann, Zwischenergebnisse des Sachverständigenrats „Schlanker Staat". Qualifizierte Aufgabenkritik - Testkatalog für den Gesetzgeber - Flexibilisierung des Haushaltswesens, DÖV 1997, S. 268-277. 2

Sachverständigenrat „Schlanker Staat" (Hrsg.), Abschlußbericht, S. 21.

3

Sachverständigenrat „Schlanker Staat" (Hrsg.), Abschlußbericht, S. 21.

4

Sachverständigenrat „Schlanker Staat" (Hrsg.), Abschlußbericht, S. 23.

5

Sachverständigenrat „Schlanker Staat" (Hrsg.), Abschlußbericht, S. 203.

12

Α. Einleitung

formellen Geltung und der normativen Verbindlichkeit gewährleisten. Die prinzipiell unbegrenzte Geltungsdauer wird in der staatsrechtlichen Lehre vom Gesetz als ein konstitutives Element des sogenannten „klassischen" Gesetzes im Sinne einer dauerhaft konzipierten, generell-abstrakten Regelung verstanden.7 Die Unbestimmtheit der gesetzlichen Geltungsdauer läßt sich, so gesehen, als der zeitliche Aspekt des Postulats der Allgemeinheit des Gesetzes konzipieren. 8 So wurden formelle Gesetze insbesondere mit Blick auf die Policey- und Eingriffsgesetzgebung des liberal-demokratischen Rechtsstaates typischerweise als Dauergesetze betrachtet.1' Die Idee des Gesetzes sei, so Kägi, „zwingend verbunden mit der Vorstellung der Dauer." 10 Die Gesetzgebung auf Zeit sei eine contradictio in adiecto." Mit dem Übergang vom liberalen zum sozialen Rechtsstaat wurde auch ein Funktionswandel der parlamentarischen Gesetzgebung vollzogen. 12 Dieser Funktionswandel brachte es mit sich, daß auch in der Staatslehre und der Rechts- und Gesetzgebungstheorie vom Dogma der Allgemeinheit des Gesetzes überhaupt und insbesondere auch der zeitlichen Allgemeinheit im Sinne einer grundsätzlichen Dauerhaftigkeit, bereits deutlich Abstand genommen wurde, 13 obgleich noch nicht von einem endgültigen Abschied die Rede sein kann. 14 Das ft Siehe Hofmann , Das Postulat der Allgemeinheit des Gesetzes, in: ders., Verfassungsrechtliche Perspektiven. Aufsätze aus den Jahren 1980-1994, S. 2 6 0 - 2 9 6 , 284f. (= Starck [Hrsg.], Die Allgemeinheit des Gesetzes, S. 9 - 4 8 , 35). 7 Vgl. statt vieler Dreier, in: ders. (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, Bd. I, Art. 19 Rn. 2 (m.w.N.).

* Hofmann, Das Postulat der Allgemeinheit des Gesetzes, in: ders.* Verfassungsrechtliche Perspektiven. Aufsätze aus den Jahren 1980-1994, S. 2 6 0 - 2 9 6 , 284f. Schmitt, Die geistesgeschichtliche Lage des heutigen Parlamentarismus, S. 52ff. 10

Kägi, Die Verfassung als rechtliche Grundordnung des Staates. Untersuchungen über die Entwicklungstendenzen im modernen Verfassungsrecht, S. 51 : Die Beständigkeit erst mache die N o n n zur generell-abstrakten im eigentlichen Sinne. „ W o die Satzungen sich im schnellen Wechsel ablösen, verlieren sie den Charakter von Gesetzen im rechtsstaatlichen Sinne. Selbst wenn sie den generell-abstrakten Charakter inhaltlich wahren, werden sie doch mehr und mehr zu blossen Massnahmen." 11

Kägi, Die Verfassung als rechtliche Grundordnung des Staates. Untersuchungen über die Entwicklungstendenzen im modernen Verfassungsrecht, S. 111. 12 S. aus der Sicht der Staats- und Verfassungslehre Denninger, Staatsrecht. Einführung in die Grundprobleme des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland, 1. Die Leitbilder: Leerformeln? Lügen? Legitimationen?, S. 11 Off.; Hesse, Grundzüge, Rn. 506; vgl. in rechtsund gesetzgebungstheoretischer Perspektive Öhlinger, Das Gesetz als Instrument gesellschaftlicher Peroblcmlösung und seine Alternativen. Skizzen zu einer Grundfrage der Gesetzgebungstheorie, in: ders. (Gesamtredaktion), Methodik der Gesetzgebung. Legistische Richtlinien in Theorie und Praxis, S. 1 7 - 4 9 , 17ff.

'· Siehe Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Bd. I, S. 826f. 14 Vgl. Winkler, Zeit, S. 240 („Die unbegrenzte Dauer von Gesetzen, im Grunde eine Art von sinnhafter Zukunftsoffenheit, ist kein besonderes Verfassungsprinzip, sondern eine allgemeine Eigenheit des positiven Rechts"). Das „grundsätzlich zukunftsoffene Ende der Ver-

Α. Einleitung

„klassische" Gesetz erweist sich bei genauerer retrospektiver Sicht nunmehr als „historische Fiktion". 15 Der Erlaß allgemeiner parlamentarischer Gesetze von prinzipiell unbegrenzter Dauer entpuppt sich, rechts- und gesetzgebungshistorisch betrachtet, als ein zeitbedingtes politik- und staatstheoretisches Postulat, nämlich ein Postulat des politischen Liberalismus und seiner Staatslehre. So gesehen, war „die historische Realität insbesondere der konstitutionellen Epoche Deutschlands ... keineswegs von dieser Art Normsetzung allein geprägt, sondern kannte (bei fließendem Übergang von angeblich konkreter Verordnung und abstraktem Gesetz) ... Sonder- und Änderungs-, Maßnahme- und Zeitgesetze."16 Das Ideal der Dauerhaftigkeit gesetzgeberischer Lösungen beruhte, so Esser, „in jener keineswegs krisenfreien Epoche gerade auf der ,Lebensfremdheit4 der idealistischen Lösungen, die an den Alltagsfragen, aber auch an den zentralen Wirtschafts- und Sozialproblemen vorbeigehen zu können glaubte" 17 . Nicht nur die staatspolitisch bedingte Euphorie der politischen Einigung und Größe dürfte insbesondere im letzten Drittel des vorigen Jahrhunderts, also in der Zeit der „gern als klassisch bezeichneten großen Ordnungsgesetze" und Kodifikationen, ein „Zukunftsvertrauen in die Kontinuität rechtlicher Problemstellungen und Lösungen" vermittelt haben.18 Den Blick vom kontingenten, fragmentarischen und periodischen Charakter der parlamentarischen Rechtsetzung im demokratischen Rechtsstaat verstellt haben dürfte auch der Anschein der legislativen Betätigung als einer grundsätzlichen Verwirklichung fundamentaler, ihrerseits als ewig geltend betrachteter Prinzipien. 19 Das parlamentarische Gesetz wird heute hingegen nicht mehr als prinzipiell auf Dauer bindlichkeit von Sinngehalten" entspreche im allgemeinen dem Wesen eines Gesetzes, ebd., S. 202. Vgl. bereits ders., Gesetzgebung und Verwaltungsrecht, in: Winkler/Schilcher (Gesamtred.), Gesetzgebung, S. 102f. über die „eigentliche Funktion des Gesetzes: tragende Form der Rechtsordnung von einer verhältnismäßigen, grundsätzlichen Dauerhaftigkeit und Bestandskraft zu sein, und dadurch die Beziehungen zwischen den Menschen auf weitere Sicht zu stabilisieren und somit den eigentlichen Wert des Rechts zu verwirklichen, der in der Verläßlichkeit und in der Berechenbarkeit der Ordnung und in der anhaltenden Befriedung des Zusammenlebens der Menschen" liege. Vgl. ferner die sehr pointierte Ablehnung einer Gesetzgebung auf Zeit von Leisner, „Gesetz wird Unsinn ...". Grenzen der Sozialgestaltung im Gesetzesstaat, DVB1. 1981, S. 8 4 9 - 8 5 7 , 855: zugunsten einer „Zukunftssicherheit" der Gesetze „sollten (seil. Gesetze) eben gerade nicht experimentieren, nicht,auf Zeit' erlassen werden". Wröblewski, Einführung in die Gesetzgebungstheorie, S. 33 formuliert folgende „generelle Direktive der Dauerhaftigkeit der normativen Akte": „ D i e Rechtsvorschriften sollten so formuliert werden, daß sie während einer genügend langen Zeitperiode nicht wegen der dann eingetretenen mangelnden Anpassung zum Kontext der funktionalen Rechtsanwendung ihre Änderung verlangen, wobei ihre Auslegung die durch die anerkannten normativen Auslegungstheorien zugelassenen Rahmen überschreiten soll." 15

Dreier, in: ders. (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, Bd. I, Art. 19 Rn. 2.



Dreier,

in: ders. (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, Bd. I, Art. 19 Rn. 2.

17

Esser, Gesetzesrationalität im Kodifikationszeitalter und heute, in: ders., Wege der Rechtsgewinnung. Ausgewählte Aufsätze, S. 2 3 5 - 2 6 2 , 241. 18 Esser, Gesetzesrationalität im Kodifikationszeitalter und heute, in: ders., Wege der Rechtsgewinnung. Ausgewählte Aufsätze, S. 2 3 5 - 2 6 2 , 237.

14

Α. Einleitung

angelegte Regelung angesehen. Vielmehr werden Geltung, Verbindlichkeit und Wirksamkeit mehr denn je als notwendig zeitgebundene Eigenschaften des Gesetzes betrachtet. 20 Der Wandel der Gesetzesrationalität auch im Hinblick auf seine temporale Allgemeinheit, der von der Staats- und Gesetzgebungslehre des sozialen, interventionsfreudigen Rechtsstaates diagnostiziert wird, 21 bedeutet nicht nur, daß die Zeitbezogenheit allen Rechts, insbesondere auch des in den staatlich organisierten Rechtssystemen der modernen Gesellschaft vom parlamentarischen Gesetzgeber auf Dauer gesetzten Rechts, - aus der rechts- und gesetzgebungsw/ssenschaftlichen Perspektive aus betrachtet - nunmehr evident wird; es bedeutet insbesondere und vor allem auch, daß - rechts- und gesetzgebungspratoc// gesehen — der Gesetzgeber häufiger denn je Gesetzesvorschriften mit nur zeitweiliger, ja befristeter Gültigkeit erläßt. In diesem Sinne wird heute ein mit dem durch die veränderten Rahmenbedingungen des Verwaltungshandelns hervorgerufenen Wandel der Handlungsformen im Öffentlichen Recht22 einhergehender „Trend vom dauerhaftem Recht zum Recht auf Zeit" festgestellt. 23 Aus dem dominierenden Charakter heutiger Anpassungsgesetzgebung lasse sich schließen, daß „Gesetze heute durchweg prinzipiell als Instrumente auf Zeit anzusehen" seien.24 Im leistenden, verteilenden und gestaltenden Sozialstaat des 19 Mengel, Gesetzgebung und Verfahren. Ein Beitrag zur Empirie und Theorie des Gesetzgebungsprozesses im föderalen Verfassungsstaat, S. 319; Kägi, Die Verfassung als rechtliche Grundordnung des Staates. Untersuchungen über die Entwicklungstendenzen im modernen Verfassungsrecht, S. 32f. ( „ M i t der Relativierung [und schließlich Nihilisierung] der Werte aber entfallt die entscheidende innere Gewähr für die Festigkeit und Dauer, ohne die das Gesetz seinen Sinn verliert. Die sich im raschen Wechsel folgenden Erlasse der Legislative haben, auch wo die generelle-abstrakte Form gewahrt bleibt, bloss noch formale Gesetzesqualität"). Vgl. aber auch Zeidler, Maßnahmegesetz und „klassisches" Gesetz, S. 126, der mit Blick auf das Merkmal der Dauerhaftigkeit und Unbestimmtheit der Gesetzesgeltung in der staatsrechtlichen Lehre vom Gesetz in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts zu der Schlußfolgerung kommt, daß das an sittlichen Werten orientierte und auf Dauer angelegte Gesetz „das Ideal vieler, keineswegs aber aller" war. 20

Winkler,

Zeit, S. 229ff.

21

Zum Zusammenspiel von staatlicher Dauerintervention, Steigerung der Staatsaufgaben und dem neuen Stil der Gesetzgebung im Interventionsstaat in historischer Perspektive s. Stolleis, Die Entstehung des Interventionsstaates und das öffentliche Recht, Z N R 11 (1989), S. 1 2 9 - 1 4 7 , insbes. S. 136, 138f. 22 S. dazu Di Fabio , Risikoentscheidungen im Rechtsstaat. Zum Wandel der Dogmatik im öffentlichen Recht, insbesondere am Beispiel der Arzneimittelüberwachung, S. Iff., 445ff.; Schulte. Schlichtes Verwaltungshandeln. Verfassungs- und verwaltungsrechtsdogmatische Strukturüberlegungen am Beispiel des Umweltrechts, S. Iff. m.w.N., passim. 23 Ritter, Das Recht als Steuerungsmedium im kooperativen Staat, in: Grimm (Hrsg.), Wachsende Staatsaufgaben - sinkende Steuerungsfähigkeit des Rechts, S. 69 - 112, 83; Wolf, Zur Antiquiertheit des Rechts in der Risikogesellschaft, Leviathan 15 (1987), S. 3 5 7 - 3 9 1 , 387. 24

Schulze-Fielitz,

Theorie, S. 138.

Α. Einleitung

Grundgesetzes ergebe sich „durchaus ein unabweisbares Bedürfnis" für gesetzliche Regelungen auch begrenzter Geltungsdauer.25 Insbesondere auch das Recht der Risikoverwaltung sei Recht auf Zeit. 26 Die Rede ist nunmehr von einer „von vornherein limitierten Geltungszuschreibung und Wirkungserwartung" des Gesetzes.27 Das Gesetz habe in der Realität des Pluralismus keine „befriedende" Wirkung in dem Sinne, daß „ein Sachverhalt potentiell ,für alle Zeit 4 , praktisch jedenfalls für lange Zeit abschließend geregelt" sei. Gesetze würden nur als „durch den parlamentarischen Mehrheitsbeschluß vorläufig festgehaltene Absichten und Erwartungen" empfunden. Eine besondere Ausdrucksform der Zeitlichkeit der Geltung und Verbindlichkeit der parlamentarischen Gesetze ist die Festlegung des Zeitpunkts des Inkrafttretens und Außerkrafttretens gesetzlicher Regelungen.28 Mit den Begriffen „befristetes parlamentarisches Gesetz" bzw. „Zeitgesetz", die das Thema dieser Abhandlung bezeichnen sollen, soll in den folgenden Ausführungen insbesondere das hinsichtlich seines Außerkrafttretens und, genauer gesprochen, seiner Geltungs- bzw. Verbindlichkeitsbeendigung, befristete Gesetz verstanden werden. Der parlamentarische Gesetzgeber trifft seine Akte im allgemeinen auch heute noch nicht mit einer (ausdrücklichen oder stillschweigenden) Maßgabe, die das Ende der Geltung bzw. Verbindlichkeit mit einem bestimmten Datum oder den voraussehbaren, zeitlich möglichst genau fixierbaren Eintritt eines Ereignisses verknüpft. Auch heute ergehen formelle Gesetze daher meist nicht als befristete Gesetze, sondern als Dauergesetze. Die rechts- und gesetzgebungsatsächliche Feststellung, „allemal" erfolge Gesetzgebung „heute läge- und zeitbedingt" 29 muß nicht zu dem Schluß führen, der Begriff des allgemeinen Gesetzes sei durch den des Zeitgesetzes historisch überholt. 30 Die sogenannten klassischen Rechtsgesetze gelten „weiterhin als Übungs- und Testgelände für die juristische Urteilskraft und Gedankenschärfe ... und (behalten) damit im justizförmigen Denken eine zentrale Stellung".31 Das sog. Zeitgesetz bildet, so eine im Schrifttum häufig anzutreffende Auffassung, die „— wegen der Möglichkeit 25

Dreier,

in: ders. (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, Bd. I, Art. 19 Rn. 2.

26

So Di Fabio , Risikoentscheidungen im Rechtstaat. Zum Wandel der Dogmatik im öffentlichen Recht, insbesondere am Beispiel der Arzneimittelüberwachung, S. 307. 27

Dazu und zum folgenden siehe Zeh, Gesetzgebung, S. 16.

2H

S. etwa Winkler, Zeit, S. 194ff.; mit Blick auf die Gesetzgebung im öffentlichen Wirtschaftsrecht s. Oertel, Der Zeitfaktor im öffentlichen Wirtschaftsrecht, S. 13ff., 41 ff. 29 Grawert, Gesetz und Gesetzgebung im modernen Staat, Jura 1982, S. 2 4 7 - 2 5 5 , 3 0 0 - 3 0 9 , 307. 30 Grawert, Historische Entwicklungslinien des neuzeitlichen Gesetzesrechts, Der Staat 11 (1972), S. 1 - 2 5 , 25. Ή Esser, Gesetzesrationalität im Kodifikationszeitalter und heute, in: ders., Wege der Rechtsgewinnung. Ausgewählte Aufsätze, S. 2 3 5 - 2 6 2 , 237.

16

Α. Einleitung

jederzeitiger Derogation - seltene und als solche ohne weiteres akzeptierte Ausnahme" 2 . Bereits im Jahre 1973 ist von Scheuner auf das Fehlen einer „Theorie der Beendigung der Gesetzesgeltung" als Defizit der Lehre vom Gesetz hingewiesen worden. 33 Bis heute hat sich an dieser Situation kaum etwas geändert. 34 Ziel der vorliegenden Abhandlung ist es, mit Bezug auf die parlamentarische Rechtsetzung im Bereich des Verwaltungsrechts, insbesondere des Wirtschaftsverwaltungsrechts, rechts- und gesetzgebungstheoretische, rechtsvergleichende und verfassungstheoretische Ansätze für eine Abhilfe zu bieten. Dementsprechend ist im folgenden zunächst deutlich zu machen, was unter Zeitgesetz zu verstehen ist. Dabei sollen Überlegungen zum begrifflichen Rahmen vorangestellt werden, die in einem zweiten Schritt zu der thematischen Abgrenzung der Erscheinungsform des befristeten parlamentarischen Gesetzes von anderen Formen legislativer Betätigung führen, die besonders zeitgeprägt bzw. -gebunden sind (unter B.). Bei näherer Betrachtung erweist sich die Befristung gesetzlicher Nonntexte, gesetzestechnisch gesehen, einerseits als Instrument gesetzesnormativer Steuerung, andererseits als Instrument zur Institutionalisierung einer legislativen Wirksamkeits- und Erfolgskontrolle des Gesetzes und somit einer normativen Selbstkontrolle parlamentarischer Rechtsetzung. Dementsprechend ist sodann (unter C.) die Befristung gesetzlicher Normtexte auf diese beiden Funktionen zu untersuchen. Auf die Frage nach den verfassungsrechtlichen Rahmenbedingungen und Grenzen befristeter Gesetzgebung am Beispiel des Wirtschaftsverwaltungsrechts ist sodann einzugehen. Dabei sind insbesondere die verfassungsrechtlichen Anforderungen zu untersuchen, die aus den Grundsätzen der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes an die Befristung des Außerkrafttretens gesetzlicher Regelungen gestellt werden (unter D.) Rechtsvergleichende Analysen, insbesondere zum Phänomen der sogenannten „sunset legislation", einer Reformbewegung des US-amerikanischen Gesetzgebungs- und Verwaltungssystems, die die vorgreifende Bestimmung der Gel32 Hofmann , Das Postulat der Allgemeinheit des Gesetzes, in: ders., Verfassungsrechtliche Perspektiven. Aufsätze aus den Jahren 1980-1994, S. 2 6 0 - 2 9 6 , 285 (= Starck [Hrsg.], Die Allgemeinheit des Gesetzes, S. 9 - 4 8 . 35). S.a. Winkler, Zeit, S. 240 („Die echten Zeitgesetze sind sachlich gebotene und vertretbare Ausnahmen") sowie S. 202: In den meisten Rechtsmaterien sei die ausdrückliche Befristung eines Gesetzes (Zeitgesetz) die Ausnahme, „wiewohl ihr dann und wann eine erhebliche rechtsstaatliche Rechtfertigung zukommen kann". 33 Scheuner, Der Bestand staatlicher und kommunaler Leistungspflichten an die Kirchen (Art. 138 Abs. 2 WRV), in: Heinemann/Herrmann/Mikat (Hrsg.), Diaconia et ius. Festgabe für Heinrich Flatten, S. 3 8 1 - 3 9 6 , 394. 34

Vgl. aber neuerdings etwa Baumeister, Das Rechtswidrigwerden von Nonnen. Eine rechtsdogmatische Untersuchung zu den Grenzen der Wirksamkeit und Anwendbarkeit von Normen - Probleme des Spannungsverhältnisses von Recht und Zeit, Berlin 1996.

Α. Einleitung

tungsdauer von staatlichen Programmen durch ausdrückliche Fristsetzung im Interesse einer institutionalisierten Erfolgskontrolle postulierte, sollen sich anschließen. Auf der Grundlage dieser Analysen soll dann ein Vergleich des USamerikanischen Sunset-Konzepts mit dem gesetzgebungsmethodischen und -technischen Instrument der Befristung parlamentarischer Gesetzestexte vorgenommen werden (unter E.). In einem zusammenfassenden Epilog (unter F.) soll schließlich ein Ausblick auf Möglichkeiten und Grenzen des Instrumentes der Geltungs- und Vebindlichkeitsbefristung parlamentarischer Gesetze insbesondere auch in rechts- und gesetzgebungspolitischer Perspektive gegeben werden.

2 Chanos

Β. Begriffliche Abgrenzungen I. Vorüberlegungen zum begrifflichen Rahmen 1. Allgemeines Unter einem Zeitgesetz ist das in seinem zeitlichen Geltungs- oder Verbindlichkeitsbereich, meistens zu Zwecken der Wirksamkeitskontrolle befristete Gesetz zu verstehen. Dem Begriff des Zeitgesetzes begegnet man in der Regelung des § 2 Abs. 4 StGB, in Zusammenhang mit dem das Problem der befristeten Gesetze in der strafrechtsdogmatischen Diskussion behandelt wird. Nach dieser Vorschrift ist ein strafrechtliches Zeitgesetz auf Straftaten, die während der Geltungsdauer des Zeitgesetzes begangen wurden, auch dann anwendbar, wenn es zur Zeit der Entscheidung nicht mehr in Kraft ist. Dies gilt nicht, soweit ein Gesetz etwas anderes bestimmt. § 2 Abs. 4 StGB statuiert eine Ausnahme von der Bestimmung des § 2 Abs. 3 StGB, die wiederum eine Ausnahme vom Rückwirkungsverbot des Abs. 2 darstellt. 35 Als Beispiel für ein Zeitge-

" Zum Begriff des Zeitgesetzes im Sinne des § 2 Abs. 4 StGB s. BGH, Urt. v. 25.10.1951, NJW 1952, S. 72f., 73; Tröndle, Strafgesetzbuch und Nebengesetze, 48. Aufl. 1997, § 2 Rn. 13ff.; Esei\ in: Schänke/Schröder, StGB, 24. Aufl. 1991; § 2 Rn. 34ff.; Tiedemann, Zeitliche Grenzen des Strafrechts, in: Einheit und Vielfalt des Strafrechts. Festschrift für Karl Peters zum 70. Geburtstag, S. 1 9 3 - 2 0 8 ; Tiedemann, Der Wechsel von Strafnormen und die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes, JZ 1975, S. 6 9 2 - 6 9 4 ; Schroeder, Der zeitliche Geltungsbereich der Strafgesetze, in: Festschrift für Paul Bockelmann zum 70. Geburtstag am 7. Dezember 1978, S. 7 8 5 - 7 9 9 ; Rüping, Blankettnormen als Zeitgesetze, NStZ 1984, S. 4 5 0 - 4 5 1 ; Flämig, Steuerrecht als Dauerrecht. Zur Einordnung des steuergesetzlichen Parteienfinanzierungsrechts in den Regelungsbereich des § 2 des Strafgesetzbuches, S. 78ff., passim; Bergmann, Zeitliche Geltung und Anwendbarkeit von Steuerstrafvorschriftcn, NJW 1986, S. 2 3 3 - 2 3 5 ; Tiedemann, Stichwort „Zeitgesetz", in: Krekeler /Tiedemann / Weinman (Hrsg.), Handwörterbuch des Wirtschafts- und Steuerstrafrechts, S. 1 - 4 ; Hassemer, in: Alternativ-Kommentar zum Strafgesetzbuch, Band I (§§ 1 - 2 1 ) , § 2 Rn. 46ff.; Schulz, „ D i e Zeit drängt". Überlegungen zum Problem von Zeit und beschleunigter Geschwindigkeit und ihrer Bedeutung im Recht, in: ders. (Hrsg.), Ökologie und Recht, S. 1 2 7 - 1 6 4 , 135; Hassemer, Zeitgesetze und Gelegenheitsgesetze in strafrechtstheoretischer und kriminalpolitischcr Perspektive, in: Lüderssen/Nesder-Tremel/Weigend (Hrsg.), Modernes Strafrecht und ultimaratio-Prinzip, S. 201 - 2 0 6 ; Laaths, Das Zeitgesetz gemäß § 2 Abs. 4 StGB unter Berücksichtigung des Blankettgesetzes, Diss. iur. Regensburg 1991; Jakobs, Strafrecht, Allgemeiner Teil: Die Grundlagen und die Zurechnungslehre. Lehrbuch, 2. Aufl. 1991, 4. Abschn. Rn. 62ff.; Dannecker, Das intertemporale Strafrecht, S. 436ff., passim; s.a. aus rechtsvergleichender Perspektive Weigend/Zielinska, Zeitgesetze im polnischen Strafrecht, in: Lüderssen/ Nestler-Tremel/ Weigend (Hrsg.), Modernes Strafrecht und ultima-ratio-Prinzip, S. 1 7 9 - 2 0 0 .

I. Vorüberlegungen zum begrifflichen Rahmen

19

setz im Sinne des § 2 Abs. 4 StGB kann die sogenannte Kronzeugenregelung 36 genannt werden. Der Sinn und Zweck befristeter parlamentarischer Gesetzgebung kann einerseits in der „Reduktion von Komplexität" bei der gesetzgeberischen Tätigkeit angesehen werden. Die Befristung des Geltungs- bzw. Verbindlichkeitsbereichs allgemeiner Rechtsnormen führt zu einer Entlastung des Gesetzgebers, indem sie die Komplexität der befristeten Regelung gegenüber derjenigen der „bis auf weiteres" geltenden Regelung reduziert. 37 Zum Sinn und Zweck befristeter Gesetzgebung gehört darüber hinaus die Institutionalisierung einer internen, also vom Gesetzgeber selbst durchgeführten, nachträglichen Wirkungsbeobachtung und Erfolgskontrolle von Gesetzen. Die dadurch gewonnenen Informationen über die Wirksamkeit und Effizienz von Gesetzesregelungen können bzw. sollen für die Beantwortung der Frage nach der Verlängerung des Inkraftseins und - bei positiver Antwort - nach einer erforderlichen Änderung der im Gesetz enthaltenen normativen Entscheidungsprämissen verwertet werden. Die Kopplung der Frage nach der (Weiter-)Geltung mit der Frage nach der Wirksamkeit dient demnach der praktischen Informationsgewinnung mit Blick auf die fallbezogene Befolgung und Anwendung einer Gesetzesregelung. Die mit Hilfe der Erfolgskontrolle und Folgenberücksichtigung ermittelten Informationen finden Eingang in die nachträgliche Überprüfung der Geltungsfrage. Geht m a n - w i e im rechts- und gesetzgebungstheoretischen Schrifttum heute weitgehend üblich - davon aus, daß jede Gesetzesnorm, (a) formelle Geltung (b) Verbindlichkeit und (c) Wirksamkeit besitzt, kann man mit Grund sagen, daß das rechts- und gesetzgebungspolitische Ziel des Erlasses von zeitlich begrenzten Gesetzesregelungen im folgenden liegt: es sollen möglichst wenige solcher Gesetzestexte in Geltung bleiben, die keine Verbindlichkeit und Wirksamkeit mehr entfalten. Dies kann durch eine nachträgliche Kontrolle durch den Gesetzgeber sichergestellt werden. Damit die dadurch definierte Funktion der parlamentarischen Gesetzgebung auf Zeit deutlich werden kann, muß an dieser Stelle zunächst auf die Begriffe der Geltung, Verbindlichkeit und Wirksamkeit gesetzlicher Regelungen eingegangen werden. Von besonderem Interesse sind in diesem Zusammenhang die temporalen Aspekte der Normativität von GeGesetz zur Änderung des Strafgesetzbuches, der Strafprozeßordnung und des Versammlungsgesetzes und zur Einführung einer Kronzeugenregelung bei terroristischen Straftaten i.d.F. vom 9.6.1989, BGBl. I S. 1059, zuletzt verlängert bis zum 31.12.1999 durch das Zweite Kronzeugen-Verlängerungs-Gesetz vom 19.1.1996, BGBl. 1996 I S. 58. Vgl. allgemein dazu: Schlüchtern Erweiterte Kronzeugenregelung?, ZRP 1997, S. 6 5 - 7 1 ; Lammer, Terrorbekämpfung durch Kronzeugen. Neuanlauf für eine Kronzeugenregelung durch Art. 4 des Artikelgesetzes zur Bekämpfung terroristischer Gewalttaten. ZRP 1989. S. 2 4 8 - 2 5 2 . 37 Siehe Riesches Zeit, S. 192 im Zusammenhang mit den Funktionen zeitlicher Strukturierung in Regierungssystemen.

2*

Β. Begriffliche Abgrenzungen

20

setzestexten. Damit sind insbesondere der zeitliche Geltungs- und Verbindlichkeitsbereich angesprochen, mit denen Gesetzestexte in den institutionalisierten Verfahren der parlamentarischen Rechtsetzung und der gerichtlichen und verwaltungsbehördlichen Rechtskonkretisierung und -anwendung, aber auch in den Akten der alltäglichen Rechtsbefolgung und -Verletzung durch die Privatsubjekte (ausdrücklich oder eher konkludent) von Verfassungs und Rechts wegen versehen werden, damit sie ihre spezifische Effektivität in der Rechtspraxis entfalten können.38 2. Zum Begriff des zeitlichen Geltungsbereichs gesetzlicher Normtexte Aus normativ-realistischer Perspektive bezieht sich die formale Geltung erstens auf die ganze Rechtsordnung, zweitens auf die generelle Rechtsnorm und drittens auf die individuelle Rechtsnorm. Der formelle Geltungsumfang gesetzlicher Wortnormen beruht auf positiver Setzung im formalen Entscheidungsverfahren. 39 Ein rechtlicher Normtext „gilt", wenn er die Qualifikation aufweist, Teil der Rechtsordnung zu sein.40 Geltung ist nach Winkler eine „durch die Zeit erfahrbare rechtliche Eigenschaft der Erzeugungsfonnen des Rechts".41 Der „zeitliche Geltungsbereich" einer gesetzlichen Wortnorm reicht vom Inkrafttreten bis zum Außerkrafttreten. 42 Als zeitlicher Geltungsbereich einer Gesetzesnorm ist die Zeitspanne zu verstehen, in der die Befolgung bzw. Anwendung dieser Norm auf die nicht näher differenzierte Fülle von Sachverhalten überhaupt in Frage kommt, weil sie in Kraft ist. 43

™ Zu einer zu weiten begrifflichen Bestimmung würde jedoch die Bemerkung von Häkerle, Zeit und Verfassung, in: ders., Verfassung als öffentlicher Prozeß, S. 80, führen, der in Zusammenhang mit der (Verfassungs-)Interpretation konstatiert, daß die zeitliche Dimension in dem Sinne stärker im Interpretationsproblem sichtbar gemacht werde, daß das Nonnverständnis nach beiden Seiten bzw. Enden hin offen und zugleich „dirigiert" sei. Das Vorverständnis sei „der ,Hebel', an dem die Zeit (z.B. Lernprozesse) im Sinne des Nachverständnisses" ansetze; in diesem weiteren Sinne seien „alle - interpretierten - Gesetze ,Zeitgesetze' - nicht nur die zeitlich befristeten." Zur Entwicklung einer Neuen Hermeneutik der Deutung und des Verstehens von Rechtstexten s. jetzt aber Krametz, Sprachphilosophie in der Jurisprudenz, S. 1482fif., 1485 f. S. dazu Werner, Die Nonnentheorie Helmut Schelskys als Fonn eines Neuen Institutionalismus, S. 147ff., 163; vgl. auch Winkler, Zeit, S. 187ff., 191, 213 (Geltung von Gesetzen bezieht sich auf die Erzeugungsfonn der Gesetze). 4( 1

Oertel, Der Zeitfaktor im öffentlichen Wirtschaftsrecht, S. 33.

41

Winkler, Zeit, S. 232. Von Lippold, Geltung, Wirksamkeit und Verbindlichkeit von Rechtsnonnen, Rechtstheorie 19 (1988), S. 4 6 3 - 4 8 9 , 465 wird Geltung definiert als „ Z u gehörigkeit einer bestimmten Nonn zu einer bestimmten Normenordnung." 42

BVerfGE 42, 283; s. dazu Dannecker,

43

Vgl. Birtel, Die Zeit im Einkommensteuerrecht. S. 46, der von „Geltungszeit" spricht.

Das intertemporale Strafrecht, S. 193.

I. Vorüberlegungen zum begrifflichen Rahmen

21

3. Zum Begriff des zeitlichen Verbindlichkeitsbereichs gesetzlicher Rechtsnormen Als Verbindlichkeit wird, rechts- und normtheoretisch betrachtet, die „soziale rechtsnormative Sinnfestlegung im Einzelfalle" verstanden. Verbindlichkeit „bezieht sich daher immer auf die Selektion der Rechtsnorm im Einzelfalle." 44 Die hier für die Verbindlichkeit der Rechtsnorm in zeitlicher Hinsicht aufgeworfene Frage ist, bis wann eine Rechtsvorschrift als normativer Maßstab für die Qualifikation menschlichen Handelns und Entscheidens oder als Ermächtigungsgrundlage zur Setzung von Rechtsakten im Einzelfalle dienen kann. Für Winkler bedeutet Verbindlichkeit der Sinngehalte eines Gesetzes die unmittelbare Anwendbarkeit eines Gesetzes auf seine Adressaten in der Zeit. 45 Für die den vorliegenden Ausführungen zugrundegelegte Fragestellung ist die Frage nach einer legislativen Festlegung des zeitlichen Verbindlichkeitsbereichs einer Norm im Einzelfalle von Interesse. Zeitlicher Verbindlichkeitsbereich einer Gesetzesnorm soll im folgenden derjenige Zeitraum genannt werden, während dem die Subsumtion eines konkreten Falles unter sie in Frage kommt. 46 Oft ist diesbezüglich von „zeitlichem Anwendungsbereich" 47 bzw. „Ermächtigungsbereich" einer Norm die Rede.48 Diese Unterscheidung greift jedoch zu kurz. Der „Anwendungsbereich bezieht sich nach Zitelmann 4g nicht nur auf die Tätigkeit des Richters, sondern auf den gesamten Kontext der richterlichen Anwendung; denn „ein jeder wendet das Gesetz an, der den Erkenntnisakt vollzieht, die Partei selbst und der Gutachter 44

Werner, Die Nonnentheorie Helmut Schelskys als Form eines Neuen Institutionalismus, S. 163 (kursiv im Original). Winkler, Zeit, S. 214. Vgl. auch etwa ebd., S. 229: „ D i e Verbindlichkeit eines Gesetzes bedeutet zeitlich aktuelle Ordnungs- und Regelungskraft der Sinngehalte des Rechts gegenüber ihren Adressaten." 4f 1 Birtel, Die Zeit im Einkommensteuerrecht, S. 55, spricht von „Anwendungszeit". Von einem materiellen zeitlichen Geltungsbereich von Gesetzen ist bei Oertel, Der Zeitfaktor im öffentlichen Wirtschaftsrecht, S. 33 die Rede. M i t dieser Entsprechung zu der „lediglich auf formale Qualitäten einer Rechtsvorschrift gegründete(n) Definition der Gesetzesgeltung" in materieller Hinsicht sei ausgesagt, „ab wann ein Gesetz seine Eigenschaften in der Praxis der Gerichte, der Verwaltung und des Bürgers" entfalte. 47 BVerfGE 63, 343, 353f.; 72, 200, 241 f.; Dannecker, S. 198ff., 229.

Das intertemporale Strafrecht,

48

S. dazu Wielinger, Die Zeit als Rahmen der Existenz und als Inhalt von Rechtsvorschriften, in: Winkler /Schilcher (Hrsg.), Gesetzgebung, S. 1 5 4 - 1 6 6 , 154ff.; ders., Bedingungen der Vollziehbarkcit von Gesetzen, in: Oldinger (Gesamtred.), Methodik der Gesetzgebung, S. 162f.; Oertel, Der Zeitfaktor im öffentlichen Wirtschaftsrecht, S. 34. 49 Zu der Unterscheidung zwischen einem zeitlichen Geltungsbereich und einem zeitlichen „Anwendungsbereich von Gesetzesnormen vgl. bereits (1919) Zitelmann, Geltungsbereich und Anwendungsbereich der Gesetze. Zur Grundlegung der völkerrechtlichen Theorie des Zwischenprivatrechts, in: Festgabe der Bonner Juristischen Fakultät für Karl Bergbohm zum 70. Geburtstag, S. 2 0 7 - 2 4 1 , insbes. S. 219ff., 230ff.

Β. Begriffliche Abgrenzungen

22

ebenso wie der Richter". 50 Der sogenannte Anwendungsbereich, insbesondere auch der zeitliche Anwendungsbereich, von Gesetzesnormen, erfaßt somit, bei genauerer rechts- und normtheoretischen Betrachtung, einen erst sekundären Rechtserzeugungskontext, nämlich den Kontext der Anwendung und Konkretisierung von Gesetzesnormen aufgrund von Ermächtigungen. 51 Er bezieht sich somit auf einen, wenn auch wichtigen, Teilaspekt des Verbindlichkeitsumfangs allgemeiner Rechtsnormen. Er tangiert aber den in aller Regel primären Rechtserzeugungskontext, also denjenigen sozialen Kontext der Befolgung bzw. Übertretung der Gesetzesnorm durch die Bürger, nicht. 52 Dieser von normativistischen Geltungstheorien allzu oft unterschätzte, wenn nicht sogar grundsätzlich ignorierte, Aspekt des (zeitlichen) Verbindlichkeitsbereichs von Rechtsnormen, insbesondere auch von gesetzlichen Rechtsnonnen, wird auch nicht von dem zeitlichen „Ermächtigungs"bereich der Rechtsnorm gedeckt, also von jenem „Zeitraum, während dessen eine Rechtsvorschrift Grundlage von Rechtsakten sein kann." 53 Insofern ist der allgemeinere Begriff des (zeitlichen) Verbindlichkeitsumfangs gesetzlicher Wortnormen gegenüber den konkreteren, darunter fallenden Begriffen des „Anwendungsbereichs und „Ermächtigungs"bereichs von Gesetzen vorzuziehen, da er auch die das soziale Verhalten und Entscheiden steuernde, normativ verbindliche Verhaltensnorm mit umfaßt. So gesehen, und ausgehend von der parlamentarischen Gesetzestexten eigene Wenn-Dann-Struktur, sofern sie legislative Konditionalprogramme darstellen, kann man den zeitlichen Verbindlichkeitsbereich von Gesetzesnormen dementsprechend strukturieren. „Bezugsintervall" der Rechtsnorm (im Tatbestand) und „Wirkungszeit" der Rechtsnorm (in der Rechtsfolgenseite einer Gesetzesvorschrift) 54 sind zwei Erscheinungsformen des zeitlichen Verbindlichkeitsumfangs" der Gesetzesvorschrift.

M) Zitelmann, Geltungsbereich und Anwendungsbereich der Gesetze. Zur Grundlegung der völkerrechtlichen Theorie des Zwischenprivatrechts, in: Festgabe der Bonner Juristischen Fakultät für Karl Bergbohm zum 70. Geburtstag, S. 230. 51

S. hierzu Weinberger,

Nonn, S. 106f.

" Zu der Unterscheidung zwischen Primär- und Sekundärsystem des Rechts vgl. Krawietz, Recht als nonnatives Kommunikat in normen- und handlungstheoretischer Perspektive, in: Garzón Valdés /Krawietz/von Wright /Zimmerling (Hrsg.), Normative Systems in Legal and Moral Theory. Festschrift for Carlos E. Alchourrón and Eugenio Bulygin, S. 3 6 9 - 3 9 0 , 374f., 377, 390. So Wielinger, Die Zeit als Rahmen der Existenz und als Inhalt von Rechtsvorschriften, in: Winkler / Schi Icher (Gesamtred.), Gesetzgebung. Kritische Überlegungen zur Gesetzgebungslehre und zur Gesetzgebungstechnik. S. 1 5 4 - 166. M Hernandez Marin, Recht und Zeit, in: Garzón Valdés (Hrsg.), Spanische Studien zur Rechtstheorie und Rechtsphilosophie, S. 8 7 - 9 8 , 87f., 90f.

I. Vorüberlegungen zum begrifflichen Rahmen

23

Das „Bezugsintervall" des Tatbestands einer Gesetzesvorschrift ist, normtheoretisch betrachtet, die zeitliche Verbindlichkeitsstruktur der (primären) Aktionsnorm, auf die sich die Tatbestandsseite bezieht und sich an die Rechtsgenossen als Normadressaten richtet. Die explizite Befristung des tatbestandlichen Zeitintervalls symbolisiert sprachlich den zeitlichen Rahmen der Verbindlichkeit der primären Verhaltensnorm. Es geht mithin um die Frage, bis zu welchem Zeitpunkt die rechtliche Aktionsnorm das Handeln in bestimmten Fällen bindet. Die „Wirkungszeit", also das Zeitintervall, auf das sich die Rechtsfolgeseite einer Gesetzesvorschrift bezieht, ist die zeitliche Struktur der (sekundären) Reaktionsnorm, die sich an den Rechtsstab, d.h. die institutionalisierten Mechanismen der Durchsetzung von Recht richtet. Die explizite Befristung, also die Festlegung des Endes der normativen Wirkungszeit, die ihren rechtssprachlichen Niederschlag in der Dann-Seite einer gesetzlichen Wortnorm findet, weist auf die zeitliche Verbindlichkeitsstruktur der sekundären, erst für den Fall der Verletzung der rechtlichen Verhaltensnorm vorgesehenen, Reaktions- bzw. Sanktionsnorm hin. Diese zeitliche Struktur kann man als zeitlichen „Anwendungs"bereich bezeichnen (etwa wie Zitelmann es getan hat). Es geht dabei nämlich um die Frage, bis wann die rechtliche Reaktionsnorm aufgrund ihrer Verbindlichkeit im Einzelfalle konkretisiert und „angewandt" werden kann. Die „Wirkungszeit" der sekundären Rechtsnonn kann aber auch als zeitlicher „ Ermächtigungs "bereich der Rechtsvorschrift (im Sinne G. Wielingers) dargestellt werden. Dies ist dann der Fall, wenn die festgelegte Wirkungszeit auf den Zeitraum hinweist, während dessen die Rechtsvorschrift Grundlage von individuellen Normen und Einzelentscheidungen sein kann. Eine explizite Befristung, also Festlegung des Endes der Wirkungszeit einer Ermächtigungsnorm gibt Antwort auf die Frage, bis zu welchem Zeitpunkt sie als Grundlage von individuellen Normen und Einzelurteilen dienen kann. Die Zeitlichkeit der Ermächtigung stellt, mit Winkler gesprochen, eine spezifische Erscheinungsform des „Sinngehalts" der Regelung dar. 55

55 Siehe Korinek, Der Zeitfaktor im Raumordnungsrecht, in: Haller/Kopetzki/ Novak / Paulson / Raschauer / Ress/Wiederin (Hrsg.), Staat und Recht, S. 5 0 5 - 5 1 3 , 509f., 510: Die Dauerhaftigkeit der Verbindlichkeit des Sinngehalts des (in den österreichischen Raumordnungsgesetzen näher geregelten) Flächenwidmungsplans hänge davon ab, ob die zeitliche Ermächtigungsvoraussetzung eingehalten würde.

24

Β. Begriffliche Abgrenzungen

4. Zum Begriff der Wirksamkeit gesetzlicher Rechtsnormen Bei der Wirksamkeit von Rechtsnormen geht es dagegen um den sozialen Wirkungsgrad der Normen. 56 Es stellt sich hier die Frage, ob das Recht „die Wirkungen hervorbringt, die es bezweckt, ob es insbesondere befolgt wird und eine verläßliche Durchsetzungschance hat" und mithin ob es sich als Instrument der Verhaltenssteuerung und Sozialgestaltung „bewährt" 57 . In besonderem Maße Ausdruck der Wirksamkeit der rechtlichen Regelungen ist das regelbefolgende bzw. regelorientierte Entscheidungsverhalten der Normadressaten. 58 Dabei empfiehlt es sich, zwischen einer Wirksamkeit im engeren und im weiteren Sinne zu unterscheiden. 59 Wirksam im engeren Sinne ist eine Rechtsnonn dann, „wenn sie zu dem vorgeschriebenen Verhalten motiviert". Dies ist beispielsweise dann der Fall, wenn im Straßenverkehr die vorgeschriebene Geschwindigkeitsbegrenzung eingehalten wird, oder wenn auf die Nichteinhaltung mit einer Sanktion reagiert wird. 60 Es geht also dabei um das Problem, „in welchem Maße das Verhalten tatsächlich an der Nonn orientiert wird"; denn die Wirksamkeit einer gesetzlichen Rechtsnorm setzt voraus, daß „Einzelfallentscheidungen sich überhaupt an der Norm orientieren, das heißt, wirklich auf sie Bezug nehmen."61 Wirksam im weiteren Sinne ist eine Rechtsnorm hingegen dann, „wenn das gebotene Verhalten sich als geeignetes Mittel erweist, um die mit der Norm erstrebten Zwecke zu erreichen". Es reicht dabei also nicht aus, daß die Rechtsnorm zu dem gebotenen Verhalten führt; Voraussetzung der Wirksamkeit im weiteren Sinne ist vielmehr, daß dieses auch ein geeignetes Mittel ist, um den Normzweck zu erreichen. In diesem Sinne ist nach Bohret/Hugger eine Rechtsvorschrift dann als effektiv zu bezeichnen, „wenn ihre Wirkungen und Auswirkungen in vollem Umfang den mit der Regelung verfolgten Zielen entsprechen." 62 Im oben genannten Beispiel ist die Norm effektiv in diesem, weiteren Sinne, 5( 1 Werner, ebd., S. 163. Lippold, Geltung, Wirksamkeit und Verbindlichkeit von Rechtsnormen, RTh 19 (1988), S. 4 6 3 - 4 8 9 , 468 definiert Wirksamkeit einer Rechtsnonn als ihre faktische Anwendung in einem bestimmten raumzeitlichen Bereich. 57

Zippelius,

Recht und Gerechtigkeit in der offenen Gesellschaft, S. 27.

5X

Werner, ebd., S. 161 mit Blick auf H. Schelskys Institutionentheorie des Rechts und der Rechtsnonn. Vgl. ferner Winkler , Zeit, S. 229ff., (etwa S. 233: Wirksamkeit von Gesetzen bezieht sich auch auf die Sinngehalte der Gesetze; Wirksamkeit erlangen die Gesetze „durch konkrete Verwirklichungen in derZeit"; S. 235: Wirksamkeit durch „die letzten tatsächlichen, rechtserheblichen Verwirklichungen des gesetzlich Vorgeschriebenen durch zweckhaftes menschliches Verhalten in konreter Zeit' 1 ) sowie Decken, Zur Methodik der Folgenantizipation in der Gestezgebung, ZG 10 (1995), S. 243fT. 59

S. zum folgenden Zippelius, Recht und Gerechtigkeit in der offenen Gesellschaft, S. 27.

W)

Zippelius,

M

Werner,

62

Bohret/ Hugger,

Recht und Gerechtigkeit in der offenen Gesellschaft, S. 27. ebd., S. 163. Prüfung, S. 24.

II. Abgrenzung des Themas

25

wenn sie geeignet ist, die Verkehrsunfälle oder den Verkehrslärm oder beides zu vermindern. 63 Geltung, Verbindlichkeit und Wirksamkeit einer gesetzlichen Regelung stehen in einem besonderen Zusammenhang miteinander. Winkler hat ihn folgendermaßen umschrieben: „Ohne zeitgebundene Geltung der vollendeten tatsächlichen Erzeugungsform gibt es keine zeitgebundene Verbindlichkeit der gesetzlichen Sinngehalte für die Adressaten. Ohne zeitgebundene Verbindlichkeit der Sinngehalte für Adressaten gibt es auch keine zeitgebundene rechtserhebliche Wirksamkeit eines Gesetzes."64

II. Abgrenzung des Themas Das Zeitgesetz muß von anderen Erscheinungsformen und Ergebnissen legislativer Betätigung unterschieden werden, die durch eine besondere Zeitbindung ihrer normativen Struktur geprägt sind, wobei es gleichgültig sein soll, ob sie mit ausdrücklichen Geltungs- bzw. Verbindlichkeitsbefristungen versehen sind oder nicht. Diese lassen sich in zwei Kategorien systematisieren, nämlich in diejenigen legislativen Maßnahmen, die keine Zeitgesetze und in diejenige Maßnahmen, die keine Ze/Ygesetze sind. Unter die erste Kategorie fallen befristete legislative Maßnahmen, die der Erprobung beabsichtigter Regelungen vor ihrer Umsetzung in gesetzliche Vorschriften und somit vor dem Inkrafttreten eines Gesetzes dienen. Zu der Kategorie der legislativen Maßnahmen, die keine Ze/7gesetze darstellen, gehören zeitbedingte Formen parlamentarischer Rechtsetzung, mithin parlamentarische Gesetzesformen, deren Geltungs- und Verbindlichkeitsstruktur eine besonders ausgeprägte Zeitlichkeit eigen ist, ohne jedoch bereits aus diesem Grunde als befristete Gesetze (Gesetze „auf Zeit") bezeichnet werden zu können. 1. Zeitgeprägte legislative Maßnahmen, die keine Zeitgesetze darstellen Als gesetzgeberische Maßnahmen, die keine Zeitgesetze darstellen, kommen (befristete) Gesetzesexperimente in Betracht. Unter Gesetzgebungsexperimenten sind „interne" Experimente im Rahmen des inneren Gesetzgebungsverfahrens zu verstehen, die auf die Vorabkontrolle von Gesetzentwürfen zielen.65 Sie dienen der Erprobung beabsichtigter legislativer Maßnahmen vor ihrer Umsetzung in gesetzliche Regelungen oder vor ihrem Inkrafttreten auf ihre wahrscheinliche Zippelius, 64

Winkler,

Recht und Gerechtigkeit in der offenen Gesellschaft, S. 27, 30. Zeit, S. 234.

S. dazu und zum Folgenden Horn, Experimentelle Gesetzgebung unter dem Grundgesetz, S. 24.

Β. Begriffliche Abgrenzungen

26

Wirkung, erwartbare Akzeptanz, interne Konsistenz, sprachliche Klarheit, auf den Grad der Erreichbarkeit der legislativen Intention.66 Gesetzesregelungen vor ihrem Erlaß nochmals einer speziellen Überprüfung zu unterziehen scheint überall dort „besonders angebracht, wo gesellschaftliche und ökologische Wirkungen erstrebt oder erwartet werden sowie dort, wo die Verwaltung Gesetze effizient vollziehen soll und wo deshalb auch spezielle Verwaltungsvorschriften gemacht werden müssen."67 Als Prüfverfahren von Rechtsvorschriften im Entwurfsstadium werden üblicherweise der Modellversuch, das Planspiel und der Praxistest unterschieden. Im Modellversuch werden die beabsichtigten legislativen Maßnahmen über einen befristeten Zeitraum vor ihrer Umsetzung in gesetzliche Regelungen oder vor ihrem Inkrafttreten mit einem repräsentativen oder typischen Teil der später Betroffenen in der gesellschaftlichen Wirklichkeit erprobt. 68 Als Modellversuch ist auch die räumlich und/oder zeitlich begrenzte Änderung geltenden Rechts aufgrund einer Ermächtigung an den Verordnungsgeber, der sogenannten Experimentierklausel, zu charakterisieren. 6t) Beim Modellversuch wird also eine grobe Anordnung erlassen mit dem Zweck, die beabsichtigte Regelung über eine gewisse Zeit auf ihre Wirkungen zu beobachten.70 Als Beispiele können etwa das Modellvorhaben nach dem Städtebauförderungsgesetz und der Großversuch „Anhebung der Höchstgeschwindigkeit für Omnibusse auf Autobahnen auf 100 k m / h " genannt werden. 71 Das Planspiel (Simulation)72 enthält die Durchführung von Rechtsanwendung und Rechtsfällen unter „künstlichen" Bedingungen, nämlich unter teilweiser Bohret, Zuerst testen - dann verabschieden: Erfahrungen mit der Prüfung von Gesetzentwürfen, ZG 7 (1992), S. 1 9 3 - 2 1 6 , 194. Bohret, Zuerst testen - dann verabschieden: Erfahrungen mit der Prüfung von Gesetzentwürfen, ZG 7 (1992), S. 1 9 3 - 2 1 6 , 194. Bohret /Hugger, 69

Bohret/ Hugger, gesetz, S. 24f.

Prüfung, S. 54. Prüfung, S. 54; Horn, Experimentelle Gesetzgebung unter dem Grund-

7( ) Bohret, Zuerst testen - dann verabschieden: Erfahrungen mit der Prüfung von Gesetzentwürfen, ZG 7 (1992), S. 1 9 3 - 2 1 6 , 195. 71 S. weitere Beispiele bei Hugger, Gesetze - Ihre Vorbereitung, Abfassung und Prüfung. Ein Handbuch für Praxis und Studium, S. 328. 72 Bundesminister des Inneren (Hrsg.), Verwaltungsplanspiel als Testverfahren im Entscheidungsprozeß, Bonn 1976; Reisinger, Planspiel und Simulation im Recht, in: Winkler (Gesamtred.), Rechtstheorie und Rechtsinformatik. Voraussetzungen und Möglichkeiten formaler Erkenntnis des Rechts, S. 1 4 8 - 166; Geisler, Computersimulation zur Vorbereitung sozialpolitischer Entscheidungen in der BRD, in: Rödig (Hrsg.), Studien zu einer Theorie der Gesetzgebung, S. 5 1 4 - 5 2 8 ; Craemer, Computergestütztes Planspiel zur Erprobung von Gesetzentwürfen - am Beispiel des Datenschutzkonflikts, in: Rödig (Hrsg.), Studien zu einer Theorie der Gesetzgebung, S. 5 1 4 - 5 2 8 ; Hopt, Simulation und Planspiel in Recht und Gesetzgebung, in: Arbeitsgemeinschaft Rechtsinformatik München-Regensburg, Gesetzesplanung - Beiträge der Rechtsinformatik, S. 33ff.

II. Abgrenzung des Themas

27

oder vollständiger Verwendung computergesteuerter, formalisierter Systeme.7' Es wird unterschieden zwischen teilfonnalisiertem, rechenbarem Planspiel und vollformalisierter Modellsimulation. 74 Im Planspiel müssen alle Beteiligten, die mit dem Gesetz in Berührung kommen (Gesetzgeber, Gesetzesanwender, vom Gesetz Betroffene), einbezogen werden. 75 Mit dem Planspiel können „vor allem die besonders wichtigen oder unsicheren' Teile von Gesetzentwürfen oder von Verwaltungsvorschriften auf ihre Praktikabilität, Vollzugseignung, Adressatenfreundlichkeit usw. geprüft werden". 76 Das Planspiel eignet sich insbesondere dann, wenn wenig „Testzeit" verfügbar ist. Als Beispiele können etwa das Planspiel zum Brand- und Katastrophenschutzgesetz, das Planspiel zur Erprobung der Verwaltungsvorschriften zum Umweltverträglichkeitsprüfungsgesetz (UVPVwV) 7 7 sowie Simulationsstudien zur Gestaltung von Telekooperationstechnik 78 genannt werden. Im Unterschied zum Planspiel beschränkt sich der Praxistest hauptsächlich auf die Gesetzeswirkung für die Gesetzesanwender oder die vom Gesetz Betroffenen. 79 Der Praxistest stellt ein Prüfverfahren zur Erprobung eines Gesetzentwurfs in größtmöglicher Nähe zu und Übereinstimmung mit dem späteren, wirklichen Kontext der Implementation und Auswirkung des Gesetzes dar.*0 Man läßt etwa eine Gesetzesregelung in der Verwaltung so vollziehen, als ob sie bereits in Kraft sei, und zwar anhand von Fällen oder Vorgängen, die direkt aus der Verwaltungspraxis entnommen wurden. 81 Als Beispiel kann etwa der Praxistest zum Jugendhilfegesetz erwähnt werden. 82 Horn, Experimentelle Gesetzgebung unter dem Grundgesetz, S. 25. 74

Bohret/ Hugger,

Prüfung, S. 97ff., 102ff.

7>

Mengel, Gesetzgebung und Verfahren. Ein Beitrag zur Empirie und Theorie des Gesetzgebungsprozesses im föderalen Verfassungsstaat, S. 319ff., 319; Bohret, Zuerst testen - dann verabschieden: Erfahrungen mit der Prüfung von Gesetzentwürfen, ZG 7 (1992), S. 193-216, 195. 7f t Bohret, Zuerst testen - dann verabschieden: Erfahrungen mit der Prüfung von Gesetzentwürfen, ZG 7 (1992), S. 193 - 2 1 6 , 195. 77

Bohret, Zuerst testen - dann verabschieden: Erfahrungen mit der Prüfung von Gesetzentwürfen, ZG 7 (1992), S. 193-216, 201 f., 202ff. 75 Siehe Roßnagel, Rechtswissenschaftliche Technikfolgenforschung — am Beispiel der Informations- und Kommunikationstechniken, in: Schulte (Hrsg.), Technische Innovation und Recht. Antrieb oder Hemmnis?, S. 1 3 9 - 1 6 2 , 156ff. 7 Hoffmann-Riem, Modellversuch als Scheintest. Zur geplanten Einführung der Kabelkommunikation in Ludwigshafen, ZRP 1980, S. 3 1 - 3 8 ; Ricker, Die gesetzliche Regelung des Kabelpilotprojektes Ludwigshafen, NJW 1981, S. 8 4 9 - 8 5 2 ; Ladeur, Verfassungsrechtliche Anforderungen an „vorläufige" und „Versuchsgesetzc" im neuen Medienrecht. Kabelversuchs- und „Einspeisungsgesetze" der Bundesländer, Media Perspektiven 1985, S. 7 3 4 - 7 4 4 ; Schmitt-Glaeser, „Neue Rundfunkprogramme" in Bayern, Z U M 1985. S. 5 2 3 - 5 3 9 ; Horn, Experimentelle Gesetzgebung unter dem Grundgesetz, S. 34ff., 324ff.; Hoffmann-Riem, Medienforschung zwischen Theorientransformation und Praxistransfonnation. Ein Schlußwort, in: Bentele / Riihl (Hrsg.), Theorien öffentlicher Kommunikation. Problemfelder, Positionen, Perspektiven, S. 461 - 4 6 7 . 116 Siehe Koenig, Möglichkeiten und Grenzen von Zertifikatmärkten als Steuerungsmedien im Umweltrecht, DÖV 1996, S. 9 4 3 - 9 5 0 , der den Erprobungsbedarf eines umweltrechtlichen Zertifikatsmodells als ökonomischen Anreizinstrumentes diagnostiziert; vgl. ferner zu der Frage einer Deregulierung der Verteilungslenkung mit Mitteln der experimentellen Gesetzgebung im allgemeinen ders, Verteilungslcnkung, S. 372ff. 117 Pirson, Vorläufige und experimentelle Rechtsetzung im Schulrecht und Hochschulrecht, in: Festschrift für Hermann Jahrreiß zum 80. Geburtstag 19. August 1974, S. 1 8 1 - 1 9 4 ; Richter, Experiment und Begleitforschung bei der Grundrechtsvcrwirklichung, in: Hassemer / Hoffmann-Riem / Limbach (Hrsg.), Grundrechte und soziale Wirklichkeit, S. 7 7 - 9 9 . Il x

Horn, Experimentelle Gesetzgebung unter dem Grundgesetz, S. 283.

119

Horn, Experimentelle Gesetzgebung unter dem Grundgesetz, S. 284.

II. Abgrenzung des Themas

35

Der Unterschied zwischen und experimenteller und (bloß) befristeter Gesetzgebung wird häufig darin erblickt, daß erstere das Weiterbestehen der Gesetzesnorm ausdrücklich von einer Beurteilung der Norm abhängig mache, ohne die Geltung automatisch zu einem bestimmten Datum aufzuheben, wie bei der zweiten der Fall sei. Es wird aber dabei hinzugefügt, daß, da bei zufriedenstellenden Ergebnissen die zeitlich terminierte Gesetzesvorschrift verlängert bzw. neu verabschiedet werde, auch die befristete Gesetzgebung letztlich zu einer wirksamen Erfolgskontrolle führe, die sich „eigentlich nur in der Wahl der Mittel von deklarierter experimenteller Gesetzgebung unterscheidet." 120 Dabei ist das experimentelle Gesetz jedoch gerade eine Unterform des Zeitgesetzes insofern, als es gekennzeichnet ist „durch die formell vorgeschriebene, wirkungsunabhängige und kalendermäßig bestimmte Befristung seiner Geltungsdauer und gegebenen-, nicht notwendigenfalls durch die örtliche Begrenzung seines Geltungsbereiches." 121 In der Tat erfolgt die Geltungsbefristung im Falle des Experimentiergesetzes wegen der Ungewißheit über die Bewährung und Bestandfestigkeit der beabsichtigten Regelung. Durch die Wirkungskontrolle des Erprobungsgesetzes wird das „eigentliche" Gesetz vorbereitet. Im Unterschied zu (seil, normalen) Zeitgesetzen,, deren befristete Geltung nur eine Erfolgskontrolle (ex post) institutionalisieren soll, „weiß der Gesetzgeber bei Gesetzgebungsexperimenten selber nicht genau, ob und wie er handeln soll; ohne das Experiment würde er möglicherweise gar nicht handeln." 122 Experimentelle Gesetzgebung sei deshalb „eher Symptom und Folge fehlender rationaler Entscheidungsgrundlagen des Gesetzgebers." 123 Befristete Gesetze sind jedoch nicht unbedingt Experimentiergesetze. Die Befristung kann aus ganz verschiedenen Gründen vorgesehen werden, nicht bloß um bestimmte Vorschriften vorläufig zu erproben. 124 Das „normale" Zeitgesetz unterscheidet sich in Vorbereitung und Anlage, anders als das Erprobungsgesetz, bis auf die Geltungsbefristung durch nichts von einem „klassischen" Dauergesetz, das auch als endgültige Regelung gedacht ist. Das Zeitge120 Lammer, Gesetzgebungsprozeß in Österreich, in: Manti (Hrsg.), Effizienz der Gesetzesproduktion. Abbau der Regelungsdichte im internationalen Vergleich, S. 1 4 1 - 1 6 6 , 164. A u f die Unsicherheit im Hinblick auf die Frage, „ob das Gesetz zu einem bestimmten Endtermin wirklich außer Kraft treten kann'\ oder sogar auf die Unwahrscheinlichkeit dessen als Kriterium für die Bezeichnung eines Zeitgesetzes als Gesetz auf Probe stellt Bühlo\\\ Gesetzgebung, in: Benda / Maihofer/Vogel (Hrsg.), Handbuch des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland, S. 1492 hingegen ab. 121 S. dazu und zum folgenden Horn, Experimentelle Gesetzgebung unter dem Grundgesetz, S. 25ff. 122 Schulze-Fielitz, Theorie, S. 556; vgl. auch Kindermann, Erfolgskontrolle durch Zeitgesetz, in: Schaffet'/Triffterer (Hrsg.), Rationalisierung der Gesetzgebung, S. 142. 123 124

Schulze-Fielitz,

Theorie, S. 556.

Mader, Experimentelle Gesetzgebung, in: Grimm / Maihofer theoric und Rcchtspolitik, S. 211. 3*

(Hrsg.), Gesetzgebungs-

Β. Begriffliche Abgrenzungen

36

setz ist befristet nur im Hinblick auf seine Erfolgskontrolle. Sein Ziel ist insofern die Verpflichtung des Gesetzgebers zur Neubefassung im Hinblick auf die Frage nach einer Verlängerung der Geltungsdauer aufgrund systematisch gesammelter und ausgewerteter Implementationserfahrungen. Die durch das „normale" Zeitgesetz institutionalisierte Erfolgskontrolle „hat gleichsam als Nachkontrolle 4 ein als endgültig gedachtes Gesetz zum Gegenstand und ist damit nichts anderes als der Ausdruck einer von vornherein, zu einem bestimmten Zeitpunkt anerkannten Pflicht zur Prüfung, ob die gesetzgeberische (Prognose-) Entscheidung nachgebessert4 werden muß." 125

I2>

Horn, Experimentelle Gesetzgebung unter dem Grundgesetz, S. 26.

C. Befristung gesetzlicher Normtexte als Mittel normativer Steuerung und Selbstkontrolle parlamentarischer Gesetzgebung am Beispiel des öffentlichen Wirtschaftsrechts I. Befristetes Gesetzesrecht als Mittel normativer Steuerung 1. Allgemeines Von besonderer Bedeutung erscheint dieser begrifflicher Rahmen für eine nähere typologische Unterscheidung und begriffliche Differenzierung der unterschiedlichen Erscheinungsformen von Zeitgesetzgebung. Zunächst erscheint es aber erforderlich, die befristete parlamentarische Gesetzgebung (am Beispiel des Verwaltungsrechts) in den Kontext der Fristsetzung als rechtlichen Steuerungselements zu rücken. a) Fristsetzung als Element materialer und prozeduraler Steuerung im Verwaltungsrecht Der Einbau von Zeitstrukturen in rechtlichen Normtexten dient häufig als Instrument materialer und prozeduraler Steuerung im Verwaltungsrecht. 126 Materiale Steuerung durch Fristsetzung erfolgt sowohl in den Rechtsquellen des Verwaltungsrechts als auch in den rechtlichen Handlungsformen der Verwaltung, also in formellen Gesetzen, Rechtsverordnungen, VerwaltungsVorschriften sowie in Verwaltungsakten. 127 Der Einbau zeitlicher Strukturen in Rechtsnormsätzen kann sich in Form zeitlicher Selbstlimitierung oder einer Limitierung anderer, ranggleicher oder -niedrigerer Normsatzformen und Einzelakte niederschlagen. 126 Zu den unterschiedlichen Zielsetzungen von Fristen s. Wolff /Bachof/Stober, tungsrecht I, § 37 Rn. lOff.

Verwal-

127 Zur Befristung von Verwaltungsakten als Nebenbestimmung im Sinne von § 36 Abs. 2 Nr. 1 V w V f G s. Stelkens, in: Stelkens/Bonk/Sachs, V w V f G , § 36 Rn. 12ff.; Kloepfer, Kettenverwaltungsakte und Widerrufsvorbehalt. Zur Zulässigkeit befristeter Verwaltungsakte, DVB1. 1972, S. 3 7 1 - 3 7 8 ; Schachtel, Nebenbestimmungen zu Verwaltungsakten, S. 22, 77f., 87f., 130f., 151 ff.; Schimmelpfennig, Vorläufige Verwaltungsakte, S. 114f.; Kopp, Vorläufiges Verwaltungsverfahren und vorläufiger Verwaltungsakt, S. 4 9 - 5 6 ; Lücke, Staatsakte, S. 179ff., 183ff. et passim; Remmert, Nebenbestimmungen zu begünstigenden Verwaltungsakten. Ansprüche des Begünstigten und ihre gerichtliche Durchsetzung, VerwArch 88 (1997), S. 1 1 2 - 1 3 6 , 126ff.

C. Befristung als Mittel normativer Steuerung und Selbstkontrolle

38

Im ersten Fall ist die Befristung integrativer Teil der Regelung, die sie betrifft. Im zweiten Fall ist die Befristung in einer anderen, ranggleichen oder -höheren Regelung enthalten, als die Regelung, die sie betrifft. Als Beispiel zeitlicher Selbstlimitierung kann die einfachgesetzliche Befristung des Inkraftseins etwa öffentlicher Wirtschaftsgesetze genannt werden. Eine Zeitlimitierung im Hinblick auf rangniedrigere Normsatzformen erfolgt etwa bei der verfassungsrechtlichen Befristung des Inkraftseins öffentlicher Wirtschaftsgesetze. 128 Mit Blick auf die prozedurale Steuerung 129 kommen verfahrensrechtliche und prozessuale Fristvorschriften in Betracht. Verfahrensfristen betreffen das Verhalten eines Beteiligten in einem Prozeß oder Verwaltungsverfahren. Der Fristablauf bildet sowohl für die Verwaltung als auch für den Bürger eine Kalkulationsgrundlage. Er schafft keine Klarheit über die tatsächlichen Voraussetzungen des materiellen Rechts, über die Frage also ob die Verwirklichung eines öffentlichen oder privaten Vorhabens Rechte des Einzelnen oder der Allgemeinheit verletzt. Durch den Fristablauf ist vielmehr geklärt, daß ein potentiell Betroffener unter gleichbleibenden Voraussetzungen das Vorhaben verfahrensrechtlich nicht mehr verhindern kann. 130 b) Insbesondere: Normative Steuerung durch Befristung von Gesetzesnormen Trotz der häufig in Zweifel gezogenen Steuerfähigkeit generell-abstrakter normativer Vorgaben wird dem formellen Gesetz im Verwaltungsrecht nach wie vor die zentrale Bedeutung und Relevanz eines unverzichtbaren Regelungsinstruments beigemessen.131 Mit Blick auf eine gesetzliche Steuerung durch Fristsetzung kommt hier die vorsorgliche Befristung der Gesetzeskraft als eine gesetzgeberische Technik der Außerkraftsetzung 132 in Betracht. Gesetzgebung „auf Zeit" wird bislang regelmäßig in bezug auf die Problemfelder der normativen Steuerung und der normativen Kontrolle diskutiert. I2S

Siehe Oertel

Der Zeitfaktor im öffentlichen Wirtschaftsrecht, S. 5Iff., 53f.

129

Vgl. allgemein dazu Schuppen, Recht als Steuerungsinstrument: Grenzen und Alternativen rechtlicher Steuerung, in: Ellwein /Hesse (Hrsg.), Staatswissenschaften: Vergessene Disziplin oder neue Herausforderung?, S. 7 3 - 83, 81; Hagenah, Neue Instrumente für eine neue Staatsaufgabe: Zur Leistungsfähigkeit prozeduralen Rechts im Umweltschutz, in: Grimm (Hrsg.), Staatsaufgaben, S. 4 8 7 - 5 2 1 , 49Iff. no Berg, Die verwaltungsrechtliche Entscheidung bei ungewissem Sachverhalt, S. 159. Näher dazu ebd., S. 159ff. (prozessuale Fristen), 28Iff. (verfahrensrechtliche Fristen). 131

Schmidt-Aßmann, Zur Reform des Allgemeinen Verwaltungsrechts - Reformbedarf und Reformansätze - , in: Hoffmann-Riem / Schmidt-Aßmann / Schuppen (Hrsg.), Reform des A l l gemeinen Verwaltungsrechts. Grundfragen, S. 1 1 - 6 3 , 47f. 132 Eine weitere Technik der Außerkraftsetzung von Gesetzesnonnen stellt die nachträgliche Terminierung der Rechtskraft dar, s. dazu Oertel Der Zeitfaktor im öffentlichen Wirtschaftsrecht, S. 48ff.

I. Befristetes Gesetzesrecht als Mittel normativer Ste

39

Der Gesetzgeber kann bereits bei Inkrafttreten eines Gesetzes bestimmen, daß das Gesetz nach Ablauf einer bestimmten Frist wieder außer Kraft tritt. Ein solches Gesetz wird häufig als Zeitgesetz bezeichnet. Im Gegensatz zu dem auf Dauer angelegten Gesetz kommt es bei dem Zeitgesetz darauf an, nur für einen von vornherein bestimmten Zeitraum zu gelten. Ist dieser Zeitraum vom Gesetz ausdrücklich bestimmt, spricht man vom Zeitgesetz im engeren Sinne. 133 Gesetzesbefristungen finden sich in Überbrückungsgesetzen (zum Ausfüllen eventueller zeitlicher Lücken bei der Erfüllung von Rahmengesetzen durch die Länder), Einführungs-, Übergangs- oder Auslaufgesetzen. 134 Der Einbau zeitlicher Strukturen in Zeitgesetzen im engeren Sinne geschieht meist explizit durch kalendermäßige Bestimmung des Geltungswegfalls. Zeitgesetze im engeren Sinne, nämlich in ihrer Geltungsdauer befristete Gesetze, sind von Zeitgesetzen im weiteren Sinne zu unterscheiden, deren Bindungskraft in zeitlicher Hinsicht schlüssig durch das Erreichen ihres Regelungszieles oder aber explizit durch Befristung ihres zeitlichen Regelungsbereichs ein Ende gesetzt ist. 135 Der grundsätzlich auf Dauer angelegte Geltungsanspruch der Zeitgesetze im weiteren Sinne wird gekoppelt mit einer zeitlichen Begrenzung ihrer Verbindlichkeitsdauer. Diese Begrenzung erfolgt dadurch, daß im Tatbestand (oder in der Rechtsfolgenanordnung) auf zeitabhängige Variablen Bezug genommen wird. Der Gesetzgeber kann einem Gesetz formell unbefristete Geltung verleihen, die „Anwendung" des Gesetzes jedoch auf einen bestimmten Zeitraum beschränken. Gesetzestechnisch betrachtet kann er bestimmen, daß die „Anwendung" des Gesetzes auf ein Wirtschaftsjahr, ein Haushaltsjahr, auf Zeitabschnitte der Vergangenheit beschränkt ist oder zu einem sonstigen Termin endet. 136 Der Gesetzgeber kann die Verbindlichkeitsdauer eines parlamentarischen Gesetzes auch dadurch beschränken, daß er die Befolgung bzw. Anwendung des Gesetzes von bestimmten, und zwar nicht nur sachlich, sondern auch zeitlich bestimmten oder bestimmbaren, Ereignissen abhängig macht. Wesentliches Merkmal des Zeitgesetzes im weiteren Sinne ist seine formell unbefristete Rechtskraft bei gleichzeitiger schlüssiger Beschränkung seiner „Anwendung" in zeitlicher Hinsicht durch Verwirklichung seines Regelungsanlasses.137 Zeitgesetze im weiteren Sinne sehen sich hinsichtlich ihrer Bindungskraft einer schlüssigen temporalen Schranke durch Verwirklichung ihres Regelungszieles gegenüber.

10

Oertel, Der Zeitfaktor im öffentlichen Wirtschaftsrecht, S. 51.

134

Oertel, Der Zeitfaktor im öffentlichen Wirtschaftsrecht, S. 51 f. m.w.N.

I3>

Oertel, Der Zeitfaktor im öffentlichen Wirtschaftsrecht, S. 213.

136

OerteL Der Zeitfaktor im öffentlichen Wirtschaftsrecht, S. 54; Schulze-Fielitz, Zeitoffene Gesetzgebung, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann (Hrsg.), Innovation und Flexibilität des Verwaltungshandelns, S. 158. 137

Oertel, Der Zeitfaktor im öffentlichen Wirtschaftsrecht, S. 58.

40

C. Befristung als Mittel normativer Steuerung und Selbstkontrolle

Beide Erscheinungsformen befristeter parlamentarischer Rechtsetzung können kalendermäßig bestimmte Befristungen enthalten. In diesem Fall bezieht sich die explizite Fristsetzung im Fall des Zeitgesetzes im engeren Sinne auf den Geltungsbereich, im Fall des Zeitgesetzes im weiteren Sinne dagegen auf den Verbindlichkeitsbereich der Regelung. Zeitgesetze im weiteren Sinne müssen aber nicht notwendigerweise eine ausdrückliche, kalendermäßig festgelegte Fristsetzung beinhalten. Sehr oft handelt es sich hier um einen - im Gegensatz zu der meist ausdrücklichen, kalendermäßigen Befristung des formellen Geltungsumfangs bei Zeitgesetzen im engeren Sinne-nur impliziten Einbau zeitlicher Strukturen in Rechtsnormsätzen durch das Erreichen eines bestimmten Regelungszieles. Die Befristung der Geltungsdauer und der Verbindlichkeitsstruktur von Gesetzestexten stellt eine (Zeit-)Strategie für künftige Entwicklungsmöglichkeiten bereit, und zwar im Hinblick auf mindestens zwei Bezugssysteme: einerseits auf das legislative System und andererseits auf die durch die befristeten Gesetze zu steuernden gesellschaftlichen Teilordnungen. Mit Blick auf die politischrechtliche Entscheidungsfindung dient das befristete Gesetz als spezifisches Mittel der Politikgestaltung.138 Geht man davon aus, daß Gesetzgebung im demokratischen Rechtsstaat als ein Prozeß politischer Kompromiß- und Mehrheitsentscheidung zu verstehen ist, der insbesondere auch in institutionalisierten Kontexten der politisch-rechtlichen Kompromißbildung abläuft, 139 dann wird es deutlich, daß befristete Gesetze eine besondere Erscheinungsform dieses Kompromisses sein können. Geltungsbefristungen dienen in „formeller" Hinsicht dazu, „politische Widerstände politisch hochumstrittener Gesetzgebungsprozesse durch Kompromiß unter Hinweis auf die Vorläufigkeit oder den Experimentalcharakter einer Regelung zu überwinden, um vor einer endgültigen Regelung Erfahrungen zu sammeln, oder um einen ersten Einstieg in umstrittene Novationen zu ermöglichen, also Krisensituationen durch Interimslösungen zu bewältigen." 140 Insbesondere befristete Erprobungsgesetze und Experimentier- und Evaluationsklauseln gehören als Mittel der Kompromißfindung zur modernen parlamentarischer Rechtsetzungspraxis. 141 Auch als solche dienen legislative Experimente einer Rationalisierung politisch-rechtlicher Entscheidungen.142 Gel3x S. allgemeiner dazu Menge!, Gesetzgebung und Verfahren. Ein Beitrag zur Empirie und Theorie des Gesetzgebungsprozesses im föderalen Verfassungsstaat, S. 24Iff. m Schulze-Fielitz, Theorie, S. 375ff., 404ff.; ders., Der politische Kompromiß als Chance und Gefahr für die Rationalität der Gesetzgebung, in: Grimm / Mai hofer (Hrsg.), Gesetzgebungstheorie und Rechtspolitik, S. 290 -326. 140 Schulze-Fielitz, Zeitoffene Gesetzgebung, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann Innovation und Flexibilität des Verwaltungshandelns, S. 159. 141 142

Schulze-Fielitz,

(Hrsg.),

Theorie, S. 422.

Richter, Experiment und Begleitforschung bei der Grundrechtsverwirklichung, in: Hassemer / Hoffmann-Riem / Limbach (Hrsg.), Grundrechte und soziale Wirklichkeit, S. 7 7 - 99,

88.

I. Befristetes Gesetzesrecht als Mittel normativer Ste

41

setzgebungsexperimente ermöglichen „den Eindruck, daß politisch gehandelt wird, ohne daß etwas auf breiterer Ebene bewegt werden muß. 44,43 Die politische Bedeutung und Relevanz von Erprobungsgesetzen besteht „insbesondere darin, daß sie aufgrund ihrer Revisionsoffenheit ein Kompromißpotential haben und der politischen Ordnung Anpassungsflexibilität ermöglichen." 144 Für die Befürworter einer Reform kann das Gesetzgebungsexperiment als Bestandteil einer Durchsetzungsstrategie, für die Gegner hingegen als Modell der Innovationsverhinderung genutzt werden. 14 ' Die Verschiebung der endgültigen bzw. dauerhaften Entscheidung bedeutet Zeitgewinn und „das politische Patt läßt sich — unter Gesichtswahrung beider Seiten — zunächst einmal aufheben." 146 Die gewonnene Zeit können beide Seiten in ihrem Sinne nutzen, indem die experimentellen Regelungen „entweder erste Schritte zur Veränderung des Systems oder umgekehrt Negativbeispiele zur Stabilisierung des herkömmlichen Systems werden." Demokratische Politik - verstanden als parlamentarische Herrschaft auf Zeit - ermöglicht die Reversibilität politischer Entscheidungen, denn letztere können mit neuen parlamentarischen Mehrheiten verändert werden. 147 Die zeitliche Begrenzung des Inkraftseins von Gesetzen trägt zur politischen Konsensbildung bei, indem sie eine Abstimmung legislativer Prozesse mit der zyklischen Strukturierung der Politik in demokratischen staatlich organisierten Rechtssystemen herbeiführt, insbesondere politische Entscheidungssituationen offenhält, so daß für jede der beiden politischen Seiten (die Befürworter und die Gegner einer legislativen Innovation) die Chance zur Bewährung und Kontinuität der neuen Geltungslage bzw. zum Wandel gewährt wird. Politisch -rechtliche Entscheidungsfindung, verstanden in einem demokratischen staatlich organisierten Rechtssystem als Herrschaft auf Zeit, hat nicht nur den Anspruch auf Machtausübung in der Zeit, sondern auch die Möglichkeit, Herrschaft durch Zeit auszuüben.148 Die zeitliche Strukturierung und Begrenzung von Geltung und/oder normativer Bindungskraft parlamentarischer Gesetze kann als eine Zeitstrategie, mithin als zu einer Zielerreichung geplanter Ein-

143

Kloepfer.

Gesetzgebung im Rechtsstaat, V V D S t R L 40 (1982), S. 92f.

144

Hoffmann-Riem, Experimentelle Gesetzgebung, in: Becker/Bull/Seewald (Hrsg.), Festschrift für Werner Thieme zum 70. Geburtstag, S. 5 5 - 6 9 , 69; s.a. ders., Législation expérimentale en Allemagne, in: Morand (Hrsg.), Evaluation législative et lois expérimentales. Séminaire en Vallais, Crans-sur-Sierre, 7 - 9 octobre 1992, S. 1 7 7 - 2 2 0 , 214. I4> Hoffmann-Riem, Experimentelle Gesetzgebung, in: Becker/Bull/Seewald schrift für Werner Thieme zum 70. Geburtstag, S. 5 5 - 6 9 , 60.

(Hrsg.), Fest-

146

S. dazu und zum Folgenden Richter, Experiment und Begleitforschung bei der Grundrechtsverwirklichung, in: Hassemer/Hoffmann-Riem/Limbach (Hrsg.), Grundrechte und soziale Wirklichkeit, S. 7 7 - 9 9 , 88. 147

Vgl. Riescher, Parlamentarische Zeitstrukturen zwischen geschichtlichen Traditionslinien und moderner Funktionalität, ZfP 44 (1997), S. 103. I4K

Riescher, Zeit, S. 98.

42

C. Befristung als Mittel normativer Steuerung und Selbstkontrolle

satz von Zeit 149 , dienen mit Blick auf die Regelungsbereiche gesetzlicher Normtexte. Durch Befristung der Geltungs- bzw. Verbindlichkeitsdauer gesetzlicher Normtexte wird in besonderer Weise die Synchronizität der Eigenzeit des legislativen Systems mit der (Umwelt-)Zeit der zu steuernden gesellschaftlichen Teilordnungen erreicht. Befristete Gesetze dienen, so gesehen, als Mittel zur zeitlichen Abstimmung mit den (systemexternen) Entwicklungen des jeweiligen Sachbereichs. Sie sind in hohem Maße geeignet, den Zweck effektiver und flexibler Anpassung an den gesellschaftlichen Wandel zu erfüllen. 150 Damit allerdings Zeitgesetze wirksam zur Herstellung einer Gleichzeitigkeit beitragen können, muß der Gesetzgeber den spezifischen Zeitstrukturen der Regelungsbereiche, insbesondere der Geschwindigkeit ihrer internen Prozesse und Entwicklungen, Rechnung tragen. aa) Normative Steuerung durch Zeitgesetze im engeren Sinne Um die Bindung der Normadressaten an ein Gesetz zeitlich zu beschränken, kann der Gesetzgeber bereits bei Inkrafttreten des Gesetzes bestimmen, daß das Gesetz nach Ablauf einer bestimmten Frist wieder außer Kraft tritt. 151 Die zeitliche Begrenzung des Geltungsbereichs der Gesetzesnormen ordnet der Gesetzgeber in vielen Referenzgebieten des Verwaltungsrechts an, etwa im Recht des öffentlichen Dienstes152, im Polizeirecht 153, im Baurecht 154 aber z.B. auch im formellen Verwaltungsrecht 155. Der zeitliche Geltungsumfang des Zeitgesetzes 149

Nowotny, Eigenzeit. Entstehung und Strukturierung eines Zeitgefühls, S. 1 4 6 - 1 5 0 .

150

So mit Blick auf die experimentelle Gesetzgebung im Bereich des Strafrechts Marxen, Strafgesetzgebung als Experiment? Gesetzesexperimente in strafrechtlicher Sicht, G A 132 (1985), S. 5 3 3 - 5 5 2 , 542. 151

Oertel, Der Zeitfaktor im öffentlichen Wirtschaftsrecht, S. 51.

152

Z.B. das Hessische Gesetz über die Gleichberechtigung von Frauen und Männern und zum Abbau von Diskriminierungen von Frauen in der öffentlichen Verwaltung (HG1G) vom 21.12.1993 (GVB1. S. 729), das in § 25 S. 2 das Außerkrafttreten in dreizehn Jahren nach dem Inkrafttreten vorsieht. S. etwa das bayerische Gesetz über die Erprobung einer Sicherheitswacht (Sicherheitswachterpobungsgesetz - SEG) vom 24.12.1993 (GVB1. S. 1049), das als befristetes Experimentiergesetz erging (Art. 20: Außerkrafttreten am 31.12.1996), das nunmehr in der Fassung vom 28.4.1997 (GVB1. S. 88) in endgültiger, unbefristeter Form gilt (Gesetz über die Sicherheitswacht in Bayern - SWG). 154 S. etwa das Maßnahmegesetz zum Baugesetzbuch (BauGB-MaßnahmenG) i.d.F. d. Bek. vom 28.4.1993 (BGBl. I S. 622), das in § 20 folgende Regelung enthält: „ B i s zum 31. Dezember 1997 gelten im Rahmen ihres Anwendungsbereichs die besonderen Vorschriften des Ersten Teils dieses Gesetzes anstelle der Vorschriften des Baugesetzbuchs oder ergänzend dazu." 155 S. Art. 1 des Gesetzes zur Entlastung der Gerichte in der Verwaltungs- und Finanzgerichtsbarkeit (VGFGEntlG) vom 31.3.1978 (BGBl. I S. 446), der die Geltungsdauer des Ge-

I. Befristetes Gesetzesrecht als Mittel normativer Ste

43

wird meist in einer Außerkrafttretungsvorschrift festgehalten. Die Funktion solcher Vorschriften ist es, den Herrschaftsbereich des geltenden Rechts zu begrenzen, um so den Weg zu ebnen, durch neues Recht den wirtschaftlichen, politischen, kulturellen etc. Bedürfnissen der Gesellschaft Rechnung zu tragen.15'' Zeitgesetze im engeren Sinne enthalten eine Abgrenzung ihres zeitlichen Geltungsbereiches (Zeitintervall der Normgeltung). Die Abgrenzung bzw. Festlegung der Beendigung des zeitlichen Geltungsbereiches (Bestimmung der Geltungsdauer) der Rechtsregel 157 kann durch die Nennung eines Stichtages oder Termins (des Außerkrafttretens) oder durch die Nennung einer Zeitspanne oder Frist (nämlich des Inkraftseins) erfolgen. Termin und Stichtag sind rechtlich geregelte Zeitpunkte. 158 Termin ist nach Winkler der Zeitpunkt, der Beginn, Wende und Ende von Rechtswirkungen von der zeitgerechten Setzung eines konkreten menschlichen Verhaltens abhängig macht. Ein Stichtag dagegen „löst durch sein konkretes kalendermäßiges Eintreten Beginn, Wende und Ende von rechtlichen Erheblichkeiten ipso iure aus." Die Frist wird durch eine genau bestimmte Zeitspanne von gezählten Tagen, Wochen, Monaten oder Jahren als verbindliche rechtliche Zeiteinheit gesetzlich geregelt. I5g Die Begrenzung der Geltungsdauer wird neben der (formellen und materiellen) Derogation als eine „reguläre" Grenze der Normgeltung betrachtet, die es zu unterscheiden gilt von außergewöhnlichen Grenzen der Normgeltung, wie das Rechtswidrigwerden und der unmittelbare Geltungswegfall infolge eines Wegfalls oder Wandels der der Norm zugrundeliegenden Verhältnisse 160.

setzes bis zur 31.12.1983 festlegt. S. dazu Broß, Das Gesetz zur Entlastung der Gerichte in der Verwaltungs- und Finanzgerichtsbarkeit im Spiegel der Rechtsprechung, VerwArch 75 (1984), S. 1 8 3 - 1 9 5 , 195. '• Sf t Oertel, Der Zeitfaktor im öffentlichen Wirtschaftsrecht, S. 41. 157

Siehe Weinberger,

Recht, S. 112, 121f.

I5X

Dazu und zum folgenden Winkler, Zeit, S. 37f., s. bereits Engisch, Die Zeit im Recht, in: ders., Vom Weltbild des Juristen, S. 6 7 - 1 0 9 , 94: „Tennin" als ein „irgendwie festgesetzt e ^ ) und in diesem Sinne bestimmte(r) ,Zeitpunkt 4 , zu dem etwas geschehen soll oder von dem an etwas geschehen ist oder geschieht (Anfangstermin, terminus a quo) oder bis zu dem etwas geschehen soll usw. (Endtennin, terminus ad quem)." 159

Winkler, Zeit, S. 51. Nach Engisch, Die Zeit im Recht, in: ders., Vom Weltbild des Juristen, S. 6 7 - 1 0 9 , 94 sind Fristen „,Zeiträume' (Zeitstrecken), innerhalb deren etwas geschehen soll oder nicht geschehen soll oder an deren Ablauf Entstehung oder Untergang eines Rechts geknüpft ist usw." 160 Siehe Baumeister, Das Rechtswidrigwerden von Normen. Eine rechtsdogmatische Untersuchung zu den Grenzen der Wirksamkeit und Anwendbarkeit von Normen - Probleme des Spannungsverhältnisses von Recht und Zeit, S. 272ff.; s.a. Ossenbühl, Rechtsquellen und Rechtsbindungen der Verwaltung, in: Erichsen (Hrsg.), Allgemeines Verwaltungsrecht, S. 111-203, 169f.

44

C. Befristung als Mittel normativer Steuerung und Selbstkontrolle

Normative Steuerung durch Befristung des Inkraftseins gesetzlicher Regelungen kann erfolgen durch (a) eine im befristeten Gesetz selbst enthaltenen Fristregelung, (b) eine Fristregelung, die in einer anderen Gesetzesvorschrift vorgegeben ist oder (c) eine Fristanordnung, die eine Verfassungsbestimmung vorsieht. Von dem durch verfassungsrechtliche oder einfachgesetzliche Fristregelung befristeten Gesetz (Zeitgesetz) ist das eine andere Vorschrift befristende Gesetz zu unterscheiden. Dieses kann eine Fristregelung enthalten, die der Geltungsdauer entweder (i) einer anderen einfachgesetzlichen Regelung oder (ii) einer niederrangigen Vorschrift eine Grenze setzt. In ihrer typischen Erscheinungsform sind Zeitgesetze im engeren Sinne selbstbefristete (bzw. sich selbst befristende) Gesetze. Als Beispiel dafür können die Jahresgesetze genannt werden, die meist mehr oder weniger regelmäßig für einen ein oder mehrere Jahre umfassenden Zeitraum geändert werden, wie typischerweise die Haushaltsgesetze.161 Auch Steuergesetze werden als Zeitgesetze, oft sogar als Jahresgesetze geschaffen, um anpassungsfähig zu bleiben. 162 Häufig enthalten Zeitgesetze jedoch Geltungsbefristungen für andere Gesetzesvorschriften. Zu nennen sind dabei zeitliche Folgegesetze, nämlich Gesetze, die ihre Existenz einem anderen Gesetz mit meistens grundsätzlichen Neuerungen verdanken, das sie rechtstechnisch und -praktisch durch Begleitnormen ergänzen bzw. umsetzen (müssen),161 Einführungsgesetze, die gleichzeitig mit dem einzuführendem Gesetz verabschiedet werden und die zeitliche Übergangsregelungen und Anpassungsbestimmungen bei Inkrafttreten von großen Dauergesetzen enthalten164, Verlängerungsgesetze, die befristete Regelungen befristet weiter gelten lassen, Überbrückungsgesetze, die eventuelle zeitliche Lücken bei der Ausführung von Rahmengesetzen durch die Länder füllen sowie befristete Übergangs- und Auslaufgesetze 165. Das sind Erscheinungsformen von Zeitgesetzen, die die Geltung anderer Gesetzesregelungen befristen. 161

Schulze-Fielitz.

Theorie, S. 69.

162

BVerwGE 3, 45ff., 45: „Gesetze, welche von Jahr zu Jahr, je nach dem zu deckenden Bedarf des Steuergläubigers, einen Steuersatz neu festsetzen, werden ... Zeitabschnittsgesetze ... oder Jahresgesetze ... genannt". S. im Zusammenhang mit der Bonner Parteispenden-Affäre Riiping, Blankettnormen als Zeitgesetze, NStZ 1984, S. 450f.; Flämig, Steuerrecht als Dauerrecht. Zur Einordnung des steuergesetzlichen Parteienfinanzierungsrechts in den Regelungsbereich des § 2 des Strafgesetzbuches. 16

· Schulze-Fielitz.

164 165

Schulze-Fielitz,

Theorie, S. 52. Theorie, S. 52; Schneider, Gesetzgebung. Ein Lehrbuch, Rn. 314.

Z.B. PreisG vom 10.4.1948 (WiGBl. S. 27). Gemäß Anlage II zum Einigungsvertrag vom 13.8.1990 (BGBl. II S. 889) (Kapitel II, Sachgebiet B, Abschnitt III, Nr. 1 e) sollte das Gesetz über die Gewährung des Aufenthaltes für Ausländer inder Deutschen Demokratischen Republik - Ausländergesetz - vom 28.6.1979 (GBl. I Nr. 17 S. 149) mit Ablauf des 31.12. 1990 außer Kraft treten sowie das DDR-Gesetz über die Aufgaben der Polizei vom 13.9.1990 (GBl. I Nr. 61 S. 1489) längstens bis zum 31.12.1991 in Kraft bleiben (Kapitel II, Sachgebiet C, Abschnitt III, Nr. 2).

I. Befristetes Gesetzesrecht als Mittel normativer Ste

45

Fristanordnungen mit Blick auf die gesetzliche Geltungsdauer können auch Verfassungsbestimmungen enthalten. Nach Art. 115k Abs. 2 GG treten Gesetze, die der Gemeinsame Ausschuß gemäß Art. 115e GG beschlossen hat, und Rechtsverordnungen, die auf Grund solcher Gesetze ergangen sind, spätestens sechs Monate nach Beendigung des Verteidigungsfalles außer Kraft. Nach Art. 115k Abs. 3 S. 1 gelten Gesetze, die von den Artikeln 91a, 91b, 104a, 106 und 107 abweichende Regelungen enthalten, längstens bis zum Ende des zweiten Rechnungsjahres, das auf die Beendigung des Verteidigungsfalles folgt. Art. 117 Abs. 1 enthält eine befristete Übergangsregelung für Art. 3 Abs. 2 und bestimmt, daß das dem Art. 3 Abs. 2 entgegenstehende Recht bis zu seiner Anpassung an diese Bestimmung in Kraft bleibt, jedoch nicht länger als bis zum 31. März 1953. Befristete Übergangsregelungen enthalten auch Art. 143 Abs. 1 und 2 GG. Art. 143 Abs. 1 S. 1 legt fest, daß Recht in den neuen Bundesländern und in Ost-Berlin bis zum 31. Dezember 1992 von Bestimmungen des GG abweichen durfte. Der die Bestimmung des Art 1 modifizierende Abs. 2 des Art. 143 GG gewährt dem Gesetzgeber in sachlich begrenzten Bereichen eine längere Übergangsfrist, und zwar bis zum 31. Dezember 1995. Ein befristendes Gesetz kann darüber hinaus eine Fristregelung enthalten, die der Geltungsdauer nicht einer anderen einfachgesetzlichen Regelung, sondern einer niederrangigen Vorschrift eine Grenze setzt. In den Polizeigesetzen etwa finden sich Bestimmungen über die Geltungsdauer von Polizei- und Ordnungsverordnungen. 166 Als Beispiel für eine Gesetzesbestimmung, die die Geltungsdauer einer Satzung einschränkt, kann § 17 Abs. 1 S. 1 BauGB angeführt werden. Mit dieser Regelung wird die Geltungsdauer einer Veränderungssperre, die nach § 16 Abs. 1 BauGB von der Gemeinde als Satzung beschlossen wird, auf zwei Jahre festgelegt (wobei der Gemeinde die Möglichkeit eingeräumt wird, die Frist um ein Jahr zu verlängern). 167

,Af t Sie beträgt höchstens 20 Jahre (§ 39 NdsSOG, § 32 Abs. 1 OBG NW, § 42 PVG, § 62 Abs. 2 SHLVwG) oder 30 Jahre (§ 42 HSOG) bzw. 40 Jahre (§ 14 Abs. 3 LWG N W ) . S. dazu Ossenbühl, Rechtsquellen und Rechtsbindungen der Verwaltung, in: Erichsen (Hrsg.), Allgemeines Verwaltungsrecht, S. 111-203, 170; Baumeister, Das Rechtswidrigwerden von Nonnen. Eine rechtsdogmatische Untersuchung zu den Grenzen der Wirksamkeit und Anwendbarkeit von Nonnen - Probleme des Spannungsverhältnisses von Recht und Zeit, S. 281. Bereits der preußische Gesetzgeber hat in § 34 PVG das automatische Außerkrafttreten von Polizeiverordnungen nach dreißig Jahren angeordnet; s. dazu von Köhler, Die Zeit als Faktor des Verwaltungsrechts, VerwArch 50 (1959), S. 2 1 3 - 2 3 6 , 231. Ul 7 Baumeister, Das Rechtswidrigwerden von Nonnen. Eine rechtsdogmatische Untersuchung zu den Grenzen der Wirksamkeit und Anwendbarkeit von Nonnen - Probleme des Spannungsverhältnisses von Recht und Zeit, S. 281 f.

46

C. Befristung als Mittel normativer Steuerung und Selbstkontrolle

bb) Normative Steuerung durch Zeitgesetze im weiteren Sinne Zeitgesetze im weiteren Sinne enthalten zeitliche Bestimmungen (Grenzen) des Verbindlichkeitsbereichs. Die Befristung dient hier nicht der zeitlichen Begrenzung der Existenz des Gesetzestextes als rechtlich relevanten Textes, sondern der Begrenzung der Subsumtionsmöglichkeiten in der Zeit, der zeitlichen Einschränkung der Klasse der subsumierbaren Sachverhalte. 168 Die Abgrenzung bzw. Festlegung der Beendigung des zeitlichen Verbindlichkeitsbereiches (Bestimmung der Verbindlichkeitsdauer) der Rechtssregel kann durch die Nennung eines Stichtages oder Termins (der Beendigung der normativen Bindungskraft) oder durch die Nennung einer Zeitspanne oder Frist (nämlich der Verbindlichkeit) erfolgen. Insoweit gilt das, was auch für die Zeitgesetze im engeren Sinne relevant ist. 169 Sehr oft enthalten Zeitgesetze im weiteren Sinne eine nur schlüssige Befristung des „zeitlichen Anwendungsbereichs" einer Rechtsnorm. 170 Es handelt sich um Gesetzesvorschriften mit absehbarem, zeitlich bestimmbarem Regelungsanlaß bzw. Regelungsgegenstand. Sie sind demnach gekennzeichnet durch die Anknüpfung der verbindlichen Befolgungs- und Anwendungsdauer des Gesetzesnormtextes an eine auflösende Bedingung. Wesentliche inhaltliche Unterschiede zwischen der Befristung und der Bedingung scheinen nicht vorzuliegen. Bedenken unter dem Gesichtspunkt der Rechtssicherheit bestehen keine, sofern die Voraussetzungen des Geltungswegfalls nur ausdrücklich und bestimmt genug festgelegt sind. 171 Es wird im Schrifttum die Meinung vertreten, 172 daß „Anwendungsregelungen" tatbestandlicher Verknüpfung des sachlichen Anwendungsbereichs mit einem Termin dergestalt, daß er beispielsweise die „Anwendung" des Gesetzes von dem Eintreten eines Ereignisses vor oder nach einem bestimmten Termin abhängig mache, zu trennen seien von Befristungen der „Anwendung" des Gesetzes. Als Grund wird angeführt, daß der zeitliche Anwendungsbereich keine ,AK

Siehe Weinberger , Recht, S. 121 f.

169

S. unter C.I. 1 .b).aa).

170

A . A . wohl Baumeister, Das Rechtswidrigwerden von Normen. Eine rechtsdogmatische Untersuchung zu den Grenzen der Wirksamkeit und Anwendbarkeit von Normen - Probleme des Spannungsverhältnisses von Recht und Zeit, S. 280, 283, nach dem die Bezeichnung Zeitgesetze den (ausdrücklich) befristeten Gesetzen gilt, ohne daß er zwischen Zeitgesetzen im engeren und im weiteren Sinne differenziert. 171

So Baumeister, Das Rechtswidrigwerden von Nonnen. Eine rechtsdogmatische Untersuchung zu den Grenzen der Wirksamkeit und Anwendbarkeit von Normen — Probleme des Spannungsverhältnisses von Recht und Zeit, S. 280f. Dies gelte auch für den Fall, in dem der Eintritt des die Bedingung bildenden Ereignisses ungewiß sei. 172

Oertel, Der Zeitfaktor im öffentlichen Wirtschaftsrecht, S. 54.

I. Befristetes Gesetzesrecht als Mittel normativer Ste

47

zeitliche Beschränkung in der Zukunft erfahre, sondern lediglich der sachliche Anwendungsbereich an einen bestimmten Zeitabschnitt der Vergangenheit anknüpfe. Als Beispiel wird § 2 des Heizölkostenzuschußgesetzes aus dem Jahre 1979'73 erwähnt. Bei näherer Betrachtung erweist sich diese Fallkonstellation jedoch als Anwendungsfall der Befristung des Bezugsintervalls der Vorschrift. 174 Die Anwendung (besser: die Verbindlichkeit) kann Bezug nehmen auch auf Zeitabschnitte der Vergangenheit. 175 2. Befristung des Geltungs- und Verbindlichkeitsbereichs von Gesetzesnormen am Beispiel des öffentlichen Wirtschaftsrechts Die Befristung des zeitlichen Geltungs- und Verbindlichkeitsbereichs dient als gesetzgebungsmethodisches- und -technisches Hilfsmittel auch in der Verwaltungsgesetzgebung. Besonders häufig wird sie in infrastrukturtypischen Referenzgebieten des Verwaltungsrechts als Mittel gesetzesnormativer Steuerung eingesetzt, insbesondere auch im Gebiet des Wirtschaftsverwaltungs- und Wirtschaftsplanungsrechts. 1 7 6 Der Zeitaspekt spielt insbesondere für die Wirtschaft als Wettbewerbs-, Produktions- und Standortfaktor eine besonders wichtige Rolle. 177 Die Befristung von parlamentarischen Gesetzen wird insbesondere dann als zweckmäßig betrachtet, „wenn es um die zukunftsbezogenen Planungs-, Lenkungs- und Förderungsfunktionen mit Maßnahmen zur situativen Zweckverwirklichung geht, die durch Veränderungen von Wirkungszeitpunkten beeinflußt werden." 178 Wirtschaftliche Zeitgesetze stellen Steuerungsinstrumente zukünftiger Wirtschaftsabläufe dar. 179 Zeitgesetze könnten aber auch „gerade im Bereich wirtschaftspolitisch initiierter, eher kurzfristig intendierter gesetzlicher Maßnahmen" eine Erfolgs- und Wirksamkeitskontrolle mit dem Ziel veranlassen, die parlamentarim

BGBl. I S. 1753.

174

Vgl. Hernandez Marin, Recht und Zeit, in: Garzón Valdés (Hrsg.), Spanische Studien zur Rechtstheorie und Rechtsphilosophie, S. 8 7 - 9 8 , 87f. 175 In diesem Sinne auch Schulze-Fielitz, Zeitoffene Gesetzgebung, in: Hoffmann-Riem Schmidt-Aßmann (Hrsg.), Innovation und Flexibilität des Verwaltungshandelns, S. 158. 176

/

S. dazu Faber, Verwaltungsrecht, S. 380ff., 383ff.

177

Wolff/ Bachof/Stober, Verwaltungsrecht I, § 37 Rn. 23. Zum Zusammenhang der Zeit als Standortfaktors mit der Verkürzung der Innovationszyklen siehe Bundesministerium für Wirtschaft (Hrsg.), Investitionsförderung durch flexible Genehmigungsverfahren. Bericht der Unabhängigen Expertenkommission zur Vereinfachung und Beschleunigung von Planungsund Genehmigungsverfahren, S. 35f. I7 X Schulze-Fielitz, Zeitoffene Gesetzgebung, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann Innovation und Flexibilität des Verwaltungshandelns, S. 158. 179

Oertel, Der Zeitfaktor im öffentlichen Wirtschaftsrecht, S. 102.

(Hrsg.),

48

C. Befristung als Mittel normativer Steuerung und Selbstkontrolle

sehe Mehrheit zu einer Neubefassung anzuregen und die Suche nach effektiven Steuerungsalternativen zu fördern. 180 In der Leistungsgesetzgebung181, insbesondere in der Gesetzgebung der Wirtschaftslenkung und Wirtschaftsplanung, wird das Instrument der Befristung sehr häufig eingesetzt. Wirtschaftslenkende Gesetze, insbesondere solche zu einer dauerhaft institutionalisierten sektoralen Investitionskorrigierbarkeit 182, Gesetze zur regionalen Wirtschaftsförderung 183 sowie Gesetze zur Konjunktursteuerung 184 werden sehr oft mit Geltungs- und Verbindlichkeitsfristen versehen. Die Bedeutung des Instruments der Befristung von Gesetzestexten im öffentlichen Wirtschaftsrecht läßt sich etwa am Beispiel des Marktrechts darstellen. Die temporale Begrenzung legislativer Maßnahmen gehört nach Müller-Graff mit zu den inhaltstypischen Voraussetzungen in der rechtlich legitimierten Einschränkbarkeit der von den Konstitutivnormen des Marktrechts angestrebten normativen Primats der marktgemäßen Selbststeuerung. 185 Das Primat der marktgemäßen Selbststeuerung enthält auch den Gedanken der rechtlichen Grenzen der Zukunftsgestaltung. Denn „das Leitbild der privatautonom verantworteten Koordination beendet seine Maßgeblichkeit nicht, soweit eine private oder staatliche Maßnahme regulative Aufgaben übernommen hat." Vielmehr wirkt es in einem Postulat der potentiellen Entregulierung fort, „soweit angestrebte Ziele verwirklicht (Entfallen der Steuerungsnotwendigkeit) oder aber auf Dauer nicht sinnvoll — z.B. wegen gegenwirkender Selbststeuerungskräfte verwirklichbar sind." Anders als Regelungen, die eine material nicht grob ungerechte Selbststeuerung, mithin die marktgemäße Koordination unter Ausschluß rechtlich mißbilligter Verhaltensweisen, ermöglichen, widersprechen ergebnisfinale Regelungen dem Primat der marktgemäßen Selbststeuerung, wenn sie als

180 Schulze-Fielitz, Zeitoffene Gesetzgebung, in: Hoffmann-Riem /Schmidt-Aßmann Innovation und Flexibilität des Verwaltungshandelns, S. 158.

(Hrsg.),

1X1 S. allgemein dazu Hennecke, Gesetzgebung im Leistungsstaat, D Ö V 1988, S. 7 6 8 - 7 8 1 ; Ehsen, Gesetzesgestaltung und Gesetzesanwendung im Leistungsstaat, DVB1. 1988, S. 883 — 892; Schulze-Fielitz, Grenzen rationaler Gesetzesgestaltung, insbesondere im Leistungsrecht, D Ö V 1988, S. 7 5 8 - 7 6 8 . 1X2 S. als Beispiel das sogenannte Mühlengesetz (Gesetz über die Errichtung, Inbetriebnahme, Verlegung, Erweiterung und Finanzierung der Stillegung von Mühlen), BGBl. 1957 I S. 664, das im § 14 das Außerkrafttreten des Gesetzes zum 31.12.1960 anordnete. m Z.B. Fördergebietsgesetz (Gesetz über Sonderabschreibungen und Abzugsbeträge im Fördergebiet) i.d.F. d. Bek. vom 23.9.1993 (BGBl. I S. 1654). 1X4 Z.B. Energiesicherungsgesetz vom 9.11.1973 (BGBl. I S. 1585) ordnete im § 20 das Außerkrafttreten mit Ablauf des 31.12.1974 an. M i t dem Änderungsgesetz zum Energiesicherungsgesetz (EnergiesicherungsG 1975) (BGBl. 1974 I S. 3681) wurde das Inkraftsein des Gesetzes bis zum 31.12.1979 verlängert (§ 18). 1X5

S. dazu und zum folgenden Müller-Graff Unternehmensinvestitionen und Investitionssteuereung im Marktrecht. Zu Maßstäben und Stärken für die überbetriebliche Steuerung von Produktionsinvestitionen aus dem Recht des wettbewerbsverfaßten Marktes, S. 358ff., 358.

I. Befristetes Gesetzesrecht als Mittel normativer Ste

49

legislative Dauerregelungen gestaltet sind. 186 Die ausdrückliche Befristung, die einzelne Wirtschaftsregulierende Gesetze für ihre Maßnahmen anordnen (etwa das Stabilitätsgesetz oder das Investitionszulagegesetz) ist konsequenter Ausdruck des Einschränkungskriteriums der temporalen Begrenzung des gesetzlichen Geltungsbereichs. In der Frage der Befristung legislativer Maßnahmen öffentlicher Investitionssteuerung wird mitunter von der Unterscheidung zwischen Ordnungsgestaltung und Ergebnisplanung ausgegangen.187 Auf der Grundlage der Unterscheidung unterschiedlicher Investitionssteuerung nach Steuerungsgrad in verpflichtende, korrigierende, präformierende, rentabilitätsbezogene, beobachtende und empfehlende bzw. indikative Investitionssteuerung 188 läßt sich feststellen, daß legislative Maßnahmen etwa präformierender und observierender Investitionssteuerung Elemente eher dauerhafter Ordnungsgestaltung zeigen, während Maßnahmen treuhänderischer, verpflichtender, korrigierender oder influenzierender Investitionssteuerung meist mit Befristung versehen werden. „Lediglich in extremen Sondersituationen kann die Frage der Befristung von Maßnahmen der zweiten Gruppe, z.B. regionaler Investitionsfbrderung oder dauerhaft institutionalisierter sektoraler Investitionskorrigierbarkeit mit der ungewissen Dauer der Sondersituation selbst beantwortbar sein." 189 Machtregulativ begründete Investitionssteuerung kann als ordnungspolitische Marktgestaltung mittels staatlicher Markteingriffe dem Gebot temporaler Begrenzung entzogen sein. Konjunkturrechtliche legislative Maßnahmen können, solange sie zeitlich limitiert und kurzfristig angelegt sind, mit dem marktrechtlichen Grundsatz temporaler Begrenzung von Maßnahmen überbetrieblicher Investitionssteuerung kaum in Konflikt geraten. 190 Selbst wenn die Befristung 1X 6 Müller-Graff\ Unternehmensinvestitionen und Investitionssteuereung im Marktrecht. Zu Maßstäben und Stärken für die überbetriebliche Steuerung von Produktionsinvestitionen aus dem Recht des wettbewerbsverfaßten Marktes, S. 360. 1X7 S. dazu und zum folgenden Müller-Graff.[ Unternehmensinvestitionen und Investitionssteuereung im Marktrecht. Zu Maßstäben und Stärken für die überbetriebliche Steuerung von Produktionsinvestitionen aus dem Recht des wettbewerbsverfaßten Marktes, S. 508ff., 508. IK K

Müller-Graf]\ Unternehmensinvestitionen und Investitionssteuereung im Marktrecht. Zu Maßstäben und Stärken für die überbetriebliche Steuerung von Produktionsinvestitionen aus dem Recht des wettbewerbsverfaßten Marktes, S. 120ff. 189

Müller-Graff\ Unternehmensinvestitionen und Investitionssteuereung im Marktrecht. Zu Maßstäben und Stärken für die überbetriebliche Steuerung von Produktionsinvestitionen aus dem Recht des wettbewerbsverfaßten Marktes, S. 508. 190 Zur Verankerung des Gedankens der zeitlichen Aussetzung der ungehinderten Marktkoordination und damit der zeitlichen Grenze erlaubter Abweichungen vom Leitbild des Gemeinsamen Marktes für staatliche Maßnahmen im europäischen Recht s. Müller-Graff\ Unternehmensinvestitionen und Investitionssteuereung im Marktrecht. Zu Maßstäben und Stärken für die überbetriebliche Steuerung von Produktionsinvestitionen aus dem Recht des wettbewerbsverfaßten Marktes, S. 359f.

4 Chanos

50

C. Befristung als Mittel normativer Steuerung und Selbstkontrolle

noch unnötig lange gewählt oder die konjunkturpolitische Maßnahme zweckentfremdet weitergeführt wird, kann sich die Befristungsnotwendigkeit auswirken. 191 Was schließlich die zulässige Dauer von Legislativmaßnahmen strukturpolitisch begründeter überbetrieblicher Investitionssteuerung anbelangt, so wird es aus marktintegrationsrechtlichen, wettbewerbsrechtlichen und grundrechtlichen Gründen als unzulässig angesehen, Einschränkungen generell als Dauerregelungen zu dulden, wenn nicht machtregulative Ordnungspolitik als der ausschlaggebende Gesichtspunkt hervortritt. 192 a) Befristung des Geltungsbereichs öffentlicher Wirtschaftsgesetze Als Beispiel für ein öffentliches Wirtschaftsgesetz, dessen Geltungsdauer befristet war, kann das Energiewirtschaftsgesetz 1975 dienen. Das Gesetz zur Sicherung der Energieversorgung bei Gefährdung oder Störung der Einfuhren von Erdöl, Erdölerzeugnissen oder Erdgas (Energiewirtschaftsgesetz 1975) vom 20. Dezember 1974193 war laut § 18 Satz 2 bis zum 31. Dezember 1979 befristet worden. Das Gesetz verfolgte einen doppelten Zweck. Zum einen wollte der Gesetzgeber dadurch den rechtlichen Rahmen dafür schaffen, daß „in der Bundesrepublik Deutschland Staat und Wirtschaft zweckentsprechende Maßnahmen zur Sicherung des lebenswichtigen Bedarfs an Energie für den Fall schwerwiegender einfuhrbedingter Versorgungsschwierigkeiten bei Mineralöl oder Erdgas ergreifen können". Zum anderen stellte das Gesetz „die rechtliche Grundlage für die Erfüllung des im Übereinkommen zum IEP vorgesehenen Krisenmechanismus dar." 194 Sinn und Zweck der Befristung auf fünf Jahre war die Sammlung von Implementationserfahrungen. 195 Vor dem Zeitpunkt des Außerkraftretens ist die Befristung durch das Erste Gesetz zur Änderung des Energiesicherungsgesetzes 1975 vom 19. Dezember 1979 1% aufgehoben worden und das Gesetz gilt seitdem unbefristet. 197 191

S. zum ganzen Müller-Graff Unternehmensinvestitionen und Investitionssteuereung im Marktrecht. Zu Maßstäben und Stärken für die überbetriebliche Steuerung von Produktionsinvestitionen aus dem Recht des wettbewerbsverfaßten Marktes, S. 510. 192

Müller-Graff Unternehmensinvestitionen und Investitionssteuereung im Marktrecht. Zu Maßstäben und Stärken für die überbetriebliche Steuerung von Produktionsinvestitionen aus dem Recht des wettbewerbsverfaßten Marktes, S. 511 f. 191

BGBl. I S. 3681, geändert durch Gesetz vom 14.12.1976 (BGBl. I S. 3373).

194

Siehe Ohernolte/Danner,

Energiewirtschaftsrecht. Kommentar, Bd. II, X V I I lb.

195

S. die amtliche Begründung zum Änderungsgesetz (BT-Drucks. 8 / 3 0 5 6 vom 12.7.1979), Obernolle/Danner, Energiewirtschaftsrccht. Kommentar, Bd. II, X V I I 54, derzufolge vergleichbare Krisenregelungen weder in der Bundesrepublik Deutschland noch in anderen Ländern vorlägen und internationale Krisenmechanismen noch nicht erarbeitet wären. 196 197

BGBl. I S. 2305.

Dazu die amtliche Begründung zum Änderungsgesetz (BT-Drucks. 8 / 3 0 5 6 vom 12.7.1979), Obemolte/Danner, Energiewirtschaftsrccht. Kommentar, Bd. II, X V I I 54: „Diese

I. Befristetes Gesetzesrecht als Mittel normativer Steuerung

51

b) Befristung des Verbindlichkeitsbereichs öffentlicher Wirtschaftsgesetze Anders als bei der temporalen Begrenzung der Geltungsdauer, die der rechtlichen Existenz der gesetzlichen Regelung in toto ein Ende setzt, kann die Terminierung des Verbindlichkeitsbereichs wirtschaftlicher Gesetzestexte je nach den Bedürfnissen der zu steuernden gesellschaftlichen, insbesondere wirtschaftlichen Teilordnung einen variierenden Grad an zeitlicher Regelungsdichte erreichen. Dabei nimmt eine zeitgesetzliche Regelung (im weiteren Sinne) nicht ohne weiteres Stellung zu der Frage nach ihrem Schicksal als formell geltende Rechtsvorschrift nach Ablauf der Frist. Die Befristung der Verbindlichkeitsstruktur von Gesetzestexten stellt eine verhältnismäßig anspruchsvolle und komplexe (Zeit-)Strategie der Steuerung künftiger Entwicklungsmöglichkeiten bereit im Hinblick auf die durch die befristeten Gesetze zu steuernden gesellschaftlichen Sachbereiche. Die Befristung des Verbindlichkeitsbereichs von (einzelnen) Gesetzesnormen eignet sich als Steuerungs- und Kontrollinstrument besser als die Befristung des Geltungsbereichs der gesamten Regelung, wenn es gilt, den Sachbereich mit differenzierten gesetzesnormativen Mitteln zeitlich zu strukturieren. Statt die Geltungsdauer der gesamten Regelung etwa mit der Aufnahme der Fristregelung in die Schlußvorschriften auf einmal (von vornherein) zu begrenzen, kann der Gesetzgeber eine differenziertere normative Steuerung — und Kontrolle dieser Steuerung (im Sinne einer Erfolgs- und Wirksamkeitskontrolle) — anstreben, indem er etwa den zeitlichen Bezugsbereich der zu steuernden gesellschaftlichen, insbesondere auch wirtschaftlichen Teilordnung, detailliert, präzise und flexibel strukturiert. Die temporale Begrenzung des Verbindlichkeitsbereichs gesetzlicher Regelungen wird demnach zu einem Instrument zeitlicher normativer Feinsteuerung des Entscheidungsverhaltens der Normadressaten. Als Beispiel einer verhältnismäßig einfachen zeitlichen Strukturierung des Sachbereichs ist das Konjunkturzuschlagsgesetz (Gesetz über die Erhebung eines rückzahlbaren Konjunkturzuschlags zur Einkommensteuer und Körperschaftsteuer) vom 23. Juli 1970'98 zu nennen, das für die Zeit vom 31. Juli 1970 bis zum 1. Juli 1971 einen Zuschlag von 10% zur Einkommens-, Lohnund Körperschaftssteuer anordnete (§ 1 Abs. 1 und 2). 199

Gründe (seil, zur Befristung) sind heute nicht mehr vorhanden. Das Energiesicherungsgesetz hat nicht nur nationale Bedeutung, sondern erfüllt gleichzeitig auch die Verpflichtungen der Bundesrepublik Deutschland aus dem mittlerweile erarbeiteten Krisenprogramm der Europäischen Gemeinschaften. Zur Ausfüllung und Ausführung dieser internationalen Rahmenregelungen ist es erforderlich, die notwendig innerstaatliche Rechtsgrundlage unbefristet zu schaffen. Auch die gegenwärtige energiepolitische Situation zeigt, daß ein entsprechender Ermächtigungsrahmen auf Dauer vorhanden sein muß." m

4*

BGBl. I S. 1125.

52

C. Befristung als Mittel normativer Steuerung und Selbstkontrolle

Ein höherer Grad an zeitlicher Regelungsdichte und Strukturkomplexität wird erreicht etwa mit dem Fördergebietsgesetz (Gesetz über Sonderabschreibungen und Abzugsbeträge im Fördergebiet) i. d. F. der Bekanntmachung vom 23. September 1993 (BGBl. I S. 1654). In seinem § 8 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. § 4 Abs. 1 regelt es die Befristung einer Sonderabschreibung (Sonder-AfA) 50% für Investitionen in den neuen Bundesländern bis 31. Dezember 1996. 200 Nach der letzten Änderung durch das Jahressteuergesetz 1996 (BGBl. I S. 1250, 1392) und durch das Jahressteuer-Ergänzungsgesetz vom 18. Dezember 1995 (BGBl. I S. 1966) werden im § 4 Abs. 2 FördG n.F. die bereits in vollem Umfang mit bis zu 50% Sonder-AfA begünstigten Investitionen geregelt, die im Zeitraum vom 1. Januar 1991 bis einschließlich 31. Dezember 1996 (Satz 1 Nr. 1) abgeschlossen werden. Bei Tatbeständen, die in den Jahren 1997 und 1998 abgeschlossen werden, kann eine Sonderabschreibung bis zu 40% beansprucht werden, soweit die Bemessungsgrundlage die vor dem 1. Januar 1997 geleisteten Anzahlungen auf Anschaffungskosten oder entstandenen Teilherstellungskosten übersteigt (§ 4 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 FördG n.F). Für die Anschaffung von Gebäuden bis zum Ende des Jahres der Fertigstellung und die Herstellung von Gebäuden, soweit sie mindestens fünf Jahre nach ihrer Anschaffung oder Herstellung Wohnzwecken dienen, gilt ab 1997 der Sonderabschreibungssatz von 25% (§ 4 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 FördG n.F.).201 Die Zeitstrukturen des Sachbereichs können mit Hilfe zeitgesetzlicher Regelungen derart normativ ausgestaltet werden, daß sich oft ein komplexes Bild miteinander verschachtelter Zeitintervalle ergibt. Wirtschaftliche Zeitgesetze stellen in diesem Sinne ein charakteristisches Exempel einer differenzierten parlamentarischen Rechtsetzung auf Zeit im weiteren Sinne dar. Als Beispiel einer differenzierten normativen Zeitstrukturierung des Sachbereichs kann etwa das Investitionszulagengesetz 1996202 genannt werden. 203

199 Vgl. auf der untergesetzlichen Ebene etwa die Verordnung über die steuerliche Begünstigung von Wasserkraftwerken vom 26.10.1944 (RGBl. I S. 278) i.d.F. der Gesetze vom 16.8.1977 (BGBl. I S. 1586, 1594) und vom 14.12.1984 (BGBl. I S. 1505), die im § 3 vorsieht, daß die steuerliche Begünstigung nur eintritt, wenn der Baubeginn der Anlagen zur Erzeugung elektrischer Arbeit durch Wasserkräfte (Wasserkraftwerke) in die Zeit vom 1.1.1938 bis zum 31.12.1990 fällt. 200

Siehe Huber, Allgemeines Verwaltungsrecht, S. 38.

201

S. dazu Spanke, Jahrssteuergesetz 1996: Verlängerung des Investitionszulagengesetzes und des Fördergebietsgesetzes und Einführung steuerbegünstigter Fördergebietsdarlehen, D B 1995, S. 1980-1985. 202 2(b

Vom 22.1.1996 (BGBl. I S. 60).

Das Investitionszulagengesetz 1996 ordnet etwa im § 3 an, daß die Investitionen begünstigt sind, wenn sie der Anspruchsberechtigte „1. nach dem 31. Dezember 1990 und vor dem 1. Juli 1992 abgeschlossen hat oder 2. vor dem 1. Januar 1993 begonnen sowie nach dem 30. Juni 1992 und vor dem 1. Januar 1995 abgeschlossen hat oder

I. Befristetes Gesetzesrecht als Mittel normativer Ste

53

Auch bei Gesetzesänderungen kann der Gesetzgeber den zeitlichen Verbindlichkeitsbereich flexibler gestalten und die zeitliche Regelungsdichte nach den Bedürfnissen und der Geschwindigkeit der Entwicklungsprozesse im Sachbereich variabler und anpassungsfähiger (um)gestalten als den (meist in den Schlußbestimmungen festgelegten) Geltungsbereich. Im letzteren Fall steht der Gesetzgeber (in aller Regel angesichts der bevorstehenden automatischen Beendigung der formalen Geltung) vor der Alternative, das Gesetz entweder außer Kraft treten oder es weiter gelten zu lassen (im letzten Fall allerdings entweder mit dem selben oder einem geänderten „Inhalt", entweder wieder als Zeit- oder nunmehr als Dauergesetz). Die Befristung des Verbindlichkeitsbereichs ermöglicht dem Gesetzgeber — über diese Möglichkeiten hinaus — zusätzlich eine (höhere oder niedrigere) Abstufung der zeitlichen Regelungsdichte als bisher. Dementsprechend enthielt beispielsweise eine frühere Fassung des Investitionszulagengesetzes 1996, nämlich das Investitionszulagengesetz 1991 (InvZulG 1991)204 e j n e w e n j g e r komplexe zeitliche Strukturierung der Investitionszeiträume als die oben genannte, im Jahre 1996 geänderte Fassung des Gesetzes. Der Gesetzgeber sah sich angesichts der Gesetzesänderung in diesem Fall gezwungen, — unbeschadet der formellen Geltungsdauer des gesamten Gesetzes — die zeitliche Regelungsdichte im Verbindlichkeitsbereich der Regelung des § 3 zu erhöhen und zusätzliche, zum Teil miteinander verschachtelte Investitionszeiträume vorzusehen. 205

3. nach dem 31. Dezember 1992 und vor dem 1. Juli 1994 begonnen sowie vor dem 1. Januar 1999 abgeschlossen hat oder 4. nach dem 30. Juni 1994 begonnen sowie vor dem 1. Januar 1999 abgeschlossen hat und es sich um Investitionen in Betrieben des verarbeitenden Gewerbes oder um Investitionen im Sinne des § 5 Abs. 2, 3 oder 4 handelt oder 5. nach dem 30. Juni 1994 begonnen sowie vor dem 1. Januar 1997 abgeschlossen hat und es sich nicht um Investitionen im Sinne der Nummer 4 handelt ( . . . ) . " 21)4 Art. 7 des Gesetzes zur Förderung von Investitionen und Schaffung von Arbeitsplätzen im Beitrittsgebiet sowie zur Änderung steuerrechtlicher und anderer Vorschriften (Steueränderungsgesetz 1991 - StÄndG 1991) vom 24.6.1991 (BGBl. I S. 1322, 1333). 205 Vgl. § 3 des Investitionszulagengesetzes 1991: „ D i e Investitionen sind begünstigt, wenn sie 1. nach dem 31. Dezember 1990 und vor dem 1. Juli 1992 oder 2. nach dem 30. Juni 1992 und vor dem 1. Januar 1995 abgeschlossen werden. Nach dem 31. Dezember 1992 abgeschlossene Investitionen sind nur begünstigt, wenn sie der Anspruchsberechtigte vor dem 1. Januar 1993 begonnen hat ( . . . ) . "

54

C. Befristung als Mittel normativer Steuerung und Selbstkontrolle

II. Befristetes Gesetzesrecht als Mittel (institutionalisierter) normativer Selbstkontrolle parlamentarischer Gesetzgebung 1. Allgemeines Über die spezifische Steuerungsfunktion hinaus dient die Befristung gesetzlicher Normtexte als Mittel zur prozeduralen Stärkung der Evaluierungsfunktion im Gesetzgebungsverfahren. 206 Gesetzgebung „auf Zeit" stellt auch und gerade im Bereich des öffentlichen Wirtschaftsrechts einen zur Dynamisierung der getroffenen legislativen Entscheidungen entwickelten Mechanismus zum Nachfassen und Nachbessern dar. „Gerade im Bereich wirtschaftspolitisch initiierter, eher kurzfristig intendierter gesetzlicher Maßnahmen könnten ... Zeitgesetze eine Wirkungskontrolle initiieren mit dem Ziel, die parlamentarische Mehrheit zu einer Neubefassung zu veranlassen und die Suche nach wirksamen Regelungsalternativen (auch nichtrechtlicher Art) zu fördern." 207 Er soll dazu beitragen, daß im Wege von Rückkopplungen Erfahrungen aus dem Vollzug wirtschaftsrechtlicher Gesetze aufgearbeitet werden und direkter in den Kontrollund Anpassungsvorgang der parlamentarischen Gesetzgebung eingebracht werden können. 208 In der bereits einige Jahrzehnte alten und dennoch unvermindert aktuellen, ja immer intensiver geführten Diskussion um Erforderlichkeit, Möglichkeiten und Grenzen einer „Rückführung der Staats- und Verwaltungstätigkeit auf das notwendige Maß" 2 0 9 in der Bundesrepublik Deutschland nimmt die Forderung um eine Reform der Gesetzgebungsmethodik eine herausragende Stellung ein. In Anbetracht der von allen Seiten beklagten Inflation der Gesetzesproduktion 2 1 0 hauptsächlich durch den Bundesgesetzgeber211 wird intensiv nach Mitteln gesucht, die in quantitativer Hinsicht zu einer Reduzierung des hochkomplexen, 206 S. etwa Hellstem/Wollmann, Wirksamere Gesetzesevaluierung. Wo könnten praktikable Kontroll verfahren und Wirkungsanalysen bei Parlament und Rechnungshof ansetzen?, ZParl 11 (1980), S. 5 4 7 - 5 6 7 , 556ff., 557f. 207 Schulze-Fielitz, Zeitoffene Gesetzgebung, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann Innovation und Flexibilität des Verwaltungshandelns, S. 158.

(Hrsg.),

2(m

S. allgemein dazu Hill, Staatliches Handeln bei veränderlichen Bedingungen, in: Ellwein/Hesse (Hrsg.), Staatswissenschaften, S. 63. 2,w Vgl. den aktuellen Bericht von Hofmann/Meyer-Teschendorf Ein Kongreß zur Verschlankung des Staates. Erkenntnisse zur Reform der öffentlichen Verwaltung und zur Gesetzgebungsmethodik, ZG 12 (1997), S. 2 8 3 - 2 9 4 , 283. 210 Nach dem aktuellsten Befund sind im derzeit geltenden Bundesrecht rund 2.000 Gesetze und ungefähr 3.000 Rechtsvorschriften mit insgesamt ca. 85.000 Einzelvorschriften zu zählen, s. Sachverständigenrat „Schlanker Staat" (Hrsg.), Abschlußbericht, S. 19. 211 Scholz/Mever-Teschendorf Reduzierung der Nonnenflut durch qualifizierte Bedürfnisprüfung, ZRP 1996, S. 4 0 4 - 4 0 8 , 405.

II. Befristetes Gesetzesrecht als Mittel normativer Selbstkontrolle

55

deshalb unüberschaubaren und teilweise unwirksamen gesetzlichen Regelwerkes beizutragen und zugleich eine verbesserte Regelungsqualität der Gesetzgebung zu gewährleisten vermögen. Einen wichtigen Schritt zur Erreichung der gesetzgebungspolitischen und -methodischen Ziele der Deregulierung und Optimierung der Gesetzesproduktion, die ernsthaft nicht kurzfristig, sondern erst mittelund langfristig angesteuert werden können 212 , sieht ein großer Teil des Schrifttums in einer intensiveren, konsequenten Gesetzesnormprüfung und -wirkungskontrolle. Eine Kontrolle der gesetzlichen Folgen (seien sie nun Neben-, Spätund Fernfolgen, beabsichtigt oder nicht, unmittelbare oder erst mittelbare Folgen), kann ihre Wirkung erst dann effektiv entfalten, wenn sie institutionell abgesichert ist. 213 Unter Institutionalisierung der Erfolgskontrolle von Gesetzen ist ihre prozedurale und organisatorische Sicherstellung zu verstehen. Prozedural ist die gesetzliche Normtextprüfung dadurch sichergestellt, daß sie in Gesetzen bzw. Geschäftsordnungen vorgesehen wird. Organisatorisch abgesichert ist sie durch die Einrichtung bestimmter, zur Durchführung der Kontrolle zuständigen, Stellen. Die Geltungs- und „Anwendbarkeits"befristung von Gesetzestexten kann der prozeduralen, nicht hingegen der organisatorischen Absicherung der Erfolgskontrolle dienen. 214 2. Einzelfragen der (institutionalisierten) normativen Selbstkontrolle der parlamentarischen Gesetzgebung durch befristetes Gesetzesrecht a) Erscheinungsformen legislativer Erfolgskontrolle Die Erfolgskontrolle von Gesetzen kann - zeitlich gesehen - prospektiv, begleitend zu dem Gesetzgebungsverfahren oder nach dem Erlaß durchgeführt werden. 215 Im nachfolgenden soll nicht auf die begleitende Wirkungskontrol212 Hofmann/Meyer-Teschendorf] Ein Kongreß zur Verschlankung des Staates. Erkenntnisse zur Reform der öffentlichen Verwaltung und zur Gesetzgebungsmethodik, Z G 12 (1997), S. 2 8 3 - 2 9 4 , 286. 2Ì} S. dazu und zum folgenden: Staatskanzlei Rheinland-Pfalz (Hrsg), voran. Schriften zur Verwaltungsmodernisierung in Rheinland-Pfalz, Heft 5, S. 5 1 - 5 5 in Anlehnung an Fricke, Modelle zur Institutionalisierung einer Gesetzeskontrolle, S. 31. 214 Zu den organisatorischen Aspekten einer Institutionalisierung der Gesetzesfolgenabschätzung s. Staatskanzlei Rheinland-Pfalz (Hrsg), voran. Schriften zur Verwaltungsmodernisierung in Rheinland-Pfalz, Heft 5, S. 51 - 5 5 . 2,5 Vgl. etwa König, Evaluation als Kontrolle der Gesetzgebung, in: Schreckenberger/König/Zeh (Hrsg.), Gesetzgebungslehre, S. 9 6 - 108, 99f., der von ex-ante-, ex-postund Begleit-Evaluation spricht. Grim, Methode für eine prospektive Gesetzesfolgenabschätzung, in: Staatskanzlei Rheinland-Pfalz (Hrsg), voran. Schriften zur Verwaltungsmodernisierung in Rheinland-Pfalz, Heft 5, S. 9 - 16, 1 lf., unterscheidet - entsprechend der Formen der Technikfolgenabschätzung - drei Ansatzpunkte für die Gesetzesfolgenabschätzung, nämlich prospektive, begleitende und retrospektive Gesetzesfolgenabschätzung; ebenso Bohret, Ge-

56

C. Befristung als Mittel normativer Steuerung und Selbstkontrolle

le 2 1 6 eingegangen, sondern die ex-ante- und die ex-post-Wirkungskontrolle gegenübergestellt werden. Anhand einer ex ante-Wirkungskontrolle lassen sich beabsichtigte oder unbeabsichtigte Gesetzesfolgen prognostisch analysieren und bewerten. 217 Durch Testkataloge und Gesetzesexperimente (Planspiele, Gesetzestests) soll die Notwendigkeit einer gesetzlichen Regulierung des Sachbereichs überprüft werden (Bedarfsprüfung), sowie Alternativen zu der spezifischen Regelung des Gesetzesvorhabens entwickelt und mit ihr verglichen werden. Der Beschluß für Rechtsvorschriften des Bundes vom 11. Dezember 1984, der Prüffragen für Rechtsvorschriften des Bundes („Blaue Prüffragen") betrifft, enthält zehn Hauptfragen, die als Meßlatte an die gesetzgebungsmethodische und -technische Probleme einer prospektiven Einschätzung des Handlungsbedarfs im Interesse einer Optimierung der nachträglichen Gesetzesevaluation gelegt wurden. Eine davon („7) Kann die Geltungsdauer beschränkt werden?") bezieht sich auf die Möglichkeit (nicht jedoch die Notwendigkeit) einer Geltungsbefristung der zu erlassenden gesetzlichen Regelung. Ein ergänzender Fragenkatalog der Bundesminister des Innern und der Justiz zu den „Blauen Prüffragen" (Prüffragen zur Notwendigkeit, Wirksamkeit und Verständlichkeit von Rechtsetzungsvorhaben des Bundes) konkretisiert die Frage nach der Möglichkeit der zeitlichen Beschränkung in die Fragen: „Wird die Regelung nur für eine vorhersehbare Zeitspanne benötigt?" und „Ist eine befristete ,Regelung auf Probe4 vertretbar?" 218 Im Rahmen der anschließenden Folgenprognose sind die zu erwartenden Auswirkungen der Gesetzesimplementation zu analysieren. Zwei Kontrollmaßstäbe, setzesfolgenabschätzung (GFA). Einordnung, Absichten, Methodik: ein Überblick mit Beispielen, S. 9. Vgl. auch Schulze-Fielitz. Theorie, S. 293f. mit Bezug auf die parlamentarische Kontrolle. Nur von prospektiver und retrospektiver Gesetzesevaluation spricht hingegen Mader, Evaluation, S. 46ff.; in diesem Sinne auch Karpen, Gesetzgebungs-, Verwaltungs- und Rechtsprechungslehre. Beiträge zur Entwicklung einer Regelungstheorie, S. 45f. (Vorab- und Nachkontrolle von Gesetzen). 2Kl S. dazu Strempel, Perspektiven der Rechtswirkungsforschung, ZG 13 (1998), S. 1 1 6 126, 121 f.: zur Notwendigkeit der Stärkung der Rolle der begleitenden Kontrolle des Parlaments während des Gesetzgebungsverfahrens s. Schulze-Fielitz / Gößwein, Bundesgesetzgebung als Prozeß, Aus Politik und Zeitgeschichte Β 3 6 - 3 7 / 1 9 9 7 , S. 1 8 - 2 6 , 25. 2,7 Friche / Hugger, Sollten Gesetze vor Erlaß getestet werden?, D Ö V 1979, S. 5 5 0 - 5 5 7 ; Bohret, Wenn wir nur wüßten, wie Gesetze wirken ...! Anmerkungen zur ex-ante-Prüfung von Rechtsvorschriften, in: Letzgus/Hill/Klein/Kleinert/Oschatz/de With (Hrsg.), Für Recht und Staat. Festschrift für Herbert Helmrich zum 60. Geburtstag, S. 4 8 7 - 5 0 0 . S. zu der aktuellen Diskussion Hofmann /Meyer-Teschendorf, Ein Kongreß zur Verschlankung des Staates. Erkenntnisse zur Reform der öffentlichen Verwaltung und zur Gesetzgebungsmethodik, ZG 12 (1997), S. 283 - 2 9 4 , 2 8 6 - 2 9 1 ; Bussmann, Rechtliche Anforderungen an die Qualität der Gesetzesfolgensbschätzung?, ZG 13 (1998), S. 127-141. 2IX Siehe Manti (Hrsg.), Effizienz der Gesetzcsproduktion. Abbau der Regclungsdichte im internationalen Vergleich, S. 269f., 27Iff., 273; Hofmann /Meyer-Teschendorf, Ein Kongreß zur Verschlankung des Staates. Erkenntnisse zur Reform der öffentlichen Verwaltung und zur Gesetzgebungsmethodik, ZG 12 (1997), S. 2 8 3 - 2 9 4 , 286f. (m.w.N.). S. ferner Kindermann, Richtlinien.

II. Befristetes Gesetzesrecht als Mittel normativer Selbstkontrolle

57

Effektivität und Effizienz, sind dabei heranzuziehen. 219 Unter Effektivität (Wirksamkeit) ist die Eignung eines gesetzlichen Normtextes zur Verwirklichung des legislativen Ziels zu verstehen. 220 Als wirksam ist das Gesetz zu qualifizieren, wenn es, prognostisch betrachtet, dem Bürger gegenüber befolgungsfreundlich und den Verwaltungsbehörden bzw, den Gerichten gegenüber anwendungs- und vollzugsfreundlich ist. 221 Gegenstand der Effizienzkontrolle sind hingegen die finanziellen Auswirkungen des zu erlassenden Gesetzes. Unter Effizienz ist der Vergleich von Kosten und Nutzen einer Gesetzesvorschrift zu verstehen. 222 Einerseits interne und externe Kosten, nämlich solche, die der öffentlichen Hand und solche, die der Wirtschaft und dem Bürger aufzuerlegen sind, und andererseits Nutzen, die aus der Gesetzesimplementation erwartet werden können, sind dabei zu analysieren. Zu einer Kosten-Nutzen-Relation und ihrer Auswertung bzw. zu einer Abschätzung der Wirksamkeit und Akzeptanz der zu verabschiedenden Gesetzesregelung kommt es dann erst bei dem zeitlich letzten Schritt einer (ex ante-)Folgenbewertung. Erst wenn die Folgenbewertung zu positiven Prognoseergebnissen führt, genügt das Gesetzesvorhaben den beiden Anforderungen, der Effektivität und der Effizienz. Im Rahmen einer ex post-Erfolgskontrolle wird demgegenüber nicht die Bedarfskontrolle eines Gesetzesvorhabens, sondern nunmehr eine Bewährungsprüfung des bereits erlassenen und implementierten Gesetzes durchgeführt. 223 Die Bewährungsprüfung soll eine Antwort auf die Frage geben, ob das Gesetz aufgehoben werden (oder — im Falle eines Fristablaufs — automatisch außer Kraft treten), inhaltlich geändert, oder weiter gelten bzw. (bei eingetretener Geltungsbeendigung des Gesetzes etwa durch Fristablauf) neu verabschiedet 219 Zu den beiden Folgenkategorien aus der Sicht der Gesetzgebungstheorie siehe Decken, Folgenorientierung, S. 113ff.; ferner von Beyme, Der Gesetzgeber. Der Bundestag als Entscheidungszentrum, S. 324ff. 220 Siehe Decken, (1995), S. 243.

Zur Methodik der Folgenantizipation in der Gesetzgebung, ZG 10

221

Zur Wirksamkeit einer Rechtsnorm als Befolgung und Durchsetzung s. Karpen, Gesetzgebungs-, Verwaltungs- und Rechtsprechungslehre. Beiträge zur Entwicklung einer Regelungstheorie, S. 40. 222

Decken, Zur Methodik der Folgenantizipation in der Gesetzgebung, ZG 10 (1995), S. 244, 246ff. Vgl. auch von Beyme, Der Gesetzgeber. Der Bundestag als Entscheidungszentrum, S. 324: „Effizienz ist eine Meßeinheit, die auf den Code des Wirtschaftssystems zugeschnitten scheint: die Erreichung von Zielen mit möglichst geringen Kosten." 22i Die Forderung von Scholz/Meyer-Teschendorf, Reduzierung der Normenflut durch qualifizierte Bedürfnisprüfung, ZRP 1996, S. 4 0 4 - 4 0 8 nach einer konsequenten Gesetzesfolgenabschätzung, in deren Rahmen auch eine prinzipielle Notwendigkeitskontrolle durchgeführt werden könnte und sollte, bezieht sich nicht auf bereits verabschiedete Gesetze, sondern auf Gesetzesvorhaben. - Zu dem Sonderproblem der bundesstaatlichen Erforderlichkeitsprüfung gemäß Art. 72 Abs. 2 GG s. Scholz/Meyer-Teschendorf Reduzierung der Normenflut durch qualifizierte Bedürfnisprüfung, ZRP 1996, S. 4 0 4 - 4 0 8 , 405, und ferner Calliess, Die Justitiabilität des Art. 72 Abs. 2 GG vor dem Hintergrund von kooperativem und kompetitivem Föderalismus, D Ö V 1997, S. 8 8 9 - 8 9 9 .

58

C. Befristung als Mittel normativer Steuerung und Selbstkontrolle

werden soll. Als eine wichtige Vorkehrung für die Sicherstellung einer ex post durchzuführenden Kontrolle der Wirksamkeit und der Effizienz gesetzlicher Normtexte (nachgängige Erfolgskontrolle) kann die zeitliche Begrenzung der (formellen) Geltung bzw. der (materiellen) Verbindlichkeit bzw. Anwendbarkeit betrachtet werden. 224 Sie soll den Gesetzgeber zwingen, vor Ablauf der Frist eine Nachkontrolle über Wirksamkeit und/oder Effizienz (Wirtschaftlichkeit) 225 des Gesetzes vorzunehmen. 226 Nach erfolgter retrospektiver Wirkungsanalyse soll im Rahmen einer Wirkungsbewertung vorgenommen werden, um etwa unbeabsichtigte Nebeneffekte, Folge- und Spätwirkungen und die Übereinstimmung von vorausgeschätzten und tatsächlichen Kosten der Gesetzesimplementation ermitteln zu können. Während die ex ante-Erfolgskontrolle von Gesetzesvorhaben, jedenfalls zum Teil, bereits organisatorisch abgesichert ist, ist die ex post-Gesetzesevaluation derzeit nur noch prozedural institutionalisiert. Die Sicherstellung einer ex ante Erfolgskontrolle erfolgt durch Testkataloge sowie Normprüfungsausschüsse. Auf der Bundesebene gibt es keine zentrale Koordinationsstelle für Gesetzesevaluation; die ministeriellen Fachreferate sind zuständig für Form, Thematik und Zeitpunkt der Durchführung der Gesetzesevaluation.227 Auf der Ebene der Landesgesetzgebung werden Erfolgskontrollen meist nicht systematisch, sondern in Abhängigkeit vom konkreten Bedarf durchgeführt. 228 Die nachgängige 224 S. etwa jüngst Hofmann /Meyer-Teschendorf, Ein Kongreß zur Verschlankung des Staates. Erkenntnisse zur Reform der öffentlichen Verwaltung und zur Gesetzgebungsmethodik, ZG 12 (1997), S. 2 8 3 - 2 9 4 , 291. 22>

Dicke/Härtung, Externe Kosten von Rechtsvorschriften. Möglichkeiten und Grenzen der ökonomischen Gesetzesanalyse, S. 74, 79f. 226 Vgl. Karpen, Gesetzgebungs-, Verwaltungs- und Rechtsprechungslehre. Beiträge zur Entwicklung einer Regelungstheorie, S. 68, der auf die verfassungsrechtliche Dimension der Effektivität und Wirtschaftlichkeit bei der Gesetzesgestaltung im Leistungsstaat hinweist. Zu der Effektivität und Effizienz als Aspekten der Sachgerechtigkeit des administrativen Handelns s. Hoffmann-Riem, Tendenzen in der Verwaltungsrechtswissenschaft, D Ö V 1997, S. 433-442". 227 Siehe Höland, Zum Stand der Gesetzesevaluation in der Bundesrepublik Deutschland, ZG 9 (1994), S. 3 7 2 - 3 7 9 , 373. Die „verstärkte Erfolgs- und Wirkungskontrolle verabschiedeter Gesetze und Verordnungen" gehört zu den Maßnahmen zur besseren Vorbereitung neuer Vorschriften, die im Beschluß der Bundesregierung über Maßnahmen zur Verbesserung der Rechtsetzung und von Verwaltungsvorschriften vom 20.12.1989 angeordnet wurde, s. dazu Fliedner/von Hammerstein, Neue Initiativen der Bundesregierung zur Verbesserung der Rechtsetzung, ZG 5 (1990), S. 6 2 - 6 9 . 22K Höland, Zum Stand der Gesetzesevaluation in der Bundesrepublik Deutschland, Z G 9 (1994), S. 3 7 2 - 3 7 9 , 374. Als externe Prüfungsinstanz fungiert in Bayern und Sachsen jeweils ein Normprüfungsausschuß; s. dazu Hofmann /Meyer-Teschendorf, Ein Kongreß zur Verschlankung des Staates. Erkenntnisse zur Reform der öffentlichen Verwaltung und zur Gesetzgebungsmethodik, ZG 12 (1997), S. 2 8 3 - 2 9 4 , 287. Zu den Perspektiven einer intensiveren Durchführung von Wirkungskontrollen in der Form einer prospektiven Gesetzesfolgenabschätzung in Rheinland-Pfalz s. jüngst Riiter, Rheinland-Pfalz auf dem Weg zu einer modernen öffentlichen Verwaltung, D Ö V 1997, S. 9 0 8 - 9 1 1 , 910.

II. Befristetes Gesetzesrecht als Mittel normativer Selbstkontrolle

59

Erfolgskontrolle wird zumeist durch die einzelgesetzlich festgelegte Pflicht der Regierung zur (einmaligen oder regelmäßigen) Parlamentsberichterstattung sichergestellt. 229 Des weiteren kommt die Regelungstechnik des Einbaus von Geltungsbefristungen in Betracht, damit sichergestellt werden kann, daß sich der Gesetzgeber vor dem Außerkrafttreten der gesetzlichen Regelung mit deren Wirksamkeit und Effizienz auseinandersetzen wird 2 3 0 . b) Subjekt legislativer Erfolgskontrolle Von Bedeutung ist ferner die Frage nach dem Subjekt der Wirkungskontrolle. Dabei wird zwischen einer internen und einer externen Kontrolle unterschieden. Von interner Erfolgskontrolle kann gesprochen werden, wenn die Wirkungsbeobachtung, -analyse und -abschätzung vom Gesetzgeber selbst vorgenommen wird. Unter externer Kontrolle ist hingegen jede Form der Überwachung der Rechtsetzung zu verstehen, die nicht vom Gesetzgeber selbst ausgeht. 231 Der externen Informationsbeschaffung über Auswirkungen des Gesetzes232 dienen die Instrumente der periodischen Berichterstattung der Regierung, 233 des „Modellvorhabens" 234 und der (sozial)wissenschaftlichen Rechtsund Tatsachenforschung, 235 die sich sehr häufig Methoden der statistischen Da229 S. dazu König, Zur Evaluation der Gesetzgebung, in: Kindermann (Hrsg.), Studien zu einer Theorie der Gesetzgebung 1982, S. 309; Schulze-Fielitz, Das Parlament als Organ der Kontrolle im Gesetzgebungsprozeß, in: Dreier/Hofmann (Hrsg.), Parlamentarische Souveränität und technische Entwicklung, S. 116. 230 A u f die mangelnde zeitliche Distanznahme des Gesetzgebers von dem jeweiligen geregelten Sachbereich bei Zeitgesetzen, insbesondere bei Jahresgesetzen macht Karpen, Gesetzgebungs-, Verwaltungs- und Rechtsprechungslehre. Beiträge zur Entwicklung einer Regelungstheorie, S. 70 aufmerksam. 2:11 Schröder, Zur Erfolgskontrolle der Gesetzgebung, in: Rehbinder / Schelsky (Hrsg.), Zur Effektivität des Rechts, Jahrbuch für Rechtssoziologie und Rechtstheorie 3 (1972), S. 2 7 1 - 2 8 8 , 275ff. 2,2 Schäffer, Rationalisierung der Rechtsetzung, in: ders. (Hrsg.), Theorie der Rechtsetzung, S. 1 9 9 - 2 4 0 , 238. 233 Hellstern / Wollmann, Wirksamere Gesetzesevaluierung. Wo könnten praktikable Kontroll verfahren und Wirkungsanalysen bei Parlament und Rechnungshof ansetzen?, ZParl 11 (1980), S. 5 4 7 - 5 6 7 , 556; Hill, Einführung, S. 81, Höland, Zum Stand der Gesetzesevaluation in der Bundesrepublik Deutschland, ZG 9 (1994), S. 3 7 2 - 3 7 9 , 377f.; Schulze-Fielitz, Theorie, S. 51 Iff.; Linck, Berichte der Regierung an das Parlament, D Ö V 1979, S. 116-124. 214

Hellstern / Wollmann, Wirksamere Gesetzesevaluierung. Wo könnten praktikable Kontroll verfahren und Wirkungsanalysen bei Parlament und Rechnungshof ansetzen?, ZParl 11 (1980), S. 5 4 7 - 5 6 7 , 556; Schäffer, Rationalisierung der Rechtsetzung, in: ders. (Hrsg.), Theorie der Rechtsetzung, S. 1 9 9 - 2 4 0 , 238. 235 Höland, Zum Stand der Gesetzesevaluation in der Bundesrepublik Deutschland, ZG 9 (1994), S. 372 — 379, 378; vgl. etwa die Forschungsbeispiele bei Höland, Vom Machen und Messen von Gesetzen - Erkenntnisse aus der Forschungspraxis zur Reichweite der Gesetzesevaluation, Zeitschrift für Rechtssoziologie 10 (1989), S. 2 0 2 - 2 2 1 ; Böhm, Evaluation des Gesetzes zur Beschleunigung und Vereinfachung gerichtlicher Verfahren mit der Survival-

60

C. Befristung als Mittel normativer Steuerung und Selbstkontrolle

tenerhebung bedient. 236 Durch die interne Wirkungskontrolle der legislativen Normtexte, also die parlamentarische Gesetzesevaluation,237 verschafft sich der Gesetzgeber (bei vorgängiger Gesetzesfolgenabschätzung) selbst Informationen über potenzielle Gesetzesfolgen oder (bei mitlaufender oder nachgängiger Gesetzesevaluation) über bereits gewonnene Erfahrungen der administrativen und gerichtlichen Rechtspraxis mit der Befolgung und dem Vollzug der Gesetze238. Der Einbau einer institutionellen Selbstkontrolle in die Prozesse der Rechtsetzung durch den Gesetzgeber steigert die Lernfähigkeit der Rechtsordnung 239 und dient als ein informationeller feed back-Mechanismus. Die gewonnenen Informationen kann der Gesetzgeber dann in die Regelungsstruktur des Normtextes einbauen.240 Es ist dabei hilfreich, den Bereich der Wirkungsanalyse und Analyse, Zeitschrift für Rechtssoziologie 13 (1992), S. 131-140. - Die Grenzen zulässiger Aussagen sozialwissenschaftlicher Wirkungsforschung und -kontrolle sind schnell erreicht, und zwar „schon bei der Identifikation der Wirkungen rechtlicher Intervention, vor allem aber bei den Versuchen, Kausalbeziehungen zwischen ihnen und dem beobachteten Verhalten, und wiederum zwischen diesem und dem angezielten Erfolg herzustellen", so die ernüchternde Feststellung von Höland, Vom Machen und Messen von Gesetzen - Erkenntnisse aus der Forschungspraxis zur Reichweite der Gesetzesevaluation, Zeitschrift für Rechtssoziologie 10 (1989), S. 2 0 2 - 2 2 1 , 219; vgl. dazu auch Blankenburg, Über die Unwirksamkeit von Gesetzen, ARSP 63 (1977), S. 3 1 - 5 8 . 116 Höland, Zum Stand der Gesetzesevaluation in der Bundesrepublik Deutschland, ZG 9 (1994), S. 3 7 2 - 3 7 9 , 376f.; Mader, Évaluation, S. 45. 237 S. dazu Schulze-Fielitz , Das Parlament als Organ der Kontrolle im Gesetzgebungsprozeß, in: Dreier/Hofmann (Hrsg.), Parlamentarische Souveränität und technische Entwicklung, S. 116f.; Steinberg, Evaluation als neue Form der Kontrolle final programmierten Verwaltungshandelns, Der Staat 15 (1976), S. 1 8 5 - 2 1 0 ; Zeh, Vollzugskontrolle und Wirkungsbeobachtung als Teilfunktion der Gesetzgebung, in: Grimm /Maihofer (Hrsg.), Gesetzgebungstheorie und Rechtspolitik, S. 206f. Zur nachträglichen Wirkungsanalyse als einer Form parlamentarischer Selbstkontrolle s. Pestalozza, Gesetzgebung im Rechtsstaat, NJW 1981, S. 2081. Zur parlamentarischen Kontrolle im allgemeinen s. Schulze-Fielitz, Theorie, S. 292ff. Unter Kontrolle wird „ein dynamischer Prozeß der Verhältnisbestimmung zwischen einem Soll-Wert und einem Ist-Wert" verstanden, so Krebs, Kontrolle, S. 17. 238 Zu der verfassungsrechtlichen Begründung einer Pflicht des Gesetzgebers zur Beobachtung der gesetzlichen Auswirkungen, insbesondere zur Weiterentwicklung der Doktrin der Gesetzesnachbesserung zu einer für die Erfolgskontrolle interessanten Beobachtungspflicht des Gesetzgebers in der Judikatur des Bundesverfassungsgerichts s. Höland, Zum Stand der Gesetzesevaluation in der Bundesrepublik Deutschland. Praktische und methodische Anmerkungen, ZG 9 (1994), S. 3 7 2 - 3 7 9 , 374ff. 239

Vgl. in diesem Sinne auch Mader , Legislative Procedure and the Quality o f Legislation, in: Karpen /Delnoy (Hrsg.), Contributions to the Methodology o f the Creation o f Written Law, S. 68f.: „Legislation is, to a certain extent, learning by doing or proceeding by trial and error. But learning is possible only, or is at least facilitated, i f procedural rules provide for periodic evaluation o f the results and assure that evaluation leads, i f necessary to a review o f the legislation, that it may, in other words, give an impulsion for a new legislative process." 240

Bisweilen ist insofern von einer durch Gesetzesevaluation erfolgten Selbstbeobachtung der Gesetzgebung die Rede, s. Höland, L'évaluation législative comme auto-observation du droit et de la société, in: Morand (Hrsg.), Évaluation législative et lois expérimentales, S. 1 9 - 4 6 , 30f.; von Beyme . Der Gesetzgeber. Der Bundestag als Entscheidungszentrum,

II. Befristetes Gesetzesrecht als Mittel normativer Selbstkontrolle

61

denjenigen der Wirkungsabschätzung auseinanderzuhalten. Die legislative Informationsbeschaffung im Rahmen der Wirkungsanalyse erfolgt etwa durch Anhörung von Sachverständigen und Interessen Vertretern 241 - entweder vor oder nach dem Gesetzesbeschluß242 - und durch die ad hoc oder periodische Einsetzung von unabhängigen Kommissionen mit Berichtpflicht bzw. die Einrichtung ständiger Beiräte und Sachverständigenräte. 243 Neben das kognitive Moment der Informationsbeschaffung mittels sachkundiger Beratung des Parlaments durch wissenschaftliche Experten und Interessenvertreter im Rahmen der Folgenanalyse tritt dann während der politisch-rechtlichen Wirkungsabschätzung, einer Gesetzes„evaluation" im engeren Sinne, das evaluative Element sowie das volitive Element der eigenverantwortlich-politischen Willensbildung hinzu. 244 Der Erlaß von befristeten Gesetzen dient der (tatsächlichen) späteren Durchführung einer internen Folgenkontrolle, also einer solchen durch den parlamentarischen Gesetzgeber. c) Gegenstand legislativer Erfolgskontrolle Gegenstand der legislativen Erfolgskontrolle im Sinne einer Weiterbedarfsprüfung ist die Frage, ob die Geltungs- bzw. Verbindlichkeitsdauer des Gesetzes verlängert werden soll oder nicht. Eine Nicht-Verlängerung kommt in der Regel dann in Betracht, wenn das Gesetz vor Fristablauf entweder seine volle Wirkung entfaltet, also sein Regelungsziel erreicht hat oder wenn es (etwa wegen nicht vorausgesehener bzw. voraussehbarer Änderung der tatsächlichen Verhältnisse) keine bedeutende Wirkung hat erzielen können. Wenn das RegeS. 319 („Selbstbeobachtung dritten Grades"); für eine intensivere Vollzugskontrolle und Wirkungsbeobachtung durch den Gesetzgeber plädiert Karpen, Gesetzgebungs-, Verwaltungsund Rechtsprechungslehre. Beiträge zur Entwicklung einer regelungstheorie, S. 39f. 241 Hellstern / Wollmann, Wirksamere Gesetzesevaluierung. Wo könnten praktikable Kontroll verfahren und Wirkungsanalysen bei Parlament und Rechnungshof ansetzen?, ZParl 11 (1980), S. 5 4 7 - 5 6 7 , 555f.; Schäffer, Rationalisierung der Rechtsetzung, in: ders. (Hrsg.), Theorie der Rechtsetzung, S. 1 9 9 - 2 4 0 , 238. 242

Zeh, Vollzugskontrolle und Wirkungsbeobachtung als Teilfunktion der Gesetzgebung, in: Grimm/Maihofer (Hrsg.), Gesetzgebungstheorie und Rechtspolitik, S. 207. 24:1 Hellstern / Wollmann, Wirksamere Gesetzesevaluierung. Wo könnten praktikable Kontrollverfahren und Wirkungsanalysen bei Parlament und Rechnungshof ansetzen?, ZParl 11 (1980), S. 5 4 7 - 5 6 7 , 555f.; Schäffer, Rationalisierung der Rechtsetzung, in: ders. (Hrsg.), Theorie der Rechtsetzung, S. 1 9 9 - 2 4 0 , 238. 244 Vgl. Zeh, Vollzugskontrolle und Wirkungsbeobachtung als Teilfunktion der Gesetzgebung, in: Grimm/Maihofer (Hrsg.), Gesetzgebungstheorie und Rechtspolitik, S. 207: „ O b eine Regelung sich bewährt hat, ob sie von den Betroffenen akzeptiert, von der Verwaltung richtig angewandt, von der Rechtsprechung möglicherweise deformiert worden ist u.a.m., muß der parlamentarischen und auch der allgemeinen politischen Auseinandersetzung zugänglich bleiben, ohne daß auch dies noch von Expertenmeinungen überlagert und der Nicht-Experte politisch sprachlos gemacht wird." Vgl. in diesem Zusammenhang auch das Gespräch mit Gaa, Evaluierung - ein Schritt Parlamentsreform, in: Hellstern / Wollmann (Hrsg.), Handbuch zur Evaluationsforschung, Bd. I, S. 4 4 9 - 4 6 2 , 452; Mader, Evaluation, S. 45.

6 2 C .

Befristung als Mittel normativer Steuerung und Selbstkontrolle

lungsziel noch nicht gänzlich erreicht wurde, der Gesetzgeber das Gesetz aber weiterhin für ein geeignetes Mittel zur Erreichung des gesetzten politisch-rechtlichen Zieles erachtet, kommt also eine Verlängerung der Geltungsdauer in Betracht. d) Zwischenergebnis Als Zwischenergebnis ist demnach folgendes festzuhalten: Gesetzliche Geltungs- und Anwendbarkeitsbefristungen dienen einerseits dazu, Prozesse des zu regelnden Sachbereichs zeitlich zu strukturieren und insofern angemessener und wirksamer zu steuern. Andererseits stellen sie ein Mittel zur Institutionalisierung und prozeduralen Sicherstellung einer gesetzgebungsimmanenten, nachgängigen Gesetzeswirkungskontrolle dar. Nicht vergessen werden darf auch der (gesetzgebungspolitisch und -verfahrenstechnisch wichtige) Nebeneffekt der politisch-rechtlichen Kompromißbildung zwischen Parlamentsmehrheit und -minderheit bei politisch umstrittenen Gesetzesvorhaben.

D. Verfassungsrechtliche Rahmenbedingungen und Grenzen befristeter Gesetzgebung am Beispiel des öffentlichen Wirtschaftsrechts Es wird im Schrifttum die Meinung vertreten, daß das „normale", nur zu Evaluationszwecken befristete Zeitgesetz im Gegensatz zum experimentellen Zeitgesetz keine besonderen verfassungsrechtlichen Probleme aufwerfe. 245 Nach einer anderen Ansicht jedoch seien an Zeitgesetze unter den Aspekten Rechtssicherheit, Vertrauensschutz, und Gleichbehandlung besonders strenge Maßstäbe anzulegen.246 Im folgenden soll deshalb untersucht werden, ob und inwieweit der befristeten Gesetzgebung unter den Aspekten der Rechtssicherheit, des Vertrauensschutzes und des allgemeinen Gleichheitssatzes besondere verfassungsrechtliche Anforderungen zu stellen sind.

I. Verfassungsrechtliche Anforderungen an die befristete Gesetzgebung aus dem Prinzip der Rechtssicherheit 1. Gebot der Klarheit und Berechenbarkeit Mißt man Zeitgesetze an dem objektivrechtlichen, in der Rechtsstaatlichkeit wurzelnden Grundsatz der Rechtssicherheit 247, so ergibt sich folgendes Bild: Das Prinzip der Rechtssicherheit verlangt erstens Klarheit und Berechenbarkeit und zweitens Beständigkeit des Gesetzes.248 Den Anforderungen nach Klar45

Kindermann, Erfolgskontrolle durch Zeitgesetz, in: Schaffet' / Triffterer lisierung der Gesetzgebung. S. 142f.

{Hrsg.), Rationa-

246 Hugger, Gesetze - Ihre Vorbereitung, Abfassung und Prüfung. Ein Handbuch für Praxis und Studium, S. 352. 247

Zum Gebot der Rechtssicherheit als einem der wichtigsten Elemente des Rechtsstaatsprinzips s. BVerfGE 2, 380, 403; 3, 225, 237; 7, 89, 92; 13, 261, 271; 15, 313, 319; 27, 167, 173; 55, 185, 203; 63, 215, 223; Sohota, Das Prinzip Rechtstaat. Verfassungs- und verwaltungsrechtliche Aspekte, S. 154ff.; zu den rechtsphilosophischen Voraussetzungen und Implikationen des Begriffs der Rechtssicherheit s. Strangas, Die Billigkeit und ihr Standort im Rechtssystem, S. 222ff., 230ff., sowie bereits ders., Der Anknüpfungspunkt im intertemporalen Recht, in: Wissenschaftliches Jahrbuch der „Panteios"-Hochschule für politische Wissenschaften 1973, S. 2 6 1 - 2 9 1 . 24

* Vgl. hierzu und zum folgenden Lücke, Staatsakte, S. 36.

64

D. Verfassungsrechtliche Rahmenbedingungen und Grenzen

heit 24g und Berechenbarkeit, die der Grundsatz der Rechtssicherheit an den Gesetzgeber stellt, 250 wird die befristete Gesetzgebung hinsichtlich des Umfangs des zeitlichen Geltungsbereichs in einem bei normalen (Dauer-)Gesetzen nie vorkommenden Maße gerecht. Bedenkt man, daß die Änderungsanfalligkeit von Gesetzesregelungen diese sehr oft unfreiwillig als Experimente erscheinen lassen, so ist es nicht ersichtlich, warum durch befristete Gesetze die Rechtssicherheit in besonderem Maße gefährdet würde - im Gegenteil ist bei Zeitgesetzen die Änderung der Rechtslage, die mit der vorprogrammierten automatischen Außerkraftsetzung einhergeht, eher kalkulierbar als bei unbefristeten Gesetzen.251 Demzufolge genügen Zeitgesetze, die den befristeten Charakter ihres Geltungsbereichs ohnehin ausdrücklich offenlegen, dem Gebot der Klarheit und Berechenbarkeit besser als Dauergesetze; denn, wenn man sich vergegenwärtigt, daß jedes Gesetz prinzipiell jederzeit novellierbar ist und nach Maßgabe der neueren Entwicklungen in der parlamentarischen Rechtsetzung viele Gesetze auch tatsächlich oft novelliert werden, dann erscheint die Befristung des formellen Geltungsbereichs des Gesetzes gerade eine Sicherung der Klarheit und Berechenbarkeit des Rechts - wenn auch nur für den Zeitraum dieser Befristung. 252 Insoweit erweisen sich befristete Gesetze also als verfassungsrechtlich unbedenklich. 2. Zur Bestandskraft und „Gesetzeskraft" legislativer Rechtsnormen Was die neben der Klarheit und Berechenbarkeit vom Grundsatz der Rechtssicherheit gebotene Beständigkeit des Gesetzes anbelangt, so bedeutet die meist aus dem Grundsatz der Rechtssicherheit hergeleitete Forderung nach einer bestimmten Verläßlichkeit und Unverbrüchlichkeit des Gesetzes, daß der Gesetzgeber nicht gänzlich frei ist, seine Gesetze jederzeit und beliebig zu ändern, sondern an seinen eigenen Akten grundsätzlich festgehalten wird. 253 Diese Forderungen nach beschränkter Aufhebbarkeit des Gesetzes und Selbstbindung des Gesetzgebers sind insofern Ausdruck einer internen „Bestandskraft", die den Gesetzen — wie den Verwaltungsakten - eigen ist. Selbstbindung und be249 S. zum Gebot der Rechtsklarheit BVerfGE 1, 45; 4, 357; 11, 73; 14, 16; 17, 82; 26, 10; Degenhart, Systemgerechtigkeit und Selbstbindung des Gesetzgebers als Verfassungspostulat, S. 74ff. (m.w.N. in Anm. 415). 250 BVerfGE 11, 64, 77; 49, 148, 164f.; 60, 16, 48; 63, 343, 357; Lücke, Begründungszwang, S. 92. 251 So Hugger , Gesetze - Ihre Vorbereitung, Abfassung und Prüfung. Ein Handbuch für Praxis und Studium, S. 356. 252 Schulze-Fielitz, Zeitoffene Gesetzgebung, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann Innovation und Flexibilität des Verwaltungshandelns, S. 159.

253

S. dazu und zum folgenden Lücke, Staatsakte, S. 36f.

(Hrsg.),

I. Befristete Gesetzgebung und Rechtssicherheit

65

schränkte Aufhebbarkeit sind Eigenschaften der Gesetzesnormen, die das „Innenverhältnis", also die Beziehung der Legislative zu ihrem Werk - betreffen. Neben der internen Bestandskraft muß gesetzgeberischen Entscheidungen wegen des Prinzips der Rechtssicherheit auch eine Maßgeblichkeit im „Außenverhältnis", also gegenüber anderen Staatsorganen und Bürgern, zukommen. In dieser externen Verbindlichkeit kann man eine materielle, aber auch eine formelle „Gesetzeskraft" sehen. Materielle „Gesetzeskraft" bedeutet die rechtsnormative Bindung des Entscheidungsverhaltens der sonstigen Staatsorgane (nämlich der Organe der Exekutive und der Judikative) wie der Bürger an die geltenden Gesetzestexte. Formelle „Gesetzeskraft", hingegen, ist den Gesetzen insofern eigen, als sie mit Rücksicht auf den Grundsatz der Rechtssicherheit für Dritte auch unanfechtbar zu werden haben. Gemäß § 93 Abs. 3 BVerfGG können Gesetzte und sonstige Hoheitsakte nach einem Jahr seit ihrem Inkrafttreten durch Verfassungsbeschwerde tatsächlich nicht mehr unmittelbar 254 angefochten werden. 255 3. Beeinträchtigung der Rechtssicherheit durch befristete Gesetze? a) Zur verfassungsrechtlichen Zulässigkeit der Befristung von Gesetzen

Befristete Gesetze sind in demselben Umfang der (materiellen und formellen) Gesetzeskraft fähig wie unbefristete Gesetze. Gegenüber Verwaltung, Rechtsprechung und privaten Normadressaten kommt ihnen Verbindlichkeit zu. Sie können nach einem Jahr seit ihrem Inkrafttreten durch betroffene Grundrechtsträger nicht mehr unmittelbar vor dem Bundesverfassungsgericht angefochten werden. Mangels einer Abweichung zu „normalen" (Dauer-)Gesetzen hinsichtlich ihrer Gesetzeskraft wird durch Zeitgesetze der Grundsatz der Rechtssicherheit nur in dem gleichen Maße beeinträchtigt wie durch Dauergesetze. Zeitgesetze begegnen daher insoweit keinen grundsätzlichen verfassungsrechtlichen Bedenken.256 Anders könnte es jedoch mit der internen Bestandskraft befristeter Gesetzesnormen bestellt sein. Die interne Bestandskraft mit unbefristetem Geltungsbereich versehener Gesetzestexte ist relativ gering; dem entspricht, daß die Auf2 M Nach Ablauf der Jahresfrist kann das Gesetz nur noch mittelbar, nämlich mit Hilfe einer Verfassungsbeschwerde gegen die Vollzugsakte, die sich auf das Gesetz stützen, angegriffen werden; s. dazu Pestalozza, Verfassungsprozeßrecht, § 12 II Rn. 53; Schmidt-Bleibtreu, in: Maunz / Schmidt-Bleibtreu / Klein / Vlsamer, BVerfGG, § 93 Rn. 42ff., 46. 255

Pestalozza, Verfassungsprozeßrecht, § 12 II Rn. 53; Schmidt-Bleibtreu, Schmidt-Bleibtreu/Klein / Ulsamer, BVerfGG, § 93 Rn. 42ff.

in:

Maunz/

256 Vgl. zu dem (im Vergleich zu den endgültigen Gesetze) parallelen Fall der vorläufigen Gesetze Lücke, Staatsakte, S. 39.

5 Chanos

66

D. Verfassungsrechtliche Rahmenbedingungen und Grenzen

hebbarkeit der Dauergesetze durch den Gesetzgeber weder absolut frei noch ausgeschlossen, sondern nur „beschränkt" ist. Dauergesetze stehen somit unter einem fast unbegrenzten Änderungsvorbehalt. Zeitgesetzen hingegen ist eine interne Bestandskraft eigen, die u.U. diejenige von Dauergesetzen bei weitem übertrifft. 257 Dies schlägt sich in den beiden Forderungen nach Selbstbindung der Legislative sowie nach Aufhebbarkeit des (Zeit-)Gesetzes als Ausdrucksformen der internen Bestandskraft nieder. Indem der Gesetzgeber die Geltungsdauer eines Gesetzes ausdrücklich befristet, sichert er den Fortbestand des Gesetzes für die festgelegte Zeit zu. Dadurch geht er freiwillig eine Selbstbindung 258 ein. Eine freiwillige Selbstbindung des Gesetzgebers ist insbesondere dann anzunehmen, wenn der Gesetzgeber den Privatsubjekten zeitlich befristet Rechte einräumt, wie im Bereich des Wirtschaftsverwaltungsrechts sehr häufig der Fall ist. 259 Die Legislative wird an ihren geltungsbefristeten Akten in verstärktem Grade festgehalten. Die Anforderungen an die vom Prinzip der Rechtssicherheit gebotene Selbstbindung des Gesetzgebers sind bei Zeitgesetzen insofern gesteigert. Es stellt sich demnach die Frage, ob es dem Gesetzgeber verfassungsrechtlich gestattet ist, befristete Gesetze zu erlassen und sich selbst dadurch zu binden. Die freiwillige Selbstbindung ist keine allgemeine Erscheinung. Der Gesetzgeber erläßt zwar grundsätzlich auf unbestimmte Dauer angelegte Regelungen, behält aber zugleich den unausgesprochenen Vorbehalt einer jederzeitigen Aufhebung und Änderung bei. Der Gesetzgeber muß die Möglichkeit haben, „auf neue Entwicklungen zu reagieren, neue Erkenntnisse aufzunehmen und neue politische Vorstellungen durchzusetzen, aber auch alte Fehler für die Zukunft zu korrigieren/ 4260 Der Änderungsvorbehalt darf generell unterstellt werden. Durch die Befristung von Gesetzen büßt der Gesetzgeber diese Freiheit jedoch ein zugunsten einer Selbstverpflichtung, die ihm in aller Regel verbietet, Anpassungen, Verbesserungen, Novellierungen etc. vorzunehmen. Nicht nur wegen der Einschränkung des Grundsatzes der Effektivität der Gesetzgebung261, mit der die durch Erlaß befristeter Gesetze begründete Selbstverpflichtung einhergeht, ist letztere problematisch. Zu besonderen Schwierig257

Vgl. Lücke, Staatsakte, S. 43.

25K

Zur Selbstbindung des Gesetzgebers s. Degenhart, Systemgerechtigkeit und Selbstbindung des Gesetzgebers als Verfassungspostulat, S. 2 9 f f ; Peine, Systemgerechtigkeit. Die Selbstbindung des Gesetzgebers als Maßstab der Normenkontrolle, passim; Maurer, Kontinuitätsgewähr und Vertrauensschutz, in: Isensee/Kirchhof(Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. III, § 60 Rn. 57IT. 259

Siehe Peine, Systemgerechtigkeit. Die Selbstbindung des Gesetzgebers als Maßstab der Normenkontrolle, S. 166. 260 Maurer, Kontinuitätsgewähr und Vertrauensschutz, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. III, § 60 Rn. 57. 261

S. dazu unten sub D.III.

I. Befristete Gesetzgebung und

e t s s c h t

67

keiten kann die eingegangene Selbstverpfiichtung führen, wenn sie den künftigen Gesetzgeber in unvertretbarem Maße bindet. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn etwa die gegenwärtige Parlamentsmehrheit ein Gesetz mit lange über die aktuelle Legislaturperiode hinaus dauernder, befristeter Geltungsdauer beschließt und dadurch künftige parlamentarische Mehrheiten mit neuer Zusammensetzung bindet. In einem solchen Fall entfaltet das befristete Gesetze eine derartige interne Bestandskraft, die als Selbstbindung vom neuen demokratisch legitimierten Gesetzgeber nicht (notwendigerweise) zu verantworten bzw. hinzunehmen ist. Das demokratische Prinzip aus Art. 20 Abs. 1, 2 S. 2 GG verlangt, daß die gewählten Volksvertretungen „in regelmäßigen, im voraus bestimmten Abständen abgelöst und neu legitimiert werden". 262 Weil das politische Mandat nach dem Grundsatz der Periodizität der politischen Wahlen 263 zeitbegrenzt ist, ist Demokratie „Herrschaft auf Zeit", wobei der Grundgesetzgeber in Art. 39 Abs. 1 Satz 1 GG die Wahlperiode auf einen Zeitraum von vier Jahren festgelegt hat. 264 Mit dem Prinzip der Periodizität der Wahl gesetzgebender Volksvertretungen verträgt es sich nicht, daß das scheidende Parlament bzw. seine Mehrheit versucht, dem neuen Parlament Zügel anzulegen.265 Ebensowenig legitimiert das in einer Reihe von Artikeln des Grundgesetzes (Art. 42 Abs. 2, Art. 52 Abs. 3, Art. 54 Abs. 6, Art. 63, Art. 67 Abs. 1, Art. 77 Abs. 4 GG) verankerte Mehrheitsprinzip 266 eine gegenwärtige parlamentarische Mehrheit dazu, künftige parlamentarische Mehrheiten an ihre eigenen politisch-rechtlichen Entscheidungen zu binden und dadurch die politische und rechtliche Entscheidungs- und Gestaltungsfreiheit des künftigen Gesetzgebers einzuschränken. „Mehrheitsbeschlüsse von heute dürfen nicht der Mehrheit von morgen die Auswertung ihrer Erfahrungen unmöglich machen." 267 Der Grundsatz der Nichtbindung späterer Parlamente, der zu den kennzeichnenden Merkmalen der parlamentarischen Demokratie gehört und daher über Art. 20 Abs. 1 GG Verfassungsrang genießt, verlangt, daß ein neues Parlament, vor allem wenn andere Parteien als im vorangegangenen die Mehrheit besitzen, die politische und rechtliche Entscheidungsfreiheit haben muß, Beschlüsse des vorange-

262

BVerfGE 18, 151, 154.

263

BVerfGE 18, 151, 154; 20, 56, 113; 41, 399, 414; Starck, Grundrechtliche und demokratische Freiheitsidee, in: Isensee / Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. II, § 29 Rn. 31. 2M

Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Bd. I, S. 608f.

265

Püttner, Unterschiedlicher Rang der Gesetze?, D Ö V 1970, S. 322 - 3 2 5 , 323.

2Af t

BVerfGE 1, 299, 315; 29, 154, 165; 44, 125, 141 f.; Starck, Grundrechtliche und demokratische Freiheitsidee, in: Isensee / Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. II, § 29 Rn. 33; Heun, Das Mehrheitsprinzip in der Demokratie. 267

Menger, Vom Werden und Wesen der Demokratie, in: Staats- und verwaltungswissenschaftliche Beiträge, S. 4 9 - 6 2 , 61, zit. nach von Münch, Die Bindung des Gesetzgebers an den Gleichheitssatz bei der Gewährung von Subventionen, AöR 85 (1960). S. 2 7 0 - 3 0 0 , 282. *

68

D. Verfassungsrechtliche Rahmenbedingungen und Grenzen

gangenen Parlaments korrigieren zu können. 268 Dies ist aber der Fall, wenn eine gegenwärtige Parlamentsmehrheit ein Gesetz mit lange über die aktuelle Legislaturperiode hinaus dauernder, befristeter Geltungsdauer beschließt. Der parlamentarische Gesetzgeber soll daher bei der Festlegung der Geltungsdauer die Belange der Entscheidungsfreiheit des künftigen Gesetzgebers immer mitberücksichtigen. Im Falle einer Kollision mit anderen Verfassungsgütern soll er dies allerdings im Wege einer praktischen Konkordanz tun. 269 Es fragt sich folglich, ob die Selbstbindung, die der Gesetzgeber durch die Geltungsbefristung eingeht, womöglich nur eine mittelbare ist. Ist das der Fall, übernimmt der künftige Gesetzgeber zwar die Verpflichtung, jedoch nicht unmittelbar und kann sich demzufolge nach seiner freien politischen Willensbildung den Folgen der Selbstbindung, also der Bewahrung der internen Bestandskraft des Zeitgesetzes, entziehen. Eine mittelbare Selbstbindung ist gegeben, wenn sie auf anderen Prämissen gründet, die die Selbstbindung determinieren. Der künftige Gesetzgeber kann sich bei entsprechender Willensbildung der Selbstbindung dadurch entziehen, daß er die sie determinierenden Prämissen ändert. Dies ist der Fall bei der sogenannten gesetzlichen und der konzeptionellen Selbstbindung. Von einer gesetzlichen Selbstbindung ist die Rede, „wenn spätere Gesetzgebungsakte durch allgemeiner gehaltene Gesetze determiniert werden." 270 Als Beispiele gesetzlicher Selbstbindung werden die durch die Haushaltsordnung determinierten Haushaltspläne oder die durch die Gemeindeordnung determinierten kommunalen Neugliederungsgesetze genannt. Eine konzeptionelle Selbstbindung hingegen kann dadurch entstehen, daß „der Gesetzgeber sich für ein bestimmtes Modell entscheidet, dann aber auch verpflichtet ist, dieses konsequent zu verwirklichen." 271 Als Beispiel konzeptioneller Selbstbindung wird genannt, daß der Gesetzgeber in weiten Bereichen frei darüber entscheiden kann, welches Wahlsystem er einführen will; hat er sich für die Verhältniswahl entschieden, dann muß er diese Entscheidung konsequent umsetzen, darf also nicht beliebig zwischen Verhältniswahl und Mehrheitswahl hin- und herspringen. Die Selbstbindung erscheint in diesen Fällen allerdings in besonderer Form, da der Gesetzgeber sich hier nur zur folgerichtigen Ausgestaltung seiner Konzeption verpflichtet. 272 Eine mittelbare Selbstverpflichtung 273 2 ™ von Münch, Die Bindung des Gesetzgebers an den Gleichheitssatz bei der Gewährung von Subventionen, AöR 85 (1960), S. 2 7 0 - 3 0 0 , 279, 282. 2 M

S. dazu unten sub III.

27(1

Dazu und zum folgenden s. Maurer, Kontinuitätsgewähr und Vertrauensschutz, in: Isetisee/Kirchhof(Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. III, § 60 Rn. 62. 271

Maurer, Kontinuitätsgewähr und Vertrauensschutz, in: Isensee / Kirchhof buch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. III, § 60 Rn. 62. 2

Maurer,

Kontinuitätsgewähr und Vertrauensschutz, in: Isensee/Kirchhof

(Hrsg.), Hand-

(Hrsg.),Handbuch

I. Befristete Gesetzgebung und

e c h e i t

69

entsteht dadurch, daß der Gesetzgeber zwar die determinierenden Gesetze und Modelle als Prämissen beachten muß, sich den Folgen der Selbstbindung aber entziehen kann, indem er die Prämissen ändert. So muß der Gesetzgeber etwa die Gemeindeordnung bei Eingemeindungen beachten, kann sich aber den Folgen seiner Bindung an die darauf gründenden Neugliederungsgesetze 274 entziehen, indem er die Gemeindeordnung als Prämisse ändert. Über die gleiche Möglichkeit verfügt der Gesetzgeber auch im zweiten genannten Beispiel. Der Vorteil, den eine mittelbare Selbstbindung, sei es gesetzliche oder konzeptionelle, hat, ist, daß sie die womöglich in eine andere Richtung gehende politischrechtliche Willensbildung einer neuen parlametarischen Mehrheit nicht vorgreifen muß. 275 Als Form einer mittelbaren gesetzgeberischen Selbstbindung ist, über die gesetzliche und die konzeptionelle hinaus, auch diejenige zu verstehen, die befristete Gesetze entfalten, deren Befristung nicht vom Gesetzgeber selbst gesetzt wurde, sondern sich aus höherrangigen Nonnen ergibt. Als Beispiel sind hier die in das Haushaltsgesetz aufgenommenen etatbezogenen Vorschriften zu nennen, die gemäß Art. 110 Abs. 4 GG nur für ein Jahr gelten. 276 Der Gesetzgeber selbst geht hier die Selbstbindung durch Geltungsbefristung des Gesetzes zwar nicht freiwillig ein. Eine zumindest mittelbare Selbstbindung ist hier aber dennoch zu bejahen, denn auch durch höherrangige Rechtsnormen kommt befristeten Gesetzen interne Bestandskraft zu. Der Unterschied zu Gesetzen, die vom Gesetzgeber selbst freiwillig befristet werden, ist, daß der Gesetzgeber sich den Folgen der internen Bestandskraft dieser Gesetze dadurch entziehen kann, daß er die höherrangige, befristende Nonn als determinierende Prämisse ändert. Die Selbstbindung, die der Gesetzgeber selbst durch eine Geltungsbefristung eingeht, erweist sich grundsätzlich als unmittelbar. Dies bedeutet, daß der künftige Gesetzgeber bis zum Fristablauf an die befristete Gesetzesregelung unmittelbar gebunden ist, auch wenn er einen anderen politisch-rechtlichen Kurs einschlagen will. Darüber hinaus hat die Annahme einer unmittelbaren Selbstbindung des Gesetzgebers durch die Befristung des zeitlichen Geltungsbereiches eines Gesetzes zur Folge, daß eine lange Befristung den Grundsatz der Effektivität der Gesetzgebung beeinträchtigt, da der Gesetzgeber während der im vor27 '' Maurer, Kontinuitätsgewähr und Vertrauensschutz, in: Isensee / Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. III, § 60 Rn. 63 spricht von relativer oder bedingter Selbstbindung. 274

BVerfGE 82, 310, 313.

275

Siehe zum ganzen Maurer, Kontinuitätsgewähr und Vertrauensschutz, in: Isensee / Kirchhof {Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. III, § 60 Rn. 63^ 276 Siehe Peine, Systemgerechtigkeit. Die Selbstbindung des Gesetzgebers als Maßstab der Normcnkontrolle, S. 164. Nach Peine erscheint in diesen Fällen keine Selbstbindung möglich.

70

D. Verfassungsrechtliche Rahmenbedingungen und Grenzen

aus festgelegten Geltungsdauer des Zeitgesetzes für die Entwicklungen und Wandlungen im politischen, wirtschaftlichen, kulturellen und sozialen Bereich nicht offen ist und das Gesetz nicht daran anpassen darf. Eine mittelbare Selbstbindung des Gesetzgebers an ein Zeitgesetz kann vorliegen, wenn er neue Gesetze erläßt, etwa Ausführungs- oder Vollzugsgesetze, die sich auf das Zeitgesetz als allgemeine Regelung stützen. Während Ausfiihrungsgesetze allgemeiner gehaltene Rahmen- und Grundsätzegesetze ausfüllen, selbst aber noch generell-abstrakt bleibt, „vollziehen" Vollzugsgesetze ein generell-abstraktes Gesetz im Einzelfall und bildet damit eine bestimmte Art des Einzelfallgesetzes. 277 Die Frage, ob der Vollzugs- und Ausführungsgesetzgeber an seine allgemeinen Gesetze gebunden ist, ist positiv zu beantworten. Wenn Vollzugs- oder Ausführungsgesetze gegen ihre allgemeine Gesetze verstoßen, sind sie rechtswidrig und unwirksam. 278 Um so mehr entfalten Zeitgesetze ihre (interne) Bestandskraft und binden auch den Vollzugs- und Ausführungsgesetzgeber, der sich weder über Inhalt noch über Befristung der allgemeinen Norm hinwegsetzen kann. 279 Von Verfassungs wegen, insbesondere unter dem Aspekt des Rechtssicherheitsgrundsatzes, ist die Geltungsbefristung gesetzlicher Normtexte nur dann zulässig, wenn die dadurch entstandene Selbstbindung unter den Vorbehalt gleichbleibender parlamentarischer Mehrheiten gestellt wird oder auf die jeweilige Legislaturperiode begrenzt wird, damit die interne Bestandskraft der befristeten Regelung die freie Willensbildung des künftigen Gesetzgebers nicht übermäßig belastet.280 Der Forderung danach, die dem jeweiligen Regelungsbereich eigene Sachgesetzlichkeit zu berücksichtigen und das Gesetz entsprechend anzupassen, wird die Befristung des Gesetzes gerecht (und ist somit zulässig) in besonderen Fällen gesetzgeberischer Zusicherungen und zwar „nur in besonders gelagerten Fällen ..., etwa gerade zu dem Zweck, Anreize für staatlich erwünschte Investitionen privater Unternehmen zu schaffen." 281

277 Maurer, Vollzugs- und Ausführungsgesetze, in: Rechtsstaat - Kirche - Sinnverantwortung. Festschrift für Klaus Obermayer, S. 9 5 - 1 0 6 , 95. 27K Maurer, Vollzugs- und Ausführungsgesetze, in: Rechtsstaat - Kirche - Sinnverantwortung. Festschrift für Klaus Obermayer, S. 9 5 - 1 0 6 , 101. 279 Siehe Maurer, Vollzugs- und Ausführungsgesetze, in: Rechtsstaat - Kirche - Sinnverantwortung. Festschrift für Klaus Obermayer, S. 9 5 - 106, 99 mit Blick auf den Grundsatz des Vcrtrauensschutzes. 2X0 Vgl. Maurer, Kontinuitätsgewähr und Vertrauensschutz, in: Isensee/Kirchhof Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. III, § 60 Rn. 60.

2X1

(Hrsg.),

Vgl. Maurer, Kontinuitätsgewähr und Vertrauensschutz, in: Isensee/Kirchhof Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. III, § 60 Rn. 60.

(Hrsg.),

I. Befristete Gesetzgebung und Rechtssicherheit

71

h) Fragen der Selbstbindung des Gesetzgebers an befristete Gesetze Die Selbstbindung des Gesetzgebers dauert nur bis zum Zeitpunkt des Außerkrafttretens an. Nach Ablauf der Geltungsfrist und sofern das Zeitgesetz nicht rechtzeitig verlängert bzw. ersetzt wurde, unterliegt der Gesetzgeber (mit Blick auf das in Rede stehende Gesetz) keiner Selbstbindung mehr, sondern darf sich der ihm grundsätzlich zustehenden Gestaltungsfreiheit bedienen; denn dem außer Kraft getretenen Zeitgesetz kommt keine interne Bestandskraft mehr zu. Letzterem ist aber auch kein das Entscheidungsverhalten von Verwaltungsbehörden, Gerichten und Bürgern bindender Charakter mehr eigen, der nach dem Laufe der Jahresfrist vor dem Bundesverfassungsgericht nicht mehr angefochten werden könnte. Folglich besitzt das nicht mehr formell geltende Zeitgesetz auch keine externe Verbindlichkeit (Gesetzeskraft) und zwar weder eine materielle noch eine formelle. Daraus ergibt sich, daß das außer Kraft getretene Zeitgesetz keine Grundlage mehr für die Gewährleistung der Rechtssicherheit zu bieten vermag. Während der Geltungsdauer jedoch entspricht die freiwillige, gesteigerte Selbstbindung, die der Gesetzgeber durch den Erlaß einer befristeten Gesetzesregelung eingeht, (aa) erstens dem (grundsätzlichen) Ausschluß vorfristiger Außerkraftsetzung (Aufhebung), und /oder dem (grundsätzlichen) Ausschluß der Änderbarkeit bzw. Ersetzbarkeit des sachlichen „Anwendungs44- und Verbindlichkeitsbereichs der befristeten Gesetzesnorm durch einen anderen Regelungs„inhalt" während der Geltungsdauer und (bb) zweitens dem Ausschluß der automatischen Verlängerbarkeit der Geltung 282 (Ausdehnung des zeitlichen Geltungsbereichs) über das Ende der Geltungsfrist hinaus. Zeitgesetze enthalten insofern eine gewisse Bestandsgarantie. Sie sind bis zum angegebenen Zeitpunkt des Geltungswegfalls in einem viel beschränkteren Maße aufhebbar als „normale 44 Gesetze. Ihre vorfristige Aufhebung ist daher grundsätzlich abzulehnen.283 Der Gesetzgeber darf aber ein in seiner formellen Geltungsdauer befristetes Gesetz auch unter strengeren Bedingungen novellieren als ein unbefristetes. Die Ander- und Ersetzbarkeit (zuungunsten der Normadressaten) des auf bestimmte Zeit geltenden Gesetzestextes ist - während dieser Geltungszeit - also in höherem Maße beschränkt als diejenige eines normalen, (Dauer-)Gesetzes. Die Befristung des Inkraftseins von Gesetzen stellt demnach die Rechtssicherheit nicht prinzipiell in Gefahr. Weil die zeitgesetzliche Norm mit gestei2s: Siehe Peine, Systemgerechtigkeit. Die Selbstbindung des Gesetzgebers als Maßstab der Normenkontrolle, S. 165.

283 Siehe Maurer, Kontinuitätsgewähr und Vertrauensschutz, in: Isensee/Kirchhof Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. III, § 60 Rn. 58f.

(Hrsg.),

72

D. Verfassungsrechtliche Rahmenbedingungen und Grenzen

gerter Selbstbindungskraft 284 ausgestattet ist, ist grundsätzlich eine vorfristige Außerkraftsetzung (Aufhebung), Änderung der Geltungsfrist sowie des Regelungs„inhalts" und die Verlängerung der Geltungsdauer unzulässig. Aus diesem Grund erhöht die von Anfang an eingeschränkte Geltungsdauer die Rechtssicherheit. Es stellt sich dabei die Frage, ob eine flächendeckende ex ante Befristung von Gesetzesvorhaben oder auch ex post Befristung bereits in Kraft befindlicher Gesetze aus Rechtssicherheitsgründen zulässig, oder sogar empfehlenswert sei. Auch wenn man davon ausgehen kann, daß die meisten gesetzlichen Regelungen Vorschriften sind, die „letztlich nur ein zeitlich befristetes Problem lösen sollen" 285 , ist es meistens für den Gesetzgeber gar nicht möglich, zu prognostizieren, wie lange das mit gesetzlichen Mitteln zu lösende Problem der rechtlichen Regelung bedarf. Zu einer Sicherung der Vorhersehbarkeit und Berechenbarkeit der Rechtsordnung führt die Befristung lediglich bis zum Ablauf der Frist, nicht aber für einen darüber hinaus dauernden Zeitraum. Da aber aus Gründen der Anpassungsfähigkeit der Rechtsordnung an die wechselnden Verhältnisse der modernen Gesellschaft die Dauer der Befristung nicht übermäßig lang, sondern überschaubar sein sollte 286 , könnte die Rechtssicherheit nur in diesem Zeitraum garantiert werden. Mit Blick auf den „nächsten Tag" nach dem Fristablauf jedoch könnten die Privatsubjekte nicht voraussehen, wie die gesetzliche Geltungslage aussehen würde, nämlich ob der künftige Gesetzgeber die Geltung der befristeten Regelung verlängern würde oder ob er die Regelung außer Kraft treten ließe usw. Unabhängig davon, ob man die gängige Meinung teilt, daß sich die Lebensverhältnisse heute schneller als vor Jahrzehnten veränderten, was einen historisch durchaus neuartigen Anpassungsdruck auf die Rechtsordnung (und den Gesetzgeber) zur Folge habe,287 kann nicht in Zweifel gezogen werden, daß weder Tempo noch Richtung der Veränderungen sich

2X4

Gegen einen flächendeckenden Einsatz befristeter Gesetzgebung aus Gründen der Rechtssicherheit aus österreichischer Sicht Oberndorfer/Kemptner, Vorschläge zur Deregulierung, in: Oberndorfer (Hrsg.), Deregulierung, S. 9 9 - 1 4 1 , 123; zustimmend auch Lammer, Gesetzgebungsprozeß in Österreich, in: Manti (Hrsg.), Effizienz der Gesetzesproduktion. Abbau der Regelungsdichte im internationalen Vergleich, S. 1 4 1 - 1 6 6 , 165. 2X 5

Hover , Verfallsdatum für Gesetze?, in: Dresdner Neueste Nachrichten vom 30.01.1997,

S. 3. 2ΧΛ

In der gesetzgebungspolitischen Diskussion der letzten Jahre war oft von einer Frist von fünf Jahren die Rede; s. etwa Höver, Verfallsdatum für Gesetze?, in: Dresdner Neueste Nachrichten vom 30.01.1997, S. 3; Koch, Gesetze nur noch auf Zeit, in: F.A.Z. vom 12.12.1995, S. 14. 2X7 Kritisch dazu Heitmann, „Recht muß doch Recht bleiben" - Zur Befristung von Gesetzen, NJW 1997, S. 1 4 8 8 - 1489, 1489, der zutreffend bemerkt, daß „,sich ändernde Verhältnisse' nicht unbedingt neuen Rcgelungsbedarf und neuer Regelungsbedarf nicht zwangsläufig die Schaffung von Einzcllösungen" bedeuten, da die abstrakt-generellen Normen die Subsumtion vieler Einzeltalle unter einzelfallunabhängigc Tatbcstandsmerkmale ermöglichen.

I. Befristete Gesetzgebung und

e c h e i t

73

zuverlässig vorhersagen lassen.288 So ist aber „abzusehen, daß der Gesetzgeber immer wieder befristete Gesetze verlängern müßte", was wiederum nahelegt, daß die Privatsubjekte bei einem solchen Hin und Her den Überblick über das, was gerade gilt, nicht mehr behalten könnten. 289 Befristete Gesetze machen deshalb - auch und gerade unter dem Aspekt der Rechtssicherheit - nur dann Sinn, „wenn sie nur vorübergehend auftretende Sachverhalte regeln sollen, deren Dauer sich von vornherein abschätzen läßt." 290 Sie sollten also vom Gesetzgeber eher selektiv, nicht jedoch flächendeckend eingesetzt werden. Insbesondere für die Wirtschaft ist das Prinzip der Rechtssicherheit als Rahmenbedingung von besonderer Bedeutung. Das Gebot der Rechtssicherheit „verlangt eine überschaubare, verständliche und handhabbare Wirtschaftsrechtsordnung." 291 Von der Meßbarkeit und Voraussehbarkeit wirtschaftsverwaltungsrechtlicher Maßnahmen hängt weitgehend die Funktionsfahigkeit, Rentierlichkeit, Leistungs-, Investitions- und Anpassungsbereitschaft der Wirtschaft ab. 292 Für die Wirtschaftssubjekte bedeutet Meßbarkeit „Rechts- und Dispositionssicherheit, deren Schaffung und Aufrechterhaltung in einem freiheitlich ausgestalteten Rechtssystem eine elementare ökonomische Rahmenbedingung (z.B. als Standortfaktor) und Voraussetzung wirtschaftlicher Entfaltung und insbesondere eines effektiven Einsatzes von Produktionsfaktoren ist." 293 Eine langfristigere Meßbarkeit und Vorhersehbarkeit staatlicher Entscheidungen garantiert aber nur die (relative) Stetigkeit der Gesetzgebung über die überschaubare Frist der Zeitgesetze.294 Eine grundsätzliche Befristung von Gesetzen würde also — auch und gerade im Bereich des öffentlichen Wirtschaftsrechts - zu einem erheblichen Verlust an Rechtssicherheit führen. 295

2 ™ Evlmann, Verfallsdatum für Gesetze?, in: Dresdner Neueste Nachrichten vom 30.1.1997, S. 3. 2X 9

Evlmann, Verfallsdatum für Gesetze?, in: Dresdner Neueste Nachrichten vom 30.1.1997,

S. 3. 290

Evlmann, Verfallsdatum für Gesetze?, in: Dresdner Neueste Nachrichten vom 30.1.1997,

S. 3. 291

Stober, Wirtschaftsverwaltungsrecht, § 7 II 1.

292

Stober, Wirtschaftsverwaltungsrecht, § 7 II 1.

291

Stober, Wirtschaftsverwaltungsrecht, § 7 II 1.

294

Heitmann, „Recht muß doch Recht bleiben" - Zur Befristung von Gesetzen, NJW 1997, S. 1488-1489, 1489. S. in diesem Kontext auch Oberndorfer/Kemptner, Vorschläge zur Deregulierung. Erfahrungen und Anregungen aus der Praxis, in: Oberndorfer (Hrsg.), Deregulierung, S. 9 9 - 1 4 1 , 123. 295

Heitmann, „Recht muß doch Recht bleiben" - Zur Befristung von Gesetzen, NJW 1997, S. 1488-1489, 1489; Hellstern/Wollmann, Wirksamere Gesetzesevaluierung. Wo könnten praktikable Kontrollverfahren und Wirkungsanalysen bei Parlament und Rechnungshof ansetzen?, ZParl 11 (1980), S. 5 4 7 - 5 6 7 . 558.

74

D. Verfassungsrechtliche Rahmenbedingungen und Grenzen

II. Verfassungsrechtliche Anforderungen an die befristete Gesetzgebung aus dem Prinzip des Vertrauensschutzes 1. Vorbemerkung Als „Tatbestandsmerkmale" des rechtsstaatlichen Vertrauensschutzes kommen folgende Voraussetzungen in Betracht: Erstens muß ein staatliches Verhalten gegeben sein, das dem Einzelnen als Vertrauensgrundlage dienen kann, weil es eine Sachlage schafft, aus der man nach den Erfahrungen des Rechtslebens auf einen bestimmten Rechtszustand schließen darf; zweitens muß der Einzelne auf den Bestand der Vertrauensgrundlage vertraut haben, wobei er drittens dieses Vertrauen auch „ins Werk gesetzt" haben muß (Vertrauensbetätigung). Schließlich muß sich der so begründete Vertrauenstatbestand auf der Grundlage einer im Einzelfall vorzunehmenden Interessenabwägung gegenüber öffentlichen Interessen als schutzwürdig erweisen. 296 Es stellt sich hier die Frage, ob der befristete Gesetzestext eine gesetzliche Vertrauensgrundlage schafft und wenn ja, fragt es sich insbesondere, ob die in der Literatur vertretene Meinung 297 , „ausdrücklich als Zeitgesetze mit nur begrenzter Dauer gekennzeichnete Regelungen" seien schwache Vertrauensgrundlagen, der Eigenart befristeter parlamentarischer Gesetzgebung gerecht wird. Im Schrifttum wird die Ansicht geäußert, daß die Geltungsbefristung unter dem Gesichtspunkt des Vertrauensschutzes unterschiedliche Zielsetzungen haben könne: Es sei einmal möglich, daß der Gesetzgeber Vertrauensschutz ausschließen oder begrenzen wolle, indem er von vornherein das Ende der Regelung angebe; es sei aber auch möglich, daß er gerade umgekehrt einen Vertrauenstatbestand schaffen möchte, indem er zum Ausdruck bringe, daß das Gesetz jedenfalls bis zum angegebenen Zeitpunkt in Kraft bleiben werde. Was im einzelnen gelten solle, müsse aus dem Gesetz selbst im Wege der Auslegung (Sinn und Zweck der Regelung, Entstehungsgeschichte) ermittelt werden. 298

296

S. statt anderer Muckel, Kriterien, S. 79ff., 104ff. m.w.N.

297

Muckel, Die Rückwirkung von Gesetzen in der neueren Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, JA 1994, S. 15: Das Ziel des Vertrauensschutzes bestehe darin, daß der Erlaß des Gesetzes, auf dessen Fortgeltung der Bürger vertraue, zu einer — partiellen - Selbstbindung des Gesetzgebers führe. Ob und inwieweit dies erreicht werde, hänge von der konkreten Ausgestaltung des Gesetzes ab. Größeres Gewicht gegenüber schwachen Vertrauensgrundlagen wie etwa Zeitgesetze habe ein Vertrauen des Bürgers, das sich auf ein Gesetz beziehe, durch welches der Gesetzgeber den Bürger zu bestimmten Dispositionen veranlasse. Noch stärker werde ein Vertrauen des Einzelnen zu gewichten sein, das sich auf ein „gesetzlich gegebenes Sicherungsversprechen" gründe. 2

Maurer,

Kontinuitätsgewähr und Vertrauensschutz, in: Isensee/Kirchhof

(Hrsg.),Handbuch

I . Befristete Gesetzgebung und

e r e c h t z

75

Diese beiden Funktionen verhalten sich aber, bei genauerer Betrachtung, nicht alternativ, sondern immer kumulativ zueinander. Sie stellen sozusagen die beiden Seiten einer Medaille dar. Der Ausschluß oder die Begrenzung des Vertrauensschutzes einerseits und die Schaffung eines Vertrauenstatbestandes andererseits sind, so gesehen, nicht „unterschiedliche Zielsetzungen" der Geltungsbefristung. Beide ergänzen vielmehr einander, ja sie setzen einander voraus. Es ist allerdings möglich, daß die Regelungsabsicht des Gesetzgebers der einen Funktion der Befristung eine höhere Priorität als der anderen beimißt. Man kann, so gesehen, die Konstellation der doppelten Funktion der befristeten Gesetzgebung im Hinblick auf den Vertrauensschutz auch folgendermaßen zum Ausdruck bringen: Die Befristung „zeigt eine zeitliche Grenze auf, jenseits der es ein schutzwürdiges Vertrauen der Normadressaten nicht geben kann. Zugleich erzeugt sie beim Bürger das Vertrauen darauf, daß sich vor Ablauf der Frist die Rechtslage nicht ändert." 299 Mit Blick auf das öffentliche Wirtschaftsrecht bedeutet dies, daß Zeitgesetze ein ambivalentes Vertrauen der Wirtschaftsbürger zur Zeit (erwecken), indem „derartige zeitliche Limitierungen einerseits die Grundlage für ein darüber hinausgehendes Vertrauen zerstören, andererseits aber zugleich ein gesteigertes Vertrauen begründen und innerhalb seiner Anwendungszeit aufrechterhalten, so daß sie sich ... als Steuerungsinstrumente zukünftiger Wirtschaftsabläufe darstellen." 300 Um dies zu verdeutlichen, ist es sinnvoll, die von Leisner eingeführte Unterscheidung in Geltungsvertrauen und Kontinuitätsvertrauen 301 auf die doppelte Funktion der Gesetzesbefristung anzuwenden. So beabsichtigt der Gesetzgeber mit der Befristung einerseits das Entstehen eines Ge/taflgsvertrauens seitens des betroffenen Bürgers, also des Vertrauens auf das Fortbestehen der befristeten Gesetzesregelung als Bestandteils der geltenden Rechtsordnung über den festgelegten Endtermin hinaus ausschließen oder begrenzen; das Geltungsvertrauen ist hier Ausdruck der formellen Geltung, des Inkraftseins des Gesetzes. Weil die Geltungsdauer der Zeitgesetze vom Gesetzgeber bereits festgelegt ist, kann und soll sich der Bürger zwar auf die formelle Geltung dieser Gesetze als Elemente einer Rechtsordnung verlassen, jedoch nicht so, als wäre sie eine auf unbestimmte Dauer angelegte Geltung (Geltung „bis auf weiteres"); vielmehr soll er bei seiner Vertrauensbildung dem Gesetzgeber gegenüber einkalkulieren, daß das Zeitgesetz gerade mit einer zeitlich befristeten Geltungsdauer ausgestattet ist. 299

Muckei

Kriterien, S. 85.

100

Oertel, Der Zeitfaktor im öffentlichen Wirtschaftsrecht, S. 102, 214; kursiv nicht im Original. 301 S. dazu Leisner, Das Gesetzesvertrauen des Bürgers. Zur Theorie der Rechtsstaatlichkeit und der Rückwirkung der Gesetze, in: Festschrift für Friedrich Berber zum 75. Geburtstag, S. 2 7 3 - 2 9 7 , 280ff.; Pieroth, Rückwirkung und Übergangsrecht. Verfassungsrechtliche Maßstäbe für intertemporale Gesetzgebung, S. 127ff.; Peine, Systemgerechtigkeit, S. 276f.

76

D. Verfassungsrechtliche Rahmenbedingungen und Grenzen

Andererseits beabsichtigt der Gesetzgeber mit der ausdrücklichen Festlegung des zeitlichen Geltungsumfangs der Regelung zugleich die Entstehung eines (allenfalls zeitlich begrenzten) Kontinuitätsvertvauens, nämlich des Vertrauens darauf, daß das Gesetz jedenfalls bis zum angegebenen Zeitpunkt in Kraft bleiben wird. Es ist ein Vertrauen auf die interne Bestandskraft des Zeitgesetzes innerhalb seiner Geltungsdauer und somit auf die (freiwillige) Selbstbindung des Gesetzgebers darauf, daß er das Gesetz vor Ablauf der Geltungsfrist (und wohl erst nach der Durchführung einer Erfolgskontrolle) nicht aufheben und/ oder durch ein anderes, die Normadressaten belastendes, Gesetz ändern bzw. ersetzen wird. Es handelt sich um ein Vertrauen auf eine (gegenüber der den unbefristeten Gesetzen zukommenden, „normalen" internen Bestandskraft) gesteigerte Bestandskraft, die jedoch mit Ablauf der Geltungsfrist ihre Existenzgrundlage verliert. Der Befristung einer Gesetzesvorschrift kommt unter dem Gesichtspunkt des Vertrauensschutzes, so gesehen, eine doppelte Funktion zu: zum einen schließt sie (Dauer-)Geltungsvertrauen aus bzw. sie begrenzt es zeitlich; zum anderen schafft sie eine Vertrauensgrundlage in Sinne des (hier zeitlich limitierten) Kontinuitätsvertrauens. Mit anderen Worten handelt es sich im ersten Fall um die Absicht des Gesetzgebers, ein umfassendes Geltungsvertrauen der Bürger bzw. der Wirtschaftssubjekte, also ein Vertrauen auf die Dauergeltung und die Weitergeltung des befristeten Gesetzes über den Ablauf der Frist hinaus, (vorerst) auszuschließen. Im zweiten Fall geht es um seine Absicht, ein gesteigertes Kontinuitätsvertrauen der Normadressaten, also ein Vertrauen auf die Unveränderlichkeit der Rechtslage während der Geltungsfrist, nicht aber auch nach ihrem Ablauf, zu begründen und aufrechtzuerhalten. Genauer betrachtet und mit Bezug auf eine typologische Betrachtung der parlamentarischen Gesetze bedeutet dies, daß die vorsorgliche Festlegung der Geltungsdauer einer Gesetzesnorm ein womöglich beim Bürger vorhandenes Geltungsvertrauen über die Geltungsdauer hinaus geradezu ausschließt bzw. ausdrücklich begrenzt, indem sie vorerst kein Vertrauen etwa auf den Erlaß eines Verlängerungsgesetzes begründen will. Zugleich schafft die Terminierung des Außerkrafttretens des Gesetzes ein zeitlich begrenztes Kontinuitätsvertrauen, indem sie Vertrauen darauf begründen will, daß der Gesetzgeber grundsätzlich von der Aufhebung des Zeitgesetzes bzw. dem Erlaß eines Änderungsgesetzes während des Inkraftseins absehen wird. Im Hinblick auf befristete Gesetze stellt sich hier also die Frage, ob sie ein von Verfassung und Rechts wegen schützenswertes Vertrauen des Einzelnen gegenüber dem staatlichen Interesse an einer Änderung der Rechtslage begründen können. 302 Im folgenden sollen 302

Insofern ist Oertel, Der Zeitfaktor im öffentlichen Wirtschaftsrecht, S. 103f., 214 in dieser Hinsicht zuzustimmen, daß Kontinuitätsvertrauen „angesichts dessen, daß die Zukunft gegenüber gesetzgeberischen Willensänderungen offen bleiben muß, kein zeitliches' Vertrauen im Sinne von Geltungsvertrauen für die Dauer der Zukunftsverfügungen eines Zeitge-

77

II. Befristete Gesetzgebung und Vertrauensschutz

die beiden Funktionen befristeter Gesetzgebung im Hinblick auf den Grundsatz des Vertrauensschutzes untersucht werden. 2. Befristete Gesetzgebung als Grundlage für den Ausschluß bzw. die Begrenzung eines (auf unbestimmte Dauer angelegten) „Geltungsvertrauens" Keine Störung des Vertrauens in die Kontinuität des Rechts stellt die Befristung von Gesetzen in Regelungsbereichen dar, in denen eine hohe Veränderlichkeit der gesellschaftlichen, insbesondere auch der wirtschaftlichen, Verhältnisse eine entsprechend flexible Gesetzgebung verlangt. Dies ist vor allem dort der Fall, wo der staatliche Gesetzgeber die Prozesse der Wirtschaft und der Gesellschaft kurzfristig steuernd beeinflussen will, etwa im Steuerrecht, Wirtschaftsverwaltungsrecht, Anlagengenehmigungsrecht etc. 303 In dem Maße jedoch, in dem das Gesetzesrecht prinzipiell auf Dauer angelegt ist, beeinträchtigen oder gar zerstören Zeitgesetze die Zuversicht des Bürgers in die Dauerhaftigkeit des Rechts. Die Kontinuität der Rechtslage ist insbesondere in weiten Teilen des klassischen Überwachungs- und Ordnungsrechts von eigenem Wert, in denen elementare Sicherheits- und Ordnungsbedürfnisse des Normadressaten in seiner Alltagswelt geregelt werden. Hier wären exemplarisch aus dem Bereich des Verwaltungsrechts etwa das allgemeine Verwaltungsverfahrensrecht, das Polizei- und Ordnungsrecht, das Baurecht, das Beamtenrecht zu nennen.304 Befristete Gesetzesregelungen in diesen Referenzgebieten werden aus diesem Grund keine geeignete Grundlage für ein schützenswertes Vertrauen sein und die Geltungsbefristung wird gegen das Gebot des Vertrauensschutzes verstoßen. Weil also die Erwartungen an die Kontinuität der Rechtslage in den verschiedenen Rechtsgebieten von unterschiedlichem Intensitätsgrad gekennzeichnet sind, erscheint der womögliche generelle legislative Einsatz von Geltungsbefristungen in rechtsstaatlicher Sicht nicht zulässig. Sinnvoll erscheint jedoch der Einsatz von Befristungen in den Bereichen des Steuerrechts 305 , Haushaltsrechts, Subventionsrechts, Mietrechts, bei politischen oder wirtschaftlichen Krisensituationen und als Übergangsregelungen im Rahmen von Gesetzesänderungen.306 seizes (ist)". Seine zeitliche Komponente beschränke sich auf den Aspekt, daß der Gesetzgeber gewisse Sachlagen in einem bestimmten Zeitraum unangetastet lassen solle. m

Schulze-Fielitz, Zeitoffene Gesetzgebung, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann (Hrsg.), Innovation und Flexibilität des Verwaltungshandelns, S. 159; vgl. auch Heitmann, „Recht muß doch Recht bleiben" - Zur Befristung von Gesetzen, NJW 1997, S. 1 4 8 8 - 1489, 1488. 304 So Schulze-Fielitz, Zeitoffene Gesetzgebung, in: Hoffmann-Riem (Hrsg.), Innovation und Flexibilität des Verwaltungshandelns, S. 159f.

/Schmidt-Aßmann

31)5 S. dazu Flämig, Steuerrecht als Dauerrecht. Zur Einordnung des steuergesetzlichen Parteienfinanzierungsrechts in den Regelungsbereich des § 2 des Strafgesetzbuches.

78

D. Verfassungsrechtliche Rahmenbedingungen und Grenzen

Es ist im Schrifttum unbestritten, daß die vorzeitige Aufhebung befristeter Gesetze, insbesondere auch solcher, die eine gesetzgeberische Zusicherung zugunsten des Bürger enthalten, grundsätzlich abzulehnen ist, wenn der Bürger vor Ablauf der Geltungsfrist nicht mit einer Änderung rechnen muß. 307 Es stellt sich jedoch die Frage nach der Zulässigkeit der Verlängerung der befristeten Gesetzesnorm vor Ablauf der Frist. Erfährt der zeitliche Geltungsbereich befristeter Gesetze durch ein neues Gesetz eine Ausdehnung, kommt es zu einer „kettenmäßigen" Verlängerung des Geltungsbereichs. 308 Zwischen der für den heutigen Gesetzgeber typischen Änderungsgesetzgebung scheinbar auf Dauer angelegter Gesetze und der Verlängerung erst befristeter, dann auf Dauer verlängerter Gesetze besteht (abgesehen vom explizit oder konkludent formulierten Auftrag an den Gesetzgeber eine mit der Befristung verbundene Evaluation vorzunehmen) kein qualitativer Unterschied im materiellen Regelungsgehalt dieser Gesetze.309 Besondere Bedeutung kommt jedoch der Befristung im Sinne einer Begrenzung der Verlängerbarkeit der Geltungsdauer der Regelung bei der belastenden befristeten Gesetzgebung zu. Bindet man den zeitlichen Umfang belastender Maßnahmen an den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, dann kann unter Erforderlichkeitsgesichtspunkten das betroffene Grundrecht auch eine zeitliche Befristung gebieten310 In dem Falle ist davon auszugehen, daß dem Gesetzgeber die Verlängerung des belastenden Zeitgesetzes vor Ablauf der Geltungsfrist nicht ohne weiteres, also nicht ohne einen besonderen Grund, der dagegen spricht, zugelassen ist.

306 Heitmann, „Recht muß doch Recht bleiben" - Zur Befristung von Gesetzen, NJW 1997, S. 1488-1489, passim. 307 Maurer, Kontinuitätsgewähr und Vertrauensschutz, in: Isensee / Kirchhof (HisgX Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. III, § 60 Rn. 59; Hill, Einführung, S. 37. 308 Oertel, Der Zeitfaktor im öffentlichen Wirtschaftsrecht, S. 65. Beispiele: KraftfahrzeugmißbrauchG vom 21.11.1947 (GVB1. S. 9), verlängert durch Gesetz des Wirtschaftsrates zur Verlängerung der Gültigkeitsdauer des KraftfahrzeugmißbrauchG vom 5.7.1948 (GVB1. des Wirtschaftsrates vom 17.07.1948 Nr. 13 S. 67); PreisG vom 10.04.1948 (WiGBl. S. 27), verlängert am 25.11.1950 (BGBl. S. 681), am 23.12.1950 (BGBl. S. 824) und am 29.03.1951 (BGBl. S. 223). - Wegen der jährlichen Verabschiedung des Haushaltsgesetzes kann kein Vertrauen dahingehend geltend gemacht werden, daß die im Haushaltsplan vorgesehene Subventionierung über das laufende Haushaltsjahr hinaus fortgesetzt wird (vgl. Henke, Das Recht der Wirtschaftssubventionen als öffentliches Vertragsrecht, S. 111; dazu Schwerdtfeger, Vertrauensschutz und Plangewährleistung im Subventionsrecht, S. 167 Anm. 46.). 309 So Schulze-Fielitz, Zeitoffene Gesetzgebung, in: Hoffmann-Riem (Hrsg.), Innovation und Flexibilität des Verwaltungshandelns, S. 161.

/Schmidt-Aßmann

310 Schulze-Fielitz, Zeitoffene Gesetzgebung, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann (Hrsg.), Innovation und Flexibilität des Verwaltungshandelns, S. 158; Oertel, Der Zeitfaktor im öffentlichen Wirtschaftsrecht, S. 62f.

II. Befristete Gesetzgebung und Vertrauensschutz

79

Weiterhin stellt sich die Frage nach der Zulässigkeit einer Verlängerung der befristeten Gesetzesnorm nach Ablauf der Frist. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts 311 ist eine erneute Verkündung eines befristeten Gesetzes nicht erforderlich, wenn das Verlängerungsgesetz für den Normadressaten deutlich erkennen läßt, welche Bestimmungen Gesetzeskraft haben sollen. Das Verlängerungsgesetz brauche die Vorschriften des Gesetzes nicht zu wiederholen, sondern könne sich darauf beschränken, die Verlängerung der Geltungsdauer anzuordnen. Die Verlängerung der Geltungsdauer komme dem Erlaß eines neuen Gesetzes mit dem Inhalt des befristeten Gesetzes gleich. Dies kann nach Ansicht des Bundesverfassungsgerichts sogar auch dann geschehen, wenn das Gesetz wegen Ablauf der Frist außer Kraft getreten ist. Ausgelaufene Zeitgesetze können ohne (Neu-)Verkündung des Wortlauts jedoch nicht „verlängert" werden. Die schlichte „Verlängerung" eines Gesetzes, mithin die Ausdehnung seines zeitlichen Geltungsbereichs, setzt begrifflich voraus, daß der zeitliche Geltungsbereich des zu verlängernden Gesetzes noch nicht abgelaufen ist. 312 Ein Verlängerungsgesetz kann daher nicht auf bereits außer Kraft getretene Gesetzesnormen Bezug nehmen. Der Gesetzgeber hat vielmehr Rücksicht darauf zu nehmen, daß das zu verlängernde Zeitgesetz insgesamt oder einzelne zu verlängernde Normsätze dieses Gesetzes im Zeitpunkt der Verlängerung noch in Geltung sind. 313 Dies gilt auch dann, wenn das Verlängerungsgesetz den Normadressaten klar zu erkennen gibt, welche Bestimmungen Rechtsgeltung erlangen sollen. Denn mit Zeitablauf des befristeten Gesetzes geht der Bürger verständlicherweise davon aus, daß das Gesetz nun nicht mehr verlängert (bzw. geändert) werden kann, sondern allenfalls neu erlassen wird. 3 1 4 Die Verlängerungsgesetzgebung bereits außer Kraft getretener befristeter Gesetzestexte anstelle der aus rechtsstaatlichen Gründen gebotenen Neuverkündung des Wortlauts verstößt daher gegen das Vertrauen der Rechts311

BVerfGE 8, 274, 290f.

• 1 2 Insofern ist Oertel, Der Zeitfaktor im öffentlichen Wirtschaftsrecht, S. 66 zuzustimmen. 313

So auch Giese, Verkündung und Gesetzeskraft. Zur Frage der Verlängerung und Erneuerung befristeter Gesetze, AöR 76 (1950/51), S. 4 6 4 - 4 8 2 , 477ff., 480f.; Bettermann, Die „kleine Mietpreisreform" und ihre Rechtsgültigkeit, JZ 1952, S. 6 5 - 7 1 , 66; Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Bd. II, S. 636f.; a.A. Oertel, Der Zeitfaktor im öffentlichen Wirtschaftsrecht, S. 67. Differenzierend zu den Anforderungen an die bereits nach Geltungswegfall eintretende Verlängerung befristeter Gesetzesvorschriften hingegen Schneider, Gesetzgebung. Ein Lehrbuch, S. 309: Auch hier wird davon ausgegangen, daß ein bereits durch Fristablauf außer Kraft getretenes Gesetz nicht durch ein schlichtes Änderungsgesetz wieder zum Leben erweckt werden kann. Eine Ausnahme werde allerdings nur dann in Betracht kommen, wenn ein Zeitgesetz verlängert werden solle, aber die Verschiebung des Verlängerungsgesetzes sich verspäte. Die Initiative zur Verlängerung müsse dann aber noch während der Geltungsdauer des auslaufenden Gesetzes ergriffen worden sein. Aus diesem Grunde lasse sich BVerfGE 8, 274 zur Verlängerung des Preisgesetzes (ohne erneute Verkündung) halten. 314

Oertel, Der Zeitfaktor im öffentlichen Wirtschaftsrecht, S. 65f.

80

D. Verfassungsrechtliche Rahmenbedingungen und Grenzen

unterworfenen auf den Nicht-Fortbestand der befristeten Regelung über die Geltungsdauer hinaus. 3. Befristete Gesetzgebung als Grundlage für die Schaffung und Aufrechterhaltung eines (gesteigerten) Kontinuitätsvertrauens Mit Bezug auf eine Typologie der Erscheinungsformen förmlicher Gesetze315 weist der Charakter befristeter Gesetzgebung als Grundlage für das Entstehen eines Kontinuitätsvertrauens auf die (Un-)Zulässigkeit der Änderungsgesetzgebung befristeter Gesetze hin. „Änderungsgesetze" enthalten (Teil-)Änderungen einzelner Regeln in bestehenden Gesetzen (sogenannten „Stammgesetzen").316 Das Kontinuitätsvertrauen des Bürgers als Ausdruck seines Glaubens an die Bestandskraft von Staatsakten, hier insbesondere von legislativen Akten, 317 umfaßt die Nicht-Aufhebbarkeit und die Nicht-Ersetzbarkeit bzw. Nicht-Änderbarkeit 318 des Zeitgesetzes. Was insbesondere die Nicht-Änderbarkeit anbelangt, so umfaßt das Geltungsvertrauen einerseits die Nicht-Änderbarkeit der Geltungsbefristung (des zeitlichen Geltungsbereichs) und andererseits die Nicht-Änderbarkeit des Regelungs„inhalts" (des sachlichen Verbindlichkeits- bzw. „Anwendungsbereichs) des gesetzlichen Nonntextes. 315

S. dazu Schulze-Fielitz,

316

Schulze-Fielitz,

Theorie, S. 39ff., insb. S. 52.

Theorie, S. 52.

317 Anders als der Begriff der (internen) Bestandskraft von Gesetzesnormen hier verwendet wird, ist bei Leisner, Das Gesetzesvertrauen des Bürgers. Zur Theorie der Rechtsstaatlichkeit und der Rückwirkung der Gesetze, in: Festschrift fur Friedrich Berber zum 75. Geburtstag, S. 2 7 3 - 2 9 7 , 280f., davon die Rede, daß das Geltungsvertrauen „nur Ausdruck der Bestandskraft der Staatsakte, eine eigentümliche Art von ,Rechtskraft der Gesetzgebung" 1 sei. Die Bestandskraft existiere, auch wenn sich niemand darauf berufe, niemand sich darauf verlasse. Sie sei „kein Zügel für die Gestaltungs- und Änderungsfreiheit der souveränen Staatsgewalt, sondern deren Voraussetzung: Geändert kann nur werden, was gilt". Hier wird deutlich, daß sich das Geltungsvertrauen bei Leisner nicht auf die (interne) Bestandskraft der Gesetzesnonn im hiesigen Sinne der Selbstbindung des Gesetzgebers, also als einer Form der Bindungswirkung des Gesetzes, bezieht, sondern auf die bloße (formelle) Geltung als Voraussetzung dieser Bindungswirkung (Verbindlichkeit). 3IX

A . A . wohl Hofmann, Das Postulat der Allgemeinheit des Gesetzes, in: ders., Verfassungsrechtliche Perspektiven. Aufsätze aus den Jahren 1980-1994, S. 2 6 0 - 2 9 6 , 285, der von der „Möglichkeit jederzeitiger Derogation" eines Zeitgesetzes spricht. - Zu den Arten der Derogation als Forni der Außerkraftsetzung und/oder Veränderung früherer genereller Rechtsnormen durch spätere Rechtsakte, nämlich der formellen Derogation (ausdrücklichen Aufhebung) und der materiellen Derogation (nämlich der automatischen Außerkraftsetzung geltender Rechtsnormen dadurch, daß sie zu später erlassenen in Widerspruch stehen) s. Baumeister, Das Rechtswidrigwerden von Nonnen. Eine rechtsdogmatische Untersuchung zu den Grenzen der Wirksamkeit und Anwendbarkeit von Normen - Probleme des Spannungsverhältnisses von Recht und Zeit, S. 2 7 3 - 2 7 8 , und ferner Weinherger, Nonn, S. 105f.; Koller, Theorie des Rechts. Eine Einführung, S. lOOf.

II. Befristete Gesetzgebung und Vertrauensschutz

81

Der Adressat der befristeten Gesetzesregelung muß also, wenn diese Regelung eine Grundlage für Kontinuitätsvertrauen darstellen soll, darauf vertrauen können, daß der Gesetzgeber grundsätzlich die Geltungsdauer einhalten und den sachlichen Bezugsbereich der Regelung nicht ändern wird. Die Ausdehnung des zeitlichen Geltungsbereichs durch ein Verlängerungsgesetz stellt, so gesehen, sicherlich einen besonderen Fall der Änderungsgesetzgebung dar, 319 der aber unter dem Aspekt des Geltungsvertrauens (oben sub 2) behandelt wurde. Das Problem gesetzlicher Änderung befristeter „Stammgesetze" kann somit für den Zeitraum nur vor Ablauf der Geltungsfrist relevant sein insofern, als mit Ablauf der Geltungsfrist das Zeitgesetz seine formelle Geltung verliert und damit auch seinen Existenzgrund als Teil der geltenden Rechtsordnung. Weil die befristete Regelung sodann nicht mehr rechtlich existent ist und sofern Änderungsgesetze (Teil-)Änderungen einzelner Regeln „in bestehenden Gesetzen" enthalten,320 kann eine erst nach dem Geltungsende erlassene lex posterior kein Änderungsgesetz mehr, sondern nur eine Neuregelung sein. Für den Zeitraum nach Ablauf der Geltungsfrist des Zeitgesetzes stellt sich also die Frage nach dem Kontinuitätsvertrauen nicht mehr. Ein Zeitgesetz kann demnach eine (Kontinuitäts-)Vertrauensgrundlage nur dahingehend darstellen, daß aufgrund dessen der Bürger sich grundsätzlich darauf verlassen kann, daß es vor Ablauf der Frist nicht geändert wird. Im Berlinhilfe-Urteil 321 hat das Bundesverfassungsgericht auch tatsächlich entschieden, daß zeitlich befristete Gesetze einen durchaus schützenswerten Vertrauenstatbestand begründen. Das Bundesverfassungsgericht erkennt in der Befristung - um die Formulierung Ossenbühls zu verwenden - eine „verfestigte, wenn auch nicht unüberwindbare Bestandsgarantie bis zum Fristablauf 4322 . Weil die Bürger oder sonstige Wirtschaftssubjekte bei den Zeitgesetzen grundsätzlich darauf vertrauen können, daß die legislativen Regelungen bis zum Ende der festgelegten Laufzeit fortdauern werden, sind kalendermäßig befristete Gesetze dementsprechend nicht ohne weiteres vor, sondern erst nach Ablauf ihrer Befristung änderbar. 323 Die Unzulässigkeit einer Änderung betrifft sowohl den zeitlichen Geltungsbereich (Geltungsdauer) als auch den zeitlichen Verbindlichkeitsbereich (und sonstigen Regelungs„inhalt"). Der Geltungsanspruch des ' 1 9 Vgl. Oertel, Der Zeitfaktor im öffentlichen Wirtschaftsrecht, S. 65: Die nachträgliche Befristungsverlängerung unterscheide sich von „entsprechenden Änderungsgesetzen im Hinblick auf den sachlichen Anwendungsbereich der N o n n " insofern, als sie den Geltungsbereich des Gesetzes nicht bloß ändere, sondern die Nonn (vorerst) vor ihrem Außerkrafttreten bewahre. 320

Schulze-Fielitz,

121

BVerfGE 30, 392, 404. S. ausführlicher dazu unten sub 4.

322

Ossenbühl, Vertrauensschutz im sozialen Rechtsstaat, D Ö V 1972, S. 2 5 - 3 6 , 30f.

Theorie, S. 52.

•2· Lücke, Staatsakte, S. 43. 6 Chanos

82

D. Verfassungsrechtliche Rahmenbedingungen und Grenzen

Altrechts bis zu dem Zeitpunkt des Geltungswegfalls ist bei Zeitgesetzen sogar „besonders dezidiert ausgedrückt." 324 Zeitgesetzen ist zwar ein Zwang zur Novellierung immanent.325 Die Novellierung kann aber grundsätzlich nur das Ergebnis einer erst vor oder nach Ablauf der Geltungsfrist vorgenommenen Wirkungsund Erfolgskontrolle sein und den Erlaß einer neuen, diesmal möglicherweise mit dauerhaftem Gültigkeitsanspruch ausgestatteten, Regelung bedeuten. 4. Insbesondere: Befristete Gesetzgebung als Vertrauensgrundlage im Subventionsrecht Die Befristung des gesetzlichen Geltungsbereichs ist in Regelungsgebieten, wie etwa denjenigen des Wirtschaftsverwaltungsrechts, die durch ein schnelles Veränderungstempo gekennzeichnet sind, das eine entsprechend hohe Flexibilität der legislativen Rechtsetzung erforderlich macht, gerade eine „Sicherung der Vorhersehbarkeit des Rechts für Entscheidungen der Wirtschaftssubjekte für den Zeitraum der Befristung." 326 Hier ist ein Vertrauen der Wirtschaftssubjekte in die interne Bestandskraft und die externe Verbindlichkeit („Gesetzeskraft") der befristeten Gesetzesnorm begründet. Die Geltungsbefristung schafft demgemäß grundsätzlich eine gesetzliche (Kontinuitäts-)Vertrauensgrundlage. Insbesondere mit Blick auf das Subventionsrecht geht die Dogmatik im allgemeinen davon aus, daß eine subventionsgesetzliche Regelung (verstanden als Dauergesetz) allein nicht ausreicht, in zurechenbarer Weise Vertrauen auf die Kontinuität der die Wirtschaftsubjekte begünstigenden Rechtslage zu begründen. Auf den Fortbestand einer subventionsgesetzlichen Regelung kann grundsätzlich nicht vertraut werden; im Gegenteil muß die Beendigung einer Subventionsmaßnahme grundsätzlich jederzeit möglich sein. Andernfalls würde die Gestaltungsfreiheit des parlamentarischen Gesetzgebers im Bereich der Wirtschaft in unvertretbarer Weise eingeschränkt. Denn Wirtschaftspolitik kann nur dann erfolgreich betrieben werden, wenn sie sich den rasch wechselnden Gegebenheiten anpassen kann. 327 Anders verhält es sich aber, wenn durch eine ausdrückliche Befristung die Subventionsempfänger dazu gebracht werden, umfangreiche Dispositionen vorzunehmen. Die Befristung läßt in zurechenbarer Weise den Eindruck entstehen, daß die Subventionsgewährung während der Geltungsdauer stabil bleiben wird. 3 2 8 Die Befristung schafft eine „besondere Vertrauenssituation", so daß die 324

So Kloepfer, Vorwirkung, S. 115 Anm. 507.

325

So Hill, Einführung, S. 37.

•,2f t Schulze-Fielitz, Zeitoffene Gesetzgebung, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann Innovation und Flexibilität des Verwaltungshandelns, S. 159. 327 32x

(Hrsg.),

Henke, Das Recht der Wirtschaftssubventionen als öffentliches Vertragsrecht, S. 110.

Henke, Das Recht der Wirtschaftssubventionen als öffentliches Vertragsrecht, S. 110; Schwerdtfeger, Vertrauensschutz und Plangewährleistung im Subventionsrecht, S. 166f.

II. Befristete Gesetzgebung und Vertrauensschutz

83

Betroffenen davon ausgehen können, daß Änderungen befristeter Gesetze vor Ablauf der Frist „nur aus besonders gewichtigen Gründen" vorgenommen werden. 329 Die Befristung der Geltungsdauer gilt also als besonderer Legitimationsgrund für das (Kontinuitäts-) Vertrauen der davon betroffenen Normadressaten. Die Änderung einer Subventionsvorschrift kann wegen Verstoßes gegen den Grundsatz des Vertrauensschutzes verfassungswidrig sein, wenn sie eine befristete Subventionsmaßnahme ohne überwiegende öffentliche Interessen vorzeitig beendet.330 Voraussetzung für den rechtlichen Schutz des dadurch entstandenen Vertrauens ist, daß die Gesetzesvorschrift die Subventionsmaßnahme ausdrücklich auf bestimmte Zeit festlegte und daß sie ein wesentlicher Beweggrund für die geförderte Handlung war. 331 Eine typische Konstellation bietet das Beispiel des Berlinhilfegesetzes. § 15 Abs. 2 BHG 1959 in der Fassung des Fünften Gesetzes zur Änderung des Gesetzes zur Förderung der Wirtschaft von Berlin (West) vom 25. März 1959 332 verlängerte die Geltungsdauer bestimmter Umsatzsteuervergünstigungen und befreiungen um fünf Jahre bis zum 31. Dezember 1964. Sinn und Zweck der Verlängerung der Steuervorteile war es, aus der labilen politischen Situation Westberlins erwachsenen Vorbehalten gegen langfristige Investitionen in der Stadt entgegenzuwirken und ausreichende Anreize dafür zu schaffen. § 22 Abs. 1 Nr. 4 Buchst, a BHG 1962 des Gesetzes zur Förderung der Wirtschaft von Berlin (West) in der Fassung vom 26. Juli 1962333 schränkte die Umsatzsteuervergünstigungen für den Bereich der Zigarettenindustrie schon zum 1. Januar 1963 ein, also zwei Jahre vor ablauf der vorgesehenen Geltungsfrist. Nach Ansicht des Bundesverfassungsgerichts 334 begründete § 15 Abs. 2 BHG 1959 „einen Vertrauenstatbestand, auf den sich die begünstigten Steuerpflichtigen grundsätzlich verlassen durften." Zeitlich befristete Gesetze erzeugen beim Normadressaten ein schützenswertes Vertrauen darauf, daß der Gesetzgeber vor Ablauf der Geltungsfrist kein Änderungsgesetz erlassen wird. Andererseits begründen sie keinen Vertrauenstatbestand mit Blick auf eine Verlängerung der Geltungsdauer nach Ablauf der Frist. Somit bewirkt die Geltungsbefristung von Gesetzen, insbesondere auch von wirtschaftsrechtlichen Gesetzen, die eine gesetzgeberische wirtschaftliche Zusicherung (Steuervergünstigungen, Abschreibungsmöglichkeiten und andere materielle Anreize) enthalten, um die Normadressaten zu Dispositionen zu veranlassen, eine Grundlage für die Schaffung 329 So bezogen auf befristete Experimentiergesetze Mader, Experimentelle Gesetzgebung, in: Grimm/Maihofer (Hrsg.), Gesetzgebungstheorie und Rechtspolitik, S. 216; vgl. auch Kloepfer, Gesetzgebung im Rechtsstaat, V V D S t R L 40 (1982), S. 95.

6*

330

Henke, Das Recht der Wirtschaftssubventionen als öffentliches Vertragsrecht, S. 105.

331

Henke, Das Recht der Wirtschaftssubventionen als öffentliches Vertragsrecht, S. 110.

332

BGBl. I S. 160.

333

BGBl. I S. 493.

334

BVerfGE 30, 392, 404.

84

D. Verfassungsrechtliche Rahmenbedingungen und Grenzen

und Aufrechterhaltung eines (gesteigerten) Kontinuitätsvertrauens für den Zeitraum der Geltungsdauer und zugleich für den Ausschluß bzw. die Begrenzung eines (auf unbestimmte Dauer angelegten) „Geltungsvertrauens" für den Zeitraum nach Ablauf der Geltungsfrist. Ausdrückliche (etwa kalendermäßig bestimmte) Befristungen des formellen Geltungsbereichs, die in wirtschaftlichen Zeitgesetzen im engeren Sinne enthalten sind, bedeuten für die Wirtschaftssubjekte, „ihren bis dato dem Vorbehalt jederzeitiger Gesetzesänderung unterstellten Zukunftsinvestitionen, -dispositionen und -planungen nunmehr das bestehende Recht für die Dauer der Befristung als konstanten Faktor zugrundezulegen." 335 Nichts anderes gilt auch für wirtschafts-, insbesondere auch subventionsrechtliche, Maßnahmegesetze, soweit sie als Zeitgesetze im weiteren Sinne ihrem Verbindlichkeitsbereich ausdrücklich oder schlüssig bestimmbare zeitliche Grenzen ziehen. 336 Insbesondere mit Bezug auf das Recht der Subventionsplanung bedeutet dies, daß, wenn die Planadressaten durch eine ausdrückliche Befristung der Geltungsdauer des Gesetzestextes dazu gebracht werden, umfangreiche Dispositionen vorzunehmen, ein Vertrauenstatbestand als Tatbestandsvoraussetzung eines Plangewährleistungsanspruches gegeben ist. Die zeitliche Einschränkung des Geltungsbereichs einer subventionsgesetzlichen Norm läßt bei den Wirtschaftsbürgern in zurechenbarer Weise den Eindruck entstehen, daß die staatliche Subventionsplanung während des Befristungszeitraums stabil bleiben wird. 3 3 7 Eine (die Interessen der Adressaten beeinträchtigende) Planänderung in Form einer neuen tatbestandlichen Fassung oder sogar einer vorzeitigen Einstellung der Subventionierung enttäuscht sodann dieses Vertrauens. Das sogenannte Kontinuitätsvertrauen ist, so gesehen, keine absolute, sondern eine bloß relative Größe. Der gesteigerten internen Bestandskraft entsprechend, die Zeitgesetzen im Vergleich zu auf Dauer angelegten Gesetzen eigen ist, ist auch ein - gemessen am „normalen", relativ begrenzten Kontinuitätsvertrauen des Bürgers bzw. Wirtschaftssubjekts - „gesteigertes" Vertrauen an die normative Bindungskraft des Zeitgesetzes gerechtfertigt. Das Vertrauen auf den Bestand der befristeten Regelung als Element der geltenden Rechtsordnung erstreckt sich allerdings - anders als beim Dauergesetz der Fall ist - auf den begrenzten Zeitraum der Geltung.

335

Oertel, Der Zeitfaktor im öffentlichen Wirtschaftsrecht, S. 101.

A

Oertel, Der Zeitfaktor im öffentlichen Wirtschaftsrecht, S. 102.

"

337

Schwerdtfeger, Vertrauensschutz und Plangewährleistung im Subventionsrecht, S. 166f.; vgl. bereits den Hinweis von Huher, Diskussionsvotum, V V D S t R L 11 (1954), S. 124 auf die regelmäßige Praxis der Befristung von Interventionsgesetzen in der Schweiz, „sogar dann, wenn eigentlich die Absicht besteht, sie dauernd beizubehalten, um sie dann später zu verlängern."

III. Konflikt mit dem Grundsatz der Effizienz

85

Was die Reichweite des Vertrauensschutzes anbelangt, so greift das Bundesverfassungsgericht auf die Rechtsprechung zur unechten Rückwirkung von Gesetzen zurück. Folgerichtig wird eine Abwägung „zwischen dem Ausmaß des Vertrauensschadens einerseits und der Bedeutung des gesetzgeberischen Anliegens für das Wohl der Allgemeinheit andererseits" vorgenommen. 338 In dem Maße jedoch, in dem befristeten Gesetzen der Charakter einer gesetzgeberischen Zusicherung zukommt und sie insofern eine gewisse Bestandsgarantie enthalten,339 wird die Orientierung an den Grundsätzen den unechten Rückwirkung der besonderen Bindungswirkung der legislativen Zusicherung nicht gerecht. 340 Da der Normadressat vor Ablauf der Geltungsfrist nicht mit einer Änderung des Zeitgesetzes rechnen muß, wären eher die Grundsätze über die echte Rückwirkung heranzuziehen. 341 Eine vorzeitige (vollständige oder partielle) Aufhebung bzw. Änderung des Zeitgesetzes zu Ungunsten der betroffenen Bürger ist daher abzulehnen.

I I I . Konflikt der Prinzipien der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes mit dem Grundsatz der Effizienz und anderen Verfassungsgütern Die bisherigen Ausführungen führen jedoch noch nicht zu dem Schluß, daß die vorzeitige Aufhebung oder der Erlaß eines Änderungsgesetzes mit Bezugsbereich den Zeitraum des Inkraftseins der befristeten Gesetzesregelung in allen Fällen und ohne weiteres gegen die Prinzipien der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes verstoßen muß. Vielmehr unterliegt das Vertrauen, das durch die Befristung der eine gesetzgeberische Zusicherung enthaltende gesetzliche Regelung begründet wird, einem Abwägungsvorbehalt. 342 Er kann es ausnahmsweise gestatten, das gesteigerte Kontinuitätsvertrauen hinter überwiegende öffentliche Interessen zurückzustellen, wenn das Festhalten an der ursprünglichen Vorschrift solche Interessen erheblich beeinträchtigen würde. Befristete Gesetze können einen Konflikt mehrerer Verfassungsgüter erzeugen: Bei befristeten Gesetzen, die den Bürgern Rechte einräumen, stoßen das Rechtsstaatsprinzip (Prinzip der Rechtssicherheit) und die Grundrechte der Be33K

Vgl. BVerfGE 30, 392, 404; hierzu Sc hwerdtfeger, leistung im Subventionsrecht, S. 157.

Vertrauensschutz und Plangewähr-

339 Maurer, Kontinuitätsgewähr und Vertrauensschutz, in: Isensee/Kirchhof(Hrsg.), buch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. III, § 60 Rn.58.

Hand-

340 Kisker, Vertrauensschutz im Verwaltungsrecht, V V D S t R L 32 (1974), S. 1 4 9 - 1 9 9 , 164 ist in dieser Hinsicht zuzustimmen. 341 So mit Grund Maurer, Kontinuitätsgewähr und Vertrauensschutz, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. III, § 60 Rn. 59. 342 So ist m.E. die Bemerkung von Schulze-Fielitz, Theorie, S. 168 Anm. 97, zu verstehen, nämlich daß schon befristete Gesetze dem Gesetzesänderungsvorbehalt aus vorausgegangenem Tun des Gesetzgebers „nur begrenzt" unterfielen.

86

D. Verfassungsrechtliche Rahmenbedingungen und Grenzen

günstigten (Vertrauensschutzprinzip) mit dem Prinzip der Effizienz der Gesetzgebung aufeinander; bei befristeten Gesetzen, die den Bürgern Pflichten auferlegen, kommt es zu einem Gegensatz des Rechtsstaatsprinzips (Prinzip der Rechtssicherheit) und der Grundrechte der Beschwerten mit dem Prinzip der Effizienz. 343 Begriffsinhalt und verfassungsrechtliche Anbindung des Effizienzgedankens sind im Schrifttum nach wie vor umstritten. 344 Einerseits bedeutet Effizienz Wirksamkeit, Funktionstüchtigkeit, Leistungsfähigkeit der staatlichen Gewalten 345 , mithin funktionale Effektivität des staatlichen Handelns im Sinne der Optimierung einer Zweck/Mittel-Relation. 346 Diese Relation kann als eine solche „zwischen konkreter Aufgabenerfüllung und dem zu bewältigenden staatlichen Aufgabenkatalog" umschrieben werden. 347 Andererseits wird unter Effizienz das Kriterium der Wirtschaftlichkeit staatlichen Handelns348 verstanden und seit geraumer Zeit hat sich auch ein spezifisch wohlfahrtsökonomischer Effizienzbegriff im Sinne der ökonomischen Analyse des Rechts zum Gegenstand der Diskussion avanciert. 349 Im vorliegenden Zusammenhang interessiert der Effizienzgedanke lediglich in seiner erstgenannten Ausprägung. Infolge des Prinzips der Effizienz allerdings „und lediglich etwas gemäßigt durch das gegenläufige Prinzip der Rechtssicherheit wohnt Gesetzen ... von Beginn an still343

Vgl. zum - insofern parallelen - Fall der vorläufigen Gesetze Lücke, Staatsakte, S. 4Iff.

344

Lücke, Begründungszwang, S. 85 m.w.N.

345

Lücke, Begründungszwang, S. 85f. m.w.N.

346 Leisner, Effizienz als Rechtsprinzip (1971), in: ders., Staat. Schriften zu Staatslehre und Staatsrecht 1957-1991, S. 5 3 - 9 9 , S. 54ff.; vgl. auch Hoffmann-Riem, Wahrheit, Gerechtigkeit, Unabhängigkeit und Effizienz - das Magische Viereck der Dritten Gewalt?, JZ 1997, S. 1 - 8 , 4: Effizienz bezeichne „einen Zustand, in dem ein vorgegebenes Ziel mit dem geringstmöglichen Aufwand erreicht wird, bzw. in dem die eingesetzten Mittel optimal zur Zielerreichung genutzt werden". 347

Voßkuhle, Rechtsschutz gegen den Richter. Zur Integration der Dritten Gewalt in das verfassungsrechtliche Kontrollsystem vor dem Hintergrund des Art. 19 Abs. 4 GG, S. 138 m.w.N. 34X S. zum Verhältnis des Begriffs des Wirtschaftlichkeit zu den verwandten Begriffen der Effizienz und der Effektivität von Arnim. Wirtschaftlichkeit als Rechtsprinzip, 47f., 51; s. zum Wirtschaftlichkeitsgedanken ferner Walther, Die Wirtschaftlichkeit als haushaltrechtlicher Grundsatz und als verfassungsrechtlicher Maßstab, VR 1993, S. 1 4 - 1 9 ; Sarrazin, Der Stellenwert des Wirtschaftlichkeitsprinzips in Staat und Verwaltung, in: von Arnim /Lüder (Hrsg.), Wirtschaftlichkeit in Staat und Verwaltung. Vorträge und Diskussionsbeiträge der 60. Staatswissenschaftlichen Fortbildungstagung 1992 der Hochschule für Verwaltungswissenschaften Speyer, S. 1 9 - 4 1 ; Walther, Wirtschaftswissenschaftlich geprägte Rechtsbegriffe. Über Schwierigkeiten im Umgang mit dem Rechtsbegriff der „Wirtschaftlichkeit", VOP 1995, S. 112-115; Schmidt, Wirtschaftlichkeit in der öffentlichen Verwaltung, Grundsatz der Wirtschaftlichkeit, Zielsetzung, Planung, Vollzug, Kontrolle, Wirtschaftlichkeitsuntersuchungen, Kosten- und Leistungsrechnung.

,49

Siehe Eidenmüller, Effizienz als Rechtsprinzip. Möglichkeiten und Grenzen der ökonomischen Analyse des Rechts, S. 55ff., 463ff.

III. Konflikt mit dem Grundsatz der Effizienz

87

schweigend die Einschränkung inne, daß sie durch ihre Urheber - die Parlamente - zwar nicht sogleich, jedoch alsbald nach ihrer Verkündung aufgehoben oder sonstwie korrigiert werden dürfen. Legislative Akte stehen somit unter einem nahezu unbegrenzten Änderungsvorbehalt." 35° Auch über die Frage nach der verfassungsrechtlichen Einbettung des Effizienzgebots herrscht nach wie vor keine Einigkeit. 351 Während einerseits die Unbestimmtheit und Beliebigkeit des Effizienzgedankens als verfassungsrechtlicher Auslegungstopos352 moniert wird 3 5 3 , wird ihm andererseits der Charakter eines, wenn auch sekundären, Staatszieles zuerkannt. 354 Insbesondere die Frage, ob die Effizienz und funktionale Leistungsfähigkeit der Rechtsordnung als eigenständiger verfassungsrechtlicher Grundsatz betrachtet werden soll, ist in der dogmatischen Diskussion umstritten. 355 Von manchen Stimmen wird dem Effi350

Lücke, Staatsakte, S. 38 (kursiv im Original).

351

Lücke, Begründungszwang, S. 86 m.w.N.

352 Lerche, „Funktionsfähigkeit" - Richtschnur verfassungsrechtlicher Auslegung, BayVBl. 1991, S. 5 1 7 - 5 2 2 ; Leisner, Effizienz als Rechtsprinzip (1971), in: ders., Staat. Schriften zu Staatslehre und Staatsrecht 1957-1991, S. 5 3 - 9 9 , S. 59f. 353

Siehe Schmidt, Flexibilität und Innovation im Bereich der Verwaltungsmaßstäbe, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann (Hrsg.), Innovation und Flexibilität des Verwaltungshandeins, S. 67 - 110, 84ff., 86 m.w.N. in Anm. 90. 354 Funktionstüchtigkeit der Einrichtungen des Verfassungsstaates, etwa des Parlaments, der Rechtspflege, der Bundeswehr usw. ist eines unter mehreren sekundären Staatszielen, die auf Legitimation aus den primären, sich unmittelbar auf das Gemeinwohl beziehenden, Staatszielen, verwiesen sind, s. Isensee, Gemeinwohl und Staatsaufgaben im Verfassungsstaat, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. III, § 57 Rn. 118 m.w.N. 355

Der wirtschaftliche Effizienzgedanke hingegen wird vom Schrifttum weder im Sinne von haushaltsrechtlicher Wirtschaftlichkeit noch im Sinne der Kosten/Nutzen-Effizienz der ökonomischen Analyse des Rechts als verfassungsrechtliches Prinzip anerkannt. Erstere stellt lediglich einen haushaltsrechtlichen Grundsatz dar; vgl. etwa von Arnim, Wirtschaftlichkeit als Rechtsprinzip; Walther, Die Wirtschaftlichkeit als haushaltsrechtlicher Grundsatz und als verfassungsrechtlicher Maßstab, VR 1993, S. 1 4 - 1 9 ; vgl. ferner Krebs, Rechtmäßigkeit und Wirtschaftlichkeit als Kontrollmaßstäbe des Rechnungshofs, in: von Arnim (Hrsg.), Finanzkontrolle im Wandel, S. 67: „ein inhaltsarmes, wenn nicht inhaltsleeres Prinzip"; zust. Schmidt, Flexibilität und Innovation im Bereich der Verwaltungsmaßstäbe,in: HoffmannRiem / Schmidt-Aßmann (Hrsg.), Innovation und Flexibilität des Verwaltungshandelns, S. 6 7 - 1 1 0 , 87. S.a. BVerfGE 79, 127, 153 zum Zusammenhang der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit der öffentlichen Verwaltung mit der kommunalen Selbstverwaltungsgarantie (bei einer gesetzgeberischen Aufgabenzuweisung, die anders als die gemeindlich-selbstverwaltende Erledigung ausfällt), und dazu Schmidt-Aßmann, Kommunale Selbstverwaltung „nach Rastede". Funktion und Dogmatik des Art. 28 Abs. 2 GG in der neueren Rechtsprechung, in: Franßen/Redeker/Schlichter/Wilke (Hrsg.), Bürger - Richter — Staat. Festschrift fur Horst Sendler, S. 1 2 2 - 1 3 8 , 137. Ökonomische Effizienz, verstanden als ein Kosten/Nutzen-Kriterium (im Sinne der ökonomischen Analyse des Rechts), kann übrigens ebensowenig als verfassungsrechtliches und somit in einer Vielzahl von Rechtsgebieten wirkendes Prinzip betrachtet werden, sondern stellt lediglich einen (bereichsspezifischen) Rechtsgrundsatz des Haushaltsrechts sowie des Zivilrechts dar; s. dazu Eidenmüller, Effizienz als Rechtsprinzip. Möglichkeiten und Grenzen der ökonomischen Analyse des Rechts, S. 463ff.

88

D. Verfassungsrechtliche Rahmenbedingungen und Grenzen

zienzgedanken die Qualifizierung als Verfassungsprinzip bestritten bzw. abgelehnt 356 , andere Autoren sehen in ihm indessen einen eigenständigen Verfassungsgrundsatz. 357 Von einem dritten Teil des Schrifttums schließlich wird nicht die verfassungsrechtliche Prinzipienqualität des Effizienzgedankens an sich verneint, wohl aber der eigenständige Charakter dieses Prinzips innerhalb der objektiven Wertordnung des Grundgesetzes. Nach dieser Auffassung ist die Effizienz der Rechtsordnung (verstanden als effiziente Verwirklichung der Rechtsordnung, als „tatsächliche Anerkennung und Durchsetzbarkeit des Rechts, also seine Regulierungsleistung" 358)' Merkmal des Rechtsfriedens, 359 der wiederum konstituierendes Element des Rechtsstaatsprinzips darstellt. 360 Das Effizienz156

So etwa Wahl, Verwaltungsverfahren zwischen Verwaltungseffizienz und Rechtsschutzauftrag, V V D S t R L 41 (1983), S. 151-192, 163 Anm. 32 (Effizienz sei „ein rechtlich anerkanntes Gut, aber selbst kein (Verfassungs-)Rechtsprinzip") sowie S. 294 (Aussprache): „ D i e Rechtsordnung stellt nicht neben jede Kompetenz, die sie der Verwaltung einräumt, noch ein zusätzliches Rechtsgebot an die Verwaltung, diese Kompetenz effizient auszuüben, sondern die Rechtsordnung begnügt sich damit, Zuständigkeiten und Handlungspflichten zu statuieren; Effizienz ist ein Sammelbegriff für weitere Ziele, die die Verwaltung im Rahmen der Rechtsordnung zu verfolgen hat." S.a. Häberle, Effizienz und Verfassung, AöR 98 (1973), S. 634 („kein selbständiger Grundsatz"); vgl. aber zugleich zum „verfassungsrechtlichen Prinzip der Effizienz" im Sinne des Grundsatzes der Leistungsfähigkeit und Wirksamkeit der öffentlichen Verwaltung (als Element der eigenständigen Verwaltungsfunktion aus Art. 1 Abs. 3, 20 Abs. 2, 28 Abs. 2, 91a, 109 GG) ders., Verfassungsprinzipien „ i m " Verwaltungsverfahrensgesetz, in: Schmitt Glaeser (Hrsg.), Verwaltungsverfahren, S. 80; ferner ders., Grundrechte im Leistungsstaat, V V D S t R L 30 (1972), S. 60 mit bibliographischer Bezugnahme auf den Zusammenhang von Sozialstaats- und Effizienzprinzip. 357 Siehe Krüger, Leistungsprinzip, S. 6f., 1 lf.; ders., Staatslehre, S. 272f.; Lücke, Begründungszwang, S. 85ff., 86 mit der Begründung, daß die Kompetenzen der die Staatsgewalt ausübenden Organe sinnvoll nur wahrgenommen, die ihnen obliegenden Pflichten, etwa Schutzpflichten, adäquat nur erfüllt werden könnten, wenn die staatlichen Organe effektiv, funktions- und leistungsfähig seien. Die Verfassung setze „unausgesprochen die Effizienz der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung als selbstverständlich voraus. So betrachtet unterliegt der Verfassung ein Prinzip der Effizienz", das vor allem in den Bestimmungen des Art. 20 Abs. 2 GG und der Art. 70ff., 83ff, 92ff. GG seinen Niederschlag gefunden habe; s.a. Lücke, Staatsakte, S. 37f. Vgl. auch zur Effizienz der Exekutive Schwarze, Administrative Leistungsfähigkeit als verwaltungsrechtliches Problem, D Ö V 1980, S. 581 - 5 9 4 , 590; Kunig, Das Rechtsstaatsprinzip. Überlegungen zu seiner Bedeutung für das Verfassungsrecht der Bundesrepublik Deutschland, S. 172ff. Zum Gebot des „effektiven" Rechtsschutzes s. Kunig, Das Rechtsstaatsprinzip, ebd., S. 438ff. m.w.N.; Voßkuhle, Rechtsschutz gegen den Richter. Zur Integration der Dritten Gewalt in das verfassungsrechtliche Kontrollsystem vor dem Hintergrund des Art. 19 Abs. 4 GG, S. 139f. Für die hier insbesondere interessierende Legislative s. BVerfGE 48, 1, 18 („Erfordernisse einer funktionsfähigen Gesetzgebung"). - Zum mit der Gewaltenteilung mitangelegten Verfassungspostulat der funktionsfähigen Organstruktur s. Voßkuhle, ebd., S. 138, sowie ausführlich von Danwitz, Der Grundsatz funktionsgerechter Organstruktur. Verfassungsvorgaben für staatliche Entscheidungsstrukturen und ihre gerichtliche Kontrolle, Der Staat 35 (1996), S. 3 2 9 - 3 5 0 . oK

Sohota, Das Prinzip Rechtsstaat. Verfassungs- und vcrwaltungsrechtliche Aspekte, S. 88.

3V )

Sobota, Das Prinzip Rechtsstaat. Verfassungs- und verwaltungsrechtliche Aspekte, S. 493.

3W >

Sobota, Das Prinzip Rechtsstaat. Verfassungs- und verwaltungsrechtliche Aspekte, S. 174 ff.

III. Konflikt mit dem Grundsatz der Effizienz

89

prinzip besagt dann, daß das Recht „kein theoretisches Gebilde bleiben (darf), sondern (...) Teil der sozialen Wirklichkeit werden (muß)." 361 Denn das von Verfassungs wegen geltende Recht müsse akzeptiert und durchgesetzt werden können. Dies gelte, „wenn nicht um jeden Preis, so doch prinzipiell" und zwar insofern staatliche Gewalt „verpflichtet (ist), dem Recht im Rahmen der grundgesetzlichen Hauptprinzipien Geltung zu verschaffen." 362 Eine im Ergebnis ähnliche Meinung sieht in den formellen Elementen des Rechtsstaates die Ermöglichung eines hohen Maßes an funktioneller Rationalisierung der staatlichen Tätigkeit. 363 Eine Änderungsgesetzgebung ist nur ausnahmsweise in dem Fall zulässig, in dem sich die Verhältnisse, von denen der parlamentarische Gesetzgeber ausging und ausgehen durfte, zwischenzeitlich wesentlich geändert haben. Hinzukommen muß allerdings, daß das Festhalten an der ursprünglichen zeitgesetzlichen Regelung die öffentlichen Interessen erheblich beeinträchtigen würde. 364 Durch das ändernde Gesetz wird dem Prinzip der Effizienz Genüge getan. Dieses Prinzip zielt nicht auf die Stabilität der Rechtsordnung im Sinne einer Bestandskraft von (gegebenenfalls auch befristeten) gesetzlichen Normtexten ab, sondern auf die Wirksamkeit der Gesetzgebung, hier der befristeten Gesetzgebung, und damit auch auf die leichte, möglichst frist- und bedingungsfreie Ablösung eines Gesetzes durch ein anderes. 365 Der Gesetzgeber räumt durch das Änderungsgesetz dem Prinzip der Wirksamkeit der Gesetzgebung den Vorrang gegenüber den Prinzipien der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes ein. 366 Für die Beantwortung der Frage nach der verfassungsrechtlichen Zulässigkeit der ändernden lex posterior muß auch in Erwägung gezogen werden, daß die zwischenzeitlich eingetretene wesentliche Änderung der Verhältnisse und die damit verbundenen, vom befristeten Gesetz aufgeworfenen Probleme der Unwirksamkeit, bei einer überschauba361

S. dazu und zum folgenden Sobota, Das Prinzip Rechtsstaat. Verfassungs- und verwaltungsrechtliche Aspekte, S. 493. 3(, : Sobota, Das Prinzip Rechtsstaat. Verfassungs- und verwaltungsrechtliche Aspekte, S. 493. - Der juristische Begriff der Effizienz der Rechtsordnung ist deutlich zu unterscheiden von einem nicht-juristischen (etwa politologischen) Begriff der Effizienz des Staates; vgl. dazu Sobota, ebd., S. 500. 363 Hesse, Der Rechtsstaat im Verfassungssystem des Grundgesetzes, in: ders., Ausgewählte Schriften, S. 104f.; vgl. bereits Darmstaedter, Die Grenzen der Wirksamkeit des Rechtsstaates. Eine Untersuchung zur gegenwärtigen Krise des liberalen Staatsgedankens, S. 157: „Geboten ist dem Rechtsstaate gegenüber dem Normunterworfenen jede Wirksamkeit, welche durch die rechtliche Regelung des menschlichen Gemeinschaftslebens gefordert wird." Er spricht vom „Prinzip der rechtsstaatlichen Wirksamkeit in Gesetzgebung und Rechtsprechung" ebd., S. 158. 3M Maurer, Kontinuitätsgewähr und Vertrauensschutz, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. III, § 60 Rn. 59. 3Λ5

Vgl. zum insofern parallelen Fall der vorläufigen Legislativakte Lücke, Staatsakte, S. 41.

36f t

Vgl. Lücke, Staatsakte, S. 41 f.

90

D. Verfassungsrechtliche Rahmenbedingungen und Grenzen

ren Geltungsdauer - was den Regelfall ausmachen dürfte - dem Gesetzgeber vorhersehbar gewesen sein dürften. Ist dies aber der Fall, dann ist ein Sachverhalt nur schwer vorstellbar, auf Grund dessen der Gesetzgeber mit zureichendem sachlichen Grund das Gesetz vorfristig ändern könnte; denn, wenn der Gesetzgeber eine wesentliche Änderung der Verhältnisse (für den Zeitraum der Gesetzesgeltung) vorhergesehen hat oder hat vorhersehen können, dann bildet die zwischenzeitlich eingetretene Änderung der Verhältnisse keinen zureichenden sachlichen Grund mehr für die vorfristige Außerkraftsetzung bzw. Änderung des Zeitgesetzes.367 Eine neue Regelung kann jedoch nötig werden, wenn sich die Sachlage in unvorhergesehener Weise geändert hat oder wenn neue wissenschaftliche Erkenntnisse die seinerzeit gewährleistete Rechtslage als unhaltbar erscheinen lassen. Dies ist beispielsweise dann der Fall, wenn der Gesetzgeber bestimmte Industrieunternehmen gefördert und ihren Betrieb auf bestimmte Dauer zugestanden hat, ohne von den langfristig bewirkten gesundheitlichen Gefährdungen zu ahnen.368 Die durch Befristung gewährte gesetzgeberische Zusicherung steht aber auch in einem offenen Spannungsverhältnis zum Demokratieprinzip. Die Parlamentsmehrheit könnte nämlich ihre Machtstellung mißbrauchen, um das geltende Recht durch die zeitliche Limitierung des Geltungs- bzw. Verbindlichkeitsumfangs bestimmter Gesetzesvorschriften nicht nur in der Gegenwart zu bestimmen, sondern dieses auch für die Zukunft unantastbar zu machen und so auch die Parlamentsmehrheit(en) von morgen zu binden. Insofern bildet das Selbstbestimmungsrecht des jeweiligen Gesetzgebers ein Argument gegen den Zwang, alte Gesetze, insbesondere auch Zeitgesetze, beizubehalten. Da aber auch das Vertrauensprinzip verfassungsrechtlich verankert ist, darf das gesetzgeberische Selbstbestimmungsrecht nicht zu einer „Selbstherrlichkeit" des Gesetzgebers ausarten, die sich selbst über berechtigtes Vertrauen hinwegsetzt. Es gilt also, auch mit Blick auf durch Befristungen gewährte Zusicherungen des Gesetzgebers im Wege einer praktischen Konkordanz 369 einen Ausgleich zwichen demokratischer Autonomie und Vertrauensschutz anzustreben. 370 Ergibt die Interessenabwägung, daß eine Bindung des Gesetzgebers an das durch die Befristung zum Ausdruck kommende Versprechen durch überwiegende öffentliche Interessen und Verfassungsgüter ausgeschlossen ist, dann sind insbesondere Übergangsregelungen 371 oder der Ersatz des Vertrauensschadens 367 Vgl. - allerdings in Zusammenhang mit einer möglichen Verletzung des Art. 3 Abs. 1 GG durch das Änderungsgesetz - Peine, Systemgerechtigkeit. Die Selbstbindung des Gesetzgebers als Maßstab der Normenkontrolle, S. 174. 368

Weber-Dürler,

369

S. dazu Hesse, Grundzüge, Rn. 317ff. passim.

370

Weber-Dürler,

371

Vertrauensschutz im öffentlichen Recht, S. 279.

Vertrauensschutz im öffentlichen Recht, S. 279.

Aschke, Übergangsregelungen als verfassungsrechtliches Problem; Sobota, Das Prinzip Rechtstaat. Verfassungs- und verwaltungsrechtliche Aspekte, S. 187f.

IV. Befristete Gesetzgebung und allgemeiner Gleichheitssatz

91

als weitere Rechtsfolgen zu prüfen. Der Gesetzgeber wird das Vertrauensinteresse unter Umständen mit diesen schwächeren Formen des Vertrauensschutzes nach Möglichkeit befriedigen und so die Verfassungsmäßigkeit der neuen Regelung sichern können. 372

IV. Verfassungsrechtliche Anforderungen an die befristete Gesetzgebung aus dem allgemeinen Gleichheitssatz 1. Zur Zulässigkeit des Erlasses befristeter Gesetze unter dem Aspekt des allgemeinen Gleichheitssatzes Es bleibt noch zu erörtern, ob der Erlaß befristeter Gesetze vor dem Hintergrund des allgemeinen Gleichheitssatzes aus Art. 3 Abs. 1 GG zulässig ist. 373 Geht man davon aus, daß befristete Gesetze eine größere (interne) „Bestandskraft" genießen als auf unbestimmte Dauer angelegte Gesetze374, kann man sagen, daß eine Ungleichbehandlung befristeter Gesetze und Dauergesetze in Betracht kommt. Befristete Gesetze müssen sich mit Rücksicht darauf an Art. 3 Abs. 1 GG messen lassen. Dies bedeutet, daß der Gesetzgeber seine Normtexte nur dann befristen darf, wenn diese Steigerung der „Bestandskraft" sachlich gerechtfertigt ist. 375 Im Endergebnis ist deshalb Dürig beizupflichten, wenn er aus Art. 3 Abs. 1 GG das Gebot für den Gesetzgeber ableitet, dauerhafte Gesetze zu schaffen. „Die Pflicht, dauerhafte ... Grundlagengesetze zu schaffen, ist keineswegs überholt. Es wird im Gegenteil übersehen, daß die Bindung des Gesetzgebers an Art. 3 I dieses geradezu von Verfassungs wegen gebietet." 376 Für die im Vergleich zu dauerhaften Gesetzesregelungen größere interne Be172 S. dazu Weber-Dürler, rien, S. 119ff.

Vertrauensschutz im öffentlichen Recht, S. 279; Muckel,

Krite-

373 Folgende Ausführungen lehnen sich an die Argumentation von Lücke, Staatsakte, S. 44ff., 48ff., der allerdings die Thematik mit Blick auf das insofern verwandte Problem der vorläufigen Gesetze behandelt; s. zum Verhältnis von vorläufigen und befristeten Gesetzen oben sub B.II.2.b). 374

S.o. sub D.I.2.

375

S. aus der neueren Rechtsprechung BVerfGE 79, 106, 122f.; 80, 109, 188; 81, 156, 205; 83, 82, 84. 37Λ Diìrig, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz, Art. 3 Abs. 1 Rn. 327 (Hervorhebung im Original); ders., Zeit und Rechtsgleichheit, in: Tradition und Fortschritt im Recht. Festschrift gewidmet der Tübinger Juristenfakultät zu ihrem 500jährigen Bestehen 1977, S. 2 1 - 4 6 , 29: „das ... auf Dauer angelegte Gesetz (ist) seinerseits wohl der wichtigste Gleichheitsfaktor". Vgl. auch ebd., S. 43: Das Gesetz sei auch heute noch der wichtigste Gleichheitsfaktor und darum habe es „auch heute noch ... Dauer anzustreben" (kursiv im Original). Zur „Gleichheit in der Zeit" s. Dürig, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz, Art. 3 Abs. 1 Rn. 194ff.; Kirchhof, in: Isensee/Kirchhof {Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. V, § 125 Rn. 46ff.; Osterloh, in: Sachs (Hrsg.), Grundgesetz, Art. 3 Rn. 113 mit Anm. 212.

92

D. Verfassungsrechtliche Rahmenbedingungen und Grenzen

standskraft befristeter Gesetzesregelungen müssen also sachliche Erwägungen sprechen. Als sachliche Gründe im Sinne des allgemeines Gleichheitssatzes kommen das zeitlich begrenzte Normierungsbedürfnis und zugleich die für den Erlaß einer gesetzlichen Dauerregelung fehlende dauerhafte Normierungsreife in Betracht. 377 Ein temporal begrenztes Normierungsbedürfnis ist dann anzunehmen, wenn eine Regelungsmaterie nach einer Gesetzesvorschrift verlangt, deren Geltungs- bzw. Anwendungsbereich befristet ist. Von einer fehlenden dauerhaften Normierungsreife ist hingegen dann auszugehen, wenn die Regelungsmaterie (noch) nicht geeignet für eine auf unbestimmte Dauer angelegte Regelung erscheint. Das Vorliegen der beiden Anforderungen ergibt sich meistens aus den Motiven des Gesetzgebers. So kann als Grund für das Vorliegen eines temporal begrenzten Regelungsbedürfnisses die mit der Befristung einhergehende größere interne „Bestandskraft" der Regelung betrachtet werden, die - rechtsstaatlich gesehen - eine erhöhte Selbstbindung des Gesetzgebers und ein gesteigertes Kontinuitätsvertrauen von Seiten des Gesetzesadressaten für den Zeitraum der Geltungsdauer zur Folge hat. Diese Faktoren vermögen aber den legislativen Steuerungsmaßnahmen auch zu einem sichereren Erfolg zu verhelfen als die entsprechenden Faktoren, die mit der „normalen" Bestandskraft eines Dauergesetzes zusammenhingen.378 In seiner Stellungnahme zum Art. 1 des Entwurfs der Bundesregierung zum Wohnungsbau-Erleichterungsgesetz (WoBauErG) plädierte etwa der Bundesrat für eine Befristung der Art. 3 und 4 des Gesetzentwurfs mit folgender Erwägung: Für eine Befristung spreche, daß „dadurch der Anreiz für interessierte Bauherren, möglichst bald durch Ausnutzung der ihnen nur für eine bestimmte Zeit eingeräumten Erleichterungen neuen Wohnraum zu schaffen, verstärkt würde." 379 Zugleich muß es den fraglichen Regelungsmaterien an der für ein Dauergesetz erforderlichen Normierungsreife fehlen. Der Grund für das Fehlen einer daurhaften Normierungsreife kann die Ungewißheit der gesellschaftlichen, meistens wirtschaftlichen, Entwicklungen sein. In der oben genannten Stellungnahme plädierte der Bundesrat für eine Befristung der Art. 3 und 4 des Gesetzentwurfs mit folgender Erwägung: Die Regelungen sollten „die Schaffung neuen Wohnraums in vorhandenen Gebäuden erleichtern und Anreize geben, nicht genutzten Wohnraum zur Unterbringung von Personen mit besonderem Wohn377

S. mit Blick auf das vorläufige Gesetz Lücke, Staatsakte, S. 44f.

37X

S. zur Bedeutung des allgemeinen Gleichheitssatzes für den Bereich der Wirtschaftslenkung Hollmann, Rechtsstaatliche Kontrolle der Globalsteuerung. Möglichkeiten und Grenzen einer normativen Kontrolle globalsteuernder Wirtschaftspolitik am Beispiel des Stabilitätsgesetzes, S. 174ff. 379

BT-Drucks. 11/6508, Anlage 2, S. 21 (Hervorhebung nicht im Original).

IV. Befristete Gesetzgebung und allgemeiner Gleichheitssatz

93

bedarf zur Verfügung zu stellen. ... Sollte sich jedoch, was derzeit nicht abzusehen ist, die Wohnungsmarktsituation wieder entspannen, entfiele diese Rechtfertigung." 380 In Zusammenhang mit der Unmöglichkeit einer sicheren Prognose über die festgelegte Geltungs- (bzw. Anwendungs-)dauer des zu verabschiedenden Gesetzes kommt oftmals das Bedürfnis nach einer nachträglichen Erfolgskontrolle zum Ausdruck. In der oben genannten Stellungnahme des Bundesrats zum Regierungsentwurf eines Wohnungsbau-Erleichterungsgesetzes formulierte der Bundesrat dies folgendermaßen: „Unter diesen Umständen sollte nach einigen Jahren nochmals geprüft werden, ob die Änderungen beizubehalten sind. Soweit sie sich dann in der Praxis bewährt haben, könnten sie als Dauerrecht in das BGB übernommen werden." 381 Der Bundesrat erhofft sich, daß dadurch „auch die in den Vorschriften enthaltene Differenzierung und Komplizierung des Kündigungsschutzrechts auf das unbedingt notwendige Maß zurückgeführt werden (kann)." 382 Für die verfassungsrechtliche Zulässigkeit der Befristung von Gesetzesregelungen mit Blick auf Art. 3 Abs. 1 GG folgt also daraus: das Vorliegen des Bedürfnisses nach einer befristeten Normierung rechtfertigt, daß sich der Gesetzgeber überhaupt der fraglichen Gegenstände annehmen durfte; die für eine Dauerregelung fehlende Normierungsreife spricht dafür, daß der Gesetzgeber sachgerecht verfuhr, als er seine Akte mit einer Befristung versah. Die befristeten Gesetze begegnen somit aus Art. 3 Abs. 1 GG keinen durchgreifenden Bedenken. 2. Zulässigkeit der vorfristigen Außerkraftsetzung bzw. Änderung von befristeten Gesetzen unter dem Aspekt des allgemeinen Gleichheitssatzes? Es fragt sich jedoch, ob die vorfristige Außerkraftsetzung bzw. Änderung von befristeten Gesetzen auf der Grundlage des Art. 3 Abs. 1 GG zulässig ist. Im Falle der vorfristigen Außerkraftsetzung eines Zeitgesetzes, das den Privaten bestimmte Rechte einräumt, können die Privaten, die im Vertrauen auf die Geltungsdauer von dem ihnen eingeräumten Recht noch keine Gebrauch gemacht haben, im Verhältnis zu anderen Privatsubjekten, die diese Möglichkeit frühzeitig genutzt haben, in ihrem Recht auf Gleichbehandlung verletzt sein. 383 Da die Geltungsdauer eines Zeitgesetzes im Normalfall kurz sein dürfte, dürfte sie 3X0

BT-Drucks. 11 /6508, Anlage 2, S. 21.

3X1

BT-Drucks. 11 /6508, Anlage 2, S. 21.

3X2

BT-Drucks. 11 /6508, Anlage 2, S. 21.

3X3

Dazu und zum folgenden s. Peine, Systemgerechtigkeit. Die Selbstbindung des Gesetzgebers als Maßstab der Normenkontrolle, S. 174.

94

D. Verfassungsrechtliche Rahmenbedingungen und Grenzen

für den Gesetzgeber überschaubar sein und vom Gesetz aufgeworfene Probleme dürften vorhersehbar sein. Ist dem so, dann dürfte jedoch nur sehr schwer vorstellbar sein, daß der Gesetzgeber mit zureichendem sachlichen Grund das Gesetz außer Kraft setzen könnte. Die Geringschätzung oder Vermeidung von Problemen, die er vorhergesehen hat oder hat vorhersehen können, ist kein sachlicher Grund mehr. 384 Die Bürger, die vom Gesetz noch keinen Gebrauch gemacht haben, sind im Vergleich zu anderen Privaten, die schon gehandelt haben, in ihrem Recht auf Gleichbehandlung verletzt. Eine vorfristige Außerkraftsetzung einer (den Bürgern bestimmte Rechte einräumenden) zeitgesetzlichen Regelung verstößt also gegen den allgemeinen Gleichheitssatz.385 Nichts anderes gilt auch für die (vorfristige) Änderung der befristeten Regelung. 386 Auch sie ist verfassungswidrig und zwar auch dann, wenn sie Begünstigungen bewirkt. Denn „auch wenn die Rechtsänderung zweifelsfrei zu Begünstigungen führt, ist ihr Eintreten terminiert und die Gleichheitsproblematik verlagert sich nur; und zwar auf jenen Personenkreis, der vor dem Stichtag nicht in die Begünstigung einbezogen wurde." 387 Wenn dem Gesetzgeber bereits bei Erlaß des Gesetzes der Gesamtbereich der darin zu regelnden Lebensverhältnisse deutlich vor Augen steht, so gebietet der Gleichheitssatz grundsätzlich die Gleichbehandlung aller unter das Gesetz fallenden Tatbestände.388 Das Bundesverfassungsgericht hat über dieses Problem folgendermaßen entschieden: „Während ... der Gesetzgeber im allgemeinen frei ist, Gesetze mit Wirkung für die Zukunft zu ändern, weil sich nicht von Anfang an übersehen läßt, ob die gesetzliche Regelung allen in der Zukunft möglicherweise vom Gesetz ergriffenen Lebenstatbeständen gerecht werden wird, ist in Fällen ..., die ihr Gepräge daher erhalten, daß der Kreis der von ihnen ergriffenen Tatbestände von vornherein bekannt ist, der Gesetzgeber unter Umständen durch den Gleichheitssatz an einer Änderung der einmal getroffenen gesetzgeberischen Entscheidung in der Tat gehindert." 389

384 Peine, Systemgerechtigkeit. Die Selbstbindung des Gesetzgebers als Maßstab der Normenkontrolle, S. 174. 385

Peine, Systemgerechtigkeit. Die Selbstbindung des Gesetzgebers als Maßstab der Normenkontrolle, S. 174. 3X 6 Peine, Systemgerechtigkeit. Die Selbstbindung des Gesetzgebers als Maßstab der Normenkontrolle, S. 174. 387

Dürig, Zeit und Rechtsgleichheit, in: Tradition und Fortschritt im Recht. Festschrift gewidmet der Tübinger Juristenfakultät zu ihrem 500jährigen Bestehen 1977, S. 21 - 4 6 , 24f. (Hervorhebung im Original). 388

BVerfGE 4, 219, 245f.

3X9

BVerfGE 4, 219, 246.

V. Zwischenergebnis

95

V. Zwischenergebnis Durch den Erlaß einer befristeten Gesetzesregelung geht der Gesetzgeber eine freiwillige, gesteigerte Selbstbindung ein und schafft eine legislative Zusicherung. Damit stellt das Zeitgesetz eine Grundlage für die Gewährleistung von Rechtssicherheit und einen Vertrauenstatbestand dar. Dies hat zur Folge (aa) erstens den (grundsätzlichen) Ausschluß vorfristiger Außerkraftsetzung (Aufhebung), und/oder den (grundsätzlichen) Ausschluß der Änderbarkeit bzw. Ersetzbarkeit des sachlichen „Anwendungs"- und Verbindlichkeitsbereichs der befristeten Gesetzesnorm während der Geltungsdauer und (bb) zweitens den Ausschluß der automatischen Verlängerbarkeit der Geltung (Ausdehnung des zeitlichen Geltungsbereichs) über das Ende der Geltungsfrist hinaus, insbesondere bei Privatsubjekte belastenden Maßnahmen. Was den Vertrauensschutz anbelangt, begrenzt eine befristete Gesetzesnorm einerseits grundsätzlich ein Geltungsvertrauen des (Wirtschafts-)Bürgers bzw. schließt es aus. Auf der anderen Seite begründet und hält das Zeitgesetz ein gesteigertes Kontinuitätsvertrauen für die Geltungsdauer aufrecht. Nur mit Blick auf das Geltungsvertrauen läßt sich also triftig behaupten, daß Zeitgesetze schwache Vertrauensgrundlagen seien 390 ; denn zugleich begründen sie ein starkes Vertrauen des Bürgers darauf, daß sie bis zum Fristablauf in Geltung bleiben und daß ihr Regelungsinhalt nicht zu ihren Ungunsten geändert wird. Die Antwort auf die Frage, ob den Grundsätzen der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes gegenüber dem Prinzip der Effektivität der Rechtsordnung und den Grundrechten der betroffenen Wirtschaftssubjekte die Priorität gebührt, ist jedoch das Ergebnis einer Güterabwägung, die immer erst am Einzelfall erfolgen muß. Das Bedürfnis nach einer zeitlich begrenzten Normierung und die für eine auf unbestimmte Dauer angelegte Regelung fehlende Normierungsreife sind sachliche Gründe im Sinne des allgemeinen Gleichheitssatzes. Daher begegnen Zeitgesetze auch keinen gleichheitsrechtlichen Bedenken. Nicht nur dem deutschen Gesetzgeber stellt der Einbau mehr oder weniger expliziter zeitlicher Bestimmungen in die Geltungsstruktur gesetzlicher Normtexte Fragen und eröffnet Perspektiven effektiverer Steuerung und Kontrolle. Auch andere europäische 391 und außereuropäische Länder haben praktische Erfahrungen mit Zeitgesetzen gemacht. Die Auseinandersetzung mit den Erfah3)0 So Muckei Die Rückwirkung von Gesetzen in der neueren Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, JA 1994, S. 15. 11)1

M i t Grund weist Simitis, Für eine europäische Rechtskultur, Rechtshistorisches Journal 12 (1993), S. 2 9 7 - 3 0 6 , 301 f. daraufhin, daß nicht nur die Gesetzgeber der nationalen europäischen Rechtsordnungen, sondern auch der auf der Ebene des europäischen Gemeinschaftsrechts tätige Gesetzgeber zunehmend das Zeitelement in den rechtlichen Regelungsprozeß reintegriere und sich immer mehr bereit finde, „Regeln nur für einen von Anfang an begrenzten Zeitraum zu verabschieden sowie sich zugleich selbst zu einer permanenten Revision der eigenen Entscheidung zu verpflichten".

96

D. Verfassungsrechtliche Rahmenbedingungen und Grenzen

rangen, die ausländische Rechtssysteme mit der Befristung parlamentarischer Gesetzgebung gewonnen haben, kann Anregungen für die Rechtspolitik bieten. Die Ausführungen des folgenden Kapitels sind diesen Erfahrungen aus rechtsvergleichender Sicht 392 gewidmet.

392 Zur Bedeutung und Relevanz der Rechtsvergleichung im öffentlichen Recht siehe im allgemeinen Krüger, Eigenart, Methode und Funktion der Rechtsvergleichung im öffentlichen Recht, in: Ziemske/Langheid/ Wilms /Haverkate (Hrsg.), Staatsphilosophie und Rechtspolitik. Festschrift für Martin Kriele zum 65. Geburtstag, S. 1393-1404; Starck, Rechtsvergleichung im öffentlichen Recht, in: JZ 1997, S. 1021 - 1 0 3 0 ; Tran tas, Die Anwendung der Rechtsvergleichung bei der Untersuchung des öffentlichen Rechts.

E. Rechtsvergleichende Überlegungen Die Befristung der Geltungs- und Verbindlichkeitsdauer gesetzlicher Normtexte als Instrument der Steuerung und Mittel zur Institutionalisierung einer retrospektiven Überprüfung und Kontrolle der Wirksamkeit und Effizienz von Gesetzen ist in den letzten Jahren in den Mittelpunkt rechts- und gesetzgebungstheoretischer Untersuchungen in mehreren europäischen und nichteuropäischen Ländern gerückt. Meistens wird sie dabei (nur) als gesetzgebungsmethodische Regelungstechnik zur Absicherung einer internen, nachträglichen Erfolgskontrolle betrachtet und thematisiert. Die davon auch unabhängig auftretenden Steuerungsaspekte der Funktion von Zeitgesetzen geraten somit fast völlig aus dem Blick. Man kann wohl vermuten, daß das gesteigerte Interesse an der Institutionalisierung einer ex ante Gesetzesfolgenabschätzung und einer ex post durchgeführten bzw. durchzuführenden Erfolgskontrolle von Gesetzen und, unter diesem Aspekt des gesetzgebungstheoretischen Forschungsinteresses, auch der Gesetzgebung auf Zeit, ein deutliches Zeichen für den erhöhten Bedarf an Flexibilisierung, Lernbereitschaft und Rationalisierung der politischrechtlichen Rechtsetzung auch in mehreren anderen Rechtsordnungen über die Bundesrepublik Deutschland hinaus ist. Ohne jeglichen Anspruch auf Vollständigkeit kann man sagen, daß eine zum Teil rege und bereits seit Jahrzehnten anhaltende Diskussion um eine Institutionalisierung der Erfolgskontrolle von Gesetzen (unter anderem auch durch den Erlaß von befristeten Gesetzen) im französischsprachigen Rechtsraum, aber auch in anderen europäischen Rechtsordnungen stattfindet. Dies ist insbesondere in Frankreich, 393 der Schweiz, 394 Belgien, 395 Kanada,396 und Österreich 397 der Fall. Charakteristisch ist auch, daß in diesen Untersuchungen immer wieder, wenn auch in unterschiedlichem Umfang und mit unterschiedlicher Intensität, Bezug l9 ' S. etwa Duron/ Mounier, Le développement de l'évaluation en France, Revue française de science politique 1992, Nr. 2, sowie die Beiträge in: Delcamp/Bergel/ Dupas (Hrsg.), Contrôle parlementaire et évaluation. 394

Mader , Évaluation; ders.. L'évaluation législative en Suisse, in: Delcamp / Bergel / Dupas (Hrsg.), Contròie parlementaire et évaluation, S. 1 5 3 - 1 6 0 (m.w.N.). 395 Delnoy, L'évaluation législative en Belgique, in: Delcamp / Bergel / Dupas tròie parlementaire et évaluation, S. 1 6 1 - 1 7 0 (m.w.N.). 396

Bergeron, L'éfficacité des lois au Canada, in: Delcamp / Bergel / Dupas parlementaire et évaluation, S. 1 7 9 - 1 8 6 (m.w.N.).

(Hrsg.), Con-

(Hrsg.), Contrôle

397 S. neuerdings die Beiträge in Manti (Hrsg.), Effizienz der Gesetzesproduktion. Abbau der Regelungsdichte im internationalen Vergleich.

7 Chanos

98

E. Rechtsvergleichende Überlegungen

genommen wird auf die gesetzgebungs- und verwaltungspolitischen Ansätze und die gesetzgebungspraktischen und rechtstatsächlichen Erfahrungen der USamerikanischen „sunset legislation", einer Reformbewegung, die von der Mitte der 70er bis ungefähr zur Mitte der 80er Jahre dieses Jahrhunderts im Mittelpunkt der rechts- und gesetzepolitischen Diskussion und der Gesetzgebungspraxis der Vereinigten Staaten stand. Man darf wohl mit gutem Grund annehmen, daß die Bezugnahme auf das Phänomen der „sunset legislation" ihren Grund darin findet, daß dieses Konzept die bislang systematischste Bestrebung einer umfassenden Reform des legislativen und administrativen Systems hin zu einer rationaleren Produktion und effektiveren bzw. effizienteren Implementation legislativer Programme mit Hilfe einer Terminierung ihrer Geltungsdauer darstellt. Das sogenannte „Sunset-Konzept" einer rigoroseren, umfassenden und - so jedenfalls die Hoffnung der Befürworter - deshalb effektiveren Kontrolle der Umsetzung staatlicher Programme und dadurch auch der administrativen Rechtspraxis mittels befristeter Gesetzgebungsakte bietet sich demnach eher unter rechtsvergleichendem Aspekt als möglicher gesetzgebungspolitischer und -methodischer Vergleichsmaßstab de lege ferenda an. Kaum kann jedoch darin auch ein in gesetzgebungsgeschichtlicher Sicht relevanter Ausgangspunkt erblickt werden. Dies trifft allenfalls für die Gesetzgebung der Bundesrepublik Deutschland zu. In der Tat gehen die Anfänge einer modernen Gesetzgebung auf Zeit in der deutschen Gesetzgebungspraxis bereits auf das letzte Drittel des vorigen Jahrhunderts zurück. 398 Im folgenden ist demnach unter rechtsvergleichenden Gesichtspunkten auf das Konzept der „sunset legislation" einzugehen.

I. Die sog. „sunset legislation4' in den Vereinigten Staaten von Amerika 1. Zur Entstehung des Sunset-Konzepts Das US-amerikanische Konzept einer „sunset legislation" wurde 1975 in die US-amerikanische Verfassungs- und Verwaltungsdiskussion mit der Absicht eingeführt, über die zeitliche Begrenzung von gesetzlichen Regelungen und administrativen Zuständigkeiten zum einen deren Evaluierung und zum anderen die Auseinandersetzung mit den Ergebnissen der Evaluierung im Zuge der Entscheidung über Fortführung und Verlängerung sozusagen prozedural zu erzwin39K S. die Zusammenstellung in chronologischer Abfolge von - strafrechtlichen und anderen - Gesetzgebungsakten mit befristeter Geltungsdauer (meist Gesetze, aber auch Verordnungen, Anordnungen und Bekanntmachungen), die seit der Gründung des Deutschen Reiches 1871 ergingen, bei Laaths, Das Zeitgesetz gemäß § 2 Abs. 4 StGB unter Berüchsichtigung des Blankettgesetzes, Diss. iur. Regensburg 1991, S. 58ff. Mit Blick auf die Strafgesetzgebung, insbesondere am Beispiel befristeter Krisen- und ad hoc-Gesetze s. Amelung, Strafrechtswissenschaft und Strafgesetzgebung, ZStW 92 (1980), S. 1 9 - 7 2 , 59ff., 72.

I. Die sog. „sunset legislation" in den USA

99

gen. 399 Die ganze Tragweite der Sunset-Bewegung wird erst vor dem Hintergrund einer radikalen Kehrtwendung im Selbstverständnis amerikanischer Volksvertretungen deutlich, die in den 70er Jahren hervortrat. 400 Das steigende Interesse an einer „sunset legislation" wurzelte in der ständig wachsenden Kritik an der mangelnden Effektivität und Effizienz des amerikanischen Regierungs- und Verwaltungssystems. Als sich die legislativen Bemühungen zur Stärkung der Aufsichtsfunktion des amerikanischen Kongresses und der bundesstaatlichen Parlamente über die Verwaltung („legislative oversight") in der ersten Hälfte der 70er Jahre mehr oder weniger als fehlgeschlagen erwiesen hatten, gaben die Parlamente zu erkennen, daß sie bereit waren, eine gewisse Mitverantwortung für die kritisierte Entwicklung im administrativen System zu tragen und nunmehr ihrer Verpflichtung auf nachhaltige Überprüfung öffentlichen Handelns nachzukommen. Die Sunset-Reform bedeutete also nicht die Zuweisung neuer Machtbefugnisse an den parlamentarischen Gesetzgeber, sondern die Selbstverpflichtung, bereits vorhandene, lange nicht oder nur unzureichend ausgeübte Befugnisse ernst zu nehmen; sie beabsichtigte damit eine Intensivierung der bis dahin vernachlässigten Aufsichtsfunktion des Gesetzgebers. 401 Das Sunset-Konzept sollte damit „die rückblickende Politikbewertung gleichberechtigt neben den vorausschauenden Politikentwurf' stellen. 402 Das „Sunset"-Konzept geht auf eine Initiative der Landesgruppe Colorado der amerikanischen Bürgerrechtsorganisation „Common Cause" zur Reform staatlicher Regulierungspraktiken zurück. 403 Sie führte 1976 zur Verabschiedung des ersten „Sunset Act" vom Bundesstaat Colorado. 404 Bis Ende 1978 hatten 399

Siehe Hellstern / Wollmann, Wirksame Gesetzesevaluierung. Wo könnten praktikable Kontrollverfahren und Wirkungsanalysen bei Parlament und Rechnungshof ansetzen?, ZParl 11 (1980), S. 5 4 7 - 5 6 7 , 557. 4()() S. zum ganzen Langner, Zero-Base Budgeting und Sunset Legislation. Instrumente zur Rückgewinnung öffentlicher Handlungsspielräume?, S. 274ff. 401 Langner, Zero-Base Budgeting und Sunset Legislation. Instrumente zur Rückgewinnung öffentlicher Handlungsspielräume?, S. 266. 402

Langner, Zero-Base Budgeting und Sunset Legislation. Instrumente zur Rückgewinnung öffentlicher Handlungsspielräume?, S. 277. 403 Adams, Sunset: A Proposal for Accountable Government, Administrative Law Review 28 (1976), S. 511 - 5 4 2 ; Sherman , Making Government Work: A Common Cause Report on State Sunset Activity, S. 4ff.; Price, Sunset Legislation in the United States, Baylor Law Review 30 (1978), S. 401 - 4 6 2 , 415f.; Adams/ Sherman, Das „Sonnenuntergangs"-Konzept als erfolgversprechendes Instrument zum Abbau des Unbehagens an der öffentlichen Verwaltung, Verwaltungswissenschaftliche Infonnationen, Bd. 6 (1978), S. 8 0 - 8 4 . 80; Rürup/Färber, Programmhaushalte der „zweiten Generation". Idee, Arbeitsweise und Leistungsfähigkeit von ZBB, Sunset und RCB, DÖV 1980, S. 6 6 1 - 6 7 2 , 665; Mader, Évaluation, S. 123ff., 124; Langner, ZeroBase Budgeting und Sunset Legislation. Instrumente zur Rückgewinnung öffentlicher Handlungsspielräume?, S. 279; Cottier, Les sunset laws : des lois expérimentales à la mode américaine?, in: Morand (Hrsg.), Évaluation législative et lois expérimentales. S. 1 6 1 - 1 7 5 . I70ff.

404 S. dazu Langner, Zero-Base Budgeting und Sunset Legislation. Instrumente zur Rückgewinnung öffentlicher Handlungsspielräume?, S. 279ff.

7*

100

E. Rechtsvergleichende Überlegungen

bereits 29 4 0 5 und bis Ende 1980 35 amerikanische Bundesstaaten406 „sunset"Gesetze verabschiedet. Das US-amerikanische Konzept einer Gesetzgebung auf Zeit im Sinne einer „sunset legislation" impliziert die Übertragung der staatsorganisatorischen Grundidee der demokratischen Legitimation der Regierung und des parlamentarischen Gesetzgebers auf das administrative System. „So wie sich der gewählte Volksvertreter in regelmäßigem Abstand vor dem Bürger verantworten muß und sich dabei mit der Möglichkeit des Entzugs seines Mandats konfrontiert sieht, wird im Rahmen eines Sunset-Konzepts die Verwaltung gezwungen, Rechenschaft über ihre bisherigen Leistungen abzulegen, wobei das Parlament stellvertretend für den Bürger als Bewertungs- und Entscheidungsinstanz fungiert" 407 . 2. Die grundlegenden Bestandteile des Sunset-Konzepts a) Gemeinsame Merkmale der bundesstaatlichen Sunset-Ansätze

Die tragenden Elemente des Sunset-Ansatzes sind die Programmtermination (automatic termination) und die Programmevaluation (program evaluation, periodic review). 408 So sahen alle einzelnen bundesstaatlichen Sunset-Konzepte, ungeachtet der sonstigen Unterschiede bei der Umsetzung der Grundidee, für die betroffenen Programme und/oder Verwaltungsbehörden einen automatischen Terminationsmechanismus vor. 409 Diese automatische Terminierung soll Verwaltung und Parlament in regelmäßigen Abständen zur Erfolgskontrolle von Aktivitäten in bezug auf Effektivität (bzw. Wirksamkeit) und/oder Effizienz (Wirtschaftlichkeit) zwingen und — für den Fall der Weiterführung — der Behörde Spielraum für Auflagen in bezug auf Reformierung und Reorganisation lassen. 410 Die beim Sunset-Konzept zentrale Fragestellung hinsichtlich der Kontrollfunktion, also des Ziels der Rationalisierung und Verminderung des Kon405 Sherman , Making Government Work: A Common Cause Report on State Sunset Activity, S. 3, 7; Rürup/Färber, Programmhaushalte der „zweiten Generation". Idee, Arbeitsweise und Leistungsfähigkeit von Z B B , Sunset und RCB, D Ö V 1980, S. 6 6 1 - 6 7 2 , 665. 4() Λ Langner, Zero-Base Budgeting und Sunset Legislation. Instrumente zur Rückgewinnung öffentlicher Handlungsspielräume?, S. 281. 407

Langner, Zero-Base Budgeting und Sunset Legislation. Instrumente zur Rückgewinnung öffentlicher Handlungsspielräume?, S. 261 f. 4,)K Price , Sunset Legislation in the United States, Baylor Law Review 30 (1978), S. 401 - 4 6 2 , 417, 424f.; Langner, Zero-Base Budgeting und Sunset Legislation. Instrumente zur Rückgewinnung öffentlicher Handlungsspielräume?, S. 262f.; Cottier , Les sunset laws : des lois expérimentales à la mode américaine?, in: Morand (Hrsg.), Evaluation législative et lois expérimentales, S. 1 6 1 - 1 7 5 . 161, 168. 4(,t )

Langner , Zero-Base Budgeting und Sunset Legislation. Instrumente zur Rückgewinnung öffentlicher Handlungsspielräume?, S. 281. 410 Riirup /Färber, Programmhaushalte der „zweiten Generation". Idee, Arbeitsweise und Leistungsfähigkeit von Z B B , Sunset und RCB, D Ö V 1980, S. 6 6 1 - 6 7 2 , 665.

I. Die sog. „sunset legislation" in den USA

101

trolldefìzits staatlicher Aktivitäten, ist, ob einmal an Verwaltungseinheiten übertragene Aufgaben noch erwünscht oder ausdrücklich gewollt sind, und ob diese Aufgaben gemäß des angestrebten Ziels effektiv und effizient verwaltet werden. 411 b) Unterschiede zwischen den bundesstaatlichen Sunset-Ansätzen

Andererseits stehen der Legislative in den einzelnen US-Bundesländern bei ihren Bemühungen, mit Hilfe von „sunset laws" ihrer Aufsichtsfunktion über die Verwaltung nachzukommen, breit gefächerte Variationsmöglichkeiten zur Verfügung. Sie unterscheiden sich voneinander im Hinblick auf bestimmte gesetzestechnische Kriterien, die sowohl die zeitliche Limitierung der Geltungsdauer als auch die Programmevaluation (Evaluationsmodalitäten, Evaluationskriterien, Evaluationsfolgen) betreffen. 412 So versteht etwa die Mehrheit der Bundesstaaten das Sunset-Verfahren nicht als einmaligen, sondern sich periodisch wiederholenden Vorgang, wobei die Perioden, für die die Verwaltungsbehörden bis zur abermaligen Überprüfung eine Existenzermächtigung erhalten, variieren. 413 Während einige Bundesstaaten die Geltung des „Sunset"-Konzepts auf regulative (normsetzende) Aktivitäten, Maßnahmen und Behörden (Regulatory Boards) beschränken, wenden es andere auf alle staatlichen Programme und Dienststellen oder aber auf spezifisch ausgewählte Programme an, wobei sowohl regulativ tätige als auch andere Verwaltungsbehörden erfaßt werden. 414 Die meisten Sunset-Gesetze gruppieren die jeweils zur Prüfung anstehenden Programme und Verwaltungen nach Funktions- und Politikbereichen, um so das Erkennen von Doppelerfüllungen und Koordinationsmängeln zu erleichtern. Manche „sunset laws" identifizieren nicht nur die effektive und/oder effiziente Leistungserfüllung als Evaluationskriterien (diese Kriteriendimension erfüllen alle Sunset-Gesetze bzw. -Programme), sondern sie statuieren darüber hinaus 411 Rürup / Färber, Programmhaushalte der „zweiten Generation". Idee, Arbeitsweise und Leistungsfähigkeit von Z B B , Sunset und RCB, D Ö V 1980, S. 661 - 6 7 2 , 668. 412 Langner, Zero-Base Budgeting und Sunset Legislation. Instrumente zur Rückgewinnung öffentlicher Handlungsspielräume?, S. 263f. 4.3 Langner, Zero-Base Budgeting und Sunset Legislation. Instrumente zur Rückgewinnung öffentlicher Handlungsspielräume?, S. 281 f., 308ff.; Cottier , Les sunset laws : des lois expérimentales à la mode américaine?, in: Morand (Hrsg.), Évaluation législative et lois expérimentales, S. 1 6 1 - 1 7 5 , 166. 4.4 Adams/Sherman, Das „Sonnenuntergangs"-Konzept als erfolgversprechendes Instrument zum Abbau des Unbehagens an der öffentlichen Verwaltung, Verwaltungswissenschaftliche Informationen, Bd. 6 (1978), S. 8 0 - 8 4 , 82; Langner, Zero-Base Budgeting und Sunset Legislation. Instrumente zur Rückgewinnung öffentlicher Handlungsspielräume?, S. 284, 304ff.; ferner Cottier, Les sunset laws : des lois expérimentales à la mode américaine?, in: Morand (Hrsg.), Évaluation législative et lois expérimentales, S. 1 6 1 - 1 7 5 , 164ff.

102

E. Rechtsvergleichende Überlegungen

eine noch grundsätzlichere Bedürfnisprüfung. 415 Die Sunset-Ansätze der einzelnen Bundesstaaten variieren schließlich in der Bestimmung der exekutiven und/oder legislativen Institutionen, die für die im Vorlauf stattfindende Programmprüfung und die Erstellung eines Evaluationsreports sowie für die Bewertung der Ergebnisse dieser Vorarbeiten und die Vorbereitung der letztlichen Entscheidung durch das Parlament zuständig sind. 416 3. Zur Diskussion über „sunset legislation" im US-amerikanischen Bundesrecht Während die Parlamente der Bundesstaaten bei ihren Anstrengungen, der Aufsichtsfunktion des Gesetzgebers einen größeren Stellenwert einzuräumen, primär auf die von ihnen einst initiierte regulative Politik abstellten, stand die Diskussion über die Sunset-Reform auf Bundesebene von Anfang an im Zeichen einer erkannten Notwendigkeit zur legislativen Überprüfung auch ausgabenwirksamer Programme. 417 In Betracht kam das Sunset-Konzept auf der Ebene des Bundesrechts in der Tat nur im Bereich der Haushaltsplanung.418 Trotz der intensiven Auseinandersetzungen über eine Sunset-Reform der Gesetzgebung auf Bundesebene419 und nach einem im Jahre 1978 gescheiterten Versuch, ein Sunset-Gesetz zu verabschieden, vermochte sich die Reformbewegung im US-amerikanischen Senat nicht durchzusetzen, 420 so daß kein Sunset-Gesetz auf der Ebene des Bundesrechts verabschiedet wurde. 421 415 Langner, Zero-Base Budgeting und Sunset Legislation. Instrumente zur Rückgewinnung öffentlicher Handlungsspielräume?, S. 284, 315ff.; Cottier , Les sunset laws: des lois expérimentales à la mode américaine?, in: Morand (Hrsg.), Evaluation législative et lois expérimentales, S. 1 6 1 - 1 7 5 , 167f. 4,6 Langner , Zero-Base Budgeting und Sunset Legislation. Instrumente zur Rückgewinnung öffentlicher Handlungsspielräume?, S. 284, 31 Off.; Cottier , Les sunset laws : des lois expérimentales à la mode américaine?, in: Morand (Hrsg.), Évaluation législative et lois expérimentales, S. 1 6 1 - 1 7 5 , 165f. 417 Langner , Zero-Base Budgeting und Sunset Legislation. Instrumente zur Rückgewinnung öffentlicher Handlungsspielräume?, S. 263f. 4IX

Vgl. Rürup/Färber, Programmhaushalte der „zweiten Generation". Idee, Arbeitsweise und Leistungsfähigkeit von Z B B , Sunset und RCB, D Ö V 1980, S. 661 - 6 7 2 , 668f. 4,9 S. ausführlich zur Entwicklung der Diskussion des Sunset-Konzepts auf Bundesebene Langner. Zero-Base Budgeting und Sunset Legislation. Instrumente zur Rückgewinnung öffentlicher Handlungsspielräume?, S. 284ff. 42,) S. hierzu Mader, Évaluation, S. 124f.; Cottier , Les sunset laws : des lois expérimentales à la mode américaine?, in: Morand (Hrsg.), Évaluation législative et lois expérimentales, S. 1 6 1 - 1 7 5 , 169; s.a. die Darstellung des Sunset-Gesetzentwurfes S. 2, des „Sunset Act o f 1980", bei Rethorn, „Sunset"-Gesetzgebung in den Vereinigten Staaten von Amerika, in: Kindermann (Hrsg.), Studien zu einer Theorie der Gesetzgebung, S. 316 — 330, 318ff. 421

Vgl. auch Langner, Zero-Base Budgeting und Sunset Legislation. Instrumente zur Rückgewinnung öffentlicher Handlungsspielräume?, S. 299. - Zu den Möglichkeiten und Grenzen gesetzgeberischer Gesetzesevaluation seitens des General Accounting Office (GAO) s. Che-

I. Die sog. „sunset legislation" in den USA

103

4. Zur heutigen Bedeutung und Relevanz der „sunset legislation" in den USA Seit ungefähr 1983 werden auch auf bundesstaatlicher Ebene keine sunset laws mehr verabschiedet. Anders als noch Ende der 70er und Anfang der 80er Jahre, als sich eine intensive rechtswissenschaftliche Auseinandersetzung entwickelt hatte, findet auch keine akademische Diskussion über „sunset legislation" mehr statt. Dafür können mindestens vier Gründe genannt werden: 422 Die Kontrollfähigkeit der Effektivität staatlicher Programme wurde von der Sunset-Reformbewegung überschätzt 423; denn die nonnativen Ziele der mit einer Befristung versehenen und einer ex post-Wirkungskontrolle unterzogenen Gesetzestexte sind nie eindeutig bestimmt. 424 So wurde bei fast allen überprüften Regulatory Boards festgestellt, daß ihr gesetzlicher Auftrag ungenügend fixiert war und demzufolge kaum durchgängig explizite Richtlinien und Ziele existierten, die das öffentliche Interesse oder etwa den Verbraucherschutz neben den Interessen von Industrie und Gewerbe berücksichtigten. 425 Die legislative Erfolgskontrolle und Folgenbewertung stellte sich oft - haushaltsplanmäßig gesehen — als kostenintensiver heraus als der Fortbestand der Verwaltungsbehörde selbst. So führte beispielsweise der 77er Sunset-Zyklus in Colorado dazu, daß drei kleine Behörden abgeschafft und zwei weitere zusammengelegt wurden, womit Einsparungen von 6.810 Dollar verbunden waren. Das Ziel, die öffentlichen Ausgaben zu reduzieren, wurde mit der Sunset-Evaluation jedoch nicht erreicht, weil diesen 6.810 Dollar Kosten von 212.300 Dollar für die Revisionen und öffentlichen Hearings gegenübergestanden hatten. 426 Ferner wurde die Erfolgskontrolle der „sunset laws" im parlamentarischen System nur unzureichend umgesetzt. Eine sachgerechte Diskussion über die limsky, L'évaluation législative au Congrès des Etats-Unis, in: in: (Hrsg.), Contrôle parlementaire et évaluation, S. 187-192.

Delcamp / Berge/ / Dupas

422 S. zum ganzen: Cottier , Les sunset laws: des lois expérimentales à la mode américaine?, in: Morand (Hrsg.), Evaluation législative et lois expérimentales, S. 1 6 1 - 1 7 5 , 172f. 423 Liftland , Panel II: Sunset Review - Effective Oversight Tool or New Political Football?, Administrative Law Review 32 (1980), S. 2 0 9 - 2 2 6 ; Nice , Sunset Laws and Legislative Vetoes in the States, State Government 1985, S. 2 7 - 3 2 . 424

Zu dem grundlegenden Problem der praktischen Messung der Wirksamkeit von Gesetzesnormen siehe statt vieler Deckert, Zur Methodik der Folgenantizipation in der Gesetzgebung, Z G 10 (1995), S. 244ff.; Blankenburg, Rechtssoziologie und Rechtswirksamkeitsforschung, in: Schreckenberger/König/Zeh (Hrsg.), Gesetzgebungslehre, S. 1 0 9 - 1 2 0 . 425 Rürup /Färber, Programmhaushalte der „zweiten Generation". Idee, Arbeitsweise und Leistungsfähigkeit von Z B B , Sunset und RCB, D Ö V 1980, S. 6 6 1 - 6 7 2 , 667. 42f t

Rürup/Färber, Programmhaushalte der „zweiten Generation". Idee, Arbeitsweise und Leistungsfähigkeit von Z B B , Sunset und RCB, D Ö V 1980, S. 661 - 6 7 2 , 667; vgl. auch Cottier, Les sunset laws : des lois expérimentales à la mode américaine?, in: Morand (Hrsg.), Evaluation législative et lois expérimentales, S. 1 6 1 - 1 7 5 , 172f.

104

E. Rechtsvergleichende Überlegungen

Wirksamkeit bzw. Effektivität und damit die Verlängerbarkeit eines Sunset-Gesetzes blieb wegen der Arbeitsbelastung des Kongresses meistens aus. Dies führte dazu, daß der Kongreß versucht war, angesichts seiner Arbeitslast einfach die Geltungs- bzw. Verbindlichkeitsfristen mancher Gesetze zu verlängern, was einem Verlängerungsautomatismus gleichkam. Oder der kontrollierende parlamentarische Gesetzgeber konnte sich solchen Gesetzen, deren Frist gerade ablief, nicht hinreichend intensiv widmen, mit der Folge, daß die Frist endgültig zu verstreichen drohte. 427 Im Gegensatz dazu deuten bestimmte Beobachtungen darauf hin, daß der Sunset-Ansatz besser geeignet erscheint, ein Evaluations- und Innovationspotential innerhalb der Exekutive zu aktivieren. 428 Die beim Sunset-Konzept zentrale Fragestellung ist, ob einmal an Verwaltungseinheiten übertragene Aufgaben noch erwünscht oder ausdrücklich gewollt sind, und ob diese Aufgaben gemäß des angestrebten Ziels effektiv und effizient verwaltet werden. 429 Das Hauptaugenmerk der Parlamentarier richtete sich jedoch rasch nicht mehr auf die gesetzlichen Ermächtigungsnormen, sondern auf die administrativen Regelungen selbst; weil die Verwaltungsmaßnahmen naturgemäß die gesellschaftlichen Entwicklungen unmittelbarer beeinflussen, mußten sie - so das Argument - in besonderem Maße der Evaluation unterzogen werden und, wenn sie sich nicht mehr als wirksam und/oder effizient erwiesen, auch außer Kraft gesetzt bzw. ersetzt werden. 430 Deshalb gewannen mit dem Laufe der Zeit andere Instrumente politisch-rechtlicher Entscheidungsfindung immer mehr an Bedeutung, wie etwa die Verpflichtung der Behörden, vor dem Erlaß einer Regelung eine prospektive Wirkungsevaluation, also eine antezipierende Folgenbewertung, vorzulegen. Obwohl die Sunset-Reform auch wegen der bereits genannten praktischen Dysfunktionalitäten, mit denen die Sunset-Gesetze behaftet waren, 431 letztendlich nicht viel bewirken konnte 432 , sind die meisten von den in der zweiten 427 Cottier , Les sunset laws : des lois expérimentales à la mode américaine?, in: Morand (Hrsg.), Evaluation législative et lois expérimentales, S. 161 - 175, 173; Hoffmann-Riem, Die Reform staatlicher Regulierung in den USA. Ein Überblick, Der Staat 23 (1984), S. 1 7 - 4 9 , 42; Rürup/Färber, Programmhaushalte der „zweiten Generation". Idee, Arbeitsweise und Leistungsfähigkeit von Z B B , Sunset und RCB, D Ö V 1980, S. 6 6 1 - 6 7 2 . 667. 42x Rürup /Färber, Programmhaushalte der „zweiten Generation". Idee, Arbeitsweise und Leistungsfähigkeit von Z B B , Sunset und RCB, DÖV 1980, S. 6 6 1 - 6 7 2 , 666f. 429 Rürup/Färber, Programmhaushalte der „zweiten Generation". Idee, Arbeitsweise und Leistungsfähigkeit von Z B B , Sunset und RCB, D Ö V 1980, S. 661 - 672, 668. 430 S. dazu Cottier, Les sunset laws : des lois expérimentales à la mode américaine?, in: Morand (Hrsg.), Evaluation législative et lois expérimentales, S. 161 - 175, 173. 431 S.a. etwa Belm, The false dawn o f sunset laws, The Public Interest 49 (1977), S. 1 0 3 118, passim. 432 Vgl. auch die bei Rürup/Färber, Programmhaushalte der „zweiten Generation". Idee, Arbeitsweise und Leistungsfähigkeit von Z B B , Sunset und RCB, D Ö V 1980, S. 6 6 1 - 6 7 2 , 666ff., etwa 668, m.w.N. angegebenen, weiteren Gründe.

II. Vergleich von „sunset legislation" und befristeter Gesetzgebung

105

Hälfte der 70er und der ersten Hälfte der 80er Jahre verabschiedeten „sunset laws" heute noch in Geltung, wenn auch das eine oder andere im Laufe der Zeit modifiziert wurde. 433

II. Vergleich der Erfahrungen mit der „sunset legislation'4 in den USA und der befristeten Gesetzgebung in der Bundesrepublik Deutschland 1. Besonderheiten des US-amerikanischen Gesetzgebungs- und Verwaltungssystems Der US-amerikanische politisch-rechtliche Systemkontext, in dem die Sunset-Gesetze erlassen und implementiert wurden, unterscheidet sich erheblich von dem entsprechenden Systemkontext einer Gesetzgebung auf Zeit (jedenfalls im Sinne der deutschen Rechts- und Gesetzgebungstheorie und -praxis). 434 Eine rechtsvergleichende Analyse der US-amerikanischen „sunset legislation" mit der Gesetzgebung auf Zeit muß insbesondere die Gemeinsamkeiten und Unterschiede einer Gesetzesevaluation (im Sinne der mitteleuropäischen Rechtsordnungen, insbesondere der deutschen) und einer „Programm"evaluation (im USamerikanischen Sinne) beachten , 4 3 5 Staatliche „Programme" (programs) sind Bündel von Rechtsnormen, Administrativentscheidungen, Plänen, Absichtserklärungen, die durch einen gemeinsamen Zweck miteinander verbunden sind. 436 Sie bestimmen in aller Regel die Ziele der staatlichen Intervention sowie die gesellschaftliche Adressatengruppe, die von der Regelung betroffen wird; sie bestimmen bzw. richten eine Behörde ein, die mit der Durchführung des Programms betraut wird, — mithin die Ermächtigung erhält, notwendige Durchführungsanordnungen zu erlassen, über die Verteilung der Finanzmittel zu entscheiden sowie die Aufsicht über die mit der unmittelbaren Anwendung ermächtigten staatlichen und örtlichen Behörden zu führen - und bewilligen ihr die für die Programmausführung erforderlichen finanziellen Mittel. 437 Überhaupt fehlt den normativen Entscheidungsakten des Cottier , Les sunset laws : des lois expérimentales à la mode américaine?, in: Morand (Hrsg.), Évaluation législative et lois expérimentales, S. 1 6 1 - 1 7 5 , 173. Nach Edinger , Die Legislativen im Regierungssystem der US-amerikanischen Einzelstaaten, ZParl 27 (1996), S. 2 8 3 - 2 9 7 , 294 Anm. 63 (m.w.N.) waren 1992 nur noch in 22 Staaten einige sunset laws in Kraft. 4 4 Für einen Überblick über die wichtigsten Strukturen und Verfahren der Gesetzgebung in den Vereinigten Staaten im Vergleich zur Bundesrepublik Deutschland s. Jann, Gesetzgebung in den Vereinigten Staaten von Amerika, ZG 3 (1988), S. 2 2 4 - 2 4 8 .

""· S. dazu Mader, Évaluation, S. 48ff. AMì

Mader, Évaluation, S. 50 mit Bezugnahme auf Renate Mayntz.

437

Mader , Évaluation, S. 49.

106

E. Rechtsvergleichende Überlegungen

US-amerikanischen Gesetzgebers (statutes) der endgültige und erschöpfende Charakter, der den gesetzlichen Regelungen in kontinentaleuropäischen Rechtsordnungen eigen ist. Der amerikanische Gesetzgeber ist der Tatsache durchaus bewußt, daß der verabschiedete Gesetzestext zu jeder Zeit in Frage gestellt und modifiziert werden kann, wenn er der Bewährungsprobe der Rechtspraxis nicht standhalten kann. 438 Was die Evaluation von „Programmen" anbelangt, so kann man mit Grund behaupten, daß sie von Anfang an eine umfassendere Beurteilung als die Evaluation eines einzelnen Gesetzes (bzw. einer Gruppe von Gesetzen) war. 439 Diese umfassendere Erfolgskontrolle und Wirkungsbeobachtung bettet die gesetzgeberischen Entscheidungen in allgemeinere Zusammenhänge des gesamten staatlichen regulativen Handelns ein, als die Gesetzesevaluation dies vermag. Die Unterschiede von Gesetzes- und Programmevaluation sind zwar methodologischer, jedoch nicht grundlegender Natur. 440 Der prekäre Charakter der Gesetzgebung im US-amerikanischen Rechtssystem hat unter anderem auch ein gewisses Desinteresse für die Auseinandersetzung mit den Methoden der legislativen Rechtsetzung zur Folge.441 Nichtsdestotrotz ist man sehr auf die praktische Anwendbarkeit und Effektivität der normativen Rechtstexte bedacht. Der wohl wichtigste Grund für das Interesse an der Gesetzeswirksamkeit liegt darin, daß die amerikanischen Verwaltungsbehörden sehr oft mit umfassenden Amtsbefugnissen ausgestattete, unabhängige Organisationseinheiten sind. Die große Mehrheit der Wirtschafts- und der sozialen Regelungen ergeht in der Form administrativer Vorschriften, während der Gesetzgeber sich darauf beschränkt, eine zuständige Behörde ins Leben zu rufen und ihre Aufgaben in groben Linien zu definieren. Zum Ausgleich ihrer sehr großen Bewegungsfreiheit sahen sich die Behörden sehr schnell gezwungen, sich qualitativen wie quantitativen Leistungsprüfungen zu unterziehen. So erklärt sich die rasche Entwicklung von cost and benefit-Analysen sowie von Wirksamkeitskontrollen. Solche Evaluationstechniken entstanden jedoch nicht erst mit der Verabschiedung der ersten Sunset-Gesetze in den 70er Jahren, sondern gehen bereits auf die 30er Jahre zurück. Es mag zweifellos richtig sein, daß die Unterschiede in der Rechts- und Verwaltungskultur der USA und der Bundesrepublik Deutschland zwar eine unbedachte Übernahme amerikanischer legislativer Aufsichts- und Evaluationsver-

43x So Cottier , Les sunset laws: des lois expérimentales à la mode américaine?, in: Morand (Hrsg.), Évaluation législative et lois expérimentales, S. 1 6 1 - 1 7 5 , 162. S. zum Statute Law Blumenwitz , Einführung in das anglo-amerikanische Recht, S. 44ff. 439

S. in diesem Zusammenhang Mader, Évaluation, S. 50.

440

Mader , Évaluation, S. 50.

441 S. hierzu und zum folgenden Cottier , Les sunset laws: des lois expérimentales à la mode américaine?, in: Morand (Hrsg.), Évaluation législative et lois expérimentales, S. 161 — 175, 163.

II. Vergleich von „sunset legislation" und befristeter Gesetzgebung

107

fahren verbieten. 442 Unbeachtet der Besonderheiten im jeweiligen Systemkontext haben „sunset legislation" und Gesetzgebung auf Zeit jedoch zwei gemeinsame Merkmale, nämlich (a) die zeitliche Limitierung des (formalen) Geltungsbzw. (materiellen) „Anwendungsbereichs legislativer Normtexte (Programme, statutes, Gesetzesnormen) (b) mit dem Zweck einer nachträglichen Wirkungsbeobachtung und Erfolgskontrolle durch den Gesetzgeber und damit der Rationalisierung und Optimierung politisch-rechtlicher Rechtsetzung. Insofern auch ist die Meinung, eine Darstellung der Konzeption der „Sunset legislation" sei entbehrlich, weil der Besonderheiten der amerikanischen Verwaltung und Gesetzgebung wegen eine direkte Übernahme der Sunset-Konzeption ausgeschlossen sei und in Europa nicht diskutiert werde, 443 unzutreffend. Obgleich eine unmittelbare Übernahme der Sunset-Konzeption in kontinentaleuropäische Rechtsordnungen in der Tat kaum in Frage kommt, könnte eine kritische Auseinandersetzung mit dem Konzept dieser Reformbewegung durchaus konstruktive Anregungen und Anhaltspunkte für einen effektiveren Einsatz des Instrumentes der Geltungs- und „Anwendungs"befristung geltender Gesetzestexte zum Zweck ihrer legislativen Erfolgskontrolle bieten. 444

2. Vergleich des US-amerikanischen Sunset-Konzepts mit neuesten rechts- und gesetzespolitischen Bestrebungen um einen rationalen Einsatz parlamentarischer Gesetzgebung auf Zeit in der Bundesrepublik Deutschland Der Sachverständigenrat „Schlanker Staat" hat in seinen im Dezember 1996 der Öffentlichkeit bekanntgegebenen Zwischenergebnissen seiner Arbeiten auch eine Reihe von Empfehlungen für eine Rationalisierung und Optimierung der Gesetzgebung erarbeitet. Er hat insbesondere auch einen Testkatalog für gesetzgeberische Vorhaben vorgelegt. Der Sachverständigenrat hat sich in diesem Testkatalog unter anderem für eine periodische nachträgliche Erfolgskontrolle 44

~ So mit Grund König, Zur fleisch (Hrsg.), Erfolgskontrolle vgl. ferner Hoffmann-Riem, Die Der Staat 23 (1984), S. 1 7 - 4 9 ,

Evaluation staatlicher Programme, in: Eichhorn/von Kortzbei der Verausgabung öffentlicher Mittel, S. 1 9 - 3 4 , 32f.; Reform staatlicher Regulierung in den USA. Ein Überblick, passim.

443 So Kindermann, Erfolgskontrolle durch Zeitgesetz, in: Schäffer / Tri ffterer tionalisierung der Gesetzgebung, S. 149.

(Hrsg.), Ra-

444 Zur Diskussion des Sunset-Konzeptes im europäischen rechts- und gesetzestheoretischen Schrifttum vgl. nur die hier zitierte französische, schweizerische und deutsche Literatur. Vgl. aber auch etwa die Ablehnung einer Einführung des Sunset-Konzepts bzw. einer Gesetzgebung auf Zeit von Seiten der bayerischen Staatsregierung und der bayerischen Kommission für den Abbau von Staatsaufgaben und für Verwaltungsvereinfachung; s. dazu Hellstern/ Wollmann, Wirksame Gesetzesevaluierung. Wo könnten praktikable Kontrollverfahren und Wirkungsanalysen bei Parlament und Rechnungshof ansetzen?, ZParl 11 (1980), S. 5 4 7 - 5 6 7 , 558; König, Zur Evaluation staatlicher Programme, in: Eichhorn/von Kortzfleisch (Hrsg.), Erfolgskontrolle bei der Verausgabung öffentlicher Mittel, S. 19 — 34, 33.

108

E. Rechtsvergleichende Überlegungen

der Gesetze durch den Gesetzgeber ausgesprochen.445 Er bezieht sich dabei vor allem auf Regelungen, die „erkennbar auf zeit- bzw. situationsbezogenen Anlässen beruhen". Soweit auf zeit- und situationsverhaftete Maßnahmegesetze nicht überhaupt verzichtet werden könne, müßten diese grundsätzlich mit einer Befristung versehen werden. Der Gesetzgeber solle aber jedenfalls verpflichtet werden, nach einem gewissen Zeitablauf zu prüfen, ob weiterhin Bedarf für die Weiterexistenz der Regelung bestehe. Die Entscheidung über die Verlängerung des Gesetzes biete zugleich die institutionalisierte Möglichkeit der Prüfung, ob das Gesetz im bisherigen Gesetzesvollzug Schwachstellen etc. aufgewiesen habe, die anläßlich der Verlängerungsentscheidung „ausgemerzt" werden könnten. Eine Verlängerung der Geltungsdauer wäre also nur dann statthaft, wenn sowohl der bisherige Erfolg als auch das Bedürfnis für das Fortbestehen der in Rede stehenden Gesetzesregelung nachgewiesen wären. Überhaupt ist der Sachverständigenrat der Auffassung, daß der Gesetzgeber die Möglichkeit einer Befristung von Rechtsvorschriften verstärkt in Betracht ziehen solle. Mit dem zweistufigen Evaluationsmodell, das aus einer Bedürfnisprüfung und einer darüber hinausgehenden Erfolgskontrolle des gesetzlichen Normtextes besteht, hat sich der Sachverständigenrat für eine Lösung entschieden, die dem sogenannten „Florida-Ansatz" des US-amerikanischen Sunset-Konzepts sehr nahe kommt. Florida war der erste jener Bundesstaaten, die die Frage nach der weiteren Existenzberechtigung einer Behörde (und des sie mit Amtsbefugnissen ausstattenden staatlichen Programms) neben der Frage nach der bisherigen Wirksamkeit in Form eines zweistufigen Kriterienkatalogs operationalisiert haben. 446 Im Gegensatz zum sogenannten „Colorado-Ansatz", der eine bloß funktional orientierte Evaluation zum Ziel hatte, die jedoch keinen Hinweis auf die grundsätzliche Notwendigkeit des staatlichen Programms zu liefern vermochte und damit dem „eigentlichen Kernanliegen von Sunset, Freiraum für die Übernahme neuer, dringlicherer Aufgaben zu schaffen" nicht gerecht wurde, nahm das Sunset-Gesetz des Bundesstaates Florida ansatzweise auch die Frage nach der weiteren Existenzberechtigung des Programms bzw. der entsprechenden Behörde in den Katalog der Evaluationskriterien auf Einer im Schrifttum vertretenen Meinung zufolge 447 sollte die Frage nach den funktionalen Evaluationskriterien (nämlich denen der Wirksamkeit und der 445 S. hierzu und zum folgenden: Sachverständigenrat „Schlanker Staat" (Hrsg.), Abschlußbericht, S. 15ff., hier S. 23; Meyer-Teschendorf ΊHofmann, Zwischenergebnisse des Sachverständigenrats „Schlanker Staat". Qualifizierte Aufgabenkritik - Testkatalog für den Gesetzg e b e r - F l e x i b i l i s i e r u n g des Haushaltswesens, D Ö V 1997, S. 2 6 8 - 2 7 7 , 271ff., 272. 44f i Langner, Zero-Base Budgeting und Sunset Legislation. Instrumente zur Rückgewinnung öffentlicher Handlungsspielräume?, S. 316. 447 Vgl. dazu Langner, Zero-Base Budgeting und Sunset Legislation. Instrumente zur Rückgewinnung öffentlicher Handlungsspielräume?, S. 316f.; vgl. auch Rürup/Färber, Programmhaushalte der „zweiten Generation". Idee, Arbeitsweise und Leistungsfähigkeit von Z B B , Sunset und RCB, D Ö V 1980, S. 6 6 1 - 6 7 2 , 666.

III. Zwischenergebnis

109

Effizienz) erst beantwortet werden, nachdem im Vorlauf zunächst ein fortbestehender öffentlicher Bedarf nach den Leistungen der in Rede stehenden Verwaltungsbehörde (und natürlich auch nach dem sie mit Amtsgefugnissen ausstattenden staatlichen Programm) festgestellt werden könne. Diese Reihenfolge der Analyseschritte ergebe sich bereits aus Gründen der Arbeitsökonomik, denn für eine Behörde (bzw. das sie ermächtigende staatliche Programm), der der Nachweis der Notwendigkeit ihrer Aufgaben (bzw. seiner Regelungen) mißlinge, erlangten Überlegungen zur Effektivität und/oder Effizienz ihrer Leistungen (bzw. seiner Regelungen) bloß akademischen Charakter. Die hier vorgeschlagene Reihenfolge der Analyseschritte übersieht aber, daß die nachträgliche Bedarfsprüfung — auch verfahrenstechnisch gesehen - eine ex post Kontrolle der Gesetzeswirksamkeit voraussetzt. Erst aufgrund des Nachweises des bisherigen Erfolges, also des Vergleichs des angestrebten Zustands, und damit des Ziels der Gesetzesnorm, mit dem bereits erreichten Zustand, kann sinnvollerweise die Frage gestellt werden, ob weiterhin Bedarf für die Weiterexistenz der Gesetzesnorm besteht. Denn nur dann, wenn der Soll-Zustand erreicht worden ist, kann ein Fortbestehen der Gesetzesregelung nicht mehr begründet sein. Der durch die befristete Gesetzesregelung angestrebte Soll-Zustand kann aber erreicht werden, entweder weil die Gesetzesnorm während der Geltungsdauer ihre volle Wirksamkeit entfaltet hat, oder weil es aus anderen, mit dem Gesetzesvollzug nicht zusammenhängenden, Gründen zu der endgültigen Lösung des gesellschaftlichen Problems im Regelungsbereich der Gesetzesnorm gekommen ist. Die Feststellung, ob der durch die Regelung angestrebte Zustand erreicht worden ist oder (noch) nicht, kann aber erst das Resultat einer vorher stattgefundenen Erfolgskontrolle sein. Diese Erfolgskontrolle kann bzw. muß, nachdem die darauf folgende Bedürfnis- bzw. Notwendigkeitsprüfung möglicherweise zum positiven Ergebnis geführt hat, noch durch eine Überprüfung der Frage ergänzt werden, welche Schwachstellen etc. das Gesetz im bisherigen Gesetzesvollzug aufgewiesen habe, die dann anläßlich der Verlängerungsentscheidung „ausgemerzt" werden können.

III. Zwischenergebnis Ein vergleichende Betrachtung der Erfahrungen mit der „sunset legislation" in den USA und der befristeten parlamentarischen Gesetzgebung in der Bundesrepublik Deutschland hat gezeigt, daß eine grundsätzliche zeitliche Limitierung aller gesetzgeberischen Vorhaben nicht erfolgversprechend erscheint, weil sie sich bisher als nicht sachgemäß erwiesen hat. 448 Mit Grund ist behauptet 44K Kindermann, Erfolgskontrolle durch Zeitgesetz, in: Schäffer/Triffterer (Hrsg.), Rationalisierung der Gesetzgebung, S. 149; Adams/ Sherman, Das „Sonnenuntergangs"-Konzept als erfolgversprechendes Instrument zum Abbau des Unbehagens an der öffentlichen Verwaltung, Verwaltungswissenschaftliche Informationen, Bd. 6 (1978), S. 8 0 - 8 4 , S. 83.

110

E. Rechtsvergleichende Überlegungen

worden, daß „die Forderung nach genereller zeitlicher Limitierung gesetzlicher Verpflichtungen in einem Staat, in dem wie die Bundesrepublik die Gesetzesnorm als staatliche Handlungsform ein bestimmendes Merkmal seiner Rechtstradition ist, und der seine vielfältigen gesetzlichen Bindungen im Innenverhältnis zu Bürgern und nachgeordneten Aktionsebenen sowie im Außenverhältnis zu fremden Staaten und internationalen Organisationen insbesondere aus Gründen der Rechtssicherheit und Rechtsklarheit eingegangen ist, nicht nur wenig realitätsnah (erscheint), sondern auch in normativem Sinne nicht wünschenswert ist." 449 Für eine Befristung der Geltungsdauer zwecks nachträglicher Erfolgskontrolle durch den Gesetzgeber am besten geeignet dürften Fördermittelund Leistungsgesetze sein, 450 weil einerseits bei ihnen die periodische Erfolgskontrolle wohl mit einer breiteren politischen Zustimmung rechnen könnte 451 und andererseits ihre Wirksamkeit quantitativ besser meßbar ist. 452 Das Konzept einer ex post-Erfolgskontrolle, in deren Rahmen mit der Prüfung der Wirksamkeit und Nachbesserungsfähigkeit der Gesetzesnorm eine nachträgliche Überprüfung der Frage nach dem grundsätzlichen Regelungsbedarf gekoppelt wird, ist schließlich besser geeignet als das einfachere Evaluationsmodell, zu einer systemrationalen Reform der politisch-rechtlichen Entscheidungsprozesse zu führen.

449

Langner, Zero-Base Budgeting und Sunset Legislation. Instrumente zur Rückgewinnung öffentlicher Handlungsspielräume?, S. 388. 450 Langner, Zero-Base Budgeting und Sunset Legislation. Instrumente zur Rückgewinnung öffentlicher Handlungsspielräume?, S. 388. 451

So Hellstern / Wollmann, Wirksame Gesetzesevaluierung. Wo könnten praktikable Kontroll verfahren und Wirkungsanalysen bei Parlament und Rechnungshof ansetzen?, ZParl 11 (1980), S. 5 4 7 - 5 6 7 , 558. 452 Kindermann, Erfolgskontrolle durch Zeitgesetz, in: Schäffer/Triffterer lisierung der Gesetzgebung, S. 149.

(Hrsg.), Rationa-

F. Zusammenfassung und Ausblick Die Geltungsbefristung bietet der parlamentarischen Rechtsetzung in der heutigen Informations- und Wissensgesellschaft ein gesetzgebungsmethodisches Steuerungsinstrument neben anderen zum Zweck einer Erfolgs- und Wirksamkeitskontrolle der Parlamentsgesetze.453 In Zeiten, in denen Gesetzgebung sich immer mehr als Rechtsetzung unter Ungewißheitsbedingungen versteht 454, wird die Forderung nach mehr Informationen über das Gesetz statt im bzw. durch das Gesetz455 immer lauter. Das Verlangen nach Nachprüfbarkeit, Anpassungsfähigkeit und Abänderbarkeit legislativer Verhaltens- und Entscheidungsprogramme führt unter anderem auch zum Einbau von Geltungs- und Anwendbarkeitsbefristungen, denn sie können zu einer Selbsterneuerung und Aktualisierung der Gesetze unter veränderten wirtschaftlichen, politischen, kulturellen und sonstigen gesellschaftlichen Bedingungen beitragen. Insbesondere Maßnahmegesetze und vorläufige Gesetze (Krisen-, Gelegenheits- bzw. ad hoc-Gesetze etc.) sollten zunehmend befristet werden. Der Gesetzgeber soll auch solche Maßnahmegesetze, die ihrem Verbindlichkeitsbereich schlüssig bestimmbare zeitliche Grenzen ziehen und somit bereits Zeitgesetze (im weiteren Sinne) darstellen, 456 im Interesse der Durchführung einer gesetzgebungsinternen Erfolgskontrolle in ihrer Geltungsdauer befristen. 457 Unbefristete Übergangs-, Überbrückungs- und Einführungsgesetze sollten immer befristet werden. Zeitgesetze sollten jedoch nicht als ein gesetzgebungsmethodisches Allheilmittel verstanden werden. 458 Grenzen der Leistungsfähigkeit befristeter Gesetze als Anstoßes für Wirkungskontrollen sind bereits in der frühzeitigen Parteipolitisierung des Gesetzgebungsprozesses sichtbar. 459 Ferner liegt die Gefahr der Überschätzung der Leistungsfähigkeit von gesetzlichen Geltungsbefristungen in 453

Siehe Hill, Gesetzgebung in der postindustriellen Gesellschaft, ZG 10 (1995), S. 85.

454

Bussmann, Rechtsetzung unter Unsicherheit, in: Gesetzgebung heute, S. 3 9 - 5 2 .

455

Hill, Gesetzgebung in der postindustriellen Gesellschaft, ZG 10 (1995), S. 85.

45il

Vgl. Oertel, Der Zeitfaktor im öffentlichen Wirtschaftsrecht, S. 102.

457

Vgl. die Empfehlungen in Sachverständigenrat „Schlanker Staat" (Hrsg.), Abschlußbericht, S. 23. 45K Bülow, in: Benda /Maihofer S. 1459-1498, Rn. 65.

4 ι;

· Schulze-Fielitz,

/ Vogel (Hrsg.),

Theorie, S. 513.

Handbuch des

Verfassungsrechts,

112

F. Zusammenfassung und Ausblick

der Überschätzung der Steuerungsleistung gesetzlicher Regelungen überhaupt. Es wurde im Schrifttum - mit Recht - die Ansicht vertreten, 460 der Idee der Gesetzesbefristung liege ein Verständnis vom Parlamentsgesetz zugrunde, demzufolge durch das Gesetz und seine Textänderungen die Rechtswirklichkeit zentral und nachhaltig gesteuert werden könnte. Diese Vorstellung sei in empirischer, staats- und verfassungstheoretischer, rechtstheoretischer und analytischer Hinsicht überprüfungsbedürftig. Die Hauptprobleme einer Flexibilisierung der Rechtsordnung durch zeitoffene Gesetzgebung seien nicht so sehr in der Art der Ausgestaltung der zeitlichen Geltungsdauer parlamentarischer Gesetze zu suchen.461 Eine „Zeitöffnung" der parlamentarischen Gesetzgebung durch befristete Gesetze stoße „schon deshalb auf Grenzen, weil ihr zentralisierter Steuerungsanspruch den Staat zu überfordern" drohe; eine zeitoffene Gesetzgebung müsse hingegen in erster Linie auf den verschiedenen Stufen der untergesetzlichen Gesetzeskonkretisierung sowie bei den einzelnen Gesetzen immanenten zeitrelevanten Regelungselementen (unter Berücksichtigung ihrer sachbereichsspezifischen Besonderheiten) ansetzen.462 Eine Pluralität von Formen dezentraler Rechtsetzung und die Verlagerung von Normsetzungsbefugnissen auf niedrigere Stufen der Normhierarchie bietet dem parlamentarischen Gesetzgeber erhebliche Entlastungsmöglichkeiten.463 4h