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German Pages 224 [217] Year 1988
Tendenzkunst-Debatte 1910-1912
TEXTAUSGABEN ZUR FRÜHEN SOZIALISTISCHEN LITERATUR IN DEUTSCHLAND Begründet von BRUNO KAISER und weitergeführt von URSULA MÜNCHOW Herausgegeben
vom
Zentralinstitut für Literaturgeschichte der Akademie der Wissenschaften der DDR Band XXVII (Theorie)
Tendenzkunst-Debatte 1910-1912 Dokumente zur Literaturtheorie und Literaturkritik der revolutionären deutschen Sozialdemokratie
Herausgegeben und eingeleitet von TANJA
BÜRGEL
Akademie-Verlag Berlin 1987
Wissenschaftlich-technische Arbeiten und Personenregister: Gerda Paff
Der Abdruck des Aufsatzes von Lu Märten: „Zur ästhetisch-literarischen Enquete" erfolgt mit freundlicher Genehmigung von Frau Prof. Dr. Hildegard Brenner.
I S B N 3-05-000420-7 I S S N 0081-3257 Erschienen im Akademie-Verlag Berlin, Leipziger Straße 3—4, DDR - 1086 Berlin, © Akademie-Verlag Berlin 1987 Lizenznummer: 202 • 100/117/87 Printed in the German Democratic Republic Gesamtherstellung: IV/2/14 V E B Druckerei „Gottfried Wilhelm Leibniz", 4450 Gräfenhainichen Lektor: Jutta Kolesnyk L S V 8027 Bestellnummer: 7547468 (2119/XXVII) 016000
INHALT
EINLEITUNG TEXTE
VII 1
I Heinz Sperber: Kunst und Industrie Heinz Sperber: Tendenziöse Kunst Rudolf Franz: Tendenzkunst und Kunsttendenz Heinz Sperber: Wo steckt der Dichter? Heinz Sperber: Missa Solemnis Heinz Sperber: Humor H[einrich] Ströbel: Humor Heinz Sperber: [Zu Heinrich Ströbel: Humor] Heinz Sperber: Oedipus im Zirkus Heinrich Ströbel: Eine ästhetische Werttheorie Heinz Sperber: Vorpostengefechte F[riedrich] S[tampfer]: Kunst und Klassenkampf Heinz Sperber: Die Theatersaison Friedrich Stampfer: Klasseninstinkt und Kunstverständnis . Heinz Sperber: Klasseninstinkt und Kunstverständnis . . . . Ernst Link: Kunst und Klasse Franz Mehring: [Auszug aus: Freiligrath und Marx in ihrem Briefwechsel] Klarsten] H[einricli] Döscher: „Die Aesthetik der schwieligen Faust" Heinz Sperber: Mehring, Wendel und Unfug [Karsten Heinrich] D[öscher]: [Die polemischen Gelüste des Genossen Mehring] F[ranz] M[ehring]: Eine ästhetisch-literarische Enquete . . . Heinz Sperber: Wegmarken proletarischer Kunst [Karsten Heinrich Döscher/Franz Mehring]: [Die unterdrückte Meinungsfreiheit] Heinrich Ströbel: Kunst und Proletariat Lu Märten: Zur ästhetisch-literarischen Enquete
3 10 14 17 21 25 29 34 37 40 49 53 57 61 64 67 74 75 78 79 81 82 86 89 96 V
W[illy] Zimmer: Die „proletarische" Kunst? Robert Grötzsch: Kunst und Arbeiterschaft
101 110
II Clara Zetkin: Kunst und Proletariat Kurt Eisner: Karl Marx' Kunstauffassung Eduard Bernstein: Klassenromantik Rudolf Franz: [Auszug aus]: Theater und Volk
115 127 132 142
ANHANG
157
Anmerkungen der Herausgeberin Abkürzungen Anmerkungen zur Einleitung Anmerkungen zu den Texten
159 159 160 163
Personenregister
170
EINLEITUNG
I Die „Tendenzkunst-Debatte" („Sperber-Debatte") ist die letzte konzentrierte Diskussion zum Verhältnis Kunst und Klasse, die deutsche Sozialdemokraten vor dem ersten Weltkrieg führten. Provoziert wurde sie im Sommer 1910 durch eine Folge von Feuilleton-Beiträgen des holländischen Dramatikers Herman Heijermans (Heinz Sperber) im Zentralorgan der SPD. Einschließlich einiger resümierender Stellungnahmen erstreckte sich die Auseinandersetzung bis hinein ins Jahr 1914. Die Heftigkeit und Aggressivität, mit der die Debatte auch von den zahlreichen Gegnern der Sperberschen Position geführt wurde, belegt, daß die Provokation zentrale, neuralgische Punkte der kunsttheoretischen und kulturpolitischen Positionen deutscher Sozialdemokraten getroffen hatte. Sperbers scharfe Polemik begann mit der allgemein anerkannten Feststellung zunehmender Kommerzialisierung von Kunst im imperialistischen Kulturbetrieb, Intellektuell führende Sozialdemokraten verhielten sich, wie Sperber meinte, solchen Tendenzen gegenüber „unkritisch". Die in der Partei nahezu einhellig vertretene Uberzeugung, daß sich eine sozialistische Kunst im Kapitalismus nicht herausbilden könne, erregte seinen Widerspruch. Sperber forderte eine sozialistische Gegenwartskunst und deren Förderung durch die Arbeiterorganisation. Sie sei notwendig, um den verderblichen Einflüssen der modernen Kulturindustrie auf die Künste entgegenwirken zu können. Die „proletarische Tendenz" solcher Kunst wertete Sperber als notwendiges Durchgangsstadium zu zukünftigen großen sozialistischen Kunstleistungen. Den „proletarischen Klasseninstinkt" erklärte er zur einzigen Instanz bei der Bewertung von Kunstwerken, was seine Diskussionsgegner besonders scharf zurückwiesen. „Tendenz", „Klasseninstinkt" und „Klassenkunst" waren schließIX
lieh die Begriffe, die nochmals, kurz vor dem Zusammenbruch der II. Internationale, der Oktober- und Novemberrevolution alle wesentlichen kunsttheoretischen und kulturpolitischen Positionen deutscher Sozialdemokraten auf den Plan riefen. Über Sperbers Forderungen hinaus erfaßte die Debatte den gesamten Katalog bis dahin diskutierter Probleme. Das betrifft das Problem der Tendenzkunst, das Verhältnis zum klassischen Kunsterbe, die Haltung gegenüber modernen bürgerlichen Kunstrichtungen und dem imperialistischen Kulturbetrieb. Darin besteht ihr besonderer kultur- und theoriegeschichtlicher Dokumentationswert. Die Debatte ist bisher nicht umfassend dokumentiert worden. Die Wiedergabe von Auszügen beschränkte sich bislang auf die Auseinandersetzung zwischen Sperber und Stampfer im Vorwärts und in der Volksbühne.1 Die gründlichste Aufarbeitung hat Georg Fülberth in seinen um 1970 publizierten Untersuchungen geleistet. 2 Die Debatte verlief allerdings etwas breiter, als Fülberths Darstellung sie erfaßte (so bleiben u. a. zwei Beiträge Sperbers — die dessen Position konkretisieren — oder der Beitrag Eduard Bernsteins zur Debatte unerwähnt). Fülberth verstand seine Arbeiten zur sozialdemokratischen Literaturtheorie und -kritik als Beitrag zu einer K u l turgeschichte der deutschen Arbeiterbewegung. Sie ordneten sich in ein allgemeineres kulturhistorisches Forschungsinteresse jüngerer westdeutscher Sozial- und Kunstwissenschaftler ein. Im Zusammenhang mit der Studentenbewegung und in deren Folge richtete sich dieses Interesse auf politisch oppositionelle Literat urund Kulturtraditionen, die von der bürgerlichen Forschung unbeachtet geblieben waren. Dabei dominierten lange Zeit Untersuchungen zu theoretischen und kultur konzeptionellen Phänomenen. Die Geschichte der Arbeiterbewegung wurde befragt nach Modellen einer „ S u b - " oder „Gegenkultur" im Kapitalismus. Frank Trommler versuchte in seiner 1976 veröffentlichten Überblicksdarstellung diese Einseitigkeit zu überwinden und den vielfältigen Vermittlungen zwischen sozialdemokratischer Theorie, Politik und Literatur (bürgerlicher wie proletarischer) nachzugehen. 3 Aber auch hier stehen Theorien und Konzeptionen auffällig im Vordergrund. Erst relativ spät sind in der B R D einige Studien publiziert worden, die sich mit der tatsächlichen, empirisch nachweisbaren Literatur in der Arbeiterbewegung beschäftigen. D a z u gehören die Arbeiten von Dirk Hoff mann und Kristina Zerges. Beide Publikationen untersuchen die sozialdemokratische Presse als X
wirksamste Form der Verbreitung von Literatur in der Arbeiterbewegung. 4 In ihrem Aufsatz Kunst und Proletariat hat sich die DDR-Kulturwissenschaftlerin Uta Burggraf ausführlich mit „linken" Arbeiten zur proletarischen Kultur- und Literaturtradition in der B R D auseinandergesetzt. Sie registriert dabei „Grundpositionen, die den gesamten historischen Entwicklungsprozeß der Arbeiterklasse als 'Verbürgerlichung' fassen". Die Analyse der Forschungsliteratur ließe auf eine Prämisse schließen, „die das Proletariat dann am proletarischsten findet, wenn es sich gewissermaßen im 'unbefleckten Zustand' befindet". 5 Diese Suche nach dem „Rein-Proletarischen" muß aber an den tatsächlichen, widersprüchlichen Prozessen proletarischer Kulturtradition vorbeigehen. Die Prozesse vollzogen sich selbstverständlich nicht im „proletarisch-reinen" Milieu, sondern in der kapitalistischen Gesellschaft, unter dem dominanten Einfluß herrschender Kultur. Auch die kunsttheoretischen und kunstpolitischen Auffassungen führender Sozialdemokraten können so nicht an mehr oder weniger abstrakten Vorstellungen einer kulturellen „Gegenöffentlichkeit" proletarischer Prägung gemessen werden. Vielmehr gilt es, „vorhandene theoretische Überlegungen zur Klassenlage und zur Lebensweise des Proletariats ins Verhältnis zu setzen, sie konkret danach zu befragen, ob sie auf reale Bedürfnisse, die aus den Arbeits-, Lebens- und Kampfbedingungen erwuchsen, zielten". 6 In der D D R begann die wissenschaftliche Beschäftigung mit der Literatur der Arbeiterbewegung wesentlich früher als in der B R D . Auch hier widmete man sich anfänglich vorrangig theoriegeschichtlichen Aspekten. Bereits Ende der fünfziger Jahre lag eine Reihe von Publikationen vor, die vor allem die hervorragende Stellung Franz Mehrings bei der literaturtheoretischen Positionsbildung vor 1914 herausgearbeitet hatten. 7 Dagegen mußte Ursula Münchow noch 1964 feststellen: „Die gesamte Forschung über die Entwicklung der sozialistischen Literatur und Literaturkritik von 1869 bis 1917 steckt noch in den Anfängen." 8 Inzwischen liegen mehr als fünfundzwanzig Bände der Reihe „Textausgaben zur frühen sozialistischen Literatur" vor. Ursula Münchow, die Wesentliches für diese Reihe geleistet hat, veröffentlichte vor wenigen Jahren ihre kenntnisreiche Gesamtdarstellung Arbeiterbewegung und Literatur. 1860—1914.9 Diese XI
Bücher belegen, wie gründlich und kontinuierlich der Gegenstand in der D D R bearbeitet worden ist. Sie erfaßten vor allem jene Werke, die sich als Vorläufer oder Wegbereiter einer großen sozialistisch-realistischen Literatur im zwanzigsten Jahrhundert einordnen ließen. Kriterien für die Auswahl und Bewertung des umfangreichen Materials bildete die geistige Nähe zum Marxismus und zu den Arbeiterorganisationen. Auch das wissenschaftliche Interesse an literaturtheoretischen und kulturpolitischen Positionen in der Arbeiterbewegung konzentrierte sich vorrangig auf die marxistische Traditionslinie. Neben der im Umfang und in der relativen Geschlossenheit hervorragenden Position Mehrings wurden inzwischen auch die Beiträge Clara Zetkins und Rosa Luxemburgs und die Positionen einer Reihe ausländischer Marxisten in der Zeit der II. Internationale aufgearbeitet. 10 Die mit dem vorliegenden Band abschließende Dokumentation literaturtheoretischer und -kritischer Diskussionen in der deutschen Arbeiterbewegung vor 1914 kann dabei insofern einen weiterführenden Beitrag leisten, als sie die marxistischen Positionen in den historisch konkreten Auseinandersetzungen mit anderen Standpunkten zeigt. Besser als jede Darstellung erfaßt die Dokumentation das gesamte Spektrum der Auffassungen zu Kunstprozessen und macht zugleich deutlich, wovon sich marxistische Positionen abzugrenzen hatten und bei welchen Anlässen sie zu bestimmten Fragen Stellung beziehen mußten. Seit einer Reihe von Jahren beschäftigt sich auch die kulturhistorische Forschung in der D D R intensiver mit kulturellen Phänomenen, die sich aus der Lage und Lebensweise des Proletariats im Kapitalismus ergeben. Die Jahrzehnte um 1900 finden dabei besondere Aufmerksamkeit. 11 Diese Arbeiten zur Kulturgeschichte des Proletariats vermittelten den Literaturwissenschaftlern wichtige Anregungen. Einen Versuch, kultur- und literaturhistorische Erkenntnisse aufeinander zu beziehen, stellt der von Dietrich Mühlberg und Rainer Rosenberg herausgegebene Band Literatur und proletarische Kultur (1983) dar. 12 Auch hier ging es um die Auseinandersetzung mit Thesen bürgerlicher Kulturhistoriker, in denen zwischen Arbeiterkultur und Arbeiterbewegungskultur unterschieden wird. Während in den Arbeiten zur Arbeiterkultur wiederum das „Rein-Proletarische" gesucht wird, reduziert man die kulturhistorischen Leistungen der Arbeiterbewegungskultur vor 1914 XII
häufig auf theoretische und ideologische „Fehlleistungen" der führenden Kräfte. Dagegen muß die marxistische Literatur- und Kulturgeschichtsschreibung, wie der Band zeigt, von den tatsächlichen, widersprüchlichen Prozessen proletarischer Kultur im Kapitalismus ausgehen. In der kulturell-organisatorischen Praxis der Bewegung, die sich in Auseinandersetzung mit dem herrschenden Kulturbetrieb herausbildete, entstanden auch die Fragen nach theoretischen und strategischen Orientierungen, wie sie in den großen Kunstdebatten verhandelt wurden. II Im folgenden soll zunächst der Frage nachgegangen werden, welche Motive den holländischen Sozialdemokraten, Dramatiker und Journalisten Herman Heijermans (1864—1922) veranlaßten, die Kunstkritik und die kulturellen Organisationen der deutschen Sozialdemokraten so scharf zu attackieren. 13 Als Heijermans 1910 seine ersten Beiträge zur Debatte veröffentlichte, lebte er schon drei Jahre in Berlin. 1907 war er aus Amsterdam in die deutsche Metropole gekommen, um sich hier als freier Schriftsteller niederzulassen. Zu diesem Zeitpunkt galt er bereits als international anerkannter Dramatiker, als bedeutendster Vertreter des niederländischen Naturalismus auf dem Theater. Seine Stücke wurden an bedeutenden Bühnen Europas inszeniert. Es gab Übersetzungen der Werke ins Englische, Französische, Deutsche und Italienische. Der Durchbruch zu internationaler Anerkennung gelang Heijermans 1898 mit der Premiere von Ghetto in Amsterdam. Die Kritik lobte die detailgetreue, sensible und poetisch-humorvolle Schilderung des jüdischen Ghettomilieus, das präzise Erfassen von Rassen- und Religionsbeschränktheiten in diesem naturalistischen Stück. 14 Die Uraufführung war ein aufsehenerregender Erfolg. Knapp zwei Jahre später hatte dann Heijermans Drama Op hoop van zegen (In Hoffnung auf Segen) in der niederländischen Hauptstadt Premiere, mit dem er seinen internationalen Ruf als sozialistischer Dramatiker begründete. Der Name Heijermans stand von da an neben Gorki und Andersen Nexö als hervorragendes Beispiel für die Möglichkeiten einer sozialistischen Kunstentwicklung in der kapitalistischen Gegenwart. Die Berliner Freie Volksbühne hatte In Hoffnung auf XIII
Segen schon ein Jahr nach der niederländischen Erstaufführung auf ihrem Spielplan. Das Stück handelt in einem kleinen Fischerdorf an der Nordseeküste. Es schildert einen tragischen Konflikt zwischen dem schrankenlos über Macht und Gewalt verfügenden Reeder und den in fataler Abhängigkeit und Armut lebenden Fischerfamilien. Nach Anlage des Dramas soll das Schicksal der Fischer, ihre existenzielle Abhängigkeit von der Willkür des Reeders, Betroffenheit und Empörung beim Zuschauer auslösen. In Hoffnung auf Segen wurde auch von der deutschen sozialdemokratischen Kritik mit Interesse und Zustimmung aufgenommen. 15 Als dieses Drama entstand, war Heijermans schon Sozialdemokrat. Seine Absicht, als anerkannter Dramatiker und Journalist die Interessen der Arbeiterbewegung zu vertreten, führte ihn wenige Jahre später zu dem Entschluß, nach Berlin zu gehen. Berlin war das Zentrum der stärksten, am besten organisierten Arbeiterbewegung in Europa. Hier existierte nicht nur eine Großstadtkultur modernster Prägung, sondern auch ein ganzes Netz sozialdemokratischer Kultur- und Bildungseinrichtungen. Die deutsche Arbeiterbewegung verfügte über eigene Verlage, Zeitungen und Zeitschriften, eine Vielzahl von proletarischen Theatervereinen und die mitgliederstarke Theaterorganisation Freie Volksbühne. Heijermans hoffte in diesen Organisationen ein breites Terrain für die Entfaltung der eigenen Produktivität zu finden. Im Herzen der europäischen Arbeiterbewegung wollte Heijermans als Theaterkritiker, Journalist und Dramatiker an der Entwicklung einer sozialistischen Presse und Kunst mitwirken. Ein Jahr nach seiner Übersiedlung veröffentlichte er in deutscher Sprache sein Berliner Skizzenbuch. Die Reportageminiaturen, eine Mischung aus journalistischem Report und literarischer Skizze, widerspiegeln erste Eindrücke Heijermans von der deutschen Metropole. Mit solchen Skizzen über den Alltag hatte er sich zuvor schon bei seinen niederländischen Landsleuten einen Namen gemacht. Die Berliner Skizzen berichten jedoch nicht nur vom Alltag der Menschen in dieser Stadt. Heijermans schildert hier auch, was er selbst während einer Nacht im Berliner Obdachlosenasyl erlebte oder wie er als Statist das Theater Max Reinhardts kennenlernte. Einige dieser Arbeiten erinnern an Reportagen, wie sie später Egon Erwin Kisch schrieb. Die Skizzen zeigen Heijermans als einen kritischen, scharfzünXIV
gigen Beobachter. Im Vordergrund seiner Betrachtungen steht das sozial- und kulturkritische Interesse an den Entwicklungsphänomenen in der modernen Großstadt. Dieser engagierte, kritische Blick prägte auch die ersten Beiträge zur Debatte im Jahre 1910. Im Aufsatz Kunst und Industrie (Teil 1 und 2), der die Diskussion einleitete, entwickelte Heijermans (von nun an Heinz Sperber) die interessantesten Punkte seiner Argumentation, die allerdings im Verlauf der Debatte weitgehend in Vergessenheit gerieten. Weitaus energischer und deutlicher als die meisten sozialdemokratischen Kritiker apostrophierte er aktuelle Auswirkungen imperialistischer Vergesellschaftungsprozesse im kulturellen Bereich. Er charakterisierte wesentliche Erscheinungen des imperialistischen Literatur- und Theaterbetriebes: „Industrialisierung" und Kommerzialisierung; Konzentration ökonomischer und kulturpolitischer Macht auf wenige große Verlagsunternehmen, die den Literaturmarkt beherrschten; Geschmacksmanipulation (Ausstattung, „Amerikanismus") im großstädtischen Theaterbetrieb; schließlich die Unterwerfung der Künstler unter das kommerzielle Diktat. Solche Verhältnisse hätten, wie Sperber meinte, einen durchweg verderblichen Einfluß auf die Kunstentwicklung. Hier könnten bestenfalls noch „Kunst-Surrogate", keinesfalls aber noch wirkliche Kunst entstehen. „Wirkliche" Kunst ist für ihn in erster Linie abhängig von der Gesinnung, der Weltanschauung des Künstlers. Ein Zustand, der die Künstler zwinge, ihre Gesinnung zugunsten des Geschäftsinteresses zu verraten, sei im Interesse der Kunstentwicklung nicht akzeptabel. An diesem Punkt seiner Argumentation setzte Sperbers scharfe Kritik an der Literatur- und Kunstkritik der Sozialdemokratie ein. Die oppositionelle „Schlagkraft" sozialdemokratischer Kritik an diesen Zuständen entsprach nicht seinen Erwartungen. Die sozialdemokratischen Kritiker hätten, so sein Vorwurf, ein durchweg unkritisches Verhältnis gegenüber den aktuellen Phänomenen des herrschenden Kunstbetriebes wie gegenüber der bürgerlichen Kunst und Kunsttradition überhaupt. Sie, die einerseits die politische Tendenz sozialistischer Dichtungen verwarfen, hätten sich andererseits „auf der üblichen Tendenz blind gestarrt". Die Tendenz bürgerlicher Kunst und Kunsttradition könnten sie nicht mehr wahrnehmen. Statt dessen sei es aber die vorrangige Aufgabe der Sozialdemokraten, den gesamten bürgerlichen Kunstbetrieb wie alle bürgerXV
liehe Kunst „unbarmherzig zu kritisieren". 16 Sperber forderte nicht nur Kritik am herrschenden Kunstbetrieb, sondern darüber hinaus die strikte Verwerfung aller Kunst vergangener Epochen als Klassenkunst, die den Interessen des Proletariats nicht gerecht werden könne. Zur höchsten und einzigen Instanz der ästhetischen und weltanschaulichen Beurteilung von Kunst erklärte er die nur ungenau bestimmte Kategorie des proletarischen „Klasseninstinktes". Indem er den Bogen in dieser Weise bis zur Radikalität überspannte, lieferte er seinen zahlreichen Gegnern in der Diskussion die Argumente. Sperber hatte, wie gesagt, ein persönliches Interesse daran, seine Position in die kulturpolitischen und kunstkritischen Debatten der deutschen Sozialdemokraten einzubringen. Seine Radikalität läßt sich auch darauf zurückführen, daß Sperber davon ausging, eine Diskussion zu diesem Zeitpunkt anders nicht provozieren zu können. Der Verlauf der Debatte belegt, daß solche Überlegungen nicht unbegründet waren. Die sozialdemokratischen Kritiker der Sperberschen Position waren keineswegs freudig bereit, auf das Diskussionsangebot einzugehen. Sperbers radikale Argumentation zu Fragen der ästhetischen Wertung und des künstlerischen Erbes verweist aber vor allem auf die Hilflosigkeit und Schwäche seiner Rebellion. Sperber war kein Theoretiker. In den Fragen der Ästhetik waren ihm rechte wie linke Kontrahenten fast durchweg überlegen. Ausgangspunkte seiner Kritik waren auch weniger theoretische Überlegungen als Beobachtungen der journalistischen und kulturell-organisatorischen Praxis in der Arbeiterbewegung. Sperber differenzierte nicht zwischen unterschiedlichen theoretischen und konzeptionellen Positionen, setzte sich auch nicht mit bestimmten Haltungen auseinander. Seine Kritik trug den Charakter eines „Generalangriffs". Nachdem er seine Forderungen zunächst speziell an die sozialdemokratischen Kritiker gerichtet hatte, wandte er sich in einem zweiten Schritt den Kulturorganisationen zu. Der Berliner Freien Volksbühne warf er vor, zu einem „Konsumverein für die Vermittlung bürgerlicher Kunst" verkommen zu sein. Die proletarischen Theatervereine glaubten, wie er meinte, an den „Betrug der bürgerlichen Kunst" und würden auf diesem trügerischen Wege „ruhig einherschreiten". 17 In einem Vortrag vor der Generalversammlung der Freien Volksbühne 1911 forderte er XVI
dazu auf, das Programm der Organisation grundsätzlich zu verändern. 18 Angesichts der kapitalistischen Verwertungsmechanismen im Kunstbetrieb sei es nicht hinreichend, eine sozialistische Kunst tatenlos von der zukünftigen Gesellschaft zu erwarten. Bereits in der Gegenwart müsse damit begonnen werden, eine solche Kunst bewußt herauszubilden. Die Arbeit der Freien Volksbühne dürfe sich deshalb nicht darauf beschränken, das Repertoire bürgerlicher Theater an ein proletarisches Publikum zu vermitteln. Sperber verlangte, Experimente sozialistischer Theaterkunst in den Mittelpunkt der Vereinstätigkeit zu stellen. An diesem Punkt der Argumentation gewinnen die zentralen Begriffe der Diskussionsvorgabe Tendenz und Weltanschauung besondere Relevanz. Sperber versteht Tendenz nicht, oder zumindest nicht vorrangig, als direkte, plakative Agitation mit künstlerischen Mitteln, wie es ihm in der Debatte wiederholt unterstellt wurde. Stattdessen bedeutet Tendenz hier Einschreibung proletarischer Weltanschauung in Kunst, heißt künstlerische Produktion, Kunstkritik und Rezeption vom Bewußtsein, von der Position der Klasse aus. Sozialistische Tendenzkunst ist für Sperber notwendiges Durchgangsstadium auf dem Wege zu einer zukünftigen „wirklichen" Kunst in einer klassenlosen Gesellschaft. Notwendig ist eine solche Kunst für ihn vor allem in einem weltanschaulich und politisch oppositionellen Sinne: als Kampfkunst, die sich gegen die Wirkungen des herrschenden Kunstbetriebes richtet. Wie Sperber den proletarischen „Klasseninstinkt" zum Richter über die Qualität künstlerischer Leistungen erhebt, deutet aber bereits darauf hin, daß es hier weniger um eine wissenschaftlich begründete Weltsicht der Klasse geht. Sperber interessiert die Funktion der Weltanschauung für die Kunstentwicklung wie andererseits die Funktion der Künste in bezug auf die Weltanschauung. Sein Argument, proletarische Weltanschauung bleibe ohne entsprechende Kunstentwicklung ein „seelenloses Etwas", Weltanschauung sei letztlich ohne entsprechende Kunstentwicklung nicht möglich, wog schwer, wurde aber bei den sozialdemokratischen Kritikern wenig beachtet. Proletarische Weltanschauung müsse aber auch in den Kunstprozeß eingebracht werden, um den für die Kunstentwicklung verderblichen Einflüssen der 2
Bürgel, Tendenzkunst
XVII
herrschenden Klasse und ihrer Weltanschauung entgegenzuwirken. Was hier eingebracht werden soll, das ist vor allem der Anspruch der Klasse auf politische und soziale Emanzipation, auf Erneuerung der Gesellschaft. Dies bedeutet für ihn auch Anspruch auf eine neue Kunst. Proletarische Tendenzkunst, Vorläufer einer neuen Kunst hat ihre Basis für Sperber in der Klassenposition sozialistischer Autoren und Künstler. Die Autoren sollen neue Haltungen, Inhalte und Gegenstände in die künstlerische Gestaltung einführen. Die Probleme der Gestaltung selbst bleiben aüsgespart. Die wichtige Frage, ob die überlieferten Kunstformen noch funktionieren können, wenn es gilt, neue weltanschaulichkünstlerische Inhalte zu transportieren, wird nicht gestellt. Im Konzept Sperbers bleibt Tendenzkunst insgesamt nur der „saure Apfel", in den man 'beißen muß, um den Klassenkampf auch auf künstlerischem Gebiet führen zu können. Eine „wirkliche" neue Kunst werde erst jenseits der Klassengesellschaft möglich. In diesem Punkt stimmt er mit den meisten seiner sozialdemokratischen Kritiker überein. „Wirkliche" Kunst habe ihre Wurzeln in einer vollkommen sozialharmonischen Gemeinschaft, wie er sie historisch rückblickend in der Antike und Renaissance sieht. Hier zeigt sich, daß Sperber, wie andere sozialdemokratische Intellektuelle jener Zeit, dem klassischen Kunstideal Schillers näher stand als einer marxistisch fundierten Kunst- und Gesellschaftsauffassung. Widersprüchlich bleibt Sperbers Position, wenn er einerseits alle bisherige Kunst als Klassenkunst ablehnt, andererseits aber in der Sklavenhaltergesellschaft die Vorbilder künftiger „wirklicher" Kunstentwicklung entdeckt. Einerseits hält er Dramen wie Sophokles' König Ödipus oder Goethes Faust vom Standpunkt des Proletariats aus für gänzlich überholt, andererseits behauptet er, die Arbeiterbewegung könne die klassischen Traditionen besser fortführen als die Bourgeoisie. So zeichnen sich Sperbers „sozialästhetische Betrachtungen" auch dadurch aus, daß er nicht bei seinem Leisten bleibt, sondern immer wieder forsch in theoretische Regionen vorstößt, denen er letztlich nicht gewachsen ist. Seine Gegner in der Debatte hatten dies schnell herausgefunden. Sie konzentrierten sich auf die Inkonsequenz und Widersprüche in Sperbers Beiträgen. Einige unter ihnen waren bereit, die produktiven Fragestellungen der Provokation herauszuarbeiten und für XVIII
eine weiterführende Überprüfung der eigenen Standpunkte zu nutzen. Sperbers Forderungen nach Tendenz, nach sozialistischer Kunst und Kunstkritik in der kapitalistischen Gegenwart trafen auf eine Situation, in der dies für linke wie rechte Sozialdemokraten eigentlich kein Diskussionsgegenstand mehr war. Abgesehen von Sperbers Angriffen gab es im Selbstverständnis intellektuell führender Sozialdemokraten zu diesem Zeitpunkt keinen akzeptablen Anlaß, die in dieser Frage bezogenen Standpunkte einer erneuten Überprüfung zu unterziehen. Um 1910 hatte sich in der deutschen Sozialdemokratie längst ein Kulturkonzept durchgesetzt, in dem die Fragen nach Funktion und Möglichkeiten einer proletarischen Kunstentwicklung unter den gegebenen Gesellschaftsverhältnissen kaum noch eine Rolle spielten. In den Jahren vor dem ersten Weltkrieg existierte praktisch keine politisch relevante Gruppe innerhalb der deutschen Arbeiterbewegung, die eine proletarische oder sozialistische Gegenwartskunst für ernsthaft notwendig und förderungsbedürftig gehalten hätte. Gemessen am Stand kunstkonzeptioneller und kunstkritischer Positionsbildung vor 1914 hatte Sperber mit seiner Provokation so kaum eine Chance produktiver Einwirkung. Hier liegt auch die Ursache dafür, daß die in den Fragestellungen bedeutende Debatte letztlich relativ klanglos versandete. III Die historische Entwicklungsphase der Arbeiterbewegung vor Ausbruch des ersten Weltkrieges, die uns im Zusammenhang mit der Tendenzkunst-Debatte in erster Linie interessiert, ist gekennzeichnet von einem starken Anwachsen einer sozialdemokratischen Kultur- und Bildungsbewegung, die sich zusehends institutionalisiert. Die Freie Volksbühne (1890), zahlreiche Bibliotheken, der Parteiverlag J . H . W . Dietz Stuttgart, ein zentraler Bildungsausschuß (1906), eine Parteischule (1906) und viele andere Institutionen entstehen in diesem Entwicklungsabschnitt. Kulturpolitik wird nun zum Gegenstand umfangreicher sozialdemokratischer Zeitschriften- und Parteitagsdebatten. Die zentralen Probleme der „Sperber-Debatte", Tendenz und/ oder Kunst, sozialistische Kunst im Kapitalismus, spielten in 2*
XIX
diesem Zeitraum eine besondere Rolle beim Aufbau der Freien Volksbühne. Die anstehenden Fragen nach dem Verhältnis der Sozialdemokraten zur bürgerlichen Kunst und zum herrschenden Kunstbetrieb wurden zum Teil direkt anhand der Erfahrungen mit der Freien Volksbühne erörtert. Mehring, Stampfer, Eisner und andere Diskutanten waren in führender Position am Aufbau dieser proletarischen Theaterorganisation mit Massencharakter beteiligt. Wenn im folgenden kulturprogrammatische und kunsttheoretische Positionen im Zusammenhang mit Organisationsversuchen im Bereich des Theaters betrachtet werden, so trägt dies BeispielCharakter. Die Entwicklung der belletristischen Literatur und der sozialdemokratischen Literaturkritik verweist auf ähnliche Tendenzen und Konsequenzen, worauf aber nur peripher eingegangen werden kann. 19 Die Berliner Freie Volksbühne entstand 1890 aus dem Interesse proletarischer Theatervereine an kooperativer Zusammenarbeit. Die Organisation war, und darin bestand ihr Grundproblem, von Beginn an unmittelbar abhängig vom herrschenden Kunstbetrieb. Ihr Vorstand schloß Verträge mit offiziellen Theatern u. a. über den Ankauf von Vorstellungen oder über die Nutzung von Räumlichkeiten. Außerdem war ihre Existenz bis 1914 immerwieder bedroht durch die Zensur und angewiesen auf die Berücksichtigung der herrschenden Vereinsgesetze. Gegensätzliche Auffassungen über das Vereinsprogramm führten bereits 1892 zur Spaltung in die Freie Volksbühne (unter Leitung von Mehring) und die Neue Freie Volksbühne (unter Leitung von Bruno Wille). Zu Beginn seiner führenden Tätigkeit in der Organisation arbeitete Mehring eine prononciert politisch programmatische Zielstellung aus. Er betonte den Zusammenhang politischer und kultureller Aufgaben im Konzept der Freien Volksbühne: „ Sie will ein proletarischer Verein sein, der vom Klassenstandpunkt des Proletariats aus die Kunst fördert und genießt [. . .] Die Förderung des proletarischen Emanzipationskampfes auf künstlerischem und literarischem Gebiet, das ist nichts anderes als die Aufgabe der Freien Volksbühne." 20 Unterstützt von Robert Schweichel, der ebenfalls dem Vorstand angehörte, versuchte Mehring mit großer Anstrengung, Arbeiten proletarischer oder sozialistischer Autoren zur Aufführung zu bringen. Stücke, die in den offiziellen Theatern keine Chance hatXX
ten, sollten im Rahmen der Freien Volksbühne einem Arbeiterpublikum zugänglich gemacht werden. In der Spielzeit 1892/1893 wurden zwei sozialistische „Tendenzstücke" : Fabers Der freie Wille und Baders Andere Zeiten inszeniert. Bei diesen frühen Versuchen, sozialistisches Theater zu organisieren, gewann der Begriff der Tendenz zunächst in einem engeren Sinne Bedeutung, als Ausdruck eines bestimmten sozialen und politischen Bewußtseins proletarischer bzw. sozialistischer Autoren. Die Haltung des künstlerischen Ausschusses der Freien Volksbühne diesen „Tendenzstücken" gegenüber war jedoch von vornherein zwiespältig. Einerseits galt es, die Versuche politischer Tendenz in den Stücken zu verteidigen und deren Autoren zu unterstützen, andererseits war sich der Ausschuß, wie Heinrich Selo später berichtete, „darüber im klaren, daß die Stücke keinen literarischen Wert besaßen", aber „es gab keine anderen". 21 Hier deutet sich ein grundsätzliches und folgenschweres Problem an. Von Anfang an blieb ungeklärt, in welche Richtung der proletarische Emanzipationskampf auf künstlerischem Gebiet voranzutreiben sei. Es ging dabei u. a. um wesentliche Fragen nach der Funktion des Theaters in bezug auf den Klassenkampf. War das Theater Zubehör der Bildung, die man erstrebte, sollte es sich also vorrangig um den Bruch von Bildungsprivilegien handeln, oder wollte bzw. konnte man ein revolutionäres politisch operatives Theater aufbauen? Welche politisch-organisatorischen Voraussetzungen waren nötig, um eine sozialistische Theaterkunst unter gegebenen Umständen zu installieren? Mit welchen theoretischen und kulturpolitischen Orientierungen konnten die dramatischen Versuche sozialdemokratischer Autoren unterstützt werden? Diese wichtigen Fragen blieben im Rahmen der Freien Volksbühne letztlich undiskutiert. Der Vorstand beklagte lediglich immer wieder den akuten Mangel an „guter" sozialistischer Dramatik. Ausgehend von der Auffassung, daß eine große, „ideale" Kunst — letztlich Mehrings Maßstab - im Rahmen kapitalistischer Gesellschaftsverhältnisse nicht mehr erwartet werden könne, der wesentliche Bereich proletarischen Emanzipationskampfes nicht Kunst, sondern Politik sei, gewann das Problem einer proletarischen oder sozialistischen Gegenwartskunst, damit auch der Tendenzkunst im engeren Sinne, einen sehr untergeordneten Stellenwert in den Überlegungen. XXI
Die frühen, von Mehring und S,chweichel geförderten „Experimente mit ausgesprochen sozialistischen Stücken" konnten nur mit außerordentlichen Anstrengungen durchgesetzt werden, hatten wenig Erfolg und blieben ohne profilbestimmende Folgen für die Organisation. Was aber konnte der wachsenden Zahl theaterinteressierter Arbeiter empfohlen werden? Worin bestand die Alternative für das Programm der Freien Volksbühne? Den Ausweg bildeten die großen Werke Lessings, Schillers und anderer aus der Periode des historischen Aufstieges der bürgerlichen Klasse. Diese Stücke konnten dem Streben der Arbeiter und Arbeiterbewegung nach Bildung, nach großer „idealer" Kunst, gerecht werden und ermöglichten den materiell-organisatorischen Kompromiß mit den offiziellen Theatern wie den politisch-bürokratischen mit den Behörden. Mehrings historisch-materialistische Interpretationen (veröffentlicht zumeist in der Vereinszeitschrift) schlugen die Brücke von den Bedingungen und Idealen des bürgerlichen Emanzipationskampfes zu den Aufgaben und Zielen der Arbeiterbewegung. Das Problem der Tendenz gewann an diesem Punkt eine neue Dimension. Hier ging es nicht mehr um Tendenzkunst im engeren, operativen, "eher plakativen Sinne. Mit dem Rückbezug auf die deutsche Aufklärung und Klassik verteidigte Mehring seine Position vom Klassencharakter der Kunst: J e d e ernstzunehmende Kunst sei Ausdruck bestimmter Klasseninteressen und somit „tendenziöse" Kunst. 2 2 Mehring faßte Kunst und Literatur als Überbaubereiche, die nur verstanden werden könnten, wenn man Werk und Autor aus den sozialökonomischen Bedingungen und Klassenkämpfen ihrer Zeit heraus begreift. In Werken Schillers (besonders des jungen Schillers, Lessings, z. T. auch Goethes) drückten sich die Klasseninteressen der aufstrebenden Bürgerklasse am deutlichsten aus. Ihre großen emanzipatorischen Ziele verbanden sie mit dem sozialen und politischen Kampf des Proletariats. Das „Tendenziöse" in der Kunst wurde historisch umfassend als die Gestaltung großer menschheitsgeschichtlich emanzipatorischer Ideen verstanden. Diese Auffassung war eine Kampfposition. Sie stellte den Versuch dar, marxistisches Instrumentarium für eine eigene Kunst-Konzeption und kulturelle Praxis im proletarischen Emanzipationskampf nutzbar zu machen. XXII
Der Begriff der Tendenz wurde damit bei Mehring (wie auch bei Clara Zetkin) bedeutsam im Kampf der Sozialdemokraten gegen die Vereinnahmung der Arbeiter durch die herrschende Kulturideologie und ihre Institutionen. Er wird wirksam gegen die herrschende Auffassung von einer klassentranszendenten Kunstentwicklung und dem ökonomisch und institutionell übermächtigen Einfluß der imperialistischen Kultur- oder Freizeitindustrie. Mehrings Tendenzbegriff war Kampfposition auch gegenüber jenen Standpunkten innerhalb der Sozialdemokratie, die die Klassentranszendenz im Kunstverständnis übernahmen. Zu Beginn der neunziger Jahre repräsentierte Bruno Wille, Mehrings Vorgänger in der Freien Volksbühne und späterer Leiter der Neuen Freien Volksbühne, diese Richtung kunsttheoretischen Denkens. In einem bewußt gegen Mehrings „sozialistische Experimente" in der Freien Volksbühne gerichteten Artikel aus dem Jahre 1893 verstand er Tendenz in einem sehr engen Sinne. Der Begriff erfaßte bei ihm all jene Produkte einer „Schlagwort-" oder „Agitationspoesie", die eigentlich gar nichts mit Kunst, sondern eher etwas mit Rhetorik zu tun hätten. Die „Aufdringlichkeit", die jenen Produkten anhafte, entstehe dadurch, „daß der Verfasser vom Leser einen Effekt verlangt, ohne daß die Bedingungen dieses Effektes gegeben werden". 23 Nicht die Weltanschauung des Künstlers, sondern die Art und Fähigkeit der Gestaltung mache statt dessen den Wert eines Werkes aus. Wille lehnte jede „grobe Tendenzmacherei" im Sinne einer politischen oder religiösen Partei ab. Solche Auffassungen verbreiteten sich seit Mitte der neunziger Jahre in den Diskussionen um die Freie Volksbühne. Bereits um die Jahrhundertwende unterschied sich das Repertoire des Vereins, wie Heinrich Braulich schreibt, „in keiner Weise mehr von den öffentlichen bürgerlichen Theatern". 2 4 Die Tendenzkunst-Problematik, wie Fragen nach dem Stellenwert der Weltanschauung und politischer Operativität überhaupt, spielten nach Mehrings Ausscheiden Ende der neunziger Jahre kaum noch eine Rolle. Diese Entwicklung kann nicht monokausal auf die Positionen der opportunistischen, revisionistischen Führer der Organisation nach Mehring (Conrad Schmidt, Curt Baake, Friedrich Stampfer u. a.) zurückgeführt werden. Der Weg der Freien Volksbühne spiegelt vielmehr qualitative und quantitative, personelle und strukturelle Veränderungen wider, die die Situation der Klasse und ihrer Organisationen insgesamt betrafen. 25 Gustav Landauer stellte beXXIII
reits 1905 fest, daß der Weg der Freien Volksbühne den Wandlungen der gesamten Arbeiterbewegung entspräche: „Beginn: eine kleine Schar, die überwiegend aus Arbeitern [. . .] besteht, betrachtet sich als Träger einer kommenden Kultur, will auch in der Kunst vorauseilen, Neues bringen und erleben [ . . . ] . Stand von heute: eine große Masse, die überwiegend aus Arbeitern, zu einem kleinen Teil aus Handlungsgehilfen und anderen Gliedern des Mittelstandes besteht, will an der Kultur von heute teilnehmen und die großen Bildungselemente der Vergangenheit neben den Erholungsvergnügen der Gegenwart in sich aufnehmen." 2 6 Wie sich die S P D in den Jahrzehnten um 1900 zur legalen parlamentarischen Massenpartei herausbildet, so entsteht aus der Freien Volksbühne eine kulturelle Massenorganisation der Arbeiter, die tendenziell zum legalen Bestandteil des offiziellen Theaterbetriebes wird. Auch in der sozialdemokratischen Presse häuften sich seit Mitte der neunziger Jahre die Klagen über das „ungemein niedrige Maß" dessen, was in den Arbeitertheatervereinen, während der dramatischen Vorstellungen auf den Arbeiterfesten geboten wurde. Im Extremfall lautete die Orientierung, man solle es doch, wenn nicht „mehr" geboten werden könne, lieber „ganz lassen". 27 In einer ähnlichen Richtung verliefen die Diskussionen auf den Parteitagen um die sozialdemokratischen Unterhaltungsblätter, wie die Neue Welt und die Romanzeitschrift In freien Stunden. Auch hier kritisierte man das mangelnde Niveau in Inhalt und Ausstattung und führte dies als Ursache dafür an, daß die Blätter nicht die erhoffte Absatzentwicklung verzeichnen konnten. Der Anspruch auf Vermittlung „hoher" Kunst an die Arbeiter blieb bis zum Weltkrieg theoretisch bestimmend. Das sozialdemokratische Literaturangebot war jedoch mehr und mehr durchsetzt von der Tendenz zur Anpassung an die bürgerliche Unterhaltungsliteratur. Schwänke und rührselige Mehrakter, wie sie zu den Festen der kleinbürgerlichen Vergnügungs- und Freizeitvereine gehörten, bestimmten immer häufiger die Programme der Arbeiterfeste. 28 Die Spielpläne der Freien Volksbühne verzeichneten immer weniger „Klassiker-Aufführungen", statt dessen in großer Zahl „rein unterhaltende Werke" (belanglose Lustspiele aus dem Repertoire der offiziellen Theater). Die wesentlichen Programmpunkte der Organisation waren strikte „Ablehnung der sogenannten Tendenzkunst" und das Streben nach hoher, „wirklicher, ehrlicher Kunst". 2 9 XXIV
Während sich Theorie und Kritik weiter an klassischen und künftigen Idealen orientierten, wurde die kulturelle Praxis der Bewegung zunehmend vom Konkurrenzdruck gegenüber dem herrschenden Kultur betrieb geprägt. Vereinzelte Proteste aus den Reihen der deutschen Arbeiterbewegung gegen diese Entwicklung blieben isoliert und folgenlos. Hierzu gehört der Aufsatz Die Kunstphrase und die Arbeiter, mit dem der sozialdemokratische Lyriker Otto Krille bereits 1905 versuchte, eine Diskussion anzuregen. Die in der Neuen Zeit abgedruckte Stellungnahme ist für uns deshalb von Belang, weil die Argumente Krilles in eine ähnliche Richtung zielten wie die Sperbers. Krille bezeichnete es als einen „Mangel an tiefer sozialistischer Weltanschauung", wenn in den eigenen Reihen versucht würde, die „Tendenzpoesie" aus den Arbeiterfesten zu vertreiben, „als ob sie die Feindin aller 'wahren Kunst' sei."30 Seine klare Forderung nach sozialistischer Tendenz in der künstlerischen Produktion und Rezeption wich von der Position Franz Mehrings ab. Wie Mehring ging es ihm allerdings weniger um eine sozialistische Gegenwartskunst als um die bewußtere Auswahl von Werken aus dem progressiven Erbe vom Standpunkt der Arbeiterbewegung aus. Krille verstand — wie Franz Mehring — die Frage nach dem Verhältnis von Weltanschauung und Kunst als ein Problem, das ausschließlich die Inhalte von Kunstwerken betrifft. Auch für den sozialdemokratischen Lyriker kam das für die Tendenzproblematik wesentliche Problem der Inhalt-FormBeziehung nicht in Betracht. Krilles Aufsatz blieb ohne Reaktion in der sozialdemokratischen Presse. Dagegen fanden konzeptionelle Vorschläge, die auf ausgesprochen opportunistischen und reformistischen Positionen basierten, zunehmende Resonanz. In solchen Beiträgen wurde versucht, die rückhaltlose Integration der Arbeiter in den herrschenden Kultur- und Literaturbetrieb theoretisch und konzeptionell zu rechtfertigen. Starke Beachtung fand zum Beispiel der 1910 in den Sozialistischen Monatsheften veröffentlichte Aufsatz Die psychischen Grundlagen der Arbeiterbildung von Wally Zepler. Im eindeutigen Gegensatz zu Mehrings Position einer kritischen, historisch-materialistischen Aneignung bürgerlicher Kulturtradition plädierte Wally Zepler dafür, die Arbeiter uneingeschränkt in die herrschenden Kultur- und Bildungseinrichtungen zu integrieren. Die Funktion, die sie den „künstlerisch-geistigen" Bestrebungen der Arbeiter zuschrieb, erschöpfte sich im Kompensatorischen. Dem XXV
völligen Verzicht auf eine politisch-revolutionäre Zielsetzung entspricht bei Zepler der klare Verzicht auf eine weltanschauliche und politische Begründung kultureller Aktivitäten. Den Kulturund Bildungsorganisationen der Arbeiterbewegung fällt hierbei nur noch die Aufgabe zu, die „Arbeiterschaft [. . .] durch die Berührung mit dem Reich der Ideale aus der Umklammerung des Alltags zu lösen." 31 D a ß sich revisionistische und opportunistische Positionen im ästhetischen und kulturkonzeptionellen Bereich keineswegs immer so eindeutig festmachen lassen wie bei Wally Zepler, belegen die im Band dokumentierten Beiträge. Daß sich reformistische und opportunistische Grundpositionen in der Partei vor dem Weltkrieg rasch ausbreiteten, wirkte sich insgesamt auf die sozialdemokratische Kulturpolitik aus. Von Haltungen, die passiv den baldigen Zusammenbruch des Kapitalismus erwarteten und politische Arbeit auf parlamentarische und organisatorische Aufgaben reduzierten, ließ sich ein oppositionelles, politisch eingreifendes Kulturkonzept nicht ableiten. Verzicht auf Klassenkampf im kulturellen Bereich bedeutete aber, die Arbeiter dem wachsenden Einfluß herrschender Kultur- und Bildungsinstitutionen zu überlassen. Genau an diesem problematischen Punkt gewannen die Sperberschen Forderungen nach sozialistischer Tendenz in Kunst und Kunstkritik objektiv besondere Brisanz für die sozialdemokratische Diskussion. IV Die e r s t e P h a s e im Verlauf der Tendenzkunst-Debatte erstreckte sich über die zweite Hälfte des Jahres 1910. Sperber begann die Diskussion mit seinen „sozialästhetischen Betrachtungen" des zeitgenössischen Literatur- und Theaterbetriebes und begründete seine scharfe Polemik an den sozialdemokratischen Literatur* und Kunstkritikern. In den einführenden Beiträgen verwarf Sperber bereits alle bisherige Kunst als überholte Klassenkunst und plädierte für den Klassenkampf im künstlerischen Bereich, für eine sozialistische Tendenzkunst und Kunstkritik. In dieser Phase antworteten nur Rudolf Franz und Heinrich Ströbel. Der junge sozialdemokratische Publizist, Theaterkritiker und promovierte Theaterwissenschaftler Rudolf Franz (Jahrgang XXVI
1882) verwies zunächst auf die Inhalt-Form-Problematik und warf Sperber eine z u starke Favorisierung der weltanschaulichen und politischen Tendenz in der K u n s t b e t r a c h t u n g vor. E r entgegnete, die sozialistischen Tendenzrichtungen seien nicht wegen ihrer Tendenz, sondern wegen der mangelnden ästhetisch-formalen B e w ä l t i g u n g ihrer Gegenstände verworfen worden. Die wichtigen kritischen Hinweise auf Schwächen der Sperberschen Position f ü h r t e n Rudolf F r a n z allerdings nicht zu konstruktiven Vorschlägen, die wesentliche Problematik der Inhalt-Form-Relation im Z u s a m m e n h a n g mit den Möglichkeiten und Voraussetzungen einer sozialistischen Gegenwartskunst z u diskutieren. Man müsse, so meinte F r a n z lediglich, auf eine proletarische K u n s t „ w a r t e n " , in der die Tendenz in w a h r h a f t künstlerischen Formen „ g e b ä n d i g t " , „aus dem L e b e n herausgearbeitet sei". 3 2 Rudolf F r a n z ging d a m i t letztlich v o n der A u f f a s s u n g aus, gegen die Sperber gerade polemisierte, d a ß nämlich die P r o b l e m a t i k einer proletarischen Gegenwartskunst k a u m noch als A u f g a b e sozialdemokratischer Theoriebildung und K u l t u r p o l i t i k betrachtet wurde. Die Auseinandersetzung des Vorwärts-Redakteurs Heinrich Ströbel mit Sperber führte dann bereits zu einem ersten H ö h e p u n k t im Debattenverlauf. Ströbel (Jahrgang 1869), der die Linken im Reichstag und im Vorwärts in wichtigen Fragen unterstützte und v o n R o s a L u x e m b u r g hoch geschätzt wurde, gehörte bereits einer g a n z anderen Generation an als Mehring. Die zeitgenössischen, „modernen" künstlerischen und geisteswissenschaftlichen Strömungen prägten entschieden deutlicher sein Kunstverständnis. A l s K u n s t k r i t i k e r der Neuen Zeit war Ströbel schon in den Jahren vor der D e b a t t e durch seine differenzierte E i n s c h ä t z u n g zeitgenössischer bürgerlicher K u n s t e n t w i c k l u n g aufgefallen. 3 3 I m Unterschied zu Mehring und den meisten K r i t i k e r n in der Neuen Zeit hielt Ströbel eine sozialistische K u n s t e n t w i c k l u n g in der kapitalistischen Gesellschaft prinzipiell für möglich. In seinen D e b a t t e n - B e i t r ä g e n sprach er wiederholt mit A n e r k e n n u n g v o m „ehrlichen Realismus" innerhalb der zeitgenössischen bürgerlichen L i t e r a t u r e n t w i c k l u n g und wies auf die psychologischen A s p e k t e bei der ästhetischen W e r t u n g hin. Mit einer „positiven" A u s w a h l zeitgenössischer Dichternamen (Tolstoi, Zola, Ibsen, H a u p t m a n n , Dehmel u. a.), die bei Mehring wahrscheinlich anders ausgesehen hätte, meint Ströbel seine These z u belegen, daß diese Dichter und ihre Werke den Zielen der Arbeiterklasse und ihrer XXVII
Weltanschauung letztlich viel näher stünden als denen der modernen Bourgeoisie. Dies gelte auch, wenn die Dichter selbst nicht Sozialisten sein könnten. 34 Deutlich wirft Ströbel in diesem Zusammenhang die Frage nach der Bündnisfähigkeit und -bereitschaft der sozialistischen Bewegung mit intellektuellen, antiimperialistischen Kräften auf. 35 Damit treibt er die Diskussion in jener Phase marxistischer Positionsbildung weit voran. Ströbel redet hier keineswegs den ausgeprägt revisionistischen Positionen einer „rückhaltlosen Rezeption auch der ästhetischen Maßstäbe des Bürgertums durch die Sozialdemokratie" das Wort, er verweist statt dessen auf eine stärkere Beachtung aktueller Differenzierungsprozesse innerhalb der herrschenden Klasse vom Standpunkt der sozialistischen Bewegung aus. 36 Auch in anderen Diskussionspunkten zeigt sich sein besonderes Problembewußtsein. Gegenüber der Position Sperbers, in der der Klasseninstinkt als letztlich entscheidende Instanz proletarischen Kunstverständnisses steht, argumentiert er marxistisch. Er ordnet diesen Begriff dem Marxschen Begriff der Klassenlage zu, worunter die Gesamtheit der Lebensbedingungen des Proletariats in der Klassengesellschaft verstanden wird. Wie der aus dieser Lage spontan entstehende Klasseninstinkt keineswegs im Selbstlauf weltanschaulich fundiertes Klassenbewußtsein hervorbringt, so kann er auch nicht spontan zu fundierten kritischen Urteilen gegenüber den komplizierten Phänomenen bürgerlicher Kunst- und Kulturentwicklung führen. Die Lebensbedingungen des Proletariats verhindern zunächst eher die Ausbildung künstlerischer Genuß- und kritischer Urteilsfähigkeit. 37 Gegen Sperbers „salto mortale" setzt sich Ströbel für das geduldige Ringen um die Entwicklung dieser Fähigkeiten in den Klassenorganisationen ein. 38 Hiermit steht er der bereits 1902 in Was tun? von Lenin entwickelten Position zum Verhältnis von Spontaneität und Bewußtheit sehr nahe. Dabei stimmt Ströbel der Sperberschen Forderung nach einer proletarischen oder sozialistischen Tendenzkunst durchaus zu. Aber auch hier problematisiert er: Was versteht man unter proletarischer Kunst? „Meint man sozialistische Kunst?" Ströbel plädiert dafür, den ungenauen Begriff der proletarischen Kunst durch den genaueren einer „sozialistischen Kunst" zu ersetzen. Die aber könne, wie die „sozialistische" Weltanschauung, weder an eine proletarische Herkunft noch an die proletarische Existenz XXVIII
des Künstlers gebunden werden. Sie sei aber in jedem F a l l gebunden an die proletarische Weltanschauung. Wie aber könne sich, so fragt er schließlich, eine so fundierte K u n s t in einer Situation kraftvoll ausbilden, in der der unmittelbar' politische Kampf den Löwenanteil intellektueller K r a f t in der Arbeiterbewegung absorbiere? 3 9 Hier trifft sich Ströbels Position wieder mit der Mehrings. Unter welchen Voraussetzungen und in welcher Weise sich sozialistische Kunst im Kapitalismus ausbilden könne, vermag auch Ströbel nicht zu sagen. Die z w e i t e P h a s e im Verlauf der Debatte begann im Januar 1911. Sie wurde eröffnet durch den bereits erwähnten Vortrag Dichter heute, den Sperber anläßlich einer Generalversammlung der Freien Volksbühne hielt/ 10 Sperber wiederholte hier seine Thesen von der Abhängigkeit der Künstler und der Kunstentwicklung von den herrschenden, besitzenden Klassen, von der Notwendigkeit, der bürgerlichen Kunst, dem herrschenden Kunstbetrieb eine bewußt proletarische Klassenkunst entgegenzustellen. Die Polemik richtete sich in dieser Diskussionsphase nicht mehr so sehr gegen die sozialdemokratische Literaturkritik, um so massiver aber gegen die Tätigkeit und programmatische Ausrichtung der proletarischen Kulturorganisationen. Von der Freien Volksbühne forderte er die Änderung ihres Programms, verlangte die Förderung proletarischer Dichtung. Dieser Debattenabschnitt gestaltete sich in der Folge zu einer A r t „Schlagabtausch" zwischen dem Provokateur und Friedrich Stampfer, dem konzeptionell und künstlerisch führenden Kopf in der Vereinsleitung der Freien Volksbühne. Die beiden Beiträge, die Stampfer dabei in die Diskussion einbrachte, demonstrierten mit großer Deutlichkeit, wie sich entschieden revisionistische und opportunistische Auffassungen im Bereich ästhetischer Positionsund kultureller Konzeptionsbildung auswirkten. Den Ausgangspunkt bildete die scharfe Trennung von Kunst und Politik. Die Kunstkritik könne, so Stampfer, nur vom Standpunkt der Ästhetik, niemals von dem des Klassenkampfes ausgehen. Für ihn geht es um allgemeine, ewige, wirkliche Kunst. Die konkrete produktive oder rezeptive Nutzung künstlerischer Möglichkeiten im proletarischen Klassenkampf stand nicht zur Debatte. Sozialdemokratische Kulturpolitik, proletarische Kulturorganisation, verfolge lediglich das Ziel, dem „modernen Arbeiter der Großstadt", der bereits gelegentlich „ v o m Becher des KunstgeXXIX
nusses nippen" konnte, die „ S t ä t t e n kultivierten Lebensgenusses" zu eröffnen. 4 1 Stampfers Entscheidung bedeutete in der praktischen Konsequenz, Integration der Arbeiter in den herrschenden Kulturbetrieb. Z u Beginn der Auseinandersetzung mit Stampfer war Sperber von der Vereinsleitung der Freien Volksbühne angeboten worden, seine Auffassungen als Mitglied im künstlerischen Vereinsausschuß nach der nächsten Wahl zu vertreten. Als der Verein dann Ende des Jahres 1 9 1 1 seine leitenden Organe neu wählte, war Sperber nicht einmal mehr eingeladen worden. Die Diskussion über die Debatte zwischen Stampfer und Sperber vor der Wahlversammlung klang mit dem Wunsch aus, „der Vorstand möge die Geschäfte des Vereins in bisheriger Weise weiterführen".« Nach dieser entschiedenen Zurückweisung meldete sich Sperber nur noch zweimal zu Wort, bevor er 1912, wohl enttäuscht, nach Amsterdam zurückkehrte, um die Leitung einer freien Schauspielgruppe zu übernehmen. 1924 starb er, seit Jahren verarmt und vergessen, in Amsterdam. 4 3 In Sperbers letzter Wortmeldung zur Diskussion Wegmarken proletarischer Kunst, aber auch schon zuvor in dem Beitrag Vorpostengefechte, den er im Anschluß an seine Auseinandersetzung mit Ströbel schrieb, deuten sich eine Relativierung der eigenen Vorstöße, ein Überdenken der angestrebten kulturellen Möglichkeiten angesichts der Übermacht herrschender kultureller Einflußnahme an. Die Vorbedingungen für eine neue proletarische Kunst, meint er nun, könnten doch nicht in der bestehenden Gesellschaft wurzeln. 44 Es seien vor allem die sozialdemokratischen Journalisten, die, da sie über ein eigenes „Terrain" und ein eigenes Publikum verfügten, kritisierend und analysierend die „Vorpostengefechte" für eine künftige proletarische Kunstentwicklung austragen müßten. Wir haben Zeit, wir können warten, so schließt seine letzte Stellungnahme, weil „auf politischem und ökonomischem Gebiet dringendere Aufgaben harren." 4 5 Mit der Auseinandersetzung Sperber-Stampfer und deren Auswertung in der Wahlversammlung der Freien Volksbühne schien die Debatte zunächst ihren Abschluß gefunden zu haben. Eine d r i t t e D i s k u s s i o n s p h a s e begann dann erst im April 1912. Sie entzündete sich an einigen kurzen Bemerkungen Mehrings zur Diskussion, die er eher beiläufig an den Schluß seiner Schrift zum Briefwechsel Freiligraths mit Marx gesetzt hatte. XXX
Die ebenso knappe wie verärgerte Stellungnahme zu Sperbers Beiträgen stand im Zusammenhang mit Mehrings Position einer Trennung der Bereiche Politik und Ästhetik, wie er sie (in bekanntlich nicht unproblematischer Weise) aus dem Marx-Freiligrath-Briefwechsel hergeleitet hatte. 46 Fofze'iW'is-Redakteur Karsten Heinrich Döscher fing den Ball sofort auf, um die Mehringsche „ Anremplung" (wie er es formulierte), zurückzuweisen, vor allem aber um ihn aufzufordern, das Feuilleton der Neuen Zeit endlich für eine Diskussion zum Thema Kunst und Proletariat freizugeben. Der in der nun folgenden Auseinandersetzung zwischen Mehring, Döscher und Sperber erwähnte Teil der Tendenzkunst-Debatte, den Mehring und Hermann Wendel in der Frankfurter Volksstimme bestritten, läßt sich leider nicht mehr rekonstruieren. 47 Bereits Ende April rief Mehring dann dazu auf, das Verhältnis von Kunst und Proletariat „unter Berücksichtigung der von Heinz Sperber aufgeworfenen Fragen" in der Neuen Zeit zu untersuchen. Die vier Beiträge von Ströbel, Märten, Zimmer und Grötzsch, die daraufhin im August 1912 in einem Heft der Neuen Zeit veröffentlicht wurden, bildeten den Abschluß der unmittelbaren Diskussion um Sperbers Thesen. 48 Eine beachtenswerte Sonderstellung nimmt der Beitrag Lu Märiens in der Debatte ein. Die Fragen, die die sozialdemokratische Theoretikerin, Schriftstellerin und Dramatikerin einbringt, sprengen in einer bestimmten Richtung den gesamten gedanklichen Rahmen, innerhalb dessen deutsche Sozialdemokraten vor 1914 über Fragen der Kunsttheorie und Konzeption verhandelten. Lu Märten argumentierte Sperber gegenüber auf der Basis eines theoretischen Kontextes, der bereits in anderen publizistischen Arbeiten sichtbar wurde. Sie ging von anderen gedanklichen Voraussetzungen aus als das an den bürgerlichen Kunsttraditionen und der Literatur orientierte ästhetische und kulturkonzeptionelle Denken führender Sozialdemokraten. 49 Lu Märtens Ausgangspunkte ästhetischer und künstlerischer Fragestellungen waren sozialökonomische Entwicklungsphänomene, u. a. die Veränderungen im Charakter der Arbeit durch die Herausbildung industrieller Produktionsformen. Sie schrieb über die materiellen und kulturellen Lebensbedingungen der Arbeiterklasse, interessierte sich aber ebenso für Entwicklungsprozesse im Ensemble der Künste. In einigen wesentlichen Gesichtspunkten stimmte sie zunächst XXXI
mit anderen Kontrahenten der Sperberschen Position überein. Sie wies die pauschale Behauptung, bisherige Kunst könne dem weltanschaulichen und politischen Anspruch des Proletariats nicht gerecht werden, zurück und setzte sich für eine systematische Einführung der Arbeiter in Probleme der Ästhetik, der Literatur- und Kunstgeschichte, für die Erziehung zum Kunstverständnis ein. Sperbers programmatische Forderungen nach proletarischer Kunsttendenz, nach einer sozialistischen Klassenkunst waren Lu Märten andererseits nicht konsequent, nicht revolutionär genug. Sie fragte, ob die revolutionären Veränderungen, wie sie sich in der gewaltigen proletarischen Bewegung, in den Arbeits- und Lebensbedingungen der Klasse unter den Bedingungen des modernen industriellen Zeitalters ankündigten, nicht viel tiefergreifende Konsequenzen im ästhetischen und künstlerischen Bereich mit sich bringen müßten, als sie die bisherige Debatte erahnen läßt. Sie fragte weiter, ob sich in der bürgerlichen Epoche ausgebildete ästhetische Normen, künstlerische Formen, Gattungen, Stile und Techniken angesichts dieser materiell-technischen und sozialen Veränderungen als tragfähig erweisen könnten. Betrachtet man die gesamte Debatte aus dem Blickwinkel der Fragen Lu Martens, so wird nochmals deutlich, wie sehr die von Mehring erarbeiteten Grundpositionen, seine Orientierung an der klassischen bürgerlichen Ästhetik, an den Dichtern der deutschen Aufklärung und Klassik und hierbei wiederum an der dramatischen Dichtung letztlich den gesamten künstlerischen Theorieund Konzeptionsbildungsprozeß in der deutschen Arbeiterbewegung vor 1914 bestimmten. Schließlich verwarf Lu Märten die Fragestellungen der gesamten Debatte (Kunst oder/und Tendenz, Politik oder/und Ästhetik) als zu eng angesichts der tatsächlichen Dimensionen kultureller Problematik unter imperialistischen wie sozialistischen Gesellschaftsbedingungen. Damit verweist sie auf die Grenzen theoretischen und konzeptionellen Denkens, die vor dem ersten Weltkrieg in der sozialdemokratischen Diskussion nicht überwunden werden konnten. Hierin liegt die besondere Bedeutung dieses Aufsatzes. Die anderen drei Beiträge von Heinrich Ströbel, von dem sozialdemokratischen Journalisten Willy Zimmer und dem proletarischen Dichter Robert Grötzsch unterstützten und erläuterten prinzipiell die Zurückweisung der Sperberschen Provokation durch Mehring. Sowohl Ströbel als auch die beiden anderen XXXII
Diskutanten widmeten sich den theoretischen Schwächen und Widersprüchen in den Auffassungen Sperbers und Döschers. Während Grötzsch die Möglichkeiten einer proletarischen Kunstentwicklung in der kapitalistischen Gegenwart nicht generell leugnete, sondern lediglich auf die außerordentlich schwierigen Voraussetzungen hinwies, hielt Zimmer wie Mehring eine neue Kunst erst dann für möglich, wenn das Proletariat seine Mission als Überwinder des Kapitalismus erfüllt, damit aber auch seiner eigenen Existenz als Klasse den Boden entzogen hat. 50 Alle vier Diskutanten dieser letzten Debattenrunde sind sich einig in dem entschiedenen Verweis auf die Notwendigkeit geduldiger, beharrlicher Schulung und Erziehung der Arbeiter zu kritischem ästhetischen Urteilsvermögen und künstlerischer Genußfähigkeit. Nicht proletarische Tendenzkunst, sondern Erziehung zu Kunstverständnis als vorrangige kulturpolitische Aufgabe in der kapitalistischen Gegenwart, so läßt sich die mit Mehring übereinstimmende Orientierung zusammenfassen, mit der Sperbers Vorstöße in der Netten Zeit zurückgewiesen wurden. Der zweite Teil der Dokumentation faßt vier Beiträge zusammen, die nicht unmittelbar in die Auseinandersetzung mit Sperber und Döscher eingegriffen haben, aber grundsätzliche Stellungnahmen zur Debattenproblematik darstellen. Die Autoren äußern sich auch nicht in jenen Organen, in denen die Debatte im engeren Sinne ausgetragen wurde. Mit Ausnahme des Aufsatzes von Clara Zetkin wurden diese Beiträge erst nach Abschluß der Diskussion veröffentlicht. Einschließlich der Stellungnahme Clara Zetkins trugen sie einen resümierenden, die Debatte auswertenden Charakter. Hier steht an erster Stelle der 1911 in der Gleichheit abgedruckte Aufsatz Kunst und Proletariat von Clara Zetkin. Die Bedeutung dieses Beitrages für die Debatte, für die kulturprogrammatischen und literaturtheoretischen Überlegungen Clara Zetkins wie seine Relevanz für den gesamten Prozeß kultureller Positionsbildung vor 1914 ist in der marxistischen Forschungsliteratur bereits gebührend gewürdigt worden. 51 Festzuhalten bleibt, daß Clara Zetkins Aufsatz die überlegteste, differenzierteste Stellungnahme der führenden Linken zur Debattenproblematik darstellt. Ohne Sperber zu nennen, wandte sie sich sowohl gegen die strikte Ablehnung bürgerlicher Kunsttradition als bürgerlicher Tendenz3
Bürge!, Tendenzkunst
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kunst als auch gegen die opportunistischen Auffassungen, die sich auf eine klassentranszendente Ästhetik und Kunstentwicklung beriefen. Sie betonte den Zusammenhang von proletarischem Emanzipationskampf und Kunstentwicklung, setzte sich für eine differenzierte, kritische Aneignung bürgerlichen Kunsterbes (besonders des klassischen) ein, verteidigte andererseits aber auch den Anspruch auf eine proletarische Kunstentwicklung und proletarische Kunsttendenz. Im Unterschied zu Franz Mehring hielt Clara Zetkin an der Überzeugung fest, daß die Arbeiterklasse und ihre Organisationen mit der „Umwertung aller Werte" auch auf den Gebieten der Kunst schon in der kapitalistischen Gegenwart beginnen können und müssen. 52 In Übereinstimmung mit Mehring erwartete sie eine große Renaissance der Kunstentwicklung nach klassischem Vorbild erst jenseits der kapitalistischen Gesellschaft. Konsequenter als er bestand sie aber darauf, daß das Proletariat bereits in der kapitalistischen Gegenwart nicht nur „kunstgenießend", sondern auch „kunstschöpferisch" den eigenen Weg in die zukünftige Gesellschaft ebnen müßte. So emotional sie ihren Erwartungen gegenüber einer proletarischen Gegenwartskunst Ausdruck verlieh, so rational war ihre Begründung für die Notwendigkeit einer solchen Kunst. Deutlicher als Mehring betonte sie die Gefahren, die sich aus der Einflußnahme herrrschender Kulturinstitutionen auf die Arbeiter ergaben. Um hier zu widerstehen, müßte die Tendenz in der proletarischen Kunst mehr leisten als „gereimte, politische Leitartikel". Ihr Verständnis von proletarischer Kunsttendenz hatte Clara Zetkin bereits 1904 im Vorwort zu Krilles Gedichtband Aus engen Gassen formuliert. Eine solche Tendenz entstand nach ihrer Auffassung aus dem Fühlen und Wollen starker proletarischer Begabungen, die es zu fördern gelte. Krilles Gedichte waren ihr Beleg für die Möglichkeit einer Kunst, in der die Tendenz mit „innerer Notwendigkeit" auf der Grundlage der revolutionären Weltanschauung zu künstlerischer Gestaltung drängt. 53 Unter den führenden sozialdemokratischen Linken war es vor allem Clara Zetkin, die sich als Kulturpolitikerin (u. a. im Zentralen Bildungsausschuß der SPD) und als Publizistin für die Förderung proletarischer Gegenwartsliteratur einsetzte. Kurt Eisners Beitrag Karl Marx' Kunstauffassung gehört ebenfalls zu den bemerkenswertesten Leistungen im Rahmen der Debatte. Wie Lu Märten und Heinrich Ströbel gehörte Eisner (JahrXXXIV
gang 1867) der jüngeren Generation sozialdemokratischer Intellektueller an. In den Kunstdebatten der deutschen Sozialdemokratie hatten Eisners Positionen seit den neunziger Jahren immer wieder eine Rolle gespielt. 54 Während der Auseinandersetzungen aus Anlaß des Schiller-Jubiläums 1905 waren Eisner und Ströbel Gegner innerhalb der Vorwärts-Redaktion. Eisners politische, historische und philosophische Schriften weisen ihn im Laufe seiner Entwicklung als Vertreter ethisch-ästhetischer Sozialismusvorstellungen, als Anhänger des Neukantianismus aus, zeugen aber zugleich immer wieder von einem intensiven Ringen um marxistische Erkenntnisse. Die Eigenständigkeit in der Beschäftigung mit marxistischen Werken charakterisiert auch seinen Debatten-Beitrag und verbindet ihn in bestimmter Weise mit den Argumenten Lu Märiens. Auch Eisner hinterfragt die theoretischen Prämissen, von denen aus in der Debatte über Kunst und Tendenz verhandelt wurde. Vor allem die durch Mehring festgeschriebene Methode in der Anwendung des historischen Materialismus auf die Kunstentwicklung wird problematisiert. Eisner hält eine „ästhetische Artikelpraxis" in der sozialdemokratischen Presse, die „im Namen des historischen Materialismus" auftritt und etwa aus der Analyse einer historisch niedergehenden Klasse den Charakter einer „Niedergangskunst" ableitet, für unauffälliger, platterund damit gefährlicher als die Sperberschen Angriffe. Diese Kritik war auch an Mehring selbst gerichtet. Die bekannten Ausführungen von Marx zur „Griechenfrage" in der Einleitung zur Kritik der Politischen Ökonomie von 1857, die bis dato in den Kunstdiskussionen der Sozialdemokraten gänzlich unbeachtet geblieben waren, dienen Eisner als Beleg für die Unhaltbarkeit eines solchen Verfahrens. Gegen die strikte Ableitung künstlerischer Entwicklungsphänomene aus sozialökonomischen Basisprozessen betonte er anhand der Marxschen Überlegungen seine Auffassung vom „Eigenrecht der ästhetischen Probleme", von der „in sich ruhenden Selbständigkeit der Kunst". 5 5 Damit stößt Eisner letztlich bis zu jener grundsätzlichen theoretischen Problematik vor, auf die Engels in seinen letzten Lebensjahren die Sozialisten der II. Internationale wiederholt aufmerksam zu machen versucht hatte: die relativ „selbständige historische Entwicklung" und Wirksamkeit der verschiedenen 3'
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„ideologischen Sphären" (Politik, Recht, Philosophie, Kunst etc.) gegenüber den ökonomischen Basisprozessen; die dialektische Wechselwirkung zwischen ökonomischen und ideologischen Gesellschaftsverhältnissen, wobei sich nur „in letzter Instanz" die „ökonomische Notwendigkeit" durchsetzte. 56 D a ß Eisner, der von den Briefen Engels' kaum etwas gewußt haben dürfte, diese Problematik 1913 zur Sprache brachte, gehört zu den erstaunlichen Tatsachen der Tendenzkunst-Debatte. Wie die Beiträge von Märten und in gewisser Weise auch von Ströbel zeugen Eisners Ausführungen von Ansätzen jüngerer marxistischer Intellektueller vor 1914, die Grenzen theoretischer Grundpositionen, die die Auffassungen der Sozialdemokraten zu Fragen der Ästhetik und der Kunst bestimmten, zu überwinden. Eisner konnte diese Ansätze nicht, wie Lu Märten, nach dem Weltkrieg weiterführen. Er wurde 1919 Opfer eines konterrevolutionären Anschlages. Eduard Bernstein veröffentlichte seine Stellungnahme zur Debatte unter dem Titel Klassenromantik im Oktober 1912 in der österreichischen Zeitschrift Der Strom. Ausgehend von den revisionistischen Vorstellungen eines friedlichen Hineinwachsens in die sozialistische Gesellschaft, sprach Bernstein der Arbeiterklasse grundsätzlich eine eigenständige künstlerische oder literarische Mission ab. Die kulturellen Aufgaben des Proletariats im Rahmen der kapitalistischen Gesellschaft stellten sich nach seiner Auffassung ausschließlich auf der Ebene ihrer Organisationen und ihres sozialen Emanzipationskampfes. Die Frage der Kunstentwicklung sei generell keine Klassenfrage, sondern eine Kulturfrage. 5 7 Auch Bernstein erwartete eine von der Arbeiterklasse getragene Kunstentwicklung erst unter gesellschaftlichen Bedingungen, unter denen sie als Klasse aufgehört habe zu existieren. Sperbers Vorstoß in Hinblick auf eine besondere proletarische Kunstentwicklung wies er ebenfalls entschieden zurück. In der zentralen Debattenfrage Kunst und /oder Tendenz trennte Bernstein, wie später Lukács, zwischen einer Tendenz, die offensichtlich besonders didaktische Interessen verfolge, und einer allgemeinen Tendenz, im großen ethischen wie künstlerischgestalterischen Sinne. Jede ins Besondere und Didaktische gehende Tendenz sei, hierbei kam Bernstein der Position Lukács' nahe, „Gift für die Kunst". Das Wesentliche der Kunst sei aber nicht die Tendenz, sondern die Beherrschung des geistigen oder XXXVI
materiellen Stoffes. Bernstein verwirft so letztlich die Frage Kunst und/oder Tendenz als zu eng für eine zeitgemäße Diskussion über Kunst und Proletariat. Die Sozialistischen Monatshefte, das theoretische Organ der Revisionisten, beteiligten sich nicht an der Tendenzkunst-Debatte. Im Debatten-Zeitraum veröffentlichte das Blatt lediglich eine Reihe von Studien, in denen versucht wurde, sich dem Verhältnis Kunst und Proletariat anhand empirischer Materialien (vor allem Ausleihstatistiken der Arbeiterbibliotheken) zu nähern. 58 Bernsteins Beitrag machte dann deutlich, in welche Richtung diese Untersuchungen zielten. Gegen Sperber sollten empirische Materialien belegen, daß das Proletariat über keinerlei besondere, eigene Ambitionen auf künstlerischem Gebiet verfüge, sondern in erster Linie, wie Bernstein es dann formulierte, von der „allgemeinen Kultur der Zeit" beeinflußt sei. Im Hintergrund steht hier die positivistische Legitimation einer kulturellen Strategie, die letztlich ebenfalls zur kritiklosen Einordnung der Arbeiter in den herrschenden Kultur- und Bildungsbetrieb führen mußte. Zum letzten Mal geht Rudolf Franz 1914 in seiner Schrift Theater und Volk auf die Debattenproblematik ein. Wie Eduard Bernstein und Friedrich Stampfer übertrug auch Franz in seiner zusammenfassenden Betrachtung die, zunächst im ökonomischen Bereich entwickelte, These vom allmählichen Hineinwachsen in die sozialistische Gesellschaft auf die kulturell-geistige Ebene. Von dieser Position aus wertete er die Erfahrungen der Arbeiterbewegung auf dem Gebiet des Theaters, namentlich die Entwicklung der Freien Volksbühne, aus. Franz deutete die Resultate in der Arbeit der Volksbühne im Sinne der unter den Sozialdemokraten verbreiteten Vorstellungen vom baldigen Zusammenbruch der kapitalistischen Gesellschaft. Das Proletariat, das sich nur allmählich alle Künste und Wissenschaften aneignen könne, habe besonders im Bereich des Theaters bedeutende Erfolge errungen: Es „bemächtigt sich gewissermaßen noch eher der Bretter, die die Welt bedeuten, als dieser Welt selbst [ . . . ] . Der Zusammenbruch des bürgerlich kapitalistischen Kunstbetriebes wird gerade im Theaterfache immer allgemeiner." Franz Mehring warf er in der Schrift vor, einerseits erkannt zu haben, daß das Theater im proletarischen Emanzipationskampf keine wesentliche Bedeutung erlangen könne, andererseits aber das Fehlen eines eigenständigen revolutionären Programmes in XXXVII
der Freien Volksbühne immer wieder zu bedauern. 5 9 F ü r Rudolf Franz erübrigte sich die Frage nach einer eigenständigen kunstkonzeptionellen und künstlerischen Entwicklung der Arbeiterklasse. Das Proletariat bedürfe des Theaters als politischen Kampfmittels nicht. E r plädierte nochmals gegen die Forderungen Sperbers nach proletarischer Gegenwartskunst und für die Erziehung der Arbeiter zu allgemeinem Kunstverständnis und künstlerischer Genußfähigkeit. V Als Ergebnis der Debatte bleibt festzuhalten, daß die Forderung Sperbers nach einer offensiven proletarischen Tendenzkunst von den meisten Debattenteilnehmern mit dem Hinweis auf die Unmöglichkeit sozialistischer Kunstentwicklung in der kapitalistischen Gegenwart nahezu einmütig zurückgewiesen wurde. Dies geschah aber auf der Basis unterschiedlicher Positionen, die auf einen wichtigen Differenzierungsprozeß im kunsttheoretischen und kulturkonzeptionellen Denken der deutschen Vorkriegssozialdemokratie verweisen. Die ältere Generation marxistischer Theoretiker, vor allem Franz Mehring und Clara Zetkin (aber auch Karl K a u t s k y und Rosa Luxemburg, die in die Debatte nicht eingriffen), verteidigte die innerhalb der Arbeiterbewegung entwickelte kulturelle Strategie, in der die kritische Auswahl und Vermittlung der historisch progressiven kulturellen Traditionen dominierten. Ubereinstimmung bestand unter den Diskutanten im Plädoyer f ü r die Erziehung der Arbeiter zu allgemeinem Kunstverständnis unter den gegebenen sozialen u n d kulturellen Bedingungen. Hier konnten auch die Vertreter opportunistischer, revisionistischer und reformistischer Ausgangspositionen (Bernstein, Stampfer, Franz) zustimmen, die auf ein eigenständiges Kulturkonzept der Arbeiterklasse im Kapitalismus gänzlich verzichten wollten. I n Stellungnahmen jüngerer marxistischer Theoretiker wie Lu Märten, K u r t Eisner, Heinrich Ströbel deutet sich im Unterschied zu Mehring und Zetkin die historisch anstehende Überwindung der traditionellen Fragestellung Kunst und Tendenz an. Die im wesentlichen von Mehring entwickelte Verknüpfung der klassischen bürgerlichen Ästhetik u n d K u n s t mit den kulturellen Zielen der Arbeiterklasse, die von ihm favorisierte Methode, den historischen Materialismus auf die K u n s t und ihre Geschichte XXXVIII
anzuwenden, wird hier, zum Teil noch zaghaft, problematisiert. A m weitesten ging Lu Märten, indem sie wohl erstmals in der Geschichte marxistischen kunsttheoretischen Denkens die Frage aufwarf, ob die innerhalb der bürgerlichen Kunstentwicklung herausgebildeten Formen, Stile und Gattungen einer proletarischen revolutionären Kunst noch entsprechen könnten. 60 Indem Lu Märten die Frage der Formen in den Mittelpunkt rückte, verwies sie zugleich auf eine der wesentlichen Grenzen in der gesamten Diskussion: die Beschränkung des Problems auf künstlerische Inhalte und deren Interpretationen. Damit wird prinzipiell die Frage gestellt, ob das im 19. Jahrhundert entwickelte theoretische und konzeptionelle Instrumentarium noch ausreicht, um den kulturellen Aufgaben einer proletarischen Massenpartei im Imperialismus gerecht zu werden. Die Dokumente der Debatte demonstrieren, wie weit solche grundlegenden Frage- und Problemstellungen in der Sozialdemokratie bis 1914 getrieben werden konnten. Nach der Oktoberrevolution, unter den Bedingungen einer erstarkenden Kommunistischen Partei inDeutschland und einer breiten, differenzierten sozialistischen Literatur stellte sich für die marxistische Kunstheorie nochmals die traditionelle Frage nach Kunst und Tendenz. 61 Es kennzeichnete die neue Qualitätsstufe marxistischer Ästhetik, daß um 1930 diese Frage endgültig als zu eng erkannt und grundsätzlich kritisiert wurde. Dies geschieht nicht nur in Lukäcs' bedeutender Analyse anläßlich seines Aufsatzes Tendenz und Parteilichkeit (1932), sondern auch vom „materialästhetischen" Standpunkt marxistischer Ästhetik aus, etwa in Hanns Eislers Text über die Erbauer einer neuen Musikkultur (1932) oder in Walter Benjamins Aufsatz Der Autor als Produzent (1934). Neben dem theoretischen Diskurs stand die aktuelle Kulturpolitik der Partei zur Debatte. Auch hier vermitteln die Beiträge Auskunft über den Stand der Überlegungen unmittelbar vor dem Weltkrieg. Die Beiträge Clara Zetkins und Friedrich Stampfers markieren die Pole unterschiedlicher kulturpolitischer Bestrebungen. Zetkin hält ein eigenes, politisch und weltanschaulich oppositionelles Kulturkonzept für erforderlich, für Stampfer dagegen geht es um Teilhabe der Arbeiter an der „allgemeinen", also herrschenden Kultur. Clara Zetkin setzte sich im Unterschied zu den meisten kulturpolitisch führenden Kräften der Partei für eine bewußte FörXXXIX
derung sozialistischer Kunst in der imperialistischen Gegenwart ein. Ihre Argumente verweisen am deutlichsten auf die akuten Fragen sozialistischer Kulturpolitik: Wie.muß sich die Arbeiterbewegung gegenüber dem rasant wachsenden Einfluß herrschender Kulturideologie auf die Arbeiter verhalten? Mit welcher Strategie kann sie auf die Wirkungen moderner imperialistischer Kulturindustrie reagieren? Eine revolutionäre Kulturprogrammatik, wie sie Lenin 1905 in Parteiorganisation und Parteiliteratur, in einer allerdings anderen, einer revolutionären Situation, für die russische Sozialdemokratie entworfen hatte, konnte in der deutschen Partei, wie die Dokumente schließlich zeigen, bis 1914 nicht ausgearbeitet werden. Ein solches kulturpolitisches Programm hätte, wie Lenins, davon ausgehen müssen, daß die Vernachlässigung oder Unterschätzung des bewußten, organisierten Kampfes auch auf alltagskulturellem, literarischem, künstlerischem Gebiet mit Folgerichtigkeit zur Unterordnung unter die herrschende Ideologie führt, weil diese Ideologie eben die herrschende ist: weil sie ihrer Herkunft nach viel älter als die sozialistische [und] vielseitiger entwickelt ist, weil sie über unvergleichlich mehr Mittel verfügt". 62
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TEXTE
I
Heinz Sperber Kunst und Industrie I Was ist es für eine Lust zu leben! Nach tagelangem Regen und Schmutz scheint die liebe Sonne wieder, scheint auf Dächer und Straßen, im Osten und Westen, im Norden und Süden, kurzum in Berlin. Wo man geht und steht, empfindet man die wohlige Wärme, freut man sich der verjüngten Gesichter, und der Schatten, der uns überall hingeleitet, ist uns eine Freude, ein Freund, den man nicht missen möchte, aus Angst, daß er wieder abhanden kommen könnte! Ohne Schatten keine Sonne! Denn der Schatten am Abend, der sich von Laternenpfahl zu Laternenpfahl an unsere Ferse heftet, gleicht nicht entfernt dem fröhlichen Schatten, dem wie ein Hund oder Duzfreund so getreuen Schatten der endlich wieder erwachten Augustsonne. Die Füße in einem Sonnenkringel, sonnige Wärme an Waden und Knien — von der Sonne in meinem Gehirn ganz zu schweigen! —, beginne ich über die Kunst von heute zu schreiben. Ach, ich würde lieber Spalten voll über den Glanz auf meinen Blumentöpfen, den Glanz auf meinem Arbeitstisch, den Glanz auf dem Asphalt berichten, wo die Spatzen hin- und hertrippeln und tänzeln und miteinander karessieren, als ob die zehn Gebote für Anstand und Sitte nicht existierten. Ich würde tausendmal lieber über den köstlichen Sommer plaudern als über die Kunst von heute, die, um es gleich von vornherein zu sagen, noch ein wenig reserviert zu sagen, eine Dirne ist oder zur Dirne wird. Sollte dies für die Dirnen, worunter es doch auch wirklich ehrliche, verständige und trotz ihres Polizeibüchleins zur Lebenseinsicht gelangte Frauen 3
gibt, beleidigend klingen, so beeile ich mich, zu erklären, daß ich weit mehr Sympathie für die zerstörten Leben der unzählbaren Berliner Frauen hege, als für die Tausende von Künstlern, die schon „auf der Höhe" sind oder dorthin zu gelangen hoffen. Denn — das ist eine Frage, die gar nicht oft genug gestellt werden kann — sind die Künstler von heute, die ausschließlich für ihr eigenes Ich, für ihre eigenen kleinen Interessen, für ihren „Ruhm", für ihre Börse und Arbeitgeber „ringen", überhaupt einen Schuß Pulver wert? Durch wandeln sie die Schrecknisse des Daseins, um mit der Macht ihres Talentes leidenschaftliches Zeugnis davon abzulegen? Sind nicht dreiviertel von ihnen duldende, leidende Kaffeehausbesucher, ehrsüchtige Hanswürste, vor allem aber Fabrikanten von netten oder nett-erotischen oder sensationellen Romanen, Novellen und Gedichten? Sind für das überwiegende Gros dieser Menschen Verleger, wie die Scherl, Mosse, Ullstein, Fischer usw., um nur ein paar der mächtigsten von ihnen herauszupicken, nicht Götter, nicht hervorragende Männer, nicht ganz exklusive Wesen, vor denen man sich neigt, vor denen gekniet wird, und vor deren Geschmack, Einsicht und Wünschen die allerbesten „Dichter" im Schweiße ihres Angesichts schaffen? Besteht bei den auserkorenen Geistern auch nur ein kleines Fünkchen von Begeisterung für die Sache des Sozialismus, für das Schicksal und die Ideale des modernen Proletariats, für die gewaltige Strömung, die die Strömung der Zukunft ist? Lesen sie etwas anderes als Zeitungen mit und ohne Kritik über Theater und Bücher? Bemühen sie sich auch nur im allergeringsten, sich über das, was „unten" wühlt und schiebt und drängt, zu orientieren? Ist Dichten nicht etwas, das fern von „platter Wirklichkeit" geboren wird? Ja, als die Elendsmalerei in der Zeit des Naturalismus Mode war, ja, damals durfte ab und zu ein wenig von den Welterscheinungen genascht werden. Damals spielte Hauptmann den Brutalen, den „Pfadfinder" in seinen Webern und in Vor Sonnenaufgang, und auch andere bliesen sich zu roten Kampfhähnchen auf, aber das war ja bald vorbei. Es waren so wenig Ehren und noch weniger Tantiemen dabei einzuheimsen. Für Reinhardt und Brahm war die Torheit auf die Dauer nichts. Keine Kasseneinnahmen, keine Stücke mit „Tendenz". Und nur Shaw blieb durch seine Paradoxen in Gunst bei der zahlenden Bourgeoisie. Wer hat in den nachfolgenden Jahren würdig und ohne Mätzchen von unserer Weltanschauung aus geredet? Wer? Es tut mir leid, daß ich heute bei der prächtigen Sonne so übelgelaunt darüber spre4
chen muß. Ich wage fast, keine Namen zu nennen. Von je 100 Dichtern sind 99 schon bei ihren Lebzeiten gestorben, und der Überlebende brütet bei einer Zigarette und einem Kaffee mit Schlagsahne, ob er sein Stück im 15. o der 16. Jahrhundert spielen lassen, ob er seinen Roman Ullstei n oder Scherl geben soll und ob er nicht etwas noch nie Dagewesenes ersinnen kann, um nicht „vergessen" zu werden. Die paar Dichter, die einst eine Überzeugung hatten, sind ihre Überzeugung los. Einen Theaterdirektor mit einer Überzeugung hat es nie gegeben, und ein Verleger, der ein Buch herausgibt, weil er es ohne Nebenabsichten schätzt, soll noch geboren werden. Einst in alter Zeit war ein wirklicher Dichter jemand, der sich berufen fühlte, einer, der sich mit Herz und Seele an seine Gemeinde wandte. In jener guten alten, längst vergangenen Zeit kannte ein Dichter keine schönere Leidenschaft, als zum Volke zu reden, der Barde eines Volkes zu sein, und was gelitten und gestritten wurde wiederzugeben. Das geschieht jetzt nur noch in der sozialistischen Presse. Vor dem Eingang jedes Theaters steht ein Polizist, um darauf zu achten, daß die Fabrik da drinnen keine verkehrten Grundstoffe verarbeitet. Und auch wenn kein Polizist dasteht, weiß der Theaterdirektor doch verteufelt gut, daß Loge und Orchestersessel, Parkett und Balkon seine „Kunden" sind, so gut wie der Verleger, der keine Inserate und Abonnenten verlieren will. Sind es denn heute die Künstler, die das Wort führen? Es ist ja zum Lachen! An der Spitze der „Kunstindustrie" stehen die Scherl, die Ullstein, die Fischer, die Mosse usw., die den „allgemeinen Geschmack" zu kennen sich anmaßen und die nichts auf den Vergnügungsmarkt, in den literarischen Lunapark, auf den Bücherkorso bringen, ohne es vorher kastriert zuhaben. Ein Pferd wird, wenn es jung ist, kastriert, auf das es arbeiten kann. Der „Dichter" von heute, der auf dem Vergnügungsmarkt mitreden will, wird durch die Großindustriellen des Theaters, der Zeitungen, der Zeitschriften, des Verlages kastriert. Ein Ullstein bezahlt beispielsweise für einen schlechten Hintertreppenroman von der einst begabten Clara Viebig, für einen Rudolf Stratz, für einen Ompteda, oder für die vornehmklassischen Novellen, die seine Leser in seinen Blättern zu genießen bekommen, 5000, 20000 und 30000 Mark. Ein Scherl legt für die alle Literatur verulkenden, nichtsdestoweniger epochemachenden Erzählungen in der Woche, in der Gartenlaube oft 2 Mark pro Zeile an. Für den Erstabdruck einer minderwertigen Arbeit, vorausgesetzt, daß sie romantisch wie ein Detektiv-
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roman und daß sie nichts enthält, was den noch immer als Halbidioten verschlissenen Leser in seiner gottesgläubigen, politischen oder anderen Überzeugung stört, werden Kapitalien von 10000 bis 40000 Mark bezahlt, so daß der glückliche, gottbegnadete Dichter, der ohne Tendenz, oder wenigstens ohne abweichende Tendenz, arbeitet, wenn er sein gottbegnadetes Werk noch einmal in Buchform erscheinen läßt, durch die tägliche Industrie der Kunst, die nie Kunst war, ein Leben führen kann wie ein Prinz. Bücher von wirklich literarischem Wert, Bücher, die sich in empörender Naivität nicht den Forderungen der Industrie anpassen, werden entweder mit „großem Leidwesen" abgelehnt oder geraten in die Hände machtloser kleiner Verleger. Denn, können diese mit einer Bezahlung von 2, 3 Mark pro Zeile konkurrieren? Und können sie anarbeiten gegen Ullsteinsche Preise von 1 Mark (elegant gebunden!) für im ganzen genommen Bücher sechsten Ranges, die innerhalb Jahresfrist wieder vergessen sind und die dem deutschen Volk nur durch ihren Warenhauspreis einen Geschmack aufdrängen, der nicht dem Geist und den Wünschen des deutschen Volkes entspricht! Und das Theater? Aber darüber ein anderes Mal. II. Ob wir das Theater in Paris, London, New York oder Berlin betrachten, überall — und gerade in diesen großen Zentren am deutlichsten wahrnehmbar — ist es zum Schatten dessen geworden, was es einst in früheren Zeiten war. Zugleich mit allen anderen Künsten ist es hoffnungslos entartet. Es gibt eine Industrie der Tassen, Schüsseln, Stühle und eine, die Literatur und Theater produziert. Fast alles, was vor drei, vier Jahrhunderten das Handwerk schuf, ist nicht nur vom kulturhistorischen Standpunkt aus interessant, sondern entzückt uns vor allem durch seine wunderbare Schönheit; es ist ein Erbe, von dem wir heute noch alle Bruchstücke ängstlich zu bewahren trachten. Die kapitalistische Gesellschaft hat das Handwerk in einem natürlichen Prozeß erdrosselt. Die Maschinen verdrängen die Menschenhände, sie sind heute noch ein Fluch, der späteren Geschlechtern erst zum Segen werden wird; doch die Industrie auf dem Gebiete der Kunst ist ein Krebsschaden, den diese späteren Geschlechter glücklicherweise nicht mehr zu erdulden haben werden. Denn 6
diese Industrie ist der Tod für alles. Für Publikum und Künstler. Und so lange sie ihre Daseinsbedingungen in der kapitalistischen Gesellschaft findet, kann sie nirgends auf Erden zu einer wirklich gesunden Kunst führen. Es ist ein unwiderrufliches Gesetz, ein Gesetz für alle Ewigkeit, daß Kunst nur dann allein zur wirklichen Kunst reift, wenn sie in einer glücklichen, vollkommen sozialharmonischen Gemeinschaft wurzelt. Und besonders, wenn sie der „geistige Ausdruck" eines Volkes ist. Das nehmen wir bei den alten Griechen wahr, zur Renaissancezeit, und immer wieder in geringerem oder stärkerem Grade, wenn Gleichmaß zwischen den Wünschen, der Religion, den Idealen eines Volkes und seiner Kunst besteht. Weil die kapitalistische Gesellschaft nur noch wurmstichige oder zerknitterte Hoffnungen und Ideale hegt, und ihre Religion sich je länger, je mehr allen Denkenden entfremdet, schauen wir wohl ein Chaos, eine Entartung nach allen Seiten hin, aber von reiner, echter, gesunder Kunst erblicken wir kaum noch eine Spur. Stellen wir uns einmal eine Aufführung vor wie bei den alten Griechen, in freier Luft, ein Volk, das voller Spannung lauschte, weil der Dichter jener Tage alles das besang, was der Menge groß oder heilig oder erhaben schien. Und daneben vergegenwärtige man sich das moderne Theaterfabrikgebäude mit seinen teuren Plätzen unten und seinen schlechten Plätzen oben. Unten für die Bourgeoisie behagliche Sessel — oben für den Plebs hölzerne Bänke, Kronleuchter, die einen Teil der Aussicht verhüllen, Dunst und Gestank. Unten, weil viel Geld dafür berappt wird, jedes Theaterstück in seiner ziemlich richtigen Proportion — oben Stück und Spiel durch den unlogischen Abstand um sein Bestes gebracht. Schon allein der Bau und die Einrichtung eines modernen Theaters sind verfehlt. Man legt mit Riesenkapitalien Rennbahnen an, man baut eine Rennbahn im Grunewald, eine im Hoppegarten usw. — das rentiert sich —, man bringt es aus leicht begreiflichen Gründen nicht zu einem schönen Gemeinschaftsgebäude, worin die Kunst der Kunst wegen gepflegt wird. Die Bourgeoisie ist Diktator in den Theatern. Von ihr leben die Theater. Sie hat alle Künstler zu Lohndienern gemacht. Sie fühlt sich in Luxustempeln zu Hause, wie den Kammerspielen, dem Hebbeltheater; sie pfeift auf ein architektonisch schönes Ganzes, worin auch der Proletarier sich wohl fühlt. Folgen und Ursachen sind miteinander verkettet. Nicht nur, daß das Proletariat, das entwickelter und kritischer angelegt ist als die Damen und Herren unten, nicht nur, daß dieses Proletariat
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in den Theatern mit dem Gestank von unten regaliert wird, auch die Stücke, die zur Aufführung gelangen, sind die Stücke, die die Bourgeoisie, und in ihrem Namen die Zensur, duldet. Und demnach herrscht der Zustand, daß in jedem Land, insonderheit in den Großstädten, der überwiegende Teil der Menschheit, der unserer Lebensanschauung huldigt, keine „Vergnügungen" nach s e i n e n Sinnen und s e i n e m Geschmack finden kann. Von Leuten mit schlecht gefüllten Börsen kann keine Theaterfabrik bestehen. Diese Theaterfabrik richtet sich also nicht nach dem besten, entwickelten Teil des Publikums, das wirkliche, vertiefte Ideale hegt, sondern nach dem Teil der kapitalistischen Gesellschaft, der die Fabrik im Gang erhält, aber auf seine Weise amüsiert sein will. Und weil sogar dieser teuer bezahlende Teil der Bourgeoisie die Feuer der Fabrik nicht dauernd zu unterhalten versteht, verfallen die Direktoren oft auf eine noch gröbere Theaterindustrie, oder sie werden, so lange wie es glückt, von steinreichen Snobs oder von anderen reichen Persönlichkeiten, die sehr wohl wissen, warum sie das tun, finanziell unterstützt. Um nur ein Beispiel anzugeben, ist es doch allgemein bekannt, daß das Deutsche Theater in der Schumannstraße immer aufs neue wieder durch „Kunstmäzene" mit erstaunlichen Summen über Bord gehalten wird. Wenn Reinhardt nicht soviel Konnexionen hätte, drehte sich die Drehbühne schon nicht mehr. Und neben Reinhardt wäre noch eine ganze Reihe von Theaterdirektoren zu nennen, die auf dem Aussterbeetat stehen und immer wieder „gerettet" werden müssen. Es ist Tatsache, daß Autoren von Ruf dafür bezahlen, um aufgeführt zu werden. Es gibt Schauspieler und Schauspielerinnen — die Fälle sind in der Presse schon behandelt —, die ziemlich ansehnliche Summen dafür opferten, eine Nebenrolle spielen zu dürfen. Es ist alles, ohne Ausnahme, beim Theater faul, unwürdig und traurig. Wenn ein Reinhardtsches Theater dem Begehren des Volkes entsprungen wäre, wenn es im Herzen des Volkes lebte, würde dann diese ganze Wirtschaft möglich sein? Wenn das Volk, und um es näher und deutlicher auszudrücken, wenn der Teil des Volkes, der unsere Lebensanschauung hegt, etwas von seinem Kampf, seiner Überzeugung, seiner Glut, seinen Idealen in den heutigen Theatern fände, würde dann die Hilfe hysterischer reicher alter Jungfern oder mäzenatenhafter Börsianer nötig sein? Würde dann das Volk nicht mit tausendmal mehr Vergnügen die Theater, als die Tingeltangel, mit ihren im ganzen genommen anwidernden Vor8
Stellungen besuchen? Ich sage anwidernd, weil alle die Sensationen der ihr Leben riskierenden Akrobaten, der halb nackt tanzenden Frauen und der exotische Liedchen singenden Coupletsängerinnen in der Tat auf einem Kulturstandpunkt stehen, der längst vergangener Zeit angehören sollte. Von uns aus kann vorläufig nichts anderes geschehen, als — wie es auch auf wirtschaftlichem Gebiet geschieht — dieses ganze Theaterwesen mit seiner sonderbaren Kollektion von Vergnügungsstücken ebenso unbarmherzig zu kritisieren, als die Zensur sie barmherzig zuläßt. Und zwar von unserer Weltanschauung aus. Ich breche hier keine Lanze für Stücke mit platter Tendenz: ich will das Amüsement des Tages, wie ernst es auch äußerlich sich gibt, nach dem Fortschritt unserer Gedanken, nach dem Heilig-Schönen unserer Überzeugung prüfen. Und dann bleibt jammervoll wenig übrig. Die Schornsteine der Theaterfabriken rauchen, das Publikum deponiert sein Geld an der Kasse, aber Kunst ist es nicht. Es kann keine Kunst sein. Es ist Surrogat. Und alle die gelehrten Herren, die heute tiefsinnige Betrachtungen über Theaterkunst schreiben, hauen, solange sie noch nicht die Verbindung zwischen Kunst und Gesellschaft entdeckt haben, daneben. Wenn die Stücke ursprünglich lebendige WTerte besaßen, dann haben Zensur, Theaterdirektion, sogenannte Dramaturgen und was noch mehr so an einem Stück herumwurstelt, bevor es zur Aufführung gelangt, mit dicken Blaustiften all das gestrichen, was das Stück für die bezahlende Bourgeoisie weniger genießbar hätte machen können. Bevor ein Stück durch das Sieb einer Theaterfabrik bis zum Publikum durchsickert, ist es längst wie ein Eunuch kastriert. Und alle die Autoren, die der Fabrik ihre Ware liefern, lassen sich das aus „Überzeugung" oder der Familie wegen, die nicht vom Winde leben kann, gefallen. Und der Ehre wegen. Der Ehre wegen: aufgeführt zu werden. Wenn die schwer schaffenden Schauspieler gröber als ehedem spielen, wenn die schauspielerische Leistung mechanisch wird, dann tragen nicht diese Künstler, sondern die Theaterindustrie Schuld daran. Wenn die meisten Theaterdekorationen weit unter der Höhe stehen, worauf moderne Malkunst sie heben könnte, und man selten eine Vorstellung sieht, wobei das Äußerliche mit dem Innerlichen zu einem Ganzen verwachsen ist, trotz der Beweihräucherung, der man soviel in der bürgerlichen Presse begegnet, dann ist das industrielle Wuchern der Theaterkunst schuld daran. Es wird nicht danach gefragt, wer das meiste Wissen, den besten Geschmack, die treff4
Bürgel, Teudenzkunst
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lichste Bildung hat, um an der Spitze eines Theaters zu stehen, wie es bei gesunden Verhältnissen doch der Fall sein würde, sondern wer persönlich oder durch andere über das meiste Geld verfügt. Ein Bankier oder ein Offizier a. D. oder ein Herr mit einem Kreis reicher Gönnerinnen ist der passende Mann. Die Industrie kann keinen denkenden Handwerker gebrauchen. Sie hält sich durch Maschinen und Kapital.
Heinz Sperber Tendenziöse Kunst Wenn ich heute über „Kunst und Tendenz" etwas zum Ausdruck bringe, tue ich das keineswegs, um Neues zu behaupten. Vielleicht ist über diesen Gegenstand in unseren Parteiblättern, soweit sie sich mit Kunst beschäftigen, schon wiederholt und bis zum Überdruß geredet worden. Wenn ich es trotzdem noch einmal wage, geschieht es in der Absicht, das Für und Wider in einer gewissermaßen anderen Weise zu formulieren. Zur Einmütigkeit haben wir Genossen es in dem Wirrwarr von „Kunst um der Kunst willen", „unverfälschter Kunst", „objektiver Kunst", „Kunst ohne schädliche Bestandteile" und wie man das sonst noch zu nennen beliebt, nicht gebracht. Die bürgerlichen Kritiker, die gegen Tendenz in der Kunst reagieren, stehen nicht allein. Es gibt Genossen, die, wenn sie über Kunst das Wort ergreifen, zu neun Zehnteln den gleichen Standpunkt einnehmen. Ja, es gibt unter ihnen welche, die mit der größten Bestimmtheit, mit derselben Sicherheit wie ein bürgerlicher Kunstästhet gegen alle Tendenz und dann im besonderen gegen sozialistische Tendenz in Dramen und Romanen eifern! Es wird Zeit, glaube ich, noch einmal ein paar Gedanken über diese Angelegenheit zu äußern. Wenn wir auf politischem und ökonomischem Gebiete am liebsten g e r a d e und möglichst k u r z eWege bahnen wollen, hat es doch wirklich keinen Sinn, auf dem Gebiete der geistigen und künstlerischen Produktion weite Umwege zu machen und Versteck zu spielen. Will man heute die paar sozialistischen Autoren von Ruf und die vielen, die es noch nicht dazu gebracht haben, zwingen, „objektiv", „frei von Tendenz", wie man das so nennt, zu sein, dann 10
begeht man den unbegreiflichen Irrtum, die sozialistische Weltanschauung als ein töricht-begrenztes Dogma aufzufassen, das sich auf das rein Gesellschaftliche und auf nichts mehr beschränken soll. Und dann verkleinert man diese Weltanschauung zu einem bornierten Ding, zu einer Art Trambahnpferd: gezwungen, zwischen zwei Schienen hinzutraben, auf die Gefahr hin, mit der Peitsche Bekanntschaft zu machen. Wenn wir an unsere eigene Zukunft glauben, müssen wir annehmen, daß wir nicht nur in Zukunft eine eigene und gesunde Kunst, eine sozialistische Kunst, entstehen sehen werden, sondern daß wir schon jetzt daran arbeiten. Nur der gepriesene biblische Gott schuf die schöne Welt aus totalem Nichts in sechs, vermutlich, Achtstundentagen. Seitdem ist das nicht mehr geglückt, und auch wir werden keine Zukunftsdinge schaffen, ohne Steinchen für Steinchen die Grundlagen gelegt zu haben. Machen wir es darum den sozialistischen Künstlern, deren Aufgabe in dieser zersplitterten Zeit doch schon keineswegs beneidenswert ist, nicht von unserer Seite aus noch schwerer, und suchen wir lieber ihr ernstes Streben auf ernste Weise zu unterstützen. J a , selbst auf die Gefahr hin, daß die „Tendenz" zu stark vorherrschen sollte, wäre es meiner Überzeugung nach besser, die ehrlich-gefärbten, der Menschheit Dienste leistenden Versuche hinzunehmen als das hoffnungslose, nutzlose, leere und dumme Getue der heutigen Literatur. Die Tagesproduktion auf dem Gebiete der Literatur dient dem Amüsement der herrschenden Klasse. Wir sind uns darüber in der Theorie einig. Aber sobald wir diese gesunde Stellungnahme auf den konkreten Fall irgendeines bestimmten Landes in Anwendung bringen wollen, bäumt sich das nationale Gefühl der Genossen dieses Landes oft dagegen auf. Man hat von Kindheit an bestimmte Namen gehört, man hört sie täglich noch. Sagt man einem Franzosen, daß seine literarischen Götter, über die seine Zeitungen ununterbrochen in die Lobesposaunen stoßen, daß sein Capus, sein Rostand Zeiterscheinungen sind, die bei der Wiederkehr des Halleyschen Kometen verschwunden sein werden, weil es undenkbar ist, daß die Menschheit in einem kleinen Jahrhundert noch auf demselben sonderbaren Niveau stehen wird und weil die proletarische Weltanschauung zu vornehm ist, als daß sie sich mit den verschiedenen Modeprodukten der kapitalistischen Gesellschaft noch länger als ein paar Generationen hindurch begnügen könnte — sagt man dies einem französischen Ge4»
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nossen, dann verteidigt er seine Landsleute und faselt die Plaudereien der Zeitungsliteraten über „Unsterblichkeit" nach. Es ist so unendlich schwer, nicht zu glauben! Sagt man einem Engländer, daß sein Jones, sein Wilde auf den Wogen des Weltmeeres davongeführt werden, dann lächelt er. Sagt man einem deutschen Genossen, daß eine Periode kommen wird, wo die Namen Hauptmann, Fulda, Halbe, Schnitzler, Hirschfeld, um nur so ins Wüste hinein einige Äpfel dieses blühenden Apfelbaums zu pflücken, hohle Klänge sein werden, weil sie alle Diener der Bourgeoisie geblieben, sagt man unseren Genossen, daß der grandiose Dichter Shakespeare mit seinen Schwertern, Dolchen, Mordszenen und Königen auf den Brettern, mit seiner Verherrlichung des Absolutismus bei einem denkenden Menschen kein Ergriffensein mehr hervorrufen kann, kein tiefes Mitgefühl, das doch die Vorbedingung zum „Kunstgenuß" ist —sagt man unseren Freunden, daß Faust einst ein Kuriosum sein wird und König Ödipus von Sophokles ein Fall, der uns kalt läßt, dann wird man uns Paradoxen vorwerfen, theoretischen Quatsch, oder man wird schulternzuckend in langem Sermon auf die Unsterblichkeit des „Allgemein Menschlichen", das sich jahrhundertelang bewährt hat, hinweisen. Skakespeare ist heute ein Tendenzdichter im geringschätzigen Sinne des Wortes. Er ist der Dichter von Gottes Gnaden für alle von Gottes Gnaden Regierenden. Nach seiner Zeit beurteilt, nach dem glänzenden Zeitalter der Königin Elisabeth, ist er ein Riese; von unserer Zeit aus betrachtet, nach unseren Begriffen (unser Gefühl läßt er kalt) ärgern wir uns alle über diese königlichen Helden, die — wie alle „Heroen" der Siegesallee — vom frühen Morgen bis zum späten Abend mit der Hand am Degengriff dastehen und uns brave, aber doch etwas weiter entwickelte Bürger, die mehr von Blutwurst als von Blut halten, wie Marionetten anmuten. Eine moderne Frau wird trotz der Vorhaltungen des vortrefflichsten Denkers unserer Zeit der Widerspenstigen Zähmung mit Ekel nachempfinden. Und so verspüre ich, entartetes Individuum, eine nur mühsam unterdrückte Heiterkeit, wenn ich den säbelrasselnden Valentin im Faust fluchen und verwünschen höre und Gretchen in Kirche und Kerker sehe. Wir alle fühlen unter gewissen Verhältnissen nichts mehr für die Tragik einer „entehrten" Frau. Keiner von uns würde seine Schwester mit dem Säbel rächen. Wir würden nach unseren 12
Kräften an der ehrlichen Erziehung des Kindes mitwirken. Ein Kind, ob ehelich oder unehelich geboren, ist eine Prachtschöpfung. Wer von uns Erwachten sieht eine schwangere Frau als schuldig an? Muß uns darum nicht diese Tendenz der Reue, Scham, gerächten Ehre, Erlösung durch kirchliche Gläubigkeit und was der populärste Teil des Faust sonst noch an reiner Tendenz bietet, abstoßen? Würde einer von uns ein Wort des Vorwurfs für Ödipus finden können? Würden wir Ödipus heute nicht unweigerlich in unserer Mitte dulden, ihn nicht als ehrlichen Mann respektieren und ihn nicht mit der Verantwortung für das Spiel des Zufalls (Schicksal) verschonen? Die Moral, die Tendenz dieser längst entschwundenen Zeit ist uns verloren gegangen. Wir stehen mit unserem Mitleid, unserer Versöhnlichkeit, unserer gesellschaftlichen Analyse auf einem höheren, menschlicheren, „liberalen" Plan. Die ausgestochenen Augen des Ödipus, der ganz unbewußt und unschuldig mit der eigenen Mutter Kinder zeugt, sind uns höchstens ein Symbol veralteter und kaum noch zu begreifender religiöser Auffassungen. So kann man Tausende von Dramen aufzählen, oder besser gesagt: die sämtlichen bis heute hervorgebrachten Dramen, und in jedem von ihnen wird man die Spuren einer veralteten Weltanschauung antreffen und eine stark ausgesprochene Tendenz. Es i s t k e i n T h e a t e r s t ü c k , k e i n R o m a n d e n k b a r o h n e T e n d e n z . Nur beachten die meisten von uns die Tendenz nicht, weil uns die alte Tendenz als das allein Wahre schon mit der Muttermilch eingegeben ist. Die tendenziösen Begriffe über Ehre, Mut, Vaterland, Tugend, Religion, Liebe, häuslichen Herd usw. umschweben uns derartig, daß wir sie kaum noch bemerken. Ein Fisch hat sich ans Wasser, ein Wurm an die Erde, ein Mensch mit „robustem Gewissen" an die ihn umgebende Tendenz gewöhnt. Alles auf dem Gebiete der Kunst ertrinkt in Tendenz. Der bürgerliche Journalist, der einen prächtigen Artikel über die kunstverderbliche sozialistische Tendenz schreibt, hat sich auf der üblichen Tendenz blind gestarrt. Das Befremdliche oder das Verwerfliche oder das Hinderliche der neuen Tendenz erscheint ihm als eine falsche Beimischung, eine unerlaubte Propaganda. Und unter unseren eigenen Genossen befinden sich ebenfalls, wie ich bereits bemerkte, viele, denen das neue Geläute in der Kunst, die sozialistische Stimme, als ein ästhetischer Fehler vorkommt. Sieht man Shakespeare oder Schiller oder Lessing oder Hebbel oder einen modernen Autor, der die „Kunst 13
der Kunst wegen" ausübt, aufführen, dann akzeptiert man wie ein Farbenblinder die Farbe des Dichters, weil uns seine Tendenz durch das Darangewöhntsein nicht mehr auffällt. Solche Dichter, die sich der normalen Tendenz angepaßt haben, heißen: „richtige Künstler" — die anderen, die in unserem Sinne schaffen, weil sie nicht anders können, weil die sozialistische Tendenz zu einem Teil ihres Lebens geworden ist, werden als „tendenziös" hinter die „richtigen Künstler" bürgerlichen Genres zurückgestellt. Ich glaube, daß es Zeit ist, ein wenig vorsichtig zu werden. Wir müssen durch den sauren Apfel der „Tendenz" hindurch. Es ist eine Notwendigkeit. Ohne sozialistische Tendenz erreichen wir keine sozialistische Kunst. Und wenn wir es nicht zur sozialistischen Kunst bringen können, ist unsere Weltanschauung ein seelenloses Etwas.
Rudolf
Franz
Tendenzkunst und Kunsttendenz Vor acht Tagen führte hier Heinz Sperber in einem Aufsatz über Tendenziöse Kunst aus, „die sämtlichen bis heute hervorgebrachten Dramen" ließen uns, weil ihre Weltanschauung und ihre Tendenz veraltet seien, eigentlich kalt. Erst Dramen mit neuer, mit sozialistischer Tendenz würden uns usw. Zum Beweise zitiert er in bunter Reihe Capus, Rostand, Wilde, Hauptmann, Fulda usw. (warum nicht gleich Blumenthal?) und Sophokles, Shakespeare, Goethe. Merkwürdigerweise fehlt Ibsen. Er würde freilich diese Theorie zuschanden machen. Sperber wirft zweierlei Dramatiker in einen Topf: solche, die den Inhalt ihrer Zeit in Kunstwerken formten, einen Inhalt, der uns heute fremd geworden ist, und solche, die irgendeinen Inhalt u n s e r e r Zeit in eine Form brachten, die keinen Augenblick ein Kunstwerk war. Es ist der Gegensatz zwischen der Zeitlichkeit des lebendigen Menschen und der Zeitlichkeit des totgeborenen Kindes. Nicht erst bei der Wiederkehr des Halleyschen Kometen werden Dramatiker wie Capus verstorben sein; sie waren es vielmehr schon von Anbeginn ihres Daseins. Denn sie sind keine Künstler, und ihre Tendenz hat nichts vom eigentlichen Geiste unserer Zeit. 14
Beides aber, die Form des Kunstwerkes und die Tendenz ihrer Zeit, haben die Werke der Sophokles, Shakespeare, Goethe. Nicht alle ihre Werke sind uns noch lebendig. Aber ist es denn just der Ödipus, sind es denn just die Königsdramen, ist es zuerst die Gretchen-Tragödie, was uns diese Dichter — trotz Sperber — teuer macht? Und. selbst in diesen uns heute entfremdeten Teilen ihres Schaffens erkennen wir mit ästhetischem Behagen den Ausdruck des Zeitgeistes, der einmal war. War? Ja, der Geist der Gretchen-Tragödie ist heute noch wach. Diese Tragödie ist noch das Trauerspiel unserer Tage. Und vor Valentin Respekt zu empfinden, das hat auch Goethe von niemand verlangt. Wenn jene Dramen nicht den Geist, die Tendenz ihres Zeitalters atmeten, so wären sie längst verschollen. Aber hätten sie nicht die Wahrheit des Kunstwerks, so wären sie kaum je über ihre Generation hinaus bekannt geblieben. Denn die Normen des ästhetischen Geschmacks sind bei aller Wandelbarkeit doch erheblich dauerhafter als die Tendenzen der Epochen. Und nicht das „Allgemein-Menschliche" ist von relativer Unsterblichkeit, sondern in viel höherem Grade das Ungemein-Menschliche. Beiläufig: Sind wir verpflichtet, einen alten Kasten als Bauwerk gelten zu lassen, bloß weil er einen Parteiverlag oder ein Arbeitersekretariat oder eine Genossenschaftsbäckerei beherbergt? Läßt uns ein altes Meisterwerk der Baukunst kalt, wenn es zufällig die Form und die Bestimmung eines Palastes oder Domes besitzt? Da nun Sperber mit dem Dramenbestand tabula rasa gemacht hat, verlangt er nach solchen neuen Dramen, nach solcher Kunst, deren „sozialistische Tendenz" uns befriedigen würde. Nun, die haben wir. Und wie steht es damit? Es mag dahingestellt bleiben, ob wirklich, wie Heinz Sperber meint, neun Zehntel unserer Genossen in Reih und Glied mit der bürgerlichen Kritik gegen die tendenziöse Kunst marschieren. Aber selbst wenn das der Fall sein sollte, geschieht es sicher nicht aus Feindschaft gegen eine, sondern gegen die Tendenzkunst, gegen die nämlich, deren wir uns in der sozialistischen Literatur (ich rede nur von Deutschland) bisher zu erfreuen haben. Entweder werden die Produkte dieser Kunst überhaupt nur ihrer ästhetischen Minderwertigkeit wegen von uns abgelehnt, oder es verzweifelt angesichts dieser Minderwertigkeit der eine und andere kritische Genosse an der gegenwärtigen Möglichkeit einer sozialistischen Kunst. Aber gerade in dieser Strenge, die sich nicht mit der Tendenz begnügt, 15
liegt eine Gewähr für die Zukunft des sozialistischen Kunstwerks. Sperber nimmt die bürgerliche Kritik mit ihrer angeblichen Tendenzfeindlichkeit merkwürdig ernst. Was geht uns die denn an! Es ist ein heiterer Zufall, daß einer der zurückgebliebensten bürgerlichen Schriftsteller, Johannes Schlaf, fast gleichzeitig denselben Gedanken ausspricht wie Sperber. Jener Ästhet empfiehlt mit warmen Worten im Tag vom 6. September einen, wie er sagt, „sichtlich künstlerisch minderwertigen" Roman deswegen, weil er zeigt, was die Sozialdemokraten für gemeine Kerle sind! Der Held wird „durch die gemeinsten persönlichen Intrigen und Ehrgeizeleien seitens (!) der Genossen" abgestoßen und lebt schließlich „an der Seite einer tüchtigen Gattin höheren menschheitlichen Zielen". Und so. Schlaf, Kindchen, schlaf. . . Dieser interessante Autor, der aus Versehen einmal im Sumpf der bürgerlichen Belletristik revolutionären Dreck aufwühlte, entwickelt sich überhaupt zum Soldschreiber der krassesten Reaktion. Am 17. Juli besprach er im Tag ein russisches Buch, wobei er das Elend der bäuerlichen Verhältnisse in Rußland auf die „anarchistischrevolutionäre Propaganda" zurückführte. Er schloß (man sieht: das Schema ist klischiert) mit den Worten: „Man wird sich von diesem Buche sicher keinen besonderen künstlerisch-ästhetischen Genuß versprechen dürfen — obgleich es keineswegs ungeschickt geschrieben ist und sehr anständige künstlerische Eigenschaften besitzt —, dafür wird man sich aber über höchst bedenkliche Folgen der letzten russischen Revolution orientieren können. In diesem Sinne bedarf das Buch wohl weiter keiner besonderen Empfehlung." — Vielleicht liegt die Ursache zu solchen ulkigen Methoden tiefer: Schlaf hat sich kürzlich auf die Astronomie geworfen und so viel blühenden Unsinn produziert, daß er Anspruch auf pathologisches Interesse hat. Warum sollten wir noch zur sozialistischen Tendenzdichtung aufrufen? Kommt der neue Dramatiker aus dem Proletariat, so nur auf den Schwingen jener Tendenz, im tiefsten Geiste dieser gewaltigen Zeit; so gut wie nur je die Besten des Bürgertums im Geiste und in der Wahrheit ihrer Zeiten kamen. Aber es ist eine gewisse Zuversicht dessen, das man schon siehet: Welche Bühne hätte den sozialistischen Dramatiker spielen können bis zu diesen Tagen? Keine. Selbst Shaw spielten sie ja nur, weil das zahlungsfähige Publikum ihn falsch verstand. Nun aber tritt eine Neuerung, jahrzehntelang vorbereitet, ins Leben. Das Proletariat be-
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mächtigt sich noch früher der Bretter, die die Welt bedeuten, als dieser Welt selbst. Der Zusammenbruch des bürgerlich-kapitalistischen Kunstbetriebs wird gerade im Theaterfache immer allgemeiner. Soundso viele Bühnen können überhaupt nur noch darum ernste Kunst bieten, weil ihnen die Aufführungen für das organisierte Proletariat einen Rückhalt bieten. Das ist der erste Schritt: die kapitalistischen Theaterunternehmer sehen ein, daß sie denn doch bei den organisierten Pfennigeinnahmen sicherer fahren als bei den unorganisierten Talerbilletts und Freikarten. Der zweite Schritt ist in Berlin getan: mit der Eröffnung des eigenen Theaterbetriebes. Nun ist der Boden vorhanden, den vorher der sozialistische Künstler vergebens gesucht hätte (wenn ein solcher Künstler überhaupt hätte heraustreten können ohne diesen Boden). Nun mag der proletarische Dramatiker kommen: die Stätte ist bereitet, sein Publikum wartet auf ihn. Wir brauchen ihm nicht einzuschärfen, welche Tendenz er, und d a ß er T e n d e n z haben solle. Die gibt ihm die Zeit, die haben wir alle. Keiner von uns wird ohne sie schaffen können. Aber wir warten auf die Kunst, mit der die Tendenz gebändigt und in der sie aus dem Leben herausgearbeitet werden soll. Nicht Tendenzkunst, sondern K u n s t t e n d e n z ist auch heute das, was nottut.
Heinz
Sperber
Wo steckt der Dichter? Zu den hübschesten Erinnerungen meiner Kindheit gehören die geheimnisvollen Bildchen, auf denen man einen seltsamen Wald sah oder einen Wasserfall oder eine Bergschlucht mit der Frage darunter: „Wo steckt die Großmutter?" oder: „Wo steckt der Löwe?" oder: „Wo steckt Napoleon?" oder: „Wo steckt der König von Portugal?" Und dann suchten die Kinderaugen mit Geduld und Energie, um in dem Wirrwarr von Baumzweigen, Kirchtürmen, sich schlängelnden Pfaden, rinnenden Bächlein und was sich sonst noch auf so einem Bildchen befand, die Großmutter, den Löwen oder Napoleon zu entdecken. Man drehte das Blättchen in den Händen, betrachtete es von unten, von oben, wandte es um, und wenn man dann ein intelligenter Racker war 17
oder der Zufall einen unterstützte, fand man die Nase der Großmutter, den Schwanz des Löwen, den Dreispitz Napoleons. Heute meine ich, daß die ganze Gesellschaft so ein Bildchen mit einem Rebus darstellt und daß inmitten des Gewirrs gefragt wird: „Wo steckt der Dichter?" Wenn ich Zeichner wäre und so einen kleinen Stich mit der Unterschrift: „Wo steckt der Dichter?" zu entwerfen hätte, würde ich den großen Kindern, die im Auflösen solcher Scharaden ihr Vergnügen finden, keine verwickelte Zusammenstellung von Ästen, Wasser und Bergen vorsetzen, sondern ein Durcheinander von Körpern und Köpfen, den Schmerbauch des Zensors, das Haupt des Theaterdirektors, die Köpfe von zwei, drei Dramaturgen, den Kopf des ersten und zweiten Regisseurs, vielleicht ein Dutzend Köpfe von Schauspielern und das besorgte Antlitz des Theaterkassierers. Und wundern sollte es mich, wenn dann der intelligenteste Bursche von heute zwischen den Köpfen, Augen, Ohren und Lippen so vieler den . . . Dichter herausfände! Ich komme zu dieser gemütvollen Plauderei, nachdem ich innerhalb 14 Tagen fünf Erstaufführungen beigewohnt habe. Fünf Aufführungen, die mich noch einmal in der Theorie, wie ich das am 14. August schon an dieser Stelle ausführte, über die Theaterkunst nachdenken ließen. Ist es in unserem Zeitalter möglich, fragte ich mich, daß ein Dichter für die Bühne dichtet, so wie er zu dichten wünscht? Und ich lächelte. Nehmen wir mal den Fall an, die Arbeit eines Dichters X. sei durch einen Theaterdirektor angenommen und dieser mit seiner Familie von dieser Arbeit finanziell abhängig. Dann trägt sich mit der Dichtung bereits vor der Erstaufführung folgendes zu: A. Der Zensor streicht das ganze Stück, wenn der Dichter zu „sozial" in seiner Zeit lebt, oder streicht die Teile oder die Sätze, die ihm für die derzeitige Regierung von Gottesgnaden zu gefährlich erscheinen. B. Der Theaterdirektor, erleuchtet durch die impotenten Menschen, die den Ehrennamen Dramaturg führen, streicht, ändert, mildert, denkt an den Geschmack des Publikums, das sich amüsieren will und dafür bezahlt. C. Bei den Proben gestaltet, wenn auch nicht mit plötzlichem Ruck, so doch nach und nach der Regisseur den Text um, oder irgendein Schauspieler von Ruf, der sich mit seiner Rolle nicht einigen kann, bekommt es ebenfalls fertig, zu streichen. D. Weil die wenigen wirklich guten Bühnenkräfte in einer Stadt 18
wie Berlin über viele Theater zerstreut sind, muß der Dichter sich mit Auffassungen begnügen, die keineswegs mit seiner Phantasie übereinstimmen. E. Sind alle diese sogenannten technischen Schwierigkeiten, nach gewalttätiger Knetung für den gängigen Geschmack, überwunden, ist es endlich zur Premiere gekommen, dann wird der Theaterkassierer zur höchsten Instanz. Denn die Theaterkasse zeigt den Stand der öffentlichen Zustimmung an, wie der Wassermesser den Wasserstand an den Meeresschleusen. Wenn Uneingeweihte glauben, daß das unter A. B. C. D. Angedeutete eine Ausnahme wäre, daß kein Dichter sich das Hineinpfuschen der Theaterdirektion, der Dramaturgen, Regisseure, Schauspieler usw. „gefallen ließe", daß ein wirklich „charaktervoller" Dichter lieber seine „Schöpfung" zurückzieht — wenn Uneingeweihte das glauben, dann irren sie sich sehr. Bei vielen Autoren bricht die Eitelkeit, überhaupt aufgeführt zu werden, allen Widerstand — bei den meisten ist es ein Ringen um das tägliche Brot. Ich rede hier natürlich nicht von den Erfolgsfirmen, Leuten mit mehr oder weniger Talent, doch mit keiner anderen Absicht, als dem Publikum einen „angenehmen, recht amüsanten Abend" zu bereiten — ich rede von den ernsten Männern, die sich selbst zu geben trachten und ihr Ziel nicht durch Clownshaltung zu erstreben suchen. Nun wohlan, keiner dieser letzteren dichtet allein. In jedem Theater dichten der Direktor, die Dramaturgen, der Theaterkassierer mit. Es ist eine spaßige Lüge, wenn auf dem Theaterzettel steht: Drama in drei Akten von X. In Björnson wird gestrichen, was sich für die betreffende Bühne nicht eignet! Berlin hat z. B. bisher nie das w i r k l i c h e : Über unsre Kraft. 2. Teil gesehen. Shakespeare, der seinen Proben nicht beiwohnt, wird modernisiert. Und ein Reinhardt oder ein Holländer „dichten", wenn nicht in den Text, so doch mit und ohne Pietät in die Shakespearesche Phantasie hinein, um den Toten „lebendig" zu erhalten. Bei den Autoren von heute werden weniger Umstände gemacht. Max Halbes Jugend sah, als das Manuskript vor Jahren bei einer Theaterdirektion eingereicht wurde, wesentlich anders aus als nach der Premiere. Dutzende impotenter Finger wirtschafteten darin herum, ehe die Jugend aufgeführt wurde. In Fuldas Dummpopf, in Wedekinds Arbeit und um wieviel mehr erst in den Produkten von Anfängern haben unzählige Zensoren gehaust: der Polizeizensor, der Zensor „mit der jahrelangen Bühnenerfahrung", der Zensor „der das Pu-
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blikum kennt", der Zensor der Theaterkasse, der da weiß, was die bezahlende Bourgeoisie haben will oder nicht usw. Wo steckt der Dichter? In seinem Arbeitszimmer, wo er über alle die Dinge lächeln kann, vorausgesetzt, daß er groß genug veranlagt ist, um über die Tragik der Umstände hinwegzuschreiten. Sobald eine ernste dichterische Arbeit das Studierzimmer verlassen hat, gelangt sie in die fabrikmäßigen Mühlen, wird sie wie ein Konfektionskostüm für den Markt zurecht gemacht, unterliegt sie dem Einfluß von Leuten, die gezwungen sind, nach der Theaterkasse zu schauen, verliert sie ihren Charakter . . . Hat das Stück Erfolg, schwimmt der Autor in Tantiemen, dann muß er sicher starke Beine haben, um seiner eigenen Bahn treu zu bleiben. Hat das Stück keinen Erfolg, dann kann der Dichter soviel zappeln und schreien, wie er will, er wird nach Jahren doch zur Brotkunst gezwungen. Brotkunst ist die Knechtschaft des Malers, der für den Gemäldehändler „schafft", die Sklaverei des Bildhauers, der rührselige Tongrüppchen für das Warenhaus liefert, ist das „Verfassen" und „Machen" von Dramen und Romanen so vieler Begabter und einst Vielgerühmter, die mit Mühe ihre Miete bezahlen. Sudermann hat vor zirka zehn Jahren einen Kampf mit der Kritik ausgefochten. Er wies auf die Verrohung der Besprechungen in den Tageszeitungen hin und schrieb alles in der Hauptsache „persönlichen" Einflüssen zu. Sehr zu unrecht. Ein durch die Presse „mißhandelter" Dichter geht fehl, Schuldige nach dieser Richtung hin zu suchen. Durch lauter „Feinde in der Presse" umringt ist kein Sterblicher. Wohl hat die Brotkunst viele Talentierte in die Journalistik hineingetrieben; Talentierte, die selbst nicht zu Worte kommen und nun oft eine harte Meinung über andere fällen, die dieses - „Vorrecht" genießen. Das ganze heutige System hetzt Menschen gegeneinander auf, Kunstliebende, die einander weniger grausam beschimpfen würden, wenn sie Ursache und Zusammenhang begriffen. Am Theater tyrannisiert die Theaterkasse, und in den Zeitungen tyrannisieren die Annoncen. Und nun ist es das Merkwürdige, daß die Kombination Dichter und Comp., womit das Publikum bei einer Premiere Bekanntschaft macht, von Kritikern, die der Brotkunst wegen schreiben, mit überraschender Schärfe beurteilt werden. Bei den bürgerlichen Zeitungen ist die Journalistik Nebensache, die Annoncen Hauptsache. Der Journalist dient mit seinen Artikeln nur als Mittel, die Aufmerksamkeit von der Annoncenindustrie, wofür das Blatt da ist, abzulenken. Der bürgerliche Zeitungsverleger, 20
der seinem journalistischen Lohndiener alsbald kündigen würde, wenn dieser unausgesetzt, Tag für Tag, über den Zusammenhang von Kunst und Gesellschaft (das einzige, worüber in der Tat Tag für Tag etwas zu sagen wäre!) reden wollte, begünstigt es gierig, wenn der Kritiker „sensationell" schreibt. Es ist ein infames Spielchen des Kapitalismus, das Feinde-Züchten unter Intellektuellen, die Schulter an Schulter stehen würden, wenn sie begriffen, daß der Theaterdichter meist falsch oder mit dem Maulkorb zur Darstellung gelangt und daß der Theaterkritiker nur das Ornament einer Annoncenindustrie ist. — Wo der Dichter steckt? Hier — dort — überall — wenn wir uns nur ehrlich und lächelnd in die Augen schauen, wir „Unabhängigen", hahaha!
Heinz Sperber
Missa Solemnis . . . Diese Woche habe ich mir Beethovens Missa Solemnis vom Philharmonischen Chor in der Philharmonie angehört, und im Anschluß an diese Aufführung erlaube ich mir, einige Bemerkungen niederzuschreiben, die nicht in direkter Verbindung mit dem musikalischen Teil stehen, die aber doch möglicherweise das Interesse unserer Genossen wecken dürften, weil die Musik so ganz „frei" von aller Tendenz zu existieren scheint und stärker als jede andere Kunst die „reinmenschliche" zu sein vorgibt. In früheren Artikeln wies ich bereits darauf hin, daß jede Kunstperiode, ganz gleich von welcher Bedeutung, in reiner Tendenz wurzelt, daß kein Dichter frei von Tendenz sein kann oder ist und daß nur die Tendenz nicht mehr beachtet wird, der sich die Gemeinschaft angepaßt hat, die mit der Gemeinschaft eins geworden ist. Allein die wieder neue, fremde Tendenz, und heute besonders die sozialistische, zieht die Aufmerksamkeit auf sich, stößt vor den Kopf, wird verurteilt. In Berlin ist jeder daran gewöhnt, sich in den Straßen mit Pferden und Wagen rechts zu halten. Man redet nicht darüber, findet es natürlich, tut es. In London weicht man mit Pferd und Wagen links aus. Auch dort redet man nicht darüber, findet man es natürlich, tut es. 21
Die „Tendenz" fällt nur ins Auge, wenn ein Berlinerin London oder ein Londoner in Berlin Pferd und Wagen lenkt. . . . Die Musik, die mächtige, ergreifende, scheint kein Rechts, kein Links zu kennen. Doch weil sie eine durchaus menschliche Schöpfung ist, muß sie unweigerlich dem allgemeinen Gesetz der Tendenz, sogar in ihrer reinsten Form, der „absoluten Musik" unterstellt sein. Ich glaube, daß wir der strengsten Linie logischer Entwicklung folgen, wenn wir Wagners Worte zu den unserigen machen, und zwar in dem Sinne, wie der vortreffliche Wagnerforscher Houston Stewart Chamberlain das tat, der in Wagner an erster Stelle den dramatischen Dichter und erst an zweiter Stelle den Musiker sah. Was sagt Wagner? „ W a s somit der absoluten musikalischen Sprache für sich unausdrückbar bleibt", erklärt er: „ist die genaue Bestimmung des Gegenstandes des Gefühles und der Empfindung, an welchem diese selbst zu sicherer Bestimmtheit gelangen: die ihm notwendige Erweiterung und Ausdehnung des musikalischen Sprachausdrucks besteht demnach im Gewinne des Vermögens, auch das Individuelle, Besondere, mit kenntlicher Schärfe zu bezeichnen, u n d d i e s e s g e w i n n t sie n u r in i h r e r V e r m ä h l u n g m i t der W o r t s p r a c h e . Nur aber dann kann diese Vermählung eine erfolgreiche sein, wenn die musikalische Sprache zu allernächst an das ihr Befreundete und Verwandte der Wortsprache anknüpft; genau da hat die Verbindung vor sich zu gehen, wo in der Wortsprache selbst bereits ein unabweisliches Verlangen nach wirklichen, sinnlichen Gefühlsausdrücken sich kundgibt. Dieses bestimmt sich aber einzig nach dem Inhalt des Auszudrückenden, inwiefern dieser aus einem Verstandes- zu einem Gefühlsinhalte wird. Ein Inhalt, der einzig dem Verstände faßlich ist, bleibt einzig auch nur der Wortsprache mitteilbar; je mehr er aber zu einem Gefühlsmomente sich ausdehnt, desto bestimmter bedarf er auch eines Ausdruckes, den ihm in entsprechender Fülle endlich nur die Tonsprache ermöglichen kann. Hiernach bestimmt sich ganz von selbst der Inhalt dessen, was der Wort-Tondichter auszusprechen h a t : es ist das von aller Konvention losgelöste Rein menschliche . . ." Wenn wir uns nun auch noch über Wagners letzte Worte: „das von aller Konvention losgelöste Reinmenschliche" einig werden und sofort erklären, daß das „losgelöste Reinmenschliche" fast aller Dichter es nicht weiter als bis an die Grenzen der eigenen Klasse bringt und daß auch Wagner als Dichter innerhalb dieser Grenzen stecken blieb, dann können wir mit all dem übrigen ein22
verstanden sein. Die notwendige Erweiterung und Ausdehnung des musikalischen Sprachausdruckes, das Vermögen, auch das Individuelle, Besondere zu bezeichnen, gewinnt sie nur in ihrer Vermählung mit der Wortsprache. Und sei es nun, daß sich der Komponist an eine bestimmte Wortsprache bindet, wie Wagner bei den von ihm selbst geschriebenen Musikdramen, wie auch Beethoven in der Missa Solemnis, sei es auch, daß die Wortsprache in den Hintergrund gerät und die sogenannte „absolute Musik" (wie in Beethovens Eroica) entsteht: die Musik und ihr Schöpfer, der Komponist, werden durch die tendenziöse Wortsprache genau so tendenziös wie das gedachte Wort selbst. Jede Art Musik ist, um es gröber zu sagen, durch den Text voll von beinahe tiefer empfundener und zum Ausdruck gebrachter Tendenz. Es gibt kirchliche Musik, die nicht auf den Schlachtfeldern zur „Begeisterung" aufziehender Regimenter, und es gibt anfeuernde K riegsmusik, die nicht nach einer Predigt über :„Liebedeinen Nächsten wie dich selbst" in einer Kirche verwendet werden kann. Es ist eine „absolute Musik" denkbar, worin auf dieselbe Weise wie Beethoven in seiner Eroica (ursprünglich) Napoleon verherrlicht, die Gefühle des Proletariats wiedergegeben werden. Es ist noch sicherer anzunehmen, daß heute oder morgen ein sozialistisch empfindender Komponist (hohnlacht darüber, bürgerliche Denker!) die Ausdehnung des musikalischen Sprachausdruckes durch ihre Vermählung mit der sozialistischen Wortsprache sucht. Warum wohl die religiösen Motive in einer Missa Solemnis (die zur Feier der Installation eines Erzherzogs als Bischof bestimmt) und keine revolutionären Motive in einer modernen Symphonie? Keine Wahlrechts-Leitmotive, keine Marseillaise-Reminiszenzen, kein Radau von Kanonen und Straßenkrawallen, oh, ihr Philister, die ihr alles verkehrt auslegt! Aber die proletarische Musik mit ihren Zukunftshoffnungen, ihren Siegen, ihrer Erlösung, ihrem Weltfrieden, ihrer göttlichen Menschengleichheit, ihrer Anbetung der Natur, ihrer Ruhe. . . Die Missa Solemnis Beethovens ist heute keine Missa Solemnis mehr im Geist und der Beseelung des Riesen Beethoven. Aus den heiligen Hallen der Kirche, die heute mehr für ihre überall bedrohten „Rechte" als für ihre „Kunst" kämpft, ist sie in die Konzertsäle ausgewandert. Und dadurch ist sie zu drei Vierteln verloren. „Die Musik drückt den von unserer zum reinen Verstandesorgan gewordenen Wortsprache abgelösten Gefühlsinhalt der reinmenschlichen Sprache überhaupt in vollendeter Fülle aus", 23
sagt Wagner auch. Aber für die vollendete Fülle ist bei einer Missa Solemnis der innige, aufrichtige, unzerstörbare Glaube, der Glaube und nochmal der Glaube Vorbedingung — bei allen Mitsingenden und beim Publikum. Eine Missa Solemnis ist keine für den Konzertsaal geschriebene mondäne Symphonie, kein Musikbröckchen, sie vergegenwärtigt ein Stück Weltanschauung, die nicht die unserige ist, die aber jedenfalls nicht nur Musik ist und als solche nicht von Beethoven geschaffen wurde. Weil die Weltanschauung in den Worten der Missa Solemnis ausgedrückt, weil sowohl das Kyrie, wie das Gloria, das Credo, das Sanktus, das Agnus Dei sowohl von den Mitsingenden wie von dem Publikum die gleiche Überzeugung verlangen und diese Überzeugung nicht da ist, wird die Verherrlichung des christlichen Glaubens über Bord geworfen, wird die lateinische Wortsprache als Nebensache behandelt und herrscht eine Musik vor, die nur begleiten sollte. Das Publikum, das aus Angehörigen verschiedener Religionen besteht, und die Mitsingenden, die den verschiedensten Konfessionen angehören, Katholiken, Protestanten, Juden, Freidenker, lauschen oder singen das: „Denn Du allein bist heilig, Du allein bist der Höchste, Jesus Christus. Mit dem heiligen Geiste in der Herrlichkeit Gottes des Vaters. Amen!" Sie singen es in der lateinischen Sprache, nicht in hingebungsvollem Glauben, sondern schöne Stimmen hören zu lassen, einen schönen Chor, gute Solisten, gute Instrumente. Was gesungen wird, ist Nebensache. Ob sie es auch zu Hunderten rufen (alle mit den Augen am Taktstock des Dirigenten hängend!): „Und ich glaube an eine heilige, allgemeine und apostolische Kirche!" oder: „Lamm Gottes, das Du hinwegnimmst die Sünde der Welt, erbarme Dich unser!" es hat keinen Wert. Die Weltanschauung der Missa Solemnis ist für die Katz: es wird gesungen, es wird musiziert, es sind Solisten von Ruf, es ist Presse im Saal . . . Kurzum, es ist Musik. Es kann nichts anderes als „Musik" sein, weil die Wortsprache, die die Musik beherrschen sollte, für den größten Teil der „weltliche Vergnügungen" mitmachenden Katholiken, Protestanten, Juden, Freidenker, die den Saal füllen, die mitsingen oder mitmusizieren, keinen ergreifenden Wert besitzt. Die Einheit ist gebrochen. Die Einheit — oh, merkwürdige Zeiterscheinung! —, die trotzdem da ist, sogar leidenschaftlich hervortritt, wo auf Arbeiterfesten unsere Lieder erschallen. Unsere Missa Solemnis, die revolutionäre, hat noch keinen Beethoven, aber ein überzeugtes Publikum. 24
Heinz
Sperber
Humor Ein eben erschienenes Buch Kubinke von Georg Hermann (dem talentvollen Verfasser von Jettchen Gebert), ein Buch, worüber ganz Berlin W., als es im Berliner Tageblatt in Feuilletonform erschien, lachte und redete, gibt mir Gelegenheit, mich mit dem Humor zu beschäftigen. Gleich von vornherein möchte ich bemerken, daß es mir leid tut, für diesen mir so höchst unsympathischen Roman unwillkürlich Reklame machen zu müssen, aber es ist noch niemals gelungen, Vivisektion ohne einen Kadaver vorzunehmen, und es ist fast selten ein Buch auf den Markt gebracht worden, das es einem Sozialdemokraten so leicht macht, das Wesen des Humors im allgemeinen und den einer bestimmten Klasse im besonderen darzulegen. Kubinke spielt in der Welt der Dienstboten, Friseurgehilfen, Portiers usw., weswegen sich Hermann in seinem Vorwort „entschuldigt". Der aus der Provinz kommende Friseurgehilfe Kubinke, „für den der Frühling sein Bestes gab", hat nacheinander sexuellen Verkehr mit drei Dienstmädchen in demselben Hause, Emma, Hedwig und Pauline. Zwei von ihnen werden schwanger — von der dritten erfahren wir es nicht genau. Kubinke wird zweimal zur Zahlung von Alimenten verurteilt und hängt sich auf. Dies das hölzerne Gerippe des Romans und die Veranlassung zu dem Humor. Mas verstehen wir nun unter Humor? Humor ist die Kundgebung eines faktisch guten und mitleidigen Menschen. Es gibt in der ganzen Weltliteratur keinen Humoristen, dessen Charakterzüge von Güte und Mitleid abweichen. Ironie, Satire, Sarkasmus und Spott sind kaum oder höchstens entfernte Blutsverwandte des Humors. Ein Prophet geißelt Mängel, kann sie hassen — der Humorist geißelt nicht, haßt nicht. Er macht sich über seine Mitmenschen lustig und tut das als Mitmensch, nicht verbittert, nicht ingrimmig, nicht geifernd. Wer vom Haß beseelt ist, kann nicht humorvoll schreiben. Und obendrein verlangt der Humor den gleichen gesellschaftlichen Boden. Die vielen humoristischen Autoren, die sich über die Bourgeoisie „lustig" machen, sind natürlich vom Haus Bourgeois. Die humoristischen Feuilletons, die die lesende Bourgeoisie erquicken, können nicht anders als von Autoren mit Berlin W.-Empfindungen geschrieben werden. Ein 5
Bürgel, T e n d e n z k u n s t
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Bourgeois kann sich humoristisch über einen Bourgeois äußern, ein Arbeiter nur über einen Arbeiter. Ein humoristisches Buch eines Arbeiters über die Bourgeoisie ist undenkbar, solch ein Buch muß unweigerlich sarkastisch oder satirisch werden. Es gibt keinen Mittelweg. Tritt der bürgerliche Humorist aus seinen Kreisen, ist er nicht zufrieden damit, sich über seine eigene Klasse lustig zu machen, schreibt er humoristisch über eine andereKlasse, dann nimmt sein Humor ganz entgegengesetzten Charakter an. Denn, das wiederhole ich mit Nachdruck, Humor kann und darf nie kränken oder verletzen, er darf nicht weh tun, im Gegenteil, er läßt mitlächeln. Der bürgerliche Humorist, der ein Buch schafft, das in Arbeiterkreisen spielt, und der also mit „Liebe und Güte" erfüllt ist, bleibt in der Liebe und Güte seiner Klasse stecken. Seine Standesgenossen, die sich auf demselben Niveau befinden, werden sich an seinem Humor ergötzen, aber die von ihm humoristisch betrachteten Arbeiter werden diesen Humor mit Ekel empfinden. Wenn ich behaupte, daß Kubinke ein durch und durch schlechtes Buch ist, stelle ich mich nicht auf den bornierten Standpunkt, daß nicht gespottet werden dürfte, nein, ich halte dieses Buch für so schlecht und zugleich für so bemerkenswert für uns, weil wir daraus ersehen, wie der Humor der Bourgeoisie in ein dummes, feiges, herzloses, auf falschen Angaben beruhendes und beleidigendes Getue ausarten kann. Kein Friseurgehilfe, kein Dienstbote, kein Portier, kein Briefträger, kein Schlächtergeselle wird bei diesem Buch das Lächeln, das der Humor hervorruft, lachen — sie werden sich ärgern mit dem Ärger des Bourgeois, der einen Einblick in ein erlogenes Lebensbild aus eigener Sphäre gewinnt. Es ist einfach unmöglich, einen humoristischen Roman zu „dichten", wenn man die Wirklichkeit, die man mit „Güte und Mitleid" bespöttelt, nicht sehr innig und eingehendkennengelernt hat. Der „historische" Werdegang dieses Romans ist folgender gewesen: Georg Hermann, Bewohner von Berlin W., sieht, als er abends ausgeht, Dienstmädchen, die sich ihrer wenigen freien Abendstunden erfreuen, indem sie auch „poussieren". Er findet dieses „interessant". Der Herr Georg Hermann läßt sich jeden T a g in Berlin W . rasieren, entweder beim Friseur selbst oder in seiner eigenen Wohnung. Und dann liest er eines Tages in irgendeiner Zeitung, daß ein Friseurgehilfe zur Zahlung von Alimenten an drei Mädchen auf einmal verurteilt wurde. Der Herr Georg Hermann lacht mit 26
dem Behagen des Dichters, der einen „Fund" gemacht hat. Und ohne weiter etwas aus dem intimen Lebensgang des Friseurgehilfen zu wissen, ohne die geringste Ahnung von der nicht beneidenswerten Existenz eines solchen „poussierenden" Mädchens für alles (das im Grunde genommen ein schlechteres Leben hat als jedes Schoßhündchen in Berlin W.), ohne sich je für solche Art Menschen wirklich interessiert zu haben, beginnt der Herr Georg Hermann einen humoristischen Roman auf den „Fund" des Friseurgehilfen mit seinen „drei Brautens" hin. Der Fund ist ganz neu, etwas absolut Neues, noch nie Dagewesenes. Der erste beste Einwohner von Berlin W., der durch die Tür „Nur für Herrschaften" Zutritt hat, hat in seinem Luxusleben von seiner Jugend bis in seine Ehe hinein, vielleicht Hunderte von Bräuten ohne Alimentation gehabt. Ein Herr aus Berlin W. mit drei Bräuten ist kein Ausnahmefall und kein Stoff für einen humoristischen Roman. Aber solch einem „Friseurgehilfen" gegenüber leckt sich der Bourgeois-Autor alle fünf Finger. Hätte der Herr Georg Hermann, wenn er Friseurgehilfe auf dem Kurfürstendamm gewesen wäre und obendrein Schriftstellertalent besäße, hätte er dann auch diesen Roman schreiben k ö n n e n ? Unmöglich. Denn für die, die offene Augen haben und alles dogmatische Denken verwerfen, ist der gesellschaftliche Zustand der Kubinkes, der Emmas, der Hedwigs, der Paulinen noch nicht derartig vorgeschritten, um ihn „humoristisch" zu behandeln. Es ist die literarische Tat des Herrn Georg Hermann, daß er sich dazu erniedrigt hat. Die erst kürzlich veröffentlichten Ergebnisse der zur „Beseitigung des Kost- und Logiszwanges" bei den Barbieren veranstalteten Erhebungen haben über die Schlafräume und deren Luftinhalt, Beleuchtung, Einrichtung und Wartung Zustände offenbart, die nicht gerade „fröhlich" stimmen. Die größte Zahl der Logis war unbefriedigend, schlecht, sehr schlecht, menschenunwürdig. Als typisch für ein menschenunwürdiges Logis (in Berlin) gilt ein „Logis" auf dem Korridor, zwischen Küche und Abort. Der Fußboden ist asphaltiert. Der Schlafraum ist nicht heizbar. Die Bettwäsche der zwei Betten wird alle sechs Wochen gewechselt. Am Tage schlafen auf den Betten die Kinder. Man wäscht sich im Laden unter dem Leitungshahn. Arbeitszeit 15 Stunden. Liest man die Ergebnisse weiter durch, dann macht man jeden Augenblick „humoristische" Entdeckungen. Zum Beispiel: „Das Bett steht am Tage in einem anderen Raum und wird abends in den 5*
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Arbeitsraum geschoben", oder: „vom Schlafraum geht es in den Kohlenkeller, der ohne Fenster ist. Sobald Kohlen geholt werden, muß die Kohlenkellertüre aufbleiben, damit Licht in den Keller kommt. Dadurch legt sich aber der ganze Kohlenstaub auf mein gegenüberliegendes Bett." Oder: „Wohnung liegt im Keller und ist sehr feucht", oder: „Auskleiden muß man sich halb im Laden, da im Schlafraum kein Platz für zwei Personen ist", oder: „Im Sommer ist es vor Ungeziefer kaum auszuhalten, der Chef sagt dann aber einfach: als er Gehilfe war, hatte er es noch viel schlimmer". Oder: „Der Chef ist lungenkrank. Gelüftet wird nicht. Das Waschbecken wird von der ganzen Familie benutzt". . . Nehmen wir an, daß alle diese angeführten Tatsachen Ausnahmefälle sind, daß die Berliner „Kubinkes" sich schon größtenteils vom Kost- und Logiswesen frei gemacht haben, und beschränken wir uns lediglich auf die Arbeit des Friseurgehilfen, dann kann doch jedes Kind feststellen, daß diese Arbeit allgemein eine lange, ungesunde und trostlose ist. Diese als Herren gekleideten Proletarier, die darauf angewiesen sind, das Kinn der Herren in Berlin W. reinzuhalten, wie „römische Sklaven" Maniküre auszuüben, die Damen nach der neuesten Mode zu frisieren und in ihrer nicht durch Kundschaft beschäftigten Zeit „Haararbeiten" auszuführen, können nur durch einen herzlosen Menschen (eventuell mit viel Herz für die eigene Klasse) humoristisch betrachtet werden. Ein Bourgeois sieht Kubinke mit den flatternden grünen Enden eines neuen „Autoschais" und schreibt: „So fühlte er jetzt seine ganze Person durch diesen neuen Halsschmuck gehoben und verziert." Ein Bourgeois beginnt einen Friseurgehilfenroman nicht mit der tatsächlichen realen Existenz solch eines Gehilfen, sondern mit der Witzblätter-Äußerlichkeit eines neuen Autoschais. Nur ein Bourgeois, der es nicht riskieren würde, ohne genaues Studium über Astronomie, Chemie, Mathematik zu schreiben, wagt es, Proletarier, von denen er nichts versteht humoristisch zu behandeln! Die Dienstmädchen, von denen der Autor sagt: „Es sind gute Mädchen, es sind tüchtige Mädchen — Emma, Hedwig und Pauline. Sie lassen nie den Mülleimer über Nacht in der Wohnung stehen, und sie arbeiten auch mal bis elf Uhr — wenn es sein muß; sie plantschen und scheuern mit roten Köpfen und klirren mit Geschirr und Kesseln und singen dazu bei offenen Fenstern, daß man glaubt, das Haus stürzt ein", solch ein Autor lacht wohl mit zynischer Überlegenheit, aber kann kein Humorist sein. Das ist er aber und sogar mit Talent, wenn er die 28
Herrschaften desselben Hauses „verspottet". Sobald er jedoch eine andere Klasse vornimmt, ist er von verblüffender Plattheit. Wenn die neu-romantische Strömung, die sich lärmend gegen die Elendsmalerei aufbäumt, auf diese Weise dabei bleibt, wird die Bourgeoisie noch manchmal über humoristische Bergarbeiterromane, humoristische Bäckerromane, humoristische Schifferromane usw. lachen können. Aber wir, die wir zuletzt lachen, werden diese „Strömung", ohne Humor, den minderwertigeren Zeiterscheinungen einrangieren.
H[einrich]
Ströbel
Humor Heinz Sperbers sozial-ästhetische Betrachtungen haben in parteigenössischen Kreisen manchen Widerspruch gefunden, einmal sogar eine regelrechte Entgegnung im Vorwärts. Auch ich habe nicht jede seiner Ansichten geteilt, mich aber im allgemeinen über sein forsches Zupacken gefreut. Wer so frisch-fröhlich dreinhaut, wird manchmal daneben hauen. Das ist nicht schlimm und vermag meine Sympathien nicht zu mindern. Aber wenn Heinz Sperber so eigenartige Auffassungen verficht, wie in seiner letzten Epistel Humor, so erscheint mir dagegen der schärfste Widerstand geboten. Nicht nur der Sache, sondern auch Heinz Sperbers selbst wegen. Der Sache wegen, weil es kompromittierend wäre, ohne Protest Anschauungen für proletarische Ästhetik ausgeben zu lassen, die jedes freie künstlerische Schaffen gefährden müßten. Heinz Sperbers wegen, weil er durch sein letztes Feuilleton seine eigenen verdienstlichen Absichten diskreditiert, seine Absichten, der in Klassenvorurteilen und schulmeisterlich-doktrinärer Enge erstarrten Bourgeoisästhetik eine sozial-wissenschaftlich fundierte Kunstanschauungslehre entgegenzusetzen. Also: Heinz Sperber hat sich diesmal gründlichst verhauen. Sowohl in den Abstraktionen seiner Theorie als in dem zur Erhärtung seiner Theorie herangezogenen Musterbeispiel. Zunächst seine Theorie. Humor im dichterischen Sinne ist ihm die Kundgebung eines guten mitleidigen Menschen. Diese De29
finition ist nicht falsch, wenn auch gerade nicht erschöpfend. Umfassender hat Guido Weiß, wie wir dem Reuter-Artikel Mehrings entnehmen, den Begriff Humor dahin erläutert, daß er „die langsam reifende Frucht der Studien an sich selber und an der Welt" und eine „sinnige Resignation" sei. Humor, sagt Heinz Sperber weiter, könne und dürfe nie verletzen, er lasse mitlächeln. Schön, er läßt mitlächeln; nur freilich nicht jedermann, sondern den, der Leben und Dinge humoristisch zu sehen vermag. Humor ist die Kunstgattung für das reifere Alter, das die Dinge und nicht zuletzt sich selbst mit künstlerisch-realistischem Behagen und einem guten Schuß wehmütiger Resignation belächeln gelernt hat. Der leidenschaftliche Drang der Jugend gibt dem stürmisch drängenden Pathos, dem feurigen Ethos und der stachligen Satire, die letzten Endes dem gleichen Seelenquell entspringt wie das Pathos, den Vorzug. Nun stellt Heinz Sperber aber ein paar besondere Thesen auf, die ganz und gar unrichtig sind. Der bürgerliche Humorist, der proletarische Verhältnisse behandelt, bleibt, so sagt er, unbedingt in den Auffassungen seiner Klasse stecken; dieser Bourgeoishumor ist darum dem Arbeiter ekelhaft. Deshalb: ein Bourgeois kann sich humoristisch nur über einen Bourgeois äußern, ein Arbeiter über einen Arbeiter. Nein! Ein echter Bourgeois, ein in den kapitalistischen Klassenvorurteilen aufgehender Bürgerlicher, wird auch die Bourgeoisie nicht im Lichte dichterischen Humors schildern können. Ist er ein seriöser Charakter, so wird er die Dinge in verlogener Weise verherrlichen; ist er ein Zyniker, so wird er karikieren und in Zynismen schwelgen. Wer aber bürgerliches Leben wirklich humoristisch zeigt, der ist eben k e i n Bourgeois, sondern ein Dichter. Und der Arbeiter, der das proletarische Leben wirklich mit dichterischem Humor schilderte, ohne theatralische Schminke und mit feinem Sinn für das Menschlich-Allzumenschliche auch im begeistertsten Klassenkämpfer, der wäre — als Literat — hinwiederum nicht in erster Linie Klassenkämpfer und Sozialdemokrat, sondern Dichter! Daß Klassenzugehörigkeit auch gewisse Beeinflussungen durch die Klassenpsyche mit sich bringt, werde ich, der das selbst in literarischen Besprechungen unzählige Male nachzuweisen versuchte, zuallerletzt bestreiten. Aber daß das Seelenleben des Proletariats etwas so ganz Eigenartiges und Geheimnisvolles sein sollte, daß es sich dem aus bürgerlichen Kreisen stammenden Diclr30
ter — nicht zu verwechseln mit dem „Bourgeois"! — nicht erschlösse und umgekehrt auch die Psyche des Bürgertums nicht dem Verständnis des Dichters von proletarischer Herkunft, ist eine geradezu maßlose Übertreibung! Danach wäre z. B. der Dichter [von] Die drei gerechten Kammacher kein Humorist, weil er nicht selbst Kammacher gewesen, und Ludwig Thomas prachtvolle Humoresken aus dem Kleinbürger- und Bauernleben wären „durch und durch schlechte Bücher", weil ja Thoma nicht Handwerksgeselle oder Bauer, sondern als Oberförsterssohn Studio und Assessor gewesen! An der ganzen Theorie Heinz Sperbers ist also nur so viel richtig, daß ein gelegentlich schriftstellernder Bourgeois den Arbeiter und ein gelegentlich literarisch tätiger Arbeiter den Bourgeois nicht realistisch und humoristisch, sondern satirisch oder karikaturistisch darstellen würde. Handelt es sich aber nicht um zufällig schreibende Bourgeois und Arbeiter, sondern um wirkliche Humoristen und Dichter, so werden diese Poeten auch das Seelenleben solcher Personen tiefgründig zw erfassen vermögen, die nicht ihrer Klasse angehören. Daß nicht alle Dichter Humoristen sind, daß es andererseits auch echte Dichter gibt, die Tendenzdichter und bewußte Vorkämpfer einer jeweiligen Klasse sind, darüber bin ich mit Heinz Sperber natürlich ganz einer Meinung. Diese Tendenzdichter sind dann aber entweder Satiriker (Aristophanes, Heine) oder Pathetiker (der junge Schiller, Freiligrath), nicht aber Humoristen. Wobei ich unter einem Humoristen natürlich immer nicht etwa einen Witzbold, Spaßmacher und Schwankfabrikanten, sondern einen echten Dichter verstehe. Wie die Theorie Heinz Sperbers, so geht bei näherem Zusehen auch sein typischer Schulfall in die Brüche. Georg Hermanns Kubinke soll ein „durch und durch schlechtes Buch" sein, weil es proletarisches Leben nur aus der „Liebe und Güte zur Bourgeoisie" heraus schildere und einen Humor zeige, den die „humoristisch betrachteten Arbeiter nur mit Ekel empfänden". Gleich diesem „Ekel" wage ich ein dickes Fragezeichen zu widmen. Freilich, es fragt sich, welche Arbeiter Heinz Sperber im Auge hat. Von den Hedwig, Pauline und Kubinke bezweifle ich allerdings, daß sie von dem Buch erbaut sein würden. Um sich selbst im Spiegel einer humoristischen Dichtung genießen zu können, dazu bedarf es allerdings einer geistigen Reife, die nicht 31
jeder primitive Mensch besitzt. Zum dichterischen Verständnis gehört nun einmal eine höhere geistige Kultur, gleichviel, wie sie immer erworben sein möge. Das primitive Individuum ist am empfänglichsten für möglichst plump aufgetragene Romantik; das reale Weltbild erscheint ihm öde und entgöttert. — Möglich allerdings, daß es auch manchen intelligenteren, politisch geschulteren Proletariern so ergeht, wie Heinz Sperber selbst, daß ihm der Humor des Kubinke unsympathisch ist. Liegt doch in diesem Humor so gar kein Kampfzorn, aber um so mehr stille Resignation. Ja, ein Lesebuch für den proletarischen Klassenkampf ist die tragikomische Geschichte von dem unselig-seligen Friseurgehilfen Kubinke freilich nicht! Aber dazu taugt überhaupt kein Werk der humoristischen Literatur! Ein so erfreuliches Zeichen für die jugendlich ungestüme Begeisterung mancher Arbeiter und Arbeiterinnen aber auch diese Abneigung gegen eine humoristische Weltbetrachtung sein mag, so wenig beweist sie doch gegen den Humor an sich. Es heißt deshalb das Kind mit dem Bade ausschütten, wenn Heinz Sperber aus den von ihm auseinandergesetzten Gründen den Kubinke ein „durch und durch schlechtes Buch" nennt. Total rätselhaft ist mir, was die Schilderung des sozialen Elends der Friseurgehilfen in Sperbers Aufsatz bezweckt. Nirgends ist im Kubinke auch nur der leiseste Anhalt für die Annahme gegeben, daß Hermann das Los der Friseurgehilfen etwa für ein beneidenswertes halte. Ja, der Verfasser läßt die zwei oder drei Friseurgehilfen auch dieses besseren Geschäfts in Berlin W. armselig genug in einer Bodenkammer hausen. Nirgends wird auch nur mit einer Silbe für die Prinzipale gegen die Gehilfen, für die „Herrschaften" gegen die Dienstboten Partei ergriffen. Der Roman will überhaupt nicht die soziale Frage traktieren, sondern nur ein Stück Menschenleben schildern. Ein Stück Menschenleben, bei dem der menschliche Urtrieb, die Liebe, die Hauptrolle spielt, ein Stück Menschenleben, bei dem sich nicht das Laster erbricht und die Tugend zu Tisch setzt, sondern ein gutes, harmloses Menschenkind unter die plumpen Räder eines groteskbrutalen Schicksals gerät. Gerade deshalb ist der Humor des Kubinke echt, weil ihm die tragische Note nicht fehlt, weil ihn „sinnige Resignation" durchzittert. Ganz unwahr ist es, daß der Humor des Romans in Bourgeoisspäßen über Friseurgehilfen, Dienstboten, Portiers, Briefträger und Schlächtergesellen bestehe. Kubinkes Prinzipal und die „Herr32
Schäften", die Familien Löwenberg und Markowski, werden von dem Licht des Humors gleich intensiv bestrahlt. Ob der Verfasser des Kubinke und der Jettchen Gebert es in seinen Lebensumständen zum „Bourgeois" gebracht hat, weiß ich nicht und kümmert mich nicht; in seinem Kubinke ist er es nicht, sondern der Dichter, der alle seine Geschöpfe mit der gleichen Liebe umfaßt. Der Dichter des Kubinke hat — dazu hat er seiner ganzen Anlage nach auch schwerlich das Zeug — nicht kämpfende Proletarier, nicht organisierte Friseurgehilfen, nicht zum Klassenbewußtsein erwachte Dienstboten geschildert, sondern „Gesinde" jenes alten Schlages, wie es das alte patriarchalische System erzeugte. Aber ist schon deshalb ein Dichter ein Bourgeois, ein Spaßmacher des Mastbürgertums, weil er aus einigen Proletarierschichten Typen herausgegriffen hat, die — leider! — noch immer die Mehrheit dieser Schichten bilden? Aber es fällt Georg Hermann gar nicht ein, diese Dienstboten usw. lächerlich oder verächtlich zu machen. Oder ist die derbe Sinnlichkeit der Hedwig, die Lust am Wohlleben und an schicken Kleidern, die bei der langen Emma hervorsticht, etwa an sich ein Verbrechen? Und sind nicht vollends die gemütvolle rotblonde Pauline und der träumerische Kubinke liebe, sympathische Menschen? Daß sie eben Menschen sind, daß die kreuzbrave, ehrlich verliebte Pauline in der Sommerfrische gleichwohl ein wenig mit einem anderen anbandelt und der tiefer veranlagte, fürs „Höhere" schwärmende Kubinke sich durch seinen Autoschal gehoben fühlt — ja ist das denn nicht echt und allgemein menschlich? Nicht der Dichter setzt diese Proletarier herab, sondern höchstens der argwöhnische Kritiker, der ein Messen mit dem Maßstab armseligster Philistermoral vermutet, wo der Dichter nichts geschaffen hat als Fleisch von seinem, von unser aller Fleisch, als Menschen, Menschen, Menschen. Wenn Kubinke kein „durch und durch schlechtes" Buch ist, braucht er darum noch gerade kein klassisches Meisterwerk zu sein. Ich halte ihn etwa der Jettchen Gebert für gleichwertig, das heißt für einen der besten deutschen Romane der letzten Jahre. Und es ist mir nur schleierhaft, wie Heinz Sperber, der der Jettchen Gebert wegen von dem „talentvollen" Autor spricht, den Kubinke in Grund und Boden verdonnern konnte, der in seiner ganzen künstlerischen Art ein leiblicher Bruder des sympathischen Jettchens ist. 33
Immerhin, hätte es sich nur um die Verschiedenartigkeit der literarischen Wertung eines Romans gehandelt, so hätte ich schwerlich hier widersprochen. Aber nicht um eine gleichgültige Differenz des Geschmacks handelt es sich ja, sondern um eine neue ästhetische Klassenkampftheorie. Diese Theorie erscheint mir aber gewaltsam konstruiert und engherzig. Der intellektuellen Reputation der Sozialdemokratie wegen verdient sie mit aller Entschiedenheit abgelehnt zu werden. Mag Heinz Sperber fortfahren, uns von den ästhetischen Scheuklappen der Bourgeoisie zu befreien. Aber wir bedanken uns gründlichst, uns dafür die Scheuklappen unkünstlerischen Schablonisierens als Merkmal sozialistischer Zielbewußtheit anpreisen zu lassen.
Heinz Sperber [Zu Heinrich Ströbel: Humor] Es freut mich sehr, daß meine sozialästhetischen Betrachtungen in „parteigenössischen Kreisen", wie Genosse Ströbel wohl durch ein Privatreferendum erfahren hat, „manchen Widerspruch gefunden haben". Ich werde dieses „Referendum" nicht mit den mir gewordenen Zustimmungen zu widerlegen versuchen. Ich bin vielmehr durchaus davon überzeugt, daß Genosse Ströbel mit seinen Ansichten nicht allein steht, weil es bis jetzt leider in der Partei meist Brauch gewesen ist, die verschiedenen Kunstprodukte, Theaterstücke, Romane, Novellen usw. mehr mit bürgerlichen als proletarischen Augen zu beurteilen. J e mehr Entrüstung ich nach dieser Richtung hin hervorrufe, je mehr wird das, wenn auch nicht für mich persönlich, so doch für unsere auf die Kunstgebiete bisher noch wenig ausgedehnte Weltanschauung von Nutzen sein. Denn von einer neuen „ästhetischen Klassenkampftheorie" hören wir nur selten, und ich glaube, daß Genosse Ströbel, der in seiner Entgegnung für Sozialdemokraten höchst wunderbare, aber für Literaten nicht sehr neue Meinungen verkündet, uns nicht gleich mit einem Extrazug in das gelobte Land führen wird. Ich sprach so populär wie möglich und selbstverständlich mit 34
Rücksicht auf das Arbeiterpublikum dieses Blattes über den abstrakten Gegenstand H u m o r . Als Hauptargument gab ich an: „Humor ist die Kundgebung eines wirklich guten und mitleidigen Menschen, und Humor verlangt den gleichen gesellschaftlichen Boden." Ferner behauptete ich: „Der bürgerliche Humorist bleibt in der Liebe und Güte seiner Klasse stecken." Jeder denkende Genosse wird mir darin sofort zustimmen, daß diese Auffassung unbedingt ein Kind unserer Weltanschauung ist. Ströbel ist nur relativ damit einverstanden. Besser, sagt er wohl an die dreimal, ist anzunehmen, daß der Begriff „Humor" eine „sinnige Resignation" sei. Wenn wir Sozialdemokraten mit dieser Auffassung einverstanden wären, würden wir weiter kein Wort über die „sinnige" oder „wehmütige" oder „stille" Resignation verlieren, weil eine . . . resignierte Kunstauffassung vielleicht einem Anhänger Tolstois, aber nie einem überzeugten Sozialdemokraten irgendwie sympathisch sein kann. Und Genosse Ströbel ist hiermit auch soweit einverstanden, daß er nach einer langen Auseinandersetzung selbst erklärt, daß „kein Werk der humoristischen Literatur für den proletarischen Klassenkampf taugt". Schalten wir also die brave, rührselige Resignation aus . . . Und schalten wir etwas anderes dafür ein: bürgerliche und proletarische Kunst! Nein, sagt Genosse Ströbel: wer bürgerliches Leben wirklich humoristisch zeigt, der ist ein . . . Dichter. Und der Arbeiter, der das proletarische Leben wirklich mit dichterischem Humor schildert, der ist- ein . . . Dichter. Ich glaube, daß man auf diese Weise genau so schlau behaupten kann, daß ein Bourgeois ein Mensch, daß auch ein Arbeiter ein Mensch ist, daß beide Menschen sind, daß es deshalb nur Menschen gibt und der Begriff Klassenkampf ein irriger Gedankengang eines gewissen Herrn Marx ist. Wir aber, die wir einen ernstlichen und nicht zu überbrückenden Unterschied zwischen bürgerlichen und proletarischen Dichtern machen, wir, die wissen, daß das Proletariat von heute sich noch leider größtenteils mit bürgerlichem Abfall behelfen muß, weil 99 Prozent der sogenannten „Dichter" ausschließlich für ihre eigene untergehende Klasse dichten oder für sich selbst (in einer Selbstanzeige im Literarischen Echo vom 1. Dezember schreibt der Autor Kubinkes wörtlich: „Zuerst einmal fühle ich mich ja nicht als Erzähler von Geschehnissen, sondern als Deuter und Schilderer meines eigenen Ichs") — wir werden uns hüten, in den alten gemütlichen Fehler zu verfallen, einen Dichter für eine Art Wesen anzusehen, das wie jeder atavistische Herrscher von Gottes 35
Gnaden „über alle Weltanschauungen erhaben" ist. Ein humoristischer Dichter unter den modernen Proletariern ist kaum denkbar. Wohl ein leidenschaftlicher oder mit seiner Ironie geißelnder proletarischer Dichter. Und der bürgerliche humoristische Dichter, der Mann „mit Liebe und Güte" (und rührseliger Resignation) ist als Mitglied seiner Klasse allenfalls zu ertragen, wenn er mit seinem Humor die eigene Klasse verspottet. Der bürgerliche Humorist vom Genre Georg Hermanns, der von einer Zeitungsnotiz inspiriert (im oben erwähnten Literarischen Echo sagt er auch wieder wörtlich: „Was sich mir bot, war eine Zeitungsnotiz.") einen humoristischen Roman in eine andere, ihm ganz unbekannte Klasse verlegt und ohne Kenntnis dieser Klasse Proletarier „humoristisch" behandelt, ist und muß einem guten Sozialdemokraten, der da weiß, wie es im Volke hergeht, ein Ekel sein. Das ganze Buch Kubinke, das ich als Beispiel herausgriff, gibt, so weit es über Proletarier spricht, ein ganz erlogenes Lebensbild. Und darum ist der auf diesem erlogenen Lebensbild erbaute Humor, von welchem Standpunkt aus man ihn auch betrachtet, abstoßend und eine Beleidigung des erwachten Proletariats, wofür Genosse Ströbel und ich doch schreiben, und zugleich ein kleiner Beweis für meine Behauptung, daß Humor den gleichen gesellschaftlichen Boden verlangt. Mit vollem Recht hat schon der Vorwärts vor Monaten gegen die niederträchtige Weise, mit der in diesem Roman die weiblichen proletarischen Typen „humoristisch" geschildert werden, scharf protestiert. Für uns, für uns Sozialdemokraten, ist Kubinke ein durch und durch schlechtes Buch. Hier spricht nicht der „argwöhnische Kritiker", sondern die moderne, proletarische Lebensanschauung. Und es ist ein merkwürdiges Symptom, daß, während beispielsweise ein sehr guter bürgerlicher Kritiker — Willi Rath — in der Täglichen Rundschau seine Meinung über dieses Buch dahin äußert: „So sicher die meisten Züge aus dem Triebleben des großstädtischen Gesindes auf Wirklichkeit beruhen, in dieser Zusammenstellung (zweiundeinhalb rohe Dirnen auf zwei Mädchen aus dem Volke) liegt doch Unwahrheit. Bei stellenweise täuschendem Anschein von objektiver Lebensschilderung wird im Grunde bloß Karikatur gegeben", gerade von sozialdemokratischer Seite die Lobesposaune über diesen Humor erschallt! Nein, wirklich, die sozialästhetische Betrachtung des Genossen Ströbel kann man nur mit stiller, sinniger, wehmütiger Resignation gemessen — als einen nicht ganz gelungenen humoristischen Versuch. 36
Heinz Sperber Öedipus im Zirkus Ich glaube, wir haben Veranlassung, noch einmal gemütlich über den letzten und gänzenden Erfolg Max Reinhardts zu plaudern. Wenn wir auch vielleicht nicht viel dadurch lernen können, so wird doch manches dadurch vollkommen bestätigt. Zunächst springt bei diesem Triumph des Berliner Snobismus ins Auge, wie wenig wirkliche Ehrerbietung die Bourgeoisie für die Werke der klassischen Dichter hegt. Denn diese Darstellung, so bemerkenswert sie auch als Kundgebung eines begabten Regisseurs sein mag, ist im Grunde genommen doch nichts anderes, als ein an dem Dichter Sophokles, an dem alten, edlen und gestrengen Dichter vorgenommener Mord. Nicht, weil das Stück im Zirkus Schumann, wo sonst die Peitsche zu knallen pflegt, Akrobaten ihr Leben riskieren und die Leere der Zeit Orgien feiert, aufgeführt wird. Im Gegenteil, es würde angenehm und unterhaltend sein, wenn Direktor Schumann mit liebenswürdiger Erwiderung dieser Höflichkeit einige Galavorstellungen im Deutschen Theater oder dem Königlichen Schauspielhause geben ließe. Nicht weil ein Dichter etwas von seinen Federn oder seiner Reputation im Zirkus lassen könnte, sondern um das Bezeichnende der Tatsache, daß ohne weiteren bedeutungsvollen Widerstand der bürgerlichen Presse eine Darstellung beweihräuchert oder akzeptiert wird, die eine dichterische Arbeit pietätlos in Fetzen zerrt, aus ihrem Zusammenhang reißt, auf den Kopf stellt, der malerischen — Massenwirkungen wegen. Es ist nicht der Dichter Sophokles, nicht das schön gesprochene lyrische Wort des Chorführers, nicht das Drama in seinem ursprünglich strengen Stil, deshalb nicht der „unsterbliche Kern", der den Zirkus so viele Abende ausverkauft sein läßt, sondern es sind die Massenwirkungen, die viele Hunderte halbnackter Knaben und Männer, die Dekorationen und Lichteffekte, die das Berlin, das Gesprächsthemen für seine Jours und Abendessen nötig hat, das Berlin, das sich mitreißen läßt, in Bewegung bringt. Wenn die Bäume der Bellevuestraße bedroht werden, weint Berlin W. blutige Tränen, wenn der moderne Zahn der Zeit sein plombiertes Gebiß an den „Kolonaden" delektieren will, bricht unter dem Strich eine Revolution aus, wenn eine alte ehrwürdige Ruine durch einen stümpernden Regierungsbaumeister „restauriert" wird, kommen wohl noch einige Proteste. 37
Aber Ödipus mit Zwiebeln gebraten wie ein Wiener Rostbraten, Ödipus gepfeffert und gewürzt wie ein Goulasch, Ödipus ertränkt in der Sensation der Massenwirkungen des Herrn Reinhardt, der als vortrefflicher Koch alte Dichter backt, brät, am Spieß rostet, räuchert oder spickt, je nachdem er damit bei der Bourgeoisie eine Sensation bewirken kann. Ödipus zu einem naturalistischen Bankett erhoben, findet nicht einen einzigen Beschützer. Die gesamten bürgerlichen Kritiker, die den sich ewig regenden Max Reinhardt unendlich viel interessanter finden als solch einen toten Dichter, würden Zetermordio schreien, wenn man die Venus von Milo mit einem Paar künstlicher Arme ausstattete oder inmitten der Ruinen des alten Pompeji einen Zeitungskiosk und eine Kirmesbude mit Bratwürstchen, Brezeln, angebrannten Kartoffelpuffern, mit der deutschen Flagge auf der Budenspitze aufstellte, aber diese Kritiker schweigen aus Schlaffheit, Ehrfurcht oder Rührung, wenn Sophokles durch den nicht genug zu preisenden Zeitgenossen Max Reinhardt nach letzter Berliner Mode „restauriert" wird. Und sie schweigen mit vollem Recht. Es ist eins der bekanntesten Zeichen des Unterganges der Bourgeoisie, der kapitalistischen' Gesellschaft, daß die innige und aufrichtige Hochachtung, der Respekt vor der eigenen Vergangenheit entweder nicht besteht oder mit Füßen getreten wird oder aus Motiven, die keine schärfere Untersuchung vertragen können, zu einem wurmstichigen und verdächtigen Enthusiasmus ausgeblasen wird. Hat die auf anarchistischer Produktionsweise beruhende kapitalistische Gesellschaft, worin das Produkt über den Produzenten tyrannisch vorherrscht, eine eigene Ästhetik, ein eigenes Ideal? Basiert sie auf einer der großen Weltanschauungen, die in der Vergangenheit große Kunst in Wechselwirkung mit der gesellschaftlichen Blüteperiode hervorgebracht? Sind es die bürgerlichen Dichter, wovon unsere Zeit noch königliche Taten erwartet? Werden nicht alltäglich auf der ganzen Welt Tausende und aber Tausende junge Dichter, Maler, Bildhauer, Musiker, Schauspieler, Baumeister usw. durch die klotzigen Füße des kapitalistischen Riesen zertreten und verstümmelt? Wie kann wahrhaftige Hochachtung vor Vergangenem existieren, wenn keine Liebe und Begeisterung für die Kunst von heute, die sich mehr und mehr der Industrie anpaßt, möglich ist? — So unweigerlich die kapitalistische Produktion den Zusammenhang zwischen Arbeit und Eigentum zerreißt, die Produktions38
mittel und Produkte der parasitischen Menschheit angehören und die Künstler notwendig zu dem Proletariat hingetrieben werden, ebenso unweigerlich erscheint das Gesetz, daß dieses Proletariat, das „alles bedroht", die schönen Ruinen der Vergangenheit vor weiteren Vergewaltigungen und Erniedrigungen zu bewachen haben wird. Die Aufführung des Ödipus, der Erfolg dieser Darstellung — woran nur noch gefehlt hat, daß der König auf einem wohldressierten Pferd auftritt — ist ein Zeichen der Zeit, die den Geist des Dichters für dreißig Silberlinge verschachert, die sich für Verse interessiert, wenn es auch etwas Hübsches dabei zu „sehen" gibt, die bei sechshundert halbnackten Statisten und Studenten auch den klassischen alten Sophokles mit in den Kauf nimmt, die auf „Massenwirkung" versessen ist, allerdings wenn sie auf der Bühne und nicht auf den Straßen zur Geltung kommt. E s ist noch etwas sehr Eigentümliches, was durch diese Zirkusaufführung bestätigt wird. In einem meiner früheren Aufsätze schrieb ich u. a. (am 14. August d. J.): „Stellen wir uns doch einmal eine Aufführung vor wie bei den alten Griechen, in freier Luft, ein Volk, das voller Spannung lauschte, weil der Dichter jener Tage alles das besang, was der Menge groß oder heilig oder erhaben schien. Und daneben vergegenwärtige man sich das moderne Theaterfabrikgebäude mit seinen teuren Plätzen unten und seinen schlechten Plätzen oben. Unten für die Bourgeoisie behagliche Sessel — oben für den Plebs hölzerne Bänke, Kronleuchter, die einen Teil der Aussicht verhüllen, Dunst und Gestank . . . Schon allein der Bau und die Einrichtung eines modernen Theaters sind verfehlt. Man legt mit Riesenkapitalien Rennbahnen an, man baut eine Rennbahn im Grunewald, eine in Hoppegarten usw. — das rentiert sich —, man bringt es aus leicht begreiflichen Gründen nicht zu einem schönen Gemeinschaftsgebäude, worin die K u n s t der Kunst wegen gepflegt wird. Die Bourgeoisie ist Diktator in den Theatern. Vor ihr leben die Theater. Sie hat alle Künstler zu Lohndienern gemacht. Sie fühlt sich in Luxustempeln zu Hause; sie pfeift auf ein architektonisch schönes Ganzes, worin auch der Proletarier sich wohl fühlt. Folgen und Ursachen sind miteinander verkettet. Nicht nur, daß das Proletariat, das entwickelter und kritischer angelegt ist als die Damen und Herren unten, nicht nur, daß dieses Proletariat in den Theatern mit dem Gestank von unten regaliert wird, auch die Stücke, die zur Aufführung gelangen, sind die Stücke, die die
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Bourgeoisie, und in ihrem Namen die Zensur, duldet . . . V o n Leuten mit schlecht gefüllten Börsen kann keine Theaterfabrik bestehen." Ich lege Nachdruck darauf, daß in Berlin wohl Theater für die bezahlende Bourgeoisie, wohl sehr teure Bonbonnieren für dekadente Kunst und „ästhetische" Versuche gebaut werden, daß aber wirkliche Gebäude für große Mengen fehlen. Und nun plötzlich macht man die „Entdeckung", daß die Aufführungen im Zirkus die „Lösung" einer wirtschaftlichen Theaterfrage bedeuten! Der Theaterdirektor, der bis heute ausschließlich mit Parkett, Logen und erstem R a n g zu rechnen hatte, der sich kriechend vor den Damen und Herren im Smoking und Abendtoilette verneigte und höchstens für eine Volksbühne die Hand hochhielt, die ihm mit Nachmittagsvorstellungen die Garantie für einen Extraverdienst bot — der Direktor fällt vor Erstaunen in seinem Sessel hintenüber, weil die „billigen Plätze" schon so viele Einnahmen bieten, daß die teuren . . . beinahe ganz fehlen dürften! Erschien es bis heute als ein Axiom, daß jedes Stück, wenn das „bessere Publikum" ausblieb, „ t o t " war, diese Vorstellungen können dank der enormen Einnahme (man spricht von 18 000 Mark) noch oft wiederholt werden, wenn auch das „ V o l k " Interesse zeigt. Das ist für das Berliner Theaterleben etwas ganz „Neues". Und in diesem Sinn ist die Ödi/ws-Aufführung auch für uns ein kleiner Fingerzeig. Erst wenn viele der ausgedehnten Gebäude, worin jetzt Tausende essen und trinken oder Schlittschuh laufen, oder sich die „wunderbaren" Kunstleistungen von Pferden und „Nebenmenschen" ansehen, für schlichte Theaterbesucher zur Verfügung ständen, könnte das sogenannte Bühnenleben auf etwas gesunderer und normalerer Grundlage in Berlin aufblühen. Die Theater warten auf die Massen. Und die Massen auf die Theater.
Heinrich Ströbel Eine ästhetische Werttheorie Im Vorwärts hat unlängst ein Genosse, der unter dem nom de guerre Heinz Sperber schreibt, eine neue künstlerische oder doch literarische Theorie entdeckt. Eine neue ästhetische Werttheorie 40
gleichsam, mit der Heinz Sperber allem Anschein nach etwas Ähnliches vollbracht zu haben glaubt wie Karl Karx mit seiner Werttheorie. Diese Sperbersche Werttheorie besteht nun kurz gesagt darin, daß ihm nicht künstlerische Vorzüge als Maßstab des Wertes einer Dichtung gelten, sondern der Eindruck, den ein Kunstwerk auf einen gewissen Kreis der Leser macht. Eine Dichtung z. B.,die proletarisches Leben behandelt, aber nicht unter dem Gesichtswinkel des proletarischen Klassenkampfes, sondern die dem Naturell und der besonderen Begabung des Verfassers gemäß das Stück proletarischen Lebens im Lichte einer humoristischen Weltbetrachtung spiegelt, ist „durch und durch schlecht", sofern nur eine mehr oder minder große Zahl von Arbeitern diese Betrachtungsweise mißbilligt oder darin am Ende gar eine bourgeoise Verspottung des Proletariats wittert! Der Maßstab für den Wert einer Dichtung liegt also nach Heinz Sperber nicht mehr in ihrer Qualität, das heißt in objektiven Merkmalen, über deren Vorhandensein der literarische Kenner zu entscheiden hat, sondern in dem subjektiven Empfinden irgendwelcher Laien, die aus ihrem instinktiven Gefühl heraus urteilen. Keinem Menschen mit fünf gesunden Sinnen würde es jemals einfallen, über den Wert einer wissenschaftlichen Leistung dergestalt von einer Gruppe von Laien aburteilen zu lassen. Da wird selbstverständlich auch Heinz Sperber nur diejenigen für zuständig halten, die das wissenschaftliche Problem, um das es sich handelt, beherrschen. Ebensowenig wird jemand die Behauptung riskieren, daß ein politisches Problem einfach aus einem unkontrollierbaren Gefühl heraus, ohne genaue Kenntnis und sorgfältige Abwägung der politischen Faktoren, die dabei mitspielen, entschieden werden könne. Aber für die Beurteilung eines Kunstwerkes, einer Dichtung soll nach Heinz Sperber das bloße Gefühl ausreichen! Mag der Beurteiler auch keine Spur von Stilgefühl besitzen, mag er sich nie mit psychologischen Problemen herumgeschlagen haben, mag ihm jede, aber auch jede Voraussetzung für ein auch nur halbwegs sachkundiges Urteil fehlen — gefällt ihm eine Dichtung nicht, weil sich irgend etwas in seinem Empfinden dagegen aufbäumt, so genügt das, um diese Dichtung zu einem durch und durch schlechten Buche zu stempeln! Diese neue ästhetische Werttheorie Heinz Sperbers ist nichts anderes als die berüchtigte Theorie von der schwieligen Faust, aus 6
Bürgel, Tendenzkunst
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dem Politisch-Demagogischen in das Demagogisch-Literarische übertragen. Wie es aber die deutsche Sozialdemokratie, und gerade die marxistische Mehrheit der Partei, stets abgelehnt hat, die Theorie von der schwieligen Faust auf politischem Gebiet anzuerkennen, so wird sie ihr auch auf dem Gebiet der Kunst jede Existenzberechtigung absprechen. Die Doktrin von der schwieligen Faust, diese Karikatur einer wirklich demokratischen Auffassung, will ja auch glauben machen, daß der Proletarier schon aus dem bloßen Gefühl heraus, ohne besonderes Nachdenken, den richtigen Weg fände. Der Arbeiter braucht also nur, ohne sich um das „Literatengezänk" der „Theoretiker" zu kümmern, ruhig seinem proletarischen Instinkt zu folgen, um nicht vom Wege des Klassenkampfes abzuirren. Eine Doktrin, die, wenn sie richtig wäre, nur so gänzlich die Tatsache unerklärt ließe, warum sich dann das Proletariat in England und Amerika nicht auch rein instinktmäßig zum Klassenkampf hindurchgefunden hat und warum auch in Deutschland noch viele Hunderttausende von Arbeitern vom Klassenkampf so gar nichts wissen wollen! Nein: wir wissen, daß die proletarische Klassenlage an sich nicht mehr auslöst als die E m p f ä n g l i c h k e i t für die sozialistische Weltanschauung. Es müssen aber erst ganz besondere politische Umstände und eine intensive sozialdemokratische Propaganda hinzukommen, um den dunklen proletarischen Instinkt in modernes Klassenbewußtsein zu verwandeln. Soll aber dies proletarische Klassenbewußtsein so scharf und klar entwickelt werden, daß die Masse, wie es das demokratische System erheischt, auch für die stets neu auftauchenden politischen Tagesprobleme jederzeit die rechte Lösung zu finden vermag, so bedarf es dazu einer unaufhörlichen politischen Aufklärung und theoretischen Schulung der Massen. Nicht der Instinkt der ungeschulten Massen ist der sichere Kompaß des Klassenkampfes, sondern die politische Einsicht der zu kritischem Denken, zu scharfem Prüfen erzogenen Arbeiterklasse. Nur diese Erziehung vermag zu verhindern, daß das sozialistische Proletariat nicht das Opfer ähnlich plumper Demagogie wird, wie das antisemitisch irregeführte Kleinbürgertum oder der pfäffisch gegängelte Teil der „christlichen" Arbeiterschaft! Wenn nun schon auf politischem Gebiet nur derjenige Proletarier zum Urteil befähigt ist, der sich um die politischen Vorgänge gekümmert und etwas gelernt hat, um wieviel mehr gilt das vom künstlerischen, vom literarischen Urteil! Zumal ja der großen 42
Masse der Arbeiter die Beschäftigung mit der Kunst unendlich viel ferner liegt als die Beschäftigung mit Fragen des sozialen Lebens und der Politik, auf die auch der von Haus aus Indifferenteste schon durch seine täglichen Lebensumstände förmlich gestoßen wird. Ich brauche wohl kaum zu versichern, daß mir nichts ferner liegt, als einem exklusiven Ästhetentum oder irgend etwas das Wort zu reden, das auch nur die geringste Ähnlichkeit mit künstlerischem Fachidiotismus hätte. So gut der intelligente, wissensdurstige Proletarier sich das Anrecht auf ein politisches oder selbst fachwissenschaftliches Urteil zu erwerben vermag, so wenig will ich ihm natürlich die Kompetenz zu literarischem Urteil verkümmern. Nur leitet sich das künstlerische Verständnis in jedem Falle nicht her aus der proletarischen Existenz oder dem proletarischen Instinkt, sondern einzig und allein aus der eifrigen Beschäftigung mit literarischen Dingen. Wer sich nicht den Grad allgemeiner und künstlerischer Bildung erworben hat, der unbedingt erforderlich ist, um die Absichten eines Künstlers verstehen, das Maß von Leistungsfähigkeit würdigen zu können, das ein Kunstwerk vergegenständlicht, der sollte sich in solchen Fragen verständigerweise einfach jedes Urteils enthalten. E r vergibt sich dadurch so wenig, wie sich das bürgerliche Richterkollegium vergibt, das bei Entscheidung einer künstlerischen Frage dem Kriterium seines unmaßgeblichen persönlichen Geschmacks so sehr mißtraut, daß es das Gutachten von Sachverständigen einzuholen für nötig hält. Und wenn schon unsere Juristen, die doch schon aus ihrer Gymnasialzeit immerhin einige literarische Vorbildung mitbringen, sich in der Regel für unzuständig zur Entscheidung einer literarischen Streitfrage erklären, so ist es um so unbegreiflicher, wie Heinz Sperber jeden beliebigen Proletarier zum Richter darüber aufrufen mag, ob ein Kunstwerk etwas taugt oder nicht. Daß die Zahl wirklicher Kunstgenießer und Kunstverständiger innerhalb der Bourgeoisie nur außerordentlich gering ist, läßt sich nicht bestreiten. Das hat mancherlei Ursachen. Zunächst gibt es eine ganze Anzahl Menschen, die von vornherein amusisch sind. Die Zahl derer, die für die Musik auch nicht das allergeringste Empfinden besitzen, ist gar nicht so klein. Unter denen aber, denen der musikalische Sinn nicht von vornherein fehlt, gibt es wieder eine schwere Menge, die über den Geschmack am Trivialsten nie hinauskommen. Und selbst da, wo uns Emp6»
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fänglichkeit für tiefere und ernstere Musik engegentritt, ist sie manchmal noch erheuchelt und in Wirklichkeit nichts als ein Tribut an die Mode, den „guten Ton". Mit der Literatur ist es nicht anders. Mancher Mensch begreift überhaupt nicht, wie man am Lesen Gefallen finden kann. Unzählige aber von denen, die gierig Bücher verschlingen, finden den höchsten Genuß in der seichtesten Unterhaltungslektüre. Wirkliches Verständnis für die dichterische Schönheit und Originalität der Form, für die Feinheit und Wahrheit der Chrakterbezeichnung, für die Genialität der Konzeption besitzen nur verhältnismäßig recht wenige. Viel der Schwärmerei für ältere oder zeitgenössische Dichtungen ist auch hier modischer Bildungsphilisterei zuzuschreiben. In der Hauptsache aber ist das betrübende Banausent u m darauf zurückzuführen, daß die Mehrzahl aller Menschen die Kunst als Mittel zum Zeitvertreib, zur leichten Erholung und behaglichen Unterhaltung betrachtet, während die echte Kunst geistige Anspannung, intensive Hingabe, mit einem Worte: Arbeit erfordert. Der in der Tretmühle des Berufs Abgerackerte, sei er nun Handarbeiter oder geistiger Scharwerker, wird weitaus in der Regel die leichtere Kost spannender oder sonstwie zerstreuender oder amüsierender Unterhaltungslektüre der Vertiefung in ein literarisches Kunstwerk vorziehen. Wer die Kunstfeindlichkeit des Kapitalismus darlegen will, wird gut tun, gerade dies Moment besonders zu würdigen. So groß auch der Bildungseifer und Wissensdrang des klassenbewußten Proletariats sind, so wenig vermag auch es sich den psychologischen Hemmnissen zu entziehen, die sich zwischen den Arbeiter und den Kunstgenuß stellen. Auch der Proletarier greift — wie ja auch so mancher tüchtige geistige Arbeiter, ernste Wissenschaftler oder angesehene Politiker — statt zu einem ernsthaften Kunstwerk, das zu fortgesetzten Reflexionen zwingt, zu einem bequemen Unterhaltungsbuch. Aber selbst wenn das nicht der Fall ist, bevorzugt gerade der klassenbewußte Arbeiter häufig nicht solche Werke, in denen die künstlerische Gestaltungskraft des Dichters exzelliert, sondern Werke, in die recht viel Gedankenwerk eingesprengt ist. Ja, genügt die Dichtung an sich nicht solchen philosophischen Bedürfnissen, so wird von dem proletarischen Leser häufig künstlich alles Mögliche hineingeheimnist. Das ist psychologisch ja nur zu erklärlich. Der geistig strebsame Arbeiter, der nicht zugleich ein Stück spezifisch künstlerischer Veranlagung mitbringt, sucht in der Kunst nicht die tiefe und
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klare Widerspiegelung des Lebens, wie es ist, sondern ein Mittel zur unmittelbaren Belehrung und Besserung der Menschen, Tendenz, g r e i f b a r e Tendenz! Nun ist es ja sicherlich eine der törichtesten Behauptungen der bürgerlichen Schulästhetik, daß die wahre Kunst tendenzlos sei, daß also Tendenzkunst keine wahre Kunst sei. In Wirklichkeit gibt es überhaupt keine tendenzlose Kunst. Jedes wirkliche Kunstwerk ist aus einer Weltanschauung heraus geboren. J a bei näherem Zusehen stellt sich sogar heraus, daß die Weltanschauung der bedeutendsten Kunstwerke nicht einmal die behördlich abgestempelte war. Lessings Nathan, Schillers Carlos, Goethes Faust und Wahlverwandtschaften — all diese Werke atmen in politischer, religiöser und moralischer Beziehung eine Weitherzigkeit, wie sie nur bei den vorgeschrittensten Geistern ihrer Zeit anzutreffen war. Aber auch wenn man von Dichtungen dieser Art, wo die Tendenz immerhin nicht schreiend hervortritt, absieht, wenn man die ausgesprochensten Tendenzdichtungen, wie etwa Freiligraths Revolutionslyrik, in Betracht zieht, zeigt sich die Kindlichkeit der schulmeisterlichen Auffassung, daß sich echte Kunst nicht mit Tendenz vertrage. Kunst hat eben gar nichts mit Tendenz, aber um so mehr mit K ö n n e n zu tun. Wer etwas kann, wer etwas Künstlerisches hervorbringt, der ist eben ein Künstler. Mag die Dichtung von Tendenz strotzen, mag sie diese Tendenz mit Fanfaren in das Land hinausschmettern, sie kann deshalb doch lauterste, echteste Kunst sein, wenn sich die Tendenz nur nicht in dürren Phrasen und klappernden Versen ausspricht, sondern wie bei Freiligrath in einer Sprache von hinreißendster Leidenschaft und wuchtigster Bildkraft, in einer Form, die Goethes Wort „Bilde, Künstler, rede nicht" geradezu paradigmatisch erhärtet. Also: die Kunst darf unbeschadet Tendenzkunst im vulgärsten Sinne sein, ihr darf die Gesinnung an der Stirn geschrieben stehen. Aber Heinz Sperber schlägt einen logischen Salto mortale, wenn er nunmehr die neue These verficht: Kunst muß Tendenzkunst sein, Kunst, bei der die Tendenz mit Händen zu greifen ist. Heinz Sperber hat ja im Feuilleton des Vorwärts zwei Sätze aufgestellt. Erstens: Ein Buch, das Proletarier nicht als Träger des Klassenkampfes behandelt, sondern einfach als Menschen, als Verkörperung menschlicher Schwächen und Gebresten, müsse 45
den Proletariern ekelhaft sein. Deshalb zweitens: Ein Bürgerlicher dürfe Proletarier nicht humoristisch behandeln. Tue er es dennoch, so schreibe er ein durch und durch schlechtes Buch. Betrachten wir uns zunächst die erste These einmal ein wenig näher. Sie ähnelt darin der von Sperber sonst so mit Recht verfemten schulmeisterlichen Bourgeoisästhetik, daß sie mit einem kategorischen Imperativ arbeitet. Eine humoristische Schilderung proletarischen Lebens, die dessen komische Züge aufzeigt, muß klassenbewußten Arbeitern ekelhaft sein. Hätte er sich noch statt des „muß" mit einem „wird" begnügt. Er hätte dann nur eine Tatsache behauptet, über deren Richtigkeit in aller Ruhe zu diskutieren war. Aber Heinz Sperber hängt geradezu dem einen politischen Makel an, der sich erdreistet, anders zu empfinden als er und seine ästhetischen Musterarbeiter. Ich will das, was ich hierzu im Vorwärts ausgeführt, nicht wiederholen, sondern nur das Schlußglied meiner damaligen Argumentation: Selbst wenn man zugeben wollte, daß die meisten Arbeiter keinen Sinn für eine realistisch-humoristische Spiegelung proletarischen Lebens besäßen — bewiese das auch nur das Geringste für oder gegen eine solch humoristische Dichtung?! Aber die Frage sei von einer anderen Seite aus behandelt. Es ist kein Wort darüber zu verlieren, daß es alle Sozialdemokraten natürlich mit Freuden begrüßen würden, wenn wir eine Dichtung besäßen, die die sozialistische Weltanschauung mit aller tendenziösen Zuspitzung verherrlichte. Jeder sozialistische Dichter soll uns hochwillkommen sein. Ja, wir wollen auch schon diejenigen mit allem Respekt behandeln, die, obgleich keine Dichter, wenigstens in erträglicher Unterhaltungsschriftstellerei Leben und Ideale des modernen Proletariats schildern. Aber darum haben wir noch lange keinen Anlaß, über die „bürgerliche" Dichtung verächtlich den Stab zu brechen, die sich eines ehrlichen Realismus befleißigt. Und wenn ein solcher Realismus das Proletariat nicht als besondere Edelmenschen schildert, so braucht daran gerade der klassenbewußte, der sozialistische Proletarier keinen Anstoß zu nehmen. Lehrt doch die materialistische Geschichtsauffassung, daß die Menschen Produkte ihrer Verhältnisse sind. Und daß just das Proletariat in Verhältnissen lebte, die der Entwicklung seiner geistigen und moralischen Anlagen besonders günstig seien, wird wohl ein Sozialist zuallerletzt behaupten wollen! Die Sozialdemo46
kratie fordert die Beseitigung der kapitalistischen Gesellschaftsordnung doch nicht nur deshalb, um die materielle Lage der breiten Volksmassen zu verbessern, sondern auch, um diese Massen auf ein ganz anderes Kulturniveau emporzuheben. Der ökonomische Materialismus leugnet, daß die Menschheit von abstrakten sittlichen Idealen geleitet werde. Er lehrt vielmehr, daß im Leben der Völker, im sozialen Gesamtorganismus sowohl wie im Leben der einzelnen Persönlichkeit soziale Faktoren, materielle Interessen in letzter Instanz ausschlaggebend sind. Wie der Geschichtsschreiber in seiner Art nachweist, daß materielle, soziale Interessen den Gang der geschichtlichen Entwicklung bestimmen, wie er nachweist, daß das Geistes- und Sittenleben der Völker nur der Reflex der ökonomischen und gesellschaftlichen Triebkräfte ist, so zeigt uns auch der realistische Dichter, daß der einzelne Mensch nicht schrankenlos irgendwelchen Idealen und sittlichen Grundsätzen leben kann, sondern mit jeder Faser verwachsen ist mit dem gesellschaftlichen Boden, in dem er wurzelt. Der realistische Dichter zeigt, daß auch das Einzelindividuum abhängig ist von materiellen Motiven, von physischen Trieben und Leidenschaften, daß es nicht das primitive Wesen ist, als das ihn verlogene Romantik und schlechte Unterhaltungsschrift stellerei zeichnen, sondern ein überaus kompliziertes, widerspruchsvolles Wesen, ein wundersames Gemisch von Gut und Böse, von Erhabenem und Lächerlichem. Haben wir Sozialdemokraten also Ursache, dem Dichter zu grollen, der uns zeigt, daß Proletarier auch nur Menschen sind? Und wenn Dichter von bürgerlicher Herkunft auch die spezifischen sozialen Tugenden, die das Proletariat gerade wegen seiner Klassenlage und Klassenkämpfe zu entwickeln vermochte, dichterisch nicht so zu gestalten vermögen, wie das einem sozialdemokratischen Dichter von proletarischer Herkunft möglich wäre — sollen wir darum empfindlich und kleinlich genug sein, ihm auch da die Schilderung proletarischen Lebens zu verwehren, wo seine Beobachtungsgabe und sein seelisches Nachempfindungsvermögen ausreichen? Damit wären wir freilich schon mitten bei der zweiten These Heinz Sperbers angelangt, wonach ein bürgerlicher Poet sich ja nicht unterstehen darf, proletarisches Leben realistisch oder gar humoristisch zu schildern. Warum sollte denn das aber dem bürgerlichen Dichter verwehrt sein? Weil er sich ja doch zu wenig in 47
proletarisches Wesen hineinzuversetzen vermöchte? Du lieber Gott, da müßte man schon dem Dichter überhaupt verbieten, irgendein anderes Wesen als sich selbst zu schildern! Oder sollte es einem Dichter leichter sein, einen Kommerzienrat, einen Minister, einen Bauern oder einen Offizier zu schildern als einen Proletarier? Gerade das macht ja nach aller Literatur beflissenen Meinung das eigentliche Wesen des Dichters aus, daß er sich kraft seines psychologischen Spürsinns und AhnungsVermögens in die Seele jedes Nebenmenschen hineinzuversetzen vermag! Aber Heinz Sperber legt den Hauptwert auf den bürgerlichen Dichter. Der steckt nach seiner Meinung so tief und rettungslos in den Klassenvorurteilen der Bourgeoisie, daß er sich nimmermehr in der proletarischen Empfindungswelt zurechtfinden kann. Nun ist es aber das Eigentümliche, daß gerade der echte Dichter selten oder fast nie das ist, was man einen Bourgeois nennt. Oder man zeige uns doch, wo in Tolstoi, in Zola, in Ibsen der Bourgeois steckt! Oder auch in Gerhart Hauptmann, in Dehmel oder, um gar ein paar Junker zu nennen, in Wilhelm v. Polenz oder Detlev v. Liliencron! Allerdings: Verständnis und Sympathie für die sozialistischen Bestrebungen des Proletariats wird man bei den meisten dieser Dichter nicht antreffen. Aber ebensowenig wird man bei ihnen bourgeoiser Intoleranz, psychologischer Verständnislosigkeit und moralischer Pharisäerei begegnen. Der Dichter ist selten ein zoon politikon, selten ein ausgesprochener Sozialist, aber in seiner Weltanschauung steht er keiner Partei so nahe wie der Sozialdemokratie, die ja nicht nur das Erbe der klassischen Philosophie, sondern der geistigen Kultur der besten Geister des Bürgertums überhaupt angetreten hat! Der Dichter ist eben kein Bourgeois, sondern seiner ganzen geistigen Richtung nach viel eher ein Pionier des Kulturfortschritts. Daß mancher Dichter schließlich doch als Mystiker und Reaktionär endet, beweist nichts gegen die Regel. Und wenn der Sozialdemokrat auch sonst außerhalb des Sozialismus noch mancherlei kulturfördernden Faktor anerkennen muß — die Technik, manchen Zweig der Wissenschaft —, warum sollte er da Kunst und Künstler ausnehmen? Darum zum Schlüsse nochmals klar und deutlich: Gerade vom aufrichtig demokratischen Standpunkt aus ist die demagogische Doktrin von der schwieligen Faust zu verwerfen. Gewiß muß echte Kunst auch ihren sozialen Gebrauchswert haben, nur darf man nicht verlangen, daß er sich ohne weiteres in politischer 48
Scheidemünze ausdrücken läßt. Und gerade der „radikale" Sozialdemokrat und Marxist muß es ablehnen, komplizierte soziale und künstlerische Probleme nach einem ganz unmarxistisch plumpen Schema behandeln zu lassen. Dem platonischen, dem urchristlichen und dem mittelalterlichaszetischen Sozialismus mochten Bilderstürmerei und Kunstfeindschaft eigen sein; der moderne Sozialismus weiß sich völlig frei davon!
Heinz
Sperber
Vorpostengefechte Der Streit, den ich mit Genossen Ströbel vor einiger Zeit über das Wesen des Humors führte, hat ganz ohne meine Schuld bei einigen Genossen Veranlassung zu Mißverständnissen gegeben. Bei seinem Versuch nämlich, mich einer unrichtig-proletarischen Anschauung zu beschuldigen, schnitt Genosse Ströbel das Thema an, ob das Seelenleben des Proletariats etwas so ganz Eigenartiges und Geheimnisvolles sein sollte, daß es sich dem aus bürgerlichen Kreisen stammenden Dichter nicht erschlösse und umgekehrt auch die Psyche des Bürgertums nicht dem Verständnis des Dichters von proletarischer Herkunft. „Danach wäre", behauptete Genosse Ströbel, „z. B. der Dichter [von] Die drei gerechten Kammacher kein Humorist, weil er nicht selbst Kammmacher gewesen, und Ludwig Thomas prachtvolle Humoresken aus dem Kleinbürger- und Bauernleben wären .durch und durch schlechte Bücher', weil ja Thoma Studio und Assessor gewesen!" Hierauf brauche ich natürlich nicht einzugehen, weil ich nichts geschrieben, was zu dieser Begriffsverwirrung Anlaß geben konnte. Doch mache ich mir diese Auslassung zunutze, um noch einmal das Wesen des bürgerlichen und proletarischen Dichters zu beleuchten. Während wir einerseits die merkwürdige Tatsache erleben, daß das kräftige, einmütige deutsche Proletariat noch keinen Überfluß an bedeutenden Dichtern aus eigenem Blut hervorgebracht hat, nehmen wir andererseits den durch niemand zu verkennenden Verfall der bürgerlichen Kunst wahr, einen durch die gesellschaftlichen Verhältnisse bedungenen Verfall, der noch in seinem 49
Anfangsstadium zu sein scheint. Diesem Verfall gegenüber können wir nicht anders als kritisch auftreten. Und wenn ich „wir" sage, meine ich damit selbstverständlich die Genossen, die entweder in bürgerlicher Umgebung aufgewachsen sind und als bewußt gewordene Menschen die proletarische Lebensanschauung zu der ihrigen gemacht haben oder die aus den Kreisen des Proletariats hervorgegangen sind, einen Teil ihrer Bildung aber der bürgerlichen Kultur zu verdanken haben. Ich wiederhole, daß diese „wir" uns in diesem Falle schwerlich anders als kritisch verhalten können. Die Vorbedingungen für die schöpferische Tat, für die neue und proletarische Kunst, die wir erträumen — und erträumen dürfen —, wurzeln nicht und können auch nicht in dieser Gesellschaft wurzeln. Wo wir Sozialdemokraten die heutige Kunst, und zwar auf breiterer Grundlage und wahrlich nicht nach der armselig-kleinlichen, pedantischen „Schönheitsmethode" der bürgerlichen Kunstkritiker zergliedern und einordnen, kritisieren wir sie nach demselben Maßstab wie die übrigen gesellschaftlichen Erscheinungen. So wenig wir das utopische Steckenpferdchen reiten, uns einen „Zukunftsstaat" mit Duft und Farben zu malen, wo die Äpfel geschält an den Bäumen hängen, die Hühner gekochte Eier legen und die Portionen Gänsebraten durch die Luft herangeflogen kommen, ebensowenig verbrennen wir uns die Finger an einer Zukunftskunst. Eine Katze, die aus dem dritten Stock herunterfällt, kommt durchweg wieder auf die Füße. Noch sicherer wissen wir, daß auch die dekadente Kunst von heute, wie viele Purzelbäume sie auch in der Luft beschreiben mag, durch den Sieg des Proletariats auf die Füße kommen wird. Es kann nicht unsere Aufgabe sein, j etzt schon mit einem großen Salto mortale über Jahrhunderte hinwegspringen zu wollen. Der Unterschied zwischen der Menge der bürgerlichen Dichter und den paar proletarischen ist heute hauptsächlich noch einer der Lebensanschauung und weniger der Tat. Aber mit dem prinzipiellen Unterschied, daß die Tat der bürgerlichen Dichter keinen Lenz in sich birgt, keine Verheißungen trägt, während die fast noch „tatenlose" Lebensanschauung der sporadischen, proletarischen Dichter die Saat einer gesunden Gemeinschaftskunst für spätere Generationen enthält. Dies möchte ich, um nicht wieder neuerdings mißverstanden zu werden, an einem Beispiel illustrieren. Kunst ist der Ausdruck unbedingter Liebe und Hingebung für die Menschheit. Sie ist nicht die Auslassung eines bestimmten 50
Individuums für sich selbst, sie kann nicht anders gedacht werden als wie ein schönes Geschenk für die Allgemeinheit. Nehmen wir einmal an, daß heute ein Dichter die höchste Tat — die des großen Dramas, wie einst in der griechischen Blüteperiode — zu vollbringen trachte, wo ist dann das freie Volk, zu dem dieser Dichter im Namen neuer Ideale, Hoffnungen und Lebensanschauungen sprechen könnte? Wo steht als architektonisches Kunstganzes das für die Allgemeinheit errichtete Gebäude? Wo sind die Maler, die aus Liebe zur Allgemeinheit dieses architektonische Ganze mit Symbolen der Eintracht, des Friedens und der Arbeit schmücken? Wo ist alles das, wo ist das Zusammenwirken von Architektur, Malkunst, Musik, Bühnenkunst, Gebärdenspiel, um das dichterische Wort für ein frohmütig lebendes Volk zu einem harmonischen Ganzen zu gestalten?. . . Natürlich nirgends. Wenn morgen der begabteste Dichter mit den heiligsten Absichten und aus tiefster Begeisterung für die Wünsche und Forderungen seines Volkes aufstände, würde er sofort lahmgelegt durch die Macht der herrschenden Klasse, die nur den Klang bezahlt, der ihr angenehm und dienlich ist. So liegen alle die gesunden Vorbedingungen für eine gesunde freie Volkskunst unter dem tötenden System des Gelderringens und des Lohndienstes begraben. Wenn man von bürgerlicher Seite behauptet, daß dieses Kunstverlangen zu den „Utopien" gehört, dann kann man schon heute mit einem Lächeln auf das moderne Proletariat verweisen, das in seinem politischen und ökonomischen Zusammenhalten die prächtigsten Taten gemeinsamen Schaffens zeitigt, das Tag für Tag Helden hervorbringt, die sich ohne viel Aufsehen, nur aus Gemeinschaftssinn für ihre Kameraden opfern, um ein „utopistisches" Ziel zu erreichen. Das Solidaritätsgefühl der Arbeiter aller Länder beruht nicht nur auf schöneren, tieferen, intensiveren Gefühlen, als die beste Kunst von heute sie bieten kann, es ist mitsamt der proletarischen Lebensanschauung der einzige Kompaß in die Zukunft. Die kapitalistische Gesellschaft hat auf dem Gebiet der Kunst, die das Beste der Menschheit vertreten soll, alles edle Zusammenwirken, das Zusammenwirken aus reinen und hehren ¡Motiven vernichtet. Sie hat Künstler „gezüchtet", die entweder untergehen im Ringen um die tägliche Existenz oder im Luxus des Erfolges noch bei Lebzeiten sterben. Weil das an so vielen Beispielen dargelegt werden kann, sind Beweise überflüssig. Kann es heute schon reinproletarische Dichter geben? Schwerlich. Wir entrinnen, keiner von allen, dem Milieu, in dem wir geboren sind. 51
Wie seltsam es auch klingen mag: die besten proletarischen Geistesprodukte liefert die sozialdemokratische Presse. Die sogenannten sozialistischen Journalisten haben ein eigenes Terrain, ein eigenes Publikum. Sie stehen mitten in den Vorpostengefechten. Sie sind die Tirailleure. Und die „Nur-Künstler", die für das Proletariat wirken, gehen entweder in der kapitalistischen Gesellschaft mit Ketten an den Beinen umher, wie die englischen Galeerensklaven, oder erwecken den Eindruck der „Halbheit", weil sie, um leben zu können, sowohl für die Bourgeoisie als für das Proletariat produzieren müssen. Es ist eine Zeit tragischer Zusammenstöße, in der wir leben. Das Schicksal des sozialistischen Künstlers, des abhängigen Dichters, der sich als erwachter Mensch an das Proletariat zu wenden trachtet und seinen Rücken beugen muß vor dem anderen Teil, ist mit den tragischen Zusammenstößen aufs engste verquickt. Wie jeder Proletarier, wie jeder Lohnarbeiter, weiß er, daß er nur die Morgenröte eines Tages sieht, der ihm niemals leuchten wird. . . Aber dennoch ist, verglichen mit der Menge bürgerlicher Dichter, jeder, der in dieser Übergangsperiode kritisiert und analysiert, ein überglücklicher Mann. Es ist würdiger, besser, preisenswerter, dem Tod mit einem Lächeln entgegenzugehen, als blind, mit einem Tuch vor den Augen, sich selbst und anderen weiszumachen, daß es keinen Tod gibt und daß in dieser Zeit von wirklicher Kunst die Rede sein kann. Die Tat des proletarischen Künstlers ist eine Tat wachmachender Übergangskunst, der scharfen Kritik und der Propaganda — die des bürgerlichen Künstlers ist Selbstbetrug. Wie kann der bürgerliche Künstler die Seele des Proletariats kennenlernen, wenn er von Jugend auf in einer veralteten Lebensanschauung aufgewachsen, nur mit äußeren Augen das Proletariat wahrnimmt? Über diese Dinge läßt sich nicht theoretisieren. Es gibt einen Richter, eine höhere Instanz : das Proletariat selbst, das Proletariat mit seinem gesunden Verstand, seinem Enthusiasmus und seinen Empfindungen. Das denkende Proletariat empfindet intuitiv, welcher Dichter zu ihm gehört und welcher nicht. Das Proletariat fragt nicht, ob ein Dichter Bankier, Offizier oder Flickschuster gewesen ist, es fragt nach der Seele, seiner Seele. Es fragt nach keiner photographischen Kunst, nicht nach Realismus, nicht nach Naturalismus noch Romantik, es sucht die Kunst, die seine Kunst ist. Das Proletariat macht von selbst einen Unterschied zwischen dem Wesen des bürgerlichen und proletarischen Künstlers, und wir alle, die an 52
den Vorpostengefechten teilnehmen, haben, ohne uns durch bekannte Namen und gängige Meinungen narren zu lassen, den Weg zu gehen, der uns der rechte zu sein scheint, in derselben Weise, wie andere Genossen das auf politischem und ökonomischem Gebiete tun.
F[riedrich]
S[tampfer]
Kunst und Klassenkampf Alle großen sittlichen oder religiösen Erneuerungen des Menschengeschlechts, die die Geschichte kennt, sind verbunden gewesen mit massenhafter Vernichtung ästhetischer Werte. So zerstörte der Mohammedanismus die letzten Reste der antiken Kultur Kleinasiens, den siegreichen Lauf des Christentums kennzeichnen verfallene Theater und geborstene Tempelsäulen. Gegen die Kunstblüte Italiens und Englands in den ersten Jahrhunderten der Neuzeit erhob sich der Eifer puritanischer Reformatoren: Dieselbe geistige Bewegung, die die Grundsätze der modernen Demokratie formulierte, sperrte die Theater, über deren Bretter die Gestalten eines Shakespeare gegangen waren! So ist es denn kein Wunder, daß auch die moderne soziale Bewegung mehr als einmal mit geballter Faust nach den Tempeln der Kunst, den Stätten kultivierten Lebensgenusses hinüberdrohte. Demonstrationen streikender Arbeiter vor den Theatern sind in den Anfängen der Arbeiterbewegung in heißblütigen Ländern keine Seltenheit, das Attentat auf das Theaterpublikum von Barcelona kennzeichnet diese kunst- und theaterfeindliche Richtung in ihrer krankhaften Verzerrung. Es liegt etwas Großes in diesem leidenschaftlichen, den stärksten sittlichen Antrieben entspringenden Kunsthaß. Nicht die Kunst ist das Höchste und Schönste, sondern das Leben, und wir lieben die Kunst, weil sie uns das Leben spiegelt, wo es am stärksten strömt. Wo aber die Größe des Erlebens unmittelbar an uns herantritt, erwachen Empfindungen, denen gegenüber alles künstlerische Genießen schattenhaft bleibt. Ich erinnere mich selbst aus meiner Kindheit an eine Demonstration streikender Weber vor einem Theater, den Gegensatz zwischen dem Glanz und der 53
Ruhe des hellerleuchteten Prunkgebäudes und der tumultuarischen Bewegung der dunklen feindlichen Masse — und ich muß sagen, kein Weberdrama von Gerhart Hauptmann und keine Radierung von Käthe Kollwitz kann mir den Augenblick ersetzen, der mir die unmittelbare Offenbarung einer so gewaltigen sittlichen Kraft gab. Ja, die da draußen standen, ärmlich und schmutzig, die da drohten und hatten, sie haßten ein Recht zu hassen und zu drohen, und hätten sie zugeschlagen, wahrhaftig — so wäre die Welt um ein Gebäude ärmer gewesen und um ein geschichtliches Ereignis reicher! Die Kunst findet erst dort ihren Platz, wo sich die Intensität des Kampfes ums Dasein für das ganze Volk oder doch für einzelne Teile von ihm gemildert hat. Ein gewisses Maß von Ruhe und Überfluß ist die Vorbedingung ihres Entstehens, während Kampf und Not doch immer die Quellen bleiben, aus denen sie die Kräfte der Verjüngung schöpft. Wo Ruhe zum Müßiggang, Überfluß zur Verschwendung wird, muß auch sie entarten. Denn den leeren Luxusmenschen ohne die Inbrunst einer Weltanschauung ist sie bloß Spiel: Spiel von nackten Leibern, bunten Kleidern, flimmernden Steinen, klingelnden Reimen. Sie will nicht mehr fesseln und begeistern, nur noch reizen und locken. Mit Regie und Sensation, Überbrettl- und Zirkuskünsten führt sie den Verzweiflungskampf gegen die schleichenden Vernichtungsgeister der Blasiertheit. Und ist nicht mehr als der herbstlich-bunte Abglanz einer müden Welt, die den Wintersturm erwartet. Die großen Aufrüttelungen dienen letzten Endes auch den Zwekken der Kunst, wenn es auch zu allem Anfang ein paar Scherben gegeben haben sollte. Wenn aber diese Aufrüttelungen ausbleiben? Kann da eine Theorie die Tat ersetzen? Deutschland ist das Land der Theorie. Allen Respekt vor ihr, sie ist die Mutter der großen Aktionen! Doch darf sie sich der Mühe des Gebärens nicht entziehen, nicht sich einbilden, sie sei so gut wie die Aktion selbst. Vom Standpunkte meiner Theorie aus begreife ich ausgezeichnet jene armen ausgebeuteten und unwissenden Weber, die es gelüstete, das Theater, die ihnen feindlichfremde Stätte bürgerlicher Genüsse und Zerstreuungen, dem Erdboden gleichzumachen; ich finde Größe in ihrer Haltung und ehre in den Zerstörergewalten, die in ihnen schlummern, die fruchtbaren Kräfte eines Weltgewitters. Etwas anderes aber ist es mit dem Kritiker, der vom Standpunkte 54
eines angenommenen Klassenbewußtseins aus alle bisherige Kunst als „bürgerlich" vermöbelt. Goethe sagte von der Masse, sie müsse zuschlagen, darin sei sie respektabel, aber im Urteilen sei sie miserabel. Mag das nun stimmen oder auch nicht, so gilt doch für den Kritiker sicherlich das Umgekehrte: er ist nur respektabel, wo er urteilt, miserabel, wo er unbesehens zuschlägt. Das aber hat Heinz Sperber in verschiedenen Artikeln des Vorwärts getan, und Ströbel, der ihm dort und in der Neuen Zeit entgegentrat, hatte recht! Es geht nicht an, den Arbeitern zu sagen, das Werk dieses oder jenes Dichters dürfe ihnen nicht gefallen, ja es müsse sie sogar abstoßen, weil es „bürgerlich" gedacht und empfunden sei. Auf diese Weise würde Heinz Sperber ein Proletariat erziehen, das zwar nicht zerstört, was ihm im Wege steht, aber dafür über das spricht, was es nicht versteht. Ein Arbeiter, der sich das bißchen Muße und Lebenshaltung erkämpft hat, das in einer modernen Großstadt dazu gehört, um vom Becher des Kunstgenusses nippen zu können, ist schon ein ganz anderer Mann als der Weber vor dreißig Jahren, dem die Welt der Kunst völlig fremd und als Welt des Reichtums bloß verhaßt war. Er hat nicht mehr das Recht, Kulturgüter achtlos zu zertreten, deren Wert er kennengelernt hat. Und er muß wissen, daß die Kunst ihren eigenen Gesetzen lebt, die weder die Gesetze der Volkswirtschaft noch die der Politik sind, wiewohl es an Berührungspunkten und ursächlichen Beziehungen zwischen Ökonomie und Ästhetik natürlich nicht fehlt. In der Politik dürfen für den Sozialdemokraten die Worte konservativ, liberal, junkerlich, bürgerlich zugleich schon absprechende Urteile bedeuten, nicht so in der Kunst. Hier liegt im Gebrauch solcher Kennworte nur zu oft eine gewisse Willkürlichkeit, aber selbst wo er berechtigt ist, ist über den Wert des Kunstwerkes selbst damit noch recht wenig gesagt. Auch ein Werk, das durch und durch bürgerlich ist, kann ein Kunstwerk sein, ja es wird dies desto mehr sein, je bürgerlicher es ist, denn die Größe des Kunstwerks ist seine „Vollendung". So wird ja auch zumeist ein gefährlicher Widersacher, den man politisch am liebsten mit Keulen totschlüge, als in sich geschlossene Persönlichkeit menschlich-ästhetisch viel interessanter sein als irgendein Dutzendgegner, der weniger schadet, aber mehr langweilt. Da wir nun von der Kunst verlangen, daß sie uns Bilder des wirklichen Lebens gibt, müssen wir auch dem bürgerlichen Dichter dankbar sein, der sich so bürgerlich gibt, wie er nur kann. Wenn er uns deswegen 55
abstoßend erscheint, so zeigen wir damit nur, daß wir noch nicht Spiel und Leben zu unterscheiden gelernt haben und daß wir noch stark jenen Bauern ähneln, die dem Franz Moor nach der Räuber-Vorstellung auflauerten, um den Schuft gehörig durchzuprügeln. Etwas anderes natürlich ist es, wenn sich in dem Werk eines Dichters ungewollt der kulturelle Verfall einer herrschenden Klasse spiegelt, wenn es die Beachtung, die es findet, lediglich dem geistigen Niedergang des maßgebenden Publikums verdankt. Dann wird ein solcher Dichter kritisch abzulehnen sein, aber nicht vom Standpunkt des Klassenkampfes aus, sondern von jenem der Ästhetik, und er wird sich in dieses Schicksal teilen mit dem Kollegen von der anderen Fakultät, der vergebens mit seinen unbeholfenen Fingern für geschichtliche Zukunftwerte den künstlerisch zutreffenden Ausdruck sucht. Nicht die Gesinnung macht den Künstler, sondern das Können. Kann er eine Gesinnung, einen Gedanken, ein Stück Leben zu künstlerischer Form erheben, dann ist er ein Künstler. Heil der Tendenzkunst, wenn die Tendenz die unsere und die Kunst große Kunst ist. Aber Tendenz ist noch keine Kunst und kann Kunst in keinem Stück ersetzen. Es ist wahr, daß man mit solchen Erfahrungen und Anschauungen, wie den hier ausgesprochenen, nicht mehr hingehen kann, die Theater zu stürmen. Daß es aber so kommt und daß sich die revolutionäre Bewegung des Proletariats von früheren Klassenkämpfen durch die äußere Ruhe ihrer Formen unterscheidet, läßt sich durch Kritik nicht ändern. Die Weltgeschichte ist kein bloßes Theaterstück, von dem der fürwitzige Rezensent weiß, wie es der Autor hätte besser machen müssen. Sie ist; man muß sie nehmen wie sie ist! Es wird der Ruhm der revolutionären Bewegung der Arbeiterklasse sein, daß sie als erste ihrer Art nicht den Weg der Zerstörung ging. Mit liebevoller Sorgfalt wird sie die Kulturgüter der Vergangenheit über den breiten Strom tragen, der das Heute vom Morgen trennt. Dabei darf allerdings eines nicht übersehen werden: Zu kultiviert, um zu zerstören, unterliegt sie auch der Gefahr der Kultivierten, der Gefahr des Epigonentums. Und doch ist die Arbeiterklasse mit ihrer sozialistischen Weltanschauung als eine Kulturerscheinung von gewaltigster Bedeutung und Eigenart würdig einer großen, ihrem tiefsten Wesen entspringenden Kunst! So wenig wir denn auch bereit sind, über b ü r g e r l i c h e 56
Kunst wegen ihrer Klassenzugehörigkeit den Stab zu brechen, so freudig weit wollen wir die Pforten der Freien Volksbühne dem p r o l e t a r i s c h e n Dichter öffnen, der uns unsere Leiden zu sagen, unsere Hoffnungen zu künden weiß, der unsere Gedanken denkt, unseren Kampf kämpft und der als Sozialist uns gehören wird, als Dichter aber der ganzen Menschheit!
Heinz Sperber Die Theatersaison Statt besonderer Anzeige . . . Beileidsbesuche dankend verbeten ! . . . Sie ist tot — und wir können ihr eine Nachrede halten, ohne uns aufzuregen. Was sie brachte, war vorherzusagen, als sie geboren wurde. Sie hat keine Versprechen gebrochen, weil sie nichts zu versprechen hatte. Sie hat nicht „enttäuscht", weil man von einer Schwerkranken keine kräftigen, einschneidenden Taten erwartet. Sie ist tot, und auch die nächste Saison wird genauso kraftlos und wertlos verlaufen. . . . Damit könnte ich aufhören. Als Fazit der Rechnung hat die heutige Bühne für einen denkenden Sozialdemokraten nur ein nebensächliches Interesse. Wenn von morgen ab die sämtlichen Theater auf unbestimmte Zeit geschlossen wären, würde sich niemand von uns eine Träne aus dem Auge zu wischen brauchen. Wir haben ernstere, wichtigere Angelegenheiten im Kopf. Das menschliche Glück hat noch so wenig, so lächerlich wenig mit der famosen Industrie, die Theater heißt, zu schaffen. . . . Und doch! Mit unserem Schweigen belehren wir niemand: Unser Stillsein würde obendrein als eine Zustimmung zum Bestehenden aufgefaßt werden, und wir können gar nicht genug zum Ausdruck bringen, daß wir nach allen Seiten hin in einem Morast von Literatur und von Bühnenliteratur mit abstoßendem Klassencharakter stecken. Die ganze verflossene Saison wiederholte das monotone Bild der bürgerlichen Zerstreuungen, und die gesamten „Schlager" : Der Krampus, Der Störenfried, Glaube und Heimat, Bummelstudenten, Der Leibgardist, Mein erlauchter Ahnherr, Der Feld7
Bürgel, Teadenzkunst
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hermhügel, Polnische Wirtschaft usw. bewiesen Stück für Stück, wie die sogenannten Dichter schaffen müssen, um die Seele und Börse ihrer Klassengenossen zu erreichen. Es hat überall, in jedem Theater, derselbe ideale Austausch der nach dem Geschmack des Theatermarktes gelieferten Ware stattgefunden. Es war eine öde, häßliche Ruine, die vor uns aufgebaut wurde. Ist es nicht traurig, viele ernste Arbeiter in dem Wahn befangen zu sehen, daß wirkliche Kunst produziert werden könne? Tag für Tag Premieren, Tag für Tag Gerede über Kunst in den Zeitungen, Protzerei über Kunst in den Zeitschriften, Geschrei über Kunst in den kleineren „ästhetischen" Blättchen — ist das nicht, um den Verstand zu verlieren und in die Suggestion zu geraten, daß man in einer Zeit gesundheitsstrotzender Kunst lebt? Gibt es nicht Hunderte und aber Hunderte, für die der fabrikmäßige Betrieb der Berliner, Wiener, Pariser, Londoner Theater als ein Zeichen der Wohlfahrt gilt? Haben nicht sogar unsere Genossen seit Jahren an den Betrug der bürgerlichen Kunst geglaubt? Die Saison ist tot. R. I. P. Die sämtlichen im Dienst der herrschenden Klasse stehenden Theater haben, durch die Lebensanschauung dieser Klasse gezwungen, jede „neue Strömung" abgewehrt. Es waren natürlich neue Strömungen vorhanden. Kein Zeitalter war reicher an Ringen, Suchen, revolutionären Stimmen als das unsere — und kein Zeitalter erscheint an seiner Oberfläche zahmer, verlebter, leidenschaftsloser. Nach den Erscheinungen der Bühne zu urteilen, der Bühne, die ein Spiegel der Gesellschaft heißt, befinden wir uns im Schlaraffenland der Wohlzufriedenheit, geistigen Ruhe, gesellschaftlichen Gleichgewichts, wollen wir uns ausschließlich „amüsieren" und über Albernheiten zu soundso viel Mark pro Platz (Garderobe extra) lachen. So sehr sind die Theater und die durch Gott gesegneten Dichter der Gesellschaft, deren Wünschen, Bestrebungen und Wirklichkeit entfremdet, daß die Kunst solch einer Saison dem Spiel eines Vexierspiegels des Lunaparks gleicht. Versucht man in „geschlossenen Kreisen", außerhalb des Machtbezirks des Polizeizensors, Kunst zu verabreichen, erscheint der eine oder andere literarische Verein auf der Bildfläche (man denke an „Pan"), dann bleibt es das alte Liedchen, Äpfel von demselben Baum, Frucht, die sich nur durch stärkere Dekadenz, stärkere Manieriertheit, törichtere Auswüchse von den anderen Früchten unterscheidet. Den Kunstmäzenen von heute, den Dichtern mit 58
Namen, den Snobs und Sensationsliebenden ist alle proletarische Kunst mehr denn gleichgültig. Ihr Klasseninteresse bedingt das. Vom Bourgeoisstandpunkt aus betrachtet, ist kaum etwas dagegen einzuwenden, daß der Zensor einen Teil der edlen, schönen Kunst auf den Brettern zu verhüten trachtet, wofür die Bourgeoisvereine sich „revolutionär" einsetzen! Die Saison ist tot — und für uns auch darum jämmerlich tot, weil sogar die Vereine, die auf unserem Standpunkt stehen, deren Mehrheit sozialdemokratisch denkt und fühlt, auf dem Wege der bürgerlichen Theater ruhig einherschreiten. Es walten nach dieser Richtung hin die allersonderbarsten Anschauungen vor. So wurde ich kürzlich im Organ der Freien Volksbühne einfach glatt erdrosselt! „Etwas anderes aber ist es mit dem Kritiker", sagte der Schreiber des Artikels, „der vom Standpunkte eines angenommenen Klassenbewußtseins aus alle bisherige Kunst als 'bürgerlich' vermöbelt." Und weiter behauptet der Autor: „Es geht nicht an, den Arbeitern zu sagen, das Werk dieses oder jenes Dichters dürfe ihnen nicht gefallen, ja es müsse sie sogar abstoßen, weil es 'bürgerlich' gedacht und empfunden sei. Auf diese Weise würde Heinz Sperber ein Proletariat erziehen, das zwar nicht zerstört, was ihm im Wege steht, aber dafür über das abspricht, was es nicht versteht. . . . Ein Arbeiter muß wissen, daß die Kunst ihren eigenen Gesetzen lebt, die weder die Gesetze der Volkswirtschaft, noch die der Politik sind, wiewohl es an Berührungspunkten und ursächlichen Beziehungen zwischen Ökonomie und Ästhetik natürlich nicht fehlt. . . . Da wir nun von der Kunst verlangen, daß sie uns Bilder des wirklichen Lebens gibt, müssen wir auch dem bürgerlichen Dichter dankbar sein, der sich so bürgerlich gibt, wie er nur kann." Es würde zuviel Raum erfordern, auf diese Behauptungen, die mit großer Sicherheit Fehler auf Fehler stapeln, tiefer einzugehen. Selten las ich verworrenere Grundsätze und größere Verkennung von Ursache und Wirkung. Nirgends habe ich behauptet, daß das Werk dieses oder jenes bürgerlichen Dichters den Arbeitern „nicht gefallen dürfe" — ich habe nur wiederholt den Unterschied zwischen bürgerlicher und proletarischer Kunst angedeutet. Man hat dem modernen Proletariat (selbstverständlich nicht zu verwechseln mit dem Mann „mit der schwieligen Faust"!) keinen Unterricht „von oben herab" zu geben, sein 7»
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Klasseninstinkt betrügt es selten — es wäre denn, daß der Klassenstandpunkt eine Phrase sei! . . . Der „sozialistischen" Auffassung dieses Autors stelle ich die Meinung einer vortrefflichen Genossin gegenüber, einer der wenigen, die über Fragen proletarischer Kunst mit tiefer Einsicht nachgesonnen haben. In der Neuen Zeit von 1906 schreibt Henriette Roland-Holst u. a.: „Es gibt ein bekanntes Wort, das sagt, daß Dichter nichts von der Politik verstehen; in sie einzugreifen gereiche ihnen nur zum Unglück, und sie selbst richten in ihr nur Schaden an. Das mag schon stimmen — für bürgerliche Politik, wie für bürgerliche Dichter. Denn es ist vollkommen wahr, daß die idealen Bestrebungen des Dichters in der Sphäre der bürgerlichen Politik notwendig in Konflikt kommen mit dem Charakter der rücksichtslosen Selbstsucht, der kalten Grausamkeit, der niederträchtigen Heuchelei, die dieser Politik eigen sind. Die bürgerliche Politik ist hundsföttische Gemeinheit, unter der fadenscheinigen Decke 'ewiger Wahrheiten' dürftig versteckt. Der Dichter, der sich in diese Politik begibt, hat keine andere Wahl wie die, ein unklarer Ideologe oder ein unaufrichtiger Phraseur zu sein, sich selbst oder andere zu betrügen. Er geht daran unter. Anders dort, wo der Dichter sich zum proletarischen Klassenbewußtsein, zur proletarischen Politik erhebt. Hier sind Prinzip und Leben im Einklang, stimmen Ideen und Taten überein. Hier ist keine Heuchelei des „allgemeinen Wohles", womit die tatsächliche Klatschselbstsucht überdeckt wird, hier ist das erhebende Bewußtsein, daß der Kampf für die Klasseninteressen gleichzeitig den Kampf für den gesellschaftlichen Fortschritt, für ein allgemein höheres menschliches Sein bedeutet. . . . " Auf scharfumrissene Weise trennt diese Genossin die Begriffe bürgerlicher und proletarischer „Politik", im Zusammenhang mit bürgerlichen und proletarischen Dichtern. Ganz richtig sagt sie bei der Besprechung Gorkis als proletarischen Literaturkritikers: „Gorki weiß, daß ihn alle beschränkten Ideologen zweifellos mißverstehen und anklagen werden, er weiß, wie die Kleinbürger zur Literatur wie zu etwas Heiligem, Übermenschlichem, über der Gesellschaft Stehendem aufblicken, auf das man die gemeinen Kategorien des politischen Lebens nicht anwenden soll. Er weiß aber auch, wie furchtbare Feinde des Lebens, der revolutionären Tatkraft die kleinbürgerlichen Anschauungen sind . . . " Stehe ich nach diesem Zitat allein mit meiner Ansicht, daß wir ohne Scheu, ohne Anbetung über die bürgerliche Kunst urteilen 60
müssen? Und ist es nicht tief beklagenswert, daß Genossen einander in den Haaren liegen über Dinge, die die Basis unseres ästhetischen Denkens sein sollten? Möge in der nächsten Theatersaison die „bürgerliche" Kunst aus unseren Reihen heraus etwas weniger beweihräuchert werden! Dann wird für mich und andere weniger Grund zum Pessimismus vorhanden sein.
Friedrich
Stampfer
Klasseninstinkt und Kunstverständnis Wir werden um Aufnahme folgender Ausführungen ersucht: Die Freie Volksbühne, die wegen ihres ausgesprochen proletarischen Charakters von gegnerischer Seite Anfechtungen genug erfährt, muß es sich natürlich auch gefallen lassen, wenn gelegentlich von der anderen Seite Kritiker kommen, wie Genosse Heinz Sperber im Vorwärts, die von ihr behaupten, sie schreite ruhig auf dem Wege der bürgerlichen Theater „einher" und werde von den „allersonderbarsten Anschauungen" beherrscht, die als „sozialistisch" höchstens unter Gänsefüßchen zu bezeichnen seien. Da aber Genosse Sperber sein Verdammungsurteil aus einem Artikel zu begründen versucht, den ich im Organ der Freien Volksbühne veröffentlichte, mögen mir persönlich einige Worte der Erwiderung gestattet sein. Jener Artikel, der den Genossen Heinz Sperber veranlaßt, über die Arbeit der Freien Volksbühne den Stab zu brechen, beschäftigte sich kritisch mit den Theorien, die der Genosse Heinz Sperber im Vorwärts zu entwickeln pflegt. Sperber beschränkt sich darauf, meine scharf ablehnende Kritik seiner ästhetischen Anschauungen als „verworren" zu bezeichnen und das Unterlassen jeder Beweisführung für seine so wenig tröstliche Gegenkritik mit „Raummangel" zu entschuldigen. Diese Methode der Polemik hat den Vorzug der Originalität, sie wirkt aber wenig überzeugend. Wegwerfende Urteile, die nicht begründet werden, sind höchstens als Ausdruck einer reizbaren Stimmung zu bewerten, die man menschenfreundlich bedauern mag, zu einer fruchtbaren Diskussion vermögen sie aber recht wenig beizutragen. 61
Heinz Sperber zitiert sodann einige Sätze aus einem Artikel der Genossin Roland-Holst, um daraus triumphierend zu schließen: „Stehe ich nach diesem Zitat allein mit meiner Ansicht, daß wir ohne Scheu, ohne Anbetung über die bürgerliche Kunst urteilen müssen?" Zum Zweck dieses Beweises hätte aber Heinz Sperber gar nicht erst in die Ferne zu schweifen brauchen. Auch ich und meine sämtlichen Kollegen im Vorstand und Ausschuß der Freien Volksbühne sind sämtlich bereit, dem Genossen Sperber zu bestätigen, daß er mit seiner Ansicht nicht allein steht, daß diese Ansicht vielmehr von uns allen vollkommen geteilt wird. Aber freilich, soweit wir davon entfernt sind, Scheu und Anbetung für die „bürgerliche "Kunst zu fordern, so sehr wir mit Heinz Sperber übereinstimmen in der Verurteilung des kapitalistischen, auf den Geschmack der zahlungsfähigen Bourgeoisie eingerichteten Theaterbetriebs, so würden wir doch glauben, unsere Aufgabe gröblich zu vernachlässigen, gelänge es uns nicht, in unseren Mitgliedern Hochachtung und Verehrung für alles zu wecken, was wirklich Kunst ist. Hier ist der Punkt, an dem sich die Geister scheiden und von dem aus der Weg den Genossen Heinz Sperber in eine wenig glänzende Isolierung führt. Während wir dem Proletariat alle Schatzkammern öffnen möchten, in denen die Menschheit ihre Kulturwerte aufgespeichert hat, kennt Heinz Sperber nur e i n e Kunst, die ihm der Liebe und Anerkennung — oder der „Scheu und Anbetung?"— des Proletariats würdig zu sein scheint, eine spezifisch proletarische Klassenkunst, über deren Wert nicht Kunstverständnis, sondern Klasseninstinkt entscheidet. Diese Auffassung habe ich im Organ der Freien Volksbühne als eine ungeheuerliche und unheilvolle Verwirrung mit größter Entschiedenheit bekämpft. Noch jetzt, in seiner Polemik gegen mich, wagt Sperber den geradezu unglaublich klingenden Satz: „Man hat dem modernen Proletariat (selbstverständlich nicht zu verwechseln mit dem Mann der schwieligen Faust!) keinen Unterricht 'von oben herab' zu geben, sein Klasseninstinkt betrügt es selten — es wäre denn, daß der Klassenstandpunkt eine Phrase sei." Hier wird also (man muß es dreimal lesen!) der proletarische Klasseninstinkt gefeiert als ein ziemlich untrüglicher Maßstab zur Beurteilung künstlerischer Werte! Wer proletarischen Klasseninstinkt hat, der braucht nichts von Literaturgeschichte und Ästhetik zu wissen, der kann auf die ganze sichtende, aussiebende, das. Wertvolle von Wertlosem scheidende Arbeit pfeifen, die die Kri62
tik der Jahrhunderte geleistet hat. Nicht angeborene Fähigkeit, Studium, Erfahrung, sondern der Klasseninstinkt schafft den unfehlbaren Kunstrichter der Zukunft. Arme K u n s t ! Armes Proletariat! H a t denn Heinz Sperber gar keine Ahnung davon, daß ästhetische Urteilsfähigkeit die unentbehrliche Voraussetzung für alle kulturelle Bereicherung ist? Uns anderen hat die tiefe Achtung, die das Proletariat allen ernsten künstlerischen oder wissenschaftlichen Bestrebungen entgegenbringt, seine leidenschaftliche Sehnsucht nach verständnisvollem Genuß höchster Kulturgüter als der wertvollste Bestandteil des Klassenbewußtseins gegolten. Und die Freie Volksbühne erschien uns dadurch geradezu als ein Wegweiser zu den letzten Zielen des Sozialismus. Heute aber müssen wir von dem Feuilletonisten des Vorwärts erfahren, daß wir in bürgerlichem Fahrwasser segeln, daß wir verworrenen Anschauungen huldigen und des Verständnisses für sozialistische, proletarische K u n s t gänzlich ermangeln! Merkwürdig nur, daß der stets untrügliche Klasseninstinkt sich gerade in diesem einen Falle als trügerisch erwiesen haben soll und daß sich die zweifellos doch proletarischen, sozialistischen, klassenbewußten Mitglieder der Freien Volksbühne 22 Jahre lang geduldig von Grundsätzen leiten ließen, deren „Verworrenheit" Heinz Sperber jetzt beinahe nachgewiesen hätte, würde ihn Raummangel nicht daran gehindert haben. Noch ein kurzes Wort zu der etwas demagogischen Wendung über den „Unterricht von oben her". Wir alle haben einmal „von oben her", d. h. von Leuten, die mehr gelernt hatten als wir, Unterricht empfangen und danken es unseren Lehrern, indem wir das Empfangene an andere, weniger Aufgeklärte weiter zu verbreiten suchen, also es — wenn der Ausdruck angenehm ist — nach „unten" weiter geben. Unter halbwegs gebildeten Leuten ist es jedoch nicht nötig, viel Worte darüber zu verlieren, daß solche Lehr- und Lernverhältnisse nichts zu tun haben mit den Verhältnissen sozialer und politischer Unterordnung. Hätten die Menschen es aus vermeintlichem „Klassensinstinkt" bisher abgelehnt, „Unterricht von oben" zu empfangen, so wären sie bis zum heutigen Tage noch nicht von den Bäumen des Urwaldes heruntergeklettert, auf denen sie in grauer Vorzeit lebten. Weil aber die Menschheit lernt und fortschreitet und weil kommende Generationen auf sicherem Kulturgrund weiterbauen können, darum dürfen wir auch hoffen, zu jener proletarisch-sozia63
listischen Kunst zu kommen, neben der Heinz Sperber keine andere gelten lassen will, obgleich sie selbst — noch nicht existiert. Ich verstehe unter proletarisch-sozialistischer Kunst keine der Augenblicksstimmung gefällige, für den Tag berechnete Tendenzkunst, sondern ernste, wirkliche, ewige Kunst, die den Vergleich mit dem Besten und Größten der Vergangenheit nicht zu scheuen braucht und dabei doch vom Geiste der neuen Zeit gesättigt und durchtränkt ist. Sicherlich behält dabei auch der bescheidene Versuch ein Recht auf Beachtung, sofern er sich überhaupt als das Werk eines Künstlers darstellt, das heißt eines Mannes, der etwas kann. Uber das Können der Künstler und den Wert ihrer Werke wird aber, solange es Kunst gibt, Kunstverständnis entscheiden, nicht Klasseninstinkt. Sollte es eines Tages anders sein, so wäre die Kunst nicht mehr, und die Welt stände im Zeichen der geistigen Verarmung.
Heinz Sperber Klasseninstinkt und Kunstverständnis Unter diesem Titel wendet sich Genosse Stampfer gegen einen einzigen, aus seiner Verbindung gerissenen Satz meines Feuilletons: Die Theatersaison. Auf seinen Vorwurf, daß ich alle Beweisführungen für meine Kritik an seiner Betrachtung über: Kunst und Klassenkampf fingierten „Raummangels" wegen unterlasse, habe ich nur zu erwidern, daß ich über die verflossene Theatersaison schrieb und nicht über die Kunstansichten des Genossen Stampfer. In vorerwähntem Feuilleton protestierte ich unter anderem gegen die Auslassung des Genossen Stampfer: „Es geht nicht an, den Arbeitern zu sagen, das Werk dieses oder jenes Dichters dürfe ihnen nicht gefallen, ja, es müsse sie sogar abstoßen, weil es 'bürgerlich' gedacht und empfunden sei." Ich beantwortete diese für einen Sozialdemokraten überraschende Erklärung mit buchstäblich folgendem: „Nirgends habe ich behauptet, daß das Werk dieses oder jenes bürgerlichen Dichters den Arbeitern 'nicht gefallen dürfe' — ich habe nur wiederholt den 64
Unterschied zwischen bürgerlicher und proletarischer Kunst angedeutet. Man hat dem modernen Proletariat (selbstverständlich nicht zu verwechseln mit dem Mann 'mit der schwieligen Faust'!) keinen Unterricht 'von oben herab' zu geben, sein Klasseninstinkt betrügt es selten — es wäre denn, daß der Klassenstandpunkt eine Phrase sei!" Als gewandter Fischer angelt sich Genosse Stampfer lediglich den Schlußsatz heraus. Er zeigt in dem Augenblick, wo ich den Klasseninstinkt herbeihole, den heiligsten Zorn und unternimmt dann den Beweis, dem die bürgerlichen Blätter zujauchzen,. . . daß es so nötig sei, wie das liebe Brot, „Unterricht von oben" zu geben. Gegen die neuerdings geäußerten Meinungen des Genossen Stampfer, „er sei nicht geneigt, über bürgerliche Kunst wegen ihrer Klassenzugehörigkeit den Stab zu brechen" (Freie Volksbühne), würde ich meinerseits nicht geneigt sein zu polemisieren, weil ich den Nutzen von Polemiken, sofern nicht der Angegriffene sofort seine Antwort unter dem vom Angreifer Geschriebenen veröffentlichen kann, bezweifle. Doch Genosse Stampfer wiederholt den von anderen begangenen Fehler, andauernd über unwissende, langsam heranzubildende „Arbeiter" zu reden, während ich in meinem Feuilleton mit größter Hartnäckigkeit von dem „modernen Proletariat" spreche und für Leute mit „proletarischer Weltanschauung" schreibe. Es ist meine ernsthafte Überzeugung, daß das „moderne Proletariat" „etwas" höher steht, als aus den Anschauungen des Genossen Stampfer hervorgeht, daß es beispielsweise in den Theatern mehr Begriff, mehr Einsicht, mehr Unterscheidungsvermögen zeigt als die blasierte Menge im Parkett und in den Logen, daß es des Unterrichts in „ästhetischer Urteilsfähigkeit", den jedereiner ihm zu erteilen sich erlaubt, weniger bedarf und daß, wenn es denn schon einmal geleitet werden muß, dieses nur in der Richtung rein proletarischer Kunstansichten geschehen sollte. Wirft Genosse Stampfer es mir als „demagogische Wendung" vor, wenn ich behaupte, daß der Klasseninstinkt das moderne Proletariat selten betrügt, wenn man ihm „Unterricht von oben herab" geben will, so werfe ich ihm vor, daß er genau dieselbe Auffassung über „Arbeiter" zeigt, wie das erste beste bürgerliche Organ auch und daß er über das Wachstum der „proletarischen Weltanschauung" nicht ganz im klaren ist. „Arme Kunst! Armes Proletariat!" seufzt dieser Genosse, der den Klasseninstinkt radikal verwirft. Ja, in der Tat, arme Kunst und armes Proletariat, das man andauernd zu versöhnen trachtet mit 65
der Kunst, die aus dem . . . Klasseninstinkt der herrschenden Klasse geboren ist, mit einer vom Zensor „kontrollierten" und durch hundert Machteinflüsse kastrierten Kunst! Der Klasseninstinkt der Bourgeoisie regiert die Welt, tyrannisiert den Büchermarkt, die Theater, hat gesetzliche Bestimmungen gegen freie Meinungsäußerungen getroffen, verhindert, was seinen Interessen zuwiderläuft, befördert eifrigst, was sie stärkt — dieser Klasseninstinkt hat Kunst und Künstler zu Instrumenten herabgewürdigt, hat den fabrikmäßigen Betrieb der „Kunstprodukte" als Ware ins köstliche Leben gerufen, hat die Verwirrung angestiftet, die wir in jedem Theater, an jeder Bücherverkaufsstelle der Stadtbahn überblicken. Das ist im Durchschnitt der Klasseninstinkt und das Kunstverständnis der herrschenden Klassen. Demgegenüber ist es unsinnig, den Klasseninstinkt des modernen Proletariats auszuschalten, ihn zu verachten oder beschulmeistern zu wollen. „Die große Volkssache", sagt Dietzgen in seinem nicht genug zu schätzenden Acquisit der Philosophie, „war bisher überall das Lasttier einer kleinen vornehmeren Minorität." Geben wir acht, daß wir auf dem Terrain der erwachenden proletarischen Kunst nicht aufs neue solch eine kleine „vornehmere" Minorität, die es „so viel besser weiß", heranbilden! Genosse Stampfer lehnt sich heftig gegen die von mir geäußerte Ansicht auf: „Die Theatersaison ist tot — und für uns auch darum so jämmerlich tot, weil sogar die Vereine, die auf unserem Standpunkt stehen, deren Mehrheit sozialdemokratisch denkt und fühlt, auf dem Wege der bürgerlichen Theater ruhig einherschreiten." Von diesen Worten kann ich nichts zurücknehmen, wennschon ich anerkenne, daß die Vorstände dieser Vereine eine schwere Aufgabe zu lösen haben! Aus dem Jahresbericht der FYeien Volksbühne für 1909/1910 entnehme ich, daß der Verein damals ungefähr 17500 Mitglieder zählte. An Mitgliederbeiträgen und Einschreibegeldern wurden 171169 Mark vereinnahmt und für die Theatervorstellungen 164686 Mark verausgabt. Wenn wir uns solche Beträge vergegenwärtigen, wäre dann nicht etwas anderes zu bieten als die Aufführungen von Werken des bürgerlichen Repertoires, die die gängigen Theater täglich dem Markt zuführen? Ist es ohne weiteres zu billigen, daß unsere Vereine eine Art Konsumverein für Vermittelung bürgerlicher Kunst bleiben? Gibt es nichts anderes? Gibt es keine Kunst mit proletarischen
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Empfindungen, und wäre es z. B. nicht eine Aufgabe, wie ich das bei Besprechung des Ödipus im Zirkus schon darlegte, die ehrerbietigsten Kunstwerke früherer Generationen vor Amerikanismus, Sensation und „Ausstattung" zu beschützen? Würden wir nicht neben den Versprechungen, in nächster Saison auch „Kintopp-Vorstellungen" zu bieten, auch etwas von einem . . . neuen Klang vernehmen mögen? Wenn ich auf diesen Amboß hämmere, geschieht es nicht, um ernste und sympathische Genossen zu verstimmen. Wir müssen dringend trachten, uns dem Klasseninstinkt und d em Kunstverständnis der . . . herrschenden Klasse zu entringen.
Ernst Link Kunst und Klasse In der Diskussion über das Thema „Kunst und Klasse" ist kürzlich u. a. das Argument vorgebracht worden, daß der Maßstab für den Wert einer Dichtung in „ihrer Qualität, das heißt in objektiven Merkmalen, über deren Vorhandensein der literarische Kenner zu entscheiden hat," gesucht werden müsse. 1 Da hier die Ästhetik und ihre Vertreter als Kronzeugen angerufen werden, müssen wir wohl oder übel auf sie hören. Nun gibt es bisher kein sozialistisches System der Ästhetik, und wir könnten sofort jedes bürgerliche als befangen ablehnen, wenn wir von der unbestrittenen und für Sozialisten unbestreitbaren Voraussetzung ausgehen, daß es eine spezifisch proletarische Klassenbildung gibt, die auch der Kunst als einer Ideologie ihre besondere Färbung verleiht. Da aber gerade für das künstlerische Schaffen eine Sonderstellung vorbehalten wird („der Dichter ist eben Dichter und nicht Bourgeois" und, logisch gefolgert, kein Proletar), müssen wir die Gesetze der bürgerlichen Ästhetik aufsuchen, um die ob1 D a ß im gleichen Atemzuge das auf Grund der sozialistischen W e l t anschauung gefällte Urteil des klassenbewußten Proletariats bezeichnet wird als „subjektives E m p f i n d e n irgendwelcher Laien, die aus ihrem instinktiven Gefühl heraus urteilen", verdient besonders notiert zu werden.
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jektiven Merkmale festzustellen, die Bourgeois und Proletarier in gleicher Weise anerkennen sollen.2 Mit einem Zweige der Ästhetik können wir überhaupt nichts anfangen. Es ist das die Ästhetik „von oben", wie sie Fechner, der Begründer der modernen Ästhetik, genannt hat. Sie will aus dem Begriff des Schönen und des Häßlichen logisch die Gesetze der Kunst ableiten. Die Widerlegung ihrer schematischen Begriffsbestimmungen, die die Antwort auf die Fragestellung eigentlich vorwegnehmen, liegt allein in der Existenz der Ästhetik „von unten". Diese sucht auf dem Wege der Erfahrung das künstlerische Schaffen und Genießen zu analysieren. Die rationale (rein begriffliche) Ästhetik hat schon längst den Todesstoß erhalten und wird von modernen Ästhetikern auch nur noch als Leiche seziert, was natürlich nicht hindert, daß sie in Feuilletons, in Backfischköpfen und bei Leuten, die allemal die Götzen geweihter Tempel gegen das ungestüme Drängen der „schwieligen Faust" verteidigen zu müssen glauben, ihr gespenstisches Unwesen treibt. Die Methoden der modernen Ästhetik gehören der Psychologie an. So wie die Psychophysik die objektiven Sinnesreize systematisch durchnimmt und die daraus folgenden seelischen Veränderungen festlegt, untersucht die psychologische Ästhetik experimentell den seelischen Eindruck künstlerischer „Reize", wobei sie von den einfachsten ästhetischen Verhältnissen zu komplizierten Kunstwerken aufsteigt. Sowohl die physiologischen Begleiterscheinungen (für den ästhetischen Genuß charakteristische Herz-, Puls- und Atemschwankungen und die bekannten Ausdrucksbewegungen in Gesichtszügen und Gesten) als auch die rein seelischen Vorgänge werden in systematischer Weise aufgedeckt. Aus der Reihe der Resultate, die an und für sich wohl brauchbar, gegenüber den Begriffsspielereien der alten „Ästhetik von oben" einen großen Fortschritt bedeuten, heben wir nur zwei für unser Thema wichtige Ergebnisse hervor. Zum ästhetischen Genuß bedarf es zunächst einer bestimmten „Einstellung" gegenüber dem Kunstwerk, die innerhalb ge2 Ich nutze die Gelegenheit, um auf das einzige populäre, brauchbare Büchlein über Ästhetik hinzuweisen. Meumanns Einführung in die Ästhetik der Gegenwart unterrichtet leidlich über die Hauptrichtungen und Grundprobleme der gegenwärtigen Ästhetik. (Leipzig 1908; gebunden 1,25 M.) Die Schrift sollte wenigstens in keiner öffentlichen Bibliothek fehlen.
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wisser Grenzen künstlich hervorgerufen oder gehindert werden kann. Ungünstige körperliche oder seelische Disposition (Ermüdung, Kummer) machen meist ästhetisch unempfänglich. Von andern übertragene Vorurteile hemmen von vornherein eine ästhetische Einstellung, die zur ästhetischen Wertung unerläßlich ist. Der Beschauer tritt sofort mit seinem ablehnenden Urteil dem Kunstwerk entgegen. Die kritisch-wissenschaftliche Einstellung verdrängt die ästhetisch-genießende. Oder ein angeeignetes günstiges Vorurteil bringt eine befangene Einstellung zustande. Die Mode diktiert künstlich Gefallen an Dingen, die man ohne diesen Druck abscheulich finden würde, und mit innerer Anstrengung sucht man dem Stoff das Ästhetische abzugewinnen. Die Einstellung findet jedoch ihre Grenze in der Möglichkeit der „Einfühlung". Für den Naturgenuß beschreibt Lipps den Prozeß .der Einfühlung folgendermaßen: „Bei aller meiner Naturbetrachtung bin eben ich selbst, der Betrachtende, mit meiner innern Tätigkeit, meinem Streben, meinem Widerstreben, meinem Tun, meinem vergeblichen Bemühen oder glücklichen Vollbringen, notwendig dabei oder darin. Und dies macht die Einfühlung, Beseelung, Vermenschlichung jederzeit unvermeidlich . . . Indem ich in die Natur meine Strebungen und Kräfte einfühle, fühle ich in sie auch die Weise ein, wie mir bei meinem Streben und in meiner Kraft zumute ist, meinen Stolz, meine Kühnheit, meinen Trotz, meine Leichtigkeit, meine spielende Sicherheit, mein ruhiges Behagen. Damit wird erst die Natureinfühlung zur vollen ästhetischen Einfühlung." Daß wir von einer trotzigen, wilden, freundlichen Landschaft reden können, verursacht die Einführung, in der wir dem ästhetisch betrachteten Kunstwerk unsere Gefühle unterlegen. So gibt es eine Einführung in die Natur, in Stimmungen (einförmige Sinnesempfindungen, z. B. reine Farben wirken beruhigend, anregend), in die sinnliche Erscheinung lebender Wesen. Stets aber tragen wir unser Empfinden, unser Wollen, unsere Welt in das geschaute Bild hinein. Es ist ein Sich-hinein-Versenken in das objektive Kunstwerk, in dem doch das Subjekt selbst lebendig wird. Nach anderen (z. B. St. Witasek) besteht die Einfühlung darin, „daß das Subjekt die im (ästhetischen) Gegenstande ausgedrückten psychischen Tatsachen durch Nacherleben und innere Wahrnehmung anschaulich vorstellt und den Gegenstand dieser anschaulichen Vorstellung mit dem der äußeren Wahrnehmung 69
vom Objekt verbindet". Diese Verschmelzung der Wahrnehmung als solcher mit den in dem wahrgenommenen Objekt dargestellten psychischen Erlebnissen bildet den Eindruck des Kunstwerks. Es ist klar, daß zur Einfühlung bei Lipps und Witasek Sinnestätigkeit (von Augen oder Ohren) zur Auffassung des Objekts und Reproduktion (Wiederholung) früherer Vorstellungen und Erlebnisse gehören. Sinnestätigkeit und diese bestimmte Art der Gedächtnisleistung, des Nacherlebens sind aber im anschauenden Subjekt nicht zeitlich oder überhaupt irgendwie getrennt, sondern beide verschmelzen unlösbar miteinander. Die objektive Darstellung ist nur ein Zeichen für seelische Inhalte, die von den dargestellten Zügen ausstrahlen; sie ist ein „ Symbol" für den inneren Gehalt des Kunstwerks. „Kunstwerke nun, welche reichen und tiefen seelischen Gehalt zum Ausdruck bringen, regen den, der sie ästhetisch in sich aufnimmt, zu gleichen seelischen Erlebnissen an, bereichern sein Seelenleben "(Witasek). Um mich aber in ein Kunstwerk hineinfühlen zu können, bedarf es zweierlei Vorbedingungen. Vorerst muß ich überhaupt den Schatz der Erfahrungen besitzen, der künstlerisch dargestellt werden soll. Das Bild eines fröhlichen Gesichts kann mich nur deshalb ästhetisch anregen, weil mir selbst fröhliche Stimmungen nicht fremd sind und weil ich sie oft bei anderen Menschen bereits in Wirklichkeit erlebte. Wo mir jegliche Erfahrung fehlt, versagt auch das wundervollste Kunstwerk. So stehen Kinder nichtsahnend vor Meisterwerken. Sodann aber muß das objektive Zeichen nur als Symbol gerade für dieses geistige Erleben geläufig sein. Die Symbole bedürfen einer eindeutigen Bestimmtheit. Wie die einzelnen Sprachelemente der prägnante Ausdruck für ganz bestimmt zugeordnete Begriffe sind, so braucht auch das künstlerische Zeichen allgemeine Anerkennung zur Vermittelung der gedanklichen Inhalte zwischen Künstler und Genießenden. Ein schon berührter Gesichtspunkt verlangt noch schärfere Betonung. Die Möglichkeit des Nacherlebens und Hineinfühlens setzt weitgehende Übereinstimmung der psychischen Verfassung von Schaffenden und Aufnehmenden voraus. Die Einfühlung gelingt nur dann, wenn dem Genießenden die Welt des Künstlers und dem Künstler die Welt der Genießenden vertraut ist. Platte Geister suchen daher triviale Künstler, und nur weite, kräftige Seelen lieben freie, starke Kunst. Bisher haben wir vornehmlich an individuelle Verhältnisse ge70
dacht. Es wäre aber im höchsten Grade seltsam, wenn die verschiedenen Erfahrungen und Anschauungen nicht sozial für die Möglichkeit der Einfühlung von Bedeutung wären. Oder man müßte die durch nichts gerechtfertigte, aber durch alles widerlegte Voraussetzung machen, daß die Kunst eine Dämmerstimmung schafft, in der alle sozialen Unterschiede gleich grau werden. Warum schafft denn überhaupt ein Künstler? Ist es der reine Drang nach Gestaltungen, der ihn treibt, ohne Rücksicht auf das Echo seiner Mitwelt ? Ganz abgesehen von den bürgerlichen Künstlern, die schaffen, um nicht zu hungern, weil im kapitalistischen Zeitalter die Kunst zum Gewerbe werden muß, ist „stets diese Wirkung (auf Hörer und Beschauer) keineswegs zufällig und unwesentlich, sondern sie ist von dem Künstler beabsichtigt. Der Künstler arbeitet nicht nur für sich, sondern auch für andere; und wenn man auch nicht sagen kann, daß das ästhetische Schaffen allein aus der Absicht, auf andere zu wirken, hervorgeht, so wird es doch in seiner Form und Richtung wesentlich durch die Rücksicht auf das Publikum bestimmt; freilich nicht sowohl auf das Publikum, wie es ist, als auf das Publikum, wie es sich der Künstler vorstellt" (Grosse, Anfänge der Kunst). Nun kann ein Botokude sich sein Publikum natürlich nicht anders als in Gestalt von Botokuden vorstellen, und ein Bourgeois nur als Bourgeoisleute. Daß der Künstler unter Umständen dem Publikum die menschen-, vielmehr bourgoismöglichste Reinheit anheften möchte, spricht nicht dagegen! Diese Abhängigkeit des Schaffenden und seiner Werke von der Rasse, der allgemeinen Kulturentwickelung wird von allen zugegeben. 3 „Immer aber bleibt . . . das individuelle Wirken auf den Spielraum beschränkt, in dem sich die Ideen der Zeit bewegen, weil die Reize und Motive, die der Phantasie des einzelnen zufließen, immer wieder jenem Anschauungskreis angehören, der den herrschenden Stilformen ihr künstlerisches Gepräge verleiht." (Wundt, Völkerpsychologie, Bd. 3) „Mag darum noch so sehr das einzelne Kunstwerk auf den höheren Stufen der Kunstentwickelung zur psychologischen Vertiefung in die individuelle Eigenart seines Schöpfers herausfordern, in der Gesamtheit seiner 3 Man entschuldige die vielen Zitate. Wir müssen aber notgedrungen bürgerliche Autoren heranziehen, um den „ o b j e k t i v e n Merkmalen", die selbst jene fallen gelassen haben, auf den Leib zu rücken.
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Bedingung läßt es sich doch nur aus dem allgemeineren geistigen Zusammenhang heraus verstehen, dem es entstammt." (Ebenda.) Schon nach bürgerlicher Auffassung kann daher die Kunst nicht „die tiefe und klare Widerspiegelung des Lebens, wie es ist", sein, sondern nur, wie es ein Künstler mit den Augen seiner Zeit sieht. Daß aber Proletarier und Bourgeois die Welt mit ganz verschiedenen Augen sehen, gehörte bisher auf allen Gebieten der Ideologie zu den steinharten Wahrheiten des Proletariats. Auch wo beide die gleichen Worte gebrauchen, sind doch die Begriffe meist verschieden. Der Proletarier kann nicht sich selbst „einfach als Menschen" mit den gleichen Augen wie der Bourgeois betrachten. Und so lange Klassengegensätze bestehen, wird es auch kein drittes Reich geben, in dem sich Mitglieder verschiedener Klassen friedlich begegnen und einander ihr Herz aufschließen. Und selbst wenn heute jemand kraft seines psychologischen Spürsinns sich in die Seele jedes Nebenmenschen hineinzusetzen vermöchte — daß dies nach aller Literatur beflissenen Meinung das eigentliche Wesen des Dichters ausmacht, ist eine allzu kühne Behauptung —, so würde bestenfalls eine gute Psychologie der fremden Klasse herauskommen, nie und nimmer aber ein Kunstwerk, das die gezeichnete Klasse ästhetisch befriedigen würde. Der Klasseninstinkt der Bourgeoisie arbeitet denn auch promt genug und lehnt selbst die besten Produkte proletarischen Kunstschaffens ab. Von den Ästheten, die in allen Welten zu Hause zu sein glauben, sehen wir hier ab. Auch wo das Proletariat vom „Reinmenschlichen" redet, verbindet es mit diesem Wort doch einen ganz anderen Inhalt als das Bürgertum. Überall, wo der bürgerliche Dichter seinen Mund auftut, spricht die Bourgeoisie aus ihm. Seine Phantastereien, seine Weitabgewandtheit dienen gerade als Beweis, und von unseren Kritikern ist hundertemal diese oder jene künstlerische Strömung als Produkt ihrer gesellschaftlichen Verfassung analysiert worden. Wenn uns nun wieder entgegengehalten worden ist, „der Dichter ist eben kein Bourgeois, sondern ein Dichter", so steht dieser Satz auf der gleichen Höhe sozialer Erkenntnis wie der: „ein Tischler ist kein Proletarier, sondern ein — Tischler". Natürlich ist ein Tischler eben Tischler, aber ist er darum weniger oder gar nicht Proletarier? Der Wert der sozialen Kategorien Proletarier, Zunfthandwerker und Unternehmer liegt doch in ganz anderer Richtung, als den tiefgründigen Unterschied zwischen guten und 72
schlechten Tischlern aufzudecken. Natürlich kann ein gut klassenbewußter Proletarier ein schlechter Musikant sein. Dadurch wird aber ein begabter bürgerlicher Operettenschreiber, dessen Werke die des schlechten Musikanten weit an Originalität und vollendeter Form übertroffen, nicht ohne weiteres zum künstlerischen Führer des Proletariats, nach dessen Klarinette nun zu tanzen wäre und in dessen Träumereien man sich mit verlieren müßte. Ebenso wie das Proletariat nach den Broschüren greift, in denen ihm zuweilen in schlechtem Deutsch und augenkränkendem Druck seine Wahrheiten geboten werden, trotzdem bessere Stilisten in schönerer Aufmachung bürgerliche Weisheiten verzapfen, wird es auch mit zunehmendem Selbstbewußtsein die BourgeoisieKunst entbehren können. Die Kunst ist nun zwar nicht immer verkaufsfertige Ware, sie ist aber stets eine Ideologie, die wie jede andere den Gesetzen des sozialen Kampfes unterworfen ist. Der tiefe Schnitt des Klassenkampfes trennt auch den goldenen Schein der Träume. Die Arbeit der Bildungsausschüsse ist mit dazu berufen, den spezifischen Geist des Proletariats im ästhetischen Genuß zur Geltung und Klärung zu bringen. Wenn das nicht ihre Aufgabe sein sollte, könnte man z. B . einfach die J u gendschriftenverzeichnisse der Lehrer übernehmen, die sich redlich ernste Mühe geben, und brauchte nicht eigene zusammenzustellen. Daß aber selbst die besten Kräfte und die ernsteste Arbeit uns nicht genug zu tun vermögen, beweist eben den Wert spezifischer Klassenbildung für den Aufstieg des Proletariats mit Einschluß der ästhetischen Bildung. Ist es bei der Charakterisierung des Wertes des Klasseninstinktes als soziale Erscheinung wirklich noch nötig, darauf hinzuweisen, daß für den einzelnen Proletarier angeborene Fähigkeit, Studium, Erfahrung, kurz künstlerisches Verständnis zum ästhetischen Riehteramt notwendig ist? Wie es innerhalb der proletarischen Kunst schlechte und gute Werke gibt, so treffen wir unter den einzelnen Proletariern genußfähige und künstlerischem Empfinden abgeneigte Köpfe. Aber gilt dieser Unterschied nicht genauso für das theoretische Verständnis, für die praktische Tätigkeit? Ist es darum je einem Marxisten eingefallen, den wesentlichen Abgrund zwischen proletarischer und bürgerlicher Wissenschaft, sozialistischer und kapitalistischer Politik zu letignen, zu überbrücken? Wohl gibt es auch auf theoretischem Gebiet weite Strecken, die nur aus Mangel an Arbeitskräften unbebaut gelassen werden müssen, wo wir uns auf bürgerliche Resultate stützen; wohl er8
Bürgel, Tendenzkunst
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sehnen wir Lebensformen und Freudengüter, die nur im sozialistischen Gesellschaftszustand verwirklicht werden können, und begnügen uns bis dahin mit bürgerlich geformten — aber wer wiese dabei nicht stets auf die Mängel dieser Surrogate hin? Wer verschwiege deshalb das Unbehagen bei solcher Aneignung und ließe sich Forderungen, Urteile nicht durch die spezifisch sozialistischen Grundsätze bestimmen? Es wäre töricht, sich ängstlich an die Reste einer fremden Geisteskultur zu klammern, sich erzwungen ästhetisch einzustellen, sich mit Anstrengung einzufühlen. Denn unweigerlich „beginnt ein Stil in dem Moment zu verfallen, wo die Ideen, aus denen er hervorging, ihre Wirksamkeit eingebüßt haben und wo nun die überlieferten Formen nur noch während einer gewissen Zeit durch äußerliche Nachahmung erhalten bleiben. Ein neuer Stil tritt aber an seine Stelle, wenn neue Ideen nach künstlerischem Ausdruck ringen." (Wundt.) Historisches Interesse nach alten künstlerischem Formen wird an die Stelle ästhetischen Genusses treten und die neuen Inhalte werden neue lebensfähigere Gestaltungen hervorbringen.
Franz Mehring [Auszug aus: Freiligrath und Marx in ihrem Briefwechsel] Man mag darüber streiten, ob die ästhetische Erziehung der Arbeiterklasse auch zu den Aufgaben der Sozialdemokratie gehört, aber wenn man die Frage bejaht, wie sie von der deutschen Partei längst bejaht worden ist, so muß man die Grenze zwischen Ästhetik und Politik zu erkennen wissen. In dem Feuilleton des Vorwärts ist kürzlich eine eifrige Propaganda für eine Ästhetik der schwieligen Faust gemacht worden; was den Arbeitermassen nicht gefiele, h ä t t e keinen ästhetischen Wert. Da der Unfug in letzter Zeit aufgehört hat, so mag man ihn als eine vorübergehende Verirrung laufen lassen, jedoch die unerfreuliche Tatsache, daß er sich überhaupt, wenn auch nur zeitweise, breitmachen konnte, zeigt allzu deutlich, wieviel hier noch zu t u n ist. Die Grenzmarken aber sind deutlich abgesteckt auf der einen Seite von Freiligrath 74
mit dem Worte, daß der Dichter auf einer höheren Warte stehe als auf den Zinnen der Partei, von Marx mit dem nicht minder wahren Worte, daß der Dichter in den Kämpfen der Gegenwart seine Partei im großen historischen Sinne nehmen müsse. So löst sich der Konflikt auf, der den größten Denker und den größten Dichter des Proletariats trennte, aber jeden von beiden in der Trennung nur sich selbst getreu bleiben ließ. Und wir dürfen auf ihn zurückblicken in dem versöhnenden Gedanken, daß jeder von beiden auf seinem Gebiet doch nur das Höchste leistete, weil ihm das Gebiet des anderen mehr oder weniger verschlossen blieb.
K[arsten]
H[einrich]
Döscher
„Die Aesthetik der schwieligen Faust" In einem längeren Beitrag zur Marxphilologie, den Genosse F. Mehring im letzten der Ergänzungshefte zur Neuen Zeit veröffentlicht (Freiligrath und Marx in ihrem Briefwechsel), beschäftigt er sich zum Schluß auch mit unserem Feuilleton. Er schreibt da: „In dem Feuilleton des Vorwärts ist kürzlich eine eifrige Propaganda für eine Ästhetik der schwieligen Faust gemacht worden; was den Arbeitermassen nicht gefiele, hätte keinen ästhetischen Wert. Da der Unfug in letzter Zeit aufgehört, so mag man ihn als eine vorübergehende Verirrung laufen lassen, jedoch die unerfreuliche Tatsache, daß er sich überhaupt, wenn auch nur zeitweise, breitmachen konnte, zeigt allzu deutlich, wieviel hier noch zu tun ist." Wir haben die bisherigen Versuche Mehrings, sich am Feuilleton des Vorwärts zu reiben, unbeachtet gelassen; wir haben aucfi darauf verzichtet, offenkundige Unrichtigkeiten, die er aufstellte, zu berichtigen. Aber die neueste Anrempelungmuß denn doch einmal im Interesse unserer Mitarbeiter, die Mehring aus dem Busch heraus angreift, trotz all unserer Abneigung gegen solche Polemiken, zurückgewiesen werden. Genosse Heinz Sperber hat hier in den letzten Jahren das Thema: Proletariat und Kunst von verschiedenen Seiten aus in seiner 8»
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frisch-zupackenden Weise behandelt, die von dem auch bei uns eindringenden formal-ästhetischen Oberlehrergerede erfreulich abstach. Genosse Sperber hat hier in Sachen der Kunst Klassenpsychologie betrieben. (Welch unerhörtes Unterfangen in einem sozialdemokratischen Blatt.) Seine Stellungnahme wurde von einem Psychologen als durchaus im Einklänge mit den Ergebnissen der Wissenschaft befunden, und unsere Leser waren mit dieser Art Kritik sehr zufrieden. Um im Jargon Mehrings fortzufahren, müßte man vielleicht sagen: sie standen eben noch auf der Stufe Mostens und Hasselmanns, der Begründer der Ästhetik der schwieligen Faust. Die „demagogische Rolle", die wir selber dabei spielen wollten, nämlich historisch nachzuweisen, daß jede Klasse praktisch durchaus Klassenkunstpolitik betrieben hat, konnten wir leider nicht durchführen, da die Tagesfron uns keine Zeit dazu ließ und wir hier leider nicht das Feuilleton nach Bedarf ausfallen lassen können wie Genosse Mehring in der Neuen Zeit. Der „Unfug" ist daher auch gar nicht zu Ende. Schon deswegen nicht, weil nichts Stichhaltiges dagegen gesagt worden ist. Das einzige Ergebnis der Debatte war die Entdeckung des reinen Menschen, der über den Klassen steht, eine Entdeckung, die uns in die Zeiten des vormarxistischen wahren Sozialismus zurückführte. Und es hätte doch eine lockende Aufgabe für das vom Genossen Mehring redigierte Feuilleton der Neuen Zeit sein müssen, sich als Oberzensuramt und literarisches Zentralgewissen der Partei zu gerieren. Aber Fragen, die uns Menschen von heute tiefer berühren, scheinen dort nicht erörtert zu werden. Oder müssen Löwen immer einsam sein in ihrer Wüste? Sollen wir nun noch ernsthaft versichern, daß uns das Schweigen der Neuen Zeit absolut nicht eingeschüchtert hat (sowenig wie ihr Reden es vermocht hätte)? Daß Genosse Sperber erst jüngst hier wieder in den alten Unfug zurückverfallen ist und daß es täglich wieder passieren kann? Armer Mehring! Ja gestehen wir es nur ruhig, wir hatten die Absicht, eine Rundfrage über die Stellung des modernen Proletariats zur Kunst zu veranstalten und vorzüglich die Meinungen der drei modernen Dichter, die man als die berufensten in dieser Frage ansehen darf, einzuholen: Gorkis, Heijermanns', Andersen Nexös. Zum Unglück Mehrings stehen sie alle drei auf unserem Standpunkt. Das zum Bewußtsein erwachte Proletariat hat die Sehnsucht nach seiner eigenen Kunst, es beginnt deutlich zu spüren, daß das bürgerliche Surrogat, das ihm heute geboten wird, nicht seine 76
Kunst ist. Es sagt nicht (wie Genosse Mehring uns fälschlicherweise unterschiebt): was nicht aus unserem Fühlen und Denken geboren wurde, ist keine Kunst. Nein, nur: es ist nicht unsere Kunst. Die proletarischen Dichter haben dieses Empfinden bestätigt und aus ihm heraus geschaffen. Und die proletarischen Kritiker haben dies Empfinden ins Bewußtsein zu erheben versucht. Warum und wieso daneben große Kunst früherer Zeiten und anderer Klassen lebendig bleiben kann, wäre zu untersuchen. Aber eine vorwärtsdrängende Klasse, die die Welt erobern will, hat — wie immer diese Frage beantwortet werden mag —, kein historisch-alexandrinisches Kunstempfinden. Gott sei Dank nicht, denn sonst h ä t t e es nie eine neue Kunst gegeben. Sie nimmt das Alte, wo es noch mit ihrem Fühlen und Wollen verträglich ist, bereit, das Neue zu ergreifen, sobald es kommt. Das ist der Unterschied zwischen der Generation, der Genosse Mehring angehört, und der unsrigen: er hat noch unter der Furcht gestanden, die „schwielige Faust" könnte das alte Kulturerbe wegwerfen. Heute sehen wir die Entwickelung gesichert: das Streben nach Kulturgütern ist ernster und tiefer geworden. Wir haben längst begonnen, unsere Aussaat zu streuen, und wir erleben bereits den ersten Garbenschnitt: Das Proletariat hat zum erstenmal in der Geschichte seine eigenen Dichter auftreten sehen. „Dichter der schwieligen Faust", wie sie mit Stolz sich nennen können, ehemalige Bäcker und Schuster, die aus dem Proletariat erwachsen und ihrer Klasse treu geblieben sind. Es sind ihrer erst wenige, aber sie haben die Möglichkeit proletarischer Kunst dargetan, so stark und zwingend, daß auch die bürgerliche Kritik sie anerkennen mußte. Genosse Mehring hat leider nicht mehr Fühlung mit diesen neuen Strömungen gefunden: die Gegenwart hat er aus dem Auge verloren. Aber die Entwickelung schlägt Bahnen ein, über die er sich beruhigen mag: Auch die Dichter, die in unserem Sinne Klassenkunst treiben, tun es nicht in der engherzigen Art einer Parteikunst, die Freiligrath nicht gelten lassen wollte, sie haben in den Kämpfen der Gegenwart Partei im großen historischen Sinne ergriffen. Sie wollen als gute Kameraden das Proletariat in seinem harten Kampfe, seinem hoffnungsvollen Vormarsche und vielleicht noch ein Stück darüber hinaus begleiten, auf Wegen, wie sie Gorki in der Mutter oder Pelle der Eroberer ging.
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Heinz Sperber Mehring, Wendel und Unfug Da ich verreist war und bei meiner Rückkehr so viel zu lesen vorfand, daß mir davor graute, bekam ich die Neue Zeit und die Polemik im Vorwärts vom 25. April unter dem Titel: Die Ästhetik der schwieligen Faust erst jetzt zu sehen. Obschon ich ein Feind solcher polemischen Angriffe bin, meine ich mich doch ernstlich gegen eine schon vom Genossen Döscher mit Recht gerügte Behauptung des Genossen F. Mehring auflehnen zu müssen. Mehring schreibt in der Neuen Zeit: „In dem Feuilleton des Vorwärts ist kürzlich eine eifrige Propaganda für eine Ästhetik der schwieligen Faust gemacht worden; was den Arbeitermassen nicht gefiele, hätte keinen ästhetischen Wert." Nach Lektüre dieser Zeilen habe ich Genossen Mehring schriftlich um Aufklärung ersucht, wann und wo ich den tatsächlichen U n f u g behauptet haben soll: „was den Arbeitermassen nicht gefiele, habe keinen ästhetischen Wert". Genosse Mehring weigerte sich, Antwort darauf zu erteilen. Ich muß ihn also in der Öffentlichkeit der Verbreitung grober Unwahrheiten bezichtigen. Nie und nimmer habe ich irgendwo einen derartigen Blödsinn veröffentlicht. Die Leser werden sich vielleicht entsinnen, daß ich im November 1910, also vor anderthalb Jahren, die Meinung vertrat, daß der bürgerliche Humorist, sobald er Proletarier „humoristisch" behandelt, in der Interessensphäre seiner Klasse stecken bleibt und daß sein Humor deshalb auf den erwachten Proletarier abstoßend einwirkt. Genosse Ströbel war darin nicht mit mir einig und äußerte die Ansicht, daß der „Dichter" über den Klassen stehe. Genosse Mehring war und ist mit Genossen Ströbel nach dieser Richtung hin rührend einverstanden. Mehring bekannte sich zu Ströbel — Genossen mit nicht zu unterschätzendem kritischen Urteil, wie Maxim Gorki, Henriette Roland-Holst u. a. traten meiner Ansicht vollkommen bei. Damit war — sollte man meinen — diese gewaltige Angelegenheit aus dem Jahre 1910 erledigt! Aber nicht für Mehring. Auf unfaire Weise gräbt er meinen „ U n f u g " : den Arbeiter-Lesern dieses Blattes den Unterschied zwischen bürgerlicher und proletarischer Kunst klarmachen zu wollen, maulwurfartig aus und ser78
viert ihn mit der aus denFingern gesogenen Behauptung, daß ich die oben angeführte Torheit publiziert hätte. Diese Methode Mehrings gemahnt an gallige Kasuistik und — macht vorzügliche Schule. In der Frankfurter Volksstimme nimmt Reichstagsabgeordneter Genosse Karl Max Ludwig Hermann Wendel eine Mandel faule Eier in beide Hände, um sie mir, durch das Mehringsche Vorbild aufgestachelt, an den harten Schädel zu werfen. Ich möchte dem Genossen Wendel, von dem auf literarischem Gebiet bisher nur bekannt ist, daß er als Mitglied der „freien Landsmannschaft Cheruscia" an der Münchener Universität von 1902 bis 1904 Gott und Welt einschüchternde Philosophie getrieben hat (siehe Kürschners Reichstagshandbuch), den Rat erteilen, seine stolze Devise: „Lieber mit Mehring irren, statt mit Sperber recht haben", nicht als unantastbares sozialistisches Moralprinzip zu propagieren. Weil nach meiner bescheidenen Meinung jeder gute Sozialdemokrat die Pflicht hat, Irrtümer, wo er sie findet, und selbst solche Mehringscher Natur, aufzudecken. Es ist der Unfug des Genossen Mehring und seines cheruscischen Jüngers Wendel, bei Meinungsverschiedenheiten, noch nach anderthalb Jahren, die Sache, um die es sich handelt, aus dem Auge zu verlieren, um einen loyalen, äußerst korrekten Personenstreit zu entfachen, der höchst sympathisch an bürgerliche Dispute erinnert.
[Karsten
Heinrich]
D[öscher]
[Die polemischen Gelüste des Genossen Mehring] Die polemischen Gelüste des Genossen Mehring wachsen sich nachgerade zu einer allgemeinen Landplage aus. Genosse Mehring spielt jetzt in der Frankfurter Volksstimme die letzte klägliche Rolle, die er als ertappter und überführter Angreifer noch zu spielen hatte: er mimt die verfolgte Unschuld. In dieser Pose ihn zu unterbrechen, hätten wir nicht die geringste Lust, wenn er als Requisiten seiner Inszenierung nicht einige neue Unwahrheiten auftischte. Das Lämmlein, das kein Wässerlein trübte, behauptet natürlich, 79
unsere notgedrungene Abwehr — wer hätte wohl auch noch Lust, mit dem Genossen Mehring ohne ernste Ursache sich in etwas einzulassen — sei ein gegen seine Tätigkeit als Feuilleton-Redakteur der Neuen Zeit gerichteter Artikel gewesen. Die Glossen, die wir dieser Tätigkeit widmeten, sollten ihm nur zu Gemüte führen, wie wenig Anlaß der Redakteur dieses Feuilletons in der Neuen Zeit hätte, sich aufs hohe Roß der kritischen Bevormundung zu setzen. Die Abwehr aber galt einem ebenso unfairen wie unwahren Angriff besagten Feuilleton-Redakteurs gegen uns und vor allem unseren Mitarbeiter Sperber. Folgt die zweite Unwahrheit. Genosse Mehring hat den Mut, öffentlich zu behaupten, das Feuilleton des Vorwärts wäre ihm zur Berichtigung tatsächlicher Irrtümer verschlossen worden. Tatsache ist, daß eine Einsendung des Genossen Mehring mit dem Bemerken zurückgegeben wurde, er möchte eine bestimmte Stelle abändern, weil wir zu einem Bruch des Redaktionsgeheimnisses die Hand nicht bieten könnten. Das hat Genossen Mehring nicht beliebt, dafür hat er sich aber beschwerdeführend an die Preßkommission gewendet. Das allergewohnlichste parteigenössische Anstandsgefühl hätte nun verlangt, daß Genosse Mehring deren Entscheidung abgewartet hätte. Aber Genosse Mehring konnte freilich die Verstopfung seiner polemischen Natur so lange nicht aushalten. Die Abfuhr, die Genosse Sperber dem Genossen Mehring durch den Nachweis seiner freien Erfindung („was den Massen nicht gefiele, hätte keinen ästhetischen Wert") bereitete, hat gesessen und bleibt sitzen. Die Ausrede, er habe den Inhalt von Sperbers Ansichten in einen Satz zusammengefaßt, der wörtlich so natürlich nicht darin stehen könne, konnte Genosse Mehring nur einem Leserkreise bieten, der von dieser ganzen Sache nichts weiß. Sehet noch einmal das Lamm in seiner holden Unschuldsschöne! Ach, niemand klatscht dem „Helden" Beifall in dieser Rolle. Doch wartet nur, er hat noch etwas, um seinen Abgang zu verbessern: er denunziert. Darüber sprechen wir uns vor einem anderen Forum, Genosse Mehring!
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Eine ästhetisch-literarische Enquete Im November oder im Dezember 1910 veröffentlichte ein Parteigenosse, der unter dem Kriegsnamen Heinz Sperber schreibt, im Feuilleton des Vorwärts kunsttheoretische Aufsätze, die in den literarisch angeregten Kreisen der Partei ein sehr peinliches Aufsehen erregten. Mir ging eine ganze Reihe von Entgegnungen zu, von denen ich aus Mangel an Raum nur eine zum Abdruck bringen konnte; sie rührte vom Genossen Ströbel her, und ich wählte gerade sie, weil sie mir die knappste und in ihrer Knappheit treffendste zu sein schien und jedenfalls die gegen Heinz Sperber weitaus höflichste war. Selbstverständlich räumte ich dem Angegriffenen denselben R a u m zur Verteidigung ein, doch hat Heinz Sperber davon keinen Gebrauch gemacht. Die anderen Einsender waren begreiflicherweise mit meiner Entscheidung 'sehr unzufrieden, allein ich mußte sie, aus dem angegebenen Grunde, an das Feuilleton des Vorwärts verweisen, das mir, da von ihm der Anstoß zu dieser Diskussion ausgegangen war, auch der geeignetste Platz zu sein schien, sie auszutragen. Ich selbst behielt mir vor, in meiner Arbeit über den Briefwechsel zwischen Freiligrath und Marx auf die Sache zurückzukommen. Inzwischen glaubte ich mich dieses Versprechens mit sechs Zeilen entledigen zu können, da Heinz Sperber sich, wenigstens mit seiner Kunsttheorie, in Schweigen gehüllt hatte. Indessen diese sechs Zeilen sind mir sehr schlecht bekommen; Genosse Sperber sowohl wie Genosse Döscher, der Redakteur des Vorwärts-Feuilletons, haben, wenn ich richtig zähle, nicht weniger als drei wild persönliche Angriffe deshalb gegen mich gerichtet, auf die ich hier nicht weiter eingehen will. Dagegen haben sich die früheren Einsender wieder an mich gewandt und sich darauf berufen, daß sie im Feuilleton des Vorwärts doch nicht zu Worte kämen; selbst Genosse Ströbel, der, wie bekannt, zur Redaktion des Vorwärts gehört und in die Angriffe gegen mich mit verflochten worden war, unternimmt eine „Flucht in die Öffentlichkeit", und zwar in der Leipziger Volkszeitung. E r fragt hier: „Ist es nicht unerträglich, daß der Vorwärts, das Zentralorgan der Partei, gesperrt ist für alle Diskussionen, die sich auf künstlerische Fragen beziehen, insbesondere auf das doch nicht unwichtige Problem, von welchem Gesichtspunkt aus das Proletariat die Kunst, insbeson-
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dere die Dichtung, zu beurteilen hat? Dabei handelt es sich nicht etwa darum, daß persönlichen Marotten oder befremdlichen Paradoxen die Vertretung verwehrt würde, sondern ganz im Gegenteil um die Verfemung und Mundtotmachung von Ansichten, die von der ungeheuren Mehrheit der Parteigenossen verfochten werden, die in künstlerischen und literarischen Fragen in der Parteipresse bisher das Wort genommen haben. . . . Welche Legitimation zu einem ästhetischen Papst besäße wohl Heinz Sperber oder sein Protektor Döscher, daß er all den anderen literarisch interessierten, schon seit vielen Jahren literarisch tätigen Genossen die Möglichkeit abschneiden dürfte, im Zentralorgan der Partei ebenfalls ihre Meinung zu sagen? . . . Ein solcher Zustand ist um so unverträglicher, weil es die Feuilletonredaktion des Vorwärts, statt es für ihre Pflicht zu halten, die Erwiderungen der Andersdenkenden auch nur auszugsweise im Original wiederzugeben, vorzieht, sie den Lesern im verzerrenden Hohlspiegel ihrer polemischen Ergüsse zu zeigen." Unter diesen Umständen glaube ich das Feuilleton der Neuen Zeit zu einer Enquete über die Beziehungen der Arbeiterklasse zur Kunst öffnen zu sollen, mit besonderer Berücksichtigung der von Heinz Sperber angeregten Fragen. Ich bitte nur diejenigen Genossen, die sich darüber zu äußern wünschen, einige Rücksicht auf den beschränkten R a u m zu nehmen.
Heinz Sperber Wegmarken proletarischer Kunst Es gibt zurzeit mehr Anzeichen wachsender proletarischer Kunst, als der oberflächliche Beobachter wahrnimmt. Es geht nicht mit Sturm und Brausen, es reift allmählich. U m das zu erkennen, dürfen wir nicht auf das komplizierte Wesen der Kunst hinstarren, wie das oft von „Literaten" geschieht, die sich besonders für die sogenannte „Schöne Literatur" interessieren. In den hervorragenden Industrieländern, wo sich die Industrie in aufsteigender K u r v e bewegt, sehen wir architektonische Verwirklichungen entstehen, 'die einen erfreulichen Charakter tragen. 82
In den kleinen Reichen, mit rückständiger oder abhängiger Industrie, gerät die Baukunst in den Hintergrund, dort werden die Anzeichen proletarischen Denk- und Gefühlslebens künstlerisch kraftvoller und bemerkenswerter. Das eine ist die Folge des anderen. In Amerika, dem Trustland par excellence, wuchern Sensationsprodukte für den „literarischen" Markt, wird der Typus „Künstler", so wie wir ihn kennen, abgetötet, ruft der Kapitalismus Gebäudekolosse aus Stein und Eisen ins Dasein, um mehr Profit aus dem Proletariat zu ziehen, schmiedet aber damit gleichzeitig Kettenglieder für die Zukunft. In Deutschland, das im Verhältnis zu seinem erwachten Proletariat noch so befremdend wenig proletarische Dichter hat, finden wir architektonisch-wohlerwogene, einen gewissen Grad von Schönheit verkörpernde Fabrikgebäude, Warenhäuser, Bahnhöfe, Volksrestaurants. E s gibt beispielsweise Fabriken, die äußerlich mit der umringenden Natur harmonieren, denen die scheußlichen plumpen Schuppen und klobigen Schornsteine fehlen — und die im Innern von derartig gutem Geschmack zeugen, daß sie kaum noch an die Gefängnisse erinnern, worin jetzt noch das Gros des Proletariats als Mehrwertsklaven arbeitet. Das Bestreben der kapitalistischen Gesellschaft, das körperliche Wohlergehen des Proletariats, wo es ihr paßt, zu „fördern", beginnt dunkle Arbeitshöhlen in gut-erwärmte, gut-ventilierte, gut-beleuchtete Säle mit hygienischen Nebengelassen und stattlichen Treppenhäusern umzuwandeln. Die Triebfedern sind uns vollauf bekannt. Das Warum ist klar. Ohne die starke Stimme des Proletariats würde das Zuchthausleben, wovon schon zu Marx' Zeiten gesprochen wurde, noch keine Ausnahmen kennen — aber es wäre Torheit, sich den ersten Massengebäuden gegenüber, in denen die moderne Wissenschaft Neues, Angenehmes und vor allen Dingen Menschliches erreichte, blind zu stellen. Einige neue Fabriken, die logisch und geräumig aus dem besten, solidesten Material und im Anschluß an die modernsten technischen Errungenschaften (Badeeinrichtungen, Klosetts, Ventilatoren, elektrisches Licht usw.) errichtet, die noch in Millionen von Arbeiterwohnungen fehlen, zeigen den Weg in die Zukunft — wenn die Produktionsmittel nicht mehr in den Händen des ausbeutenden Kapitals sein werden. Wir stehen hier natürlich noch vor Ausnahmen, wir wissen zu gut, daß mindestens 99 Prozent des internationalen Proletariats ein jämmerliches Fabrikleben führen — aber der Anfang ist vorhanden — und wir wollen ihn nicht unterschätzen. 83
In den kleineren Ländern bringt es der Kapitalismus in den Fabrikstädten nicht über geringfügige Konzessionen hinaus. Der Andrang auf dem Weltmarkt ist zu groß, die Kapitalien sind meistens zu klein, um in größerem Maßstabe den Anforderungen moderner Baukunst zu genügen. Die erfreulichen Erscheinungen, denen wir hier und dort dennoch begegnen, sind nicht mehr Kundgebungen einer blühenden Industrie, sind keine der anarchistischen Produktionsweise abgerungenen Resultate, sondern entspringen dem Einfluß rein-geistiger Strömungen oder dem Scharfsinn, der Uberzeugung und dem Enthusiasmus von einzelnen Arbeiterkonsumgenossenschaften und Gewerkschaften. In den großen Industrieländern — ein Zeichen, worauf mit Nachdruck hingewiesen werden muß! — steigt der Kapitalismus den Pfad moderner proletarischer Baukunst hinan — in den kleineren Staaten fehlt das. Dafür offenbart sich dort in den von dem Proletariat selbst aufgerichteten Gebäuden oft das Verlangen nach Schönheit. Die Tatsachen reden. Die mächtigsten Proletariergruppen der Welt haben noch abstoßend-häßliche „Heime" — die kleineren, weniger mächtigen überraschen vielfach durch Gebäude, die Einfachheit, gesunden Verstand, vortrefflichen Geschmack und Anfänge dekorativer Kunst zeigen. In den großen Ländern mangelt es an Dichtern von Ruf, die sich dem Proletariat an die Seite stellen — in den kleinen gibt es eine wachsende Anzahl proletarisch-dichterisch empfindender. Das muß so sein. Es ist kein Zufall. Die Baukunst für industrielle Zwecke mußte in den großen Staaten beginnen, die proletarische Dichtkunst in den kleinen. Der Dichter in den großen Ländern muß ein ganz außergewöhnlicher Kerl sein, wenn er dem Schicksal der Geld und „Ehre" gewährenden bürgerlichen Kunst entrinnen will. Von Jugend auf in dieser Kunst aufgezogen, hat er es gelernt, die bürgerliche „Tendenz" als einzig richtige und logische zu betrachten. Kommt er durch Nachsinnen über den wirklichen Begriff Kunst zu der Einsicht, daß das, was heute als Kunst verschlissen wird, nur zu oft ein erbärmliches Surrogat darstellt — geht er zur sozialdemokratischen Lebensanschauung über, dann ist er, sofern er von seiner „Feder abhängig" ist, auf ein Dasein voll andauernder Sorgen und in den meisten Ländern sogar auf Armut angewiesen. Dem gegenüber steht das Luxusleben, das die Bourgeoisie ihm fast mit Bestimmtheit bietet, wenn er „Talent" hat und die abweichende oder revolutionäre „Tendenz" meidet. Nur sehr starke 84
Naturen ringen sich durch. Mit Ausnahme einiger russischer Schriftsteller entdeckt man in den großen Ländern der zivilisierten Welt keine derartig „starke Naturen". Bei den Dänen, Schwe. den, Norwegern, Niederländern ist die Situation anders. Die geringere Anzahl von Zeitungen, Zeitschriften und Intellektuellen, das engere Nachbarschaftsleben, das Mehr-aufeinander-Angewiesensein bewirkt, daß eine geistige Strömung schneller durchsickert, Freunde und Anhänger gewinnt. In einem kleineren Land wird ruhiger gelesen, bleibt man besser über einander unterrichtet. In einem kleinen Land ist ein „Dichter", der durch.seine Feder zu „Wohlstand" gelangt, selbst wenn er die Abgötter der Bourgeoisie anbetet, kaum möglich. Der „Absatz" an Büchern und der Ertrag von Theaterstücken ist gering. Wenn ein „Dichter" eines kleinen Landes nicht „übersetzt" wird und auf diese Weise von der internationalen Kunst-Reisschüssel, von der süßen „assiette au beurre" mitschmausen kann, bleibt er in kleinbürgerlichen Lebensverhältnissen stecken, einerlei, ob er revolutionär ist oder nicht. Man hat also in einem kleinen Land nicht solch einen finanziellen Abstand, wie in einem großen, wo nur die Literatur mit Aufmerksamkeit gelesen und — gekauft wird, die durch die Lobpreisungen der bürgerlichen Zeitungen zu einer Modesensation aufgebauscht wird. Das alles zusammen mit der mehr intimen geistigen Reibung in einem kleinen Land erklärt das Auftreten sozialistischer Dichter in den weniger industriellen, weniger machtvollen Staaten Europas. Daß ihre Namen noch keinen „Weltklang" bekommen, ist selbstverständlich. Die bürgerlichen Verleger haben die absolute Macht in Händen. Die von sozialistischen Künstlern gelieferte „Ware" ist in Dänemark, Schweden, Holland usw. keine Ware für die lesende Bourgeoisie. Ibsens „revolutionäre" Gedanken waren willkommen. Sie schlössen sich der „Revolution" des freisinnigsten Teils der bürgerlichen Parteien an. Björnson schlug zwar ein wenig über die Stränge, aber der zweite Teil von Über unsere Kraft mit seinen Bomben und seiner versöhnlich-rührsamen Apotheose enthielt imposante und interessante Theatereffekte. Strindberg ward gelesen — seine Artikel für sozialdemokratische Blätter blieben unübersetzt, und als er mit der Bibel in den Händen starb, ging es wie ein Seufzer der Erleichterung durch die Presse. Wirkliche Dichtungen von Sozialdemokraten für Sozialdemokraten bleiben in der Regel innerhalb der eigenen Landesgrenzen. Vorläufig wird sich das wahrscheinlich nicht ändern. Und es eilt nicht mit
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dem Anderswerden, weil auf politischem und ökonomischem Gebiet dringendere Aufgaben harren: die Befreiung des Proletariats, die Vernichtung .des Klassenstaates. Wir gönnen der Bourgeoisie ihre heutige Kunst von Herzen — die unsere wird mit jedem T a g lebensfähiger, zielbewußter, gesünder. Weil wir nicht nur eine dürr-politische „Partei" bilden, sondern den Lenz im Völkerleben darstellen, weil unsere Lebensanschauung unsere Freude und das unverrückbar-internationale Ideal ist, haben wir Zeit, können wir warten.
[Karsten Heinrich Döscher/Franz
Mehring]
[Die unterdrückte Meinungsfreiheit] D a Genosse Mehring sich in Nr. 51 des Feuilletons der Neuen Zeit unbesehen die Angriffe des Genossen Ströbel gegen mich zu eigen macht und auf Einsender hinweist, die sich darauf berufen, daß sie im Feuilleton des Vorwärts doch nicht zu Worte kommen, sehe ich mich zu folgenden Feststellungen veranlaßt: 1. Die Meinungsfreiheit ist im Feuilleton des Vorwärts niemals unterdrückt worden. Genosse Mehring hat ja selbst den Beweis dafür in Händen: seine spaltenlange Entgegnung auf die leider ebenso berechtigte wie notwendige Kritik der Mehringschen SchillerAusgabe ist anstandslos aufgenommen worden. Auch die gegen die „Kunstketzereien" des „Literaturpapstes Sperber" gerichteten Einsendungen sind sämtlich zum Abdruck gebracht worden. Auch die des Genossen Ströbel, die freilich vorher erst durch ein besonderes von der Preßkommission eingesetztes Komitee ihres verletzenden Tones entkleidet werden mußte. Da sich weiter niemand von den Literaturautoritäten des Genossen Ströbel und aus den literarisch angeregten Kreisen des Genossen Mehring zum Worte meldete, so fand die Debatte bereits vor mehr als anderthalb Jahren ihr natürliches Ende im Vorwärts. Nicht aufgenommen wurden einzig und allein die Genossen Sperber beipflichtenden Zuschriften, obwohl sie meines Erachtens das Kunstempfinden bewußter und literarisch durchaus interessierter Proletarier viel besser widerspiegelten und als Dokumente proletarischen Klas86
sengefühls wertvoller und wichtiger waren als alle möglichen ästhetischen Geistreichigkeiten. 2. D a Genosse Mehringes nach anderthalb Jahren für gut fand, in einer den Sachverhalt der Sperberschen Ausführungen falsch interpretierenden Weise auf die Angelegenheit zurückzukommen, waren Genosse Sperber und ich zur Abwehr dieses posthumen Angriffs genötigt. Selbstverständlich aber lag keinerlei Anlaß vor, jetzt etwa die Debatte über das erledigte Thema aufs neue zu eröffnen. Zwei Zuschriften, die das versuchten und die überdies Genosse Mehring aus rein sachlichen Gründen für seine Enquete zweifellos ebenso ablehnen wird wie ich, wurden zurückgewiesen. Abgewiesen wurde auch eine angebliche Berichtigung des Genossen Ströbel, in der er mit fünfzig Zeilen gegen eine Zeile des Genossen Sperber eine Polemik eröffnen wollte, die zu einem Streit um des Kaisers Bart geführt hätte. Denn Genosse Ströbel wollte aus seinem Artikel in der Neuen Zeit widerlegen, was er im Vorwärts dem Sinne nach gesagt hatte, und sich keinesfalls mit einem Protest begnügen. Das ist die ganze Geschichte der verfemten und mundtot gemachten „Meinungsfreiheit"! Die Preßkommission des Vorwärts, die sich des langen und breiten mit diesen Dingen beschäftigte, hat denn auch gegen das „sensationelle Vorgehen" des Genossen Ströbel, zu dem nach ihrer Ansicht keinerlei Veranlassung vorlag, ausdrücklich Verwahrung eingelegt (siehe Nr. 124 des Vorwärts, 1. Beilage). Die Meinungsfreiheit über ästhetische Angelegenheiten wird auch in Zukunft im Feuilleton des Vorwärts vollauf respektiert werden. Damit soll freilich nicht gesagt sein, daß es zu einem Tummelplatz polemischer Gelüste werden soll für Literaten, die es nicht für nötig finden, im und am Feuilleton mitzuarbeiten, aber leicht geneigt sind, als Retter angeblich bedrohter Parteiund Kunsttraditionen Bravourarien vorzutragen. Auch ohne daß die Neue Zeit sich freundnachbarlich als Revisionsanstalt für das Feuilleton des Vorwärts auftut, ist die Meinungsfreiheit gesichert. Womit freilich nicht eine Freistatt für Diskussionen eröffnet werden soll, etwa über die in der Neuen Zeit entwickelten Kunstketzereien des Genossen Franz oder über die Art, wie Genosse Mehring Briefwechsel herausgibt. Und nun viel Glück zu dem K a m p f e in den katalaunischen Lüften gegen die „schwielige Faust" und die proletarische Kunst, die mit ihr im Bunde sich sehr wohl fühlt! K . H. Döscher, Feuilletonredakteur des Vorwärts 87
Genosse Döscher hält es für unzulässig, mit fünfzig Zeilen gegen e i n e Zeile ins Feld zu rücken; dabei haben er und sein Mitkunstrevolutionär Heinz Sperber gegen e i n e Zeile in meinem Ergänzungsheft über den Briefwechsel Freiligrath — Marx ich weiß nicht wievielmal fünfzig Zeilen losgelassen, sogar ohne daß sie erst ein „Komitee" bemüht hätten, die Ausbrüche ihres edlen Unwillens des „verletzenden Tones" zu entkleiden. Im übrigen bestätigt Genosse Döscher, daß er drei Einsendungen gegen die genialen Kunsttheorien seines Schützlings abgewiesen hat. Das genügt vollständig, und ich moniere erst gar nicht, daß es genau genommen ihrer vier waren, nämlich außer den von ihm erwähnten auch eine von mir. Da ich sie zurückgezogen habe, nachdem und weil Genosse Döscher wegen seiner illoyalen Kampfweise gegen mich einen ansehnlichen Rüffel von der Preßkommission des Vorwärts bezogen hatte, so mag ich ihm nicht widersprechen, wenn er diesen Punkt für erledigt hält. Aber die Zurückweisung der anderen drei Einsendungen berechtigte den Genossen Ströbel vollkommen zu seiner „Flucht in die Öffentlichkeit", der ich nach wie vor zustimme, auch nachdem die Preßkommision des Vorwärts sie getadelt hat. Die Preßkommission hat sich — mit Recht — jedes Urteils in der Streitfrage selbst begeben; sie hat sich nur „diskreditiert" gefühlt, weil Genosse Ströbel seine Klage über den Genossen Döscher nicht erst vor sie gebracht, sondern gleich in einem anderen Parteiblatt veröffentlicht hat. Es ist anzuerkennen, daß Genosse Döscher erhabenen Vorbildern folgt, indem er triumphierend auf den Erlaß der Preßkommission verweist; als Voltaire in seinem Prozeß mit dem Juwelenhändler Hirsch so glorreich abgeschnitten hatte wie Genosse Heinz Sperber in den „langen und breiten" Verhandlungen der Preßkommission, schrieb Voltaire auch in alle Welt: Ich habe gewonnen, ich habe gewonnen! nämlich weil sein Prozeßgegner wegen irgendeines beiläufigen formalen Versehens zu ein paar Talern Geldbuße verurteilt worden war. Überlassen wir also den „Instanzenzug" seinen bürokratischen Sorgen, und halten wir uns an die Sache, indem wir — was im näschsten Hefte geschehen soll — den ästhetisch wie moralisch gleich abstoßenden Unfug ausrotten, den die Genossen Döscher und Sperber mit ihren „revolutionären" Kunsttheorien treiben. F. M.
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Heinrich Ströbel
Kunst und Proletariat Es ist in letzter Zeit so viel von „proletarischer" Kunst geschrieben worden. Und diese „proletarische" Kunst, deren sieghaftes Emporkommen man uns Ahnungslosen triumphierend verkündete, wurde in den schneidendsten Kontrast zur alten, überwundenen, korrumpierten „bürgerlichen" Kunst gestellt. Mit einer großartigen Gebärde des Mitleids, die nicht weniger der heillosen Kurzsichtigkeit der bisherigen Parteiästhetiker als der nunmehr gründlich erledigten „bürgerlichen" Kunst galt. Und das wurde mit solcher Selbstsicherheit und so ironischer Überlegenheit vorgetragen, daß von der Richtigkeit dieses neuen „proletarischen" Evangeliums jedermann überzeugt sein mußte, der — noch nie über Kunst und Kunstprobleme tiefer nachgedacht hatte. Wer dagegen nicht nur mit einigen Kunst- und Literaturkenntnissen behaftet war, sondern auch selbst schon ernstlich den Zusammenhängen zwischen künstlerischem Schaffen und den sozialen Verhältnissen nachgeforscht hatte, den mußte die glorreiche Entdeckung der nunmehr glücklich entbundenen „proletarischen" Kunst und die unbarmherzige Abwürgung der „bürgerlichen Kunst" kopfschüttelnd des Wortes gedenken lassen: „Schnell fertig ist die Jugend mit dem Wort, das schwer sich handhabt wie des Messers Schneide", auch wenn die Entdecker sich schon reichlich im Alter der nationalliberalen „Jugend" befinden mochten! Denn was die Künder der neuen Kunstlehre an richtigen Beobachtungen vorbrachten, war nichts weniger als neu, und was an ihren Behauptungen neu und verblüffend war, war ebenso unrichtig. Daß die Kunst und Künstler im allgemeinen vom Geschmack oder Ungeschmack der zahlungsfähigen Klassen ihrer Zeit abhängig sind, daß die Bourgeoisie in ihren Theatern nur eine Kunst duldet, die sich ihren Bedürfnissen und Interessen anzupassen versteht, daß sich infolgedessen echte und eigene Künstler nur sehr schwer durchzusetzen vermögen und daß revolutionäre Kunst besonders verfemt ist, das ist — auch vom Verfasser selbst — in der Neuen Zeit schon unzählige Male dargelegt worden. Und nicht nur in solch lapidaren Sätzen, sondern auch in allen Einzelheiten und an allen möglichen konkreten Fällen. Und speziell 9 Bürgel, Tendenzkunst
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Mehrings Ästhetische Streifzüge und die in der Neuen Zeit ja zuerst publizierte Lessing-Legende, was waren sie anderes als gründlichste Untersuchungen über den Zusammenhang zwischen den treibenden sozialen und politischen Kräften der Zeit und der Kunst! Wenn es freilich nichts anderes wäre, was die Sperber und Döscher behaupten, als das von keinem Sozialdemokraten je bestrittene Faktum einer gewissen sozialen Gebundenheit der Kunst, so wollten wir ihnen ungeachtet aller Prioritätsrechte anderer mit Vergnügen den Ruhmestitel des Entdeckers gönnen. Da die beiden aber so weit gehen, jeden historischen Sinn für die Kunstbetrachtung und jeden Sinn für historische Kunst zu perhorreszieren und nicht nur zwischen der Kunst der Vergangenheit und der Kunst der Gegenwart, sondern auch innerhalb der Gegenwartskunst eine starre Schranke zwischen „bürgerlicher" und „proletarischer" Kunst aufzurichten, war es denn doch an der Zeit, diesem „Unfug", wie Mehring sich völlig zutreffend ausdrückte, mit Entschiedenheit entgegenzutreten. Das Originellste an der Sache ist entschieden, daß man der Geschichte ein radikales Mäntelchen umzuhängen versuchte, immer wieder von „proletarischer" Kunst sprach und das Gefühl des Durchschnittsproletariers zum Gradmesser des Wertes der „proletarischen" Kunst machte. Dabei entsprach die Mapier, von einem bestimmten Zeitpunkt und dem Auftreten bestimmter Personen ab eine funkelneue Ära der Kunst zu datieren, nur der alten bösen Unart cliquenbildender Kunstgevatterschaften. Um (wie wir das der Einfachheit wegen überhaupt tun wollen) bei der Literatur zu bleiben, so weiß man ja, was sich die Romantiker auf ihre Erneuerung und Rettung der Kunst gegenüber den „Klassikern" zugute taten. Und es ist noch in frischer Erinnerung, mit welchen Ansprüchen und Verheißungen der Naturalismus auf den Plan trat, der indes längst wieder von den Adepten „modernster" und „allermodernster "Kunstrichtungen für überwunden und begraben erklärt worden ist. Doch was soll überhaupt der Begriff „proletarische" Kunst? Was versteht man eigentlich darunter? Meint man s o z i a l i s t i s c h e Kunst? Oder eine Kunst, die vornehmlich proletarisches Leben schildert und womöglich gar von proletarischen Dichtern ausgeübt wird? Nach gewissen Auslassungen Döschers könnte man das letztere annehmen. Beruft er sich doch zum Beweis für die Existenz der neuen proletarischen Kunst auf zwei aus der Arbeiterklasse selbst her90
vorgegangene Dichter, auf Gorki und Andersen Nexö. Daß der Russe wie der Däne Dichter von hohem Range sind und daß sie proletarisches Leben meisterhaft geschildert haben, wird kaum jemand bestreiten. Auch haben wir ja schon früher als etwas Selbstverständliches zugegeben, daß ein Poet, der als ehemaliger Proletarier zum Teil Selbsterlebtes wiedergibt, natürlich proletarisches Leben weit realistischer schildern könne als ein Dichter von gleicher Begabung, der aus anderen Gesellschaftskreisen stammt. Die Darstellung des Selbstgeschaut en gelingt — die poetischen Qualitäten immer vorausgesetzt — natürlich immer am besten. Und wenn der Proletarier-Dichter obendrein Sozialist ist, wird er auch die sozialen und politischen Kämpfe am anschaulichsten gestalten können, wie wir das an Gorkis Mutter und Andersen Nexös Pelle der Eroberer wahrnehmen. Aber, so müssen wir doch fragen, was ist denn an Gorki und Andersen Nexö nun die n e u e , die so total w e s e n s v e r s c h i e d e n e , die „ p r o l e t a r i s c h e " Kunst? Hält nicht selbst Zolas Germinal, obendrein doch schon eine ältere Dichtung, an realistischer Wahrheit, dichterischer Kraft und sozialem Sehertum ganz gut den Vergleich mit den Werken der beiden neueren Dichter aus? Gewiß, Andersen und Gorki sind die bewußteren Sozialisten, die hoffnungsfreudigeren Optimisten — die rein politische Nuance ist unverkennbar —, aber wo läge der Unterschied der Moral, der psychologischen Menschenbetrachtung, kurz der Weltanschauung! Und Zola war doch weder ein ehemaliger Proletarier noch — unseres Wissens — jemals eingeschriebenes Parteimitglied! Die proletarische Herkunft kann also nicht das Kriterium des „proletarischen" Dichters sein. Dann ist es also wohl der „proletarische" Geist. Aber auch der ist ja keineswegs etwas von vornherein Gegebenes und nur dem Proletarier Eigentümliches. Denn der proletarische Geist ließ seinerzeit die Berliner Proletarier einem Ferdinand Lassalle eine Katzenmusik darbringen, und in Frankfurt a. Main ging es dem großen Vorkämpfer des modernen proletarischen Klassenkampfes nicht anders. Und worin besteht selbst heute noch bei Millionen von deutschen Proletariern der proletarische Geist? In religiöser Gläubigkeit und der demutvollen sozialen Resignation, daß es nun einmal Arme und Reiche stets gegeben habe und deshalb auch immerdar geben müsse. Und das, was heute die Weltanschauung des sozialdemokratischen Proletariats ausmacht, ist zwar den sozialen Verhältnissen des Proletariats völlig adäquat (denn sonst hätte sich der Sozialismus ja 9*
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unter den proletarischen Massen nicht solche Geltung verschaffen können), aber keineswegs etwas, das aus sich selbst heraus, gewissermaßen durch einen Akt seelischer Urzeugung, im Proletariat entstanden wäre. Daß der unklare soziale Instinkt, das dunkle Sehnen nach Freiheit und Licht sich zur Klarheit der sozialistischen Geschichts- und Gesellschaftsauffassung und zu den ausgesprochenen Forderungen des sozialdemokratischen Programms zu läutern vermochte, ist der wissenschaftlichen Arbeit von Männern zu danken, die meist n i c h t der Klasse des Proletariats entstammten. Aber auch bei diesen Männern war der Sozialismus keineswegs so leicht und so fix und fertig entsprungen, wie Athene dem Haupte des Zeus, sondern auch sie waren die Schüler und Geisteserben anderer. Es ist ja bekannt genug, was die Lassalle, die Marx und Engels auf ökonomischem Gebiet den Ricardo und Smith, auf philosophischem und namentlich geschichtsphilosophischem einem Hegel verdankten, von ihrer sonstigen Anregung durch die großen Denker und Dichter des aufstrebenden Bürgertums ganz zu schweigen. Was wir heute „sozialistische" Weltanschauung nennen, ist also keineswegs ein bloßer Niederschlag proletarischer Lebensverhältnisse und proletarischen Empfindens, sondern in viel höherem Maße die reifste Frucht eines langwierigen geschichtlichen Entwicklungsprozesses, des generationslangen Studiums des geschichtlichen Werdens und der gesellschaftlichen Umwälzungen. Die sozialistische Weltanschauung — wie wir richtiger statt des unbestimmten Begriffs „proletarische" Weltanschauung sagen wollen — ist deshalb auch keineswegs an proletarische Herkunft oder proletarische Existenz gebunden. Das Individuum von bürgerlicher Abstammung, das sich aus den das Gros des Bürgertums beherrschenden bourgeoisen oder auch kleinbürgerlichen Vorurteilen hieraus zur sozialistischen Weltanschauung durchgerungen hat, kann die proletarische Weltanschauung viel reiner vertreten als mancher Proletarier, der im Trosse mitläuft. Womit sich durchaus verträgt, daß die Verwirklichung der sozialistischen Ideale einzig von der Einsicht und Tatkraft des Proletariats abhängt, weil das Proletariat die einzige Klasse ist, die nur von der Abschaffung des Privateigentums an Produktionsmitteln ihre bürgerliche und menschliche Emanzipation erhoffen kann. Ein gleiches Interesse liegt zwar für keine andere Klasse, wohl aber für ideal gerichtete Persönlichkeiten aller Klassen vor. Oder hat nicht der sich ethischen Spekulationen hingebende Philosoph 92
alle Ursache, eine Gesellschaftsordnung beseitigt zu sehen, deren oberstes Gesetz der brutale Egoismus ist? Hat nicht der ehrliche Pädagoge allen Anlaß, zu wünschen, daß die Bildung für alle gemein werde? Vermag der einsichtige Arzt zu verkennen, daß durchgreifende hygienische Maßnahmen erst in einer sozialistischen Gesellschaft möglich sind? Und steht nicht auch der echte Künstler in seinem ganzen Empfinden, seiner ganzen Weltanschauung dem Sozialismus viel näher als der kapitalistischen Weltanschauung ? Denn was ist denn, aus dem Politischen ins Ethische und Ästhetische übertragen, die Weltanschauung des Sozialismus? Der Gedanke, für alle Menschen einen Zustand von möglichster Glückseligkeit zu schaffen, ihnen Freiheit, Bildung und edlen Lebensgenuß zu erobern. Waren das nicht auch die Ideale mindestens des aufstrebenden Bürgertums? Und führt nicht von Lessing und Schiller, Rousseau und Diderot, Byron und Shelley ab eine Linie bis zu den Tolstoi und Zola, den Strindberg und Björnson, den Multatuli und Heijermans? Einerlei, ob diese Poeten an die Möglichkeit glaubten, dies Menschheitsideal zu verwirklichen: ihre Sympathien gehörten den Armen, den Unterdrückten, den sich Emporringenden. Deshalb ist es eine grenzenlose Übertreibung, zu behaupten, erst die „proletarische" Kunst, die Werke „ehemaliger Schuster und Bäcker" (Döscher) seien eine Geisteskost, die dem proletarischen Gaumen wirklich behagen könne. Wenn Sperber (Nr. 207 des Vorwärts, Jahrgang 1910) schreibt, die „tendenziösen Begriffe über Ehre, Mut, Vaterland, Tugend, Religion, Liebe, häuslichen Herd" seien in der heutigen nichtproletarischen Literatur unausrottbar, so ist das einfach nicht wahr! Wenn schon Lessing den Patriotismus eine heroische Torheit genannt hat, so hat Tolstoi diese Torheit noch viel schonungsloser entlarvt. Und was vollends die moderne Dichtung an ätzender Kritik „der Begriffe über Tugend, Religion, Liebe, häuslichen Herd" geleistet hat, das entzieht sich manchmal sogar der Wiedergabe in den Feuilletonspalten sozialdemokratischer Blätter. Dagegen ist es Sperber selbst gewesen, der sich in seiner Entrüstung über den vermeintlichen Zynismus des Kubinke-Verfassers, der das Sexualleben einiger Proletarierinnen realistisch unbekümmert geschildert hatte, auf das Urteil „eines sehr guten b ü r g e r l i c h e n Kritikers" berief, dem eben die bürgerliche Heuchelmoral noch zu tief in den Knochen saß! Wenn wir uns gegen eine allzu plumpe und schablonenhafte
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Rubrizierung der Kunst verwahren, wollen wir darum natürlich kein Wort gegen sozialistische Tendenzkunst gesagt haben. Im Gegenteil: je größer die Zahl klassenbewußter Sozialdemokraten unter den Dichtern ist, desto besser! Nur fürchten wir, daß wir einstweilen mit einer größeren Zahl solcher Dichter nicht zu rechnen haben dürften. Denn einmal absorbiert gerade in den Ländern mit einer starken Arbeiterbewegung der soziale und politische Kampf allzusehr die vorhandenen sozialistischen Intelligenzen, und zum anderen reizt auch die Form, die der moderne proletarische Klassenkampf gerade in den sozial vorgeschrittensten Staaten angenommen hat, nicht besonders zu poetischer Gestaltung. Gorkis Mutter hat denn auch eine revolutionäre Episode zum Gegenstand; und Andersen Nexös Schilderung gewerkschaftlicher und politischer Kämpfe steht wohl nicht nur nach meinem Empfinden weit hinter den wundervollen Lebensbildern zurück, die er, aus Jugendeindrücken heraus, vonbäuedicher und kleinbürgerlicher Enge entworfen hat. Wir wollen zwar keineswegs behaupten, daß nicht auch eine ebenso großzügige wie dichterisch wahre Gestaltung modernen proletarischen Ringens möglich sei, aber wir befürchten fast, daß eine solche Dichtung, die uns die Klassenkämpfer nicht nur als Träger der Idee, sondern auch in realistischer Ungeschminktheit als Menschen zeigte, am Ende nicht ohne mancherlei Anfechtung bleiben würde! Dessen bin ich sogar sicher, daß, wenn heute ein Heine lebte, er zum mindesten nicht bei einem Heinz Sperber jener weitherzigen Toleranz begegnen würde, die ihm ein Marx entgegenbrachte. Und daß selbst ein Marx gelegentlich nicht aus seiner Haut heraus konnte, beweist ja die Entfremdung, die schließlich zwischen ihm und einem Freiligrath eintrat. Sollen wir nun, dieweil der „erste Garbenschnitt" „proletarischer" Kunst einstweilen etwas spärlich ausgefallen, dem Proletariat wenigstens unterschiedslos die „bürgerliche" Kunst als widerliche Bourgeoistendenzkunst verekeln? Das wäre ein ebenso törichtes wie aussichtsloses Beginnen. Denn der lesehungrige Proletarier würde doch nach den Werken der geschmähten Autoren greifen. Deshalb bleibt schon das einzig Richtige das bisherige Verfahren: dem Proletariat nicht nur auf sozialem und politischem, sondern auch auf künstlerischem Gebiet so viel kritisches Urteil anzuerziehen, daß es im Notfall die dichterische Kraft von der unsympathischen Tendenz zu trennen vermag und sich seelisch nur das assimiliert, was seiner Weltanschauung entspricht. In vielen 94
Fällen wird dieser Sichtungsprozeß aber gar kein so peinlicher zu sein brauchen, da gar mancher Dichter in seiner Auffassung über Religion, Moral, Vaterland und dergleichen der Sozialdemokratie gar nicht so fern steht. Und wenn es unter den Lesern den einen oder den anderen geben sollte, der sich über eine solche „Toleranz" eines radikalen Sozialdemokraten wundert, so lese er gefälligst nach, mit welch psychologischer Feinheit und Objektivität Karl Marx über Heine nicht nur, sondern auch über Goethe geurteilt hat, über Goethe, dessen Knechtseligkeit und Lakaienhaftigkeit doch ein Borne nicht leidenschaftlich genug verurteilen konnte. Marx wußte eben auch, daß der Dichter seiner ganzen Wesensart nach etwas anderes ist als der Politiker, daß man von ihm eben nicht verlangen kann, daß er auf ein Parteiprogramm schwöre. Und er braucht auch gar nicht darauf zu schwören, denn der Dichter ist ja doch kein Führer im politischen Kampfe, sondern nur eine verbündete Macht, die uns mit Subsidien unterstützt; manchmal auch nur eine Macht, die uns mit mehr oder minder wohlwollender Neutralität gegenübersteht. Es wäre aber taktisch unklug, nicht Unterstützung von überall zu nehmen, wo sie sich uns nur darbietet. Beiläufig ist es überhaupt ein seltsames Mißverständnis, die radikale Sozialdemokratie der Intoleranz zu bezichtigen. Als ob nicht Kautsky dem Konservativen Rudolf Meyer die Spalten der Neuen Zeit geöffnet, als ob nicht Mehring häufig literarische Leistungen eines Hans Delbrück rückhaltslos anerkannt hätte. Und als ob auch nur einer von uns respektablen geistigen Leistungen deshalb seine Anerkennung versagen wollte, weil derjenige, der sie vollbrachte, nicht die Anschauungen der Partei teilt. Nur das gedankenlose, unkritische Einschmuggeln bürgerlicher Anschauungen in die Partei bekämpft der Radikalismus mit Fug und Recht auf das entschiedenste. Denn die sozialdemokratische Partei ist eine Kampforganisation, die auf durchsichtige Klarheit ihrer Ziele und Zwecke und auf die engste Geschlossenheit des taktischen Vorgehens ohne den schwersten Schaden nicht verzichten kann. Da nun aber die Kunst niemals Anspruch darauf erheben kann, Einfluß auf unser parteipolitisches Verhalten zu gewinnen, brauchen wir von ihr auch nicht kategorisch zu verlangen, daß sie sich unmittelbar in den Dienst unserer Propaganda stellt. Fällt bei einem wirklich sozialdemokratischen Dichter der Kunstwert mit der propagandistischen Werbekraft seines Werkes zusam95
men — um so besser! Aber selbst dann, wenn der Bildungswert einer Dichtung nur in einer relativ vorurteilslosen und psychologisch feinen Schilderung eines Stückes Menschenleben besteht, ist er darum für das Proletariat noch keineswegs gering anzuschlagen. Denn wenn das Proletariat daraus auch nur das lernen sollte, daß ein Kapitalist und politischer Gegner keineswegs ein Unmensch zu sein braucht, sondern jeweils ein persönlich durchaus ehrenwerter, sympathischer Charakter sein kann, der aber gleichwohl — wie unsere sozialistische Auffassung lehrt — als natürlicher Verteidiger seiner kapitalistischen Privilegien mit aller politischen Schärfe zu bekämpfen ist, so wäre auch das nicht weniger ein Gewinn als die umgekehrte Einsicht, daß das Proletariat, auch wenn es sich nicht durchweg aus Edelmenschen und feinstdifferenzierten Individuen zusammensetzt, dennoch als Träger des Sozialismus der einzige Bürge fortschreitender Kulturen t wicklung ist. Und schließlich glauben wir, daß nicht durch grotesk übertriebenes Schelten auf die gänzlich und ausnahmslos verrottete bürgerliche Afterkunst, sondern viel eher durch die allmähliche Erziehung der proletarischen Massen zu künstlerischem Verständnis die innigere Durchdringung der Kunst mit sozialistischen Tendenzen gefördert wird.
Lu Märten Zur ästhetisch-literarischen Enquete Zunächst wird sich vermutlich keiner der hier Entgegnenden mit Heinz Sperber darüber auseinanderzusetzen haben, wo die lebenskräftigen, gewaltigen, weiterweisenden Erscheinungen — oder wie man sie nennen mag — für die allgemeine Kunstaufgabe liegen. (Wobei schon zu bedenken wäre, welche starken äußeren Hemmungen diesen Begriff einer allgemeinen Kunstaufgabe heute noch fast illusorisch machen.) Unter und mit dieser Einschränkung aber liegt sie für jeden Künstler als Schöpfer im Werdenden, Ungelösten, Problematischen der Erscheinung und ihrer Bewegung. Das gilt für den einzelnen Gegenstand, etwa für einen Baum wie für eine große geschichtliche Aktion, etwa einen Massenstreik. Es fragt sich nur, wer kompetent ist, hier eine Begrenzung 96
der Möglichkeiten solcher Erkenntnis auch nur anzudeuten. Jede Kunst und jeder wirkliche Künstler (die Massentalente, die das Kapitalzeitalter züchtet und braucht, wollen wir hier nicht berücksichtigen) ist ohne ein Stück Genialität nicht denkbar. Genialität aber ist Möglichkeit, Unendlichkeit der Beschränktheit. Schließt also jede Grenze aus. Darum jedes Programm, das ihr voranstehen soll. Darum hat die ihr innewohnende Kunsterkenntnis nichts mit der Gesinnungstüchtigkeit des einzelnen, auch nichts mit der Masse oder mit dem ästhetischen Programm einer Klasse, sollte es dergleichen geben, zu tun, sondern ist ganz allein Sache des sozietären Kunstschaffens, gehört in die Werkstätte der schöpferischen Geister und erst über das, was daraus offenbar wird, kann gestritten werden. Wer mit der Anschauung ist, daß auch das Genie nichts anderes ist als das Postulat einer Klasse oder Rasse, eine menschliche Manifestation, in der die äußersten und außerordentlichsten Fähigkeiten der Rasse und Kultur eines Volkes als Wahrzeichen seiner geistigen Existenz kulminieren und zeugen, wird diesen Satz nicht individualistisch mißverstehen. Der erste Künstler unter Wilden war notwendig der stärkste geniale Instinkt ihrer bisherigen gesamten Erfahrung. In unserem Streitfall aber wird eine Gesinnung schlechthin zu einem künstlerischen Programm gemacht. Nebenbei : mit unkünstlerischen Mitteln, ganz im Stile des bürgerlichen Journalismus. Und es passiert damit das Resultat, daß eine Äußerlichkeit des künstlerischen Interesses, der Stoff, die Situation des Geschehens, für bare Gesinnung und für das Kunstwerk selbst gewertet wird. Genosse Sperber tut — vielleicht unabsichtlich — dasselbe, was die heutigen Stilrichtungen aller Art tun. Sie machen die Richtung, ehe der Weg garantiert ist. Sie geben Programme statt eines Stils. Eine Empfindung für eine Idee, statt einer tatgewordenen Idee, das heißt: Kunst selbst. Denn die Tat allein ist eben Kunst. E s tut nichts daran, daß auf sozialistischer Seite der Weg garantiert ist durch ein geschichtliches Geschehen, durch ein allen notwendiges Erlebnis. Die Gefahr der Schabionisierung, der Diskreditierung der naiven Empfindung vor jeglicher Kunsttat bleibt die gleiche. Solcherlei Doktrinen können menschlich, politisch, ihrer Gesinnung nach tüchtig und stark sein, auf die Kunst angewandt bedeuten sie Hemmungen und sind ihrer Natur nach entwicklungswidrig. Die Bewegung einer Zeit trägt sichtbarlich in sich noch nicht ihren Stil, auch noch selten ihre adäquaten Gestaltungsmittel. 97
Stil ist ein Produkt der Ruhe, der Distanz, in der Geschichte wie in der Kunst — denn Kunst ist nichts anderes denn auch Geschichte ; so steht alle sonderlich herrschende Bewegung zeitlich im Gegensatz zu den Elementen, die ihr Ziel und Ruhepunkt, Erfüllungen zu einer bestimmten allgemeinen Geste — Stil geheißen — verdichten. Damit ist das Problem nicht beiseite geschoben, vielmehr: es wird wichtig. Es zeigt sich in seiner ganzen Größe, und es kann nun und nimmer in gelegentlichen Plauderfeuilletons deutlich werden. Jedem starken Künstler, und wieviel mehr jedem sozialistischen Künstler, werden die materiellen und seelischen Situationen der großen Arbeiterklasse dieser Zeit das denkwürdigste, auch künstlerisch würdigste Erlebnis bleiben. Es werden ihm, so selbstverständlich wie dem Genossen Sperber, die großen Gesten dieses Kampfes und ihrer Träger mehr bedeuten als die Seelenkrämpfe der einzelnen Literaten, wie sie heute noch den Markt und Geschmack beherrschen. Aber vor diesem Erlebnis besinnt sich das Gestaltungsvermögen des ernsten Künstlers, spannt sich die Energie seiner Mittel zu ihrem Ziele, zu dem, was in gleicher Wucht gestaltet werden soll. Und diese Spannung ist ebenso keine Tagesangelegenheit wie die ökonomische Geschichte, es ist eine Zeitangelegenheit der Kunst und nicht zu trennen von allem übrigen Reifen der Dinge. Der Künstler zweifelt: und mit Recht. Denn die gesamte Bewußtseinsgenialität für solche Dinge muß seiner eigenen zu Hilfe kommen. Die seelischen, überschauten Konflikte der bürgerlichen Zivilisation bis hierhin hat die Kunst, besonders in Lyrik und Drama, mit Meisterschaft gestaltet. Vor der Arbeiterseele, die reden soll, ist der größte Künstler ein Dilettant. Diese Seele muß sich ihrer selbst bewußt werden, eher wird sie keine vollkommene Gestaltung gewinnen. Der Künstler, der das weiß, schweigt, ohne den Blick abzuwenden, während der Dilettant schon redet. Jenen zwingt die Ehrfurcht vor der Erscheinung eher zu einer Überschätzung der Distanz; der naive oder beschränkte Künstler aber sieht nur die neue Erscheinung, die er mit seinen Mitteln schlechthin zu meistern sucht. Die Art Kunst aber, die in Bild und Wort da entsteht, hat mit der, nach der wir alle ein mehr oder minder deutliches Hoffen und Erkennen haben, nichts zu tun. Weiter ergeben sich hier Fragen, an die Heinz Sperber und seine Gesinnungsgenossen noch nicht einmal gerührt haben: Fragen und Probleme revolutionärer Natur, die ich auch hier, da mir kein Feuilletonraum zur Verfügung steht, nur hinstellen will. Pro98
bleme über die Gattung des neuen Stils, wie weit er die einzelnen Kunstformen i n s e i n e r N o t w e n d i g k e i t zu s e i n e m I n h a l t und zu seinem wahrhaftigsten Ausdruck für diesen, überhaupt brauchen kann? Hin und wieder wird eine Stimme laut, die wie Warten klingt und sich immer enttäuscht sieht, die nach dem Drama der Massen fragt. Man denkt dabei an Bühne und Theater. Man untersucht nicht, welche Kulissen das Drama braucht, das auf Höfen, [in] Gefängnissen, Mietskasernen, Heilstätten, Fabriken usw. spielt. Alle Versuche dahin sind Ausschnitte. Überblicke über das Vorhandene, erschwert durch Zensur und politische Unfreiheit. Trotzdem — wir haben ja die freien Bühnen, die allen Versuchen so konsequent offen stehen könnten, wie das Vorwärts-Feuilleton den einschlägigen Streitdebatten und Arbeiten. Wer sagt oder kann es heute schon unternehmen, zu beweisen, daß das Drama der großen Masse notwendig die Form des Bühnendramas zu seiner künstlerischen Manifestation braucht? Ob nicht das Drama der Massen wahrscheinlicher Epos sein wird. Sein Problem nicht ewig kämpfend, sondern geschichtlich fresko geworden. Wer kann beweisen, daß die große erwachende seelische Geste des Proletariats notwendig in beschränkten Literaturformen, in Lyrik usw. zum bleibenden Ausdruck kommen muß; ob sie nicht ebenso wahrscheinlich Musik sein kann. Ob nicht alle Versuche der bildenden Künste in dieser Richtung nur einen illustrativen geschichtlichen Charakter behalten werden, vor einem neuen allgemeinen Stil, einer Architektur neuer Lebensgestaltung mit ihren neuen Gesetzen? Wer die Konsequenz einer sozialistischen Ästhetik empfindet, sollte ihre spezifischen, zeitlichen und technischen Probleme mitempfinden, ihnen mindestens Raum geben in der Kundgebung der Arbeiten derer, die sich seit langem darum mühen. Zu solchen Konsequenzen gehörte meines Erachtens allerdings auch die systematische Einführung der Arbeiter in die Gesetze der Künste überhaupt, geschichtliche u n d ästhetische Führung, nicht nur eine bürgerlich-journalistische Berichterstattung über einzelne Kunstdinge. Es kann den Arbeitern gegenüber nur Verwirrung anrichten, wenn man statt dessen und über dem Chaos alles Gewordenen in der Kunst, alles Wichtigen und Starken darin, plötzlich eine Tafel aufrichtet, die mit bloßen Worten ein Ziel anpreist, zu dem keiner Wege sagen kann, es sei denn: ein Künstler durch die Tat. Wir haben es — das muß immer wieder festgehalten werden — mit Kunst, mit Können, mit Gestalten zu tun, nich
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mit Gesinnungen und Weltanschauung; wir könnten uns sonst mit einer Grenzform der Kunst, mit Rhetorik begnügen und hätten diesen Streit nicht nötig. Die Aufgabe der neuen Künstler wird ihnen selbst durch die Entwicklung der Dinge zugewiesen; die Aufgaben der Kunstvermittler, vor allem der sozialistischen, liegen in der Sorge für das Verständnis zur Kunst überhaupt. Dadurch allein kann der neue kollektive Stil im Bewußtsein derer, die ihn unbewußt bilden, heimatberechtigt werden. Nicht durch das Hervorheben einer den Massen entsprechenden Kunstdoktrin, deren Echtheit erkenntlich ist am Stoffe und an der Gesinnung. Auch drei Kronzeugen wie Heijermans, Andersen und Gorki nützen da nichts, zeigen vielmehr die negative Seite der Sache, das unbebaute Feld. Andersen ist vielleicht der, der das Problematische sowohl wie das Übereinstimmende dieser Debatten erweisen kann. Er zeigt die gegenwärtige Möglichkeit einer robusten und doch innigstarken proletarischen Kunst in überzeugender Weise, desgleichen ihre Grenzen im Psychologischen. Aber wo ist der rassenreine Urgrund der beiden anderen. Sie entstammen literarisch einer lokal bedingten Sphäre, und ihr Stil ist Naturalismus; nicht aber doch der einer neuaufhebenden, überwindenden Klasse, von der H. Sperber und wir anderen so oder so eine Vorstellung haben. Beide Dichter in Ehren; aber den Koloß der Erscheinung des gegenwärtig stärksten Massenlebens zu meistern, die gewaltige Geste neuen, ursprünglichen und erschütternden Lebens in Leid und vielleicht mehr noch im Siege zu meistern, auch künstlerisch gewaltig ins Bewußtsein zu bringen, dazu stehen sie zeitlich zu nahe der Grenze des Kleinbürgertums. Dazu braucht es ruhige, bewußte, sieghafte Entwicklungszeiten. Es sind vielleicht mehr Geister an der Arbeit als solche Maßstäbe erproben können und als Genosse Sperber voraussetzt; denn die Möglichkeit der gegenwärtigen Resultate hängt eben nicht von Gesinnungen ab, sondern hat tiefere Ursachen. Pflicht aber der bewußten Zuschauer der Arbeit dieser Zeit wäre es, Gerechtsame und Interesse zu üben gegen alle, die vorsichtig und unermüdlich der großen Zeiterscheinung nahezukommen suchen, nicht nur gegen Gesinnungsgenossen. Hier bleibt mehr zu tun als ein Programm zu verkünden, dessen Probleme und Möglichkeiten man sich nicht die Mühe nahm durchzuarbeiten. Wer dem Proletariat als Künstler etwas zu sagen hat, sollte gehört werden, gleichviel ob als Zweifler oder Gläubiger, was er trotz Zweifel und Glauben zu sagen hat und wie, seine Kunst entscheide. In der 100
Wirkung eines solchen Dialogs zwischen Proletariat, Volk und Künstler kann allein eine neue allgemeine Kunstempfindung mit ihrer Konsequenz in Stil und Ausdruck entstehen.
W[ illy]
Zimmer
Die „proletarische" Kunst? Im Vorwärts vom 25. April machte Genosse Döscher im Anschluß an eine polemische Bemerkung Mehrings den dankenswerten Versuch, festzustellen, wie in Wirklichkeit die bekannten Ausführungen Heinz Sperbers aufzufassen seien. Dieser habe nicht gesagt, das, was nicht aus unserem Denken und Fühlen heraus geboren sei, sei überhaupt keine Kunst, sondern nur, es sei nicht u n s e r e K u n s t . Wäre das nun tatsächlich alles, was Sperber in seinen unterschiedlichen Veröffentlichungen im Vorwärts ausgeführt hat, und hätte er daran nur den Wunsch geknüpft, daß auch in der Kunst die proletarisch-sozialistische Gefühlswelt mehr und mehr zum Ausdruck gelangen möchte, so hätte er damit zwar nichts Neues und Besonderes gesagt, aber auch nichts, was zum Widerspruch herausgefordert hätte. Höchstens, daß man daran hätte zweifeln können, ob die manieriert gespreizte Schreibweise Sperbers, die zwar durch ihre „frisch zupackende A r t " von dem üblichen „Oberlehrergerede" abstechen mag, sich aber keineswegs durch besondere Klarheit auszeichnet, für die Erörterung eines solchen Themas gerade die passende sei. Aus jenem harmlosen Satze zog nun aber Sperber ganz bestimmte Folgerungen, und diese sind es, um derentwillen seine sonst sehr gleichgültigen Ausführungen Gegenstand einer öffentlichen Diskussion geworden sind. Sie gipfeln darin, daß sich das Proletariat gegenüber einer Kunst, die nicht die seine sei, deren Tendenzen mit seiner Weltanschauung nicht im Einklang ständen, nur ablehnend verhalten könne. Döscher unterstreicht das auch ausdrücklich, indem er sagt, das Proletariat nehme „das Alte nur, wo es noch mit seinem Fühlen und Wollen vereinbar" sei, und als Anhänger der materialistischen Geschichtsauffassung begründet er seine Ansicht — sozusagen ökonomisch — dadurch, daß er den 101
Mangel an „historisch alexandrinischem Kunstempfinden", aus dem das Proletariat zu seinem ablehnenden Verhalten kommen soll, auf seine Lage als „aufstrebende Klasse" zurückführt. Döscher und Sperber haben sich in sehr starken Tönen dagegen verwahrt, daß Sperbers Ausführungen auf eine „Ästhetik der schwieligen Faust" hinausliefen. Schade nur, daß sie in ihrer Entrüstung übersehen haben, daß sich die praktischen Konsequenzen jener Ausführungen auch durch Döschers Interpretation nicht im geringsten ändern. Immer bliebe die Kunst der Vergangenheit — und nur um diese handelt es sich — aus dem Interessenkreis des Proletariats ausgeschlossen, sei es nun, daß es durch künstlerische oder durch tendenziöse Beweggründe zu ihrer Verwerfung gelangt. Um der ganzen Theorie auch in der Fassung Döschers den Boden zu entziehen, würde es nun schon vollauf genügen, darauf hinzuweisen, daß das Proletariat sich sehr hütet, Sperbers Ansinnen zu befolgen, vielmehr an jeder Kunst den lebhaftesten Anteil nimmt. Da aber jeder, der sich darüber freut, von den beiden sonderbaren Tendenzaposteln ohne weiteres als ein Gegner proletarischer Tendenzen in der Kunst und rückständiges Individuum verschrien und der öffentlichen Verachtung anempfohlen wird, lohnt es sich doch, näher auf die Sache einzugehen. Als Demonstratiönsobjekte für Sperbers Theorie dienen ihm Sophokles, Shakespeare und Goethe — man sieht, seine „frisch zupackende Art" kann sich sehen lassen. Typisch für seine Anschauungen ist es dabei, wenn er mit Bezug auf die Gretchentragödie im Faust die Frage stellt: „Wer von uns 'Erwachten' sieht eine schwangere Frau als schuldig an? Muß uns darum nicht diese Tendenz der Reue, Scham, gerächten Ehre, Erlösung durch kirchliche Gläubigkeit und was der populärste Teil des Faust sonst noch an reiner Tendenz bietet, abstoßen?" Ebenso, wenn er den Ödipus des Sophokles mit den Worten abtut: „Würde einer von uns ein Wort des Vorwurfes für Ödipus finden können? Würden wir Ödipus heute nicht unweigerlich in unserer Mitte dulden, ihn nicht als ehrlichen Mann respektieren und ihn mit der Verantwortung für das Spiel des Zufalls (Schicksal) verschonen?" Ödipus und Margarete verstießen gegen Sittengesetze und Anschauungen ihrer Zeit, die — wie jede Ideologie — Produkte der gesellschaftlichen Beziehungen darstellen, in welche die Menschen auf Grund ihrer wirtschaftlichen Existenzbedingungen zueinander treten, und die einen notwendigen Selbstschutz jeder Gesamtheit 102
gegen die unvermeidlichen Schädigungen durch ihre einzelnen Mitglieder bilden. Sich von ihnen abgestoßen fühlen bedeutet nichts anderes als einen Rückfall in die ideologische Wertung von Kulturelementen, den mitzumachen das Proletariat die allerwenigste Ursache hat. Man wird den Opfern solcher Zeitanschauungen sein Mitgefühl nicht versagen — immer aber ist es ersprießlicher, die Anschauungen auf ihre Ursachen zurückzuführen, als sich auf dem Sockel einer für uns heute sehr billigen moralischen Überlegenheit über alle Schwierigkeiten hinwegzusetzen. Aber weiter. Ist schon Sperbers unhistorisch-subjektive Betrachtungsweise der Anschauungen früherer Jahrhunderte einigermaßen sonderbar, so ist es noch viel sonderbarer, daß er sich durch sie auch zu einer Ablehnung fast der gesamten bisherigen Kunst verleiten läßt. Er gelangt dazu auch nur, weil ihm in seinem bilderstürmerischen Eifer über den Begriff de'r Tendenz in der Kunst ein kleines Mißverständnis unterlaufen ist. Wenn ihm die Lektüre des Sophokles, Shakespeare und Goethe teils eine „nur mühsam unterdrückte Heiterkeit", teils einen so heftigen Abscheu vor all den barbarischen Sitten einflößt, so sollte man meinen, sei das ein Beweis ihrer eminent moralischen Wirkung und der Eindringlichkeit, womit sie gerade denjenigen, die unter den gewiß nicht weniger drückenden Zuständen unserer modernen Barbarei leben müssen, nahe legt, auch mit dieser bald und gründlich aufzuräumen. Unserem Tendenzfanatiker kommt das indes gar nicht zum Bewußtsein. Ihm fehlt gewissermaßen die moralische Person, aus deren Mund der Verfasser seinen andächtigen Zuhörern die Stimme der Vernunft und Gerechtigkeit ertönen läßt und ohne welche die Dramen für ihn eine „Verherrlichung" der in ihnen dargestellten Begebenheiten und Anschauungen bedeuten. Hätte beispielsweise Goethe, anstatt sich zur Ehrenrettung Gretchens nur jener Stimme aus dem Hintergrund: „Sie ist gerettet!" zu bedienen, zu ihrer Verteidigung etwa eine Vertreterin des Bundes für Mutterschutz auftreten lassen, so wäre ihm die Anerkennung Sperbers vielleicht geworden. Nun soll damit nicht gesagt sein, daß ein derartiges stärkeres Hervortretenlassen einer beabsichtigten moralischen oder politischen Tendenz in jedem Falle zu verwerfen sei. Ganz im Gegenteil. Es wird eben immer Sache des künstlerischen Könnens sein, darauf zu achten, daß die Grenzen der historischen und psychologischen Wahrscheinlichkeit dabei nicht überschritten werden. Daß auch tüchtige Kräfte die Klippe nicht 103
immer glücklich umschiffen, zeigt z. B. das Heijermanssche Drama Die Hoffnung auf Segen. Weit überzeugender und darum auch künstlerischer als im ersten Teil die endlose antimilitaristische Agitationsrede, die Heijermans den aus dem Gefängnis entlassenen Geert vor seinen Angehörigen halten läßt, wirken die Szenen, in denen — wie in der letzten — uns lediglich durch die trockene Vorführung des Schiffseigentümers und der über ihre Angehörigen Nachricht heischenden Schifferfrauen die Schönheiten kapitalistischer Praktiken vor Augen geführt werden. Wird Heinz Sperber aus dieser rein objektiv-künstlerischen Darstellung der Wirklichkeit auch den Schluß ziehen, das Heijermanssche Drama trage die Tendenz einer „Verherrlichung" jener Praktiken in sich? Was aber Heijermans recht ist, wird Sperber billigerweise auch Sophokles, Shakespeare und Goethe zugestehen müssen, die auch nur in künstlerischer Weise dargelegt haben, welche Formen die Schicksale der Menschen je nach der Besonderheit der wirtschaftlichen Produktionsbedingungen mit ihren sozialen Folgeerscheinungen anzunehmen vermögen. Sperbers Unterschiebung der Tendenz einer „Verherrlichung" ist beispielsweise beim Faust auch deshalb schon absurd, weil Goethe, der uneheliche Vater seiner Kinder, über den Moralkodex, der dem Valentin den Säbel in die Faust zwang, wohl nicht weniger hinausgewesen ist als sein erhabener Kritiker und Überwinder. Heinz Sperber verlangt von der Arbeiterklasse nichts weniger, als freiwillig auf die Anteilnahme an Werken zu verzichten, die für sie nicht nur Quellen künstlerischen Genusses sind, sondern aus denen auch unser kulturhistorisches Wissen über jene Zeiten zum guten Teil geschöpft ist; ohne die auch der Genosse Sperber selbst schwerlich jemals in die Lage gekommen wäre uns auseinanderzusetzen, wie töricht und sinnlos es von den Zeitgenossen des Odipus gewesen ist, diesen mit der Verantwortung für das Spiel eines bloßen Zufalls zu beladen. Die ganze Tollheit der Deduktion geht einem aber erst auf, wenn man aus ihr die Konsequenzen für die Zukunft zieht. Vermutlich wird für die sozialistische Gesellschaft die Profitmoral des Kapitalismus mit ihrem Drum und Dran auch nur noch historisches Interesse haben. Was ergibt sich nun für den Fall, daß sie sich, angeregt etwa durch das Studium des ForwaVfe-Feuilletons, von ihr auch nur „abgestoßen" fühlt? Nichts anderes, als daß sich der Spieß, den der Sperber von heute gegen Sophokles und Goethe richtet, dann auch gegen die Tolstoi und Zola kehren 104
würde, daß dann auch die Kronzeugen des Genossen Döscher, Gorki, Heijermans und Martin Andersen Nexö, daran aufgespießt werden müssen. Indessen wollen wir hoffen, daß sich, entsprechend dem allgemeinen Fortschritt, bis dahin auch die Erkenntnis durchgesetzt hat, daß es nichts nützt, „erwacht" zu sein, wenn man seinen Verstand dabei verschlafen hat. Was jedoch das Verhältnis des Proletariats zur Kunst in entscheidender Weise bestimmt, liegt nicht auf tendenziösem, sondern auf künstlerischem Gebiet. Daß Kunstwerke vermöge des ihnen innewohnenden künstlerischen Wertes sehr wohl auch dann noch Geltung behalten können, wenn die Ideen und Probleme, die zu ihrer Entstehung führten, längst ihren lebendigen Sinn verloren haben, gesteht Döscher zu; die Tatsachen reden hier auch eine zu deutliche Sprache, als daß daran Zweifel auftauchen könnten. Nur eben, meint Döscher — das Proletariat hat kein historischalexandrinisches Kunstempfinden —, daß nur ästhetische Gourm'ands noch Geschmack an einer derartigen Kunst finden können, das Proletariat dagegen unfähig ist, an ihrem Genuß teilzunehmen. Hätte Döscher seine beabsichtigte Umfrage, deren Ergebnis er merkwürdigerweise schon von vornherein kannte, wirklich durchgeführt und sich vor allem auch darüber Auskunft eingeholt, woher denn die Dichter des Proletariats, diese „ehemaligen Schuster und Bäcker", sich die Fähigkeiten erworben haben, die Ideen und Probleme aus dem proletarischen Klassenkampf dem Proletariat als Kunst wieder zurückzugeben und zu vermitteln, so wäre ihm vielleicht auch eine Ahnung aufgestiegen, warum das Proletariat auf sein Recht auf die Kunst der Vergangenheit nicht verzichten darf. Auch Sperber und Döscher werden von ihm nicht verlangen, alles, was ihm von Berufenen und Unberufenen als Kunst vorgesetzt wird, ohne Kritik hinzunehmen. Wo aber könnte es sich die Voraussetzungen dazu verschaffen, wenn nicht an den für immer vorbildlichen Werken, die sich uns als Glieder einer langen, oft verschlungenen Kette künstlerischer Entwicklung darbieten? Wie eine eigene künstlerische T ä t i g k e i t nicht denkbar ist ohne ein gewisses Maß künstlerischer Schulung, sei sie nun autodidaktisch erworben oder durch Anleitung, so ist auch zur Kunstb e t r a c h t u n g eine solche nicht ganz zu entbehren. Und in der Tat: Anstatt den Arbeitern, denen es allein schon durch unsere traurigen Schulverhältnisse schwer gemacht wird, künstlerische 10
Bürgel, Tendenzkunst
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Produkte unbefangen und selbständig zu beurteilen, einzureden, sie müßten die Welten von Schönheit in vergangenen Kulturperioden ablehnen — wäre es eine verdienstvolle Aufgabe, durch Vermittlung der vergangenen Kunst das Proletariat in den Stand zu setzen, die Kunst der Gegenwart mit Einschluß seiner „eigenen" richtig einzuschätzen. Genosse Döscher hätte es darum nicht notwendig gehabt, auf jene klassenpsychologischen Erörterungen hinzuweisen, die in sehr überflüssiger Weise selbstverständliche Dinge beweisen wollen. Gewiß wird sich ein unentwickeltes Empfinden gleichgültig verhalten, wo es auf Erscheinungen stößt, die ihm zunächst noch fremd und nichtssagend sind. Das trifft aber nicht nur auf künstlerischem, sondern auch, und gerade für das Proletariat, auf politischem und wirtschaftlichem Gebiet zu, auf dem es sich doch um seine ureigensten Interessen handelt. Wer aber ist unsinnig genug, aus dieser der traurigen Klassenlage des Proletariats entspringenden Not eine Tugend machen zu wollen? Mögen darum Döscher und Sperber auch weiterhin stolz darauf sein, zu den „Erwachten" in ihrem Sinne zu gehören; begründete Hoffnung ist vorhanden, daß die Arbeiterklasse, die in der Politik über den Klasseninstinkt hinaus zum Klassenbewußtsein strebt, sich auch da, wo es sich um ihr Verhältnis zur Kunst handelt, nicht durch ein primitives Klassenempfinden den einzigen Weg versperren läßt, der zu der erstrebten neuen Kunst führen kann. Nicht um ihm als Ersatz für diese zu dienen, nicht um das Streben nach ihr überflüssig zu machen, sondern umgekehrt, um zu ihr zu gelangen, dazu muß das Proletariat die Kunst der Vergangenheit kennen. Freilich stoßen wir hier auf die Schwierigkeiten, die sich in der gegenwärtigen Gesellschaft vor dem Proletariat auftürmen. Und darum: Anstatt immer von neuem den Ruf nach der proletarischen Klassenkunst ertönen zu lassen, der sich auf die Dauer doch etwas langweilig anhört, sollte man lieber mehr betonen, daß und warum eine solche gar nicht Wirklichkeit werden wird: daß eine Kunst der Arbeit, eine wirkliche Kultur, die mehr ist als ein proletarischer Tendenzroman oder ein proletarisches Tendenzdrama — seien sie auch ungleich gewaltiger als alle, die wir heute besitzen —, erst möglich ist, wenn das Proletariat seine Mission als Überwinder des Kapitalismus erfüllt, damit aber auch seiner eigenen Existenz als Klasse den Boden entzogen hat. Wenn gleichzeitig dabei auch jener andere Unsinn eingestellt würde, der im 106
Vorwärts und auch sonst, besonders gelegentlich der Ausstellung von Arbeitermöbeln, leider des öfteren propagiert wurde und der darin besteht, daß man jedes Kleiderspind und jeden Küchenstuhl im Arbeiterheim von halbwegs erträglichen Formen als Verkörperung der proletarischen Weltanschauung hinstellt, so würde auch das als Zeichen einer erfreulichen Klärung in künstlerischen Dingen nur zu begrüßen sein. Alles in allem: der Genosse Sperber, der, ein moderner Herakles, mit den an einem mißverstandenen Klasseninstinkt geschärften Pfeilen seiner Kritik das Dreigestirn Sophokles, Shakespeare, Goethe v o m Dichterhimmel herunterschießen möchte — ob aus einem ähnlichen Grunde wie der wirkliche Herakles die Sonne, mag er bei sich selbst entscheiden —, wird sich schon damit zufrieden geben müssen, daß die Arbeiterklasse als Eroberin der Zukunft die Schätze nicht verkommen läßt, die ihr von vorkapitalistischen Kulturperioden alsein Erbe aus der Vergangenheit hinterlassen sind. Die Erkenntnis, daß auch in künstlerischen Dingen das Gesetz der Entwicklung herrscht und daß die Kunst keines Kulturabschnitts, auch nicht die Kunst der sozialistischen Gesellschaft, ohne die Kunst der vorhergegangenen Gesellschaftsorganisation auskommen kann, sondern sich auf sie stützen muß, wird die Arbeiterschaft davor bewahren, die Wege zu gehen, auf denen ihr Sperber und Döscher in glänzender Vereinsamung voranwandeln. Im Anschluß hieran noch eine persönliche Bemerkung. Durch Sperbers und Döschers beide Repliken auf Mehrings Bemerkung im zwölften Ergänzungsheft der Neuen Zeit wurde ich ebenso wie Genosse Ströbel zu einer Einsendung an den Vorwärts veranlaßt. Sie wurde mir v o m Genossen Döscher — wie ich gern anerkenne, sehr prompt — retourniert, und zwar mit der gleichen Begründung, die durch den Genossen Ströbel der Öffentlichkeit unterbreitet worden ist: die vor anderthalb Jahren geschlossene Debatte sollte nicht — „schon", wie es in Döschers Briefen an mich hieß — wieder aufgenommen werden. Diese Begründung wird durch vier Umstände ins rechte Licht gesetzt: Einmal, worauf Ströbel schon verwiesen hat, daß Döscher durch seine und Sperbers Veröffentlichungen die Diskussion selbst schon wieder eröffnet hat. Daß er sie gerade in dem Moment wieder zu unterbinden trachtete, in dem sich anders gerichtete Anschauungen meldeten. D a ß er noch nicht acht Tage nach der Ablehnung dem Genossen Sperber die Spalten zu einer — geradezu rüpelhaften — Einsen10»
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dung zur Verfügung stellte, in der gleichfalls wieder auf die Sache eingegangen wurde. Und als letztes und schönstes endlich, daß er im Vorwärts vom 25. April gegenüber Mehrings Mutmaßung, „der U n f u g " im Vorwärts sei anscheinend zu Ende, folgendes geschrieben h a t : „ D e r Unfug ist daher auch gar nicht zu Ende. . . . Sollen wir nun noch ernsthaft versichern, daß uns das Schweigen der Neuen Zeit absolut nicht eingeschüchtert hat, . . . daß Genosse Sperber erst jüngst wieder in den alten Unfug zurückverfallen ist, und daß es täglich wieder passieren kann." Inzwischen hat H. Sperber die Entdeckung gemacht, daß es außer der Dichtkunst auch noch andere Kunstübungen gibt, und so dehnt er seinen neuesten kunsttheoretischen Streifzug auch auf das Gebiet der Baukunst aus. Das Ergebnis, das er im Vorwärts vom 15. Juni veröffentlicht, besteht darin, daß die fortgeschrittensten Industrieländer in der Gestaltung von industriellen Anlagen eine höhere Stufe erreicht haben als die kleineren Staaten, während diese wiederum in der sozialistischen Literatur den Gipfel erreicht haben sollen. „ I n den großen Ländern mangelt es an Dichtern von Ruf, die sich dem Proletariat an die Seite stell e n — i n denkleinen gibt es bereits eine wachsende Anzahl proletarisch dichterisch Empfindender." Mit den früheren Hypothesen Sperbers hat auch diese neueste gemein, daß sie umgestoßen wird, sobald man an der Wirklichkeit nachprüft. Ich weiß nicht, ob sich Sperber die Mühe nimmt, die Erscheinungen der Architektur in den verschiedenen Ländern fortlaufend zu verfolgen; tut er es, dann ist es unbegreiflich, wie er zwischen den großen und den kleinen Staaten wegen der Gestaltung ihrer Industriebauten einen Unterschied machen kann. Daß er sich auch nur wieder einmal von einem seiner Geistesblitze hat blenden lassen, die die ihm passenden Seiten einer Sache als bedeutungsvoll und charakteristisch erscheinen, die übrigen dagegen in einem dämmerigen Dunkel verschwinden lassen, kann man daraus schließen, daß er die baukünstlerisch über dem Durchschnitt stehenden gewerblichen Anlagen auch für Deutschland selbst als Ausnahmen bezeichnet. Solche Ausnahmen fehlen jedoch auch in den kleineren Staaten nicht. Wenn es aber der K a pitalismus nirgends „über geringfügige Konzessionen" hinausbringt, wenn in den „großen" Ländern schönere Fabriken nur zu den Ausnahmen gehören, Während sie andererseits in den „klei108
nen" doch auch schon zu finden sind, so fällt schon damit Sperbers ganze schöne Theorie in sich zusammen. Aber nicht nur in der Baukunst, auch in der sozialistischen Literatur ist absolut kein besonderer Unterschied zwischen großen und kleinen Staaten zu entdecken. Ganz abgesehen davon, daß dem Genossen Sperber industriell fortgeschrittene und große und industriell weniger entwickelte und kleine Staaten immerfort durcheinander geraten, so gibt es einfach keine Länder, weder große noch kleine, die ein Monopol auf sozialistische Dichter „von Ruf" hätten. Für ihn existieren nur die Heijermans in Holland, Nexö in Dänemark, Strindberg in Schweden. Deutschland mit Namen wie Klara Müller und Krille, Rosenow und anderen, Rußland mit Gorki und Tolstoi, Belgien - gleichfalls ein industriell nicht zurückgebliebenes Land — mit Verhaeren läßt er ebenso außerhalb seiner Betrachtung wie etwa die kleine Schweiz, Luxemburg oder Portugal, wo doch auch gerade kein Überfluß an proletarisch dichterisch empfindenden Dichtern herrscht. Ganz natürlich, hätten sie ihm doch sein ganzes System durchlöchert. Was soll man nach diesen Proben noch für Worte verlieren, wenn er die eigenen Gebäude des Proletariats mit „abschreckend häßlichem" Äußern als typisch für die „mächtigsten", jene anderen, die „Einfachheit, vortrefflichen Geschmack und Anfänge dekorativer Kunst" zeigen, als typisch für die „weniger mächtigen" Proletariergruppen der Welt hinstellt? Wenn er, um den Gipfel der Albernheit nur ja ganz zu erklimmen, schreibt, daß der Kapitalismus mit jenen erträglicheren Fabrikanlagen „den Pfad moderner proletarischer Baukunst hinansteigt", was ohne die „starke Stimme des Proletariats" noch nicht wahrzunehmen wäre? Weder die mächtigen noch die wenigermächtigen Proletariergruppen bauen sich ihre Häuser selbst; sie müssen sich auf das geringe oder gereiftere Können des entwerfenden Architekten oder Bauunternehmers verlassen, den sie mit dem Auftrag betraut haben. Die Relativität ihrer Macht wie auch diejenige irgendwelcher Kapitalistengruppen kommt daher höchstens in dem Umfang der errichteten Gebäude zum Ausdruck, nicht in der äußeren Formengebung. Daß die einigermaßen erträglichen, industriellen Zwecken dienenden Gebäude nur da entstehen, wo es dem Kapitalismus „paßt, das Wohlergehen des Proletariats zu fördern", ist, wie aus Sperbers eigenen Worten hervorgeht, ihm selbst nicht ganz unbekannt. In der Tat bildet in neun von zehn solchen Fällen auch nur Reklame die treibende Kraft. Um so 109
toller ist darum die Logik, wenn Sperber sie als „Konzessionen" an das Proletariat a u f f a ß t , als Konzessionen an die gleichen mächtigsten Proletariergruppen, die nach Sperber noch nicht einmal ihre eigenen B a u t e n etwas besser als abschreckend häßlich zu gestalten vermögen. Die moderne B a u k u n s t wird durch die immer bessere B e w ä l t i g u n g ihrer A u f g a b e n so wenig zu einer proletarischen wie e t w a die T e c h nik, wenn ihr die V e r v o l l k o m m n u n g einer Maschine gelungen ist. Eine proletarische B a u k u n s t existiert nicht, so wenig wie eine proletarische Wissenschaft oder Technik. D a s Proletariat kann am E n d e des sozialen Umwälzungsprozesses, an dessen A u s g a n g wir stehen, durch die Besitzergreifung der Produktionsmittel der Bourgeoisie das alleinige Nutzungsrecht an den technischen und künstlerischen Errungenschaften nehmen, aber es ist konfus, diese rein gegenständlichen Dinge oder die Arbeitszweige, die sich mit ihrer E r z e u g u n g befassen, mit Bezeichnungen zu belegen, die sozialen Erscheinungen entnommen sind und nur f ü r diese passen. D a ß Heinz Sperber noch nicht einmal zu solchen Unterscheidungen imstande ist, zeigt mit d e m übrigen Gemisch v o n halb Richtigem und g a n z Falschem, mit dem er seine A n s c h a u u n g begründet, welche Qualifikation er z u einem Pfadfinder der neuen K u n s t , als den er sich aufspielt, besitzt. D a zurzeit noch keine H o f f n u n g besteht, daß er diesen Beruf aufgibt, so wäre es wenigstens zu wünschen, d a ß ihn die K a l t b l ü t i g k e i t , die er g a n z im Gegensatz zu seiner früheren heißen Sehnsucht nach sozialistischen Tendenzstücken so plötzlich an den T a g legt, auch bei der A b fassung seiner eigenen kunstkritischen Produktion nicht verläßt und daß er allmählich einsieht, daß ein bißchen Phrasengeklingel nicht ausreicht, die nicht i m m e r ganz einfachen Zusammenhänge zwischen den verschiedenen Erscheinungsformen des E n t w i c k lungsganges der menschlichen Gesellschaft aufzudecken.
Robert
Grötzsch
Kunst und Arbeiterschaft Heinz Sperbers literarästhetisclie Plänklergefechte unterm Feuilletonstrich des Vorwärts haben das Schütteln manches K o p f e s verursacht. Nicht w e i l e r der bürgerlichen K u n s t unter die 110
lahmen Fittiche zu leuchten suchte, sondern weil er zu hanebüchen daneben leuchtete. Zwei Thesen sind es vor allem, die nach einer vom Genossen Sperber unbeanstandeten Definition als kurzer Sinn einiger seiner Spalten gelten dürfen und eine sehr bestimmte Ablehnung herausfordern: 1. dem bürgerlichen Dichter stehe es nicht an, in seinen Dichtungen Arbeiter mit Humor zu betrachten, denn „die von ihm humoristisch betrachteten Arbeiter werden diesen Humor mit Ekel empfinden"; 2. was den Arbeitermassen nicht gefällt, ist nicht u n s e r e Kunst. Bleiben wir bei der ersten These: Wenn Genosse Sperber die humoristische Art jenes Berliner Romans abgelehnt hätte, der seine Attacke gegen den „Bourgeoishumor" der bürgerlichen Kunst veranlaßte, so ließe sich über diese Geschmacksache streiten, aber dem bürgerlichen Dichter schlechthin die Fähigkeit abzusprechen, Arbeiter humoristisch zu gestalten, ohne damit auf den Proletarier anders als ekelerregend zu wirken — das hieße gute humoristische Werke, die von der Arbeiterschaft mit viel Vergnügen gelesen werden, zur Makulatur zu stempeln. Um nur einen der besten bürgerlichen Humoristen zu nennen: warum soll der Proletarier nicht über Dickens' Postillone, Kutscher und Dienstboten lachen können? Wer je vor sozialistischen Arbeitern einige Sam Weller-Kapitel aus den Pickwickiern vorgelesen hat, der wird bestätigen können, daß Arbeiter für Humor bürgerlicher Dichter mehr Humor übrig haben als Heinz Sperber. Ein humoristisches Zerrbild, das den Bourgeois auf Kosten des Proletariats heiter stimmte, müßte dem Proletarier allerdings ein Stirnrunzeln verursachen. Wo immer aber ein Künstler keinen einseitigen Ausschnitt, sondern ein ganzes Weltbild gibt, in dem die menschlichen Schwächen aller Gesellschaftsschichten von der komischen Seite genommen werden, da müßte der Proletarier ein kleinlicher Griesgram sein, der sich mit Grausen wendete. Nach Heinz Sperbers Theorie allerdings gibt es kein einwandfreies großes humoristisches Weltbild. „Ein Bourgeois kann sich humoristisch über einen Bourgeois äußern, ein Arbeiter n u r über Arbeiter", behauptet er in seinem Kubinke-Feuilleton und verneint damit frisch-fröhlich-unbekümmert die erste Vorbedingung des guten, in historischem wie ästhetischem Sinne großen humoristischen Romans: ein universelles Weltbild zu geben. Daß es geht, daß der bürgerliche Dichter auch den unbürgerlichen, den proletarischen Mitmenschen humoristisch erleben und gestalten kann, ohne bei Arbeitern Ekel erregen zu müssen, beweist, wie 111
gesagt, die Beliebtheit, die Dickens auch in Reihen der sozialistischen Arbeiter genießt. Zu betonen wäre höchstens, daß dem sozialistischen Proletarier das humoristische Weltbild eines sozialistischen Dichters ein befreienderes Lachen abnötigen würde als das eines bürgerlichen, weil der sozialistische Dichter das tiefere Verständnis für proletarisches Denken, Sehnen, Empfinden und Handeln aufbringen müßte. Aber angenommen, Genosse Sperber hätte so recht, als er unrecht hat, angenommen, die vom bürgerlichen Dichter humoristisch betrachteten Arbeiter empfänden diesen Humor mit Ekel — bewiese das etwas gegen die künstlerische Qualität des betreffenden Kunstwerkes? Nein, und damit wäre die zweite Frage angeschnitten : die Arbeitermasse als Kunstrichter. Zu welchem Amte die Masse durch die Behauptung avanciert: Was den Arbeitermassen nicht gefällt, ist nicht unsere Kunst, ist keifte Kunst, die sozialistische Gedanken- und Gefühlswerte lebendig werden läßt. Auch diese pseudomarxistische These wäre ohne ausschweifende theoretische Erörterungen durch einige Beispiele aus der Praxis des Alltags zu erledigen. Ich kenne das Schicksal einer Maifeierkarte, auf der der sozialistische Maigedanke in einer Proletariergestalt von elementarer Wucht symbolisiert ist; proletarisch sind Form und Inhalt, proletarisch ist ihr Schöpfer. Die Karte genießt die Gleichgültigkeit der Arbeitermassen, während schlecht gezeichnete Freiheitsgöttinnen und anderer bürgerlich-epigonischer Maikitsch rasend gekauft werden! Mir ist ein Parteiblatt bekannt, das die Vorwürfe geistig sehr regsamer parteigenössischer Leser einheimste, weil es den guten Arbeiterroman Pelle der Eroberer brachte. Der Roman ist mit sozialistischer Feder geschrieben, Autor ist Genosse Andersen Nexö! Diese Beispiele ließen sich beliebig vermehren, und damit soll kein Vorwurf gegen die Arbeiterschaft erhoben werden, sondern gegen jene banausische Theorie, die eine junge, aufwärts drängende und zunächst mehr politisch denn künstlerisch interessierte Klasse zum Kunstzensor erheben will und die dieser Klasse einen ästhetischen Geschmack andichtet, den sie nicht haben kann. Denn zur Entwicklung einer sicheren Urteilsfähigkeit in künstlerischen Dingen gehören Anleitung, Schulung, Muße. Das alles wird dem Proletarier von der kapitalistischen Gesellschaft vorenthalten, und man soll von der Arbeitermasse kein gültiges Urteil in ästhetischen Dingen verlangen, wenn neun Zehntel der bildungsprivilegierten Bourgeoisie bis an den Hals im Banausen112
sumpf stapfen. Eine sozialistische Dichtung wird zweifellos den Beifall der sozialistischen Arbeiterelite finden, wenn diese Dichtung die Ideen- und Gefühlswerte der kämpfenden Arbeiterschaft in einfacher Gegenständlichkeit zu lebendigem Ausdruck bringt; daß jedoch „unsere Kunst" den Beifall der Proletariermassen schlechthin finden m ü s s e , ist ein mehr denn optimistischer Glaube. Es bleibt eine dankbare Aufgabe der Parteipresse, den literarischen Geschmack der Arbeiter nach Möglichkeit zu entwickeln und die innere Hohlheit der bürgerlichen Gpgenwartsdichtung nicht zu selten anzuprangern. Lau, flau, gesinnungslos, unfähig, universelle Querschnitte dieser Welt zu geben und den sozialen Nerv unserer Zeit in großen Würfen bloßzulegen, umtrabt diese Dichtung geschäftstüchtig den Büchermarkt. Wirklich, sie verträgt eine grimmige Kritik, und wo immer sich Ansätze zu unserer, zu sozialistischer Kunst zeigen, da sollten sie von der Parteipresse gefördert und gepflegt werden. Aber scheinmarxistische, doktrinär-proletarische Dogmen über dichterischen Klassenhumor aufzustellen und die Arbeitermassen blindlings als Kunstrichter über die Kunst von übermorgen einzusetzen, das könnte heißen, kommende Werke unserer Kunst von vornherein mit der Ästhetik der schwieligen Faust totzuschlagen. Der Teufel soll den frikassieren, der dieses Treiben guthieße.
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II.
Clara Zetkin Kunst und Proletariat Es könnte ein Hohn dünken, zugleich von Kunst und Proletariat zu sprechen. Die Lebensbedingungen, welche die kapitalistische Gesellschaftsordnung ihren Lohnsklaven schafft, sind kunstfeindlich, ja kunstmörderisch. Kunstgenießen und noch mehr Kunstschaffen hat zur Voraussetzung einen'Spielraum materieller und kultureller Bewegungsfreiheit, einen Überschuß materieller Güter, leiblicher, geistiger und sittlicher Kräfte über das Notwendige, das bloß Materielle hinaus. Aber materielle Not und damit auch Kulturarmut ist das Geschick der Ausgebeuteten und Beherrschten gewesen, seitdem Klassengegensätze die Gesellschaft zerklüften. Daher ist wiederholt die Frage aufgetaucht, ob die Kunst überhaupt eine sittliche, eine gesellschaftliche Berechtigung habe, ob die Kunst für die Menschheitsentwicklung fördernd oder hindernd sei. Jean Jacques Rousseau, der große philosophische Apostel der Rückkehr zur Natur, erklärte Mitte des 18. Jahrhunderts in seiner berühmten Abhandlung an die Akademie zu Dijon, die Kunst sei ein Luxus und führe zum sittlichen Verfall der Menschheit. In den siebziger Jahren des letzten Jahrhunderts prägte der philosophische Nihilismus in Rußland den Ausspruch, daß ein Schuhmacher von größerem Wert für die Gesellschaft sei als Raffael, denn der Schuhmacher leiste gesellschaftlich notwendige und unentbehrliche Arbeit, während Raffael Madonnenbilder gemalt habe, die man entbehren könne. Ahnliche, aber sozial vertiefte Gedankengänge wie die Rousseaus 115
führten an der Schwelle des 19. zum 20. Jahrhundert einen der größten Künstler, Leo Tolstoi, zu seiner Wertung der Kunst. Tolstoi verurteilte mit der ihn auszeichnenden unerbittlichen Logik nicht bloß die moderne Kunst im besonderen, sondern jede Kunst überhaupt, soweit sie als Vorrecht und Genuß der Besitzenden auftritt und Selbstzweck ist. Wie der jugendliche Schiller von der Auffassung ausging, daß die Bühne, das Schauspiel „eine moralische Anstedt" sei, so endete der greise Tolstoi mit der Überzeugung, daß nur die Kunst eine Berechtigung habe, die bewußt das Ziel verfolgt, das gesamte Volk zu höherer Sittlichkeit emporzuheben. Und konsequent mit sich selbst läßt er seine eigene unsterbliche Kunst nur noch als Mittel zum Zwecke gelten, seine Ideen in die breitesten Bevölkerungskreise zu tragen und sie dadurch in seinem Sinne zu erziehen. Den angeführten schiefen, paradoxalen Anschauungen ist eins gemeinsam. Sie stammen aus Übergangszeiten, wo eine alte gesellschaftliche Ordnung im Sterben liegt und neue Formen des sozialen Lebens sich emporzuringen beginnen. In diesen Zeiten trägt die Kunst auffällig das Gepräge einer Dienerin, ja, das Brändmal einer Dirne der besitzenden und herrschenden Minderheit, erscheint vielfach sie nur als ein Luxus, eine Tändelei für diese und tritt daher mit ihrem Inhalt, ihrem Um und Auf in schroffen Gegensatz zu den Bedürfnissen und Anschauungen der emporstrebenden Klassen. Das gilt sowohl von der Zeit, da Rousseau seine Abhandlung geschrieben hat, als von der, wo der philosophische Nihilismus in Rußland in die Halme schoß, das gilt von heute, da Tolstoi mit den Gaben eines großen Künstlers und dem Fanatismus eines gewaltigen Sittenpredigers, der die Welt erneuern möchte, gegen die Kunst eiferte. Über den hervorstechenden Merkmalen des Verfalles auf der einen Seite werden in solchen Zeiten leicht die Zeichen des neu emporblühenden Lebens auf der anderen übersehen. Eines Lebens, das auch die Kunst aus ihrem Verfall erlöst und ihr neue Entwicklungsmöglichkeiten und einen neuen, gesunden, höheren Inhalt schafft. Denn im Leben der Völker, der Menschheit läuft Absterben und Emporblühen parallel einher. Wenn der Tod alte Formen der Wirtschaft und der mit ihnen zusammenhängenden politischen, rechtlichen, künstlerischen Verhältnisse ergreift, so hat auch die Geburtsstunde neuer Formen angehoben. Als Jean Jacques Rousseau sein Verdammungsurteil über die Kunst als eine Verderberin der Sitten fällte, holte die französische Philosophie — als Abglanz 116
gewandelter wirtschaftlicher, sozialer Zustände — zu den kühnen Gedankenflügen aus, die zwar nicht in einem Zeitalter klassischer Kunst ihren Höhepunkt fanden, wohl aber in einer klassischen Tat der Politik: in der großen Französischen Revolution. Die sozialen Kämpfe dieser Zeit haben aber in entscheidender Weise die Weiterentwicklung der Kunst beeinflußt; in Frankreich selbst und nicht zum wenigsten in Deutschland. Hier führte die gleiche wirtschaftliche Entwicklung — der Vormarsch der kapitalistischen Produktion — nicht zur politischen Herrschaft der Bourgeoisie, dafür aber schlug diese ihre Emanzipationsschlacht auf dem Gebiet der Philosophie und Kunst, die sich zu wunderbarer Blüte entfalteten. Aber nicht nur um des hervorgehobenen geschichtlichen Zusammenhanges willen muß Rousseaus und Tolstois Anschauung zurückgewiesen werden. Es ist eine Tatsache, daß die Kunst eine alte, urwüchsige geistige Lebensäußerung der Menschheit ist. Wie das Denken, ja, vielleicht noch früher als das abstrakte Denken, hat sich der Drang nach künstlerischem Schaffen an der Tätigkeit, der Arbeit des primitiven Menschen entwickelt, und zwar an der gesellschaftlichen Arbeit. Kaum daß der Mensch sich von der Tierheit loszulösen beginnt, daß geistiges Leben in ihm die Augen aufschlägt, regt sich in ihm der künstlerische Schöpfungsdrang und läßt eine ganz einfache, rohe Kunst entstehen. Davon erzählen vorgeschichtliche Funde, die uns die Höhlenzeichnungen der steinzeitlichen Elefanten- und Rentierjäger kennen lehrten. Das bestätigt uns die Völkerkunde, die uns Tanz, Musik, Poesie wie bildliche und plastische Darstellungen als Ausdruck urwüchsigen Kunstsinns zeigt. Die Buschmänner und andere wilde Völkerstämme haben eine elementare Kunstbetätigung. Ehe sich ihre Fähigkeit zum abstrakten Denken entwickelte, haben sie Ausdrucksmittel der sinnlichen Darstellung für Geschautes und Empfundenes gefunden. Kein Wunder daher, daß leidenschaftliches Begehren nach künstlerischem Genießen und Schaffen zu allen Zeiten in den frondenden und beherrschten Gesellschaftsschichten lebendig gewesen ist. Auch darin hat das Feuer jenes prometheusischen Trotzes geleuchtet, der allen knechtenden Gewalten zuruft: „Ihr könnt mich doch nicht töten!" So sind aus den breitesten Volksmassen heraus der Kunst wieder und wieder verständnisvolle Jünger und Mehrer ihrer Schätze erwachsen. Aber eines müssen wir dabei festhalten. Solange die beherrschten Klassen sich ihres Gegen- ( 117
satzes zu den Herrschenden nicht klar bewußt sind, nicht danach trachten, ihn aufzuheben, können sie auch für die Kunst keine neuen gesellschaftlichen Entwicklungsmöglichkeiten, keinen neuen, weitreichenden Inhalt schaffen. Ihr künstlerisches Sehnen wird mit der Kunst ihrer Herren genährt, und die Kunst ihrer Herren ist es, die ihr leidenschaftlicher, künstlerischer Schöpfungsdrang bereichert. E r s t w e n n die B e h e r r s c h t e n a l s e m p o r strebende, rebellierende Klasse einen eigenen geistig e n L e b e n s i n h a l t b e k o m m e n ; e r s t w e n n sie k ä m p f e n , um d r ü c k e n d e soziale, p o l i t i s c h e , g e i s t i g e Fesseln zu spreng e n : e r s t d a n n w i r d i h r E i n f l u ß auf d a s k ü n s t l e r i s c h e K u l t u r e r b e der M e n s c h h e i t zu einem s e l b s t ä n d i g e n und daher wirklich f r u c h t b a r e n , z u einem entscheidend e n . Ihr Anteil daran geht dann nicht bloß in die Breite, sondern in die Tiefe, er treibt neuen, weiteren Horizonten entgegen. Immer wieder sind es auf Knechtschaft zur Freiheit drängende Massen, die die Kunstentwicklung aufwärts und vorwärts tragen, aus denen die Kraft erwächst, Perioden des Stillstandes, ja des Verfalles der Kunst zu überwinden. Diese allgemeinen Zusammenhänge treffen auch für das Verhältnis des Proletariats zur Kunst zu. Sie irren, die im proletarischen Klassenkampf nur das Begehren nach Füllung des Magens sehen. Dieses weltgeschichtliche Ringen geht um das ganze Kulturerbe der Menscheit, es geht um die Möglichkeit der Entfaltung und Betätigung vollen Menschentums für alle. Das Proletariat kann als Klasse nicht an den Toren der kapitalistischen Trutzburg rütteln, es kann nicht aus der Nacht und Not der Fabriken empordrängen, ohne sich mit seinem eigenen Kunstsehnen und der Kunst unserer Zeit auseinanderzusetzen. Wie findet dasProletariat die Kunst? Hat die Kunst die Freiheit, die eine Vorbedingung ihres Blühens und Reifens ist? Wir hören es gelegentlich, aber dem ist nicht so. Als sich im Schöße der feudalen Ordnung die bürgerliche Gesellschaft entwickelte, setzte auch der Kampf der Künstler für ihre Freiheit, für die Freiheit der Kunst ein. Die Geschichte zeigt uns, wie schwer und zähe die Künstler gerungen haben, um sich aus den Fesseln des zünftigen Handwerkes zu lösen, um aber auch die Sklavenketten zu brechen, die sie an den Adel und die weltlichen wie geistlichen Fürsten banden und ihr Schaffen zu einem höfischen Lakaiendienst herabdrückten. Die Künstler haben gesiegt, ihr Erfolg war ein Teil des Triumphes der bürgerlichen Gesellschaft, die'sich auch in ihrem 118
Streben angekündigt hatte. Die Kunst wurde zu einem sogenannten „liberalen Beruf". Aber was besagt das in einer Ordnung der kapitalistischen Warenproduktion, die der wirtschaftliche Mutterboden der bürgerlichen Gesellschaft ist? Nichts anderes, als daß auch die Kunst den ehernen Gesetzen eben dieser Warenproduktion Untertan ist. Die Grundlage der kapitalistischen Warenproduktion ist die Unfreiheit der menschlichen Arbeit. Solange die menschliche Arbeit überhaupt unfrei ist, bleibt wie die Handarbeit, so auch die Kopfarbeit geknechtet, müssen Wissenschaft und Kunst unfrei bleiben. Neben dem Proletarier mit schwielenharter Faust trägt der forschende Gelehrte, der schaffende Künstler das Joch der kapitalistischen Ordnung. Die Kunst geht nach Brot, muß nach Brot gehen, weil der Künstler leben will. Um zu leben, ist er gezwungen, zu verkaufen, was sein Genius ihm zu schaffen befahl. Die Ordnung des Kapitalismus kennt nur käufliche und verkäufliche Waren. Ware wird auch in ihr, was die Kunst gestaltet. Wie Kleiderstoffe und Kaffee muß die künstlerische Ware ihren Markt erobern. Wer ist es, der ihn beherrscht? Nicht der kleine Kreis der Kunstverständigen und Kunstgenießenden, nein, die Unkultur und Halbkultur, der Luxus, das Zerstreuungs- und Betäubungsbedürfnis eines „zahlungsfähigen Pöbels", um diesen groben Ausdruck zu gebrauchen. Dieser harte Tatbestand bricht den hohen Idealismus so manches Künstlers, der in faustischem Drange Himmel und Erde in seine Werke bannen wollte, der gierig nach goldenen Schätzen der Kunst grub und sich schließlich damit begnügte, die Regenwürmer einer angesehenen und einträglichen Stellung in der Gesellschaft zu finden. Das Leben zertritt unendlich viele von denen, für welche die Kunst „die hohe, die himmlische Göttin" bleibt und nicht zur „milchenden K u h " herabgewürdigt wird, die sie mit Butter versorgt. Nur die ganz Starken, die warten können, wahren sich die Freiheit, künstlerisch auszusprechen, was ein Gott zu sagen ihnen gegeben. Und was ist das Los derer, die sich den Forderungen des Marktes beugen und den Tageserfolg einheimsen? Sie erliegen der handwerksmäßigen Schablone oder der Sklaverei der Tagessensation. Die Unrast des kapitalistischen Kunstmarktes, der Stachel der Konkurrenz treibt vorwärts, zerstört die äußeren und inneren Vorbedingungen für das Ausreifen großzügiger Werke. Die bildenden Künstler produzieren in fieberhafter Hast für die großen Warenbasare ihrer Kunst, Ausstellun119
gen genannt; der Komponist schafft ebenso den „Clou" der neuen Saison, der Schriftsteller hetzt sich ab für den Weihnachtsmarkt usw. Der Künstler geht in dem betriebsamen Industriellen und Händler mit künstlerischen Waren unter, sein künstlerisches Kapital ist bald vertan, aus einem Mehrer wird ein Fälscher der Kulturwerte. In den aufgezeigten Zusammenhängen ist mit der Grund dafür zu suchen, weshalb in unserer Zeit die Kunstströmungen einander so rasch ablösen, die „berühmten" künstlerischen Tagesgrößen außerordentlich rasch verbraucht sind. Was heute als höchste Offenbarung künstlerischen Genies in die Wolken gehoben wurde, ist in höchstens zehn Jahren vergessen und hat nur noch historisches Interesse. Eine andere charakteristische Erscheinung macht sich breit. Die aufgezeigten Verhältnisse zeitigen eine Afterkunst. Der Kapitalismus erzeugt das sie ausbeutende Unternehmertum, die ausgebeuteten Kräfte, die zum Teil von dem künstlerischen Lumpenproletariat gestellt werden, das ein ureigenes Kind der heutigen Ordnung ist, und er schafft schließlich das kaufende Publikum von unten wie oben. Zu den Erscheinungen dieser Afterkunst gehören die Tingeltangel, sehr viele Varietés, die pornographischen Erzeugnisse der Literatur und Graphik, aber ebenso auch die dynastischen und patriotischen Denkmäler auf Abzahlung usw. Es drängt sich die Frage auf: Könnte nicht der heutige Staat als größter Auftraggeber die Kunst aus ihrer Misere emporheben? Er kann es nicht, denn er ist der Staat der besitzenden und herrschenden Minderheit und nicht der Ausdruck eines einheitlichen Volksganzen und Volkswillens. Auch er ist Untertan den Gesetzen der kapitalistischen Ordnung, deren Geschöpf er ist. Dieser Umstand ist entscheidender für sein Verhältnis zur Kunst, als die Launen und Liebhabereien eines Monarchen sein können. Bei uns in Deutschland wird der Tatbestand verdunkelt durch die künstlerische Selbstherrlichkeit Wilhelms II., der wir die Lauffschen Dramen verdanken, die Hohenzollerndenkmäler der steinernen Pappelallee und andere künstlerische Greuel und Scheuel . . . Was sich darin offenbart, ist aber im letzten Grunde nicht der gewaltige und zwingende Einfluß eines Monarchen, es ist die Abdankung der deutschen Bourgeoisie vor dem persönlichen Regiment auch auf dem Gebiet der Kunst. Nur wenn sich die Arbeit vom Joche des Kapitalismus befreit, nur wenn damit die Klassengegensätze in der Gesellschaft aufgehoben werden, nimmt die Freiheit der Kunst Leben und Ge120
stalt an, kann der künstlerische Genius frei die höchsten Flüge wagen. Vor der Sozialdemokratie hat das ein Berufener im Reiche der Kunst erkannt und verkündet: Richard Wagner. Seine Abhandlung Kunst und Revolution bleibt ein klassisches Zeugnis dieser Auffassung. Dort heißt es: „Laßt uns aufsteigen von dem Elend des Handwerkertums mit seiner bleichen Geldseele zu dem freien künstlerischen Menschentum mit seiner strahlenden Weltseele ; aus mühselig beladenen Tagelöhnern der Industrie wollen wir alle zu schönen, starken Menschen werden, denen die Welt gehört, als ein ewig unversiegbarer Quell des höchsten Genusses." Klar zeigte Wagner auf die Wurzel hin, aus der „das Elend des Handwerkertums" emporwächst, die „Tagelöhnerei der Industrie." Hören wir ihn: „Solange in einem Volke alle Menschen nicht gleich frei und glücklich sein können, müssen alle Menschen gleich Sklaven und gleich elend sein." Wagner antwortete auch unzweideutig auf die Frage, wie die gleiche Sklaverei für alle überwunden, wie ein freies künstlerisches Menschentum für alle erblühen könne. Er sagt: „Der Zweck der geschichtlichen Entwicklung ist der starke Mensch, ist der schöne Mensch: die Revolution gebe ihm die Stärke, die Kunst die Schönheit." Aus dieser Äußerung geht — nebenbei bemerkt — hervor, daß der schöne und starke Mensch, den Wagner ersehnte, nicht die vielberufene „Persönlichkeit" des Individualismus ist, nicht die blonde Bestie des Ubermenschen, sondern die harmonisch entfaltete Persönlichkeit, die sich mit dem Ganzen untrennbar verbunden, die sich als eins mit ihm fühlt. Die Revolution ist die Tat der Massen, und die höchste Kunst wird immer Ausdruck geistigen Massenlebens bleiben. Wir wissen, daß die soziale Revolution, welche mit der Arbeit auch die Kunst befreit, das Werk des kämpfenden Proletariats sein muß. Aber das kämpfende Proletariat reicht der Kunst mehr als diese Zukunftsverheißung. Sein Ringen, das Bresche auf Bresche in die bürgerliche Ordnung legt, bahnt neuen künstlerischen Entwicklungsmöglichkeiten die Wege und verjüngt die Kunst durch einen neuen Gedankeninhalt, der über das geistige Leben der bürgerlichen Ordnung hinausreicht und künftiges Menschheitsleben ist. Der Inhalt des proletarischen Klassenkampfes erschöpft sich keineswegs in wirtschaftlichen und politischen Forderungen. E r ist auch der Träger einer neuen Weltanschauung, die ein einheitliches, in sich geschlossenes Ganzes bildet. Es ist die Weltanschauung des Sozialismus, wie sie sich auf den Ergeb11
Bürgel, Tendenzkunst
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nissen der Naturwissenschaften und der Gesellschaftswissenschaften aufbaut, die — mit den Namen Darwin und Marx verknüpft — von der Philosophie zusammengefaßt werden. Diese Weltanschauung keimt und reift im Flammen und Wettern der Klassenkämpfe unserer Tage. Sie entwickelt sich in dem Maße, als der Kapitalismus die gesellschaftliche Wirtschaft umwälzt und der kommunistischen Ordnung freier Arbeiter entgegentreibt; in dem Maße, als sich damit soziale Einrichtungen wandeln, als das Empfinden, Denken, Wollen der Menschen revolutioniert wird. Am tiefsten muß die Psyche und die Gedankenwelt der Klasse umgepflügt werden, die durch ihre Lebensbedingungen in einen unversöhnlichen, dauernden Gegensatz zu der geltenden Wirtschaftsordnung und ihrem ideologischen Überbau gerät: diese Klasse ist das Proletariat. Sein Denken und Begehren schreckt nicht, dem der Bourgeoisie gleich, vor den Schranken der bürgerlichen Gesellschaft zurück, umgekehrt, es strebt über diese Schranken hinaus, es weiß, daß es sie zertrümmern muß. Daher nimmt die kämpfende Arbeiterklasse vorurteilslos und kühn die Konsequenzen aller Forschungsergebnisse auf. Je bewußter und kraftvoller ihr Kampf wider die kapitalistische Ordnung wird, um so schärfer tritt auch ihr geistiger Lebensinhalt in Gegensatz zu dem geistigen Leben der bürgerlichen Welt. Der proletarische Klassenkampf wird zum Träger neuer geistiger und sittlicher Ideale, ein neues, eigenes kulturelles Leben beginnt unter den Enterbten emporzublühen. Der starke Pulsschlag dieses Lebens läßt die Sehnsucht nach künstlerischem Genießen und Gestalten ihre Flügel ausbreiten. Geschieht das, so ist es aber der eigene höchste historische Wesensinhaltseiner Klasse, den der Proletarier künstlerisch umgeformt nachempfinden, den er künstlerisch selbst erschaffen will. Das Proletariat sehnt sich nach Kunstwerken, denen die sozialistische Weltanschauung Seele und Sprache verleiht. Damit gerät es in Gegensatz zu der bürgerlichen Kunst unserer Tage. Diese ist nicht die gesunde, entwicklungsfrohe Kunst einer jugendfrischen Klasse, die um ihre ganze Freiheit kämpft und sich damit als Trägerin der höchsten Menschheitsideale empfindet. Es ist die Kunst einer herrschenden Klasse, die sich auf dem absteigenden Ast ihrer geschichtlichen Entwicklung bewegt, einer Klasse, die den Boden ihrer Macht unter vulkanischen Kräften erzittern fühlt. So wird unsere zeitgenössische bürgerliche Kunst aus einer Stimmung der Götterdämmerung heraus geboren. Der Naturalis122
mus, der die Kunst zu ihrem ewigen Urquell, der Natur, zurückführen wollte, der im Zusammenhang damit auch gedanklich als Gesellschaftskritik Wertvolles gleistet hat, ist zur flachen, leeren Kopie der Wirklichkeit herabgesunken. Er gibt nur Wirklichkeit ohne große zusammenhängende Ideen. Der Idealismus unserer Zeit hinwiederum sucht seinen geistigen Inhalt in den kleinbürgerlichen Ideen der „Heimatkunst" und, wo er sich, weitere Horizonte steckt, in der Abkehr von der Gesellschaft und der Gegenwart. Er flüchtet in die Vergangenheit oder jenseits der Wolken und verfällt als religiöser, ja frömmelnder Neumystizismus, als Neuromantik usw. Kurz, er gibt Ideen ohne Wirklichkeit. Woher sollte auch die bürgerliche Kunst die Vereinigung von Idee und Wirklichkeit nehmen? In der Welt des geschichtlichen Seins der bürgerlichen Klassen klaffen heute Idee und Wirklichkeit weit auseinander. Daher sind Anschauung und Stimmung dieser Klassen pessimistisch. Grober, kleinlicher Materialismus bei den einen, mystische Weltflucht bei den anderen werden zur Signatur der Zeit und damit der Kunst. Wie könnte solcher Inhalt der Kunst das Proletariat befriedigen? Es muß seinem ganzen historischen Sein nach optimistisch empfinden und denken. Hoffnungsfreudig jauchzen ihm die treibenden Kräfte im Wirtschaftsleben von dem Nahen einer neuen Zeit, von der Stunde der Erlösung, verheißungsstark spricht sein eigenes geistiges Leben davon. Hier ist eine Vereinigung von Idee und Wirklichkeit, wie sie heute nur durch die Ideologie der Massen geschaffen werden kann, die sich die höchsten Ziele setzen. Die Idee: der Sozialismus, der erhabenste Freiheitsgedanke, den die Menschheit je geträumt. Die Wirklichkeit: eine Klasse, die sich in reifer Erkenntnis und stahlhartem Willen anschickt zur gewaltigsten Tat, die die Geschichte kennt: „die Welt zu verändern, statt sie anders zu interpretieren", um mit Marx zu reden. Aus diesem Zusammenhang der Dinge heraus erwächst dem Proletariat das leidenschaftliche Bedürfnis nach einer Kunst, deren Inhalt Geist vom Geiste des Sozialismus ist. Tendenzkunst also, so schallt es uns entgegen. Wohl gar „politische" Kunst. „Politisch Lied, ein garstig Lied." Das Proletariat hat dieses Gerede nicht zu fürchten. Sein Vater ist letzten Endes weniger der Wunsch, die ausgebeuteten Massen zu künstlerisch Genießenden zu erziehen, als vielmehr der andere, sie als geistig Bevormundete im Banne der bürgerlichen Ideenwelt zu halten. Wo die Religion versagt, soll die Kunst helfen. Nicht die „Tendenz" überhaupt tut 11*
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man im Namen der Kunst in Acht und Bann, nur die „Tendenz", welche der „Tendenz" der herrschenden Klassen widerstreitet. Übrigens ist die Geschichte da, um das Verfemungsurteil gegen die „Tendenz" in der Kunst Lügen zu strafen. Gewaltige, großzügige Kunstwerke aus allen Zeiten sind erfüllt vom Gluthauch der Tendenz. Was anders denn ist die Tendenz als Idee? Kunst ohne Idee aber wird zur Künstelei, zum künstlerischen Formelkram. Nicht die Idee, nicht die Tendenz schändet das Kunstwerk und entweiht es. Umgekehrt, sie soll und kann künstlerische Werte schaffen und steigern. Verderblich wird die Tendenz der Kunst nur dann, wenn sie äußerlich roh aufgepfropft wird, wenn sie mit künstlerisch unzulänglichen Mitteln redet. Wo dagegen die Idee von innen heraus mit künstlerisch reifen Darstellungsmitteln schöpferisch wird, zeugt sie Unsterbliches. So kann nicht bloß, so muß das Proletariat, statt jede künstlerische Modenarrheit der bürgerlichen Welt mitzumachen, auch seine eigenen Wege gehen, damit die Kunst aus dieser Zeiten Not neuen, höheren Inhalt gewinnt. Im Proletariat selbst mehren sich die Zeichen, daß es als aufstrebende Klasse nicht bloß kunstgenießend sein will, sondern auch kunstschöpferisch. Das beweisen vor allem die Arbeitersänger und Arbeiterdichter. Die Welt bürgerlicher Kunstfreunde und Kunstverständiger, die über die primitiven künstlerischen Erzeugnisse grauer Vorzeit und wilder Völkerschaften als über Offenbarungen des Menschheitsgenius in Ekstase gerät, hat im allgemeinen nur Hohn oder Mitleid für das, was Proletarier oft mit noch unbeholfener Hand, aber mit heißer, zuckender Seele zu gestalten versuchen. Es fehlen ihr die Organe für das richtige Erfassen und Werten dieser Kunst von „Primitiven", deren Schöpfungen Symptome sind, mit denen sich eine Weltwende ankündigt, die eine Renaissance der Kunst in ihrem Schöße trägt. Eine solche Renaissance erfolgt ebensowenig künstlerisch als sozial aus dem Nichts. Sie knüpft an Vorausgegangenes, Vorhandenes an. Aber die Kunst einer ins Licht der Kultur emporsteigenden Klasse kann ihre Anknüpfungspunkte und ihre Vorbilder nicht von der Kunst einer geschichtlich verfallenden Klasse nehmen. Das bestätigt die Geschichte der Kunst. J e d e e m p o r s t r e b e n d e K l a s s e s u c h t i h r e k ü n s t l e r i s c h e n V o r b i l d e r auf d e n H ö h e p u n k t e n d e r f r ü h e r e n E n t w i c k l u n g . Die Renaissance knüpfte an die Kunst Griechenlands und Roms an, die deutsche klassische Kunst an die Antike und die Renaissance. Bei aller Würdigung der künst124
lerischen Anregungen und Ausdrucksmittel, um welche die zeitgenössischen Kunstströmungen das künstlerische Erbe bereichern, wird darum die Kunst der Zukunft für ihre Wegweiser über sie hinweg zur klassischen Kunst des Bürgertums greifen. Der Sozialismus ist die konsequente Weiterentwicklung und Umbildung des weltbürgerlichen Liberalismus, der ihr geistiger Gehalt war. S e i n e K u n s t — u m s o z u r e d e n — w i r d a u c h d i e F o r t b i l d u n g der g r o ß e n , k l a s s i s c h e n , b ü r g e r l i c h e n K u n s t s e i n , die d a s G e s c h ö p f d i e s e s l i b e r a l e n G e d a n k e n s gew e s e n i s t . Ist es nicht reichstes, lebendigstes, künstlerisches Sein, das uns grüßt aus Goethes Osterspaziergang, in dem die Sehnsucht nach dem Heraus aus den drückenden Schranken der feudalen Gesellschaft eine künstlerisch vollendete Verklärung gefunden hat? Aus Schillers wonnetrunkenem Weltverbrüderungsruf: „Seid umschlungen, Millionen, diesen Kuß der ganzen Welt!" Aus dem ungeheuren Jubel einer befreiten Menschheit in Beethovens Neunter Symphonie, der elementar, riesenhaft in dem Chor durchbricht: „Freude, schöner Götterfunken!" Friedrich Engels hat das stolze Wort gesprochen, daß die deutsche Arbeiterklasse die Erbin der klassischen Philosophie ist. Sie wird in dem aufgezeigten Sinne auch die Erbin der klassischen Kunst ihres Landes sein. Es ist ein weiter Weg, den sie noch zu gehen hat, ehe sie dieser ihrer geschichtlichen Aufgabe ganz gerecht werden kann. Eine Tatsache unter vielen läßt das erkennen. Die Räume,die das Heim des kämpfenden Proletariats sein sollen, in denen sich ein wichtiger Teil seines geschichtlichen Lebens abspielt, die den Zwecken seiner Organisation dienen und seine Versammlungen aufnehmen, diese Häuser sind nicht aus seiner sozialistischen Weltanschauung heraus künstlerisch gestaltet. Unsere Gewerkschafts-, Volks-und Geschäftshäuser unterscheiden sich in ihrem Stil — Stil als äußere Form inneren Lebens gefaßt - in nichts von irgendwelchen bürgerlichen Geschäfts- oder Verkehrshäusern. Die innere künstlerische Beziehung zu dem Inhalt des Lebens, das in ihnen pulsiert, wird wahrhaftig nicht dadurch geschaffen, daß ein oder der andere Raum mit einer frostigen Allegorie der Freiheit usw. geschmückt wird. Kurz, das geistige Leben der Arbeiterklasse hat bis jetzt noch nicht den geringsten Ausdruck in der architektonischen Formensprache gefunden. Das Proletariat selbst aber hat den Gegensatz, das Mißverständnis zwischen dieser und seinem eigenen inneren Sein noch nicht einmal so stark und bewußt empfunden, daß sein künstlerisches Be125
dürfnis einen bestimmenden Einfluß zu üben begönne. Gewiß: die Baukunst ist die höchste und schwierigste aller Künste, aber sie ist auch die sozialste von allen, der stärkste Ausdruck eines Gemeinschaftslebens. Man denke an die gotischen Kirchen, in denen das höchste geistige Sein der zünftigen Stadtbevölkerung der feudalen Gesellschaft seinen künstlerischen Ausdruck gefunden hat. Doch zurück zum Ausgangspunkt! Ist der Weg weit und unter der Ungunst der verfallenden bürgerlichen Gesellschaft besonders schwierig, den das Proletariat wandern muß, um im wahren Sinne der Erbe der klassischen Kunst zu werden, so ist es um so dringlicher, es auch für diese seine Mission zu rüsten. In diesem Sinne sucht auch der Bildungsausschuß mit seinen bescheidenen Mitteln zu wirken. Es kann sich dabei nicht um blindes, kritikloses Anempfinden und Anbeten bürgerlicher Kunst handeln. Wohl aber gilt es, ein Kunstempfinden und Kunstverständnis zu wecken und zu pflegen, dessen feste Grundlage der Sozialismus als Weltanschauung ist, die gewaltige Ideologie des kämpfenden Proletariats und eines Tages der befreiten Menschheit. Seinen reifen schöpferischen Ausdruck wird freilich ein solches Kunstempfinden und Kunstverstehen innerhalb der Kerkermauern dieser kapitalistischen Ordnung nicht finden. Die heiß ersehnte Renaissance der Kunst — das ist meine persönliche Ansicht — ist erst jenseits ihrer möglich, auf jener Insel der Seligen, der sozialistischen Gesellschaft. Der geschichtliche Hammerschlag der sozialen Revolution wird auch in dieser Beziehung zur erlösenden Tat. — Aristoteles hat den bekannten Ausspruch getan, daß die Sklaverei als Grundlage des höheren Lebens der Freien überflüssig sei, wenn die Weberschiffchen, die Mühlsteine sich von selbst bewegten. Diese Vorbedingung ist heute erfüllt. Das Maschinenzeitalter hat Sklaven aus Eisen und Stahl erstehen lassen, die menschlichen Winken gehorchen. Führen wir diese Sklaven, die heute dem Reichtum und der Kultur einer Minderheit dienen, aus dem Privatbesitz in das Eigentum der Gesellschaft über. Dann wird mit der Sicherung des materiellen Lebens und kultureller Entwicklungsmöglichkeit für alle auch die Kunst aus einem Vorrecht verhältnismäßig weniger zu einem Gemeingut für alle. Sie kann dann nicht mehr herabgewürdigt werden zum leeren Sinnesrausch für grobe Genußmenschen, zur Tändelei für sich langweilende Müßiggänger, zum Narkotikum für weltflüchtige Schwächlinge. Sie wird zum höchsten Ausdruck der schöpferischen Kraft eines 126
Volkes, zum klaren Springquell reinster Freude und Erhebung, zu einer gewaltigen erzieherischen Macht, die sich am einzelnen und an der Gesamtheit bewährt. Nicht in dem Sinne, daß jeder einzelne zum künstlerisch Schöpferischen wird, wohl aber insoweit, daß die Massen künstlerisch Verstehende und künstlerisch Genießende sein können. So wird die K u n s t dazu helfen, daß das Wort des Ästhetikers Vischer seine Erfüllung findet, der über alle Künste die schöne Lebenskunst stellt. Der einzelne in seiner Persönlichkeit, in seiner Lebensbetätigung ein Kunstwerk, ein aus innerster Notwendigkeit sich gestaltendes, geschlossenes harmonisches Ganzes. Das Zukunftsvolk der freien Arbeit wird das Volk der freien Kunst sein. Ihm werden die großen schöpferischen Gestalter nicht fehlen, die individuell künstlerisch erfassen und formen, was Gemeinschaftsempfinden, Gemeinschaftsdenken, Gemeinschaftswollen ist. Denn alle große Kunst lebt von dem geistigen Herzblut einer großen Gemeinschaft.
Kurt Eisner Karl Marx'
Kunstauffassung
Vor etlicher Zeit erregte die kuriose Äußerung eines vorübergehenden Mitarbeiters des Vorwärts eine kleine parteipolitische Kunstdebatte. Jener interessante Kopf hatte die Meinung ausgesprochen, daß ein Proletarierroman von rechtem Humor eben doch nur von einem rechten Proletarier erzeugt werden könnte. Diese Prägung der „materialistischen" Kunstformel war verdienstvoll. Denn sie widersprach so offensichtlich allen Kunsttatsachen, daß allgemein sofort die Empfindung erweckt wurde: So könne unmöglich die Anwendung der Marxschen Geschichtslehre auf die Kunst aussehen. Der Erfinder des Programms: Klassenkunst durch Klassengenossen vermochte anzuregen, aber nicht zu entwirren. E r hat sonst kein Unheil angerichtet, eher zur Klärung beigetragen. Weiter verbreitet, beliebter, unauffälliger, platter und deshalb gefährlich ist eine andere A r t von Kunstbetrachtung, die im Namen des Geschichtsmaterialismus auftritt und der wir nicht ganz selten begegnen. Diese ästhetische Artikelpraxis beruht auf der
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Schlußfolgerung : Die Bourgeoisie ist eine niedergehende Gesellschaftsklasse. Folglich muß auch die Kunst der Bourgeoisie Niedergangskunst sein. Mit solcher philosophischen Suppenwürze läßt sich dann sehr bequem ohne größeren geistigen und wissenschaftlichen Aufwand jede fade Notizensammlung aus dem kleinen (bürgerlichen!) Meyer entnehmen und in eine gediegene Kost gesinnungstüchtiger Erkenntnis verwandeln. Treibt man die Methode durch die Weltgeschichte der Kunst hindurch, so wird man nach und nach lauter Verfallskunst aneinanderreihen dürfen. Allerdings gibt es einige Schwierigkeiten. Warum ist z. B. in der großen Französischen Revolution der reaktionäre André Chenier ein unsterblicher Dichter und sein jakobinischer Bruder Marie-Joseph ein völlig leerer Phrasenschmied? In Wahrheit sieht diese ganze Betrachtungsweise das besondere ästhetische Problem überhaupt gar nicht, weit entfernt, es zu lösen. Damit soll nicht gesagt sein, daß es ein unnützes Unternehmen wäre, auch die Zusammenhänge zwischen Kunst und Gesellschaft zu untersuchen. Das soll geschehen, besonders ist auch die Erforschung der jeweiligen wirtschaftlichen und rechtlichen Zustände notwendig, unter denen die Künstler produzieren müssen; ebenso bedingt die geistige und soziale Verfassung des den künstlerischen Konsum fristenden Publikums Abhängigkeiten des Künstlers, die leiclit für die Kunst selbst richtungsweisend werden. Die Untersuchung über die Klassenherkunft der Künstler führt zu interessanten Ergebnissen, wenn auch schwerlich zu einer einheitlichen Gesetzmäßigkeit. Die Literaturgeschichte zeigt, daß der fruchtbarste Nährboden künstlerischen Dranges die Existenzerschütterung ist, die Angehörige einer „höheren" Schicht hinabstößt. So ist z. B. auch der echteste und stärkste deutsche Proletarierdichter unsrer Zeit, Alfons Petzold, der Wiener, zwar ein Arbeiter des niedersten Daseins, ein Handlanger und Tagelöhner gewesen, er stammt aber aus einer behaglich lebenden Privatbeamtenfamilie, die die Kinderjahre des Dichters sorglos gestaltete, bis ihn der frühe Tod des Vaters ins soziale Nichts schleuderte. Umgekehrt sehen wir, wie ein wirklicher Abkömmling tiefster Proletarierschichten, Friedrich Hebbel, reiner Kunstaristokrat, trotz allem Philisterhaß bürgerlich ist. Endlich ist auch die Frage einer „Parteikunst" ein ernsthaftes Problem, deren Möglichkeit, ja deren grundsätzliche Forderung ich seit jeher verteidigt habe. So schreib ich etwa nach den 128
Kunstdebatten auf dem Gothaer Parteitag 1896: „In Wahrheit ist es Aberglaube, daß Parteikunst das Ende der Kunst sei. Dieser Aberglaube, allezeit gehätschelt von den Müßiggängern der Kultur, der entwicklungsflüchtigen Romantiker, den Armen im Geiste und den Schwachen am Fleisch, ist das stärkste Hemmnis der Entwicklung echter Volkskunst. Gewiß, eine königlichsächsische konservative Hofratsparteikunst ist ein Unding. Auch die Programme von Plötz, Liebermann, Paasche und Eugen Richter lassen sich . . . poetisch nicht ausmünzen. Wo aber eine große Kulturbewegung sich in einer Partei kristallisiert, und die moderne Form jeder Kulturbewegung ist die Partei, da muß auch die Kunst Parteikunst sein. Hier ist die Partei nicht ein ablösbares Etikett, sondern die Essenz jedes fortschreitenden Geistes. Der Dichter, der in der Kulturbewegung steht, kann nichts andres sein als Parteimann, er ist als solcher nicht schon Künstler, aber ist noch weniger ein Künstler universalen Stils, wenn das Parteiblut nicht in ihm pulsiert!" Solche Auffassung ist gut marxistisch, das bestätigt Karl Marx selbst, der in einem an Freiligrath gerichteten Briefe den gleichen Gedanken ausspricht. Als sich Freiligrath 1860 während der Karl-Vogt-Händel gegen die Behauptung seiner kommunistischen Parteizugehörigkeit sträubte, erinnerte Marx den Dichter, wie in dem vor einem Jahre von Franz Mehring veröffentlichten Briefwechsel zu lesen ist, zuerst ärgerlich daran, daß er wenigstens zweihundert Briefe von Freiligrath besitze, „worin hinlängliches Material, um nötigenfalls Dein Verhältnis zu mir und zur Partei zu konstatieren". Freiligrath antwortete, er sei dem Banner der Arbeiterklasse stets treu geblieben. Aber sein Verhältnis sei lose und bald gelöst gewesen: „Meiner und der Natur jedes Poeten tut die Freiheit not! Auch die Partei ist ein Käfig, und es singt sich, selbst für die Partei, besser draus als drin. Ich bin Dichter des Proletariats und der Revolution gewesen, lange bevor ich Mitglied des Bundes und Mitglied der Redaktion der Neuen Rheinischen Zeitung war!" Marx antwortete nun versöhnlich, und mit einem Wort das Mißverständnis beseitigend. Er habe unter Partei nicht einen seit acht Jahren verstorbenen Bund oder eine seit zwölf Jahren aufgelöste Zeitungsredaktion verstanden. „Unter Partei verstand ich die Partei im großen historischen Sinn." In diesem Sinne muß allerdings auch „Parteikunst" sein. Indessen weder durch den Nachweis sozialer Abhängigkeiten und Zusammenhänge noch durch die Rechtfertigung und Forderung 129
einer Parteikunst ist die Kunst und der Künstler erklärt; Kunst und Künstler sind damit so wenig begriffen, daß sie nicht einmal gesehen sind. Es ist immer nützlich, sobald es sich um Streitfragen geschichtsmaterialistischer Anwendungen handelt, zum Schöpfer selbst zu gehen. Karl Marx hat seine Geschichtstheorie in seinen Werken und seinem Wirken angewandt, aber er hat die Methode selbst niemals systematisch dargestellt. Zwar hat er, als er die Kritik der politischen Ökonomie begann, ursprünglich beabsichtigt, ihr eine systematische Darstellung seiner Geschichtslehre vorauszuschicken. Aber die Arbeit blieb als Fragment und Skizze liegen; denn es widerstrebte ihm, eine Geschichtsauffassung, die ja erst sich aus der Summe der weltgeschichtlichen Erfahrungen ergeben sollte, der geschichtlichen Darstellung selbst vorauszunehmen, das hätte den Verdacht erwecken müssen, daß seine Geschichtsauffassung zwar die Ideologie Hegels umgestülpt habe, aber nichtsdestoweniger Ideologie geblieben sei. So sollte das System seiner Geschichtsauffassung der Epilog seines Werkes werden, die letzte Zusammenfassung seines ganzen Schaffens. Es kam nicht dazu, die Umstände seines Daseins und der allzufrühe Tod hinderten die Vollendung. So wird von Marx seine Geschichtsmethode immer nur in zerstreuten Bemerkungen gestreift, niemals wissenschaftlich erschöpft. Um den beiläufigen und knappen Bemerkungen gleichwohl anschaulich überzeugende Kraft zu geben, wählt er gern sinnlich kräftige Bilder und Vergleiche, die seinen Gedanken erhellen. Damit aber entstanden auch seine schillernden Unklarheiten und jene Mißverständnisse, die die zumeist armseligen Einwürfe der Gegner und die oft unglücklichen Anwendungsversuche der Freunde hervorriefen. Gerade über die Anwendung seiner Geschichtsauffassung auf die Kunst hat sich glücklicherweise Marx mit so zwingender Klarheit und so durchsichtiger Einfachheit ausgesprochen, daß man hier wenigstens vor allen mißbräuchlichen Auslegungen und Ausführungen sicher sein sollte. Marx war viel zu sehr selbst Künstler und zugleich philosophisch zu tief durchgebildet, als daß er jemals jener Methode der Kunstauffassung hätte verfallen können, die nicht selten heute in seinem Namen versucht wird. Wenn der junge Student Marx seiner „teuren ewig geliebten Jenny v. Westphalen" ein ganzes „Buch der Liebe" widmet, so sind die jungen Verse freilich weniger lyrische Kunstwerke als beträchtliche Zeugnisse einer starken leidenschaftlichen und unbeirrbaren Ge130
sinnung. Aber Marx blieb der Vertraute der großen Künstler aller Zeiten und Völker, wie er den bedeutendsten Dichtern seiner Epoche ein verständnisvoller Freund war. Seine Kunstfähigkeit und seine reiche Kunsterfahrung hinderte ihn vor allen theoretischen Verkümmerungen der ästhetischen Welt. Karl Marx teilte das Schicksal mit "allen großen Denkern, daß ihre mißverständlichen, allzu leicht gefügten Formeln die größte Wirkung gehabt haben, daß sie aber unbekannt und unwirksam bleiben, wo die Quellen ihrer Erkenntnis am reinsten und tiefsten fließen. Der Geschichtsmaterialismus von Karl Marx entfaltet sich in seiner Bedeutung am klarsten in jener fragmentarischen Einleitung zur Kritik der politischen Ökonomie aus dem Jahre 1857, die man ebensowenig zitiert, wie man das Vorwort zu derselben Schrift bis zum Überdruß häufig anführt, um die Geschichtslehre von Karl Marx zu kennzeichnen. In jener Einleitung aber äußert sich Marx völlig unzweideutig über das eigentümliche Problem der Kunst. Von der Kunst sei es bekannt, daß bestimmte Blütezeiten keineswegs im Verhältnis zur allgemeinen Entwicklung der Gesellschaft, also auch der materiellen Grundlage, gleichsam des Knochenbaues ihrer Organisation, stehen. Marx skizziert dann gewisse Beziehungen zwischen der Kunst und der materiellen Grundlage der Gesellschaft. In der griechischen Kunst hätten Eisenbahnen, Lokomotiven, elektrische Telegraphen nicht bestehen können. Wo bliebe Jupiter gegen den Blitzableiter, Hermes gegen den Credit mobilier, und was werde aus der Fama neben der Druckerei der Times. „Die griechische Kunst setzt die griechische Mythologie voraus, d. h. die Natur und die gesellschaftliche Form selbst schon in einer unbewußt künstlerischen Weise verarbeitet durch die Volksphantasie. Dies ist ihr Material." Marx wirft die Frage auf, ob Achilles möglich sei mit Pulver und Blei, die Iliade überhaupt mit der Druckerpresse und der Druckmaschine, ob das Singen und Sagen und damit die notwendigen Bedingungen der epischen Poesie nicht verschwinden müßten mit dem Preßbengel. „Aber die Schwierigkeit", fügt Marx hinzu „liegt nicht darin, zu verstehen, daß griechische Kunst und Epos an gewisse gesellschaftliche Entwicklungsformen geknüpft sind. Die Schwierigkeit ist, daß sie für uns noch Kunstgenuß gewähren und in gewisser Beziehung als Norm und unerreichbare Muster gelten." Damit ist in einem klassischen Satz das Eigenrecht der ästhe-
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tischen Probleme und die in sich ruhende Selbständigkeit der Kunst erkannt und gegen alle platten Anfechtungen gesichert. März 1913.
Eduard
Bernstein
Klassenromantik Alle Romantik beruht auf Betrachtung und Behandlung der Dinge unter einem Gesichtswinkel, der von ihnen ein mehr oder weniger unwirkliches Bild gibt. Es braucht nicht erst gesagt zu werden, daß damit kein Werturteil für die Kunst ausgesprochen ist. Die Kunst ist nicht die Sklavin der Wirklichkeit, das künstlerische Schaffen darf die Wirklichkeit gemäß den Zwecken des geplanten Kunstwerks behandeln. Die Wahrheit, die wir von der Kunst fordern, kann sich auf Wahrscheinlichkeit und logische Möglichkeit beschränken. Auf der Grundlage seiner Voraussetzungen soll das Kunstwerk innere Einheit haben, und solche Einheit ist in der Kunst Wahrheit. Aber die Voraussetzungen selbst darf der Künstler nach subjektivem Ermessen bestimmen. Darin gerade unterscheidet sich die Kunst fundamental von der Wissenschaft, die in bezug auf die Voraussetzungen keine Subjektivität duldet. Dies [ist] der vernünftige Sinn des vielgebrauchten Wortes von der Voraussetzungslosigkeit der Wissenschaft. Es trifft nur zu, wenn es den Ausschluß subjektivistischer, auf Wünschen und Wollen beruhender Voraussetzungen bedeutet. In dieser Deutung aber ist es für die Wissenschaft zwingend. Da ihr Ziel ist, nach Maßgabe ihrer Möglichkeiten die Dinge und ihre Zusammenhänge so zu erkennen, wie sie sind, darf sie keinerlei Willkür in der Fundierung ihrer Thesen zulassen und kann sie selbst für die Aufstellung von Hypothesen kein Hinwegsetzen über objektive Feststellungen vertragen. Die Wissenschaft ist auf ihrem Gebiet mit Notwendigkeit Feindin aller Romantik, aller auf das Gefühl sich berufenden Betrachtung. Die Geschichte der Wissenschaften ist ein fortgesetzter Kampf um die Befreiung ihrer Errungenschaften von romantischen Zusätzen. Das gilt für die verschiedenen Zweige der 132
Geschichts- und Sozialwissenschaften genauso wie für jdie Mathematik und die Naturwissenschaften. In der Betrachtung geschichtlicher Vorgänge spielt aber die Romantik noch eine große Rolle. Die materialistische Geschichtstheorie hat ihr Feld eingeengt, aber da sie weder mehr sein will noch mehr sein kann als Methode der Ermittlung der großen geschichtlichen Zusammenhänge und Umwälzungskräfte, läßt sie in bezug auf Auslegung der Einzelerscheinungen dem Bewerten ideologischer Faktoren noch soviel Spielraum, daß selbst ihre sonst richtige Anwendung keine Gewähr gegen Mißgriffe in der Wertung geistiger Vorgänge bietet. Es fehlt vielmehr nicht an Beispielen, wo sie selbst zur Folie für romantische Verbrämungen in Anspruch genommen wurde. Es gibt Romantik verschiedenster Art. Das Wort, das ursprünglich für die historisch gefühlsmäßige Bewertung vergangener Zeitalter in Gebrauch kam, trifft auf alles unkritische Schwärmen in die Ferne zu, also u. a. auch auf die geographischen und ethnologischen Verhimmelungen. Geographischer Romantiker war z. B. unser Ferdinand Freiligrath in seiner ersten Schaffensperiode, und dem Dichter konnte man es am ehesten nachsehen, wenn ihn die Sehnsucht, aus der Kleinlichkeit der heimischen Verhältnisse herauszukommen, die Welt Afrikas oder die unerschlossenen Gebiete der Neuen Welt in verklärtem Licht erscheinen ließ. Gegenüber dem romantischen Schielen nach dem Mittelalter war das immerhin ein Fortschritt. Viel weniger als im Gewand historischer Romantik konnten sich im Gewand der geographischen und ethnologischen Romantik politische Reaktionstendenzen einschleichen. In der Regel war sie die Zuflucht ungereiften oder durch äußere Zwangsmittel an rationeller Betätigung gehemmten Freiheitsdranges. Romantik war es auch, als im 18. Jahrhundert gewisse Kreise der Aristokratie und der Schriftstellerwelt der Städte plötzlich sich für die Landbevölkerung zu begeistern anfingen. Diese Schwärmerei, der Rousseau den beredtesten Ausdruck lieh, hatte bei den wenigsten etwas mit Interesse für die Leiden des Landvolkes gemein, die von ernsthaften Ökonomen und Gesellschaftskritikern — man denke an Bauban, die Physiokraten, Labruyere — festgestellt worden waren. Man beneidete in diesen Kreisen vielmehr das Landvolk. Weil es gewisse Auswüchse und Raffinements des städtischen Lebens nicht kannte, dichtete man ihm eine Sittenreinheit an, die seinen Lebensbedingungen ganz und gar nicht ent133
sprach, und weil es von bestimmten Sorgen des Städters nichts wußte, stellte man sich sein Leben als eine Art Idylle vor. Allenfalls begönnerte man einzelne, oder man entwarf Utopien. Die Utopie ist überhaupt der Romantik wesensverwandt. Sie kann, wie diese, im praktischen Leben Deckmantel oder Köder für reaktionäre Zwecke werden und ist mit sozialpolitischer Untätigkeit bequem vereinbar. Denn gerade in Hinblick auf sie paßt Lessings Wort, daß Andächtig schwärmen leichter als gut handeln ist. Was im 18. Jahrhundert der Bauer war, wurde im 19. Jahrhundert der Proletarier der Städte. Auch er fand seine Romantiker. Zu beneiden war bei ihm freilich nichts, seine physische Abrackerung, die Erbärmlichkeit seiner Lebensbedingungen lagen offen zutage. Die romantische Literatur und die Poesie des Sozialismus kannten lange Zeit nur den elenden Proletarier. Typisch ist hierfür Pierre Duponts Mal vêtus, logés dans les trous, Sous les combles, dans les décombres, Nous vivons avec les hiboux Et les larrons, amis des ombres. 1 Nur allmählich kommt der Proletarier auch als Kämpfer zu seinem Recht. Aber in der Dichtung, wie sonst in der Literatur, ist er zunächst noch der stets betrogene Kämpfer. Die Proletarier sind die Bienen der Revolution, bei denen es, wie bei den Bienen des römischen Dichters, heißt: „sie vos non vobis mellificatis apes." Noch jedesmal, wenn unser Blut In Strömen durch die Welt geflossen, Sah'n wir die Saat der Fürstenbrut, Durch unsern Tau befruchtet sprossen, singt Pierre Dupont in dem oben zitierten Lied. Die Begriffe arm, niederes Volk und Proletarier laufen noch durcheinander. Das Proletariat, soviel von ihm in den Schriften 1 Strodtmann, manchmal fast noch kraftvollerer Verdeutscher als Freiligrath, hat diese Stelle ganz außergewöhnlich schwach übersetzt. E s sei mir daher eine Korrektur seiner Übersetzung gestattet : Das Dachgeschoß ist für uns gut, In Löchern, wo der Schutt geblieben, Sind Nachbarn wir der Eulenbrut, Schlafbrüder von lichtscheuen Dieben. 134
der Saint-Simonisten die Rede ist, ist noch nicht als eigene Klasse mit eigenen Zielen begrifflich abgegrenzt, nur in der Bewegung der von Babeuf sich ableitenden revolutionären Kommunisten wird der Kommunismus als die spezifische Doktrin der Proletarier bezeichnet. Erst gegen Ende der dreißiger Jahre des 19. Jahrhunderts beginnt die Herausarbeitung einer Theorie der geschichtlichen Sendung des Proletariats, die dann durch MarxEngels ihre wissenschaftliche Begründung erhält. Es wäre der Mühe wert, das Werden der Auffassung von der Rolle des Proletariats als Träger der Neugeburt der Gesellschaft literarisch genauer zu verfolgen. Bei Marx finden wir sie zuerst 1844 in dem Aufsatz Zur Kritik der Hegeischen Rechtsphilosophie ausgesprochen, wo es hinsichtlich der Befreiung Deutschlands von der niederdrückenden Herrschaft der zeitwidrigen politischen Zustände heißt, sie sei nur noch von einer Revolution zu erwarten, die die ganze bestehende Gesellschaft auflöse, und bedürfe daher einer Klasse, die keinerlei Interesse am Bestehenden wahrzunehmen habe; diese Klasse sei das Proletariat, und die kommende deutsche Revolution — „die Emanzipation des Deutschen" — werde das Erzeugnis einer Bewegung sein, welche zum Kopf die Philosophie und zum Herz das Proletariat habe. Dieser hier noch rein dialektisch entwickelte Gedanke, dem in Deutschland literarisch Lorenz Stein und agitatorisch Weitling und Genossen vorgearbeitet hatten, wurde Gemeingut der radikalen Bewegung jener Tage. Alles, was sich vom Bedientengeist und Kleinmut der breiten Masse des Bürgertums angewidert fühlte, griff ihn begierig auf. Er ward zu einem wahren Kultus erweitert, der aber mehr dem Begriff des Proletariats als seiner Wirklichkeit galt. Was von wirklichem Proletariat existierte, war noch viel zu unentwickelt, um dem Bild zu entsprechen, das man sich auf Grund der Theorie von ihm machte. Für das letztere fand Freiligrath 1847 in seinem wuchtigen Von unten auf die entsprechende Devise. Wir sind die Kraft, wir hämmern jung das alte morsche Ding, den Staat, Die wir von Gottes Zorne sind bis jetzt das Proletariat. Als es aber zum Hämmern kam, zeigte es sich, daß das Proletariat diese Kraft noch nicht war. Die Vorstellungen, die man sich von ihm gemacht hatte, waren Romantik gewesen. Ein Stück davon hatte sogar die Verfasser des Kommunistischen Manifests beherrscht. Auch Marx [und] Engels hatten im Geist 135
das Proletariat schneller zur Herrschaftsfähigkeit heranreifen sehen, als es ihm in Wirklichkeit beschieden war, und zu Zeitereignissen im Licht dieser Auffassung Stellung genommen. Unter dem Eindruck der Erfahrungen der Jahre 1848/49 aber gab Marx dieser Romantik in der berühmten Ansprache an die Fraktion Schapper-Willich des Kommunistenbundes den Abschied: „Während wir den Arbeitern sagen: Ihr habt 15, 20, 50 Jahre Volkskämpfe und Bürgerkriege durchzumachen, nicht nur um die Verhältnisse zu ändern, sondern um euch selbst zu ändern und zur politischen Herrschaft zu befähigen, sagt ihr im Gegenteil: Wir müssen gleich zur Herrschaft kommen oder wir können uns schlafen legen . . . Wie von den Demokraten das Wort Volk zu einem heiligen Wesen gemacht wird, so von euch das Wort Proletariat . . . " Drastischer noch als hier kommt die Erkenntnis von dem Unterschied zwischen dem Proletariat, wie es zur Zeit war und wie es zu werden bestimmt sei, in Briefen von Marx aus den fünfziger Jahren zum Ausdruck. Fast ganz frei von romantischer Beurteilung des Proletariats zeigt sich in seinen Briefen und Schriften Ferdinand Lassalle. E r unterstellt den Arbeitern nirgends sittliche Tugenden und geistige Fähigkeiten, die über das in dieser Hinsicht Vorhandene hinausgehen. Sein Arbeiterprogramm ist ein glänzendes Muster dafür, wie man realistische Behandlung der Wirklichkeit mit einer zur höchsten Begeisterung hinreißenden Schilderung dessen, was werden soll und erstrebt werden muß, einheitlich verbinden kann, wie man Idealist sein kann, ohne in Romantik zu verfallen. Heute ist die Entwicklung der kapitalistischen Wirtschaft und der Arbeiterklasse zu einer Höhe gediehen, daß vieles Realität geworden ist, was vor fünfzig und sechzig Jahren nur romantischer Betrachtung als wirklich oder der Wirklichkeit nahe erscheinen konnte. Heute ist in allen vorgeschrittenen Ländern europäischer K u l t u r die Arbeiterklasse ein sozialer Machtfaktor ersten Ranges. Heute hat sie als Partei eine hohe Stufe politischer Reife erreicht, birgt sie einen bedeutenden Prozentsatz in bezug auf soziales Verständnis hochstehender Elemente in sich und ist sie durch ihre Organisationen und ihr Streben zur sozialen Macht ein Kulturfaktor von größter Bedeutung geworden. W a s man auch in Deutschland, England, Frankreich sonst etwa v o m Eintritt der Herrschaft der Arbeiterklasse fürchten mag, für die seinerzeit u. a. von Heinrich Heine geäußerte Furcht, daß die Arbeiterklasse als 136
herrschende Macht an wertvollen Gütern der Kultur sich vergreifen würde, existiert hier keine Berechtigung mehr. Das kann man meines Erachtens aussprechen, ohne sich den begründeten Vorwurf zuzuziehen, man ergehe sich in bezug auf das Proletariat in romantischen Einbildungen, man treibe — um es in einem Wort zusammenzufassen — P r o l e t a r i a t s r o m a n t i k . E s gibt aber Leute, die in bezug auf Einschätzung der geistigen Höhe des Proletariats sehr viel weitergehen. Leute, die dem Proletariat als Klasse nicht nur mit dem Verständnis für die fundamentalen Bedingungen der sozialen Entwicklung Verständnis für Kulturwerte im allgemeinen zuerkannt wissen wollen, sondern ihm auch ein besonderes Kunstverständnis zusprechen, das höherer Art sei als das Kunstverständnis anderer Gesellschaftselemente. Leute, die von einer besonderen proletarischen oder sozialistischen Kunst reden, welche nicht etwa nur dem Gegenstand, sondern auch dem Wesen nach ganz anders sein werde als alle bisherige Kunst. Kurz Leute, die in der Tendenz einen Maßstab für die Kunst anerkannt wissen wollen. In diesem Sinn hat sich vor etwas über anderthalb Jahren im Feuilleton des Berliner Vorwärts ein Mitarbeiter ausgesprochen, der dort unter dem Kampfnamen Heinz Sperber schreibt. Der Aufsatz hat damals sofort Widerspruch hervorgerufen und ist dann Ausgangspunkt eines ziemlich unerbaulichen Redaktionsstreites geworden, der neuerdings wieder zur Sprache gebracht worden ist und, obwohl für die Sache selbst von keinerlei Belang, dadurch zu einer neuen Erörterung des Themas Anstoß gegeben hat. Ein gröberes Verkennen des Wesens und der Aufgaben der Kunst, als es Heinz Sperber in jenem Artikel zum Ausdruck brachte, ist kaum denkbar. Man wird bei seiner Lektüre an den berüchtigten Ausspruch erinnert, den tendenziöse Überlieferung dem Zerstörer des Restes der alexandrinischen Bibliothek in den Mund gelegt hat. Kunst und Tendenz sind grundsätzlich einander durchaus wesensfremde Kategorien. Das Wesentliche der Kunst ist Beherrschung des geistigen oder materiellen Stoffes, das Wesentliche der Tendenz Beschränkung dieser Herrschaft. Dieser Unterschied schließt nicht aus, daß Tendenz und Kunst sich zur Erzeugung großer Kunstwerke vereinen können. Die Tendenz kann der Kunst Stoffe der Bearbeitung liefern, sie kann auch zu Kunstleistungen begeistern und hat das oft in großartigster Weise getan. Aber niemals kann die Tendenz einer Arbeit Kunstwert verleihen, be12
Bürgel, Tendenzkunst
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ziehungsweise den Kunstwert bestimmen. Die erhabenste Tendenz schließt nicht aus, daß ein ihr gewidmetes Erzeugnis unkünstlerisch oder selbst stümperhaft bleibt. Dagegen vermag die Kunst selbst Gegenstände minderwertiger Tendenz zu veredeln. In der bildenden Kunst leuchtet das ohneweiters ein. Die Zwecke, denen die Tempel Griechenlands oder die Dome des Mittelalters gewidmet waren, stehen in der Geistesgeschichte nicht sehr hoch und waren in Einzelfällen sogar recht niedrige. Aber wer wird darum bestimmten Erzeugnissen der griechischen Architektur und der Gotik ihren hohen Kunstwert streitig machen wollen! Unter den herrlichsten Erzeugnissen der Bildhauerkunst befinden sich solche, die dem Andenken unbedeutender und selbst verächtlicher Despoten bestimmt waren. Ihr Kunstwerk wird dadurch nicht geringer, sowenig der Kunstwert der Madonnenbilder Raffaels durch die heutige Einschätzung des Madonnenkultus berührt wird. Nicht anders steht es aber mit der Dichtkunst, auf die Heinz Sperber speziell exemplifiziert. Die Beispiele, die er als Zeugnisse für seine These vorführt, sind so unglücklich wie nur möglich gewählt. Shakespeares Dramen sollen uns kaltlassen, weil er höfischer Tendenzdichter war und Kämpfe behandelt, deren Art und Ziel unserem heutigen Empfinden widersprechen. Tatsächlich aber steht Shakespeare als Dichter gerade deshalb so überaus hoch, weil er selbst in seinen von der Tendenz beeinflußten Dramen — einige wenige Königsdramen ausgenommen — über diese spezifische Tendenz hinauswächst und in die Kämpfe oder Konflikte, von denen sie handeln, Seelenregungen hineinträgt, für die die Formen und Ziele jener Kämpfe nur ganz beiläufige Bedeutung haben. Wäre sein Richard I I I . nur Tendenzstück, so würde er ebenso vergessen sein wie unzählige Tendenzstücke von Zeitgenossen Skakespeares oder späterer Tendenzdramatiker. Er lebt aber und wird fortleben, weil die Seelenanalyse in diesem Drama von einer bewundernswerten Kraft und Tiefe ist, weil hier auf Tritt und Schritt der dichterische Genius das allgemein Menschheitliche über die spezifische Tendenz von Zeit und Ort siegen, uns diese ganz und gar vergessen läßt. So stark wirkte in Shakespeare das künstlerische Empfinden, daß er dem von ihm als Bösewicht hingestellten Richard als letzte Gründe seines Handelns Motive verleiht und ihn geistige Eigenschaften an den Tag legen läßt, die uns in den Stand setzen, für ihn mehr Interesse zu empfinden als für seinen tugendhaften Besieger Richmond. 138
Genauso wie er den Claudius im Hamlet, die Lady Macbeth in Macbeth, denShylock im Kaufmann von Venedig und viele andere seiner Böses tuenden oder erstrebenden Personen mit Zügen ausstattet, in denen eine Art Größe steckt. Nun würden freilich die meisten Dramen Shakespeares trotz unauslöschlicher Schönheiten uns als Produkte eines Dichters unserer Tage abgeschmackt erscheinen. Aber dies keineswegs nur, weil unsere Zeit um andere Dinge kämpft und in anderen Formen kämpft, als es zu Shakespeares Zeit geschah oder als naturgemäß angesehen wurden. Der entscheidende Grund ist, daß wir vom Dichterwerk Unmittelbarkeit des Empfindens verlangen, die Empfindungen Skakespeares aber zu einem großen Teil heute nur noch durch Reflexion zu erzeugen sind. Ein Drama, dessen Geist nicht in intimem Zusammenhang mit dem Geist der Epoche steht, in der es entstanden ist, das nicht in diesem Sinn Naivität hat, wird nie in die Reihe der unsterblichen Dichterwerke einrücken. Um aber bei der Frage Tendenz und Kunst zu bleiben, so ist schon aus dem oben Gesagten ersichtlich, daß mir nichts ferner liegt als die Behauptung, die Kunst vertrage keine Tendenz. So absolut hingestellt wäre sie der größte Widersinn. Aber es gibt Tendenz und Tendenz. Tendenz im großen ethischen Sinn, „Tendenz", die umfassende Strebungen, erhabene Gedanken oder von Rechtsvorstellungen getragene Ziele zum Ausdruck bringt, haben die bedeutendsten Dichterwerke. Alle ins Kleinliche, ins Besondere gehende Tendenz dagegen ist Gift für die Kunst, wobei es ganz gleich ist, ob es sich etwa um Verherrlichung von dynastischen Interessen oder von Parteiinteressen handelt. Stets ist mit solcher Tendenz die Verführung verbunden, ins Deduzieren oder Dozieren zu verfallen, wobei es mit dem freien künstlerischen Gestalten zu Ende ist. Nur mit diesem Vorbehalt hatte Herwegh recht, als er gegen Freiligraths Der Dichter steht auf einer höhern Warte Als auf der Zinne der Partei Protest einlegte. Das Schicksal seiner Muse kann als Beispiel für die Grenzen der von der Parteitendenz bestimmten Dichtkunst dienen. Sie zeigte unübertroffene Kraft in den Gedichten, die zum Kampf für die politische und soziale Befreiung begeistern sollten, aber darüber hinaus verarmte sie ziemlich schnell. Sie ist fruchtbare Schöpferin von Bildern, aber nur dürftig im Gestalten. Allerdings haben Temperamenteigenschaften Herweghs auch damit zu tun, indes bleibt es doch für den Parteidichter charakte12*
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ristisch, daß er sich in L y r i k und gelegentlicher Satire erschöpfte. Die Partei kann dem Künstler Stoff und Motive liefern, sie kann auch durch die Größe ihrer Ideen und Ziele dichterisches Empfinden erwecken und fördern, aber sie ist nicht das Tribunal, das über den künstlerischen Wert einer Schöpfung endgültig zu entscheiden hat. Die Gesetze der Kunst stehen außerhalb aller Partei. Was aber die Partei nicht kann, kann auch die Klasse nicht. Die Idee, daß das soziale Emporsteigen der Arbeiterklasse eine neue Ä r a der Kunst bringen werde, hat für bestimmte Zweige der bildenden K u n s t — so namentlich für die Architektur — die größte Wahrscheinlichkeit. Ob aber .auch für die dichtende Kunst, scheint mir sehr fraglich. Ich will hier gar nicht von dem puritanischen Zug reden, der in der modernen Arbeiterbewegung immer stärker Boden gewinnt. Verhängnisvoller für unsere Frage scheint mir der ausgeprägte Rationalismus und Objektivismus der sozialistischen Arbeiterbewegung Das Element des Dramas ist der seelische Konflikt. Für seine These, daß die bisherige Dramatik, ob es sich um die Griechen, um einen Shakespeare oder Goethe handle, für uns ausgespielt habe, stützt sich Heinz Sperber auf die Behauptung, daß die herkömmlichen Begriffe von Ehre, Mut, Vaterland, Tugend, Religion, Liebe, häuslichem Herd usw. für uns nicht mehr existieren und auf sie begründete dramatische Vorgänge daher auf uns keinen Eindruck machen könnten. Darin liegt nun eine große — man darf wohl sagen, absurde — Übertreibung. Es hat nur Berechtigung für Dramen, die im Äußerlichen bleiben. Ist aber der Konflikt innerlich vertieft, ein wirklicher Seelenkampf, dann hängt die Wirkung auf unser Gemüt nicht davon ab, wie wir über den Vorgang denken, der ihm zugrunde liegt, sondern wie dieser Vorgang in der Welt aufgefaßt wird, in der das Drama spielt. Die Seelennöte Gretchens im Faust ergreifen uns, auch wenn für uns Gretchen sich nicht durch die geschlechtliche Hingabe an Faust entehrt hat — sie werden uns dann vielmehr nur um so mehr ergreifen. Aber — Gretchens Konflikt ist für das moderne sozialistische Denken kein Konflikt, dieses letztere kann ihm keine höhere Dramatik geben, als Goethe es aus allgemein humanitärem Empfinden heraus getan hat. Der sozialistische Dichter kann nur tun, was Hauptmann in Rose Bemdt getan, nämlich den Konflikt in moderner Form und Um140
gebung zur Anschauung bringen. Aber damit wird das Stück noch nicht sozialistisch. Oder um ein anderes dramatisches Werk der Gegenwart zu nehmen. Was immer sich an Schönherrs Glaube und Heimat mag aussetzen lassen, daß es den Kampf protestantischer Bauern für ihren Glauben behandelt, beeinträchtigt seinen dichterischen Wert und seine dramatische Wirkung nicht im geringsten. Im Gegenteil ist gerade die Szene, in der dieser Kampf um das Evangelium rein zum Ausdruck kommt, die eindrucksvollste des Dramas. Nur ist es kein Konflikt, für dessen wirkungsreiche Gestaltung es von irgendwelcher Bedeutung war, ob ein bürgerlich oder sozialistisch denkender Dichter ihn behandelte. Sehen wir aber von der retrospektiven Dramatik ab und wenden uns den in der Gegenwart spielenden Dramen zu, so werden die Probleme, soweit es sich nicht um Zustände des Arbeiterlebens und Kämpfe der Arbeiter handelt — Stoffe, die wesentlich noch der überlieferten Dramatik angehören und in dem vorausgesetzten sozialistischen Gemeinwesen ebenfalls nur retrospektiv sein würden —, in der Tat immer mehr ins Intellektualistische verschoben, Konflikte des Verstandes und nicht des Gemüts. Unzweifelhaft sind da noch Abtönungen möglich und Verfeinerungen in der Behandlung von Seelenkämpfen. Aber wie nahe für diese „Dramen des Verstandes" das Verfallen ins Geschraubte, wenn nicht Verschrobene liegt, zeigt, meines "Erachtens, u. a. Henrik Ibsen. Ibsens Probleme sind zum wenigsten Menschheitsprobleme. Sie sind zumeist Probleme von Sonderlingen, und das gilt überhaupt von einem großen Teil der in der Gegenwart spielenden Erzeugnisse der modernen Dramatik. In einem etwas anderen Sinne, als Shakespeare das Wort gebraucht hat, kann man von ihnen sagen, daß sie „von des Gedankens Blässe" angekränkelt sind. Jede Form der Dichtung hat ihre Zeit. Es bleibt Sache der Vermutung, welche Aufgaben das Drama der Zukunft zu lösen haben wird. Klar ist jedoch, daß es sich dabei um keine Klassenfrage, sondern um eine Kulturfrage handelt. Ich komme nur wenig ins Theater. Aber wenn es geschieht, interessiert mich heute die Wirkung des auf der Bühne Dargebotenen auf das Publikum nicht minder wie das Dargebotene selbst, und ganz besonders ist dies der Fall bei Aufführungen der Freien Volksbühne. Obwohl aber deren Publikum zur Elite der Arbeiterschaft zählt, habe ich nicht beobachten können, 141
daß es auf Vorgänge in Drama oder Lustspiel irgendwie wesentlich anders reagiert als das Publikum anderer Theater. Diejenigen, die nicht völlig naive Naturen sind, sind in ihrem Urteil weit mehr von der allgemeinen Kultur der Zeit beeinflußt als von einer Kunstanschauung, die man als Erzeugnis ihrer Klassenidee betrachten könnte. Stücke ausgenommen, die den Klassenkampf selbst verherrlichen. Aber diese Stücke sind eben nur dem Inhalt nach Besonderheiten, sie bedeuten keine eigene Kunst. Die Masse der Arbeiter empfindet im Theater melodramatisch. Von dem Proletariat als Klasse eine neue Dramatik erwarten ist daher nichts als Romantik. Seine Stärke wie seine Aufgaben liegen auf anderen Gebieten. Solange die Arbeiterklasse entbehrt und kämpft, fehlt ihr zu voller Hingabe an die Kunst die Beschaulichkeit, und wenn sie nicht mehr zu kämpfen haben wird, wird sie aufgehört haben, Proletariat zu sein, wird sie das Erbe einer überlieferten Kultur angetreten haben.
Rudolf Franz [Auszug aus] Theater und Volk Wenn wir bei dem Drange des Proletariats zur Kunst bemerken, daß es doch nur erst wenige sind, die ein nicht bloß naives Verhältnis zu ästhetischen Fragen haben, so braucht uns das aus einem doppelten Grund nicht bedenklich zu machen. Einmal im Hinblick auf die Kürze der Frist, die dem proletarischen Bildungseifer bisher gegeben war, um sich die Geistesschätze anzueignen, die so lange nur den besitzenden Klassen vorbehalten waren. Dann aber lehrt uns ein Blick auf diese besitzenden Klassen selber, daß ja auch hier die Kunstverständigen überaus dünn gesät sind, beschämend und verzweifelt dünn, wenn man die Länge der ästhetischen Tradition bedenkt. Hier hat eben die verwilderte Gesellschaftsordnung ihre tiefsten Spuren hinterlassen an denen, die da meinten, für sich die Annehmlichkeiten und Vorzüge dieser Pseudo-Ordnung reserviert und gerettet zu haben. Wir sehen es an dem gerade von bürgerlicher Seiter immer wieder betonten und bejammerten Niedergang des Kunstlebens und besonders des Theaters, daß hier nicht etwas, sondern alles faul ist. Die Kunst 142
ist eine Ware und muß in der Gesellschaftsverfassung, die wir die kapitalistische nennen, eine Ware sein, schon weil sie um des Erwerbs willen ausgeübt wird und deshalb also nicht umsonst zu haben ist. Es ist für uns selbstverständlich, daß dieser Klassencharakter der Kunst sich auch den einzelnen Kunstwerken aufprägen muß. Gleichwohl bestreiten das dieselben Leute, die über den Niedergang der Kunst zu klagen pflegen, und sie müssen es bestreiten, denn die Kunst ist ihnen ja etwas „über den Parteien" Stehendes, und Klassengegensätze gibt es ja, bei Lichte besehen, eigentlich überhaupt nicht. Die Schwierigkeit des ästhetischen Urteils stellt Goethe in seinen Anmerkungen zu demDiderotschen Dialog Rameaus Neffe einmal fest: „Das Publikum, im ganzen genommen, ist nicht fähig, irgendein Talent zu beurteilen; denn die Grundsätze, wonach es geschehen kann, werden nicht mit uns geboren, der Zufall überliefert sie nicht, durch Übung und Studium allein können wir dazu gelangen; aber sittliche Handlungen zu beurteilen, dazu gibt jedem sein eigenes Gewissen den vollständigsten Maßstab, und jeder findet es behaglich, diesen nicht an sich selbst, sondern an einem andern anzulegen." So ist es denn auch niemals der ästhetische Wert, der den Erfolg oder Mißerfolg eines Stückes entscheidet, sondern immer das, was Kant das Interesse nennt. Solange ein Kunstwerk dem Interesse der Schichten, die es zu beurteilen haben, nicht entspricht, kann es auch nicht durchdringen. Die unausgesprochenen und vielleicht unaussprechlichen Gesetze der Ästhetik haben an sich mit dem Klassenkampf so wenig zu tun wie das Einmaleins. So wie es eine reine Mathematik gibt, gibt es auch eine reine Ästhetik. Nämlich als Theorie, in der Theorie. Aber es ist kein Fall denkbar, wo die Kunst, das ist die angewandte Ästhetik, völlig rein, besonders völlig von gesellschaftlichen Beziehungen frei wäre. Als gesellschaftliches Produkt muß sie stets die Spuren der gesellschaftlichen Verhältnisse tragen, und nicht nur das, sondern sie muß von ihnen bestimmenden Einfluß erleiden. Das Korrelat dieses Einflusses ist jenes Interesse, das letzten Endes immer das Urteil der Menge bestimmt. Das stärkste Interesse, wiewohl ein unbewußtes, ist der Klasseninstinkt. J a gerade weil er ein unbewußtes Interesse darzustellen pflegt, wirkt er mit größerer Macht als jedes soviel primitivere und auch soviel leichter zu durchschauende persönliche Interesse. Wenn wir das Kunstwerk mit der Methode des dialektischen Materialismus untersuchen, so er143
heben wir nur das Klasseninteresse in unser Bewußtsein und untersuchen lediglich die Ursachen der Tendenz des Kunstwerks und seiner Wirkung auf die Masse des Publikums. Diese Ursachen liegen aber, wie gesagt, meist völlig außerhalb des Ästhetischen. (Höchstens verlangt ein routiniertes Publikum ein gewisses Maß zeitgenössischer Technik und nimmt an veralteten, gar zu derben Mitteln Anstoß.) Und zwar ist das Ästhetische für den Erfolg bei der Menge so wenig bestimmend, daß unter Umständen die größten Kunstwerke vergangener Epochen selbst auf ein ernsthaft gestimmtes und zu tragischer Erschütterung geneigtes Publikum gar keinen, hingegen mittelmäßige oder selbst ganz schlechte Stücke, die an ein starkes Klassenempfinden appellieren, den allerstürmischsten Erfolg haben. Es muß nach dem Gesagten einleuchten, daß eine proletarische Ästhetik ein Unding ist. Um ein Kunstwerk im proletarischen Sinne zu schaffen, bedarf es nicht erst neuer Elemente der Ästhetik, nicht einmal neuer technischer Mittel. Im Gegenteil. Bürgerliche sogenannte Kunstrevolutionäre wälzen die Technik um — und bleiben bürgerlich. Man denke an die Technik des Naturalismus besonders in Lyrik und Drama. Oder an die Malerei der Jüngsten. Eine primitive materialistische Methode könnte versucht sein, etwa eine so auffällige Erscheinung wie das Alleingespräch im Drama und besonders seine große Rolle im klassischen bürgerlichen Drama mit der individualistischen Weltanschauung in Beziehung zu setzen. Aber ein so maßloser Individualist wie Wagner hat gerade die Arie aufgegeben, hat in seinen späteren Werken fast jedes Alleingespräch vermieden und lieber noch zur Pantomime gegriffen. Zu schweigen von Ibsen und gar nicht zu gedenken des antiken Dramas, das vom Vortrag des einzelnen Schauspielers an .den Chor zum reinen Monolog gelangte und auf ihm ruhte. Mit alledem ist natürlich nicht gesagt, daß die Technik etwas vom Zufall Abhängiges wäre. Aber die Gesetze ihrer Wandlung und des Einflusses, den sie von der gesellschaftlichen Entwicklung erfährt, liegen nicht eben zutage, können nur auf Grund von Untersuchungen erkannt werden, die noch nicht angestellt wurden. Insbesondere wird die soziale Stellung des Schauspielerstandes jederzeit auf die dramatische Technik vom stärksten Einfluß gewesen sein. Um bei einem angeführten Exempel zu bleiben, so hat Wagners radikale Beseitigung der Arie das Vordringen seines Werkes lange aufgehalten, weil dem allmächtigen Virtuosentum mit diesem Verzicht auf Glanznummern nicht gedient war.
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D a ß aber Wagner diese Art Glanznummern eliminierte, hatte wiederum seinen Grund in den Auswüchsen des Virtuosentums, die er so gründlich kennengelernt hatte. Dies E x t r e m erreichte just in Wagners Kapellmeisterzeit seinen absurden Gipfel, und so schlug es bei ihm ins Gegenteil um. Grundlage jener Blüte des Virtuosentums war aber die gesellschaftliche Struktur in den Jahrzehnten der Reaktion. Andere Momente kamen natürlich hinzu, um jene technische Umwälzung zu bewirken. Damit soll nicht behauptet werden, daß die Klassentendenzen ganz ohne Einfluß auch auf das Ästhetische bleiben. Gerade in der Frage des Dramas haben wir einen drastischen Beweis. Lessing bekämpfte das Märtyrertum als etwas der Tragödie und ihrem Wesen Entgegenstehendes. Indem Wagner seine Helden und noch mehr seine Heldinnen stark ins Märtyrerhafte verzerrte, offenbarte er sich nicht bloß dem Kern seines Schaffens und Wollens nach als Kleinbürger des 19. Jahrhunderts, sondern er drückte auch das tragische Niveau seiner Dramen beträchtlich herab. Man könnte dagegen höchstens einwenden, zwischen Tragödie und „Musiktragödie" sei ein großer Unterschied, womit aber lediglich Wagners gewichtige Prätensionen' zurückgewiesen wären. Inzwischen versteht sich, daß es noch lange keine rein „proletarische Ästhetik" ist, wenn man diesen schwächlichen Zug des Dramatikers Wagner vom revolutionär-proletarischen Standpunkt verwirft. Es ist mindestens eine Ästhetik, die allen revolutionären Klassen und Zeiten eigentümlich war. Nun lieben es die bürgerlichen Gegner, uns, wenn wir mit dem historischen Materialismus an das Kunstwerk herantreten, als „Ästhetiker der schwieligen F a u s t " zu verspotten. Und in der T a t ist da in unseren Reihen einiges gesündigt worden. Mehr als einmal ist-in einer primitiven Weise der Klasseninstinkt zum Richter über ästhetisches Gut und Böse gemacht worden, und man braucht nur an die peinlichen Entgleisungen des holländischen Dramatikers Heijermans zu erinnern, der ausgerechnet im Vorwärts als „Heinz Sperber" die hanebüchensten Anwürfe gegen die ganze Weltliteratur schleuderte, weil sie nicht sozialdemokratisch ist. Das interessanteste Dokument aber für die Schwierigkeiten, die sich der Gewinnung des ästhetischen Verstandes entgegenstellen, bieten die berühmten Verhandlungen auf dem Sozialdemokratischen Parteitag zu Gotha 1896. Da das Protokoll dieses Parteitages längst vergriffen ist, sind die Debatten, soweit sie sich auf 145
das Thema Kunst und Proletariat erstrecken, dieser Schrift als Anhang beigegeben. Sie verdienen umsomehr in aller Erinnerung zurückgerufen zu werden, als sie in all der lapidaren Naivität, die sie oft auszeichnet, den gewaltigen Fortschritt ermessen lassen, den weite Kreise der Arbeiterschaft auf dem Wege zur Kunst inzwischen denn doch zurückgelegt haben. Denn zwar hatte Mehring gewiß recht, wenn er in der Stellungnahme einiger Redner bei jener Debatte eine gesunde Abneigung gegen die moderne bürgerliche Kunst sah, aber diese Abneigung war doch so sehr nur Instinkt, daß sie sich über ihre eigenen Motive vollständig unklar blieb. Auf dem Wege vom Herzen zum Hirn mengten sich in den natürlichen Instinkt der optimistisch gestimmten Proletarierklasse banausische Erwägungen, und es kam am Ende ein ungeschickter Vorstoß gegen die Kunst überhaupt heraus, statt lediglich gegen ihre kranke, romantisch-pessimistische bürgerliche Erscheinungsform. Es wurde vergessen, daß die so verdächtigte Erziehung zur Kunst doch nicht heißt: Erziehung zur modernen Kunst. Der Parteitag berichtigte denn auch die Entgleisungen einiger Heißsporne, indem er hinter ihre Forderungen weit zurückging. Darin bewährte sich glorreich der historisch bedingte sichere Instinkt einer aufsteigenden Klasse, die sich immer wieder von selbst regeneriert und alle Auswüchse auf das gehörige Maß zurückzuführen weiß. Denselben Gegnern, die uns je zuweilen so ein paar Schreckenskinder in unserer Partei aufmutzen, passieren weit schlimmere Entgleisungen. Man hat das 1913 in mehr als einem Orte erleben können, als das Drama Die im Schatten leben von Emil Rosenow aufgeführt wurde. Statt zu sagen, die Schilderung der Zustände sei ihnen anstößig, statt allenfalls auch zu sagen, sie sei übertrieben, zogen es die bürgerlichen Schriftgelehrten vielfach vor, dem Drama als solchem den Charakter eines Kunstwerkes zu bestreiten. War das schon bedenklich, weil es gar zu deutlich die Absicht merken ließ, so war es doch das gute Recht der Gegner, diese ihre subjektive Meinung über eine ästhetische Frage zu äußern. Aber da es nicht ausblieb, daß sich Polemiken über diese ästhetische Frage entspannen, so verfielen gewisse Leute in ihrer blinden Wut auf den unsinnigen Einfall, die ästhetische Wertlosigkeit des Dramas beweisen zu wollen; und dabei mußten sie sich denn freilich schandbar blamieren. Denn ein solcher Beweis ist unmöglich. „Beweisen" läßt sich alles, und es waren hochgelehrte Zeitgenossen unserer Klassiker, die bündig „bewiesen", 146
daß weder Schiller noch Goethe den Namen des Dichters verdienten. Ebensowenig wie die Wertlosigkeit läßt sich aber der Wert eines Kunstwerkes exakt beweisen. Einer jener RosenowKritiker lieferte bei einem solchen Versuche ein lehrreiches Beispiel des Klasseninstinktes. E r verwies nämlich gegenüber dem Rosenowschen Drama auf das Gedicht Der Arbeitsmann von Dehmel, in dem es heißt: Wir haben ein Bett, wir haben ein Kind, Mein Weib! Wir haben auch Arbeit, und gar zu zweit, Und haben die Sonne und Regen und Wind, Uns fehlt nur eine Kleinigkeit, Um so frei zu sein, wie die Vögel sind, Nur Zeit! Jener Kritiker führte nun folgendes aus, um zu beweisen, daß hier ein Kunstwerk vorliege: „Die Wiederholung des Wortes 'und', der gewissermaßen eifrig zählende R h y t h m u s lassen uns die rührende Sehnsucht nach Zufriedenheit des armen Mannes, die stockenden zwei Worte 'Nur Zeit!' die mit der Aussichtslosigkeit ringende Zuversicht beinahe körperlich fühlen." Es wäre für manchen sogenannten Dichter ein leichtes, mehr als ein Dutzend Gedichte herzustellen, die trotz Anwendung der oben gerühmten Mittel mit der Kunst auch nicht für 5 Pfennig zu tun haben würden. Das Gedicht Dehmels könnte all seine „ U n d " , könnte seinen „gewissermaßen eifrig zählenden R h y t h m u s " und könnte den Refrain „Nur Zeit" genau so haben — es brauchte darum, noch lange kein Kunstwerk zu sein. D a ß es ein Kunstwerk ist, hat ganz andere Gründe. Welche? Nun, wir sind nicht dünkelhaft genug, das Mysterium der Kunst verstandesmäßig erklären zu wollen. Die Kunst wendet sich an das Gefühl, und die Komplexe von Empfindungen, die wir als Gefühl bezeichnen, sind so mannigfaltig und aus so viel tausend Teilchen zusammengesetzt, daß heutiges menschliches Bewußtsein ihnen nicht beizukommen vermag. Nur subjektiv läßt sich die K u n s t empfinden, nur subjektiv auch definieren. Schon K a n t hat. herausgefunden, daß es objektive Bestimmungsgründe des ästhetischen Geschmacks schlechterdings nicht gibt. E s hat also gar keinen Zweck, sich mit irgend jemandem über sein künstlerisches Werturteil zu streiten. Aber aufs schärfste muß jeder anmaßende Kunstrichter zurückgewiesen werden, der da behauptet, den Maßstab zur ästhetischen Wertung nicht bloß
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subjektiv in seinem ästhetischen Gefühl zu haben, sondern ihn auch allgemeingültig, objektiv handhaben zu können. Freilich fallen so anmaßende Gesellen in der Regel bei solchem Versuche von selber herein. So auch der angeführte mit dem Bestreben und dem Vorgehen, jenes Gedicht von Dehmel ästhetisch zu erklären. Denn was hat er in Wirklichkeit erklärt? Nicht die Gründe seines ästhetischen Wohlgefallens, sondern solche seines Interesses, seines Klasseninstinkts. Ohne es zu wollen noch zu wissen, hat er verraten, was ihm im tiefsten Grunde jenes Gedicht sympathisch macht: „die rührende Sehnsucht nach Zufriedenheit des armen Mannes". Also eben das, was für ein starkes proletarisch-revolutionäres Empfinden den Reiz des an sich vortrefflichen Gedichtes mindert, nämlich die Bescheidenheit, das Stille, das „Rührende",— eben das gefällt dem Bourgeois. Daran klammert er sich. Er glaubt, über die Tendenz erhaben den künstlerischen Wert zu preisen, und er preist — die Tendenz. Wie dem Genießenden, so spielt erst recht dem Schaffenden der Klasseninstinkt gern einen Streich. Zwar der echte Künstler adelt auch die Tendenz, sofern er sie nicht gar durch die Form seines Werkes gewissermaßen vertilgt oder doch von der Oberfläche entfernt. Aber im allgemeinen gibt es nirgends so viele gute Menschen und schlechte Musikanten, als unter den Tendenzdichtern und vor allem unter den Dramatikern mit oppositioneller Tendenz. Die Verwechslung der Bühne mit der Rednerbühne liegt zu nahe, da in beiden Fällen unmittelbar vor einem Publikum gesprochen wird; und die Erkenntnis, daß zwischen dem Reden vor einem Publikum und zu einem Publikum ein großer Unterschied ist, diese sehr seltene Erkenntnis wird noch viel seltener praktisch betätigt. Solche Dramatiker lassen dann ihre Personen aus der Rolle fallen, lassen sie zum Publikum sprechen, das doch für den Dramatiker gar nicht zu existieren scheinen muß. überdies ist es schon verwerflich, wenn zwar nicht direkt zum Publikum, aber doch so geredet wird, daß man merkt: die Personen reden nicht, als wenn sie allein wären, nicht als wenn sie sich unbefangen unterhielten, sondern sie reden mit einem inneren Schielen zum Zuschauer hin. Solche Dichter lassen durch ihre Figuren direkt aussprechen, was der echte Künstler dem Hörer aus dem Inhalt der zwanglosen Rede und Gegenrede selber zu entnehmen überläßt. In dieser Mitwirkung des Hörers, in seinem Mitdenken, Mitarbeiten, Mitschaffen liegt zum Teil das Geheimnis des ästhetischen Reizes beschlossen. Gilt das schon für jede Kunstgattung, so 148
noch ganz besonders für das Drama, das ja Leben vortäuschen soll; denn das Leben pflegt nicht den Sinn des Geschehens auszusprechen, den gilt es herauszudeuten, und dabei soll der Dichter seinem Publikum nur so weit entgegenkommen, als nötig ist, damit es eben den Sinn herausdeute, den er gewollt hat. Die Empörung oppositionell gerichteter Künstler gegen irgendwelche Zustände geht leicht mit ihnen durch, veranlaßt sie, Leitartikel statt lebende Menschen zu schaffen. Diese Künstler reden, statt zu bilden. Aber das Wort Goethes gilt just für sie: Bilde, Künstler, rede nicht! Nur ein Hauch sei dein Gedicht! Fälschlich hat man dieses Wort oft so gedeutet, als solle der Künstler auch außerhalb seines künstlerischen Schaffens nicht über seine Kunst und sein Wollen reden. Aber das ist nicht gemeint. Sondern nur innerhalb seines Kunstschaffens soll der Dichter lediglich gestalten, statt zu predigen. Der Bildhauer kann ja auch nicht zu seinem Werke eine Erklärung hinzufügen: dies soll das und das bedeuten. Auch der Maler und der Musiker nicht. Zwar, die moderne Musik hat eine Richtung entwickelt, in der die Komponisten reden, statt zu bilden, in der sie den Verstand an die Stelle des Gefühls setzen und dem Hörer ihr Werk erklären wollen, ja erklären müssen, denn ohne das sagt es weder dem Verstände noch dem Gefühl etwas. Diese Programmkunst ist im Grunde der Bankrott der Kunst überhaupt. Wie nun jenes „Gestalten" oder „Bilden" — statt des „Redens" — genauer aufzufassen ist, das läßt sich nur durch Beispiele zeigen. Der Abstufungen gibt es da zahllose. Nehmen wir Schillers Kabale und Liebe. Der Dichter behandelt scheinbar nur das persönliche Schicksal eines liebenden Paares. Aber wie ist an diesem Paare die ganze Welt des Despotismus lebendig geworden! Ohne daß ein Despot selber, kaum daß einige seiner Werkzeuge dazu aufgeboten werden! Und dennoch wirkt alles nicht bloß tragisch erschütternd, sondern wirkt zugleich mit der Macht einer furchtbaren Anklage, obgleich kaum hie' und da ein Wort der direkten Anklage fällt. Wenn anders man es überhaupt lernen könnte, so ließe sich an diesem Drama lernen, wie ein Tendenzstück zugleich ein Kunstwerk werden kann. Die Rebellion des deutschen Kleinbürgertums gegen den Duodezdespotismus ist in einem sozusagen ganz abseitigen Exempel gestaltet. Man stelle sich vor, wie jener Heinz Sperber, der glücklich abgesägte Quarxist des Vorwärts, seinerseits den Fall behandelt haben würde. Einen Akt 149
Maitressenwirtschaft, einen Akt Soldatenhandel, einen Akt Beamtenwillkür und mindestens zwei Akte unverdautes E r f u r t e r Programm. Bei Schiller erscheint der Fürst überhaupt nicht, die Maitressen nur in einem veredelten Exemplar, der Soldatenhandel beiläufig. Geschweige denn, daß jenes Privatschicksal, um das sich die Tragödie dreht, als ein direkter Ausfluß des Despotismus geschildert würde. Aber just indem des Dichters Instinkt die Mittelglieder, den weitverzweigten Organismus im Hintergrunde zeichnet und nur ein winziges Zweiglein mit aller Lebendigkeit ausmalt, gibt er im Kunstwerk das Spiegelbild der Wirklichkeit und trifft unendlich viel schärfer und tödlicher, als es der berechnenden Tendenz und ihren Mitteln je möglich gewesen wäre. Ja, das Stück ist fast das rebellischste der ganzen deutschen Literatur, obwohl es keinen Rebellen enthält, obwohl die Partei der Unterdrückten nicht eben viel sympathischer gezeichnet ist (wenn man nur auf die Charaktere, nicht auf die Situation sieht) als die der Unterdrücker. So sehr ist es wahr, daß einzig ein künstlerisches Genie imstande ist, die historische Treue zu erzielen, nach der die Theorie des Rechners vergebens strebt. Groß ist die Zahl von Proletariern, die sich heute in Dramen versuchen. Dabei wirkt eine Tradition mit, die durchaus nicht mehr zu Recht besteht und von der Mehring einst im Streite um die Berliner Volksbühne schrieb: „Von vornherein liegt auf der Hand, daß die Schaubühne für die Emanzipation der arbeitenden Klasse niemals auch nur entfernt die gleiche Bedeutung haben kann, wie sie, namentlich in Deutschland, für die Emanzipation der bürgerlichen Klasse gehabt hat. So beschränkt unser Preßund Vereinsrecht, so mangelhaft auch noch das allgemeine Wahlrecht sein mag, so tritt hinter diesen Hebeln des proletarischen Emanzipationskampfes das Theater doch vollständig in den Hintergrund." Aber freilich: „Gerade die hohe Bedeutung, die das Theater für den Emanzipationskampf der bürgerlichen Klasse gehabt hat, wird vorgeschrittene Arbeiterkreise immer außerordentlich anziehen." Bei den proletarischen Dramatikern kommt nun zu dem Irrtum über die Bedeutung des Theaters und zu der Tendenzdichterei noch etwas hinzu. Unsere proletarischen Dichter sind allesamt mit des Gedankens Blässe angekränkelt. Die Wissenschaft, die in der modernen und besonders in der deutschen Arbeiterbewegung eine so großeRolle spielt, wird imKunstwerk leicht verhängnisvoll. 150
Nicht als ob dem Künstler die Wissenschaften fremd bleiben sollten! Im Gegenteil. Der Niedergang der bürgerlichen Kunst und besonders auch des bürgerlichen Dramas steht im engsten Zusammenhang mit der Entfremdung der Gebildeten von den wesentlichen, von den Gesellschaftswissenschaften. Aber die Proletarierdichter verfallen in den entgegengesetzten Fehler. Die Erkenntnis der gesellschaftlichen Entwicklung wird gern zum Ausgangspunkt genommen, um nun Personen und Geschehnisse zusammenzustellen, die unserer Theorie entsprechen. Diese deduktive Methode verführt schon an sich zu übergroßer Deutlichkeit und Zuspitzung, während das Leben nicht gerade so deutlich die Pointen zeigt; kommt aber noch eine leidenschaftliche Tendenz hinzu, so wird das Drama leicht zu einer Sammlung von Flugblättern. Die Gewinnung des ästhetischen Verstandes ist, wie wir gesehen haben, eines der schwierigsten Probleme. Es handelt sich hier um keine Wissenschaft oder Fertigkeit, die sich theoretisch erlernen ließe. Wenn irgendwo, so ist hier die Praxis alles. Es kommt also darauf an, der Arbeiterschaft diese Praxis zu vermitteln, ihr in erster Linie nicht etwa das theoretische Verständnis, sondern vielmehr den Besuch des Theaters und damit das praktische Verständnis zu ermöglichen. Einer heutigen Betrachtung der Möglichkeiten, die sich da ergeben, muß vorausgeschickt werden, was Mehring im 20. Heft des Jahrgangs 1898/99 der Neuen Zeit über die Volksbühnenbewegung äußerte. Die Stelle bildet den Schluß jener Ästhetischen Streifzüge, die Mehring zur Besprechung einiger Literaturwerke unternommen hatte und die sich unter der Hand zu einer grundlegenden Untersuchung des ästhetischen Problems überhaupt auswuchsen. „. . . wenn die absteigende Bürgerklasse keine große Kunst m e h r schaffen kann, so kann die aufsteigende Arbeiterklasse n o c h keine große Kunst schaffen, mag auch immer in den Tiefen ihrer Seele eine heiße Sehnsucht nach der Kunst leben. Zeugnis des sind die Freien Volksbühnen, die immer wieder auftauchen, obgleich die überschwenglichen Illusionen, womit sie einst gegründet wurden, längst an der rauhen Wirklichkeit zerschellt sind. Schon rein äußerlich zeigt sich auf den ersten Blick, wie wenig das Proletariat daran denken darf, sich unter den heutigen Verhältnissen das Theater zu erobern, das in den bürgerlichen Emanzipationskampf so überaus fördernd und wirksam eingegriffen hat. Die
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bürgerliche Bühne hat ja längst den letzten trügerischen Schein abgestreift, als käme es ihr auf Kultur- und Kunst- und nicht vielmehr auf Geldinteressen an. Was sind denn die großen modernen Theater anderes als kapitalistische Aktienunternehmungen, die nicht sowohl künstlerisch geleitet als ökonomisch bewirtschaftet werden? Solch ein Theater braucht in Berlin über 2000 Mark Tageseinnahmen, um dem in ihm angelegten Kapital die nötigen Profite abzuwerfen, und das ist der Gesichtspunkt, der allen künstlerischen Interessen weit voran steht. Nichts verkehrter, als über die ästhetische Geschmacklosigkeit der kapita» listischen Beamten zu klagen, die für die künstlerische Leitung der Bourgeoistheater eingesetzt sind; soviel Geschmack und am Ende auch soviel Gewissen haben diese Angestellten des großen Kapitals schon, um lieber Shakespeare und Schiller aufzuführen als den erbärmlichen Schund, der die Nerven des Börsenpöbels kitzelt. Aber sie sind eben auch versklavte Menschen und dürfen sich glücklich preisen, wenn ihnen in diesem und jenem Ausnahmefall ein leidliches Kompromiß zwischen den Geboten des Geschmacks und den Profitinteressen des Kapitals gelingt. Wie aber sollen unter solchen Verhältnissen die Freien Volksbühnen eine Wiedergeburt der dramatischen Kunst anbahnen können? Es ist ganz unmöglich, obgleich man, wie unmöglich es ist, vielleicht erst begreift, wenn man die Quälerei einmal am eigenen Leibe durchgemacht hat. Dennoch ist ein entschiedenes Bedürfnis nach ihnen im modernen Proletariat da, und insoweit sie ihm überhaupt den Genuß dramatischer Kunstwerke ermöglichen, haben sie auch ihr unleugbares Verdienst, sind sie ein bescheidener, aber doch nicht unwirksamer Hebel, den Geschmack der Arbeiter zu läutern, damit ihre Kulturentwicklung zu fördern und so in letzter Weise auch ihren Emanzipationskampf zu stärken. Nur muß hierbei die richtige Grenze innegehalten werden: träten die Freien Volksbühnen den großen Zielen der modernen Arbeiterbewegung hindernd in den Weg, vergäßen sie ihren proletarischen Ursprung, ließen sie sich mit kapitalistischen und offiziösen Unternehmungen . . ., die unter dem Geschwafel von der 'reinen Kunst' die unterdrückten Klassen beduseln wollen, in eine charakterlose Verbindung ein, so wäre es besser, sie wären nicht da. J e unmöglicher sich aber aus dem proletarischen Klassenkampfe ein neues Zeitalter der Kunst entwickeln kann, um so sicherer ist es, daß der Sieg des Proletariats eine neue Weltwende der Kunst 152
herbeiführen wird, eine edlere, größere, herrlichere, als Menschenaugen je gesehen haben. Besteht das ästhetische Wohlgefallen in der freien und ruhigen Betrachtung der Dinge, so wird es sich am höchsten und reinsten entfalten, wenn 'die beschämenden Spuren der Dienstbarkeit' verschwunden sein werden, die 'unserer verstümmelten Natur' durch die Sklavenarbeit einiger Jahrtausende eingedrückt worden sind, wenn das menschliche Geschlecht 'den freien Wuchs seiner Menschheit entfesseln kann'. Schon um dieses tiefen Prophetenworts willen wollen wir uns unseren Schiller nicht verschimpfieren lassen. Mag die Bourgeoisie in ihrer greisenhaften Anmaßung sich einbilden, daß, weil sie sterben muß, auch die Kunst sterben wird, wir leben der Zuversicht, der alle großen Künstler gelebt haben, der Zuversicht, daß der letzte Dichter erst mit dem letzten Menschen das Erdenhaus verlassen wird, der Zuversicht, die der große Lyriker der mittelhochdeutschen Dichtung, die Walther von der Vogelweide in die schlichten Worte gekleidet hat: Kumt sanges tac, man hoeret singen unde sagen." Wer genau zusieht, erkennt in dieser Äußerung Mehrings keineswegs eine Absage an den Gedanken der Freien Volksbühne, vielmehr nur eine damals sehr nötige und sehr fruchtbare Warnung vor ihrer Überschätzung und vor der Verschleierung der politischen Ziele. Einige Jahre vorher, 1893 (Jahrgang 11 der Neuen Zeit, Nr. 43), äußerte sich Mehring aber auch über die praktische Bedeutung der Volksbühne äußerst skeptisch, und so sehr jener oben angeführte Passus mit jedem Worte ins Schwarze trifft, so sehr sind die folgenden Ausführungen durch die Entwicklung, wo nicht widerlegt, so doch sehr modifiziert worden: „Das Theater ist heute ein Monopol des Kapitals und sogar des Großkapitals; die Freien Volksbühnen sind darauf angewiesen, in denjenigen bürgerlichen Theatern zu spielen, die vorurteilsfrei genug sind, ihnen Spielraum zu gewähren. Aber hier tritt nun ein eigentümliches Dilemma ein. Große Theater mit guten schauspielerischen Kräften erheischen auch bei aller billigen Gesinnung ihrer Direktionen eine für Arbeitermittel schwer erschwingliche Pacht, und ferner behalten sich die Direktionen aus einem Selbsterhaltungstriebe, der ihnen gar nicht zu verdenken ist, ein Vetorecht bei Feststellung des Spielplans vor; in kleinen Theatern, die wohlfeil zu haben sind und die von dem Wohlwollen der großen Bourgeoisie weniger abhängen, lassen wieder die schauspielerischen Verhältnisse viel zu wünschen übrig. Die hiesige (Berliner) Volksbühne 13 Bürgel, Tendenzkunst
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steuert zwischen der Scylla und Charybdis durch, indem sie die eine Hälfte ihrer Vorstellungen in einem großen, die andere Hälfte in einem kleineren Theater gibt, dessen schauspielerische Kräfte sie durch das Engagement von Gästen zu ergänzen sucht. Auf diese Weise ist es ihr gelungen, ihren Mitgliedern eine Reihe teils vortrefflicher, teils immer noch befriedigender Monatsvorstellungen für den Monatsbeitrag von 55 Pfennigen zu geben, doch waren dabei manche Schwierigkeiten zu überwinden, die vielleicht in keiner anderen Stadt wie Berlin zu überwinden gewesen wären." Bekanntlich hat sich nicht nur in Berlin ein großer Wandel in diesen Dingen vollzogen, sondern auch in vielen anderen Städten ist auf die eine oder die andere Weise das Problem der Vorstellungen für die Arbeiterschaft der Lösung erheblich näher gekommen. Die Berliner Freien Volksbühnen, die seit Jahren eine ganze Reihe von Theatern, und unter diesen die allerbesten, zur Verfügung hatten, sind jetzt zur Errichtung einer eigenen Bühne übergegangen. In fast allen großen und in vielen kleineren Städten besitzt das organisierte Proletariat Institutionen, meistens sind es die Bildungsausschüsse, die der Arbeiterschaft regelmäßig eine bestimmte Anzahl guter Dramen in so guter Darstellung, wie sie am Orte überhaupt geboten wird, vermitteln. Das Proletariat bemächtigt sich gewissermaßen noch eher der Bretter, die die Welt bedeuten, als dieser Welt selbst, und zwar in viel handgreiflicherem Sinne, als einst das Bürgertum es notgedrungen tat. Der Zusammenbruch des bürgerlich-kapitalistischen Kunstbetriebes wird gerade im Theaterfache immer allgemeiner. Manche Bühnen können überhaupt bloß aus dem Grunde noch ernste Kunst bieten, weil ihnen die Aufführungen für das organisierte Proletariat einen Rückhalt bieten. Das ist der erste Schritt: die kapitalistischen Theaterunternehmer sehen ein, daß sie mit den organisierten Arbeitergroschen sicherer fahren als mit den unorganisierten Talerbilletten und Freikarten. Zugleich drücken diese billigen Vereinsvorstellungen auf die Preise der öffentlichen Aufführungen und ermöglichen damit deren Besuch immer weiteren Kreisen. Mehring hatte ja die Schicksale und Wandlungen der Berliner Freien Volksbühnen aus nächster Nähe miterlebt, aber eben daß er an diesen Kämpfen allzusehr beteiligt war, hat seine Urteile darüber doch wohl zu stark beeinflußt. Mehring, der so oft festgestellt und nachgewiesen hat, was auch oben schon angeführt 154
wurde: daß nämlich das Theater für das Proletariat niemals wie einst für die Bürgerklasse ein Hebel der Emanzipation sein könne, derselbe Mehring konstatierte doch immer wieder mit Bedauern, daß die Aufführungen der Freien Volksbühnen von einem revolutionären Programm wenig oder gar nichts spüren ließen und daß den Arbeitern höchstens ästhetisch einwandfreie Kost geboten werde. Wie diese Schrift zeigt, sollte uns das auch vollkommen genügen, eben weil wir des Theaters als eines politischen Kampfmittels nicht bedürfen und lediglich dies erreichen wollen, daß die Arbeiterschaft ihre eigenen demokratischen Bühnen zur Verfügung hat, auf denen sie sich spielen lassen kann, was sie will. Die Eroberung der Macht durch die Arbeiterschaft, die Vollendung der proletarischen Emanzipation ist ja nicht so vorzustellen, daß das Proletariat in seiner heutigen Gestalt plötzlich innerhalb weniger Jahre sämtliche Institutionen zu übernehmen, sämtliche Künste und Wissenschaften auszuüben, ja auch nur zu beaufsichtigen hätte. Gott behüte uns davor! Denn was gäbe das für eine Bürokratie! Und folglich: Was gäbe das für eine Klassenjustiz ! Wer möchte sich da operieren lassen! Was würde aus den Musen werden! Alle Künste und Wissenschaften müssen allmählich erobert werden, müssen innerlich errungen sein, wenn man sie mit Nutzen für sich und die Gesamtheit auch äußerlich besitzen oder sich gar in ihnen betätigen will. Unter diesem Gesichtspunkte kann man, wie die politische Bedrückung, auch die Vorenthaltung aller Kulturgüter gewissermaßen begrüßen. Nicht die Bedrückung und Vorenthaltungan sich, sondern die hartnäckigen Versuche, sie aufrecht zu erhalten. Wie die politische Bedrückung alle revolutionären und also alle edelsten menschlichen Tugenden überhaupt erweckt und unterhält, so wird die ängstliche Verschließung der Kulturgüter vor den gierigen Händen des Proletariats zu einem weiteren Anreiz, sich ihrer zu bemächtigen. Die blödsinnigen Leistungen gewisser Polizeiorgane, um dem Volke das Theater zu verekeln, sind deshalb von größtem Werte gewesen. Sie haben die Begierde der Theaterhungrigen gesteigert und haben unzählige Gleichgültige nach einer Speise lüstern gemacht, an der ihnen sonst so bald nichts gelegen hätte. Den Hunger nach dieser Speise zu vermehren und zu verallgemeinern, ist aber nicht nur zugleich ein Mittel, ihn künftig zu befriedigen, sondern ist auch ein Mittel, die Begehrlichkeit des Proletariats überhaupt zu steigern. Der Proletarier, der nach dem >3*
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Luxus der Geistesgenüsse verlangt, wird sich mit dem Kampf um Erringung einer bescheidenen und gewerkschaftlich gesicherten Existenz nicht zufrieden geben, sondern unablässig über das materielle Behagen hinausstreben. Die Erkenntnis der Zusammenhänge zwischen der gesellschaftlichen Entwicklung und den Künsten wird aber zugleich vor einer einseitigen Versenkung in ästhetische Dinge bewahren. Lessing rief am Ende seiner Hamburgischen Theaterreformversuche verzweifelt aus: „Über den gutherzigen Einfall, den Deutschen ein Nationaltheater zu verschaffen, da wir Deutsche noch keine Nation sind! Ich rede nicht von der politischen Verfassung, sondern bloß von dem sittlichen Charakter . . . " Noch viel „gutherziger" wäre der Einfall, ein nationales Drama, ein Volkstheater zu begründen, ohne die wahre Einheit der Nation und des Volkes zu erstreben, nämlich den Umsturz der Klassengesellschaft und die Erreichung unseres kommunistischen Ideals!
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ANHANG
ANMERKUNGEN DER HERAUSGEBERIN
Orthographie und Interpunktion der Texte, der Zitate in den Texten und der Zitate in der Einleitung wurden — behutsam und unter Wahrung des Lautstandes — nach dem neuesten Duden korrigiert. Wo eine Sinnveränderung nicht auszuschließen war, wurde auf die Korrektur verzichtet. Problematische oder falsche Zitierungen in den Texten wurden nicht korrigiert. Alle Titel wurden kursiv gesetzt, alle Hervorhebungen erscheinen gesperrt. Rein formale, nichtsinntragende Hervorhebungen wurden beseitigt. Alle Anmerkungen und Fußnoten in den Quellen wurden unverändert beibehalten und erscheinen als Fußnoten zu den Texten. Weglassungen sind durch drei Punkte in eckigen Klammern markiert. Eckige Klammern beinhalten Feststellungen oder Zusätze der Herausgeberin dieses Bandes.
Abkürzungen Fülberth
Mehring
MEW
Nestriepke NZ Textausgaben
Georg Fülberth: Sozialdemokratische Literaturkritik vor 1914. Phil. Diss. Marburg 1970. 333, 123 S. Franz Mehring: Gesammelte Schriften. 12 Bde. Hg. v. Thomas Höhle, Hans Koch, Josef Schleifstein. 12 Bde. Berlin 1960—1967. Karl Marx/Friedrich Engels: Werke. Bd. 1—39 (u. 2 Erg.-Bde; 2 Verz.-Bde.). Hg. v. Institut für Marxismus-Leninismus beim Z K der SED. Berlin 1956-1971. Siegfried Nestriepke: Geschichte der Volksbühne Berlin. 1. Teil 1890—1914. Berlin 1930. 432 S. Die Neue Zeit. Revue des geistigen und öffentlichen Lebens. Stuttgart. Textausgaben zur frühen sozialistischen Literatur in Deutschland. Hg. v. Zentralinstitut für Literaturgeschichte der Akademie der Wissenschaften
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der DDR. Berlin. Bd. 25—27: Dokumente zur Literaturtheorie und Literaturkritik der revolutionären deutschen Sozialdemokratie.
Anmerkungen zur Einleitung 1 Vgl. Georg Fülberth: Sozialdemokratische Literaturkritik vor 1914. In: Alternative, Berlin (West) 14 (1971) 76, v. Februar, S. 5 ff. ; Dokumente zur Kulturgeschichte der deutschen Arbeiterbewegung (1848—1918). Hg. v. Peter v . R ü d e n , Kurt Koszyk. Frankfurt a. Main — Wien — Zürich 1979, S. 191—199. 2 Fülberth, S. 282—307; Georg Fülberth: Proletarische Partei und bürgerliche Literatur. Neuwied-Berlin 1972, S. 123—150. 3 Frank Trommler : Sozialistische Literatur in Deutschland. Stuttgart 1976. 4 Dirk Hoffmann : Sozialismus und Literatur. Literatur als Mittel politisierender Beeinflussung im Literaturbetrieb der sozialistisch organisierten Arbeiterklasse des deutschen Kaiserreiches 1876— 1919. Münster 1978; Kristina Zerges: Sozialdemokratische Presse und Literatur. Stuttgart 1982. 5 Uta Burggraf : Kunst und Proletariat. Zur Differenzierung einiger theoretischer Positionen am Ende des 19. Jahrhunderts. In: Weimarer Beiträge 24 (1978) 8, S. 108. 6 Ebenda, S. 120. 7 Dazu u. a. Hans Koch: Franz Mehrings Beitrag zur marxistischen Literaturtheorie. Berlin 1959 ; Thomas Höhle : Franz Mehring. Sein Weg zum Marxismus 1869—1891. Berlin 1956. 8 Ursula Münchow : Naturalismus und Proletariat. In : Weimarer Beiträge 10 (1964) 4, S. 600. 9 Ursula Münchow: Arbeiterbewegung und Literatur. 1860—1914. Berlin—Weimar 1981, S. 8. 10 Dazu u. a. Positionsbestimmungen. Zur Geschichte marxistischer Theorie von Literatur und Kultur am Anfang des 19. und Beginn des 20. Jahrhunderts. Hg. v. Dieter Schlenstedt, Klaus Städtke. Leipzig 1977; Geschichte der deutschen Literatur von den Anfängen bis zur Gegenwart. Bd. 9 : Vom Ausgang des 19. Jahrhunderts bis 1917. Berlin 1974, S. 44—60. 11 Dazu u. a. Isolde Dietrich/Dietrich Mühlberg: Zu aktuellen Fragen der Kulturgeschichte der Arbeiterklasse. In : Weimarer Beiträge 25 (1979) 8, S. 47—78. 12 Dazu Dietrich Mühlberg: Literatur in der Arbeiterklassenkultur — Bemerkungen zu Ansätzen kulturhistorischer Forschung. In: Literatur und proletarische Kultur. Hg. v. D. M., Rainer Rosenberg. Berlin 1983, S. 17—44.
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13 Zum Leben und dramatischen Schaffen Heijermans existieren zwei Monographien: Seymour L. Flaxman: Herman Heijermans and his dramas. The Hague 1954; Evert de Jong: Herman Heijermans en de vernieuwing van het Europese drama. Groningen 1967. 14 Vgl. J . F. Ankersmit: Ein sozialdemokratischer Theaterdichter. In: NZ 19 (1900/1901) S. 811—814. 15 Ebenda, S. 813. 16 Heinz Sperber:Humor (Erwiderung). S. 34ff. dieses Bandes; Heinz Sperber: Kunst und Industrie. II. Teil, S. 2gff. dieses Bandes. 17 Vgl. Heinz Sperber: Tendenziöse Kunst. S. loff. dieses Bandes; Heinz Sperber: Klasseninstinkt und Kunstverständnis. S. dieses Bandes. 18 Dazu der Bericht von Siegfried Nestriepke. In: Nestriepke, S. 121. 19 Dazu u.a. Ursula Münchow: Arbeiterbewegung und Literatur. 1860—1914. Berlin—"Weimar 1 9 8 1 ; Fülberth. 20 Franz Mehring: Proletarische Ästhetik. In: Die Volksbühne 2 (1893/94) 2. S. 8-9. 21 Vgl. Heinz Selo: Die Kunst dem Volke. Problematisches aus den Kampf- und Jugendjahren der Berliner Volksbühne. Berlin 1930, S. 123. 22 Franz Mehring: Kunst und Proletariat. In: Mehring, Bd. 1 1 , S. 43723 Bruno Wille: Tendenz. In: Die Kunst dem Volke 1 (1893/94) 16. Zit. nach: Nestriepke, S. 1 2 1 . 24 Heinrich Braulich: Die Volksbühne. Theater und Politik in der deutschen Volksbühnenbewegung. Berlin 1976, S. 7 1 . 25 Zu einer ähnlichen Feststellung gelangte bereits Friedrich Kniiii bei der Untersuchung der Arbeitertheatervereine in jenen Jahren. In: F . K . , Ursula Münchow: Frühes deutsches Arbeitertheater 1847—1918. Berlin 1970, S. 50. 26 Gustav Landauer: (. . .) [Ohne Titel], In: Die Schaubühne 1 (1905) 7, v. 9.10., S. 8. 27 Vgl. Max Schneider: Die moderne Arbeiterbewegung und die Arbeitervergnügungs- und Sportvereine. In: NZ 26 (1908/09) Bd. 2, S. 86$. 28 Dazu Otto Rühle: Illustrierte Kultur- und Sittengeschichte des Proletariats. Bd. 2. Gießen 1977, S. 282 ff. 29 Vgl. Nestriepke, S. 288. 30 Otto Krille: Die Kunstphrase und die Arbeiterfeste. In: NZ 23 (1905) S. 459-460. 3 1 Wally Zepler: Die psychischen Grundlagen der Arbeiterbildung. In: Sozialistische Monatshefte 16 (1910) Bd. 3, S. 1551—1559.
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32 Rudolf Franz: Tendenzkunst und Kunsttendenz. S. 17 dieses Bandes. 33 Dazu u. a. Heinrich Ströbel: Ein Poet der Décadence. In: NZ 14 (1896) 2, S. 401—408. 34 Heinrich Ströbel: Eine ästhetische Werttheorie. S. 46—48 dieses Bandes. 35 Heinrich Ströbel: Kunst u n d Proletariat. S. 95 dieses Bandes. 36 Vgl. Georg Fülberth: Proletarische Partei und bürgerliche Literatur. Neuwied-Berlin 1972, S. 149. 37 Heinrich Ströbel: Eine ästhetische Werttheorie. S. 42ff. dieses Bandes. 38 Heinrich Ströbel: Kunst und Proletariat. S. 96 dieses Bandes. 39 Ebenda, S. 94 dieses Bandes. 40 Vgl. Nestriepke, S. 121. 41 Friedrich Stampfer: Kunst und Klassenkampf. S. 95 dieses Bandes. 42 Siehe dazu Nestriepke, S. 292. 43 Dazu Peter Panther (d. i. K u r t Tucholsky): Herman Heijermans. I n : Die Weltbühne 20 (1924) Dezember. S. 849—851. 44 Heinz Sperber: Vorpostengefechte. S. 51 dieses Bandes. 45 Heinz Sperber : Wegmarken proletarischer Kunst. S. 86 dieses Bandes. 46 Franz Mehring: [Auszug a u s : Marx und Freiligrath in ihrem Briefwechsel], S. 74—75 dieses Bandes; dazu auch Manfred Häckel: Freiligraths Briefwechsel mit Marx und Engels. Berlin 1976. Bd. 1, S. I X - C . 47 Der letzte Band des Jahrgangs 1912 der Frankfurter Volksstimme wurde im zweiten Weltkrieg vernichtet. 48 Vgl. S. 89—114 dieses Bandes; 49 Dazu die Arbeiten von Lu Märten vor dem ersten Weltkrieg in der von Rainhard May zusammengestellten Auswahl: Lu Märten: Formen f ü r den Alltag. Schriften, Aufsätze, Vorträge. Dresden 1982. 50 W[illy] Zimmer: Die „proletarische" Kunst? S. 106 dieses Bandes. 51 Dazu u. a. Gesellschaft — Literatur — Lesen. Literaturrezeption in theoretischer Sicht. Von einem Autorenkollektiv u. d. Ltg. v. Manfred Naumann. Dieter Schlenstedt, Karlheinz Barck, Dieter Kliche, Rosemarie Lenzer. Berlin — Weimar 1976, S. 261—265; Dieter Kliche: Clara Zetkin (1857—1933). I n : Positionsbestimmungen. Zur Geschichte marxistischer Theorie von Literatur und Kultur a m Ausgang des 19. und Beginn des 20. Jahrhunderts. Hg. v. Dieter Schlenstedt, Klaus Städtke. Leipzig 1977. S. 369—416; Geschichte der deutschen Literatur von den An-
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fangen bis zur Gegenwart. Bd. 9: Vom Ausgang des 19. Jahrhunderts bis 1917. Berlin 1974, S. 54ff. Dazu Clara Zetkin: Brief an Mehring vom 14. September 1904. In: Mehring, Bd. 11, S. 596. Clara Zetkin: Vorwort. Zu Otto Krille: Aus engen Gassen. Gedichte. Berlin 1904, S. 5. Dazu die Bände zur Naturalismus- und Schiller-Debatte in der Reihe Textausgaben zur frühen sozialistischen Literatur in Deutschland. Kurt Eisner: Karl Marx' Kunstauffassung. S. 131—132 dieses Bandes. Vgl. MEW, Bd. 39, S. 96 u. 206. Eduard Bernstein: Klassenromantik. S. 141 dieses Bandes. Dazu u. a. Josef Kliche: Arbeiterlektüre. In: Sozialistische Monatshefte 15 (1911) Bd. 1, S. 315—319; Wilhelm Nitschke: Wie und nach welcher Richtung entwickelt sich, das Lesebedürfnis der Arbeiterschaft ? In: Ebenda, 19 (1913) Bd. 1, S. 364— 37°Rudolf Franz: Theater und Volk. S. 154—155 dieses Bandes. Rainhard May weist darauf hin, daß etwa 1911 die Anwendung des historischen Materialismus auf die Künste ins Zentrum des Interesses und der Tätigkeit von Lu Märten rückte. Dazu Rainhard May: Theorie der „Formen" wider Theorie der „Künste"? In: Lu Märten: Formen für den Alltag. Schriften, Aufsätze, Vorträge. Dresden 1982, S. 176. Dazu u. a. Manfred Nössig, Johanna Rosenberg, Bärbel Schräder: Literaturdebatten in der Weimarer Republik. Berlin 1980, S. 122—146. W. I. Lenin: Werke. Bd. 5, Berlin 1973, S. 397.
Anmerkungen zu den Texten S.
3 Heinz Sperber : Kunst und Industrie. I. In : Vorwärts 27 (1910) 183, v. 7. 8., 1. Beil. S. 1. S. 6 Heinz Sperber: Kunst und Industrie. II. In: Vorwärts 27 (1910) 189, v. 14. 8., 1. Beil. S. 1. S. 10 Heinz Sperber: Tendenziöse Kunst. In: Vorwärts 27 (1910) 207, v. 4. 9., 1. Beil. S. 1. S. 14 Rudolf Franz : Tendenzkunst und Kunsttendenz. In: Vorwärts 27 (1910) 213, v. 11. 9., 1. Beil. S. 1. S. 14 Rudolf Franz (1882—1956), sozialdemokratischer Publizist, Schriftsteller, Theaterwissenschaftler und Ubersetzer litera-
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rischer und dramatischer Werke; studierte in Bonn, Berlin und Marburg Philosophie, Germanistik und Romanistik; promovierte 1907 mit der Arbeit Der Monolog bei Ibsen in Marburg; seit 1906 Sozialdemokrat; 1910—1914 Theaterkritiker in Dresden; ab 1914 Redakteur in Berlin; Herausgeber dramatischer und literarischer Werke u. a. von Büchner und Ibsen; Autor zahlreicher politischer, meist satirischer Gedichte im Feuilleton des Vorwärts; arbeitete nach dem ersten Weltkrieg vor allem als Übersetzer f ü r Italienisch, F r a n zösisch und Englisch; lebte nach dem zweiten Weltkrieg als freier Schriftsteller in Leipzig, ab 1949 Leiter des Volksbildungsamtes Leipzig; ab 1952 Hauptlektor. Weitere Schriften: Warum ichkein Sozialdemokrat bin (Satire,
S. 17 S. 21 S. 25 S. 29 S. 29
1910); Die schönsten Märchen für die nationale Kinderwelt. Bearb. im Sinne des Reichsverbandes gegen die Sozialdemokratie (Satire, 1911 )\ Abrechnung. Politische Versfußtritte (Gedichte, 1911); Kritiken und Gedanken über das Drama. Eine Einführung in das Theater der Gegenwart (1915). Zu Rudolf Franz' Auffassung von proletarischer K u n s t in der kapitalistischen Gegenwart siehe auch den Aufsatz: R. F . : Revolutionäre Lyrik. I n : NZ 29 (1911) Bd. 1., S. 341—344. Heinz Sperber: Wo steckt der Dichter? I n : Vorwärts 27 (1910) 2 37. v - 9- 10-> Beil. S. 1. Heinz Sperber: Missa Solemnis. . . I n : Vorwärts 27 (1910) 249, v. 23. 10., 1. Beil. S. 1. Heinz Sperber: Humor. I n : Vorwärts 27 (1910) 267, v. 13.11., 1. Beil. S. 1. H[einrieb]Ströbel: Humor. I n : Vorwärts 27 (1910) 293, v. 15. 12., 1. Beil. S. 1. Heinrich Ströbel (1869—1944), sozialdemokratischer Journalist und Politiker; Besuch des Gymnasiums; Militärdienst; danach Privatstudien; seit 1889 schriftstellerisch t ä t i g ; 1892/1893 Redakteur des sozialdemokratischen Volksblatt für Hessen und Waldeck in Kassel; 1893—1900 Redakteur der Schleswig-Holsteinischen Volks-Zeitung in Kiel und 1900— 1916 des Zentralorgans der SPD Vorwärts; bis 1916 linker Sozialdemokrat, danach Ubergang zu zentristischen Positionen; ab 1917 Mitglied der U S P D ; 1920 Ausschluß aus der U S P D und E i n t r i t t in die S P D ; von 1924 bis 1932 Reichstagsabgeordneter; ab 1927 Mitherausgeber der Zeitschrift Klassenkampf. Marxistische Blätter. Sozialistische Politik und Wirtschaft, die 1932 Monatsschrift der SAP w u r d e ; 1933 Emigration in die Schweiz, wo er bis zu seinem Tode lebte.
S. 30 Reuter-Artikel Mehrings, gemeint ist Franz Mehring: Fritz Reuter. I n : Mehring, Bd. 11, S. 82—87. 164
S. S. S. S. S. S. S.
S. S.
S. S. S.
30 „die langsam reifende Frucht. . ." Ebd., S. 83—84. 34 Heinz Sperber: [Zu Heinrich Ströbel: Humor] I n : Vorwärts 27 (1910) 293, v. 15. 12., 1. Beil. S. 1. 37 Heinz Sperber: Oedipus im Zirkus. In: Vorwärts 27 (1910) 296, v. 18. 12., 1. Beil. S. 1. 40 Heinrich Ströbel: Eine ästhetische Werttheorie. I n : N Z 29 (1910/11) Bd. 1, S. 597—602. 49 Heinz Sperber: Vorpostengefechte. In: Vorwärts 28 (1911) 19, v. 22. 1., 1. Beil. S. 1. 53 F[riedrich ]S[tampfer]: Kunst und Klassenkampf. I n : Freie Volksbühne 15 (1911) 9, S. 15—19. 53 Friedrich Stampfer (1874—1957), rechter sozialdemokratischer Journalist, Politiker und Publizist; Studium der Nationalökonomie und Staatswissenschaft in Wien; 1900—1902 Redakteur der Leipziger Volkszeitung; danach Redakteur des Zentralorgans Vorwärts; 1903—1916 Herausgeber der rechtsopportunistischen Privatkorrespondenz, die Rosa L u x e m b u r g als „Groß-Lichterfelder Meinungsfabrik zur Verkleisterung der Proletarierhirne" bezeichnete; ab 1916 Chefredakteur des Vorwärts, den er m i t kurzer Unterbrechung bis zum Verbot 1933 leitete; galt in den zwanziger Jahren als der führende Journalist der S P D und ab 1925 im Parteivorstand als „graue E m i n e n z " ; von 1933 bis 1938 Chefredakteur des in K a r l o v y V a r y erscheinenden Neuen Vorwärts; veröffentlicht 1936 sein B u c h Die vierzehn Tage der ersten deutschen Republik, in dem er die gescheiterte Politik der rechten S P D - F ü h rer seit der Novemberrevolution zu rechtfertigen suchte; 1938—1940 Emigration in Paris; ab 1940 in New Y o r k Mitglied der German Labor Delegation und Mitarbeiter der Neuen Volkszeitung; 1948 Rückkehr nach Westdeutschland; ab 1950 Herausgeber einer Artikelkorrespondenz mit dem Titel Stampfer-Dienst-, bis 1955 Dozent an der Akademie der Arbeit in Frankfurt a. Main. Zu Friedrich Stampfer siehe auch Textausgaben, Bd. 26: Schiller-Debatte. 1905. Hg. v. Gisela Jonas. Berlin 1988. 57 Heinz Sperber: Die Theatersaison. In: Vorwärts28 (1911) 125, v. 31. 5., 1. Beil. S. 1. 60 „Es gibt ein bekanntes Wort. . ." Henriette Roland-Holst: Gorki als proletarischer Literaturkr tiker. In: N Z 24(1906) Bd. 2. S. 76—81, hier S. 79. 60 „Gorki weiß. . ." Ebenda, S. 80. 61 Friedrich Stampfer: Klasseninstinkt und Kunstverständnis. I n : Vorwärts 28 (1911) 132, v. 9. 6., 1. Beil. S. 1. 64 Heinz Sperber: Klasseninstinkt und Kunstverständnis. In: Vorwärts 28 (1911) 135, v. 13. 6., 1. Beil. S. 1.
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67 Ernst Link: Kunst und Klasse. I n : U n t e r h a l t u n g s b l a t t des V o r w ä r t s (1911) 123, v. 29. 6., S. 490—491. 74 Franz Mehring: [Auszug aus: Freiligrath und Marx in ihrem Briefwechsel]. I n : Mehring, B d . 10, S. 608—609. 75 Kfarsten] H[einrieb] Döscher: „Die Aesthetik der schwieligen Faust". I n : V o r w ä r t s 29 (1911) 96, v. 25. 4., 1. Beil. S. 1. 75 Karsten Heinrich Döscher (geb. 1872), s o z i a l d e m o k r a t i s c h e r J o u r n a l i s t , Gesellschafts- u n d K u l t u r w i s s e n s c h a f t l e r ; 1904 bis 1906 K u n s t - u n d T h e a t e r k r i t i k e r der Münchener Post u n d R e d a k t e u r der Fränkischen Tagpost in N ü r n b e r g ; a b 1906 Redakteur beim Vorwärts. 78 Heinz Sperber: Mehring, Wendel und Unfug. I n : V o r w ä r t s 29 (1912) 103, v . 4. 5., 1. Beil. S. 1. 79 [Karsten Heinrich] D[öscher]: Die polemischen Gelüste des Genossen Mehring. I n : V o r w ä r t s 29 (1912) 106, v. 8. 5., 1. Beil. S. 1. 81 F[ranz] M[ehring]: Eine ästhetische-literarische Enquete. I n : N Z 30 (1912) B d . 2, S. 304. 82 Heinz Sperber: Wegmarken proletarischer Kunst. I n : V o r w ä r t s 29 (1912) 137, v. 15. 6., 1. Beil. S. 1. 86 [Karsten Heinrich Döscher/Franz Mehring]: [Die unterdrückte Meinungsfreiheit]. I n : N Z 30 (1911/12) Bd. 2, S. 647—648. 89 Heinrich Ströbel: Kunst und Proletariat. I n : N Z 30 (1911/12) B d . 2, S. 785—790. 96 Lu Märten: Zur ästhetisch-literarischen Enquete. I n : N Z 30 (1911/12) B d . 2, S. 790—793. 96 Lu Märten (1879—1970), sozialistische K u l t u r - u n d K u n s t t h e o r e t i k e r i n , Publizistin, Schriftstellerin u n d D r a m a t i k e r i n ; Autodida.ktin; a b 1898 Mitglied d e r S P D ; publizierte in linksbürgerlichen u n d s o z i a l d e m o k r a t i s c h e n Z e i t u n g e n (u. a. in der Gleichheit, i m Vorwärts, in d e r Neuen Welt, in Schikeles Weiße Blätter u n d Rillas Erde) zu ä s t h e t i s c h e n , kulturellen, sozialen u n d ö k o n o m i s c h e n T h e m e n ; a b 1920 Mitglied der K P D ; v e r ö f f e n t l i c h t e zahlreiche Gedichte, K r i t i k e n u n d A u f sätze in d e r k o m m u n i s t i s c h e n P a r t e i p r e s s e ; n a c h d e m ersten W e l t k r i e g A r b e i t a n i h r e m t h e o r e t i s c h e n H a u p t w e r k zu P r o b l e m e n einer m a r x i s t i s c h e n Ä s t h e t i k Wesen und Veränderung der Formen (Künste). Resultate historisch-materialistischer Untersuchungen (1924). Z u m G e s a m t w e r k v o n M ä r t e n siehe R a i n h a r d M a y : B i b l i o g r a p h i e der v e r ö f f e n t l i c h t e n S c h r i f t e n v o n L u M ä r t e n . I n : Formen für den Alltag. Schriften, Aufsätze, Vorträge. D r e s d e n 1982.
S. 101 W[illy] Zimmer: Die „proletarische" Kunst? I n : N Z 30 ( 1 9 1 1 / 12) B d . 2, S. 793-799S. 101 Willy Zimmer (1887—1940) linker S o z i a l d e m o k r a t ; A r c h i t e k t
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S. 110 S. 110
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S. 121
S. 127 S. 127
in Karlsruhe; Mitglied der Spartakusgruppe; gehörte zum Bekanntenkreis von Clara Zetkin. Robert Grötzsch: Kunst und Arbeiterschaft. I n : NZ 30(1911/12) Bd. 2, S. 799—780. Robert Grötzsch (1876—1946) Pseudonym Bruno B r a n d y ; sozialistischer Schriftsteller und Publizist; bis 1905 als Klempner t ä t i g ; ab 1906 Redakteur, später Chefredakteur der Sächsischen Arbeiterzeitung (ab 1908 umbenannt in Dresdener Volkszeitung); 1933 Emigration nach Prag und Mitarbeit am Neuen Vorwärts; 1939Emigration nach Paris; ab 1941 in N e w Y o r k Mitarbeiter der Neuen Volkszeitung; bekannt geworden durch seine Kinderbücher (Naukes Luftreise; Muz der Riese; Zauberer Burufu); durch Satiren und Grotesken (Verschrobenes Volk und andere Geschichten. 1912) und als Dramatiker (Dyckerpotts Erben. 1 9 1 7 ; Gerechtigkeit. 1934; Aufruhr im Schloß. 1943); schrieb auch Romane und Erzählungen (Die Kohlenzille und andere Erzählungen. 1917; Tormann Bobby. 1933; Wir suchen Land. 1934). Clara Zetkin: Kunst und Proletariat. Vortrag, gehalten am ersten Künstlerabend des Bildungsausschusses der Stuttgarter Arbeiterschaft. 2. Aufl. Stuttgart 1911, S. 1—16. Auf Clara Zetkins Aufsatz Kunst und Proletariat antwortete Ernst Link in der Unterhaltungsbeilage des Vorwärts. Link stimmt der Position Zetkins in allen wesentlichen Punkten zu, vertritt aber in bezug auf das Verständnis des Proletariats als Erbe vergangener Kunstleistungen eine Auffassung, die der Sperberschen näher steht. „Mehr als historisches Interesse" wird den bürgerlichen Künstlern nach der sozialen Befreiung, so Link, nicht beschieden sein. Dem Proletariat sei nicht nur „der Leichengeruch des heutigen Kapitalismus unangenehm, es wird sich auch immer weniger an dem süßen Gifthauch des Kapitalismus in seiner ersten Blüte berauschen". V g l . : E[rnst] L[ink]: K u n s t und Proletariat. In: Unterhaltungsblatt des Vorwärts 28 (1911) 128, v. 6. 7., S. 511. „Laßt uns aufsteigen. . ." Richard W a g n e r : K u n s t und Revolution. I n : R . W . Gesammelte Schriften und Dichtungen. B d . 3, Leipzig 1907, S. 3 1 - 3 3 . Kurt Eisner: Karl Marx' Kunstauffassung. I n : K u r t Eisner: Gesammelte Schriften. Bd. 2, Berlin 1919, S. 272—278. Kurt Eisner (1867—1919), sozialdemokratischer Historiker, Publizist, Schriftsteller und Politiker; studierte Philosophie und Germanistik in Berlin; in den neunziger Jahren journalistische Tätigkeit für eine Reihe bürgerlicher Zeitungen, u. a. die Frankfurter Zeitung und die Hessische Landzeitung; Mitbegründer der Volksbühnenbewegung in Berlin, 1897 Prozeß
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wegen „ M a j e s t ä t s b e l e i d i g u n g " u n d V e r u r t e i l u n g zu n e u n Monat e n G e f ä n g n i s ; seit 1898 Mitglied der S P D u n d R e d a k t e u r b e i m Vorwärts-, i m E r g e b n i s des „Vorwärts-Streites" 1905 a u s der R e d a k t i o n ausgeschlossen; 1907—1910 C h e f r e d a k t e u r der o p p o r t u n i s t i s c h o r i e n t i e r t e n Fränkischen Tagespost-, seit 1 9 1 0 in M ü n c h e n als freier S c h r i f t s t e l l e r ; p a r l a m e n t a r i s c h e r B e r i c h t e r s t a t t e r ; politischer M i t a r b e i t e r u n d T h e a t e r k r i t i k e r der Münchner Post, e i n e m O r g a n d e r s ü d d e u t s c h e n O p p o r t u n i s t e n , v o n 1910—1916 H e r a u s g e b e r des w ö c h e n t l i c h ers c h e i n e n d e n Arbeiter-Feuilleton, d a s v o n vielen sozialdemok r a t i s c h e n O r g a n e n v e r w e n d e t w u r d e ; zwischen 1914 u n d
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1918 a k t i v e Beteiligung a m K a m p f u m die r e v o l u t i o n ä r e Bee n d i g u n g des Krieges; a b 1 9 1 7 Mitglied d e r U S P D ; 1 9 1 8 in führender Position an der Vorbereitung und D u r c h f ü h r u n g der R e v o l u t i o n in M ü n c h e n b e t e i l i g t ; Vorsitzender des Arbeiter-, S o l d a t e n - u n d B a u e r n r a t e s u n d M i n i s t e r p r ä s i d e n t d e r v o n U S P D u n d S P D g e b i l d e t e n R e g i e r u n g der R e p u b l i k B a y e r n ; 1919 O p f e r eines k o n t e r r e v o l u t i o n ä r e n A t t e n t a t s in M ü n c h e n ; b e s c h ä f t i g t e sich als H i s t o r i k e r m i t d e r Geschichte P r e u ß e n s u n d m i t der A u ß e n p o l i t i k des d e u t s c h e n I m p e r i a l i s m u s ; w a r A u t o r b i o g r a p h i s c h e r S t u d i e n zu W i l h e l m L i e b k n e c h t ; bev o r z u g t e literarische K u r z f o r m e n wie Märchen, K u r z e r z ä h l u n g e n , Szenen u n d A n e k d o t e n , wie sie in d e r feuilletonistischen T a g e s p u b l i z i s t i k dieser Zeit v e r w e n d e t w u r d e n . „In Wahrheit ist es. . ." K u r t E i s n e r : P a r t e i k u n s t . I n : K . E . : T a g g e i s t . Culturglossen. Berlin 1901, S. 286. Vgl. d a z u a u c h T e x t a u s g a b e n , B d . 25: Die N a t u r a l i s m u s - D e b a t t e . H g . v. N o r b e r t R o t h e . Berlin 1986; e b e n d a B d . 26: S c h i l l e r - D e b a t t e . 1905. H g . v. Gisela J o n a s . Berlin 1988. „worin hinlängliches Material. . ." M E W , B d . 30, S. 459. „Meiner und der Natur. . ." F r e i l i g r a t h s Briefwechsel m i t M a r x u n d Engels. H g . v. M a n f r e d H ä c k s l . B d . 1, Berlin 1976, S- 135„Unter Partei..." M E W , Bd. 30, S. 495. „Die griechische Kunst. . ." E b e n d a , B d . 13, S. 641. Eduard Bernstein: Klassenromantik. I n : D e r S t r o m 2 (1912) 7, S. 193—201. EduardBernstein(\%y>— i932),führendersozialdemokratischer T h e o r e t i k e r u n d P u b l i z i s t ; B e s u c h des G y m n a s i u m s u n d k a u f m ä n n i s c h e L e h r e in B e r l i n ; seit 1871 S o z i a l d e m o k r a t ; 1890—1901 E m i g r a t i o n in L o n d o n ; 1896—1900 s t ä n d i g e r Mita r b e i t e r der Neuen Zeit \ seit 1896 T h e o r e t i k e r des Revisionism u s u n d R e f o r m i s m u s ; 1901—1905 H e r a u s g e b e r der Documente des Socialismus. Hefte für Geschichte, Urkunden und Bibliographie des Socialismus) seit 1906 L e h r e r a n d e r Gewerk-
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schaftsschule in Berlin; ständiger Mitarbeiter der Sozialistischen Monatshefte; nach dem 4. August 1914 aus der SPD ausgetreten; ab 1917 Mitglied der USPD, 1919 wieder Mitglied der SPD; im letzten Lebensjahrzehnt hauptsächlich publizistisch tätig. 136 Während wir den Arbeitern. . . MEW, Bd. 8, S. 412. 139 Der Dichter steht. . . Ferdinand Freiligrath: Aus Spanien. In: F. F. Werke in einem Band. Ausgew. u. eingel. v. Werner Ilberg. Berlin — Leipzig 1967, S. 43. 142 Rudolf Franz: [Auszug aus:] Theater und Volk. Nebst einem Anhange: Die Debatten des sozialdemokratischen Parteitages 1896 über Kunst und Proletariat. München [1914], S. 11—22. 150 „Von vornherein liegt. . ." Mehring, Bd. 11, S. 134—135. 151—152 „wenndie absteigende Bürgerklasse..." Ebenda, S. 218— 219.
14 Bürgel, Tendenzkunst
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PERSONENREGISTER
Andersen Nexö, Martin X I I I 76 91 94 100 105 109 1 1 2 Aristophanes 3 1 Aristoteles 126 Baake, Curt X X I I I Babeuf, François Noël 1 3 5 Bader, Paul X X I Bauban 1 3 3 Beethoven, Ludwig van 21 23 bis 24 125 Benjamin, Walter X X X I X Bernstein, Eduard X X X X V I bis X X X V I I I 168 Björnson, Björnstjerne (Bjarnson, Björnstjerne) 19 85 93 Blumenthal, Oskar 14 Börne, Ludwig 95 Brahm, Otto 4 Braulich, Heinrich X X I I I Büchner, Georg 164 Burggraf, Uta X I Byron, George Gordon Noël, Lord 93 Capus, Alfred 1 1 14 Chamberlain, Houston Stewart 22 Chenier, André 128 Chenier, Marie-Joseph 128 Darwin, Charles 122 Dehmel, Richard X X V I I 48 147 bis 148
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Delbrück, Hans 95 Dickens, Charles 1 1 1 — 1 1 2 Diderot, Denis 93 143 Dietzgen, Josef 66 Döscher, Karsten Heinrich X X X I X X X I I I 78 8 1 - 8 2 87 88 90 93 101—102 105—107 166 Dupont, Pierre 134
Eisler, Hanns X X X I X Eisner, Kurt X X X X X I V bis X X X V I 167 Elisabeth I. 12 Engels, Friedrich X X X V bis X X X V I 92 125 1 3 5
Faber, Hermann X X I Fechner, Gustav Theodor 68 Fischer, Gustav 4—5 Franz, Rudolf X X V I bis X X X V I I I 87 1 6 3 - 1 6 4 Freiligrath, Ferdinand X X X bis X X X I 3 1 45 74 77 81 88 94 129 1 3 3 - 1 3 5 139 Fülberth, Georg X Fulda, Ludwig 12 14 19
Goethe, Johann Wolfgang X V I I I X X I I 1 4 - 1 5 45 55 95 102—104 1 0 7 1 2 5 H 0 *43 1 4 7 149
Gorki, Maxim X I I I 60 7 6 - 7 7 78 91 94 100 105 109 Grötzsch, Robert X X X I bis X X X I I I 167 Grosse, Ernst 71 Halbe, Max 12 19 Hasselmann, Wilhelm 76 Hauptmann, Gerhart X X V I I 4 12 14 48 54 140 Hebbel, Friedrich 1 3 128 Hegel, Georg Wilhelm Friedrich 92 130 Heijermans, Herman (siehe: Sperber, Heinz) I X X I I I - X V 76 93 100 104—105 109 145 1 6 1 Heine, Heinrich 31 94—95 136 Hermann, Georg 25—27 31—33 36 Herwegh, Georg 139 Hirsch, Abraham (d. i. Hirschel, Abraham) 88 Hirschfeld, Georg 1 2 Hoffmann, Dirk X Holländer, Felix (d. i. Hollaender, Felix) 19 Ibsen, Henrik X X V I I 14 48 85 141 144 164 Jesus Christus 24 Jones, Ernest Charles 1 2 Kant, Immanuel 143 147 Kautsky, Karl X X X V I I I 95 Kisch, Egon Erwin X I V Kniiii, Friedrich 1 6 1 Kollwitz, Käthe 54 Krille, Otto X X V X X X I V 109 Kürschner, Josef 79
Landauer, Gustav X X I I I Lassalle, Ferdinand 91—92 136 Lauff, Josef 120 Lenin, W. I. X X V I I I X L Lessing, Gotthold Ephraim X X I I 1 3 45 93 134 145 156 Liebermann, Max 129 Liebknecht, Wilhelm 168 Liliencron, Detlev v. 48 Link, Ernst 167 Lipps, Theodor 69—70 Luk&cs, Georg X X X V I X X X I X Luxemburg, Rosa X I I X X V I I XXXVIII Märten, Lu X X X I - X X X I I XXXIV-XXXVI XXXVIII bis X X X I X 1 6 2 - 1 6 3 166 Marx, Karl X X V I I I X X X bis X X X I X X X V 35 41 75 81 83 88 92 94—95 122—123 1 2 7 1 2 9 bis 1 3 1 1 3 5 - 1 3 6 May, Reinhard 162—163 Mehring, Franz X I - X I I XX bis X X I I I X X V X X V I I X X I X - X X X V X X X V I I bis X X X V I I I 30 7 5 - 7 9 80 86-87 90 95 1 0 1 107—108 129 146 150-151 153-155 Meumann, Ernst 68 Meyer, Joseph 128 Meyer, Rudolf 95 Mosse, Rudolf 4—5 Most, Johann 76 Mühlberg, Dietrich X I I Müller, Klara (d. i. Müller-Jahnke, Clara) 109 Münchow, Ursula X I Multatuli (d. i. Dekker, Eduard) 93 Napoleon I. Bonaparte 17—1823
Labruyère, Jean de (d. i. Bruyère, Jean de) 133
La Ompteda, Georg v.5
171
Paasche 129 Petzold, Alfons 128 Plötz 129 Polenz, Wilhelm v. 48
Raffael 115 R a t h , Willi 36 Reinhardt, Max X I V 4 8 19 37 bis 38 Ricardo, David 92 Richter, Eugen 129 Rilla, Walther 166 Roland-Holst, Henriette 60 62 78 Rosenberg, Rainer X I I Rosenow, E m i l 109 146 Rostand, Edmond 1 1 14 Rousseau, J e a n - J a c q u e s 93 1 1 5 bis 1 1 7 1 3 3
Schapper, K a r l 136 Scherl, August 4—5 Schikele, René 166 Schiller, Friedrich X V I I I X X I I ! 3 3 1 45 93 1 1 6 1 2 5 147 149 bis 150 1 5 2 - 1 5 3 Schlaf, Johannes 1 6 Schmidt, Conrad X X I I I Schnitzler, Arthur 1 2 Schönherr, K a r l 1 4 1 Schumann, Albert 37 Schweichel, Robert X X X X I I Selo, Heinrich X X I Shakespeare, William 12—13 14 bis 1 5 19 53 102—104 107 138 bis 1 4 1 1 5 2 Shaw, George Bernard 4 16 Shelley, Percy Bysshe 93 Smith, Adam 92 Sophokles X V I I I 1 2 14—15 37 bis 39 102—104 1 0 7 Sperber, Heinz (d. i. / siehe Heijermans, Herman) I X — X X V 172
bis XIX XXV-XXXIII XXXV-XXXVIII 14-16 2 9 - 3 4 4 1 43 4 5 - 4 8 55 59 61—64 75—76 79 80 81—82 86—88 90 93—94 96—98 100 1 0 1 — 1 1 0 1 1 1 — 1 1 2 137—138 140 145 149 167 Stampfer, Friedrich X XX XXIII X X I X - X X X X X X V I I - X X X I X 6 4 - 6 6 165 Stein, Lorenz 1 3 5 Stratz, Rudolf 5 Strindberg, August 85 93 109 Strodtmann, Adolf 134 Ströbel, Heinrich X X V I bis XXXII XXXIV-XXXVI X X X V I I I 3 4 - 3 6 49 55 78 81 86-88 107 164 Sudermann, Hermann 20
Thoma, Ludwig 3 1 49 Tolstoi, L . N. X X V I I 35 48 93 104 109 1 1 6 — 1 1 7 Trommler, F r a n k X
Ullstein, Leopold 4—6
Verhaeren, Émile 109 Viebig, Clara 5 Vischer, Friedrich Theodor 1 2 7 Vogt, K a r l 129 Voltaire 88
Wagner, Richard 22—24 1 2 1 144-145 Walther von der Vogelweide 1 5 3 Wedekind, F r a n k 19 Weiß, Guido 30 Weitling, Wilhelm 1 3 5 Wendel, Hermann X X X I 79 Westphalen, J e n n y v . 1 3 0
Wilde, Oscar 1 2 14 Wilhelm II. 120 Wille, Bruno X X X X I I I Willich, August 136 Witasek, Stephan 69—70 Wundt, Wilhelm 71 74
Zetkin, Clara XII XXIII XXXIII-XXXIV XXXVIII bis X X X I X 167 Zimmer,Willy X X X I - X X X I I I 166 Zola, Emile X X V I I 48 91 93 104
Zepler, Wally X X V - X X V I Zerges, Kristina X
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In der Reihe „TEXTAUSGABEN ZUR FRÜHEN SOZIALISTISCHEN LITERATUR IN DEUTSCHLAND" sind bisher erschienen: Band I: Gedichte über Marx und Engels Herausgegeben von MANFRED HÄCKEL (1963, vergriffen)
Band II: Robert Schweichel Erzählungen Herausgegeben von ERIKA PICK (1964, vergriffen) Band III: Aus den Anfängen der sozialistischen Dramatik I Herausgegeben von URSULA MÜNCHOW (1964, 1973, 1986) Band IV: Minna K a u t s k y Auswahl aus ihrem Werk Herausgegeben von CACILIA FRIEDRICH (1965, vergriffen) Band V: Aus den Anfängen der sozialistischen Dramatik II Herausgegeben von URSULA MÜNCHOW (1965, 1973, 1986)
Band VI: Rudolf Lavant Gedichte Herausgegeben von HANS UHLIG (1965)
Band VII: August Otto-Walster Leben und Werk Eine Auswahl mit unveröffentlichten Briefen an Karl Marx Herausgegeben von WOLFGANG FRIEDRICH (1966, vergriffen)
Band VIII: Aus dem Schriftstellerinnen
Schaffen
früher
Herausgegeben von CÄCILIA FRIEDRICH (1966)
sozialistischer
Band I X : Ernst Preczang Auswahl aus seinem Werk Herausgegeben von HELGA HERTING (1969) Band X : Leopold Jacoby Auswahl aus seinem Werk Herausgegeben von MANFRED HÄCKEL (1971) Band X I : Aus den Anfängen der sozialistischen Dramatik III Herausgegeben von URSULA MÜNCHOW (1972) Band X I I : Frühes Leipziger Arbeitertheater Friedrich Bosse Herausgegeben von GUSTAV SCHRÖDER (1972, vergriffen) Band X I I I : Max Kegel Auswahl aus seinem Werk Herausgegeben von KLAUS VÖLKERLING (1974, vergriffen) Band X I V : Kalendergeschichten und kleine Erzählstücke Herausgegeben von CÄCILIA FRIEDRICH (1975, vergriffen) Band X V : Otto Krille Unter dem Joch Die Geschichte einer Jugend Herausgegeben von URSULA MÜNCHOW (1975) Band X V I : Ein deutscher Chansonnier Aus dem Schaffen Adolf Lepps Herausgegeben von URSULA MÜNCHOW und KURT LAUBE (1976) Band X V I I : Werner Möller Sturmgesang — Krieg und Kampf Gedichte Herausgegeben von MATHILDE DAU (1977)
Band X V I I I : Aus dem Klassenkampf Herausgegeben von K L A U S V Ö L K E R L I N G (1978) Band X I X : Frühe sozialistische satirische L y r i k Herausgegeben von N O R B E R T R O T H E (1977) Band X X : G. M. Scaevola Gedichte und Stücke Herausgegeben von G U D R U N und H A N S H E I N R I C H K L A T T (1977) Band X X I : Das lyrische Feuilleton des „Volksstaat" Gedichte der Eisenacher Partei Herausgegeben von R E I N H A R D W E I S B A C H 1979, vergriffen) Band X X I I : Frühe sozialistische satirische Prosa Herausgegeben von N O R B E R T R O T H E (1981, vergriffen) Band X X I I I : Josef Schiller Auswahl aus seinem Werk Herausgegeben von N O R B E R T R O T H E (1982) Band X X I V : Deutsch-amerikanische sozialistische Literatur 1865-1900 Anthologie Herausgegeben von CAROL POORE (1987) Band X X V : Naturalismus-Debatte. 1891-1896 Dokumente zur Literaturtheorie und Literaturkritik der revolutionären deutschen Sozialdemokratie Herausgegeben von NORBERT ROTHE (1986, vergriffen)