Carl Wilhelm Tölckes Presseberichte: Zur Entwicklung der deutschen Sozialdemokratie, 1848–1893. Quellen zur Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung [Reprint 2019 ed.] 9783111632582, 9783794025220


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German Pages 279 [284] Year 1976

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Table of contents :
Inhaltsverzeichnis
Abkürzungen
Einleitung
I. Die Revolution von 1848/49
II. Die Anfänge der Arbeiterbewegung in Westfalen
III. Tölcke und die Presse
IV. Schweitzers Diktatur und die Gründung der SDAP
V. Tölcke und die Theorie des Sozialismus
VI. Staat, Monarchie, Parteien und Parlamentarismus
VII. Organisation und Agitation im ADAV
VIII. Die Einigung 1875
IX. Tölcke und die Gewerkschaftsbewegung
Zeittafel
Literaturverzeichnis
Personen- und Ortsregister
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Carl Wilhelm Tölckes Presseberichte: Zur Entwicklung der deutschen Sozialdemokratie, 1848–1893. Quellen zur Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung [Reprint 2019 ed.]
 9783111632582, 9783794025220

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Dortmunder Beiträge zur Zeitungsforschung Band 22 Herausgegeben von Kurt Koszyk, Institut für Zeitungsforschung der Stadt Dortmund

Carl Wilhelm Tölckes Presseberichte zur Entwicklung der deutschen Sozialdemokratie 1848-1893 Quellen zur Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung Bearbeitet von Arno Herzig

Verlag Dokumentation München 1976

C I P - K u r z t i t e l a u f n a h m e der Deutschen Bibliothek T ö l c k e , Carl Wilhelm ( Sammlung) Carl Wilhelm Tölckes Presseberichte zur Entwicklung der deutschen Sozialdemokratie: 1848-1893; Quellen zur Geschichte d . d t . Arbeiterbewegung / bearb. von Arno Herzig. (Dortmunder Beiträge zur Zeitungsforschung; Bd. 22) ISBN 3 - 7 9 4 0 - 2 5 2 2 - 9 NE: Herzig, Arno (Bearb.)

© 1976 by Verlag Dokumentation Saur KG, München Druck/Binden: Anton Hain KG, Meisenheim/Glan Printed in West Germany ISBN 3 - 7 9 4 0 - 2 5 2 2 - 9

Carl Wilhelm Tölcke

Inhaltsverzeichnis

Abkürzungen Einleitung I. 1. 2. 3. 4. 5. II. 6. 7. 8. 9. 10. 11. 12. 13. 14.

8 9

Die Revolution von 1848/49

11

Von der Republik (1848) Allgemeine Angelegenheiten (1848) Von der Gewerbefreiheit (1848) Bericht Uber Tölckes Prozeß in Wesel (1850) Auch ein "Jubiläum" (1876)

12 14 21 22 24

Die Anfänge der Arbeiterbewegung in Westfalen

27

Große Arbeiter-Versammlung in Iserlohn (1865) Bericht Uber die Behinderungen des ADAV in Iserlohn (1865) Der Iserlohner Bürgermeister HUlsmann an den Reg. Präs. v. Holzbrink in Arnsberg (1865) Der Iserlohner Landrat Overweg an den Reg. Präs. v. Holzbrink in Arnsberg (1865) Bekanntmachung des Iserlohner Bürgermeisters (1865) Dreifache Censur (Obrigkeit, Geldsack, Bornirtheit) (1865) Rheinisch-Westfälischer Arbeitertag und Feier des Stiftungsfestes der Gemeinden Hagen und Iserlohn (1865) Westphälischer Arbeitertag zu Iserlohn am 22. Dezember 1867 (1867/68) . . Rheinisch-Westphälischer Arbeitertag in Hagen (1868)

27 30 32 33 34 35 36 39 42

III. Tölcke und die Presse

48

15. 16.

49

Vorwort (1848) Criminal-Gerichtsverhandlung gegen den Commissionar Karl Wilhelm T ö l c k e und den Redacteur der "Westf.Fr. Pr. " Kühl wegen Preß-Vergehens (1878)

IV. Schweitzers Diktatur und die Gründung der SDAP 17. 18. 19. 20. 21. 22.

Tölckes Berichte Uber die General-Versammlung in 3 1 . 3 . 1 8 6 9 (1869) Zur Aufklärung (1869) Tölckes Aufruf an alle Lassalleaner vom 1 9 . 7 . 1 8 6 9 Tölcke Uber das Eisenacher Programm (1869) Der Congreß zu Eisenach. Aufgedeckter Betrug und der Gegner des Allg. deutsch. Arb. - Vereins (1869) Bericht des Demokratischen Wochenblattes Uber die Kongresses (1869)

51 56

Barmen vom 2 8 , 3 . bis

(1869)

57 94 97 99

vollständige Niederlage 101 Eröffnung des Eisenacher 105

5

V.

Tölcke und die Theorie des Sozialismus

108

23. Rede des Herrn C.W.Tölcke, gehalten auf dem Rheinisch-Westphälischen Arbeitertage zu Hagen am 5. Juni 1865 (1865) 109 24. Populäre Beleuchtung der jetzigen Groß-Industrie und der künftigen ProductivAssociationen (1867) 119 25. Tölckes Thesen für die Versammlung auf der Asse bei Wolfenbüttel am 19.7.1868 134 26. Antrag Tölckes an die GV von Berlin (22. -25. 5.1872) auf Änderung des Statuts des ADAV 136 27. Programm der deutschen Arbeiter für die nächsten Reichstags-Wahlen am 10.1.1874 (1873) 137 28. Tölckes Programm für die Reichstagswahlen am 10.1.1874 (1873) 141 29. Tölckes Programmentwurf für den Gothaer Kongreß (1875) 144 30. Die "Endziele" der Sozialdemokratie (1891) 146 VI. Staat. Monarchie, Parteien und Parlamentarismus

153

31. Tölckes Bericht über die Königsfeier des ADAV in Iserlohn am 22. 3.1865 (1865) 154 32. Unser Parteistandpunkt (1866) 158 33. Herr Friedrich Harkort und die Arbeiterfrage (1867) 177 34. Bericht der gegnerischen Presse über eine Rede Tölckes am 3. 5.1869 in Berlin (1869) 182 35. Bericht der Vossischen Zeitung über die Sprengung der sog. Concerthausversammlung der Fortschrittspartei am 7.11.1869 }n Berlin durch C.W.Tölcke und die Mitglieder des ADAV (1869) 184 36. Ein Attentat gegen die Arbeiter (1869) 188 37. Erklärung der Iserlohner Volksversammlung zum Deutsch-Französischen Krieg (1870) 190 38. Bericht der Hagener Zeitung über eine Veranstaltung des ADAV in Hagen (1871) 190 39. Die "einzige reaktionäre Masse" sammelt sich (1878) 192 40. Nach Kanossa gehen wir nicht (1878) 194 41. Eine imposante Partei-Versammlung (1890) 195 42. Genossen! Auf zur Wahl (1893) 197 VII. Organisation und Agitation im ADAV

199

43. 44. 45. 46.

199 201 203

47. 48. 49. 50. 51. 52. 6

Wiedereinführung des Lassalleschen Statuts durch Tölcke (1866) Erklärung Tölckes gegen die Opposition Hugo Hillmanns (1866) Die Auseinandersetzung um Tölckes Anerkennung als Präsident (1866) . . . W. Brackes Bericht über die Volksversammlung auf der Asse bei Wolfenbüttel am 19.7.1868 (1868) Zur Organisation (1872) Versammlung von Landwirthen (1877) Ein heiteres Bild in ernster Zeit (1878) Zur Harmonie zwischen Kapital und Arbeit (1878) Ein Antrag Tölckes zur Agitation im Ruhrgebiet (1891) Tölckes letzte Erklärung (1893)

209 211 213 215 216 218 219

VIII. Die Einigung 1875

221

53. 54. 55. 56. 57.

222 223 223 224

58. 59. 60. 61. 62.

Antrag auf der GV in Hannover (18. -24. 5.1873) W. Liebknechts Brief vom 11.10.1874 an Bebel über Tölckes Einigungsversuch A. Geibs Brief vom 8 . 1 1 . 1 8 7 4 an Marx Westdeutscher Arbeitertag (1875) Über den Programmentwurf. Stimmen aus der Partei. Das Programm der deutschen Arbeiterpartei und der westdeutsche Arbeitertag (1875) Zur Verständigung über die Programmfrage (1875) W. Hasenclever auf dem Gothaer Parteitag 1875 über Tölckes Einigungsbemühungen 1874/75 W.Liebknecht auf dem Erfurter Parteitag 1891 über Tölckes Einigungsbemühungen 1874/75 I.Auer auf dem Mainzer Parteitag 1900 über Tölckes Einigungsbemühungen 1874/75 E. Bernstein über Tölckes Einigungsbemühungen 1874/75

IX. Tölcke und die Gewerkschaftsbewegung

227 230 231 232 233 234 235

63. Zum Allgemeinen Deutschen Arbeiter-Congreß. Aufruf an alle Handwerker, Fabrik- und Handarbeier des Kreises Iserlohn (1868) 64. Allgemeine Genossenschaft der Berg-, Hütten- und Salinen-Arbeiter (1868) 65. Allgemeine Genossenschaft der Berg-, Hütten-und Salinen-Arbeiter. An die Mitglieder (1869) 66. Generalversammlung des Allgemeinen deutschen Arbeiterschaftsverbandes in Kassel vom 23. 5 . - 2 7 . 5.1869 67. Allgemeine Genossenschaft der Berg-, Hütten- und Salinenarbeiter. Aufruf (1869) 68. Zur Arbeitseinstellung der Bergleute (1889) 69. Zur Entgegnung (1889) 70. Zur Arbeits-Einstellung der Bergleute (1889) 71. Bebels Erklärung zum Streik an der Ruhr (1889) 72. Nochmals zum Bergarbeiterstreik (1889)

253 254 256 257 260 261

Zeittafel Literaturverzeichnis Personen- u. Ortsregister

264 268 270

235 236 240 240

7

Abkürzungen

ADA Verb. ADAV Bev. GV IISG IKB IKZ LHA Lr. M.d.R. MEW nat. lib. NSD Pol. Präs. RWAZ SAPD SD SDAP Soc. Pol. Bl. Sta. Ms. Sta.Pt. Stda Vst WAZ WFP

8

Allgemeiner Deutscher Arbeiterschaftsverband Allgemeiner Deutscher Arbeiter-Verein Bevollmächtigter General-Versammlung Internationales Instituut voor Sociale Geschiedenis Amsterdam Iserlohner Kreisblatt Iserlohner Kreisanzeiger Landeshauptarchiv Landrat Mitglied des Reichstags Karl Marx und Friedrich Engels, Werke, Berlin 1962ff. nationalliberal Neuer Social-Demokrat Polizei Präsident Rheinisch-Westfälische Arbeiter-Zeitung Sozialistische Arbeiterpartei Deutschlands Social-Demokrat Sozialdemokratische Arbeiterpartei Social-Politische Blätter Staatsarchiv Münster Staatsarchiv Potsdam Stadtarchiv Volksstaat Westfälische Arbeiter-Zeitung Westfälische Freie Presse

Einleitung

Für die Frühgeschichte der deutschen Arbeiterbewegung bilden die Berichte der sozialdemokratischen Zeitungen neben den Parteitagsprotokollen die wichtigste Quellengrupp e . In der Presse konnte sich die Partei selbst darstellen, in ihr spiegeln sich ihre Konflikte und Probleme. Die amtlichen Akten dagegen, soweit sie sich auf dieses historische Phänomen beziehen, schildern die Vorgänge weitgehend aus der Sicht voreingenommener Beamter. D i e vorliegende Publikation versucht, die Entwicklung der deutschen Sozialdemokratie in ihrer Frühphase aus der Sicht eines ihrer markantesten Mitglieder darzustellen. C . W. Tölcke (1817-1893) gehörte zwar nicht zu den führenden Politikern der SPD wie seine Zeitgenossen Lassalle, Schweitzer, Bebel und W.Liebknecht, aber als bedeutender Funktionär der Partei bestimmte er ihre Entwicklung weitgehend mit und reflektierte das Geschehen von der Basis her. Als einer der wenigen hat er die Entwicklung der deutschen Sozialdemokratie von ihren Anfängen im sozialen Protest der 48er-Revolution bis hin zum Erfurter Programm 1891 miterlebt. Seine Artikel reflektieren j e doch nicht nur das Geschehen, sondern hatten auch die Funktion, in das Geschehen einzugreifen und Entwicklungslinien zu bestimmen. Deshalb darf hier der Begriff 'Artikel nicht im engen Sinne dieses Wortes verstanden werden. Es sind vielfach auch Erlasse oder Verordnungen darunter. Den Artikeln aus der Feder Tölckes sind andere Quellen zugeordnet. Hierbei handelt es sich entweder um amtliche Publikationen oder aber um Darstellungen von Freunden und Gegnern, die Tölckes Interpretationen aber auch seine Leistungen ins rechte Licht rücken sollen. Die fortlaufende Nummer dieser Quellen ist in Klammer gesetzt. T i t e l , die durch eckige Klammern gekennzeichnet sind, entstammen nicht dem Original. In die einzelnen Themengruppen leiten kurze Abhandlungen ein, die Tölckes Rolle in diesem Zusammenhang zu klären versuchen. Erläuterungen und Publikationen sollen nicht eine Biographie C. W. Tölckes ersetzen, sondern nur bestimmte Blickpunkte aufzeigen.

9

I. Die Revolution von 1848/49

Tölckes politische Tätigkeit begann in der Revolution von 1848/49. Seit 1844 lebte er als Justizbeamter in Altena/Westf. Während der Zeit der Reaktion, als jede offene politische Tätigkeit verboten war, hatte er einen Turn- und einen Gesangverein g e gründet, aus denen später die demokratisch- konstitutionelle Bewegung in Altena hervorging. Tölckes politischer Standpunkt war alles andere als radikal. Wie seine Z e i tungsartikel aus dem Jahr 1848 beweisen, war er ein gemäßigter Konstitutioneller, der die Schwächen des preußischen Staates nicht in der Monarchie, sondern im "System" sah. Für die allgemeine politische Misere machte er die Beamten, die Justiz, die Armee und die Kirchen verantwortlich. Der König selbst, so meinte er, genieße das Vertrauen des Volkes. Konsequent lehnte er deshalb die Republik ab. Doch sind die sozial-kritischen Töne in seinen Artikeln nicht zu überhören. Schon hier deutet sich Tölckes spätere Entwicklung zum Sozialisten an. Trotz seiner monarchistischen Gesinnung mußte er jedoch seinen Dienst als Justizbeamter quittieren, da er angeblich als Auktionar eine Unterschlagung begangen hatte. Tölckes Dispensierung hatte zweifelsohne politische Gründe. Dennoch ließ er sich nicht einschüchtern, sondern gab nun ein Wochenblatt "Den Volks-Boten" heraus, von dem nur 3 Nummern erhalten blieben. Er versuchte, mit dieser Zeitung ein Publikationsorgan für die allgemeine politische Diskussion zu schaffen. Die Ereignisse ;m Herbst 1848 und im Frühjahr 1849 ließen T ö l c k e von seiner gemässigten konstitutionellen Gesinnung abrücken. Der Konstitutionelle Bürgerverein in Altena, dessen Präsident er war, schloß sich der demokratisch-konstitutionellen Bewegung an. Diese Bewegung versuchte - allerdings ohne Erfolg - eine Synthese von D e mokratie und Konstitutionalismus. Dennoch sprach sich T ö l c k e trotz der Erfahrungen im Herbst 1848 gegen jede Radikalität aus, obgleich er nun die Exsistenz sich bekämpfender Parteien befürwortete, was er im Sommer 1848 noch abgelehnt hatte. Aus seinen Artikeln aus dem Jahr 1848 spricht immer wieder der Justizbeamte, der Recht und Ordnung über jede Veränderung setzt. Reserviert verhielt er sich deshalb während der Iserlohner Erhebung im Mai 1849. Seine Briefe an den Magistrat in Altena und den Sicherheitsausschuß in Iserlohn verraten mehr taktische Zurückhaltung als revolutionäre Begeisterung. In seiner Verteidigungsrede vor dem Gericht in Wesel kennzeichnet er objektiv sein Verhalten während der revolutionären T a g e im Mai 1849. Das Gericht sprach ihn deshalb frei. Aus der Rückschau des Jahres 1876 nimmt sich für T ö l c k e dieses Ereignis allerdings andersaus. Nun sieht er die Teilnahme an der Iserlohner Erhebung als wichtigen Schritt in seiner Entwicklung zum Sozialisten.

11

1 V o n der Republik (1) ' s ist gar kein schlechter Posten, so ein Ober-Baurathsposten und das Gehalt dabeiist auch nicht bitter; aber wenn mich heute die Regierung oder das Ministerium fragen würde: willst du Oberbaurath werden? ich müßte mich doch hinter den Ohren kratzen und schönstens danken. Das Gehalt allein wäre mir schon recht, aber was das Andere betrifft, da verstehe ich vom Oberbaurath gerade so viel, als der Esel vom Lauteschlagen, und würde 's eher fertig kriegen, eine ganze Stadt einzureißen, als ein einziges Haus richtig in die Höhe zu bringen. J a , ' s will jedes Ding gelernt sein, vom Niedrigsten bis zum Höchsten, der T i t e l m a c h t ' s nicht, und R e p u b l i k a n e r zu sein, das heißt ein r i c h t i g e r , nicht so ein Fuscher, wie sie heut zu Tage in allen Gewerken 'rumlaufen, das ist das schwerste Geschäft, was sich nur Einer denken kann - ist aber auch für den, der 's fertig kriegt, die allergrößte Ehre und ich ziehe meinen Hut tief vor ihm ab. In einem Lande, wo ein e r b l i c h e r König herrscht, braucht sich kein Mensch weiter um die Regierung zu bekümmern. Man heißt das Monarchie. Die Polizei erhält die Ordnung, die Soldaten halten die Feinde ab und an jeder Ecke steht ein Beamter für das, was sonst noch zu thun ist. 's m a g das ein bequemes Ding für Einen sein, der den lieben Gott einen guten Mann und fünf gerade sein läßt, wenn er nur seine Ordnung und seine Bequemlichkeit hat; aber für Einen, der gern selber nach seiner Sache sieht, der mit seinem eigenen Kopfe denken und im Nothfall selber seinem Manne stehen möchte, ist das nichts. - Also, hat's unter den richtigen Männern geheißen, wir wollen unsere Sache selber besorgen, wir sind Einer so gut ein Mensch, wie der Andere, und habens nicht nöthig uns vor Welchen zu bücken, die doch nur von unserm Gelde leben und brauchen auch Keinen, der uns säuberlich zumißt, soviel als er gut für uns findet. Also: König? - weg damit! Wir wählen die Klügsten und die Bravsten unter uns heraus, die mögen zusammentreten und die Regierung besorgen, was Einer nicht weiß, weiß der Andere; den Tüchtigsten aber wählen wir zum Präsidenten, der die Verhandlungen leitet, das Ganze übersieht und hübsch zusammenhält. Alle Jahre aber werden die Abgeordneten neu gewählt - die sich brav gehalten haben, kommen wieder hin, für die Andern werden neue hingeschickt. Alle vier oder fünf Jahre aber wird dasselbe mit dem Präsidenten gemacht. So lange muß der schon bleiben, damit das Regierungswesen Halt kriegt. Polizei? - weg damit, wenigstens wie sie bis jetzt war! Jeder hat selber auf Befolgung der Gesetze zu sehen; und was etwa noch nothwendig ist, um die Ordnung anzuleiten, das können Wenige von u n s besorgen. Stehendes Heer? - weg damit. Kommt der Feind, da steht alles kräftige Volk auf und jagt ihn zum Lande hinaus. Damit wir aber die Waffen führen lernen u . s . w . wird alle Jahre eine kurze Zeit geübt. Beamte? - Nur soviel als durchaus nothwendig sind, und jeder Beamte bleibt trotz seines Amtes Bürger wie die Uebrigen. Keiner ist überhaupt mehr als der Andere, Bürger des Staats zu sein, ist der höchste T i t e l und Jeder nimmt nur den Platz ein, wo ihn die Achtung der Uebrigen hinstellt. 1) Volks-Bote, Nr. 3 (20.9.1848) 12

So - und damit wäre ungefähr die R e p u b l i k fertig. Wie aber der OberbaurathsPosten nicht gleich Jeden zu einem wirklichen Oberbaurath macht, so macht auch die Republik noch lange keine R e p u b l i k a n e r ; und wie das jammervollste Unglück entstehen kann, wenn sich Einer durch das schöne Gehalt verlocken läßt und auf gut Glück Häuser baut - gerade so wird's, wenn ein Volk wegen der lockenden Freiheiten Republik macht und nichts davon versteht. Wir wollen nun einmal weiter schauen! Die Sache geht los, der erste Präsident soll gewählt werden. Der Tüchtigste heißt es. Wie aber jede hübsche Frau sich meist für die schönste hält, so meinen auch viele Männer, mit denen halbwege was los ist, es könnte's gar kein Anderer mit ihnen aufnehmen. Und Regieren, der Erste im Staate sein, muß gar nicht Übel sein. Stimmen werden geworben, Parteien werden gemacht, dem Volke geschmeichelt, der Freigebige gespielt - Wahlumtriebe nennt man das; - aber ein Präsident ist nur zu wählen, und wer das Glück hat hat auch meist so viel Feinde bekommen als er Mitwerber hatte. Vier Jahre sind bald um. Der Präsident ist brav gewesen, - aber ein Anderer hat sich beim Volke eingenistet, der Wahlkampf geht von Neuem los, die Parteien verfolgen sich - 's ist mehr als einmal geschehen, daß sie zum Schwerte gegriffen haben. Das sind die Parteikämpfe, die das Volk zerspalten, uneinig und schwach machen. Endlich ist der neue Präsident da. Der hat aber ganz andere Ansichten als sein Vorgänger, er setzt sie durch, wirft, was da ist, über den Haufen und führt Neuesein, nach wieder vier Jahren spielt dasselbe Stück vielleicht von Neuem. Na, ein Blinder sieht, daß das nicht gehen kann. Aber weiter: Das Volk gibt sich seine Gesetze selbst und die haben nur dadurch ihren Halt, daß jeder Einzelne im Volke sie respektirt. 's ist aber nicht leicht, ein unbequemes Gesetz zu befolgen, ein Gesetz, das vielleicht dem eigenen Nutzen geradezu entgegen läuft, b l o ß w e i l d a s G e s e t z da i s t , b l o ß d e r O r d n u n g h a l b e r , und doch muß es sein; denn wenn der, der das Gesetz gegeben hat, selber dagegen sündigt wer soll es aufrecht erhalten, was soll aus der Ordnung aus dem ganzen Staate werden > Und wenn der Staat, das Vaterland in Noth ist, da sind nur die Bürger da, die es halten können. Und wenn da nicht jeder seine Bequemlichkeit, sein Vermögen, sein Geschäft, sein Leben dran setzen, wenn Einer nur e r s t an sich und d a n n an's Vaterland denken wollte - was sollte da aus dem armen Vaterlande werden 1 Was der Ober-Baurath braucht, daß er sicher und fest baut, das weiß ich nicht, was aber ein Republikaner können muß, wenn sein Staat nicht einfallen und ein Ende mit Schrecken nehmen soll, das kann ich wohl so ungefähr sagen: V e r g i ß d i c h s e l b s t , w e n n v o m V a t e r l a n d e d i e R e d e i s t ! so heißt die ganze Weisheit. Bist du ein tüchtiger Mann und dir wird dennoch ein Anderer vorgezogen, so vergiß Eitelkeit Neid und Eigenliebe und f r e u e dich, daß es noch Tüchtigere gibt, als du. Steht das Gesetz vor dir,so vergiß Vortheil und Selbstsucht und gehorche ihm. Sollst du dem Vaterlande dienen, so vergiß Bequemlichkeit, Broterwerb, ja dein Leben, leide und opfere dich, wenn es Noth thut. So heißt die Lektion für den Republikaner u. nun möchte ich einmal mit allen den Herren, die jetzt "Republik" schreien, ein Examen anstellen. V e r g i ß d i c h " s e l b e r n i c h t ! " so klingt bei den meisten die Losung. Und das Volk? Der ehrsame BUrgerstand? - O ja doch! Jeder ist sich selbst der Nächste. Erst komme ich, dann komme ich noch einmal, dann meine Familie und mein Gewerbe, dann eine ganze 13

W e i l e gar nichts und dann wollen wir m a l zusehen, was sich etwa thun l ä ß t ! - 's würde wirklich eine schöne Republik! und wenn m e i n Nachbar Schulze m e i n t : Republik und Mord undTodtschlagdassei eins, da hat er, w i e d i e S a c h e n j e t z t stehen, gar so unrecht nicht. Es hat e i n m a l Einer gesagt - Jedes Volk das vorwärts geht, wird nach und nach so reif werden, daß endlich die Republik bei ihm kommen m u ß . Ob das seine ausgemachte Richtigkeit hat, weiß ich nicht, so viel weiß ich aber, daß wir j e t z t gerade so für die Republik passen, wie ich zum Ober-Baurath. Wenn erst unsere Wortführer den Dünkel, den Neid, die Herrschsucht und die Selbstsucht in sich selber todtgemacht haben, wenn sie selber sich nichts, das Heil des V a terlandes aber ihnen Alles ist, w e n n s i e R e p u b l i k a n e r g e w o r d e n s i n d wenn das Volk erst soweit reif geworden, daß Jeder m i t dem eignen Verstände begreift, m i t dem eigenen Herzen fühlt, was n o t h w e n d i g ist, wenn das Gesetz ihm als das Heiligste und der Ruhm, ein guter Bürger zu sein, ihm als das Höchste gilt - dann man zu mit der Republik! und i c h bin der Erste dabei. Bis dahin aber, wenn Einer ein republikanisches Gelüstchen hat, denke Jeder an den Ober-Baurath und das Unglück, das entstehen muß, wenn Einer Häuser baut und nichts davon gelernt hat.

2a Allgemeine Angelegenheiten (1) In unserer Z e i t , wo J e d e r berufen ist, auf die Gestaltung unserer staatlichen und gesellschaftlichen Verhältnisse einzuwirken, thut es v o r A l l e m Noth, daß auch e i n J e d e r m i t der Beschaffenheit dieser Verhältnisse möglichst genau bekannt ist. Da vernimmt man aber heut' zu T a g e so verschiedenerlei Begriffe von Despotismus, Absolutismus, constitutioneller Monarchie, breiten Grundlagen, Republik, Jacobinern, Socialismus, Communismus, Aristokratie, Büreaukratie, Pauperionismus, Proletariat, Anarchie und, weiß Gott, von was sonst noch A l l e m , und diese Verschiedenheit der Begriffe wird von einzelnen Partheien dermaßen vermehrt und zu ihren besondern Zwecken benutzt, daß es ein wahrer J a m m e r und zu bewundem ist, wenn es bei d i e sem Wirrwarr nicht schon längst zu Mord und Todtschlag - der wahren Arnarchie gekommen ist. Daran ist aber allein die " s c h l e c h t e Wirthschaft" der frühem Vormünder des Volkes Schuld. Hätte man das Volk von Anfang an gehörig in die Schule geschickt, das heißt: hätte man es bei der Verwaltung seiner Angelegenheiten m i t herangezogen, und, n a c h dem es die Kinderschuhe ausgezogen, (etwa vor 3 0 Jahren) auch an den B e r a t h u n g e n darüber T h e i l nehmen lassen, dann würde nach erlangter Großjährigkeit (1848) sein Unterthanen-Verstand" - wie die Vormünder sagen - nicht so "beschränkt" g e wesen sein. Das war aber eben ihre Absicht: Sie wollten sich dem Volke u n e n t b e h r l i c h m a c h e n . - Sie vermehrten sich wie die Kaninchen und wurden gefräßig wie die Wölfe; sie hatten einen immerwährenden Heißhunger. -

1) Volks-Bote, Probenummer ( 3 0 . 8 . 1 8 4 8 )

14

Inzwischen nahm das Vermögen des minderjährigen Volkes j ä h r l i c h in einem s t e i g e n den M a a ß e ab, das der Vormünder hingegen in g l e i c h e m Verhältniß zu. Was Wunder, wenn sie nunmehr, da das Volk bei seiner Großjährigkeit seine Angelegenheiten selbst ordnen und leiden will, die Augen aufreißen und Zetermordier schreien? O, die " s c h l e c h t e Wirthschaft"! Wir werden zur Aufklärung über den Stand unserer g e meinsamen Verhältnisse nach Kräften mitwirken, und in der nächsten Nummer vorab d e n S t a a t u n d s e i n e V e r w a l t u n g betrachten, dabei etwaige Mängel in der Verwaltung hervorheben und die Mittel b e z e i c h n e n , durch w e l c h e sie beseitigt werden können, Alles unter dem Wahlspruch: Gerechtigkeit

und

Billigkeit!

2b Allgemeine Angelegenheiten (1) 1. D e r S t a a t u n d s e i n e Verwaltung (Fortsetzung) Die gewaltigen Ereignisse in Frankreich brachten auch das preußische Volk und besonders die bis dahin so stiefmütterlich behandelten B e s i t z l o s e n auf die Beine. Die Besitzer hatten weniger Ursache; sie hatten j a ihren Landtag, der s i e , n i c h t aber die B e s i t z l o s e n der Regierung gegenüber v e r t r a t . ( 2 ) - Die von den Besitzern so oft und in so niederträchtiger Weise getadelten " M ä r z h e l d e n " , die "besitzlosen Barrikadenmänner" schufen Preußen in eine c o n s t i t u t i o n e l l e M o n a r c h i e um. Bis zum März dieses Jahres hatte man das Volk für nicht r e i f , oder mit andern Worten gesagt: für zu dumm gehalten, an den Staatsgeschäften und besonders an der G e s e t z gebung T h e i l zu nehmen, und auf a l l e m ö g l i c h e Weise dahin gewirkt, das Volk, so weit es noch nicht reif war, auch dumm zu lassen, oder wenn es hie und da etwas Verständiges durchblicken ließ, es wieder dumm zu m a c h e n . D e m Könige benahm man die Gelegenheit, den wahren Zustand des Landes und die gerechten Wünsche des Volkes kennen zu lernen. Immer log man ihm vor, das Land sei glücklich und m i t der Regierung im höchsten Grade zufrieden. Bittschriften, die das Gegentheil bewiesen, kamen ihm nicht zu Gesicht, und bei seinen Rundreisen im Lande wurde er Uberall, und zwar meist auf B e f e h l d e r B e h ö r d e n , mit den höchsten Ehren- und Freudenbezeugungen empfangen. Das größte Elend wurde mit schwarzweißen Fahnen behangen, und zerlumpte Menschen, Bettler, durften sich nicht blicken lassen. - Ueberall wurde der S c h e i n hervorgezaubert, als l e b e das Volk in größtem Wohlstande und als b l e i b e ihm nichts zu wünschen übrig. - So hatte man den König getäuscht, bis das Volk endlich selbst, theilweise in großen Massen, zu ihm ging, um ihm die Wünsche des Landes vorzutragen und um ihn um Gewährung dessen zu bitten, was dem Volke Noth t h a t . D e m Könige gingen nun zwar die Augen auf, a l l e i n seine falschen Räthe befürchteten, und das mit Recht, von der Willfährigkeit gegen die Bitten des Volkes Nachtheil zu haben, und deshalb wurde die Antwort an die Bittsteller mit Granaten und Kartäschen ertheilt. - Doch die Bittsteller wichen nicht; sie e r k ä m p f t e n sich das, was sie nicht e r b i t t e n konnten. Die falschen Räthe wurden vom Könige entlassen, und das 1) Volks-Bote, Nr.2 ( 1 3 . 9 . 1 8 4 8 ) 2) Gemeint ist der A l l g e m . Preuß. Landtag von 1847 15

f r e i e V o l k setzte seinen König auf's Neue auf den Thron, um von nun ab mit i h m z u s a m m e n zu berathen, zu regieren und das Recht zu pflegen. D a s a l l g e m e i n e W a h l r e c h t war die Haupt-Errungenschaft der Märzhelden, der Barrikadenmämer, und aus ihm hervorgegangen sind gegenwärtig Abgeordnete des Volkes in Berlin versammelt, um das Verhältniß zwischen König und Volk, festzustellen und auf diese Weise aus Preußen eine "constitutionelle Monarchie zu schaffen. Aber, wird man fragen, welcher Zweck hatte eine solche Täuschung des Königs, und wie war sie möglich? Antwort: Die Stadtverwaltung war eine Versorgungsanstalt für Leute, die nicht gerne arbeiten, aber gut leben wollten; Faullenzer, Schmarotzer, Schlämmer, Speichellecker und Wollüstlinge fanden in ihr ein "anständiges Unterkommen " auf Kosten des Volkes. In den Zeiten der Leibeigenschaft hatten die Adeligen sich in das Land und die Menschen getheilt, und das Recht und die Gelegenheit zu allen möglichen Bedrückungen; jeder von ihnen war ein kleiner Fürst und gar oft ein großer Tyrann;- nach Aufhebung der Leibeigenschaft fanden sie vollständige Entschädigung im Staatsdienste. Doch strebten nicht die Adeligen allein nach einer solchen Versorgung, auch Bürgerliche fanden das Leben an den Höfen und in den besten Aemtern sehr angenehm. Der Zudrang zu der Anstalt wurde immer stärker und machte eine unausgesetzte Erweiterung derselben - neue Aemter und Würden - und dadurch eine Vermehrung der Einkünfte - Steuern - nothwendig. - Die Einkünfte der Anstalt - Steuern - mußte das Volk bezahlen, und damit es das auch g e r n e that, eine besondere Vorliebe für die Anstalt - Patriotismus genannt - in ihm geweckt und genährt werden. Der Plan der Anstalt - in neuerer Zeit oft das "gestürzte System" geheißen - war sehr fein durchdacht und wurde stets mit besonderer Geschicklichkeit ausgeführt. Ein Rädchen der Staatsmaschine, durch welche Volk und König von einander getrennt gehalten wurde, griff ganz fein in das andere und das Ganze ging im besten Schmier. - Die künstliche Einrichtung der Versorgungsanstalt ist bewundernswerth, und es lohnte sich wohl der Mühe, sie etwas näher zu betrachten, doch wir wollen erst dann ein Lied darüber singen, wenn wir mal neue Notenbücher - Preßgesetze - erhalten haben. Nach den alten geht's schlecht. - Da kommen gar oft Mißtöne zum Vorschein, hie und da bleibt auch wohl ein Ton in der Kehle stecken und das könnten die Kapellmeister wie die Zuhörer schief aufnehmen. Einige leichte Melodieen können wir indeß, ohne dies befürchten zu müssen, zum Besten geben, und zwar über 1) "die ungeheure Vermehrung, Abänderung und Erläuterung der Gesetze. " (TenorArie aus A Moll mit Schellenbegleitung.) Ohne Advokat kann bald Niemand mehr den unbedeutendsten Prozeß führen, und dann sind auch die Ansichten der "Rechtsgelehrten" gar oft durchaus verschieden. Ein Advokat glaubt häufig einen Prozeß zu gewinnen; beim Gericht "erster Instanz" verliert er ihn, in "zweiter Instanz" gewinnt er, und in "dritter Instanz" verliert er wieder. Das kann nur seinen Grund in der Unvollständigkeit oder in einer großartigen Verwicklung der Gesetze haben. Wären die Gesetze einfach und klar - und das k ö n n e n und s o l l t e n sie sein, in einem Staate der nach vernünftigen Grundsätzen verwaltet wird, - so daß J e d e r , der gewöhnlichen Schulunterricht genossen hat, s e l b s t daraus entnehmen könnte, was der Staat für Recht oder Unrecht hält, dann würden viele Prozesse nicht angefangen werden, und es könnten die Ansichten der "Rechtsgelehrten" nicht so sehr verschieden sein, welche Verschiedenheit die streitenden Theile, die

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fast immer nur den ärmem Klassen angehören, mit ihrem sauer erworbenen Vermögen ungerechterweise bezahlen müssen. Die Arbeiten der Behörden würden abnehmen und eine Verminderung der Beamten, und in Folge dessen auch eine Herabsetzung der hohen Sportelsätze möglich sein. Eine Vereinfachung der Gesetzgebung durch Zusammenschmelzung der noch geltenden und Hinweglassung aller Aufgehobenen, abgeänderten und erläuterten Bestimmungen, gehört keineswegs zu den Unmöglichkeiten, und man sollte sagen, die seit langen Jahren in Berlin thätig oder wenigstens anwesend gewesene, hoch besoldete Gesetzgebungs-Revisions-Commission mit a l l ' ihrem Anhängsel, hätte diese Arbeit längst vollendet haben können. Solche Betrachtungen haben im Volke die Ansicht geltend gemacht, daß durch die Verwickelung und Vermehrung der Gesetze nichts anders als eine Vermehrung der Beamten - "der Hauptstützen des gestürzten Systems" - und nebenbei eine Vermehrung der Staats-Einnahme bezweckt worden sei. - Man kann solche Gedanken dem Volke nicht verargen. 2) " D i e großartige Vermehrung, Abänderung und Erläuterung der Geschäfts-Instructionen für die Behörden." (Baß-Solo aus O Dur mit Federgekritzel und Aktenstaub.) In gleichem Maaße, in welchem diese Vermehrung, Abänderung und Erläuterung zugenommen hat, ist auch die Z a h l d e r B e a m t e n g e s t i e g e n . - Eine Vereinfachung des Geschäftsganges ist in allen Zweigen möglich und sogar l e i c h t a u s f ü h r b a r , wenn nur tüchtige Männer, d i e d e n p r a k t i s c h e n D i e n s t k e n n e n , mit zu Rathe gezogen werden. Das Volk meint, daß durch die Vermehrung und Verwicklung der Geschäfte auch die Vermehrung der Beamten - der Hauptstützen des gestürzten Systems" - beabsichtigt worden sei, und man kann's ihm nicht verdenken. Wahrscheinlich liegt in der Verwickelung und Vermehrung der Geschäfte auch der Grund zu der 3) B r u t a l i t ä t d e r B e a m t e n . - (Solo für eine Brummstimme aus Brr! * Dur mit Kanonendonner.) Wenn man mitunter hört und sieht, mit welcher Grobheit so mancher Mensch behandelt wird, dann erlangt man die Ueberzeugung, daß die meisten Beamten die Ansicht haben, das Volk sei ihretwegen und nicht sie des Volkes halber da. - Der Umstand, daß man in der Regel bei den "beschränktesten" (unfähigsten) Beamten die meiste und gröbste Grobheit findet, giebt zu der Hoffnung Veranlassung, daß nach der zu erwartenden Verminderung des Personals, in der Beamtenwelt die Grobheit im Allgemeinen bedeutend abnehmen wird. Das Vergnügen, die Nasen und Absätze hoch zu tragen, wollen wir den Herren und Herrchen gern lassen. D i e M e l o d i e e n Uber 4 ) die Benutzung der Schulen zur Einimpfung des "Patriotismus", (des falschen,) 5) Verdummung des Volks durch die Pfaffen, von der Kanzel, in Vereinen und r e a c tionairen Z e i t - und andern Schriften, (Curiosum für zwei Dunkelmänner aus Hm! Dur, mit Zähnengeklapper,) 6) Dressur des Militairs zu volksfeindlichen Zwecken, (Standale aus Heu-Moll und Stroh-Dur, mit Sporengeklirr und Säbelgerassel,) 7) Verdummung des Volks durch gekaufte Zeitschriften, Unterdrückung der Preßfreiheit und Polizeispionirei, (Potzourri aus allen Tonarten ohne Begleitung,) 8) Vertheilung von Orden und Ehrenzeichen, Aufnahme gefährlicher Personen in die Versorgungs-Anstalt, (Liebeslied aus Stern-Dur mit Kratzfüßen und Schlangengezisch. ) 17

9) Die Kunst, die Einkünfte der Versorgungs-Anstalt - die Steuern - in vielerlei e i n zelnen Theilchen zu erheben, daß der Bauer nicht merkt, "daß er 25% seines ReinErtrages bezahlen m u ß , " (große Concertion in mehrern Abtheilungen) wird der VolksBote auf seiner nächsten Reise singen. Lieb wäre es ihm, wenn von mehrem Seiten m i t eingestimmt würde, weil dann der Gesang nicht so eintönig sei, vielmehr bald mindestens ein Quartett zu Stande kommen würde. "Laßt bald m a l was von Euch hören, Ihr Volkssänger!" Für heut' noch ein ernstes Wort: In unsern seitherigen Abhandlungen glauben wir schon zur Genüge dargethan zu haben, daß von den besprochenen Formen der Staats-Verfassungen, a l l e i n die k o n s t i t u t i o n e l l e M o n a r c h i e - die aristokratischen und demokratischen Freistaaten oder Republiken halten wir aus Gründen, die wir nächstens mitheilen werden, f ü r j e t z t d a z u nicht geeignet - die sichersten Bürgschaften für das wahre Wohl des Volkes bietet. - Aber es wird von so manchen Seiten dahin gearbeitet, die Constitution nicht aufkommen zu lassen, daß es wahrlich Noth thut, Alles aufzubieten, um jeden Versuch das Volk von Neuem zu knechten und ihm seine eben erst mit seinem Blute errungenen Rechte wieder zu entreißen, kräftig entgegenzutreten. Diejenigen Partheien, welche "zu ihrem eigenen Vortheile" jene Versuche zu machen, Veranlassung nehmen, glauben wir bereits hinreichend bezeichnet zu haben, es sind die verschiedenen Arten der Reactionaire: (Rückschrittsmänner,) die Beamten, Aristokraten und Pfaffen. Hütet Euch vor ihnen mehr, wie vor jeder andern politischen Parthei! -

2c Allgemeine Angelegenheiten (1)

1. D e r S t a a t u n d s e i n e V e r w a l t u n g (Schluß.) Der Hauptzweck der gestürzten Regierung war der der S e l b s t e r h a l t u n g , und d i e se war lediglich in dem sogenannten P a t r i o t i s m u s d e s V o l k e s begründet. Je größer dieser Patriotismus (die Anhänglichkeit an die Regierung, der Glaube an ihre Unfehlbarkeit, der Ausdruck der Zufriedenheit mit jeder ihrer Maßregeln) war, desto fester stand die Regierung. Ihre Hauptaufgabe war daher, diesen Patriotismus zu erwecken und zu nähren. Die angewendeten Mittel waren gut gewählt. Betrachten wir sie etwas näher: Schon in der S c h u l e wurde dem jungen Staatsbürger der "Patriotismus" eingeimpft. Die "Obrigkeit" war ein Kleinod, das nicht angehaucht werden durfte, und "Gehorsam gegen ihre Befehle" wurde der Jugend in gleichem Maße eingetrichtert, wie die Liebe zu Gott und dem Nächsten. - Freisinnige Lehrer wurden aus der Schule entfernt. - In früheren Zeiten standen sich S t a a t und K i r c h e feindlich gegenüber und stritten um die Herrschaft über das Volk; später gingen sie Hand in Hand. Regierung und Geistlichkeit verfolgten einen Zweck: den der Knechtung des Volkes. Beide dehnten ihre Macht in gleicher Weise aus: die Regierung vermehrte durch eine verworrene Gesetzgebung ihre gehorsamen Diener, die Beamten: die Kirche betrieb mit großem 1) Volks-Bote, Nr. 3 (20.9.1848) 18

Eifer das Missionswerk, nicht so sehr, um die Heiden zu bekehren, als vielmehr zur Versorgung ihrer Knechte. In der Kirche wurde durch Unterdrückung jeder freiem Richtung, Ausbreitung und Beförderung des Pietismus: von der Regierung durch Handhabung einer scharfen Censur und Verbannung derjenigen Männer, die Wahrheit und Recht vertheidigten, die Verdummung des Volkes planmäßig betrieben. Regierung und Geistlichkeit sogen das Volk aus, jede in ihrer Art. Je dummer das Volk war, je mehr und j e lieber zahlte es. Nächst dem Heer der B e a m t e n war das M i l i t ä r eine Hauptstütze der Regierung, denn der Soldatenstand war die beste Bildungs-Anstalt der "Patrioten". Im Soldatenstande wurde mit dem Staatsbürger eine Radicalcur vorgenommen. Tägliche Sturzbäder jedes sittliche Gefühl vernichtender Schimpfworte, eine Sündfluth von Ausdrücken, so gemeiner Art, wie man sie nur beim Militär kennen lernen kann, machten das Gemüth des Rekruten empfänglich für die nachfolgenden Lehren von der Soldatenehre. " Je gebildeter ein Mensch war, desto stärker und öfter fand die Anwendung jener Mittel Statt. Die roheste, oft jedes menschliche Gefühl e m p ö rende Behandlung, zu der der Rekrut schweigen mußte, wenn er sein Loos nicht noch verschlimmern wollte, bereitete ihn vor zur unbedingten Unterwerfung unter die Befehle der Obern, welche wiederum ihrerseits in eigends dazu eingerichteten und g e l e i teten Anstalten (den Cadettenhäusem) von frühester Jugend an ausgebildet oder v i e l mehr abgerichtet wurden. - Die Unterwerfung unter die Befehle solcher Obern tödtete in dem Menschen jeden Eigenwillen, jede Selbstständigkeit und erstickt in ihm jeden Keim der Freiheit. - Aus dem rührigen, denkenden, prüfenden und nach eigener Einsicht handelnden Menschen wurde ein willenloses Geschöpf, eine Maschine. - Der Staatsbürger war umgewandelt durch und durch. - Er gewöhnte sich an seinen "Beruf". - Ein besonderer Ehrgeiz wurde ihm eingeflößt, und seinem frühem Stande, dem Bllrgerthume, wurde er durchaus entfremdet, der Art, daß er zuletzt den Stand, den er kaum verlassen und in welchen er bald wieder zurücktreten sollte, s o g a r h a ß t e . .Woher sonst die vielen Excesse zwischen Bürger und Militär? - Ist es zu verwundern, wenn sich der Soldat zur Unterdrückung der Freiheit der Bürger gebrauchen ließ, wenn ihn selbst alles das anekelte, was nach Freiheit roch? - "Der Soldat dachte nicht, er gehorchte. " Die Censur war nicht minder ein gut gewähltes Mittel zur Beförderung der Anhänglichkeit an die gestürzte Regierung. Alles, was gedruckt wurde, mußte einem dazu angestellten Beamten - Censor nannte man ihn - zur Prüfung vorgelegt werden. Jedes freie Wort und jeder noch so sehr begründete T a d e l der Regierungsmaßregeln wurde gestrichen, dagegen blieben die übertriebensten Lobhudeleien stehen. - Ließ Einer mal seine Ansichten drucken, ohne sie vorher vom Censor unter seine Schnüffelnase zurr Beriechen gehalten zu haben, dann Wehe dem armen Manne! Flugs war die Polizei bei der Hand, durchstöberte seine Habseligkeiten und nahm die gedruckten Sachen fort; man nannte das confisciren. Wer ein freies Wort sprach, oder auch nur m e i n t e , dies oder jenes könne anders, besser sein, dem warf die Polizei, die überall ihre Spürhunde hingesteckt hatte, sofort einen Hoch verraths-Prozeß oder eine Untersuchung wegen Tadels der Landesgesetze u. s. w. (auch noch heutzutage kommt derartigei vor; das Denunziren muß eine angenehme und einträgliche Sache sein) an den Hals, und Hunderte von Menschen mußten Jahre lang in den elendsten Kerkern schmachten. - Wieder andere wurden aus demselben Grunde des Landes verwiesen und irrten hüilos und fem von den Ihrigen, fern von ihrem Vaterlande, für dessen Wohl sie gekämpft hatten, umher. Durch 0 : d e n , E h r e n z e i c h e n und schwulstige T i t e 1 wurden i m m e r neue "Patrioten" geschaffen, und mancher freisinnige Mann ließ sich durch sie, oder durch 19

eine einträgliche A n s t e l l u n g im S t a a t s d i e n s t e bestechen. Alle diese Mittel, insbesondere das Militair und das immer wachsende Heer der B e amten kosteten hohe Summen und diese mußte das Volk, unter dem Namen S t e u e r n bezahlen. - In unzähligen Theilchen und auf die verschiedenste, mannichfachste Weise wurden diese Steuern eingezogen, und eine solche Einziehung erforderte wieder eine Masse von Beamten. - Die Luft war fast das Einzige, was nicht besportelt oder besteuert wurde. - Manche Gegenstände wurden doppelt und dreifach besteuert, und zwar jedesmal in anderer Art und zu verschiedenen Zeiten, damit den Besteuerten die Höhe der von einer Sache zu entrichtenden Gesammtabgaben nicht sofort auffallen konnte. Unter den vielen Mängeln der Steuerverwaltung wollen wir nur einen hervorheben: den Verbrauch des Stempelpapiers bei den Gerichten u. s. w. Die Gerichte berechneten für ihre Geschäfte bei Gegenständen Uber 50 Thaler zunächst von jeder einzelnen Verhandlung ihre Gebühren und demnächst von d e n s e l b e n V e r h a n d l u n g e n noch eine Steuer unter den Namen Werthstempel und Ausfertigungsstempel. Wenn der Verbrauch des Stempelpapiers wegfiele, was recht gut geschehen kann, ohne daß der Staat einen Deut von seiner Einnahme zu verlieren braucht, wie v i e l e T a u s e n d e k ö n n t e der S t a a t dann j ä h r l i c h s p a r e n ? Frisch, Herr Harkort, Minister in spe, ausgerechnet!(2) Aber die Stempel-Verwaltung erforderte wiederum eine Menge von Beamten (gehorsamen Dienern), b e - und unbeschnurrbartete, und deren konnten nicht zu viele sein. ("Die Gehälter der Beamten fließen ja doch wieder in den allgemeinen Verkehr zur ü c k ! " schrieb dieser Tage ein schwarzberockter Schlaukopf, oder ein schlauköpfiger Schwarzrock.) Das war das S y s t e n der Regierung. - Mit dieser stürzte auch jenes. V o r der Revolution waren die Minister unverantwortlich, oder doch nur dem Könige verantwortlich (wohin das führen kann, haben wir bei der Regierung Friedrich Wilhelm des Zweiten gesehen,) n a c h der Revolution wurden sie verantwortlich und zwar dem V o l k e . An diesem ist es nun, seine Rechte zu wahren, und dahin zu wirken, daß an die S t e l le der früheren kostspieligen Verwaltung eine billige trete, daß insbesondere: 1) dem ganzen Volke, nicht einzelnen Classen das Recht der Gesetzgebung erhalten werde; 2) an Stelle der verworrenen, unzähligen Gesetze, ein einfaches, klares, J e d e r m a n n (nicht blos den Rechtsverdrehern) verständliches Gesetz trete, daß dadurch 3) das Heer der Beamten vermindert werde; 4) der Staat keinen eigennützigen Einfluß auf den Unterricht der Jugend ausübe; 5) die Verbindung der Regierung und Kirche zur Verdummung und Knechtung des Volkes aufhöre; 6) das kostspielige Militair nicht mehr zu volks- und freiheitsfeindlichen Zwecken benutzt, daß es vermindert und durch eine allgemeine, bei weitem billigere Volksbewaffnung ersetzt werde; 7) Die Censur auf ewige Zeiten verbannt, und eine w a h r e Preß- und Redefreiheit eingeführt und vor Gesetzen geschützt werde, die der Censur gleichkommen; 8) das Unwesen der Orden- und Titel-Verleihung aufhöre; 2) T ö l c k e führte zu dieser Zeit eine Auseinandersetzung mit Harkort wegen dessen Briefe an und gegen die Arbeiter. 20

9) Statt der tausendfachen Abgaben und Steuern nur eine e i n z i g e , in einem richtigen Verhältniß zu dem Vermögen und Erwerbe j e d e s Staatsbürgers stehende, den d u r c h a u s n ö t h i g e n Bedürfnissen des Staates angemessene Steuer, Einkommensteuer, ersetzt werde, und daß alle Steuerfreiheiten aufhören; daß endlich 10) im Allgemeinen an Stelle der Ungerechtigkeit und Kostspieligkeit in der Staatsverwaltung, G e r e c h t i g k e i t und B i l l i g k e i t trete. Volk, du hast das Heft in der Hand, halt's fest, sonst verlierst du es auf immer! Deine Feinde, die es dir entreißen wollen, sind die verschiedenen Sorten der Reactionäre: die B e a mt en , A r i s t o k r a t e n und P f a f f e n .

3 V o n der Gewerbefreiheit ( 1 ) In Frankfurt sitzt der Handwerke-Congreß und beräth flott darauf los, zeichnet überall die Stellen an, wo es den Gewerbstand drückt und hat schon Messer und Nadel zurecht gelegt, um da ein Stück herauszuschneiden und dort eins hineinzuflicken, wenn nur erst die deutsch National-Versammlung Ja dazu gesagt hat. (2) Das wird aber noch ein Weilchen hinhalten, denn wo die Herren Handwerker geschwind fertig sind, weil sie nur auf sich zu sehen brauchen, da muß die National-Versammlung ganz behutsam und vorsichtig zu Werke gehen, damit sie nicht, wenn sie dem Handwerksstand ohne Weiteres hilft, wieder einen andern Stand dabei zu Grunde richtet und am Ende für's Ganze vielleicht mehr schadet, als der Nutzen für den Einzelnen werth ist. Dazu gibt's in der National-Versammlung Viele, die mit den einzelnen Beschlüssen des Congresses nicht zufrieden sind, und meinen: Wenn Freiheit ein gutes Ding und ein Recht der ganzen Menschheit ist, so muß Freiheit auch überall gelten; nicht bloß der Regierung gegenüber, sondern auch im Handel und im Gewerbe, und wenn nun der Handwerker-Congreß Schutzzölle haben will, damit die fremden Waaren dadurch vertheuert werden und die Leute nur einheimische kaufen, wenn er die Maschinen hoch besteuert haben will, damit die Maschinenarbeit eben so theuer werde als die Handarbeit und der Handarbeiter neben der Maschine noch bestehen kann, wenn er die G e w e r b e f r e i h e i t aufgehoben wissen will, damit die Handwerke nicht überfüllt werden, so sind das Eingriffe in die a l l g e m e i n e Freiheit, die eben so gut bei dem Handwerkerstande nicht gutgeheißen werden dürfen, als sie bei der Regierung nicht geduldet werden. Diese Herren hätten ganz recht, wenn sie nur nicht vergessen hätten, daß zu jeder wahren Freiheit auch eine richtige Ordnung gehört, und daß jede Freiheit nur so weit gelten darf, als sie dem Rechte eines Andern kein Leides thut; wie's aber mit der Gewerbefreiheit in dieser Beziehung steht, das werden wir gleich sehen. Es sind etwas über 300 Jahre her, da hatte Jeder in unserm lieben Deutschland Recht, den Andern bezwingen konnte; die Gewalt galt, der Schwächere wurde überall unterdrückt und nirgends war Obrigkeit oder Gesetz, die sich seiner angenommen oder die Gewaltthaten in Schranken gehalten hätten. Das war dazumals auch Freiheit, eine Freiheit, wo Jeder that, was er wollte, wo sich Keiner um das Recht eines Andern 1) Volks-Bote Nr. 3 ( 2 0 . 9 . 1 8 4 8 ) 2) Seit dem 15. 7 . 1 8 4 8 tagte in Frankfurt/Main ein Handwerker- und Gewerbekongreß. Vergl. V. Valentin, Geschichte der deutschen Revolution 1848-1849, Bd. II, S. lOlff. 21

kümmerte, eine Freiheit ohne Ordnung, und drum gab's auch an allen Enden Mord und Todschlag. Das war die Z e i t des Faustrechts. Wenn nun Einer m e i n t , Gott sei Dank, daß wir j e t z t in einer Zeit leben, wo nur Recht und Gerechtigkeit herrschen, so sage i c h , die Zeit der Gewalt ist noch gerade so da, nur das die Gewalt, nicht mehr in der rohen Faust liegt, sondern im G e l d e , im K a p i t a l e . Mancher wird freilich nicht gleich wissen, wie das zu verstehen ist oder wird wohl gar denken; Hahn, du hast zu v i e l Morgenluft getrunken - ! aber nur ein Bischen Geduld, das Verständniß soll schon k o m m e n . Da ist ein junger braver Mensch, der sein Geschäft aus dem Grunde gelernt, aber nicht v i e l Geld hat, vertraut auf seinen Fleiß, auf seine Kunstfertigkeit und setzt sich als Meister. - Nicht weit davon ist ein anderer, der versteht von dem Geschäfte nicht die Spur, aber er hat Geld. Der besetzt sich auch, nimmt einen Werkführer an, der die S a c h e versteht und eine Menge Gesellen, kauft, was er braucht, Alles baar, in großer Menge und mithin v i e l billiger als jeder Andere, der das nicht kann, miethet einen schönen Laden, und putzt ihn mit seinen Sachen heraus, daß Jeder gar nicht lange zu bestellen, sondern nur g l e i c h auszusuchen braucht. Dazu gibt er Allen, die bei ihm kaufen, Credit, wo das Geld nur halbwege sicher steht. - Der Erste kann sich nun todt arbeiten, er kann nicht aufkommen. Der Reiche berechnet bei den Preisen, die er stellt, nur das Gesellenlohn, was er bezahlt, und seine Zinsen; der Andere aber kann bei bloßem Gesellenlohn nicht leben und muß mehr auf seine Arbeit rechnen - der Reiche kauft das Material baar, in Menge und billig, der Andere kann nur wenig auf e i n m a l kaufen, muß es auf Credit nehmen und theurer bezahlen - der Reiche kann lange Credit geben, der Andere muß gleich baar Geld für seine Arbeit haben - der Reiche wird bald a l l e Kundschaft an sich reißen und den Andern m i t seinem Gelde todtschlagen. Das war so ungefähr ein F a l l , wo kein Gesetz, k e i n e Obrigkeit da ist, die den Schwac h e n , den Armen vor der Uebermacht, dem Faustrechte des Geldes schützt - es schützt ihn das Gesetz nicht a l l e i n nicht, sondern es hat durch die Gewerbefreiheit dem Kapital erst die rechte Macht in die Hände gegeben. -

[4] [Bericht über Tölckes Prozeß in Wesel am 5.6.1850] (1) Der dritte Angeklagte ist C . W. T ö l k e , 3 3 Jahre a l t , e v a n g . , ehemals Civilsupernumerar, beschuldigt: auf die Verbreitung des Iserlohner Aufruhrs i m Kreise Altena hingewirkt, Zuzüge versprochen und ein Commando von dort requirirt habe, um der Erhebung in Altena mehr Nachdruck zu geben. Zur Begründung dieser Anklage werde angeführt: 1) Ein S c h r e i b e n , d . d . A l t e n a , den 1 3 . M a i , an den Vertheidigungs-Ausschuß der Stadt Iserlohn und unterzeichnet der gewählte Ausschuß; worin mitgetheilt wird, daß der Bürgermeister zu Altena, trotz seines auf Ehrenwort gegebenen Versprechens die Gewehre nicht anders, sei es an wen es wolle, als mit Bewilligung der ganzen Bürgerschaft abzugeben, dennoch derselbe grade an solche Personen vertheilt, die nichts weniger als gesonnen sind, an dem K a m p f e für das Recht und die Freiheit sich zu b e t h e i l i g e n . Daraus schließe m a n , das der Magistrat eine Contrerevolution

1) Iserlohner Kreisblatt, Nr. 67 ( 8 . 6 . 1 8 5 0 ) 22

organisiren wolle. Obgleich man Munition habe, so sei es deshalb doch unmöglich die Leute zu bewaffnen und bitte man um ein Commando von 60 Mann, welches mit den von Lüdenscheid Herbeiziehenden sämmtliche Waffen abfordere. Damit wolle man denn alle die bewaffnen,die für die Bewegung sein und nach Zurücklassung eines Observations-Corps nach Iserlohn marschiren.(2) 2) Ein Brevi mano auf ein Schreiben von Butz, daß die gesandten 60 Mann zurückgekehrt, daß damit aber auch nichts auszulichten sei, weil man nicht wisse, wie stark die Zuzüge Lüdenscheids ausfalle; man gebe somit die Sache dem Ermessen des Sicherheits-Ausschusses anheim. 3) Ein Schreiben an den Magistrat vom 15. Mai, worin derselbe ersucht wird, den Tambour, welcher eine Volksversammlung, worin wegen der Unterstützung Iserlohns verhandelt werden solle, zusammentrommeln solle, zum Zeichen seines Einverständnisses durch einen Polizeidiener begleiten zu lassen. 4) eine Anfrage an den Magistrat, ob er eine Versammlung zu diesem Zwecke in einem geschlossenen Locale Hindernisse in den Weg legen würde. Tölke verantwortet sich in einer langen Rede, worin er seine frühere Thätigkeit und Verhältnisse mittheilt; nachdem er die geschichtlichen Begebenheiten der beiden letzten Jahre mit ihren Folgen nach seiner Ansicht und Auffassung erörtert hat, sagt er, daß er am zehnten Mai Morgens 8 Uhr in Iserlohn angekommen sei, wo er die Zuzüge gesehen und den Zeughaussturm vernommen, wie man ihn als Führer hätte wählen wollen, was er abgeschlagen. Er sei dann nach Altena zurückgekehrt wo er das wieder gut gemacht, was der Bürgermeister und Magistrat durch Unvorsichtigkeit und Tacktlosigkeit verdorben, und so einem Blutbade vorgebeugt indem er die Führer einer Bande von 40 Mann, welche von Iserlohn gekommen, von einem Lokal ins Andere geführt und ihnen begreiflich gemacht, daß sie in Altena nichts ausrichten könnten u.s.w. Schließlich theilt er das Schicksal seiner Familie mit und fordert von den Geschworenen Gerechtigkeit, aber keine Gnade. Der Anklagebeschluß enthält noch die Anschuldigung, daß der Angeklagte auch desjenigen Verbrechens beschuldigt sei, welches der A l b e r t J o h a n n durch den Besitz des in Hagen weggenommenen Pulvers begangen; der Anklageakt erwähnt dieses Falles nicht. Da der Staats-Anwalt mit Bezug hierauf bemerkt, daß der Anklage-Senat sich geirrt, so nimmt der Rechts-Anwalt Rauschenbusch denselben in Schutz, indem er der Ansicht ist, daß der Irrthum von der Staats-Anwaltschaft begangen, die bei Anfertigung des Anklageaktes den Beschluß nicht gehörig berücksichtigt, worauf der Staats-Anwalt wiederum replizirt, daß der Senat und die Staats-Anwaltschaft einander coordonirte Behörden seien, welche Ansicht der Rechts-Anwalt Rauschenbusch wiederum bestreitet. Der Angeklagte Tölke weist diese Beschuldigung als ganz unbegründet zurück.

2) ZuTölckes Rolle in der Iserlohner Erhebung im Mai 1849 vergl. J. Köster. Die Iserlohner Revolution und die Unruhen in der Grafschaft Mark. Mai 1849, Berlin 1899, S. 17ff. A. Herzig, Entwicklung S. 120ff. 23

5 Iserlohn, 7. Aug. (Auch ein „Jubiläum".) (1) Die erste k r i m i n a l - p o l i z e i l i c h e Haussuchung in meiner Wohnung fand im Mai 1849 statt. Damals handelte es sich darum, m e i n e Person dingfest zu m a c h e n , weil ich angeblich verdächtig war, durch m e i n e B e t h e i l i gung am "Iserlohner Mai-Aufruhr" den Versuch gemacht zu haben, den König von Preußen durch Waffengewalt zur Annahme der ihn von der Frankfurter Nationalversammlung angebotenen deutschen Kaiserkrone zu zwingen. Nach dreimonatlicher Abwesenheit und zehnmonatlicher Untersuchungshaft im Iserlohner Zeughause und in der C i t a delle zu Wesel wurde ich im Juni 1850 vom Schwurgericht in Wesel mit 6 gegen 6 S t i m m e n von dem mir zur Last gelegten " V e r b r e c h e n " freigesprochen, von dem es heute noch zweifelhaft ist, ob ich dasselbe gegen die preußische "Verfassung" oder gegen die deutsche Nation begangen haben sollte. Ich halte es für angemessen, hier über den Verlauf des Prozesses, der das Schwurgericht in Wesel sieben Wochen hindurch beschäftigte, einige noch j e t z t interessante Punkte einzuschalten. Der "Iserlohner Aufruhr" begann am 10. Mai 1849 mit der Erstürmung des Zeughauses, Verhinderung der Einkleidung der Landwehr und Vertreibung eines M i l i t ä r - C o m m a n d o ' s dessen Führer deshalb mit einer dreimonatlichen Festungshaft bestraft wurde. Der "Aufruhr" wurde am 1 7 . Mai 1849 durch die zur Bekämpfung des Aufstandes in Baden b e s t i m m t e Armee des damaligen Prinzen von Preußen i m V o r b e i m a r s c h e unterdrückt. Der mehrstündige Kampf hatte auf Seiten des Militärs mehrere Todte, unter denen der OberstLieutnant von Schröter vom 2 4 . R e g i m e n t ( D r e s d e n ) , und viele Verwundete, - auf Seiten der "Insurgenten" 30 bis 40 Todte zur Folge. Die Auflage war gegen 80 Beschuldigte gerichtet, und zwar gegen m i c h und 19 Genossen wegen "Hochverraths", gegen 60 wegen "Aufruhres". Die d a m a l i g e Strafe des " H o c h verraths" war: " d i e h ä r t e s t e u n d s c h r e c k h a f t e s t e L e i b e s - u n d L e b e n s s t r a f e " , n ä m l i c h Schleifen des Delinquenten auf einer Kuhhaut zum Richtplatze und Rädern von unten auf; mit dem Rade wurden zuerst die beiden Unterschenkel, dann die beiden Oberschenkel zerschmettert, worauf der Delinquent den "Gnadenstoß" auf die Brust empfing. Das Appellationsgericht in Hamm versetzte nur 67 Beschuldigte wegen "Aufruhrs" in Anklagestand, von welchen 11 als "schuldig" befunden und mit Zuchthausstrafe bis zu zwei Jahren belegt, die übrigen 56 aber freigesprochen wurden. Zu den vom Appellationsgericht in Hamm a u ß e r V e r f o l g u n g g e s e t z t e n 18 B e schuldigten gehörten: zwei F a b r i k b e s i t z e r (ein Millionär und ein Landwehr-Offizier), z w e i K a u f l e u t e (ein früherer Landtags-Abgeordneter), d r e i A m t m ä n n e r (Bürgermeister), e i n L a n d - u n d S t a d t r i c h t e r , ein Geschäftsführer, ein Wege-Aufseher, ein Handwerker und - z w e i A i b e i t e i . D i e 11 Verurtheilten - meist "Zeughausstürmer" - waren s ä m m t l i c h A r b e i t e r . Ein kürzlich verstorbener " R i t t e r g u t s b e s i t z e r " , der damals Mitglied der Frankfurter Nationalversammlung war und zur "Zustandekunft" des "Iserlohner Mai-Aufruhrs" durch eine zündende Rede auf der " B l e i c h e " wesentlich beigetragen hatte, - b l i e b g ä n z l i c h a u ß e r V e r f o l g u n g . ( 2 ) Was er später als langjähriger "Abgeordneter"

1) Vst Nr. 99 ( 2 3 . 8 . 1 8 7 6 ) 2 ) Gemeint ist der westf. Industrielle Carl Overweg, der u. a . Vorsitzender des MärkischWestf. Bergwerkvereins war.

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und in anderer Beziehung zum "Wohl" der Stadt Iserlohn geleistet hat, darüber besitzt diese Stadt in den Ruinen von mehr als hundert durch den Bergbau zerstörten Häusern grauenhafte Beweise. Von den in Wesel F r e i g e s p r o c h e n e n ist j e t z t Einer "Geheimer Justiz-Rath" im preußischen Justizministerium, u n d z w a r d e r s e l b e , für den bei der v o r l e t z t e n Reichstagswahl auf Veranlassung des damaligen Präsidenten des Allgemeinen deutschen Arbeitervereins, V.Schweitzer, von den Parteigenossen im Wahlkreise Hagen u n t e r h ö c h s t s o n d e r b a r e n U m s t ä n d e n eifrig agitirt worden ist.(3) Ein Bruder d i e s e s Revolutionärs von 1848 ein " l i b e r a l e r " P a s t o r und " f o r t s c h r i t t l i c h e r " Ab g e o r d n e t e r des hiesigen Kreises im preußischen Landtage ist j e t z t wohlbestallter Schulrath bei der preußischen Regierung in Köln. Ein in Wesel freigesprochener F a b r i k b e s i t z e r ist j e t z t " l i b e r a l e r " Abgeordneter des hiesigen Kreises im preußischen Landtage, vergießt dort "fortschrittliche" Krokodilsthränen Uber das "seiner Vaterstadt" durch den Bergbau zugefügte UnglUck und - l i e f e r t der d e u t s c h e n K r i e g s - M a r i n e große M e n g e n s c h w e r e r S c h i f f s k e t t e n !(4) So geht's! "Liberale" oder fortschrittliche Gesinnungstüchtigkeit" versorgt immer ihren Mann. Ist doch sogar der " r o t h e C o m m u n i s t " B e c k e r jetzt Oberbürgermeister in Köln.(5) Erst "blutroth" dann "polizeiroth", dann " b l a u " , dann violett und schließlich aschgrau, - ein prächtiges Exemplar von Chamäleon für den zoologischen Garten in Köln! Wegen gänzlichen Mangels solcher "Gesinnungstüchtigkeit", der selbst durch ein mir von irgend einem Spaßvogel oder Einfaltpinsel angedichtetes "Hoch auf den König von Preußen" nicht ersetzt werden konnte, war ich seit meiner Entlassung aus der Festung Wesel bekanntlich vielfach Gegenstand besonderer polizeilicher und krimineller Aufmerksamkeiten, worüber im Jahrgang 1865 des a l t e n " S o z i a l - D e m o k r a t " erbauliche Historien zu lesen sind; e i n e r H a u s s u c h u n g aber, gleichsam eines "Jubiläums", hatte ich mich erst am sechsundzwanzigsten Jahrestage meiner Freisprechung in Wesel, n ä m lich am 16.Juni d . J . .wieder zu erfreuen. Am genannten T a g e fanden sich auf Requisition des hiesigen Staatsanwalts-Gehülfen, Herrn Fleischmann, der Untersuchungsrichter und ein Criminal-Aktuar des hiesigen Kreisgerichts bei mir ein, um Beweisstücke für den "Verdacht" aufzufinden, daß hier j e t z t noch Mitglieder der Ende März d . J . für Preußen vorläufig geschlossenen "Sozialistischen Arbeiterpartei Deutschlands" vorhanden seien und daß hier gar ein "geheimer politischer Verein" existire. Es wurden einige Schriftstücke saifirt, welche zum T h e i l , z . B . die am T a g e vorher bei mir eingegangene Partei-Abrechnung in Verbindung mit dem § 1 der in einigen Exemplaren ebenfalls saifirten Partei-Organisation - das direkte Gegentheil beweisen. Am 2 6 . Juni wurde ich vom Untersuchungsrichter in Gegenwart des zukünftigen "Staatsanwalts" "verantwortlich" vernommen. Wie ich aus den Kreuz- und Querfragen des Letzteren entnahm, scheint derselbe beim vollständigen Mangel anderer Anklagepunkte mit dem sonderbaren Gedanken schwanger zu gehen, gegen mich die Anklage erheben

3) Gemeint ist Paul Florschütz, 1849 Auskultator in Iserlohn, sein Bruder, der Pastor Albert Florschütz, ist Verfasser des Buches: " D i e politischen und sozialen Zustände der Provinz Westphalen während der Jahre 1 8 4 8 - 1 8 5 8 " , Elberfeld 1861. 4) Gemeint ist Heinrich Schlieper, Besitzer der Kettenfabrik Schlieper; Von 1 8 7 6 - 8 2 natlib.Abg. im preuß. Landtag, von 1 8 7 8 - 8 1 M. d.R. (Fortschritt) 5) Hermann Becker ( 1 8 2 0 - 1 8 8 5 ) ; Mitgl. des Bundes der Kommunisten, später Oberbürgermeister von Dortmund ( 1 8 7 1 - 1 8 7 5 ) und von Köln ( 1 8 7 5 - 1 8 8 5 ) 25

zu können, daß ich in meiner Eigenschaft als "Agent" des Paitei-Vorstandes hier der Leiter eines selbstständigen politischen Vereins gewesen sei, der mit einem anderen "Vereine" - dem Partei-Vorstande in Hamburg! - durch Briefwechsel in Verbindung gestanden habe. - Ich habe den Herren die absolute Unmöglichkeit der Begründung einer solchen Anklage gründlich nachgewiesen und die Einrede der Incompetenz des Berliner Stadtgerichts erhoben, einen politischen Verein für ganz Preußen zu schließen, besonders einen solchen, der seinen Sitz außerhalb des Geltungsbereichs des preußischen Vereinsgesetzes hat. - Sollte trotzalledem eine Anklage gegen mich erhoben werden, worauf ich bis heute vergebens gewartet habe, dann muß sie ein wahres Wunder juristischer Weisheit oder Spitzfindigkeit sein. Freilich ist im "Rechtsstaate Preußen", dessen oberster Gerichtshof - das Obertribunal in Berlin - vermöge seines Rechts der "Interpretation" (Auslegung) der Gesetze gleichsam über den Faktoren der Gesetzgebung steht, - Vieles möglich, wovon die bedauernswerthen Bewohner der "Unrechts-Staaten" keine Ahnung haben. Indeß warte ich den weitern Verlauf der Sache ruhig ab. Vielleicht erfahre ich auch noch, von wo, von wem und zu welchem Zweck der Anstoß zu der Prozedor gegen mich gegeben worden ist. C.W. Tölcke.

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II. Die Anfänge der Arbeiterbewegung in Westfalen

Lassalles Versuche, ähnlich wie im Bergischen auch im Märkischen Industriegebiet den ADAV zu etablieren, waren fehlgeschlagen. Eist nach seinem Tod (1864) unternahm Hugo Hillmann, der ehemalige 48er Revolutionär und Mitbegründer des ADAV, im Januar 1865 von Elberfeld aus einen neuen Versuch. Die Arbeiter, die 1 8 4 8 / 4 9 sowohl in Elberfeld als auch in Iserlohn mit den fortschrittlichen Kräften des Bürgertums zusammen gegen den reaktionären preußischen Staat gekämpft hatten, etablierten sich 1863 unter dem Einfluß Lasalles in deutlicher Frontstellung gegen die Fortschrittler als eigene Partei. Die Agitation des ADAV richtete sich deshalb vor allem gegen die Liberalen, die wiederum versuchten, den Lassalleschen ADAV zu vernichten, wie das Beispiel Iserlohn deutlich zeigt. T ö l c k e , der im Februar 1865 zum ADAV stieß, polemisierte deshalb in erster Linie gegen die Liberalen, vor allem gegen den Iserlohner Bürgermeister HUlsmann, den er als liberalen Buhmann hinstellte, obgleich dieser eigentlich ein Konservativer war. Mit dem Auftreten Hillmanns in Iserlohn beginnt die Geschichte der SPD in Westfalen. Der ADAV konnte hier an die Tradition der Iserlohner Arbeiter in der Revolution von 1 8 4 8 / 4 9 anknüpfen. Doch wurde die Entfaltung des ADAV in Iserlohn durch den Bürgermeister und die Bourgeoisie stark gehemmt. Ein Erfolg war nur gesichert, wenn die Partei eine permanente Agitation nicht nur in Iserlohn, sondern in dem gesamten westfälischen Industriegebiet betrieb. Dem dienten v. a . die rheinisch-westfälischen Arbeitertage, die a l l jährlich die Stärke des ADAV im Rheinland und in Westfalen demonstrieren sollten. Die Berichte von diesen Arbeitertagen machen deutlich, wie der ADAV um eine e i genständige politische Profilierung bemüht war. Dies war allerdings nur in enger Zusammenarbeit mit dem jeweiligen Präsidenten möglich.

[6] Große Arbeiter-Versammlung in Iserlohn [am 8.1.1865] (1) Die erste große Arbeiter-Versammlung in Iserlohn fand Sonntag, den 8.Januar Nachmittags 4 Uhr im Lokale des Wirthes, Herrn Koch, auf der "Bellevue" statt.(2) Der Andrang der Arbeiterschaft Iserlohns zu dieser ersten Arbeiter-Versammlung war i m mens, und fühlen wir uns gedrungen, dem Mitgliede der Kölner Gemeinde, Herrn D ü c h t i n g , einem geborenen Iserlohner, für die Veranstaltung dieser Versammlung unseren wärmsten Dank auszusprechen. Nachdem Herr Düchting die Versammlung mit dem Bemerken eröffnet hatte, daß ein Jeder, der zu sprechen wünsche, sich nur in die Rednerliste einschreiben zu lassen 1) SD Nr. 10 ( 1 8 . 1 . 1 8 6 5 ) Übet dasselbe Ereignis berichtet auch "Der Nordstern", Nr. 294 ( 2 8 . 1 . 1 8 6 5 ) Beide Artikel sind von verschiedenen Verfassern. 2) Es handelt sich hierbei um die erste Arbeiterversammlung des ADAV in Westfalen. Vergl.A. Herzig, Entwicklung S. 128ff. 27

nöthig habe, ergriff der Bevollmächtigte für Elberfeld, Herr H i l l m a n n , das Wort, und verbreitete sich Uber die Lehren L a s s a l l e ' s und jene, auf tief wissenschaftlicher Erkenntniß beruhenden Prinzipien der Gleichberechtigung aller Gesellschaftsklassen, welche vom Allg. Deutsch. Arb.-Verein als allein maßgebend für die Bestrebungen der Völker anerkannt werden. Er wies nach, daß nur eine auf der Gleichberechtigung Aller beruhende Gesetzgebung der arbeitenden Klassen zu einer wirklichen Verbesserung ihrer Lage verhelfen könne, und daß Produktiv-Associationen nur dann für das arbeitende Volk im Großen und Ganzen fruchtbringend sein könnten, wenn die Begründung derselben in jedem Staate zur Hauptsache gemacht würde u. s. w. Im Gegensatz hierzu führte hierauf der Redner den versammelten Arbeitern Iserlohn's d i e a r m s e l i g e n , dem englischen Freihändlerthum entlehnten Experimente S c h u l z e ' s a u s D e l i t z s c h vor, und legte dar, daß dieselben anstatt dem Arbeiterstande zu helfen, vielmehr dazu angethan seien, ihm sein Klassenbewustsein zu rauben und ihn auf Abwege zu führen; dem vom Kapital auf das äußerste ausgebeuteten Volke mit Spaar-Vereinen helfen zu wollen, sei weiter nichts, als eine Verhöhnung desselben, welche die deutschen Arbeiter vielleicht in kurzer Zeit dem Herrn Bastiat-Schulze mit Zinsen zurückzahlen würden.(3) Die Zeit der Vergeltung sei nahe, und die große Ausdehnung des "Allg. deutsch. Arb.-Vereins" zeige deutlich, daß man von Schulze nichts mehr wissen wolle. Der ungeheure Reichthum an Produkten aller Art beweise deutlich, daß viel, sehr viel gearbeitet und auch gespart worden sei; nur seien die Arbeiter dabei schlecht weggekommen ; während man ihnen die Arbeit zugetheilt habe, seien d i e F r ü c h t e d e r s e l b e n d . h . d i e wirklichen Ersparnisse, i n d i e T a s c h e n d e r K a p i t a l i s t e n gewandert, und es sei deßhalb nicht unbillig zu verlangen, daß von dem Ersparten auch einmal etwas für diejenigen zur Benutzung hergegeben werden solle, welche, den Kapitalisten das Sparen ermöglicht hätten. Daß die Herren Kapitalisten sehr oft bei ihren Unternehmungen in die Taschen des Volkes gegriffen, oder was dasselbe heißen will, sich aus der Staatskasse Zuschüsse sc. geben ließen, sei allgemein bekannt, und sie würden es sich deßhalb auchschon gefallen lassen müssen, wenn einmal auf gesetzlichem Wege etwas für die Arbeiter geschehe. Daß hierunter die aus dem allgemeinen gleichen und direkten Wahlrecht hervorgegangene Gesetzgebung gemeint sei, verstehe sich von selbst; denn nur die Gleichberechtigung im Staate sei die Grundlage der wahren "Selbsthülfe" des Volkes. Nachdem noch Herr G r o ß e n b a c h aus Barmen sich ausführlich über unsere Bestrebungen geäußert, verlangte ein gewisser Herr Dr. S c h ü t t e (Mediziner) aus Iserlohn das Wort. Er suchte die bekannten längst abgethanen Verdächtigungen, daß Lassalle im Dienste der Reaktion gestanden, und daß überhaupt die Lassalleaner für die reaktionäre Partei arbeiteten, wieder aufzuwärmen, sprach dann über das Wahlrecht in Frankreich, und die Pariser Nationalwerkstätten von 1848; indem er behauptete,letztere seien von B l a n c gegründet worden, hätten sich aber nicht halten können; Lassalle habe dasselbe angestrebt. Die intelligentesten Arbeiter seien in Berlin und dort wolle man von Lassalle nichts wissen. Die dortigen Arbeiter seien sämmtlich für SchultzeDelitzsch(?). Schließlich forderte der Redner noch die Versammlung auf, sich der Fortschrittspartei anzuschließen, worauf ihm von der Versammlung zugerufen wurde, 3) In seinem Buch: Herr Bastiat-Schulze von Delitzsch setzt sich F. Lassalle mit den Theorien von Schulze-Delitzsch auseinander. Vergl. Gesammelte Reden und Schriften, hsg. v. E. Bernstein, 5. Bd., S. 21-355, Berlin 1919 28

daß sie, die Arbeiter, eine selbstständige Partei bilden, aber nicht hinter der Fortschrittspartei herlaufen wollten usw. Es entwickelte sich nun eine höchst ergötzliche Scene. Herr Dr. Schütte, dessen Vortrag durchweg schlecht aufgenommen worden, und der wohl das Ungewitter fürchten mochte, welches entstehen mußte, wenn seine Rede, eine Kette von Verläumdungen und Verdächtigungen gegen Lassalle, Louis Blanc und uns selbst, beleuchtet würde, zog vor, sich aus dem Staube zu machen. Er war im Nu verschwunden. Dieß schützte ihn jedoch keineswegs vor der verdienten Strafe. Dieselbe wurde auch sofort an ihm vollzogen unter den lebhaftesten Zurufen der Versammlung. Ein gewisser Herr Dr. P l e i t m a n n , der sich für einen Freund Schütte's ausgab, versuchte denselben zu vertheidigen, benahm sich aber dabei so ungeschickt, daß er unter dem Gelächter der ganzen Versammlung nicht weiter sprechen konnte und das Weite suchen mußte.(4) Um den Arbeitern Iserlohns zu beweisen daß die Intelligenz der Berliner Arbeiter nicht bei den Schulzeanern, sondern bei ganz andern Leuten zu suchen sei, wurde die Broschüre der B e r l i n e r B u c h d r u c k e r g e h ü l f e n verlesen, und noch erwähnt, daß die Schultzeaner, im Widerspruch mit ihren eignen Lehren, sich gezwungen gefühlt hätten, sich diesen Bestrebungen der Buchdruckergehülfen anzuschließen usw. Auch in Bezug auf die National-Werkstätten wurde aus Werken verschiedener französischer Geschichtschreiber dargethan, daß dieselben, die National-Werkstätten, - gegen L. Blanc und nicht, wie Herr Dr. Schütte vorgab, von ihm selbst errichtet worden seien usw. usw. Bemerkt sei noch, daß die Reden Hillmanns und Großenbach's mit dem größten Enthusiasmus aufgenommen wurden und die vorhandenen Broschüren sofort vergriffen waren. Auf e i n e r p r o v i s o r i s c h e n L i s t e f a n d e n ü b e r a u s z a h l r e i c h e E i n z e i c h n u n g e n für d i e B i l d u n g e i n e r n e u e n G e m e i n d e des " A l l g . d e u t s c h . A r b . - V e r e i n s " statt.(5) 4 ) Dr. Carl Schutte war Kreisphysikus in Iserlohn und Anhänger der Liberalen, 1866 Stadtrat und von 1869-1877 Stadtverordneter in Iserlohn. Bei Dr. Pleitmann handelt es sich um den bekannten Iserlohner Industriellen Dr. Theodor Fleitmann. Zu Fleitmann vergl. W. Schulte: Theodor Fleitmann, in: Rhein. Westf. Wirtschaftsbiographien, Bd. 8, S. 56ff, Münster 1962. 5) Für den Eintritt neuer Mitglieder warb der ADAV in Iserlohn mit folgendem Plakat: A r b e i t e r I s e r l o h n s und d e r U m g e g e n d ! Eine Gemeinde des bereits 60,000 Mitglieder zählenden a l l g e m e i n e n d e u t s c h e n A r b e i t e r - V e r e i n s ist auch hier im Entstehen begriffen, und die Zahl der Mitglieder mehrt sich von T a g zu T a g e . Wir laden E u c h A l l e , A r b e i t e r im F a b r i k e n - und im H a n d w e r k e r F a c h e , M e i s t e r und G e h ü l f e n , hierdurch zu einer Versammlung ein im Locale des Herrn Kaspar K o c h auf der Bellevue auf nächsten Sonntag, den 2 2 . d. M. Nachmittags 4 Uhr. Zunächst erfolgt da die weitere E i n Z e i c h n u n g v o n M i t g l i e d e r n und dann d i e W a h l v o n d r e i C a n d i d a t e n , aus welchen der Präsident des a l l g e m e i nen deutschen Arbeiter-Vereins, Herr B e c k e r in Frankfurt am Main, den B e v o l l m ä c h t i g t e n ernennt. O e f f e n t l i c h e D e b a t t e n ( " R e d e n " ) sind d i e s m a l a u s g e s c h l o s s e n . Zu solchen bieten sich künftig Gelegenheiten und wahrscheinlich auch Veranlassung genug! Arbeiter! Ihr wißt, daß es sich e i n z i g und a l l e i n um u n s e r e g e m e i n s a m e n I n t e r e s s e n h a n d e l t . Folgt deshalb unserer Einladung m a s s e n w e i s e ! 29

7 [Bericht über die Behinderungen des A D A V in Iserlohn 1865] (1) F. I s e r l o h n , 3 0 J a n u a r 1865 (Allg.deutsch.Arb.-Verein.) Die vom Bevollmächtigten Herrn B r ä n d g e n vorschriftsmäßig angemeldete gestrige Versammlung der Iserlohner Gemeinde war äußerst zahlreich besucht. Das Vorstandsmitglied Herr H i l l m a n n aus Elberfeld führte, den Bestimmungen des Geschäfts-Reglements gemäß, den Vorsitz. Nachdem derselbe die Versammlung unter Hinweisung auf jene Bestimmung eröffnet und einem Redner das Wort gegeben hatte, stieß ein Mann in Civilkleidern heftig mit seinem Handstocke auf und erklärte, " i m N a m e n d e s G e s e t z e s " die Versammlung für aufgelöst,weil n i c h t d e r " U n t e r n e h m e r " , Bevollmächtigter Bränd gen, die V e r s a m m l u n g l e i t e , sondern e i n M a n n , d e r d i e s e l b e n i c h t a n g e m e l d e t h a b e . - Hillmanns Protest blieb unberücksichtigt, und der Mann in Civilkleidern, d e r f a s t s ä m m t l i c h e n A n w e s e n d e n u n b e k a n n t e , vor einigen Tagen erst installierte B ü r g e r m e i s t e r H ü l s m a n n ("Regierungs-Assessor") forderte zur Räumung des Saales auf. Herr Hillmann entfernte sich aus dem Saale mit den Worten: "Wir gehen hinaus und kommen dann wieder herein. " Bürgermeister Hülsmann ordnete nun die V e r h a f t u n g des Herrn Hillmann an, die s o f o r t e r f o l g t e ! U n g e h e u r e E n t r ü s t u n g und E r b i t t e r u n g ! Nur die Ermahnung besonnener Männer, A n d e r n d i e U e b e r t r e t u n g d e r G e s e t z e zu ü b e r l a s s e n , hielt die Massen von gewaltsamer Befreiung des Gefangenen ab und vielleicht auch von e t was Anderem! - Heute war die Aufregung groß. Mehrere Verhaftungen! Herr Hillmann wurde Vormittags 11 Uhr und Nachmittags 5 Uhr zum Polizeiamte geführt und w i e d e r zum G e f ä n g n i s s e ! - Das ist unbegreiflich, wenn man dem S 4 des 1) SD Nr. 17 ( 3 . 2 . 1 8 6 5 ) Fortsetzung Anm. 5) Laßt Euch nicht bethören von denen, die Euch aus I r r t h u m oder w o h l ü b e r l e g t e r A b s i c h t d e r T ä u s c h u n g von der Theilnahme am Vereine abmahnen. Sie sind unsere Gegner! Was s i e als s c h w a r z ausgeben, müssen w i r für w e i ß halten, und wenn s i e " n e i n " sagen, dann müssen w i r " J a " darunter verstehen; - nur dann treffen wir das Richtige. Beweist dann durch m a s s e n h a f t e n B e i t r i t t den Hunderttausenden unserer Collegen in der ganzen civilisirten Welt, daß auch dem Iserlohner Arbeiterstande s e i n e i g n e s S c h i c k s a l a m H e r z e n l i e g t , und daß ihm d i e Z u k u n f t s e i n e r K i n d e r und K i n d e s k i n d e r n i c h t g l e i c h g ü l t i g ist; - beweist durch m a s s e n h a f t e n B e i t r i t t , daß auch der Iserlohner Arbeiterstand verständig genug ist, um zu begreifen, daß Schulze-Delitzsch'sehe Schönheitspflästerchen die tiefen socialen Wunden nicht heilen, an welchen die Menschheit leidet. - Laßt uns durch m a s s e n h a f t e n B e i t r i t t beweisen, daß auch wir den M u t h und die K r a f t besitzen, auf Lassalleschem, nämlich auf f r i e d l i c h e m u n d g e s e t z l i c h e m W e g e dazu mitzuwirken, die e u r o p ä i s c h e w e i ß e S c l a v e r e i zu brechen, wie der "Lassalle" Amerikas - Lincoln - jenseits des Oceans d i e schwarze Sclaverei bricht! L a s s a l l e - L i n c o l n gegen J e f f e r s o n - D a v i s und S c h u l z e - D e l i t z s c h , - da habt Ihr die ganze "Weisheit"! K o m m t und u n t e r s c h r e i b t m a s s e n w e i s e . Der S i e g ist u n s e r ! I s e r l o h n , den 18.Januar 1865. Das p r o v i s o r i s c h e C o m i t e e . 30

Gesetzes zum Schutze der persönlichen Freiheit" vom 12. Februar 1850 betrachtet. Noch jetzt. Nachts 11 Uhr, ist Herr Hillmann verhaftet. Wahrscheinlich hat man ihn nach § 11 des erwähnten Gesetzes in "polizeiliche Verwahrung" genommen behufs A u f r e c h t h a l t u n g d e r ö f f e n t l i c h e n S i c h e r h e i t und R u h e ! - Dann müßte also ein unschuldiger Staatsbürger im Gefängnisse schmachten, damit die v o n d e r O r t s p o l i z e i b e h ö r d e g e f ä h r d e t e ö f f e n t l i c h e S i c h e r h e i t und R u h e "aufrechterhalten" wird! - Merkwürdig! Der Bürgermeister HUlsmann hat gegen das Gesetz gefehlt, weil er 1. die Bescheinigung über die Anmeldung der Versammlung nicht s o f o r t (11 Uhr Morgens des 28. d. Mts.), sondern 8 Stunden später ertheilt hat, 2. weil e r (1000 Zeugen!) nebst drei uniforminen Polizei-Beamten in der Versammlung erschienen ist, während nach 5 4 der Verordnung vom 11. März 1850 höchstens z w e i Abgeordnete der Ortspolizei-Behörde anwesend sein durften; 3. weil er o h n e ausdrückliche Kundgebung seiner dienstlichen Eigenschaft in der Versammlung erschienen ist; (§ 4 derselben Verordnung); 4 . weil er die Versammlung aufgelöst hat, ohne daß einer der im $ 5 der gedachten Verordnung vorgesehenen Gründe vorlag. Denn daß außer dem " U n t e r n e h m e r " auch a n d e r e Personen in öffentlichen Versammlungen als " V o r s t e h e r " , - " O r d n e r " , " L e i t u n g " oder "Redner" fungieren dürfen, ist nach den §§ 12 und 14 des erwähnten "Vereinsgesetzes" sonnenklar. - Der Bürgermeister Hülsmann hat femer gegen das Gesetz gefehlt, weil er 5. die Verhaftung des Herrn Hillmann anordnete, obschon es sich um keinen der Fälle handelte, in welchem nach dem Gesetze vom 12. Februar 1850 eine Verhaftung zulässig ist. Weitere Ueberschreitungen der gesetzlichen Befugnisse der Polizeigewalt sind bei den heutigen Verhaftungen vorgefallen. Morgen wird eine Beschwerde an Herrn Minister-Präsidenten von Bismarck abgehen, damit sofort Remedur und Abwendung ähnlicher Ungesetzlichkeiten eintritt. Uebrigens hat die "Obrigkeit" gestern in Iserlohn der Vereinssache mehr genutzt, wie zwanzig mit "glänzenden Reden" gespickte Versammlungen: i n n e r h a l b v i e r Wochen zählt die Iserlohner G e m e i n d e ohne Z w e i f e l mehr als tausend M i t g l i e d e r ! "Oel ins Feuer gegossen" ist seit gestern hier stabile Redensart.(2) Wir erhalten noch folgende Zuschrift: I s e r l o h n , 31. Januar. Herr H i l l m a n n ist erst h e u t e 2 Uhr entlassen, aber unter Gensdarmerie-Escorte zum Bahnhof transportiert worden. Der Staatsanwalt hat erklärt, k e i n e n G r u n d zur strafrechtlichen Verfolgung zu haben; der Polizei, welche Hm. Hillmann verhaftet habe, müsse überlassen bleiben, was sie mit ihm beginnen wolle. - Dadurch ist die w i d e r r e c h t l i c h e V e r h a f t u n g (§ 317 des Strafgesetzbuches) amtlich festgestellt. Arbeiter ruhig. Sonntag wieder Versammlung.

2) Die juristische Argumentation in diesem Artikel und einige stilistische Merkmale (z. B. Hervorheben bestimmter Sachverhalte durch Anführungszeichen) lassen darauf schließen, daß Tölcke der Autor dieses Artikels ist, obgleich er mit F. gezeichnet ist. Auf die Eingabe an Bismarck hin teilte der preußische Innenminister am 12.9. 1865 Hillmann mit, daß seine Beschwerde unbegründet sei. Iserlohner Kreisblatt Nr. 78 (30.9.1865). 31

[8] Der Iserlohner Bürgermeister Hülsmann an den Regierungspräsidenten von Holzbrink in Arnsberg. Iserlohn, den 5. Februar 1865 (1)

Euer Exzellenz beehre ich mich auf die Hohe Verfügung vom 3 . d . M . gehorsamst mitzuteilen, daß es meine Absicht war, den hier vorgekommenen Krawall als eine Bewegung von schlechtem Gesindel zu behandeln, um denselben eine weitere Bedeutung zu nehmen. Ich habe versucht zu vermeiden, daß der Leiter der Versammlung . . . aus Elberfeld wieder hierher k o m m e , weil dann vielleicht fernere Aufregung vermieden wllrde.(2) Es wurde mir deshalb die Untersuchungsakte auf mein Ersuchen Umrequisition von Zeugenvernehmung wieder zugestellt, damit es zunächst in meiner Hand l a g , welcher Fortgang der Sache gegeben werden soll. Die ganze Woc h e sind von mir die genauesten Erkundigungen eingezogen. Das Resultat ist leider um so trauriger, daß ich zunächst der Untersuchung den Fortgang geben muß. Es wird g e radezu von den Leuten des deutschen Arbeitervereins Aufruhr gepredigt, wie aus den letzten Nummern des in Berlin erscheinenden Sozialdemokraten noch insbesondere hervorgeht "Freiheit", Gleichheit und Republik" wird hier von den Arbeitern gesungen und es gehören nach von mir angestellten Erkundigungen fast sämtliche Arbeiter hier dem Deutschen Arbeiterverein an. Werden dieselben dieserhalb von ihren Arbeitgebern befragt, so leugnen sie natürlich, um nicht außer Verdienst zu kommen. Jeder leugnet zum T e i l aus Eitelkeit, daß die Arbeiter seiner Fabrik zum Verein gehören. Die Arbeiter aller anderen Fabrikanten nur seine Arbeiter nicht, oder doch nur wenige derselben gehören zum Verein. Die Hauptsache, weshalb die Fabrikanten noch nicht energisch eingeschritten sind, liegt in der Furch vor dem rohen Gesindel. Leider muß ich aber nach der ernstesten Prüfung und der gewissenhaftesten Nachforschung erklären, daß die Bewegung einen solchen Charakter angenommen hat, welcher das Schlimmste befürchten läßt. Es haben deshalb der Herr Landrat und ich gestern Abend in einer Versammlung der Bürgerschaft an die Bürger Iserlohns eine amtliche Ansprache gehalten. Insbesondere haben wir erklärt, daß wir fernere Arbeiterversammlungen nicht mehr dulden können und daß wir der Überzeugung sind, daß der gesunde Sinn der Iserlohner Bürger mir die traurige Pflicht erspare eine monatelange Einquartierung hierher zu führen. Entschlossen sei ich aber zu den schärfsten Maßregeln, sobald ich es für erforderlich erachte. Heute sollte wieder eine Versammlung stattfinden. Dieselbe war dem Magistrat angezeigt und hat der Magistrat heute geantwortet daß derartige Angelegenheiten nicht zum Ressort des Magistrats gehören. Die Vers a m m l u n g findet also wegen Mangels der poliz. Bescheinigung nicht statt.(3) Vorausgesetzt, daß ich nicht andere Anweisung erhalte, kann ich aus Furcht vor öffentlicher Aufruhr Arbeiterversammlungen einstweilen nicht mehr dulden. Auf Pflicht und Gewis-

1) Sta. Ms. Reg. Ar. I Pr. Nr. 106. Ruhestörungen in Iserlohn im Jahre 1865. 2) Gemeint ist Hugo Hillmann. 3) Der Bürgermeister Hülsmann hatte im Iserlohner Kreisblatt Nr. 10 ( 4 . 2 . 1 8 6 5 ) in e i ner Bekanntmachung mit Hinweis auf die Verordnung v. 1 1 . 3 . 1 8 5 0 "über die Verhütung eines d i e gesetzliche Freiheit und Ordnung gefährdenden Mißbrauchs des Versammlungsrechts" die Versammlung bei Strafandrohung verboten. In derselben Nummer die Anzeige des ADAV für diese Versammlung.

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sen erkläre i c h , daß, wenn ich angewiesen werde, ferner Arbeiterversammlungen des Allgemeinen Deutschen Arbeitervereins zu dulden, ich dieser Anweisung ein Bataillon Soldaten beizufügen bitten muß. Dieselben sind nicht erforderlich und weitere Ruhestörungen nicht zu befürchten, wenn einstweilen die Versammlungen nicht geduldet werden. Der Königlichen Regierung werde ich zur gegebenen Zeit Bericht zu erstatten nicht verfehlen. Hinsichtlich der Anstellung eines Polizeikommissars bitten der Herr Landrat und ich gehorsamst um die Erlaubnis, Euer Exz. in den nächsten Wochen in Arnsberg zunächst mündlich Vortrag halten zu müssen. Der Bürgermeister Hülsmann

[9] Der Iserlohner Landrat Overweg an den Regierungspräsidenten von Holzbrink zu Arnsberg. Iserlohn, den 19. März 1865 (1) Euer Exz. mache ich in Verfolg des Berichtes vom 1 6 . d . M . i n rubrizierter Sache g e horsamst davon Anzeige, daß seitens des hiesigen Bevollmächtigten des ADAV die von dem Bürgermeister Hülsmann verlangten Nachweisungen nicht erbracht sind. In einer zu meiner Kenntnis gelangten Antwort hat der Bevollmächtigte vielmehr erklärt, es bestehe hierselbst kein besonderer Verein, die hier wohnenden Mitglieder des ADAV seien nur Glieder dieses ^großen Bundes, letzterer Verein aber sei bei der deutschen Bundesversammlung zu Frankfurt am Main angemeldet und werde besonderer Vorschrift deshalb auch in Preußen nicht zu genügen haben, sodann ist erklärt, besondere Statuten existieren nicht, vielmehr sei das allgemeine Statut die einzige Grundlage.(2) Endlich wird gesagt, auch ein Verzeichnis der Mitglieder könne nicht vorgelegt werden, w.eil die Stammrolle, das einzige Material, an den Vereinspräsidenten Becker zu senden gewesen und dort zu führen sei. Das Ungenügende und Ausweichende solcher Erklärung hat den Bürgermeister veranlaßt, die in der beiliegenden Nr. 22 des Kreisblattes enthaltene Bekanntmachung vom 1 7 . d . M . zu veröffentlichen. Die nach dieser Bekanntmachung heute nicht geduldete Versammlung ist dann heute auch nicht abgehalten, man fügt sich der Maßregel, wie es scheint mit Ruhe. Das Benehmen des Vertreters hiesigen Vereins erinnert an das Spiel, welches weiland der Nationalverein getrieben hat. M. E. ist es schwer, die hier bestehende Vereinigung der Arbeiter mit einem anderen Begriffe als dem des .Vereins zu belegen, und wird die Gesellschaft als Verein ferner behandelt werden, bzw. mit Zusammenkünften so lange nicht gedeihen, als nicht die nötigen und geforderten Unterlagen erbracht sein werden. Mit dem hiesigen Staatsanwalt habe ich gestern die Angelegenheit besprochen und bin bei demselben vollkommenem Einverständnis begegnet. Exz. will ich schließlich gehorsamst nur noch bemerken, wie, wenigstens nach m e i nem Erachten, die hiesige Arbeiterbewegung nachdem solche erst in die richtigen Fugen gebracht sein wird, nach und nach von selbst verlaufen dürfe. Agitatoren von 1) Sta. Ms. Reg. Ar. I Pr. Nr. 106. Ruhestörungen in Iserlohn im Jahre 1865 2) Statut des ADAV vom 2 3 . 5 . 1 8 6 3 . 33

draußen scheinen uns einstweilen zu verschonen. Die hiesige Seele der Bewegung aber, den Winkelkonsulenten Tölcke, glaubt der Bürgermeister den Arbeitern gegenüber des Einflusses dadurch berauben zu können, daß er durch geeigneten Hinweis auf die persönliche Stellung des Tölcke dessen Absichten zu der Bewegung hier kennzeichnet. Gelingt es, den Tölcke von der Sache zu trennen, dann ist derselben die Spitze abgebrochen, weil Mißstände erheblicher Art, welche Unzufriedenheit nähren können,von dem hiesigen Arbeiter nicht zu beklagen sind, und weil unter den vorhandenen schlechten tatendurstigen Arbeitern niemand von der Befähigung sein möchte den zeitigen durchweg gesunden Verhältnissen gegenüber eine Erregung der Gemüter aufrecht zu erhalten. [10] Bekanntmachung [des Iserlohner Bürgermeisters] (1) Der frühere Privat-Schreiber, jetzige gewerbslose C a r l W i l h e l m T ö l k e hier, hat den unterzeichneten Bürgermeister Ende vorigen Monats bei der Königlichen StaatsAnwaltschaft denunzirt und Herbeiführung einer gerichtlichen Bestrafung beantragt, weil derselbe ihn vor einem großen Polizeipersonal und sonstig anwesenden Personen auf dem hiesigen Polizei-Bureau als das schlechteste Subject von Iserlohn bezeichnet und darnach das Unterpersonal zu einer desfallsigen entsprechenden Behandlung für die Zukunft angewiesen hat. In derselben Denunziation gibt T ö l k e zugleich an, daß wegen Mangels der erforderlichen Sachkenntniß seitens hiesiger Arbeiter, man ihn ersucht habe, die ersten Versammlungen von Vereins Mitgliedern des Allgemeinen deutschen Arbeitervereins so lange zu leiten, bis die sogenannte Gemeinde Iserlohn den Vereins-Bestimmungen gemäß vollständig constituirt und geschäftlich eingerichtet sei. Dieser ThätigkeitsEntwickelung sei aber seit dem 29. Januar d.J. in einer solchen Weise von dem Bürgermeister H U l s m a n n hindernd in den Weg getreten, daß er für die ihm von Letzerem angethane Schmach und Schande volle Genugthuung durch Bestrafung des Bürgermeisters fordern, weil er die Achtung des allergrößten Theiles der hiesigen Bürgerschaft seit langen Jahren und bevor Iserlohn den Bürgermeister HU l s m a n n erhalten habe, besitze. Mit Bezug hierauf mache ich bekannt, daß C a r l W i l h e l m T ö l k e wegen Unterschlagung von Geldern wegen gewaltsamen Widerstandes und Beleidigung eines öffentlichen Beamten, wegen qualifizirten Betruges und wiederholt wegen unbefugten Anfertigens schriftlicher Aufsätze für Andere gerichtlich bestraft und ihm die Nationalkokarde rechtskräftig aberkannt ist.(2) Dem A r b e i t e r C a r l B r ä n d g e n habe ich in diesem Monat die Bestrafung des T ö l k e schriftlich mitgetheilt. B r ä n d g e n hat mir hierauf vor einigen Tagen persönlich erklärt, daß er unter den obwaltenden Verhältnissen nicht mehr der Bevollmächtigte des Allgemeinen deutschen Arbeitervereins sei und diese Erklärung den Arbeitern in den einzelnen Fabriken schriftlich zugehen lassen werde.(3) Auf einen vor wenigen Monaten gestellten Antrag auf Wiederverleihung der Nationalkokarde ist für T ö l k e in diesen Tagen höheren Ortes ein abschlägiger Bescheid ertheilt. 1) Iserlohner Kreisblatt Nr. 23 (22.3.1865). 2) Tölckes Angaben über seine Strafen in: SD Nr. 48 (16.4.1865). 3) Hülsmanns Brief an Brändgen v. 15.3.1865 in: Sta. Ms. Reg. Ar. I Pr. Nr. 106. 34

Hierbei nehme ich zugleich Veranlassung, bekannt zu machen, daß ich wegen eines im Social Demokraten erschienenen Artikels de dato Iserlohn den 3 0 . Januar 1865 über Auflösung der Versammlung von Mitgliedern des Allgemeinen deutschen Arbeitervereins am 2 9 . J a n . d . J . ( 4 ) im Laufe des vorigen Monats die Herbeiführung eines gerichtlichen Strafverfahrens beantragt, die Königliche Staatsanwaltschaft in Berlin aber ersucht habe, das e i n g e l e i t e t e Verfahren nicht fortzusetzen, weil die ferneren in diesem Blatte erschienenen Artikel über die Thätigkeit der Ortsbehörde in Iserlohn lediglich aus solchen Lügen und gemeinen Verläumdungen zusammengesetzt seien, daß ich es unter meiner Würde halte, dieserhalb ein weiteres Straf-Verfahren zu wünschen. Namentlich sei es ganz insbesondere m i r auch gleichgültig, ob diese Artikel, wie ähnliche bei den vorgesetzten Behörden über m e i n e hiesige a m t l i c h e Thätigkeit e i n g e gangen und lediglich aus Lügen oder Unwahrheiten zusammengesetzen Beschwerden, von dem hiesigen übelberüchtigten Winkelconsulenten T ö l k e , oder sonstigen c h a rakterlosen Menschen verfaßt seien. Schließlich bemerke ich noch, mit Bezug auf einige von dem T ö l k e verbreitete Irrtümer, daß ich in Versammlungen zur Besprechung öffentlicher Angelegenheiten als Bürgermeister gesetzlich nicht verpflichtet bin ein besonderes Abzeichen zu tragen und daß der § 4 des Vereinsgesetzes durchaus nicht bestimmt, daß die Ortspolizeibehörde nur zwei P o l i z e i b e a m t e in eine derartige Versammlung schicken dürfe. Iserlohn, 2 0 . März 1865. Der Bürgermeister: H ü l s m a n n . 4) Vergl. Nr. 7

11 Dreifache Censur (Obrigkeit, Geldsack, Bornirtheit) (1) und, wie ich höre, s p e c i e l l e r " B e f e h l " haben die beiden hiesigen Lokalblättter(2) veranlaßt, die Aufnahme meiner Abfertigung des Hülsmann'schen, hinter der a m t l i chen Schanze "Bekanntmachung" versteckten Schmähartikels zu verweigern, in w e l chem ich unter Mittheilung meiner seit 1848 erfolgten Bestrafung, durch Verdrehung und Entstellung von Thatsachen in der - b ü r g e r m e i s t e r h a f t e s t e n Weise beleidigt worden bin. Die in dem Artikel enthaltenen handgreiflichen U n w a h r h e i t e n sind im Betreff des Rücktritts des Bevollmächtigten Hrn. Bräudgen bereits durch den Correspondenz-Artikel aus Iserlohn vom 2 2 . d. M. in Nr. 2 4 . des " a m t l i c h e n Kreisblattes" thatsächlich widerlegt. Da mir die direkte Vertheidigung in empörender Weise abgeschnitten, der " S o c i a l Demokrat" aber hier zum Aerger der beiden, an Abonnenten-Schwindsucht laborirenden Lokalblätter eine der meistverbreiteten Zeitschriften ist, so m a c h e ich dem h i e sigen Publikum auf diesem Wege die Anzeige. 1. daß ich gegen den Bürgermeister Hülsmann bei der Staatsanwaltschaft wegen öffentlicher Beleidigung, resp. Verleumdung, Einleitung der Untersuchung beantragt h a be (dritte Denunciation); 1) SD Nr.41 ( 3 1 . 3 . 1 8 6 5 ) 2) Es handelt sich um die beiden Iserlohner Lokalblätter: Iserlohner Kreisblatt und Iserlohner Zeitung. 35

2 . daß ich in einer möglichst bald erscheinenden Broschüre die raffinirten, systematischen Verfolgungen, welchen ich seit 1848 bis jetzt ausgesetzt gewesen, gestützt auf amtliche Actenstücke frank und frei darlegen werde.(3) Kein Freund von irgend welchem Märtyrerthum und politischer Weihräucherei, habe ich bisher alle Unbilden schweigsam ertragen: nachdem mich der brutalle Angriff des Hülsmann aber an den Haaren gewaltsam an die Oeffentlichkeit gezogen hat, nun werde ich schonungslos ein Gewitter über die hiesigen schauderhaften Zustände loslassen, welches manchem alten Sünder die Haare zu Berge treibt. Die Broschüre wird zugleich ein interessantes Stückchen neuester Chronik von Iserlohn und eine kurze Geschichte der " I s e r l o h n e r R e v o l u t i o n " von 1849 liefern. - Corruption und Niederträchtigkeit sind auch hier in ganz anderen Regionen zu suchen, als im geschmähten Arbeiterstande, - und die " V e r f ü h r e r d e s V o l k e s " werde ich gerade unter d e n e n nachweisen, d e r e n G e w ä h l t e die Franklin'sche Redensart so fleißig im großmauligen Munde führen. Für die vielen Beweise der größten Entrüstung über die Hülsmann'sche Schmähschrift spreche ich der gesammten Bürgerschaft meinen Dank aus, bemerke indeß dabei, daß es eigentlich selbstverständlich ist, daß ein alter Demokrat unmöglich 16 Jahre hindurch ungeschoren bleiben konnte, der 1849 mit einem Fuße im "Exil" stand, seiner Familie wegen es aber vorzog, im Lande zu bleiben, sich von Gefängniß zu Gefängniß schleppen, freisprechen, verurtheilen und von - Bürgermeistern und dergleichen maltraitiren zu lassen. Iserlohn, 27. März 1865. Carl Wilh. Tölcke. 3) Tölckes Broschüre trug den T i t e l : "Riesensprung eines alten Demokraten aus dem preußischen Beamtentum ins deutsche Proletariat". Die Broschüre ist nicht mehr erhalten.

12 Rheinisch-Westphälischer Arbeitertag und Feier des Stiftungsfestes der Gemeinden Hagen und Iserlohn (1) Hagen, 5. Juni [1865] Heute fand hierselbst der durch die Gemeinden des Allg. deutsch. Arb. - Vereins H a g e n und I s e r l o h n - woselbst der Artikel 29. der Verfassungs-Urkunde noch immer polizeilich suspendirt ist - zur Feier des Stiftungsfestes einberufene R h e i n i s c h W e s t p h ä l i s c h e A r b e i t e r t a g statt. Es hatten sich hierzu Vereinsmitglieder aus Rheinland und Westphalen und Arbeiter aus der Nachbarschaft in großer Anzahl eingefunden. Wir lassen nachstehend einen ausführlichen Bericht folgen: T . Zuerst zog Morgens gegen 10 Uhr die aus 150 Mitgliedern bestehende Deputation aus Iserlohn auf reich bekränzten und beflaggten Wagen hier ein, von welchen einer etwa 20 Mitgliederfrauen enthielt, welche sich die Freude nicht versagen wollten, an dem Feste Theil zu nehmen. Dann kamen mit verschiedenen Bahnzügen mehrere Hundert Barmer Brüder, zum Theil mit Kränzen und Inschriften zur fernem AuschmUckung des Festlokals. Auch sie brachten Frauen, sogar alte Mütterchen mit, voll edler Begeisterung für die Sache. Endlich trafen nach 2 Uhr die Elberfelder, Ronsdorfer, Solinger und - wenn ich nicht irre - auch Remscheider und Cronenberger Brüder ein, mit 1) SD Nr. 70 ( 1 1 . 6 . 1 8 6 5 ) . 36

ihnen der Vereinspräsident, Herr Bernhard Becker, welcher von Barmen kam. Ein großer T h e i l der Bergischen Vereinsmitglieder, von welchen manche stundenweit zu Fuß nach Elberfeld resp. Barmen gekommen waren, mußten dort zurückbleiben, weil der betreffende Bahnzug Überfüllt war. Am Bahnhofe hatten sich zum Empfange des Präsidenten die Vereinsmitglieder und eine große Menschenmenge versammelt. Der Präsident wurde mit endlosem enthusiastischem Jubel begrüßt. Er bestieg einen der Iserlohner Wagen, die sich sofort mit Mitgliedern füllten, worauf sich der .imposante Zug, gefolgt von einer großen Menschenmasse, durch die Stadt zu dem sinnig geschmückten Festlokale in Bewegung setzte. Leider konnte Letzteres kaum 600 Personen, etwa den dritten Theil der Anwesenden fassen. Nach vergeblichen Versuchen, die polizeiliche Erlaubnis zur Abhaltung der Versammlung im Freien zu erhalten, wurde diese gegen 41/2 Uhr im überfüllten Festlokale vom Bevollmächtigten, Herrn K r u s e , eröffnet. Außer diesem waren die Bevollmächtigten Herren Vorstandsmitglieder H i l l m a n n aus E l b e r f e l d , G r o ß e n b a c h aus B a r m e n und B r ä n d g e n aus I s e r l o h n anwesend. Eine große Menschenmenge hatte sich theils außerhalb des Lokals gelagert, theils die Dächer der Nebengebäude bestiegen, um durch die geöffneten Fenster die Vorträge zu vernehmen. (Es folgt eine inhaltliche Wiedergabe der Reden Hillmanns und B.Beckers). Der Redner schloß mit den Worten: Wenn Sie mir dies Alles versprechen wollen, dann stimmen Sie mit mir ein in den Ruf: "Es lebe die social-demokratische Agitation!" Die ganze Versammlung fiel begeistert in diesen Ruf ein und brachte unter stürmischem Applaus dem Präsidenten vielfache Hochs. Aus der Versammlung drängten sich intelligente Männer von hier und aus bedeutenden Städten der Nachbarschaft herbei, um den Präsidenten unter warmem Händedruck die Versicherung auszusprechen, daß sie bisher von der Fortschrittspartei allein Heil erwartet hätten, daß sie jetzt aber eines Bessern belehrt und von allen, auch bei ihnen bestandenen Zweifeln gegen den Allg. deutsch. Arb.-Verein vollständig befreit seien. Der dritte Redner war H r . C . W . T ö l c k e aus Iserlohn. Weil sämmtliche bergische Vereinsmitglieder und auch der Präsident mit dem letzten Zuge um 8 Uhr abreisen mußten, auch die Iserlohner dieselbe Stunde zur Abfahrt bestimmt hatten, so beschränkte sich derselbe darauf, die wesentlichsten Punkte seines beabsichtigten Vortrages kurz zu berühren. Auf vielseitiges Verlangen wird H r . T ö l c k e seinen Vortrag der Redaktion des "Social-Demokrat" zum vollständigen Abdruck einsenden", weshalb hier die Bemerkung genügen möge, daß auch diesem Redner volle Anerkennung zu T h e i l wurde. (2) Dasselbe war der Fall mit Hrn. Großenbach aus Barmen, welcher in kräftigen Worten, anknüpfend an die Erörterungen des Vorredners, die Schulze-Delitzsch'schen Vereine als völlig unzureichend zur Hebung der materiellen Lage der arbeitenden Klassen nachwies. Hr. Großenbach ermahnte die Mitglieder in beredten Worten treu und fest zur Sache zu halten und unausgesetzt für den Verein zu agitiren. Sich sodann an die Vereinsmitglieder wendend, forderte er dieselben in einer anfeuernden Ansprache auf, sich unverzüglich in unsern Verein aufnehmen zu lassen. Bevor Herr Großenbach das Wort nahm, traf ein Telegramm von der Frankfurter Gemeinde, unterzeichnet Eisenhuth, ein. Nachdem der Hr. Präsident Becker dieselbe verlesen hatte, brachte die Versammlung den Frankfurter Brüdern ein dreimaliges stürmisches Hoch. Nachdem auch auf den Präsidenten und sämmtliche Redner ein gleiches Hoch ausgebracht worden, wurde die Versammlung gegen 8 Uhr Abends geschlossen. 2) Die Rede siehe Nr. 2 3 . 37

Die Hagener und Iserlohner Mitglieder begleiteten den Präsidenten und ihre rheinischen Freunde zum Bahnhof. Nach herzlichem Abschiede brauste der Zug dahin und die Iserlohner machten sich zu Wagen auf ihren vierstündigen Rückweg. In allen Orten, welche sie passirten, namentlich in Limburg, Lethmathe und Grüne wurden die Iserlohner Morgens und Abends von der Bevölkerung mit lebhaftem Jubel begrüßt. Einen gewaltigen unvergeßlichen Eindruck machte es, als die Wagen die Zinkhütte des Märkisch-Westphälischen Bergwerks-Vereins bei Lethmathe passirten und Hunderte von Zinkschmelzem, halbnackte herkulische Gestalten, aus Fenstern und Thtlren des langgedehnten Gebäudes hinaus Uber die Lenne hinweg donnernde Hochs und Hurrahs ihren Iserlohner Brüdern zuriefen. Wohl machten Morgens sie Alle gern mitziehen zum Arbeitertage; allein selbst am Pfingsttage hielt ihr " B e r u f ' , der Vortheil der Aktionäre sie zurück. Zumal Nachts war die gegenseitige Begrüßung über den Strofti hinweg Uberwältigend, als die Zinkschmelzer, in gleicher Art wie Morgens, ihre Zurufe erschallen ließen, umgeben von den zahllosen farbigen Flammen der Retorten und der Feuergluth der Essen und Oefen, die sich im Strome abspiegelten. In solcher Verbrüderung des "vierten Standes" liegt wahrlich mehr Poesie und Wahrheit, als in den b a chantischen Champagner-Orgien der ledernen Bourgeoisie. Der gestrige T a g wird die Sache des Allg. deutsch. Arb. -Vereins in Westphalen mächtig fördern, und es ist zu erwarten, daß bald viele neue Gemeinden entstehen, zunächst in den Städten Limb u r g ^ ) , Schwerte, Witten, Essen, Bochum, Hörde, Dortmund, Hamm, Menden und Lüdenscheid. Das Festlokal bei Barth in Hagen ist das Versammlungslokal der dortigen Gemeinde. Die Besitzer größerer Lokale hatten Bedenken getragen, dieselben zu unserm Zweck herzugeben. Nur Hr. J e i s m a n n , Restaurant in der Turnhalle zu Hagen, hatte dem Bevollmächtigten, Herrn K r u s e die Einräumung der Turnhalle zugesagt; allein man höre und staune! - die Herren "deutschen" Turner faßten in nachträglicher " G e neral-Versammlung" den welthistorischen Beschluß, daß die heilige Turnhalle zu Zwecken des Allg. deutsch. Arb.-Vereins, welcher überall unterdrückt werden müsse, nicht hergegeben werden solle. Durch diesen denkwürdigen Beschluß haben die Herren Turner sich der deutschen Arbeiterschaft als gründliche Narren selbst denuncirt. Der Allgemeine deutsche Arbeiter-Verein aber ist an dergleichen Chikanen schon längst zu sehr gewöhnt, als daß er sich dadurch jemals seine Existenz verleiden ließe. Er weiß, daß er mit Goethe ausrufen kann: "Hätt ich gezaudert zu werden, Bis man mir's Leben gegönnt. Ich wäre noch nicht auf Erden, Wie ilir begreifen könnt. " Im Gegenteil wird er darum nur um so schneller erstarken und um so kräftiger emporblühen, eingedenk der Worte des Dichters: "Nur der verdient die Freiheit und das Leben, Der täglich sie erobern m u ß ! " So hat denn auch dieser Arbeitertag auf Alle, die ihm beiwohnten, einen erhebenden gewaltigen Eindruck gemacht und dem s i e g e s g e w i s s e n Selbstbewußtsein d e r A r b e i t e r k l a s s e und d e r s o c i a l d e m o k r a t i s c h e n P a r t e i aufs neue ein glänzendes Zeugniß ausgestellt, dessen Früchte nicht ausbleiben werden. H o c h lebe die s o c i a l - d e m o k r a t i s c h e Agitation! 3) Gemeint ist Hohenlimburg, heute ein Ortsteil von Hagen. 38

13a Westphälischer Arbeitertag zu Iserlohn am 22. Dezember 1867 (1) Vormittags 1 H / 2 Uhr wurde der Westphälische Arbeitertag in dem sinnreich geschmückten Versammlungslokale der hiesigen Mitglieder durch den Bevollmächtigten T ö l c k e eröffnet. Nach Begrüßung der Arbeiter-Deputationen, welche theilweise aus stundenweiter Entfernung zu Fuß hierher gekommen waren, begaben sich die Mitglieder zum Empfang des Vereins-Präsidenten Hrn. v. Schweitzer und der auswärtigen Vereins-Deligirten zum Bahnhof, woselbst sich eine große Menschenmenge ansammelte. Bei Ankunft des Zuges wurde der Vereins-Präsident mit stürmischen Hochs begrüßt. In seiner Begleitung befanden sich die Herren Goßmann aus Solingen, Klein und Krall aus Elberfeld, Hülsmann, Bahne und Reiferscheidt aus Barmen und Weinhagen aus Dortmund, früher Mitglied in Düsseldorf. Deputationen waren anwesend aus den Städten Altena, Limburg, Menden, Schwerte, ferner aus Bösperde, Hemer, Letmathe und anderen Nachbarorten. In imposantem Zuge begleitete die Menge den Präsidenten und die Deligirten, welche i m Wagen vorauffuhren, zum Hotel Lecke, vor welchem dem Präsidenten abermals ein dreifaches Hoch gebracht wurde, worauf derselbe im Namen des Vereins für den freundlichen Empfang mit einigen kräftigen Worten dankte. Nachmittags 3 1 / 4 Uhr betrat der Präsident das überfüllte Versammlungslokal, von tausendstimmigen Hochrufen empfangen. Der Bevollmächtigte Tölcke theile zunächst m i t , daß der Arbeitertag den Charakter einer öffentlichen Versammlu. g von Mitgliedern des Allg.deutsch. Arb. -Vereins h a b e , weshalb es der Constituirung eines Bureau's nicht bedürfe; daß nach der Verfassung des Vereins der anwesende Präsident den Vorsitz zu führen haben werde, derselbe indeQ ihn mit der Leitung der Verhandlungen beauftragt habe.(2) Darauf ergriff der Vereins-Präsident Hr. v. S c h w e i t z e r das Wort zu dem angekündigten Vortrage: "Der europäische Socialismus", nachdem er zuvor den westphälischen Arbeitern den social-demokratischen Brudergruß sämmtlicher Vereinsmitglieder überbracht hatte. In dem Vortrage erörterte der Präsident zunächst die socialistischen Bestrebungen in Deutschland, welche in zwei Hauptrichtungen ihren Ausdruck fänden. In der Schulze'schen und in der Lassalle "sehen. Der Redner unterzog in klarer a l l g e mein verständlicher Weise beide Systeme einer gründlichen, scharfen Kritik, deren Ergebniß die Vorzüglichkeit der Vorschläge Lassalle's war. Darauf folgte eine ausführl i c h e Darstellung der socialistischen Bestrebungen in Frankreich, dessen Arbeiter auch in dieser Beziehung voranstehen, sowie in England, wo die Arbeiter kampfbereit sind. Mit ergreifenden Worten schilderte der Präsident die ganze Größe des Verlustes, welchen die deutsche Socialdemokratie durch den Tod Lassalle's erlitten habe; allein sein unsterblicher Geist schwebe über seiner Jüngerschaar und begeistere sie zum treuen Ausharren bis zum Siege. Schließlich ermahnte der Präsident die westfälischen Arbeiter, in erster Reihe die Iserlohner, zu regem Eifer für die Sache und zur unablässigen Agitation. (Anhaltender Beifallssturm und donnernde Hochs auf dem Präsidenten.) Der Vorsitzende T ö l c k e forderte etwa anwesende Gegner auf, zur Widerlegung der Ausführungen des Präsidenten das Wort zu ergreifen; oder, falls in dem Vortrage für Jemand etwas unklar geblieben, Anfragen oder Interpellationen an den Vortragenden

1) SD Nr. 151 ( 2 9 . 1 2 . 1 8 6 7 ) . 2) Für diesen Arbeitertag war mit Plakaten und Annoncen geworben worden. Ein Plakat befindet sich im Stda. Iserlohn.

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zu richten. Da sich Niemand zum Worte meldet, so bemerkt der Präsident v. Schweitzer, daß es vielfach vorgekommen sei, daß nach Parteiversammlungen Gegner in Zeitungen ein großes Wort führten, statt in den Versammlungen selbst sich hören zu lassen. Er fordere deshalb die anwesenden Gegner auf, ihre Einwendungen vorzubringen, er werde ihnen Rede und Antwort stehen" andernfalls möchten sie sich auch e i nesnachträglichen Raisonnements in Wirtiishäusern und Zeitungen enthalten. (Bravo.) Da sich kein Gegner meldet, auch keine Interpellationen bestellt werden, so spricht Herr G o ß m a n n aus Solingen unter vielen Beifallsbezeugungen über die Geschichte und den Zweck des Vereins und fordert dann zum einheitlichen Zusammengehen auf. Herr K r a l l aus Elberfeld beleuchtet die Bestrebungen von 1848, wo die Arbeiter kein bestimmtes Z i e l gehabt hätten, vielmehr von einzelnen Führern, die später in der Fortschrittspartei die Demokratie in den Staub getreten, zu willenlosen Werkzeugen benutzt worden seien. Einer jener Führer sei Herr Schulze aus Delitzsch, dessen sociale Hilfsmittelchen Redner scharf kritisirt und deren Unzulänglichkeit nachweist. Nachdem Herr Krall noch einen Gruß der Elberfelder Arbeiter überbracht, bringt er ein Hoch auf die social-demokratische Agitation aus, in welches die Versammlung begeistert einstimmt. Herr Hülsmann aus Barmen begrüst die Versammlung Namens der Barmer Arbeiter und erörtert dann die Folgen der französischen Revolution, welche dem Kapital zur Gleichberechtigung mit dem Adel und Geistlichkeit verhalf, betont die Aufgabe der Arbeiterklasse, jene Gleichberechtigung ebenfalls zu erringen, was durch das allgemeine Wahlrecht zu ermöglichen sei, wie die Arbeiter von Barmen-Elberfeld bewiesen haben. Redner fordert die westphälischen Arbeiter auf, ein Gleiches zu thun. (Bravo). Herr K l e i n aus Elberfeld verbreitete sich in längerem Vortrage über Z i e l und Mitt e l der Arbeiterpartei und ermahnte die Arbeiter Iserlohns zum treuen Ausharren mit den Worten ihres Telegramms an die Berliner General-Versammlung: "Stehet fest, wie Deutschlands Eichen!" (Bravo). Herr Bahne aus Barmen wies nach, daß das Schulze'sche Sparsystem unausführbar sei, so lange der Fluch bestehe: "Im Schweiße Deines Angesichtes sollst Du Dein Brod essen"; die "Consum-Vereine" würden schließlich dazu führen, daß die Arbeiter sich vom Arbeitgeber den Küchenzettel schreiben lassen müssen. Herr Bahne forderte mit kräftigen Worten zum Eintritt in den Verein auf. (Lebhafter Beifall). Nach einer kurzen Pause sprachen wiederholt die Herren Krall, Hülsmann und Goßmann in längeren, von vielem Beifall unterbrochenen Vorträgen, durch welche die Bestrebungen des Vereins weiter auseinandergesetzt wurden. Herr Goßmann ermunterte die Iserlohner Arbeiter, in Westphalen der Freiheit eine Gasse zu brechen, wie einst Winkelried den Schweizern. (Auf Antrag v. Schweitzers wird ein Telegramm an den Wiener Arbeiter-Bildungsverein gesandt.) Der Vorsitzende theilte mit, daß auswärtige Fabrikanten ihren Arbeitern bei Strafe der Entlassung den Besuch des Arbeiterstages verboten hätten.und ersuchte die Arbeiter, ihm etwaige Entlassungen mitzutheilen.

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13b Westphäl¡scher Arbeitertag 1867 zu Iserlohn a m 2 2 . Dezember (Schluß) (1) Dieses Ersuchen des Vorsitzenden (diejenigen Arbeiter, die etwa wegen T h e i l n a h m e am heutigen Arbeitertage von ihren Arbeitgebern, wie mehrere derselben angedroht, entlassen werden sollten, möchten ihm Solches zur Anzeige bringen. D. Red.) geschehe deshalb, damit die Namen der betreffenden Arbeitgeber im Vereins-Organ veröffentlicht werden könnten, welches Organ er dann den Anwesenden dringend e m pfahl. Auf Antrag des Vorsitzenden, welcher die Verdienste des Herrn Präsidenten v. Schweitzer um die Arbeitersache Uberhaupt, insbesondere dessen rühmliches Verhalten im Reichstage hervorhob, nahm der Westphälische Arbeitertag die Erklärung der Volksversammlung in Elberfeld vom 1 8 . d . M . e i n s t i m m i g an unter donnernden Hochs auf den Präsidenten und sämmtliche Deligirten und Deputationen.(2) Herr v. Schweitzer dankte den Westphälischen Arbeitern für die rege T h e i l n a h m e und wies mit beredten Worten auf die Nothwendigkeit hin, im Kampfe fest zusammen zu stehen und mit vereinten Kräften rüstig voran zu schreiten. (Begeisterte Zurufe und stürmische Hochs auf den Präsidenten.) Der Vorsitzende schloß gegen 8 Uhr den Westphälischen Arbeitertag mit dem tausendfach wiederhallenden Rufe: Es l e b e d i e s o c i a l - d e m o k r a t i s c h e A g i t a t i o n ! " Abends 10 Uhr brachten die Vereinsmitglieder dem Präsidenten, bei welchem die noch anwesenden Deligirten sich versammelt hatten, ein musikalisches Ständchen. Nach Arndt's "Was ist des deutschen Vaterland?" sprach der Präsident begeisterte Worte zu der Menge, die darauf in jubelnde Hochs auf den Vereins-Präsidenten und das ganze Deutschland ausbrach. "Die Wacht a m Rhein" bildete den würdigen Schluß der dem Allg. deutschen Arb. Verein und seinem Führer dargebrachten Huldigung. Von W i e n lief am 25. Dezember nachstehendes T e l e g r a m m als Antwort auf das von hier ausgegangene ein: "Westphälischer Arbeitertag Iserlohn per C . W . T ö l c k e . Social-demokratischen Brudergruß! H o c h d e n M a n e n L a s s a l l e ' s ! Arbeiter-Bildungsverein Wien", (3) Bald werde ich über neue Ausbreitung des Vereins in den Westphälischen Fabrikdistrikten berichten können An uns soll's nicht fehlen! - Gruß und Handschlag! Carl Wilh. Tölcke. Iserlohn, 25. Dezember 1867.

1) SD Nr. 1 ( 1 . 1 . 1 8 6 8 ) . 2) Die Elberfelder Erklärung vom 18.12.1867 lautete: "Die Volksversammlung erklärt, daß sie mit der Tätigkeit des Herrn v. Schweitzer, Vertreter des Wahlkreises Elberfeld-Barmen im Norddeutschen Reichstag, vollständig einverstanden ist, und spricht dem Herrn v. Schweitzer für sein energisches Auftreten für die Interessen des Arbeiterstandes ihren herzlichsten, wärmsten Dank aus. SD Nr. 149 (22.12.1867). 3) Zur Entwicklung des Arbeiter-Bildungsverein Wien vergl. Herbert Steiner, Die Arbeiterbewegung Oesterreichs 1867-1889, Wien 1964, S . 6 f f . 41

14 Rheinisch-Westphälischer Arbeitertag in Hagen [1868] (1)

In Folge des Erlasses des Präsidenten des Allg. deutsch. Arb. Vereins, Herrn v. Schweitzer in Berlin, in Nr. 57 des "Social-Demokrat" hatte ich auf gestern, den 21. d . M . , einen Rheinisch-Westphälischen Arbeitertag nach Hagen berufen und zu demselben die Arbeiter, Handwerker und Eisen-Industriellen der beiden Provinzen durch mehrere Zeitungen, besondere Circulare und Plakate eingeladen. Auf Grund der protokollarischen Aufzeichnungen lasse ich nachstehenden Bericht Uber die Verhandlungen folgen. Iserlohn, 22. Mai 1868. C.W. T ö l c k e . H a g e n 21.Mai 1868. C . W . T ö l c k e aus Iserlohn eröffnet um 4 Uhr den Arbeitertag, theilt die Veranlassung zu demselben mit und übernimmt, weil der Arbeitertag durch den Allg. deutsch. Arb.-Verein einberufen ist, auf Grund der ihm vom Vereins-Präsidenten ertheilten Vollmacht den Vorsitz. Durch Acclamation wird Herr F. B e h r e n b r u c h aus Hagen zum Schriftführer ernannt. T ö l c k e macht die Tagesordnung bekannt und erläutert den ersten Gegenstand derselben, die Eisenzollfrage, näher, indem er die von den Groß-Producenten gegen eine Ermäßigung des Schutzzolles auf Eisen vorgebrachten Gründe auseinandersetzt und bemerkt, daß die Groß-Produzenten ausdrücklich die Mitwirkung der social-demokratischen Arbeiter-Partei zur Herbeiführung einer Untersuchung der Verhältnisse der deutschen Eisenproduction angerufen und sich dieserhalb an den Präsidenten des Allg. deutsch. Arb. -Vereins gewendet, der diese Mitwirkung unter der Bedingung zugesagt habe, daß von Seiten der Unternehmer darein gewilligt werde, daß die Untersuchung durch eine Parlaments-Commission sich zugleich über die Verhältnisse der in den Eisenwerken beschäftigten Arbeiter erstrecke. Vorsitzender ersucht etwa anwesende Eisen-Industrielle, ihre Anwesenheit kund zu geben, damit diese constatirt und Uber eine Verständigung nach der bezeichneten Richtung hin verhandelt werden könne. - Es stellt sich heraus, d a ß k e i n e i n z i g e r E i s e n - I n d u s t r i e l l e r a n w e s e n d ist, worauf der Vorsitzende bemerkt, daß dann auch von einer Verständigung Uber gemeinsame Schritte weiter keine Rede mehr sein könne, und daß es sich nur noch um die Frage handele, ob der Arbeitertag den Gegenstand fallen lassen oder aber selbstständig zur Herbeiführung der fraglichen Untersuchung vorgehen wolle. Bei der hierüber eröffneten Discussion nimmt zunächst das Wort Herr W. Fr i c k aus Barmen. Derselbe bemerkt, daß er nicht unbedingt für Freihandel sei. Da die Eisen-Industriellen nicht erschienen seien, so hätten indeß die Freihändler wohl Recht, wenn sie behaupteten, daß die Ermäßigung der Schutzzölle auf Eisen keineswegs eine Herabsetzung der Arbeitslöhne zur Folge haben müsse. Herr Frick empfiehlt, den Gegenstand fallen zu lassen. HerrB. B i e r m a n n aus Iserlohn tritt den Ausführungen und dem Antrage des Vorredners bei. Herr C h r . B a h n e aus Barmen: Es sei zu untersuchen, ob d e r g r ö ß e r e T h e i l der Arbeiter Nachtheil oder Vortheil von der Herabsetzung des Zolles zu erwarten habe. Er glaube das Letztere. Die Behauptungen der Fabrikanten, daß sie nur das Wohl der Arbeiter bezweckten, seien nichts Anderes, als faule Fische. - Uebrigens 1) SD Nr. 62 (27.5.1868). 42

solle die Commission die Verhältnisse der Arbeiter a l l e r Fabrikzweige untersuchen. Herr F r i c k fordert die Arbeiter auf, sich hinterher nicht verleiten zu lassen,Petitionen zu unterschreiben. Hier müßte die Sache ausgetragen werden und es hätte doch wenigstens Einer der Eisenfabrikanten anwesend sein können. Jetzt läge die Absicht derselben am T a g e , eine Untersuchung der Lage der Arbeiter zu verhindern. Herr O t t o B u t z aus Haspe spricht gegen eine Untersuchungs-Commission, und zwar vom speziellen Standpunkt des Kreises Hagen aus. In diesem haben die Arbeiter einen verhältnißmäßig guten Lohn; eine amtliche Ermittelung der Höhe desselben werde die Anwendung der preußischen Steuerschraube gegen die Arbeiter zur Folge haben. Die Frage, ob Freihandel oder Schutzzoll, sei - worin er Herrn B i e r m a n n beipflichte noch zu früh. Von einer Ermäßigung des Eisenzolles hätten nur die Großen Nachtheil, die Kleinen aber Nutzen. Die im Kreise Hagen heimische Klein-Eisenindustrie und die in derselben beschäftigten Arbeiter könnten durch niedrige Eisenpreise nur profitiren. Uebrigens müßten alle freisinnigen Parteien gegen alle indirecten Steuern k ä m pfen. Der Schutzzoll sei auch eine solche. Der Staat sei verpflichtet, im Interesse der Gesammtindustrie billige Verkehrswege herzustellen. Er empfiehlt, eine Untersuchungs-Commission nicht zu fordern. Herr B i e r m a n n entwickelt das Lohngesetz und glaubt nicht, daß eine UntersuchungsCommission eine Steuererhöhung herbeiführen werde. Er nimmt Veranlassung, die Arbeiter auf die Wichtigkeit der Wahlen aufmerksam zu machen. Herr F r i c k bestreitet gegen Herrn Butz, daß die Commission die Steuerschraube zum Nachtheil der Arbeiter in Bewegung bringen werde. Keine Partei streite so gegen die indirecten Steuern, wie die social-demokratische, welche eine einzige progressive Einkommensteuer fordere. Auch in dieser Beziehung habe die Fortschrittspartei, die doch dazu im Stande gewesen sei, nichts gethan. Herr B u t z verwahrt sich persönlich gegen diesen Vorwurf und wiederholt, daß die indirecten Steuern auf Verbrauchsgegenstände wegfallen müssen, worauf Herr F r i c k bemerkt, daß sein Vorwurf nicht gegen Personen, sondern gegen eine Partei gerichtet sei. Der Vorsitzende T ö l c k e erklärt sich bis auf die Ausstellungen des Herrn B u t z gegen eine Untersuchungs-Commission mit dessen Ausführungen einverstanden. Seine Partei beurtheile die Frage nicht mit der unzulässigen Rücksicht auf die Interessen eines einzelnen Kreises, sondern von durchaus allgemeinen Gesichtspunkten aus. Eine parlamentarische Enqette habe sich nicht nur auf die Bilanzen der Kapitalisten zu b e schränken, vielmehr auch auf die Verhältnisse der Arbeiter zu erstrecken; sie werde auch rücksichtlich des Kreises Hagen unzweifelhaft ergeben, daß wohl der Unternehmergewinn der Kapitalisten, nicht aber die Arbeitslöhne eine Verkürzung ertragen könnten, daß somit auch eine Herabsetzung der Arbeitslöhne eben so wenig zu b e fürchten sei, wie eine Einstellung der Produktion von Seiten der Kapitalisten, Das Lamento derselben gegen die Ermäßigung des Eisenzolles sei nur eine Folge des Neides. Dies ergebe sich aus dem Verlangen der Eisenwerksbesitzer, daß vorab die T a rifsätze der Eisenbahn-Unternehmer herabgesetzt werden sollen. Jene könnten ihre in Hochöfen usw. gesteckten Kapitalien nichtaus denselben herausziehen, um sie in Eisenbahn-Actien anzulegen, deshalb suchen sie den ihnen durch Ermäßigung des Schutzzolles erwachsenden Gewinnverlust auf die Eisenbahn-Actionäre abzuwälzen; gelänge dies, dann würden auch diese Actionäre ein ähnliches Geschrei erheben, wie jetzt die Eisenbarone. Es handle sich hier offenbar nur um einen Interessenstreit zwischen zwei Branchen des Großkapitals, den die Arbeiter zu Gunsten des einen Theils - der 43

Eisenproducenten - durch ihre Intervention ausfechten sollten. Eine Einstellung der Eisenproduction sei eben so wenig zu befürchten, wie eine Herabsetzung der Arbeitslöhne möglich. Hiervor seien die Capitalisten auch überzeugt, und deshalb seien sie auf dem Arbeitertage nicht erschienen, um nicht dazu mitzuwirken, daß durch eine Enquete constatirt werde, daß die Behauptungen, es handele sich nur um die Interessen der arbeitenden Klassen, Schwindel sei. Das Ausbleiben der Capitalisten sei vorauszusehen gewesen und von ihm dem Vereinspräsidenten vorausgesagt, die Anordnung des Letzteren aber durchaus sachgemäß und nothwendig gewesen, weil dadurch constatirt wurde, ob die Capitalisten es auf eine Untersuchung Uber die Richtigkeit ihrer Angaben ankommen lassen würden oder nicht. Die aus dem Ausbleiben derselben zu ziehenden Consequenzen kämen einem für sie ungünstigen Ergebniß einer Enquete ganz gleich und deshalb bedürfe es einer solchen nicht. Der Vorsitzende theilt hierauf die von den Iserlohner Arbeitern gefaßte Resolution und deren Motive mit. Herr B a h n e empfiehlt, sich um den Streit zwischen den Freihändlern und Schutzzöllnern nicht weiter zu kümmern, da derselbe für die social-demokratische Partei völlig gleichgültig sei. Herr Fr i c k beantragt, die Iserlohner Resolution anzunehmen. Nach wiederholter Verlesung wurde dieselbe einstimmig angenommen.(2) Der zweite Gegenstand der Tagesordnung war der Erlaß einer Petition an den Reichstag um Beseitigung der observanzmäßigen Beschlagnahme des zukünftigen Arbeitslohnes, so wie um Aufhebung der Fabriken-Gerichts-Deputationen und der Schuldhaft. Der Vorsitzende T ö 1 c k e empfiehlt die Absendung der Petition in der Fassung, in welcher sie von den Iserlohner Mitgliedern des Allg. deutschen Arb. -Vereins beschlossen worden. Nachdem auch die Herren F r i c k , B i e r m a n n und B a h n e sich zu Gunsten der Petition ausgesprochen hatten, wurde die Absendung derselben einstimmig beschlossen. Eine Abschrift der Petition liegt diesem Berichte bei. Als dritter Gegenstand kam eine fernere Petition in Betreff der gemeinsamen Gewerbeordnung für den Norddeutschen Bund zur Verhandlung. Der Vorsitzende T ö l c k e bemerkte, daß in der öffentlichen Mitglieder-Versammlung zu Iserlohn eine Petition beschlossen sei, durch welche principaliter volle Gewerbefreiheit event. aber auch Beschränkung der Handwerksfreiheit gefordert werde. Bei der Discussion, an welcher sich in eingehender Weise die Herren F r i c k , B i e r m a n n , B a h n e , S c h r o f f aus Barmen und der Vorsitzende betheiligten, sprachen sich sämmtliche Redner für unbedingte Gewerbefreiheit aus, während der Vorsitzende der Versammlung die Entscheidung über den Zusatz der Iserlohner in Betreff des Handwerksbetriebs anheimstellt: Die Versammlung entschied sich einstimmig zu Gunsten voller und unbedingter Gewerbefreiheit und beauftragte das Bureau mit dem Entwurf der Petition und Absendung beider Petitionen an den Reichstag. Zum Schluß sprachen noch der V o r s i t z e n d e und die Herren F r i c k und B e h r e n 2) Die Redaktion des SD bemerkte hierzu in einer Fußnote: "Wir bemerken noch, daß nach dem Gang der Dinge im Zollparlament die Eisenzollfrage für diesmal nicht vorgekommen ist. Allein sie taucht jedenfalls im Laufe der nächsten Jahre wieder auf. Man hätte übrigens noch in Hagen in einer besonderen Resolution constatiren können, daß die Fabrikanten durch ihr Ausbleiben unzweifelhaft gezeigt haben, daß sie keine Untersuchung der Lage der Eisenarbeiter wollen und daß daher ihre Betheuerungen für das Wohl derselben offenbarer Wind waren. So klar liegt der Schwindel selten zu Tag. 44

b r u c h in längeren Vorträgen über die Z i e l e des Allg.deutsch. Arb. -Vereins und forderten dringend zum Eintritt in den Verein auf. Gegen 8 Uhr schloß der Vorsitzende den Arbeitertag der jedenfalls zur Hebung der Vereinssache in Hagen, wo dieselben durch die Umtriebe des Herrn R e i n c k e gründlich verfahren war, wesentlich beitragen wird.(3) Der Bevollmächtigte Herr B o c k war - in Geschäften nach Gevelsberg verreist! Hagen, 2 2 . Mai 1868. Petition um Beseitigung der observanzmäßigen Beschlagnahme des zukünftigen Arbeitslohnes, so wie um Aufhebung der Fabrikengerichts Deputationen und der Schuldhaft. Hoher Reichstag! Das Patent vom 21. Juni 1825 wegen Einführung des preußischen Allgemeinen Landrechts und der Allgemeinen Gerichtsordnung im Herzogthum Westphalen u . s . w . verordnet, daß die in den betreffenden Landestheilen und Orten bestehenden besondern Rechte und Gewohnheiten (Observanzen) ihre gesetzliche Kraft und Gültigkeit behalten, dergestalt, daß die vorkommenden Rechtsangelegenheiten hauptsächlich nach diesen und erst in deren Ermangelung nach den Vorschriften des Allgemeinen Landrechts b e urtheilt und entschieden werden sollen, wie bekanntlich überhaupt das preußische Landrecht nicht gilt, wenn ein gültiges Provinzialgesetz oder ein Statut für einzelne Orte ihm entgegensteht. In einigen Fabrikdistricten der preußischen Provinz Westphalen b e steht die Observanz, daß von dem zukünftigen Lohne eines Fabrikarbeiters der fünfte Theil mit Arrest belegt und nach der Ansammlung eines angemessenen Betrages dem Gläubiger zur eigenen Einziehung überwiesen werden kann. Mehrerer Gläubiger concurriren um ein solches Fünftel in der durch die Concursordnung bestimmten Rangordnung. Dieser Observanz hat ursprünglich die löbliche Absicht zu Grunde gelegen, dem Arbeiter unter allen Umständen vier Fünftel seines Lohnes zu erhalten, wie demselben auch in Folge derselben Observanz das Recht zusteht, die Aufhebung der Beschlagnahme des einen Fünftels zu verlangen, wenn er nachweist, daß die übrigen vier Fünftel zur Unterhaltung seiner Familie nicht hinreichen. In der Wirklichkeit erweist sich jene Absicht indeß als illusorisch. Nach dem bekannten nationalökonomischen Gesetze, welches unter den heutigen Verhältnissen unter der Herrschaft von Angebot und Nachfrage nach Arbeit den Arbeitslohn bestimmt, bleibt dieser durchschnittlich immer auf den nothwendigen Lebensunterhalt reducirt, der in einem Volke gewohnheitsmäßig zur Fristung der Existenz und zur Fortpflanzung erforderlich ist. In der That bilden denn auch die Fälle, in welchen der Arbeiter den fünften Theil seines Lohnes nicht entbehren kann, die Regel. Durch die Beschlagnahme sind dann dem Gläubiger v e r g e b l i c h e Kosten erwachsen, um deren Betrag sich die Schuld des Arbeiters v e r g r ö ß e r t . Die fragliche Observanz benimmt übrigens dem Gläubiger das Recht nicht, den rückständigen, bereits verdienten Lohn eines Arbeiters g a n z mit Beschlag belegen, oder den Arbeiter zur Schuldhaft bringen zu lassen, in welchen beiden Fällen der Familie desselben der g a n z e Arbeitslohn entzogen wird. Demnach steht die fragliche Observanz mit der Gesetzgebung überhaupt offenbar im Widerspruch. Zudem mögen viele 3) Der Arzt Dr. Adolph Reincke aus Hagen war 1867 aufgrund seines sozialen Engagements und einer Pressekampagne gegen F. Harkort als Kandidat des ADAV im Wahlkreis Lennep-Mettmann in den Reichstag des Norddt. Bundes gewählt worden. Hier fühlte er sich jedoch nicht den Parteizielen des ADAV verpflichtet, weshalb es bald zu einer heftigen Auseinandersetzung mit v. Schweitzer kam. Reincke legte deshalb im Juli 1868 sein Mandat nieder. Vergl.A. Herzig, Der Streit S . 2 8 f .

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Arbeitgeber sich mit dem zwangsweisen Einbehalten des arrestirten Lohnfünftels nicht befassen, bedrohen vielmehr den betreffenden Arbeiter mit Entlassung wenn er nicht die sofortige Aufhebung des Arrestes bewirkt. Da der gerichtliche Beweis, daß der Arbeiter den fünften T h e i l seines Lohnes nicht entbehren kann, mit Weitläufigkeiten verbunden ist, so bleibt dem Arbeiter in der Regel nichts übrig, als sich mit dem Gläubiger zu einigen, der sich hierauf nur unter Bedingungen einläßt, welche den Arbeiter, zumal wenn er es mit gewerbsmäßigen Wucherern zu thun hat, vollends zu Grunde richten. Die Beseitigung der fraglichen Observanz erscheint also nach allen Seiten hin dringend wünschenswerth. Im Zusammenhange mit den in den Fabrikdistricten Westphalens geltenden Observanzen steht 2) Das Institut der Fabriken-Gerichts-Deputationen. Zur Entscheidung von Rechtsfällen, bei welchen es auf Fabrik-Observanzen ankommt, namentlich der Streitigkeiten zwischen Fabrikanten und Fabrikarbeitern, Kaufleuten (Commissionären) und Fabrikanten, sind besondere Gerichtsbehörden eingerichtet, sogenannte Fabriken-GerichtsDeputationen. Die Richter und Actuare werden aus den Beamten der gewöhnlichen Gerichte ernannt. Denselben stehen technische Besitzer zur Seite, welche von den Handelskammern aus den Fabrikanten und Kaufleuten gewählt werden. Wie alle Ausnahme-Gerichte den Rechtsbegriffen der Gegenwart widerstreiten, verletzt das Institut der Fabriken-Gerichts-Deputationen auch noch den Grundsatz der Gleichberechtigung dadurch, daß die technischen Besitzer ohne Mitwirkung der Arbeiter lediglich von und aus den Arbeitgebern gewählt werden. Erfahrungsmäßig haben solche "technische Beisitzer", die ursprünglich nur über rein technische Fragen Auskunft geben und die e i gentlichen Richter Uber geschäftliche Verhältnisse informiren sollten, jedoch häufig auch befragt werden Uber die in den Fabriken geltenden sogenannten "Observanzen", - so viel Unheil Uber die Arbeiter gebracht, daß im Interesse einer unparteiischen Gerechtigkeitspflege die Aufhebung der Fabriken-Gerichts-Deputationen unerläßlich ist. In Folge derselben würden Streitigkeiten der Arbeitgeber und der Arbeiter der Cognition der gewöhnlichen Gerichte anheimfallen und es den Parteien überlassen sein, die technischen Fragen durch beiderseits zu ernennende Fachverständigen beurtheilen zu lassen. Was endlich 3) Die Schuldhaft anbelangt, so wird von derselben hauptsächlich nur der wirklich unbemittelte T h e i l des Volkes betroffen, dem es die Geringfügigkeit des Aktiv-Vermögens unmöglich macht, sich der Personalhaft durch Fallit-Erklärung zu entziehen - wogegen b ö s w i l l i g e Schuldner sich durch die Hingabe eines genügenden Theiles ihres Vermögens "concursfähig" zu machen und dadurch vor der Personal-Excecution zu schützen wissen. "Beendigung des Concurses durch Accord" ist dann in der Regel das Ende vom Liede, welches die Mehrzahl dieser privilegirten Schnapphähne "wieder von vorne anfängt. " - Mit dem Nachweise, wie se"hr die Schuldhaft, welche höchstens zur Erzwingung der eidlichen Vermögens-Manifestation zulässig sein mag, der Humanität widerstreitet, deren besonders die besser situirten Gesellschaftsklassen sich rühmen, - und wie die Aufhebung derselben, abgesehen von etwaigen Abweichungen während der Uebergangs-Periode, in volkswirthschaftlicher Beziehung nur nützlich sein kann, wollen wir den Hohen Reichstag um so weniger behelligen, als die Frage zu Gunsten des Menschlichkeitsprinzips längst spruchreif gewesen ist. Die heute zum Arbeitertage in der Stadt Hagen versammelten Arbeiter und Handwerker von Rheinland und Westphalen bitten den Hohen Reichstag ehrerbietigst: 46

1) Bei der bevorstehenden Berathung einer einheitlichen Civil-Prozeß-Ordnung für den Norddeutschen Bund a) die Beseitigung der Observanz der theilweisen Beschlagnahme des zukünftigen Arbeitslohnes, b) die Aufhebung der Fabriken-Gerichts-Deputationen beschließen und 2) dem Gesetz-Entwürfe, betreffend die Aufhebung der Schuldhaft, zustimmen zu wollen.(4) Im Auftrage das BUreau des Arbeitertages für Rheinland und Westphalen. C.W. T ö l c k e , F.Behrenbruch, Vorsitzender. Schriftführer.

4) Diese Resolution sollte v. Schweitzers Tätigkeit im Reichstag unterstützen. 47

III. Tölcke und die Presse

Eine wirksame Agitation für den ADAV wurde erst durch die Presse möglich. Sie war das zentrale Kommunikationsmittel; nicht zuletzt war Lassalles Agitation deshalb ineffektiv geblieben, weil er auf dieses Kommunikationsmittel verzichten mußte. Die Arbeiterbewegung konnte sich nur mit Hilfe der Presse entfalten. SDAP und ADAV wählten dabei einen entgegengesetzten Weg. Während die SDAP eine Vielzahl von Zeitungen ins Leben zu rufen bemüht war, galt im ADAV lange Zeit der Grundsatz, daß nur ein einziges zentrales Presse-Organ die Partei in ihrer Agitation schlagkräftig machen könne. Das entsprach durchaus der straffen zentralistischen Parteiorganisation, wie sie T ö l c k e verteidigte. Der Zusammenschluß mit den Eisenachern 1875 führte zu einer Neuorientierung. Es war T ö l c k e , der auf dem Eisenacher Kongreß von 1877 eine Untergliederung der Parteipresse in ein Zentral-Organ, den Vorwärts, und zwölf Provinzial-Zeitungen forderte. Doch wollte er die Presse einer strengen Parteiaufsicht unterstellen. (Protokoll S. 14f). Die Redakteure sollten vom Kongreß ernannt und von der Partei bezahlt werden. Ein fünfköpfiger Ausschuß in Hamburg sollte die Presse kontrollieren und Redakteure, welche ihre Pflichten verletzten, ihres Amtes entheben. Dieser Antrag richtete sich nicht zuletzt gegen Hasselmanns Bemühungen, mit Hilfe seiner Zeitung 'Rote Fahne' die Partei wieder zu spalten. Der Kongreß sah sich allerdings "wegen unüberwindlicher Hindernisse" dazu nicht in der Lage, stimmte jedoch Tölckes Amendement bei: "Neue Lokalblätter bedürfen der Zustimmung des ZentralKomitees, widrigenfalls sie nicht als Parteiblätter, sondern als Privatunternehmungen betrachtet werden". (Protokoll S. 75) T ö l c k e , der einmal über die Redakteure spottete, denen nichts einfalle und die dennoch ständig Artikel schrieben, betätigte sich seit der Revolution von 1 8 4 8 / 4 9 , wenn auch mit Unterbrechungen, als Journalist. Während der Revolutionsjahre 1 8 4 8 / 4 9 gab er in Altena den Volks-Boten heraus, der vom August 1848 bis zum Frühjahr 1849 e x i stierte. Das journalistische Z i e l , das er hier vertrat, "sein Blatt jeder Meinung offen zu lassen", war z u hoch gesteckt. Es kennzeichnet den Tölcke von 1848, der keine Partei gelten lassen wollte. Die Reaktion der Jahre nach 1850, v . a . aber sein Eintritt in den ADAV ließen ihn seine Meinung ändern. Tölckes Artikel der Jahre nach 1865 sind alles andere als neutral. Sie ergreifen für die Arbeiter Partei, sind radikal und polemisch und gingen, wie die Diffamierungskampagne gegen Bebel beweist, häufig über das Erlaubte hinaus. Angriffsziel waren zumeist die Liberalen und Eisenacher, nach 1871 auch der reaktionäre preußische Staat. T ö l c k e , der während seiner Zeit als S e kretär des ADAV 1868/C9 neben Hasselmann den SD mit redigierte, und zwar dann, wenn Schweitzer im Gefängnis saß, schrieb seine Artikel als freier Mitarbeiter. Erst im März 1878 trat er in die Redaktion einer Zeitung ein, nämlich in die Redaktion der WFP. Zunächst für die sozial-politischen Artikel verantwortlich, mußte er vom 1 5 . 8 . 1 8 7 8 ab allein verantwortlich zeichnen, da alle Mitarbeiter wegen Pressevergehen im Gefängnis saßen. Der Prozeß gegen T ö l c k e und den Redakteur Kühl, wegen des sog. "Hühnerknochenartikels" läßt Rückschlüsse auf Tölckes journalistische Arbeitsweise zu. Seine Recherchen mochten nicht immer sehr genau sein, es kam ihm lediglich darauf an, etwaige Skandale im parteipolitischen Sinne auszuschlachten, nicht ohne dabei auf eine g e wisse Pikanterie zu verzichten. Das war sicher kein sauberer Journalismus, doch ging es anderseits dem Staatsanwalt gar nicht so sehr darum, die Beleidigungen zu sühnen,

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vielmehr hatte er das Ziel, die sozialdemokratische Presse zu vernichten. Der Artikel Uber den Prozeß ist ein gutes Beispiel fUr den Kampf sozialdemokratischer Redakteure gegen parteiische Staatsanwälte. Unter dem Sozialisten - Gesetz versuchte es Tölcke mit einem "farblosen Blatt", aber auch dies wurde verboten. Als 1890 das SozialistenGesetz fiel, half Tölcke als 73-jähriger mit, die sozial-demokratische Presse im Ruhrgebiet wieder aufzubauen. Auf dem Erfurter Parteitag von 1891, dem letzten, an dem er teilnahm, plädierte er noch einmal für eine bessere Versorgung der Parteipresse durch die Parteispitze. (Protokoll S. 234).

15 Vorwort [zu Tölckes Zeitung] (1) Die Hauptaufgabe einer Zeitschrift ist: sich insbesondere durch Mittheilung, allseitige Beleuchtung und gründliche Erörterung a l l g e m e i n b e d e u t s a m e r Gegenstände, nützlich zu machen. Diese Aufgabe kann nicht gelös't w e r d e n , wenn die Zeitschrift eine bestimmte "Richtung" verfolgt, und alles, was dieser entgegenläuft, von sich abstößt. Nur eine Vergleichung der verschiedensten Ansichten von einer Sache, kann uns das einzig Wahre und Richtige erkennen lassen: man s o n d e r t d e n K e r n von der Schaale, nimmt das Beste und läßt das Schlechte fahren. - Wie aber ist eine solche Vergleichung möglich, wenn uns immer nur einerlei Ansichten zur Beurtheilung vorliegen? In der Regel hat jede Zeitschrift eine gewisse "Farbe". Allem, was in ihren Kram nicht paßt, verschließt sie ihre Spalten, und zumeist nur aus Rücksichten materieller Art. - Wer hat aber Geld, Zeit und Lust genug, die Blätter a l l e r "Farben" zu lesen, das FUr und Wider zu erwägen, und danach sodann ein Urtheil zu bilden? Diese Betrachungen veranlaßten uns zur Herausgabe dieses Blattes. Seine Spalten stehen j e d e r Meinung offen. Wir wollen uns nicht durch Handhabung einer PrivatCensur an dem Zeitgeiste versündigen, werden aber bei der Hand sein, wenn es gilt, dieUnhaltbarkeit ausgesprochener Grundsätze und Ansichten nachzuweisen. Damit nun Jeder wisse, was er in dieser Beziehung an uns hat, lassen wir unser Glaubensbekenntniß" in a l l g e m e i n e n U m r i s s e n hier folgen: Wir wollen v o r A l l e m u n d i n A l l e m G e r e c h t i g k e i t , demnach in Hinsicht auf 1) d e n S t a a t : die billigste (wohlfeilste) Verwaltung nach d e n B e s c h l ü s s e n der M e h r h e i t des Volkes; 2) d i e G e s e l l s c h a f t : Wohlstand, Bildung und Freiheit für Jedermann; insbesondere Hebung des Mißverhältnisses zwischen Kapital und Arbeit; Aufhebung aller Vorrechte der Geburt, des Adels und des Geldes; Ausgleichung der Verschiedenheit der Stände (Verbannung des Kastengeistes;) Unterhaltung der arbeitsunfähigen Armen und Schulunterricht für die Jugend auf Kosten der Gesammtheit; i m Uebrigen Schutz des Eigenthums des Erwerbes und der Person; 3) d i e K i r c h e u n d S c h u l e : Religions-und Lehrfreiheit; Unabhängigkeit der Kirche vom Staat, und der Schule von Staat und Kirche; volle Selbstständigkeit der Gesammt- und Einzel-Gemeinden; 4) d i e G e w e r b e : Freihandel, nachdem der inländische Handel, unter andern durch Aufhebung aller Zölle innerhalb Deutschlands und Einführung angemessener 1) Volks-Bote Wochenblatt für den Kreis Altena. Probenummer ( 3 0 . 8 . 1 8 4 8 ) . 49

Schutzzölle an den Grenzen, gehoben, und die inländische Fabrikation insbesondere durch Verbesserung der Lage der Arbeiter, vervollkommnet ist; Aufrichtung des Handwerkerstandes, insbesondere durch f r e i e Vereine; Entlastung des Bergbaues (der Gewerke) von der Bevormundung des Staates und der Abgaben an denselben; 5) d i e L a n d w i r t h s c h a f t : Beförderung des Ackerbaues, unter andern durch Aufhebung (nicht Ablösung) aller "gutsherrlichen" Abgaben und Dienste, die nach den Zeiten des Faustrechts und der Leibeigenschaft riechen; Aufhebung der Jagd- und Fischerei-Gerechtigkeit; Errichtung von Provinzial-Leihhäuser mit einem möglichst geringen Zinssatz, zur Sicherung des Landmannes vor den Klauen der Wucherer; Errichtung und Beförderung der landwirthschaftlichen Vereine zur gegenseitigen Belehrung der Landwirthe und Förderung des Ackerbaues im Allgemeinen ; Aufhebung der Grund- und aller übrigen Steuern, und Einführung einer Einkommensteuer im Verhältniß zu dem w a h r e n B e d ü r f n i ß des Staats und der Gemeinden. Das ist's! Wir werden in geregelten, allgemein verständlichen Abhandlungen diese Grundsätze und Wünsche näher erörtern und begründen, und die Mittel und Wege besprechen, durch welche ihre Verwirklichung ermöglicht werden kann. Wir werden dabei gar freimütig verfahren und bei Aufdeckung fauler Zustände kein Blatt vor den Mund nehmen. Sollten unsere Ansichten nicht immer als die richtigen erkannt werden - wir bescheiden uns gern, den Stein der Weisen nicht gefunden zu haben - dann werden wir uns recht gerne eines Bessern belehren lassen und unsere Irrthümer sofort reumüthig bekennen und berichtigen. Beiträge und Bekanntmachungen, welche in allgemein verständlicher Sprache abgefaßt sind, werden uns stets willkommen sein. Wer etwas zu veröffentlichen wünscht, ohne im Stande zu sein, seine Gedanken in passender Form niederzuschreiben, der möge sich nur an uns wenden, und er wird uns immer bereitwillig finden, ihm un e n t g e l d l i c h mit Rath und That beizustehen. Privat-Anzeigen, welche nicht von allgemeiner Bedeutsamkeit sind, werden gegen Erlegung von 2 Sgr. Einrückungs-Gebühren für jede Z e i l e oder deren Raum, amtliche Bekanntmachungen der Behörden, Beamten und Vereine, welche nicht die Natur der Privat-Anzeigen haben, hingegen u n e n t g e l d l i c h aufgenommen. Das Blatt erscheint vorläufig am Mittwoch j e d e r Woche in der gegenwärtigen Form, und kostet halbjährig 10 Sgr. unter Vorausbezahlung, wofür es nach allen Hauptorten des Kreises A l t e n a ohne Aufschlag geliefert wird. Bei Beziehung durch die Post tritt der geringe Porto-Aufschlag hinzu. Ob eine Erweiterung des Räumen des Blattes nothwendig und möglich wird, das hängt lediglich von derTheilnahmeab, deren es sich zu erfreuen haben wird. Beiträge und Anzeigen bitten wir b i s z u m M o n t a g A b e n d jeder Woche an d e n u n t e r z e i c h n e t e n H e r a u s g e b e r gelangen zu lassen. Schließlich ein für alle Mal noch Eins: Persönliche Katzbalgereien und Geklatsch alter Weiber finden keinen Eingang in unser Blatt; mögen sie sich anderswo Aufnahme und Vertretung verschaffen. Altena, den 3 0 . August 1848 Carl Wilh. Tölcke, Ordner und verantworthlicher Herausgeber

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[16] Criminal-üerichtsverhandlung gegen den Commissionär Karl Wilhelm Tölcke und den Redacteur der „Westf. Fr. Pr.", Kühl, wegen Preß-Vergehens: Dortmund, 19. Juni [1878] (1) Um drei Uhr Nachmittags wurden gestern die Verhandlungen des hiesigen Criminalgerichts wieder aufgenommen. Dieselben währten ununterbrochen bis 7 1 / 2 Uhr und betrafen ausschließlich eine Anklagesache gegen die bekannten socialdemokratischen Agitatoren T ö l c k e und K ü h l . ( 2 ) Der der Anklage zu Grunde liegende Thatbestand wird von dem Staatsanwalt wie folgt geschildert: Im Jahre 1877 wurde dem Amtmann Thomas zu Hemer die Mittheilung gemacht, daß die unverehelichte Emma Holve im vorausgegangenen Sommer ein Kind geboren und dasselbe verscharrt haben sollte. Die Holve war geständig am 2 4 . Februar im Garten ihrer Eltern ein angeblich todtgeborenes Kind vergraben zu haben, das, wie sie eingestand, kurz vor der Geburt gelebt habe. Die nach der bestimmten Angabe der H. vorgenommenen Nachgrabungen förderten in der That Knochen zu T a g e . Die Holve wurde in Folge dessen nach Iserlohn in die Untersuchungshaft abgeführt. Am 31. Juni 1877 wiederholte sie die früher gemachten Angaben vor dem Untersuchungsrichter. Die gefundenen Knochen wurden dem Arzte Dr. Spannagel vorgelegt. Dieser äußerte nach einer flüchtigen Besichtigung derselben, daß er nach den ihm vorgelegten Knochen nicht sagen könne, ob das Kind bei der Geburt gelebt habe. Auch befänden sich unter denselben einige Holzstücke. Der Untersuchungsrichter sandte darauf die Knochen an den Kreisphysicus in Lüdenscheid. Das von diesem abgegebene Gutachten lautete dahin, daß unter sämmtlichen ihm gesandten Knochen sich kein einziger befände, welcher einer menschlichen Leiche gehöre, sondern daß sie einem Vogel, und zwar e i nem Hahne, angehörten. Außerdem befinden sich dazwischen trockene Wurzeln. Er legte zum Beweise der Richtigkeit seines Gutachtens ein eignes dazu präparirtes Hahnenscelett bei. Auch der Schädel des neuen Sceletts paßte vollkommen zu dem alten Scelett, welchem dieser T h e i l fehlte. Der Untersuchungsrichter nahm noch eine Untersuchung an Ort und Stelle vor. Emma Holve zeigte der Gerichtsdeputation die Stelle, wo sie ihre Leibesfrucht begraben haben wollte, und bemerkte, daß sie sich in der Bezeichnung derselben nicht irren könne. Die Nachgrabung blieb ohne Erfolg und die Holve erklärte abermals, daß die aufgefundenen Knochen die richtigen sein müßten; es wäre ein sonderbarer Zufall, daß die für die eines Hahns ermittelten Knochen an derselben Stelle gelegen haben sollten. Am 21. April wurde die Emma Holve wegen mangelnder Beweise aus der Haft entlassen. Bald darauf erschien in Nr. 15 der hiesigen "Westf. Fr.Pr. " ein Artikel,(3) welcher die obigen Thatsachen gröblich entstellt wiedergab, die Holve als ein unschuldiges Opfer von Altweibergewäsch, polizeilicher Hochweisheit und medicinischer Unwissenheit hinstellte und die "Geschichte von den Hühnerknochen" dazu benutzte, um unser " g e priesenes Deutschland","den glücklichen Staat" u . s . w . zu verhöhnen und das kgl. Kreisgericht zu Iserlohn, den damaligen Untersuchungsrichter und die dortige Rathskammer gröblich zu beleidigen. Verfasser dieses Artikels ist geständlich der Commis1) I K Z Nr.74 ( 2 2 . 6 . 1 8 7 8 ) . 2) Zu Tölckes und Kuhls Tätigkeit bei der WFP vergl. Koszyk, Anfänge S. 24ff. 3) Der Artikel erschien am 2 4 . 2 . 1 8 7 8 , also kurz bevor T ö l c k e Anfang März 1868 nach Dortmund Ubersiedelte und hier in die Redaktion der WFP eintrat.

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sionär T ö l c k e , während Kühl, als damaliger verantwortlicher Redacteur der " W . F r . Pr. " , sich der Verbreitung jenes Artikels durch die Presse schuldig gemacht hat. Den vom Staatsanwalt verlesenen Personalien entnehmen wir: T ö l c k e , 61 Jahre alt, evangelisch, Vater von 9 Kindern ohne Vermögen, ist schon mehrfach bestraft und zwar wegen Winkelschriftstellerei, wegen Unterschlagung, wegen Beleidigung eines Beamten und wegen Beleidigung eines Reichstagsabgeordneten. Er war vom Jahre 1832-48 als Gerichtsbeamter thätig, wurde jedoch wegen Betheiligung an der politischen Bewegung im Jahre 1848 aus dem Gerichtsdienste entlassen. T ö l c k e : Ich habe zu der Anklage einfach zu bemerken, daß der ganze Thatbestand, so wie er in dem incriminirten Artikel dargestellt ist, mir fast wörtlich zunächst von den Arbeitern einer Fabrik in Iserlohn dargestellt worden ist. Bald darauf traf ich mit Herrn Dr. Franz zusammen, der mir den Sachverhalt genau so erzählte, wie er in dem Artikel dargestellt ist. Ich habe niemals die Absicht gehabt, das Iserlohner Gericht oder sonst eine Person mit dem Artikel zu beleidigen. Ich habe die Acten des Gerichts nicht gekannt, auch nicht gewußt, daß das Mädchen die Geburt gestanden hat, sonst hätte ich den Artikel nie geschrieben. K ü h l , 30 Jahre alt, militärfrei, ohne Vermögen, schon mehrfach bestraft vom Zuchtpolizeigericht in Elberfeld nach § 121 zu 6 Wochen Gefängniß, wegen Beleidigung von Beamten zu 50 M.resp. 5 Tagen Gefängniß, wegen öffentlicher Beleidigung mit 50 M. event. 5 Tagen Gefängniß, wegen Preßvergehens mit 300 M . r e s p . 4 Wochen Gefängniß. Schließlich wurden ihm noch wegen eines betrugähnlichen Vergehens und zwar wegen Ueberversicherung eine Geldstrafe resp. 6 Monate Gefängniß zuerkannt. Als er im letzten Falle in zwei Instanzen verurtheilt worden war, hat er ein Gnadengesuch an den Kaiser eingereicht, in welchem er sich als " a l l e r u n t e r t h ä n i g s t e r D i e n e r S r . M a j e s t ä t " erklärt. K ü h l : Tölcke gab das Manuscript des Artikels dem Expedienten der "Westf. F r . P r . " , Kalbfleisch, in einem hiesigen Lokale. Ich habe es von Kalbfleisch nicht bekommen; ob ich den Artikel vor seiner Veröffentlichung gelesen habe, kann ich nicht sagen, ich glaube es jedoch nicht. Tölcke hat überhaupt zwei Manuscripte des Artikels g e liefert. Das erste habe ich in der Hand gehabt und gelesen und ihm die zweite Hälfte davon mit dem Bemerken zurückgesandt, daß ich es wegen der darin enthaltenen gröblichen Beleidigung nicht in dieser Form in mein Blatt aufnehmen könnte. Das in Folge dessen von ihm gelieferte zweite Manuscript habe ich, wie schon gesagt, nicht in Händen gehabt, denn am Samstag wurde der Artikel dem Kalbfleisch übergeben und am Montag kam ich jedenfalls wohl etwas später in die Druckerei. Ich erkenne mich nicht für schuldig. . . . Der Expedient K a l b f l e i s c h behauptet, das zweite Manuscript T ö l c k e ' s direct in die Druckerei gegeben zu haben, während er in der Voruntersuchung erklärt hat, das Manuscript direct dem Redacteur Kühl eingehändigt zu haben. Der j e t z i g e Strohredacteur H e i m a n n gesteht, einen Theil des Artikels gesetzt zu haben, weiß aber ebenso wenig wie Kalbfleisch, ob Kühl Kenntniß von diesem Artikel hatte. Nach beendigtem Zeugenverhör ergreift das Wort der S t a a t s a n w a l t : Der § 187 des Strafgesetzbuches bedroht den, der Sachen in Bezug auf einen Andern verbreitet, die geeignet sind, denselben verächtlich zu machen und in der öffentlichen Meinung herabzuwürdigen, mit einer Strafe bis zu zwei Jahren Gefängniß. Es ist also zu beweisen, daß die in dem Artikel angeführten Thatsachen im Wesentlichen auf Unwahrheit beruhen, und wie sie geeignet sind, die betreffenden Personen zu beleidigen. Schon ein ganz oberflächlicher Blick auf den incriminirten Artikel und ein Vergleich mit der Beweisaufnahme ergibt, daß der incriminirte Artikel gerade in den wesentlichen Punkten 52

entstellt und unwahr ist. Der erste Absatz enthält zunächst eine unrichtige Darstellung des Sachverhaltes. Nicht " v o n u n g e f ä h r " sind die Knochen in der Erde g e f u n d e n , s o n d e r n g e s u c h t worden, nachdem die verdächtige Person zugegeben hatte, außerehelich geboren und ihre Frucht gleich nach der Geburt in einem Garten vergraben zu haben. Die Holve hat selbst die Stelle bezeichnet und war nicht "verwegen genug, ihre Schuld zu leugnen", sondern sie gestand Alles ein. Auch die Thatsachen in Bezug auf Dr. Spannagel sind total unrichtig. Wir haben heute von ihm und von Kreisrichter Kunst gehört, daß keinesweg die Knochen einer genauen Untersuchung unterworfen sind, sondern daß bei der festen Annahme, daß dies die Knochen des Kindes wären, nur die Frage vorlag, ob das Kind bei der Geburt gelebt habe. Dr. Spannagel hat " k e i nen sechszehn Bogen langen Bericht" gemacht, er hat nicht gesagt, die Knochen sind unzweifelhaft die eines neugeborenen Kindes, sondern nur ein negatives Urtheil abgegeben. Der begründete Verdacht eines Kindesmordes erwies sich damals ebenso wenig wie heut als " v o l l e n d e t e r B l ö d s i n n " , denn daraus, daß das Gericht das Verfahren wegen mangelnder Beweismomente eingestellt hat, folgt noch nicht die Unschuld des Mädchens. Ferner finden sich Beleidigungen und Unwahrheiten in folgenden Stellen: "Welche Qual, welches Seelenleid, welche Todesangst mag das unschuldige Mädchen während seiner Monate langen Untersuchungshaft ausgestanden haben" " . . . Ihr hatte man leichtsinniger Weise Schmach und Schande zugfUgt" " " Weil es unserer gepriesenen Criminaljustiz nicht möglich war, den eigentlichen Sachverhalt festzustellen. Dieser Vorfall wirft einen traurigen Schatten auf den ganzen Bureaukratismus u . s . w . " Wir haben gehört, daß die Angelegenheit mit derselben Beschleunigung geführt ist, als alle andern; es trifft den Untersuchungsrichter hier gar kein Vorwurf, er hat weder rascher noch langsamer gearbeitet, sondern den gewöhnlichen Gang jeder Untersuchung dieser Sache engedeihen lassen. Wenn T ö l c k e nur gegen den Arzt vorgegangen wäre, hätte der Staatsanwalt nicht gegen ihn vorgehen können. Aber Tölcke hat sich nicht damit zuffrieden gegeben, einfach die nackte Thatsache, wie sie allgemein in Iserlohn vielleicht besprochen wurde, zum Gegenstande seines Referats zu machen, nein, er hat in tendenziöser Weise sofort das Criminalgericht b e l e i digend in sein Referat hineingezogen. Aus den Thatsachen, die ihm erzählt wurden, konnte er keinen Vorwurf für den Untersuchungsrichter deduciren. Der Artikel enthält nach zwei Richtungen hin Beleidigungen gegen die Rathskammer und die Untersuchungsrichter, einmal durch die Aeußerung, daß ein unschuldiges Mädchen in Haft genommen sei, und dann durch die Behauptung, daß das Untersuchungsverfahren in seinem "verrosteten Geleise" weiter geschloddert sei und das das Gericht nur bei Socialdemokraten mit Dampf arbeite. Für den Artikel ist zunächst T ö l c k e als Verfasser verantwortlich. Der Angeklagte Kühl hat behauptet, der Artikel sei ohne sein Wissen in die Zeitung gekommen, oder wie .er heute sagt, er entsinne sich nicht, das zweite Manuscript vor dem Druck gelesen zu haben In gleicher Weise hat auch der jetzige Redacteur Heimann dem Polizeikommissar Schröder erklärt, er hätte das Manuscript von Kühl mit dem ausdrücklichen Befehle, es zu setzen, erhalten. Schröder kann sich hierin nicht irren, er hat sofort nach der Haussuchung seine Notizen gemacht. In Bezug auf die Strafe bemerke ich, daß der § 186 den Fall der schriftlichen Beleidigung mit Strafe von zwei Jahren Gefängniß als Maximum bedroht. Tölcke, der entschieden am meisten Gravirte, hat diesen Artikel in dieser höchst beleidigenden Weise gegen das Criminalgericht und Untersuchungsrichter zur Insertion gebracht, ohne jede thatsächliche Grundlage für einen Vorwurf, den er dem Untersuchungsrichter hätte machen können. Es fällt hier schwer ins Gewicht, daß T ö l c k e in dem nur dreiviertel 53

Stunden entfernten Hemer leicht das Richtige durch Nachfrage hätte erfahren können. Agitationsreisen kann T ö l c k e machen, aber nicht zur genauen Informirung nach dem nahen Hemer gehen. Daß T ö l c k e in der That beabsichtigt hat, das Kreisgericht zu Iserlohn und die Untersuchungsrichter zu beleidigen, glaube ich nicht mehr beweisen zu dürfen. Ich verweise nur auf die Aeußerungen in dem Artikel. Daß er sogar die ganzen staatlichen Einrichtungen der Justiz beleidigen wollte, ergibt sich daraus, daß er in seinem Briefe an Kühl sagt: "Das Kreisgericht zu Iserlohn wird sich dreimal besinnen, ehe es einen Strafantrag s t e l l t . " Es hat sich nicht ein Mal be.sonnen, einen Strafantrag zu stellen und, wie ich hoffe, auch mit Erfolg. Sodann fällt gegen beide Angeklagte ebenfalls sehr erheblich ins Gewicht der Umstand, daß sie Beide sich ein Gewerbe daraus machen, Privatpersonen und staatliche und bürgerliche Einrichtungen mit Koth zu bewerfen. Beide Personen sind die Leiter der socialdemokratischen Partei und mehrfach bestraft worden. T ö l c k e ist bestraft wegen Unterschlagung, wegen Preß Vergehens, wegen Beleidigung. Es ist dies entschieden auch ein Moment, welches berücksichtigt werden muß und entschieden auf eine harte Strafe zu erkennen gebietet. Es ist ferner der Angeklagte Kühl sehr häufig bestraft worden, nicht blos etwa wegen Beleidigungen durch die Presse, sondern wegen eines betrugähnlichen Vergehens, wegen Ueberversicherung, mit einer hohen Geldstrafe resp. 6 Monaten Gefängniß. Sodann ist es j a wohl bekannt, daß der Angeklagte Kühl bei allen Strafen, die Sie gegen ihn verhängt hatten resp. beim Antritt irgend einer Strafe gleich veranlaßte, daß in dem socialdemokratischen Blättchen hier eine ironische Bemerkung über die Strafe erschien. Er sprach da von "freier Staatspension", kurzum er scheute sich nicht, das Gericht förmlich zu verhöhnen. Es ist dies ein Beweis, daß derartige geringe Strafen, wie sie bisher gegen den Angeklagten Kühl verhängt sind, nicht mehr ausreichen. Sodann kann ich schließlich daran erinnern, daß es g e wiß wohl an der Zeit ist, das Strafgesetzbuch in vollem Umfange zur Geltung zu bringen. Es ist bei T ö l c k e ja die sogenannte Besserungstheorie, ohne j e g l i c h e Aussicht auf Erfolg, dazu ist er zu alt, und überhaupt mit dieser Theorie kommt man bei den beiden Angeklagten nicht weit. Beide haben seit Jahren in der gemeingefährlichsten Weise in hiesiger Umgegend an der Ausstreuung der Saat gearbeitet, die j e t z t die traurigsten Folgen in den beiden Attentaten auf Se. Majestät den deutschen Kaiser hat. Von sämmtlichen Bewohnern der Erde leugnet es keiner, daß diese Attentate die Folgen der Socialdemokratie sind, nur die Socialdemokraten selbst leugnen es. Ich will damit nicht gesagt haben, daß die beiden Angeklagten sich zu einer solchen Gewaltthat hinreißen lassen würden, sondern daß sie die verwirrten jungen Leute in ihren Versammlungen vollständig confus machen. Meine Herren! Sie werden auch gerade in dem gegenwärtigen Falle mit um so größerer Berechtigung das Strafgesetzbuch in seiner ganzen Schärfe anwenden, weil noch vor wenigen Wochen, der gesetzgebende Factor, der das Strafgesetzbuch durchgearbeitet hat, der deutsche Reichstag, erklärte, es reichten die vorhandenen Gesetze aus, um unter strenger Anwendung derselben gegen sie socialdemokratische Bewegung mit Erfolg einzutreten. Unter Bezugnahme auf sämmtliche von mir beleuchteten Momente nehme ich keinen Anstand, gegen T ö l c k e eine Gefängnißstrafe von 2 Jahren zu beantragen. Kühl ist in diesem Falle zwar weniger belastet, ich glaube aber, daß mit Rücksicht auf die Persönlichkeit des Kühl und dessen ganzes a g i tatorisches Treiben von mir eine Bestrafung von 11/2 Jahren beantragt werden muß. Die beiden Angeklagten vertheidigten sich selbst. Zunächst Angeklagter T ö l c k e . Die Staatsanwaltschaft hat die Sache in einer Weise begründet, wie ich es nicht erwartet hätte. Die Thatsachen sind nicht wie der Staatsanwalt sagte, im Wesentlichen unwahr, wenn ich freilich auch nicht wußte, daß die Holve auf ihr Geständniß hin verhaftet 54

wurde. Mir lag bei Abfassung des Artikels durchaus nicht die Absicht bei, das königliche Kreisgericht zu Iserlohn zu beleidigen. Dies geht klar hervor aus einer Stelle, in welcher ich das Ganze "für die Folgen alten Weibergeklatsches" erkläre. Ich habe die Acten selbst nicht gekannt, und absolut keine Wissenschaft von dem Geständniß der Holve gehabt, sonst hätte ich, ich wiederhole es, den Artikel nicht geschrieben. Daß ich das mir Erzählte in etwas anderer Form wiedergab, kann mir nicht zum Vorwurf gemacht werden. Es ist dies eben ein beliebtes Zeitungsmannöver, pikant (!) zu schreiben, da sonst Niemand die Artikel liest. Ich muß aber insbesondere den Vorwurf entschieden zurückweisen, daß meine Partei irgendwie an den verdammungswürdigen Attentaten, die jeder Socialdemokrat ebenso, wie der Staatsanwalt, von Grund seines Herzens verabscheut, auch nur das Mindeste verschuldet hat. Ich bin davon fest Uberzeugt, und habe es auch gleich in der ersten Nummer nach den Attentaten geschrieben. Die beiden abscheulichen Menschen, welche die furchtbare That begangen, sind nicht Anhänger unserer Partei, und es wird wohl auch an dem Staatsanwalt sein, sein Unheil in dieser Sache so lange zurückzuhalten, bis das Resultat der gerichtlichen Untersuchung gegen die Attentäter vorliegt. Der Staatsanwalt darf uns beide Angeklagten durchaus nicht verantwortlich machen für die Attentate und nur deßhalb, weil wir Socialdemokraten sind, das Gesetz in seiner ganzen Schärfe gegen uns in Anwendung bringen wollen. Ich habe meiner Partei ans Herz gelegt, es müssen Gesetz und Ordnung aufrecht erhalten werden, ich habe niemals Umsturzideen gepredigt. Und ich, ein Greis von 61 Jahren, ein Vater von neun Kindern, der seit 1848 niemals mehr bestraft wurde, ich soll jetzt wegen eines solchen Artikels eine solche Strafe verbüßen? Nein, das halte ich von einem preußischen Gerichtshofe nicht für möglich. Ich bitte, milde mit mir zu verfahren, Uber mich auf eine kleine Geldstrafe zu erkennen. Meiner persönlichen Freiheit dürfen Sie mich jetzt nicht berauben, weil ich sonst genöthigt bin, meine Familie der öffentlichen Mildthätigkeit anheimzustellen. Ich bitte daher wenn möglich um Freisprechung, im anderen Falle um das Erkenntniß auf eine geringe Geldstrafe. . . . Darauf zieht sich der Gerichtshof zu einer langen Berathung zurück. Alsdann verkündet der Präsident, Herr Gerichtsrath Meier das Erkenntniß folgendermaßen: Beide Angeklagten sind für schuldig erkannt worden, Tölcke dadurch, daß er den incriminirten Artikel verfaßt hat, Kühl dadurch, daß er durch Veröffentlichung desselben zur allgemeinen Kenntniß beigetragen hat. Es ist ferner festgestellt, daß in diesem Artikel, der auf diese Weise ins Leben gerufen ist, unwahre Thatsachen aufgestellt sind, welche geeignet sind, die Iserlohner Rathskammer, das dortige Kreisgericht und dem Untersuchungsrichter verächtlich zu machen und in der öffentlichen Meinung herabzuwürdigen. In dem Artikel ist der Vorwurf der kolossalsten, gröblichsten Verletzung der Amtspflicht, gröbliche Aeußerungen gegen den Bureaukratismus, eine Glorification des Socialdemokratismus u.s.w. enthalten. Der ganze Artikel ist gegen Behörden gerichtet, wie es ja überhaupt seit langer Zeit in der "Westf. Fr.Pr." gewohnheitsmäßig ist, sich über Privatpersonen, Behörden und Alles, woran sie nur heran können, in der niederträchtigsten Weise zu äußern. Bezüglich der Bemessung des Strafmaßes ist schon das, was bezüglich der Handlungsweise der ".F. P. " im Allgemeinen gesagt wurde, in Betracht zu ziehen, ferner, daß beide schon früher bestraft sind. Es werden daher auf Grund des § 186 des Strafgesetzbuches T ö l c k e z u s e c h s M o n a t e n G e f ä n g n i ß u n d K ü h l zu v i e r M o n a t e n G e f ä n g n i ß und beide zur Tragung der Kosten verurtheilt. Die sofortige Verhaftung des T ö l c k e wird a b g e l e h n t ; Kühl ist bereits wegen einer andern Sache verhaftet.

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IV. Schweitzers Diktatur und die Gründung der SDAP Schweitzers Diktatur war eine schwere Hypothek für die deutsche Arbeiterbewegung. Mochte sie auch der jakobinischen Auffassung Lassalles entsprechen, so stand sie doch völlig im Widerspruch zu Bebels und Liebknechts Auffassung von einer sozialistischen Demokratie. Auch im ADAV selbst regte sich Opposition, die von dem bedeutendsten Politiker des Vereins W. Bracke getragen wurde. T ö l c k e gehörte nicht zu dieser Opposition, Im Gegenteil! Er galt als der treue Paladin Schweitzers. Tatsächlich unterstützte er dessen Bestrebungen in der Agitation und Publizistik, Ja, Schweitzer hätte nie diese Stellung erreichen können, wäre ihm der Funktionär T ö l c k e nicht so bereitwillig zur Seite gestanden. Seit 1865 verteidigte T ö l c k e Schweitzers Machenschaften im Verein, für ihn organisierte er den Wahlkampf in Barmen 1867, für ihn führte er die Auseinandersetzung mit Bebel und Liebknecht, ihm half er über die Folgen seines "Staatsstreichs", bis schließlich das Bündnis brach, und T ö l c k e es war, der Schweitzer demaskierte. Er fühlte sich von ihm mißbraucht: "Überhaupt ließ Schweitzer andere die Kastanien aus dem Feuer holen", sagte er verbittert. Doch hatte er bis dahin Schweitzer in all seinen Eskapaden gedeckt, so daß er nun der Beihilfe verdächtigt wurde. Der Vorwurf traf ihn zurecht, denn die Götter, die er gestern noch angebetet hatte, konnte er nun nicht plötzlich verbrennen. Das Jahr 1869 ist wohl das kritischste in der Existenz des ADAV. Im Herbst 1868 hatte Schweitzer T ö l c k e als Sekretär des Vereins nach Berlin geholt, ihn also in eine der wichtigsten Positionen des ADAV berufen; gleichzeitig auch noch mit demselben Amt in den gerade entstandenen Gewerkschaften betraut. Den Wendepunkt in Schweitzers Machtentfaltung bildet die Barmer GV im März 1869. T ö l c k e hatte sie vorbereitet, während Schweitzer im Gefängnis saß. Geschickt hatte er dabei dessen Position gegenüber Bebel und Liebknecht verteidigt, es aber nicht verhinden können, daß dieselben auf der GV ihre Position gegenüber Schweitzer vertreten durften. Schweitzer hat die Publikation des Protokolls dieser GV unterdrückt. Den einzigen Bericht, den wir darüber besitzen, ist Tölckes Artikelserie über die GV, die im SD erschien. In seiner Autobiographie schreibt Bebel darüber, diese Artikelserie sei, was seine und Liebknechts Rede betreffe, "sehr verstümmelt" und " z . T . gefälscht", so daß der Bericht irreführend wirke (Aus meinem Leben, S . 2 8 2 ) . Tatsächlich läßt sich Tölckes Stellungnahme für Schweitzer und seine Kritik an Bebel, Liebknecht und der Opposition in den eigenen Reihen nicht übersehen. Doch konnte auch T ö l c k e Schweitzers Schlappe bei der Abstimmung nicht bagatellisieren. Die Krise war perfekt, als Schweitzer zum Gegenschlag ausholte, über Nacht eine Einigung mit der Hatzfeld-Gruppe herbeiführte, und damit die Gegner im Verein auf seine Linie einschwören wollte. Es kam zum Bruch, Bracke und andere führende Mitglieder verließen den Verein und gründeten mit Bebel und Liebknecht zusammen in Eisenach die SDAP. T ö l c k e versuchte zunächst, mit agitatorischem Geschick eine noch größere Spaltung zu verhindern, schließlich, als die Gründung der SDAP beschlossene Sache war, den Gründungskongreß zu sprengen. Der Versuch mißlang. Geib, Bracke und Bebel war es gelungen, durch einen Verfahrenstrik T ö l c k e und seine Leute vom Kongreß auszuschließen (Vergl. Bebel, Aus meinem Leben, S. 304). Tölckes Auseinandersetzung mit den führenden Vertretern des SDAP, die nun einsetzte, zeigt ihn von seiner unsympathischen Seite. Seine Polemik steigerte sich zur Diffamierung und trug erheblich rum Bruderkrieg zwischen den beiden deutschen Arbeiterparteien bei. Erst mit Tölckes Ei-

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nigungsversuch 1874 endete diese unrühmliche Phase. Inzwischen aber war auch Schweitzer im ADAV gestürtzt. Tölckes Brandrede gegen den ehemaligen Präsidenten auf der GV 1872 war eine nachträgliche Rechtfertigung der Opposition im ADAV.

17a [Tölckes Berichte über die G V in Barmen vom 28.3.-31.3.1869] (1) Gestern, am 28. d. M. eröffnete Morgens 11 Uhr der Vereinspräsident die geschlossene Sitzung der Generalversammlung mit einer einleitenden Ansprache, in welcher er zunächst einen Rückblick hielt und die bedeutenden Erfolge hervorhob, welche die Partei bereits errungen habe. Als solche bezeichnete er den großen Allgemeinen deutschen Arbeitercongreß in Berlin und den durch denselben geschaffenen Arbeiterschaftsverband, ferner die Wahl von drei Arbeiter-Abgeordneten zum Norddeutschen Reichstage und die Möglichkeit der besoldeten Agitation, welche namentlich in SUddeutschland in so fern von großer Wichtigkeit sei, weil das social-demokratische Element ein unfehlbares Mittel sei, die Mainlinie zu beseitigen. Auch in Sachsen sei die Agitation n o t wendig gewesen, weil von verschiedenen Seiten Zwietracht unter die Arbeiter gebracht worden, theils durch eine bekannte Dame und theils durch die sogenannte Volkspartei. In Folge der Agitation wurden auch die sächsischen Arbeiter in der Erkenntniß gelangen, daß eine Einigung aller Kräfte der Arbeiterklasse unbedingt nothwendig sei. Im Verein schreite unsere Sache ebenfalls mächtig vorwärts, so daß man behaupten könne, es sei schon von uns erobert. Der zum Arbeiterschaftsverbande gehörige Zimmerer Verein zähle im Verein allein etwa Tausend Mitglieder, und es hatten sich auch Mitgliedschaften vieler anderer Arbeiterschaften gebildet.(2) Seit der Auflösung des alten und der Begründung des neuen Vereins gedeihe dieser von Tag zu T a g . ( 3 ) Das Finanzwesen des Vereins sei gut und bestens geordnet. Die Verwaltung habe in Folge des großen Aufschwungs eine außerordentliche Ausdehnung gewonnen. Schließlich forderte der Präsident die Deligirten auf, Jeder möge seine Schuldigkeit thun.(4) Hierauf wurden die Herren P e r l u n d F r i t z s c h e zu stellvertretenden Vorsitzenden. - K l e i n , d e R o s s i und R o l l e r , Letzterer provisorisch, da er noch nicht anwesend war, zu Protokollführern ernannt. Der Präsident machte den Vorschlag, zunächst eine Generaldebatte Uber die Anträge eintreten zu lassen vorher jedoch Commissionen zur Prüfung der Vollmachten und der Präsidentenwahl zu ernennen und die Beschwerdecommission zu ergänzen, da Herr Hille aus Cassel hier nicht erscheinen könne. Dann stellte der Präsident die Frage, ob die Versammlung die Herren B e b e 1 und L i e b k n e c h t zuerst hören wolle.(5) 1) SD Nr. 39 ( 2 . 4 . 1 8 6 9 ) . Die Artikelserie wird vollständig wiedergegeben, lediglich die Grußtelegramme an die GV wurden ausgelassen. Einen Auszug aus den Anträgen siehe Nr. /17e/. 2) Der von Fritzsche im Dezember 1865 gegründete Allgem. Deutsche Zigarrenarbeiterverband hatte sich dem ADAV angeschlossen. 3) Am 1 9 . 9 . 1 8 6 8 hatte Schweitzer den ADAV aufgelöst, um einer polizeilichen Auflösung zuvorzukommen. Am 1 0 . 1 0 . 1 8 6 8 gründete er einen neuen ADAV mit Sitz in Berlin. V e r g l . T ö l c k e , Zweck S. 57ff. 4) An der GV in Barmen nahmen 57 Delegierte teil, die 12.035 Mitglieder in 126 Orten vertraten. Ebenda S. 101. 5) Vergl. Bebel, Aus meinem Leben, S . 2 8 1 f f . 57

H i r s c h aus Erfurt beantragt dies. Geib (Hamburg) ist für Annahme der Vorschläge des Präsidenten und beantragt ebenfalls, zuerst die Herren B e b e l und L i e b k n e c h t zuhören. Nach längerer Debatte, an welcher sich die Herren K l e i n , F r i c k , v o n B o n h o r s t , R ö t t g e n und V o g e l betheiligten, und in welcher der Antrag gestellt wird, zur Anhörung der Herren Bebel-Liebknecht, weil diese nicht Mitglieder des Vereins seien, eine besondere Versammlung anzuberaumen, entschied die Generalversammlung mit 30 gegen 27 Stimmen, dieselben zum sofortigen Erscheinen einzuladen. Es wurde bestimmt, daß ihnen unbeschränkte Redefreiheit gewährt werden solle, so wie daß in der Generaldiscussion Uber die Anträge jedem Redner 15 Minuten, bei der Specialdiscussion nur 5 Minuten Zeit zu bewilligen seien. Der Antrag R e a l ' s (Düsseldorf), und der Vorschlag des Präsidenten, eine Liste der Redner für und gegen einen Antrag zu führen, wurde angenommen und noch bestimmt, daß die Referenten der Commissionen unbeschränkte Redefreiheit zustehen solle. In die Commission zur Prüfung der Vollmachten wurden die Herrn G e i b , v o n B o n h o r s t , E l l n e r , B r a c k e und D U c h t i n g , und in die Commission zur Prüfung der Präsidentenwahl die Herren R e a l . Y o r c k und R a s p e gewählt. Die Beschwerdecommission wurde durch die Herren G e i b , S p i e r und Y o r c k verstärkt, so daß dieselbe aus fünf Mitgliedern besteht. Die Generalversammlung entschied auf die Anfrage des Präsidenten, daß Beschwerden gegen die Verwaltung nicht erst an die Beschwerdecommission zu verweisen, vielmehr, wie auch etwaige Interpellationen bei der Generaldiscussion angebracht werden können. Der Präsident schlug vor, bis zur Ankunft der Herren B e b e l und L i e b k n e c h t , die. untergeordneten Anträge Nr. 27 bis 31 der gedruckten Vorlage, in Betreff der Herabsetzung der Mitgliederbeiträge für einzelne Orte zu erledigen. H i r s c h (Erfurt) spricht für Herabsetzung zu Gunsten der Mitglieder in Salzungen und im schlesischen Eulengebirge. Die weitere Discussion über die bezeichneten Anträge wird außgesetzt. Der Präsident erklärt, daß er auf die Anschuldigungen der Herren Liebknecht und Bebel nicht antworten werde; wenn eine Vertheidigung nöthig scheinen solle, dann könne dieselbe jeder Andere fuhren. Nachdem auf dem Antrag von P e r l (Hamburg) noch beschlossen worden, daß die Redezeit auch für die Discussion der Bebel-Liebknecht'schen Ausführungen eine unbeschränkte sein soll, treten die Herren Liebknecht und Bebel in den Saal. H i r s c h (Erfurt) beantragt, denselben mitzutheilen, was in Betreff der Angelegenheit beschlossen sei. Der Präsident Ubergiebt den Vorsitz an P e r l , und dieser bemerkt, daß die von Hirsch beantragte Mittheilung überflüssig sei, und bittet, man möge sich möglichst kurz fassen. Es erhält das Wort Herr L i e b k n e c h t . ( 6 ) Derselbe verwahrt sich zunächst vor einem Mißverständnisse. Die Ansicht sei falsch, daß die Generalversammlung in der Sache entscheiden solle. Sie seien hierher gekommen, um eine Verständigung zu versuchen; der Zwist solle ausgeglichen werden. In einer Arbeiterversammlung in Leipzig sei der Beschluß gefaßt worden, daß er und Bebel dem Herrn v. Schweitzer in einer öffentlichen Versammlung gegenüber treten sollten. In "Social-Demokrat" sei dies als eine Lüge bezeichnet worden und doch sei der Beschluß gefaßt. Weil er vorausgesehen habe, daß Herr v. Schweitzer sich darauf nicht einlassen werde, habe er die weiteren Vorschläge gemacht und den Generalrath der Internationalen Arbeiter-Association als Schiedsrichter bezeichnet. Die jetzige Generalversammlung könne er als Schiedsrichterin nicht anerkennen. Was die Sache selbst anbelange, so seien es zwei Punkte, die er gegen v. Schweitzer vorzubringen habe, nämlich, daß derselbe nicht in demokra6) Vergl.G. Mayer, Schweitzer S. 285ff. 58

tischet Weise vorgegangen sei, vielmehr für Geld oder aus anderen Gründen für die Bismarck'sche Politik gewirkt habe. (Großer Tumult Rufe: Oho!) Zweitens habe v. Schweitzer geflissentlich die Vereinigung der social-demokratischen Arbeiterpartei verhindert. Die Regierungen hätten ein Interesse daran, Zwietracht unter die Arbeiter zu säen. Die Social-Demokratie könne keinen Compromiß mit den Regierungen eingehen. Wer die Zustände anerkenne, wie sie beständen, der begehe einen Verrath an der Sache; von Schweitzer habe die Gewalt welche bestehe, anerkannt. Er wolle nicht zurückgehen auf die Vorkommnisse bei der Wahl im Wupperthale. v. Schweitzer könne nicht leugnen, daß er bei der Berathung des Militairbudgets im Reichstage Verrath geübt habe. Die Social-Demokraten aus Sachsen hätten sich dagegen erklärt und den Gedanken an ein Volksheer ausgesprochen. D Jo Stimmrecht und die Flinte machten das Volk fähig, für die Freiheit im Innern zu kämpfen. Herr v. Schweitzer habe keinen Grund gehabt, sich zum Worte zu melden. Er habe es dennoch gethan und zwar gegen die Vorlage, jedoch demnächst zur Geschäfts-Ordnung erklärt, daß er sich für das Militärbudget habe einschreiben lassen. In der nächsten Sitzung habe er dann eine Rede gehalten, welche Herr Liebknecht aus dem stenographischen Bterichte verliest. Am Schluß derselben ertönt aus der Versammlung mehrfach der Ruf; "Sehr richtig!", worauf Herr Liebknecht bemerkt: Vom preußischen Standpunkte sei das allerdings richtig: allein wer habe durch den Krieg im Jahre 1866 gewonnen, wer gesiegt? Nicht das Volk. Es sei ihm (Liebknecht) der Vorwurf gemacht worden, daß er im Dienste des Auslandes stehe und für die deposidirten Fürsten wirke. Wer das behaupte, der sei ein Lügner. Deutschland sei gespalten. Der Haß gegen Preußen gebe sich in einer zu mißbilligenden Form kund, allein auch diese sei eine Frucht von 1866. Die Democratie könne unter keinen Umständen Partei ergreifen für die Gewaltherrschaft. Wie es in Frankreich stehe seit dem 2.December, so stehe es in Deutschland seit 1866. Der Krieg sei gegen den deutschen Bund geführt. Während des Bestehens des deutschen Bundes habe Deutschland Achtung vom Auslande genossen und sei niemals eine Kriegsgefahr vorhanden gewesen. (Großes Gelächter. Ruf: "Na,da hört doch Alles auf!") "Wir sind - fuhr Herr Liebknecht fort - gegen die preußische Regierung, weil die anderen Regierungen keine Macht haben." S e i t 1866 sei in Deutschland Preußen die einzige Macht von Bedeutung. Wer aber könne von dieser Regierung Unterstützung fordern? Das rothe Gespenst diene nur dazu, die Bourgeoisie bange zu machen und der revolutionären Bewegung die Spitze abzubrechen. Das Liebäugeln mit der Regierung sei unrecht. Man wolle die Arbeiter nur zum Stimmvieh benutzen. (Großer Tumult. Rufe: "Pfui!") Herr Liebknecht erklärt, daß er die Arbeiter des Wupperthaies nicht als Stimmvieh bezeichnet habe und sie nicht beleidigen wolle. Es dürften keine Concessionen gemacht werden. Der Präsident v. Schweitzer erkenne den Zustand an. Die Regierung suche die Vereinigung der Arbeiter innerhalb der Partei zu verhindern. Herr v. Schweitzer auch. Die im vorigen Sommer auf der Asse im Braunschweigischen abgehaltene Versammlung, welche eine der größten in Deutschland gewesen und an welcher die Herren Tölcke und Bracke Theil genommen, habe das bekannte Jacoby'sche Programm anerkannt. Herr v. Schweitzer habe dies im "Social-Demokrat" getadelt und Jacoby einen aufgeblasenen Bourgeois genannt. Allerdings stände derselbe nicht auf unserem Boden, allein er sei uns entgegengekommen und müsse, gezwungen durch die Verhältnisse ganz kommen. (Rufe: "Wir können ihn nicht gebrauchen!" "Wir wollen ihn nicht!") In seinem Programm lag die Möglichkeit einer Vereinigung. Wer dagegen ankämpfe, wie v. Schweitzer, der kämpfe nicht nur gegen die bürgerliche Demokratie, sondern gegen die eigene Partei. Er - Liebknecht - sei nicht dafür, daß die Arbeiterpartei aufgehe in die bürgerliche Demokratie, das beweise sein Verhalten auf dem Nürnberger 59

Arbeitertag. Herr Liebknecht berührte dann sein Zusammentreffen mit Herrn v. Schweitzer im Zollparlament, wo verabredet sei, daß beide Parteien nicht gegeneinander kämpfen sollten. Er verlas das Nürnberger Programm mit dem Bemerken, daß dasselbe ein socialistisches sei. Bis zum Nürnberger Arbeitertag sei Frieden zwischen beiden Parteien gewesen. Von da ab habe sich die Sache verwickelt. Im "Social-Demokrat" sei das Nürnberger Programm ein Wischiwaschi genannt. Obschon Herr v. Schweitzer gewußt habe, daß er - Liebknecht - auf demselben Standpunkt stehe, habe Herr v. Schweitzer den Berliner Arbeiter-Congreß o h n e i h n berufen und sei also eigenmächtig vorgegangen. (Ruf: " A h a ! " ) Im "Social-Demokrat" sei erklärt, daß die Nürnberger Majorität mit Rücksicht auf die Vereinsgesetzgebung auf dem Congreß nicht erscheinen könne und da haben es ihm und seiner Partei das Ehrgefühl verboten, an dem Congreß T h e i l zu nehmen, vielmehr sei in Leipzig beschlossen, selbst mit Gründung der Gewerkschaften vorzugehen. Im "Social-Demokrat" sei den Leipziger Verbandsmitgliedern die Vereinigung untersagt. Es sei dann von seiner Partei ein neuer Congreß vorgeschlagen, dieser aber im "Social-Demokrat" zurückgewiesen worden. Von da ab sei der Kampf entbrannt. Seine Partei sei nicht daran schuld, vielmehr die Artikel im "Social-Demokrat". Die Spitze der Agitation sei gegen sie gewesen und als nun noch die Agitatoren in Sachsen erschienen seien, da habe der Kampf wochenund monatelang gedauert, durch den sie gekräftigt seien. Hier wurden die Verhandlungen bis 4 Uhr Nachmittags abgebrochen. . . . Die Versammlung trennte sich mit stürmischen Hochs auf den Vereinspräsidenten und auf die Offenbacher und Neumünsterer Mitglieder.

17b [1. Fortsetzung] (1) Bei der Wiedereröffnung der geschlossenen Sitzung um 4 Uhr Nachmittags wurde zunächst folgendes weitere Telegramm verlesen: Aus Wiesbaden: Hoch Generalversammlung. Grüßend. Erfüllt Euer Mandat. Trotz Bebel-Liebknecht. Wiesbadener Arbeiter. Herr L i e b k n e c h t glaubt, in der sachlichsten Weise bewiesen zu haben, daß Herr von Schweitzer auf dem Standpunkte des Nordbundes steht. Er, Liebknecht, werfe sich vor dem Erfolge nicht in den Staub. Er komme jetzt zu den neueren Vorgängen. Herr Liebknecht berührt die Mitarbeiterschaft von Marx u . s . w . am " S o c . - D e m . " . Das Verhältniß sei durch v. Schweitzer gesprengt.(2) Er kommt dann nochmals auf die Agitation in Süddeutschland und Sachsen, Wohl habe die Hamburger Generalversammlung die Agitation beschlossen, allein zu einer Zeit, wo in Sachsen ihre Vereine noch nicht existirten. Der " S o c . - D e m . " habe sie Anhängsel der Partikularisten genannt. Das sei Verläumdung. Sie bekämpften die preußische Regierung, weil sie die stärkste sei. Oesterreich und die Kleinen seien ohnmächtig. Der Partikularismus bekämpfe, wie sie, das Preußenthum, doch sei das nur ein zufälliges Zusammentreffen. Man habe sie ferner als Vertreter der Bourgeoisie verdächtigt, allein sie seien der Bourgeoisie ebenfalls 1) SD Nr.40 ( 4 . 4 . 1 8 6 9 ) Bericht über die Versammlung am 2 8 . 3 . 1 8 6 9 (Nachmittag). 2) Zu Marx' Absage seiner Mitarbeit am SD siehe SD Nr. 29 ( 3 . 3 . 1 8 6 5 ) . 60

entgegen. Man habe behauptet, daß sie keine Vertreter der Arbeiter seien; er könne versichern, daß keine 10 Bourgeois für sie gestimmt hätten. Die Volkspartei in Sachsen bestehe allein aus Arbeitern; sie stehe prinzipiell auf demselben Standpunkte wie die Social-Demokraten, was daraus folge, daß die Generalversammlung im Begriff stehe, das Nürnberger Programm anzunehmen. Die vorhandenen Mißverständnisse habe nur der Eine - v. Schweitzer - geschaffen. Sie seien nicht gekommen, die Organisation des Allg. deutsch. Arb.-Vereins zu ändern, sondern den Frieden, ja ein BUndniß anzubieten. Möge der Verein seine Angelegenheiten verwalten, wie er wolle; sie hätten Nichts dagegen. Das Ueberbriicken der Mißverständnisse liege in der Hand der Generalversammlung. Herr B e b e l bemerkt, daß ihm nur Weniges zu sagen übrig bleibe und daß er bei der Debatte das Wort ergrejfen werden.(3) Der "Soc. -Dem. " habe kürzlich sogenannte Enthüllungen veröffentlich, in welchen ihnen der Vorwurf gemacht werde, daß sie von außerhalb der Partei stehenden Personen Gelder bezogen hätten. (4) Diese Personen seien der Social-Republikaner Hofbaurath D e mm l e r und ein Schweizer Flüchtling gewesen. Auch er müsse bemerken, daß in Betreff der Genossenschaften ein einheitliches Vorgehen nothwendig gewesen wäre. Es sei vor dem Berliner Congreß schon bekannt gewesen, daß es in Nürnberg zum Bruch kommen werde; man hätte deshalb, wenn man ehrlich handeln wollte, sie zur Theilnahme einladen müssen. Statt dessen sei im "Soc. -Dem. " bekannt gemacht, daß die Nürnberger Vereine als solche nicht auf den Congreß kommen könnten. Wie nun Herr v. Schweitzer dazu komme, den preußischen Polizeimann zu spielen? (Großer Lärm. Rufe: "Pfui" "Zurücknehmen!") Nachdem es dem Vorsitzenden endlich gelungen, die ungeheure Aufregung zu beschwichtigen, erklärt Herr Bebel, daß er nicht behauptet habe, Herr v. Schweitzer sei ein Polizeimann; er habe nur gesagt, daß es den Schein habe. (Wiederholter Lärm. Rufe: "Zurücknehm e n ! " ) Herr Bebel nimmt den Ausdruck zurück und bemerkt, daß das Nürnberger Programm, welches eine Vereinigung ermöglicht habe, im "Soc. -Dem. " ein Wischiwaschi genannt sei. Er schildert dann den Vorfall auf der Landesversammlung in Sachsen mit den Anhängern der Gräfin von Hatzfeld und dann das Erscheinen der Agitatoren in Sachsen. Er glaubt nachgewiesen zu haben, daß man die Einigung nicht gewollt habe. Der "Soc.-Dem. " habe erklärt, auf dem Standpunkte der Fortschrittspartei zu stehen. (Rufe: "Nicht wahr!" "Gelogen!") Die Frage, ob Centraiismus oder Förderalismus, sei augenblicklich gleichgültig. Es sei ein einheitlicher Staat zu erstreben. Nach längerer Debatte darüber, ob die Diskussion über die Angelegenheit sofort stattfinden oder vertagt werden solle, für welchen letztern Fall der Vorsitzende P e r l Namens der Herren Liebknecht und Bebel erklärt, daß sie bis Dienstag hier bleiben würden, reicht der Deligirte L i c h t e r s (Duisburg) nachstehenden Antrag ein: In Erwägung daß in den Ausführungen der Herren Bebel und Liebknecht nichts Neues und Erhebliches enthalten war, erklärt die Gemeindeversammlung: daß der V e r e i n s p r ä s i d e n t nach wie vor das v o l l e V e r t r a u e n d e r d e u t s c h e n A r b e i t e r partei besitzt. Dieses Vertrauensvotum wurde von der Generalversammlung e i n s t i m m i g nommen.

ange-

3) Bebels Bemerkungen Uber seine Rede in: Aus meinem Leben, S. 282f. 4) Tölcke eröffnete im August 1869 eine Kampagne gegen Bebel, indem er diesem unterstellte, er beziehe von dem ehemaligen König von Hannover ein jährliches Gehalt von 600 Talem. Demokrat. Wochenblatt Nr. 36 ( 1 . 9 . 1 8 6 9 ) . 61

Es stimmten nämlich nachfolgende Delegirte für das Vertrauensvotum, welches dem Vereinspräsidenten ertheilt wurde: Backhaus, v. Bonhorst, Bremer, Colsmann, Danz, Deppel, Oerossi, Donatin, Dormann, Düchting, Eggert, Ellner, Fischer, Forschner, Frick, Fritzsche, Jul. Hasenclever, Wilh. Hasenclever, Kaiser, Kitz, Klein, Kohler, Kopp, Krautmacher, Kühl, Leyendecker, Leon, Lichters, Malter, Pfankuch, Pflüger, Polling, Real, Rex, Röttgen, Schmidt, C . W. Schumann, T ö l c k e , Weyrich, Windhövel, Winkelmann, Zollinger. Nachstehende Delegirte enthielten sich der Abstimmung: Bracke, Breuer, v. Daacke, Geib, Hirsch, Raspe, Rudolph, Schräder, Louis Schumann, Speier, Vogel, Wilke, Yorck. Der Delegirte G e i b erstattet zunächst Bericht Namens der Commission zur Prüfung der Vollmachten. Es stellt sich heraus, daß überhaupt. 126 Orte durch 57 Delegirte m i t 12,035 Stimmen vertreten sind, und zwar von denjenigen Mitgliedern, welche regelmäßig ihre Beiträge bezahlt haben. Das specielle Verzeichniß folgt nachstehend: Delegirte Ort Stimmenzahl Backhaus Meiderich 204 v. Bonhorst 42 Bieberich Wiesbaden 77 119 220 Bracke Braunschweig 14 Walkenried 55 Wieda 36 Zorge 325 Bremer 100 Magdeburg 60 160 K l . Ottersleben Breuer 57 Breslau 20 Langenbielau 82 Peterswaldau 304 Steinseifersdorf 51 Dreißighuben 38 Ernsdorf 56 Colsmann Velbert 25 v. Daacke Altona 130 225 Edingen 19 Oldesloe 30 Pinneberg 46 Danz Obertshausen 72 Deppel Dorbeck 40 Deiosii Busseldorf Donatin Bayenthal 7 Dörmann D Unn w aid 24 Düchting Köln 78 Eggert Hilden 70 Ellner Frankfurt a. M. 202 Hanau 95 297 Fischer Iserlohn (1/2) 114 Forschner Heidelberg 112 Frick Barmen 450 604 Barel 75 Pausa 50 Lennep 29

Fritzsche Geib Wm. Hasenclever J. Hasenclever Heuer Hirsch

Kaiser Kitz Klein

Köhler Kopp

Krautmacher Kühl Leyendecker Leon Lichters Malter Perl Pfannkuch

Berlin (1/2) Hamburg (1/2) Lübeck Ottensen Duisburg (1/2) Remscheid Gr. -Denckte Erfurt Gotha Eisenach Zeitz Apolda Frankenhausen Salzungen Bottrop Bockenheim Heddernheim Elberfeld Achim Ansbach Augsburg Delmenhorst Lorenzhaus Pfersee Aschersleben Ober-Roden Dietesheim Dietzenbach BUrgel Mülheim a. M. Dreieichenhain Heusenstamm Hausen Bieder Lämmerspiel Hahnerberg Langerfeld Schwelm Mainz Worms Solingen Duisburg (1/2) Iserlohn (1/2) Hamburg (1/2) Glückstadt Cassel Wolfsanger Sandershausen

77 470 26 48

544 86 191 132

62 93 122 94 12 61 15

459

20 60 18 199 72 37 190 49 46 11

78

604

420 24 65 12 80 70 50 45 39 70 27

482

20 28 87 102 180 86 113 470 19 247 34 26

115 282 23 86 113 489 307

Pflüger Polling

Raspe Real Rex Röttgen Rudolph

Schmidt Schräder C.W. Schumann

L. Schumann OQler Tölcke

Vogel Weyrich Wilke Windhövel Winkelmann Yorck Zollinger

Wahlershausen Rothenditmold Wehlheiden Halberstadt Oessau Bernburg Gr. Kühnau Wegeleben Essen (1/2) Düsseldorf Stirum Schlebusch Bürrig Hannover Einbeck Hildesheim Bremen Neviges Lüneburg Burgstädt Limbach Dresden Müh lau Glauchau Chemnitz Meerane Altenburg Leipzig Würzen Meißen Wolfenbuttel Berlin (1/2) Freiburg i. Br. Menden Wandsbeck Essen (1/2) Minden Coblenz Ronsdorf LUttringhausen MUhlheim a.d.R. Sterkrade Bielefeld Harburg Celle Offenbach a. M. Neu-Isenburg

35 42 30 310 36 236 14 10

107

608

30 60 40 28 17 980 110 40 30

45 1140

30 400 21 141 50 22 60 15 15 70 75 12 40

408

127 115

77 100 24 40 30 25 129 18 30 140 120 140 450 72

262

55 160 147 170 34 260 522

Nach Verkündigung des Resultates der Abstimmung und nachdem Herr Dr. v . S c h w e i t z e r seinen Dank für die ihm durch das Vertrauensvotum gegebene Genugthuung ausgesprochen, übernahm der Vereinspräsident wieder den Vorsitz und die General-Versammlung beschloß die Aussetzung der Verhandlungen bis zum nächsten Tage, worauf die Sitzung um 7 Uhr Abends geschlossen wurde. Beginn der öffentlichen Sitzung um 8 Uhr.

17c [2. Fortsetzung] (1) T . Barmen, 29. März 1869 Die ö f f e n t l i c h e S i t z u n g der Generalversammlung wurde gestern Abend 8 Uhr im großen Saale des Herrn Adam Stolle zu Elberfeld, durch den Vereinspräsidenten, welcher beim Eintritt in den Saal mit enthusiastischen Hochrufen empfangen wurde, eröffnet. Das Lokal war so überfüllt, daß - wörtlich genommen - kein Apfel zur Erde fallen konnte und die Deligirten geraume Zeit gebrauchten, bis sie sich zum Bureau durchgearbeitet hatten. Tausende von Menschen wogten vor dem Versammlungslokale auf und ab, ohne Einlaß finden zu können. Daher und weil die geschlossene Sitzung bis 7 Uhr gedauert hatte, war der Referent über den ersten Punkt der Tagesordnung (die internationalen Bestrebungen der Arbeiterklasse) bei Eröffnung der Sitzung nicht anwesend^) weshalb der Vereinspräsident das Referat selbst Ubernahm. Derselbe erläuterte zunächst den Begriff und die Bedeutung der internationalen Arbeiterbewegung und bemerkte dann, daß der Kampf zwischen Capital und Arbeit überall vorhanden sei. Die Lage der Arbeiter sei dieselbe, gleichviel welcher Beschäftigung sie sich widmen. Die Arbeiter bekämen im Leben nicht den vollen Werth ihrer Arbeit sondern nur einen Theil, wogegen das Uebrige den Capitalisten zufalle. Dieses Verhältniß sei überall in der Nation und bei allen Nationen dasselbe, weshalb auch überall dasselbe Interesse vorhanden sei, den Kampf zwischen Capital und Arbeit gleichmäßig zu führen. Der Kampf habe sich nicht nur gegen die Capitalmacht, sondern auch gegen die auf derselben fußende Reaction zu richten. Die Arbeiter müßten überall zusammen eintreten für die gemeinsame Sache, dann sei der Sieg gewiß. Nach Eröffnung der hierauf folgenden Debatte erhielt zuerst das Wort der Delegirte Herr P f a n n k u c h aus Cassel. Derselbe bemerkte, daß der Vorsitzende die Grundzüge der Arbeiterbewegung gründlich auseinandergesetzt habe. Unsere Gegner behaupteten, daß die Interessen des Capitals und der Arbeit zusammenlaufen. Wenn das wahr sei, warum dann die vielen Wohlthätigkeits-Anstalten existirten und woher dann die vielen bleichen Gesicher unter der Arbeiterklasse kämen. - Es sei die Aufgabe der Arbeiter, dahin zu streben, daß sie möglichst wenig zu arbeiten brauchen. Dazu sei es nothwendig, daß sich die Arbeiter als Partei organisiren. Alles, was die Gegner von der fortgeschrittenen Bourgeoisie bis zur Reaction zur angeblichen Verbesserung der Lage der Arbeiter unternähmen, sei Schwindel. Weil nur im Großen und Ganzen Erfolge zu erringen seien, deshalb sei Uberall die Einigkeit der Arbeiter unerläßlich. Die Macht der Arbeiter bestehe lediglich in ihrer Masse und deshalb sei ihre Organisation 1) SD Nr. 42 ( 9 . 4 . 1 8 6 9 ) . Ausgelassen wurden die Grußadressen. 2) Aus der Einladung geht nicht hervor, wer als Referent vorgesehen war. 65

nöthig. Der Kampf gegen die Bourgeoisie müsse geführt werden bis zum letzten Blutstropfen. Die Arbeiterpartei bezwecke, daß das Capital der Arbeit dienen solle, nicht - wie es jetzt der Fall sei - umgekehrt. Zur Erreichung des Zweckes der Arbeiterpartei sie das Zusammenwirken der Arbeiter der verschiedenen Nationen nothwendig. Herr K ü h l (Langerfeld) bemerkte, daß es noch viele Arbeiter gäbe, welche nicht einsehen, daß nur durch einen festen Verband eine Verbesserung der Lage der Arbeiterklasse zu erringen sei. Den Beweis hatten die Strikes geliefert. Wäre überall die Verbindung der Arbeiter hergestellt gewesen, dann würden die Erfolge bessere gewesen sein. Redner wies auf die Strikes in England und Paris hin, um zu beweisen, daß man sich nicht auf lokale oder nationale Vereine beschränken dürfe, daß vielmehr nur die große internationale Vereinigung den Arbeitern zum Siege verhelfen könne. Die Arbeiter müßten sich allen Hohn und alle Verachtung ins Gedächtniß zurückrufen, welche sie zu erdulden haben, dann würden sie sich auch aufraffen zu gemeinschaftlichem Handeln. lieber den zweiten Gegenstand der Tagesordnung ( " D i e europäischen Militärstaaten") erhielt zuerst da: Wort Herr W e y r i e h (Coblenz). - Derselbe bemerkte, daß der M i litärstaat gerade in Preußen am schärfsten ausgeprägt und eins der größten Uebel sei. Durch das Militärsystem würden dem Volke große Lasten auferlegt und die besten Kräfte entzogen. Auch in Betreff der Militärpflicht sei ein Klassenunterschied vorhanden, indem die Bourgeoisie ihre Söhne einjährig dienen lassen könne, während die Arbeiter drei Jahre dienen und von ihren Angehörigen noch unterstützt werden müßten. Es sei die Aufgabe des Volkes, auf eine Verminderung der Militärmacht hinzuwirken. Herr R a s p e (Essen) führt aus, daß man bei der Gründung der Militärmacht vorzugsweise dynastische Interessen im Auge gehabt habe. Die Militärmacht schneide in alle Verhältnisse ein. In Militärstaaten konnten die internationalen Bestrebungen der Arbeiterklasse nicht gefördert werden. An die Stelle des dynastischen Prinzips des Absolutismus und Despotismus müsse der Wille des souveränen Volkes treten. Die Militärmacht dränge hin zur Offensive gegen andere Staaten, sie widerstreite den Interessen der Arbeiter. Was habe Königgrätz genützt, besonders den Arbeitern und was nütze es überhaupt, wenn zwei Nationen sich gegenüberstehen, wie Hähne? Allerdings wäre es schade gewesen, wenn Oesterreich 1866 gesiegt hätte: allein seitdem sei die Militärmacht aus angeblichen Rücksichten auf das Gleichgewicht immer mehr vergrößert. Nach dieser Seite hin sei ein Gleichgewicht nicht nöthig. Wenn überall entwaffnet werde, dann würde dadurch das richtige Gleichgewicht hergestellt. Es sei auf Reducirung der Armeen hinzuwirken. . . . Herr H i r s c h (Erfurt) will nur einige Thatsachen anfuhren. Von den Millionen, welche im Militärbudget des Norddeutschen Bundes für Militärzwecke gefordert würden, kommen auf jede Familie 13 Thlr. jährlich. Das könne ohne Ruin der Nation unmöglich lange so fortgehen. Herr R ö t t g e n (Schlebusch) bemerkt, daß ein Militärstaat derjenige sei, welcher sich auf die Bayonette stütze. Bei der jetzigen Lage Europa's könne ein einzelner Staat nicht davon abgehen. Aufgabe der Arbeiterpartei sei es, auf allgemeine Verringerung der Militärmacht hinzuwirken. Der Krieg von 1866 habe gezeigt, daß mit der Industrie vorzüglich die Arbeiter zu leiden haben. Herr B r e m e r (Magdeburg) hebt hervor, daß die Schulden der Staaten seit 1848 um das Doppelte gewachsen seien. Das komme von dem Militärsystem, welches fallen müsse. Die allgemeinen Pflichten seien bei den Arbeitern bedeutender, wie bei allen anderen Ständen. Das Militär werde vorzugsweise aus der Arbeiterklasse rekrutirt. Wäh-

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rend Geld und Bildung es dem Bourgeoiskinde ermögliche, seiner Militärpflicht in e i nem Jahre zu genügen, müsse das Arbeiterkind drei Jahre dienen. Auch hier sei also das Prinzip des Capitals vorherrschend. Im Volksstaate werde es kein Privilegium mehr geben. Um ihn zu erringen, sei die Einigung der Macht der Arbeiter erforderlich. Lassalle habe den Arbeitern zugerufen: "Organisirt Euch, disciplinirt Euch!" Herr Schulze sage dies echt lehrjungenmäßig jetzt auch. Die Arbeiter müßten dahin streben, die Gesetzgebung in die Hand zu bekommen; dies sei unsere wahre Selbsthülfe, die bei den Anderen nur Phrase sei. Ein Gedanke müsse die Arbeiter beseelen: "Einig zu sein" und "es muß besser werden in der Welt!" Nachdem noch Herr V o g e l (Essen) darauf hingewiesen hatte, daß der Cäsarismus durch die Militärmacht die besten Kräfte ausbeute, daß die Soldaten kein Wahlrecht haben sollten und also nichts sein, als willenlose Maschinen, bemerkte er, daß es nicht immer so gewesen sei, denn die französischen Soldaten der Republik hätten die Freiheit Uberall hingetragen. Der V e r e i n s p r ä s i d e n t gab als Abgeordneter und zugleich im Namen der Herren F r i t z s c h e und H a s e n c l e v e r die Erklärung ab, daß sie das heutige Militärwesen verwürfen und die Interessen der Arbeiterklasse wie gegen das Capital, so auch gegen die Reaktion verfechten würden. . . . Nach einer Pause kam der dritte Gegenstand der Tagesordnung ("Der Volksunterricht") zur Verhandlung.(3) Herr F r i t z s c h e (Berlin) macht darauf aufmerksam, daß im preußischen Abgeordnetenhause Debatten über die von der Regierung vorgeschlagene Abänderung des § 25 der preußischen Verfassungsurkunde stattgefunden hätten, welche es nothwendig machten, daß auch wir unsern Standpunkt in der Schulfrage klarlegen, um zu beweisen, daß wir für den vollen freien unentgeltlichen Volksunterricht seien bis hinauf in die höchsten Lehranstalten. Geistige Fähigkeiten seien nicht nur bei den besitzenden Klassen zu finden, sondern auch beim Proletariat, wie die Geschichte b e weise. Die Gegner behaupteten, daß durch Bildung die Klassenlage der Arbeiter gebessert werde; das sei falsch. Einzelne könnten dadurch profitiren, die große Masse nicht. Unsere Motive seien anderer Art. Der einzige Vortheil des freien unentgeltlichen Volksunterrichts sei der, daß die Arbeiter zum Selbstdenken gelangten. Nach unseren an uns selbst gemachten, leider nur zu traurigen Erfahrungen sei es nothwendig, daß die Volksschule eine f r e i e werde. Die durch die Schulregulative und unter dem Einfluß der orthodoxen Kirche gebotene Erziehung der Jugend in der Volksschule, umschanze das bildungsfähige Gehirn der Kinder mit einer dicken Kruste von Gesangbuchs- und Bibelwesen und dogmatischen Glaubenssätzen derart, daß ihre Denkfähigkeit, anstatt geweckt und befördert zu werden, in der EntWickelung nur gehemmt werde; gerade wie man vor Zeiten die neugebornen Kinder fest in die Wickelbettchen einschnürte und dieselben verhinderte, frühzeitig durch selbstthätige Bewegung ihre leiblichen Kräfte naturgemäß auszubilden. Wäre die Schule frei, dann könnte man auf diejenigen Unterrichtsgegenstände, welche die geistige Entwickelung f ö r d e r n und die Menschen den Erfordernissen der heutigen Erwerbsthätigkeit angemessen ausbilden, mehr Zeit verwenden. Um wenigstens einigermaßen den Menschen geschickt für seine künftige Berufsthätigkeit zu machen, exercirte man ihn in der heutigen Schule schablonenmäß^g ein; daher komme es auch, daß man jetzt so wenig tüchtige selbstständige C h a raktere in der Gesellschaft finde, und wenn hier odrr da einmal ein außergewöhnlich selbstständiger Charakter sporadisch auftauche, so staune man ihn an, wie die Kuh 3) In diesem Referat von Fritzsche und in der anschließenden Diskussion befaßte sich der ADAV zum ersten Mal ausführlich mit dem Problem der Vqlksschulbildung. 67

das neue Thor, und verfolge ihn und hetze ihn mit spießbürgerlichem Klatsch und böswilliger Verhöhnung, Verdächtigung und Verleumdung zu T o d e . Also freie Schule! Redner weist noch auf den Unterschied im Schulwesen in Preußen und in Sachsen hin. In Preußen sei der höhere Unterricht zu Gunsten der Besitzenden, in Sachsen der Volksschulunterricht besser. Es sei dahin zu wirken, daß der freie unentgeltliche Volksschulunterricht endlich zur Wahrheit werdf. Herr H i r s c h (Erfürt) fragt, wie es vor 50 Jahren gewesen? Er habe in seiner Schule 3 - 4 Stunden t ä g l i c h Religionsunterricht empfangen, was aber nothwendig gewesen, das sei nicht gelehrt worden. Auch der j e t z i g e Unterricht genüge noch nicht; er mlisse vollständig frei sein, damit die Kinder der Arbeiter eben so T h e i l daran nehmen können, wie die Kinder der Bessersituirten. Die Arbeiter müßten sich einigen, um g e m e i n sam wirken zu können, wenn es gelte, für die Trennung der Schule von der Kirche und der Kirche vom Staate einzustehen. Herr v o n B o n h o r s t (Wiesbaden) bemerkt: daß man dem Volke den Vorwurf m a c h e , es treibe keine Politik. Wir trieben Politik, wenn wir d i e Schulfrage beleuchten. Ohne Geld sei keine Bildung zu erlangen und diese deshalb ein Privilegium (Vorrecht) der b e sitzenden Klasse. Wenn Einzelne in Ausnahmefällen sich Bildung verschafften, dann führe dies dahin, daß sie ebenfalls zu Ausbeutern würden. A l l g e m e i n e Volksbildung könne nur erobert werden, wenn das Volk sich den Bestrebungen der S o c i a l - D e m o k r a t i e anschließe und m i t dahin strebe, daß künftig d a , wo jetzt eine Kaserne stehe, eine V o l k s - A k a d e m i e errichtet werde. Herr L e y e n d e c k e r (Mainz) führt an, daß er früher selbst Bildungsvereinler g e w e sen sei, aber gestehen müsse, daß er als solcher nicht v i e l Bildung erworben habe. Erst seit er S o c i a l - D e m o k r a t geworden, sei es ihm gelungen, sich d i e wahre Bildung anzueignen. In Amerika haben Arbeiter als tüchtige Staatsmänner an der Spitze der Verwaltung gestanden. Man t a d e l e uns, weil wir Staatshülfe verlangen, und doch b e anspruchten diese auch die besitzenden Klassen, indem sie vom S t a a t e Zuschüsse zu Gymnasien u. s. w. fordern. Die Gleichberechtigung müsse auch in Betreff der Schulbildung gefordert werden. Wenn die freie Volksschule errungen sei, dann folge das Andere von selbst; es werde dann z. B. nicht schwer sein, m a n g e l h a f t e Gesetze zu b e seitigen. Nicht nur in Preußen, sondern auch in den SUdstaaten seien d i e Gesetze auf Gummi geschrieben, an dem m a n nur zu ¿iehen brauche, damit eine Menge Paragraphen herausfallen. Redner bezeichnet und empfiehlt den Anschluß an die Bestrebungen der S o c i a l - D e m o k r a t i e als das e i n z i g e Mittel zur Verbesserung aller öffentlichen Z u stände. Der P r ä s i d e n t theilt m i t , daß mit Rücksicht auf die Wichtigkeit der beiden noch rückständigen Gegenstände der Tagesordnung zwei eingeschriebene Redner aus Wort verzichtet haben. Herr R a s p e (Essen) führt aus, daß sich der Unterricht in den Händen der Bourgeoisie befinde. In d i e niederen Klassen griffen auch die religiösen Vorstände ein. Die Ultramontanen erklärten, daß der Unterricht bezahlt werden müsse. Dieselben nähmen in der Frage einen verschiedenen Standpunkt gegen uns ein. Es sei nothwendig, daß in den Schulen mehr Geschichte gelehrt werde und daß den Pfaffen der Einfluß auf d i e Erziehung entzogen werde; das " S e e l e n h e i l " habe mit der Schule nichts zu schaffen. Wenn d i e nächste Generation den freien Schulunterricht erhalte, dann werde es bald Tausend und Abertausend Socialisten mehr geben. Ueber den vierten Gegenstand der Tagesordnung ( " d a s Maschinenwesen") erhielt als Referent das Wort Herr B r a c k e (Braunschweig). Derselbe wies in einem längeren

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gediegenen Vortrage den nützlichen und den schädlichen Einfluß der Maschinen auf die socialen Verhältnisse nach. Nützlich seien die Maschinen insofern, als sie die menschliche Arbeit erleichtern oder verringern, schädlich deshalb, weil der Vortheil, den die Maschinen gewährten, nur einzelnen Capitalbesitzern zu gute komme, nicht aber der Gesammtheit. Herr H i r s c h (Erfurt) wies ebenfalls den schädlichen Einfluß der Maschinen nach. Der Arbeiter werde in Folge der Theilung der Arbeit selbst zur Maschine. Es zeige sich dies deutlich in der Gewehrfabrik zu Erfurt, in welcher kein Arbeiter ein ganzes Gewehr, sondern immer nur einen bestimmten T h e i l fertig stellen könne. Es gelte, durch die Bestrebungen der Arbeiterpartei dahin zu wirken, daß die Vortheile der Maschinen der Gesammtheit zufließen. Herr H e e g e r (Duisburg) führt an, daß die Maschinen bei der jetzigen Produktionsweise zum Ruin der Arbeiterklasse führen. Jetzt würden durch Dampf Säcke zum Söller befördert. Wem komme die Erleichterung zu gute? Verschaffe sie dem Arbeiter Brod? Wenn dieser mit der Maschine nicht gleichen Schritt halten könne, dann werde er einfach zur Fabrik herausgejagt. Redner mahnt deshalb die Arbeiter zum Anschluß an den Allg. deutsch. Arb. -Verein und die Arbeiterschaften. Herr v . B o n h o r s t (Wiesbaden) erklärt, den Bracke'schen Auseinandersetzungen mit großem Interesse gefolgt zu sein. Es sei die Frage, welche weiteren Folgen das M a schinenwesen habe. Die menschliche Arbeitskraft werde durch die Maschinen auf den Arbeitsmarkt geworfen, was, bei dem bekannten ökonomischen Gesetze der Regulirung des Arbeitslohnes durch Angebot und Nachfrage die Herabsetzung des Arbeitslohnes b e wirke. Es sei dahin zu streben, das Eigenthumsrecht auf Arbeit für die Arbeiter wieder zu erobern. Im vorigen Jahre sei im Reichstage Herr v. Schweitzer allen für die volle Coalitionsfreiheit eingetreten. Die bestehenden Gesetze schützen nicht mehr das letze Eigenthumsrecht der Arbeiter. Danach lasse sich beurtheilen, wie sehr Herr v. Schweitzer den Dank der Arbeiter verdiene. Wir wollten ohne Revolution auf gesetzlichem Wege unser Endziel weiter verfolgen. D e r V e r e i n s p r ä s i d e n t erklärt, daß er sich selbst zum Wort habe einzeichnen lassen, weil seiner Ansicht nach der Gegenstand noch nicht genügend klar gestellt sei. Wir werden die Ausführungen in Form eines Leitartikels bringen. Herr Z o l l i n g e r (Offenbach) bemerkt, daß das Maschinenwesen vielseitig erörtert sei. In Folge desselben seien die Menschen ebenfalls Maschinen geworden. Der Handwerkerstand besitze nicht die Mittel, gegen die Maschinen zu concuriren, weshalb immer mehr ins Proletariat hinab sinke. Die Handwerker seien nicht mehr im Stande, ihre Familien zu ernähren. Die Verhältnisse "müßten geändert werden und deshalb sei es Pflicht der Handwerker, in den Allgem. deutsch. Arbeiter-Verein einzutreten und sich kräftig an dessen Bestrebungen zu betheiligen. Herr R a s p e (Essen) hält es für nöthig, dahin zu wirken, daß die Ausbeutung durch die Maschinen nicht eine zu große werde. Als Mittel bezeichnet er, daß die Maschinen in den Besitz derjenigen kommen, die sie hergestellt haben. Jetzt erlahme bei dem ungeheuren Maschinengetose - z . B . bei der Riemendreherei in Barmen-Elberfeld jede Geistesthätigkeit. Kindergeschrei sei nichts dagegen. Geistige Wesen müßten dabei vollständig verkrüppeln. Eine nachtheilige Folge des Maschinenwesens sei die lange Arbeitszeit. Es müsse erstrebt werden, daß die Arbeitszeit auf täglich 8 Stunden ermäßigt werde. Auf den Antrag von H e n n i n g (Ronsdorf) wird der Schluß der Debatten über den vorliegenden Gegenstand angenommen. . . .

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Unter den fünften Gegenstand des Tagesordnung ("Die laufende Session des Norddeutschen Reichstages. Normalarbeitstag") erhält als Referent das Wort Herr F r i t z s c h e (Berlin) Derselbe entwirft ein faßliches Bild über die Zustände im Reichstage. Der Vorschlag des Herrn v. Schweitzer, einen Arbeiter in die Commission zur Vorberathung des Gesetzentwurfs Uber Beschlagnahme von Arbeitslöhnen zu wählen, sei nicht angen o m m e n worden. Er habe die Lage der Arbeiter gründlich kennen gelernt und sei deshalb jedenfalls in der Commission am Platze gewesen. Die gegenwärtige Session des Norddeutschen Reichstag sei eine der bedeutendsten für die Arbeiterklasse. So gelange z.B. die Gewerbeordnung zur Verhandlung, in deren Entwurf von Gewerbe-Freiheit nicht die Rede sei. Ueberall strotze derselbe von polizeilichen Conzessionen. Für Arbeiter kommen dabei noch andere Fragen in Betracht, indem sie durch einzelne Bestimmungen geradzu erniedrigt würden. So verordne ein Paragraph, daß der Arbeiter dem Arbeitgeber Achtung erweisen müsse, während man eine entgegengesetze Bestimmung vermisse. Möchten die Arbeitgeber dahin streben, daß die Arbeiter Ursache h ä t ten sie zu achten, dann k o m m e die Achtung von selbst, auch ohne eine solche Bestimmung. In Betreff der Coalitionsfreiheit enthalte der Entwurf Strafbestimmungen gegen die Verrufserklärungen. Wenn die Strafen bestehen bleiben, dann seien Strikes nicht möglich. Wer an der Spitze derselben stehe, der stehe auch bereits mit beiden Beinen im Gefängnisse, höchstens k o m m e der Rockzipfel noch draußen zum Vorschein. Die Strafen seien umsomehr zu verwerfen, als das allgemeine Strafgesetz vollständig ausreiche. Man sei deshalb gesonnen, kräftig gegen den Gesetzentwurf zu opponiren. Auch die Fortschrittspartei und der linke Flügel der Nationalliberalen müssen und werden die Arbeiter-Abgeordneten darin unterstützen, wenn sie nicht a l l e n Kredit bei den Arbeitern verlieren wollen. Auch die Zwangs-Unterstützungskassen müßten in Wegfall kommen. Allerdings sei ein Beitrittszwang jetzt noch erforderlich, allein dem Arbeiter müsse die Wahl freistehen, welcher Kasse er beitreten wolle. Der Reichstag müsse vorwärts gestoßen werden, damit nicht ein Titelchen gegen die volle Gewerbefreiheit bestehen bleibe. Es sei Niemand verwehrt, Arbeiter zu werden, z . B . d e m Herrn Rothschild nicht, das Couponabschneiden mit der Riemendreherei zu vertauschen, und es erfordere auch hier die Gerechtigkeit volle Gleichberechtigung in umgekehrter Weise. Der V e r e i n s p r ä s i d e n t macht darauf aufmerksam, daß dem Reichstage durch die in Betreff des Lohnbeschlagnahme-Gesetzes empfohlene Resolution ein kräftiger Ruck nach Vorwärts beigebracht sei. Herr F r i c k (Barmen) spricht über den Normalarbeitstag. Es werde behauptet,daß es dem Arbeiter nichts mehr nütze, wenn die Arbeitszeit beschränkt werde. Das sei falsch. Wenn täglich 2 Stunden weniger gearbeitet zu werden brauche, dann habe der Arbeiter in der Woche einen ganzen T a g frei. Deshalb sei der Kampf für den Normalarbeitstag vollkommen berechtigt. Redner entwickelt das eherne ökonomische Lohngesetz und weist dabei nach, daß eine Beschränkung der Arbeitszeit den Arbeitern unmöglich schaden könne. Schon im Alterthum sei eine Beschränkung der Arbeitszeit eingeführt gewesen. Unsere Partei sei nicht nur für die Freiheit, sondern auch für die Gleichheit und Brüderlichkeit. Bei der Frage k o m m e ferner der Gesundheitspunkt in Betracht. Eine übermäßige Arbeitszeit müsse die Gesundheit unzweifelhat ruiniren. Namentlich sei dies auch der Fall bei den Frauen. Woher anders kämen die bleichen hageren Gestalten unter den Arbeitern, als durch übermäßige Arbeit und mangelhafte Nahrung? Es müsse die gesetzliche Herabsetzung der Arbeitszeit auf höchstens 10 Stunden angestrebt werden.

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Nachdem noch die Herren H i r s c h (Erfurt) und E l l n e r (Frankfurt) bemerkt hatten, daß in Erfurt beziehentlich Frankfurt a. M. die vom Vereinspräsidenten gegen den Reichstag vorgeschlagene Resolution angenommen sei, und daß - wie Herr E l l n e r mittheilte- in Frankfurt a. M. in derselben Resolution auch ein freies Vereins- und Versammlungsrecht verlangt werde, schloß der V e r e i n s p r ä s i d e n t mit einer eindringlichen Ansprache und mit einem, von der Versammlung mit Begeisterung aufgenommenen Hoch auf die Sache der Arbeit in allen Culturländern die Versammlung. Diese trennte sich unter stürmischen Hochs auf Herrn v. Schweitzer und die Delegirten.

17d (3. Fortsetzung] (1) T . B a r m e n , 30. März 1869 Gestern, 29. März, Vormittags 11 Uhr, eröffnete der Vereinspräsident die zweite geschlossene Sitzung der Generalversammlung. Den Delegirten war eine gedruckte Zusammenstellung der Anträge für die Generalversammlung eingehändigt, nach welcher die Anträge in folgende Hauptgruppen eingetheilt waren: I. Internationale ArbeiterAssociation. II. Organisation. Statut. Geschäfte Reglement. III. Beschwerden u . s . w . IV. Vereins-Organ. V. Druckschriften. VI. Agitation. A. Im Allgemeinen. B. In Be treff der Wahlen. C. In Betreff der Gesetzgebung. VII. Unterstützungen. In der gestrigen Sitzung wurden zunächst die Anträge unter den Nummern 26 bis 31 der gedruckten Verlage (Ermäßigung der Beiträge der Mitglieder in Satzungen, im schlesischen Eulengebirge, in Apolda, in Glauchau und im Voigtlande) a n g e n o m m e n . Herr B r a c k e (Braunschweig) berichtete vorläufig Namens der Commission zur Prüfung der Vollmachten, daß dieselbe mit ihrer Arbeit noch nicht vollständig fertig sei. Einzelne Vollmachten seien von der Commission beanstandet, theils weil keine Mitgliederzahl angegeben, theils wegen anderer formeller Bedenken. Nach längerer Debatte über die Ausstellungen der Commission, an welcher sich die Herren K a i s e r und R a s p e aus Essen, H i r s c h , W i n d h ö v e l , B r a c k e , F r i c k , Schumann (Berlin), B r e m e r , P e r l , E l l n e r und Andere betheiligten, beschloß die Generalversammlung, daß die Vollmacht von Pyrmont für T ö l c k e mit 21 Stimmen zuzulassen, die von einer Anzahl Mitglieder in Essen für K a i s e r nicht anzuerkennen, daß die Uebertragung der Erfurter Vollmacht für H i r s c h auf v. H o f s t e t t e n unzuläßig, weil der Delegirte selbst anwesend sei, daß die Vollmacht von Hanau für E l l n e r anzuerkennen, die von Wegeleben für P o l l i n g mit 10 Stimmen ebenfalls. Es wurde ferner beschlossen, daß in Geschäftsordnungsfragen nach Köpfen abgestimmt werden solle, so wie daß von den beiden Düsseldorfer Delegirten R e a 1 und D e r o s s i während der Anwesenheit Beider der Erstere die Düsseldorfer Stimmen zu vertreten habe, und endlich daß Mandatsübertragungen - wenn zwei Delegirte aus einem Ort anwesend sind - nur auf einen dieser Deligirten und überhaupt nur bei der Anwesenheit oder gänzlichen Abreise des betreffenden Delegirten zulässig sei. Demnächst eröffnete der V e r e i n s p r ä s i d e n t die General-Discussion über die vorliegenden Anträge mit dem Bemerken, daß auf etwaige Interpellationen im Namen des Präsidiums der Vicepräsident T ö l c k e antworten werde. Zur Einleitung in die 1) SD Nr.43 ( 1 1 . 4 . 1 8 6 9 ) . Ausgelassen wurden die Grußadressen. 71

General-Discussion bemerkt der Präsident in Betreff der Vorgänge in der ersten Sitzung vom 28. März , daß wir mit Liebknecht und Bebel im Kampfe ständen, weil dieselben m i t unserer Organisation nicht einverstanden seien, welcher gegenüber sie niemals loyal vorgegangen seien. Wenn dieselben eine Verständigung ehrlich anstreben wollten, dann hätten sie sich an den VereinsprSsidenten wenden müssen, weil dieser den Verein vertrete, so lange die Generalversammlung nicht beisammen sei. Das sei nie geschehen, vielmehr hätten sie hinterm Rücken des Präsidenten intrigirt und Z w i e tracht unter den Vereinsmitgliedern zu stiften gesucht. Die Herren hätten nichts Neues vorgebracht und es sei die Generalversammlung allerdings in der Lage gewesen, sich ohne Weiteres schlüssig zu machen. Er habe das Bewußtsein, daß er das Vertrauen der Partei verdiene und auch besitze. Die große Majorität der Generalversammlung habe sich denn auch in diesem Sinne ausgesprochen. Er sei ferner überzeugt, daß die Arbeiter an denjenigen Orten, deren Delegirte sich der Abstimmung enthalten hätten, ihm ihr Vertrauen schenkten; wären jene Arbeiter bei der Abstimmung anwesend gewesen, sie würden sich ebenso gehalten haben, wie die Arbeiter von Barmen Elberfeld, die der Delegirte für Erfurt verächtlich als "Masse" bezeichnet habe, die sich nicht einmischen und keinen "Druck" ausüben solle. Allein der gestrige Vorgang werde von den Gegnern zu ihren Gunsten und zum Nachtheil des Vereins ausgebeutet werden, weshalb er es für seine Pflicht halte, die Mitglieder der betreffenden Orte zu veranlassen, sich darüber auszusprechen, ob sie mit seiner Haltung in Betreff der Parteileitung einverstanden seien oder nicht, also zwischen ihm und den Delegirten, die sich der Abstimmung enthalten haben, zu entscheiden. Die Grundlage, auf welcher die Parteileitung b e ruhen müsse, sei das allgemeine Vertrauen. Die Minorität habe ihn der Außenwelt gegenüber im Stich gelassen, deshalb sei die Befragung der betreffenden Mitglieder nothwendig. Weil er sonst in eine schiefe Stellung komme. Uebrigens kamen die Uneinigkeiten fast niemals durch Arbeiter, vielmehr fast immer durch Nichtarbeiter. Vor Eintritt in die Generaldiscussion wünscht Herr H i r s c h zu wissen, wie es im Betreff derselben mit der beschlossenen Beschränkung der Redezeit gehalten werden solle. D e r P r ä s i d e n t bemerkt darauf, daß bei der Generaldiscussion überhaupt jedem Redner 15 Minuten gewährt seien, bei Anklagen aber unbeschränkte Redezeit. Herr H i r s c h theilt mit, daß er beauftragt sei, für dir von den Erfurter Mitgliedern beantragten Statutenänderungen einzutreten. Der P r ä s i d e n t erklärt jene Anträge nach dem Statut für unzulässig, weil sie nicht drei Monate vor der Generalversammlung eingebracht seien. Herr H i r s c h erachtet die Statuten nur für provisorische und daher eine Aenderung für zulässig. Diese sei nöthig, weil die Dictatur im Vereine factisch vorhanden sei. Der Präsident habe sich mit Personen umgeben, die sich seinem Willen fügen. Es seien viele Klagen laut geworden, daß Artikel keine Aufnahme im Vereinsorgan gefunden haben und Briefe unbeantwortet geblieben seien. Es wolle nicht an der Organisation rütteln, sondern sie kräftigen, und deshalb seien die von Erfurt beantragten Statutenänderungen wünschenswerth.(2) Der Vorstand sei bis jetzt nie beauftragt worden, also eine Null gewesen. Er - Hirsch - habe nie mit anderen Parteien conspirirt. Er sei Republikaner und könne sich der Dictatur eines Einzelnen nicht unterwerfen. Herr Hirsch ersucht die Generalversammlung über die Erfurter Anträge nicht zur Tagesordnung überzugehen, was den Abfall der Thüringer Mitglieder zur Folge haben werde. Er tadelt ferner, daß der Präsident die Agitation ohne vorherige Rücksprache mit dem Vorstande bestimmt habe. 2) Anträge Nr. 106-108 siehe Nr. 17 1 72

Herr F r i t z s c h e , der die Rednerliste führt, bemerkt zur Geschäftsordnung, daß Herr Hirsch 4 Minuten über die festgesetzte Zeit gesprochen habe, worauf der P r ä s i d e n t bemerkt, daß er dies gestattet habe, weil Herr Hirsch Angriffe gegen ihn vorgebracht habe. Herr H i r s c h bestreitet in schroffer Weise die Ueberschreitung der festgesetzten Zeit, worauf Herr F r i t z s c h e das BUreau verläßt und unter den Delegirten Platz nimmt. Herr P e r l macht die dringliche Mittheilung, daß die bevorstehende Abreise des Herrn H a s e n c l e v e r die Ergänzung der Beschwelde-Commission nothwendig mache; er schlägt als Ersatzmann den Herrn v. B o n h o r s t vor, womit die Generalversammlung einverstanden ist. Herr Perl bemerkt sodann zur Generaldiskussion, daß Herr Fritzsche die namentliche Abstimmung in Betreff des Vertrauensvotums verlangt habe, weshalb man auch gestimmt habe. In der Enthaltung von der Abstimmung habe durchaus kein Mißtrauensvotum gelegen. Er habe gar nicht an ein solches gedacht. Die von Liebknecht und Bebel vorgebrachten Gründe seien längst bekannt gewesen. Der Präsident habe gar kein Vertrauensvotum nöthig gehabt; eben so wenig sei es nöthig, bei allen Fragen und bei jeder Gelegenheit herbeizuhüpfen, um den Präsidenten zu schützen. Es habe der Antrag vorgelegen, die Abstimmung zu vertagen. Das sei das Richtige gewesen und übrigens ganz gleich, ob die Entscheidung 24 Stunden früher oder später erfolgt sei. Durch das Begehren der sofortigen Abstimmung sei man gedrängt worden, so zu stimmen, Der Vorwurf, daß man Opposition erhoben habe, sei ohne Berechtigung. Er könne für sich und Herrn Geib die Erklärung abgeben, daß sie Beide ohne Vorurtheil gehandelt hätten. Er habe Alles im Vereine mitgemacht und nie zu anderen Parteien gehört. Er conspirire nicht, stehe vielmehr vollständig auf dem Boden der Hamburger Mitglieder. Der Präsident werde diese finden, wie früher. Sie blieben auf dem Boden des Gesetzes; ihr Standpunkt sei immer derselbe. Herr M a n n ist gegen Alinea e des Erfurter Antrages (Bestimmung des Orts der Generalversammlung durch Majoritätsbeschluß aller Mitglieder), weil die Bestimmung unausführbar sei; ebenso gegen die Abänderung des Reglements dahin, daß die Ortsbeamten g e w ä h l t werden sollen, weil der Verein dadurch erfahrungsgemäß in Conflikt mit der Polizei gerathe. Er ist ferner gegen den Antrag von Vogel, Kärger und Genossen, da es in der socialdemokratischen Arbeiterpartei keine "Schattirungen" g ä be, diese vielmehr durch den Allg. deutsch. Arb. -Verein repräsentirt werde. Der Antrag hänge mit der Polemik der Herren Liebknecht und Bebel zusammen. Liebknecht habe früher zur Gräfin von Hatzfeldt gehalten und gehöre jetzt zur Volkspartei. Die Angriffe der Herren seien gegen die Spitze des Vereins gerichtet gewesen. Wenn Herr von Schweitzer zurückgetreten sei, dann wäre der Zweck der "Sächser" erreicht gewesen. Die Herren hätten sich in unsere Reihen drängen wollen, um die Leitung in die Hand zu bekommen. Nachdem der Berliner-Arbeiter-Congreß stattgefunden habe, sei es einfältig gewesen, einen neuen Congreß in Vorschlag zu bringen, wie es der Antrag von Vogel und Genossen thue. Derselbe enthalte einen Angriff auf die Organisation, weshalb er bitte, denselben abzulehnen. Herr S c h u m a n n aus Berlin (für Leipzig u . s . w . ) erklärt, daß auch er der Abstimmung sich enthalten habe, obschon er ein persönlicher Feind von Liebknecht und Bebel sei. Er habe es gethan, weil er keinen Grund gehabt habe, das Vertrauensvotum für nöthig zu halten. Er halte fest an der Organisation, und deshalb sei er gegen die Anträge von Vogel und Genossen. Man möge Herrn Vogel zur Agitation nach Sachsen senden, dann werde er gründlich curirt werden. Selbst in den Kreisen, in welchen Liebknecht und Bebel gewählt werden, hätten wir jetzt Mitgliedschaften. Ueberall ha-

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b e m a n in Sachsen ausgesprengt, daß die Agitation mit Bismarck'schem Gelde betrieben werde, und obschon Liebknecht und Bebel sicher gewußt hätten, woher das Geld kam, so hätten sie dieser Verleumdung doch ruhig ihren Fortgang gelassen. Möchten die Herren auch noch so schön sprechen, es werde niemals zur Vereinigung kommen, die Wühlerei werde unter allen Umständen fortdauern. Die Herren Vogel und Genossen möchten daher erklären, daß sie getäuscht worden seien, sonst sei er - Schumannder Erste, der für ihre Ausstoßung stimme; Berather könnten wir nicht brauchen. Herr R u d o l p h (Hannover) weist die Behauptung zurück, als habe er durch die Enthaltung von der Abstimmung ein Mißtrauen gegen den Präsidenten aussprechen wollen. Dieser besitze das volle Vertrauen noch, allein er habe sich der Abstimmung enthalten, weil er vorher die Vertheidigung gegen die Angriffe von Liebknecht und Bebel für nöthig gehalten habe. Herr R ö t t g e n (Schlebusch): Wenn Liebknecht und Bebel eine Einigung wollten,dann hätten sie keine Persönlichkeiten vorbringen dürfen. Weil sie nichts Neues vorgebracht hätten, habe er ohne Weiteres dem Vertrauensvotum zugestimmt. Er ist gegen die Verlegung des Vorstandes an einen O r t , weil da durch die Dictatur in den Vorstand verlegt würde. Er empfiehlt, über den Antrag von Vogel und Genossen zur Tagesordnung überzugehen. Wegen der Agitation habe der Vorstand zu Rathe gezogen werden sollen. Er wünscht, daß bei derselben der Kreis Solingen berücksichtigt werde. Herr R a s p e bemerkt, daß auch er den Angriff wegen seiner Enthaltung von der Abstimmung zurückweisen müsse. Er sei überzeugt gewesen, daß vor der Abstimmung eine Vertheidigung hätte erfolgen müssen. Er habe deshalb nicht gestimmt, weil der Präsident die Abstimmung verlangt habe. Die Presse würde dieses Verlangen als Diktatur auffassen, und deshalb habe er nicht gestimmt. Nach der Vertheidigung würde er dem Vertrauensvotum zugestimmt haben. Uebrigens sei Alles zu verhindern, was die Einigung der Arbeiter in Sachsen verhindere. Er beschwert sich über die Nichtaufn a h m e von Artikeln und Annoncen in den "Social-Demkrat" und darüber, daß Briefe, welche von Essen nach Berlin geschickt seien, unbeantwortet geblieben. Es hätten einzelne Mitglieder der exponirenden Minorität in Essen mit Berlin in Briefwechsel gestanden. Er interpellirt Herrn T Ö l c k e , wie es sich mit den Briefen verhalte. Auf der Generalversammlung müsse Alles einer genauen Prüfung unterworfen werden. Wir wollten in die internationale Bewegung eintreten und deshalb müsse Alles beseitigt werden, was einer Vereinigung hinderlich sei. Er ist der Ansicht, daß der vorgeschlagene Congreß erst nach einem Jahre oder nocht später stattfinde. Er ist gegen den Uebergang zur Tagesordnung in Betreff des Vogel'schen Antrages und ebenso gegen die Ausstoßung von Vogel, Kärger und Genossen. Er habe mit Liebknecht und Bebel nicht in' Verbindung gestanden, sich vielmehr aus den vorhin angegebenen Gründen der Abstimmung enthalten. Herr T ö l c k e nimmt das Wort zur Beantwortung der Interpellationen und zur Zurückweisung der stattgehabten Angriffe gegen die Vereinsleitung. Wenn Herr H i r s c h glaube, daß der jetzige Verein sich in einem Provisorium befinde, dann sei er im Irrthum. Der neue Verein sei im Oktober v.J. in Berlin definitiv gegründet und zwar vollständig auf der Grundlage des alten Vereins.(3) Die Mitglieder seien dem neuen Vereine auf Grund der Statuten desselben ohne Vorbehalt beigetreten und deshalb könne selbstverständlich von einem Provisorium, welches beliebige Aenderungen der Statuten 3) Im September 1868 war der Verein von der Polizeibehörde in Leipzig, wo er seinen Sitz hatte, aufgelöst und am 10. Okt. 1868 von v. Schweitzer mit d e m Sitz in Berlin wiedergegründet worden. Siehe Tölcke, Zweck S. 57ff. 74

oder die Nichtbeachtung einzelner Paragraphen derselben zulasse, durchaus nicht die Rede sein. Weil die Erfurter Anträge nicht in der im Statut bestimmten dreimonatlichen Frist vor der General-Versammlung eingegangen seien, dürfe die Generalversammlung sich mit denselben gar nicht befassen und beantrage er in Betreff jener Anträge Uebergang zur Tagesordnung. Es sei merkwürdig, daß Herr Hirsch, der doch im " S o c i a l - D e m o i a a t " erklärt habe, nicht der Dr. Max Hirsch zu sein, jetzt gerade wie dieser von Diktatur spreche. In welchen Punkten habe sich denn eine Diktatur im Vereine geltend gemacht? Die Hamburger Generalversammlung des alten Vereins habe den ausdrücklichen Beschluß gefaßt, daß der Präsident die Agitation zu leiten habe. Wenn derselbe diesem Beschlüsse nach gekommen sei, so habe Niemand das Recht, daraus einen Vorwurf zu erheben. Zur Ernennung eines Vicepräsidenten sei nach dem Statut nur der Präsident berechtigt gewesen, der allerdings den Vorstand hätte befragen können, in welchem Falle vielleicht Herr Hirsch zum Vicepräsidenten ernannt sein würde. Der Vorsta'nd habe nur über die leitenden Grundsätze zu entscheiden, welche bei der Vereinsleitung zu beachten seien; da dieselben aber bereits längst festständen, so sei gar kein Grund vorhanden, den Vorstand mit allen untergeordneten Dingen zu behelligen. Wolle man dies, dann mache man den Präsidenten zu einer einfachen Schreibmaschine und lege das Präsidium und die ganze Agitation lahm, in Beziehung auf welche häufig sofortige Entscheidung getroffen werden müsse. Daß selbstständige Vorgehen des Präsidiums als "Diktatur" zu bezeichnen, sei unter diesen Umständen vollständig lächerlich. Üebrigens müsse er entschieden dagegen sich verwahren, daß er zu Personen gehöre, die sich dem Präsidenten fügten, wie Herr Hirsch sich auszudrücken beliebt habe. Er habe während der Haft des Präsidenten das Präsidium durchaus selbstständig verwaltet, was auch nicht anders möglich gewesen, da Herr v. Schweitzer während seiner Haft hermetisch von der Außenwelt abgeschieden war.. Auf die Vorwürfe gegen das Vereins-Organ werde er bei der Special Discussion noch zurückkommen. Herr Hirsch behaupte, daß er die Organisation kräftigen wolle: allein er bezwecke offenbar, dieselbe zu untergraben, von der Lassalle den Arbeitern gerathen habe, an ihr festzuhalten, weil sie die Arbeiter zum Siege führen werde. Wer die Organisation zu vernichten suche, der sei ein Feind des Vereins und meine es mit der Arbeitersache nicht gut. Dies treffe aucn zu rücksichtlich des Antrages von Bebel und Genossen. Herr Vogel habe gegen den Vereinspräsidenten erklärt, daß er nur deshalb noch im Verein bleibe, um gegen dessen Organisation Opposition zu machen. Ein solches Vorhaben sei Verrath. Er legt der Generalversammlung dahingehend ans Herz, die Anträge auf Aenderung der Organisation abzulehnen und diese zu belassen, wie sie sei.

17e [4. Fortsetzung] (1) T . B a r m e n . 3 0 . M ä r z 1868 In Betreff der Ausführung des Herrn Raspe bemerkt Herr T ö 1 c k e folgendes. Er kenne die Essener Verhältnisse ziemlich genau.(2) Die Parteimitglieder seien dort in Uneinigkeit gerathen. Während der Haft Raspe's hätten dieselben Herrn Sauerborn zum 1) SD Nr. 44 (14. 4 . 1 8 6 9 ) . Ausgelassen wurden die Grußadressen. 75

Bevollmächtigten gewählt, der auch vom Präsidium bestätigt sei. Als Herr Raspe entlassen worden, habe sich derselbe von einem Theile der Mitglieder wieder als Bevollmächtigter in Vorschlag bringen lassen. In Folge dessen sei der Zwiespalt unter den Mitgliedern entstanden. Es seien von Seiten der Anhänger des Herrn Sauerborn Anschuldigungen gegen Herrn Raspe und umgekehrt erhoben. Er habe in seiner Eigenschaft als Vicepräsident bei Gelegenheit seiner Anwesenheit in Westphalen geordnete Zustände in Essen herstellen wollen und zu dem Ende angeordnet, daß eine Mitgliederversammlung anberaumt werden sollte, ebenso eine Sitzung des Ausschusses der Genossenschaft der Berg-, Hütten- und Salinen-Arbeiter. Als er nach Essen gekommen sei, habe er erfahren, daß weder die Versammlung noch die Ausschußsitzung einberufen worden, weshalb er unverrichteter Sache nach Berlin habe zurückkehren müssen. Wie man ihm mitgetheilt habe, solle Herr Raspe die Einberufung der Versammlungen vereitelt und-geäußert haben, dieselben seien nicht nöthig. Später habe Herr Raspe Mitglieder-Versammlungen durch den "Social-Demokrat" berufen wollen, es sei j e doch die Annonce nicht veröffentlich worden, weil sie mit den Worten: "Das Provisorium" unterzeichnet gewesen. Wie die Vollmachten der Essener Delegirten ausweisen, seien in Essen nur 60 Mitglieder. Das sei ein Beweis, daß für den Allg. deutschen Arb. -Verein dort nichts gethan sei, wie dies auch rücksichtlich der bezeichneten Genossenschaft der Fall gewesen. Der Vereinspräsident beabsichtige, gleich nach der Generalversammlung nach Essen zu reisen, um endlich geordnete Zustände herzustellen. Die auf die Angelegenheit bezüglichen Schriftstücke seien zur Stelle und beantrage er, eine Commission mit der Durchsicht derselben und mit der Berichterstattung zu beauftragen. Die Generalversammlung genehmigt den Antrag und es werden die Herrn B r e u e r , F r i c k und R e a l in die Commission gewählt. Herr B r a c k e wundert sich darüber, daß der Vicepräsident nicht zur Ordnung gerufen wurde, weil er Jeden einen Verräther nannte, der an der Organisation rütteln oder dieselbe reformiren wolle. Dazu sei jedes Mitgleid berechtigt. Er beantragt den nachträglichen Ordnungsruf. Der P r ä s i d e n t bemerkt, daß man bei der Redefreiheit mit dem Ordnungsruf gelinde verfahren müsse. Herr v. H o f s t e t t e n verlangt Abstimmung über den Ordnungsruf. Es sei eine Beleidigung, wenn man von Verräthern spreche. Herr H i r s c h tadelt ebenfalls den Ausdruck Tölcke's. Herr T ö l c k e erklärt, daß er nicht diejenigen für Verräther erklärt habe, welche auf ordnungsmäßigem Wege eine Reform anstrebten, sondern diejenigen, welche wie Herr Vogel - ausgesprochenermaßen nur Mitglieder blieben, um die Organisation zu untergraben. Ein solcher meine es nicht ehrlich mit dem Vereine und deshalb nehme ei den Ausdruck nicht zurück. Nach längerer Debatte, an welcher sich die Herren

2) Essen war 1868 zum Vorort der Bergarbeitergewerkschaft und F.W.Raspe, der Bevollmächtigte des Essener ADAV, zum Vizepräsidenten gewählt worden. Doch spaltete sich 1868 der Essener ADAV in 2 Lager, als Raspe eine Haftstrafe antreten mußte und Sauerborn an seiner Stelle zum Bevollmächtigten für Essen ernannt wurde. Bis zur GV in Barmen war es nicht gelungen, die Einheit des Essener ADAV wieder herzustellen. Tölcke hatte im Februar 1869 versucht, als Präsident der Bergarbeitergewerkschaft und Vizepräsident des ADAV die Einheit des Essener ADAV wieder herzustellen, war aber gescheitert. Vergl. Möllers S. 54ff. 76

V o g e l , K l e i n , v . B o n h o r s t , H i r s c h , V . H o f s t e t t e n u n d B r a c k e betheiligten, zieht Letzterer seinen Antrag zurück, der von Herrn v. H o f s t e t t e n wieder aufgenommen wird. Der P r ä s i d e n t erklärt, daß Herr Vogel zu ihm gesagt habe, er bleibe nur im Vereine, um dessen Organisation zu s t ü r z e n , worauf Herr Vogel bemerkt, daß er nicht gegen die Organisation überhaupt sei .sondern nur gegen die gegenwärtige. Nachdem Herr T ö l c k e bemerkt hatte, daß man gegenseits unablässig das Präsidium angegriffen habe und man auch diesem Redefreiheit gewähren müsse, so wie daß er es auf die Abstimmung ankommen lassen wolle, zieht Herr v. H o f s t e t t e n den Antrag auf Ordnungsruf ebenfalls zurück. Pause von 3 bis 5 Uhr Nachmittags. . . . Ein Antrag des Herrn L i c h t e r s , daß diejenigen Delegirten, welche sich der Abstimmung enthalten haben, aufgefordert werden sollten, j e t z t mit einem bestimmten " J a " oder "Nein" zu stimmen, um nicht dem Publikum gegenüber irgend einen Schein b e stehen zu lassen, als ob dennoch eine Art von Mißtrauen gegen den Vereinspräsidenten vorhanden sei, giebt diesem Veranlassung, wiederholt zu bemerken, daß die Herren Liebknecht und Bebel sich nicht an ihn gewandt, vielmehr hinter seinem Rücken mit einzelnen Mitgliedern in Verbindung getreten seien. Er habe im Reichstage Bebel unterstützt. Wenn er gestern gewünscht habe, daß ein allgemeines Vertrauensvotum abgegeben werde, dann sei es lediglich aus Rücksicht auf den Verein und die Partei g e schehen. Er glaube nicht, daß eine Verschmelzung mit der Volkspartei möglich sei, wohl aber ein Zusammengehen in einzelnen Fragen. Innerhalb des Vereins dürfen keine Umtriebe stattfinden und würde er als gewählter Vertreter des Vereins auch in dieser Beziehung seine Schuldigkeit thun. Hierauf wird die Generaldiskussion wieder eröffnet. Herr F r i c k spricht gegen die Verlegung des Vorstandes an einen Ort. Er will nicht dem Vorstande die höchste Macht im Vereine übergeben wissen, welche nur der Generalversammlung zustehe. Es komme vorzugsweise auf das Praktische an, und deshalb dürfe das Präsidium nicht so beschränkt werden, wie es die Erfurter Anträge b e zwecken. Gegen den Antrag von Vogel, Karger und Genossen bemerkt er, daß, wenn es noch eine andere Partei gebe, welche die Arbeiter-Interessen verfolge, sich diese Elemente uns anschließen müßten. Es scheine ihm nur der Zweck vorzuliegen, Rollen spielen zu wollen. Die Generalversammlung des Allg. deutsch. Arb. -Vereins sei ein richtiger deutscher Arbeiter-Congreß. Er verwerfe nicht ohne Weiteres andere Ansichten in Betreff der Organisation, allein der centralistische Geist müsse aufrecht erhalten werden. Innerhalb Deutschlands hätten wir mit der Internationalen-Arbeiter-Association nichts zu schaffen. Er bekämpft ferner den Antrag von Rokicki, der die Agitation auf Norddeutschland beschränken wolle. Die Macht der Arbeiter lege nicht nur innerhalb des Norddeutschen Bundes, sondern auch im Süden. Es komme nicht allein darauf an, Abgeordnete in den Reichstag zu bringen, sondern die Idee des Socialismus zu verbreiten und für diese sei im Süden ein guter Boden. Herr V o g e l zieht den von ihm, Kärger und Genossen gestellten Antrag zurück, und bemerkt, daß es nicht ganz richtig sei, wenn der Präsident behaupte, daß Liebknecht und Bebel sich nicht an ihn, sondern an andere Mitglieder gewandt hätten. Der Präsident habe ihm verbieten wollen, sich mit Anderen in Verbindung zu setzen. Es sei gleich, ob die freie Entwickelung des Menschen durch die Militärmacht oder durch andere Elemente beeinträchtigt werde. Die Generalversammlung möge sich darüber aussprechen, ob der Präsident befugt sei, einem Mitgliede zu untersagen, sich mit Anderen in Verbindung zu setzen. Er liest einen Brief vor, worin der Präsident ihm 77

schreibt, daß er mit seinen Klagen sich an die Generalversammlung wenden möge, jetzt aber zu schweigen habe. In Berlin werde vielfach die Meinungsfreiheit unterdrückt. Wie bei anderen Wahlen Beeinflussung stattfinde, so sei es auch bei der Präsidentenwahl gewesen. Es sei ein Mann, der anderer Meinung war, wie Herr v. Schweitzer, geohrfeigt worden. Wir müßten dies entschieden verdammen. Man solle nicht darauf pochen, daß man bei der Präsidentenwahl fast einstimmig gewählt worden. Er protestirt gegen die vom Präsidenten beabsichtigte Abstimmung der Mitglieder, da die Delegirten das Vertrauen derselben besitzen. Herr K ü h l (Langenfeld): Liebknecht habe gesagt, zwischen Demokratie und S o c i a l Demokratie sei kein Unterschied. Das sei allerdings der Fall. Bebel und Liebknecht hätten in ihrem Blatt die Idee der Gründung von Produktiv-Associationen (bei Gelegenheit der Hungersnoth in Ostpreußen) After-Socialismus genannt und damit bewiesen, daß sie auf einem andern Standpunkt stehen als wir. Gegen die Aeußerung Vogels in Betreff der Beeinflussung der Präsidentenwahl bemerkt er, daß gerade an den Orten, deren Delegirte sich der Abstimmung enthalten haben, 1300 Wähler für Herrn v. Schweitzer und nur 11 für Andere gestimmt haben. Die Delegirten hätten also ihr persönliche Ansicht ausgedrückt, nicht die ihrer Wähler. Man habe gesagt, das Vertrauensvotum sei nicht am Platze gewesen; dies sei es allerdings. Jeder habe sich nach den Reden der Herren Liebknecht und Bebel ein Urtheil bilden können. Wenn das Vertrauensvotum nicht gegeben wurde, dann hätten die Beiden Stoff gehabt, um erst recht gegen uns vorzugehen. Es sei sonderbar, daß Herr Vogel sich zum Vertheidiger der Herren aufgeworfen habe. Wenn dieselben eine Verschmelzung wollten, dann mußten sie zu uns kommen, da der Allg. deutsch. Arb. -Verein lange, vor der Volkspartei bestanden habe. Die Verweisung des Herrn Vogel mit seinen Beschwerden an die Generalversammlung sei ganz in der Ordnung gewesen und er habe Herrn Vogel für gebildeter gehalten, als daß derselbe daraus einen Vorwurf erheben würde. Man könne es dem Präsidenten doch nicht zumuthen, sich mit einzelnen Personen herumzuzanken. Herr Kühl erklärt sich gegen die Internirung des Vorstandes an einen Ort. Wenn die Vorstandsmitglieder an einem Crte wohnen, dann würden ihre Anschauungen stehts nur einseitige sein. Herr Y o r c k (Harburg) ist der Ansicht, daß der Vorstand auf die Vereinsleitung einwirken müsse; jetzt sei die Gewalt im Verein in eine Hand gelegt. Er meint, daß Bebel und Liebknecht nicht hier erschienen seien, wie vor einem Tribunal, und deshalb sei ein Vertrauensvotum nicht nöthig gewesen, umsoweniger, als ja bei der Wahl das vollste Vertrauen ausgesprochen worden. Er habe sich der Abstimmung enthalten, weil er keiner Einwirkung, keiner Pression nachgebe; es werde einen schlechten Eindruck machen, wenn der Vorstand sich wie an einem Faden hin- und herziehen lasse. Herr B r a c k e giebt zwei Gründe für seine Enthaltung von der Abstimmung an, den äußern Grund, daß ein Vertrauensvotum, welches durch Pression herbeigeführt werde, keinen Werth habe, - den innern Grund, daß die Arbeiter in Braunschweig zu der Erkenntniß gekommen wären, daß es eine Schmach für uns sei, wenn wir mit andern Arbeiterparteien im Kampfe lägen. Der Vorwurf gegen Herrn von Schweitzer, daß er die Einigung der Arbeiterparteien hindere, habe besprochen werden müssen, weil er zu wichtig war. Der Präsident habe die Erklärung abgeben müssen, daß er dem Kampfe mit der Volkspartei entsagen wolle. Heute habe derselbe dies gethan und er b e grüße die Erklärung mit Freuden. Wir dürften nicht so streng gegen die Nürnberger Vereine vorgehen. Diese seien ein Verband Schulzescher Vereine gewesen, in welchen die Flamme des Socialismus gefahren sei. Es wäre natürlich, daß den Leuten noch immer ein Schulze'scher Ballast anhänge. Wenn wir einige Aenderungen an der Organisation vornähmen, dann würden sie schon herüberkommen; daß sie ohne Wei78

teres mit Sack und Pack zu uns Ubergingen, könne man nicht von ihnen verlangen. Es seien Aeußerungen gefallen, die eine große, tiefgehende Erbitterung zeigten. Er glaube, daß auf beiden Seiten gesündigt worden. Von den Beschuldigungen gegen die Redaktion des Vereinsorgans sei ein guter Theil wahr. Der Verstand müsse lebensfähiger gemacht werden, dann erst handelten wir nach dem Statut. Dadurch würden wir die Zwietracht zerstreuen und geeinigt dem Feinde entgegengehen können. Der P r ä s i d e n t bemerkt, daß er auf die von Herrn Liebknecht und Bebel gestellte Bedingung einer Einigung, nämlich zurückzutreten, nicht habe eingehen können. Er sei gewählt worden und habe die Wahl angenommen und deshalb sei zum Rücktritt kein Grund vorhanden gewesen. Herr K l e i n macht darauf aufmerksam, daß die Herren Liebknecht und Bebel die Generalversammlung nicht als Schiedsrichterin anerkennen wollen. Dieselben strebten offenbar nach der Herrschaft, sonst hätten sie den Präsidenten nicht zu bestimmen versucht, sein Amt niederzulegen. Bei der Gründung des Vereines sei Liebknecht in London gewesen, von Bebel habe man damals nichts gewußt. Nach dem T o d e Lassalle's hätten Liebknecht und Andere die Bewegung in Deutschland in die Hand zu bekommen gesucht. Wir hätten in den verschiedenen Generalversammlungen erklärt, daß wir dies nicht wollten. Eine Einigung sei nur möglich auf dem Boden des Allg. deutsch. Arb. Vereins. Herr Hirsch habe sich einen Demokraten und Republikaner genannt; der sei aber kein Demokrat, der nur Recht für sich haben wolle. Nur dann, wenn auf ein strammes Commando gehandelt werde, sei eine kräftige Bewegung möglich. Weil die Organisation das feste Band der Arbeiter sei, gerade deshalb werde sie angegriffen. Es müsse jeder Zerrüttung entgegengetreten werden und deshalb sei auch die Aeußerung des Herrn Hirsch zu tadeln, daß die Thüringer Mitglieder abfallen würden, wenn die Organisation nicht geändert werde. Herr B r e m e r (3) ersucht die anwesenden Mitglieder aus Barmen-Elberfeld,nicht durch stürmische Kundgebungen auf die Delegirten einzuwirken. Seine Mandanten hätten ihm den bestimmten Auftrag ertheilt, die Organisation des Allg. deutsch. -Arb. Vereins aufrecht zu erhalten. Die Magdeburger hätten sich zuerst zur Nürnberger Majorität bekannt, allein sie hätten sich überzeugt , daß die Organisation des Allg. deutsch. Arb. -Vereins die beste sei. Die Magdeburger seien keine Arbeiter irgend einer Persönlichkeit. Die Grundlage der Organisation dürfe nicht verändert werden, wohl aber müsse die Verwaltungsmaschine den Zeitverhältnissen angepaßt werden. Die Sachsen sagten, sie träten dem Vereine nicht bei, weil Herr v. Schweitzer an der Spitze stehe, und wir wollten mit Bebel und Liebknecht nichts zu schaffen haben, weil auch dort der Personencultus vorhanden sei. Wir müßten den Leuten Zeit lassen, ihre spießbürgerlichen Anhängsel abzustreifen. Die Wucht der ökonomischen Thatsachen werde unfehlbar die Einigung der Arbeiter herbeiführen. Herr Bremer bittet den Vereinspräsidenten, die Zeitverhältnisse zu würdigen und dazu mitzuwirken, daß eine Organisation geschaffen werde, welche jenen Verhältnissen entspreche. - Herr B r e u e r gesteht Niemand das Recht zu, seine Abstimmung zu kritisiren. Er sei beauftragt worden, sich über die Bebel-Liebknecht'sche Angelegenheit Aufklärung zu verschaffen. Der Präsident habe keine Veranlassung, zu glauben, daß einige der Delegirten, welche sich der Abstimmung enthalten haben, mit anderen Parteien in Verbindung ständen, oder Mißtrauen gegen ihn hegten. Herr Kühl habe den Ausdruck "Schufte" gebraucht, was er entschieden tadeln müsse. Er empfiehlt die schlesischen Anträge und den Druck einer Broschüre, in welcher die Vergangenheit des Vereins dargestellt wird. 3) Zur Rolle Bremers vergl. Eckert, Unveröffentliche Bracke-Briefe, S. 23. 79

17f [5. Fortsetzung] (1)

T. B a r m e n , 30.März 1869 Herr G e i b (Hamburg) weist die Behauptung des Präsidenten, daß er mit anderen Elementen in Verbindung gestanden habe, zurück. Er habe bei der Präsidentenwahl für Herrn v. Schweitzer plaidirt, er könne aber nicht zugeben, daß die persönliche Meinung auf der Generalversammlung kritisirt werde. Die Organisation sei ohne Zweifel eine bewährte. Die Hamburger Mitglieder hätten nur in Betreff der Verwaltungsmaschine Anträge gestellt, z. B. auf Einsetzung einer Redaktions-Commission. Es sei von denselben ferner die Besoldung der Vereinsbeamten beantragt. Dadurch werde die Beweglichkeit der Beamten größer gemacht, da sie sich ganz den Vereinen widmen können. Die betreffenden Personen müßten sichergestellt sein. Herr Geib motivirt ferner die Hamburger Anträge in Bezug auf das Geschäfts-Reglement. Ueber die Bebel-Liebknechtsche Angelegenheit habe er zu andern Delegirten gesagt, daß man sich mit derselben nicht befassen möge. Sein Verfahren in Betreff der Abstimmung werde von den Hamburger Mitgliedern gebilligt werden. Herr H i r s c h spricht zu Gunsten der Erfurter Anträge auf Statutenänderung und auf Trennung der Redaction des Vereinsorgans vom Präsidium. Gegen Schumann bemerkt er, daß die Delegirten hierher gekommen seien, um zu organisiren, deshalb könne Niemand ein Verräther genannt werden. Herr v o n B o n h o r s t bemerkt, daß die Herren Liebknecht und Bebel auch die süddeutschen Agitatoren angegriffen hätten. Bei der Agitation habe sich die Verschiedenheit der Principien klar herausgestellt. Die Angriffe der Herren seien wahrscheinlich eine Folge des Antrags von Vogel und Genossen. Nie und nimmer könnten wir mit ihnen zusammengehen. Die Partei der Herren Liebknecht und Bebel sei keine socialdemokratische, sie gebe dies nur vor. Es müsse dahin gestrebt werden, daß die Organisation des Allg. deutsch. Arb. -Vereins sich so ausbilde, wie sie für den künftigen Staat nothwendig sei. Ob dies heute schon möglich sei, wisse er nicht. Jedenfalls müsse der Vorstand lebensfähiger gemacht werden. Herr Röttgen habe gemeint, die Agitation in SUddeutschland sei nicht nöthig gewesen. Das sei unrichtig. Wenn noch eine Möglichkeit vorhanden sei, die deutschen Stämme zu vereinigen, dann sei es der socialistische Gedanke. Er begrüßt den Antrag des Präsidenten in Betreff der Internationalen Arbeiter-Association.(2) Wir paßten aber heute noch nicht in deren Organisation. Es könne im Prinzip der Anschluß erklärt werden, was auch schon vor Liebknecht und Bebel geschehen sei. Auf den von ihm in Betreff der Organisation gestellten Antrag will Herr v. Bonhorst bei der Spezialdiskussion zurückkommen. Der von mehreren Delegirten beantragte Schluß der Generaldiskussion wird angenommen. Der P r ä s i d e n t bemerkt, daß leicht das Mißverständniß entstehen könne, als sei er der Entwickelung der Organisation entgegen. Dies sei nicht der Fall; er sei der Partei stets vorangegangen und nicht nachgehinkt. Nur müsse eine wirkliche Entwickelung nicht eine Verschlechterung und Lahmlegung der Organisation beabsichtigt sein. In der Angelegenheit Liebknecht-Bebel hege er den aufrichtigen Wunsch, mit jenen Her1) SD Nr.45 (16.4.1869). Die folgenden Berichte Tölckes über die GV in Barmen folgten nicht mehr auf der Titelseite, sondern im Vereins-Teil. Ausgelassen wurden wiederum die Grußadressen. 2) Zu Schweitzers Antrag siehe G.MayerS.282, zu seiner Korrespondenz mit Marx siehe Mehring, Schweitzer S. 273ff. 80

ren Frieden zu halten. Dies setze aber voraus, daß dieselben ihre Angriffe, Unterwühlungen und Feindseligkeiten gegen den Verein unterließen; dann werde der Friede von selbst kommen. Wir seien nicht die Angreifer, sondern die Angegriffenen, die zur Vertheidigung genöthigt waren. Im Uebrigen hoffe er, daß das allseitige Aussprechen der Meinungen in der Generaldiskussion die Ansichten geklärt und alle etwaigen Mißverständnisse beseitigt habe. Wir müßten einig sein, sonst seien wir bedeutungslos Nach einer Reihe persönlicher Bemerkungen von Seiten der Herren F r i t z s c h e , V o g e l , L . S c h u m a n n , Raspe, Röttgen, Frick, Mann, Kühl, Deppel, Winn e r (Iserlohn) und K a i s e r wird zur Special-Discussion der Vorlagen geschritten. . . .

17g [6. Fortsetzung] (1) T. B e r l i n

19.April 1869

Bei der Spezialdiskussion der Vorlagen und Anträge gelangte am 29. März zunächst der Antrag des Präsidenten in Betreff der Internationalen Arbeiterassociation zur Verhandlung. Der P r ä s i d e n t bemerkt, daß der Antrag in sich selbst begründet sei. Nur einen Punkt wolle er aufklären, nämlich die Frage, was zu thun sei, wenn in Deutschland die Gesetze den Eintritt des Allg. deutsch. Arb. -Vereins in die Internationale Association erlaubten. In diesem Falle müsse der Verein mit seiner gesammten Organisation in die Association eintreten und eine entsprechende Vertretung in den Centraibehörden erhalten. Herr B r e m e r spricht für den Antrag des Präsidenten und ist der Ansicht, daß Jeder das Recht haben müsse, neben dem Allg. deutsch. Arb. -Verein auch der Internationalen Association anzugehören. Herr K ü h l führt an, daß ihn die Auseinandersetzung des Präsidenten in dem Punkte beruhigt hätten, daß durch den Anschluß unsere Organisation nicht geändert werden brauche. Herr v. B o n h o r s t konstatirt, daß dieser Antrag von den Wiesbadener Mitgliedern schon in der Hamburger Generalversammlung des früheren Vereins gestellt worden. Er bemerkt, daß er sich in Basel mit Mitgliedern der Association besprochen habe und wünscht, daß dem Abschnitt b der Zusatz hinzugefügt werde: "und weil die Internationale Arbeiterassociation in ihrer Organisation noch nicht mit der des Allg. deutsch. Vereins übereinstimmt. " Der P r ä s i d e n t erläutert die Organisation der Association. Dieselbe ermögliche a l len Organisationen den Eintritt. Es sei nicht möglich, bei der Association eine Centralisation einzuführen, wie sie der Allg. Deutsch. Arb. -Verein habe und in einem einzelnen Staate durchführbar sei. Eine solche Centralisation würde nur eine künstliche sein und deshalb wäre die Einrichtung der Internationalen Association richtig. Er beantragt, den Zusatz des Herrn v. Bonhorst zu verwerfen, da in diesem Zusatz gewissermaßen ein Tadel gegen die Internationale ausgesprochen sei. Der Allgem. deutsch. Arb.-Verein habe ein ausgeprägtes Programm, welches genauer sei, wie das der Nürnberger Majorität. Herr B r e m e r beantragt, den Passus d dahin zu erweitern, daß es hinter den Worten: "mit der Association" heiße, "sowie mit denjenigen Arbeitervereinen, die sich eben1) SD Nr. 47 ( 2 1 . 4 . 1 8 6 9 ) . 81

falls den Bestrebungen der Association angeschlossen haben. " u. s. w. sowie als Abschnitt e hinzuzufügen: "Jedem Mitgliede des Allg. deutsch. Arbeiter-Vereins steht es frei, Mitglied der Association zu werden". Nach weiterer Debatte Uber den Gesammtantrag wird der Zusatzantrag von B o n h o r s t und der erste Theil des Bremer'schen Amendements verworfen, der zweite Theil, den der Präsident als selbstverständlich bezeichnete, angenommen. Darauf wird der ursprüngliche Antrag des Präsidenten ebenfalls angenommen, welcher mit dem zweiten Theile des Bremer'schen Amendements lautet, wie folgt: "Die Generalversammlung erklärt: Die reaktionären oder volksfeindlichen Elemente - insbesondere der offene oder verhüllte Absolutismus, die Militär-, Adels- und Priesterherrschaft und die Capitalmacht der "liberalen" Bourgeoisie - sie alle lasten in der ganzen modernen Culturwelt mehr oder minder auf dem arbeitenden Volke. Da diese volksfeindlichen Elemente in den verschiedenen Staaten und über die Gränzen derselben hinaus sich gegenseitig stützen und halten, so daß im Großen eine Beherrschung der ganzen Culturgesellschaft durch bevorzugte Klassen stattfindet, so kann der Kampf gegen jene volksfeindlichen Elemente und ihre Herrschaft nur im internationalen-Zusammenwirken des arbeitenden Volkes mit Erfolg geführt werden. Aus diesem Grunde erklärt die G. V. weiter: a) Der Verein s c h l i e ß t s i c h d e m P r o g r a m m u n d d e n B e s t r e b u n g e n der I n t e r n a t i o n a l e n A r b e i t e r a s s o c i a t i o n an. b) Wenn der Verein nicht in die Association eintritt, so u n t e r l ä ß t e r d i e s l e d i g l i c h im H i n b l i c k auf d i e in D e u t s c h l a n d b e s t e h e n d e V e r einsgesetzgebung. c) Der Verein erkennt es als seine Pflicht, auf die Abschaffung dieser Gesetzgebung und auf die E i n f ü h r u n g d e s v o l l e n u n d u n b e s c h r ä n k t e n V e r e i n s u n d V e r s a m m l u n g s r e c h t e s hinzuwirken, insbesondere aber die Ueberzeugung zu verbreiten, d a ß d e r S t a a t k e i n R e c h t h a t , d u r c h s e i n e G e s e t z e die f r e i e E n t w i c k e l u n g der f r i e d l i c h e n A r b e i t e r b e w e g u n g zu v e r h i n d e r n . d) So lange der Eintritt in die Association nicht stattfinden kann, wird der Verein fortwährend mit der Association möglichst in t h a t s ä c h l i c h e r U e b e r e i n s t i m m u n g und t h a t s ä c h l i c h e m Z u s a m m e n w i r k e n zu v e r b l e i b e n suchen. e) federn Mitgliede des Allg. deutsch. Arb. -Vereins steht es frei, Mitglied der Association zu werden." Dadurch ist der hierauf bezügliche Antrag von Barmen erledigt. Bei der hierauf folgenden Debatte Uber den Hamburger Antrag, den ersten Abschnitt des § 4 der Vereinsstatuten dahin abzuändern: "Die Angelegenheiten des Vereins werden verwaltet durch den Vorstand, bestehend aus einem Präsidenten und 24 Mitgliedern, unter welchen ein Kassirer und ein Sekretär. Präsident, Kassirer und Sekretär werden für ihre Bemühungen entschädigt. 1(2) 2) Die l.GV des ADAV, die vom 27.12. bis zum 30.12.1864 in Düsseldorf tagte, hatte auf Antrag Fritzsches das Amt des besoldeten Sekretärs mit dem des unbesoldeten Präsidenten zusammengelegt und das Gehalt von 400 auf 500 Talern erhöht. Tölcke hatte als Präsident durch Verordnung vom 29.3.1866 beide Ämter wieder getrennt. Bezüglich der Besoldung wurde "eine die Kassen-Verwaltung nicht berührende Einigung" getroffen. Vergl. Nr. 43. 82

erklärt der P r ä s i d e n t , daß er, so lange er Präsident des Vereins k e i n e n G e h a l t wünsche: daß er zwar, wenn man dennoch die Besoldung auch des Präsidenten beschließe, sich um des Prinzips willen, der Generalversammlung zu fügen habe, dann aber dringend bitte, nur einen s e h r m ä ß i g e n Gehalt anzusetzen; er wolle nicht, daß es heiße, er lebe von den Pfennigen der Arbeiter; der etwaige Gehalt dürfe daher nur ganz unbedeutend sein. In die Debatte, an welcher sich die Herren P e r l , B r e mer, Breuer, Klein, V.Hofstetten, Hirsch, Vogel, Kühl, Frick, F r i t z s c h e und E l l n e r betheiligen, wird gleichzeitig die Frage über die Zuläßigkeit der Erfurter Anträge auf Statutenänderung verhandelt.(3) Herr F r i t z s c h e beantragt Ernennung einer Commission, welche für die nächste Generalversammlung Vorschläge zur Abänderung der Statuten ausarbeiten soll. Bei der Debatte über die Erfurter Anträge dreht es sich schließlich um die Vorfrage, ob der jetzige Verein und dessen Statut endgültig besteht oder nicht und diese Frage wird bei der Abstimmung bejahet, auch der Antrag des Herrn Fritzsche in Betreff der Statuten-Revisions-Commission angenommen und bestimmt, daß die Mitglieder derselben aus fünf Personen bestehen und an einem Orte oder in benachbarten Orten wohnen sollen, und zwar auf den Vorschlag des P r ä s i d e n t e n - in Hamburg nebst Umgegend. Auf den Vorschlag des Herrn F r i t z s c h e wurden in die Commission gewählt die Herren G e i b , P e r l , L e v i e n (Hamburg), Y o r c k (Harburg) und v. Da a c k e (Altona). Abends 10 Uhr. wurde der Schluß der Sitzung vom 29. März beantragt und angenommen. Am 30. März eröffnete der Präsident Morgens 10 Uhr wiederum die geschlossene Sitzung der Generalversammlung mit Verlesung einer Zuschrift der Lassalleaner in Paris, welche von der Generalversammlung mit lebhaften Zurufen begrüßt wurde. Herr B r a c k e berichtet im Namen der Commission zur Prüfung der Vollmachten über mehrere Mandatbeitragungen von Seiten der bereits abgereisten Delegirten. Zu dem Hamburger Antrage auf Aenderung des § 4 des Status sind folgende Amendements eingegangen: 1) von Herrn H i r s c h : " D e r V o r s t a n d b e s t e h t a u s 12 M i t g l i e d e r n " 2) von Herrn B r a c k e : Hinter dem Worte "Vorstand" hinzuzufügen: "Bestehend aus einen Präsidenten, einem Kassirer und einem Secretär und 12 anderen Mitgliedern, welche letztere an einem Orte wohnen müssen". Herr B r a c k e hält Nebenanträge zu dem Hamburger Hauptantrage für zulässig. Die Generalversammlung habe das Recht, Nebenanträge zu stellen und dieses Recht müsse gewahrt werden. Herr P e r l bemerkt, daß in dem Hamburger Antrage nicht die Rede von einer Besoldung, sondern nur von einer Entschädigung sei. Er ist für die Internirung des Vorstandes an einen Ort, weil bei der bisher bestandenen Einrichtung der Vorstand nicht in der Lage sei, zu handeln. Man möge wenigstens den Versuch machen. Herr B r a c k e : Der Vorstand habe gewisse Geschäfte zu besorgen. Es solle bei Differenzen zwischen dem Präsidenten und dem Verein die Sache nicht bis zur nächsten Generalversammlung ausgesetzt werden. Wenn die Sache wichtig sei, dann müsse der Verstand in kurzer Zeit eine Generalversammlung einberufen. Es müsse zu Gunsten der Mitglieder eine Einrichtung getroffen werden gegenüber einer etwa abweichenden persönlichen Auffassung des Präsidenten. Durch eine solche Einrichtung würde den Gegnern der Grund zu der Behauptung entzogen, daß wir keine demokratische Einrichtungen hätten. 3) Siehe Nr. 17 1 83

Der P r ä s i d e n t überträgt den Vorsitz an Herrn P e r l . Herr Y o r c k ist für die Venheilung des Vorstandes auf verschiedene Agitationsbezirke. Der P r ä s i d e n t wünscht länger als die bestimmten 5 Minuten sprechen zu dürfen, womit die Generalversammlung sich einverstanden erklärt. Er bemerkt dann, daß wenn er seine Meinung der G. V. vortrage, es heiße, er übe Pression aus, und daß, wenn er stillschweige, wie in Hamburg, ebenfalls wieder Beschwerde erhoben werde, er äußere nicht rechtzeitig seine Meinung; wie solle er es nun machen, um Allen gerecht zu werden? Er wolle seine Meinung der G. V. vortragen, jetzt, v o r h e r seine Meinung ausprechen; nicht, wie in Hamburg, n a c h einer wichtigen Abstimmung. Er bestreite nicht schlechthin das Recht der Aenderung der Organisation durch die Generalversammlung. So lange aber die jetzige Einrichtung mit einem Präsidenten an der Spitze bestehe, müsse diesem auch die Möglichkeit gegeben sein, handeln zu können. Er erläutert dann den Unterschied zwischen einem Präsidenten und einem Directorium. Es sei weit vernünftiger, gleich ein Direktorium an Stelle des Präsidenten zu setzen, als den Präsidenten durch den Vorstand lahmzulegen. Ein Direktorium, obschon ein solches zu thatkräftigem Handeln weit weniger geeignet sei, als ein Präsident, sei doch immer noch besser, als ein gefesselter Präsident. Man müsse einen g a n z e n Präsidenten haben oder gar k e i n e n ; nicht aber einen halben. Deßwegen dürfe der Vorstand, auch wenn er an Einem Orte beisammen sei, gegen welches Beisammensein er, der Präsident, nichts einzuwenden habe, doch mit der eigentlichen Parteileitung nichts zu thun haben. Wolle der Vorstand sich einmischen, so sei eine doppelte Leitung da, was zum höchsten Schaden gereichen müsse. Jede Stunde, die er dem Verkehr mit einer solchen Körperschaft opfern müsse, sei für den Verein verloren, weil er dadurch verhindert werde, in den verschiedensten Beziehungen das Interesse des Vereins zu befördern. Hingegen wünsche er selbst dringend eine Einrichtung die das ermögliche, den Präsidenten in kürzester Frist von seinem Posten zu entfernen. So lange er aber im Amte sei, dürfe ihm kein Hemmschuh angelegt werden, allein es sei demokratisch, dafür zu sorgen, daß der Präsident nicht sein Amt mißbrauchen könne. In einer solchen wichtigen Stellung könne sich ein Mann, dem man die ganze Verantwortlichkeit auferlege, keine hemmenden Fesseln anlegen lassen. Es dürfe die Beschränkung nicht über ein gewisses Maß hinausgehen. Er habe bis jetzt, wie der Verein neuerdings durch die Wahl erklärt habe, im Ganzen seinen Posten richtig ausgefüllt, und dies sei nur m ö g lich gewesen durch seine Unbeschränktheit.

17h [7. Fortsetzung] (1) T . B e r l i n , 20. April 1869 Herr S c h u m a n n (Berlin) hat gefunden, daß der Präsident wirklich mit Arbeiten überbürdet sei, die unnöthig wären; indeß müsse man doch der Aussenwelt gegenüber den Schein beseitigen, als ob eine Dictatur bestände. Herr S p i e r beantragt, die Redezeit von 5 Minuten auf 15 Minuten auszudehnen. Die Generalversammlung bestimmt die Zeit auf 10 Minuten. 1) SD Nr. 48 ( 2 3 . 4 . 1 8 6 9 ) . 84

Herr S p i e r : Man dürfe sich nicht in die Furcht jagen lassen, als hänge der Verein von einer Person ab. Er meint, daß der Verein sich unter allen Umständen entwickeln werde. Wenn keine begabte Person an der Spitze stände, so müsse dieselbe vom Vorstande controllirt werden; stehe eine sehr begabte Person an der Spitze, dann liege die Gefahr vor, daß dieselbe ihre Gewalt mißbrauche. Wenn der Vorstand an einem Orte concentrirt sei, dann könne eine begabte Person Einfluß auf denselben üben. Er will den Vorstand in einen engem und einen weitern eingetheilt wissen, und zwar in drei Gruppen: am Orte des Präsidiums, in einer Stadt Norddeutschlandsund in einer Stadt SUddeutschlands. Wenn bei Differenzen die geringste Minorität vorhanden sei, dann müsse der andere T h e i l des Vorstandes hinzugezogen werden. Der P r ä s i d e n t übernimmt wiederden Vorsitz. Herr F r i t z s c h e : Einmal ständen wir im Kampf und das anderemal müßten wir demokratische Einrichtungen vorbereiten; wir müßten also auf der einen Seite die Centralisation, die Disciplin haben und auf der anderen Seite bestrebt sein, dem Volke demokratische Einrichtungen zu geben. Er habe früher schon den Vorschlag zur Concentrirung des Vorstandes gemacht. Er ist dafür, daß nicht nur die Generalversammlung, sondern auch der Vorstand das Recht habe, den Präsidenten abzusetzen. Dann müsse ersterer aber binnen 8 Tagen die Vertheidigung des Präsidenten den Mitgliedern zugänglich machen. Wir müßten in Betreff des Kampfzustandes Einrichtungen treffen, aber auch dem Präsidenten eine Verletzung der demokratischen Grundlagen unmöglich machen. Herr v. B o n h o r s t : Wir haben es in der gegenwärtigen Frage nicht mit dem j e t z i gen oder einem späteren Präsidenten zu thun, sondern mit einer Statuten-Einrichtung, welche den Verein als Vorbild für die künftige Staatsform hinstelle. Wenn der Präsident mit dem Vorstande in Verbindung treten müsse, dann sei dies kein Zeitverlust, sondern Zeitgewinn. Wir hätten es aber nicht mit einer Person zu thun und könnten darauf keine Rücksicht nehmen. Eine demokratische Einrichtung sei eine fortwährende Controlle, nicht aber eine zeitweilige. Wir seien unserm jetzigen Präsidenten Dank schuldig für seine Führung, allein dies dürfe uns nicht abhalten, demokratische Aenderungen aus Rücksicht für denselben zu unterlassen. Er ist gegen ein Direktorium. Hingegen die Centralisation des Vorstandes sei nicht eine Hinderung, sondern eine Deckung des Präsidenten gegenüber dem Verein. Herr F r i c k ist für das Fortbestehen des Vorstandes einstweilen in der bisherigen Weise. Es sei ja eine Commission zur Statutenrevision eingesetzt, welcher man die Angelegenheit überweisen möge, damit dieselbe auf der nächsten Generalversammlung endgültig geregelt werde. Herr V o g e l : So großen Respekt er vor der Würde des Präsidenten habe, so sei es doch höchst undemokratisch, daß e i n e Person selbstständig vorgehen könne. Aber es liege in der Entwickelung des menschlichen Geistes, daß man von einem Standpunkt nicht p l ö t z l i c h auf den andern springen könne. Die Geister könnten sich an die Entbehrung der Autorität nur allmählich gewöhnen und deshalb sei er gegen das Direktorium. Es seien damals in der Hamburger Generalversammlung auch Vorschläge zur Gruppenbildung des Vorstandes gemacht worden; man habe aber eingesehen, daä dann die Zersplitterung noch immer dieselbe sei.(2) Der Präsident habe gesagt, e: sei ein Raub an der Partei, wenn er verhindert werde, frei fortzuarbeiten. Dies h ä l t zi für falsch. Wenn ein Einzelner auch noch so viele Kenntnisse habe, so läge es dcch in der Idee des Socialismus, daß nur durch Zusammenwirken etwas ge2) Die Hamburger GV tagte vom 22. - 2 6 . 8 . 1 8 6 8 . Das Protokoll ist nicht erhalten. 85

schaffen werden könne. Durch die Führung Lassale's habe man sich daran gewöhnt, weniger selbstständig zu handeln; es müsse daher ein Uebergang stattfinden und nicht eine direkte Einrichtung eines Direktoriums. Nach längerer Debatte, die keine neuen Gesichtspunkte zu T a g e fördert und an welcher sich die Herren B r a c k e , v o n H o f s t e t t e n , Y o r c k , K ü h l , Windhöv e l , Z o l l i n g e r und B r e m e r betheiligen, wird der Schluß der Debatte angenommen.

17» [8. Fortsetzung] (1) T . B e r l i n . 29. April 1869 Nachdem (in der Sitzung vom 30. März) der Schluß der Debatte angenommen worden, schlägt der Präsident vor, die Anträge auf Abänderung der Statuten nach bestimmten Gesichtspunkten zur Abstimmung zu bringen, womit die Generalversammlung einverstanden ist. Demnächst ruft die Frage, ob die Generalversammlung berechtigt sei, Aenderungen des Status endgültig zu beschließen, welche den Rahmen des Hamburger Antrages (§ 4) überschreiten, eine längere Debatte hervor, an welcher sich unter Andern die Herren B r e m e r , F r i t z s c h e , B r a c k e , S p i e r , K l e i n , Vogel, D ü c h t i n g , P e r l , L . S c h u m a n n und der P r ä s i d e n t betheiligen. Die Frage wird verneint und bestimmt, daß über jene Aenderungen des Statuts (§§ 5 und 6) die Mitglieder in Urabstimmungen entscheiden sollen. Hierauf gelangen die Anträge zur Abstimmung, welche das i n d e m Erlaß des Vereinspräsidenten vom 8 . d . M . (Nr.42 des " S o c . - D e m . " ) bezeichnete Resultat ergiebt. Herr P e r l referirt, nachdem der Präsident den Vorsitz Herrn F r i t z s c h e übertragen hatte, im Auftrage der Beschwerde-Commission. Es seien überhaupt vier Beschwerden bei derselben eingegangen. Die erste betreffe den Umstand, daß für Leipzig eine Zeit lang keine Verwaltungsbeamten ernannt worden seien. Da die Ernennung gleich nach Eingang der Beschwerde erfolgt sei, so betrachte die Commission die Angelegenheit als erledigt. Der Delegirte für Leipzig, Herr S c h u m a n n erklärt sich damit einverstanden, eben so die Generalversammlung. Ueber die zweite Beschwerde gegen das Vorstandsmitglied Rickers in Altona werde Herr Yorck, über eine Beschwerde des Herrn Roller gegen den Präsidenten er selbst (Perl) und Uber eine Beschwerde des Herrn von Hofstetten Herr v. Bonhorst namens der Commission Bericht erstatten. Nach Erörterung des Sachverhalts durch Herrn Y o r c k beantragt derselbe namens der Commission den Ausschluß des Herrn Rickers. Auf den Vorschlag des Vorsitzenden Herrn F r i t z s c h e beschließt die Generalversammlung, sowohl dem Ankläger, als auch dem Angeklagten unbeschränkte Redezeit und dem Referenten zu jeder Zeit das Wort zu gestatten. Hierauf wird der Ausschluß des Herrn Rickers aus dem Vereine wegen Unterschlagung von Geldern beschlossen, zugleich aber auch auf Antrag der Commission die Mißbilligung darüber ausgesprochen, daß die Altonaer Ankläger für den Fall der Nichtausstoßung des Herrn Rickers mit ihrem Austritt aus dem Vereine gedroht haben. In der Angelegenheit R o l l e r sprach die Generalversammlung dem Präsidenten ihren T a d e l darüber aus, daß derselbe eine Zeit lang die Vereinsbriefe nicht durch den Ver1) SD Nr. 51 ( 3 0 . 4 . 1 8 6 9 ) . 86

einssecretär, sondern durch eine andere (nicht zum Verein gehörige) Person habe öffnen lassen. In der Angelegenheit v. H o f s t e t t e n sprach nach einer kurzen Berichterstattung des Herrn v. Bonhorst der Ankläger (v. Hofstetten) 2 1 / 2 Stunden, worauf der Angegriffene ungefähr 10 Minuten erwiderte.(2) Nachts 12 1 / 4 Uhr endete die Sitzung. Zu Beginn der nächsten Sitzung, Mittwoch Vorm. 11 Uhr, wurde der Beschluß gefaßt: " D i e G. V. nach Anhörung beider T h e i l e , findet keine Veranlaßung sich mit dieser Sache weiter zu befassen, sondern geht zur Tagesordnung Uber". Herr V o g e l wurde hierauf einstimmig aus dem Verein ausgestoßen, weil er in Unterstützung an die Hofstetten'schen Behauptungen den Präsidenten beleidigt hatte.(3) 2) Hofstetten forderte nach seiner Rückkehr aus Wien die Wiedereinsetzung in seine Anrechte auf das von ihm und Schweitzer gemeinsam gegründete Vereinsorgan. Zur Diskussion auf der GV vergl. G.Mayer S . 2 9 0 . 3) Vogel hatte Schweitzer als "ordinären Bourgeois", den man verachten müsse, b e zeichnet.

17j [9. Fortsetzung] (1) T.

B e r l i n , 30. April 1869

Hierauf wurde nach kurzer Debatte einstimmig beschlossen, dem § 6 des Statuts den Zusatz anzufügen, daß auf ausdrücklichen Antrag der absoluten Mehrheit der Mitglieder eines Ortes der Präsident ein an diesem Orte wohnendes Mitglied, auf Untersuchung an Ort und Stelle hin, wegen grober Prinzipwidrigkeit aus dem Vereine ausstoßen kann, wogegen "Beschwerde" und Appellation an die Generalversammlung freisteht. (Der Präsident hatte beantragt, daß zwei Drittheil der Mitglieder hierzu nothwendig sein sollten; die G. V. beschloß aber, daß die einfache Mehrheit genügen solle). Auf Antrag des Herrn v. B o n h o r s t ging die G. V. in Erwägung, daß zur Vorberathung und Revision des Statuts und Geschäfts-Reglements eine Commission ernannt worden, Uber sämmtliche Anträge (Dresden, Erfurt, Lüneburg, Hamburg, Berlin, Leipzig, Glauchau), welche sich auf das Geschäftsreglement u . s . w . beziehen, zur T a g e s ordnung über, ebenso über den Antrag des Herrn Dechert in Cassel in Betreff der K a r tenstempel, nachdem Herr T ö l c k e bemerkt hatte, daß solche angeschafft und vom Sekretariat zu beziehen seien. Der Auftrag (Harburg) auf Uebernahme der Hälfte der Wahlkosten auf die Vereinskasse wurdf abgelehnt, desgleichen der Antrag (Harburg) in Betreff der Veröffentlichung der in einer Sitzung der G. V. fehlenden Delegirten Der Antrag (Liebisch und Harburg) wegen Verhaltungsregeln in Beziehung auf unsere Einrichtungen e c . wurde angenommen, dagegen Uber den Antrag (Hannover) in Betreff der in Hamburg beschlossenen Geschäftsordnung mit Rücksicht auf die entgegenstehenden Polizeiverhältnisse zur Tagesordnung übergegangen. Der Antrag (Rokicki) in Betreff der Agitation wird abgelehnt und ein Antrag des Herrn T ö l c k e , zu erklären, daß die Agitation Sache des Präsidenten sei, angenommen. Auf Anfrage des Präsidenten erklärt die Generalversammlung ferner, daß sie in Betreff der Agitation besondere Vor1) SD Nr. 52 ( 2 . 5 . 1 8 6 9 ) . 87

Schriften nicht machen will; jedoch wird auf den Antrag des Herrn Spier beschlossen, daß in jedem neugewonnenen Vereinsbezirk ein besoldeter Agitator angestellt werden soll, der zugleich die Revision der Kasseneinrichtungen zu besorgen hat, und daß dem Präsidenten die Bestimmung der Diäten der Agitatoren zu überlassen sei. Der P r ä s i d e n t bemerkt, daß er beabsichtige, die Agitation zunächst in SUddeutschland, auf der linken Rheinseite, in Ostpreußen, Schlesien und Berlin betreiben zu lassen, wodurch die Agitation in einzelnen andern Gegenden indeß keineswegs ausgeschlossen werde. Demnächst werden alle auf die Agitation bezüglichen Anträge (v. Bonhorst, Harburg, Arbeitertag auf dem Eulengebirge, Weyrich, Heins, Hildesheim, Altenburg, Düsseldorf, Schlebusch, Duisburg, Bremen, Pflüger, Zorge, Walkenried, Wieda, Barmen, Iserlohn, Bielefeld, Erfurt, Schwitz, Bayenthal, Meiderich, Mülheim a. d. Ruhr, Pfersee und Elberfeld) theils zurückgezogen, theils für erledigt erklärt und der Antrag von Mülheim a.d.Ruhr mit einem Amendement des Herrn Spier dahin angenommen, daß ein Vereinsmitglied den Wahlkreis, wo Aussicht auf Durchbringung eines Candidaten, insbesondere bei einer engern Wahl, bereisen dem Kreise vorstehen, womöglich als Vorsitzender des Wahlcomite's fungiren soll und jede Wahlversammlung zu bestimmen hat, um durch einheitliche Organisationen unnütze Kosten zu vermeiden. . . . Auf Antrag des Herrn P e r l wird beschlossen, zur Feststellung der Gehälter des Präsidenten, Sekretärs und Cassirers eine aus fünf Mitgliedern bestehende Commission zu ernennen, in welche die Herren E l l n e r (Frankfurt a. M . ) , L e y e n d e c k e r (Mainz), v. B o n h o r s t (Wiesbaden), S t u t z (Frankfurt a. M . ) und H a u s t e i n (Offenbach) gewählt werden. Der Antrag (Roller) auf Feststellung der Rechte und Pflichten des Vereins-Sekretärs wird abgelehnt, über den Antrag (Bremen) in Betreff des Sekretärs zur Tagesordnung übergegangen und der Antrag (Hirsch), daß der Sekretär und der Cassirer auf jeder Generalversammlung zugegen sein müssen, angenommen. Ueber den Antrag (Haustein) ec. in Betreff des Herrn Freundschuh wird zur Tagesordnung übergegangen, desgleichen über den Antrag (Rokicki) in Betreff der Verantwortlichkeit des Führers einer Fraktion des Proletariats und über den Antrag (Peter) rücksichtlich der Fritzschen Ohrfeige. Der Antrag von L i e n i g und Genossen über die Ausstoßung von Peters, Kärger, Vogel und Rokicki wird aus Rücksicht auf die bereits anderweit gefaßten Beschlüsse von den Berliner Delegirten Fritzsche und Tölcke zurückgezogen. Die Anträge in Betreff des Vereins-Organs (Vergrößerung, öfteres Erscheinen, Trennung der Redaktion vom Präsidium u . s . w . ) rufen eine längere Debatte hervor. Der Antrag der Hamburger Mitglieder nebst Amendements der Herren Bracke und Geib wurde in folgender Fassung angenommen: "Auf jeder Generalversammlung wird ein Redaktionsausschuß, bestehend aus drei Mitgliedern, wohnhaft an dem jeweiligen Druckorte des Vereinsorgans gewählt. Dieser Ausschuß hat alle Artikel und Vereinsberichte, welchen von der Redaktion des Vereinsorgans und auch vom Vereinspräsidenten die Aufnahme verweigert wird auf Antrag der bezüglichen Verfasser zu prüfen und endgültig, v o r behaltlich des dem Präsidenten bis zur nächsten Generalversammlung zustehenden Vetos über die ganze oder theilweise Veröffentlichung der fraglichen Schriftstücke zu entscheiden. Der Redaktion des Vereinsorgans steht in den Ausschußsitzungen eine berathende Stimme zu. "IndenRedaktions Ausschuß wurden gewählt die Herren F r i t z s c h e , L ü b k e r t und S c h u m a n n in Berlin. Es wird ferner der Antrag der Mitglieder in Wolfenbüttel in Betreff der Kürzung der Versammlungsberichte in nachstehender Fassung angenommen: "In Erwägung, daß das Parteiorgan zur politischen Bildung der Ar-

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beiter nicht zur Genüge das geeignete Material liefert, wie das verschiedene politische Tagesblätter enthalten, beantragen die Mitglieder zu Wolfenbüttel die Versammlungsberichte so viel als möglich zu kürzen, um dadurch dem politischen Theile größern Raum zu gestatten". Alle übrigen auf das Vereinsorgan bezüglichen Anträge (Erfurt, Berlin, Leipzig, Chemnitz,Iserlohn, Kärger, Hannover, Bremen, Duisburg, Meiderich Lüneburg, Cassel, Wolfenbüttel und Barmen) wurden theils durch Zurückziehen, theils durch Ablehnung oder Uebergang zur Tagesordnung erledigt. Von den Anträgen in Betreff der Druckschriften wurde der Antrag von Dessau wegen einer gedruckten S a m m lung von Reden und Vorträgen ans Präsidium überwiesen und auf den Antrag von Iserlohn beschlossen, daß das Protokoll der Generalversammlung in Broschürenform erscheinen und den Mitgliedern zum Ankauf überlassen werden soll, sowie auf den Antrag von Frankfurt am Main, daß der Präsident mit Ausarbeitung eines social politischen Programms des Vereins zu beauftragen, und auf Antrag der Mitglieder in Hannover, daß das preußische Gesetz über das Vereins- und Versammlungsrecht nochmals im Vereinsorgan veröffentlicht werden soll. Alle übrigen auf die Druckschriften bezüglichen Anträge (Arbeitertag auf dem Eulengebirge, Heddersheim, Pflüger, Iserlohn, Erfurt, Altona Barmen, Scheil, Lüneburg, Düsseldorf) wurden durch Zurückziehen und Uebergang zur Tagesordnung erledigt.

17k [Schluß] (1) T . B e r l i n , 30. April 1869 In der Schlußsitzung vom 31. März wurden a l l e auf die Agitation bezüglichen Anträge (v. Bonhorst, Harburg, Arbeitertag auf dem Eulengebirge, Weyrich, Heins, Hildesheim, Altenburg, Düsseldorf, Schlebusch, Duisburg, Bremen, Pflüger, Zorge, Walkenried, Wieda, Barmen, Iserlohn, Bielefeld, Erfurt, Schmitz, Bayenthal, Meiderich, Mühlheim a. d. Ruhr, Pfersee, Elberfeld, Langerfeld, Wendt, Müller, Düsseldorf, Pund, Kassel, Kretschmar, Lußmann, Wolfenbüttel, Ries, Hamburg, Ronsdorf, Kräcker, Bieberich) mit Rücksicht auf die bereits gefaßten Beschlüsse und die Erklärung des Präsidenten theils zurückgezogen und theils für erledigt erklärt. Der Antrag des Arbeitertages auf dem Eulengebirge in Betreff der Zuchthausarbeit wurde angenommen und der denselben Gegenstand betreffende Antrag von Barmen dem Ptäsidium zur Berücksichtigung empfohlen. Demnächst wurde zur Wahl des Vorstandes und der Beschwerde-Commission geschritten, deren Resultat bereits in Nr. 45 des " S o c . D e m . " mitgetheilt ist. Einige Anträge auf Ausschluß von Vereinsmitgliedern wurden theils abgelehnt, theils dem Präsidenten zur Untersuchung des Sachverhalts überwiesen. Nachdem noch Gelder zu einzelnen Zwecken bewilligt und eine Commission zur Redaction des Protokolls gewählt worden, schloß der Präsident mit einer eindringlichen Ansprache die diesjährige ordentliche General-Versammlung, welche, einschließlich der Vorfeier, fünf T a g e ge-1 dauert hatte.

1) SD Nr. 55 ( 1 2 . 5 . 1 8 6 9 ) .

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[17 1] [Auszüge aus den 128 Anträgen an die G V in Barmen] (1) 1) Von den Mitgliedern in Hamburg: Unterzeichnete Mitglieder des Allg. deutsch. Arb. -Vereins beantragen, nachdem die hiesige Mitgliedschaft sich schon am 9. Nov. in öffentlicher Versammlung der Aufforderung des mitunterzeichneten Herrn A. P e r l dafür erklärt hat, was folgt: Die Generalversammlung des Allg. deutsch. Arb. - Vereins möge beschließen, den ersten Abschnitt des § 4 der Vereinstatuten dahin abzuändern: " D i e Angelegenheiten des Vereins werden verwaltet durch Vorstand, bestehend aus einem Präsidenten und 24 Mitgliedern, unter welchen ein Kassirer und ein Sekretär, Präsident, Kassirer und Sekretär werden für ihre Bemühungen entschädigt. " (Dieser Antrag auf Statutenänderung, von 60 Mitgliedern überschrieben, ist rechtzeitig, drei Monate vor der Generalversammlung dem Präsidenten eingereicht und von diesem statutenmäßig an deir Vorstand, zu Händen des Herrn R e a l , befördert worden.) 2) Antrag des Vereinspräsidenten: D i e G . - V . erklärt: Die reaktionären oder volksfeindlichen Elemente - insbesondere der offene oder verhüllte Absolutismus, die Militär-, Adels- und Priesterherrschaft und die Capitalmacht der "liberalen" Bourgeoisie - sie alle lasten in der ganzen modernen Culturwelt mehr oder minder auf dem arbeitenden Volke. Da diese volksfeindlichen Elemente in den verschiedenen Staaten und Uber die Gränzen derselben hinaus sich gegenseitig stützen und halten, so daß im Großen eine Beherrschung der ganzen Culturgesellschaft durch bevorzugte Klassen stattfindet, so kann der Kampf gegen jene volksfeindlichen Element e und ihre Herrschaft nur i m i n t e r n a t i o n a l e n Z u s a m m e n w i r k e n des arbeitenden Volkes mit Erfolg geführt werden. Aus diesem Grunde erklärt die G. -B. weiter: a)

D e r V e r e i n s c h l i e ß t s i c h d e m P r o g r a m m und d e n B e s t r e b u n g e n der I n t e r n a t i o n a l e n A r b e i t e r a s s o c i a t i o n a n . b) Wenn der Verein nicht in die Association eintritt, s o u n t e r l ä ß t e r d i e s l e d i g l i c h im H i n b l i c k a u f d i e in D e u t s c h l a n d b e s t e h e n d e V e r einsgesetzgebung. c ) Der Verein erkennt es als seine Pflicht, auf die Abschaffung dieser Gesetzgebung und auf die E i n f ü h r u n g d e s v o l l e n u n d u n b e s c h r ä n k t e n V e r e i n s u n d V e r s a m m l u n g s r e c h t e s hinzuwirken, i n s b e s o n d e r e aber die U e b e r z e u g u n g zu v e r b r e i t e n , d a ß d e r S t a a t k e i n R e c h t h a t , d u r c h s e i n e G e s e t z e die f r e i e E n t w i c k l u n g der f r i e d l i c h e n A r b e i t e r b e w e g u n g zu v e r h i n d e r n . d) So lange der Eintritt in die Association nicht stattfinden kann, wird der Verein fortwährend mit der Association möglichst i n t h a t s ä c h l i c h e r U e b e r e i n s t i m m u n g und t h a t s ä c h l i c h e m Z u s a m m e n w i r k e n zu v e r b l e i ben s u c h e n .

1) Die Anträge erschienen fortlaufend im SD in folgenden Nummern: Nr. 15 ( 3 . 2 . 6 9 ) ; Nr. 20 ( 1 4 . 2 . 6 9 ) ; Nr. 25 ( 2 6 . 2 . 6 9 ) ; Nr. 27 ( 3 . 3 . 6 9 ) ; Nr. 31 ( 1 2 . 3 . 6 9 ) ; Nr. 32 ( 1 4 . 3 . 69); Nr. 34 ( 1 9 . 3 . 6 9 ) . 90

5) Von den Mitgliedern in D r e s d e n : Die G.-V. wolle beschließen, Vereinsmitgliedei können Vorschläge zur Präsidentenwahl machen, die im Vereinsorgan veröffentlich werden sollen. 16) Von den Mitgliedern in H a m b u r g : Die G . - V . möge beschließen, den § 7 des Geschäftsreglements umzuändern, wie folgt: "Alljährlich auf der Generalversammlung wird eine besondere Commission von drei Mitgliedern, wohnhaft an einem Orte, eingesetzt, bei welcher jederzeit Beschwerden gegen den Präsidenten, sowie gegen die übrigen Vorstandsmitglieder und gegen die Bevollmächtigten eingereicht werden können. Die Commission untersucht den Sachverhalt und erstattet der nächsten Generalversammlung in dringlichen Fällen dem Vorstand Bericht zum Zwecke der Beschlußfassung. " 23) Von den Mitgliedern in E r f u r t : Die G.-V. wolle beschließen: "Die Redaktion des "Soc.-Dem. " ist verpflichtet, von jedem eingesandten Bericht über stattgefundene Versammlungen eine kurzgefaßte Notiz zu bringen." 24) Die G. -V. wolle beschließen: Die Verhandlungen einer jeden G. -V. werden stenographisch aufgezeichnet, die Druckkosten aus der Kasse des Vereins gedeckt, und jedem Mitgliede wird dasselbe für 6 Pf. eingehändigt; dies ist das beste Aufklärungsmittel für die Mitglieder in Bezug lokaler Streitigkeiten. 25) Den § 1 des Geschäftsreglements dahin zu ändern: "Da der Präsident nicht an allen Orten anwesend sein kann, so w ä h l e n die Mitglieder an ihrem Orte aus ihrer Mitte einen Bevollmächtigten, für den die Bestätigung vom Präsidium einzuholen ist u.s.w. " 28) Die Berliner Mitglieder sprechen den Wunsch aus, daß die Generalversammlung den Vorstand des Vereins aus den Mitgliedern e i n e s O r t e s wählen möge. Von Herrn H e i n r i c h R o l l e r in Berlin: 41) Die G. -V. wolle die Rechte und Pflichten des Vereinssekretärs feststellen. Von Herr G. K ä r g e r in Berlin: 42) Die G. -V. möge Mittel und Wege finden, die Trennung des Präsidiums von der Redaktion des "Social-Demokrat" zu ermöglichen. Von den Mitgliedern z u L e i p z i g : 53) In Erwägung, daß nach dem demokratischen Prinzip der Vorstand die höchste Behörde nächst der Generalversammlung ist, daß jedoch derselbe durch die bisherige Wahl gäntzlich zersplittert und dadurch in seiner Funktion lahm gelegt wird, beantragen die Leipziger Mitglieder: Die G. -V. möge beschließen, den Vorstand zu concentriren.d. h. denselben an einem der Orte zu wählen, wo eine der größten Mitgliedschaft sich befindet, eventuell an jedem andern, incl. eines Umkreises von zwei Stunden. 54) In Erwägung, daß der Verein durch die bisherigen Verhältnisse verhindert worden ist und in Zukunft noch verhindert sein wird, den "Social-Demokrat" als Eigenthum zu erwerben, sowie der selbst aufgelegten Pflicht, denselben als Vereinsorgan weiter zu betrachten, gebietet es sein eigenes Interesse, sich dem gegenüber auch Rechte zu sichern, möge die G.-V. beschließen, eine Preß commission zu ernennen, der das Recht der Entscheidung über solche Artikel zusteht deren Aufnahme von der Redaktion verweigert wird, jedoch dieser in derselben Sitz und Stimme zu gewähren. Von den Mitgliedern in B r e m e n : 62) In Anbetracht, der immer größeren Ausbreitung des Vereins und der dadurch vermehrten Geschäftsführung des Sekretärs, beschließt die Generalversammlung, daß der Sekretäi nicht nur Tage, wie bisher, sondern ständig dem Präsidium zur Verfügung gestellt lind seine Existenz entsprechend vom Verein gesichert wird. 91

Von den Mitgliedern in B a r m e n : 86) So weit es die deutschen Vereinsgesetze erlauben, sich den Bestrebungen der Internationalen Arbeiter-Association anzuschließen. Von den Mitgliedern in C h e m n i t z und S c h l o ß c h e m n i t z : 9 2 ) In Erwägung, daß wenn die Commission betreffs des "Social-Demokrat" nach den Anträgen der Mitglieder zu Hamburg und Leipzig direkt im Orte der Redaktion wohnen soll, was unter Umständen gut scheint, aber den etwaigen Einsendern der Verweigerung ihre Berichte von Seiten der genannten Commission selbst durchaus keine genügende Zufriedenstellung für die Partei herbeiführen kann, beantragen die Mitglieder zu Chemnitz und Schloßchemnitz. Die G. -V. wolle beschließen, noch eine zweite Commission außerhalb und nicht in der Nähe des Ortes, wo sich die Redaktion befindet, zu wählen, welcher dann die endgültige Entscheidung zusteht. Von den Mitgliedern in I s e r l o h n : 99) Daß das Vereinsorgan von dem Präsidium getrennt wird, und sich den Beschlüssen der G. -V. zu fügen hat. 100) Daß die Einberufung der G. -V. vier Monate vorher im Vereinsorgan bekannt gemacht wird. Von den Mitgliedern in E r f u r t : 106) Die G. -V. wolle beschließen: da es im Interesse der social-demokratischen Partei liegt, so ist das Präsidium vom Vereinsorgan zu trennen. 107) Der Vorstand des Allg. deutsch. -Arb. -Vereins theilt Deutschland in 10 Agitationsbezirke, für jeden Bezirk wird eine gewisse Summe festgestellt für die Agitation, worüber die in den betreffenden Bezirken wohnenden Vorstandsmitglieder verfügen können, bei geeigneter Gelegenheit zur Verbreitung des social-demokratischen Arbeiterpartei in Ortschaften, wo der Verein noch keine Anhänger hat. 108) Mit der Redaktion des "Soc. - D e m . " ist, wie in früheren Jahren, wieder ein Contrakt abzuschließen. Von den Herren V o g e l , K ä r g e r , P e t e r u . R o k i c k i in Berlin: 109) In Erwägung, daß die Arbeiterklasse nur dann ihr Interesse erfolgreich fordern kann, wenn die verschiedenen social-demokratischen Parteischattirungen ihre Kräfte vereinigen, welche Vereinigung auch von dem außerhalb des Allg. -deutsch. Arb. Vereins stehenden Theil.der social-demokratischen Partei lebhaft gewünscht wird, in fernerer Erwägung, daß die Arbeiterklasse nur dann ihre Sache, ohne Gefährdung der Parteicentralisation durchführen kann, wenn sie sich gewöhnt, unter allen Eventualitäten, die Führerschaft bestimmter Personen entbehren zu können, beschließt die G. - V . : Einen Congreß der gesammten social-demokratischen Partei Deutschlands zu berufen, um sich über ein gemeinsames Programm und Organisation zu verständigen, und beauftragt ein aus ihrer Mitte zu wählendes Comitee von 21 Personen damit. Dasselbe hat sofort die nöthigen Schritte einzuleiten. Von Herrn R o k i c k i in Berlin: 110) a. Für den Fall, daß die Concentration des Vereins-Vorstandes an e i n e m Orte von der G.-V.decentrirt wird, beantragte der Unterzeichnete: "Die Agitationen des Allg. deutsch. Arb. -Vereins durch besoldete Agitatoren unterliegt künftig den Bestimmungen des Gesammtvorstandes in der Art, daß derselbe sowohl die Orte, als auch die Person für die Agitation feststellt. b. Der Vorstand hat bei Leitung der Agitation in erster Reihe den Bezirk des norddeutschen Bundes (weil dieser vorzugsweise für die Vertretung der Arbeiter im Reichstage ins Gewicht fällt, und zwar zunächst derjenigen Gegenden in Angriff zu nehmen, in denen der Verein noch keine Mitgliedschaften aufzuweisen hat. 92

c. Für den Fall, daß von der G. -V. die Concentration des Vorstandes n i c h t decentrirt oder aus anderen Gründen obige Anträge betreffs der Agitation abgelehnt werden, beantragt der Unterzeichnete: "Die G. -V. beauftragt den Präsidenten des Vereins, unvorzüglich die Agitation des Allg. deutsch. Arb. -Vereins durch besoldete Agitatoren Uber diejenigen Gegenden im Gebiete des Norddeutschen Bundes (nach Maßgabe der Mittel) auszudehnen, in welchen der Verein noch keine oder sehr geringe Mitgliedschaften zählt: insbesondere über Schlesien, Posen, Pommern, Ost-und West-Preußen. Motive: 1) Es ist vor Allem wesentlich, daß im Reichstage des N o r d d e u t s c h e n B u n d e s die Zahl der Arbeitervertreter vermehrt wird, weil dies Gebiet für die Gesetzgebung zunächst in Betracht kommt, während die Heranziehung der Arbeiter Badens, Bayerns und anderer außerhalb des Norddeutschen Bundes stehender Länder an den Verein zunächst ohne Einfluß auf die Reichstagswahlen und auf diejenige Gesetzgebung bleibt, von welcher zuvörderst das Wohl der Arbeiter abhängt. 2) Es soll die einseitige persönliche Auffassung Uber die Bedeutung und Zweckmäßigkeit der Richtung der Agitation verhindert werden. 111) Gegenüber der Erklärung des "Social-Demokrat" in Sachen des Liebknecht'sehen Vorschlages auf ein Schiedsgericht der Internationalen zur Ausgleichung der SchweitzerLiebknecht* sehen Differenzen, dahingehend, daß der Präsident des Allg. deutsch. Arb. Vereins n u r der G. -V. dieses Vereins verantwqrthlich sei - , stelle die G. -V. unter Mißbilligung des in dieser Erklärung ausgesprochenen Princips, den Grundsatz auf: "Der Führer einer Fraction des Proletariats ist für die Handlungen, die er als solcher unternommen hat, der g e s a m m t e n sowohl nationalen als auch internationalen Socialisten-Partei verantwortlich". Von Herrn H e r m a n n P e t e r in Berlin: 112) G. -V. wolle beschließen, daß, wenn Mitglieder mit Recht oder mit Unrecht sich irgend wie mißliebig gegen einzelne Mitglieder oder gegen die Organisation des Vereins gemacht haben, solches nur von der Generalversammlung untersucht und entschieden werden kann, es daher niemals zu billigen ist, wenn einzelne Mitglieder sich für berechtigt halten, eigenmächtig Uber andere Mitglieder eine Entscheidung zu treffen; daß sie unter allen Umständen aber jeden Act roher Brutalität aufs Entschiedenste und somit das Verfahren des Herrn F. W. Fritzsche mir gegenüber als die Würde des Vereins, wie Uberhaupt des Menschen, im höchsten Grade verletzend, aufs Entschiedenste verurtheilt. Von den Mitgliedern in L ü n e b u r g s 1 1 7 ) Die G. -V. beauftragt das Präsidium zur Unterstützung der lokalen Agitation eine Vereinsstatistik auszuarbeiten und gedruckt den Mitgliedern zugänglich zu machen. 118) Die G. -V. möge die eingegangenen Anträge wegen Erweiterung des Vereinsorgans in Erwägung ziehen, und dieselben, wenn nothwendig, gegen eine kleine Preiserhöhung zum Beschluß erheben. Von den Berliner Mitgliedern Li e n i g , B U c h n e r , M e n z e l , E c k l e r , B ä t h g e , Klingmann, Renz, Wehrmeyer, Seemann, Leineweber, Schultz, Rost, Siltz, Surmann: 121) Die G.-V. erklärt, daß die Berliner Mitglieder P e t e r , K ä r g e r , V o g e l u n d R o k i c k i , weil sie im Geheimen und öffentlich die Organisation des Vereins zu untergraben und durch Intrigen die Wirksamkeit desselben abzuschwächen suchen, gegen die Vereinszwecke handeln und um Gemäßheit des § 6 des Status aus dem Verein auszustoßen sind.

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18 Zur Aufklärung (1) Von vielen Mitgliedern bin ich aufgefordert worden, meine Ansicht Uber die jüngsten Vorgänge im Allg. deutsch. Arb. - Verein auszusprechen. Da die Sachlage einfach und klar ist, so habe ich darüber nur wenig zu sagen. Die Wiedervereinigung der gesammten Lassalle'Schen Partei mußte von allen Parteigenossen als ein freudiges Ereigniß begrüßt werden, besonders von denen, welche gleich mir seit Eintritt der Spaltung im December 1864 (Düsseldorfer Generalversammlung) aus eigener Erfahrung sich überzeugt hatten, daß die Spaltung die Entwickelung der Arbeiterbewegung in Deutschland in beklagenswerther Weise hemmte.(2) Ueber die auf die Wiedervereinigung bezüglichen Unterhandlungen zwischen den Herren v. Schweitzer und Mende bin ich von ersterem stets unterrichtet worden und ich habe das Vorgehen des Herrn v. Schweitzer vollständig gebilligt. Wie wenig die Sache heimlich betrieben ist, geht daraus hervor, daß ich während der Unterhandlung an Herrn Bracke schrieb, daß ich ihm bald über wichtige Parteiangelegenheiten schreiben würde. So lange die Unterhandlung noch im Gange war, konnte natürlich eine wesentliche Mittheilung darüber nicht gemacht werden. Die Gründe, aus welchen die Abstimmung über die Vorschläge der beiden Präsidenten in der bestimmten kurzen Frist erfolgen mußte, wenn die Einigung überhaupt zu Stande kommen und die Existenz der beiden Vereine nicht bedroht werden sollte, habe ich dem Vorstand in Hamburg, sowie den Mitgliedern in Cassel, Frankfurt a. M. Offenbach und Mainz ausführlich auseinandergesetzt, und es sind dieselben allseitig ebenso als genügend anerkannt worden, wie von den Mitgliedern in Berlin