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German Pages 300 Year 2002
MICHAEL KLOEPFER
Technik und Recht im wechselseitigen Werden
Schriften zum Technikrecht Herausgegeben von Prof. Dr. Mi c h a e I K I o e p f er, Berlin
Band4
Technik und Recht im wechselseitigen Werden Kommunikationsrecht in der Technikgeschichte
Von
Michael Kloepfer Unter Mitarbeit von
Claudio Franzius und Tim Weber
Duncker & Humblot · Berlin
Die Deutsche Bibliothek- CIP-Einheitsaufnahme
Kloepfer, Michael:
Technik und Recht im wechselseitigen Werden : Kommunikationsrecht in der Technikgeschichte I Michael Kloepfer. Unter Mitarb. von Claudio Franzius ; Tim Weber. - Berlin : Duncker und Humblot, 2002 (Schriften zum Technikrecht; Bd. 4) ISBN 3-428-10619-9
Alle Rechte vorbehalten
© 2002 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fotoprint: Wemer Hildebrand, Berlin Printed in Germany ISSN 1616-1084 ISBN 3-428-10619-9 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 97068
Vorwort Die Technisierung des Lebens ist ein wesentlicher Aspekt der Moderne. Aber auch die Verrechtlichung des Lebens ist ein markantes Merkmal der Gegenwart. Wie verhalten sich nun beide Aspekte zueinander? Diese Frage prägt die Thematik der vorliegenden Schrift, die das Verhältnis von Technik und Recht mit ihren wechselseitigen Entwicklungen im Bereich der Informations- und Kommunikationstechnologien in einer historischen Perspektive untersucht. Insbesondere am Beispiel der Telegrafie und des Rundfunks soll aufgezeigt werden, daß sich Technik nicht einfach jenseits des Rechts entfaltet. Welche Rolle spielte und spielt das Recht in der Beeinflussung von Technikentwicklungen? Und wie wirken sich umgekehrt Technikentwicklungen auf die das Recht und die technikrechtliche Modernisierung aus? Kommt es zu wechselseitigen Hemmungen oder Verstärkungen von Technik und Technikrecht? Der vorliegende Band ist im Rahmen eines von der Volkswagen-Stiftung geförderten Forschungsprojekts entstanden, das am Forschungszentrum Technikrecht an der Humboldt-Universität zu Berlin durchgeführt worden ist. Unter einem geschichtlichen und entwicklungsoffenen Verständnis von Recht wurde Technikrecht nicht allein in seiner technikbegrenzenden oder sogar -verhindernden Funktion betrachtet. Vor dem Hintergrund der Erkenntnis, daß Technik auch die rechtliche Ermöglichung technischer Vorkehrungen bis hin zum technischen Selbstschutz bewältigt werden kann, rückte die organisierende Ermöglichung der Technikentfaltung in den Vordergrund der Untersuchungen. Gedankt sei allen, die an diesem Projekt mitgewirkt haben, insbesondere aber der Volkswagen-Stiftung, ohne deren Förderung weder dieser Band noch die projektbegleitenden Fachtagungen realisiert hätten werden können. Die Ergebnisse dieser Tagungen sind bzw. werden ebenfalls in der vorliegenden Schriftenreihe* veröffentlicht. Technikrecht und Technikrechtsgeschichte als weitgehend ungeschriebener Teil der Rechtswissenschaft bleibt ein Desiderat der Forschung. Neben der unverzichtbaren historischen Forschung sollten vermehrt auch gegenwärtige Phänomene - wie z. B. der Anpassungsdruck auf das Recht durch technische Konvergenzentwicklungen - in das Blickfeld technikrechtlicher Betrachtung • Kloepfor (Hrsg.), Technikentwicklung und Technikrechtsentwicklung, 2000 (SzT, Bd. I) sowie ders. (Hrsg. ), Kommunikation -Technik- Recht (SzT, im Druck).
Vorwort
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rUcken. Vor allem sollte der Blick verstärkt auf Schnittfelder staatlicher und gesellschaftlicher Techniksteuerung gelenkt werden. Wo es um Privatisierung und Liberalisierung geht, zeigt das Technikrecht mögliche Wege einer zugleich gemeinwohlorientierten wie freiheitsschonenden Überdeterminierung privater Verhaltensweisen. Gerade in diesem Bereich der rechtlichen Ausrichtung privaten Verhaltens auf öffentliche Belange besteht Bedarf an wissenschaftlichen Forschungen, die letztlich maßgeblich auch die veränderte Rolle des Staates in der Zivilgesellschaft zum Gegenstand der Analyse machen muß. Berlin, im Juli 200 I
Michael Kloepfer
Inhaltsverzeichnis Einführung .................................................................................................................... 13
Erster Teil
Entwicklungslinien rechtlicher Techniksteuerung A. Techniksteuerung ...................................................................................................... 17 I. Vom Privileg zur Konzession und Erlaubnis ..................................................... 18 I. Eingriffsrecht ................................................................................................. 19 2. Bestandsschutz ............................................................................................... 23 II. Technikrecht als öffentlich-rechtliches Gestaltungsmittel... ............................... 27 I. Trennung von Staat und Technik ................................................................... 27 2. Verbindung von Staat und Technik: Staatliche Alleinrechte .......................... 31 III. Techniküberwachung ......................................................................................... 35 8 . Feinsteuerung ............................................................................................................ 36 I. Privatrecht .......................................................................................................... 3 7 II. Organisation und Normung der Technikentwicklung ........................................ 40 I. Organisation individueller Eigenverantwortung ............................................. 40 2. Technische Regelsetzung ............................................................................... 44 a) Typologie ................................................................................................. 44 b) Organisation und Funktion ....................................................................... 4 7 c) Staatliche Steuerung privater Selbststeuerung .......................................... 49 d) Normung der Normung? .......................................................................... 52
C. Zusammenfassung..................................................................................................... 53
Zweiter Teil
Historische Funktionen des Technikrechts A. Technikrecht Realisierungsbedingung fiir Technikentfaltung? ................................ 56 I. Gewerbeordnungen ............................................................................................ 56 I. Reformansatz: Gewerbefreiheit.. .................................................................... 57 2. Ordnungsbedarf Gewerbeordnungen ............................................................ 60
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Inhaltsverzeichnis II. Regulierung unbekannter und bekannter Techniken .......................................... 63 I. Technisches Wissen ...................................................................................... 63 a) Wissensgenerierung.................................................................................. 64 b) Technikerfindungen und Patentschutz...................................................... 66 2. Neue Techniken und technische Sicherheit .................................................. 69 a) Staatliche und private Kontrolle ................................................. .............. 71 b) Systementscheidungen ............................................................................. 72 c) Beispiel Eisenbahn ................................................................................... 74 3. Recht als Voraussetzung technischer Weiterentwicklungen ......................... 81 a) Ordnungsmodelle ..................................................................................... 82 b) Anknüpfungspunkte ................................................................................. 84
B. Begrenzung und Ermöglichung: Zwei Hauptfunktionen des Technikrechts ............. 86 I.
Technikbegrenzung: Bewahrung und Stabilisierung .......................................... 87 1. Reaktiv ordnender Risikobezug .................................................................... 87 a) Von der Gefahrenabwehr zur Risikovorsorge ......................................... , 88 b) Von der Erfüllungs- zur Gewährleistungsverantwortung des Staates ....... 92 2. Technischer Wandel und Technikrecht ........................................................ 94 a) Rezeption und Begrenzung ...................................................................... 95 b) Technikfolgen und Rechtsgüterschutz ..................................................... 95 aa) Technikverbote .................................................................................. 96 bb) Technikfolgenbegrenzung ................................................................. 96 (1) Unmittelbare Technikfolgen ........................................................ 96 (2) Unerwünschte bzw. erwünschte Technikfolgen ........................... 97 c) Technikanwendungsregelungen ............................................................... 99 3. Katechontische Funktion des Technikrechts? ............................................... 99 li. Technikermöglichung: Innovation und Implementierung .......... ...................... 100 I. Prospektiv gestaltender Chancenbezug....................................................... I 00 2. Etablierung und Anpassung von Infrastrukturen ........................................ 103 3. Einbindung in soziale Systeme: Neue Rechtstechniken ........................... 104
C. Zusammenfassung................................................................................................... I 05
Dritter Teil
Telegrafenverkehr und Technikrecht: Wechselseitige Beeinflussungen
A. Ausgangsbedingungen-Entwicklung der Telegrafentechnik ................................ 108 I. Optische Telegrafie .......................................................................................... 109 Il. Entwicklung der elektrischen Telegrafie .......................................................... 111 111. Ausbreitung der Telegrafie ............................................................................... 114
Inhaltsverzeichnis
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B. Administrative Organisation ................................................................................... 117 I. Zuständigkeiten in der deutschen Verwaltung ................................................. 11 7 II. Internationale Dimensionen des Telegrafenwesens: Vom Deutsch-Österreichischen Telegrafenverein zur Union Internationale des Telecommunications ........................................................................................ 119 C. Benutzungsverhältnis .............................................................................................. 122
I. Telegrafenordnungen ....................................................................................... 122 II. (Nicht-) Haftung der Telegrafenverwaltung bei Nicht- oder Falschüberrnittlung....................................................................... 123 D. Strafrechtliche Bestimmungen ................................................................................ 124 I. Strafrechtlicher Schutz der Telegrafenanlagen gegen Beschädigungen ........... 125 II. Strafrechtlicher Schutz staatlicher Monopole ................................................... 126 III. Sonstige Strafvorschriften ................................................................................ 127 E. Entwicklung zu staa,tlichen Alleinrechten in der Kommunikationstechnik ............. 128 I. Kontrolle durch faktische Alleinherrschaft des Staates über die Telegrafie .... 128 II. Regelungen und Regelungsvorschläge ............................................................. 129 III. Privattelegrafen in Deutschland- Die Eisenbahntelegrafen ............................ 131 IV. Gründe für die Inanspruchnahme staatlicher Alleinrechte in der Nachrichtentechnik ......... ................................................................................. 133 V. Entwicklung ohne staatliche Alleinrechte - Großbritannien und Nordamerika.............................................................................................. 136 F. Durchsetzung staatlicher Alleinrechte mit den Mitteln des Rechts ......................... 138 l. Streit um die Frage der Regalität des Telegrafen- und Telefonwesens in Deutschland vor Schaffung des Telegraphengesetzes von 1892 ..................... 141 I. Subsumtion des Telefons unter den BegriffTelegrafie im Sinne des Art. 48 der Reichsverfassung von 1871 ...................................................... 141 a) Definition der Telegrafenanstalt in der "Rohrpostentscheidung" (ROSt 4, 406) ......................................................................................... 142 b) Konsequenzen des Abgrenzungsmerkmals "Reproduktion" fllr die Behandlung des Telefons ................................................................. 142 c) Gleichstellung von Telefonie und Telegrafie in ROSt 19, 55 ................ 143 2. Regalität der Telegrafie aus Art. 48 RV 1871 ............................................ 144 a) Begriff der Regalität im 19. Jahrhundert ............................................... 145 b) Kritik an der Herleitung der Regalität aus Art. 48 RV ........................... 146 c) Position der Rechtsprechung ................................................................. 149 11. Entstehung des Telegraphengesetzes ............................................................... 150 I. Entwurf der RPTV ..... ................................................................................. 150 2. Berichte der XVI..Kommission .................................................................. 151
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Inhaltsverzeichnis 3. Kritik an den vorgelegten Entwürfen .......................................................... 154 4. Telegraphengesetz vom 6. April 1892 ........................................................ 155 III. Vom Telegrafen- zum Telegrafen-Wege-Gesetz.............................................. 157 IV. Funknovelle des Telegraphengesetzes vom 7. März 1908 ............................... 160
G. Zusammenfassung- Telegrafenrecht und Telegrafentechnik ................................. 162
Vierter Teil Rundfunk und Technikrechtsentwicklung A. Anfänge: Kaiserreich und Weimarer Republik ....................................................... 168
I.
Entwicklung der Technik ................................................................................. 168 I. Erste V ersuche ............................................................................................ 168 2. Funkindustrie .............................................................................................. 169 3. Funkamateure ............................................................................................. 171 II. Staatliches Handeln im Rundfunk - Rundfunk in Politik und Verwaltung ..... 172 I. Funk im Krieg ............................................................................................. 173 2. Funk in der Revolution ............................................................................... 174 3. Funk fiir Presse und Wirtschaft ........ ,......................................................... 176 4. Funk fiir die Öffentlichkeit ......................................................................... 181 a) Erste Konzessionsgesuche ..................................................................... 181 b) Regionalisierung des Rundfunks ........................................................... 182 c) Entstehung der DRADAG ..................................................................... 184 d) Beginn des Programmbetriebs 1923 ...................................................... 185 e) Streit zwischen Reichspost- und -innenministerium .............................. 186 f) Konflikt zwischen Reich und Ländern ................................................ ... 188 g) Rundfunkordnung 1926 ......................................................................... 190 h) Rundfunkordnung 1932 ......................................................................... 191 II I. Rechtsentwicklung im Rundfunkwesen ........................................................... 193 I. Telegrafenrecht. .......................................................................................... 194 2. Rundfunkrechtliche Spezialregelungen ...................................................... 196 a) VerfUgung des Reichspostministers Nr. 815 vom 24. Oktober 1923.. ... 196 b) FunkVO des Reichspräsidenten vom 8. März 1924 ............................... 197 c) Gesetz über Fernmeldeanlagen (FAG) vom 14. Januar 1928 ................ 200 d) Theorie der Verleihung .......................................................................... 201 aa) Rundfunkveranstaltung .................................................................... 201 bb) Rundfunkempfang ........................................................................... 203 4. Rundfunk und Verfassungsrecht.. ............................................................... 204 a) Meinungsfreiheit (Art. 118 WRV) und Rundfunkrechtsregime ............. 204 b) Fernmeldekompetenz gleich Rundfunkkompetenz? .............................. 206
Inhaltsverzeichnis
II
5. Allgemeine Elektrifizierung versus Rundfunkempfang sowie Antennenrecht. ............................................................................... 208 IV. Zusammenfassung: Recht und Technik im Weimarer Rundfunkrecht... .......... 210 B. Nationalsozialismus ................................................ ................................................ 211 I. Zurückdrängung des Ländereinflusses ............................................................. 212 li. Entwicklung der Empfangstechnik................................................................... 214 III. Reichsrundfunkkammer .................................................................................. 215 IV. Technische Innovationen und ihr Einfluß auf die Rundfunkpolitik im Nationalsozialismus ......................................................................................... 216 V. Rundfunkpolitik im Krieg ................................................................................ 217 VI. Zusammenfassung: Rundfunk und Rundfunkrecht im Nationalsozialismus .... 217 C. Rundfunk und Rundfunkrecht nach 1945 ............................................................... 218 I. Technische Anstöße ......................................................................................... 218 II. Neuorganisation in den westlichen Besatzungszonen ...................................... 220 I. Britische Besatzungszone ........................................................................... 220 2. Amerikanische Besatzungszone ................................................................. 221 3. Französische Besatzungszone ..................................................................... 222 4. Behandlung der Post. .................................................................................. 223 III. Sowjetische Besatzungszone, DDR. ................................................................. 224 IV. Einfilhrung der "Freiheit der Berichterstattung durch Rundfunk" im Grundgesetz ................................................................................................ 225 V. Entwicklung des Rundfunks in der Bundesrepublik Deutschland .................... 229 I. Landesrundfunkanstalten ............................................................................ 229 2. Gründung der Arbeitsgemeinschaft der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten der Bundesrepublik Deutschland (ARD) ..................... 230 3. Kopenhagener Wellenplan .......................................................................... 231 4. Länderabkommen Finanzausgleich und Erstes Fernsehprogramm ............. 232 5. Ansprüche des Bundes - Abwehr der Länder ............................................. 233 6. Deutschland-Fernsehen-AG ........................................................................ 234 7. Erstes Rundfunkurteil des Bundesverfassungsgerichts"Magna Charta" des deutschen Rundfunkrechts .......... .................. ............. 237 8. Gründung des Zweiten Deutschen Fernsehens ..................... .. .................... 239 VI. (Exkurs) Finanzierungsfragen ....... .............................................. .. ................... 242 I. Streit um die Rundfunkgebühren ................................................ ................ 242 2. Einfiihrung der Fernsehwerbung ................................................................ 244 3. Umsatzsteuerpflichtigkeit des öffentlich-rechtlichen Rundfunks Zweites Rundfunkurteil des BverfG ........................................................... 244 VII. Zusammenfassung: Rundfunk und Rundfunkrecht nach 1945 ......................... 246 D. Entwicklung zur dualen Rundfunkordnung ............................................................ 247 I. Saarländisches Rundfunkgesetz- FRAG-Urteil .............................................. 247
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Inhaltsverzeichnis II. Technische Anstöße ......................................................................................... 249 I. Einführung des Videotextes ........................................................................ 249 2. (Exkurs) Start des Bildschirmtextes (Btx) ......................................... .... .. 251 3. Übertragung von Programmen .................................................................... 252 a) BreitbandkabeL .................................................................... .................. 253 b) Satellitentechnik .... ................................................................... .............. 254 III. Reaktion der Politik: KtK-Kommission und Pilotprojekte ............................... 255 IV. Reaktion des Rechts ......................................................................................... 256 I. Landesmediengesetze ................................................................................. 257 2. Niedersachsen-Urteil .................................................................................. 257 3. Staatsvertrag zur Neuordnung des Rundfunkwesens .................................. 259 4. Staatsvertrag über den Rundfunk im vereinten Deutschland ...................... 260 V. Zusammenfassung: Technik und Recht in der dualen Rundfunkordnung .... ... 260
Gesamtzusammenfassung und Ausblick I.
Allgemeines ..................................................................................................... 264 I. Rechtliche Techniksteuerung....................... ........ ....................................... 264 2. Historische Funktionen des Technikrechts .. .......... ............................... ...... 266 II. Kommunikationstechnik .................................................................................. 268 I. Telegrafenrecht ........................................................................................... 268 2. Rundfunkrecht ............................................................................................ 273 III. Ausblick ........................................................................................................... 278 I. Konvergenz und begriffliche Distinktion ................................................... 278 2. Europäische Perspektiven und Zivilgesellschaft ......................................... 279 3. Selbstregulierung der Technik .................................................................... 280 4. Recht und Technik ...................................................................................... 280 Literaturverzeichnis .......................................................................................... ........... 282
Einführung Der vorliegende Band bildet den Abschluß eines Forschungsprojekts, das in den letzten Jahren am Forschungszentrum Technikrecht in Berlin durchgeftlhrt wurde. Die Ausftlhrungen geben dementsprechend die Arbeiten des Forschungszentrums zum Thema des Projekts, "Technikentwicklung und Technikrechtsentwicklung", genauer zu den Wechselwirkungen zwischen Recht und Technik im historischen Zusammenhang, wieder. Im Fokus der Betrachtung steht dabei die positiv-influenzierende Funktion des Rechts in bezug auf die Entwicklungs-, Verbreitungs- und Einsatzbedingungen, unter denen sich die Technik seit dem 19. Jahrhundert entfalten konnte. Das historische Technikrecht wird dabei anhand der verschiedenen Funktionen des Technikrechts untersucht. Als Technikrecht wird dabei die Gesamtheit der auf technische Gegebenheiten bezogenen Rechtsnormen verstanden. Im Ansatz werden zudem bereits unterschiedliche Funktionen des Rechts ftlr die Technik anerkannt (Techniksicherung, Technikf6rderung und Technikermöglichung). Die Technikrechtsentwicklung kann der Technikentwicklung folgen und Konfliktlösungen von aufgetretenen Problemen der Technikentfaltung beschreiben; es ist aber auch möglich, daß die Rechtsentwicklung eine entsprechende Technikentwicklung erst ermöglicht. Typisch ist die Entwicklungsverschränkung von Technik- und Technikrechtsentwicklung, bei der einmal die Technik und zum anderen auch einmal die Rechtsentwicklung vorne liegt. Insbesondere der - häufig vernachlässigten - ermöglichenden Funktion des Rechts gegenüber der Technik gilt ein besonderes Augenmerk. Dabei steht bei der Betrachtung das deutsche Technikrecht im Vordergrund, allerdings durchaus unter Berücksichtigung der Entwicklungen in England und Frankreich, die ftlr die sich im 19. Jahrhundert erst entwickelnden Industrieregionen Deutschlands häufig Vorbildcharakter hatten, von denen aber teilweise z. B. in der Kommunikationstechnik auch- bewußt- abgewichen wurde. Der Charakter des Rechts als Begrenzung der Technik spielt dabei ebenfalls eine wichtige, aber keineswegs die allein dominierende Rolle. Neue (oder als neu empfundene) Risiken haben bereits in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts vielfältige Bewußtseinsveränderungen hervorgerufen, die sich letztlich auch auf die Rolle des entstehenden (und heute kaum noch zu überschauenden) Technikrechts ausgewirkt haben. Das gesellschaftliche Sicherheitsbedürfnis vor den Risiken der Technik und der durch das Recht in diesem Zusammenhang gestiftete Rechtsfriede zeigt, daß gerade das Recht als Garant eines angemessenen Schutzniveaus unter gleichzeitiger Sicherung des verbleibenden Freiheits-
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Einführung
und Entfaltungsraums filr den Einsatz innovativer Techniken auch schon in seiner klassischen verhaltensbeschränkenden Variante filr eine verläßliche Techniknutzung unverzichtbar ist. Vor dem Hintergrund der (sich derzeit möglicherweise beruhigenden) modernen Kritik an den z1,mehmenden Begrenzungen der Spielräume filr technische Entwicklungen gewinnt die Befassung mit der Geschichte des deutschen technikbezogenen Rechts auch an aktueller Bedeutung. Denn häufig ist es vor allem im Rahmen der hier eingehend und exemplarisch, aber nicht ausschließ·lich betrachteten Kommunikationstechnik zu verzeichnen, daß unter Berücksichtigung der politischen und gesellschaftlichen historischen Situation letztlich erst das Recht die praktischen Voraussetzungen filr die Technikentfaltung geschaffen hat und teilweise zeigen sich heute ähnliche Notwendigkeiten filr einen verläßlichen Rechtsrahmen, innerhalb dessen eine bestimmte Form der Techniknutzung nur stattfinden kann (elektronische Signatur, e-commerce). Gerade an der Geschichte der Kommunikationstechnik im 19. und 20. Jahrhundert, also im vorliegenden Zusammenhang in der Entstehung der rechtlichen Rahmen filr Telegrafie und Rundfunk, läßt sich der staatliche Einfluß deutlich machen, der nicht einfach die technische Entwicklung nachvollzog, sondern sie umgekehrt vielfach erst initiierte und mannigfach förderte. Die Annäherung an das Thema erfolgt nichtsdestotrotz von einem breiteren Ansatz aus. Die Ausfilhrungen in den ersten - allgemeineren - Teilen versuchen in umfassender Betrachtung die Entwicklung der Rolle des Rechts im Rahmen der historischen Zäsuren einzugrenzen, die durch technische, gesellschaftliche und politische Fortschritte, aber auch durch Fortschritte des Rechts selbst bedingt waren. Die unterschiedlich motivierten und unterschiedlich ausgestalteten rechtlichen Steuerungskonzepte vom Technikverbot über das Privileg, dessen bahnbrechende Ablösung durch Konzession bzw. Erlaubnis bis hin zum partiell bemühten staatlichen Ausschließlichkeitsrecht bzw. Verwaltungsmonopol, werden aus ihrem historischen und technikgeschichtlichen Rahmen heraus ebenso untersucht wie die detaillierten Regelungen der Feinsteuerung, wie das Privatrecht, insbesondere das Haftungsrecht, das Patentrecht mit seiner ftir die Technikentwicklung möglicherweise ambivalenten Bedeutung, sowie die technische Normung, die immer mehr an Bedeutung gewonnen hat. Die Entstehung und Fortentwicklung der Gewerbeordnung ist hier nur ein - freilich bedeutendes - Beispiel filr die voraussetzungsvollen Bedingungen, unter denen sich in Deutschland im 19. Jahrhundert die Technik entfalten konnte. Muß in dem hier betrachteten Zusammenhang z. B. die Einfilhrung der Gewerbeordnung nicht gerade als ein Instrument der Deregulierung verstanden werden? Zudem wird ein Schwerpunkt auf die nähere Betrachtung der historischen Funktionen des Technikrechts unter Einbeziehung seiner wesentlichsten Funktionselemente, der Begrenzung und Ermöglichung technischer Entwicklungen und ihres Gebrauchs, also der Begrenzung und Ermöglichung "der Technik" im
Einftlhrung
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allgemeinen gelegt. Bedingen sich diese Funktionen des Technikrechts nicht gegenseitig, ist nicht jede Begrenzung in verschiedener Hinsicht auch eine Ermöglichung von (verbleibender oder alternativer) Technik, so daß das Technikrecht in funktioneller Hinsicht einen Januskopf, dessen zwei Gesichter aus Begrenzung und Ermöglichung gebildet werden, darstellt, die Betonung der einen oder der anderen Funktion sich daher letztlich als bloße Frage der Perspektive erweist? Die eingehende Betrachtung des Telegrafenrechts, das hier als Beispiel fiir die schrittweise normative Erfassung, Beherrschung und Ausgestaltung einer Technik und ihres gesellschaftlich enorm bedeutenden Einsatzes in Augenschein genommen wird, gewährt Einblicke in die besondere Herausforderung, der Herrschaft sich durch Information, demgemäß auch der Staat durch die Einfiihrung zunächst der individuellen, später auch der (Massen-)lnformationstechniken ausgesetzt sah. Die Erkenntnis, daß das Kommunikations(technik)recht allgemein sowohl in Hinsicht auf die Mittel zur Risikoabsicherung (historisch ist hier im Bereich der Kommunikationstechniken vor allem die staatliche Ausschließlichkeitsberechtigung, das Verwaltungsmonopol, bzw. das Regal als der zentrale Regelungsansatz festzustellen) als auch auf die Motivation des staatlichen Handeins durch Recht von der Form der Beherrschung individuell-gefahrdender, also die menschliche Person, den Bürger vor allem körperlich bedrohender Techniken (Dampfmaschine, Eisenbahn etc.) erheblich abweicht, prädestiniert die Regelung der Kommunikationstechnik im allgemeinen und die Telegrafentechnik als erste rein technisch vermittelte Kommunikation ermöglichende Innovation besonders zum konkreten Untersuchungsgegenstand. Die Untersuchung des Rundfunks und des Rundfunkrechts von den ersten Versuchen im ausgehenden 19. Jahrhundert bis hin zur Herausbildung des hochdifferenzierten ("dualen") Rundfunksystems gegen Ende des 20. Jahrhunderts ist eine weitere Herausforderung, der sich das Projekt gestellt hat. Bietet sich doch bei der Entwicklung des historisch ersten technisch vermittelten' Publikationsmediums und der damit gewissermaßen "miterfundenen" technischen Massenkommunikation ein im überkommenen - fiir die Individualkommunikation gewonnenen - Regelungskonzept erheblicher neuer durch das Recht zu vermittelnder Handlungsbedarf, um dieser Technik zunächst überhaupt zum Durchbruch zu verhelfen. Dem stand gerade im Fall des Rundfunks ein erhebliches staatliches Beschränkungsbedürfnis gegenüber. Die enge Verschränkung von Technik und Macht, die im Rundfunk aufgrund seiner publizistischen oder sogar massenpsychologischen Bedeutung augenflillig ist, fiihrte in der Geschichte bis heute immer wieder zu scharfen Auseinandersetzungen. Der 1 Publikationsmethoden technischer Art - z. B. den Buchdruck- gab es auch zuvor, das entscheidende Novum der Rundfunktechnik war die technische Vermittlung von Veröffentlichungen, die die Massenkommunikation unabhängig von ungleich langsameren Transportwegen machte.
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Einführung
erhebliche Einfluß der Rundfunktechnik selbst auf die Entwicklung von Gesellschaft und Politik im 20. Jahrhundert wird dabei ebenso bertlcksichtigt, wie die häufigen und umfangreichen rechtlichen Auseinandersetzungen über die rechtlich zulässige Form der Nutzung der Rundfunktechnik, die zum größten Teil vor dem Bundesverfassungsgericht endeten, so daß die rechtlichen Möglichkeiten hier in besonderem Maße aus dem verfassungsrechtlichen Rahmen vorgegeben und dem einfachen Gesetzgeber bzw. den Gesetzgebern verhältnismäßig wenig Spielraum ließen. Im Rundfunkrecht zeigt sich aber in besonderem Maße, wie die Änderung der technischen Voraussetzungen das Recht ihrerseits beeinflußten. Es wird sich zeigen, daß gerade die rasante Verbesserung und Vervielfachung der Übertragungsmöglichkeiten durch neue technische Entwicklungen wie Breitbandkabel und Satellit im letzten Viertel des 20. Jahrhunderts hier erhebliche Schübe rechtlicher Anpassung nach sich gezogen haben. Die Betrachtung des in der Untersuchung herausgearbeiteten Wechselbeziehungsphänomens Recht und Technik wird durch diese Betrachtungen bewußt nicht abschließend und erschöpfend behandelt. Schon aus Kapazitätsgrtlnden waren die Begrenzungen auf die Kommunikationstechniken, auf die inländische Rechtsordnung und auf den Zeitraum des 19. und 20. Jahrhunderts unabweisbar. In Einzelheiten konnten aber diese Grenzen durch Betrachtung ausländischer Situationen und anderer Techniken (insbesondere Eisenbahn) überwunden werden. In der Herausarbeitung der ftlr Innovation und Technikgebrauch stimulierenden und hilfreichen Wirkung des Rechts wird auch weiter erheblicher Diskussionsbedarf verbleiben. Gerade ftlr die rechtliche Beurteilung neuer Liberalisierungs- und Regulierungskonzepte z. B. im Telekommunikationssektor mit ihren neuen "Eingriffen" in die Rechte der in diesem Bereich erstmalig in Erscheinung tretenden privatwirtschaftlich organisierten Unternehmen werden sich möglicherweise aus dem Bewußtsein der funktionellen Ambivalenz des Rechts Ansatzpunkte für Bewertungskorrekturen gegenüber voreiliger Kritik an den Übergangs- oder Dauerlösungen ergeben. Jedenfalls darf der Ennöglichungsaspekt des Rechts insoweit nicht einfach außer Betracht gelassen werden.
Erster Teil
Entwicklungslinien rechtlicher Techniksteuerung A. Techniksteuerung Die rasante, bisweilen ungestüme und das 19. Jahrhundert als Zeitalter der Technik kennzeichnende Technikentwicklung verlief nicht im rechtsfreien Raum. Ob Maschinisierung der Technik, Verkürzung von Raum und Zeit oder Entwicklung neuer Techniken: Das Technikrecht hat die technischen Entwikklungen im 19. Jahrhundert begleitet und in einen Rahmen gestellt, der für die Machbarkeil von Technik vielfach unerläßlich war. Entwicklungsgeschichtlich liegen nicht nur die maßgeblichen Wurzeln fllr Technikentwicklungen, sondern auch fllr Technikrechtsentwicklungen im 19. Jahrhundert. So wie der Dampfkessel die Eisenbahn und das Eisenbahnnetz die Verbreitung der Telegrafie erleichterte, setzte das Recht- getragen von der zentralen Vorstellung, den Bürger aus seiner Unmündigkeit zu befreien - die gesellschaftlichen Kräfte für Technikentwicklungen zunächst frei, um mit der Zunahme ungewollter oder nicht mehr hinnehmbarer Ergebnisse die Folgen der Technikentwicklung zu begrenzen. 1 Die Technikrechtsentwicklung kann der Technikentwicklung folgen und Konfliktlösungen von aufgetretenen Problemen der Technikentfaltung beschreiben; es ist aber auch möglich, daß die Rechtsentwicklung eine entsprechende Technikentwicklung erst ermöglicht. Typisch ist die Entwicklungsverschränkung von Technik- und Technikrechtsentwicklung, bei der einmal die Technik und zum anderen auch einmal die Rechtsentwicklung vorne liegt. Monokausalen Erklärungsversuchen ·sollte jedenfalls von vornherein mit Vorsicht begegnet werden, erscheinen Technik- und Technikrechtsentwicklung doch zu komplex, sie als einfache Abfolge evolutionärer Gesetzmäßigkeiten deuten zu können. Im übrigen wird das Technikrecht natürlich nicht nur durch die Technikentwicklung beeintlußt, sondern ebenso durch die Veränderung seiner allgemeinen politischen, sozialen, ökoriomischen und kulturellen Ambiance. 1 Zum Verständnis des Technikrechts als Technikbegrenzungsrecht Murswiek, Die Bewältigung der wissenschaftlichen und technischen Entwicklungen durch das Verwaltungsrecht, VVDStRL 48 (1990), S. 207 (209 ff); ähnlich im Sinne einer entwicklungsbegrenzenden und -hemmenden Funktion des Technikrechts Degenhart, NJW 1989, 2435 ff.
2 Kloopfer
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I. Teil: Grundlagen
Als Technikrecht wird hier die Gesamtheit der auftechnische Gegebenheiten bezogenen Rechtsnormen verstanden. So betrachtet ist das Technikrecht mit seinen Anforderungen und Spielräumen ftlr die Technikentfaltung eine typische Querschnittsmaterie, deren Ursprünge enge Verbindungen zum Gewerberecht erkennen läßt. 2 Diese wirtschaftsrechtliche Prägung wird vor allem im letzten Drittel des 20. Jahrhunderts ergänzt durch einen starken umweltrechtlichen Einschlag, der das Technikrecht unter den gewachsenen Erwartungsdruck einer techniksensiblen Öffentlichkeit gestellt hat. Je weiter und ehrgeiziger im 20. Jahrhundert die Sicherheitsziele aber formuliert wurden, desto spannungsgeladener wurde die Kluft zwischen dem dynamischen Charakter der Technik und dem konzeptionell auf Beständigkeit hin angelegten Technikrecht Dies ftlhrte zu Einschätzungen, im "Wett/aufzwischen Technik und Recht"leide das Recht an notorischer Verspätung. 3 In der Tat scheint eine Antizipation technischer Entwicklungen durch die Rechtsordnung nur begrenzt möglich, ist die schnelle Technikentwicklung doch nur begrenzt vorhersehbar und der aktuelle Technikstand jeweils nur schwer normativ festzusetzen. Um dem Sicherheitsbedürfnis einer sich technisch permanent fortentwickelnden Gesellschaft gerecht zu werden, wird der Gesetzgeber zur Festsetzung ebenso weiter wie vager Zielvorgaben gedrängt. Deren Umsetzung stößt zunehmend an die Grenzen des hoheitlich programmierten Gesetzesvollzugs und kann immer weniger mit den herkömmlichen Instrumenten allein bewältigt werden. Die Geschichte des modernen Technikrechts ist daher zu großen Teilen die Geschichte seiner Instrumente, mit denen unter sich verändernden technischen, sozialen und ökonomischen Rahmenbedingungen auf technische Abläufe eingewirkt oder einzuwirken versucht wird. I. Vom Privileg zur Konzession und Erlaubnis Dem neuzeitlichen Technikrecht ist eine Entwicklung vorausgegangen, die man getrost als technikrechtliche Revolution bezeichnen kann. Im ausgehenden 18. und beginnenden 19. Jahrhundert wurden - weitgehend parallel zur Industrialisierung in den deutschen Staaten- die alten Gewerbeprivilegien nach und nach abgelöst und vor allem über den anlagenbezogenen Konzessionsbegriff' 2 Zur Einordnung des Technikrechts Kloepfer, Technikrecht, in: Korff u. a. (Hrsg.), Lexikon der Bioethik, Bd. 3, 1998, Sp. 522 ff. 3 Siehe bereits H. Krüger, NJW 1966,617 ff.; ausjüngerer Zeit Berg, JZ 1985,401 ff.; weniger pessimistisch Ronellenfitsch, DVBI. 1989, 851 (855 f.); zum Verhältnis von Technik und Recht Schatz, FS zum 125jährigen Bestehen der Juristischen Gesellschaft zu Berlin, 1984, S. 691 ff.; ferner Vieweg (Hrsg.), Techniksteuerung und Recht (i. E.); M Schulte (Hrsg.), Technische Innovation und Recht, 1997; historische Aspekte der Kommunikationstechnik aufgreifend Kloepfer (Hrsg.), Technikentwicklung und Technikrechtsentwicklung, 2000. 4 Ygl. etwa fiir Preußen§§ 410, 411 Abs. 2 S. 8 ALR.
A. Techniksteuerung
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durch die behördliche Erlaubnis ersetzt. Aus der landesherrlichen Gewährung eines Privatrechts wird die öffentlich-rechtliche Erlaubnispflicht bestimmter Tätigkeiten. 5 Dies bedeutet auf der einen Seite weniger "natürliche" Freiheit, auf der anderen Seite jedoch erhöhte rechtliche Sicherungen, die ihren Anknüpfungspunkt nicht mehr im ftlrsorglichen Gestaltungswillen des Landesherren, sondern im rechtsstaatliehen Gesetz finden. 6 Und die Zunahme öffentlichrechtlicher Erlaubnisnormen läßt den Staat - scheinbar paradox - gerade in der Zeit, als es darum ging, seine Einflußnahme zurückzudrängen, gestärkt hervortreten. Die Technikbewältigung wird - modern gesprochen - zur Staatsaufgabe.7
I. Eingriffsrecht Technikrechtliche Erlaubnisvorbehalte finden sich bereits im Mühlenrecht des 18. Jahrhunderts. 8 Die zunehmende Verwendung von Dampfmaschinen im ersten Drittel des 19. Jahrhunderts und die unübersehbare Gefahr von Dampfkesselexplosionen9 ließ das Instrument des Erlaubnisvorbehalts auch zur Kontrolle von Dampfmaschinen geeignet erscheinen. 10 Mit der "Allerhöchsten Kabinettsorder die Anlagen und den Betrieb von Dampfkesseln betreffend" vom 31. Januar 1831 11 wurden in Preußen die Aufstellung und der Betrieb von Dampfkesseln prinzipiell erlaubnispflichtig gemacht. Es begann eine intensive s Vgl. Wil/oweit, Gewerbeprivileg und "natürliche" Gewerbefreiheit, in: Scherner/Willoweit (Hrsg.), Vom Gewerbe zum Unternehmen. Studien zum Recht der gewerblichen Wirtschaft im 18. und 19. Jahrhundert, 1982, S. 60 ff. ; allgemein zur begrifflichen Einordnung auch H. Keil, Die Problematik von Erlaubnis, Genehmigung und Konzession, 1955 (MS). 6 Zum Übergang von den "wohlerworbenen Rechten" (iura quaesita) zu den "rechtlich geschützen Rechten" im Sinne subjektiver öffentlicher Rechte: W Henke, DVBI. 1983, 982 (986 f. ). 7 Der Befund ist eindeutig - siehe nur J Ipsen, VVDStRL 48 ( 1990), S. 178 ff. - die Konsequenzen aber vielschichtig und umstritten: sehr weitgehend etwa Murswiek, Die staatliche Verantwortung fiir die Risiken der Technik, 1985, S. 89 ff. 8 Siehe dazu Schlottau, Wechselwirkungen zwischen der Entwicklung des Mühlenwesens und des Mühlenrechts in der vorindustriellen Zeit, Technikgeschichte 52 (1985), S. 197 ff.; allgemein K. Becker, Die behördliche Erlaubnis des absolutistischen Fürstenstaates, 1970. 9 Zur Einschätzung der Lage Lundgreen, Die Vertretung technischer Expertise "im Interesse der gesamten Industrie Deutschlands" durch den VDI 1856-1890, in: Ludwig (Hrsg.), Technik, Ingenieure und Gesellschaft: Geschichte des Vereins Deutscher Ingenieure 1856-1981, 1981, S. 67 ff. (74). 10 Zur Einfiihrung des Erlaubnisvorbehalts Sonnenberg, Hundert Jahre Sicherheit. Beiträge zur technischen und administrativen Entwicklung des Dampfkesselwesens in Deutschland von 1810 bis 1910, 1968; zu den Anfangen der Dampfkesselüberwachung auch Kloepfer, Zur Geschichte des deutschen Umweltrechts, 1994, S. 39 f. II PrGS s. 243.
I. Teil: Grundlagen
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Gesetzgebungsarbeit, die ihren Gipfelpunkt in der Aufnahme der Dampfkessel unter die genehmigungsbedürftigen Anlagen in der preußischen Allgemeinen Gewerbeordnung vom 17. Januar 1845 12 erreichte. Hiervon ausgehend avancierte der Erlaubnisvorbehalt zur zentralen Regelungsstrategie des technischen Sicherheitsrechts, das sich mit den materiellen Anforderungen fiir die Errichtung und den Betrieb technischer Anlagen zunächst im Rahmen der Gewerbeordnungen und seiner Änderungen entwickelte. 13 Die Erlaubnispflicht wurde prinzipiell auf alle geflihrlichen Anlagen ausgedehnt und aus dem allgemeinen Recht der Gefahrenabwehr entstand das besondere Techniksicherheitsrecht mit der präventiven Zulassung und laufenden Überwachung technischer Anlagen als Grundmodell der direkten, d. h. regelmäßig zwangsbewehrten Verhaltenssteuerung. Das Technikrecht ist damit in erster Linie technikbezogenes Eingriffsrecht Der Erlaubnisvorbehalt macht die Technikrealisierung von einer behördlichen Zulassung abhängig. Vor dessen Erteilung ist die Tätigkeit unerlaubt und damit rechtswidrig. So betrachtet, ist die gesetzliche Anordnung der Erlaubnispflicht vor dem Hintergrund der nachdrücklich proklamierten und an den Anfang der Gewerbeordnungen gestellten Gewerbefreiheit 14 eine massive Einschränkung "freier" Technikentfaltung. Der Erlaubnisvorbehalt ist im Technikrecht zwischen Anzeigepflichten und repressiven Untersagungsermächtigungen angesiedelt. Anzeigepflichten dienen im wesentlichen der Information staatlicher Behörden, die ohne eine solche Inpflichtnahme Privater nur unter unverhältnismäßigen Schwierigkeiten gewonnen werden könnte. Sie können als Störfallanzeige, als Abweichungsanzeige oder auch als Erlaubnissurrogat ausgestaltet sein. 15 Untersagungsermächtigungen dienen dazu, ein Verhalten von Bürgern zu verhindern, das ohne besondere Erlaubnis vorgenommen werden kann (selbständige Untersagungsermächtigungen, z. B. gesetzliche Verbote und Beschränkungen) oder entgegen einer erforderlichen Erlaubnis vorgenommen wird (unselbständige Untersagungsermächtigungen, z. B. Beseitigungs-, Stillegungs- oder Unterlassungsverftlgungen). Beim ErlaubniS\>orbehalt ist zwischen repressiver und präventiver Erlaubnis zu differenzieren: Ausnahmebewilligungen "befreien" den Antragsteller von der Beachtung eines grundsätzlichen Verbots der Tätigkeit, die als generell schädlich oder sozial unerwünscht bewertet wird. Im besonderen Einzelfall wird eine Ausnahme von dem ansonsten zwingenden (repressiven) PrGS S. 41. Die preußische Gewerbegesetzgebung von 1845 mit ihren Ergänzungen von 1848 (PrGS S. 321), 1856 (PrGS S. 295) und 1861 (PrGS S. 749) wurde in ihrer Gesamtkonzeption und den meisten Einzelregelungen fur das Gebiet des Norddeutschen Bundes in der Gewerbeordnung des Norddeutschen Bundes vom 21 . Juni 1869 (BGBI. S. 245) und wenig später filr das Deutsche Reich in der Reichsgewerbeordnung von 1871 übernommen. 14 Siehe unten (Zweiter Teil: Historische Funktionen des Technikrechts, S. 56 ff.). 15 Vgl. .1. lpsen (FN 7), S. 181. 12
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Verbot gemacht. Demgegenüber dienen Eröffnungskontrollen der behördlichen Überprüfung der rechtlichen Anforderungen fUr die Ausübung und Zulassung einer bestimmten Tätigkeit. Die Erlaubnispflicht spricht hier nur ein vorläufiges (präventives) Verbot aus, ohne die Erlaubnis, das intendierte Handeln zu verwirklichen. Das jeweilige Handeln selbst ist dadurch nicht materiell verboten und gilt rechtlich auch nicht als unerwünscht. In ihrer Wirkung stellt die Erlaubnis (nur) verbindlich fest, daß dem Vorhaben Rechtsvorschriften nicht entgegenstehen (Feststellungswirkung) und hebt deshalb die "Schranke" des formellen Verbots auf, sie stellt dem Antragsteller ein Verhalten "frei" und erlaubt ihm die Verwirklichung seines Vorhabens (Gestattungs- oder Freistellungswirkung). Anders als die Konzession, die dem Antragsteller noch ein "mehr" an Rechtsmacht verliehen hatte, sind die Erlaubnisverfahren nach dem Vorbild der Polizeierlaubnis ausgestaltet worden. Wird eine solche Erlaubnis erteilt, so erhält der Bürger nichts, was er nicht schon vorher besaß. 16 Der Gedanke der Gewerbefreiheit, inzwischen grundrechtlich aufgeladen (vor allem durch Art. 12 GG), dringt bei Eröffnungskontrollen in Gestalt eines Anspruchs auf Erlaubniserteilung durch, soweit die zu überprüfenden Rechtsvorschriften eingehalten werden. So betrachtet, wird mit der gegebenenfalls unter Einschränkungen (Auflagen) erteilten Erlaubnis die Freiheit "wiederhergestellt" und dem Staat nach Erlaubniserteilung ein Einschreiten gegenüber dem Bürger jenseits dieser Vorgaben grundsätzlich verwehrt. Allerdings sollte nicht übersehen werden, daß die Unterschiede im Modell praktisch zunehmend verschwimmen. Dies gilt insbesondere filr die klassischen Freiheiten wie die Gewerbefreiheit oder Baufreiheit, die zwar unverändert Geltung beanspruchen mögen, aber in der einfach-gesetzlichen Ausgestaltung von der formellen Schrankenfunktion des staatlichen Erlaubnisvorbehalts nicht mehr viel übrig lassen. Anlagengenehmigungen und Stoffzulassungen, Typengenehmigungen und Bauartzulassungen sind Instrumente zur Regelung komplexer Sachverhalte, die sich in einfachen Kategorien von privater Freiheit und staatlicher Bindung kaum noch sachgerecht denken lassen. Nebenbestimmungen prägen inzwischen nahezu jede technikrechtliche Erlaubnis und verändern ihren traditionellen Charakter als bloße Unbedenklichkeitsbescheinigung. Die Einsicht in die Unverzichtbarkeit unbestimmter Rechtsbegriffe, deren Zunahme den gewachsenen Vorsorgeanforderungen geschuldet ist 17 und der Exekutive in der Ausfilllung der Konkretisierungsspielräume weitgehende Gestaltungsmöglichkeiten überläßt, versinnbildlicht den Anpassungsdruck an das Technikrecht ebenso wie die richterrechtliche Interpretation präventiver Erlaubnisvorbehalte So W Henke (FN 6), S. 987. Allg. Lukes, Die Regelung technischer Sachverhalte in der Rechtsordnung, in: ders./Birkhofer (Hrsg.), Rechtliche Ordnung der Technik als Aufgabe der Industriegesellschaft, 1980, S. 81 ff. 16
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als Ermessensentscheidungen (wie z. B. im Atomrecht). 18 Unsicherheiten im Umgang mit neuen Techniken (z. B. der Gentechnologie) drohen freilich das Verhältnis zwischen "Technikfreiheit" und "Technikkontrolle" in das Gegenteil zu verkehren. 19 Dort, wo technische Risiken (noch) zu keinen entsprechenden Beschränkungen im Gesetz gefilhrt haben, ist die Technikanwendung prinzipiell erlaubt und mit den herkömmlichen Instrumenten der direkten Verhaltenssteuerung nicht oder nur eingeschränkt zu unterbinden.20 Die behördliche Erlaubnis als solche kann - entgegen mancher überkommener Ansicht - auch nicht unbesehen als grundrechtlicher Eingriff in die Rechte derer gewertet werden, die von dem erlaubten Verhalten nachteilig betroffen sind. 21 Mit der Erlaubnis risikobehafteter Tätigkeiten billigt der Staat nicht die Verletzung der Rechte von Dritten. Vielmehr wird der Erlaubnisinhaber "freigestellt" zu einem Handeln, das allein in seiner Verantwortung liegt. 22 Zwar mag der Staat eine .,Mitverantwortung" filr privat verursachte Geflihrdungslagen grundrechtlicher Schutzgüter übernehmen. 23 Einer Verantwortungsübernahme in dem Sinne, daß sich der Staat die einfachgesetzlich nicht intendierten Folgen privater Freiheitsbetätigung als "eigenes Handeln" zurechnen lassen müßte, steht jedoch die Handlungsfreiheit des Erlaubnisinhabers entgegen. Wollte man den Staat umfassend auch filr diejenigen Risiken in die Verantwortung nehmen, deren Realisierung zum Zeitpunkt der Erlaubniserteilung noch nicht wahrscheinlich oder auch nur abschätzbar gewesen ist, so wäre ein Erlaubnisverfahren mit weitgreifenden Steuerungsmöglichkeiten des Staates vor der Eröffnung des Betriebs erforderlich, das insbesondere erleichterte Möglichkeiten zur Ablehnung der beantragten Erlaubnis einschließen müßte. 24 Ein so!BVerwGE 49, 89 (144 ff.). Vgl. etwa VGH Kassel, NJW 1990,336 ff. (Gentechnik). 20 Statt vieler Kloepfer, Technikverbot durch gesetzgeberisches Unterlassen?, FS fiir Lerche, 1993, S. 755 ff. (m. w. N.). 21 BVerfG, NJW 1998, 3264 ff. (Waldschäden). Die Gegenauffassung, welche über grundrechtliche Schutzpflichten jedes private Handeln auf die staatliche Rechtsordnung zurückfuhrt und deshalb dem Staat zurechnet, basiert auf der Prämisse, daß die grundrechtliche Freiheit dem Staat nicht vorgegeben ist, sondern auf seiner Delegation beruht, vgl. Murswiek (FN 7), S. 65 ff. Im Ergebnis filhrt die Annahme einer lediglich konzessionierten Freiheit zur umfassenden Verantwortung und Macht des Staates, in dem es jene gesellschaftliche Eigenverantwortung nicht mehr geben kann, die zur Herausbildung des Schutzpflichtengedankens gefiihrt hat, abl. daher lsensee, Das Grundrecht als Abwehrrecht und Schutzpflicht, in: ders./Kirchhof (Hrsg.), HStR Bd. 5, 1992, § 111 Rn. 83 ff. (119); siehe mit dem Hinweis auf privatrechtliche Ausgleichsmechanismen auch Enders, Der Staat 36 (1996), S. 351 ff. (371). 22 Wahl, Artikei"Erlaubnis", in: Kimminich/v. Lersner/Storm (Hrsg.), HdUR, Bd. 1, 2. Aufl., 1994, Sp. 528 ff. (538). 23 BVerfGE 53,30 ff. (58); dazu Pietzcker, JZ 1985,209 ff. 24 Vgl. Hermes, Die Wirkung behördlicher Genehmigungen, in: Becker-Schwarze u. a. (Hrsg.), Wandel der Handlungsformen im Öffentlichen Recht, 1991, S. 187 (206 f.). 18
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eher Umbau des Instituts behördlicher Eröffnungskontrollen erscheint nicht wünschenswert und steht auch nicht zu erwarten. Im Gegenteil: Statt eine ,.Zukunftsgarantie" filr die Risiko- und Störungsfreiheit der Technikentwikklung abzugeben, verlagert der Staat zunehmend technikbezogene Prüfpflichten auf Private, die von der Behörde nur noch "nachvollziehend" kontrolliert werden. 25 Damit wird das staatliche Erlaubnisverfahren entlastet und die Selbstverantwortung des Setreibers filr die Risiken der Technik gestärkt. 26 2. Bestandsschutz
Das Technikrecht beschränkt sich nicht auf Regelungen des bipolar angelegten Rechtsverhältnisses zwischen privatem Technikbetreiber und Behörde, sondern ist schon in seiner klassischen Ausprägung durch die Gewerbeordnung auf die Bewältigung eines Dreiecksverhältnisses27 gerichtet. Während der Staat auf der einen Seite Schadensmöglichkeiten der Technik durch Eingriffe in subjektive Rechte des handelnden Akteurs mindert, mutet er auf der anderen Seite zugleich dem betroffenen Nachbarn bestimmte Technikrisiken zu und verpflichtet ihn zur Duldung dieser Risiken. 28 Die Erlaubnis kontrolliert also nicht nur unter Berücksichtigung wirtschaftlicher Interessen die Technik, sondern eröffnet und fördert unter Beachtung von Sicherheitsinteressen auch wirtschaftliche Nutzungsmöglichkeiten der Technik, in dem sie dem Erlaubnisinhaber eine gesicherte Rechtsposition gewährt, die ihm lediglich unter erschwerten Voraussetzungen und u. U. nur gegen Entschädigung entzogen werden kann. Dem Zwang, eine Erlaubnis beantragen zu müssen, korrespondiert- nach der klassischen Konzeption - der durch die Erlaubnis prinzipiell gewährte Schutz der vorhandenen Rechtsposition mit dem Ziel, den tatsächlichen oder rechtlichen status quo zu bewahren. Fritz Fleiner hat die Besonderheit des Bestandsschutzes treffend umschrieben: "Der Einzelne besitzt in der Polizeierlaubnis kein Bollwerk gegen fernere obrigkeitliche Eingriffe. Er muß jede Änderung der Gesetzgebung 25 Vgl. Di Fabio, Verwaltung und Verwaltungsrecht zwischen gesellschaftlicher Selbstregulierung und staatlicher Steuerung, VVDStRL 56 ( 1997), S. 235 ff.; J.-P. Schneider, Nachvollziehende Amtsermittlung bei der Umweltverträglichkeitsprüfung, 1991, s. 133 ff. 26 Zum Spannungsverhältnis zwischen staatlicher Verantwortung und Eigenverantwortung Führ, Eigen-Verantwortung oder Öko-Staat? Sicherung der Selbstverantwortung im Unternehmen, in: Roßnagei/Neuber (Hrsg. ), Reformperspektiven im Umweltrecht, 1996, S. 211 ff.; siehe auch Kloepfer (Hrsg.), Selbst-Beherrschung im technischen und ökologischen Bereich, 1998. 27 Zur dogmatischen Dreieckskonstruktion Wahl/Masing, JZ 1991 , 553 ff. 28 Di Fabio, Risikosteuerung im öffentlichen Recht, in: Hoffmann-Riem/SchmidtAßmann (Hrsg.), Öffentliches Recht und Privatrecht als wechselseitige Auffangordnungen, 1996, s. 143 ff. (147).
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über sich ergehen lassen, auch wenn sie seine Pflichten über die in der Polizeierlaubnis vorgesehenen Auflagen hinaus steigert und eine Vermögensschädigung nach sich zieht ( ... ). Allein auch bei unveränderter Gesetzgebung ist der Inhaber der Polizeierlaubnis verpflichtet, seine Tätigkeit fortschreitend den wechselnden äußeren Umständen anzupassen. Daher ist die Polizei befugt, ihm zu diesem Zwecke neue Auflagen zu machen und in die durch die Polizeierlaubnis geschaffene Lage einzugreifen ( ... ). Doch kann das Gesetz diesen Grundsatz durchbrechen und den Inhaber einer Polizeierlaubnis gegen nachträgliche individuelle Anordnungen sicherstellen; in umfassender Weise hat dies die Reichsgewerbeordnung zugunsten der Inhaber genehmigter Betriebe getan."29
Unumstritten ist der Bestandsschutz von genehmigten Anlagen aber auch im Rahmen der Regelungen in der Reichsgewerbeordnung nie gewesen. 30 Nachträgliche Anordnungen konnten im Grundsatz zwar nur dann erlassen werden, wenn die Erlaubnis mit einem Auflagenvorbehalt versehen war. Dieser war nur ausnahmsweise zulässig, soweit von der Anlage in besonderem Maße Nachteile, Gefahren und Belästigungen ausgingen und die Behörde schon im Erlaubnisverfahren nicht sicher sein konnte, ob mit den zunächst erlassenen Auflagen die Belastungen abgewehrt werden könnten. 31 Im übrigen galt die genehmigte Anlage gegen ein nachträgliches Vorgehen auch aus anderen als gewerbepolizeilichen Gründen geschützt. 32 Dies hinderte die Polizeibehörden zunächst freilich nicht, auch ohne entsprechende Ermächtigung z. T. erfolgreich gegen Anlagen nachträglich vorzugehen.33 Die Regelungen des gewerberechtlichen Kontrollinstrumentariums warfen im 19. Jahrhundert immer wieder die Frage nach dem Verhältnis zu denprivatrechtlichen Abwehrmöglichkeiten unerwünschter Techniken auf. Wo der Staat die Technikentwicklung im Rahmen des gewerberechtlichen Erlaubnisverfahren kontrollierte, wurden die aufbrechenden Interessenkonflikte der Industriegesellschaft einem öffentlich-rechtlichen Ausgleich zugeftlhrt und die privatrechtlichen Ausgleichsmechanismen sukzessive verdrängt. 34 Die preußische F Fleiner, Institutionen des Deutschen Verwaltungsrechts, 8. Aufl., 1928, S. 412 f Vgl. Vossen, Das Recht der konzessionierten gewerblichen Anlagen, 1911, S. 33 ff. 31 Landmann/Rohmer, Kommentar zur Gewerbeordnung filr das Deutsche Reich, 8. Aufl., 1928, § 18 Rn. 5. 32 PrOVGE 10, 260 (263 ff.); 24, 316 ff. (320); aus dem Schrifttum Arndt, VerwArch. 10(1902), S.I85ff. 33 Zum Ganzen Kloepfor (FN I 0), S. 56 f. 34 In dem Maße, wie die belastenden Folgen privater Freiheitsausübung Gegenstand staatlicher Eröffuungs- und Überwachungskontrollen wurden, mußten privatrechtliche Abwehransprüche wie die actio negatoria (§ 1004 BGB) weichen. Auch in der privatrechtlichen Binnenperspektive treten mit der Zunahme der Nutzungskonflikte vielfliltige Duldungspflichten (im Rahmen des § 906 BGB) hervor. Was bleibt, sind Schadensersatzansprüche, die das Zurliektreten der Abwehransprüche zu kompensieren helfen (vgl. heute etwa§§ 14 S. 2 BimSchG, 906 Abs. 2 S. 2 BGB). 29
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Gewerbeordnung von 1845 hatte lediglich die nicht-privatrechtliehen Einwendungen, deren Anmeldung im Rahmen des Erlaubnisverfahrens innerhalb einer festgesetzten Frist versäumt wurde, der Präklusion unterworfen (§ 29 Abs. 3 PrGewO). Privatrechtliche Einwendungen wurden demgegenüber zur richterlichen Entscheidung verwiesen, ohne daß von ihnen der weitere Gang des Er· Iauboisverfahrens abhängig war (§ 31 Abs. 1 PrGewO). Insbesondere das private Nachbarrecht erlaubte es, die Stillegung einer Anlage durch die Zivilgerichte herbeizuführen. 35 Für den Erlaubnisinhaber bedeutete dies eine erhebliche Unsicherheit, die erst durch die Reichsgewerbeordnung von 1871 abgemildert wurde. § 17 Abs. 2 RGewO verlieh der Einwendungsfrist nunmehr auch eine materielle Präklusionswirkung36 für alle Einwendungen, die nicht auf besonderen privatrechtliehen Titeln beruhten. Zentrale Bedeutung kam § 26 RGewO zu, der eine auf allgemeinen privatrechtlichen, insbesondere nachbarund deliktsrechtlichen Titeln beruhende Privatklage auf Einstellung des genehmigten Betriebs ausschloß und den privatrechtliehen Anspruch auf Schutzvorkehrungen bzw. subsidiär auf Schadensersatz reduzierte. 37 Der Ausschluß privater Abwehrrechte durch die Anlagenerlaubnis verschaffte dem Erlaubnisinhaber eine relativ hohe Investitionssicherheit, wurde aber erst sehr viel später durch eine entsprechende Prüfungsdichte hinsichtlich der privaten Belange im Erlaubnisverfahren öffentlich-rechtlich ergänzt und so eigentlich erst legitimiert. Auch der öffentlich-rechtliche Drittschutz konnte sich erst unter dem Grundgesetz in seiner ganzen Breite entfalten. Aber so wenig die Erlaubnis typischerweise als grundrechtlicher Eingriff in geschützte Rechtspositionen des Dritten gewertet werden kann, ließ sie sich als universelles Schutzschild ausbauen, das nicht nur die polizeiliche, sondern unter dem Rückgriff auf die Einheit der Rechtsordnung auch die zivilrechtliche Verantwortlichkeit des Erlaubnisinhabers grundsätzlich beseitigt. 38 Im Rahmen des grundrechtlich gesteuerten Modells der Kontrollerlaubnis kann die Behörde die Erlaubnis nicht wegen noch unbekannter Gefahren oder wegen ungewisser zukünftiger Technikentwicklungen verweigern. Und selbst zur Einführung prä35 Vgl. F.-J. Brüggemeier, Das unendliche Meer der Lüfte. Luftverschmutzung, Industrialisierung und Risikodebatten im 19. Jahrhundert, 1996. 36 Vgl. Kloepfer (FN 10), S. 43 ff.; zu Entstehungsgeschichte und Inhalt der Präklusionsregelungen der Reichsgewerbeordnung Gallenkamp, Sächsisches Archiv filr Bürgerliches Recht und Prozeß 1 (1891), S. 7{)5 ff.; zu den teilweise schärferen Präklusionsvorschriften des älteren Mühlenrechts Preu, Die historische Genese der öffentlichrechtlichen Bau- und Gewerbenachbarklagen, 1990, S. 35 ff. 37 Zur Problematik der Subsidiarität des Schadensersatzanspruches Ogorek, Actio negatoria und industrielle Beeinträchtigung des Grundeigentums, in: Coing/Wilhelm (Hrsg. ), Wissenschaft und Kodifikation des Privatrechts im 19. Jahrhundert, Bd. IV, 1979, S. 40 (61 ff.). 38 Dazu Jarass, Verwaltungsrecht als Vorgabe filr das Zivil- und Strafrecht, VVDStRL 50 (1991), S. 238 ff.
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ventiver Kontrollen filr neue Techniken ist der Gesetzgeber nur im Falle grundrechtlicher Schutzpflichten zugunsten der betroffenen Dritten verpflichtet. Grundsätzlich übernimmt der Staat mit der Erlaubniserteilung weder die Verantwortung filr gleichwohl eintretende Schäden 39 noch ordnet er damit eine umfassende Legalisierungswirkung an, die über die gesetzliche Einschränkung der privatrechtliehen Abwehr- und SchutzansprUche hinaus an der privatrechtliehen Verteilung des Investitions- und Schadensrisikos zu Lasten des Setreibers etwas ändert. 40 Staatliche Erlaubnisse dürfen nicht als befreiende Risikoverlagerungen vomVerursacherauf den Staat mißverstanden werden. Die Anlagenerlaubnis, wie sie im Gewerbepolizeirecht entwickelt, im Immissionsschutzrecht fortentwickelt und auch filr neue Techniken41 eingefilhrt worden ist, stellt keine verantwortungsverlagemde behördliche Zukunftsgarantie filr die Gemeinwohlverträglichkeit einmal genehmigter Anlagen dar. 42 Auch der sich erlaubniskonform verhaltende Anlagenbetreiber wird durch die Erlaubnis nicht von seiner Verantwortlichkeit filr Schäden befreit, deren Eintritt die Erlaubnis gerade verhindern, nicht aber gestatten wollte. 43 Die Wirkungen, die filr die Behörde nicht erkennbar waren und deshalb eine Ablehnung der Erlaubnis nicht gerechtfertigt hätten, können in ihren Folgen von der Erlaubnis nicht gedeckt sein. Es gilt - wie es das Bundesverwaltungsgericht ausgefiihrt hat44 nicht "das Prinzip, daß alles erlaubt ist, was in der Genehmigung nicht verboten ist, sondern es ist verboten, was in der Genehmigung nicht gestattet ist" . Angesichts der kognitiven und evaluativen Grenzen sowie den begrenzten Gestaltungswirkungen der Kontrollerlaubnis wachsen die Zweifel, ob sich das Regelungsmodell der präventiven Kontrolle durch den Erlaubnisvorbehalt zur staatlichen Bewältigung komplexer Techniksysteme weiter ausbauen läßt45 oder ob nicht vermehrt auf die Entwicklung neuer Instrumente in einer Verantwortungsgemeinschaft von Staat und Gesellschaft, insbesondere auf neuartige Ko-
BVerfG, NJW 1998,3264 ff. Zu den Wirkungen einer immissionsschutzrechtlichen Genehmigung Sach, Genehmigung als Schutzschild?, 1994, S. 150 ff. 41 Z. B. fiir die Gentechnologie, vgl. § 8 GenTG. Zu den rechtspolitischen Bestrebungen einer Deregulierung des Zulassungsverfahrens E. Rehbinder, ZUR 1999, 6 (9 ff.). 42 Vgl. Kloepfer, NuR 1987, 7 ff. (14). 43 Hermes (FN 24), S. 204 ff. 44 BVerwG, NuR 1990,318 (319). 45 Verbreitete Skepsis etwa auf der Hannoveraner Staatsrechtslehrertagung 1989, VVDStRL 48 (1990) von Badura (S. 267 ff.), Götz (281 f.), Brohm (S. 283 f.), Thieme (S. 288), Wahl (S. 292), Vogel (S. 303) und Pitschas (S. 312); optimistischer Schlink, s. 243 ff. 39
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operationsformen und vor allem auf die Nutzung von gesellschaftlichen Selbstregulierungspotentialen und technischen Selbstschutz gesetzt werden sollte. 46
II. Technikrecht als öffentlich-rechtliches Gestaltungsmittel 1. Trennung von Staat und Technik Dem Grundmodell der direkten administrativen Verhaltenssteuerung im Technikrecht liegt die Trennung von Staat und Technik zugrunde. Während sich die Technik im 19. Jahrhundert vom Staat emanzipierte und eine zunehmende Eigendynamik entwickelte, begann die Distanz zwischen Staat und Technik zu wachsen. Der Staat beschränkte sich weitgehend auf den Erlaß einschränkender Normen und Verfilgungen. Aus der Perspektive der privaten Handlungsakteure, die sich im Rahmeri der technischen Erfindungen, aber auch der Technikanwendung und Technikverbreitung als Repräsentanten des technischen Fortschritts verstanden haben, erschien der Staat als Außenstehender und die präventive Kontrolle als Fremdeinwirkung. Politik und Technik traten auseinander, wenn nicht teilweise sogar gegeneinander. 47 Für den Staat ließen sich im Wege der externen Techniksteuerung unerwünschte Technikentwicklungen nur dort vollständig verhindern, wo sie verboten werden konnten. Und die Reichweite eines (nationalen) Verbotes, dessen staatliche Durchsetzung den Adressaten zu Ausweichstrategien beflügelt, war territorial beschränkt, konnte (und kann bis heute) insbesondere also nicht verhindern, daß der betroffene Adressat mit der verbotenen Entwicklung - rechtmäßig - in das Ausland abwandert.48 Der Industrialisierungsprozeß im 19. Jahrhundert mag auf der einen Seite von dem liberal-rechtsstaatliehen Grundgedanken der Trennung von Staat und Technik maßgeblich begleitet, wenn nicht sogar nachhaltig gefördert worden sein. Für Preußen und später das Reich standen aber nicht nur das über die Technik symbolisierte Prestige des Staates (z. B. Weltausstellungen), sondern auch die internationale KonkurrenzHihigkeit ihrer Volkswirtschaft auf dem Spiel. Zudem wuchs auf der anderen Seite mit dem fortschreitenden Industrialisierungsgrad das Sicherheits- und Kontrollbedürfnis, dem der Staat in der bis46 So etwa fiir den Datenschutz Kloepfer, Geben moderne Technologien und die europäische Integration Anlaß, Notwendigkeit und Grenzen des Schutzes personenbezogener Informationen neu zu bestimmen?, GutachtenD zum 62. DJT, 1998, S. 92 ff. 47 Zum Trennungsmodell von Staat und Technik Gusy, Techniksteuerung durch Recht - Aufgaben und Grenzen, in: Donner u. a. (Hrsg.), Umweltschutz zwischen Staat und Markt, 1989, S. 241 (242 ff.). 48 Wichtige Ausnahme: Das Kriegswaffenkontrollgesetz von 1960 i. d. F. der Bek. vom 22. November 1990, BGBI. I S. 2506.
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I. Teil: Grundlagen
herigen Zurtickhaltung mit seinen reduzierten Einwirkungsmöglichkeiten auf die Technik nicht mehr allein hinreichend begegnen konnte. Die Expansion der Städte, der Ausbau der Eisenbahn und die Durchsetzung der Telegrafentechnik machten schon vor dem ersten Weltkrieg immer mehr staatliche Planungen notwendig, um im Wege einer frühzeitigen Konfliktbewältigung das anschließende Verwaltungshandeln zu entlasten. 49 In dem Maße, wie sich die Industriegesellschaft unter dem Einfluß neuer Techniken entwickelte, verloren liberale Prinzipien an Überzeugungskraft 50 und büßten im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts ihre staatsprägende Leitfunktion zugunsten der älteren wohlfahrtsstaatliehen Traditionslinien 51 allmählich (wieder) ein: Die Industriegesellschaft hatte in der Praxis52 den Interventionsstaat hervorgebracht. 53 Neben die punktuelle Erlaubnis tritt die flächendeckende Planung und das Planungsrecht, mit dem das Instrumentarium des Staates zur Technikbewältigung eine erhebliche Ausweitung erfuhr. Die distanzierte Offenheit des Staates gegenüber der Technikentwicklung weicht nach der Jahrhundertwende einer staatlichen Angewiesenheil auf technische Innovationen und deren öffentlichrechtlicher Mitgestaltung. 54 Mit der Realisierung technischer Innovationen stehe und falle die Leistungsflihigkeit der Wirtschaft - und damit der Bestand des Staates, der in dem Bestreben, eine hinreichend Ieistungsflihige Wirtschaft zu erhalten, von der Technik abhängig werde 55 und das Ende der Epoche (innerer) Souveränität anzukündigen drohe. 56 49 Den Ursprung des Planfeststellungsverfahrens bildet § 4 des Preußischen Gesetzes über die Eisenbahn-Unternehmungen vom 3. I 1.1838 (GS S. 505), wonach eine Vielzahl behördlicher Genehmigungen fiir eine Bahnlinie durch die Genehmigung des zuständigen Ministers ersetzt wurde. 50 Der Staat - so 1844 der Industrielle Harkort- muß "einschreiten, um fernerem Verderben zu wehren, damit der Strom des Pauperismus nicht unaufhaltsam wachsend die gesegenten Auen des Vaterlandes unheilbringend überschwemme. Vom Staate verlangen wir, daß er nicht allein gebietend, sondern auch helfend und fördernd einschreite": Rarkort, Die Industrie, 1844, in: Schraepler, Quellen zur Geschichte der sozialen Frage in Deutschland I, 3. Aufl., I964, S. 87 f. 51 Vgl. H Maier, Die ältere Staats- und Verwaltungslehre, 2. Aufl., 1980. 52 Zur auffälligen Diskrepanz zwischen Theorie und Praxis des Wirtschaftsliberalismus H Bauer, in: R. Schmidt, Öffentliches Wirtschaftsrecht, Allgemeiner Teil, 1990, S. 12 ff. 53 Instruktiv zur Entstehung des Interventionsstaates Stolleis, ZNR 1989, 129 ff.; zum Ganzen auch E. R. Huber, Deutsche Verfassungsgeschichte, Bd. IV, 2. Aufl., 1982, S. 981 ff. (m. w. N.). 54 Zum Ganzen Gusy (FN 47), S. 246 ff. 55 Vgl. Forsthojf. Der Staat 1970, 145 ff. 56 Kulturpessimistisch F orsthoff(in: Der Staat der Industriegesellschaft, 1971, S. II ff.) mit seiner "Erinnerung an den Staat". Auch Carl Schmitt (in: Der Begriff des Politischen, 1963, S. 10) hatte zuletzt mit dem Blick auf die Folgen der staatlich kaum noch zu beherrschenden Technikentwicklung kurz und bündig konstatiert: "Die Epoche der Staatlichkeit gehtjetzt zu Ende. Darüber ist kein Wort mehr zu verlieren." Zum Ganzen Vesting, Politische Einheitsbildung und technische Realisation, 1990.
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Mag sich filr die Fortentwicklung allgemeiner Lehren des Verwaltungsrechts nach dem Diktum Otto Mayers auch "nichts wesentlich neues getan" haben, filr das Technikrecht stellt der erste Weltkrieg mit der Bedrohung und dem anschließenden Teilverlust der (äußeren) Souveränität57 eine einschneidende Zäsur dar. Der Krieg hatte eine zentrale Steuerung nahezu aller Wirtschaftsbereiche erforderlich gemacht und zur Optimierung der Einwirkungsmöglichkeiten des Staates ein umfassendes Lenkungs- und Förderungsinstrumentarium hervorgebracht, mit dessen Hilfe sich kriegsrelevante Techniken (z. B. die Waffenproduktion) gezielt beeinflussen ließen. Mit den im Krieg entwickelten Rechtsformen und Grundsätzen zur Durchorganisation von Wirtschaft und Technik war unter formaler Aufrechterhaltung der liberalen und marktwirtschaftliehen Grundprinzipien der immer fragwürdiger gewordene Topos "freier" Technikentwicklung in das Reich der Legende verwiesen worden. Staatliche Technikilirderung und technikbezogene Forschungsförderung ließen sich nach dem Krieg nicht mehr verdrängen. Insbesondere durch Subventionen wurden private Träger technischer Vorhaben in den Stand versetzt, die staatlich gewollte Technikentwicklung in das ökonomische Handlungskalkül aufzunehmen. Obwohl sich eine solche implementative, die Eigenlogik des Techniksystems respektierende Steuerung dadurch auszeichnet, daß der Staat seine Überwachungskompetenz nicht allein von außen an den technischen Sektor heranfUhrt, wachsen die Gestaltungsmöglichkeiten mit der ilirdemden Beteiligung des Staates an technischen Vorhaben, die - wie die Beispiele der Luft- und Raumfahrttechnik oder der Solartechnik zeigen- ohne staatliche Förderung vielfach überhaupt nicht realisierbar wären. Neben das direkte Instrumentarium des Staates treten - dies läßt sich als Grundzug der Technikrechtsentwicklung beobachten - zunehmend indirekte Lenkungsinstrumente. 58 Dabei behält der Bürger grundsätzlich die Wahl, ob er dem staatlichen Verhaltensimpuls folgt oder nicht. Auf dieses Letztentscheidungsrecht kommt es an, bezieht sich die indirekte Steuerung - sei es ökonomisch durch die staatliche lnstrumentalisierung von Marktmechanismen, informal durch lenkende Informationen und Absprachen oder organisatorisch durch Einwirkungen auf betriebliche Abläufe - doch ausschließlich auf gleichermaßen rechtmäßige Verhaltensformen. 59 Der Staat verzichtet auf die Illega-
57 Zur Problematik der Souveränität in den zeitgenössischen Darstellungen Hebeisen, Souveränität in Frage gestellt, 1995, S. 24 ff. 58 Neben Subventionen z. B. Lenkungsabgaben oder haftungsrechtliche Anreize, aber auch informale Absprachen und Informationen. 59 Statt vieler Kloepfer, Umweltrecht, 2. Aufl., 1998, § 5 Rn. 148 ff.
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lisierung von Verhaltensweisen und versucht nur, beim Betroffenen eine bestimmte Verhaltensform anzuregen. 60 Im wesentlichen wird die Technikrechtsentwicklung nach 1945 durch drei markante Entwicklungslinien geprägt. Zunächst ist hier erstens die Konturierung des Gesetzesvorbehalts zu nennen, mit dessen Hilfe sich unter dem Grundgesetz die Einwirkungsmöglichkeiten der Verwaltung auf die Technik limitieren ließen. 61 Der Anpassungsdruck, dem sich das Technikrecht mit dem Bedeutungszuwachs der Diskussion technischer Risiken in der Öffentlichkeit ausgesetzt sieht, ftlhrte zweitens zu einer weiter zunehmenden Verlagerung der Techniksteuerung auf die untergesetzliche Normenebene. Schon mit der Neufassung des § 16 GewO aus dem Jahr 195962 verzichtete der Gesetzgeber auf die Auffilhrung der genehmigungspflichtigen Anlagen im Gesetz und ermächtigte die Bundesregierung, mit Zustimmung des Bundesrates die "lästigen Anlagen" durch Rechtsverordnung zu bestimmen (§ 16 Abs. 3 GewO). Dies erleichterte die laufende Anpassung des Verzeichnisses der unter§ 16 GewO fallenden Anlagen an die technische Entwicklung. 63 Die zunehmende Bedeutung der Normkonkretisierung, wie sie in der Verwaltungspraxis vor allem durch die technischen Anleitungen als bloßen Verwaltungsvorschriften Ubemommen wird, warf die Frage auf, ob das Gesetz als zentrales Steuerungsinstrument noch die wesentlichen Entscheidungen treffe. 64 Schließlich hat drittens die Ausdehnung der staatlichen Schutzziele unter den gestiegenen Vorsorgeanforderungen an die Technikentwicklung immer deutlicher Überforderungserscheinungen und Grenzen staatlicher Technikgestaltung zu Tage treten lassen. Der Staat kann nicht mehr alle erforderlichen Technikstandards selbst setzen oder gar Uber ihre Einhaltung wachen. Mit der wachsenden Erwartung an den Staat, technische Probleme umfassend zu bewältigen, droht seine Handlungsfähigkeit abzunehmen. Das herkömmliche, aber unverzichtbare Steuerungsmodell der Ge- und Verbote scheint angesichts komplexer Problemlagen, bestehender Informationsdefizite und kaum noch zu überschauender Wirkungszusammenhänge zu versagen. 65 Wo die Risiken einer Technologie nur erahnt, nicht aber hin60 Instruktiv Gramm, Der Staat 1991, S. 51 ff (67): Zwischen "das rechtlich nicht vorgeordnete freie Wollen und das die individuelle Handlungsfreiheit beschränkende rechtliche Dürfen schiebt sich im Feld des rechtlich Erlaubten unwillkürlich ein Drittes: die staatlicherseits empfohlene und erwünschte Freiheitsausübung". 61 Zum Gesetzesvorbehalt fiir staatliche Risikoentscheidungen Di Fabio, Risikoentscheidungen im Rechtsstaat, 1994, S. 445 ff.; fiir das Informations- und Kommunikationsrecht siehe auch Schlink (FN 45), S. 298 f. 62 BGBI. I S. 781. 63 Ronellenfitsch (FN 3), S. 858. 64 Im Umwelt- und Technikrecht scheint die umgekehrte Wesentlichkeitstheorie (Salzwedel) zu gelten. Zur Unverzichtbarkeit des Gesetzes fiir die Techniksteuerung Schuppert (Hrsg.), Das Gesetz als zentrales Steuerungsinstrument des Rechtsstaates, 1998. 65 Vgl. Kloepfer/E/sner, DVBI. 1996,964 f.
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reichend genau abgeschätzt werden können (wie z. B. der Gentechnologie), bedeutet das Festhalten an einseitig-hoheitlichen Technikkontrollen ohne gesicherte Wissensbasis - je nach Einschätzung - Allmacht oder Ohnmacht des Staates. Die rechtsstaatliehen Kosten (z. B. verminderter Rechtsschutz) sind in beiden Fällen hoch und zwingen zur Suche nach Auswegen, welche die eigenverantwortliche Selbststeuerung in Techniksystemen hervortreten läßt. Stellt der Staat die gesellschaftliche Selbststeuerung in einen rechtlichen Ordnungsrahmen und beschränkt sich auf die Kontrolle der (privaten) Kontrolle, so setzt er die Selbststeuerung als intelligibles Steuerungsmittel ein, legt dieser also weder das Konzept eines "laissez faire" noch eines bloßen "anything goes" zugrunde. Mit einer solchen, freilich voraussetzungsvollen Verantwortungsteilung66 könnte der Staat die Handlungs- und Gestaltungskraft erhalten, die ihm anderenfalls durch die Überspannung seiner Kräfte im Bereich der Technik weiter verloren zu gehen droht. 2. Verbindung von Staat und Technik: Staatliche Alleinrechte
Das historische Gegenmodell zur Trennung von Staat und Technik bilden die staatlichen Alleinrechte, mit denen die Technikentwicklung in die Hand des Staates gelegt wurde. Dort, wo sich der Staat mit der Technik identifiziert und selbst technikinitiierend bzw. -entwickelnd auftritt, reichen die staatlichen Einwirkungsmöglichkeiten sehr weit. Wer ein technisches Vorhaben selbst entwikkelt, bestimmt zugleich, wie es entwickelt wird. 67 Fallen staatliche Entwikklungs- und Überwachungskompetenz zusammen oder ist die entwickelnde Stelle zugleich Genehmigungs- und damit Überwachungsbehörde (so wie dies § 36 BBahnG oder§§ I, 2 FAG vorsahen), besteht das Problem weniger darin, daß der Träger technischer Belange diesen einen Vorrang gegenüber sonstigen Belangen einräumt als vielmehr darin, daß es schwerfallt, sonstige nichttechnische Belange an die technikgestaltende öffentliche Hand heranzufiihren. Wo das institutionelle Gegengewicht fehlt, sei es auf staatlicher Ebene oder in Gestalt privater Interessengruppen, vollzieht sich staatliche Technikentwikklung im Wege einer sehr weitreichenden Selbststeuerung. Dieser liegt freilich nicht die Freiheit zur Gestaltung der Technik, sondern die Bindung der Technikgestaltung an das Gemeinwohl zugrunde. Weil der Staat jedoch die Ge~ 66 Vgl. Trute, Verantwortungsteilung als Schlüsselbegriff eines sich verändernden Verhältnisses von öffentlichem und privatem Sektor, in: Schuppert (Hrsg.), Jenseits von Privatisierung und "schlankem" Staat, 1999, S. II ff.; dazu kritisch H. C. Röhl, Verwaltungsverantwortungals dogmatischer Begriff?, Die Verwaltung, Beiheft 2, 1999, S. 33 (53 ff.). 67 Gusy (FN 47), S. 242.
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meinwohlbelange weitgehend selbst definiert, verschwimmen die Grenzen zwischen technischen und sonstigen öffentlichen Belangen, ja drohen eins zu werden. Nicht zuletzt deshalb ist die enge Verbindung, die der Staat zur Technik durch faktische oder rechtliche Technikentwicklungsmonopole eingeht, in besonderem Maße rechtfertigungsbedürftig und hat im Verlauf der Technikrechtsentwicklung unterschiedliche Begründungen hervorgerufen, die ihre Tragfähigkeit ftlr die meisten Technikbereiche nach und nach verloren haben. Vor allem im Bereich neuer Techniken wie der Eisenbahn oder der Telegrafie war die Frage, ob diese staatliche Alleinrechte begründen, das gesamte 19. Jahrhundert über virulent und bisweilen überaus umstritten. Im wesentlichen war es zunächst eine Frage der Regalität. So umstritten die Begründung und der Umfang eines Regals im gewerbefreiheitliehen Kontext auch war, die Regalität wurde als Sammelbegriff fiir die "öffentlichen Rechte" des Staates nicht in Frage gestellt und umschrieb nach den zeitgenössischen Darstellungen alle diejenigen Befugnisse, welche "sich der Staat als solcher im Wege der Gesetzgebung oder des Gewohnheitsrechts aus Gründen des öffentlichen Wohls bzw. des allgemeinen Interesses ausschließlich vorbehalten hat."68 Daß dies keinen Ausschluß privater Technikträger bedeuten mußte, zeigte die Eisenbahn, wo sich ein Eisenbahnregal zwar ohne weiteres begründen und vom Staat in Anspruch nehmen ließ. Die Eisenbahntechnik betraf aber unbekanntes Neuland, das einen hohen Anfangsfinanzierungsbedarf einschloß69 und deshalb vom Staat nicht allein betreten wurde. Vielmehr gab es in den deutschen Staaten neben der Staatsbahn auch Privatbahnen, die in Aktiengesellschaften organisiert waren. Im Bereich der Telegrafie orientierten sich die Staaten dagegen am Postregal, das zur Errichtung zentral verwalteter Staatsunternehmen geftlhrt hatte. 70 Die unkörperliche Nachrichtenübermittlung ließ sich in der Tradition des staatlichen Postregals umso eher als staatliche Angelegenheit begreifen, als militärische Erwägungen der privaten Betorderung von Depeschen zunächst entgegenstanden.71 In dem Maße, wie sich mit der Telegrafie aber ein neuer Industriezweig ankündigte, wurden die staatlichen Telegrafenlinien ftlr die öffentliche Benutzung geöffhet und - wenngleich unter strikten Auflagen - der private Betrieb von Eisenbahntelegrafen zugelassen bzw. geduldet, soweit diese sich verpflichteten, auch behördliche Depeschen - in Preußen sogar unentgeltlich - zu
W Ludewig, in: ZGHR 31 (1885), S. 63 ff. (69). Vgl. Scherner, in: ZNR 16 (1994), S. 39 ff. (41). 70 Scherner (FN 69), S. 40 ff. (m. w. N.). 71 Vgl. Knies, Der Telegraph als Verkehrsmittel, 1857, S. 223 f.
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bellirdem.72 Nachdem in Preußen der Allgemeinheit die Nutzung der Telegrafie im "Regulativ über die Benutzung der elektromagnetischen Staatstelegraphen seitens des Publikums" vom 6. August 184973 gestattet worden war, hieß es in dem 1855 vorgelegten Entwurf zum preußischen Telegrafengesetz aus Sorge vor Gefilhrdungen der inneren und äußeren Sicherheit durch die neue Informationstechnik: "Es bedarf der näheren Begründung nicht, daß in politischer Beziehung eine sorgfliltige Beaufsichtigung des Telegraphendienstes gesichert sein muß und daß eine solche Überwachung nur möglich ist, wenn die Telegraphen-Anstalten in der Hand der Regierung sich befinden(... ). Im Allgemeinen läßt sich annehmen, daß die Telegraphen in den Händen von Privat-Personen ebenso geflihrlich werden können, als sie in der Hand der Regierung wichtig und nützlich sind."74
Die preußische Regierung hatte freilich zunächst kein Interesse an einer gesetzlichen Regelung des Telegrafenwesens, hätte dies doch die Gestaltungsfrei~ räume des Staates eingeschränkt. Vielmehr gelang es dem Generalpostmeister Heinrich von Stephan, die anilinglich eigenständige Telegrafenverwaltung der Postverwaltung zuzuordnen, um mit Überschüssen der Post den weiteren Ausbau der defizitären Telegrafie finanzieren zu können. 75 Als die auf die Behauptung eines Telegrafenregals gestützte Alleinberechtigung des Staates76 schließlich durch das preußische Telegrafengesetz vom 6. April 189277 legalisiert wurde, lagen diesem im Grunde keine primär polizeiliche, sondern bereits eher filrsorgliche Erwägungen zugrunde, die später in den Gedanken der staatlichen Daseinsvorsorge mündeten, mit dem sich bis in die jüngere Zeit hinein das Post- und Fernmeldeanlagenmonopol des Staates aufrechterhalten ließ.
72 Hierzu und dem Zusammenhang von Eisenbahn und Telegrafie Reind/, Telegrafie, Regierung und Verwaltung in den Ländern des Deutschen Bundes, I 848-1871, JEV 9 (1997), S. 121 (125 ff.). 73 Vgl. Schött/e, Der Telegraph in administrativer und finanzieller Hinsicht, 1883, s. 148. 74 Zit. nach Löser, Die Entstehung der elektrischen Telegraphie und ihre Entwicklung in Preußen bis 1867, 1964, S. 100. 75 Köbe/e, Fernmeldewesen und Telematik in ihrer rechtlichen Wechselwirkung, 1991, S. 159 ff. (m. w. N.). 76 Art. 48 Reichsverfassung enthielt eine Zuständigkeitsregelung fiir Post und Telegrafie, ließ sich nach rechtstaatlichen Grundsätzen aber kaum zur Abstützung eines staatlichen Telegrafenregals heranziehen: Laband, Das Staatsrecht des Deutschen Reiches, 2. Aufl., 1891, S. 69. Ihm schlossen sich im rechtswissenschaftliehen Schriffttum viele derer an, die zuvor noch eine Alleinberechtigung des Staates angenommen hatten (insbesondere Meili, Das Telephonrecht, 1885, S. 31 ). Zum Streit über die (faktische) Inanspruchnahme des TeIegrafenregals Kilger, Die Entwicklung des Telegraphenrechts im 19. Jahrhundert mit besonderer Berücksichtigung der technischen Entwicklung, 1993, S. 81 ff.; siehe auch (Kap. Kommunikationstechnik und Technikrechtsentwicklung). 77 RGBI. S. 467. 3 Kloopfer
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Das Telegrafengesetz (TG) von 1892 wurde filr zukünftige Entwicklungen bewußt offen gelassen, erfaßte die Entwicklung der Telefon- und später auch der Funktechnik78 und bildete zusammen mit dem Telegraphenwege-Gesetz (TWG) vom 18. Dezember 189979 die tragende Säule filr eine geordnete, den praktischen Bedürfnissen angepaßte Infrastruktur der Femmeldetechnik. 80 Während das Telegrafengesetz dem Staat die Telegrafie vorbehielt, stellte das Telegrafenwegegesetz das zur Ausübung dieses Alleinrechts erforderliche Instrumentarium bereit. Mit dem offenen Begriff der Femmeldeanlage81 ließen sich zwar auch neuartige Übertragungstechniken wie die Breitbandverkabelung auf eine vorhandene Rechtsgrundlage stützen. 12 Die Entwicklung neuer Informationstechniken und - hierdurch mitunter erst maßgeblich angeregt83 - die gestiegenen Kommunikationsbedürfnisse haben in den Informations- und Kommunikationstechnologien jedoch einen postindustriellen Wirtschaftsfaktor erkennen lassen, der unter dem Harmonisierungsdruck des europäischen Binnenmarktes14 die Frage aufwarf, ob Bedürfuisbefriedigung und Marktregulierung in staatlicher Regie verbleiben sollten oder den Marktkräften überlassen werden können. Derzeit bewegt sich das Kommunikationstechnikrecht zwischen diesen Polen und erkennt einerseits an, daß sich Kommunikation und technische Innovation vielfach im staatsfreien Raum abspielt (und abspielen kann oder sogar muß), andererseits aber auch in einer "liberalisierten" Informations- und Kommunikationsmarktordnung der staatlicher Einfluß und rechtliche Regelungen insbesondere zum Jugend- und Verbraucherschutz sowie zum gewerblichen Rechtsschutz und Staatsschutz unverzichtbar bleiben. 85 Das Kommunikationsrecht des Bundes hat sich zunehmend von seinem technikrechtlichen Ansatz gelöst und versteht sich immer mehr als Kommunikationswirtschaftsrecht. Demgegenüber treten die inhaltlich-kulturellen Fragen zunehmend zurück. Dies hat maßgeblich kompetenzielle Gründe, liegt möglicherweise aber auch in der weitgehenden Unregierbarkeit des Geistigen. 78 Siehe hierzu aber auch das Gesetz zur Änderung des Telegraphengesetzes, RGBI. 1908, S. 79. 79 RGBI. S. 705. 80 So, die historische Entwicklung resümierend Kifger (FN 76), S. 184. 81 BVerfGE 46, 120 ff. (144). 82 Kifger (FN 76}, S. 187. 83 PrononciertNei/ Postman, SZ Nr. 110 v. 15./16. Mai 1999, S. III. 84 Kloepfer, Auf dem Weg zur europäischen Informationsgesellschaft, in: EuR 2000, Heft4. 85 Freilich stellt auch das bisher eher anarchisch gewachsene Internet keinen eigenen Rechtsraum dar, der die Schaffung eines Ordnungsrahmes überflüssig machen könnte. Der globale Charakter des Intemets macht nationalstaatliche Regulierungen nicht unmöglich, nur schwieriger und verlangt aufgrund des einsetzenden Wettbewerbs der Rechtsordnungen eine staatliche Selbstbeschränkung: Trute, Öffentlich-rechtliche Rahmenbedingungen einer Informationsordnung, VVDStRL 57 (1998), S. 218 (244 ff.).
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111. Techniküberwachung Schließlich tritt neben die präventive Kontrolle und Gestaltung technischer Entwicklungen die repressive Techniküberwachung, die als Fremd- oder Eigenüberwachung ausgestaltet sein kann, in der Regel aber beide Elemente enthält. Im Recht der überwachungsbedürftigen Anlagen ist die Fremdüberwachung zunächst durch die zuständigen Behörden vorgenommen worden.16 Doch schon bei der Überwachung von Dampfkesseln zeigte sich, daß der behördliche Sachverstand allein nicht ausreichte, größere technische Anlagen mit dem erforderlichen Maß an technischen Kenntnissen hinreichend sicher beurteilen zu können. Die Methoden bei der Begutachtung und Abnahme neuer Dampfkesselanlagen durch die königlichen Baubeamten - so war von den Betroffenen und dem 1856 gegründeten Verein Deutscher Ingenieure (VDI) immer wieder zu hören - sei unzulänglich und unzeitgemäß. Angesichts der rasanten Technikentwicklung und der Sorge vor einer Behinderung des technischen Fortschritts zögerten die deutschen Staaten, die Überwachungsanforderungen in einen starren rechtlichen Rahmen zu fassen, der den Verwaltungsbehörden als Grundlage ihrer Prüfung hätte dienen können. Vielmehr wurde in den späteren Bestimmungen filr Landdampfkessel von der gesetzlichen Festlegung konkreter Berechnungsvorschriften abgesehen und die Eigenverantwortung der Dampfkesselbesitzer sowie der Hersteller betont. 17 Damit wurde zwar auf der einen Seite hinreichende Flexibilität geschaffen, um die Prüfungen jederzeit dem technischen Wandel anpassen zu können, auf der anderen Seite jedoch die Rechts- und Investitionsunsicherheit nicht beseitigt. Dem englischen Vorbild folgend schlossen sich die betroffenen Unternehmer in technischen Überwachungsvereinen11 zusammen, um die Kontrolle der Anlagen im Wege der- ihrem Selbstverständnis zufolge nicht nur selbstverständlichen, sondern auch qualitativ besseren - Eigenüberwachung vorzunehmen.19 Der preußische Staat sah hierin eine Chance, sich von Überwachungsaufgaben zu entlasten und übertrug amtliche Untersuchungsaufgaben auf die sich rasch ausbreitenden Dampfkessei-Überwachungsvereine, zunächst für die Kessel der Vereinsmitglieder, später filr die Revision auch derjenigen Kessel, die nicht den Vereinsmitgliedern gehörten und dehnte schließlich die Befugnisse der Überwachungsvereine auf sämtliche, den Gewerbeaufsichtsbeamten verbliebene Auf-
16 Für die Zuständigkeit der Kreisbaubeamten das Preußische Gesetz vom 7.5.1856 (GS S. 295). 17 Zur Entwicklung Hauck, in: GewArch. 1987, 145 (146 ff.). 18 Zu den Vorbildern Wiesenack, Wesen und Geschichte der Technischen Überwachungs-Vereine, 1971, S. 4. 89 Zur historischen Entwicklung W E. Hoffmann, Die Organisation der technischen Überwachung in der Bundesrepublik Deutschland, 1980, S. 30 ff.
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I . Teil: Grundlagen
gaben aus, so daß die Überwachung durch staatliche Beamte in Preußen zur Ausnahme wurde. 90 Um einheitliche Prüfungen in dem Bereich zu gewährleisten, wo sich der Staat auch von der Festlegung sicherheitstechnischer Bestimmungen zurückgezogen hatte, begannen die. Überwachungsvereine ab 1881 mit der Erarbeitung und Aufstellung technischer Normen fiir die Prüfung der Damptkessel.91 Bereits 1908 beruhten die "technischen Grundsätze" in den Anlagen zu den allgemeinen polizeilichen Dampfkesselbestimmungen auf Normenwerken, die Dampfkessel-Normungskommissionen erarbeitet hatten. Um das Feld nicht allein den Privaten zu überlassen, hatte man eine "kooperative" Lösung im Bereich der staatlichen Recht- und Regelsetzung angestrebt. 92 Die Normungskommissionen, in welchen der Staat und sonstige "Beteiligte" gemeinsam nach Maßstäben und Mechanismen fUr die Techniksteuerung suchten, wurden durch den 1923 eingerichteten Deutschen Dampfkesselausschuß ersetzt. Dessen Beschlüsse über Änderungen der Werkstoff- und Herstellungsvorschriften wurden vom Reichsarbeitsminister im Reichsanzeiger durch Veröffentlichung in Kraft gesetzt, sofern der Reichsrat zugestimmt oder aber keinen Einspruch erhoben hatte und auch im übrigen keine Bedenken seitens der Behörden bestanden.93 Nach dem 2. Weltkrieg wurden diese Aufgaben von den sogenannten "technischen Ausschüssen" aufgrundder Rechtsverordnungen nach§ 24 Abs. 4 GewO wahrgenommen. 94 In jüngerer Zeit sind etwa der kerntechnische Ausschuß und die Reaktorsicherheitskommission, aber auch die informale Zusammenarbeit zwischen dem Staat und den "beteiligten Kreisen" nach §§ 48, 51 BlmSchG hinzugetreten. Auf diese Weise haben sich im Technikrecht besondere Handlungsformen95 konstituiert oder erhalten, die im folgenden der technikrechtlichen Feinsteuerung zugeordnet werden sollen.
B. Feinsteuerung Der Primat des öffentlichen Rechts fiir die Techniksteuerung darf nicht über die privatrechtliehen Steuerungsmöglichkeiten hinwegtäuschen, denen im Technikrecht seit jeher eine besondere Rolle (z. B. im Haftungsrecht) zu-
90
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Hauck (FN 87), S. 146. Instruktiv Lundgreen (FN 9), S. 92 ff. Vgl. Kloepfer (FN I 0), S. 53. Hauck (FN 87), S. 147.
Zu dem heute durch das Gerätesicherheitsgesetz erfaßten Konzept kooperativer Entscheidungen in gemischten Organisationen Landmann!Rohmer, Gewerbeordnung, § 24 Rn. 29 ff. 95 Vgl. Gusy (FN 47), S. 249.
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kommt. 96 Ebensowenig läßt sich übersehen, daß sich der Staat im Bereich der Techniksteuerung schon früh die Recht- und Rege/setzung mit Privaten geteilt hat. Dies reicht von faktischen bis zu rechtlichen Selbstbindungen der Exekutive an private technische Regelwerke97 und wirft die Frage auf, wie der Staat seine Handlungs- und Gestaltungsmacht erhalten kann, wenn er die Konkretisierung unbestimmter Rechtsbegriffe (z. B. Stand der Technik) den Privaten und einem gleichsam "autonomen Recht der Technik" überläßt. 98 I. Privatrecht In dem Maße, wie das öffentliche Technikrecht mit der Industrialisierung im 19. Jahrhundert an Bedeutung gewann, wurde das Privatrecht mit seiner einfachen Gleichheitsprämisse hinsichtlich der Rechtssubjekte und dem Defizit an konkreten Entscheidungsmaßstäben filr den Ausgleich mehrseitiger Interessenkonflikte als Instrument der Technikgestaltung zwar zurückgedrängt, aber nicht vollständig verdrängt. 99 Konkurrenzlagen, wie sie vor allem im Hinblick auf private Abwehr- und Unterlassungsansprüche gegenüber technischen Vorhaben bestanden haben, ist in aller Regel nicht mit einem vollständigen Ausschluß, sondern mit einer Umgestaltung privatrechtlicher Ansprüche begegnet worden. Mit der Zurückschneidung der actio negatoria durch die Rechtsprechung und den Gesetzgeber 100 erhielt z. B. das Haftungsrecht maßgebliche Impulse filr die Steuerung erlaubter Technikrisiken, die im Interesse der Allgemeinheit zwar zugelassen, aber noch unbekannt und daher von staatlicher Seite nicht hinreichend abzuschätzen waren. Schon 183 8 hatte der Gesetzgeber im preußischen Eisenbahngesetz 101 die Gefahrdungshaftung eingefilhrt, mit deren Hilfe sich die "außerordentlich gefahrliehe Natur" des Eisenbahnbetriebs 102 haftungsrechtlich erfassen ließ. Obgleich sich der Gedanke einer verschuldensunabhängigen Haf96 Siehe etwa die Beiträge in Kloepfer (Hrsg.), Technikentwicklung und Technikrechtsentwicklung, 2000; zu Sicherheitsaspekten Damm, Risikosteuerung im Zivilrecht Privatrecht und öffentliches Recht im Risikodiskurs, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann (Hrsg.), Öffentliches Recht und Privatrecht als wechselseitige Auffangordnungen, 1996, S. 86 (112 ff.). 97 Vgl. Schmidt-Preuß, Private technische Regelwerke-rechtliche und politische Fragen, in: Kloepfer (Hrsg.), Selbst-Beherrschung im technischen und ökologischen Bereich, 1998, s. 89 ff. 98 Zur Problematik und Rezeptionsbedürftigkeit technischer Normen Marburger, Die Regeln der Technik im Recht, 1979; zur außerrechtlichen Maßstabsqualität der Technik Scholz, Technik und Recht, in: Wilke (Hrsg.), Festschrift zum 125jährigen Bestehen der Juristischen Gesellschaft zu Berlin, 1984, S. 691 ff. (m. w. N.). 99 So auch Di Fabio (FN 28), S. 148. 100 Zur Entwicklung im einzelnen Ogorek (FN 37), S. 53 ff. 101 GS, S. 505. 102 Eger, Handbuch des preußischen Eisenbahnrechts, Bd. 1, 1889, S. 30 f.
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tung gegenüber der herrschenden Culpa-Doktrin nicht durchsetzen konnte (und insbesondere keine generelle Aufuahme im BGB fand), wird das Haftungsrecht um eine Variante bereichert, die dem Verkehrsbedürfuis der Industriegesellschaft Rechnung trägt 103 und in privatrechtliehen Sondertatbeständen wie dem Reichshaftpflichtgesetz von 1871 104 oder dem Kraftfahrzeuggesetz von 1909 105 fortentwickelt wird. Das Haftpflichtrecht ist bevorzugter Gegenstand der rechtswissenschaftliehen Diskussion mit neuen Techniken 106 gewesen, aber zunächst unter dem Aspekt des Opferschutzes ausgebaut worden. 107 Erst in jüngerer Zeit erhält es eine stärkere Akzentuierung als präventives Steuerungsinstrument 108 So standen die Reformbestrebungen z. B. des Umwelthaftungsrechts und das neben die behördliche Anlagenkontrolle tretende Umwelthaftungsgesetz von 1990 109 unter dem Zeichen ökonomischer Internalisierungsbemühungen und der Idee, besondere Sorgfaltsanforderungen in den Betrieb hinein zu verlagern. 110 Im Zusammenhang mit der Einschränkung behördlicher Sachverhaltsennittlungen, neuer Prüf- und Anmeldeobliegenheiten des Überwachungsunterworfenen (insbesondere im Stoffrecht 111 ) und dem Rückzug der Behörden auf Plausibilitäts- und Stichprobenkontrollen 112 gewinnt das Privatrecht zunehmende Bedeutung als Komplementär- und Auffangordnung der Techniksteuerung durch Technikrecht.113 So zielen rechtspolitische Vorschläge dahin, das Haftungsrecht über Versicherungspflichten zu einem Instrument der privaten Fremdkontrolle aus-
103 Instruktiv Ogorek, Untersuchungen zur Entwicklung der Gefährdungshaftung im 19. Jahrhundert, 1975, S. 61 ff.; zur Bedeutung des Haftungsrechts auch W Fischer, Allgemeine Technikentwicklung, in: Kloepfer (Hrsg.), Technikentwicklung und Technikrechtsentwicklung, 2000, S. 13 ff. (18). 104 Gesetz betreffend die Verbindlichkeit zum Schadensersatz filr die beim Betrieb von Eisenbahnen, Bergwerken usw. herbeigefiihrten Tötungen und Körperverletzungen vom 7.6.1871, RGBI. S. 207. 105 Gesetz über den Verkehr mit Kraftfahrzeugen vom 3.5.1909, RGBI. S. 437. 106 Vgl. Scherner (FN 69), S. 52 ff.; ders., Telegrafenverkehr und Technikrecht im 19. Jahrhundert, in: Kloepfer (Hrsg.), Technikentwicklung und Technikrechtsentwicklung, 2000, S. I03 ff. 107 Vgl. E. Rehbinder, Haftpflichtrecht und Verhütung von Umweltschäden aus juristischer Sicht, in: Endres/Rehbinder/Schwarze, Haftung und Versicherung filr Umweltschäden aus ökonomischer und juristischer Sicht, 1992, S. 34 (38 ff.). 108 Richtungsweisend Bullinger, VersR 1972, 599 ff. 109 Umwelthaftungsgesetz vom 10. 12. 1990, BGBI. I S. 2634. 110 Vgl. Kloepfer (FN 59), § 6 Rn. 62 ff. 111 Vgl. etwa§§ 4 ff. ChemG. 112 Zum Wandel des Gesetzesvollzugs Di Fabio, (FN 25), S. 242 f. 113 Vgl. Schmidt-Aßmann, Öffentliches Recht und Privatrecht: Ihre Funktionen als wechselseitige Auffangordnungen, in: Hoffmann-Riern/Schmidt-Aßmann (Hrsg.), Öffentliches Recht und Privatrecht als wechselseitige Auffangordnungen, 1996, S. 7 ff.
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zubauen, was die staatliche Präventivkontrolle entlasten und auf institutionelle Vorkehrungen beschränken könnte. 114 Gerade das Haftungsrecht symbolisiert den gewaltigen Publifizierungstrend, dem die Privatrechtsordnung im 20. Jahrhundert ausgesetzt wurde. Die Steigerung der technikrechtlichen Vorsorgeanforderungen umfaßt die Mobilisierung aller Rechtsressourcen und macht vor dem Zivilrecht nicht halt. Je anspruchsvoller und dichter die Regelungen wurden, desto größer wurden die Erwartungen an eine effektive Risikovorsorge durch den Staat, der unter dem Eindruck kritischer Grundhaltungen zur Technik 115 bereichsübergreifende Bindungswirkungen der Genehmigung eher einzuschränken als auszubauen geneigt scheint. Dieser Zurückhaltung liegt nicht nur die Erhaltung zivilrechtlicher Verantwortlichkeit, sondern auch die Vorstellung zugrunde, privatrechtliche Steuerungspotentiale für die Techniksteuerung nutzbar zu machen. Wo fiir neue Techniken noch keine speziellen Vorsorgeanforderungen existieren, das öffentliche Technikrecht keine drittschützenden Rechtsätze bereithält oder im übrigen nur unzureichenden Schutz bietet, bleibt das Privatrecht ohnehin mit seinen Anspruchsgrundlagen und Beurteilungsmaßstäben, aber auch den typischen Beweisschwierigkeiten fiir den klagenden Nachbarn 116 als Auffangordnung erhalten. Grundrechtliche Schutzpflichten dürften die Schwelle fiir ein Nichtstun des Staates zwar senken, verlangen aber nicht die Umsetzung durch bestimmte (z. B. ordnungsrechtliche) Mittel. 117 Der Schutz kann vielmehr auch in einer stärkeren Aktivierung des Privatrechts bestehen und könnte in der Zukunft zu einem wechselseitigen Kooperationsverhältnis zwischen öffentlichem und privatem Recht im Technikrecht fiihren, wobei das öffentliche Recht die unverzichtbaren Mindestanforderungen statuiert, das Privatrecht aber in der Beachtung dieser Vorgaben vennehrt die Aufgabe der Feinsteuerung übernimmt. Im Bereich der Infonnations- und Kommunikationstechniken treten die privatrechtliehen Steuerungspotentiale (und deren lnstrumentalisierung durch den Staat) besonders deutlich zu Tage. Dabei geht es freilich nicht nur um den Schutz vor der Technik, sondern auch die Förderung und den Schutz technischer Kreativität. Insbesondere der gewerbliche Rechtsschutz weist im Bereich der Kommunikationstechniken eine lange Tradition auf, ist häufig der einzige anwendbare Regulierungsrahmen ftir neue Techniken und zugleich der Wegbe114 Bohne, Aktuelle Ansätze zur Reform umweltrechtlicher Zulassungsverfahren, in: Blümel/Pitschas (Hrsg. ), Reform des Verwaltungsverfahrensgesetzes, 1994, S. 41 ff.; ders., DVBI. 1994, 195 ff.; zur Entlastung des Ordnungsrechts durch Instrumente indirekter Verhaltenssteuerung siehe auch Kloepfer, ZAU 1996, 56 ff. 115 Zur Technikkritik Ronellenfitsch (FN 3), S. 851 ff. (m. w. N.). 116 Zu Beweisproblemen im Haftungsrecht Sautter, Beweiserleichterungen und Auskunftsansprüche im Umwelthaftungsrecht, 1996, S. 32 ff. 117 Statt vieler Wahl/Masing (FN 27), S. 558.
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reiter rechtlicher Spezialregelungen. So ist letztlich auch das "Internet" zunächst in erster Linie über das Urheberrecht (z. B. Downloading und Weiterverbreitung geschützter Werke), das Markenrecht (z. B. Domaines-Namen) und das Lauterkeitsrecht (z. B. Direkt-Marketing) zu erfassen versucht worden. 118 Bedeutsam ist in diesem Zusammenhang auch das Patentrecht, das als Mischform zwischen Privatrecht und öffentlichem Recht den Erfindungsschutz regelt und schon ftlr die Ausbreitung der Telegrafie und des Telefons wichtige technikregulierende Funktionen übernommen hatte. 119 Das Kartellrecht fUhrt schließlich in seinem Kern - der kartellbehördlichen Befugnisse - zum öffentlichen Recht zurück und wird dabei umso wichtiger, je weiter die zu beobachtende Entpublifizierung hoheitlicher Techniksteuerung voranschreitet Denn wo der Staat nicht befiehlt und zwingt, sondern lediglich influenzierend und motivierend auf Eigenverantwortung setzt, mithin Freiräume ftlr gesellschaftliches Handeln zur Selbstkontrolle schafft, kann das öffentliche Technikrecht horizontale Verhaltensabreden - mögen sie auch hoheitlich induziert sein 120 - vom Kartellverbot nicht breitflächig befreien. 121 II. Organisation und Normung der Technikentwicklung 1. Organisation individueller Eigenverantwortung
Zu den Besonderheiten des Technikrechts zählt der Kooperationsgedanke, wie er sich filr die Überwachung und Normung der Technik nach Maßgabe der jeweils einschlägigen Gesetze durchgesetzt hat. 122 Der Staat beschränkt sich aber nicht auf die bloße Kooperation mit Privaten, sondern etabliert zur Be-
V gl. Hoeren, Rechtsfragen des Internet, 1999, S. 9 ff. Vgl. W König, in: ders./Weber (Hrsg.), Propyläen Technikgeschichte, Bd. 4, 1997, S. 495 f.; zur Bedeutung des Patentschutzes fiir die Technikgeschichte Fischer (FN 104); zu aktuellen Problemen des Patentschutzes Wiebe, GRUR 1994, 233 ff. 120 Vgl. Di Fabio, Selbstverpflichten der Wirtschaft- Grenzgänger zwischen Freiheit und Zwang, in: Kloepfer (Hrsg.), Selbst-Beherrschung im technischen und ökologischen Bereich, 1998, S. 119 ff. 121 Zu den Anforderungen des Kartellrechts Franzius, Die Herausbildung der Instrumente indirekter Verhaltenssteuerung im Umweltrecht der Bundesrepublik Deutschland 2000, S. 177 ff. (m. w. N.). 122 Zu weitgehend BVerfGE 98, 86 ff. (landesrechtliche Abfallabgaben), wo die ordnungsrechtlichen Grundpflichten des § 5 Abs. I BimSchG einem "Kooperationskonzept" zugeordnet werden, welches durch Lenkungsabgaben unterlaufen werde: Kloepfer, Abfallrecht im Bundesstaat, in: ders. (Hrsg.), Abfallrecht und Föderalismus, 1999, S. 13 (25 ff.); a A.- i. S. einer hoheitlichen Friedenspflicht des StaatesDi Fabio, Das Kooperationsprinzip - ein allgemeiner Rechtsgrundsatz des Umweltrechts, in: P. M. Huber (Hrsg.), Das Kooperationsprinzip im Umweltrecht (i. E.). 118
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rücksichtigung öffentlicher Interessen spezifische Organisationsformen im Betrieb. So werden z. B. Träger der Technikentwicklung verpflichtet, einen oder mehrere Betriebsbeauftragte zu bestellen. Hervorgehoben seien hier nur der Betriebsbeauftragte für Immissionsschutz (§§ 53 ff. BimSchG), filr Abfall (§§54 KrW-AbfG), filr Gewässerschutz (§§ 21a ff. WHG) und der Datenschutzbeauftragte (§§ 28 ff. BDSG), mit deren Einführung an gewisse Vorbilder im Arbeitsschutzrecht und im Bergrecht angeknüpft wurde. 123 Betriebsbeauftragte sind private Selbstkontrollorgane, die vom Staat zur Wahrnehmung seiner Gewährleistungsverantwortung den Betrieben vorgeschrieben werden. Sie gehören zwar nicht zur staatlichen Verwaltungsorganisation, sondern sind ausschließlich Beauftragte des Betriebs und stehen auch in keinem Beleihungsoder Auftragsverhältnis zum Staat. 124 Mögen sie daher auch nicht als der "verlängerte Arm" der Behörde im Betrieb gelten, so haben sie gleichwohl die Aufgabe, neben der innerbetrieblichen Überwachung des Gesetzesvollzugs öffentliche Belange wie z. B. den Umweltschutz als zu integrierendes Unternehmensziel in die Firmenpolitik einzubringen und z. B. die umweltgerechte Entwikklung und Erforschung neuer Verfahren und Produkte zu fördern (vgl. § 54 Abs. 1 Nr. 1 und 2 BimSchG). Auf der einen Seite stellen Betriebsbeauftragte demnach "personifizierte Erwägungs- und Berücksichtigungsgebote im Hin- . blick auf öffentliche Interessen" dar. 125 Diese reichen in der Logik des Modells umso weiter, je geringer die behördliche Anhindung durch die Übertragung öffentlich-rechtlicher Funktionen (z. B. Auskunfts- und Berichtspflichten) ausfällt. Gerade die Einbindung des Betriebsbeauftragten im Unternehmen ist filr seine Stellung und Wirksamkeit im Betrieb wichtig. Einfluß und Autorität des Betriebsbeauftragten lassen sich nicht ausschließlich im Wege des Erlasses von Rechtsnormen erzwingen. Ein Betriebsbeauftragter, der nicht das Vertrauen der Betriebsleitung genießt, wird auch durch eine stärkere rechtliche Stellung kaum tatsächlichen Einfluß auf wesentliche Firmenentscheidungen ausüben können. Auf der anderen Seite eröffnet der Betriebsbeauftragte staatliche Entlastungseffekte und trägt zur Entstaatlichung der Wahrnehmung originär staatlicher Aufgaben bei. Die Verstärkung solcher Effekte setzt freilich rechtlich abgesicherte Wahrnehmungsbefugnisse im Betrieb voraus, um auf diese Weise eine gewisse Gleichwertigkeit der Kontrolle ("funktionelle Äquivalenz") zur behördlichen Kontrolle zu erzielen. 126 123 Wegweisend Rehbinder/Burgbacher/Knieper, Ein Betriebsbeauftragter für Umweltschutz?, I972. 124 Vgl. Kloepfer (FN 59), § 5 Rn. 324. 125 Gusy (FN 47), S. 250. 126 Zur Stärkung des Betriebsbeauftragten im Umweltrecht §§ 155 ff. UGB-KomE und BMU(Hrsg.), Umweltgesetzbuch (UGB-KomE), 1998, S. 730 ff.
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In diese Richtung zielt z. B. auch der das gemeinschaftsrechtliche Audit tragende Gedanke, der seine gesteigerte Aufmerksamkeit in jüngerer Zeit vor allem der Diskussion über Deregulierungen des Ordnungsrechts verdankt. 127 Inwieweit ein Teilrückzug des Staates aus der Technikkontrolle zugunsten von mehr Eigenkontrollen und mehr Eigenverantwortung möglich ist, läßt sich freilich nur schwer beantworten. Entscheidend dürfte es unter der staatlichen Legitimationsverantwortung darauf ankommen, die "Selbststeuerungsfähigkeit privater Akteure so überzudeterminieren, daß auch gemeinwohlverträgliche Ergebnisse ihres Handeins erwartet" werden können. 128 • Gelingt dies, kann das private Handeln vom Staat legitimationserhaltend und staatsentlastend eingesetzt werden. Wo die Sicherung der Gemeinwohlflihigkeit an der Handlungsrationalität, dem Eigennutz und der Willkür privater Akteure scheitert oder auch nur zu scheitern droht, bedarf es dagegen einer wirksamen Ereignisbeherrschung durch den Staat. Dies kann und braucht angesichts der geradezu notorischen Vollzugsschwäche ordnungsrechtlicher Kontrollen und Sanktionen weder allein noch zwingend in den klassischen Formen der imperativen Steuerung geschehen. Vielmehr verlagert sich die staatliche Überwachung der Technikentwicklung zunehmend auf die Schaffung von maßstabsbildenden Vorgaben fiir die private Selbstkontrolle. Soweit die Überwachung privaten Kontrolleuren überlassen ist (wie z. B. dem Umweltgutachter fiir den betrieblichen Umweltschutz im Rahmen des Umweltaudits), reduziert sich die staatliche Fremdüberwachung auf eine dem Risiko- und Gefahrenpotential adäquate Kontrolle der Kontrolle (z. B. über die Akkreditierung der Umweltgutachter durch den nach § 22 UAG plural besetzten Umweltgutachterausschuß). Damit wird dem Schutz- und Legitimationsauftrag des Grundgesetzes fiir die staatsentlastende Gemeinwohlerbringung- in grundsätzlich zulässiger Weise - durch privatautonomes Handeln bereichsspezifisch Rechnung getragen. 129 Die private Eigenüberwachung erhält auf diese Weise ein die staatliche Eröffnungskontrolle herabsenkendes oder sogar substituierendes Gewicht. In dem Maße, wie die Sachverhaltsermittlung, Informationsgewinnung und Überwachungsverantwortung auf Private verlagert werden, rückt der Staat mit seinem öffentlich-rechtlichen Befugnisinstrumentarium in eine Reserveposition, und die verbleibende Aufsicht beschränkt sich idealtypisch auf institutionelle Vorkeh-
127 Zur Verknüpfung von Umweltaudit und Ordnungsrecht Franzius, Die Prüfpflicht und -tiefe des Umweltgutachters nach der EG-Umweltauditverordnung, in: NuR 1999, 601 ff. 128 Überzeugend Trute, Funktionen der Organisation, in: Schmidt-Aßmann!HoffmannRiem (Hrsg. ), Verwaltungsorganisationsrecht als Steuerungsressource, 1998, S. 249 ff. (294); ähnlich M Schulte, Verfassungsrechtliche Beurteilung der Umweltnormung, in: Rengeling (Hrsg.), Umweltnormung, 1998, S. 165 ff. (167). 129 Unter dem Aspekt des Umweltschutzes Franzius (FN 121), S. 208 ff.
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rungen für die Kontrolle derjenigen, die mit der Kontrolle der Selbstüberwachung betraut sind. Dabei kommt es zu einer Neugestaltung der administrativen Aufsicht unter Austausch des Adressaten: Für die neben das repressive Eingriffsinstrumentarium tretende private Selbstkontrolle und die Prüftätigkeit privater Kontrolleure werden vom Staat fachlich-qualitative Maßstäbe normativ vorgegeben und erstens im Wege der öffentlichen Zulassungs- oder Akkreditierungskontrolle dauerhaft abgesichert. 130 In solchen mehrstufigen Kontrollsystemen obliegt zweitens die Zertifizierung - also die Dokumentation der Einhaltung vorgeschriebener Anforderungen nach außen - unabhängigen, zumeist privaten oder zumindest privatrechtlich tätig werdenden Stellen. 131 Diese erteilen vielfach ihrerseits Prüfaufträge 132 oder haben Prüfergebnisse von Dritten ihrer Entscheidung zugrundezulegen. 133 Im übrigen überläßt es der Staat drittens privatrechtlicher, insbesondere haftungs- und versicherungsrechtlicher Regulierung, motivations- und innovationsfördernd auf die innerbetriebliche Organisation und deren Kontrolle hinreichend Einfluß zu nehmen.
130 Diese Kontrollen gehen - wie die Akkreditierung von Prüfstellen nach § 9 GSiG zeigt - über die herkömmlichen Bekanntmachungen von privaten Prüfstellen oder Sachverständigen im technischen Sicherheits- und Immissionsschutzrecht (§§ 26 ff. BimSchG) weit hinaus. Sie sind regelmäßig gemeinschaftsrechtlich inspiriert und risikoadäquate Ausprägungen des sich vor allem in der konkreten Ausgestaltung der Kontrolleinrichtungen niederschlagenden Schutzpflichtgedankens. Zur Verzahnung der gemeinschaftsrechtlichen Selbststeuerungsvorgaben mit der mitgliedstaatliehen Steuerung und Kontrolle Di Fabio, Produkthannonisierung durch Normung und Selbstüberwachung, 1996, S. 31 ff., 45 ff., 57 ff. 131 So die europäische Produktnormung mit den Zertifizierungsmodulen, deren Verwendung von Prüflaboratorien bzw. Zertifizierungsstellen überprüft wird. Dazu der Beschluß des Rates v. 22.7.1993 über die in den technischen Hannonisierungsrichtlinien zu verwendenden Module fiir die verschiedenen Phasen der Konformitätsbewertungsverfahren und die Regeln fiir die Anbringung und Verwendung der CE-Konformitätskennzeichnung, ABI. Nr. L 220 S. 23. Die mitgliedstaatlich eingerichteten Zertifizierungstellen haben bestimmte Anforderungen zu erfiillen, die in den jeweiligen Produktrichtlinien festgelegt bzw. aus DIN-Nonnen (45000 ff.) zu erschließen sind: Loch, DIN-Mitt. 75 (1996), S. 345 ff. 132 So etwa im Fall der Überwachungsgemeinschaften (siehe etwa § 6 Abs. 2 der Richtlinie fiir die Tätigkeit und Anerkennung von Entsorgergemeinschaften vom 9.9. 1996, BAnz. Nr. 178, S. 10909), die im Falle der erfolgreich durchgefiihrten Fremdüberwachung durch einen neutralen, sachverständigen Dritten dem Mitglied das Recht zur Verwendung eines Überwachungszeichens verleihen. 133 Vgl. § 13 Abs. 4 der Ents.~rgungsfachbetriebeverordnung __v. 10.9.1996 (BGBI. I S. 1421), wonach die technische Uberwachungsorganisation zur Oberprüfung der verordnungsrechtlichen Anforderungen Ergebnisse von Prüfungen berücksichtigen muß, die durch einen unabhängigen Umweltgutachter im Rahmen des Umweltaudits nach der EGUmweltauditverordnung oder durch eine akkreditierte Prüfstelle im Rahmen der Zertifizierung eines Qualitätssicherungssystems vorgenommen wurden.
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2. Technische Rege/setzung Kooperation und Organisation kennzeichnen nicht nur den technischen Überwachungsvollzug, sondern auch den Bereich der technischen Normung. Bereits das Allgemeine Preußische Landrecht von 1794 nimmt mit den "Regeln der Baukunst" in § 768 des 20. Titels auf außerrechtliche Regelbildungen Bezug. AusdrUckliehe (echte) Verweisungen auf private Regelwerke finden sich im Technikrecht seit den "Allgemeinen polizeilichen Bestimmungen über die Anlegung von Landdampfkesseln" vom 17. Dezember 1908. 134 Wie kaum eine andere Steuerungsstrategie hat die Zurückhaltung des Staates mit der Verwendung unbestimmter Rechtsbegriffe und deren Konkretisierung durch technischer Regelwerke das Technikrecht geprägt und ihm den Charakter eines "Kooperationsrechts" verliehen. 135 Organisationen wie die "technischen Ausschüsse" traten hinzu. 136 Sie lassen den externen Sachverstand in den Entscheidungsvorgang einfließen und sind funktionell weitgehend verselbständigte Gremien, deren Einordnung in das traditionelle staatliche Organisations- und Handlungsgefüge schwerflillt. Der häufig überlegene Sachverstand der Betroffenen mag auf der einen Seite eine Teilprivatisierung des staatlichen Handeins vielfach unerläßlich erscheinen lassen. Auf der anderen Seite machen jedoch die Gesamtheit der potentiell Betroffenen und die Erhaltung eines hinreichenden demokratischen Legitimationsniveaus 137 die Einrahmung des privaten Handeins durch staatliches Recht unentbehrlich. a) Typologie Dort, wo der Gesetzgeber auf technische Standards verweist, ist die Exekutive gehalten, diese durch die Hinzuziehung externen Sachverstands zu konkretisieren. Im Rahmen des administrativen Normsetzungsverfahrens geschieht dies durch Inkorporation einzelner Sachverständiger, aber auch durch die Rezeption privater technischer Regelwerke. Die Normadressaten haben ihrerseits vielfach ein eigenes Interesse daran, auf die exekutivische Erarbeitung von technischen Normen einzuwirken oder Normen für den privaten Gebrauch zu erstellen. 138 RGBI. 1909 S. 3. Nähere Einzelheiten bei Marburger (FN 98), S. 151 ff. (m. w. N.). Zum "kooperativen Staat" bereits E. H. Ritter, AöR 1979, 389 ff.; zu Möglichkeiten der Ausformung des Kooperationsgedanken im Umwelt- und Technikrecht K/oepferl E/sner (FN 65), S. 964 ff; der Kooperationsgedanke droht inzwischen jedoch überhöht- vgl. BVerfGE 98, 83 ff. (Abfallabgaben)- und damit zu Fall gebracht zu werden: viel zu weit etwa Di Fabio, Der Ausstieg aus der wirtschaftlichen Nutzung der Kernenergie, 1999, S. 39 ff. 136 Siehe oben, S. 36. 137 Vgl. Trute (FN 128), S. 294. 138 Vgl. Brennecke, Normsetzung durch private Verbände, 1996, S. 233 ff. 134 135
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So ist fUr die Recht- und Regelsetzung eine Vielzahl institutionalisierter Kooperationsfonnen zwischen Staat und Gesellschaft entstanden, die sich nach dem Grad der Staatsnähe in drei Gruppen einteilen lassen können: 139 (1) Die exekutivische - rechtsverbindliche - Standardsetzung bildet dabei nur einen - wenn auch zentralen - Ausschnitt und betrifft den Bereich der Rechtsverordnungen und Verwaltungsvorschriften. Die Nonnsetzung ist hier in staatliche Hände gelegt. Im Rahmen der Normvorbereitung und des Entstehungsverfahrens kommt es in der Regel zur Anhörung von Sachverständigen140 und zur Beteiligung beratender Gremien. Zu letzteren können die bereits erwähnten "technischen AusschUsse" gezählt werden, die bei der Erarbeitung von sicherheitstechnischen Verordnungen und Verwaltungsvorschriften über weitreichende Mitwirkungsrechte verfUgen (vgl. etwa § 11 Abs. I Nr. 3 GerSiG). Vorschläge der technischen AusschUsse fUr überwachungsbedürftige Anlagen müssen vom Verordnungsgeber berUcksichtigt werden (§ 11 Abs. 1 Nr. 3 S. 2 GerSiG). (2) Besondere Bedeutung erlangen diese Gremien auch durch die Möglichkeit, von sich aus ein Standardsetzungsverfahren in Gang zu bringen. Diese zweite Gruppe "halbstaatlicher" Standardsetzung zeichnet sich durch ein eigenständiges Erarbeiten technischer Regeln und ein gezieltes Hinwirken des Ausschusses auf deren Übernahme durch den Staat aus. Mit der Veröffentlichung in den einschlägigen Amtsblättern gelten diese als "amtlich eingefilhrt" und erhalten eine den Verwaltungsvorschriften angenäherte (rechtliche) Bindungswirkung.141 Verwirklicht ist dieses Modell -bei allen Unterschieden im Detail- vor allem im Anlagensicherheitsrechtl 42 und im Stoffrecht 141
(3) Schließlich ist hiervon als dritte Gruppe die technische Regelsetzung durch private Verbände zu unterscheiden. Die Nonnsetzung ist dabei nicht primär auf staatliche Anerkennung gerichtet, wenngleich eine solche durchaus erfolgen und im Wege der Auslegung unbestimmter Rechtsbegriffe rechtliche Wirkungen erzielen kann. Die Beteiligungsrechte und -möglichkeiten des Staa-
119 Nach Lamb, Kooperative Gesetzeskonkretisierung, 1995, S. 72 ff. 140 Zur Bedeutung des technischen Sachverstands filr die exekutivische Rechtsetzung Battis/Gusy, Technische Normen im Baurecht, 1988, S. 233 ff.; Denninger, Verfassungsrechtliche Anforderungen an die Normsetzung im Umwelt- und Technikrecht, 1990, S. 62 ff.; siehe auch E.-H Ritter, Organisationswandel durch Expertifizierung und Privatisierung, in: Schmidt-Aßmann/Hoffinann-Riem (Hrsg.), Verwaltungsorganisationsrecht als Steuerungsressource, 1997, S. 207 ff. 141 Vgl. Battis/Gusy (FN 140), S. 76 f.; Di Fabio, UTR 27 (1994), S. 51 (72 ff.); differenzierend Lamb (FN 139), S. 109, 129 ff. 146 ff. · 142 Z. 8. durch -die Vorgängerregelung in § 24 GewO nur geringfilgig modifizierend§ 11 GerSiG. 141 Z. 8. durch die auf der Grundlage des § 44 GefStoftVO tätig werdende DFGKommission.
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tes im Verfahren der privatverbandliehen Normung 144 dürfen indes nicht darüber hinwegtäuschen, daß von den privaten technischen Regelwerken keine Rechtsbindung ausgeht und es sich insbesondere um keine Rechtssätze handelt. Die fehlende Rechtsverbindlichkeit muß aber keinen Mangel und eine faktische Verbindlichkeit noch keine Abdankung oder Selbstaufgabe des Staates zulasten des Gemeinwohls darstelle·n. 145 Vielmehr kann die Nutzung privaten Sachverstands auch als Ausdruck einer staatlichen Steuerungsstrategie verstanden werden, insbesondere um hinreichend flexibel auf schnelle Technikentwicklungen reagieren zu können. 146 Auch letztere kann der "kooperativen Gesetzeskonkretisierung" zugeordnet werden. Private Autonomie und staatliche Bindung stehen hierbei nicht unvermittelt nebeneinander, sondern sind aufeinander bezogen. Die private Regelsetzung ist zwar von der staatlichen Rechtsetzung zu unterscheiden und fmdet ihren maßgeblichen Zweck erst in der technischen, d. h. außerrechtlichen Sphäre. 147 Das gleiche gilt fUr das Recht, daß seine maßgeblichen Zwecke erst im Bereich jenseits der Technik findet. 148 Unter Wahrung dieser Distanz sind wechselseitige Einwirkungen 149 aber unverkennbar. 150 Denn wo das Recht offen bleibt und Spielräume läßt, müssen diese ausgeftlllt werden. Daß dies allein durch den Staat zu geschehen hat, ist weder geboten noch nachweisbar. So können und dürfen unbestimmte Rechtsbegriffe wie der "Stand der Technik" nicht nur - und vielleicht nicht einmal primär - von der Verwaltung konkretisiert und vollzugsflihig gemacht werden. Insoweit verknüpft die Generalklauselmethode, zu welcher der Gesetzgeber im Recht der Technik häufig greift, nicht nur die Bereiche Recht und Technik, sondern auch die staatliche und gesellschaftliche Sphäre, in dem sie der Wirtschaft weitreichende Selbstgestaltungsfreiräume überläßt} 51 M. a. W.: Die Konkretisierungskompetenz wird zu144 Zur Problematik Kloepfer, Instrumente des Technikrechts, in: M. Schulte (Hrsg.), Handbuch des Technikrechts (ersch. demnächst). 145 So auch Schmidt-Preuß (FN 97), S. 91 ff. 146 Siehe auch Marburger/Gebhard, Gesellschaftliche Umweltnormierung, in: Endres/Marburger, Umweltschutz durch gesellschaftliche Selbststeuerung, 1993, S. I (41 f. ). 147 Vgl. M Schulte, Regulierung unbekannter und bekannter Techniken: Techniksteuerung durch Technikrecht, in: Kloepfer (Hrsg.), Technikentwicklung und Technikrechtsentwicklung, 2000, S. 59 ff. 148 Dies schließt ein Technikrecht nicht aus, zweifelnd jedoch Di Fabio: TechnikrechtEntwicklung und kritische Analyse, in: Vieweg (Hrsg.), Techniksteuerung und Recht
(i. E.).
149 Zu einfach Vieweg, Reaktionen des Rechts auf Entwicklungen der Technik, in: M. Schulte (Hrsg.), Technische Innovation und Recht, Antrieb oder Hemnmis?, 1997, s. 35 (36 ff.). 150 Gegenstandsbezogen wird das Technikrecht gerade in technischen Normen und ihrer rechtlichen Rezeption greifbar: Kloepfer (FN 2), Sp. 522 ff. 151 Vgl. Di Fabio (FN 140), S. 69 f.
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nächst dem freien Spiel außerstaatlicher Kräfte anvertraut, um unter den staatlich vorgegebenen Schutzzielen die Technik durch Technik und technische Normen steuern zu lassen. Es bleibt freilich dem Staat vorbehalten, diese Regeln rezipierend in staatlichen Entscheidungen (z. B. im Genehmigungsverfahren) aufzunehmen und insoweit dann mit rechtlicher Verbindlichkeit zu versehen. b) Organisation und Funktion Die Zusammenarbeit von Staat und privaten Sachverständigengremien ist ein Struktur- und Funktionsmerkmal der technischen Normung. Entstanden aus dem BedUrfnis, den Vollzug des Technikrechts an den technischen Fortschritt anzupassen, ist der Staat heute kaum noch in der Lage, den erforderlichen Sachverstand zur Beurteilung technischer Entwicklungen selbst zu erwerben oder hinreichend schnell extern zu organisieren. Im Normalfall sind es die aus der Praxis und fUr die Praxis entwickelten technischen Regelwerke privater Normungsverbände, die - wie die Nonnenwerke des Deutschen Instituts fUr Normung (DIN-Normen), des Vereins Deutscher Ingenieure (VDI-Richtlinien), des Verbands Deutscher Elektrotechniker (VDE-Bestimmungen) oder des Deutschen Vereins des Gas- und Wasserfachs (DVGW-Regeln)- einen laufend dem aktuellen Stand angepaßten Sachverstand verkörpern und von staatlicher Seite fUr die Ausfilllung der Generalklauseln wie "Stand der Technik" (z. B. § 5 Abs. I Nr. 2 BlmSchG) oder "Stand von Wissenschaft und Technik" (z. B. § 7 Abs. 2 Nr. 3 AtG) herangezogen werden. Die Frage, ob und inwieweit technische Regelwerke als "antizipierte Sachverständigengutachten" ohne nähere Überprüfung ihrer Vereinbarkeit mit gesetzlichen Wertungen den behördlichen oder gerichtlichen Entscheidungen zugrundegelegt werden können, beschäftigt die rechtswissenschaftliche Diskussion schon seit langem 152 und erhält mit der europäischen Perspektive privater Normgebung 153 neues Gewicht. Der Einfluß der europäischen Normung auf die nationale privatverbandliehe Normung ist in den letzten Jahren stetig gestiegen.154 Die wichtigsten europäischen Normungsorganisationen sind das Comite Europeen de Normalisation (CEN) und das Comite Europeen de Normalisation Electrotechnique (CENELEC). Die Mitgliedschaft ist nationalstaatlich bestimmt und nicht (wie bei der Zur Rechtsfolgenanalyse der technischen Regelsetzung Kloepfer (FN 144). Ein instruktiver Überblick zur europäischen Umweltnormung findet sich bei Jörissen, Produktbezogener Umweltschutz und technische Normen, 1997. 154 Hatten noch vor 10 Jahren etwa 80% der Normungsvorhaben rein nationalen Charakter, entfällt heute die Hälfte auf die europäische und ein weiteres Viertel auf die internationale Normung: Reihlen, Private technische Regelwerke - Tatsächliche Erscheinungsformen und ökonomische Aspekte, in: Kloepfer (Hrsg.), Selbst-Beherrschung im technischen und ökologischen Bereich, 1998, S. 75 ff. (80). 152 153
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nationalen Normung in Deutschland) nach Interessengruppen. Mitglieder sind nicht die Staaten selbst, sondern die jeweiligen nationalen Normungsorganisationen. Deutschland wird bei CEN durch DIN, bei CENELEC durch die Deutsche Elektrotechnische Kommission (DKE) vertreten. Die europäischen Normen werden in das deutsche Normenwerk übernommen und als DIN ENNormen veröffentlicht. Durch die Übernahme erhalten sie denselben Status wie nationale technische Normen, sie sind also im Grundsatz rechtlich unverbindlich. ISS Zunehmend werden beim Erlaß von EG-Richtlinien oder Verordnungen mit technischem Inhalt nur noch die grundlegenden Sicherheits- oder sonstige Gemeinwohlanforderungen festgelegt, die Regelung der Details aber den europäischen Normungsorgansiationen übertragen, auf deren Normen die EGVorschriften verweisen ("Neue Konzeption"). 156 In der Regel handelt es sich dabei um normkonkretisierende Verweisungen mit Vermutungswirkung. 1s1 Aufgrund dieser Verweisungsmethode werden die nationalen Behörden angewiesen, die Sicherheitsanforderungen der Richtlinien oder Verordnungen als erfUllt anzusehen, soweit die fraglichen technischen Normen eingehalten worden sind. Und der Unternehmer kann im Prinzip davon ausgehen, daß er sich rechtmäßig verhält, wenn er freiwillig die DIN EN-Normen befolgt.•ss Die technische Normung ist aus dem Alltag nicht mehr hinwegzudenken und fungiert als Instrument der Vereinheitlichung von Anforderungen an die (Nutzbarmachung der) Technikentwicklung. Von dem Gedanken der Handelsermöglichung durch technische Standardisierung gingen wesentliche Impulse filr die technische Normierung aus. Normung- also die Erstellung privater technischer Regelwerke im weitesten Sinn - läßt sich umschreiben als "die planmäßige, durch die interessierten Kreise gemeinschaftlich durchgeftlhrte Vereinheitlichung von materiellen und immateriellen Gegenständen zum Nutzen der Allgemeinheit".1s9 Wie kaum ein anderes Instrument zeigt die technische Normung, daß die Hervorbringung von Gemeinwohlbeiträgen nicht allein in der Hand des Staates liegt. Zum einen wird darauf hingewiesen, daß mit der privam Gerade hierin besteht das Problem: Wenn und weil die Wirtschaft technische Regeln im SiMe einer Stabilisierungs- und Orientierungsfunktion weitgehend befolgt, so ist deren faktische Verbindlichkeit geeignet, Zweifel an der Gemeinwohlverträglichkeit technischer Regelsetzung aufkommen zu lassen. 156 Entschließung des Rates über eine neue Konzeption auf dem Gebiet der technischen Harmonisierung und Normung, Abi. EG C 136 vom 4.6.1985; dazu Breu/mann, Normung und Rechtsangleichung in der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft, 1993. m Zum Ganzen Jörissen (FN 153), S. 73 ff. 158 Zur Bindung der nationalen Gerichte an die harmonisierten Normen EuGH, Urteil vom 2.12.1980,- CremoniniNrankovich, 815/79, Slg. 1980, 3583 ff. 159 Ziff. 2 Abs. 1 S. 1 DIN 820 Teil 1 "Normungsarbeit- Grundsätze" (April 1994), abgedruckt in: Grundlagen der Normungsarbeit des DIN (DIN-Normenheft 10), 6. Aufl., 1995, s. 81.
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ten Normgebung der Internationalisierungstrend der Technik vergleichsweise leicht aufgefangen und die globale Wettbewerbsfähigkeit verbessert werden kann. 160 Häufig fehlt es gerade bei neuen Techniken (wie der Informations- und Kommunikationstechnologie) an staatlich festgesetzten Standards. Selbst im Falle ihrer Existenz wären diese zudem kaum in der Lage wären, den aktuellen Stand der Technikentwicklung in der gebotenen Schnelligkeit unter technischen, ökonomischen und außerökonomischen Zielsetzungen zu berücksichtigen. Private Normen filllen diese Lücke und mobilisieren zügig den erforderlichen Sachverstand, indem sie das Eigeninteresse der beteiligten Kreise wekken.161 Deren Mitwirkung an der Regelsetzung steigert die filr die Effizienz rechtlicher Regelungen notwendige Bereitschaft zur Normbefolgung (Norml,lkzeptanz) und kann die förmliche Rechtsetzung entlasten. Zum anderen aber muß der Staatsenlastungseffekt nicht zur Aufgabe staatlicher Gemeinwohlverantwortung fUhren. So verbleibt die Rezeption privater Regelwerke in staatlicher Entscheidungsverantwortung. Der Umstand allein, daß sich der Staat zur Aufgabenerfüllung privater Beteiligung und Einflußnahme öffnet, befreit ihn noch nicht aus seiner Verantwortung gegenüber Drittbetroffenen und der Allgemeinheit.162 In anderen Bereichen kann sich die Verantwortung des Staates aber auch darauf beschränken, einen rechtlichen Rahmen flir die private Selbstregulierung zu schaffen. Dies ist insbesondere dort der Fall, wo an die Stelle staatlicher Zulassung oder Prüfung eine Konformitätsbewertung mit EG~ Richtlinien und harmonisierten technischen Normen tritt. c) Staatliche Steuerung privater Selbststeuerung Der Ruf nach Entlastung des Staates läßt die Aktivierung privater Technikgestaltung bereits als Königsweg zwischen staatlicher Überforderung und Aufgabenprivatisierung erscheinen. 163 Blieben Kooperationsverhältnisse zwischen Staat und Privaten in der Vergangenheit vielfach im faktischen, kennzeichnet das moderne Technikrecht das Bemühen um eine rechtliche Strukturierung der Kooperation im Wege der gesteuerten Selbstregulierung. Ob sich hierdurch die Defizite der privaten Normung ausgleichen lassen, gilt freilich noch nicht als ausgemacht. Auch wenn man im Ergebnis noch keine unzulässige Delegation von Hoheitsbefugnissen auf private Verbände 164 annimmt, ist die Kritik am privaten Normgebungsprozeß zum Teil doch gravie160 Vgl. Schmidt-Preuß (FN 97), S. 92. Statt vieler Schmidt-Preuß, VVDStRL 56 ( 1997), S. 162 ff. Deutlich M Schulte, (FN 128), S. 165 ff. (168). 163 Trute, DVBI. 1996, 950. 164 So v. Danwitz, Europarechtliche Beurteilung der Umweltnormung, in: Rengeling (Hrsg.), Umweltnormung, 1998, S. 204. 161
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rend. Beklagt werden z. B. die Überrepräsentation wirtschaftlicher Interessen, eine unzureichende Öffentlichkeitsbeteiligung am Normungsverfahren und mangelnde Transparenz der Normung. 165 Auf der europäischen Ebene verschärfen sich die kritisierten Schwachstellen der Normungspolitik, ist eine direkte Mitwirkung doch den nationalen Normungsorganisationen nach dem Prinzip "territorialer" Repräsentation vorbehalten. Dies erschwere nicht nur die Implementation abweichender Standpunkte einzelner Gruppen der interessierten Kreise, sondern berge die Gefahr einer Entpluralisierung der technischen Regelsetzung auf nationaler Ebene. Denn mit dem faktischen Zugangsmonopol des DIN zur europäischen Normung drohen die fachspezifischen Normungsinstitute ihre regelsetzende 'Kompetenz zu verlieren und in Kooperationsverträge mit dem DIN gedrängt zu werden. Problematisch ist ferner das staatliche Kontrollniveau der harmonisierten Normen, deren Richtlinienkonformität über das Normprüfungsverfahren und im Wege der Inzidentkontrolle über das Schutzklauselverfallren der Harmonisierungsrichtlinien überprüft werden kann. Zu bedenken ist jedoch, daß den Normungsverbänden eine grundrechtlich verbürgte Normungsautonomie zusteht. 166 Ihre Tätigkeit unterliegt daher nicht den Bindungen aus dem Rechtsstaats- und Demokratieprinzip. Diese wirken vielmehr allein staatsgerichtet im Sinne einer aus der grundrechtliehen Schutzpflicht resultierenden Gewährleistungsverantwortung des Staates. 167 Hieraus leitet sich ein Steuerungsmandat des Staates ab, über das der öffentliche Einfluß auf den Normgebungsprozeß sichergestellt wird. Dies geschieht zum einen institutionell: So räumt der Vertrag zwischen der Bundesrepublik und dem DIN aus dem Jahre 1975 der Bundesregierung auf Antrag Sitze in den Lenkungsgremien der NormenausschUsse ein und verpflichtet das DIN, die jeweils in Betracht kommenden Stellen bei der Durchfuhrung der Normungsarbeit zu beteiligen.168 Zum anderen ist- neben der finanziellen Förderung von Normungsprojekten - vor allem an die Gestaltungsmöglichkeiten der steuernden Rezepti165 Hierzu und zum folgenden siehe den Überblick bei Jörissen (FN 153), S. 43 ff. (m. w. N.), ferner M Schulte (FN 162), S. 168 ff 166 Siehe Battis/Gusy (FN 140), S. 220 ff.; BMU (Hrsg.), Umweltgesetzbuch (UGBKomE), 1998, S. 496; zu den hieraus folgenden Grenzen einer Verstaatlichung der technischen Normung siehe auch Kloepfer (FN 144). 167 Schmidt-Preuß (FN 96), S. 94. Der Begriff der Gewährleistungsverantwortung obgleich nunmehr in Art. 87 e und Art. 87 f GG mit verfassungsrechtlicher Dignität versehen - ist schillernd und erhält erst allmählich schärfere Konturen, vgl. zu einer ersten deskriptiven Analyse Hoffmann-Riem, Innovationen durch Recht und im Recht, in: M. Schulte (Hrsg.), Technische Innovation und Recht, 1996, S. 3 (20 ff.); normativ Hermes, Staatliche Infrastrukturverantwortung, 1998, S. 334 ff. kritisch in dogmatischer Hinsicht Di Fabio, (FN 25), S. 251 f., 262 f. ; zur Frage, ob es ein verfassungsrechtliches Segmentierungsgebot zur Sichtbarmachung staatlicher Verantwortungsanteile gibt: BVerfGE 83, 238 (306 f.). 168 Vertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem DIN Deutsches Institut fiir Normung e. V. vom 5.6.1975.
B. Feinsteuerung
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on zu denken. 169 Diese erlaubt es einerseits, Sachverstand und Eigenverantwortung privater Normungsverbände filr die Normkonkretisierung unbestimmter Rechtsbegriffe mit staatsentlastender Wirkung zur Geltung zu bringen, andererseits hält sie aber die Option offen, von den Regelwerken abzuweichen, wenn dies das Gesetz erfordert. Es liegt demnach im eigenen Interesse der Normungsverbände, rechtsstaatlich-demokratische Mindeststandards zu erfilllen, um auf diese Weise die behördliche oder gerichtliche Rezeption der Regelwerke zu erreichen. Je sachrichtiger und überzeugender die Normen sind, desto eher wird der Staat sich _diese zu eigen machen und seinen - letztverantworteten - Entscheidungen zugrundelegen. In diesem Zusammenhang werden völlig zu Recht die Grenzen einer materialen Steuerung betont. 170 Der Ruf nach dem Gesetzgeber und einer gesetzlichen Fixierung der Normungstätigkeit geht leicht über die Lippen, darf jedoch nicht übersehen, daß die Normgebung hinreichende Spielräume filr autonome Festlegungen braucht, um technische Innovationen zu ermöglichen. Statt am Normungsergebnis und seiner inhaltlichen Kontrolle anzusetzen, sollte der Rezeptionsvorgang eher prozedural verstanden. werden. Die technische Regelsetzung ist danach ein Akt der privaten Wissensgenerierung, der umso eher ein sachgerechtes und rezeptionsfähiges Ergebnis erwarten läßt, desto mehr er den rechtstaatlich-demokratischen Mindestanforderungen der Tranparenz, Publizität, Repräsentanz und Revisibilität entspricht. 171 ·
Die Einwände gegenüber der privaten Regelsetzung lassen sich freilich nicht vollständig ausräumen. Insbesondere die Gebote der Transparenz und Revisibilität werden nur unzureichend beachtet, gelangen Informationen über Normungsaktivitäten doch regelmäßig zu spät nach außen. Auch ist zu fragen, ob der Erlaß technischer Regeln nicht begründungspflichtig gemacht werden müßte, um die zugrundeliegenden Wertungen mit alternativen Lösungen offenzulegen.172 Der zeitliche Vorteil, den eine "schlanke" Organisation und ein gestrafftes Verfahren bietet, sollte nicht mit der Absenkung der rechtsstaatliehen Rezeptionsanforderungen erkauft werden. Schließlich droht die "entwicklungsbegleitende Normung" die Beteiligung und Berücksichtigung "diffuser" Interessen völlig leerlaufen zu lassen. 173 Der Normungsprozeß geht hier eine bedenkliche Informalisierung ein, die sich dadurch auszeichnet, daß die Normungsausschüsse nur noch in Forschungs- und Entwicklungsteams getroffene Entscheidungen formell ratifizieren. Auch hier zeigen freilich die Erfahrungen, Vgl. Schmidt-Preuß (FN 97), S. 95 f M. Schulte (FN 162), S. 176. 171 Zutreffend Schmidt-Preuß (FN 97), S. 96. 172 Die Reformvorschläge zusammenfassend Jörissen (FN 153), S. 89 ff. 173 Dabei wird der Normungsprozeß auf das Forschungs- und Entwicklungsstadium erstreckt und wichtige Entscheidungen - weitgehend informell - in vorgelagerten Expertenkreisen getroffen, vgl. M. Schulte (FN 146). 169
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I. Teil: Grundlagen
daß es nur wenig Sinn macht, informalen Vorverlagerungen der Entscheidungstindung mit Formalisierungen - diesmal privater Selbststeuerung - zu begegnen. Helfen könnte jedoch eine antizipative Technikfolgenabschätzung- bisher nur ein Desiderat der Rechtswissenschaft - oder die Schaffung von speziellen Gremien, die sich gezielt um die Einbeziehung der interessierten Kreise in die entwicklungsbegleitende Normung bemühen. 174 Vor dem Hintergrund der neuen Normungsfelder bleibt jedenfalls ein gewisses Unbehagen, die Einhaltung der oben für die staatliche Rezeption genannten rechtsstaatlich-demokratischen Mindestanforderungen allein der gesellschaftlichen Selbststeuerung zu überlassen. d) Normung der Normung? Insbesondere zur Erhöhung der Transparenz, aber auch zur Ausräumung von Legitimationszweifeln, bieten sich gesetzliche Regelungen der technischen Normung an. Österreich hat diesen Weg schon 1971 mit dem "Bundesgesetz über das Normungswesen" beschritten. 175 Dies muß nicht zwangsläufig in Überreglementierungen münden, sondern kann den Stellenwert von technischen Regelwerken als flexibles Gestaltungsmittel dynamischer Technikabläufe auch erhöhen. Dabei geht es zum einen um eine Stärkung der Rechtswirkungen technischer Regelwerke, zum anderen um die Festschreibung der Mindestanforderungen an den Rezeptionsvorgang. Der Professorenentwurf zum Umweltgesetzbuch 176 schlägt in § 161 vor, die Rechtswirkung technischer Regelwerken im Sinne eine widerlegbaren Vermutung festzuschreiben, diese Vermutung aber an die Voraussetzung zu knüpfen, daß bestimmte materielle und verfahrensmäßige Anforderungen erfüllt sind. Die Aufwertung technischer Regelwerke durch eine gesetzliche Vermutungsregel setzt allerdings voraus, daß die Vermutungsgrundlage und deren Erfüllung durch die technischen Regelwerke so transparent gestaltet werden, daß bei der Rechtsanwendung keine umfangreichen Sachverhaltsermittlungen erforderlich sind. Zu diesem Zweck wird eine gesetzliche Festlegung der Kriterien gefordert, die typischerweise für eine Übereinstimmung technischer Regelwerke mit dein normativen Standard sprechen und damit die Vermutungswirkung recht-
174 Ansätze bei M Schulte, Der Beitrag partizipativer Technikfolgenabschätzung zur Effektivivät der Normsetzung und Normdurchsetzung - dargestellt am Beispiel der entwicklungsbegleitenden Normung, in: Hof!Lübbe-Wolff (Hrsg.), Wirkungsforschung zum Recht I, 1999, S. 603 ff. 175 Bundesgesetz v. 16.6.1971 über das Normungswesen (Bundesgesetzblatt fiir die Republik Österreich v. 7.7.1971, S. 37). 176 Kloepfer!Rehbinder!Schmidt-Aßmann!Kunig, Umweltgesetzbuch Allgemeiner Teil, 1990.
C. Zusammenfassung
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fertigen. Der Kommissionsentwurf zum Umweltgesetzbuch 177 überläßt demgegenüber die Vermutungswirkung nicht der Würdigung des Rechtsanwenders im Einzelfall, sondern behält sie der amtlichen Einführung des Regelwerkes vor (§ 32 UGB-KomE). Auffallend ist auf der einen Seite die Stärkung der staatlichen Rolle flir die technischer Regelsetzung. Neben der Ermächtigung, in Rechtsvorschriften bestimmte technische Festlegungen mit einem feststehenden Inhalt im Wege der statischen Verweisung in Bezug zu nehmen (§ 31 UGBKomE), wird die Rezeptionspraxis an eine staatliche Mitwirkung geknüpft, was einerseits die Rechtssicherheit erhöht, andererseits aber auch die Vorteile der selbstregulativen Praxis schmälern könnte. Auf der anderen Seite sind die vorgeschlagenen Regelungen von Enthaltsamkeit geprägt. So wird auf Regelun,gen des Normungsverfahrens verzichtet. Dirigistische Vorgaben flir die überwiegend auf der Eigeninitiative der Wirtschaft beruhende technische Regelarbeit erweisen sich - so die Entwurfsbegründung - möglicherweise als kontraproduktiv. Das Ziel einer angemessenen Verfahrensgestaltung soll vielmehr dadurch erreicht werden, daß die amtliche Einfilhrung die Erfiillung bestimmter verfahrensmäßiger Mindestanforderungen voraussetzt. 178 Da Normungsorganisationen ein nicht geringes Interesse an der rechtlichen Aufwertung ihrer Regelarbeit haben, werden sie, um den dafür erforderlichen Verfahrensanforderungen gerecht zu werden, von selbst die hierfilr geeigneten Maßnahmen ergreifen. Anderenfalls bleibt ihnen die staatliche Anerkennung der von ihnen erstellten Regelwerke versagt.
C, Zusammenfassung Dem neuzeitlichen Technikrecht ist eine Entwicklung vorausgegangen, die mit der langsamen Ablösung der alten Gewerbeprivilegien durch die behördliche Erlaubnis als technikrechtliche Revolution bezeichnet werden kann. Dies geht mit einer Stärkung des öffentlichen Rechts einher, das im 19. Jahrhundert zur rechtlichen Leitmaterie des Technikrechts wird. Zentrales Instrument des Staates zur Kontrolle der Technikentwicklung ist der Erlaubnisvorbehalt, der sich vor allem zur Kontrolle der gefahrliehen Anlagen - insbesondere der Dampfmaschinen - durchsetzte. Das sich immer weiter ausdehnende öffentliche Eingriffsrechthat aber dem Adressaten einer Erlaubnis zu keiner Zeit eine Rechtsposition verschaffen können, die als Unbedenklichkeitsbescheinigung fiir sein Handeln zu betrachten gewesen wäre. Vielmehr ist immer wieder auf die Handlungsfreiheit des Erlaubnisinhabers und auf die Grenzen staatlicher Verantwortungsilbernahme hingewiesen worden, welchen in jüngerer Zeit die 177 BMU (Hrsg.), Umweltgesetzbuch (UGB-KomE), 1998; dazu Kloepfer!Durner, DVBI. 1997, 1081 ff.; zum Reformumfeld auch Kloepfer!Elsner (FN 65). S. 964 ff. 178 BMU (FN 177), S. 498.
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I . Teil: Grundlagen
Stärkung der Selbstverantwortung des Anlagenbelreibers gegenübergestellt wird. Auch der Bestandsschutz - die Kehrseite behördlicher Eingriffsbefugnisse entwickelte sich nicht gradlinig in eine Richtung, hat aber doch im Ergebnis eine Verdichtung der Präklusionswirkungen herbeigefUhrt In dem Maße, wie die belastenden Folgen privater Freiheitsausübung im 19. Jahrhundert Gegenstand staatlicher Eröffnungs- und Überwachungskontrollen wurden, mußten privatrechtliche Abwehransprüche wie die anflinglich von der Rechtsprechung relativ großzügig gewährte actio negatoria weichen. Auch in der privatrechtliehen Binnenperspektive traten mit der Zunahme der Nutzungskonflikte vielfältige Duldungspflichten hervor. Diese richteten das Augenmerk vermehrt auf Schadensersatzansprüche, die das Zurücktreten der Abwehransprüche zu kompensieren helfen. Ein universelles - wegen der Einheit der Rechtsordnung auch die zivilrechtliche Verantwortlichkeit des Erlaubnisinhabers beseitigendes Schutzschild konnte in der Erlaubnis nicht erkannt werden. Dem Grundmodell technikrechtlicher Verhaltenssteuerung durch Ge- und Verbote liegt die Trennung von Staat und Technik zugrunde. So wichtig dieser Grundgedanke auch für die Herausbildung der Industriegesellschaft war: Unter dem Einfluß neuer Techniken verloren liberale Prinzipien an Überzeugungskraft und büßten im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts ihre staatsprägende Leitfunktion zugunsten der älteren - niemals vollständig verdrängten - wohlfahrtsstaatliehen Traditionslinien allmählich wieder ein. Die Industriegesellschaft brachte den Interventionsstaat hervor. Neben die punktuelle Erlaubnis trat die flächendeckende Planung mit dem Planungsrecht, neben das direkte Instrumentarium von Befehl und Zwang tritt das indirekte Instrumentarium von Anreiz, Tausch und induzierter Selbststeuerung. Dabei spielt die erhöhte Risikosensibilität- insbesondere in der Öffentlichkeit- eine zentrale Rolle. Wo die Risiken einer Technologie nur erahnt, nicht aber hinreichend genau abgeschätzt werden können, bedeutet das Festhalten an einseitig-hoheitlichen Technikkontrollen ohne gesicherte Wissensbasis -je nach Einschätzung - Allmacht oder Ohnmacht des Staates. Nicht immer ist die Technikentwicklung in private Hände gelegt. Die enge Verbindung, die der Staatjedoch zur Technik durch staatliche Alleinrechte eingeht, war schon immer rechtfertigungsbedürftig und hat im Verlauf der Technikrechtsentwicklung unterschiedliche Begründungen hervorgerufen, die ihre Tragfähigkeit fiir die meisten Technikbereiche nach und nach verloren haben. Dies gilt auch für die ehemals als Lebensadern des Staates betrachteten Infrastrukturen der Eisenbahn und der Telekommunikation. Bedeutsam für das Technikrecht ist ferner die Vielfalt der Techniküberwachung. Trotz eines gewissen Vorrangs der behördlichen Fremdüberwachung hat das öffentliche Technikrecht den Bereich der Unternehmerischen Eigenüberwachung niemals vollständig verdrängt. In der Eigenüberwachung und sonstigen
C. Zusammenfassung
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Formen der Selbstregulierung sah bereits der preußische Staat eine Chance, sich von Überwachungsaufgaben zu entlasten. Technische Überwachungsvereine bekamen nicht nur Revisionsaufgaben, sondern auch den wichtigen Bereich der technischen Normung übertragen. Der Primat der öffentlichen Rechts für die Techniksteuerung darf auch nicht über die privatrechtliehen Steuerungsmöglichkeiten hinwegtäuschen, die sich vor allem in Gestalt des Haftungsrechts fortentwickelt haben und in jüngerer Zeit vermehrt in das Blickfeld der Techniksteuerung durch Recht geraten. Der Schutz durch Recht kann - wie schon das Beispiel des preußischen Eisenbahngesetzes von 183 8 zeigt - gerade in der stärkeren Aktivierung des Privatrechts liegen und könnte in Zukunft zu einem wechselseitigen Kooperationsverhältnis zwischen öffentlichem und. privaten Recht im Technikrecht fiihren, wobei das das öffentliche Recht die unverzichtbaren Mindestanforderungen statuiert, das Privatrecht aber in der Beachtung dieser Vorgaben vermehrt die Aufgabe der Feinsteuerung übernimmt. Kooperation kennzeichnet auch den Bereich der technischen Normung, einer historisch gewachsenen und unvermindert aktuellen Steuerungsstrategie des Technikrechts. Wie kaum eine andere Steuerungsstrategie hat die Zurückhaltung des Staates mit der Verwendung unbestimmter Rechtsbegriffe und deren Konkretisierung durch technische Regelwerke das Technikrecht geprägt und ihm den Charakter eines "Kooperationsrechts" verliehen. Der häufig überlegene Sachverstand der Betroffenen hat auf der einen Seite eine Teilprivatisierung des staatlichen Handeins unerlässlich erscheinen lassen. Auf der anderen Seite machen jedoch die Gesamtheit der potentiell Betroffenen und in jüngerer Zeit verstärkt die Erhaltung eines hinreichenden demokratischen Legitimationsniveaus die Einrahmung des privaten Handeins durch staatliches Recht unentbehrlich. Über das Maß rechtlicher Strukturierung der Kooperationsvorgänge insbesondere des staatlichen Rezeptionsvorgangs privater Normen - besteht freilich Uneinigkeit. Schon seit längerer Zeit wird auf die Grenzen einer materialen Steuerung hingewiesen. Prozedurale Ansätze verstehen die technische Regelsetzung als Akt privater Wissensgenerierung, der umso eher ein sachgerechtes und rezeptionsflihiges Ergebnis erwarten läßt, desto mehr er den rechtsstaatlich-demokratischen Mindestanforderungen der Transparenz, Publizität, Repräsentanz und Revisi.bilität entspricht. Ob dies eine Normung der Normung entbehrlich macht, erscheint angesichts des eher noch zu erwartenden Bedeutungsanstiegs der technischen Regelsetzung - vor allem im Bereich der europäischen Produktharmonisierung- jedoch unwahrscheinlich.
Zweiter Teil
Historische Funktionen des Technikrechts A. Technikrecht: Realisierungsbedingung für Technikentfaltung? Betrachten wir uns den Industrialisierungsprozeß im 19. Jahrhundert, so ist dieser in einen rechtlichen Rahmen gestellt, der im wesentlichen durch die Gewerbegesetzgebung und die sich hiervon abgrenzende Privatrechtsordnung markiert wird. Die gewaltigen Umwälzungen der Technik, wie sie seit der Einfilhrung der Dampfmaschine immer nachhaltiger den Aufbruch in die Industriegesellschaft1 prägen, gehen mit dem säkularen Rationalisierungsprozeß des Rechts einher. Nicht nur, daß es distinktive Begriffe zunehmend erlaubten, vergleichsweise klar zwischen der staatlichen und der gesellschaftlichen Sphäre unterscheiden zu können. 2 Die rechtsstaatliche Durchdringung behördlichen Handeins - insbesondere die Herausstellung der Gesetzesbindung - macht staatliche Technikbegrenzungen prinzipiell rechtfertigungsbedürftig und kontrollierbar. Und über die Autonomie des Rechtssystems werden dem Bürger weitreichende Technikentwicklungsfreiheiten gewährt. Prinzipiell anerkannt ist die immanente Begrenztheit des Rechts durch seine Abkoppelung von Politik, Moral und Religion. I. Gewerbeordnungen
Technik entfaltet sich nicht von selbst. Treibende Kräfte sind auch nicht nur die Akteure, sei es aus dem staatlichen oder dem gesellschaftlichen Bereich. Als maßgeblicher Faktor filr Technikentwicklungen tritt vielmehr das Umfeld
1 Übersichtlich W König/W Weber, Netzwerke, Stahl und Strom - 1840 bis 1914, in: König (Hrsg.), Propyläen Technikgeschichte, 1997; zur Durchbruchsphase der deutschen Industriellen Revolution 1845/50-1873 instruktiv H-W Hahn, Die industrielle Revolution in Deutschland, 1998, S. 23 ff. 2 Zur Bedeutung der Unterscheidung 0. Lepsius, Die gegensatzaufhebende Begriffsbildung, 1994; zum Erhaltungsbedarf auch Di Fabio, Verwaltung uhd Verwaltungsrecht zwischen staatlicher Steuerung und gesellschaftlicher Selbstregulierung, VVDStRL 56 (1997), s. 237 ff.
A. Technikrecht Realisierungsbedingung filr Technikentfaltung?
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technikbezogener Entscheidungen hinzu. Dazu zählt - wenn auch nicht allein das Recht. 3 1. Reformansatz: Gewerbefreiheit
Zu Beginn des 19. Jahrhunderts sind es nachhaltige Umfeldänderungen, die sich ftlr das aufziehende Zeitalter der Technik positiv ausgewirkt haben. An erster Stelle ist der Reformgeist zu nennen, der in Preußen mit der Eintuhrung der Gewerbefreiheit durch das Gewerbesteueredikt vom 27. Oktober 18104 seinen rechtlichen Niederschlag in einem wirtschaftspolitischen Gesetz fand. 5 Damit war der Grundstein tur den Umbau des Rechts- und Ordnungsgetuges der Techniksteuerung gelegt. Unbeschadet restaurativer RUckschritte und aller Unstimmigkeiten im einzelnen setzt sich der revolutionäre Freiheitsgedanke im postrevolutionären Recht des Wirtschaftsliberalismus allgemein durch. In der Praxis ließen sich zwar kontinuitätswahrende Vorbehalte erkennen, weshalb exekutive Vollzugswiderstände und "gesetzesfreie" Einwirkungen des Staates auf die Technikentwicklung niemals vollständig verdrängt werden konnten. 6 In dem Maße jedoch, wie es der Gewerbegesetzgebung des 19. Jahrhunderts gelang, wirtschaftsliberale Forderungen unter Abschwächung der auf radikale Zurilckdrängung des Staates gerichteten Wirkung umzusetzen, näherten sich theoretisches Leitbild und praktische Umsetzung wirtschaftsliberaler Grundgedanken im Recht an. Die Eintuhrung der Gewerbefreiheit ist zunächst ein frilhes Beispiel tur eine überaus erfolgreiche Deregu/ierung, freilich gekoppelt mit einer ebenso nachhaltigen (Re-)Regulierung. Verstanden als objektiver Rechtsgrundsatz, diente die Durchsetzung der Gewerbefreiheit der Ablösung subjektiver Exklusivrechte7 und Privilegien turstlicher Fürsorge, die als überkommene Rechtsprinzipien einer "freien" Technikentwicklung abträglich erschienen. Um die Dynamik des aufstrebenden Bürgertums tur Wohlfahrtsteigerungen nutzbar zu machen, be-
3 Zur Steuerungs- und Umsteuerungskraft des Rechts fiir Technikentwicklungen: Kloepfer (Hrsg.), Technikumsteuerung als Rechtsproblem (ersch. demnächst). 4 PrOS 1810, S. 79. 5 Zur Stein-Hardenbergischen Reform Bornhak, Preußische Staats- und Rechtsge- " schichte, 1903, S. 325 ff. ; siehe auch v. Unruh, in: Deutsche Verwaltungsgeschichte, Bd. 2, S. 399 ff.; zur Reformära Willoweit, Deutsche Verfassungsgeschichte, 1990, S. 198 ff. 6 Vgl. etwa R. Schmidt, Öffentliches Wirtschaftsrecht, 1990, S. 12 ff. ; zur damaligen Verwaltungspraxis auch Rüfner, Formen öffentlicher Verwaltung im Bereich der Wirtschaft, 1967; instruktiv zur staatlichen Gewerbeförderung instruktiv Drexler, Alte und neue Fürsorglichkeit, Gewerbeförderung von 1800 bis heute, 1989, S. 10 ff. 7 So Gröschner, Das Überwachungsrechtsverhältnis, 1992, S. 17.
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2. Teil: Historische Funktionen des Technikrechts
freite zunächst das Edikt über die Bauernbefreiung vom 9. Oktober 18078 den Rechtsverkehr mit GrundstUcken von allen ständischen Beschränkungen. Im Gewerbesteueredikt von 1810 wird die Zielrichtung der Reform in den Zusammenhang mit der Mittelbeschaffung durch die Vereinheitlichung des Steuerwesens gestellt: Es sollen "freie Benutzung des Grundeigentums (und) völlige Gewerbefreiheit" stattfinden. Daß dies einer Regelung bedurfte und nicht umsonst zu haben war, wird deutlich in den Worten: "Wir wollen nämlich eine völlige Gewerbefreiheit gegen Entrichtung einer mäßigen Patentsteuer und mit Aufhören der bisherigen Gewerbesteuern verstatten." 9
Die Funktion der Gewerbefreiheit mag insoweit auch in der "Kompensation für die Steuererhebung" gesehen werden können. 10 Nach dem verlorenen Krieg gegen Frankreich und dem Frieden von Tilsit 1807 mußte Preußen mehr als die Hälfte seines Territoriums abtreten und sich angesichts der allgemeinen Finanznot neu orientieren. Daß der Einftlhrung der Gewerbefreiheit fiskalische Grundgedanken zugrundeliegen, kommt in der Präambel des Gewerbesteueredikts, in der zunächst auf die Notwendigkeit einer "Vermehrung der Staatseinnahmen" hingewiesen wird, zum Ausdruck. Die "Einführung einer allgemeinen Gewerbesteuer" sei "weniger lästig" erschienen, da mit ihr die "Befreiung der Gewerbe von ihren drückendsten Fesseln" verbunden mit den "Untertanen die ihnen beim Anfange der Reorganisation des Staates zugesicherte vollkommene Gewerbefreiheit" gewährt werden könne. 11 Der hierdurch eingeleitete Wandel kann durchaus als paradigmatisch betrachtet werden: Aus der alten Gewerbeberechtigung wird eine neue Befugnis, die nicht mehr verliehen, sondern erworben - um nicht zu sagen erkauft - wurde. Daß die Abschaffung der Privilegien nicht nur Zustimmung hervorrief, sondern bisweilen auch gegen den Willen der Gewerbetreibenden durchgesetzt werden mußte, zeigt die virulente Entschädigungsfrage ebenso deutlich wie die zusätzlichen Sicherungen der - positiven - Gewerbefreiheit gegen vertragliche Beschränkungen. Um das Ziel erhöhter Staatseinnahmen nicht zu geflihrden, verfllgte die "Kabinettsordre, betreffend die zwischen zwei Kontrahenten bestehenden Verträge, welche die gesetzlich gegebene Gewerbefreiheit beschränken" vom 19. April 1813, daß nach der Publikation des Gewerbesteueredikts geschlossene derartige Verträge gegen die Bestimmungen eines allgemeinen Landesgesetzes errichtet und also dergestalt nichtig sind. 12 Damit wurde der 8 Slg. der filr die Königlichen Preußischen Staaten erschienenen Gesetze und Verordnungen von 1806 bis zum 27sten Oktober 1810 (SGVPrSt), 1822, S. 170. 9 PrOS 1810, S. 79. 10 So-mit weiteren Nachweisen-Ziekow, GewArch 1985,313 ff. (314). 11 PrOS 1810, S. 79. 12 PrOS 1813, S. 69- zum ordnungspolitischen Grundgedanken Strauß, Gewerbefreiheit und Vertragsfreiheit, FS filr F. Böhm, 1975, S. 603 (604 f).
A. Technikrecht: Realisierungsbedingung filr Technikentfaltung?
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Gewerbefreiheit als Marktprinzip gegenüber der individuellen Vertragsfreiheit ein prinzipieller Vorrang eingeräumt, der im Ergebnis wohl weiter reichte als das durch vielfliltige Ausnahmeregelungen durchlöcherte Kartellverbot des heutigen§ I GWB. 13 Neben Marktzielen galt es freilich auch marktexterne Ziele über das Recht durchzusetzen. Die Freisetzung gesellschaftlicher Kräfte zur Mehrung der Staatseinnahmen bedingte die Sicherstellung des Schutzes gegenüber Gefahren ftlr die Allgemeinheit. Schon die "Geschäfts-Instruktion ftlr die Regierungen in sämtlichen Provinzen" vom 26. Dezember 1808 14 betont die gesetzlichen Grenzen der "möglichsten" Gewerbefreiheit. § 2 I des Gewerbesteueredikts ließ die Freiheit des Gewerbes dort enden, wo die "gemeine Gefahr'' beginnt. Und nur kurze Zeit später stellt das Gewerbepolizeigesetz vom 7. September 18 I I 15 in der Präambel fest, es seien "polizeiliche Vorschriften in Verfolg des Edikts vom 2. November I 8 I 0 nötig" geworden. Ob es sich dabei zeitgenössischen Beobachtungen zufolge um eine Zurücknahme der Freiheitspositionen des Gewerbesteueredikts oder um die Festlegung eines praktikablen Rechtsrahmens für die intendierte Freiheitsbetätigung handelt, ist historisch nur schwer zu beantworten. Immerhin sind auch hier die politischen Reformbemühungen für Wirtschaft und Staat in der Beschränkung und Entlastung staatlicher Intervention deutlich geworden. Obgleich am weiten wohlfahrtsstaatliehen Polizeibegriff festgehalten wurde, reduzierte das Gewerbepolizeigesetz die Polizeitätigkeit im wesentlichen auf die Gefahrenabwehr - lange bevor sich dieser Gedanke im "berühmten" Kreuzberg-Urteil des Preußischen Oberverwaltungsgerichts 16 im "engen" rechtstaatlichen Polizeibegriff allgemein durchsetzte. An die Stelle "verliehener Privilegien" und wirtschaftslenkender "bevormundender" Einwirkungen des Staates trat mit dem durch die Gefahrenabwehr limitierten Prinzip der Gewerbefreiheit ein neuer Staatsverwaltungsgrundsatz. 11 Als Ausweg aus einer tiefgreifenden Modemisierungskrise bot er dem noch überwiegend landwirtschaftlich geprägten und restaurativ eingestellten Preußen die Chance, über die an liberalen Prinzipien orientierte Strukturreform des Wirtschafts- und Verwaltungssystems (wieder) Anschluß an europäische Großmächte zu finden.
13 Zu Umbauplänen des Kartellrechts auf der europäischen Ebene siehe das Weißbuch der Kommission zu den Art. 81 ff. EGV vom 28. April 1999, ABI. EG C 132 v. 12.5.1999 -kritisch Möschel, JZ 2000, 61 ff. (m. w. N.). 14 Slg. der fiir die Königlichen Preußischen Staaten erschienenen Gesetze und Verordnungen von 1806 bis zum 27sten Oktober 1810 (SGVPrSt), 1822, S. 481. 15 PrGS 1811, S. 263. 16 PrOVGE 9, 353 ff. - dazu Rott, NVwZ 1982, 363 ff. 17 So B. Vogel, Allgemeine Gewerbefreiheit, 1980, S. 179.
2. Teil: Historische Funktionen des Technikrechts
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2. Ordnungsbedarf Gewerbeordnungen
Schon das Gewerberecht des frühen 19. Jahrhunderts beschränkte sich nicht auf personenbezogene Anforderungen insbesondere der Zuverlässigkeit, sondern statuierte mit den Dampfkesse1bestimmungen 18 zunehmend auch anlagenbezogene Anforderungen, bevor mit den Gewerbeordnungen - vor allem der preußischen Gewerbeordnung von 1845 19 - ein allgemeiner, auf den Ausgleich von Freiheit und Sicherheit angelegter Rechtsrahmen filr technikrelevante Entwicklungen geschaffen wurde. Die Gewerbeordnungen der deutschen Staaten - später des Norddeutschen Bundes und des Deutschen Reiches - sind nicht nur Reaktionen auf die wachsenden Gefahren der Industriegesellschaft, sondern auch Ausdruck der immer wichtiger werdenden Vereinheitlichungsbemühungen zur Schaffung eines verläßlichen Ordnungsrahmens flir Technikentwicklungen. Dabei ging es um die Zurückdrängung privater Macht in den weitgehend formalen Kategorien des Erlaubnisvorbehalts. 20 Mit der juristischen Konturierung bipolarer Rechtsbeziehungen des Bürgers zum Staat folgen die deutschen Gewerbeordnungen zwar der allgemeinen Rechtsentwicklung, die sich im öffentlichen Recht auf die Bändigung der direkten Verhaltenssteuerung des Staates durch Befehl und Zwang konzentriert. 21 Aber gerade im Bereich der Gewerbeaufsicht finden sich bereits im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts auch kooperative Elemente des gewerbe-und technikrechtlichen Vollzugs. Zum einen scheint das aufsichtsrechtliche Zwangsinstrumentarium von den Behörden nicht immer ausgeschöpft worden zu sein, da sie mit der Beschwerde beim Minister oder der Nichtbeachtung behördlicher Anordnungen durch das betroffene Unternehmen rechnen mußten. 22 Zum anderen gab den Vollzugsbehörden das 1878 eingefilhrte Institut der obligatorischen Fabrikinspektion23 die Möglichkeit, im Vorfeld der Zwangsanwendung in Verhandlungen mit dem Unternehmen zu treten, um auf einvernehmliche Weise Vgl. Kloepfer, Zur Geschichte des deutschen Umweltrechts, 1994, S. 39 ff. PrGS 1845, S. 41 -zur Vorgeschichte F.-J Brüggemeier, Das unendliche Meer der Lüfte. Luftverschmutzung, Industrialisierung und Risikodebatten im 19. Jahrhundert, 1996, s. 96 ff. 20 Siehe oben, S. 19 ff. 21 Vgl. Franzius, Die Herausbildung der Instrumente indirekter Verhaltenssteuerung im Umweltrecht der Bundesrepublik Deutschland, 2000, S. 32 ff. 22 Siehe etwa Andersen/Ott, Risikoperzeption im Industrialisierungszeitalter am Beispiel des Hüttenwesens, AfS 28 (1988), S. 75 (78 ff.); filr den Bereich des Immissionsschutzes auch Mieclc, Technikgeschichte 34 (1967), S. 36 ff. 23 § 139b der novellierten Reichsgewerbeordnung vom !?.Juli 1878- zur Vorgeschichte Anton, Geschichte der preußischen Fabrikgesetzgebung bis zur Aufuahme in die Reichsgewerbeordnung, 1891 . 18
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A. Technikrecht Realisierungsbedingung filr Technikentfaltung?
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den gewerberechtlichen Vollzug sicherzustellen?4 Obgleich die Sanktionsmöglichkeiten der Gewerbeaufsicht im Kaiserreich immer weiter ausgedehnt wurden, sollten sich die schließlich auch mit polizeilichen Befugnissen ausgestatteten Gewerbeaufsichtsbeamten zunächst darum "bemühen ( ... ), die Betriebsleiter durch gütliche Einwirkung von der Notwendigkeit und Zweckmäßigkeit der erforderlichen Maßnahmen zu überzeugen und sie zu deren freiwilligen Ausfuhrung zu bestimmen".25
Der Gewerbegesetzgebung und deren Vollzug kommt filr Entwicklungen der Technik im 19. Jahrhundert eine hervorgehobene Bedeutung zu, sind technische Innovationen doch in der Regel mit gewerblichen Interessen eng verbunden. Gerade über die Ausgestaltung des Gewerberechts hatte schon der absolute Staat vielfllltigen Einfluß auf den technischen Sektor nehmen können. Mit den Gewerbeordnungen des 19. Jahrhunderts wurden die staatlichen Einwirkungen zwar rechtlich gebunden. Gleichwohl bleiben Staat und staatlich gesetztes Recht eher technikfördernd als technikhemmend erhalten. Dies zeigt schon der Umstand, daß sich gerade Techniker häufig der fördernden Unterstützung durch den Monarchen erfreuen konnten. 26 Insoweit unterscheidet sich das trotz aller Streitigkeiten im einzelnen weitgehend von liberalen Prinzipien geprägte- 19. Jahrhundert kaum von vorangegangenen Epochen der Technikgeschichte.27 Ja mehr noch: Der erhebliche Freiraum, in dem sich Erfinder bewegten, wirkte sich positiv auf technische Innovationen aus. Wenn auch an der generellen Einschätzung der Zeit als technikgläubig manche Zweifel angebracht erscheinen/8 sind der rechtliche Freiraum und der erhöhte Rechtfertigungszwang gewerbepolizeilicher Beschränkungen - verbunden mit einer bisweilen sehr großzügigen Genehmigungspraxis und der indirekten Heranführung technikfremder Belange an die technischen Systeme - wichtige Elemente der gewerberechtlichen Steuerung von Technikentwicklungen. Als technikfördernd können aber auch die Exemtionen vom Gewerberecht betrachtet werden. Soweit eine Technik nicht unter die gewerberechtlichen Be24 Hierzu Buck-Heilig, Die Gewerbeaufsicht, 1989, S. 136 ff., siehe auch Treiber, Kooperatives Verwaltungshandeln der Gewerbeaufsicht (Fabrikinspektion) im 19. Jahrhundert, in: Voigt/Dose (Hrsg.), Kooperatives Recht, 1995, S. 65 ff.; zusammenfassend auch Franzius (FN 21 ), S. 230 ff. 25 So der Minister filr Handel und Gewerbe in einem Schreiben an die Regierungspräsidenten vom 8. Januar 1914, zit. nach Buck-Heilig (FN 24), S. 145. 26 So etwa im Falle Carl August von Steinheils, des Begründers der wissenschaftlichen Nachrichtentechnik: Pieper, Technikgeschichte 37 (1970), S. 323 ff. 27 Zu kontinuitätswahrenden Elementen im Bereich der Verwaltung EI/wein, Einfilhrung in die Regierungs- und Verwaltungslehre, 1966, S. 26 ff.; zum "Verwaitungsstaat" auch Botzenhart, Reform, Restauration, Krise. Deutschland 1789-1847, 1985, S. 45 ff.; unverzichtbar weiterhin: Kose/leck, Preußen zwischen Reform und Revolution, 3. Auf!., 1981, s. 153 ff. 28 Zur Opposition gegen Technik im 19. Jahrhundert Sieferle, Fortschrittsfeinde?, 1984.
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schränkungen fiel, fand zwar die Gewerbefreiheit keine Anwendung, aber ebenso wenig auch die spezifisch gewerberechtlichen Beschränkungen (genehrnigungspflichtige Gewerbe etc.). Gleichwohl konnte der Gesetzgeber im Bereich dieser Exemtionen ebenfalls Freiheitsräume schaffen, die sich dann für die Entwicklung der industriellen Dynamik im 19. Jahrhundert sehr günstig auswirken konnte. So war es bei der Telegrafie, deren Betrieb keiner gewerberechtlichen Genehmigung bedurfte. Militärische und polizeiliche Erwägungen filhrten hier aber in den meisten deutschen Bundesstaaten zur Inanspruchnahme staatlicher Alleinrechte. Deren Absicherung durch Gesetz wurde in dem Maße erforderlich, wie die politischen Gefahren wegfielen oder von der Rechtsprechung nicht mehr filr polizeirechtlich erheblich gehalten wurden. Mit einfachen Dichotomien einer strikten Trennung von Staat und Gesellschaft wird man dem Technikrecht des 19. Jahrhunderts freilich nicht gerecht. 29 Wo der Betrieb einer Technik - wie im Falle der Telegrafie oder der Eisenbahn - letztlich zur Staatsaufgabe erklärt wurde, kam es häufig zu einer besonders intensiven Zusammenarbeit mit privaten Kräften, die aus dem staatlichen Monopol ein derivatives privates Monopol begründen und den Grundstein filr den andauernden wirtschaftlichen Erfolg legen konnten. 30 Aber auch dort, wo zuvor der private Betrieb auf aktienrechtlicher Basis möglich war - wie im Falle der privaten Eisenbahngesellschaften - blieben dem Staat über das bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts eingesetzte Instrument der Konzession vielfliltige Einfluß- und Gestaltungsmöglichkeiten zur Steuerung der Technikentwicklung erhalten. 31 In den Gewerbeordnungen läßt sich ebenso wie in den Freistellungen vorn Gewerberecht ein rechtliches Steuerungsmodell erkennen, das sich trotz vieler Änderungen und Modifikationen in seiner Grundkonzeption bis heute erhalten hat. So beruht das Rundes-Immissionschutzrecht von 197432 in seinen Grundzügen auf Elementen, die bereits in der preußischen Gewerbeordnung von 1845 enthalten waren. Mit der Herauslösung der seinerseits von der Gewerbeordnung des Norddeutschen Bundes übernommenen §§ 16 ff. der Reichsgewerbeordnung bzw. deren Nachfolgeregelungen wurde die immissionsschutzrechtliche Genehmigungspflicht auf eine neue Grundlage gestellt, aber strukturell im wesentlichen bis heute nicht verändert. 33 Im Bereich der Umwelttechniken mag dies für Innovationen nicht immer ilirderlich gewesen sein. Auch das elektrische Informationsvermittlungsmonopol des Staates hat sich bekanntlich bis in das letzte Drittel des 20. Jahrhunderts erhalten können. Mit 29 So Kloepfer, in: ders. (Hrsg.), Technikentwicklung und Technikrechtsentwicklung, 2000, S. 5. 30 So etwa im Falle von Siemens & Halske: www.siemens.de/de2/html/about/history. 31 Vgl. Scherner, ZNR 1994, S. 39 (40 f). 32 BGBl. I S. 721. 33 Kloepfer!Franzius, UTR 27 (1994), S. 179 (200 ff.).
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der folgenden Privatisierung desselben ist es aber - durchaus folgerichtig - zur Renaissance des Gewerberechts mit seinen Instrumenten gekommen. 34 So greift das neue Telekommunikationsrechf 5 angesichts der immer wieder von neuem entstehenden Knappheitssituation im Frequenzbereich36 auf das Instrument der Lizenz zur Techniksteuerung37 zurück, das vor dem Hintergrund der unterschiedlichen Regulierungsziele, wie sie europa- und verfassungsrechtlich vorgeprägt in§ 2 Abs. 2 TKG normiert sind, nur "auf dem ersten Blick ausschließlich dem Modell der gewerberechtlichen Erlaubnis folgt, der Sache nach aber weitergehende Einbindungen mit konzessionären Zügen" erkennen läßt. 38 Daß der Rekurs auf das System der Eröffnungskontrollen mit- zum Teil vormodernen - Regulierungstechniken in globalen Wachstumsmärkten auch technikhemmende Auswirkungen haben kann, wird inzwischen größtenteils erkannt. Dem soll nach den Vorstellungen des europäischen Parlaments und des Rates durch die Aufnahme einer neuen Allgemeingenehmigung entgegengewirkt werden, die - flankiert durch repressive Instrumente - ohne eine ausdrUckliehe Einzelgenehmigung der nationalen Regulierungsbehörde die Erbringung von Telekommunikationsdiensten ermöglichen soll. 39 II. Regulierung unbekannter und bekannter Techniken I. Technisches Wissen
Die Technikregulierung durch Recht setzt hinreichende Informationen über technische Abläufe, ihre Beherrschbarkeit und verbleibende Risikopotentiale voraus. Betrachtet man weite Teile des 19. Jahrhunderts als Zeitalter der Technik, so ist hinzuzufilgen, daß es sich dabei zugleich um die große Zeit der Naturwissenschaften handelte. In der Wissensgenerierung und -akkumulierung liegen die enormen Technikentwicklungspotentiale mit ihren nutzbringenden Chancen und zugleich schädlichen - bisweilen Zerstörerischen - Risiken, man denke nur an soziale Umwälzungen durch neue Techniken oder die zivilisatoriStatt vieler Ruffort, AöR 124 (1999), S. 237 ff. Grundlegend das Telekommunikationsgesetz vom 25. Juli 1996, BGBI. I S. 1120dazu Scherer, NJW 1996, 2955 ff.; zum gemeinschaftsrechtlichen Hintergrund HoffmannRiem, DVBI. 1999, 125 ff. 36 Zur künstlichen Verknappung Bu/linger, Neue Informationstechniken- neue Aufgaben des Rechts im Staat der Informationsgesellschaft, in: Kloepfer (Hrsg.), Technikentwicklung und Technikrechtsentwicklung, 2000, S. 149 tf. (153). 37 §§ 6 ff. TKG. 38 Trute, VVDStRL 57 ( 1998), S. 218 tf. (225); zur Konzession Koenig, Die öffentlichrechtliche Verteilungslenkung, 1994, S. 100 ff. 39 Vgl. Art. 4 f. der Richtlinie 97/13/EG des Europäischen Parlaments und des Rates v. 10. April1997, ABI. L 117, S. 15 tf. 34 35
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sehen Auswirkungen durch die Anwendung neuer Kriegstechnologien. Auf dem jeweils verfilgbarem Wissen basiert aber auch die Regulierung durch Technikrecht mit seinem tieferliegendem Anliegen der Nutzbarmachung und Risikominimierung technischer Entwicklungen. a) Wissensgenerierung Technisches Wissen entsteht - und vermehrt sich - typischerweise in privater Hand, wenngleich nicht zu übersehen ist, daß es gerade im 19. Jahrhundert eine Fülle staatlicher Einrichtungen gab, die mit der naturwissenschaftlichen Forschung betraut waren und sich technischen Systemen widmeten, nicht zuletzt um entsprechende Systementscheidungen vorzubereiten. 40 Aber parallel hierzu entstanden private technische Vereinigungen wie der 1856 gegründete Verein Deutscher Ingenieure (VDI), nach dessen Selbstverständnis technische Fragen besser von Ingenieuren als von Beamten und Juristen zu lösen seien. 41 Auch der Staat geht in seiner Überwachungstätigkeit zunehmend dazu über, technisches Wissen nicht mehr eigenhändig, sondern im Wege des Zugriffs auf private Kenntnisse und Informationen des Steuerungsadressaten zu erwerben. Die letztlich hierin liegende Anerkennung eines technischen Wissensvorsprung privater Kräfte ist grundlegend filr die rechtliche Technikregulierung durch den Staat, wird ihr angesichts der Reaktionstypik doch bis zum heutigen Tag Schwerfiilligkeit attestiert und gegenüber Technikentwicklungen ein "regulatory lag" konstatiert. In der Tat gleicht die Technik in ihrer rasanten Entwicklung bisweilen dem Igel, das Recht mit seinen Reaktionsmustern dagegen dem Hasen- gleichsam an notorischer Verspätung leidend. 42 Im 19. Jahrhundert beruht die gesetzliche Technikregulierung freilich noch auf relativ stabilen Prämissen. Der Verhaltenssteuerung durch das im Vordergrund stehende Ordnungsrecht wird - idealtypisch - ein konstantes gesellschaftliches Umfeld zugrundegelegt Schon der Einsatz punktueller Maßnahmen bietet vielfach die Gewähr filr dauerhafte und unverbrüchliche Regelun-
40 Pars pro toto sei hier die preußische "Königliche Wissenschaftliche Deputation filr das Medizinalwesen" genannt, die sich vor allem filr Innovationen im Bereich der Umwelttechnik (insbesondere filr den Gewässerschutz) einen Namen machte: Kloepfer (FN 18), S. 61 ff. 41 Instruktiv Lundgreen, Die Vertretung technischer Expertise "im Interesse der gesamten Industrie Deutschlands" durch den VDI 1856-1890, in: K.-H. Ludwig (Hrsg.), Technik, Ingenieure und Gesellschaft: Geschichte des Vereins Deutscher Ingenieure 18561981, 1981, S. 67 ff. ; zum Selbstverständnis des VDI auch Brennecke, Normsetzung durch private Verbände, 1996. 42 Vgl. Kloepfer, in: ders. (Hrsg.), Technikentwicklung und Technikrechtsentwicklung, 2000, s. 9.
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gen. 43 Freiheit und Zwang finden ihre Entsprechung in Gesetzesbindung und -gehorsam. Stabil ist aber auch der Verweisungszusammenhang zwischen den verfUgbarem Wissen und den bereitgestellten Instrumenten. Weil der Einsatz von Befehl und Zwang auf dem erwarteten Gesetzesgehorsam des Adressaten beruht, müssen beim Staat alle relevanten Informationen filr den "Eingriff" vorhanden sein. Das liberale Regelungsmodell "begnügte sich hier freilich mit Wissensbeständen, die als ,Erfahrungen' den Maßstab filr die Frage bildeten, wann eine ,Gefahr' für den abgrenzbaren Bestand individueller Rechtsgüter vorliegt. Im Tatbestand der Norm wird ein externes Ereignis vorausgesetzt, auf das die insoweit reaktive Tätigkeit der Verwaltung abgestimmt ist" .44
Mit der Konzentration auf die Gefahrenabwehr ertahrt auch das technische Sicherheitsrecht voraussetzungsvolle Begrenzungen. Dies betrifft zunächst vor allem das Steuerungsverständnis der Zeit. So muß flir den Einsatz gefahrenabwehrrechtlicher Mittel zwischen Schadensquelle und Schaden ein kausaler Verursachungszusammenhang festgestellt werden können. Dabei wird jedoch ein durchweg lineares Verständnis von Zeit zugrundegelegt Weil alle Vorgänge in der Zukunft bereits in der Gegenwart - ganz im Sinne des Fortschrittsoptimismus der damaligen Zeit - prinzipiell erkennbar und vorhersehbar sind, können unter Berücksichtigung von Erfahrungssätzen auch zukünftige Schadensereignisse individuell zugerechnet werden. Das klassische Modell der Gefahrenabwehr beruht danach "grundlegend auf der Erkenntnis der Kausalität zwischen Gegenwart und zukünftigen Schadensereignissen in einer determinierten, zuverlässig vorhersagbaren, stabilen und grundsätzlich reversiblen Ordnung. Durch die Verknüpfung der zeitlichen Dimension mit dem Grundsatz der Kausalität wird ein Gefilhl der Sicherheit vermittelt, in einen definierten Ablaufvon Ereignissen eingebunden zu sein".45
Der technikrechtlichen Steuerung ist - teilweise noch heute, wie begrifflich schon die Instrumentendebatte im Umwelt- und Technikrecht nahelegt - ein "technisches Wirkungsverständnis inhärent, wonach Steuerung die Herstellung eines Systemzustands meint, der anderenfalls nicht eintreten" würde. 46 Dieses Steuerungsverständnis basiert auf Prämissen, die keineswegs selbstverständlich sind, setzt es doch die zunehmend in Frage gestellte, regelmäßig 43 Vgl. Grimm, Der Wandel der Staatsaufgaben und die Krise des Rechtsstaates, in: ders. (Hrsg.), Wachsende Staatsaufgaben-sinkende Steuerungsflihigkeit des Rechts, 1990, S. 291 (295 f). 44 Franzius (FN 21), S. 33. 45 Wahl!Appel, Prävention und Vorsorge. Von der Staatsaufgabe zur rechtlichen Ausgestaltung, in: Wahl (Hrsg.), Prävention und Vorsorge, 1995, S. 28. 46 So M Schulte, Regulierung bekannter und unbekannter Techniken - Techniksteuerung durch Technikrecht, in: Kloepfer (Hrsg.), Technikentwicklung und Technikrechtsentwicklung, 2000, S. 59 (61 f).
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2. Teil: Historische Funktionen des Technikrechts .,nicht vorhandene Fähigkeit zur ausreichenden Isolierung der beabsichtigten Wirkungsketten voraus, d. h. - anders gesprochen - die Fähigkeit zur Kontrolle der entscheidenden Ursachen einer Veränderung" 47
Hiervon ist auch das Instrumentenverständnis der Zeit betroffen. Denn im auf die Gefahrenabwehr zugeschnittenen und sich größtenteils an der Eingriffsverwaltung orientierenden Rechtssystem wird der Problembearbeitung eine systeminteme Grenze in den verfilgbaren Instrumenten gesetzt, mit "denen nur dort Verantwortung übernommen werden kann, wo der seine eigene Effektivität garantierende direkte Zugriff möglich" erscheint. 48 Die technikrechtliche Verhaltenssteuerung beschränkt sich im wesentlichen auf die unmittelbare Lenkung individuell beherrschbaren Verhaltens. Ungewißheit wird demgegenüber als solche im Recht nicht ausdrücklich thematisiert. Sicherlich ist die Regulierungstätigkeit des gefahrenabwehrenden Staates auf unbestimmte Rechtsbegriffe wie den "Stand von Wissenschaft und Technik" angewiesen, in denen Wissenszuwächse aufgenommen und vom Rechtssystem verarbeitet werden können. Aber rechtlicher Handlungsbedarf wird erst dort gesehen, wo Gefahren erkennbar werden und prognostisch hinreichend sicher erfaßt werden können. 49 Wo neue Techniken entwickelt werden, aber aufgrund von Ungewißheit über die Ausgangsbedingungen oder die Wirkungszusammenhänge die Wissensgrundlage filr eine Gefahrenprognose fehlt, mithin noch keine Gefahr angenommen werden kann, kommt auch das technische Sicherheitsrecht des 19. Jahrhunderts letztlich nicht zum Zuge. Gleichwohl vorhandene Risiken werden grundsätzlich -jedenfalls aus öffentlich-rechtlicher Sicht- von der Gesellschaft getragen. b) Technikerfindungen und Patentschutz Gewiß mag es gerade im Kaiserreich auch um die Förderung technischen Wissens gegangen sein, wird doch die Technik zum Symbol fiir den Aufstieg des deutschen Reiches. Ebenso drängend wird aber auch die Frage nach dem Schutz technischen Wissens, um Technikerfindungen fiir den einzelnen Erfinder überhaupt erst wirtschaftlich rentabel zu machen. Dies betrifft die - historisch 47 Kritisch gegenüber dem Verständnis einer "Zentralsteuerung von außen" M. Schulte (FN 47), S. 62, siehe auch ders., Techniksteuerung durch Technikrecht - rechtsrealistisch betrachtet, in: Vieweg (Hrsg.), Techniksteuerung und Recht (i. E.). 48 Ladeur, VersR 1993,257 ff. (257). 49 Zur Prognoseunsicherheit und der wachsenden Bedeutung von Technikfolgenabschätzungen Roßnagel, Rechtswissenschaftliche Technikfolgenabschätzung, 1986; sozialwissenschaftlich Zweck, Die Entwicklung der Technikfolgenabschätzung zum gesellschaftlichen Vermittlungsinstrument, 1993, zur Technikgeneseforschung Dierkes!Canzler, Innovationsforschung als Gegenstand der Technik Technikgeneseforschung, in: Hoffmann-Riem/J.-P. Schneider (Hrsg.), Rechtswissenschaftliche Innovationsforschung, 1998, S. 63 ff.
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noch intensiver zu erforschende - Rolle des Patentrechts filr die Technikentwicklung. 50 Im Grunde sind es vergleichbare Gründe, die im beginnenden 19. Jahrhundert neben dem Erlaß gewerberechtlicher Regelungen zunehmend auch patentrechtliche Regelungen erforderlich machten. Schon früh hatten sich die Landesherren bemüht, den Erfinder gegen den Mißbrauch und die unrechtmäßige Ausbeutung seiner Erfindung zu schützen. Das wohl älteste Patentgesetz hatte die Republik Venedig im Jahre 1474 erlassen, die Vergabe der ersten deutschen Patentschrift wird Kaiser Maximilian zugeschrieben, der am 16. Juni 1572 drei deutschen Erfindern ihre Erfindung, beim Heizen von Öfen aller Art Holz zu sparen, unter Schutz stellte. 51 Aber in nahezu allen europäischen Staaten wurde die landesherrliche Privilegierung schließlich als problematisch empfunden, schränkte sie Technikentwicklungsfreiheiten doch zu sehr ein. Obgleich nach und nach stärker formalisierte Patentgesetze erlassen wurden, gab es eine Reihe von Stimmen, die sich gegenüber einem starken Patentschutz ablehnend äußerten. In der Mitte des 19. Jahrhunderts ist es insbesondere die expandierende Industrie, die auf die Notwendigkeit eines angemessenen Patenschutzes hinweist und über den Verein Deutscher Ingenieure auf die Patentgesetzgebung Einfluß zu nehmen versucht. Nachdem 1873 der Internationale Patentkongreß anläßlich der Weltausstellung in Wien eine Resolution mit dem Postulat verabschiedet hatte, den Erfindungsschutz in den Gesetzgebungen aller zivilisierten Ländern zu stärken, begannen im deutschen Reich die Vorbereitungen filr das 1877 schließlich verabschiedete und in Kraft getretene Reichspatentgesetz. 52 Das erste reichseinheitliche Patentgesetz basiert auf einem Kompromiß, der unter der Federfiihrung Werner von Siemens' zustandegekommen war und einen Ausgleich zwischen Freiheit und Monopol in Gestalt einer mittelbaren Zwangslizenz vorsah: Das Patent konnte für den Fall zurückgenommen werden, daß im öffentlichen Interesse die Erteilung einer Lizenz an Dritte geboten erschien, der Patentinhaber aber sich gleichwohl weigerte, diese Lizenz gegen angemessene Vergütung und genügende Sicherheitsleistung zu erteilen. 53 Das Patentgesetz statuierte einen Rechtsanspruch des ersten Anmelders einer neuen und gewerblich anwendbaren technischen Erfindung auf das Patent, welches nach einer entsprechenden Vorprüfung auf zunächst maximal 15 Jahre erteilt wurde. Schon 1891 kam es zum Erlaß eines neuen Patentgesetzes und des filr 50 Zum historischen Forschungsbedarf W Fischer, Grundlegende Entwicklungen der Technik im 19. Jahrhundert, in: Kloepfer (Hrsg.), Technikentwicklung und Technikrechtsentwicklung, 2000, S. 13 (14 ff.). 51 Vgl. Kornblum, Technik und Rechtswissenschaft, in: Hermann/Dettmering (Hrsg.), Technik und Wissenschaft, 1991, S. 186 ff. (197). 52 Vom 25. Mai 1877, RGBI. S. 501. 53 Kornblum (FN 51), S. 199.
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die wichtigen kleineren Erfindungen einschlägigen Gebrauchsmustergesetzes, das hier ohne materielle Priifung aufgrund einer Anmeldung und Eintragung in die Gebrauchsmusterrolle einen Gebrauchsmusterschutz fUr höchstens 6 Jahre etablierte. Eine grundlegende Reform erfolgte 1936: Seitdem hat nicht mehr der erste Anmelder der Erfindung, sondern ihr Erfinder das Recht auf das Patent oder Gebrauchsmuster, der in der betreffenden Urkunde bzw. Rolle auch ausdrücklich zu nennen ist. 54 Die Einschätzungen über die Funktionen des Patentrechts gehen auseinander. So ließ sich die Notwendigkeit eines angemessenen Patentschutzes nach der Reichsgründung nicht nur mit der Lehre vom geistigen Eigentum des Erfinders begründen, sondern gerade auch mit dem öffentlichen Interesse des das Patent erteilenden Staates, der anderenfalls befürchten mußte, daß die Erfinder ihre Erfmdungen geheimhalten oder aber in das Ausland abwandern würden. Nationalstaatliche Erwägungen dürften fUr den Erlaß des Patentgesetzes eine große Rolle gespielt haben, war es in der Vergangenheit doch häufiger zum Verlust technischen Wissens durch Abwanderung gekommen. Welche Bedeutung dem Schutz technischen Wissens zukam, ließ sich gerade im Ausland gut studieren. Hier war es bisweilen Patentinhabern wie z. B. Graham Bell in den Vereinigten Staaten gelungen, ganzen Industriezweigen ihren Stempel aufzudrücken.55 Dies mag nicht zuletzt ein Grund fUr Werner von Siemens gewesen sein, auf den Erlaß eines deutschen Patentgesetzes zu drängen. Die Erteilung von Patenten hat technische Innovationsprozesse aus der Sicht eines liberalen Ökonomen der damaligen Zeit gewiß insoweit behindert, als der Technikentwicklungswettbewerb begrenzt wurde. Aus der Sicht der Erfinder, der Ingenieure und Techniker dürfte der Patentschutz dagegen ein maßgeblicher Anreiz für Aktivitäten gewesen sein, die insoweit technische Neuerungen erst ermöglicht haben. Auf ihr Verhalten haben die patentrechtliehen Regelungen sicherlich eingewirkt. Ob das Patentrecht ihre Entschlüsse auch so weit determiniert hat, daß ohne den entsprechenden Schutz technische Erfindungen ausgeblieben wären, läßt sich nur schwer beantworten. 56 Aus der Sicht des Staates - freilich stark durch die Industrie beeinflußt - wurde jedenfalls ein solcher Schutz notwendig und ein Interessenausgleich möglich. Das Recht erfUllte dabei eine seiner vornehmsten Aufgaben, indem es den politisch gefundenen Kompromiß durch geeignete - durchaus innovative - Instrumente fUr die Praxis umsetzte, passende Organisationen - wie das Reichspatentamt - bereitstellte und in einer Abwägung der widerstreitenden Interessen einen verläßlichen 54 Zum Ganzen Kornblum (FN 51), S. 199 ff. ss Zur Bedeutung filr die Entwicklung des Telefons W. König, Massenproduktion und Technikkonsum, in: ders./Weber (Hrsg.), Propyläen Technikgeschichte, Bd. 4, 1997, s. 265 ff. (495). 56 Zweifelnd W Fischer (FN 50), S. 16.
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Ordnungsrahmen schuf, an dem sich Technik und Wirtschaft orientieren konnten.
Wie wichtig ein solcher Ordnungsrahmen fUr technische Erfindungen ist, machte zuletzt vor allem die Gen- und Biotechnologie deutlich. Die umstrittene und inzwischen zurückgenommene Patenterteilung an ein großes OSUnternehmen fUr die Nutzbannachung von Produkten des subtropischen NeemBaumes57 zeigt auch, daß es im Rahmen des Patentrechts zunehmend darum geht, dem nicht unberechtigten Vorwurf eines neuen Bio-Kolonialismus zu begegnen und die brisante Frage zu klären, wer über zukünftige Technikentwikklungschancen - in begrenzender oder ennöglichender Weise- verfUgen darf. Ähnlich verhält es sich im Bereich der Software-Technologien. 58 Patentstreitigkeiten nehmen zu und drohen Innovationen zu bremsen. 59
2. Neue Techniken und technische Sicherheit Techniken funktionieren oder sie funktionieren nicht. Das Technikrecht thematisiert vor allem die Fälle, in denen Techniken noch nicht funktionieren oder nicht mehr funktionieren. 60 Schon die Frage der Dampfkesselüberwachung im ersten Drittel des 19. Jahrhunderts zeigte, wie schwer es flillt, den richtigen Zeitpunkt fUr die technikrechtliche Steuerung neuer Techniken zu wählen. So wurde in der Revisionsfrage gegenüber denjenigen, die sich fUr eine staatliche Überwachung der Dampfkessel einsetzten, die Beftlrchtung geäußert, es sei noch zu früh, die neue Technologie rechtlichen Beschränkungen zu unterwerfen.61 Dampfkesselexplosionen haben dann nicht nur die Notwendigkeit rechtlicher Kontrollen vor Augen gefilhrt, sondern auch deutlich gemacht, daß es vielfach schon zu spät war, durch Technikrecht noch vorgreiflieh auf die Technikentwicklung hinreichend Einfluß zu nehmen. 62 Für eine Reihe von Technolagien hat das technische Sicherheitsrecht gezeigt, daß nachträgliche rechtliche Anforderungen an technische Systeme nur begrenzte Steuerungswirkungen entfalten, sind technische Gestaltungen doch nur mit hohem Aufwand korrigierbar
57 SZ v. 16. Mai 2000, S. V2/ll. 58 Zum Rohstoffinformation Wiebe, GRUR 1994, 194 (196 ff.). 59 Vgl. M Hoffmann!Gabel, K&R 1999, 453 ff.; zum Stand der Diskussion auch
DER SPIEGEL 30/2000, S. 54 ff. 60 M Schulte (FN 46), S. 63. 61 Vgl. Kloepfor (FN 18), S. 39 ( 62 Vgl. Roßnagel, Rechtliche Regelungen als Voraussetzung filr Technikgestaltung, in: G. Müller/A. Pfitzmann (Hrsg.), Mehrseitige Sicherheit in der Kommunikationstechnik, 1997, S, 361 ff. (366); siehe auch Murswiek, Die Bewältigung der wissenschaftlichen und der technischen Entwicklung durch das Verwaltungsrecht, VVDStRL 48 (1990), S. 207 ff.
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und ein darauf gerichteter Steuerungsansatz Kosten-Nutzen-Relationen ausgesetzt, die regelmäßig das Schutzniveau reduzieren. 63 Wo Regulierungsbedarf gesehen wurde, konnte dem nicht immer sofort entsprochen werden. So wird im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts neben dem vermehrt in den Vordergrund rückenden Gestaltungsauftrag des Rechts der auf Zurückdrängung übermäßiger Regulierung gerichtete Rechtschutz immer wichtiger. 64 Dies zeigte sich, als es nach der Reichsgründung um die Verbesserung des technischen Arbeitsschutzes ging, der im Zusammenhang mit der politisch bedeutsamen "sozialen Frage" stand und über die Intensivierung der Gewerbeaufsicht angestrebt werden sollte. So habe "wegen der Ordnung des Rechtsstaates die obligatorische Einfilhrung von Fabrikinspektoren zu warten, bis filr die betroffenen Unternehmer ein Beschwerdeverfahren geschaffen" sei.65 Die Reichsgewerbeordnung setzte sich über diese - in Regierungskreisen geäußerte -Kritik hinweg und filhrte mit der Novelle vom 17. Juli 1878 die obligatorische Fabrikinspektion ein. Deren Vollzug wurde jedoch durch Normen des Bundesrates - wie oben erwähnt66 - auf den administrativen Einsatz zwangloser Mittel reduziert. Und wo kein befehlsfl>rmiger Zwang ausgeübt wurde, ließ sich auch der Rechtsschutz nicht problematisieren.67 Die Konzentration des qffentlichen Rechts auf den Individualrechtsschutz erlaubte es zunehmend auch der Rechtsprechung, wichtige Impulse filr die technikrechtliche Steuerung neuer Techniken zu setzen.68 Virulent wird dies vor allem nach 1945, man denke nur an die "berühmten" Urteile des Bundesverfassungsgerichts zur Atomtechnik - etwa durch die wegweisende KalkarEntscheidung69 mit der nicht nur filr das Atomrecht maßgeblichen Grundlegung eines technikrechtlichen Stufenmodells der Erkenntnisgewißheit, das letztlich filr den Bereich des Restrisikos eine neue Grundpflicht des Bürgers zur Hinnahme rational nicht mehr abschätzbarer Technikrisiken schuf. Nicht selten hat die Rechtsprechung die Technikgesetzgebung in hohem Maße beeinflußt und bisweilen auch beschleunigt, so etwa durch den enormen Druck, den das ebenso mutige wie zum Teil auf sehr scharfe Kritik gestoßene Urteil des VGH Kas-
63 Vgl. Trute (FN 38), S. 264. 64
Zur Bedeutung des Rechtsschutzes filr das Verwaltungsrecht Franzius (FN 21),
s. 64 ff.
65 Zit. nach Benöhr, ZfA 1977, 187 ff. (194). 66
S. 61.
67 Zum Grundsatz "volenti non fit iniuria" Sachs, VerwArch. 76 (1985), S. 398 ff.; zum "freiwilligen Zwang" aber auch Kloepfer, ZAU 1996, 56 ff. 68 Zur Verwaltungsrechtsprechung Send/er, Techniksteuerung und verwaltungsgerichtliche Rechtsprechung, in: Vieweg (Hrsg.), Techniksteuerung und Recht (i. E.). 69 BVerfGE 49, 89 (137 ff.).
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sei zur Gentechnologie70 erzeugte: Mit der Aussage, daß die Gentechnik gesetzlich nicht erlaubt sei und deshalb wegen ihres enormen Risikopotentials einem schutzpflichtbezogenen Verbot unterliege, kehrte das Gericht das fundamentale, aber offenbar nicht mehr. unmittelbar überzeugende Freiheitsprinzip, das alles, was nicht verboten ist, erlaubt ist, in sein Gegenteil um und veranlaBte den Gesetzgeber zur Gegensteuerung durch die schnelle Verabschiedung des Gentechnikgesetzes. 71 a) Staatliche und private Kontrolle Zu den wichtigsten Instrumenten des Technikrechts gehören bis zum heutigen Tage die behördlichen Zulassungskontrollen. Sie ermöglichen es dem Staat, im Vorfeld der Technikanwendung deren Gefahren- und Risikopotentiale zu ermitteln und über Nebenbestimmungen zur Genehmigung ein bestimmtes, regelmäßig durch Grenzwerte konkretisiertes Sicherheitsniveau zu gewährleisten. So wichtig präventive Kontrollen durch den Staat auch sein mögen, sie spiegeln nur einen - rechtlich sehr wichtigen, weil eingriffsrelevanten - Bereich der Techniksteuerung wider. Insbesondere hat die behÖrdliche (Fremd-)Kontrolle private Eigenkontrollen nicht vollständig verdrängen können. 72 Schon die staatliche Überwachungstätigkeit war und ist überaus anspruchsvoll, setzt sie doch nicht nur die Vollzugsfähigkeit der Normen und den- nicht immer vorhandenen- Vollzugswillen der Behörden, sondern auch den Gesetzesgehorsam des Adressaten voraus. Betrachtet man die Masse der Normen, die für technische Erfindungen und Verfahren relevant waren, so fallt auf, daß nur ein vergleichsweise kleiner Teil der Normen staatlich gesetztes Recht darstellt. 73 Im Bereich der klassischen Souveränitätsrechte des Staates werden etwa Münzen, Maße und Gewichte durch Gesetz vereinheitlicht. Auch im Bereich der polizeilichen Gefahrenabwehr wird obgleich mit der Generalklausel eine Ermächtigungsgrundlage für staatliches Handeln vorliegt- die Notwendigkeit spezifischen gesetzgeberischen Handeins erkannt und akzeptiert. 74 Daneben beginnt aber schon mit der - insoweit paradigPlatischen - Dampfkesselüberwachung ein Prozeß, der für den Umgang mit 70 VGH Kassel, NJW 1990, 336 ff. -zur Kritik im Schrifttum Kloepfer, Technikverbot durch gesetzgeberisches Unterlassen?, in: FS fiir Lerche, 1993, S. 755 ff. 71 Oentechnikgesetz vom 20. Juni 1990, BGBI. I S. I 080; siehe auch K/oepfer/Franzius (FN 33}, S. 235. 72 Zur Eigenüberwachung Franzius (FN 21 ), S. 200 ff. 73 Vgl. Vec, Standardization Takes Command- Recht und Normierung in der Industriellen Revolution, in: Kloepfer (Hrsg.), Technikentwicklung und Technikrechtsentwicklung, 2000, S. 45 ff. (52). 74 Zur Auslagerung der Risikovorsorge in Spezialgesetze Di Fabio, Risikoentscheidungen im Rechtsstaat, 1994, S. 65 ff.
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neuen Techniken charakteristisch ist. Weite Bereiche der Risikokontrolle werden in privatrechtliche Sonderformen ausgelagert und der kontrollierten Eigenüberwachung durch Private überantwortet. 75 So obliegen die Aufgaben der Dampfkesselüberwachung und -nonnung privaten Vereinen, zum Teil kraft ausdrücklicher Anordnung durch den Staat, der schon früh den staatsentlastenden Charakter dieser Aufgabenübertragung erkannte und sich das Handeln der Industrie und Wirtschaft zunutze machte. 76 Der gerade filr die Technikentwicklung des 19. Jahrhunderts so wichtige Bereich der technischen Standardisierung77 entwickelte sich als private Normungsaufgabe par excellence. Ausdrückliche oder auch nur stillschweigende Übereinkunft bewirkt hier die Etablierung von Nonnen. Jenseits dieser privaten - durch die privaten Normungsvereinigungen institutionalisierten - Verständigungen beginnt die Definitionsmacht einzelner Unternehmen, denen es damals wie heute gelingt, dem Markt die eigenen Standards zu diktieren 78 und damit technologische wie auch wirtschaftliche Vorsprünge zu gewinnen, vor denen nationale und transnationale Organisationen bisweilen machtlos sind. 79 b) Systementscheidungen Von zentraler Bedeutung filr die Technikentwicklung des 19. Jahrhunderts sind Systementscheidungen filr bestimmte Techniken und Standardisierungen derselben. Dabei wird man zwischen technischen und juristischen Systementscheidungen zu unterscheiden haben, wenngleich nicht zu übersehen ist, daß es zu wechselseitigen Verschränkungen gekommen ist, die letztlich bis zum heutigen Tag die rechtlichen Steuerungskonzeptionen von Technik prägen. Unter Systementscheidungen können solche Entscheidungen verstanden werden, die auf die Durchsetzung bestimmter Techniken und technischer Standards zielen. So wird man die Entscheidung ftlr die Eisenbahn oder die Telegrafie ebenso wie die Entscheidung ftlr eine bestimmte Spurbreite der Schienen oder das Morse-Alphabet als technische Systementscheidung bezeichnen können. Die Frage, wer diese Entscheidung zu treffen hat, ist dagegen in erster Linie eine juristische Systementscheidung, die ihrerseits von sich verändernden Vec (FN 73), S. 51 f. Der erste deutsche Dampfkesselüberwachungsverein wurde 1866 in Mannheim nach einer großen D~pfkesselexplosion in einer Brauerei - gegründet, die Anerkennung und Einbeziehung der Uberwachungsvereine in die staatliche Dampfkesselrevision erfolgte filr Preußen durch das Regulativ, die periodische Untersuchung der Dampfkessel betreffend, vom 3. Mai 1872, PrGS S. 183. 77 Typologisierend Lamb, Kooperative Gesetzeskonkretisierung, 1995, S. 71 ff. 78 Aktuelles Beispiel ist etwa das Betriebssystem "Windows" von Microsoft. 79 Vgl. z. B. die faktische Standardsetzung von Siemens, genauer Siemens & Halske, im ausgehenden 19. Jahrhundert. 75
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Faktoren abhängt, zu denen neben normativen auch ordnungspolitische und gesellschaftspsychologische Aspekte gehören. So ist die Entscheidung filr die Gewerbefreiheit zugleich eine Entscheidung filr die private Technikentwikklungsfreiheit und ermöglicht es privaten Kräften, technische Systementscheidungen unter einem eigenverantwortlichen Standardisierungsspielraum zu treffen. Freilich ist der hiervon betroffene Bereich der industriellen Produktion weniger aufübergreifende Standards angewiesen als der Bereich von Verkehr und Kommunikation. In diesen Bereichen fiel die juristische Systementscheidung jedoch zugunsten des Staates und staatlicher Alleinrechte aus. Die Möglichkeiten filr Private, hier maßgebliche Technikentscheidungen zu treffen, waren beschränkt und reduzierten sich im wesentlichen darauf, technische Systeme dem Staat filr dessen technische Systementscheidung anzubieten. Mag in diesem Bereich der Staat zum Teil auch erst die maßgeblichen Impulse filr technische Innovationen - z. B. durch Subventionierungen bestimmter Technologien - gesetzt haben und die Industrie ihrerseits mit der Entwicklung zum Teil ausdrücklich erwünschter Technologien - wie der Funktechnik - auch die mitunter berechtigte Erwartung gehabt haben, der Staat werde die entwickelten Verfahren zum maßgeblichen Standard erklären, war es in diesen Fällen doch weitgehend der Staat, der in seiner Verantwortung die technische Systementscheidung traf. Verkehr und Kommunikation basieren auf Infrastrukturen, die in hohem Maße staatlicher Herrschaftsgewalt unterlagen, noch im 20. Jahrhundert von Herber/ Krüger als Bedingung von Staatlichkeil betrachtet80 und einem QuasiEntstaatlichungsverbot unterworfen wurden. 81 Neben faktischen Systementscheidungen, wie dem durch Napoleon in die deutschen Staaten eingefilhrten und durch das Recht später festgeschrieben Rechtsverkehr auf den Straßen und Chausseen, sind es im 19. Jahrhundert vor allem die technischen Systementscheidungen filr die Eisenbahn, die als erstes großes technisches Netzwerk in Deutschland und Europa nach der Auffassung vieler Wirtschaftshistoriker das wichtigstes Vehikel filr den "take oft" zu gesamtwirtschaftlichem Wachstum darstellte. 82 Der Einfluß auf die Entwicklung anderer Techniksysteme und Netzwerke war enorm - so für die Telegrafie, die sich zunächst entlang der Eisenbahnlinien entwickelte und sich ihrerseits auf die Effizienz der Streckenauslastung und die Sicherheit des Eisenbahnverkehrs auswirkte. Der Verkehr erforderte Kommunikation und Kommunikation erleichterte den Verkehr. Die 80 Vgl. H Krüger, Marktwirtschaftliche Ordnung und öffentliche Vorhaltung der Verkehrswege, 1969, S. 4 ff.; zum Gedanken der Infrastruktur als Voraussetzung staatlicher Existenz auch Fehling, AöR 121 (1996), S. 59 (80 ff.). 81 Zu Entstaatlichungsgrenzen Di Fabio, JZ 1999, 585 ff. - problematisch ist die Annahme eines Entstaatlichungsverbotes als Grenze der europäischen Integration, so aber P. Kirchhof, Europäische Integration, in: Isensee!Kirchhof (Hrsg.), HStR, Bd. 7, 1992, § 183 Rn. 30 ff. 82 V gl. W. Fischer (FN 50), S. 19.
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zeitlich und räumlich weitgehend parallele Entwicklung der technischen Netze erlaubte gegenseitige Netzverstärkungen, und es entstanden gewissermaßen vernetzte !'fetze bis hin zu Meganetzen (parallel laufender Straßen, Bahnen, Telegrafenlinien) - seinerzeit gefordert durch den Staat, mittelbar auch durch die Zugänglichmachung fiir die Allgemeinheit. Die Öffuung neuer Techniken filr das Publikum kann als solche ebenfalls zu den zentralen Systementscheidungen gezählt werden, ist der Netzzugang doch ein maßgeblicher Motor filr die Ausbreitung der Netze und ein wichtiger Akzeptanz- und Legitimationsfaktor fiir die Rechtfertigung der mit dem Netzaufbau verbundenen negativen Folgen. c) Beispiel Eisenbahn Die Dampfmaschine als technische Basisinnovation ermöglichte die Eisenbahn als zentrale Verkehrsinnovation im 19. Jahrhundert. Mit dem Ausbau der Eisenbahnen stiegen die technischen Risiken, kamen zu der Gefiihrlichkeit der Dampfmaschinen in den Lokomotiven doch erstmals die typischen Verkehrsrisiken der aufziehenden Industriegesellschaft hinzu. Gerade die Eisenbahn symbolisiert den Zwiespalt, in die sich die einerseits technikbegeisterte, aber andererseits nicht risikounempfUtdliche Gesellschaft begab. Der weiße Dampf der Eisenbahnen, Ingenieurleistungen wie der Bau neuer Brücken und die verkehrstechnische Koordinierung des neuen Verkehrsmittels durch Gleis- und Signalanlagen stehen für den sichtbaren technischen Fortschritt, der alle gesellschaftlichen Bereiche und auch den Staat erfaßte. 83 Schwere Unfälle, der spektakuläre Einsturz von Brücken und - ganz allgemein - der Geschwindigkeitsrausch, in den Gesellschaft und Staat durch die Eisenbahn versetzt wurden, ließen die technische Sicherheit zur elementaren Entwicklungsvoraussetzung von Technik werden. Das technische Risiko und dessen Wahrnehmung in der Öffentlichkeit stellte freilich nicht nur eine Herausforderung filr den Staat dar, sondern betraf auch die handelnden Techniker und Ingenieure, nach dessen Selbstverständnis technischer Fortschritt und technische Sicherheit ohnehin nahezu untrennbar verbunden waren. Die Eisenbahnen hatten erhebliche Auswirkungen auf das Recht, die weit über die Herausbildung des modernen Verkehrsrechts hinausgehen. Schon eine der ersten gesetzgeberischen Reaktionen auf die neue Technik war eine juristische Innovation: Die Einführung der bisher unbekannten Gefährdungshaftung für den Eisenbahnbetrieb. 84 Hierdurch wird dem Bemühen Rechnung zu tragen 83 Siehe aber auch Sieforle, Fortschrittsfeinde? Opposition gegen Technik und Industrie von der Romantik bis zur Gegenwart, 1984, S. 11 ff., zur Nutzung von Infonnationstechniken als Instrument staatlicher Herrschaft Vismann, Akten, Medientechnik und Recht, 2000. 84 Preußisches Gesetz über die Eisenbahnunternehmungen vom 3. November 1838, PrGS S. 505; zur Entstehung der Eisenbahnen Eger, Eisenbahnrecht, 1910, S. 26 ff.
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versucht, auf der einen Seite die Technikentwicklung nicht durch Verhaltensregeln aufzuhalten, aber auf der anderen Seite doch adäquate Regeln bereitzustellen, um die Setreiber zu einem sorgsamen Umgang mit der neuen Technik anzuhalten. Die Verschuldeushaftung erschien angesichts der geringen Erfahrungen mit der Technik nur wenig geeignet, hier maßgebliche Anreize zu setzen. Vielmehr sollte der Betrieb als solcher- verschuldeusunabhängig- zum Anknüpfungspunkt filr die Haftung gemacht werden. Wer die Chancen der Technik nutze - so läßt sich die Steuerungsidee der Geflihrdungshaftung zusammenfassen - müsse auch die Risiken der Technik tragen. Mit der verursacherorientierten, das technische Risiko dem Setreiber zurechnenden Regelung dürfte die Geflihrdungshaftung - privatrechtliehen Inhalts, aber staatlich gesetzt - nicht unwesentlich zur Akzeptanz der neuen Technik85 beigetragen haben. 86 Sie stellt eine der nachhaltigsten Reaktionen des Gesetzgebers auf die wachsenden technischen Risiken dar, ergänzte den als zu eng empfundenen Ansatz staatlicher Gefahrenabwehr und fand 1871 Eingang im Haftpflichtgesetz. 87 Obgleich der Verschuldeusgedanke weiterhin das allgemeine Haftungsrecht beherrschte, entwickelte sich die 1929 auf den Betrieb von Kraftfahrzeugen ausgedehnte Gefährdungshaftung88 zu einem zentralen Steuerungsinstrument technischer Risiken, das - obgleich in seinen Verhaltenswirkungen nur schwer abzuschätzen -jedenfalls nicht unterschätzt werden sollte. Der Aufstieg der Eisenbahn zu einem Verkehrsträger, der sich nicht nur gegenüber den billigeren Konkurrenten Straßenverkehr und Binnenschiffahrt behaupten konnte, sondern diesen einen beträchtlichen Wachstumsschub verlieh, erforderte neben gewaltigen Materialmengen insbesondere filr das Gleisnetz auch Standards filr die technischen Anlagen. Vielfach spielte hier die Erhöhung der Betriebssicherheit eine entscheidende Rolle, so etwa beim seit 1840 sich durchsetzenden Wechsel von gußeisernen zu Schienen aus Puddeleisen. 89 In der Form noch nicht ganz festgelegt, sollten die Schienen materialsparend, abnutzungsarm und tragfähig zugleich sein. Der Übergang zur Stahlschiene erbrachte eine hohe Abnutzungssenkung und eine größere Betriebssicherheit. Dies trug entscheidend zum Ausbau der Netze bei, deren Ausdehnung neue technische Anstrengungen erforderlich machte, flir die jedoch - wie beim große Flüsse 85 Zur Akzeptanzsteigerung durch Haftungsrecht Kloepfer, Umweltrecht, 2. Aufl., 1998, § 6 Rn. 136. 86 Siehe auch F. -J. Brüggemeier (FN 19), S. 216 ff. 87 Reichshaftpflichtgesetz vom 7. Juni 1871, RGBI. S. 207. 88 Gesetz Uber den Verkehr mit Kraftfahrzeugen vom 3. Mai 1909, RGBI. S. 437. 89 Dazu W Weber, VerkUrzung von Zeit und Raum, in: W. König/W. Weber, Propyläen Technikgeschichte, Bd. 4, 1997, S. 65 ff. -Die Puddeleisenproduktion, etwa bis 1850 die Grundlage des Maschinenbaus in Deutschland, basierte auf einerneuen Walztechnik Roheisen wurde nach dem Erhitzen zu Rohschienen ausgewalzt, dann in Pakete zerschnitten und geschweißt, um schließlich - erneut erhitzt - zu Schienen gewalzt zu werden.
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und weite Täler überspannenden Brückenbau - auf Erfahrungen mit dem neuen, nunmehr auch auf Zug zu beanspruchenden Material· des Puddeieisens zurückgegriffen werden konnte. Freilich: Die Erprobung neuer Techniken basierte im Alltag vorzugsweise auf dem Prinzip von Versuch und Irrtum. Vieles glückte, versetzte die Bevölkerung in Erstaunen und - nicht selten von nationalem Pathos getragene - Bewunderung. Aber die Schnelligkeit der revolutionären Umsetzung technischer Innovationen zeigte alsbald die Grenzen einer weitgehend ohne öffentlichen Kontrolle sich ausbildenden Ingenieurtätigkeit Erst spektakuläre Unglücke haben hier zu einem Bewußtseinswandel geftlhrt. Große Wirkungen in der Öffentlichkeit erzielte beispielsweise 1879 der Zusammensturz der seinerzeit längsten Balken-Eisenbahnbrücke in Europa, die seit 1873 den Tay in Schottland überspannte.90 Nachlässige Arbeit und unzureichende Kontrollen der Nietverbindungen brachten die Brücke bei einem Sturm zum Schwanken und durch das Befahren mit einem Personenzug zum Einsturz. Zweihundert Menschen fanden den Tod. 91 Immer kleinere Unaufmerksamkeilen hatten immer größere Folgen, deren Ursachen häufig erst viel später erkennbar wurden. So ist das Scheitern der 1845 zur Entdeckung der kanadischen Nord-West-Passage aufgebrochenen Franklin-Expedition vermutlich auf eine Bleivergiftung zurückzuftlhren, an der wohl alle Teilnehmer starben. Erst mehr als ein Jahrhundert später ließ sichaufgrund neuer technischer Verfahren- eine erhöhte Bleikonzentration in den Haaren exhumierter Leichen feststellen. Der Lieferant der an Bord genommenen Konservendosen - einer damals verhältnismäßig neuen technischen Erfindung - war offensichtlich unter Zeitdruck geraten und hatte die mit Blei versehenen Schweißnähte auch im Inneren der Dosen angebracht. 92 Die Ursachenaufklärung von Unililien und Unglücken weist allerdings häufig auch spekulative Züge auf, die in ihrer Wirkung auf die Öffentlichkeit nicht selten zur Verklärung oder auch Verkennung menschlicher oder technischer Fehler ftlhren können. So entstehen Legenden wie im Falle des Untergangs der Titanic, die schon 1914 zum Symbol ftlr den angeschlagenen Fortschrittsoptimismus des 20. Jahrhunderts wurde. Auch hier scheinen es kleinste technische Nachlässigkeiten bei der Anbringung der Nieten am Schiffsrumpf gewesen zu sein, die zusammen mit fehlenden - rechtlich durchsetzbaren - technischen Standards etwa ftlr die Höhe der Schotten und die Anzahl der Rettungsboote in die Katastrophe filhrten. Ihre symbolhafte Bedeutung fand sie in der großen menschlichen Fehl90 W Weber (FN 89), S. 194; zum Naturverständnis deutscher Ingenieure im 19. Jahrhundert Diene/, Herrschaft über die Natur, 2. Aufl., 1997, S. 37 ff. 91 Zur Wirkung des Unglücks siehe auch Theodor Fontane mit den Worten "Tand, Tand ist das Gebilde von Menschenhand" in: Die Brücke am Tay, vgl. &htermeyer, Deutsche Geschichte, 1956, S. 501 f. 92 So jedenfalls Beattie/Geiger, Der eisige Schlaf. Das Schicksal der FranklinExpedition, 1989, S. 153 ff.
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einschätzung, durch die Technik die Natur mit ihren bedrohlichen Kräften scheinbar erfolgreich überwunden oder doch in den Griff bekommen zu haben.93 Die Notwendigkeit technischer Standards ftir Verkehrsmittel filhrte aber nicht erst der Untergang der Titanic vor Augen, deren Passagiere nach der Auffassung vieler wohl hätten gerettet werden können, wenn es Standards filr den Empfang der gesendeten Notsignale gegeben hätte. Der Frage nach einer hinreichenden Standardisierung kam bereits bei der Eisenbahn eine - auch fllr andere Technologien - wegweisende Bedeutung zu. In dem Augenblick, wo nicht mehr einzelne Strecken geplant und errichtet wurden, sondern deren Vemetzung technisch möglich wurde und damit kräftige Gewinne abzuwerfen versprach, standen die Eisenbahngesellschaften vor der Frage, ob es sich wirklich noch lohnen könne, ein eigenes Netz aufzubauen, das den Konkurrenten die Mitbenutzung unmöglich machte, aber zugleich das eigene Leistungsangebot begrenzte. Dies spielte vor allem filr die zu wählende Spurbreite eine Rolle. Die technische Systementscheidung filr eine gemeinsame Spurbreite wurde hier weder durch eine staatlich gesetzte noch eine privat ausgehandelte Norm, sondern durch den Markt getroffen. Das erste auf dem Markt erfolgreiche Produkt bestimmt die Norm, die sich über den hierdurch ausgelösten Systemzwang für die Konkurrenten zumeist gegenüber späteren - hiervon abweichenden - Normen durchsetzen kann. So war es die von Stephenson gewählte Spurbreite, die 1845 vom englischen Parlament als Norm empfohlen wurde und ihr zunächst in England, später aber auch in weiten Teilen des europäischen Kontinents als Normalspur zum Durchbruch verhalf. Die wesentlich billigere, aber zum Teil auch weniger sichere Schmalspur kam lediglich fllr weniger stark nachgefragte Strecken zum Einsatz, die anderenfalls nur defizitär hätten betrieben werden können. Auch die badischen Staatsbahnen waren 1854 zur Umstellung ihrer zunächst gewählten Breitspur gezwungen, um dem aufwendigen Umladen der Güter zu entgehen. 94 Das Zusammenwachsen der Einzellinien zu Netzen machte die Eisenbahn zu einem attraktiven Verkehrsmittel. Es wirkte entscheidend auf die städtische Infrastruktur ein, vergrößerte durch die sich schnell ausdehnenden Städte die Entfernungen der Wohnviertel zu den Geschäftsvierteln in der Innenstadt und erzwang die Entwicklung neuer Verkehrssysteme, die - wie zunächst der pferdegezogene Orimibus, später die Straßenbahn sowie die Hoch- und Untergrundbahn- zu eigenen Netzen ausgebaut wurden. Die Vernetzung der Strecken erforderte ein Mindestmaß an technischer Kompatibilität und organisatorischer Zusammenarbeit. Trotz dieser Zwänge zur Einschränkung der technischen Vielfalt blieben mit den vielen Eisenbahngesellschaften auch technische Vari93 94
Zur Schuldzuweisung Schlick, Natur und Kultur 9 (1911/12), S. 465 ff. Zum Ganzen W Weber (FN 89), S. 177 f.
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anten erhalten. In Deutschland bewahrte freilich auch die föderale Struktur bis 1880 eine vielfliltige Eisenbahnwirtschaft Die überbetriebliche Zusammenarbeit in technischen und organisatorischen Fragen oblag seit 1846 dem Verband der Privatbahngesellschaften, der sich ein Jahr später im Verein Deutscher Eisenbahnverwaltungen neu gründete und flir die gesamte technische Entwikklung im mitteleuropäischen Raum eine zentrale Bedeutung als Koordinator erhielt.95 Die Entwicklung der Eisenbahnen zu dem ersten Massenverkehrsmittel der Neuzeit warf elementare Fragen der Wirtschaftsordnung auf. Wegen der enormen Kosten war der Eisenbahnbau in Deutschland und auch den übrigen Staaten zunächst privatwirtschaftlich organisiert. Sicherlich wäre die Inanspruchnahme eines Eisenbahnregals möglich gewesen. Aber die deutschen Staaten schreckten vor den hohen Kosten zurück und überließen es privaten Eisenbahngesellschaften, das öffentliche Interesse an dem neuen, keineswegs unumstrittenen Verkehrsmittel zu erfiillen. Ob manangesichtsder Fülle unterschiedlicher Regelungen hier bereits von einer juristischen Systementscheidung sprechen kann, ist fraglich. Denn die große juristische Unterscheidung zwischen Staat und Gesellschaft mit allen ihren hieraus ableiteten Aspekten setzt sich erst gegen Ende des 19. Jahrhunderts durch. Daß die Eisenbahn vielfliltiger staatlicher Regulierung unterlag, zeigt schon der Umstand, daß die privaten Aktiengesellschaften der staatlichen Konzession bedurften, über die Gemeinwohlbelange an die Eisenbahngesellschaften herangetragen wurden. Mit den Eisenbahnen erfuhr gerade das Recht der Unternehmensformen eine wichtige Aufwertung.96 Weite Teile des Gesellschaftsrechts haben sich aufgrund der neuen Herausforderungen durch die Eisenbahn und ihres hohen Anfangsfinanzierungsbedarf herausgebildet. Über Konzessionen, Enteignungsrechte, Finanzhilfen und schließlich auch den Bau marktwirtschaftlich zunächst nicht profitabler Linien haben die jeweiligen Staaten jedenfalls auf die Entwicklung der Eisenbahntechnik bedeutenden Einfluß genommen. Der Umstand, daß sich in diesem immer wichtiger werdenden Wirtschaftszweig zunächst private Kräfte organisierten, in Absprachen technische Standards festlegten und über die neu zu errichtenden Linien - nach Effizienzgesichtspunkten der zu erwartenden Streckenauslastung - entschieden, hinderte die Staaten nicht, ihrerseits mit dem Aufbau staatlicher Eisenbahnlinien zu beginnen. Der Staatssektor wuchs gleichmäßig mit dem privaten Sektor: 1871 umfaßte er etwa 10.000 km gegenüber 11.000 km Privatbahn. Die Gründe fiir den 1873 einsetzenden "Verstaatlichungsprozeß" der Eisenbahn
95
Zur Bedeutung des Vereins filr die Gestaltung der Eisenbahn W Weber (FN 89),
S. 196. 96 W Fischer (FN 50), S. 18 f.
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sind vielfaltig. Thomas Nipperdey nennt filr den Übergang zum Staatsbahnsystem die "öffentliche Erregung über den ,Gründungsschwindel' gerade im privaten Bahnbau, das Interesse an regionaler Integration und am Verkehrsanschluß auch industrieferner Gebiete, an der Vereinheitlichung von 63 Eisenbahnverwaltungen und 1.300 verschiedenen Tarifen, die Kritik an den Formalitäten und Zeitverlusten, die mit dieser Vielfalt verbunden waren, und an überhöhten Tarifen, die schlechte Finanzlage vieler Bahngesellschaften, politische und finanzpolitische Motive Bismarcks, sodann die Tatsache, daß der Staat nicht defizitäre Linien, sondern nur das ganze Netz sinnvoll erwerben konnte" 97
Bereits 1880 besaßen die Einzelstaaten schon 26.414 km, nur noch 5.884 km wurden privat betrieben. 98 Die zwischen 1875 und 1878 politisch- auch von Bismarck - angestrebte Übertragung der Bahnen auf das Reich scheiterte am Widerstand starker föderalistischer Gegenkräfte. In Preußen hatte die Regierung bereits 1853 die Genehmigung zum Ankauf der Privatbahnen erhalten. Noch fehlten ihr die Mittel und die angesparten Summen wurden 1859/60 filr den Krieg gegen Österreich ausgegeben. Es mehrten sich sogar die Stimmen, die filr einen Verkauf der bestehenden Staatsbahnen drängten. 99 Aber die Krise der frühen 70er Jahre mit der anschließenden Reform der deutschen Wirtschaftspolitik leitete schließlich die Wende ein, der Aufkauf der Bahnen war 1884 filr den preußischen Staat im wesentlichen abgeschlossen. 100 Technische Entscheidungsbefugnisse gingen auf die neu gegründete Königlich Preußische Eisenbahnverwaltung über. Eines Gesetzes, das den Ausschließlichkeitsanspruch des Staates festlegte, bedurfte es zunächst nicht. 101 Die Verstaatlichung der Eisenbahnen im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts ist im Grunde -jedenfalls auch - als Standardisierungsvorgang zu verstehen. Mag die juristische Systementscheidung filr den Staatsbetrieb erst später getroffen worden sein: der Staat hatte zuvor bereits die maßgeblichen Tatsachen durch den Ankauf der Privatbahnen geschaffen. Daß dies nicht nur ausdrükklich gestattet war, sondern auch vergleichsweise reibungslos verlief, dürfte nicht zuletzt auch auf historische Gründe zurückzufilhren sein, wurde doch schon der Straßenbau von den Regierungen der deutschen Staaten zu Beginn des 19. Jahrhunderts als ein Instrument zur Umlenkung von Handelsströmen gedacht und eingesetzt. 102 Die Beeinflussung von Handelsströmen spielte auch T Nipperdey, Deutsche Geschichte 1866--1918, Bd. I. 1998, S. 261. T. Nipperdey, ebd. 99 Vgl. W Weber (FN 89), S. 210. 100 W Weber, ebd. 101 Zum "Eisenbahnhoheitsrecht" der StaatenEger (FN 84), S. 19 ff. 102 V gl. W Weber (FN 89), S. 209 f. 97
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bei der - verzögerten oder eben auch beschleunigten - Konzessionserteilung an die Eisenbahnen eine wichtige Rolle. Waren es zunächst militärische Erwägungen, die auf umfangreiche Mitentscheidungsbefugnisse des Staates filr die Errichtung und den Betrieb von Eisenbahnlinien drängten, so stUtzte sich das wachsende Engagement des Staates in den 70er Jahren auch auf fiskalische und wirtschaftspolitische Interessen. Immer wichtiger wird die Frage, wer die Strekkenfilhrung und den Ausbau der technischen Netze bestimmt. Einzelne Strekken ließen sich zwar privat oder eben auch staatlich betreiben, die Frage ihrer Vernetzung wurde immer mehr zu einer staatlichen Aufgabe. 103 So läßt sich die Systementscheidung filr den Staat als technische Systementscheidung filr ein Eisenbahnnetz in staatlicher Regie begreifen. Sicherlich hatte es von privater Seite vielfiiltige Standardisierungsbemühungen gegeben, die Eisenbahn als Verkehrsnetz tauglich zu machen. Es lag im eigenen Interesse der privaten Eisenbahngesellschaften, sich filr ein Netz in wesentlichen technischen Fragen auf gemeinsame Standards zu einigen. Auch hätte der Staat die privaten Standards übernehmen und kontrollieren oder private Bahngesellschaften auch zur Einhaltung höherer Standards verpflichten können. Entscheidend wird jedoch das Paradox gewesen sein, in das sich die Eisenbahn nach 1850 zunehmend bewegte. Als höchste industrielle Ausformung kapitalistischer Wirtschaft entstanden, wurde die Eisenbahn immer mehr zum Symbol dafilr, diesen Kapitalismus aufzuhalten und in die staatliche Daseinsvorsorge zu überfilhren. 104 In dem Maße, wie die militärische Bedeutung des neuen - in großen Teilen der Bevölkerung zunächst durchaus kritisch betrachteten Verkehrsmittels durch Aspekte der infrastrukturellen Daseinsvorsorge filr die Leistungen eines Massenverkehrsmittels ergänzt und überlagert wurden, trafen sich nationalökonomische und sozialistische Interessen in der Forderung, die Eisenbahn in staatliche Hände zu übernehmen. Der Verstaatlichung lag die Überzeugung zugrunde, nur der Staat könne filr eine technische Infrastruktur sorgen, über die - einheitsbildend - auch strukturschwache Regionen erschlossen werden könnten. Zur hinreichenden Vernetzung nicht nur der prosperierenden Ballungsräume trat das - soziale Anliegen, jedermann eine schnelle, regelmäßige und auch kostengünstige Bellirderung zu ermöglichen. Diese Ziele schien lediglich der Staat durch eigene Betriebe hinreichend erfiillen zu können. Um die Jahrhundertwende zeichnet sich Staatlichkeit durch die Verbindung dieser Ziele und die eigenhändig wahrzunehmende Verantwortung filr technische Infrastrukturen
103 Zum Wandel staatlicher Aufgaben Wahl, Die Aufgabenabhängigkeit von Verwaltung und Verwaltungsrecht, in: Hoffinann-Riem/Schmidt-Aßmann/Schuppert (Hrsg.), Reform des Allgemeinen Verwaltungsrechts, 1993, S. 178 ff.; zum Problem des Aufgabenbegriffs Hermes, Staatliche Infrastrukturverantwortung, 1998, S. 128 ff. 104 Ähnlich W Weber (FN 89), S. 213 f.
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technische Infrastrukturen aus. 105 Infrastrukturen und technische Netze - wie die Eisenbahn oder die Telegrafie - sind im späten Kaiserreich die Lebensadern des Staates. Sie bedingen - zur damaligen Zeit - Staatlichkeit. 3. Recht als Voraussetzung technischer Weiterentwicklungen
Im Verlauf des 19. Jahrhunderts wird der geistesgeschichtlich vor allem auf Jmmanuel Kant zurückgehende Zusammenhang zwischen Recht und Freiheit immer klarer: Recht schafft Freiheit und Freiheit erfordert Recht. Gerade das Zwangsgesetz wird nicht nur in seiner freiheitsbegrenzenden, sondern auch in seiner freiheitsermöglichenden Funktion gesehen. Dieser Zusammenhang wird jedoch zunehmend auf den Staat bezogen und findet im Rechtsstaat einen herausgehobenen Garanten fiir den Schutz rechtlicher Freiheitsinteressen. 106 Die Rechtsbindung des konstitutionell-monarchischen Staates beschränkt staatliche Eingriffe und ermöglicht auf diese Weise private Technikentwicklungsfreiheit Soll sich diese Freiheit entfalten können, bedarf sie des Schutzes durch Recht und das heißt in der kontinentaleuropäischen Rechtstradition nicht nur, aber doch überwiegend: staatlich gesetzten Rechts. Staat und Gesellschaft treten auseinander, werden als Wirkbereiche unterschiedlichen Ordnungsmustern unterworfen und machen Mischformen als rechtlichen Fremdkörper in hohem Maße rechtfertigungsbedürftig. 107 Wo die Berührungspunkte zwischen Staat und Gesellschaft juristisch nicht (mehr) hinreichend erfaßt und bewältigt werden konnten, halfen nur die Verstaatlichung oder Entstaatlichung weiter. Letzteres ließ technische Infrastrukturen nicht zu, also wurden sie verstaatlicht. Damit ist das Recht aber nicht entbehrlich geworden, galt es filr die staatlichen Betriebe doch insbesondere Regeln filr das Betriebspersonal und die nutzende Allgemeinheit festzulegen. Der Zuwachs. an Leistungsrechten begleitet den staatlichen Ausbau von technischen Netzen, nimmt den Staat in Beförderungspflichten und trägt auf diese Weise zur flächendeckenden Ausbreitung dieser Technologien bei. Auch hier ist der Freiheitsbezug unverkennbar, werden mit der Technikausbreitung und -zugänglichkeit doch wichtige Freiheitsvoraussetzungen - gerade auch in den ländlichen Regionen - geschaffen. Der Einsatz der Technik durch Recht relativiert die alten städtischen Privilegien und verringert die in der Industriegesellschaft 105 Zum Umbau von Staatlichkeil im Bereich von Vekehrsinfrastrukturen Hermes (FN 103}, S. 323 ff. 106 Siehe auch Böckenforde, Recht schafft Freiheit, indem es Grenzen setzt, in: ders., Staat- Nation- Europa, 1999, S. 233 ff. 107 Unvermindert aktuell Böckenförde, Die verfassungstheoretische Unterscheidung von Staat und Gesellschaft als Bedingung individueller Freiheit, 1973; siehe auch Di Fabio (FN 2}, S. 273 ff. 6 Kloop(er
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immer größer werdende Kluft zwischen Stadt und Land. Mobilität wird zum entscheidenden Faktor filr die wirtschaftliche und soziale Entwicklung. Nicht mehr Stadtluft, sondern Technik - namentlich die Eisenbahn - schien frei zu machen. Das Vordringen der Technik insbesondere in die Arbeitswelt wird allerdings später auch die freiheitsbeschränkenden Seiten der Technik verdeutlichen. a) Ordnungsmodelle Mögen der Techniksteuerung durch Recht auch unterschiedliche - häufig auf den Bekanntheitsgrad der Technik zugeschnittene - Ordnungsmodelle zugrundeliegen, gemeinsam ist ihnen im 19. Jahrhundert die Vorstellung der weitgehenden Beherrschbarkeil von Technik durch Recht. 108 Diese Grundannahme beeinflußte das Steuerungsverständnis und machte das Rechtssystem in gewisser Weise immun gegenüber der Eigenlogik technischer Systeme. Die Förderung derselben mußte nicht ausdrücklich thematisiert und in Rechtsnormen aufgegriffen werden. Ebensowenig bestand Anlaß zur Überprüfung instrumenteller Grundannahmen: Die Konzentration auf Befehl und Zwang wirkt zwar aus technikrechtlicher Sicht künstlich und erfaßt nicht den so wichtigen Bereich der Kooperation, erlaubte es aber, gleichsam zum rechtlichen Kern staatlicher Techniksteuerung vorzudringen. Erst mit der "Selbst-Beherrschung" des Rechts gelingt dem modernen Technikrecht der maßgebliche Durchbruch. Je erfolgreicher das Recht in seinen Leistungen, desto naheliegender und leichter wtJrde freilich seine Materialisierung- im 20. Jahrhundert ein grundlegendes Merkmal rechtlicher Veränderungen. 109 Denn droht sich eine Technik wegen fehlender Rentabilität oder überwiegender Sicherheitsbedenken nicht oder nur schwer durchzusetzen, reagiert das Recht nicht selten- wie im Falle der Atomtechnologie oder der Gentechnik -mit der Aufnahme des Förderzwecks in das einschlägige Gesetz. 110 Auch darin kommt die weitgehend ungebrochene Anziehungs- und Steuerungskraft rechtlicher Techniksteuerung zum Ausdruck, wird doch ein großes Vertrauen in die Verhaltenssteuerung und den Konfliktausgleich durch Recht gelegt.
108 Vgl. Vesting, Politische Einheitsbildung und technische Realisation, 1990; siehe auch Ladeur, UTR 5 ( 1988), S. 305 ff. 109 Zu Entwicklungsmodellen des Rechts Teubner, ARSP 1982, 13 ff.; siehe auch Grawert, Der Staat 1983, S. 63 ff.; zu Entwicklungsperspektiven der Rechtswissenschaft U. K. Preuß, KJ 1988, 247 ff.; zu den entsprechenden Rationalitätsschüben Eder, ZfR.Soz. 1986, I ff.; siehe auch Hofmann, Die Aufgaben des modernen Staates und der Umweltschutz, in: Kloepfer (Hrsg.), Umweltstaat, 1989, S. I ff. 110 Vgl. § I Nr. I AtG und- systematisch besser- § I Nr. 2 GenTG.
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Wie kaum eine andere Technologie zeigte die Verkehrstechnik, daß es nicht allein um Fragen ihrer Sicherheit ging. Die Sicherheitsanforderungen bei der Eisenbahn und der Telegrafie wirkten nicht einfach nur begrenzend auf die Technikentwicklung und -ausbreitung. Die Lösung von Konflikten und die Bereitstellung von Konfliktlösungsmechanismen sind nicht einfach nur als Rechtsschutzfragen zu verstehen. Sie sind vielmehr auch elementare Grundbedingung von Technikentwicklungschancen. Obgleich eine abwartende Haltung des Rechts gegenüber neuen Technologien typisch ist, darf Technikrecht doch nicht in seiner Vollzugsfunktion faktisch bereits vorentschiedener Sachlagen mißverstanden werden. In seiner konsensstiftenden Funktion leistet das Technikrecht einen wichtigen Beitrag zur Herstellung eines fiir technische Weiterentwicklungen unverzichtbaren Minimalkonsenses. Zugleich hält es Technikentwicklungswettbewerb durch die Kanalisierung von Dissens aufrecht. Daß manche Technikentwicklungen intensiver und andere Entwicklungen weniger intensiv durch Technikrecht beeinflußt worden sind, liegt auf der Hand. Generalisierenden Betrachtungen ist mit Vorsicht zu begegnen. So ist der Freiheitsgewinn am Anfang des 19. Jahrhunderts durch die Einführung der Gewerbefreiheit nicht quantitativ durch weniger oder mehr Recht, sondern qualitativ durch anderes - später vor allem subjektiv gedeutetes - Recht hervorgerufen worden.111 Ähnlich verhält es sich mit den "großen Gegenspielern" der. Gewerbefreiheit- der in staatlicher Regie betriebenen Telegrafie und der gegen Ende des 19. Jahrhunderts weitgehend in Staatsbetrieben organisierten Eisenbahn. Sicherlich ist die Rolle des Staates immer schon in besonderem Maße infrastrukturell vorgezeichnet und daher auch bei den neuen Verkehrstechnologien von Anfang an auf Steuerung ausgelegt gewesen. Ob die Übernahme der Verkehrstechnologien in staatliche Erfiillungsverantwortung weniger Recht bewirkte, dürfte schon angesichts des enormen Landbedarfs mit den zu regelnden Enteignungsvoraussetzungen fraglich sein. Dennoch ist die Verstaatlichung der neuen Verkehrstechnologien mit dem organisatorischen Wechsel der Rechtsträgerschaft und den personellen Änderungen im Betrieb von erheblicher Bedeutung flir das Technikrecht: Zum einen ist bereits die Ermöglichung der "Verstaatlichung" rechtlich vorstrukturiert Und zum anderen ändert sich mit dem Wegfall bestimmter- fiir Staatsbetriebe entbehrlicher- Regulierungsziele die Qualität des Rechts, das sich mehr und mehr marktexternen Zielen der Daseinsvorsorge widmet. 112
111 Dies ist das Grundmißverständnis der aktuellen Deregulierungsdebatte und der Vorstellung, durch weniger Recht mehr Freiheit zu erlangen. 112 Zur Unterscheidung zwischen Marktzielen und marktexternen Zielen J. P. Schneider, Liberalisierung der Stromwirtschaft durch regulative Marktorganisation, 1998; zum Abschied vom Begriff der Daseinsvorsorge Hermes (FN 103), S. 336 ff.
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2. Teil: Historische Funktionen des Technikrechts
b) Anknüpfungspunkte Der spätkonstitutionelle Staat betrachtete die gezielte Beeinflussung von Technikentwicklungen als "nationale Standortfrage" und beschränkte sich in technikbegrenzender Hinsicht weitgehend auf Maßnahmen zur Gefahrenabwehr. Damit unterscheidet er sich mit seinen Handlungs- und Zwangsbefugnissen nicht nur von der Gesellschaft mit ihrem grundsätzlich "zwanglosen" HandlungspotentiaL Staatliche Zwangsgewalt ermöglicht überhaupt erst gesellschaftliche Selbststeuerung auf freiwilliger Basis. 113 Das komplementäre Verhältnis zwischen Freiheit und Zwang liegt dem Steuerungsmodell der Gefahrenabwehr unausgesprochen zugrunde. Unter dem Leitbild der ungehinderten Entfaltung der freien Kräfte konnte sich der Staat prinzipiell auf formelle Regeln der direkten Verhaltenssteuerung individueller Handlungen beschränken. Die Handlungsfolgen und -ergebnisse blieben der gesellschaftlichen Selbststeuerung durch Markmechanismen und der freien individuellen Entfaltung überlassen. Und erst das Zusammenspiel von staatlicher Steuerung und gesellschaftlicher Selbststeuerung der Technik bewirkte eine verträglichen Gesamtzustand. "Die mitgedachten Mechanismen der Selbststeuerung bildeten insoweit die notwendige Ergänzung zu den beschränkten staatlichen Handlungsmöglichkeiten und stellen Zusatzbedingungen dar, auf denen die Leistungsfähigkeit der ordnungsrechtlichen Verhaltenssteuerung letztlich auch heute noch beruht.'" 14
Auf diese Selbststeuerungsmechanismen - vermittelt über den Markt oder allgemein akzeptierte Sozialnormen - ist das staatliche Handeln im ausgehenden 19. Jahrhundert zugeschnitten. Befehl und Zwang schützen vor Störungen der öffentlichen Ordnung und ermöglichen auf diese Weise ein friedliches Zusammenleben. Ferner erlaubt die idealtypische Beschränkung staatlichen Handeins auf Maßnahmen der Gefahrenabwehr ein hohes Maß an gesellschaftlicher Selbststeuerung. Die Grenzen der Technikbegrenzung sind insoweit Garanten der Technikfreiheit und -ermöglichung. Schließlich wird an den rechtstaatlichen Bestrebungen zur Zurückdrängung wohlfahrtsstaatliehen Gestaltungsdrangs auch klar, daß es jenseits der staatlichen Gefahrenabwehr privaten Handeins nur die Verstaatlichung des betreffenden Lebensbereichs geben konnte. In dem Maße, wie die Rolle des Staates in der Konzentration auf die Gefahrenabwehr gesehen wurde, mußten zusätzliche Gestaltungsziele über den Staat selbst - und entsprechende Verstaatlichungen- realisiert werden. Die staatliche
Franzius (FN 21), S. 46. So - im Anschluß an Wahl, Rechtsfragen der Landesplanung und der Landesentwicklung, Bd. 1, 1978, S. 50 f-auch Franzius (FN 21 ), S. 47. 113
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A. Technikrecht: Realisierungsbedingung ftlr Technikentfaltung?
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Anstalt präsentierte sich in der Post und der Telegrafie als moderne Einrichtung zum Wohle des Bürgers. Erst im 20. Jahrhundert wurde endgültig klar, daß sich der Staat kaum auf die Gefahrenabwehr und den Anstaltsbetrieb beschränken konnte. Nachdem zunächst die Risikovorsorge als zeitlich vorgelagerte Gefahrenabwehr verstanden und durch diese begrenzt wurde, emanzipierte sich der Präventionsgedanke nach 1945 immer weiter vom Gedanken der punktuellen Gefahrenabwehr, um diese schließlich zu überlagern und heute nur noch als besonders gelagerten Fall staatlicher Vorsorge zu begreifen. 115 Es verdient aber festgehalten zu werden, daß mit der Auskehrung einer staatsfrei gedachten Sphäre im 19. Jahrhundert nicht etwa die Reduzierung von Recht verbunden gewesen wäre. Auf der einen Seite ging es um den Schutz dieser Staatsfreiheit, auf der anderen Seite um die Entstehungsvoraussetzungen selbstregulativer Handlungsbeiträge insbesondere durch das Privatrecht. In der bürgerlichen Gesellschaft stellt das zivile Haftungsrecht das Pendant zur staatlichen Gefahrenabwehr dar. Es hat seinen enormen Bedeutungsanstieg zu der Zeit erfahren, als sich der Staat bewußt auf die Gefahrenabwehr zurückzog. Wurden durch den Rückzug des Staates und dessen Neubestimmung maßgebliche Freiräume zur Technikentfaltung erst geschaffen, so sind diese Freiräume aus öffentlich-rechtlicher Sicht- doch einer Verrechtlichung unterworfen worden. So ist die Weiterentwicklung des Technikrechts zunächst von einem relativ breiten Steuerungsoptimismus gekennzeichnet. Dieser half, die Gefahrenabwehr zu Lasten gesellschaftlicher Selbstregulierungspotentiale auszudehnen und eine Erwartungshaltung aufzubauen, der zu entsprechen dem Staat immer schwerer fiel. Das Privatrecht hatte kaum mehr als lückenfllllende Funktionen und erhielt als Ordnungsrahmen für selbstregulative Beiträge - jedenfalls aus öffentlich-rechtlicher Sicht - letztlich nur wenig Aufmerksamkeit. 116 Obgleich vor Nullsummenspielen zu warnen ist, kann doch nicht übersehen werden, daß gerade mit dem Zuwachs an technikrechtlichen Normen und den in das Bewußtsein tretenden Steuerungsgrenzen des Technikrechts diejenigen Steuerungsansätze an Bedeutung gewinnen, die stärker auf private Selbstregulierung und deren privatrechtliehen Flankierung setzen. 117 Öffentliches Recht und Privatrecht fungieren dabei als wechselseitige Auffangordnungen. 118
115 So auch die Entwürfe zum Umweltgesetzbuch: §§ 2 Abs. 6 UGB-ProfE, 5 UGBKomE; zu möglichen Konsequenzen Di Fabio (FN 74), S. 445 ff. 116 FUr das Umweltrecht Kloepfor!Franzius (FN 33), S. 182. 117 Vgl. Kloepfer (Hrsg.), Selbst-Beherrschung im technischen und ökologischen Bereich, 1998. 118 Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann (Hrsg.), Öffentliches Recht und Privatrecht als wechselseitige Auffangordnungen, 1996.
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2. Teil: Historische Funktionen des Technikrechts
Hingewiesen sei noch auf die technikrechtliche Steuerung der Ennöglichung und Rezeption technischer Normung. Technikrecht öffnet sich in seinen außerrechtlichen Bezügen nicht nur technischen Nonnen, sondern muß fUr eigenständige Steuerungsleistungen vielfach auf technische Nonnen setzen und ihnen Quasi-Rechtsqualitäten einräumen. Technikbezogene Selbststeuerungsmechanismen können - werden sie von staatlicher Seite geduldet, genutzt oder ermöglicht - nicht (mehr) pauschal als (echte) Alternativen zum Recht als Steuerungsinstrument betrachtet werden. 119 Vielmehr wird das Recht zunehmend als bereitzustellender Rahmen auch und gerade tur die "steuernde Rezeption" technischer Nonnen durch den Staat erkannt. 120 Gerade hierin erweist sich Technikrechtrecht als maßgebliche und unverzichtbare Realisierungsbedingung von Technikentfaltungen.
B. Begrenzung und Ermöglichung: Zwei Hauptfunktionen des Technikrechts Die vorstehenden Überlegungen haben gezeigt, daß es im wesentlichen zwei Funktionen sind, die das Technikrecht prägen. Auf der einen Seite steht die zentrale - zum Teil verfassungsgebotene - technikbegrenzende Funktion des Technikrechts. Auf der anderen Seite können in Technikbegrenzungen auch Technikennöglichungen gesehen werden. Wird eine Technik- z. B. die Atomtechnik - begrenzt, schafft dies Entfaltungsräume tur Alternativen und andere Technologien, z. B. der Kraft-Wärme-Kopplung. 121 So betrachtet, sind Technikbegrenzung und Technikermöglichung zwei Seiten einer Medaille. Mit der Entwicklung von Staat und Gesellschaft zum demokratischen Rechtsstaat übernimmt das Technikrecht die Funktion der Ennöglichung von Technikentwicklungen durch die Schaffung von Rechtssicherheit Was nutzt es dem Erfinder, dem Anwender oder Nutzer von technischen Produkten oder Verfahren, wenn sie keinen rechtlichen Schutz erhalten? Auch und gerade der Markt kommt ohne Recht nicht aus. Regulierung und Wettbewerb stehen nicht - wie vielfach angenommen wird - im Verhältnis unauflösbarer Antinomie zueinander. 122 Mag sich in der historischen Perspektive über die Funktion der Technikermöglichung - nicht zuletzt durch die Sicherung von hinreichender Technikakzeptanz - noch Einigkeit erzielen, so bleibt der konkrete Umsetzungsbedarf durch geeignete Instrumente doch in der Regel umstritten. Und der 119 Zum Ganzen K/oepfor, Instrumente des Technikrechts, in: M. Schulte (Hrsg.), Handbuch zum Technikrecht (ersch. demnächst). 120 Siehe oben, S. 50. 121 Zu den Rechtsproblemen des Atomausstiegs Kloepfor (Hrsg.), Technikumsteuerung als Rechtsproblem (ersch. demnächst). 122 Vgl. fiir das Kommunikationstechnikrecht K/oepfer (FN 119), S. 17 f.
B. Begrenzung und Ermöglichung: Zwei Hauptfunktionen des Technikrechts
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Hinweis auf das Erfordernis eines hinreichenden Rahmens für Technikentwicklungen droht die konkreten Fragen - insbesondere nach dem Maß staatlicher Verantwortung - eher zu verdunkeln als zu erhellen. 123 Wie auch immer die Funktion von Technikrecht gesehen wird, neben seiner Begrenzungsfunktion gab es immer auch die Ermöglichungsfunktion von Technikrecht Aus der Sicht der Grundrechte der Anlagenbetreiber und Technikentwickler übernimmt das Technikrecht die Aufgabe der Technikermöglichung durch durch Sicherung der rechtlichen, organisierenden Grundrechtsvoraussetzungen.124 Dabei kann das Recht einmal die Funktionen der Standardisierung und Marktermöglichung sowie zum anderen der Gewährleistung rechtlicher Entfaltungsvoraussetzungen einschließlich der Gewährleistung von Rechtssicherheit wahrnehmen. Recht und Rechtsvollzug sind stets auch eine Leistung des Staates. Technikrecht darf nicht pauschal als störendes Technikhemmnis (miß-)verstanden werden, sondern ist auch die Bereitstellung einer für das Gemeinwesen unerläßlichen normativen Infrastruktur. 125 I. Technikbegrenzung: Bewahrung und Stabilisierung I. Reaktiv ordnender Risikobezug
In welchem Verhältnis - und mit welchem Gewicht - die beiden genannten Hauptfunktionen des Technikrechts zueinander stehen, ist häufig unklar. Zeitweilig steht mal die Begrenzungs- und mal die Ermöglichungsfunktion im Vordergrund. Dies kann dann auch normative Auswirkungen auf die beabsichtigten Steuerungswirkungen von Technikrecht haben. Dabei darf die Technikbegrenzungsfunktion nicht vollständig aufgegeben werden. Rechtliche Technikkontrolle bleibt unverzichtbar. Schon ein flüchtiger Blick auf die Technik- und Technikrechtsgeschichte zeigt, daß es in der Vergangenheit nicht darum ging, Technikkontrollen generell aufzugeben. Vielmehr stand und steht im Vordergrund die Frage nach Verbesserungen, Verlagerungen und Verfeinerungen der Kontrolle von Technikentwicklungen. Dies setzt den Einsatz von Recht voraus. Die begrenzende Kontrolle von Technikentwicklungen hat ein bewahrendes und stabilisierendes Moment. Recht wartet häufig Technikentwicklungen ab und reagiert auf solche Entwicklungen, die als riskant erkannt werden. Es gibt Halt und Orientierung in einer durch vor allem durch Technikinnovationen sich
123 Ähnlich Hermes (FN 103), S. 336 ff. 124 Zum Grundrechtsvoraussetzungsschutz Kloepfer, Grundrechte als Entstehenssicherung und Bestandsschutz, 1970, S. 17 ff. 125 Vgl. bereitsKloepfer, NuR 1997,417 f.
2. Teil: Historische Funktionen des Technikrechts
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überstürzenden Welt. 126 Auch in seiner bewahrenden und stabilisierenden Funktion ist Technikrecht jedoch nicht statisch, sondern erheblichen Veränderungen ausgesetzt. Zwei maßgebliche Entwicklungslinien seien hier besonders hervorgehoben: a) Von der Gefahrenabwehr zur Risikovorsorge Zu den ureignen Aufgaben des Technikrechts gehört die Gefahrenabwehr. Technikrecht ist Technikgefahrenabwehrrecht. Es ruft den Staat als Träger des Gewaltmonopols auf den Plan. Staatliches Handeln kann den eigendynamischen Prozeß der Technikentwicklung aber nur begrenzt steuern. Es trifft typischerweise reagierend auf Entwicklungen, die nur selten aufgehalten werden können. Technikrecht bewältigt nicht technische Entwicklungen, sondern korrigiert sie und versucht, bestimmte Nebenfolgen abzuwenden. 127 Der Begriff der Gefahr ist filr das technische Sicherheitsrecht von zentraler Bedeutung. Um ihn ranken sich die rechtswissenschaftliehen Bemühungen, eine Grenze fiir hinzunehmende Risiken abzustecken. Nicht nur, daß die Rechtsprechung schon früh den Anwendungsspielraum der polizeilichen Generalklausel konkretisierte und damit das Maß hinzunehmender Risiken bestimmte. 121 Der Gefahrenbegriff nahm auch den grundrechtliehen Veränderungsdruck auf Mit der grundrechtliehen Überformung der Gefahrenabwehr ändern sich die Gewichte filr die relationale Zuordnung der betroffenen Grundrechtspositionen: Je größer das Schadensausmaß, desto geringer die Eintrittswahrscheinlichkeit, die man noch hinzunehmen verpflichtet ist. 129 Der insbesondere nach 1970 sinkende Technik-, Wissenschafts- und Fortschrittsglaube und die gestiegene gesellschaftliche Risikowahrnehmung rückten die kognitiven Unsicherheiten in der Beurteilung potentiell schädlicher Folgen der modernen Technik in den Vordergrund der gesellschaftlichen, aber auch rechtlichen Betrachtung. Zu den paradoxen Einsichten der Modeme zählt die Erkenntnis, daß die Erweiterung der Wissensbasis den bewußten Bereich des Nicht-Wissens nicht verkleinert, sondern vergrößert hat. Es ist das Problem der Ungewißheit, daß den Bedeutungsanstieg des Risikobegriffs im Technikrecht erklärt. Die zunehmende Beschäftigung des Rechts mit Risiken signalisiert einen Vorstoß in den Bereich nur theoretisch denkbarer Schadensmöglichkeiten 130 und nicht mehr hinreichend erfahrungsgestützter KausalzusammenhänSo Roßnagel (FN 62), S. 365. Zum Technikrecht als Nebenfolgenbegrenzungsrecht Murswiek (FN 62), S. 210. 121 Zur Gefahrenabwehr als Legitimationsgrundlage und Sozialmodell filr das Verwaltungsrecht Franzius (FN 21 ), S. 34 ff. 129 Zuvor bereits PrOVG, PrVBI. 51 (1930), S. 743 f. 130 So zunächst im Atomrecht, vgl. BVerwGE 72, 300 ff.- Wyhl. 126
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B. Begrenzung und Errnöglichung: Zwei Hauptfunktionen des Technikrechts
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ge, 131 um Gefahren möglichst weitgehend zu antizipieren und ihnen vorbeugend zu begegnen. Als Risiko wird immer mehr der Sachverhalt verstanden, in dem ein Schadenseintritt zwar möglich, aber einerseits weder wahrscheinlich noch andererseits als praktisch ausgeschlossen werden kann. Dabei bezeichnet der Risikobegriff mehr als bloß eine Lage, in der die zur Annahme einer Gefahr normativ festgelegte Größe (noch) nicht en;eicht wird. Erfaßt werden durch ihn auch und gerade Situationen der Erkenntnisunsicherheit und Ungewißheit, in denen gleichwohl eine Entscheidung - sei es fi1r das Tätigwerden oder Untätigbleiben -getroffen werden muß. In dem Maße freilich, wie die kognitive Beurteilungssicherheit sinkt, steigt die eva/uative Wertungsabhängigkeit der Risikoentscheidung und damit einer Grenzziehung zwischen abzuwehrenden Gefahren und zu verringemden Risiken bzw. hinzunehmenden Restrisiken. 132 Dem Recht kommt somit die Aufgabe zu, einen wertenden Ausgleich zwischen dem Nutzen und den potentiellen Schäden eines risikobehafteten individuellen oder kollektiven Verhaltens herbeizuftlhren. Die normative Vorprägung dieser Aufgabe ist zwar weiterhin unverzichtbar, kann aber nicht mehr in der Dichte verlangt werden, wie es zum spezialgesetzlichen Ausbau der Gefahrenabwehr noch möglich war. Diente der Risikobegriff zunächst der (deskriptiven) Umschreibung filr die insbesondere im Atomrecht vorgenommene Absenkung der Wahrscheinlichkeitsschwelle und damit der Vorverlagerung von staatlichen Eingriffsmöglichkeiten, so ist er heute als Rechtsbegriff etabliert. m Das zu staatlichen Maßnahmen berechtigende Risiko ist zwischen der abzuwehrenden Gefahr und dem rechtlich erlaubten, also hinzunehmenden Restrisiko angesiedelt. Im Verlauf der letzten Jahrzehnte hat sich der Risikobegriff vom Gefahrenbegriff abgelöst. Der Gefahrenbegriff bezeichnet nach der gängigen Definition eine Lage, in der bei ungehindertem Ablauf des Geschehens ein Zustand oder ein Verhalten mit hinreichender Wahrscheinlichkeit zu einem Schaden ft1r die Schutzgüter der öffentlichen Sicherheit fUhren würde. Er beschreibt die traditionelle Eingriffsvoraussetzung des rechtsstaatliehen Polizeirechts, das erst bei Gefahreneintritt den Staat zum Handeln ermächtigte. Der Gefahrenbegriff hat indessen mit dem Vordringen des umweltpolitischen Vorsorgeprinzips und mit den komplexen - regelmäßig unter Unsicherheit zu treffenden - Risikoentscheidungen seine die staatliche Gewalt ehemals umklammernde, disziplinie131 So vor allem im lmmissionsschutzrecht, vgl. etwa BVerwGE 69, 37 ff. - Mannheimer HeizkraftwerkfalL 132 So das im Anschluß an BVertDE 49, 89 ff.- Kaikar- entwickelte und durch das Schrifttum verfeinerte Drei-Stufen-Modell: zur Entwicklung Franzius (FN 21 ), S. 80 ff. 133 Vgl. etwa §§ 62 AMG, 17 Abs. 2 ChemG und vor allem §§ f Abs. I, 6 Abs. 2 GenTG.
2. Teil: Historische Funktionen des Technikrechts
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rende und eingrenzende Kraft verloren. Risiken unterscheiden sich nicht nur quantitativ, sondern auch qualitativ von der Gefahr. Mit dem Institut des Gefahrenverdachts lassen sie sich nur noch begrenzt einfangen. Dort, wo Unsicherheit herrscht und praktische Erfahrungen fehlen, kann jedenfalls nicht ohne weiteres auf einen bestimmten Intensitätsgrad abgestellt werden. Vielmehr wird vermehrt auch nach den jeweiligen Konsequenzen filr die zukünftigen Handlungsmöglichkeiten des Staates gefragt werden, der im Ungewissen handeln muß. Ein Einschreiten sei bereits geboten, wenn das Zuwarten mit einem überproportionalen Risiko des Fehlschlags späterer Abwehrbemühungen verbunden ist. Der Risikobegriff wird zu einer mehrdimensionalen Größe, in die das Ausmaß der prognostizierten Gefahr, ein von der Erkenntnisdichte bei der Gefahrenberechnung abhängiger Unsicherheitsfaktor und die möglichen Folgekosten einer Fehlprognose einfließen. Die Sicherheitsdogmatik bemüht sich um eine vorsichtige Reintegration der Risikosteuerung in die gefahrenrechtliche Dogmatik. 134 So werden Risiken und Gefahren sowohl im Professorenentwurf als auch im sog. KQmmissionsentwurf filr ein Umweltgesetzbuch m weitgehend gleichbehandelt Dabei stellt sich die Gefahr als Unterfall des Risikos dar. Dieses Risiko übersteigt eine von der Rechtsordnung definierte Schwelle, weshalb es nicht mehr als hinnehmbar (im Sinne von inakzeptabel) bewertet wird. 136 Die Schwelle zur Gefahr wird erst dann überschritten, wenn die Befilrchtung eines Schadenseintritts über die bloß entfernte Möglichkeit hinaus begründet ist. Allerdings kann der Gesetzgeber aufgrund einer wertenden Entscheidung auch Risiken unterhalb der Gefahrenschwelle als nicht mehr hinnehmbar qualifizieren. Insoweit läßt sich auch von gefahrennahen Risiken sprechen. 137 Neben dem Bereich der als nicht mehr hinnehmbar zu bewertenden Risiken (Gefahren und gefahrennahe Risiken) ist nach 1945 eine weitere Schicht von Risiken erkennbar geworden, die sich als Risiken im engeren Sinne bezeichnen lassen. Diese Risiken erscheinen der Rechtsgemeinschaft zwar noch als hinnehmbar, aber doch als unerwünscht. Gegen diese Risiken wird ein staatliches Einwirken möglich, soweit sie - oberhalb der Schwelle zum Restrisiko liegend - als unerwünscht hoch bewertet werden. Hierzu zählen nicht nur die Fälle des Gefahrenverdachts, d. h. Risiken, bei denen nicht mit Sicherheit ausgeschlossen werden kann, daß sie nicht die Gefahrenschwelle überschreiten werden, von 134
Vgl. Di Fabio (FN 74), S. 445 ff.
m Zum Professorenentwurf Kloepfer!Rehbinder/Schmidt-Aßmann!Kunig, Umweltge-
setzbuch- Allgemeiner Teil, UBA-Berichte 7/90, 1991; zum Kommissionsentwurf BMU (Hrsg.), Umweltgesetzbuch (UGB-KomE), 1998. 136 Besonders deutlich § 2 Abs. 6 UGB-ProfE und die Entwurfsbegründung, vgl. Kloepfer/Rehbinder/Schmidt-Aßmann!Kunig (FN 135), S. 118 f. 137 Zum Ganzen auch Kloepfer, Art. "Risiko/Risikoanalyse/Risikoforschung", in: Korff u. a. (Hrsg.), Lexikon der Bioethik, Bd. 3, 1998, S. 210 ff.
B. Begrenzung und Ermöglichung: Zwei Hauptfunktionen des Technikrechts
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denen aber sicher ist, daß sie oberhalb der Schwelle zum Restrisiko liegen. Vielmehr werden auch diejenigen Risiken erfaßt, bei denen mit hinreichender Sicherheit ausgeschlossen werden kann, daß sie die Gefahrenschwelle überschreiten, aber oberhalb der Grenze zum Restrisiko bleiben. 138 Den Risiken im engeren Sinne kann schließlich auch die bloße Risikomöglichkeit zugeordnet werden, also Risiken, bei denen nicht mit hinreichender Sicherheit ausgeschlossen werden kann, daß sie oberhalb der Schwelle zum Restrisiko liegen. Staatliches Einwirken zielt hier nicht auf einen Ausschluß, sondern auf eine Zurückdrängung des Risikos. Die verfassungsrechtlichen Schutzpflichten des Staates 139 haben der staatlichen Risikominimierung gewiß Vorschub geleistet. Sie gebieten jedoch keinen vollständigen Ausschluß jeglichen Risikos. Die Forderung nach einem vollständigen Risikoausschluß wäre unverhältnismäßig, da sie zu einen nahezu unbegrenzten Technikverbot fUhren müßte. Mit dem Begriff des Restrisikos wird daher das Risiko bezeichnet, das nach dem "Maßstab praktischer Vernunft" so unwahrscheinlich ist, daß es als hinzunehmen bewertet wird. 140 Hierzu zählen Risiken jenseits der Grenzen menschlichen Erkenntnisvermögens sowie Risiken unterhalb der Schwelle staatlicher Handlungsmöglichkeiten. Immer wichtiger wird in diesem Zusammenhang der sog. Risikovergleich. 141 Die Notwendigkeit einer maßgeblich dezisionistischen Risikoabschätzung macht den Weg frei ftlr die zusätzliche Einbeziehung wertender Kriterien innerhalb der Risikobewertung. Als ein wesentliches Element der Risikobewertung wird der Risikovergleich angesehen, der einen wichtigen Beitrag zur gesellschaftlichen Akzeptanz von Risiken leisten soll. Der Vergleich eines neuen Risikos mit einem bestehenden Risiko soll die Risikobestimmung des neuen Risikos anschaulich und verwertbar machen. Risikovergleiche bedürfen daher eines Bezugswertes ftlr wahrgenommene und ftlr hinnehmbar bewertete Risiken. Wie solche Bezugswerte gefunden werden sollen, ist freilich noch nicht geklärt. Im übrigen muß berücksichtigt werden, daß Risikovergleiche allein nicht geeignet sind, die Hinnehmbarkeit eines Risikos zu begründen, da auch ein im Verhältnis zu anderen Risiken geringeres neues Risiko insgesamt zu einer Erhöhung des Gesamtrisikos fUhren kann. Die Frage der Kumulation verschiedener Risiken muß also zusätzlich in die Risikobewertung eingeftlhrt werden. Risiken sind jedoch nicht nur gegeneinander abzuwägen, sondern auch 138 Zur Problematik des Restrisikos Lawrence, Grundrechtsschutz, technischer Wandel und Generationsverantwortung, 1989, S. 37 ff., 86 ff. 139 Zusammenfassend Unruh, Zur Dogmatik der grundrechtliehen Schutzpflichten, 1996. 140 Zum Maßstab praktischer Vernunft BVerfGE 49, 137 ff.- Ka1kar. 141 Vgl. Breuer, NVwZ 1990, 211 (215 ff.); Gethmann, in: ders./Kioepfer/Reinert, Verteilungsgerechtigkeit im Umweltstaat, 1995, S. 14 ff.
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2. Teil: Historische Funktionen des Technikrechts
dem Nutzen gegenüberzustellen (Risiko-Nutzen-Vergleiche). Dabei darf der Begriff des Nutzens nicht allein als ökonomische Größe mißverstanden werden. Er umfaßt vielmehr auch darüber hinausgehende Aspekte. Dies fUhrt zu einem normativ-juristischen Nutzenbegriff, d. h. die jeweiligen "erwilnschten" Folgen (oder genauer: die mit der Risikoeingehung verbundenen Chancen) unterliegen einer entsprechenden Bewertung. Bei staatlichen Entscheidungen kommt eine derartige Risiko-Nutzen-Bewertung grundsätzlich nur in Betracht, wenn das Risiko unterhalb der Schwelle zur (konkreten) Gefahr liegt. Hierbei werden die Kosten und der Nutzen von Risiken gegeneinander abgewogen. Zu berücksichtigen ist aber, daß sich Kosten und Nutzen auf verschiedene Personengruppen verteilen können. Die Risiko-Nutzen-Bewertung muß also auch Billigkeitserwägungen mit einbeziehen. Hier gilt es einen Interessenausgleich zwischen dem Interesse der Nutznießer an der Wahrnehmung der Chance und dem Interesse der nachteilig Betroffenen an der Vermeidung oder zumindest der Verringerimg der Risiken herzustellen. 142 b) Von der Erftlllungs- zur Gewährleistungsverantwortung des Staates Parallel zum Bedeutungsanstieg der Risikovorsorge läßt sich die Ergänzung und Ablösung klassischer Konditionalprogrammierungen behördlichen Handeins durch gesetzliche Finalprogrammierungen desselben beobachten. 143 Eingebettet ist dieser Übergang in den paradigmatischen Wechsel von der ErftllIungs- zur Gewährleistungsverantwortung des Staates. 144 Die Öffnung des Technikrechts zur Risikovorsorge verlangte einen Zuwachs an rechtlicher Offenheit und vergrößerte die Interpretations- und Konkretisierungsspielräume der rechtlichen Entscheidung. Immer wichtiger wurde in diesem Zusammenhang die Frage, wer die gesetzten Ziele konkretisieren dürfe. Dies war zunächst eine Frage der Gewaltenteilung, des ,juste milieu" innerhalb der staatlichen Ordnung. Wo der Gesetzgeber überfordert erschien, mehrten sich die Stimmen der Entlastung durch die Exekutive - so etwa im Falle der Zuweisung von Beurteilungsermächtigungen. 145 Aber nicht nur die Exekutive 142 Zu den Wandlungsprozessen Breuer, Verwaltungsrechtliche Prinzipien und Instrumente des Umweltschutzes, 1989, S. 18 ff.; Wahl/Appel (FN 45), S. 88 ff.; Scherzberg, VerwArch. 84 (1993), S. 484 ff.; Franzius (FN 21), S. 91 ff. 143 Hierzu und weiteren Veränderungsbewegungen Hoffmann-Riem, DÖV 1997, 433 ff. 144 Grundlegend Hoffmann-Riem, Innovationen durch Recht und im Recht, in: M. Schulte (Hrsg.), Technische Innovation und Recht, 1996, S. 3 ff. 145 Zur Bedeutung der Lehre vom Beurteilungsspielraum als dem "geeigneten Gehäuse fiir die ausgleichende Zusammenfiihrung von Gesetzmäßigkeitsanforderungen, Rechtsschutzgarantie und Funktionserfordernissen der Risikoverwaltung" präzise Di Fabio (FN 74), S. 464.
B. Begrenzung und Ermöglichung: Zwei Hauptfunktionen des Technikrechts
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erhielt im Technikrecht besonderes Gewicht. Auch die Judikative wurde gegenüber der Legislative gestärkt und drohte in den vergangenen Jahren ein gewisses Übergewicht zu erhalten. Anlagengenehmigungen standen faktisch unter Urteilsvorbehalt Vor allem die verfassungsrechtlichen Schutzpflichten habenlosgelöst vom Gesetz - eine Ahnung vom "Jurisdiktionsstaat" vermitteln können. 146 Dennoch blieben die Herausforderungen im wesentlichen auf den staatlichen Bereich beschränkt. Daß auch der Bürger in die Techniksteuerung durch Recht einbezogen wird, ist im Technikrecht zwar schon seit längerer Zeit bekannt. Der Staat behieltjedoch die Verantwortung ftlr die Technik im Sinne einer eigenhändig wahrzunehmenden Erftlllungsverantwortung. Es ging allenfalls darum, staatliche Regulierung selbstregulativ zu ergänzen - etwa durch den Einsatz des Bürgers als Beliehener oder Verwaltungshelfer. Aber schon die Neuvermessung und Konturierung dieser Rechtsinstitute in den 70er Jahren 147 ließ deren Lücken erkennen, um die privaten Beiträge fUr die rechtliche Techniksteuerung in ihrer Fülle sachgerecht und differenziert zu erfassen. Immer deutlicher wird nunmehr im Zuge der umfassenden - auch die Techniksteuerung erfassenden - Privatisierungen, daß gesellschaftliche Selbstregulierung staatliche Regulierung nicht nur flankieren und ergänzen, sondern auch verändern und ersetzen kann. 148 Neuere technikrechtliche Entwicklungen - etwa im umweltbezogenen Technikrecht oder im Informationstechnikrecht - zeigen, daß es nicht nur um die Einbeziehung Privater in öffentlich-rechtlich verfaßte Organisationen, sondern auch um die Notwendigkeit einer Überdeterminierung privater Organisationsformen geht. Indiziert ist ein anderes Ordnungsmodell und ein Blickwinkel, der über "die gesellschaftlichen Handlungsorientierungen im Medium der staatlichen Organisation hinaus auf die staatliche Steuerung im Medium privater Organisation" gerichtet ist. 149 Grundprinzip ist- so läßt sich erkennen 150 - nicht mehr die staatliche Regulierung und deren selbstregulative Ergänzung, sondern die gesellschaftliche Selbstregulierung unter bestimmten, diese näher strukturierenden Vorgaben. 151 Zur Techniksteuerung setzt der Staat bewußt auf den Markt und seine Kräfte unter marktwirtschaftliehen Bedingungen. Schafft dies mit der Einftlhrung priZur Rechtsprechung Steinberg, NJW 1996, 1985 ff. Siehe vor allem- neben Steiner, Öffentliche Verwaltung durch Private, 1975- die Referate von Ossenbühl und Gal/was zur Erfüllung von Verwaltungsaufgaben durch Private, VVDStRL 29 (1971), S. 137 ff. 148 Zu den Veränderungen der Betrachtungsweise Oster/oh, WDStRL 52 (1995), S. 204 ff. 149 Trute, Verantwortungsteilung als Schlüsselbegriff eines sich verändernden Verhältnisses von öffentlichen und privaten Sektor, in: Schuppert (Hrsg.), Jenseits von Privatisierung und "schlankem" Staat, 1999, S. 11 ff. (30). 1so Zum Ganzen bereits Kloepfer (FN 119), S. 13 f. 151 Hoffmann-Riem (FN 144) , S. 18. 146 147
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2. Teil: Historische Funktionen des Technikrechts
vatwirtschaftlicher Leistungserbringung (z. B. im Bereich der Kommunikationstechnologien) auch Grundrechtsberechtigungen, so kommt es andererseits doch nicht zur generellen Ausweisung einer staatsfreien Sphäre. Der Staat verliert zwar Befugnisse, behält aber die Gewährleistungsverantwortung, die sich dogmatisch bisher nur vage strukturiert 152 - auf die Selbstregulierungsvoraussetzungen erstreckt und in die Verpflichtung mündet, einen normativ hinreichend ausgefilllten Rahmen zu setzen, um private Machtungleichgewichte abzubauen und die Verfolgung externer Marktziele-vorrangig in privater Handsicherzustellen. Angestrebt wird eine Verantwortungsteilung, die- höchst voraussetzungsvoll - ebenso den Staat entlasten wie bisher verschüttete Potentiale gesellschaftlicher Lernfähigkeit und Innovationskraft filr das Gemeinwohl mobilisieren soll. 153 Dies läßt sich weder allein auf direktem noch allein auf indirektem Wege erreichen. Angesichts der Komplexität der Regelungsgegenstände sind punktuelle, aber subsumtions- und durchsetzungsstarke Regelungen filr sich genommen kaum geeignet, den notwendigen Rahmen filr eine selbstregulative Technikgestaltung durch den Markt abzustecken. Indirekte Regulierungsstrategien erschweren indessen die Verantwortungszurechnung 154 und provozieren die wechselseitige Zuweisung von Verantwortlichkeiten. Erforderlich ist deshalb eine inhaltliche Vorstrukturierung des Kooperationsprozesses, die auf der einen Seite nicht verhandelbare Direktiven selbstregulativer Technikgestaltung benennt, aber auf der anderen Seite hinreichend offen bleibt, um das Entfaltungspotential eigenverantwortlicher Technikbeherrschung in der gemeinsamen Verantwortung von Staat und Gesellschaft für die beiderseits zu erbringende Gemeinwohlkonkretisierung zur Geltung zu bringen. 2. Technischer Wandel und Technikrecht
Technikrecht reagiert auf technischen Wandel. 155 Neue Technikentwicklungen reißen Regelungslücken in bestehenden Regelungskomplexen auf oder hebeln Regelungskomplexe einfach aus. 156 Technikrecht bringt Ordnung in diese 152 Erste Ansätze liefert Hermes (FN 103), S. 336 ff.; skeptisch gegenüber der dogmatischen Tauglichkeit H C. Röhl, Verwaltungsverantwortung als dogmatischer Begriff?, Die Verwaltung, Beiheft 2, 1999, S. 33 ff. ; siehe auch Pielow, RdE 2000, 45 ff. 153 Instruktiv die Beiträge in Schuppert (Hrsg.), Jenseits von Privatisierung und "schlankem" Staat, 1999 (m.w.N.). 154 Vgl. Di Fabio, VVDStRL 56 (1997), S. 262 ff.; abgeschwächt auch Voßkuhle, Gesetzgeberische Regelungsstrategien der Verantwortungsteilung, in: Schuppert (Hrsg.), Jenseits von Privatisierung und "schlankem" Staat, 1999, S. 47 (55, 81, 89 f.). 155 Zur rechtlichen Steuerung des technischen Wandels Roßnagel, UTR 27 (1994), S. 425 ff. 156 So Roßnagel (FN 62), S. 367.
B. Begrenzung und Ennöglichung: Zwei Hauptfunktionen des Technikrechts
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Wandlungsprozesse und "humanisiert" Technikentwicklungen. 157 Es stabilisiert Verhaltenserwartungen und gibt durch technikbegrenzende Regelungen einen wichtigen Entfaltungsrahmen filr Technikentwicklungen vor. Rechtliche Technikbegrenzungen sind zunächst elementare Vorgaben filr die Einfilhrung und Verbreitung neuer Technologien. Wird Technikrecht dem technischen Wandel nicht angepaßt, kann es in seinen Vorgaben filr - präventiv kontrollierte und rechtlich geschützte - Technikentwicklungen auch technikverhindernden Charakter annehmen. a) Rezeption und Begrenzung Für die rechtliche Rezeption und Begrenzung technischen Wandels kommt Generalklauseln und unbestimmten Rechtsbegriffen eine wichtige Bedeutung zu. 158 Vor allem über den an zentralen Stellen verwandten Gesetzesbegriff "Stand der Technik" beeinflußt die Technik das Recht. Technische Normen rezipiert das Technikrecht durch seine umfassende Verweisungstechnik umso eher, je deutlicher diese - aus dem gesellschaftlichen Bereich stammenden Normen bereits freiwillig demokratisch-rechtsstaatliehen Mindestanforderungen genügen. 159 Über die Rückbindung an die Schutzzwecke der rechtlichen Techniksteuerung wirkt das Recht auf die Technik ein. Die Dynamik der Technikentwicklung kann das Technikrecht freilich nur begrenzt auffangen. Von technischer Seite gern als entwicklungshemmend oder sogar -bremsend betrachtet, wird das Technikrecht von rechtlicher Seite traditionell in seiner nachvollziehenden Funktion gesehen. 160 Ihm liegt kein umfassender Gestaltungsplan zugrunde. 161 Wo Technik aber nicht rechtlich gestaltet wird, gelingt dem Technikrecht auch nur wenig Konfliktentschärfung und -Vermeidung. b) Technikfolgen und Rechtsgüterschutz Technikrecht ist im wesentlichen Technikfolgenbewältigungsrecht. In den letzten Jahrzehnten erfolgte die rechtliche Technikfolgenbewältigung mit der sukzessiven Ausdehnung des Rechtsgüterschutzes.
Prononciert lsensee, VVDStRL 48 (1990), S. 290. Zum Ganzen Scholz, Technik und Recht, in: D. Wilke (Hrsg.), FS zum 125-jährigen Bestehen der Juristischen Gesellehaft zu Berlin. 1984, S. 691 ff.; Nicklisch, NJW 1982, 2633 ff.; aus jüngerer Zeit Heimlich, NuR 1998, 582 ff. 159 Siehe oben, S. 40 ff. 160 Vgl. J. Ipsen, VVDStRL 48 (1990), S. 178 (202 f.). 16 1 Siehe auch Kloepfer, Art. "Technikrecht", in: Korffu. a. (Hrsg.), Lexikon der Bioethik, Bd. 3, 1998, S. 522 ff. 157 158
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2. Teil: Historische Funktionen des Technikrechts
aa) Technikverbote
Nur ausnahmsweise gebietet der RechtsgUterschutz umfassende Technikverbote. Technikverbote- wie z. B. in § 5 Embryonenschutzgesetz 162 - sind selten, müssen neben den Risiken doch auch die Chancen der Technik in den Blick genommen werden. Verfassungsrechtlich sind an Technikverbote besonders hohe Anforderungen zu stellen. Angesichts der fortschreitenden Globalisierung kann ein nationales Verbot nur die ultima ratio sein, will man die Abwanderung von Technologien in das Ausland venneiden. Verbote sind häufig auch nicht wirksam und fUhren nur dazu, daß eine geilihrliehe Technik - wie das Pflanzenschutzmittel DDT163 - im Ausland zum Einsatz kommt. bb) Technikfolgenbegrenzung
In der Regel legt Technikrecht die Risikogrenze nur mittelbar fest, indem Angaben gemacht werden, unter welchen Schutzvorkehrungen gegenüber Technikfolgen die Technik gebaut und genutzt werden kann. Dabei erfaßt das Technikrecht zunächst und in erster Linie unmittelbare Technikfolgen (l) Unmittelbare Technikfolgen
Neuen Gefährdungslagen begegnet das Technikrecht mit der Ausdehnung des Rechtsgüterschutzes im Sinne einer Neufonnulierung für neue Geflihrdungslagen. Dies hat zur bekannten Ausdehnung - und drohenden Überstrapazierung - staatlicher Verantwortung gefUhrt. Im Grunde bleibt das Technikrecht der Gefahrenabwehr verhaftet, obgleich nicht zu übersehen ist, daß mit der Risikovorsorge auch das klassische Anlageneingriffsrecht an die Grenzen seiner Tauglichkeit lind rechtsstaatliehen Zulässigkeit gestoßen ist. Faktische Steuerungsschwächen des Technikrechts resultieren nicht selten aus rechtlichen - insbesondere grundrechtliehen - Grenzen. 164 Neue Technikentwicklungen können zu einer Neugestaltung der Schutzgüter fUhren. Angesprochen sind damit solche Fälle, in denen nicht mehr nur Rechtsund Verfassungsgüter betroffen sind, die der Rechtsordnung vorgegeben und wie z. B. Leben und körperliche Integrität, die Menschenwürde und im Ansatz auch die Privatsphäre- von ihr zu wahren sind, sondern bestehende Ordnungen Gesetz zum Schutz von Embryonen v. 13. Dezember 1990, BGBI. I S. 2746. DDT-Gesetz vom 7. August 1972, BGBI. I S. 1385; zum politisch-rechtlichen Umfeld Kloepfer!Franzius (FN 33), S. 179 f. 164 Vgl. Hufen, Die Grundrechte und der Vorbehalt des Gesetzes, in: D. Grimm (Hrsg.), Wachsende Staatsaufgaben - sinkende Steuerungstahigkeit des Rechts, 1990, S. 273 ff. (275). 162 163
B. Begrenzung und Ermöglichung: Zwei Hauptfunktionen des Technikrechts
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berührt sind, die originäre Schöpfungen der Rechtsordnung selbst darstellen. 165 Gerade die neuen Medien- und Kommunikationstechnologien finden eine bestehende Ordnung vor, die bereits eine Gestaltungsentscheidung beinhaltet und sich neuer rechtlicher Gestaltung öffnet, um den neuen Herausforderungen der Wirklichkeit zu begegnen. Dieser Gestaltungsbedarf kennzeichnet die Entfernung des Technikrechts vom bloßen Technikgefahrenabwehrrecht. Technische Neuerungen - möglicherweise auch nur eine veränderte gesellschaftliche Einstellung zur Technik und zum technischen Selbstschutz- können die bestehenden rechtlichen Ordnungen funktionslos werden lassen, aber auch zu neuen Gestaltungsentscheidungen mit dem Ziel der Aufgabe der bisherigen Ordnung als Schutzgut hinauslaufen. 166 (2) Unerwünschte bzw. erwünschte Technikfolgen Das herkömmliche Technikrecht ist zur übergreifenden Risikooptimierung nur unvollkommen in der Lage. Ausgeklammert wird z. B. die Frage, ob der Zweck eines bestimmten Projektes auch durch eine weniger riskante Technologie erreicht werden kann. Wenn sich das Technikrecht aber umfassenden Systemvergleichen entzieht, keine weitreichende Sozialverträglichkeitsprüfung vornimmt und in Zulassungsverfahren auf Bedürfuisprüfungen verzichtet, so sind diese Lücken der Freiheitlichkeif der Rechtsordnung geschuldet. Denn wollte man alle sozialen Technikfolgen durch rechtliche Techniksteuerung in den Griff zu bekommen versuchen, würde dies in eine umfassende staatliche Wirtschaftslenkung fUhren, die weder verfassungs- und gemeinschaftsrechtlich machbar noch politisch wünschenswert ist. Gleichwohl sind Veränderungen der politisch-rechtlichen Steuerung unerwünschter oder erwünschter Technikfolgen unübersehbar. Dies betrifft vor allem die Vorverlagerung der Entscheidungstindung im Rahmen der Technikfolgenabschätzung. Auf ministerieller und parlamentarischer Ebene organisiert, sollen im Vorfeld des Technikeinsatzes die Chancen und Risiken einer bestimmten Technologie abgewogen werden. 167 Das Ergebnis der Entscheidung soll die Gestaltung der gesetzlichen Rahmenbedingungen filr die Technik wesentlich bestimmen. Dazu Degenhart, NJW 1989,2435 ff. (2437). Zull1 Austausch der Ordnungsprinzipien im Informationsrecht Schoch, VVDStRL 57 (1998), S. 158 ff (191). 167 Grundlegend Roßnagel, Rechtswissenschaftliche Technikfolgenforschung, 1993; aus jüngerer Zeit M Schulte, Der Beitrag partizipativer Technikfolgenabschätzung zur Effektivität der Normsetzung und Normdurchsetzung, in: Hof7Lübbe-Wolff (Hrsg.), Wirkungsforschungzum Recht I, 1999, S. 603 ff.; siehe auch Kloepfer, Zukunft und Recht, FS fur Lendi, 1998, S. 253 ff. 165
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2. Teil: Historische Funktionen des Technikrechts
Nachhaltige Veränderungen lassen sich auch beim Umgang mit den zum Einsatz kommenden Instrumenten der Bewältigung unerwünschter oder erwünschter Technikfolgen beobachten. Ob es die Instrumentalisierung von Marktmechanismen durch Lenkungsabgaben, die lenkende Informationspolitik des Staates oder die kooperativ-organisatorische Einwirkung des Staates aufdie technische Selbstregulierung ist: Zum einen sind diese Instrumente indirekter Verhaltenssteuerung sichtbarer Ausdruck neuer Handlungsformen, mit denen der Staat aus dem engen Korsett des rechtsförmlichen Befehls auszubrechen versucht. Zum anderen wird mit dem sich einer veränderten Wirklichkeit anpassenden "Ausbruch" des Rechts aus alten Bindungen die Suche nach neuen Einbindungen der öffentlichen Gewalt unabweisbar. 168 Für den Flexibilität suchenden Staat kann dies kein Mangel sein, hilft eine stärkere Verrechtlichung doch die rechtlichen Einsatzbedingungen dieser Instrumente offenzulegen. Die Schaffung von inhaltlichen Mindestmaßstäben, von Transparenz und Publizitätspflichten könnte insoweit spielraumerhaltend die rechtsstaatliehen Unsicherheiten in der Anwendung der auf Konsens gerichteten Instrumente und damit auch Komplexität zu reduzieren helfen. 169 Der Einsatz und Ausbau "indirekter" Steuerung wird vor dem Hintergrund der sozialen Auswirkungen komplexer Technologien und deren Realisation immer wichtiger. Die Gestaltung der Sozialfolgen ist zu einer Voraussetzung "vernünftiger" Technologiepolitik geworden. Rechtlich stellt die Berücksichtigung von Sozialverträglichkeitsbewertungen im wesentlichen eine Herausforderung fUr das Nichteingriffsrecht dar: Je weiter staatliche Techniksteuerung unter Sozialfolgenaspekten reicht, desto größer wird der Druck fUr den Staat, dies ohne Freiheitseingriffe zu tun. 170 Häufig kommt es dann auch zum einem Wechsel des Rechtsregime: Je weitreichender die sozialen Folgen einer Technik, desto weniger greift der Gestaltungsauftrag des Technikrechts. Die Steuerung des technischen Wandels durch Technikrecht ruft vielmehr typischerweise das Arbeits- und Sozialrecht auf den Plan. Unerwünschte Sozialfolgen werden nicht durch Technikrecht und die Gestaltung der Technik verhindert, sondern durch soziale Auffanglösungen und Abfederungen besonderer Härten. 171 Gerade die Debatte über die Belastungen durch die "Öko-Steuer" als Instrument des technischen Wandels macht dies überdeutlich. 172 Vgl. Franzius (FN 21), S. 239 ff. So Franzius, Bundesverfassungsgericht und indirekte Steuerung im Umweltrecht, AöR 126 (2001), (i. E.). 170 Vgl. Murswiek (FN 62), S. 224. 171 Zutreffend Murswiek (FN 62), S. 225. 172 Dazu Trzaskalik, Inwieweit ist die Verfolgung ökonomischer, ökologischer und anderer öffentlicher Zwecke durch Instrumente des Abgabenrechts zu empfehlen?, Gutachten E fiir den 63. Deutschen Juristentag, 2000; zur Debatte über die Ökosteuer Selmer/Brodersen, DVBI. 2000, 1153 ff. 168
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B. Begrenzung und Ermöglichung: Zwei Hauptfunktionen des Technikrechts
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c) Technikanwendungsregelungen Auch die mittelbaren Technikfolgen nimmt das öffentliche Technikrecht nur unvollkommen in den Blick. Risiken, die erst in der Anwendung der Technik sichtbar werden, fallen in den Verantwortungsbereich des Anwenders und werden mit anwendungsbezogenen Regelungen der Bewältigung zugeftlhrt. 173 Lükken der Techniksteuerung sind auch hier kein Verzicht auf rechtliche Steuerung. Werden die unmittelbaren- vorhersehbaren- Technikfolgen im wesentlichen durch das öffentliche Technikrecht und das Anlageneingriffsrecht erfaßt, die unerwünschten bzw. erwünschten Technikfolgen demgegenüber größtenteils der indirekten Steuerung und dem Nichteingriffsrecht überantwortet, so unterfallen die mittelbaren Technikfolgen - mögen sie auch große Auswirkungen haben - typischerweise privatrechtlicher Techniksteuerung. Dies schließt ein hohes Maß an gesellschaftlicher Selbstregulierung - auch als Grenze gegenüber einer staatlichen Instrumentalisierung- ein. 3. Katechantische Funktion des Technikrechts?
Ob die unbestrittene Begrenzungsfunktion des Technikrechts weitergehend auch in einer hinanhaltenden, die technische Entwicklung aufhaltenden oder sogar verhindernden Funktion gesehen werden kann, mag angesichts der Länge der Genehmigungs- und Gerichtsverfahren zwar naheliegen und faktisch etwas fiir sich haben. 174 Stabilisierung schafft Recht auch dadurch, daß es gegenüber neuen Entwicklungen eine gewisse Zurückhaltung übt und Zeit verstreichen läßt. Rechtlich wäre die Annahme einer "katechontischen" Funktion des Technikrechts aber verhängnisvoll. Problematisch ist auch die Unterwerfung neuer Entwicklungen unter einen staatlichen Genehmigungsvorbehalt. 175 Weder das Recht noch der Staat haben die Aufgabe, technische Entwicklungen um der Verhinderung willen zu verhindern. Abgesehen davon, daß für ein solches Ansinnen die Legitimation fehlt, würde die Aufgabe der Verhinderung von Technikentwicklungen den Gestaltungsanspruch des Rechts schmälern. Ob Entwicklungen der Technik durch bloßes Untätigsein des Staates wirklich aufgehalten werden können, kann schon bezweifelt werden. 176 Geschieht dies faktisch, weil Vgl. Murswiek (FN 62), S. 225 ff. Vgl. zur katechantischen Funktion des Verwaltungsrechts Schlink, VVDStRL 48 (1990), s. 235 (259 ff.). 175 Ablehnend Schmidt-Aßmann, VVDStRL 48 (1990), S. 275 f.; Battis, ebd., S. 308; Bullinger, ebd., S. 291 ; siehe auch ders. (FN 36), S. !58 f. 176 Zur Gentechnik und der staatlichen Handlungspflicht hinsichtlich der Schaffung gesetzlicher Grundlagen filr die Technik VGH Kassel, NJW 1990, 336 ff.- hierzu und den Möglichkeiten, die Einfiihrung neuer Techniken an deren gesetzliche Zulassung zu knüpfen: Kloepfer, FS fiir Lerche, 1993, S. 755 ff. 173
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2. Teil: Historische Funktionen des Technikrechts
keine Akzeptanz hergestellt und Konflikte keiner Befriedung zugeführt werden, mag sich eine bestimmte Technologie zwar von selbst erledigen. Dies als rechtliche "Funktion" zu unterstreichen, untergräbt jedoch den Autoritätsanspruch des Rechts. Dessen zuzugebene Steuerungsschwächen gegenüber der globalen Technikentwicklung sind in einem doppelten Sinne ernst zu nehmen. Einmal dahingehend, daß im herkömmlichen Vollzugsmodell nur begrenzte Steuerungswirkungen zu erzielen sind. Und ferner als Auftrag an das Technikrecht, den Rechtsgüterschutz durch Rückgewinn an Gestaltungsmacht zu verbessern. Dies kann und darf in der global vernetzten Technikentwicklung nicht einseitig in die Ausdehnung staatlicher Technikverantwortung münden, sondern muß die Entwicklung verantwortungsteilender Regelungsstrukturen aufgreifen und in der gerade auch filr die Techniksteuerung maßgeblichen Zivilgesellschaft private Technikregulierung ermöglichen. II. Technikermöglichung: Innovation und Implementierung
Dies leitet über zur Technikermöglichungsfunktion von Technikrecht Das Technikrecht hat auch die Aufgabe, Technikentwicklungen anzustoßen, abzusichern und gegebenenfalls durchzusetzen. 177 Schon der rechtliche Schutz von Technikentwicklungen, der Schutz geistigen Eigentums und der Geheimnisschutz sind zentrale Mechanismen der Technikermöglichung. Die rechtliche Gestaltung von Infrastrukturen - man denke nur an die Schaffung von Frequenzordnungen - macht die Technikanwendung vielfach überhaupt erst möglich. Und die Ausgestaltung rechtlicher Regelungen kann durchaus technikermöglichend erfolgen. Dies gilt filr bewußt technikneutrale Regelungen - wie etwa im Signaturgesetz - ebenso wie filr technikorientierte Regelungen etwa zur Befllhigung zum technischen Selbstschutz. Vorliegend sollen drei Aspekte dieser technikermöglichenden Funktion besonders hervorgehoben werden: I. Prospektiv gestaltender Chancenbezug
Daß Technikrecht nicht bloß einen reaktiv ordnenden Risikobezug, sondern auch einen prospektiv gestaltenden Chancenbezug hat, offenbart sich in zweierlei Weise. Zunächst ist an den Doppelauftrag des Verwaltungsrechts zu erinnern, neben seinem Rechtsschutzauftrag die Verwaltung in den Stand zu ver-
177 Vgl. bereits Kloepfer, Recht als Technikkontrolle und Technikermöglichung, in: Putlitz/Schade (Hrsg.), Grenzüberschreitungen, 1997, S. 31 ff.; ähnlich Roßnagel (FN 62), S. 361 ff.; hierzu jetzt auch Schmidt-Preuß, Technikermöglichung durch Recht, in: Kloepfer (Hrsg.), Kommunikation- Technik- Recht (ersch. demnächst).
B. Begrenzung und Ermöglichung: Zwei Hauptfunktionen des Technikrechts 101
setzen, ihre Aufgaben wahrzunehmen. 178 Für das Technikrecht bedeutet dieser "Bewirkungsauftrag" eine prospektive 179 Ausrichtung. Die Hervorhebung und Fokussierung auf die Bereitstellungsfunktion von Recht 180 mag als Erweiterung des Steuerungsansatzes von (Technik-)Recht verstanden werden können. Ähnlich verhält es sich mit der Bestimmung und Bewertung der Modifikationen des zunächst eher formalen - und subjektiv-rechtlichen - Freiheitsschutzes durch seine materielle Aufladung im Zuge des - objektiv-rechtlichen - Freiheitsvoraussetzungsschutzes. 181 Die Bedeutung von Recht hat filr die Steuerung von Technikentwicklungen nicht abgenommen, sondern eher zugenommen. Nicht nur, daß die Chancen von den Technik in das Blickfeld von Technikrecht geraten. Das Recht übernimmt die Aufgabe der Gestaltung von technischen Systemfunktionen. Die Technik selbst wird - wie ein Blick auf Regelungen im Telekommunikationsgesetz zeigt 182 - vermehrt zum Implementationsinstrument von · Recht. 183 Vor allem die wachsende Bedeutung der Kommunikationstechnik zeigt in aller Deutlichkeit die Doppelspurigkeit von Technikrecht Neue Technologien müssen in soziale Strukturen und Abläufe integriert werden. Die zunehmende Vernetzung wird durch Recht nicht bloß nachhinkend begleitet, sondern auch vorfeldsichernd gefördert. Recht wird zum konstitutiven Bestandteil systemharter Technikentfaltung: "Rechtsnormen, die Netzangebote und -inhalte, Nutzungs- und -abrechnungsformen regeln, sind integrale Bestandteile des neu entstehenden soziotechnischen Systems weltweiter Netze. Sie erst schaffen den notwendigen einheitlichen, klaren und verläßlichen Ordnungsrahmen filr neue Investitionen und Angebote." 184 Diese Funktion der Technikermöglichung ist freilich alles andere als neu. Schon das Telegrafenrecht des 19. Jahrhunderts läßt sich in weiten Teilen als technikermöglichend einordnen. 185 Neu ist allenfalls die Rückbesinnung auf diese dogmatisch nicht hinreichend bewältigte 178 Vgl. Schmidt-Aßmann, Grundrechtswirkungen im Verwaltungsrecht, FS fiir K. Redeker, 1993, S. 225 ff. (238); ders., DVBI. 1989, 533 ff. (535); siehe auch v. Danwitz, Verwaltungsrechtliches System und europäische Integration, 1996, S. 45 ff. 179 Zum Desiderat einer prospektiven Rechtswissenschaft Kloepfer, Planung und prospektive Rechtswissenschaft, FS ftlr Hoppe, 2000, S. 111 (115 ff.). 180 Schuppert, Verwaltungsrechtswissenschaft als Steuerungswissenschaft, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann/Schuppert (Hrsg.), Reform des Allgemeinen Verwaltungsrechts, 1993, S. 65 ff. 181 Hierzu Dolderer, Objektive Grundrechtsgehalte, 2000. 182 Siehe nur§§ 87 f. TKG. 183 Vgl. Trute, VVDStRL 57 (1998), S. 218 ff .(264); siehe auch Kloepfer, Geben moderne Technologien und die europäische Integration Anlaß, Notwendigkeit und Grenzen des Schutzes personenbezogener Informationen neu zu bestimmen?, Gutachten D zum 62. Deutschen Juristentag, 1998, D 99 ff. 184 Roßnagel (FN 62), S. 368. 185 Siehe unten, S. 162 ff.
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2. Teil: Historische Funktionen des Technikrechts
Funktion, deren Bedeutung parallel zum erneut zu beobachtenden Bedeutungszuwachs der Kommunikationstechniken steigt. Dem fundamentalen Wandel gesellschaftlicher Funktionsbedingungen kann das Recht in seiner Thematisierung als zentrales Steuerungsinstrument nicht indifferent gegenüberstehen. Eine weitgehende "Entstaatlichung" der offenen Netze ist zwar unabweisbar und partiell längst Wirklichkeit geworden, doch geht damit nicht zugleich eine umfassende "Entrechtlichung" einher. Vielmehr bleibt es eine Draufgabe des sich permanenten Änderungen ausgesetzten Rechts, spezifische Ordnungsvorstellungen fUr Netzregime zu entwickeln, Antworten auf die Geflihrdungslagen des Gemeinwesens- z. B. des Verlustes an Individualität - zu liefern und die angelegte nationale und zeitliche Entgrenzung der Netze jedenfalls teilweise abzufangen. Wie das Kommunikations- und Kommunikationstechnikrecht zeigt, ist das Recht fiir die Schaffung einer gerechten und zukunftsoffenen Informations- und Kommunikationsordnung in seiner kreativen, konstruktiven und vor allem prospektiven Funktion gefragt. Der Rekurs auf die ordnende und begrenzende Funktion ist unvermindert wichtig und aktuell, aber greift zu kurz, um Freiheit in der Informationsgesellschaft zur Entfaltung zu bringen. Wenn und weil Recht seine entwicklungsoffene Kraft entfalten und seine Ermöglichungspotentiale freisetzen kann, erweist sich Recht bzw. die Setzung von Recht nicht einseitig als Begrenzung einer vorausgesetzten Freiheit, sondern auch als Bedingung ihrer Ausübung. 186 Eine Fülle moderner kommunikationstechnikrechtlicher Regelungen konstituiert die rechtliche Ordnung fUr die Entfaltung von Kommunikationstechnologien. Wie einst das Telegrafenrecht kommt auch dem modernen Kommunikations- und Multimediarecht die Aufgabe zu, neue technische Entwicklungen sachgerecht aufzunehmen und zu verarbeiten. Techniken, die Rechts- und Zahlungssicherheit z. B. im Internet gewährleisten sollen, können nur dann rechtlich belastbare Willenserklärungen zum Einsatz bringen, wenn sie- wie z. B. die digitale Signatur - von der Rechtsordnung anerkannt werden. Ähnlich verhält es sich mit dem bundesrechtlichen Informations- und Kommunikationsdienstegesetz (luKDG), 187 aber auch dem Mediendienste-Staatsvertrag der Länder188 mit seinen datenschutzrechtlichen Vorschriften. An diesen Gesetzeswerken wird deutlich, daß das Recht die Technik nicht nur begrenzt, sondern sie durch normativen Unterbau erst ermöglicht, d. h. nicht nur risiko-, sondern mittelbar auch chancenbezogen vorgeht. 189 186 Kloepfor (FN 183), D 12. 187 Gesetz zur Regelung der Rahmenbedingungen ftlr Infonnations- und Kommunikationsdienste vom 22. Juli 1997, BGBI. I S. 1870. 188 Staatsvertrag über die Mediendienste, in Kraft getreten am l. August 1997, abgedruckt in: BeriGVBI. 1997, 360 ff. 189 Kloepfor (FN 183), D 38.
B. Begrenzung und Ermög1ichung: Zwei Hauptfunktionen des Technikrechts 103 2. Etablierung und Anpassung von Infrastrukturen Die technikermöglichende Funktion von Technikrecht reicht weit über die bloße Technikförderung - etwa durch das Atomgesetz 190 oder auch das Gentechnikgesetz191 - hinaus. Sicherlich: Schon das Maß gebotener Techniksteuerung und vor allem Technikumsteuerung durch Recht ist seit jeher umstritten. Der politischen - nur rudimentär durch Recht vorgeprägten - Gestaltungsfreiheit steht die Bindung des Gesetzgebers durch höherrangiges Recht gegenüber, der Autonomie des Rechtssystems sein Wirklichkeitsbezug. Daß das Recht gerade zur Schaffung und Etablierung von neuen Infrastrukturen unverzichtbar ist, zeigt - trotz aller Differenzen im einzelnen - das Telekommunikationsgesetz. Es bildet den insgesamt gelungenen Versuch, Infrastrukturen "von der Fortbildung durch eine Monopolinstanz auf eine Fortbildung im Wettbewerb" umzustellen. Wie schon zuvor im Bereich des Rundfunks kann der Privatisierungsvorgang nur durch begleitete Rechtsregeln gelingen. So umstritten Maß und Tiefe der Regulierung auch sein mögen, über die rechtliche Frequenzordnung und die Sicherung des Netzzugangs wird die Technikanwendung erst ermöglicht. Das Signaturgesetz ist schließlich der - auch auf der europäischen Ebene auf Widerhall gestoßene- Versuch, neue Infrastrukturen zur Schaffung von Vertrauen in den elektronischen Rechts- und Zahlungsverkehr zu konstituieren. Das Netz verlangt für seine Ausbreitung in sozialen Systemen nicht nur geeignete Organisationen und verbindliche Regelungen. Recht ist eine zentrale Realisierungsbedingung technischer Infrastrukturen. Technik und Recht sind durch Ungleichzeitigkeilen geprägt. Die neuen Kommunikationstechniken sind ein Beispiel für den rasanten Wandel der tatsächlichen Voraussetzungen, auf denen vielen Entscheidungen alten Rechts beruhen. Die erneut geplante- elektronische- Volkszählung 192 trifft auf gänzlich neue Voraussetzungen, die nicht mehr viel Gemeinsamkeiten zu den Verhältnissen zu Beginn der 80er Jahre aufweisen, in denen die letzte umstrittene Volkszählung stattfand, die zum bekannten Volkszählungsurteil des Bundesverfassungsgerichts 193 führte. Betrachtet man sich den Datenschutz, so ist es heute nicht mehr allein die staatliche, sondern die private Datenerhebung und -Verarbeitung, welche die Probleme des Datenschutzes ausmachen. Soll das Recht nicht in einen Modernitätsrückstand fallen, muß es sich schneller als bisher den Veränderungen im tatsächlichen Umfeld anpassen. Vielfach kann dabei das nationale Recht vom EG-Recht "lernen" und den eigenen Modemitätsrück190 Zum Stellenwert des Förderzwecks in § 1 Atomgesetz BVerwG, DVBL 1972, 678 ff. 191 Zu dessen Einordnung als techniksteuerndes Gesetz Lege, Zum Erfordernis und den Möglichkeiten rechtlicher Begleitung neuer Techniken, in: Kloepfer (FN 121 ). 192 Vgl. FAZ Nr. 237 v. 12. 10. 2000, S. 8. 193 BVerfGE 65, 1 ff.
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stand abzubauen helfen. Und denkbar ist auch, daß ehemals begrenzendes Recht solchen Änderungen unterworfen ist, die es zu technikermöglichenden Recht werden lassen. Vor Dramatisierungen der technischen, aber auch der hierdurch bedingten rechtlichen Veränderungen ist freilich zu warnen. Letztlich geht es um die normative Bewältigung eines Technikwandels, wie er auch sonst von der Politik-, Sozial- und Rechtsordnung zu bewältigen ist. Die Vergangenheit zeigt, daß dies - wenn auch unter Anpassungsschwierigkeiten - möglich ist. 194 Allerdings sollte man sich von einer allzu statisch-blockhaften, letztlich von der Wirklichkeit - trotz aller Probleme bei der Wirklichkeitswahmehmung195- losgelösten Betrachtung des Technikrechts verabschieden. 196 3. Einbindung in soziale Systeme: Neue Rechtstechniken Recht ist nicht wirklichkeitsblind und läßt sich auch nicht auf nachträgliche Ordnungsfunktion beschränken. Dies gilt in besonderem Maße ftlr das Technikrecht, das in seinem Gestaltungsbezug vor allem die Einbindung neuer Techniken in soziale Systeme bewerkstelligen muß. Denn anderenfalls, d. h. ohne rechtliche Regelung bleibt Technik ein Artefakt und wird nicht zu einem Techniksystem. Die Ermöglichungsfunktion von Technikrecht ist gefordert, wenn es darum geht, neue Technologien in bestehende soziale Strukturen und Abläufe einzubauen. Sie ist aber auch gefordert, wenn es darum geht, diese den neuen technischen Möglichkeiten entsprechend anzupassen (z. B. elektronische Wahl). Gerade im Bereich der neuen Kommunikations- und Informationstechnologien geht es schon lange nicht mehr nur um die alte - vor allem datenschutzrechtlich gefilhrte- Diskussion der Informationsabwehr, sondern auchund vielleicht sogar primär - um die Sicherung der Gewinnung und des Umgangs mit Informationen. Die Verfassung steht Informationsvorgängen jedenfalls nicht nur negativ-abwehrend, sondern auch positiv-grundrechtsermöglichend gegenüber. Die bisherige Ausrichtung des Datenschutzrechts auf den Individualschutz durch die subjektive Prägung des grundrechtlich fundierten informationeBen Selbstbestimmungsrechts verengt die tatsächlich zum Einsatz kommenden Steuerungsmöglichkeiten von Technikrecht beträchtlich. Dies gilt in mehrerlei Hinsicht: Zum einen bleibt die bislang dogmatisch nur unzureichend erfaßte Mehrpoligkeit der Rechtsverhältnisse unbeachtet, des weiteren können die 194 Vgl. Kloepfor (FN 183), D 66 f. 195 Zum Problem der Wirklichkeitswahrnehmung C. Möllers, VerwArch. 90 (1999), S. 187 ff.; siehe auch 0. Lepsius, Steuerungsdiskussion, Systemtheorie und Parlamentarismuskritik, 1999, S. 67 f. 196 In dieser Richtung :fur das Verwaltungsrecht auch Schmidt-Aßmann. Die Verwaltung 27 (1994), S. 137 ff.
C. Zusammenfassung
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Möglichkeiten zur Gestaltung der Technik, die gesellschaftliche Selbststeuerungsprozesse auslösen können und sollen, nur unzureichend genutzt werden. Schließlich bedeutet die weitgehend negative Konturierung des Freiheitsbereichs zugleich weitgehend den Verzicht auf dessen positive Ausgestaltung. Das alleinige Vertrauen auf Ge- und Verbote zum Schutze von individuellen und allgemeinen Interessen wird jedoch den in der Informationsgesellschaft herrschenden Funktionsbedingungen nicht gerecht. Helfen könnte die Schaffung einer Datenverkehrsordnung. 197 Die Technikrechtsordnung widmet sich zum einen dem rechtlichen Ordnungsgedanken bestimmter Technologien, wobei gerade der Sozialbezug der Technik zur Schaffung neuer Rechtstechniken fiihren kann. Denn die Einsicht, daß man Technik auch durch Technik bewältigen kann- und in Zukunft vermehrt wohl auch muß - macht sich das Recht zunutze, wenn es Elemente eines Systemdatenschutzes einftlhrt 198 oder die Technikgestaltung durch technischen Selbstschutz 199 fördert. Zum anderen ändern sich mit der verstärkten Nutzung von gesellschaftlichen Selbstregulierungspotentialen auch die staatlichen Rezeptionsanforderungen fllr die Übernahme privater Technikgestaltung.200 Dies reicht bis zu kreativen Leistungen wie der rechtspolitischen Forderung nach der Einfiihrung eines normersetzenden Vertrages. 201
C. Zusammenfassung So wichtig die Begrenzungsfunktion von Technikrecht auch sein mag: Sie spiegelt nur eine wichtige, aber nicht die allein maßgebliche Funktionsweise von Technikrecht wider. Tatsächlich muß von einer bisher nur wenig beachteten Ambivalenz des Technikrechts ausgegangen werden. Gerade die Geschichte des Bestandsschutzes - genauer: bestandschützender Regelungen - zeigt, wie einseitig die Sicht des Technikrechts als eingreifendes, risikosteuerndes Hemmnis der Technikentfaltung ist. Es ist eben immer - und typischerweise auch leistende Technikermöglichung durch rechtliche Normierung. Technik hat ohne Recht regelmäßig keine Chance. Von Regeln des Technikrechts sind nicht nur die Erfiillung der Funktionen der Gefahrenabwehr und der Risikominimierung zu leisten, sondern eben auch die Funktionen der Sicherung der Technikentfaltung einschließlich der Akzeptanzsicherung fiir die Technik. 197
Siehe Kloepfer (FN 183), D 92 f ; zum Projekt eines Informationsgesetzbuchs ders.,
K&R 1999,241 ff.
Vgl. Trute, VVDStRL 57 (1998), S. 264 ff.; siehe auch Kloepfer (FN 183), D 98 f. Zum staatlichen Schutz durch Eröffnung privaten Selbstschutzes Trute, ebd., S. 263 f; siehe auch Kloepfer, ebd., D 99 f. 200 Dies betrifft vor allem die Frage nach einer Normung der Normung, siehe dazu oben, S. 52 f. 201 § 36 f UGB-KomE. 198
199
106
2. Teil: Historische Funktionen des Technikrechts
Die Erkenntnis des ambivalenten Charakters von Technikrecht mit belastenden und begünstigenden, eingreifenden wie leistenden Aspekten führt zu erheblichen politischen und rechtlichen Konsequenzen, die nicht Gegenstand der vorliegenden Betrachtung sind. Es liegt auf der Hand, daß ein vom traditionellen Eingriffsmodell sich distanzierendes Technikrecht dem Gesetzgeber größere Gestaltungsfreiheit gibt, weil staatliche Leistungstätigkeit auf nicht so enge Rechtsgrenzen stößt wie staatliche Eingriffsaktivität Die erweiterte rechtliche Gestaltungsmöglichkeit und offenere Rechtsbindungen des Staates im Leistungsbereich kommen dem Technikrecht insgesamt zugute. So rechtfertigen sich die gerade im Technikrecht weit verbreiteten unbestimmten Rechtsbegriffe und Technikklauseln nicht nur aus dem Gedanken des dynamischen Grundrechtsschutzes, sondern eben auch aus der Erwägung, daß Technikrecht zu einem wesentlichen Teil auch staatliche Leistungstätigkeit darstellt. Die Geschichte des Technikrechts zeigt auch, daß seine Staatsgerichtetheit relativ neuen Ursprungs ist. Bei Lichte betrachtet, ist häufig nicht der Staat Gegner der Entwicklung und Entfaltung moderner Technik, sondern vielmehr der potentiell von der Technik betroffene Dritte, insbesondere Nachbarn (aber z. B. auch der mit alten Techniken arbeitende Wettbewerber). Letztlich handelt es sich um einen privaten Konflikt, der an sich auch mit privaten Mitteln einem interessenabwägenden Ausgleich zugeführt werden muß. Aufgrund ihrer grundrechtliehen Schutzansprüche wenden sich betroffene Dritte an den Staat, von dem sie nicht nur ein effektives Einschreiten erwarten, sondern vielfach auch fordern können. "Stellvertreterkriege" in Form von verwaltungsgerichtlichen Prozessen gegen den Staat sind die Folge. Von daher leistet das Recht in seiner friedensstiftenden Funktion einen ganz wesentlichen Beitrag zur Technikermöglichung, wenn es durch Präklusionsregelungen die Voraussetzungen von Technikentfaltung dadurch schafft, daß sie Dritteinwendungen dauerhaft rechtliche Relevanz abspricht. Der historisch gewachsene Doppelcharakter des Technikrechts hat schon immer Politik und Wirtschaft beeinflußt und ließ diese mal die eine, mal die andere Seite von Technikrecht hervorheben. Dies relativiert und korrigiert auch manche Fehleinschätzung der zuletzt besonders heftig geftihrten Standortdebatte. Die Vorstellung, je weniger Umwelt- und Technikrecht es gäbe, desto mehr Technikentfaltung sei möglich, erweist sich gerade in der historischen Betrachtung als schlicht falsch. 202 Die wechselseitigen Beeinflussungen, angefangen von der Einführung der Gewerbefreiheit zu Beginn des 19. Jahrhunderts- dem Aufbruch in die technikrechtliche Modeme - bis hin zur Privatisierungs- und Deregulierungswelle der letzten Jahre- schon als Rückfall in die Vormodeme gedeutet- zeigen, daß es nicht um die Beseitigung, sondern um die immer wieder von neuem zu suchende optimale - freilich auch Übernormierungen besei202
Siehe auch Kloepfor (FN 119), S. 2 ff.
C. Zusammenfassung
107
tigende - Gestaltung von Technikrecht geht. Auch die Geschichte des geteilten Deutschlands hat mit dem insgesamt unheilvollen Experiment der DDR eindringlich vor Augen geftlhrt, daß ohne eine freiheitlich wirksame Rechtsordnung mit einer entsprechenden normativen Infrastruktur ein effektives Wirtschaftswachstum- verbunden mit der Umsetzung moderner Technik und der Schonung der natürlichen Lebensgrundlagen - nicht zu realisieren ist. Insoweit gehört das Technik-, aber auch das Umweltrecht zu den unverzichtbaren Voraussetzungen der Entwicklung und Entfaltung von zeitgemäßer und umweltschonender Technik in demokratisch und rechtsstaatlich strukturierten Industriegesellschaften.
Dritter Teil
Telegrafenverkehr und Technikrecht: Wechselseitige Beeinflussungen Eine herausgehobene und spezielle Rolle in der Geschichte der Technikregulierung hat seit jeher die Kommunikationstechnik gespielt. Ausgangspunkt der Überlegungen zur wechselseitigen Beeinflussung von Recht und Kommunikationstechnik kann und soll daher schon die Entwicklung der Telegrafentechnik vom Ende des 18. Jahrhunderts an sein.
A. Ausgangsbedingungen -Entwicklung der Telegrafentechnik Den entscheidenden Meilenstein in der Entwicklung zur modernen Kommunikationstechnik stellt die Erfindung der elektrischen Telegrafie dar, die eine neue Dimension der Nachrichtenübermittlungstechnik eröffnete, mit ihrer Geschwindigkeit Zeit und Raum ihrer Bedeutung fUr die Kommunikation beraubte. Die Telegrafie schuf fur Politik und Wirtschaft völlig neue Möglichkeiten, sie machte große Länder wie die Vereinigten Staaten von Amerika sogar erst wirklich regierbar, 1 verursachte aber auch Bedenken in bezug auf die Freigabe der Technik filr die Allgemeinheit. Im weitesten Sinn "telegrafische", also unkörperliche Formen der Nachrichtenfernübermittlung hatte es zwar bereits seit dem Altertum gegeben. Beispiele fiir frühere Formen der unkörperlichen Nachrichtenübermittlung sind neben Rauchzeichen, Trommeln, Trompeten oder Signalfeuern beispielsweise auch akustische Formen der "Telegrafie" wie die persischen Rufposten des Königs Xerxes. 2 Auch in der Schiffahrt wurden schon frühzeitig, verstärkt vor allem seit dem Mittelalter, Flaggen- und Leucht- bzw. Laternenzeichen verwandt. 3
Vgl. Seidel, Verkehrsmittel Telegraph, 1980, S. 94. Allgemein zu frühen Formen unkörperlicher Nachrichtenübermittlung vgl. V Aschojf, ntz Bd. 30 (1977), 23 ff. 3 Köbe/e, Fernmeldewesen und Telematik in ihrer rechtlichen Wechselwirkung, 1991, S. 153. 1
2
A. Ausgangsbedingungen-Entwicklungen der Telegrafentechnik
109
I. Optische Telegrafie
Der eigentliche Begriff "Telegraphe" aber geht zurück auf die ursprünglich "Tachygraphe" genannte Entwicklung des Franzosen C/aude Chappe (17631805), ein Nachrichtenübermittlungssystem, das die letzte, praktisch eingesetzte Vorstufe der elektrischen Telegrafie darstellt. 4 Ab dem Jahr 1793 setzte sich der Begriff Teh~graphe filr die Erfindung Chappes durch, auch wenn die Bezeichnung eigentlich irreführt, da bei diesem Gerät überhaupt nichts "in die Ferne geschrieben" wurde. 5 Ihm kommt das Verdienst zu, die Entwicklung des modernen Nachrichtenwesens in Gang gesetzt zu haben. 6 Dieser "Urtelegraf" übermittelte Nachrichten- wie viele seiner Vorgängerauf optischem Wege und machte sich zur Überwindung großer Distanzen vor allem die Erfindung des Fernrohres zunutze. Ein an erhöhter Stelle (häufig auf Häusern) errichteter Mast, der am oberen Ende mit Querholmen und Armen, den sogenannten Indikatoren versehen war, die vom Fuß des Mastes mit Hilfe von Leinen in unterschiedliche Positionen zu verstellen waren, diente als "Sendestation". 7 Für die unterschiedlichen Positionen der Arme wurden Bedeutungen festgelegt. Diese Methode erlaubte die Darstellung von 196 verschiedenen Zeichen; 8 gut erkennbare und charakteristische Zeichen wurden den Buchstaben des Alphabets zugeordnet. 9 Durch Errichtung mehrerer solcher Stationen jeweils in Fernrohrsichtweite 10 konnten mit dieser Methode Nachrichten auch auf größere Distanzen mit erheblich verringertem Aufwand und in kurzer Zeit übermittelt werden, indem die jeweils nächste Station ihre Signaleinrichtungen genauso einstellte wie die vorherige und dies wiederum von der übernächsten Station wahrgenommen werden konnte etc. 11 Die Übermittlungsgeschwindigkeit war bei guter Sicht erstaunlich hoch. Unter idealen Verhältnissen brauchte ein Zeichen von Paris nach Strasbourg lediglich 5 Minuten und 52 Sekunden. 12 In Frankreich - wo die optische Telegrafie ihren Ursprung gehabt hatte und auch ihre größte Verbreitung erlangte- bestand ein ganzes Netz solcher "TeleV gl. W Ludewig, ZGHR 31 ( 1885), 63 (75). Allerdings war auch der Begriff Tachygraphe kaum treffender, denn mangels Aufzeichnung wurde ebensowenig etwas "schnell geschrieben". 6 V gl. Seidel (FN 1), S. 36. 7 W Ludewig, (FN 4), 63 (74) 8 Feyerabend, Der Telegraph von Gauß und Weber im Werden der elektrischen Telegraphie, 1933, S. 3. 9 Vgl. Seidel (FN 1), S. 39; Schellen, Der elektromagnetische Telegraph in den Hauptstadien seiner Entwicklung und in seiner gegenwärtigen Ausbildung und Anwendung, 1854, S. 5 ff. 10 Die Entfernung zwischen den einzelnen Stationen betrug etwa 10 bis 20 km, vgl. Schöttle, Der Telegraph in administrativer und finanzieller Hinsicht, 1883, S. 180. 11 Schöttle (FN 10), S. 180. 12 Seidel (FN 1), S. 39; Feyerabend, (FN 8), S. 3. 4
5
110
3. Teil: Telegrafenverkehr und Technikrecht
grafen" mit einer Gesamtstrecke von ca. 2500 km bereits zu Beginn des 19. Jahrhunderts. 13 Die optische Telegrafie setzte sich in Deutschland erst mit einiger Verzögerung durch. Es bestand offenbar im in viele Einzelstaaten aufgeteilten Deutschland anders als im großen, zentralistischen Frankreich nicht das gleichermaßen dringende Bedürfnis nach einer schnellen Kommunikationsmethode, man zögerte zunächst, die erforderlichen Investitionen vorzunehmen. Erst im Jahr 1832 wurde von Preußen die erste derartige Telegrafenlinie in einem deutschen Staat von Berlin über Köln nach Koblenz, an die preußische Westgrenze zu Frankreich unter der Leitung des Geheimen Postrats Kar! Philipp Heinrich Pistar (1788-1847) errichtet. 14 Bau und Betrieb dieser Telegrafenlinie oblagen dem Militär. 15 Optische Telegrafen wurden dann aber in Deutschland teilweise noch bis in die 70er Jahre des 19. Jahrhunderts genutzt. 16 Die optischen Telegrafenlinien waren ausschließlich der Beförderung militärischer, politischer und polizeilicher Depeschen vorbehalten. 17 Schon bei der Anordnung des Baus dieser Linie durch die allerhöchste Kabinettsordre Friedrich Wilhelms liJ wurde den zuständigen Ministerien freigestellt, die Linie eventuell flir private Depeschen, insbesondere zu Handelszwecken nutzen zu lassen, um die erheblichen Kosten zu dämpfen. 18 Eie solche Nutzung wurde jedoch nicht zugelassen. Neben den hohen Kosten hatte der optische Telegraf allerdings vor allem den Nachteil, daß er bei schlechter Sicht nur schwer und nachts überhaupt nicht genutzt werden konnte. 19 Es verwundert also nicht, daß weiterhin nach neuen, schnelleren Wegen der unkörperlichen Nachrichtenübermittlung gesucht wurde, wenngleich nicht alle deutschen und europäischen Staaten die Bedeutung
13 Hans Pieper, Kurz-Geschichte der Entwicklung des Telegraphenwesens im 19. Jahrhundert, 1984, S. 6; ein Netz von 5000 km gibt fiir das Jahr 1837 an: Bureau international des administrations telegraphique (Hrsg.), La legislation telegraphique, 1876, S. 339, Anmerkung 2. 14 Der optische Telegraph zwischen Berlin und Koblenz, in: ArchPT 1888, S. 225 (227); Beyrer, Die optische Telegraphie als Beginn der modernen Telekommunikation, in: Teuteberg/Neutsch (Hrsg.), Vom Flügeltelegraphen zum Internet, 1998, S. 14, 23. 15 Seidel (FN 1), S. 54. 16 Propyläen Technikgeschichte, S. 217; die genannte Linie Berlin-Koblenz allerdings nur auf einem Teilstück von Station Nr. 51, Köln, bis Station Nr. 61, Koblenz bis zum Jahr 1852, vgl. Seidel (FN 1), S. 55 sowie Beyrer (FN 14), S. 25; vgl. auch Feyerabend, An der Wiege des elektrischen Telegraphen, in: Abhandlungen des Deutschen Museums Bd. 5, 1933, s. 143 (149). 17 Köbele (FN 3), S. 154; Seidel (FN 1), S. 58. 18 Beyrer (FN 14), S. 23. 19 W Ludewig (FN 4), 74; Kilger, Die Entwicklung des Telegraphenrechts im 19. Jahrhundert mit besonderer Berücksichtigung der technischen Entwicklung, 1993, S. 6.
A. Ausgangsbedingungen-Entwicklungen der Telegrafentechnik
111
der sich im Laufe der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts entwickelnden neuen Techniken erkannten und entsprechend ilirderten. 20
II. Entwicklung der elektrischen Telegrafie Schon während der Blütezeit der optischen Telegrafie ebneten wesentliche Erkenntnisse der Physik den Weg der elektrischen Telegrafie. Hier ist vor allem die Voltasche Säule zu erwähnen, die es erstmals erlaubte, einen konstanten Strom zu erzeugen. Die auf Chappe folgende Stufe der technischen Entwikklung bildete unter Nutzung dieser Erkenntnis der Sömmeringsche Gastelegraf, den Samue/ Thomas von Sömmering (1755-1830) im Jahr 1809 entwickelte. Dessen Grundidee bestand darin, sich der Elektrolyse des Wassers zur Nachrichtenübermittlung zu bedienen/ 1 der sogenannte Gastelegraf war also die erste Telegrafeneinrichtung, die mit dem Mittel der Elektrizität arbeitete. Für die Nachrichtenübermittlung mit Hilfe der Sömmering-Technik war für jeden Buchstaben des Alphabets ein Draht mit einer am Empfangsort angeschlossenen Elektrode, die in ein Wasserglas ragte, vorgesehen. Die bei der Durchleitung von Elektrizität an den Elektroden entstehenden Gasmengen dienten zur Darstellung des jeweiligen der Elektrode zugeordneten Buchstabens. Allerdings kam diese Technik wegen des erforderlichen erheblichen Aufwandes, insbesondere wegen der hohen Anzahl zu verlegender Drähte, nicht über die Experimentierphase hinaus. 22 Außerdem bereitete es noch erhebliche Schwierigkeiten, die Drähte zu isolieren. 23 Dennoch stellte der Sömmering'sche Apparat einen e.ntscheidenden Schritt auf dem Weg zur Entwicklung der elektrischen Telegrafie dar. Erstmals fand die Nachrichtenübermittlung über ein Medium, nämlich den elektrischen Strom, statt durch eine direkte Aufnahme der Zeichen durch das menschliche Auge statt. 24
Carl Friedrich Gauß (1777-1855) und Wilhe/m Eduard Weber (1804-1891) errichteten 1833 den ersten praktisch eingesetzten elektromagnetischen TeleVgl. Seidel (FN 1), S. 87. Seidel (FN 1), S. 71. 22 Napoleon, dem der Sömmering' sche Apparat vorgeftihrt wurde, wird der spöttische Ausspruch "C'est une idee germanique" über den Gastelegrafen in Anbetracht eines so komplizierten Systems zugeschrieben, vgl. Seidel (FN 1), S. 71; Sömmering, Historische Notizen, S. 30; Feyerabend, (FN 8), S. 154. 23 Kilger (FN 19), S. 7; Sömmering .selbst dachte an eine Isolierung durch einen Schellack-Firnis-Überzug, die allerdings nicht geeignet war, vgl. Seidel (FN 1), S. 72. 24 Vgl. Kilger (FN 19), S. 9. Wie aber die Frage der Isolation noch lange problematisch ftir die Telegrafie war. Eine befriedigende Lösung gelang erst Siemens mit der Guttapercha-Isolierung. 20
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3. Teil: Telegrafenverkehr und Technikrecht
grafen, einen Nadeltelegrafen, zwischen der Sternwarte in Göttingen mit dem magnetischen Observatorium (1 km). Sie machten sich dabei die Erkenntnis @rsteds zunutze, daß eine Magnetnadel durch den elektrischen Strom abgelenkt wird. Die Ausschläge der Nadel nach links und rechts wurden zur Darstellung eines codierten Alphabets genutzt, daß eine Art Vorläufer des bekannten Morsealphabets darstellte. Auf diese Weise gelang es, die Zahl der benötigten Drähte auf zwei zu verringern, was eine praktische Anwendbarkeit der Telegrafie näher rückte. Gauß erkannte durchaus die Bedeutung der neuen Technik und hatte auch bereits die Vision eines weltweiten Nachrichtensystems. 25 Jedoch war das allgemeine Interesse an der Erprobung und Einführung der neuen Technik zu dieser Zeit noch zu gering, mangels finanzieller Unterstützung stellten die beiden Forscher ihre Arbeit an der Telegrafie ein. Carl August Steinheil (1801-1870) errichtete- auf die Erkenntnisse Gauß' und Webers aufbauend- im Jahr 1837 eine Telegrafenanlage zwischen München und der Sternwarte Bogenhausen (5 km). Die Anlage Steinheils war im Grunde die erste, die den Namen "Telegraph" zutreffend führte, denn bei ihr wurde die Nachricht tatsächlich schriftlich aufgezeichnet, es handelte sich um einen wirklichen Fernschreiber. Er hatte zwar das Prinzip des Nadeltelegrafen Gauß' und Webers aufgegriffen, jedoch die Nadehl zusätzlich mit einem Schreibstift versehen, die eine Aufzeichnung der telegrafischen Nachrichten ermöglichte. Steinheil hatte eine zweireihige Punktschrift entwickelt, die es möglich machte, mit den beiden Schreibstiften seiner Anlage das komplette Alphabet darzustellen und immerhin 50 Buchstaben pro Minute zu übermitteln. 26 Es gelang Steinheil ebenfalls, die Anzahl der benötigten Drähte auf einen zu reduzieren, indem er die Erde als Rückleiter verwandte. 27 Aber auch er scheiterte mit dem Vorhaben, den Telegrafen als Verkehrsmittel zu etablieren, an der Finanzierung; das Interesse an einem schnellen Kommunikationsmittel war in Deutschland noch nicht ausreichend vorhanden. Die beiden Engländer William Fothergill Cooke (1806-1879) und Charles Wheatstone (1802-1875) erkannten die überragende Bedeutung der Telegrafie ft1r das Eisenbahnwesen. Sie errichteten in England die ersten praktisch eingesetzten elektrischen Telegrafenlinien entlang der Eisenbahnlinien. Cooke hatte die Vorfiihrung eines Nadeltelegrafen im Jahr 1836 an der Universität Heidelberg erlebt. Er war von dieser Technik so begeistert, daß er beschloß, die praktische Anwendung der Telegrafie in England zu forcieren, statt sich weiter mit seinem Anatomiestudium zu befassen. Er verfolgte dabei vor allem kommerVgl. die bei Seidel (FN 1), S. 76 f. zitierten brieflichen Äußerungen. Pieper, Carl August von Steinbeil, der vergessene Begründer der wissenschaftlichen Nachrichtentechnik, in: Technikgeschichte 37 (1970), 323 (345); Kilger (FN 19), S. 18. 27 Vgl. Knies, Der Telegraph als Verkehrsmittel, 1857, S. 25. 25
26
A. Ausgangsbedingungen - Entwicklungen der Telegrafentechnik
113
zieHe Interessen, während sein späterer Partner Wheatstone, Professor der Experimentalphysik am King's College, vor allem wissenschaftlichen Ruhm durch die Zusammenarbeit mit Cooke zu erwerben hoffte. 28 Cooke hatte mit sicherem Instinkt - er hatte keinerlei elektrotechnische oder physikalische Vorbildung29 - erkannt, welche Bedeutung der Telegraf für die Eisenbahnen haben konnte und verfolgte mit Nachdruck die Absicht, entlang der englischen durchweg privaten- Eisenbahnlinien Telegrafenlinien zu errichten. So kam es entlang der London und Birmingham Railway auf einem Teilstück30 zu einer ersten Versuchstrecke von Cooke und Wheatstone. Allerdings wurde die Strecke trotz zwischenzeitlicher Erweiterung nicht bis Liverpool ausgebaut, wie ursprünglich geplant; die Direktion des Bahnunternehmens verweigerte die Genehmigung. 31 Cooke wandte sich daher an die Great Western Railway, die sein Vorhaben sofort unterstützte und dem zunächst als FünfNadel-Telegrafen, später als Ein-Nadel-Telegrafen konstruierten Telegrafen von Cooke und Wheatstone zum praktischen Durchbruch in England verhalf. 32 Während man sich in Deutschland noch darauf beschränkte, technische Perfektionen der Telegrafie zu entwickeln oder einzelne Versuchsstrecken einzurichten, hatte damit der Telegraf in England-seinen Siegeszug als das vorerst praktisch bedeutsamste Kommunikationsmedium begonnen. Für das große Land der Vereinigten Staaten von Amerika hatte der Telegraf eine besondere Bedeutung. Die Telegrafie ermöglichte ein einheitliches Kommando über die Streitkräfte ebenso wie die Herausbildung einer einheitlichen Preisgestaltung auf dem Viehmarkt, machte Washington erst wirklich zur Hauptstadt des großen Landes. 33 Samue/ Morse ( 1791-1872) nutzte dort in den 30er Jahren erstmals den Elektromagneten zur Telegrafie, was es ihm erlaubte, unterschiedlich lange Impulse zu erzeugen und so das bekannte Morsealphabet zu entwickeln und darzustellen. Auch Marses Telegraf zeichnete die Signale auf einem Papierstreifen auf. Zusätzlich wurden sie akustisch wahrgenommen. Allerdings hatte Morse mit dem Morsetaster weitaus mehr Erfolg als Steinheil mit seiner Erfindung. Dies lag zum einen sicher daran, daß die Telegrafie zwischenzeitlich zu einem Verkehrsmittel geworden war und sich anschickte, zum massenhaft verbreiteten und genutzten Kommunikationsmittel zu avancieren, 28 Seidel(FN 1), S. 91. 29
Vgl. Kifger (FN 19), S. 20; Seidel (FN I), S. 90 f.
30 Zwischen Euston und Camden Town, vgl. Buresch, Einiges über den Verkehr und
die Betriebs-Einrichtungen der London-Binningham-Eisenbahn, in: Allgemeine Bauzeitung 14 (1849), 299-319. 31 Seidel (FN l ), S. 92. 32 Aschoff, Die elektrische Nachrichtentechnik im 19. Jahrhundert, in: Treue, Wilhelm (Hrsg.) Naturwissenschaft, Technik und Wirtschaft im 19. Jahrhundert, 1976, S. 522 (536 f.). 33 Seidel (FN l ), S. 94. 8 Kloep(er
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3. Teil: Telegrafenverkehr und Technikrecht
zum anderen daran, daß die Technik Marses wesentlich einfacher war als der Prototyp Steinheils. Der Morsesche Telegraf entwickelte sich später wegen seiner Einfachheit und Geschwindigkeit der Übertragung im Deutsch-Österreichischen Telegrafenverein zum technischen Standard.34 Eine noch höhere Entwicktungsstufe stellte der 1854 gebaute Telegrafenapparat von Edward David Hughes (1831-1900) dar. Hierbei handelte es sich um einen der sogenannten Typendruckte1egrafen, die sich durch bestechende Einfachheit der Bedienung auszeichneten. Am Absendeort wurden die Buchstaben der zu übennittelnden Nachricht im Klartext über eine Tastatur eingegeben, was dazu fiihrte, daß am Empfangsort ebenso im Klartext über eine Typenradkonstruktion ein Ausdruck der Botschaft erfolgte. Auch in der Geschwindigkeit der Übertragung war der Hughes-Apparat den zur Zeit seiner Entwicklung existierenden Telegrafen deutlich überlegen. 111. Ausbreitung der Telegrafie Nach diesen technischen Perfektionierungen des Systems Telegraf, noch lange vor der Einfiihrung des Telefons, begann die neue Technik, sich sowohl in Europa als auch in Nordamerika auszubreiten, wobei die gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und vor allem rechtlichen Bedingungen, unter denen die Ausbreitung erfolgte, teilweise.s ehr verschiedene waren, wie aber die Gründe fiir den Erfolg der Telegrafie weitgehend übereinstimmten. Vor allem die seit den 30er Jahren sich ungeheuer schnell verbreitende Eisenbahn war in besonderem Maße auf die Entwicklung der Kommunikationstechnik angewiesen; insbesondere nachdem man begann, Bahnkreuzungen einzurichten und die Frequenz der eingesetzten Züge zu erhöhen, wurde ein Kommunikationsmittel erforderlich, das schneller war als die Bahn selbst, um die Sicherheit des sich rasant verbreitenden Verkehrsmittels Eisenbahn zu gewährleisten. 35 Auffällig ist, daß die deutschen Staaten, in denen ja immerhin z. B. mit Gauß, Weber und Steinheil einige der Pioniere der elektrischen Telegrafie wirkten, zunächst nicht die Bedeutung und den Nutzen der Telegrafie in vollem Umfang erkannten.36 So nahm die praktische Ausbreitung der elektrischen Telegrafie denn auch in anderen Ländern ihren Ursprung, eine mögliche Vorreiterrolle in der Nutzung der neuen Technik wurde von den deutschen Staaten
34 Durch den ersten Änderungsvertrag zum Gründungsvertrag des DÖTV vom 14.10.1851. 35 Pieper, Der Eisenbahn-Telegraph als Sicherungsmaßnahme des Eisenbahnverkehrs, in: Beiträge zur Geschichte des Telegraphenwesens (Nachdrucke), 1984, S. 152 ff. 36 Seidel (FN 1), S. 87.
A. Ausgangsbedingungen-Entwicklungen der Telegrafentechnik
115
versäumt, 37 allerdings lief die Entwicklung auch in anderen Ländern zum Teil nur schleppend an, z. B. in Frankreich, wo man noch lange Zeit, nachdem die elektrische Telegrafie praktisch nutzbar geworden war, auf die optische Telegrafie setzte. 38 Als Vorreiter in der Verbreitung der neuen Technik in Europa stellte sich folglich England heraus, wo aufgrund privater Initiative elektrische Telegrafenanlagen ebenfalls vor allem entlang der Eisenbahnen entstanden. 39 Der Grund für die unterschiedliche Entwicklung liegt wohl darin, daß die Entwicklung ·neuer Techniken zwar von den notwendigen technologischen Voraussetzungen und neuen naturwissenschaftlichen Erkenntnissen abhängig ist, technische Entwicklungen sich in der Praxis aber erst durchsetzen, wenn ein echter Bedarf vorliegt, der das Risiko öffentlicher oder privater Investitionen rechtfertigt. 40 Dieser Bedarf, der als politischer und militärischer Bedarf schon die Verbreitung der optischen Telegrafen in Frankreich während der napoleonischen Zeit begünstigt hatte, während ihre Einführung in den deutschen Staaten noch einige Zeit auf sich warten ließ, trat nun weniger im militärischen oder politischen Rahmen, sondern vor allem im Zusammenhang mit anderen Formen der Technik auf, für deren Betrieb und Sicherheit das Kommunikationsmittel Telegraf von Bedeutung werden sollte. So entstand die erste elektrische Telegrafenlinie in Deutschland entlang eines Steilstücks der Eisenbahnlinie von Aachen nach Ronheide auf der sogenannten "geneigten Ebene". Bei dieser Telegrafenanlage wird besonders deutlich, wie andere technische Entwicklungen, insbesondere die Eisenbahn mit der Verbreitung des Telegrafen von Beginn an eng verbunden waren: Auf der geneigten Ebene war es nicht möglich, die Züge mittels Lokomotiven aufwärts zu bewegen, sie wurden an Seilen gezogen. Um für dieses System eine gewisse Betriebssicherheit zu gewährleisten, war die telegrafische Verbindung des Personals am Fuß der Steilstrecke mit dem Maschinisten an der Zugmaschine erforderlich. In England, das zur Zeit der ersten elektrischen Telegrafen einen deutlich höheren Industrialisierungsgrad aufwies, war dieser Bedarf wesentlich ausgeprägter als auf dem noch weniger von der Industrialisierung erfaßten europäischen Festland. Eisenbahn und Telegrafie waren dauerhaft eng miteinander verbunden. Insbesondere kam es zu gegenseitigen Netzverstärkungen auf der einen Seite 37 Steinheil beispielsweise wechselte schließlich nach Österreich und später in die Schweiz, weil ihm die erforderlichen Mittel zur Etablierung der elektrischen Telegrafie in Bayern nicht zur VerfUgung gestellt wurden, vgl. Pieper, Aus der Geschichte der Nachrichtentechnik von der Antike bis zur Gegenwart, in: Henning (Hrsg.), Die Telegraphenstation Köln Flittard- Eine kleine Geschichte der Nachrichtentechnik, 1973, S. 21 , 55 f. 38 Vgl. Knies (FN 27), S. 117 f. 39 s. die obigen Ausfiihrungen zu Cooke und Wheatstone. 40 So auch Aschoff, Archiv fiir deutsche Postgeschichte 1979, 66 (77).
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3. Teil: Telegrafenverkehr und Technikrecht
durch die Steigerung der Effektivität der Eisenbahnlinien, da durch die Telegrafie die Linien besser und gefahrloser ausgenutzt werden konnten, 41 andererseits profitierte auch das Verkehrsmittel Telegrafie von der Eisenbahn, denn die Bahnlinien ließen die Anlage von parallelen Telegrafenlinien ohne aufwendige Grunderwerbs- oder Enteignungsverfahren zu. 42 Die Eisenbahnlinien blieben zwar in zeitlicher Hinsicht - da auch mit größerem Aufwand verbunden - das erste bedeutende Netz des 19. Jahrhunderts43 , entwickelten sich aber zusammen mit der Telegrafie zu einem sich verstärkenden und in sich von den einzelnen Netzelementen gegenseitig abhängigen Mega-Netz. Erheblichen Schub erhielt die Ausbreitung der Telegrafie im bzw. durch den preußischen Staat durch die politischen Ereignisse im Jahr 1848. Am 24. Juli 1848 wurde beschlossen, neben einer Linie von Berlin nach Köln auch eine von Berlin nach Frankfurt zu errichten, um möglichst schnell über den Gang der Verhandlungen in der Paulskirche informiert zu sein. Der Bau dieser Linie wurde mit großer Eile betrieben; sie sollte bis zum Ende des Jahres 1848 fertiggestellt sein, was von Werner von Siemens, der mit der technischen Leitung des Linienbaus betraut war, fiir illusorisch gehalten wurde; 44 tatsächlich konnte die Linie im Februar 1849 in Betrieb genommen werden. Allerdings machten sich schnell technische Mängel an der Linienausfilhrung bemerkbar: Man hatte die Leitungen wegen der Beftlrchtung von Beschädigungen oberirdischer Leitungen durch "umstürzlerische Kräfte" durchgängig unterirdisch verlegt. Für diese Technik war jedoch die zu der Zeit praktizierte Isolierung der Drähte mit Guttapercha nicht ausreichend. 45 Ein - von Siemens angeregter - zusätzlicher Schutz der Leitungen durch Eisendrähte bzw. Eisen- oder Tonröhren wurde aus Kostengründen abgelehnt. Dennoch wurde Siemens selbst später ftlr die Mangelhaftigkejt der Leitung verantwortlich gemacht, es kam zum Bruch Preußens mit Siemens, der aus dem Armeedienst ausschied, um sich ausschließlich um seine Firma zu kümmern. Jedoch weigerte man sich von Seiten des preußischen Staates noch über Jahre, mit Siemens bzw. der Firma Siemens & Halske zusammenzuarbeiten, ihre Prototypen wurden sogar teilweise anderen Herstellern zum Nachbau übergeben. Weitere Erfahrung dieser ersten Linien größeren UmVgl. Pieper, (FN 35), S. 152 ff. Vgl. Scherner, Die Ausgestaltung des Telegraphenrechts seit dem 19. Jahrhundert, in: Teuteberg/Neutsch (Hrsg. ), Vom Flügeltelegraphen zum Internet, 1998, S. 132, 139; s. auch die Nähe der Netze bei den ersten Telegrafenlinien Englands oben S. 112 f. 43 Sofern man einmal vom Postwesen als einem Netzwerk, dessen Infrastruktur in technischer Hinsicht nicht sehr anspruchsvoll ist, absieht. 44 Vgl. Seidel (FN 1), S. 130 f. 45 Zusätzlich kam erschwerend hinzu, daß man die Guttapercha wegen guter Erfahrungen bei der Gummiverarbeitung mit Schwefel gemischt hatte, um ihre Haltbarkeit zu erhöhen, der Schwefel in Verbindung mit dem Kupfer der Leitungen reagierte und das Isolationsmaterial angriff, Feyerabend, (FN 8), S. 139. 41
42
B. Administrative Organisation
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fangs war, daß man zukünftig Leitungen zunächst nur noch oberirdisch46 verlegte.47
B. Administrative Organisation I. Zuständigkeiten in der deutschen Verwaltung Das optische Telegrafenwesen Preußens lag in den Händen des Kriegsministeriums.48 Demzufolge lag es auch nahe, daß die ersten Etablierungsversuche der elektrischen Telegrafie ebenfalls über das Kriegsministerium unternommen wurden. Diese Versuche scheiterten aber häufig an der mangelnden Bereitschaft des Ministeriums zur Bereitstellung entsprechender finanzieller Mittel. Offenbar gab man sich von Militärseite aus vorläufig noch mit der optischen Telegrafie zufrieden. 49 Zwar gab es verschiedene Anläufe, insbesondere von Generalmajor Franz August O'Etzel, des Direktors der optischen Telegrafie in Preußen, zur Realisierung einzelner Linien die Unterstützung des Kriegsministeriums, zwischenzeitlich auch des Innen bzw. Polizeiministeriums zu erlangen, 50 doch scheiterte die Realisierung der Anlagen lange Zeit mittelbar am ausgeprägten Sicherheitsbedürfnis des preußischen Staates. Man wollte nämlich von Anfang an die Leitungen unterirdisch verlegen, was neben der Störungsanfiilligkeit wegen der noch mangelhaften Isolationstechnik insbesondere den Nachteil hatte, daß hierftir ein mehrfaches der filr oberirdische Verlegung erforderlichen Geldmittel benötigt .wurde. Diese wurden lange Zeit nicht in ausreichendem Maße zur Verfugung gestellt, da man vorzog, weitergehende Erfahrungen mit der neuen Technik abzuwarten statt größere Fehlinvestitionen zu tätigen, so daß auch vereinzelte Anläufe zur Errichtung von Versuchsstrecken wieder eingestellt wurden.51 46 Außer in Städten und durch Flüsse. 47 Nottebohm, Beschreibung einiger Einrichtungen auf den preußischen Telegraphenli-
nien, in: ZDÖTV 2 (1855), 60 f. 48 s. oben, S. 110 49 Vgl. Seidel (FN 1), S. 114 f. 50 Hier propagierte 0 'Etzel den elektrischen Telegrafen als notwendige Ergänzung zur Eisenbahn, die es Kriminellen ermögliche, in kürzester Zeit den Aufenthaltsort zu wechseln; nur mit Hilfe des Telegrafen sei es den Behörden möglich, diesen Nachteil zu kompensieren, 0 'Etzel, Denkschrift über Telegrafen bei den Eisenbahnen als polizeiliches Sicherheitsmittel, abgedr. in: Feyerabend, (FN 8), S. 189 ff., die Errichtung von Telegrafen wurde aber auch hier aus Kostengründen abgelehnt. 51 Einer der Versuche scheiterte allerdings auch an der Skepsis 0 'Etzels selbst, der aufgrund negativer Erfahrungen Wheatstones an der Geeignetheit oberirdischer Leitungen zweifelte; die Kosten fiir unterirdische Verlegung waren wiederum der Regierung zu hoch.
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3 Teil: Telegrafenverkehr und Technikrecht
Die ersten praktisch relevanten Linien wurden dann allerdings unter der Regie des Handelsministeriums angelegt, dem die Telegrafie ab dem 9. Februar 1849 zugeordnet worden war. Die organisatorische Trennung beendete jedoch keineswegs den enormen Einfluß des Militärs auf die Telegrafie, zumal mit dem Nachfolger von Etzels 52, der aus gesundheitlichen Gründen im Jahr 1848 den Dienst quittiert hatte, 53 dem Oberst und Brigadier du Vtgnau nach wie vor ein Offizier an der Spitze der Telegrafenverwaltung blieb. Allerdings war die Führungsstrruktur der Behörde verändert worden, neben dem Vorsitzenden des Direktoriums du Vignau gab es noch zwei weitere Telegrafendirektoren, unter anderem den Baurat Nottebohm, die beide ihre Fachbereiche54 in eigener Verantwortung leiteten. Mit dieser kollegialen Struktur gab sich du Vignau nicht zufrieden und beanspruchte die alleinige Leitung des Telegrafenwesens. Mit dieser Forderung konnte er sich noch im Laufe des Jahres 1849 durchsetzen, Nottebohm allerdings, der im Direktorium filr die technische Seite des Linienbaus verantwortlich gewesen war, blieb für den Telegrafenbau zuständig, jedoch führte er diesen in eigener, privater Verantwortung weiter, die fertiggestellten Linien wurden der Telegrafendirektion förmlich übergeben. Innerhalb des Handelsministeriums war die Telegrafendirektion der GeneralPostdirektion unterstellt. Auch dieser Umstand wurde von Militärseite ungern gesehen, weil sich der Direktor der Telegrafenverwaltung - wie erwähnt ein hoher Offizier - in der Amtsstellung eines Oberpostdirektors befand, was als seinem militärischen Rang nicht angemessen angesehen wurde. 55 So gab es immer wieder Streitigkeiten zwischen dem Kriegsministerium, das aus strategischen Gründen einen Anspruch auf erhebliche Mitbestimmung im Telegrafenwesen zu haben glaubte, und dem Handelsministerium, das dte Leitung der Telegrafie lieber kompetenten Zivilisten (nämlich beispielsweise Nottebohm) übertragen wollte. 56 Die Entstehung des Norddeutschen Bundes im Jahr 1866 brachte auch den Aufbau einer zentralen Telegrafenverwaltung des Bundes mit sich. Diese war jedoch keinem der beiden zuvor mit der Telegrafie befaßten Ministerien zugeordnet, sondern unterstand - wie die Postverwaltung auch - unmittelbar dem Möglicherweise allerdings hätten durch die Realisierung dieser - kurzen - Strecke Erfahrungen gesammelt werden können, die die späteren erheblichen Verluste beim Bau der Linien im Jahr 1849 hätten vermeiden können. Vgl. auch HA. Wesset, Der Einfluß des Militärs in der staatlichen Telegraphie, in: Archiv fiir deutsche Postgeschichte 1979, 86 (89). 52 Seit 1846 durfte 0 'Etzet sich von Etzet nennen, vgl. Wesset (FN S 1), S. 97, Anm. 41. 53 Wesset (FN S1), S. 90. 54 Nottebohm war fiir den technischen Teil, also Bau und Unterhaltung der Linien zuständig, der dritte Direktor, Postinspektor Gottbrecht, fiir die Verwaltung, vgl. Wesset (FN 51), S. 91 55 Wesset (FN S 1), S. 91 56 Wesset (FN S1), S. 92.
B. Administrative Organisation
119
Bundeskanzleramt. 57 Die damit einhergehende Trennung von Post und Telegrafie wirkte sich auf die finanzielle Situation des Telegrafenwesens nachteilig aus, die Ausgaben überstiegen schon bald58 die Einnahmen erheblich. Die Reichsgründung 1871 brachte ftlr die Organisation des Telegrafenwesens keine wesentlichen Veränderungen. In der Folge gelang Generalpostmeister Heinrich von Stephan aufgrund besonderer Umstände im Jahr 1876 die Zusammenftlhrung der Post- und Telegrafenverwaltung zur Reichs-Post- und Telegrafenverwaltung (RPTV). Dies wurde vor allem durch den plötzlichen Tod des Leiters der Telegrafenverwaltung Generalmajor von Meydam im Jahr 1875 begünstigt. Die erneute Zusammenftlhrung von Post- und Telegrafenwesen in der RPTV ließ die finanzielle Situation des seit einiger Zeit Verluste erwirtschaftenden Telegrafenbereiches wieder deutlich entspannter erscheinen, man schrieb gemeinsam mit der Post wieder schwarze Zahlen. 59 Durch Erlaß vom 23. Februar 1880 wurde die RPTV schließlich zum Reichspostamt und damit in den Rang einer klassischen Verwaltung erhoben. 60
II. Internationale Dimensionen des Telegrafenwesens: Vom Deutsch-Österreichischen Telegrafenverein zur Union Internationale des Telecornrnunications Die Telegrafie ist ihrem Wesen nach nicht an Raum und Zeit, noch grundsätzlich an Staatsgrenzen gebunden, sie strebte schon früh nach internationaler, sogar weltweiter Ausbreitung. Dies ftlhrte im zersplitterten Deutschland Mitte des 19. Jahrhunderts schnell dazu, daß aufgrund uneinheitlicher technischer Standards in den Einzelstaaten und unklarer Kooperationsverhältnisse zwischen den einzelnen Telegrafenverwaltungen durch die Kommunikationstechnik ein Druck auf eine politische Einigung über den internationalen Telegrafenverkehr ausging. An herausragender Stelle ist als Folge dieses Drucks die Gründung des Deutsch-Österreichischen-Telegrafen-Vereins in Dresden im Jahr 1850 zu nennen. Gründungsmitglieder des Vereins waren Preußen, Sachsen und Österreich. Der Beitritt stand nach dem Gründungsvertrag jedoch sämtlichen deutschen Staaten offen (Art. 41 des Vertrages). Diese Möglichkeit wurde bis 1866 auch von Württemberg, Hannover, den Niederlanden, Mecklenburg-Schwerin, Ba-
Wessei (FN 51), S. 94. Nämlich ab 1868, s. Gegenüberstellung von Einnahmen und Ausgaben bei Schöttle (FN 10), S. 323. 59 Köbe/e (FN 3), S. 161. 60 A. Eidenmüller, Post und Politik, 1985, S. 21; Köbe/e (FN 3), S. 160. 57 58
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3. Teil: Telegrafenverkehr und Technikrecht
den und Nassau61 wahrgenommen.62 Allerdings schloß der DÖTV die beiden privaten Telegrafenlinien der Hansestädte Harnburg und Bremen63 aus, wodurch diese in eine gewisse Isolation gedrängt wurden und auch in finanzielle Nöte gerieten.64 Vorausgegangen waren dem Gründungsvertrag bilaterale Verträge, z. B. zwischen Preußen und Österreich (3. Oktober 1849), Preußen und Sachsen ( 17. Oktober 1849), sowie Österreich und Bayern (21. Januar 1850). Nach dem Gründungsvertrag wurde ausschließlich der zwischenstaatliche Telegrafenverkehr geregelt, so daß es den Mitgliedern weiterhin freistand, ihren innerstaatlichen Verkehr eigenen Regelungen zu unterwerfen. Auch konnten ursprünglich die Mitglieder beliebige technische Standards fiir die Telegrafie einsetzen. 65 Schnell allerdings wurde erkannt, daß die Freigabe der technischen Standards erhebliche Schwierigkeiten und Verzögerungen in der Telegrafie über Landesgrenzen hinweg mit sich brachte, regelmäßig mußte bei der Übermittlung über Landesgrenzen hinweg jede einzelne Nachricht umtelegrafiert werden. 66 Ein Durchtelegrafieren von Nachrichten war trotz der Vereinskooperation nur in Ausnahmefallen möglich. Folgerichtig wurde in einem ersten Nachtragsvertrag am 14. Oktober 1851 ein gemeinsamer technischer Standard eingeführt. Wegen der Bedienungsfreundlichkeit und geringen Störanflilligkeit entschied man sich dafiir, den Morse-Telegrafen zumindest auf den grenzüberschreitenden Linien ausschließlich einzusetzen.67 Auch das "Morsealphabet" wurde, allerdings in der durch Gerke68 erheblich vereinfachten Form, zum Standard im DÖTV. Durch die geographische Lage Deutschlands als Haupttransitland in Kontinentaleuropa bildete der vereinheitlichte technische Standard des Vereins auch bald die im übrigen über die Grenzen der Mitgliedstaaten hinausgehende
61 Allerdings blieb Nassau nur filr einige Wochen selbständiges Mitglied des DÖTV, da es bald daraufvon Preußen annektiert wurde, vgl. Schöttle (FN 10), S. 162. 62 Kifger (FN 19), S. 115. 63 Seidel (FN 1), S. 159. 64 Seidel (FN 1), S. 159. 65 Art. 3 des Gründungsvertrages bestimmte: "Jeder Regierung bleibt die Wahl beliebiger Systeme von Leitungen und Apparaten filr ihre Telegraphenlinien vorbehalten( ...)". 66 Schöttle (FN I 0), S. 164; Seidel (FN I), S. 156; Kifger (FN 19), S. 115. 67 So in Art. 2 des Ersten Nachtrags-Vertrag zu dem die Bildung eines Deutsch-Österreichischen Telegraphen-Vereins betreffenden Hauptvertrage vom 14. Oktober 1851, abgedruckt in: ZDÖTV l (1854), 14. Die Einigung auf den Morseschreiber war vor allem das Verdienst Steinheils, der von der Österreichischen Regierung mit der Begutachtung der verschiedenen existierenden Telegrafensysteme beauftragt worden war. 68 Gerire war Angestellter der privaten Telegrafenlinie Hamburg-Cuxhaven gewesen und hatte das Morsealphabet durch die Beseitigung mehr als zweier verschieden langer Zeichen vereinfacht.
B. Administrative Organisation
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Nonn. 69 Zudem stand es allen Mitgliedsstaaten offen, mit benachbarten Ländern Verträge über den internationalen Telegrafenverkehr mit dem Verein abzuschließen, sofern auf diese Verträge die Bestimmungen des Vereinsvertrages angewendet wurden. 70 Zahlreiche Änderungsverträge des Vereins wurden vor allem in bezug auf das Tarifwesen und die Standardisierung der Betriebszeiten in den Telegrafenämtern geschlossen/ 1 so daß im DÖTV in wichtigen Telegrafenämtern die Aufgabe von Telegrammen ab 1853 sogar zur Nachtzeit möglich wurde. 72 Mit der Gründung des Deutschen Reiches 1871 wurde der DeutschÖsterreichische-Telegraphenverein ilinnlich aufgelöst. Das Deutsche Reich kündigte den Staatsvertrag mit Wirkung zum I. Januar 1872. Dahinter stand der Wille des Reiches, sein Telegrafenwesen unabhängig von fremden Verwaltungen zu regeln und nach außen einheitlich aufzutreten.73 An die Stelle des Vereins trat nach seinem 21-jährigen Bestehen die einheitliche Organisation des Telegrafenwesens im Deutschen Reich (mit Ausnahmen zugunsten Bayerns und Württembergs) sowie nach außen die Regelung der internationalen Telegrafie durch den Internationalen Telegrafenvertrag. Die Länder Frankreich, Spanien, Belgien, die Schweiz und Sardinien hatten 1855 ihrerseits den Westeuropäischen Telegrafenverband zur Standardisierung der Telegrafiebedingungen zwischen ihren Ländern gegründet, der mit Ausnahme der Tarife ähnliche Regelungen vorsah wie der DÖTV. 74 Mit der Konferenz von Bern im Jahr 1858 wurde von Seiten dieses Verbandes der erste Versuch unternommen, eine internationale Union auf dem Gebiet der Telegrafie zu schaffen. Noch zeigte sich der DÖTV jedoch reserviert. Man nahm an der Konferenz von Bem im selben Jahr nicht teil, versuchte aber, die Staaten des Westeuropäischen Telegrafenverbandes zur Annahme der Bestimmungen der Konferenz des DÖTV vom 16. November 1857 in Stuttgart zu bewegen, um so einen gemeinsamen Vertrag für alle Staaten Europas vorzubereiten. 75 Die vertragliche Einigung aller europäischen Staaten, die die Telegrafie in staatlicher Regie betrieben - England gehörte noch nicht dazu - wurde durch den Internationalen Telegrafenvertrag von Paris vom 17. Mai 1865 (lnkrafttreten 1. Januar 1866), den Gründungsvertrag der Union Internationale des Schöttle (FN 10), S. 161. Wolcke, Telegraphenrecht I, 1911, S. 22. 71 Nachtragsverträge bzw. Neufassung des Hauptvertrages: 1851 (Wien), 1853 (Berlin), 1855 {Milnchen), 1857 (Stuttgart), 1861 (Haag), 1863 (Hannover), 1865 (Schwerin) und 1868 (Baden-Baden). 72 Schöttle (FN 10), S. 165. 73 Schöttle (FN 10), S. 167 f.; Kifger (FN 19), S. 118. 74 Kilger (FN 19), S. 117; Wolcke, (FN 70), S. 25. 75 Wolcke, (FN 70), S. 27. 69
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3. Teil: Telegrafenverkehr und Technikrecht
Telecommunications, geschaffen. 76 In diesen wurden vor allem die übereinstimmenden Regelungen der Vereinsverträge des DÖTV und des Westeuropäischen Telegrafenverbandes übernommen. Im Jahr 1868 trat auf einer Revisionskonferenz des Vertrages Rußland und Britisch-Indien, auf der folgenden Konferenz in Rom 1872 trat auch England, das ab 1869 zum Staatsbetrieb in der Telegrafie übergegangen war, 77 dem Vertrag bei. Eine grundsätzliche Revision erfuhr der Internationale Telegrafenvertrag durch die Konferenz von Petcrsburg 1875. Die Rahmenbedingungen der Unionsbildung wurden von den Detailregelungen des Nachrichtenverkehrs getrennt, erstere bildeten fortan den eigentlichen Vertrag, während die Einzelregelungen in der sogenannten Verbandsübereinkunft auf Verwaltungsebene festgelegt und bei regelmäßigen Konferenzen überarbeitet wurden.
C. Benutzungsverhältnis I. Telegrafenordnungen
In der Frage der Öffnung seiner Staatstelegrafen für den allgemeinen Publikumsverkehr kam Preußen eine Vorreiterrolle in Europa zu. 78 Der Zugang wurde - natürlich noch unter einigen Beschränkungen - durch das "Regulativ über die Benutzung der elektro-magnetischen Staats-Telegrafen seitens des Publikums, vom 6. August 1849"79 gewährt. Dieses Regulativ kann daher gewissermaßen als die erste Telegrafen-Ordnung angesehen werden. 80 Vermutlich war entscheidendes Motiv für diese Öffuung der Telegrafie für den allgemeinen Verkehr die traditionelle Sparsamkeit Preußens. Erklärtes Ziel war, auf diesem Wege eine Selbstfinanzierung der Telegrafie zu erreichen. 81 Das Regulativ enthält Bestimmungen über die Form der beförderbaren Privatmitteilungen (in verständlicher Sprache und ohne Abkürzungen, mit Namen des Absenders unterschrieben, § 4) sowie über deren Inhalt (keine Beförderung von Mitteilungen, die gegen Gesetze verstoßen oder für nicht geeignet erachtet werden, auf telegrafischem Weg befördert zu werden, weil Gründe der "höheren Politik" oder des öffentlichen Wohls entgegenstehen, § 3 Abs. 1, bei ZweiKilger (FN 19), S. 117; Wo/cke, (FN 70), 1911, S. 28. V gl. im folgenden S. 136 ff. 78 Vgl. auch Scherner, Telegrafenverkehr und Technikrecht im 19. Jahrhundert. Wechselseitige Beeinflussungen, in: Kloepfer (Hrsg.), Technikentwicklung und Technikrechtsentwicklung, 2000, S. 103, I 05 f. 79 Ministerialblatt fiir die gesammte innere Verwaltung in den königlich preußischen Staaten, 10. Jahrgang (1849), S. 203 ff. 80 So auch Scherner, (FN 42), S. 132, 137. 81 Schöttle (FN 10), S. 148; Seidel (FN I), S. 138. 76
77
C. Benutzungsverhältnis
123
fein über die Vereinbarkeit entschied die Telegrafen-Direktion, gegen deren Entscheidung keine Rechtsmittel zur VerfUgung standen, § 3 Abs. 2), eine Beschränkung der Anzahl direkt nacheinander zu beft>rdernder Telegramme bei Auslastung der Linie pro Absender auf eines (§ 5). Weiterhin fanden die Öffnungszeiten der Telegrafenbüros (§ 7), die Höhe der Taxe (§ 9), das Vorrangverhältnis unter verschiedenen Absendern (§ 10) und die Verpflichtung der Telegrafenbeamten zur Geheimhaltung(§ 11) eine Festlegung in dem Regulativ. Schließlich legte § 15 die Möglichkeit einer zeitweisen Einstellung des Telegrafenbetriebes bei einer möglichen Staatsgefahrdung durch die Beft>rderung von Privatdepeschen fest. Bemerkenswert ist in dieser wie in den folgenden Telegrafen-Ordnungen die Festlegung einer Art Zensur nicht erwünschter Mitteilungen durch die Telegrafenbeamten. Hier schlägt sich noch das ursprüngliche Mißtrauen des preußischen Staates gegen den telegrafischen Austausch von Mitteilungen seiner Bürger nieder, was sich zunächst in einem Ausschluß privater Nutzung geäußert hatte. Allerdings war die Berücksichtigung dieses Mißtrauens durch die Zensurregelung im Regulativ wohl Voraussetzung für die Durchsetzung der frühen Freigabe der Telegrafentechnik fiir die Öffentlichkeit in Preußen. In der Telegrafen-Ordnung fiir das Deutsche Reich vom 21. Juni 187282 wurde dann allerdings schon die Möglichkeit chiffrierter Depeschen eingeräumt(§ 9). Dennoch blieb es fiir gewöhnlichen Privatdepeschen bei der Mög• lichkeit ihrer Zurückweisung durch den Stationsvorsteher (§ I 0). Für internationale Depeschen war hinsichtlich geheimer Privatdepeschen zu beachten, daß diese in Frankreich, Österreich-Ungarn, Persien, Rumänien, Serbien und Spanien nicht zugelassen waren, so daß in diese Länder adressierte Depeschen in offener Sprache verfaßt werden mußten. Schon die Telegrafenordnung von 1872 war überwiegend im internationalen Konsens, nämlich mit den Mitgliedern des Deutsch-ÖsterreichischenTelegrafen-Vereins zustandegekommen. Auch später, nach Auflösung des Vereins blieb es dabei, daß das Benutzungsverhältnis stark durch die Übereinkünfte der internationalen Telegrafenorganisationen, insbesondere der UIT geprägt wurde.
II. (Nicht-)Haftung der Telegrafenverwaltung bei Nicht- oder Falschübermittlung Von großem Interesse war vom Zeitpunkt der Zulassung privater Mitteilungen auf den staatlichen Telegrafen an die Frage der Haftung der Telegrafenverwaltungen im Falle der Nicht- oder Falschübermittlung privater Nachrich82
RGBI. S. 213.
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3. Teil: Telegrafenverkehr und Technikrecht
ten. Eine solche Haftung wurde von Staatsseite nicht nur in Deutschland, sondern auch von den anderen Staaten im Rahmen der internationalen Vereinigungen zu Zwecken der Telegrafie grundsätzlich abgelehnt. 83 Vereinzelte Regelungen ordneten zwar die Rückerstattung von Gebühren für einen solchen Fall an, 84 jedoch wurde in den Telegrafen-Ordnungen jegliche weitergehende Haftung für aus einer fehlenden oder unzutreffenden Übermittlung ausdrücklich nicht gewährt. 85 Außerdem traf den Geschädigten selbst für die verhältnismäßig unbedeutende Rückerstattung der Telegrafengebühren die Beweislast, daß durch die Verstümmelung oder den Verlust der Mitteilung der Zweck der telegrafischen Nachricht verfehlt worden ist. 86 Dieser Zustand wurde in der juristischen Fachwelt z. T. scharf kritisiert, da ein Ausschluß jeglicher Haftung dem gemeinen Recht fremd war. 87 Dennoch hielt man dem Haftungsausschluß insbesondere mit der Begründung ftlr gerechtfertigt, daß gelegentliche "Verstümmelungen" bzw. der Verlust von Mitteilungen in der Telegrafentechnik selbst begründet sei, sich auch bei größter Sorgfalt nicht verhindem ließe und daher die Haftung der Verwaltung unmöglich zu gewährleisten sei. 88 Tatsächlich dürfte der Grund für die Zurückweisung jeglicher Verantwortlichkeit für die korrekte Übermittlung von privaten Mitteilungen wohl eher in der Absicht gelegen haben, die Telegrafenverwaltung nicht unberechenbaren finanziellen Belastungen auszusetzen und damit ihren wirtschaftlichen Betrieb zu gewährleisten. 89 Hinzu kam, daß diese Vorgehensweise auch von allen anderen . in der Union Internationale des Telecommunications vertretenen Staaten geteilt wurde.90
D. Strafrechtliche Bestimmungen Strafrechtliche Vorschriften waren in verschiedener Hinsicht relevant fllr die Telegrafie. Es handelt sich bei den Regelungsbereichen zum einen um den Schutz der Telegrafenanlagen gegen Beschädigung (1), den strafrechtlichen 83 VgL exemplarisch den französischen Antrag auf der Konferenz in Rom 1872, wiedergegeben bei Meili, Telephonrecht, 1885, S. 229 ff. 84 V gl. z. B. § 26 Telegraphen-Ordnung fiir das Deutsche Reich vom 21 . Juni 1872. 85 Z. B. § 26 Abs. 1 Telegraphen-Ordnung fiir das Deutsche Reich; § 24 Telegraphenordnung des Norddeutschen Bundes vom 24. Dezember 1867; § 25 Telegraphenordnung des Königreichs Baiern vom I. Januar 1869. 86 Meili, Telegraphenrecht, 1871, S. 139. 87 Vgl. vor allem Meili, (FN 86), S. 150 ff., der von einem "trostlosen Rechtszustand" spricht. 88 J Bruns, Die Telegraphie in ihrer Entwickelung und Bedeutung, 1907, S. 23 f. 89 Scherner (FN 78), S. 103, 122 f. 90 Vgl. die Auflistung der entsprechenden nationalen Vorschriften bei Meili, (FN 83), 1885, s. 217 ff.
D. Strafrechtliche Bestimmungen
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Schutz staatlicher Monopole (2), sowie den sonstigen Vorschriften (3) wie der Stratbewehrung der Fälschung von Telegrafenfreimarken oder der Vergehen der Telegrafenbeamten. I. Strafrechtlicher Schutz der Telegrafenanlagen gegen Beschädigungen
Das Strafrecht hatte als erstes Rechtsgebiet durch die Schaffung neuer Tatbestände auf die neue Technik der Telegrafie reagiert. Es wurde von den AnBingen schon der optischen Telegrafie an filr notwendig gehalten, wegen der besonderen Bedeutung von Telegrafenanlagen filr die staatlichen Institutionen eine Strafbarkeit ihrer Beschädigung über den allgemeinen Tatbestand· der Sachbeschädigung hinaus zu schaffen. So gab es auch schon zum Schutz der optischen Telegrafenlinien spezielle Strafvorschriften. 91 Die Vorreiterrolle des Strafrechts machte sich wie beschrieben auch in der Frage der Behandlung des Telefons bemerkbar. 92 Eines der Hauptprobleme in der Anfangszeit der elektrischen Telegrafie stellte der häufige Diebstahl der Kupferleitungen dar. 93 Der Schaden, der durch solche Diebstähle angerichtet wurde, ging weit über den Wert des Kupfers selbst hinaus. Die erste Nonn zur Bestrafung von Handlungen, die sich gegen elektrische Telegrafen wenden, findet sich in der "Allerhöchsten Verordnung, betreffend die Bestrafung der Vergehen gegen die Telegrafen-Anstalten, vom 15. Juni 1849"94 . Vorsätzliche Störungen oder Verhinderungen des Telegrafenverkehrs wurden hiernach mit Geflingnis von drei Monaten bis zu drei Jahren bestraft, fahrlässige Beeinträchtigungen mit Geflingnis bis zu sechs Monaten(§§ 1,3). In beiden Fällen waren Qualiftkationen filr den Fall vorgesehen, daß infolge der Beeinträchtigung Menschen zu Schaden kämen(§§ 2, 3 Abs. 2). Unter Verschärfung der Strafandrohungen wurden diese Vorschriften in das Preußische StGB vom 14. April 1851 (§§ 296-300) übernommen. Die Verordnung fand über das PrStGB auch Eingang in die §§ 317 ff. RStGB. Umstritten war die Frage, ob eine Strafbarkeit nach den jeweiligen Nonnen eine tatsächliche Störung oder Verhinderung des Telegrafiebetriebes erforderte,95 oder ob eine einfache Eignung zu Störungsbewirkung oder Verhinderung 91 Z. B. im Preußischen Gesetz vom 30. November 1840, GS. 1841, S. 9. 92 Vgl. die Ausruhrungen zu ROSt 19, 55 ff. 93 Kifger (FN 19), S. 110. 94 Ministerialblatt fiir die gesammte innere Verwaltung der königlich preußischen Staaten, 10. Jahrgang (1849), S. 103. 95 RGSt II, 336; Olshausen, Kommentar zum Strafgesetzbuch filr das Deutsche Reich, 1896, § 317, Anm. 4; Hälschner, Das gemeine Deutsche Strafrecht, 1881, S. 651.
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3. Teil: Telegrafenverkehr und Technikrecht
ausreichte, 96 um die Voraussetzungen der Tatbestände zu erfüllen. Angesichts des Wortlautes der entsprechenden Vorschriften: "Wer [...] Handlungen verübt, welche die Benutzung dieser Anstalt zu ihren Zwecken verhindem oder stören [... )", 97 bzw. "Wer[ ... ] Handlungen begeht, welche die Benutzung dieser Anstalt verhindern oder stören"98
erscheint es aus heutiger Sicht jedoch nicht vertretbar und jenseits der Wortlautgrenze, eine bloße Eignung der Beschädigungshandlung zur Störung oder Verhinderung des telegrafischen Verkehrs ausreichen zu lassen.99 Allerdings wurde diese Frage durch eine Änderung des RStGB vom 13. Mai 1891 durch den Gesetzgeber gelöst, indem er in einer Neufassung der§§ 317, 318 ausdrücklich die Geilihrdung des Telegrafenbetriebes ausreichen Iieß. 100 Diese Änderung war vor allem aufgrund des Vertrages zum Schutze der unterseeischen Telegrafenkabel vom 14. März 1884 notwendig geworden.' 01 Zu Meinungsverschiedenheiten in der rechtswissenschaftliehen Literatur gab noch die Formulierung "zu öffentlichen Zwecken dienenden Telegraphenanlagen" in den §§ 317 ff. Anlaß. Es stellte sich die Frage, ob beispielsweise Bisenbahnbetriebstelegrafen oder auch Anschlüsse einzelner Teilnehmer an das Fernsprechnetz zu zählen sind. Das Reichsgericht nahm hier allerdings eine recht großzügige Auslegung vor.102 II. Strafrechtlicher Schutz staatlicher Monopole
Bis zur gesetzlichen Fixierung des staatlichen Monopols im Telegrafenwesen gab es keinerlei strafrechtliche Sanktion gegen die Verletzung des vermeintlichen Regals. Lediglich in Sachsen mit seinem früh geschaffenen Telegraphengesetz (1855) existierte auch ein strafbewehrter Schutz des Ausschließlichkeitsrechts des Staates zugunsten elektromagnetischer Telegrafen. Auch der nicht verabschiedete preußische Entwurf flir ein Telegraphengesetz von 1855 sah eine strafrechtliche Sanktion des staatlichen Alleinbetriebes vor. So v. a. Dambach, Das Telegraphenstrafrecht, I897, S. 28. Allerhöchste Verordnung, betreffend die Bestrafung von Vergehen gegen die Telegraphen-Anstalten, vom I5. Juni I849, § I Abs. I. 98 § 3I7 Abs. I RStGB. 99 So auch Kifger (FN 19), S. 112. 100 Dambach, (FN 96), I897, S. 30. 101 RGBI. I888, S. 151 ; nach diesem Vertrag sollte das Beschädigen solcher Kabel in den beteiligten Staaten unter Strafe gestellt werden, soweit es eine Unterbrechung oder Störung des telegrafischen Verkehrs "zur Folge haben kann". 102 RGSt I, 357; RGSt 5, 3I8; RGSt 9, 26. 96
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0. Strafrechtliche Bestimmungen
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Das Fehlen entsprechender Strafvorschriften filhrte auch dazu, daß Autoren filr den bestrittenen Fall der Ableitung einer Regalität der Telegrafie aus Art. 48 RV, von Art. 48 RV als einer "Iex imperfecta" sprachen, da eine Verletzung des (vermeintlichen) Regals nicht ohne entsprechende Vorschrift geahndet werden konnte, das vermeintliche staatliche Alleinrecht folglichjedenfalls nicht gegen Verletzungen geschützt sei. 103 Gegen private, nach offizieller Auffassung also unzulässige Telegrafenanlagen konnte folglich nur unter Einsatz des Polizeirechts vorgegangen werden. 104 Im Telegraphengesetz wurde eine Strafvorschrift fiir die vorsätzlich unbefugte Errichtung und den vorsätzlich unbefugten Betrieb von Telegrafenanlagen in dessen § 9 eingefiihrt. Neben der Geldstrafe von bis zu 1.500 Mark oder Freiheitsstrafe von bis zu 6 Monaten wurde zusätzlich wurde in § 11 TG die Unbrauchbarmachung unbefugt errichteter Telegrafen angeordnet, was zwar keine strafrechtliche Sanktion darstellte, in seiner Wirkung einer solchen jedoch gleichkam. Die Strafbarkeit trat nach diesen Vorschriften auch ein, wenn eine eigentlich gemäß § 3 TG genehmigungsfreie Anlage durch Nichteinhaltung der Bedingungen zu einer genehmigungsbedürftigen Anlage würde. 111. Sonstige Strafvorschriften In den §§ 275 und 276 RStGB fanden sich weiterhin Strafnormen zum Schutz von Post- und Telegrafenfreimarken, welche durch Gesetz vom 16. Mai 1869 im Norddeutschen Bund und gemäß Art. 80 RV 1871 auch in Südhessen und Baden eingefilhrt worden waren. Bayern und Württemberg besaßen keine gesetzliche Regelung der Freimarken. 105 Zur Bekämpfung des Mißbrauchs dieser Markensysteme wurden die genannten Spezialvorschriften, die gleichermaßen filr Telegrafen- wie filr Postfreimarken galten, eingefiihrt. Hiernach war das vorsätzliche Gebrauchmachen von falschen oder gefälschten Telegrafenfreimarken, deren Herstellung oder Verfälschung mit Gefllngnis nicht unter drei Monaten (§ 275 RStGB), alternativ mit dem Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte oder der Unfllhigkeit zur Bekleidung öffentlicher Ämter filr die Dauer von einem bis zu filnf Jahren(§§ 280, 35 RStGB) zu bestrafen. Diese Regelung galt filr inländische ebenso wie filr ausländische Telegrafenfreimarken. Gern. § 2 des Gesetzes des Norddeutschen Bundes vom 16. Mai 1869 war auch die erneute Verwendung bereits entwerteter Telegrafenfreimarken straf103
Laband, Deutsches Staatsrecht II, 1891, S. 70.
Vgl. Kifger (FN 19), S. II I; Runderlaß des Innenministeriums, Ministerialblatt ftlr die gesammte innere Verwaltung in den königlich preußischen Staaten, Bd. 41 (1880), S. 305: "Es kann daher der Einrichtung und dem Betrieb von Fernsprech- (Telephon-) Verbindungen[ ...] im polizeilichen Wege entgegengetreten werden." 105 Wolcke, Telegraphenrecht II, 1911, S. 62 f. 104
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bar. Dies galt auch filr Freimarken, die ihre erste Verwendung als Postfreimarken gehabt hatten. 106 In diesem Punkt blieb das Gesetz angeblich auch nach Inkrafttreten des RStGB in kraft. 107 § 318 Abs. 2 RStGB ordnete eine besondere Strafbarkeit der Telegrafenbeamten für den Fall der Betriebsverhinderung oder Geilihrdung durch die Vernachlässigung der ihnen obliegenden Pflichten, in der Höhe der Strafandrohung gleich derjenigen filr die fahrlässige Verhinderung oder Geilihrdung des Betriebes durch Beschädigungen von jedermann an. Schon in der Verordnung vom 15. Juni 1849 und im PrStGB fanden sich die gleichen Strafbestimmungen, mit der Einschränkung, daß jeweils die bloße Geilihrdung des telegrafischen Verkehrs nicht ftlr die Erfilllung des Tatbestandes ausreichte. Zusätzlich sahen die§§ 319,320 RStGB bzw. § 5 Verordnung von 1849 die (in der Fassung des RStGB fakultative) Entfernung der Delinquenten aus dem telegrafischen Dienst vor. Kritisch zu diesen Vorschriften wurde lediglich geäußert, daß sie strafrechtliche und disziplinarische Konsequenzen vermischten. los Verletzungen des Telegrafengeheimnisses waren nach § 355 RStGB strafbar. Eine Telegrafengeheimnisverletzung lag auch vor, wenn die Kenntnis, ob und zwischen welchen Personen telegrafische Mitteilungen stattgefunden haben, bzw. wann eine telegrafische Mitteilung erfolgt ist, preisgegeben wurde. 109
E. Entwicklung zu staatlichen Alleinrechten in der Kommunikationstechnik I. Kontrolle durch faktische Alleinherrschaft des Staates über die Telegrafie In der Telegrafenpionierzeit bis -etwa 1850 stand die Frage einer staatlichen Kontrolle der Telegrafentechnik noch im Hintergrund, da die Möglichkeit einer Kontrolle des Staates bestand, ohne daß es einer besonderen Einfllhrung oder Sicherung derselben mit den Mitteln des Rechtes bedurft hätte. Die erheblichen Kosten, die die Errichtung einer Telegrafenlinie und deren Betrieb verursachten, hielten private Unternehmer- von wenigen Ausnahmen abgesehen 110 - da106 107 108 109
Dambach (FN 96), S. 72 ff. Olshausen (FN 95), Anm. zu §§ 275, 276. Dambach (FN 96), S. 53. Dambach (FN 96), S. 87.
110 Bekannt sind zu diesem Zeitpunkt lediglich zwei private Telegrafenlinien, nämlich von Bremen nach Bremerhaven und von Cuxhaven nach Hamburg, vgl. Aschoff, Archiv fiir deutsche Postgeschichte 1979, S. 66 (75 f.).
E. Entwicklung zu staatlichen Alleinrechten in der Kommunikationstechnik
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von ab, diese Technik zu nutzen. 111 Unter diesen Umständen wurde auch die Schaffung einer gesetzlichen Grundlage zur Kontrolle dieser Technik, bzw. zum Ausschluß Privater von der eigenständigen Nutzung der Telegrafie vielfach nicht ftlr erforderlich gehalten. 112 Stattdessen konzentrierte man sich auch in der Folgezeit darauf, das bestehende, faktische Monopol des Staates zu stabilisieren, indem man durch niedrige Nutzungsentgelte fiir die staatlichen Telegrafen die Errichtung privater Konkurrenzlinien gänzlich unrentabel zu machen suchte. 113 Zudem wurde die polizeiliche Erlaubnis, private Telegrafenlinien über öffentliche Wege zu fUhren, prinzipiell versagt. 114 Da die Anlage von Linien über größere Strecken aber unmöglich ohne die Benutzung öffentlicher Wege und GrundstUcke vorgenommen werden konnte, war so ein verhältnismäßig wirkungsvoller Weg gefunden, der den deutschen Staaten die QuasiMonopolisierung der modernen Nachrichtentechnik ermöglichte, ohne eine gesetzlich fixierte. staatliche Alleinberechtigung rechtfertigen zu müssen. Mit der Entwicklung und dem beginnenden praktischen Einsatz des Telefons ab dem Jahr 1877, das die Errichtung von Telekommunikationsverbindungen erheblich verbilligte, veränderte diese Situation sich allerdings, so daß nun von Seiten des inzwischen gegründeten Reiches mit einer unkontrollierten Ausbreitung privater Telefonanlagen gerechnet wurde, die faktische Alleinberechtigung des Staates schien sich nicht mehr aufrechterhalten zu lassen. Dadurch erlangte die Frage einer möglichen rechtlichen Kontrolle bzw. sogar nach einem gesetzlichen Ausschluß selbständiger privater Nutzung der Nachrichtenübermittlungstechniken größere Bedeutung. II. Regelungen und Regelungsvorschläge
Obwohl also die Frage privater Konkurrenz ftlr die Staatstelegrafen mit Ausnahme der von Staatsseite aus praktischen Gründen und unter Beschränkungen hingenommenen privaten Eisenbahntelegrafen in Deutschland zunächst eine eher unbedeutende Rolle spielte, gab es dennoch schon früh zaghafte Versuche, das Telegrafenwesen - auch außerhalb des Strafrechts - rechtlich zu erfassen. Schon in den 50er Jahren des 19. Jahrhunderts finden sich erste Bestrebungen, gesetzliche Regelungen zur Nutzung der Telegrafentechnik zu schaffen. So wurde im Jahr 1855 - sechs Jahre nach der Öffnung der preußischen Staatstelegrafen ftlr den privaten Nachrichtenverkehr - in Preußen ein Gesetzentwurf diskutiert, der die sogenannte Regalität der Telegrafie, also die staatli111 112
113 114
Vgl. Laband, (FN 103), S. 71; Köbele (FN 3), S. 157; Kilger (FN 19), S. 43. W Ludewig, (FN 4), 63 (108 f). W Ludewig, (FN 4), 63 (108). W Ludewig, (FN 4), 63 (108).
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3. Teil: Telegrafenverkehr und Technikrecht
ehe Exklusivberechtigung zur Nutzung dieser Technik, zum Gegenstand hatte und Bedingungen für die Errichtung und den Betrieb von Telegrafenlinien enthielt. 115 Aus den Motiven zu diesem Gesetz 116 ergibt sich, daß die Regalität hauptsächlich mit polizeilichen Aspekten, nämlich der Überwachung des Telegrafenverkehrs in Politik und Wirtschaft begründet wurde. 117 Das Gesetz wurde schließlich aber doch nicht verabschiedet, da sich die Auffassung durchsetzte, daß eine Unterbindung unerwünschten Informationsaustausches wegen der Möglichkeit geheimer, codierter Mitteilungen nicht gewährleistet werden könnte. Das andere zu diesem Zeitpunkt vorgebrachte Argument, die Befilrchtung von Einnahmeverlusten bei der staatlichen Post schien den Abgeordneten der gesetzgebenden Körperschaften nicht ausreichend, ein Telegrafenregal zu rechtfertigen. 118 In Sachsen hingegen existierte seit dem 21. September 1855 ein Gesetz, welches die Errichtung von "elektromagnetischen" Telegrafen von der Genehmigung des Ministers des Innern und desjenigen der Finanzen abhängig machte und den Betrieb von nicht konzessionierten Telegrafen unter Strafe stellte. 119 In Bayern wiederum erging am 27. Januar 1863 lediglich ein Ministerialerlaß, der die Errichtung von Privattelegrafenanlagen von ministerieller Genehmigung abhängig machen sollte. 120 Die sächsische Regelung, die sich mit der Beschränkung ihres Geltungsbereiches auf "elektromagnetische Telegrafen" angeblich als nicht fähig erwies, mit der technischen Entwicklung Schritt zu halten, 121 blieb eine Ausnahme. Der bayerischen Verwaltungsvorschrift kam demgegenüber nicht die erforderliche Gesetzesqualität zu, um wirksam ein Monopol oder "Regal" begründen zu können. Die ersten Ansätze zu gesetzlichen Regelungen des Telegrafenwesens vor lokrafttreten der Verfassung des Norddeutschen Bundes verliefen also mehr oder weniger ergebnislos.
Köbele (FN 3), S. 158; Schöttle (FN 10), S. 21. Vgl. Schöttle (FN 10), S. 21, der aber auch darauf hinweist, daß sich die Argumente im Laufe der Zeit änderten; s.a. unten zu den Gründen fiir die Inanspruchnahme von Alleinrechten S. 133 ff. 117 Köbele (FN 3), S. 158; Schöttle (FN 10), S. 21. 118 Denkschrift 50 Jahre elektrischer Telegraphie, S. 48 f. 119 Gesetz und Verordnungsblatt fiir das Königreich Sachsen. 18. Stück vom Jahre 1855, § 3, Geldstrafe von 100 Talern oder entsprechende Gefängnisstrafe; vgl. auch Köbele (FN 3), S. 157 sowieJ. Ludewig, Die Telegraphie in staats-und privatrechtlicher Beziehung, 1872, S. 16. 12 Kifger (FN 19), S. 91. 121 Vgl. J. Ludewig, (FN 119), S. 17, der auf die angebliche Unterschiedlichkeil elektromagnetischer und magnetoelektrischer Telegrafen hinweist. 115
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E. Entwicklung zu staatlichen Alleinrechten in der Kommunikationstechnik
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Die erste Verfassungsnorm, die sich mit der Frage der Telegrafie selbst befaßt findet sich in Art. 45 der Verfassung des Norddeutschen Bundes von 16. Aprill867 und später in Art. 48 der Reichsverfassung vom 16. April 1871 fast wortgleich wieder. Die Frage einer auf diese Vorschriften gestützten staatlichen Alleinberechtigung filhrte zu erheblichen Meinungsverschiedenheiten in Rechtsprechung und Schrifttum des 19. Jahrhunderts. Unter der Geltung der Reichsverfassung von 1871 wurde vor allem von Seiten der Reichstelegrafenverwaltung, bzw. der ab 1876 zusammengefaßten Reichspost- und -telegraphenverwaltung (RPTV) und ihrem Leiter Generatpostmeister Heinrich von Stephan eine gesetzliche, über den Art. 48 RV 1871 hinausgehende Regelung des Telegrafenwesens nicht forciert, sondern eher zurückgehalten, wohl vor allem, um im Zuge einer solchen Regelung nicht die umfassende Freiheit, die die RPTV mangels gesetzlicher Regelungen und damit Beschränkungen der Telegrafenverwaltung genoß, einzubüßen. 122 Eine - weitgehend - erschöpfende Regelung wurde erst mit dem Erlaß des ReichsTelegraphengesetzes am 6. April 1892 geschaffen.
111. Privattelegrafen in Deutschland- Die Eisenbahntelegrafen Eine Durchbrechung des Bestrebens, die Telegrafie ausschließlich in staatlicher Hand zu halten, findet sich allerdings in den fast vom Beginn des praktischen Einsatzes der elektrischen Telegrafie an existenten Eisenbahnbetriebstelegrafen. Die Entwicklung des Eisenbahnwesens hatte sich - anders als die des Telegrafenwesens - zweigleisig vollzogen. So gab es neben den Staatseisenbahnen auch Eisenbahnen, die von privaten Gesellschaften betrieben wurden.123 Da aber gerade die Eisenbahnen zur Gewährleistung ihrer Betriebssicherheit in besonderem Maße auf den Einsatz der Telegrafie angewiesen waren, begannen auch die Privateisenbahngesellschaften mit dem Bau von Telegrafenlinien zum Zweck der Steigerung der Betriebssicherheit als auch der Erhöhung der Betriebsfrequenz auf den vorhandenen - zumeist eingleisigen - Strekken.l24 Zwar standen die deutschen Staaten des 19. Jahrhunderts der Frage privater Telegrafen, also auch den Privateisenbahntelegrafen, grundsätzlich skeptisch gegenüber, die praktische Notwendigkeit dieser Telegrafenlinien setzte sich demgegenüber jedoch durch, so daß in dieser Hinsicht von einer Durchbre122 Labami (FN 103), S. 69, Anm. I. 123 Vgl. Reindl, Telegraphie, Regierung und Verwaltung im Norddeutschen Bund, in:
Heyen u. a. (Hrsg.), Informations- und Kommunikationstechniken der öffentlichen Verwaltung, 1997, S. 121 (123) 124 Löser, Jahrbuch fiir Wirtschaftsgeschichte 1963, Teil IV, 1964, S. 193 (198).
132
3. Teil: Telegrafenverkehr und Technikrecht
chung sowohl der faktischen Alleinberechtigung als auch der späteren gesetzlich fixierten Alleinberechtigung 125 gesprochen werden kann. Auch die erste elektrische Telegrafenlinie Deutschlands, die bereits erwähnte Linie auf der Aachen-Ronheider Steilstrecke, war die einer privaten Bahngesellschaft So waren·schon 1847 in Deutschland und Österreich etwa 30 Bahnverwaltungen im Besitz eigener Telegrafenlinien, in Preußen wurde den Eisenbahnverwaltungen später sogar aus Sicherheitsgründen die Verpflichtung zur Errichtung eigener Telegrafen auferlegt. 126 Allerdings wurden die Eisenbahngesellschaften in den Konzessionen der Telegrafen verpflichtet, behördliche Depeschen kostenlos zu befördem. 127 Von dieser Möglichkeit machten die Verwaltungen in der Folge auch sehr häufig Gebrauch, was zu Konflikten mit den Eisenbahnbetreibern bis hin zur Androhung der Einstellung des Telegrafenbetriebes führte und schließlich im dienstlichen Weisungsweg beschränkt wurde. 128 Zudem wurde der Nachrichtenverkehr der Betriebstelegrafen staatlich überwacht, weshalb die Bahnstationen verptlichtet wurden, den Inhalt jeglicher Depesche in ein Korrespondenzbuch einzutragen. 129 Allerdings änderte sich die Einstellung der Regierungen zu den Eisenbahntelegrafen. Als im Jahr 1849 die Nutzung der preußischen Staatstelegrafen und bald darauf folgend derjenigen anderer Staaten dem Publikumsverkehr gestattet worden war, 130 war eines der Hauptargumente für das Verbot der außerbetrieblichen Nutzung der Telegrafenlinien in den Händen der Privateisenbahngesellschaften weggefallen. Dennoch blieb das Verbot bis zur Mitte der 50er Jahre bestehen, hierbei dürfte das Motiv aber auch in der Sicherung des Eisenbahnbetriebes gelegen haben, zumal es auch für die Linien der Staatseisenbahnen galt. Durch eine spätere Einbindung dieser Linien in das öffentliche Telegrafennetz konnte dieses deutlich und ohne größere lnvestionen erweitert werden, was auch ab etwa 1857/58 wahrgenommen wurde. Zusätzliche Wechselbeziehungen zwischen Staats- und Privateisenbahntelebestanden insoweit, als die Eisenbahnkonzessionen, die regelmäßig die
~afen
125 Soweit zu diesem Zeitpunkt (1892) trotz der Verstaatlichungsbestrebungen noch private Eisenbahnen existierten; im Jahr 1890 existierten nur noch 3292 private Eisenbahnverwaltungen gegenüber 38203 staatlichen Linien, Nipperdey, Deutsche Geschichte, Band I, 1998, S. 261. 126 Durch Rescript von 1850, vgl. Schöttle (FN I 0), S. 52. 127 Löser, Die Entstehung der elektrischen Telegraphie und ihre Entwicklung in Preußen bis 1867, 1964, S. 84. 128 Reindl (FN 123), S. 121 ff. 129 Preußische königliche Cabinettsordre von 1847, vgl. Schöttle (FN 10), S. 53. 130 In Preußen durch das "Regulativ über die Benutzung der elektro-magnetischen Staatstelegraphen seitens des Publikums" vom 6. August 1849, Schöttle (FN 10), S. 148.
E. Entwicklung zu staatlichen Alleinrechten in der Kommunikationstechnik
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Erlaubnis oder sogar die Verpflichtung zum Anlegen von Eisenbahntelegrafen beinhalteten, ebenfalls vorsahen, daß die jeweiligen Gesellschaften es den staatlichen Telegrafenverwaltungen erlaubten, auf den Eisenbahntrassen Staatstelegrafenlinien anzulegen, wobei ihnen im Gegenzug die Nutzung der hierfilr aufgestellten staatlichen Masten für die Betriebstelegrafen gestattet wurde. 131 Durch einen Bundesratsbeschluß vom 21. Dezember 1868132 wurden die zuvor in den einzelnen Konzessionsurkunden geregelten Verhältnisse zwischen Eisenbahnverwaltungen und der Telegrafenverwaltung filr zukUnftige Konzessionen auf eine einheitliche Grundlage gestellt. Dieser Beschluß hatte allerdings keine direkte Auswirkung auf die bestehenden Eisenbahnlinien und deren Telegrafen, sondern mußte von den Staaten erst durch die Aufnahme in die Konzessionen umgesetzt werden. 133 IV. Gründe für die Inanspruchnahme staatlicher Alleinrechte in der Nachrichtentechnik Auffiillig ist, daß alle Regelungen oder Regelungsansätze in den deutschen Staaten eine - fast ausschließlich von der Ausnahme der Eisenbahntelegrafen durchbrochene 134 - staatliche Alleinberechtigung zur Errichtung von Telegrafenlinien anstrebten. Eine Kontrolle der Telegrafentechnik meinte in der Anfangsphase vor allem die Kontrolle der Verbreitung von Informationen, also Verringerung von Gefahren, deren Ursprung- anders als zum Beispiel bei der ebenfalls filr sehr gefährlich gehaltenen Eisenbahntechnik- nicht in der neuen Technik selbst lagen, sondern in den Möglichkeiten, die durch die Kommunikationstechnik filr Börsenspekulanten oder "Umstürzler", also ftir ohnehin latent vorhandene Gefahrenquellen ergeben hatten. Naturgemäß gingen von der Nachrichtentechnik jedoch keine unmittelbaren Gefahren filr Leib und Leben oder Sachen aus. 135 131 Vgl. Beschluß des Bundesrates des Norddeutschen Bundes vom 21. Dezember 1868, wörtlich wiedergegeben bei J Ludewig (FN 119), S. 56 ff. 132 Abgedruckt bei Aron, Die Gesetze des deutschen Reiches betreffend das Post-, Telegraphen und Femsprech-(Telephon-)Wesen, 1902, S. 88 ff. 133 Wolcke, (FN 70), S. 19. 134 Einzelne private von der Eisenbahn unabhängige Linien gab es nur um die Hansestädte Bremen und Hamburg. 135 Allerdings gab es durchaus Widerstände in der Bevölkerung gegen die hanseatischen Privattelegrafen, die genau dies behaupteten: Die Telegrafenlinien verdürben die Ernte, da die Drähte die Elektrizität abzögen und sich die Gewitterwolken nicht mehr entladen könnten. Diese Einwände werden auf die Agitation von J L. Schmidt zurückgefiihrt, der parallel zu den betroffenen Linien eine optische Telegrafenlinie etablieren wollte, aus
134
3. Teil: Telegrafenverkehr und Technikrecht
Diese Gründe hatten wohl auch schon bei dem Ausschluß privater Nutzung der optischen Telegrafenlinien eine entscheidende Rolle gespielt. Zwar lautete die offizielle Begründung ftlr den Ausschließlichkeitsvorbehalt zugunsten des Staates bei den optischen Telegrafen, diese seien mit den staatlichen Depeschen vollkommen ausgelastet, 136 die Wahrheit dieser Begründung aber darf angezweifelt werden. Tatsächlich lag hier wohl auch der Grund eher in der Furcht vor unkontrollierter Informationsverbreitung und der vermeintlichen Gefährdung des Staates und seiner Institutionen. 137 Diese Skepsis spielte auch bei der Frage der Zulassung der ersten Eisenbahnbetriebstelegrafen in Preußen eine erhebliche Rolle. Den Betriebstelegrafen wurde deshalb vor allem in der Anfangsphase ausschließlich die Beförderung betriebsrelevanter Korrespondenz zugebilligt. Lediglich Staatskorrespondenz durfte und mußte daneben -zudem kostenlos- befördert werden. 138 Diese besondere - vermutete - Gefährdungslage war zwar der ursprüngliche Grund filr die Bestrebung aller deutschen Staaten, die elektrische Telegrafie in der Form zu kontrollieren, daß private Investoren von der eigenverantwortlichen Nutzung der Technik ausgeschlossen wurden. 139 Hinzu kam die funktionale Vergleichbarkeit mit der Post, die als ausschließlich staatlicher Betrieb organisiert war und als "Regal" angesehen wurde. Es lag nahe, die Kommunikation mittels Telegrafie genauso zu behandeln wie die körperliche Nachrichtenübermittlung durch die Post. 140 Später allerdings änderte sich die Argumentation filr ein staatliches Alleinrecht über die Telegrafie, eine Entwicklung privater Linien mit einhergehender schwerer zu kontrollierender privater Korrespondenz wurde nach der anfänglichen Skepsis weniger ftlr gefährlich gehalten, wie auch die spätere Zulassung chiffrierter Mitteilungen auf den staatlichen Telegrafenlinien erkennen läßt. i 41 finanziellen Gründen der elektrischen Konkurrenz jedoch nicht gewachsen war, vgl. Schöttle (FN 10), S. 19. 136 Reichspostarnt (Hrsg.), Denkschrift 50 Jahre elektrischer Telegraphie, 1899, S. 25. 137 Seidel (FN 1), S. 58 f. 138 s. o., vgl. auch Schöttle (FN I 0), S. 53, Anm. I . 139 Sachsen per Gesetz, vgl. aber auch den bayrischen Ministererlaß und das preußische Verwaltungshandeln; die beiden unabhängigen privaten Telegrafenlinien um Harnburg und Bremen sind wohl auf den internationalen, insbesondere angelsächsischen Einfluß zurückzufUhren; vgl. Scherner (FN 78),S. 104; ähnliche Vorbehalte finden sich historisch auch bei anderen technischen Möglichkeiten der Informationsverbreitung, so z. B. auch beim Buchdruck, vgl. Bullinger, Neue Techniken - neues Recht im Staat der Informationsgesellschaft, in: Kloepfer (Hrsg.), Technikentwicklung und Technikrechtsentwicklung, 2000, S. 149, 152. 140 Vgl. auch Wolcke, (FN 75), S. 16, sowie Scherner (FN 78), S. 103, 108 ff. 141 Nach § 7 der Telegraphen-Ordnung filr das Deutsche Reich von 1872; Schöttle (FN 10), S. 21.
E. Entwicklung zu staatlichen Alleinrechten in der Kommunikationstechnik
135
Dennoch hielt man weiterhin die Errichtung und den Betrieb von Telegrafen in staatlicher Regie filr die erstrebenswertere Variante als eine Ausbreitung der Nachrichtentechnik in privater untemehmerischer Freiheit. Eine weitere Befilrchtung, die dabei maßgeblich zum Bestehen auf staatlichen Alleinrechten im Telegrafenwesen führte, bestand darin, daß bei einer freien Nutzbarkeit der Telegrafie erhebliche fmanzielle Einbußen im Postwesen erwartet wurden. 142 Diese Befiirchtung erwies sich zwar als falsch, da trotz der Einfiihrung der Telegrafie die Einnahmen im Postwesen weiterhin beständig stiegen. 143 Dennoch spielte sie keine unwesentliche Rolle bei der Entscheidung, die Telegrafie so weit wie möglich dem Staat zu überlassen, insbesondere, weil die Post eine lukrative Einnahmequelle des Staates darstellte, wurde aber nicht als ausreichendes Argument für einen gesetzlichen Ausschluß Privater vom Betrieb der Telegrafentechnik angesehen. 144 Statt der zuvor herrschenden polizeilichen Begründung kam außerdem verstärkt ein filrsorglicher Ansatz, die Sicherung einer flächendeckenden Versorgung der Bevölkerung mit der Telegrafie-Technik hinzu. 145 Da insbesondere der Anschluß ländlicher Gebiete an das Telegrafennetz sich fiir ausschließlich profitorientierte Privatunternehmen nicht rentieren würde, ging man davon aus, daß die Finanzierung der Ausbreitung des Telegrafennetzes durch Quersubventionierungen zu gewährleisten ist. 146 Die Durchsetzung einer solchen Vorgehensweise erfordere einen verstaatlichten Telegrafenbetrieb. 147 So kann davon ausgegangen werden, daß sich die staatliche Alleinberechtigung im politischen Verständnis vom Instrument der Kontrolle von durch die Technik entstehenden oder begünstigten Gefahren und in erster Linie der Begrenzung der Technik zum Instrument ihrer möglichst umfassenden Verbreitung gewandelt hatte. Das "Telegraphenregal" sollte eine effektive J'lutzung der Technik gewährleisten, nicht mehr vorrangig bestimmte Formen der Nutzung einschränken bzw. unterbinden. Schließlich versprach man sich erhebliche ökonomische Vorteile vom staatlichen Telegrafenbetrieb. Durch die Zusammenfassung von Post- und Telegrafenstationen sollten Synergieeffekte erzielt werden. Zusätzlich wurde der Ein-
Köbele (FN 3), S. 158; Kifger (FN 19), S. 91 ; Schöttle (FN 10), S. 21. W Löser (FN 124), S. 193 (195). 144 Köbe/e (FN 3), S. 158; Denkschrift 50 Jahre elektrischer Telegraphie, S. 48 f. 145 Vgl. z. B. Göpfert, Staatspost und Privatpost, 1887, S. 19; J. Ludewig, (FN 119), S. 39 f.; Schöttle (FN 10), S. 22 f. 146 Göpfert (FN 145), S. 19. 147 So, allerdings in bezug auf die Post: J. Ludewig, (FN 119), S. 39 f. 142 143
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3. Teil: Telegrafenverkehr und Technikrecht
satz von Beamten als die kostensparendste Alternative des Einsatzes qualifizierten Personals propagiert. 148 Eine der Inanspruchnahme staatlicher Alleinrechte in bezug auf die oben geschilderten Beftirchtungen vergleichbar effektive Kontrolle und Organisationsform hätte durch andere Regelungsinstrumente niemals erreicht werden können. Mit der Alleinberechtigung des Staates gewährleistete dieser nicht nur die flächendeckende Nutzbarkeit der Technik, sondern sicherte sich vor allem in der Anfangszeit auch die Überwachung des telegrafischen Verkehrs sowie die Möglichkeit seiner Unterbrechung in Krisenzeiten 149 sowie die erhofften wirtschaftlichen Früchte des Einsatzes der damals aktuellen Telekommunikationstechnik.150
V. Entwicklung ohne staatliche AlleinrechteGroßbritannien und Nordamerika Der kontinentaleuropäische Weg wurde von den anglo-amerikanischen Staaten nicht verfolgt. In England und in den Vereinigten Staaten von Amerika setzte man mehr oder sogar ausschließlich auf eine private Entwicklung der Kommunikationstechnik, ähnlich wie dies in Deutschland und Frankreich zunächst im Eisenbahnwesen unternommen wurde. In England war der Bau und Betrieb von Telegrafen lange Zeit so gut wie keinen gesetzlichen Beschränkungen unterworfen. 151 Im wesentlichen entstanden auch hier zunächst Eisenbahntelegrafen, jedoch bildeten sich nach einiger Zeit auch Telegrafiegesellschaften heraus, deren Betätigungsfeld ausschließlich im Nachrichtenwesen lag, so vor allem die Electric and International Telegraf Company, die British and Irish Magnetic Company und die United Kingdom Electric Telegraf Company. 152 Auch die ersten Nachrichtenagenturen wurden unter Einsatz der Telegrafentechnik gegründet, so z. B. die bekannte Agentur Reuter's, die ebenfalls ein größeres Netz eigener Telegrafenlinien unterhielt. 153 Später fand in England die schrittweise Verstaatlichung des Telegrafenwesens statt, allerdings scheinen hier durchaus andere Gründe ausschlaggebend gewesen zu sein als z. B. in Preußen bzw. später im deutschen Reich. Die drei 148 J Ludewig, (FN 119), S. 34. 149 Vgl. z. B. die Stillegung der Telegrafenanlage derKaiser-Ferdinand-Nordbahn vom
11. April bis 16. August 1848 zur Vermeidung politischer Korrespondenz, vgl. Reind/, (FN 123), S. 127. 150 Der Begriff der Telekommunikation war indes noch nicht eingefilhrt. Zu dessen Entstehung vgl. Drubba, in: ArchPF 1991,343 ff. 151 Schöttle (FN 10), S. 58. 152 Schöttle (FN 10), S. 58 f 153 Schöttle (FN 10), S. 60.
E. Entwicklung zu staatlichen Alleinrechten in der Kommunikationstechnik
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großen Telegrafengesellschaften teilten auf mittlere Sicht den Markt untereinander auf und sprachen sich auch bezüglich der Tarife ftlr Telegramme ab, so daß der Preiswettbewerb letztlich ausgeschlossen wurde. 154 Dies fUhrte zu einer umfassenden Freiheit des Triopols in bezug auf die Preisgestaltung. So war die Beförderung von Telegrammen in England in den 60er Jahren des 19. Jahrhunderts erheblich kostspieliger als im kontinentalen Europa. 155 Folglich begann die englische Gesetzgebung behutsam, sich der kontinentaleuropäischen, überwiegenden Lösung anzunähern. Durch Gesetz vom 28. Juli 1863 wurden Aufsichtsrechte über die privaten Telegrafenlinien begründet, dieses Gesetz sanktionierte auch die Priorität staatlicher (Regierungs-)Telegramme vor Privaten. 156 Im Jahr 1868 regelte ein weiteres Gesetz die staatliche Befugnis, bestehende Telegrafenlinien- abgesehen von denen der Eisenbahnen 157 gegen Entschädigung der bisherigen Eigentümer zu übernehmen, was auch gegen erhebliche Abfindungen der Telegrafengesellschaften geschah. 151 Schließlich wurde durch Gesetz vom 9. August 1869 das ausschließliche Recht zur Anlage und zum Betrieb von Telegrafenanlagen zugunsten der Staatstelegrafenverwaltung festgelegt. 159 Der englische und amerikanische Sonderweg wurde nun vom deutschen Schrifttum zum Telegrafenwesen als gescheitert angesehen, was noch dadurch verstärkt wurde, daß auch in den Vereinigten Staaten Bestrebungen auftraten, das Telegrafenwesen zu verstaatlichen, die sich aber schließlich nicht durchsetzten. Man schloß aus den Entwicklungen des englischen Marktes, daß das Telegrafenwesen einen unvermeidlichen Drang zur Monopolisierung beinhalte, und hielt unter diesem Eindruck das staatliche Monopol ftir das vorteilhaftere Modell als das des privaten Mono- respektive Oligopols. In den Vereinigten Staaten von Amerika wurde ebenfalls die Telegrafie zunächst privaten Unternehmen überlassen, nachdem eine erste staatliche Versuchsstrecke zwischen Washington D. C. und Saltimore im Jahr 1844 in Betrieb genommen worden war. 160 Im Jahr 1846 allerdings bereits wurde diese Linie vom amerikanischen Kongreß zum Verkauf an private Investoren freigegeben, einen Ankauf des Be//'schen Telefon-Patents ftir einen Preis von 100.000 $ lehnte man von Seiten des Staates ab. 161 Es entstanden zahlreiche 154 1ss
156
Schöttle (FN 10), S. 61 f. Schöttle (FN 10), S. 61 f. Vgl. Art. 48 des Gesetzes, abgedruckt in La legislation telegraphique, 1876, S. 193.
151
La legislation telegraphique, 1876, S. 205 f.
158
Schöttle (FN 10), S. 64.
Vgl. W Ludewig (FN 4), 63 (103); La Iegislation telegraphique, 1876, S. 200,218. Wiley, Competition and Deregulation in Telecommunications: The American Experience, in: Mestmäcker (Hrsg.), Kommunikation ohne Monopole, 1980, S. 31 (33). 16 1 Wiley (FN 160), S. 33. 159
160
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3. Teil: Telegrafenverkehr und Technikrecht
private Telegrafengesellschaften, unter denen sich als größtes die Western Union durchsetzte, die auch auf vielen Linien zum Monopolisten wurde. Im Zuge der Patentrechtsstreitigkeiten in bezug auf das Telefon zwischen Bell und Elisha Gray teilten die Unternehmen Western Union und AT&T den Telekommunikationsmarkt der Vereinigten Staaten im Jahr 1879 untereinander auf: Die Western Union beschränkte sich auf den Telegrafiemarkt- dies zumindest fiir die Dauer der Geltung der Telephonpatente von Bell und Gray, welches letzte AT&T ebenfalls im Rahmen des betreffenden Vergleiches gegen eine geringe Abfindung erworben hatte. 162 Im Gegenzug fiir den Rückzug von Western Union aus dem Telefonmarkt verpflichtete sich AT&T ebenfalls fiir die Geltungsdauer der Patente auf eine Betätigung auf dem Telegrafenmarkt zu verzichten. Western Union konnte so seine Monopolstellung verteidigen, während AT&T sich durch diesen Vergleich eines Wettbewerber mit erheblichen fmanziellen Ressourcen auf dem Telefonmarkt entledigen konnte. 163 Auch nach dem Auslaufen des Be/l'schen Patentes blieb es bei einer übermächtigen Marktstellung von AT&T auf dem Telefonmarkt, man mußte sich mittelfristig mit einem regulierten 164 privaten Monopol abfinden. 165
F. Durcbsetzung staatlicher Alleinrechte mit den Mitteln des Rechts Die staatliche Alleinberechtigung, die lange Zeit auf faktischem Wege gewährleistet worden war, mußte in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts verstärkt mit normativen Mitteln durchgesetzt werden. Es gewann vor allem in Deutschland die juristische Frage der Regalität der Telegrafie und insbesondere ihrer Herleitung aus den bestehenden gesetzlichen Regelungen an Schärfe. In Deutschland wurde die Behauptung eines Telegrafenregals vor Schaffung des Telegraphengesetzes vor allem von der Telegrafenverwaltung verteidigt und im wesentlichen auf Art. 48 der Verfassung des Deutschen Reiches von 1871 166 gestützt. Bestritten wurde dies vor allem, als die ersten Telefone praktisch eingesetzt wurden und sich damit die faktische Situation der staatlichen Privilegierung änderte.
Wiley (FN 160), S. 34. Wiley (FN 160), S. 34. 164 Vgl. v. a. Telecommunications Act von 1934. 165 So etwa Wiley, (FN 160), S. 36 f. 166 Bzw. die wortgleiche Vorgängernorm der Verfassung des Norddeutschen Bundes: "Das Postwesen und das Telegraphenwesen werden fiir das gesammte Gebiet des Reiches [Bundes] als einheitliche Staatsverkehrs-Anstalten eingerichtet und verwaltet." 162
163
F. Durchsetzung staatlicher Alleinrechte mit den Mitteln des Rechts
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Die historisch wohl erste Entwicklung des Telefons wird dem Taubstummenlehrer Philip Reis zugeschrieben. Sein 1860 entwickelter Prototyp diente aber nur experimentellen Zwecken und Reis verfolgte die Erfindung nicht weiter, 167 so daß als Erfmder des Telefons heute derjenige gilt, der auch den praktischen Einsatz des Geräts vorhersah und verfolgte, Graham Bell. Sein USPatent, das er 1876 nur zwei Stunden vor seinem Landsmann Elisha Gray einreichte, 168 fiihrte zur Entstehung einer starken Marktmacht der Bell Company auf dem amerikanischen - privatwirtschaftlicher Tätigkeit zugänglichen Markt unkörperlicher Nachrichtenfernübertragungen. Beils Patent hatte jedoch in Deutschland, wohin er auch erste Geräte verschenkte, um sich den Absatzmarkt filr Telefongeräte zu eröffnen, keine Gültigkeit. Das zwar vor der ersten offiziellen Einfilhrung des Telefons- zunächst als Telegrafie-Hilfsmittel-am I. Juli 1877 in Kraft getretene deutsche Patentgesetz 169, schützte gemäß § 2 eine Erfindung nicht, die zum Zeitpunkt der Patentanmeldung "in öffentlichen Druckschriften bereits derart beschrieben oder im Inlande bereits so offenkundig benutzt ist, daß danach die Benutzung durch andere Sachverständige möglich erscheint". In der technischen Entwicklung des Kommunikationswesens stellte das Telefon einen weiteren, wesentlichen Schub dar, da es die Telegrafie zunächst finanziell revolutionierte, später aber auch qualitativ deutlich veränderte bzw. langfristig ablöste. Tatsächlich sollte das Telefon auch einen wesentlichen Schub in der Kommunikationsrechtsentwicklung verursachen. Die Erfindung rief, da sie eine wesentlich billigere Alternative von Kommunikationseinrichtungen darstellte, verstärkt private Unternehmer auf den Plan, die in der neuen Technik attraktive Gewinnmöglichkeiten erblickten. 170 Auch die Kommunen sahen durch die Errichtung eigener Teleformetze die Möglichkeit vor Augen, nicht auf den Anschluß an das Telegrafennetz durch die Telegrafenverwaltung bzw. die Reichs-Post- und Telegraphen-Verwaltung (RPTV) warten zu müssen und sich gleichzeitig eine Eiernahmequelle erschließen zu können. 171 An der Frage der Nutzbarkeit bzw. der Zulässigkeit des Betriebes von Telefonanlagen durch Private und Kommunen, bzw. der Regalität der Telefonie entzündete sich deswegen eine der heftigsten juristischen Kontroversen im Bereich des Nachrichtenwesens im 19. Jahrhundert. Schon die Frage der möglichen und notwendigen Gleichbehandlung von Telefon und Telegraf war hoch umstritten. Die staatliche Alleinberechtigung, die sogenarmte Regalität, die schon filr das Telegrafenwesen bis zur Schaffung Archiv fiir deutsche Postgeschichte 1981, 124 ( 125); J Bruns, (FN 88), S. 45 ff. Köbele (FN 3), S. 159. 169 RGBI. 1877, 501. 17° Köbe/e (FN 3), S. 162. 171 Köbele (FN 3), S. 163. 167 168
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J. Teil: Telegrafenverkehr und Technikrecht
des Reichstelegraphengesetzes im Jahr 1892 aufgrund der Rechtslage vielfach bestritten wurde, konnte ftlr das Telefonwesen nicht minder brisant sein. In Deutschland wurde das erste Telefon 1877 durch Heinrich von Stephan eingefilhrt. Die Versuche verliefen so erfolgreich, daß man schon bald begann, daß Telefon als ergänzendes KQmmunikationsmittel der Telegrafie in größerem Maßstab einzusetzen. Zunächst wurden Fernsprechverbindungen nur bis zur nächsten Telegrafenstation eingerichtet, die zu übermittelnden Nachrichten wurden dann zur Station durchgesprochen und von dort weitertelegrafiert. 172 Dies hatte vor allem den Grund, daß es technisch noch nicht möglich war, Telefonverbindungen über größere Distanzen zu errichten. Zur heute selbstverständlichen Funktion, nämlich der Führung von Gesprächen, gelangte das Telefon in Deutschland dann erst etwa ab 1880. Für die Einfilhrung und Regalisierung (auch) des Telefons sprachen auch aus Sicht der Telegrafenverwaltung erhebliche Kostenargumente. So kostete ein Telefonapparat nach Siemens lediglich 5 RM 173 , während die Kosten ftlr eine Telegrafenstation immerhin bei 600700 RM lagen. 174 Hinzu kam, daß bei Telefonen das Personal weniger aufwendig in Wartung und Betrieb geschult werden mußte.175 Man versprach sich folglich vom Telefon die Sanierung des etwa seit den 70er Jahren überwiegend defizitären Telegrafenwesens. 176 Diese Sanierung sah man durch das Auftreten möglicher privater Konkurrenten natürlich gefiihrdet. Also kam es auch aus diesem Grund zum Streit über die Zulässigkeil privater Anlagen. Diesen konnte die RPTV am Ende des Jahrhunderts zu ihren Gunsten entscheiden. Das Telefon wurde schließlich durch das Telegraphengesetz von 1892 ebenso wie der Telegraf ausschließlich in die Hände des Staates gelegt. Zuvor jedoch hatten sich Rechtswissenschaft und Rechtsprechung ausgiebig mit der Frage der Alleinberechtigung vor dem Erlaß dieses Gesetzes zu beschäftigen.
Denkschrift 50 Jahre elektrischer Telegraphie, 1899, S. 81. Während Bell in Amerika immerhin 50 Dollar fiir seinen Apparat verlangte, vgl. Kilger (FN 19), S. 71. 174 Köbele (FN 3), S. 161. m Vgl. Köbele (FN 3), S. 161; Kilger(FN 19), S. 71. 176 Die Defizite der Telegrafenverwaltung waren vermutlich zum einen auf die zur Abschreckung privater besonders niedrigen Nutzungsentgelte, aber auch auf eine ineffiziente und kostspielige Organisationsstruktur zurückzufiihren, vgl. Köbe/e (FN 3), S. 158 bzw. Seidel (FN 1), S. 148. 172
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I. Streit um die Frage der Regalität des Telegrafen- und Telefonwesens in Deutschland vor Schaffung des Telegraphengesetzes von 1892 1. Subsumtion des Telefons unter den BegriffTelegrafie im Sinne des Art. 48 der Reichsverfassung von 1871
Der Begriff der Telegrafie wurde zuerst wie oben erwähnt für den Chappe'schen optischen Telegrafen benutzt. Zwar war die eigentliche Wortbedeutung Tele-graph auch filr diese Apparatur unzutreffend, 177 dennoch setzte sich die Bezeichnung sowohl fiir dieses Nachrichtenmedium als auch filr die frühen Formen der elektrischen Telegrafie, die ebenfalls keine Aufzeichnung der Nachrichten ermöglichten, durch. Man verstand also unter Telegrafie grundsätzlich jegliche Form der Nachrichtenfernübertragung ohne Ortswechsel einer Person oder Sache, 178 also jede unkörperliche Nachrichtenübertragung. Eine juristische Handhabbarkeil des Begriffs war damit jedoch keineswegs erreicht. Die Möglichkeiten der unkörperlichen Nachrichtenübertragung sind so vielfiiltig, daß sich Regelungen des Telegrafenwesens unmöglich einheitlich hierauf erstrecken konnten. 179 Ungeachtet dessen wurde der Begriff "Telegrafie" in den Gesetzen verschiedenster Staaten gebraucht. Teilweise wurde eingeschränkt nur von elektrischen180 oder sogar nur von elektromagnetischen 181 Telegrafen(anstalten) gesprochen, andere Gesetze benutzten den Begriff Telegraf allerdings auch ohne jegliche Einschränkung 182 • Vor allem die Frage, ob Telefone rechtlich als Telegrafenanstalten anzusehen seien, beschäftigten die Gerichte und die Wissenschaft.
177 Gr. tele = fern und graphein = schreiben, der Chappesche Apparat zeichnete die Nachrichten nicht auf, ebensowenig taten dies die fiiihen Formen der elektrischen Telegra-
fie.
178 W Ludewig, (FN 4), S. 63 (78). 179 Köbe/e (FN 3), S. 170. 180 z. B. in Belgien und England. 181 Das sächsische Gesetz, vgl. Anmerkung Nr. 41. 182 So z. B. Frankreich, Decret-loi du 27 Decembre 1851, Art. 1 para. 2: Wer ohne Erlaubnis entweder mit Telegraphenapparaten oder auf sonstige Weise Signale von einem zu einem anderen Orte übermittelt, wird (... ) bestraft. (Übersetzung des Verfassers, Gesetz im Originalwortlaut bei G. Schöttle (FN 10), S. 30 Anm. 1).
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a) Definition der Telegrafenanstalt in der "Rohrpostentscheidung" (RGSt 4, 406) Eine erste juristische Definition des Begriffs der Telegrafenanstalt findet sich in einer strafrechtlichen Entscheidung des Reichsgerichts. 183 In dieser Entscheidung ging es um die Frage, ob die im 19. Jahrhundert verbreiteten Rohrpostanlagen unter die Telegrafenanstalten im Sinne des damaligen § 318 RStGB fallen. Das Reichsgericht verneinte dies mit der Feststellung, daß das Wesen der Telegrafenanstalt darin bestehe, "daß sie eine ihr zur Weiterbeförderung an einen entfernten Ort zugehende schriftliche oder auch nur mündliche Mitteilung, an dem Bestimmungsorte mittels vorausbestimmter Zeichen, mögen dieselben auch in Buchstaben bestehen, reproduziert, während die Postanstalten im allgemeinen, sowie im besonderen auch die Rohrpostanstalten, den bei ihnen bestehenden Einrichtungen nach nur schriftliche Mitteilun~en entgegennehmen und diese in Natur an den Adressaten befördern." 1 4 Mangels Reproduktion der Nachricht sei eine Subsumtion der Rohrpostanlagen unter die entsprechenden Strafnormen nicht möglich, wenngleich das Schutzbedürfnis bei ihnen genauso gegeben sei wie bei den Telegrafenanstalten. 185 Mit dieser Entscheidung wurde das Merkmal der Reproduktion einer Nachricht erstmals zum wesentlichen rechtlichen Abgrenzungsmerkmal der Telegrafie von anderen Kommunikationsformen erklärt. b) Konsequenzen des Abgrenzungsmerkmals "Reproduktion" fiir die Behandlung des Telefons Die Konsequenzen dieser Entscheidung fur die Zuordnung der Telefonie zum Telegrafenwesen wurden zunächst unterschiedlich beurteilt. Das vom Reichsgericht postulierte Merkmal der Reproduktion hat die Streitfrage, ob das Telefon unter den Begriff der Telegrafenanstalt zu subsumieren sei, vorläufig weiter verstärkt. Teilweise wurde das Merkmal der Reproduktion fur das Telefon bestritten, da bei ihm das Original am Empfangsort einträfe. 186 Das Telefon benutze zwar ebenfalls die Kraft der Elektrizität, es befördere aber nicht Zeichen, sondern Worte, dem Adressaten würde nicht das "in irgend einer Weise reproducirte Telegramm" mitgeteilt, sondern er erhalte die Worte im Original, d.h. so, wie
RGSt 4, 406. RGSt 4, 406 (407). 185 RGSt 4, 406 (407). 186 Fuld, Telegraphen-, Telephon- und Rohrpostanstalten, in: Der Gerichtssaal, Bd. 36 183
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(1884), s. 205.
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sie gesprochen wurden. 187 Allerdings wurde diesem - die Telefontechnik verkennenden - Ansatz auch in der zeitgenössischen juristischen Literatur sogleich widersprochen. 188 Keineswegs liefere das Telefon das Original der aufgegebenen Nachricht an den Bestimmungsort sondern reproduziere diese zunächst in elektrische Impulse umgewandelte Nachricht am Empfangsort, wenngleich in akustischer Form. 189 Zudem werde die zu übermittelnde Nachricht bei der Telegrafie nicht immer in schriftlicher Form aufgegeben und käme ebensowenig immer in schriftlicher Form am Empfangsort an. Somit ließe sich auch der Gegensatz der Schriftlichkeit und Mündlichkeil zwischen Telegrafie und Telefonie nicht erkennen, zumal geschichtlich betrachtet auch die ersten "Telegrafen" nicht etwa schriftliche Nachrichten übermittelten. 190 Anderen Äußerungen zufolge wiederum war die Gleichbehandlung von Telegraf und Telefon deshalb nicht vertretbar, weil wesentliches Argument für die Sonderbehandlung des Telegrafenwesens sei, daß es des Dazwischentretens eines Telegrafisten bedürfe, der dem Adressaten die mitzuteilende Nachricht in Urkundenform übergebe, während die Korrespondenten beim Telefon ohne Nachrichtenvermittlung durch Dritte in Kontakt träten. Hiergegen wurde erwidert, die Telegramm-Eigenschaft einer Nachrichtenübermittlung könne nicht davon abhängen, ob ein Dritter oder der Absender selbst den Telegrafenapparat bediene und ob ein Telegrafist oder der Adressat selbst die Nachricht am Empfangsgerät ablese, was beides insbesondere bei den Typendrucktelegrafen durchaus möglich gewesen wäre.19 1 Teilweise wurde das Merkmal der Reproduktion allerdings auch angegriffen, insbesondere mit dein Argument, daß die "Ur-Telegrafie", das Chappe'sche System unter diese Definition nicht zu fassen sei. 192 c) Gleichstellung von Telefonie und Telegrafie in RGSt 19, 55 In einer weiteren strafrechtlichen Entscheidung hatte sich das Reichsgericht direkt mit der Frage der Gleichstellung von Telefon- und Telegrafenanlagen auseinanderzusetzen. 193 Das Gericht nahm hier selbstverständlich Bezug auf die in der Rohrpostentscheidung gefundene Definition der Telegrafenanstalt und 187
(146).
Fu/d (FN 186), S. 202 (205), ihm folgend Horch, in: AöR Bd. 6 (1891), S. 138
188 Scheffler, Zur Bestimmung des Begriffs "Telegraphie", Der Gerichtssaal Bd. 36 (1884), s. 481 ff. 189 Schejjler (FN 188), S. 483. 190 Schejjler (FN 188), S. 483 f. 191 Schejjler (FN 188), S. 485. 192 W Ludwig, (FN 131), S. 63 (80 f.). 193 RGSt 19, 55 ff.
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stellte sich die Frage der Übertragbarkeit der eigentlich zur Abgrenzung von der pneumatischen Rohrpost gefundenen Telegrafiedefinition auf die Telefonie. Zentrales Merkmal stellte auch hier die Reproduktion von Zeichen als Charakteristikum der Telegrafie dar. Zuvor stellt das Gericht sich allerdings die Frage, ob die schriftliche Aufzeichnung der zu übermittelnden Nachricht am Empfangsgerät als ebenso filr die Eigenschaft einer Telegrafenanlage erforderliches Merkmal anzusehen sei. Dies verneint der Senat mit Hinweis auf die Entstehungsgeschichte der Normen der §§ 317, 318 RStGB. Diese gingen zurück auf die §§ 296 ff. des Preußischen StGB und deren Vorgängernormen im preußischen Gesetz vom 30. November 1840 194, welches letztere aus einer Zeit stamme, in der lediglich die optische Telegrafie praktisch eingesetzt wurde, so daß das Merkmal der Aufzeichnung nicht wesentlich ftlr die Definition der Telegrafenanlage sein könne. 195 Bezüglich der Zeichenreproduktion wird in diesem Urteil der (Fehl-)Einschätzung, das Telefon ftlhre zur Übermittlung der Nachricht im Original, eine Absage erteilt. Technisch zutreffend kommt der Senat zu dem Schluß, daß beim Telefon ebenso wie beim Morse-Apparat, der ja auch zusätzlich eine akustische Wahrnehmung der übermittelten Zeichen ermöglichte, durchaus eine Reproduktion von Zeichen stattfinde. 196 Somit könne also die Form der Reproduktion am Empfangsort, sei diese akustisch oder optisch, nicht entscheidend fUr die Einstufung eines Nachrichtenübermittlungssystem als Telegraf sein. Jede Nachrichtenbeförderung, die nicht durch Transport des Trägers der Nachricht, sondern dadurch bewirkt werde, das der an einem Ort ausgedrückte Gedanke am entfernten Ort sinnlich wahrnehmbar wieder erzeugt werde, sei als Telegrafie anzusehen. 197 Damit war die Frage der Gleichbehandlung von Telegrafen und Telefonen zumindest filr das Strafrecht, aber auch mit einer gewissen Signalwirkung filr die anderen Rechtsgebiete, entschieden. 2. Regalität der Telegrafie aus Art. 48 RV 1871
Auf diese Gleichstellung aufbauend wurde die vom lokrafttreten der Reichsverfassung 1871 an behauptete Regalität der Telegrafie dann natürlich auch und vor allem filr die Telefonie auf Art. 48 RV 1871 gestützt. 198 Nach dieser Verfassungsbestimmung wurde das Telegrafenwesen als einheitliche Staatsver-
Preußische Gesetzessammlung 1841, S. 9. RGSt 19, 55 (57). 196 RGSt 19, 55 (58). 197 RGSt 19, 55 (58). 198 Vor allem vonseitender Verwaltung, vgl. Ministerial-Circulär vom 30. Juni 1882, im Wortlaut wiedergegeben bei Horch, AÖR Bd. 6 (1891), S. 138 (139). 194 195
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kehrsanstatt eingerichtet und verwaltet. Teilweise wurde hierin ein Bekenntnis der Verfassung zum staatlichen Telegrafenmonopol bzw. -regal gesehen. a) Begriff der Regalität im 19. Jahrhundert Der Begriff "regalia" wird historisch zu ersten Mal im Wormser Konkordat von 1122 erwähnt. Dort bezeichnet er die Gesamtheit der den Kirchenfürsten vom Kaiser verliehenen weltlichen Befugnisse. 199 Im 16. Jahrhundert bezeichneten rega/ia maiora oder essentia/ia diejenigen staatlichen Rechte, die dem Staat zwingend zur Erfilllung seiner Aufgaben zugeordnet sein müssen, also die Majestäts- oder Hoheitsrechte, die Rechte der Staatsgewalt. Für diese notwendigen Rechte des Staates wurde der Begriff des Regals im 19. Jahrhundert aber nicht mehr gebraucht. Die regalia minora oder accidentia/ia dagegen dienten lediglich dem Vermögenserwerb des Herrschers und konnten durch den Landesherrn kraft Gesetz, Herkommen oder kaiserlicher Verleihung erworben werden, sie wurden auch zufiillige Regierungsrechte genannt. Zufallig deshalb, weil sie nicht aus dem Wesen der Souveränität hergeleitet werden konnten wie die Hoheitsrechte. Vielmehr dienten die auch Finanzregalien genannten Vorrechte dem finanziellen Ertrag des Landesherrn. Sogenannte regalia minora waren also ausschließliche Befugnisse des Staates, die er sich aus fiskalischen oder aus Gründen des Allgemeinwohls vorbehalten hatte. Der Begriff des Regals wurde im 19. Jahrhundert nur noch für diese letztgenannten, die regalia minora verwandt, also für Rechte der Staatsgewalt, die die allgemeine Gewerbefreiheit einschränkten, ohne Hoheitsrechte zu sein. 200 Allerdings hatte sich deren Bewertung insofern geändert, als daß sie nicht mehr dem persönlichen Vermögenserwerb des Landesherrn, sondern der Finanzierung des Staatswesens im allgemeinen dienten. Die Regalien sollten also nicht mehr die pekuniäre Lage des Fürsten aufbessern, sondern ihre Erträge dienten der Erfüllung des Staatszwecks. 201 Letztere wurden auch als "eigentliche Regalien" bezeichnet, zu ihnen zählten das Wasser- und Wegeregal, das Brandtweinregal, das Fischereiregal, das Mühlenregal und z. B. auch das Postregal.202 Nach einer zeitgenössischen Definition waren Regalien im 19. Jahrhundert "gewisse an sich privatrechtliche Befugnisse, welche sich der Staat als solcher im Wege der Gesetzgebung oder des Gewohnheitsrechts aus
199 W Ludewig, (FN 4), S. 63 (65). 200 Maurenbrecher, Grundsätze des heutigen deutschen Staatsrecht, 1843, S. 383. 201 W Ludewig, (FN 4), S. 63 (69). 202 Maurenbrecher (FN 200), S. 388.
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ICJo