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German Pages 288 Year 2002
MICHAEL KLOEPFER (Hrsg.)
Kommunikation - Technik - Recht
Schriften zum Technikrecht Herausgegeben von Prof. Dr. M i c h a e I K I o e p f e r, Beriin
Band 6
Kommunikation - Technik - Recht Kommunikationsrecht in der Technikgeschichte
Herausgegeben von
Michael Kloepfer
Duncker & Humblot · Berlin
Die Deutsche Bibliothek- CIP-Einheitsaufnahme Kommunikation - Technik - Recht : Kommunikationsrecht in der Technikgeschichte I Hrsg.: Michael Kloepfer. - Berlin : Duncker und Humblot, 2002 (Schriften zum Technikrecht ; Bd. 6) ISBN 3-428-10792-6
Alle Rechte, auch die des auszugsweisen Nachdrucks, der fotomechanischen Wiedergabe und der Übersetzung, für sämtliche Beiträge vorbehalten © 2002 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fremddatenübernahme: Klaus-Dieter Voigt, Berlin Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 1616-1084 ISBN 3-428-10792-6 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706 0
Vorwort Der vorliegende Band enthält Beiträge zum Technikrecht in seiner verhaltenssteuernden Funktion für die Technikbegrenzung und die Technikermöglichung. Nachgegangen wird vor allem der Frage, inwieweit das Technikrecht als Bedingung und Voraussetzung für Technikentwicklungen verstanden werden kann. Die charakteristische Doppelfunktion des Technikrechts - einerseits technikbegrenzend, andererseits technikermöglichend auf Technikentwicklungen einzuwirken - wird im Bereich der Informationsund Kommunikationstechnologien besonders deutlich. Dabei handelt es sich um zentrale Zukunftsmärkte, die auch die Zukunft der Techniksteuerung durch Recht mitbestimmen dürften. Welche Funktionen übernimmt Kommunikation? Was benötigt Kommunikation aus der Sicht der Technik? Und was folgt für das Recht, wenn sich in der Technik neue Gestaltungsvarianten zur ordnungsrechtlichen Techniksteuerung erkennen lassen und neue Schutzmechanismen jenseits der eingriffsabwehrrechtlichen Kategorien sichtbar werden? In dem Maße, wie die individuellen Entfaltungsmöglichkeiten durch Technik an Bedeutung gewinnen, der staatliche Steuerungsanspruch durch das Technikrecht zurückgenommen und auf die Bereitstellung eines rechtlichen Rahmens für die Technikentwicklung auf den Weltmärkten beschränkt wird, verändern sich - zum Teil gravierend - die demokratisch-rechtsstaatliehen Ableitungsund Zurechnungszusammenhänge in der Informationsgesellschaft Der Band faßt in leicht überarbeiteter Form einen Teil der Beiträge einer wissenschaftlichen Fachtagung zusammen, die am 14. und 15. Dezember 2000 vom Forschungszentrum Technikrecht an der Humboldt-Universität zu Berlin veranstaltet wurde. Es handelte sich dabei um die interdisziplinär angelegte Abschlußtagung des Forschungsprojekts "Technikentwicklung und Technikrechtsentwicklung". Großzügig gefördert wurde das Forschungsprojekt1 von der Volkswagen-Stiftung. Hierfür gebührt ihr unser herzlicher Dank. Die Tagung brachte insbesondere Juristen, Historiker und Kommunikationswissenschaftler zusammen. Sie widmete sich den Grundlagen, Entwicklungen und Perspektiven des wechselseitigen Verhältnisses von Kommunikation, Technik und Recht. Leider ließ sich der Abdruck der 1 Siehe auch Kloepfer (Hg.), Technikentwicklung und Technikrechtsentwicklung (2000) sowie Kloepfer, Technik und Recht im wechselseitigen Werden - Kommunikationsrecht in der Technikgeschichte (2002).
Vorwort
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Beiträge von Claus Leggewie zu "Staat - Kommunikationsnetze - Gesellschaft" und von Siegfried Klaue zu "Kommunikationstechniken und Wettbewerb: Wieviel Selbstregulierung?" nicht realisieren. Das Buch zielt darauf, Anreize zur wissenschaftlichen Beschäftigung mit den Strukturen von Technik und Recht zu setzen. Die Beschäftigung mit dem Technikrecht birgt viele Einsichten, die auch für das Verständnis der allgemeinen Rechtsentwicklung fruchtbar gemacht werden können. Berlin, im August 2001
Michael Kloepfer
Inhaltsverzeichnis I. Grundlagen Helmut F. Spinner Von der wissensgeleiteten Techniksteuerung zum technologischen Wissensregime . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11 Günter Müller Entwicklungslinien der Infonnations- und Kommunikationstechnik . . . . . . . 61 Jean Nicolas Druey Kommunikation als Gegenstand des Rechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 73
II. Entwicklungen Wolfgang König Telegrafie, Telefonie, Funk. Kommunikation und Technik im 19. Jahrhundert . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 91 Milos Vec Technik oder Recht? Steuerungsansprüche in der Zweiten Industriellen Revolution . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111
Alexander Roßnagel Auf dem Weg zu einem europäischen Multimediarecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . 139
111. Staat und Gesellschaft Matthias Schmidt-Preuß Technikennöglichung durch Recht . ... . ....... ... .. . . ..... . . . . .... . . . . 175 Hagen Hof Verhaltensregelung durch Kommunikation und Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 203
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Inhaltsverzeichnis
IV. Perspektiven Gerrit Manssen Kommunikationstechniken und Inhalte: Wie viel Regulierung? ........... 241 Bernd Holznagel/Andreas Grünwald Europäisierung und Globalisierung von Kommunikation und Recht . . . . . . . 259
Autorenverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 287
I. Grundlagen
Von der wissensgeleiteten Techniksteuerung zum technologischen Wissensregime Von Helmut F. Spinner Abstract Thema des Beitrags ist der neuerliche wissenschaftliche und politische Einstellungswandel zur Steuerbarkeit des naturwissenschaftlich-technischen Fortschritts. "Techniksteuerung" im Sinne eines normativen Lenkungs-, Kontroll- und notfalls Verhinderungsanspruchs ist, mit Ausnahme von weltanschaulich fixierten Positionen zu Wert und Würde des menschlichen Lebens, zum politischen Unwort geworden. Am Demonstrationsfall der Information & Kommunikation (abgekürzt IuK) bzw. der luK-Technologien wird die stille Revolution des derzeitigen Übergangs von rahmenden "(Wissens- )Ordnungen" für liberal (d. h. unter Wahrung der fundamentalen Wissensfreiheiten) geregelte Freiräume bestimmter Wissenstätigkeiten zu direktiven "(Wissens- )Regimen" als ein schleichender Überlagerungsprozeß beschrieben. Im Zuge dieser kombinierten Oe- und Reregulierung durch ökonomische und technologische Wissensregime werden in weiten, insbesondere nichtwissenschaftlichen, Informations- und Kommunikationsbereichen nichtkognitive "Imperative" dominant. Die Erklärung des Paradigmenwechsels auf der Objektebene erfordert einen Szenenwechsel auf der Beschreibungsebene. Das zum Ausgangspunkt genommene konventionelle Szenarium folgt der älteren Argumentationslinie "Wachstum, Steuerung, Verantwortung, Rationalität". Wachstumsprozesse sind leichter steuerbar als Schrumpfungsprozesse, bei denen es zu viele Verlierer gibt, die sich jeder Änderung entgegenstellen. Desgleichen sind, unter der Voraussetzung von dafür konstitutiven Eingriffsmöglichkeiten, steuerbare Vorgänge im Ausmaß ihrer Beeinflußbarkeit zu verantworten. Der Zusammenhang wird durchbrachen, wo es Entwicklungen gibt, die sich der Steuerung entziehen - oder von ihr abgekoppelt werden, aus welchen Gründen auch immer. Diese philosophisch aufwärts führende Argumentationslinie gipfelt in den Kriterien, die dem naturwissenschaftlich-technischen Fortschritt eine Rationalitätslinie vorgeben, an die er sich nach Möglichkeit halten sollte. Sie
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bricht unverrichteterdinge ab nach der bekannten Medienformel für die öffentliche Standardbehandlung: Zuerst die Probleme dramatisieren ("heiß machen"); bei Resonanz kurzfristig in die Schlagzeilen bringen (als unablehnbares "sichtbares Wissen"); schließlich schnell fallen lassen, sobald das Interesse nachläßt (ob gelöst oder nicht). Für die neue Argumentationslinie "Steuerung, Ordnung, Regime" ist die Steuerungsfrage lediglich der Ausgangspunkt, von dem nach scharfer Wende andere Wege wegführen. Diese Regimediskussion ist "Fortschritt" im doppelten (evolutionstheoretischen) Sinn: fort schreiten von einer Startposition, ohne vorgegebenes Ziel und vorgezeichneten Weg entlang eines Kriterienkatalogs, der die Abweichungen notiert und den Kurs korrigiert. Mit dem neuen Regimethema werden nicht die Technokratie-Diskussionen der Vergangenheit über den "Technischen Staat", die "Risikogesellschaft", das "Technopol", den Militärisch-Industriellen Komplex etc. aufgegriffen, sondern aktuelle Überlegungen zur Ordnungstheorie und Ordnungspolitik für die Wissensgesellschaft weitergeführt. Das ist mit der Mainstream-Technikphilosophie nicht möglich. An ihre Stelle tritt die sozial wissenschaftliche (ökonomische, rechtliche, soziologische) Tradition des ordnungspolitischen Denkens, gekreuzt mit neueren Wissensauffassungen aus Philosophie, Psychologie, Informationstheorien und Kognitionswissenschaften. Der Verdrängungswettwerb der rivalisierenden Ordnungen (Rechts-, Wirtschafts-, Wissensordnung, neuerdings mit der meines Erachtens nicht vergleichbaren Technikordnung) sowie der Überlagerungsprozeß durch Regime (als nichtstaatliche "govemance without govemment") haben diese Entwicklung in Gang gebracht. Hier sind Dinge in Bewegung geraten, deren Konsequenzen noch nicht absehbar sind. Das weite Feld der IuK bildet ein Konfliktzentrum des Zusammenstoßes der Ordnungen und Regime im Hinblick auf den Aufbau der Wissensgesellschaft Was im folgenden für die Steuerungs-, Ordnungs- und Regimeproblematik der IuK-Felder in die Diskussion gebracht werden soll, ist die konzeptuelle Grundlegung des Karlsruher Ansatzes der integrierten Wissensforschung, auch wenn dieser hier nicht im einzelnen erläutert werden kann 1.
1 Kurz und bündig, aber thematisch umfassend in Spinner 2002/Manifest; schwerpunktartig zuletzt in Spinner 2000/Karlsruher Ansatz, Spinner 2000/0rdnungen sowie Spinner, Nagenborg, Weber 2001/Bausteine (Beitrag "Was ist ein lnformationseingriff?").
Von der Techniksteuerung zum technologischen Wissensregime
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I. Zum Auslaufprojekt Techniksteuerung 1. Die Frage nach der Technik und ihrer Steuerung a) Steuerbare und nichtsteuerbare Technik
Die philosophische "Frage nach der Technik" (ein bekannter HeideggerTitel; für ihn aber keine kontingente Frage, sondern Anlaß für dezidierte Antworten) ist im Lauf der Zeit von der praktisch-politischen Frage nach der Techniksteuerung abgelöst worden, die ihrerseits neueren Fragen weichen muß. Aber die zweite Frage hängt von der ersten ab. Nicht jedes Technikverständnis hat Platz für Technikkontrolle. Die Zeit der großen Technikphilosophien scheint vorüber zu sein, auch wenn das in philosophischen Kreisen mit engerem Horizont nicht gern gehört wird2 . Anstelle neuer Entwürfe begnügt man sich mit der Verortung des naturwissenschaftlich-technischen Fortschritts im großen Kräftedreieck von Wissenschaft, Technik und Ökonomie, assistiert von der Politik, welche die alte Idee der Wirtschaftsdemokratie auf den Kopf stellt. Die zu Kontrollierenden haben Vetorecht und werden gefragt, ob sie geneigt sind, Gesetze zu befolgen. Das ist die politische Prämie auf Größe. Die Philosophie ist von jeglicher Mitsprache ausgeschaltet, und die Ethik wird in die Imagepolitik eingebunden. Dieser unspektakuläre, weniger falsche als phantasielose Ansatz verbindet die neue Frage nach der Technik nicht mehr mit ihrem Wesen, worin es auch immer bestehen mag 3 , sondern mit auffälligen Begleitumständen oder alarmierenden Folgetatbeständen. Nach dem Gerätekriterium4 sind das die 2 Mein antizyklischer, unerwartet provozierender Konferenzbeitrag .. What is Living and what is Dead in the Philosophy of Technology" zur Karlsruher Tagung 1997 ist von den Verantwortlichen (wie man sagt) der International Academy of the Philosophy of the Seiences in den Konferenzband Lenk, Maring 2001/Advances wegen untolerierbarer Unvereinbarkeit mit dem positiveren Selbstverständnis einiger deutscher Technikphilosophen nicht aufgenommen worden: als einziger unter über 30 höchst heterogenen Beiträgen schaffte er nicht die stellenweise ziemlich durchhängende Meßlatte des geforderten wissenschaftlichen Niveaus! Es reichte nicht einmal zur Nennung in der Teilnehmerliste, womit das für jede Informationsethik unverzichtbare Rückwirkungsverbot der Kritik verletzt wurde. Das Anerbieten, statt dessen einen unverfänglichen Ersatzbeitrag abzudrucken, habe ich abgelehnt. 3 Wer will, kann hier Heidegger 1954/Vorträge, S. 13, zitieren, wo apodiktisch behauptet wird, daß das Wesen der Technik "ganz und gar nichts Technisches" sei, sondern, wie sich den weiteren Ausführungen entnehmen läßt, etwas zutiefst Metaphysisches und unheimlich Mächtiges. Da gibt es nichts zu steuern. Kontrollbegriffe wie Recht, Freiheit, Wahl(en) etc. haben hier nichts zu suchen. 4 Näheres dazu bei Spinner 1998/Architektur, S. 55, 62, 186 ff. und 194 ff.
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materiellen Artefakte (Werkzeuge, Apparaturen, Maschinen, Hardware); in ökonomischer Sicht sind es die marktgängigen Innovationen; in juristischer Sicht patentfähige Erfindungen; in politischer Sicht Arbeitsplätze; in soziologischer Sicht Risiken; in ethischer Sicht Folgen, Folgen, Folgen. Was fehlt, ist sowohl die unzeitgemäße philosophische Sicht, welche die Technik mit Macht und Herrschaft, Machbarkeit und Machenschaften verbindet (wovon Philosophen wie Heidegger immerhin etwas ahnten und Schriftsteller wie lohn Le Carre einiges wußten 5 ) als auch die neueste Sicht, welche im Wissen den ausschlaggebenden Faktor der modernen Technik sieht. Modeme Technik ist Wissen in technischer Realisation und Funktion. Welcher Kontext herangezogen wird, ist für die Frage nach der Techniksteuerung entscheidend. Metaphysische Technikauffassungen haben dafür keinen Platz (wie bei Heidegger, für den die "planetarisch" gewordene Technik unheilvolles "Geschick" ist). Wissensbezogene Technikdeutungen haben dafür kein Mittel, weil der Wind des Wissens weht, wo er will und nur dem "freien", d.h. selbstgesteuerten wissenschaftlichen Erkenntnisfortschritt folgt. Je mehr wir uns vom unnahbaren Wesen der Technik entfernen, desto notwendiger wird ihre Steuerung. Ob diese damit rationaler und effektiver wird, steht auf einem anderen Blatt. Neuerdings sieht es so aus, als wäre die jahrzehntelang gepflegte Vorstellung einer rationalen Steuerung des naturwissenschaftlich-technischen Fortschritts6 ein Auslaufmodell der gegenwärtigen Technikdiskussion. Auf abschüssiger Ebene der immer weniger unter Kontrolle zu haltenden Technikentwicklung - von der unbedingten Normierung über die wegweisende Lenkung bis zur nachpolierenden Gestaltung - ist der Legitimationsdiskurs der Kulturwissenschaften weit fortgeschritten. Lediglich im Technikrecht ist der Steuerungsanspruch der Gesellschaft gegenüber der Technik noch nicht völlig aufgegeben worden, trotz des unübersehbaren Terrainverlusts im globalisierten Raum. Die moderne Technik ist ein Komplex von Tatbeständen und Eigenschaften, von denen je nach Perspektive und Gewichtung verschiedene Teilmengen zur näheren Bestimmung herausgegriffen werden können. Darüber gibt es zwar keine philosophische Einigkeit, wohl aber einen pragmatischen Konsens, der auf drei Ausgangsannahmen für die folgenden Betrachtungen hinausläuft:
5 Zu Heidegger vgl. die insgesamt apologetische, aber eindringlich kommentierte Darstellung Vietta 1989/Heideggers Kritik; zu lohn Le Carre dessen soeben erschienener Roman "Der ewige Gärtner" über die Machenschaften der Pharma-Industrie. 6 Zusammenfassend Spinner 1991/Wachstum.
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(1) Das in jeder Hinsicht Wichtigste - im Guten oder Schlechten - an der Technik ist ihre höchst dynamische, sich selber beschleunigende Entwicklung, die unaufhaltsam zu sein scheint. Damit verglichen, sind die Folgen sekundär. Technikfolgenforschung und Technikethik verstellen sich den Blick auf die Technik, weil sie sich mit Sekundärbetrachtungen begnügen (oder abspeisen lassen).
(2) Von den ältesten handgeführten Werkzeugtechnologien und den neueren motorgetriebenen Apparate- oder Maschinentechniken der ersten Erfindergenerationen unterscheidet sich die moderne Technik durch ihre Verbindung und Verschmelzung mit neuester, höchstentwickelter Wissenschaft. Wissenschaftlicher Erkenntnisfortschritt und technische Entwicklung gehen Hand in Hand. (3) Daß nach heutiger Auffassung wissenschaftliche Theorien in technischen Realisationen ihre höchste Vollendung und die Techniken in der kommerziellen Nutzung ihren größten Wert erreichen, legt den Schluß nahe, in diesen "familienähnlichen" - gleichzeitig eng verbundenen und deutlich unterschiedenen - Erscheinungsformen wissenschaftlicher, technischer und wirtschaftlicher Betätigung eine Transformationsserie der überhaupt möglichen Wissenschaftsformen zu sehen (wie im nächsten Abschnitt skizziert). b) Die moderne Technik als dritte Wissenschaftsform, zur Vollendung der ersten, Unterstützung der zweiten und Grundlage der vierten
Wissenschaft, wie sie heute weltweit anerkannt und betrieben wird, gibt es in vier ideen- und institutionengeschichtlich ausgebildeten Erscheinungsformen: als Theorie, Praxis, Technik, Industrie. Dem Erscheinungsbild nach sehr ungleich, gehen sie doch auf eine gemeinsame Idee zurück, deren Ursprung in der griechischen Naturphilosophie der Vorsokratiker liegt. Dafür gilt allerdings, was Max Weber sinngemäß über die Wurzeln des abendländischen Kapitalismus in der Religion geschrieben hat: sie sind abgestorben, aber was daraus erwachsen ist, hat sich verselbständigt, teilweise sogar dagegen entwickelt, und bedarf ihrer nicht mehr. Ausgehend von der Reinen Wissenschaft der Theorie und seit Mitte des 19. Jahrhunderts übergegangen zur Angewandten Wissenschaft einer immer stärker verwissenschaftlichten Praxis, treffen die genannten Entwicklungen beider Seiten am Ende des 19. Jahrhunderts in der Realisierten Wissenschaft der Technik zusammen. Modeme Technik ist Wirklichkeit gewordenes Wissen. Dieses wird durch seine artifizielle Realisierung in neuer Existenz an technische Trägersysteme ("Hardware") und technische Regelwerke ("Software") gebunden.
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Erst mit dem Computer als maschinellem Rechner ist die damit durchgeführte Wissensverarbeitung eine Wissenstechnik geworden. Sogenannte Geistestechniken sind der Idee nach zwar sehr alt, aber erst der Schritt vom Symbolismus zum Mechanismus hat die elektronische Revolution unseres Informationszeitalters bewirkt. Vom Menschen hergestellte Artefakte sind das verwirklichte Wissen der realexistierenden Technik, im Gegensatz zu den artefaktlosen Pseudotechniken der Geistes- und Sozialwissenschaften, die - zumeist schlechte, technisch untaugliche - Techniktheorie geblieben sind. Dazu gehören die meisten Kultur- und alle Sozialtechnologien, für die es (noch) kein "Gerät" gibt. Die Güte ("Intelligenz", wie man neuerdings sagt und damit typischerweise die künstliche Intelligenz meint) der Technik liegt in der Basis des realisierten Wissens, die durchschlagende Wirkung in der Sachdominanz7 der Gerätschaften. Das gilt vom primitiven Werkzeug bis zur elektronischen Wissensveränderungsmaschine. Es gilt nicht für die symbolischen Geistestechniken und die methodischen Sozialtechnologien, die intelligente Ideen enthalten mögen, aber nicht zu technischen Realisationen geführt haben. Die technische Realisierung war der Durchbruch zur elektronischen Informationsrevolution auf den beiden Gebieten, für die es Artefakte gibt: die Datenverarbeitung und die Nachrichtenübertragung. Ihre Verbindung bildet den technischen Kernbestand der Informationsgesellschaft Diese "harte" Technikbestimmung tut der Bedeutung der nichttechnischen Bedingungen keinen Abbruch, von der Ordnungspolitik zur Gestaltung einer angemessenen Wissensordnung bis zu den nicht, kaum oder nur schlecht technisierbaren Wissensaktivitäten, welche immer noch den Großteil der gesellschaftlichen Wissensarbeitsteilung8 umfassen. Daraus entstehen die neuen "Wissenschaften vom Künstlichen"9 , deren Wissen sich in realen Artefakten verwirklicht, zunächst in Gestalt von Prozeß- und Produktinnovationen, neuerdings im Bereich der Computer- und Nachrichtentechniken auch als künstliche Symbolwelten und algorithmische Regelwerke, aber immer mit einem materiellen Substrat als technischem Kern ("Technik" im Sinne des Gerätekriteriums) sowie einem ideellen Programm als technikübergreifender Doktrin ("Technologie" im Sinne des Funktionskriteriums). Beides ist, wenn auch unterschiedlich, stark wissensbasiert. In größerer Ausführung führt diese Verbindung von Hardware und Software zu den Kognitiv-Technischen Komplexen unserer Zeit, deren neuartige Zusammensetzung, Größenordnung und Wirkungsweise es ausschlie-
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Dazu aus soziologischer Sicht Linde 1972/Sachdominanz. Näheres dazu in Spinner 1998/Architektur, Kap. 4. Vgl. Sirnon 1990/Wissenschaften.
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Ben, sie weiterhin anthropologisch als werkzeugartige Organverlängerung, -Verstärkung oder -ersatz zu deuten 10 . Als vierte im Bunde kommt die Kommerzialisierte Wissenschaft der Industrie hinzu. Sie schließt mit dem Kommerzialisierungsprogramm die Basistransformation der Wissenschaftsserie ab, die mit dem griechischen Theoretisierungsprogramm des menschlichen Wissens in Gang gekommen ist und mit dem Anwendungs- und Technisierungsprogramm ihren Fortgang genommen hat. Die Programme stehen heute in einem Ergänzungs-, Entwicklungs- und vor allem auch Ressourcenwettbewerb. Was zunächst eine historische Abfolge war, ist heute mehr oder weniger friedliche Koexistenz und beständiger Konflikt geworden. Das sind die heute ausgebildeten, weitgehend auch institutionell und professionell verselbständigten vier historischen Erscheinungsformen der modernen Wissenschaft, welche zugleich ordnungspolitische Alternativen durchspielen und die Bandbreite der realexistierenden Gesamtwissenschaft abstecken 11 . Die Technik macht aus Theorie Hard- und Software, die Industrie daraus einen Wertschöpfungsprozeß. Was davon ist wie, wodurch, wozu steuerbar? c) Die Steuerungsfrage ist vieldeutig und manipulierungsfähig
Es gibt viele Wege, Möglichkeiten und Mittel, um Entwicklungen mehr oder weniger unter Kontrolle zu halten. Das Spektrum reicht von vollständiger Determination aller Einzelheiten über generelle Regulationen bis zu den notorischen Rahmenrichtlinien der Politik, die damit - für sich freibleibend - alles und nichts steuert. Die Instrumentenliste reicht von A für Auftragsprinzip (Ziel vorgegeben, Mitteleinsatz und Wegfindung freigestellt, mit "Fahrkarte bis zur Endstation", wie die sog. militärische Auftragstaktik salopp umschrieben wird) bis Z wie Zuteilungspolitik (ökonomische Ressourcenallokation, finanzielle Budgetierung, materielle Kontingentierung) und Zentralverwaltungswirtschaft (staatliche Planung). Dazwischen finden sich die üblichen Verdächtigen, wenn - mehr oder weniger rhetorisch - die Steuerungsfrage gestellt wird, wie beispielweise: Gestaltung, als unspezifischer unterer Grenzbegriff; heute in der Politik sehr beliebt, weil der Pelz trocken bleibt. 10 Zu den Grenzen dieses von Amold Gehlen übergeneralisierten technikanthropologischen Deutungsmusters vgl. Spinner 1994/Erkenntnis; zum überholten technikgeschichtlichen Hintergrund Popitz 1989/Epochen. 11 Zu dieser Transformationsserie der griechisch-abendländischen Wissenschaft vgl. Spinner 1994/Wissensordnung, Kap. 5; ausführlicher Spinner 1997I Ausformung.
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Govemance, meist mit dem englischen Zusatz "without Government", was auf eine neue Art des Regierens ohne Regierung hinauslaufen soll. Kontrolle möglichst aller Variablen, als oberer Grenzbegriff (gerne gebraucht von Managern, die "alles unter Kontrolle" halten wollen). Lenkung als Richtungsbestimmung und Arbeitsbeschaffungsmaßnahme für amtlich bestellte "Lenkungskommissionen". Produktbewertung, als Abnahme- bzw. Endkontrolle, wenn nur noch von Interesse ist, "was hinten rauskommt". Ordnung durch inhaltlich offene, die Ergebnisse nicht determinierende Rahmenbedingungen; Schlüsselbegriff des spezifisch deutschen ordnungspolitischen Denkens, mit der neoliberalen Ökonomie als Heimathafen und der FAZ als halbblindem Lotsen. Regime, neuerdings auch als nichtstaatliche Herrschaftsform (z. B. Wissensregime). Steuerung, im Gegensatz zur Lenkung mit Rückkopplung, um etwas zielorientiert "auf Kurs zu halten". Zuteilung, als ökonomische Ressourcenallokation der Mittel für mehr (durch Direktiven) oder weniger verbindlich (durch Aufträge) vorgegebene Zwecke.
Wenn man Aktivformen einer Selbststeuerung der Technik durch Technik, nach eigenen Vorstellungen der Techniker, von den Passivformen einer Fremdsteuerung unterscheidet, dann läßt sich mit Blick auf die jüngste Entwicklung eine klare Tendenz erkennen. Sie ergibt sich aber nicht aus vergleichenden Untersuchungen der Steuerungsproblematik, sondern aus übergeordneten ideologischen (Siegeszug des Neoliberalismus), ökonomischen (Globalisierung) und politischen (Deregulierungskampagnen) Entwicklungen. Auf der Liste der Agenda ist "Steuerung" nicht mehr vertreten. So ist es nicht erstaunlich, daß in der öffentlichen Diskussion die Argumentationslinie zwischen den beiden Extremen der Entfesselung des naturwissenschaftlich-technischen Fortschritts von allen Bindungen und fundamentalistisch begründeten Forschungs- oder Anwendungsverboten schwankt. Die laufende PID-Kontroverse folgt diesem Alternativ-Radikalismus. Das Ergebnis ist die gegenwärtige, meines Erachtens sehr unbefriedigende Lage der Steuerungsdebatte, die vorzeitig abgebrochen worden ist, ohne ihr volles Potential auch nur annähernd auszuschöpfen. Im folgenden soll ein rigoros auf den Punkt gebrachter Versuch gemacht werden, in einem Schnelldurchgang nachzuzeichnen, was sie bei konsequenter Fortfüh-
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rung hätte bringen können und wo es zum Bruch zwischen Technologie (im metawissenschaftlichen Sinne der Technikphilosophien, Steuerungsdoktrinen etc.) und Technik (im objektwissenschaftlichen Sinne der Technikentwicklung) gekommen ist. 2. Ein konventionelles Szenarium Techniksteuerung nach der Standardformel
Ausgangspunkt ist ein konventionelles Szenarium der externen Techniksteuerung durch übergeordnete nichttechnische Steuerungsinstanzen, einschließlich der im Verborgenen immer mitlaufenden Parallelaktionen interner Selbststeuerungsversuche, welche unbeschadet ihrer Qualitäten letztlich auf das Gegenteil des Erstrebten hinauslaufen. Die Standardformel für diesen eingängigen Steuerungsansatz lautet, verkürzt formuliert: Optionen + Kriterien = optimiertes Steuerungsmodell
Man braucht dazu also eine breites Spektrum an Steuerungsinstanzen bzw. -instrumenten sowie ein differenziertes Arsenal an Maßstäben und Methoden zur Bestimmung der nach Lage der Dinge bestmöglichen Alternative. Ob das zur Lösung der Probleme ausreicht, ist die Frage, welche eventuell zu einer Erweiterung der Standardformel oder gar zu ihrer Änderung zwingt. Hier soll zunächst die Standardformel im systematischen Überblick erläutert werden. Dazu wird in tabellarischer Zusammenfassung ein Optionskatalog der Steuerungsmöglichkeiten sowie ein Kriterienkatalog zur differenzierten Beurteilung auf fünf Anforderungsebenen geliefert. Mit einer Bestandsaufnahme des gesamten Kontrollinstrumentariums - nach dem konservativen Diktum GehZens "Sichtet und verwaltet die Bestände" - ist es jedoch angesichts der fortschreitenden Technik nicht getan. Das heutige Szenarium 12 legt es nahe, darüber hinaus nach den maßgeblichen Faktoren zu fragen, welche die Funktionsweise der einzelnen Instrumente und letztlich den Erfolg der Maßnahmen bestimmen. Was macht die Techniksteuerung stark oder schwach, gut oder schlecht, sinnvoll oder unangebracht? Das sind meines Erachtens die gesellschaftlichen Ordnungen, in deren Rahmen der gesamte Steuerungskatalog eingebettet ist. Damit betreten die Rechts-, Wirtschafts- und Wissensordnung die Szene, denen sich möglicherweise als vierte im ungleichen Bunde so etwas wie eine "Technikordnung" beigesellt. Der Kriterienkatalog wird so unter das Meta-Krite12 Einen Eindruck davon vermittelt die Auswahl jüngster FAZ-Diskussionsbeiträge zur Computer- und Biotechnologie in Schirrmacher, Hg., 2001/Darwin AG.
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rium der Ordnungskonformität gestellt, an dem sich jede Einzelmaßnahme messen lassen muß. Die publizistischen Vertreter des ordnungspolitischen Denkens wachen in der Öffentlichkeit sorgfältig darüber (und verstoßen im Geheimen dagegen). Diese Ordnungen sind zwar das Lieblingsthema der Politiker (die sich damit vom unmittelbaren Handlungszwang entlasten) und der Kommentatoren (die ihr besseres Theorienwissen in die bei jeder Gelegenheit beschworenen "Rahmenbedingungen" hineininterpretieren), aber in der heutigen Konfiguration von Wissenschaft, Technik und Ökonomie gar nicht mehr die maßgebenden Faktoren. Was zur Zeit im Gang ist, kann man in Anlehnung an eine einflußreiche Theorie zur Staatsentstehung als Überlagerung der Ordnungen durch neuartige Regime beschreiben 13 . Die alte Problemstellung schneidet diese aufschlußreichen Zusammenhänge ab. Um diese Überlegungen zu den aktuellen Themen der Wissensordnung und Wissensregime soll die Diskussion hier erweitert werden, nach dem neuen Motto: "Überprüft die Bestände und öffnet die Kataloge. Stellt die Steuerungsfrage in den umfassenderen Zusammenhang der gesellschaftlichen Ordnungen und wissenspolitischen Regime!"
a) Steuerungskatalog der Kontrollinstanzen und -instrumente in strukturierter Aufzählung Um Vorurteile und Vorverurteilungen zu vermeiden, werden die meines Erachtens wichtigsten Gruppierungen zunächst alphabetisch aufgelistet, in tabellarischer Form einer Vorprüfung unterzogen und kurz kommentiert. Die Aufzählung einiger Plus- und Minuspunkte genügt für die Übersicht, aber selbstverständlich nicht zur abschließenden Beurteilung des konkreten Falls, der eine Detailanalyse erfordert. Der Überblick zeigt, daß für jede Art und jedes Ausmaß der Techniksteuerung das Arsenal gut bestückt ist. Er vermittelt aber einen falschen, insgesamt zu positiven Eindruck vom steuerungspolitischen HandlungspotentiaL Über die Güte und Stärke der Maßnahmen ist damit im Grunde noch nichts gesagt. Beides läßt sich erst anband des folgenden Kriterienkatalogs näher bestimmen. Weitere Untersuchungen sind erforderlich, die darüber entscheiden, was davon überhaupt als wählbare Optionen zur Verfügung steht und nach welchen "Einsatzdoktrinen" aktiviert werden kann. Sind diese fehlerhaft (wie zum Beispiel Kar! Poppers "piecemeal engineering" der kleinen Schritte, ohne klares Konzept), können jene nicht optimal sein. 13 Zur Überschichtungs- bzw. Überlagerungstheorie des Staates vgl. die umfassende Darstellung in Rüstow 1950/0rtsbestimmung I.
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Aufstellung 1: Steuerungsinstanzen und -instrumente des naturwissenschaftlich-technischen Fortschritts in alphabetischer Reihenfolge der Funktionsgruppen; ohne Vorwegnahme des Einzelfalls pauschal beurteilt
Steuerungsgruppe 1: Ethik 1a Allgemeinethik
Instrumentarium: allgemeine Werte diffusen Inhalts, unspezifische moralische Normen. Plus: Reflexionsniveau, moralische Überzeugungskraft Minus: Durchsetzungschwäche der normierten "Wünschbarkeiten"; schwache Sanktionen (Mißbilligung, moralische Appelle); kein Wirkungshebel zum Aushebeln unerwünschter Entwicklungen. Kommentar: wegen ihrer Schwäche bei den Starken beliebt; unter Vorzeichenumkehr in der Öffentlichkeitsarbeit einsetzbar. "Ethik kann nicht schaden", heißt ein Werbespruch. 1b Sonderethiken des Wissens, der Wissenschaft, Technik etc.
Instrumentarium: wissensorientierte, kriteriengebundene Wertsetzungen; spezifische moralische Normen der wissenschaftlich-technischen Arbeit. Plus: autonome Setzung durch Eliten; hohe Akzeptanz in Fachkreisen; primäre Wissensorientierung; intellektuell attraktiv aber politisch nicht zugkräftig. Minus: schwache Sanktionen für Fehlverhalten ("Krähenprinzip"). Kommentar: K&K-Milieu (Konsens und Kollegialität in Expertenkreisen). 1c Berufs- und Standesethiken
Instrumentarium: Ethikkodizes, Standesregeln, Vereinssatzungen etc. der Berufsverbände. Plus: hoher Organisationsgrad, soziale Durchsetzbarkeit im Berufsbereich bzw. Mitgliederkreis; Sanktionspotential gegenüber Mitgliedern. Minus: enge Binnenperspektive mit Gruppenegoismus; standespolitisches Wohlverhalten gefördert, kritische "Nestbeschmutzung" verpönt; geringe Außenwirkung. Kommenar: Mitglieder- statt Kundenorientierung; Produkthaftung durch Geschäftsbedingungen möglichst ausgeschlossen.
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Steuerungsgruppe 2: Gesellschaft
2a Politische Partizipation der Staatsbürger und Wähler Instrumentarium: demokratische Wahlen, öffentliche Anprangerung; Bürgerinitiativen. Plus: garantierte Grundrechte (Informations-, Meinungs-, Versammlungsfreiheit etc.); demokratische Legitimation. Minus: informationsarmer, kriterienfreier, ungewichteter Ja/Nein-Wahlmodus; manipulierungsfähig durch Propaganda; Konformitätsdruck der "Schweigespirale" (Elisabeth Noelle-Neumann); "Stimmungsdemokratie". Kommentar: informationsbedingt im allgemeinen geringes Interesse an Technikthemen. 2b Wirtschaftliche Partizipation der Konsumenten Instrumentarium: stille Abwanderung (zur Konkurrenz) oder lauter Protest (Hirschman-Modell), Konsumverzicht, Kaufboykott Plus: starker Hebel, aber nur bei erheblicher Beteiligung; Kombinationsmöglichkeit der wirtschaftlichen (Abwanderung) und politischen (Protest) Reaktionsweisen auf Leistungsverschlechterung von Organisationen. Minus: blind für nichtkommerzielle Belange; Umkehrbarkeil der Sanktionsrichtung (Organisationen verfolgen ihre Kritiker). Kommentar: wirtschaftliche Partizipation erfordert Sonderstatus (Abnehmer, Lieferant, Mitglied, Aktionär u. dgl.). Steuerungsgruppe 3: Medien (duales System öffentlich-rechtlicher und privatwirtschaftlicher Institutionen)
3a Öffentliche Meinung (als veröffentlichte Medieninformation) Instrumentarium: Meinungsdruck und Legitimationsentzug durch Skandalisierung. Plus: durchschlagende Wirkung oder gar keine; unübersehbare Sichtbarkeit der massenmedialen Informationsangebote über die ganze Breite der Öffentlichkeit. Minus: nur bei "kampagnenfähigen" Problemen; Schwarz/Weiß-Urteile; Opportunität gemäß Nachrichtenfaktoren. Kommentar: Schwarz/Weiß-Urteile; zunehmende "Durchwerbung" der Medien gefährdet die allseitige Unabhängigkeit.
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3b Außerwissenschaftliche Informations- und Dokumentationseinrichtungen der öffentlichen Berichterstattung, journalistischen Recherche, amtlichen Prüfung
Instrumentarium: Gegeninformation, Aufklärung, amtliche Statistik, öffentliche Wissenschafts- und Technikkritik (lnformationsmedien, Fachjournalismus, ABO-Einrichtungen der Archive, Bibliotheken, Dokumentationen). Plus: kriteriengebundene hochqualifizierte Informationstätigkeit; unübersehbare Sichtbarkeit der "unablehnbaren Informationsangebote". Minus: Verdrängungswettbwerb der kriterienfreien Unterhaltungsmedien; Medienkonzentration; gefährdete Unabhängigkeit. Kommentar: Medienkonzentration statt Pluralität; gefährdete Unabhängigkeit. Je Öffentlichkeitsarbeit und Werbung
Instrumentarium: Pressestellen, Medien. Plus: Finanzkraft; Aufmerksamkeitswettbewerb. Minus: Öffentlichkeitsarbeit als interessengeleitete Tendenzinformation, Werbung als kriterienfreie Desinformation, beides mit massivem Bestätigungsfehler ("corroboration bias") und anderen Informationsverzerrungen. Kommentar: Tendenzinformation mit geringem Informationswert; "unpolitische" Parteilichkeit; Ideologie kommt vor Information.
Steuerungsgruppe 4: Recht (als "Sichtbare Hand" des Rechtsstaats)
Für alle "Rechtsmittel" zur Techniksteuerung: Instrumentarium: Gesetzgebung, Rechtsprechung, Exekutivorgane; legales Gewaltmonopol des Staates; de jure zwingende Normen. Plus: Legalität und meist auch Legitimität; flächendeckende Infrastruktur der Kontrolle mit Gerichtswesen, Polizeibehörden, Verwaltungsorganen, amtlichen Überwachungseinrichtungen (z. B. Gewerbeaufsicht). Minus: moralische Minimalstandards; Grenzen der Verrechtlichung (Regelungslücken, Gerechtigkeitsmängel, Vollzugsdefizite); Phasenverschiebung zwischen schneller Technik und langsamem Recht. Kommentar: Nonnativität und Faktizität kommen nur selten zur vollen Deckung.
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4a Öffentliches Recht Instrumentarium: Grundrechte und Grundrechtseingriffe. Plus: höhere Legitimationswirkung bei oft schwächerer Kodifikation und Sanktion ("Eigentum verpflichtet"- wie, wo, wann, wen?). Minus: Umgehungsstrategien, Konkretisierungs- und Vollzugsdefizite, Rechtsbrüche. Kommentar: Grenzen der Verrechtlichung.
4b Privatrecht Instrumentarium: Vertragsverpflichtungen; außervertragliche Haftung. Plus: Verhandelbarkeit. Minus: "Recht des Stärkeren" kommt in einseitigen Verträgen zum Ausdruck. Kommentar: amerikanische Tendenz zur Ausdehnung des Privatrechts (z. B. im Internet) gegen die alteuropäische Tradition öffentlich-rechtlicher Regelungen (z. B. beim Datenschutz).
4c Strafrecht Instrumentarium: Zwangsnormen. Plus: strenges SanktionspotentiaL Minus: trotzdem hohe Kriminalität; Umgehungsstrategien. Kommentar: starker sozialer Bias des Strafrechts (ungleiche Behandlung der Unterschicht- gegenüber der Weißkragen-Kriminalität; desgleichen der sog. Schreibtischtäter; Anwaltskosten als intervenierende Variable).
4d Technikrecht, Informationsrecht etc. Instrumentarium: Spezialnormen (z. B. Copyright, Patente, gewerbliche Schutzrechte). Plus: problemspezifische Lösungen für IuK-typische Sonderprobleme (z. B. Haftungsfragen für Wissensmängel, Zugangsregelungen für informationeile Grundversorgung oder Kritik als Gegeninformation). Minus: teils überentwickelt (z. B. Bauvorschriften), teils unterentwickelt. Kommentar: am Ende des 20. Jahrhunderts noch kein einheitliches 1GB (lnformationsgesetzbuch, als Parallelaktion zum BGB des Jahrhundertbeginns).
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Steuerungsgruppe 5: Staat und Politik
5a Regierung (als "Sichtbare Hand" der Politik) Instrumentarium: Regierungsapparat mit Vollzugsorganen (Administration). Plus: Richtlinienkompetenz; RessourcenpooL Minus: Schwerfälligkeit, Kurzsichtigkeit, Parteilichkeit, Opportunität statt Rationalität. Kommentar: keine Überparteilichkeit des modernen Parteienstaats; starke Abhängigkeit von der Wirtschaft (Arbeitsplätze, Parteienfinanzierung, Öffentlichkeitsarbeit etc.).
5b Parteien Instrumentarium: politische Einflußnahme; Karrierechancen. Plus: flächendeckende organisatorische Infrastrukturen; Parteienprivilegien. Minus: keine Sachkompetenz der Berufspolitiker; Abhängigkeit von der Parteiorganisation; Fraktionszwang im Parlament ("auf Kritik folgt Bestrafung", in der Regel der EdK-Fall: Ende der Karriere). Kommentar: Karriereabhängigkeit von der Wirtschaft (und von der Einstellung zur Technik). Steuerungsgruppe 6: Wirtschaft
6a Als Koordinationsmechanismus der wirtschaftlichen Aktivitäten ("Unsichtbare Hand" des Marktes) Instrumentarium: Wettbewerb, Preis. Plus: Marktgesetze haben große Hebelwirkung, allerdings nur bei wirksamem Wettbewerb ("working competition"). Verbindung von Freiheit (Freiwilligkeit) mit effektiver Diskriminierung (bei privaten Gütern derjenigen, die nicht zahlen können oder wollen). Minus: Markt nimmt nur "kaufkraftbewehrte" Information zur Kenntnis; Marktversagen bei Öffentlichen Gütern ("public goods"); keine Verteilungsgerechtigkeit bei privaten Gütern. Kommentar: Gegenwartskonzentration des Marktes mit gefilteter Informationsaufnahme bei geringer Voraussicht (nur im Ausmaß der jetzigen Erwartungen); ohne staatliche Subventionierung von Grundlagen- und Zukunftsforschung Unterinvestition, mit Subventionierung Wettbewerbsverzerrungen.
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6b Als Organisationsform der Unternehmen ("Sichtbare Hand" der betrieblichen Hierarchien)
Instrumentarium: Unternehmerische Leitung, Management. Plus: wirksame Führung, rationale Rechnungslegung. Minus: bürokratischer Zentralismus. Kommentar: politische Prämie für überoptimales Größenwachstum. 6c Als kollektive Interessenvertretung der Verbände
Instrumentarium: politische Einflußnahme; "Nebenregierung". Plus: Vetoposition gegen Politik. Minus: gruppenegoistischer Lobbyismus, nicht unbedingt zugunsten neuer Technologien, die sich nicht sofort "rechnen". Kommentar: Verbandspolitik auf ökonomische Besitzstandswahrung und politische Prämien für die Großwirtschaft ausgerichtet; wenig "unternehmerisch". Steuerungsgruppe 7: Wissenschaft (als erste Wissenschaftsform der Theorienwissenschaft sowie als zweite der Angewandten Wissenschaft)
7a Kognitve Selbststeuerung durch wissenschaftliche Kriterien, Methoden, sog. Forschungsimperativ Instrumentarium: Selbststeuerung durch leistungsbezogene Reputationsverteilung für sozial anerkannte Orginalität; Qualitätsstandards und Methoden als Eigenregulative. Plus: Wissensordnung für freie Forschung und Lehre (unter dem Schutz des Grundgesetzes); Infrastruktur der Kritik und Kontrolle; Veröffentlichungszwang der Ergebnisse.
Minus: Überspezialisierung in Expertenzirkeln mit professionellen Deformationen (Selbstreferentialität, Binnenorientierung statt Kundenorientierung); K&K-Betrieb (Konsens & Kollegialität); finanzielle Abhängigkeit; unkontrolliertes Gutachterwesen. Kommentar: Durchstaatlichung der Universitätswissenschaft; Kommerzialisierung der Industriewissenschaft; Cliquenbildung der "Schulen". 7b Soziale Selbststeuerung durch wissenschaftliches Ethos
Instrumentarium: Fachliteratur, Reputationsverteilung. Plus: Infrastruktur der Kritik mit wechselseitiger Kontrolle unter informationeUer Waffengleichheit und weitgehendem Schutz des Kritikers gegen Sanktionen.
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Minus: Standesinteressen; ideologische Befangenheit, kommerzielle Abhängigkeit. Kommentar: soziale Schließung nach unten und nach außen; eingeschränkter Wettbewerb teils bis zum Konkurrenzverbot Steuerungsgruppe 8: Technik
Ba Als dritte Wissenschaftsfonn der Realisierten Wissenschaft
Instrumentarium: technische Standards; Sicherheitsvorschriften, Grenzwerte, Risikotaleranzen etc. Plus: Normenklarheit und Normenwahrheit mit objektiver Nachprüfbarkeit. Minus: starke kommerzielle Anreize für den wissenschaftlich-technischen Fortschritt. Kommentar: Abhängigkeit der technischen Intelligenz, die keineswegs eine eigene soziale Klasse bildet; Hire and Fire-Problem. Sb Als vierte Wissenschaftsfonn der kommerzialisierten Wissenschaft (Technikindustrie)
Instrumentarium: Geschäftsbedingungen; DIN-Normen. Plus: untemehmerisches Verhalten; rationale Kalkulation; wirtschaftliche Effizienz. Minus: Technisch-Industrieller Komplex; Horizontverengung der ökonomischen Interessen; Lobbyismus. Kommentar: zu wenig Grundlagenforschung; Vernachlässigung unrentabler Techniken, insbes. nicht renditeträchtiger Zukunftstechnologien. Be Sonderfall Rüstungstechnologie
Instrumentarium: staatliche Aufträge und Subventionen. Plus: politische Aufsicht (Staat als alleiniger Auftraggeber, Kontrolle des Rüstungsexports). Minus: hohe Subventionierung, geringe Kosteneffizienz (Kostenerstattung anstelle von Marktpreisen); Rüstungsmonopole; Lobbyismus; Manipulierungs- und Bestechungspraktiken. Kommentar: "nationale Sicherheit" als mißbrauchsfähige GeneralklauseL
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b) Kriterienkatalog der qualitativen Anforderungen in strukturierter Aufzählung
Die Anforderungen für die Technikkontrolle liegen auf einer anderen Ebene, sollten aber nicht weniger anspruchsvoll sein als diejenigen an die Techniken selbst. Mindestens sechs Qualifizierungsebenen bieten sich für die Beurteilung jeder Steuerungsgruppe bzw. Einzelmaßnahme an. Die Kriteriengruppen sind ebenso voneinander unabhängig wie die Steuerungsgruppen. Das ergibt einen mehrdimensionalen Bewertungs- und Gewichtungsraum für abwägende Vergleichsurteile. Auf die Vielzahl qualitativ und effektiv sehr unterschiedlicher Steuerungsmodelle abgestellt ist der folgende unvollständige Kriterienkatalog für die Beurteilung und Bewertung der Steuerungskonzepte. Er ist unvermeidlich lückenhaft und bewußt ungewichtet gelassen. Wenn die wichtigsten Kriteriengruppen erfaßt sind, kann man störende Lücken von Fall zu Fall ausfüllen. Zur Entschuldigung sei auf das altbekannte Lückenproblem der Gesetzgebung hingewiesen, an dem das Gerichtswesen ja auch nicht scheitert. Lückenfüllung durch rechtswissenschaftliche Interpretation und praktisches Richterrecht hilft, bis der Gesetzgeber die Lücken stopft. Zur Beurteilung, Bewertung und Gewichtung - zumindest letzteres nur in der konkreten Problemsituation, die hier nicht vorweggenommen werden kann - der diversen Steuerungsleistungen bieten sich sechs Urteilsdimensionen mit ihren jeweiligen Kriterienbündeln an. Aufstellung 2: Faktoren zur Leistungsbewertung der Steuerung: Wertungsgruppe 1: Qualitätskriterien für die Güte der Steuerung
Die Steuerungsfrage ist zunächst einmal selbst ein Wissensproblem, welches auf hohem kognitivem Niveau mit Hilfe des verfügbaren Wissens (Sach- und Regelwissens) gelöst werden sollte, zunehmend auch mit Unterstützung der IuK-Technologien. Die Steuerung des technischen Fortschritts sollte weder hinter dem Stand der Technik selbst noch hinter dem wissenschaftlichen Forschungsstand und dem öffentlichen Kenntnisstand zurückbleiben. Dieser Anspruch auf Ausschöpfung des Wissenspotentials läßt sich auf die Frage bringen:
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Welche und wieviel Informationen, Erkenntnisse, Kenntnisse 14 fließen in die Steuerung ein als Leit- oder Gegeninformation, Theorie und Erfahrung, Kompetenz und Können?
Was vom verfügbaren Wissen wird von der gewählten Steuerungsoption aufgenommen, verarbeitet, ausgewertet im Hinblick auf ein an Wissen und immer mehr Wissen orientiertes Problemlösungsverhalten der beteiligten Akteure jeder Größenordnung (Individuen, Organisationen, Gesellschaften, Staaten etc.). (11) Differenzierungsvermögen: wird zwischen "Gut" und "Böse", "Gerechten" und "Ungerechten" unterschieden oder alles unterschiedslos über einen Kamm geschoren, nach Art des Gießkannenprinzips? (12) Kompetenz: wieviel Expertenwissen ("Sachverstand") kommt zum Tragen? (13) Rezeptivität: wie offen ("responsiv") ist der Steuerungsmodus für relevante Gegeninformationen von innen (durch kompetente Kritiker) und außen (durch Politiker, Bürger, betroffene Laien)? (14) Resistenz gegen interne und externe Störungen und Manipulierungen durch Fehl- und Desinformation: wie störanfällig ist der Steuerungsmodus durch unsachliche Einflußnahme, Demagogie, Propaganda, Mode- und Abnutzungseffekte, Überdramatisierung, Skandalisierung, Verleugnung? Wertungsgruppe II: Effizienzkriterien für die Wirksamkeit der Steuerung Wie "operativ" ist die Steuerungsoption im Hinblick auf die tatsächliche Verhaltensmitbestimmung bzw. Hebelwirkung auf die Vorgänge?
(111) Steuerungsmedium: gibt es ein bereichsspezifisches, sachadäquates Trägermedium für den Steuerungsmodus (zum Beispiel als wissenschaftsspezifisches Medium die fachliche Reputation)? (112) Selektionskraft: wirkt der Steuerungsmodus, wenn überhaupt, auf das menschliche Verhaltensrepertoire meinungsbildend, einstellungsbeeinflussend, handlungssteuernd und dementsprechend entwicklungsverändernd? (113) Sanktionsmacht: kann etwas auch gegen evtl. unberechtigten Widerstand durchgesetzt, notfalls erzwungen werden? (114) Hebe/wirkung: gibt es einen Wirkungsmechanismus (Kausalzusammenhang) als Hebel der Interventionen, mit nachprüfbarem Wirkungsgrad 14 Zu diesem so modularisierten Wissenskonzept vgl. Spinner 2000/Karlsruher Ansatz; zur Wissensbasierung und zu den Wissensstrategien des Problemlösens Spinner 2002/Problemlösungsprozesse.
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(zum Beispiel für das "Aushebeln" von Forschungen oder Techniken durch Reputations- und Legitimationsentzug)? Wertungsgruppe 111:
Verträglichkeitskriterien für die Vereinbarkeil mit maßgeblichen Richtwerten, die als Außenkriterien fungieren Wie "defensiv" ist der Steuerungsmodus im Hinblick auf erforderliche Selbstbeschränkungen?
(IIIl) Wissenschaftsverträglichkeit: ist die Steuerung unschädlich für eine möglichst autonome Wissenschaft mit "Freier Forschung & Lehre" (zum Beispiel ohne Forschungsverbote, Zensur, Geheimhaltung)? (III2) Veifassungsverträglichkeit: ist sie vereinbar mit Demokratie, Rechtsstaatlichkeit, Menschenrechten, informationeHer Selbstbestimmung u. dgl.)? (III3) Sozialverträglichkeit: ist sie vereinbar mit einer freien Gesellschaftsordnung (ohne Bedarfslenkung und unerträglichen Ungleichheiten, zum Beispiel Ungleichverteilungen von Wissens- und Wohlstandsgütern)? (III4) Umweltverträglichkeit: ist die Entwicklung unschädlich für lokale oder globale Umwehen (Naturschonung); ist sie zukunftsfähig ( Nachhaltigkeit)?; werden unersetzliche Ressourcen oder reproduzierbare Produktionsmittel eingesetzt (zum Beispiel menschliches Wissen anstelle von auslaufenden Naturvorräten)? Wertungsgruppe IV: Interventionskriterien für vorbeugende oder nachträgliche wissenschaftspolitische Maßnahmen gegen Fehlentwicklungen Wie "offensiv" kann gesteuert werden bei erforderlichem Einschreiten wissenschaftlicher oder außerwissenschaftlicher Instanzen?
(IVl) Infrastruktur: welche Einrichtungen stehen für evtl. Maßnahmen zur Verfügung? (IV2) Interventionsmöglichkeiten für regulative Politik: ist der steuerungsbedürftige Tatbestand überhaupt regulierbar, normierbar, justiziabel? (IV3) Gestaltungsmöglichkeiten durch deregulative Politik: wo sind Chancen für mehr indirekte Steuerung durch Anreizsysteme ("incentives") und Verbesserung der Rahmenbedingungen? (IV4) Innovationspotential: wo und wie sind, bei Bedarf, strukturelle Reformen möglich?
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Wertungsgruppe V: Verantwortungskriterien für Kontrollmängel und Steuerungsfehler Für den Fall, daß etwas Steuer- und damit grundsätzlich Verantwortbares doch aus dem Ruder läuft: welche Stelle hat das zu vertreten?
(Vl) Verantwortungsarten: welche Arten der Verantwortlichkeit für die Steuerung wissenschaftlich-technischer Prozesse kommen überhaupt in Frage? (V2) Verantwortungsträger: wem sind Verantwortlichkeiten im Rahmen unserer Rechts-, Wirtschafts- und Wissensordnung sinnvoll zurechenbar (individuellen oder kollektiven Akteuren, natürlichen oder juristischen Personen, Rolleninhabern, Institutionen, Nationen, übernationalen Organisationen etc.)? (V3) Verantwortungsvermeidbarkeif durch Entzug, Umgehung, Abwälzung nach oben oder unten: wie leicht können sich Verantwortungsträger der Verantwortung entziehen, zulasten anderer oder der Gesellschaft? (V4) Folgehaftung: für diesen speziellen Fall ist zu fragen, welcher Verantwortungsträger die Folgen von Fehlern überhaupt tragen könnte, wenn er müßte, angesichts der für Individuen und oft sogar für Großorganisationen vielfach untragbar (zum Beispiel auch unversicherbar) gewordenen Risiken? Wertungsgruppe VI: Rationalitätskriterien für die Rationalisierung der Steuerungsprozesse gemäß den Möglichkeiten der verbessernden Vernunft Wie komgierbar durch Gegen- oder Umsteuerungen sind eingeleitete aber fehlgesteuerte oder nicht mehr gewollte Entwicklungen?
(VIl) Fehleranfälligkeit: welche Steuerungskonzepte sind über- oder unterdurchschnittlich fehlerhaft unter Berücksichtigung der Tatsache, daß es hier keine garantierte Fehlerfreiheit geben kann? (VI2) Fehleifreundlichkeit: können Entwicklungen auch bei schweren Steuerungsfehlern unter Kontrolle gehalten werden oder laufen sie schon bei leichten Fehlern völlig aus dem Ruder (Fehlerausgleichs- oder Fehlervergrößerungstendenzen, u. U. mit katastrophalem Ausgang)? (VB) Fehlereliminierbarkeit: sind Steuerungsfehler leicht und früh erkennbar sowie erkannte Fehlentwicklungen überhaupt noch komgierbar (unter Wahrung des "Menschenrechts auf Irrtum" und der davon abhängenden Möglichkeit, aus Fehlern zu lernen, ausgenommen solchen mit tödlichem Ausgang)?
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(VI4) Orientierungsrahmen: wie weit reicht der "Raum der rationalen Orientierung" 15 mit jenen Bezugspositionen, an denen Entscheidungen über Zielsetzung und Mittelwahl ausgerichtet werden (lokal, regional, national, international, kosmopolitisch; desgleichen in der zeitlichen Dimension kurz-, mittel- oder langfristig; in der sozialen Dimension egozentrisch, ethnozentrisch oder "uninteressiert" an Universalistischen Wertpositionen statt partikularistischen Vorzugspositionen)?
3. Unkonventionelle Erweiterungen des Szenariums Als Ganzes betrachtet, bietet die Standardformel eigentlich alles, was man zu einem guten Steuerungsprogramm braucht: alternative und kumulative Optionen mit zugehörigen Instrumenten sowie unterscheidungsfähige Kriterien; erstere in beeindruckender Anzahl, letztere auf hohem Niveau. Mehr davon wäre wissenschaftlich kaum zu verarbeiten und politisch nicht umsetzbar. Für die Wahl der nach Lage der Dinge bestmöglichen Kontrollstrategie scheint der Weg frei zu sein. Je nach Präferenzen müßte die Techniksteuerung im Rahmen des konventionellen Szenariums bis zum Sättigungspunkt optimierungsfähig sein, zum Beispiel im Hinblick auf mehr Moral, mehr Effizienz, mehr Rationalität usf. Aber die Standardformel ist kein Erfolgsrezept. Soweit sie nicht nur unverbindliches Lippenbekenntnis ist, kann der Grund des Mißerfolgs nur darin liegen, daß sie entgegen des guten Eindrucks doch wesentliche Umstände außer acht läßt. Das sind meines Erachtens mindestens drei Faktoren mit erheblichem Eigengewicht, deren Vernachlässigung für das Steuerungsunternehmen tödlich ist: Erstens die maßgeblichen Ordnungen als ermöglichende oder ausschließende, förderliche oder hinderliche, legitimierende oder delegitimierende gesellschaftliche Rahmenbedingungen für alle Steuerungsoptionen. Zweitens die "stillen" Technikfolgen zweiter Art, welche ihrerseits auf diese Rahmenbedingungen einwirken. Drittens die neuen Regime, welche die alte Wissensordnung aushebein und dem herkömmlichen Steuerungsprogramm die Geschäftsgrundlage entziehen. Die Ordnungskomponente erweitert die Standardformel, die Folgenkomponente setzt ihr Grenzen und die Regimekomponente verdrängt sie.
15 Ein solcher "Raum der rationalen Orientierungspositionen" wird detailliert beschrieben in Spinner 1994/Rationalismus.
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II. Techniksteuerung als Ordnungspolitik 1. Ordnungspolitische Einbindung der Techniksteuerung in gesellschaftliche Rahmenbedingungen: die erweiterte Standardformel
Nach Auffassung der gegenwärtigen Meinungsführer, in den Medien der Populärökonomie wie in der Wissenschaft, ist die vernachlässigte Ordnungspolitik der entscheidende Faktor, welcher in die Standardformel integriert werden sollte, um sie unter den gegebenen gesellschafts- und wirtschaftspolitischen Verhältnissen wirksam werden zu lassen. Mit diesem Schritt wird der obige Kriterienkatalog um das Meta-Kriterium der Ordnungskonformität erweitert. Die Einbindung in die gesellschaftlichen Ordnungen soll Steuerungskonzepte, und zwar gleich gruppenweise, ordnungspolitisch legitimieren; in der oft nur spekulativen Erwartung (Beispiel "Aufbau Ost"), damit den ordnungskonformen Maßnahmen kausale Stärkungsmittel zu verabreichen. Die Ordnungsinkongruenz könnte demnach von einer systematischen Fehlorientierung bis zur totalen Irrelevanz des Steuerungsansatzes gehen. Das müßte sich in unstimmiger Wertbindung (wissenschaftlich "kognitive Dissonanz", moralisch "schlechtes Gewissen" genannt), geringer Verhaltenswirkung und häufiger Normbrüche zeigen. Im Hinblick auf die Wirtschaftsordnung hat der Neoliberalismus (Milton Friedman, F. A. von Hayek u. a.) ein Ordnungsprogramm mit einem eigenen ökonomischen Kriterienkatalog der "Ordnungskonformität" sowie einer Kasuistik der verpönten Staatsinterventionen in die "frei" sein sollenden Marktprozesse ausgearbeitet (beides, erstaunlicherweise, ohne Einbeziehung der heutzutage weit stärker geballten Fäuste der privatwirtschaftliehen "Sichtbaren Hände"). Ordnungskonformität wird damit zu einem metawissenschaftlichen Bewertungs- und Gewichtungsprinzip, welches zwar keinen positiven Normgehalt vorschreibt, wohl aber inhaltliche Unverträglichkeiten mit den Leitbestimmungen und Randbedingungen dieser oder jener Ordnung angeben kann. Im Gegensatz zu den populären Verträglichkeitsforderungen der Technikfolgenforschung - von der Verfassungsverträglichkeit über die Umweltverträglichkeit bis zur Sozialverträglichkeit - verlangt Ordnungskonformität mehr als bloße Vereinbarkeit mit einem Außenkriterium. Die gesellschaftlichen Ordnungen geben Rahmenrichtlinien vor für die ordnungspolitische Gestaltung von Problemfeldern nach bestimmten Wertorientierungen und Regelwerken. Dabei kann es um die allgemeine Systemkonformität gehen oder um besondere Ziel-, Wettbewerbs-, Marktkonformitäten. Unter diesen Voraussetzungen haben Steuerungsmaßnahmen nur im Rahmen des 3 Kloepfer
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allgemeinen Bauplanes der gesellschaftlichen Ordnungen Sinn, Berechtigung und Wirkungschance. Je nachdem, haben sie eine ordnungsgemäße, systemsprengende oder gar keine Wirkung. Verletzt wäre das Kriterium der Ordnungskonformität in verschärftem, systematisch irreführendem Ausmaß durch inkohärente Mehrfachrahmung, wenn beispielsweise die Techniksteuerung gleichzeitig der Wissensordnung (mit Präferenz für "uninteressierte" Selbststeuerung nach dem Forschungsimperativ) und der Wirtschaftsordnung (mit Präferenz für "interessierte" Kommerzialisierung) unterstellt würde. Im Verhältnis von Ordnungsfragen und Techniksteuerung hat das Kriterium der Ordnungskonformität noch nicht die gebührende Beachtung gefunden: als Ziel-, Akzeptierungs- und Funktionsbedingung des Steuerungsansatzes. In jedem Fall ist der Wirkungsgrad nur empirisch bestimmbar. Darüber gibt es so gut wie keine Untersuchungen, aber viel Ideologie und Propaganda, wobei die Gesinnungsmedien und Interessenverbände sich in den Vordergrund drängen. Die Ordnungskonformität mit Rahmenbedingungen ist ein grundsätzlich negativ wirkendes Unvereinbarkeitskriterium, aus dem sich Verbote (Ordnungsinkongruenzen) ergeben, keine positiven Gebote und inhaltlichen Bestimmungen. Mit Bezug auf den Anwendungsfall der IuK-Technologien haben die Grundordnungen - einschließlich einer eventuellen Technikordnung - allerdings auch eine eminent positive Funktion. Inhaltlich unmittelbar und maßgeblich relevant sind die ordnungspolitischen Bestimmungen für die alternativen Wissensauffassungen, um die heute der Streit zum Aufbau der Wissensgesellschaft geht. Ob das Wissen mit Hilfe des juristischen Argumentationshaushalts als Rechts gut, ökonomisch als Ressource oder Ware, wissenschaftlich als Erkenntnisgut ("Wissen als solches") oder technisch als Formelkram (d. h. "desemantisierte" syntaktische, mathematische, statistische Zeichenfolgen) beschrieben und behandelt werden, ergibt sich aus den zugrunde gelegten Ordnungen. Dabei kommt es für die nichtwissenschaftliche luK leicht zu einem Verdrängungswettbewerb um die öffentliche Definitionsmacht, während bei den wisssenschaftlich-technischen Wissensarten die Kriterienbindung an die tradierte Wissensordnung für High Quality-Information (d. h. Erkenntnis) unbestritten ist. Beides, die politische Ordnungskonformität und die zugehörige ordnungsadäquate Wissensauffassung, sind weichenstellend für die rechtliche, ökonomische, wissenschaftliche, ethische und neuerdings auch technische Standardbehandlung von IuK. Das gilt nicht zuletzt auch für die Steuerungsproblematik. Mit der Einbindung in diese oder jene Grundordnung - oft überschneidend und widersprüchlich, mit vorprogrammierten Konfliktlagen - werden nach Art eines stillschweigenden Gesellschaftsvertrags ordnungspolitische Richtungsentscheidungen gefallt in aktuellen Konfliktlagen wie:
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- Wissenseigentum versus Wissenskommunismus; - Belastung mit versus Entlastung der schöpferischen Wissenstätigkeiten von Produkt- und Folgenhaftung; - exklusive Verfügungsbefugnisse versus Veränderungsfreiheit für Dritte; - High Quality- versus Low Quality-Wissensstandards für kriteriengebundenes (wie Erkenntnisse und Nachrichten) oder kriterienfreies Wissen (wie Unterhaltung und Werbung);
- Offenheit versus Geschlossenheit der Wissensbeziehungen, mit freiem oder privilegiertem Zugang. An dieser Stelle sollte nun eine ähnlich detaillierte Darstellung über die Ordnungszugehörigkeit der Steuerungsgruppe geboten werden wie beim obigen Steuerungskatalog, entlang folgender Fragen: (1) Gibt es für die Steuerungsgruppen in der Rechts-, Wirtschafts-, Wissens- und ggfs. Technikordnung ordnungsspezifische Steuerungsinstanzen, die den Kriterien hinreichend entsprechen? Verkürzt gefragt: Ist jedes Steuerungsmodell in allen ordnungspolitischen Rahmungen vertreten und wirksam?
(2) Für den besonderen Anwendungsfall der luK ist die Frage etwas komplizierter. Wenn man unterstellen darf (wofür ich aus Wertkonservativismus für die höchstqualifizierten "wissenschaftlichen" Wissenswerte plädiere, jedoch ohne den damit üblicherweise verbundenen Strukturkonservatismus), daß die Klassische Wissensordnung mit ihren Trennungspostulaten die gewünschte, aber so nicht wiederherstellbare Musterlösung darstellt, dann heißt die Zusatzfrage: Bietet jede Ordnung funktionale Äquivalente, die nicht nur in den gehegten und gepflegten wissenschaftlichen Qualitätszonen vergleichbare Verhältnisse schaffen, um die genannten Kriterien zu erfüllen? Das erforderte beispielsweise die Verhinderung von Wissensmonopolen, die Ausschaltung von kontraproduktiven (hier: steuerungshinderlichen) Interessenlagen, die Durchsetzung des Rechts, die Ausrichtung an mitteloder langfristigen Zielen (z. B. Nachhaltigkeit) etc. Anstelle des hier nicht möglichen Abprüfens der gesamten Steuerungsliste sollen beide Fragen wenigstens für die Ethikgruppe beantwortet werden.
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Aufstellung 3: Ordnungspolitische Einbindung der Techniksteuerung am Beispiel der Ethikgruppe Gruppe 1: Ethik
Grundsätzlich: Wegen der Verpflichtung zur weltanschaulichen Neutralität gibt es im säkularen "Staat der Glaubensfreiheit" 16 grundsätzlich keine rechtsverbindlichen Ethiken, sondern nur relativ kleine Überschneidungshereiche in jenen Punkten, wo die Moral sich auf definierte Rechtsgüter bezieht. 1a Allgemeinethik
Rechtsordnung: anstelle einer rechtsförmigen Allgemeinethik nur partielle Kodifikationen einiger religiöser Gebote und moralischer Forderungen (z. B. des Tötungsverbots). Wirtschaftsordnung: kein Äquivalent; von seltenen Restbeständen (z. B. Wucher) abgesehen, muß das wirtschaftliche Handeln nur dem Legalitätsprinzip genügen (und auch das meist nur formal nach dem Buchstaben des Gesetzes, nicht "sinngemäß"). Wissensordnung: keine allgemeine Wissensethik. Technikordnung: keine allgemeine Technikethik. 1b Sonderethiken des Wissens, der Wissenschaft, Wirtschaft, Technik etc.
Rechtsordnung: rechtsverbindliche Ethikteile bzgl. Verhalten, Verantwortung, Haftung etc. Wirtschaftsordnung: sog. Ordnungsethik des Marktes; desgleichen eine Ethik des Kapitalismus (beides umstritten). Wissensordnung: Wissenschafts-, Technik-, Informationsethik. Technikordnung: spezielle Technikethik ("Stand der Technik" als verpflichtende Norm). 1c Bereichs-, Berufs-, Standesethiken
Rechtsordnung: Vereins- und Verbandsrecht, grundsätzlich an Mitgliedschaft gebunden. Wirtschaftsordnung: teils ethikrelevante Satzungen, Geschäftsordnungen etc. für Berufsverbände. 16
Vgl. Pawlowski 1992/Recht.
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Wissensordnung: wissenschaftliches Ethos der Fachwissenschaft und Forschungsgemeinschaft (für "Kollegen im Fach", als Sonderethik der wissenschaftlichen Erkenntnis). Technikordnung: dito in allen Punkten. Die Rechtsordnung ist also insgesamt gesehen kein großer Verstärker für ethisch-moralische Steuerungsprojekte; eher umgekehrt. Das ergibt sich schon aus der formaljuristisch durchaus korrekten Einstellung zum säkularisierten Recht, alles für erlaubt zu halten, was nicht ausdrücklich verboten ist. Auch die anderen Steuerungsgruppen sind in den Grundordnungen nicht lückenlos vertreten. Für viele Steuerungsinstanzen gibt es keine rechtlichen, ökonomischen, kognitiven oder technischen Umsetzungen bzw. funktionalen Äquivalente. So ist zum Beispiel die wirtschaftliche Teilhabe der Konsumenten am unternehmefischen Entscheidungsprozeß über Management, industrielle Produktionen oder Investitionen für (technische) Innovationen nicht entfernt vergleichbar mit der politischen Partizipation der Bürger an der Wahl ihrer Vertreter in Regierung und Parlament, an der Einflußnahme durch öffentliche Kritik etc. Am größten sind die Lücken beim jüngsten und dynamischsten Bezugsrahmen, der Technikordnung. Neben den Methoden und Standards zur Selbststeuerung nach eigenen Vorstellungen hat sie für die herkömmliche Realwelt wenig Steuerungspotential entwickelt. Schon wegen ihrer Ressourcenabhängigkeit läßt sie sich von ökonomischen Steuerungsimpulsen antreiben oder bremsen, ggfs. auch durch staatliche Fördennaßnahmen unterstützen. Nur zusammen mit anderen Ordnungen bzw. Regimen ist die Technik stark. Bei den elektronischen Netzwelten dagegen ist die Technik naturgemäß im Vorteil, muß sich dabei allerdings mit dem stark expandierenden ökonomischen Regime auseinander setzen. 2. Technikfolgen zweiter Art: die erschütterte Standardformel Es gibt zweierlei Technikfolgen, die im luK-Bereich der Gesellschaft zusammenlaufen. Das sind zum einen die breit thematisierten und teils auch schon intensiv untersuchten Technikfolgen ersten Art für die geläufigen Schutzgüter im Haushalt der Natur und Gesellschaft; zum anderen die weniger offensichtlichen und deshalb unterschätzten Technikfolgen zweiter Art für die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen. Zum Viererkatalog der klassischen Schutzgüter (Boden, Luft, Wasser, Wald) ist unter dem Eindruck der rasanten biotechnologischen Entwicklung als fünftes - im Zuge der weltanschaulichen Themenbesetzung ins Metaphysische transzendierte und zugleich in die keimhaften Anfange vorverlagerte - Schutzgut das menschliche Leben hinzu gekommen. Wenn in diese
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Überlegungen Bewegung gekommen ist und der bisherige Schutzkatalog ergänzungsbedürftig erscheint, dann dürften in der Wissensgesellschaft die schutzwürdigen Wissensgüter nicht fehlen, obgleich sie mit Ausnahme der personenbezogenen Daten noch nicht in das öffentliche Bewußtsein gedrungen sind. Konkret stellt sich die Doppelfrage zur Folgenproblematik für die IuKTechnologien: - zum einen die Inhaltsfrage nach den Technikfolgen erster Art für das technisierte ("informatisierte"), das dadurch möglicherweise auch inhaltlich beeinflußte (präformierte, restringierte, präjudizierte) Wissen; - zum anderen die Ordnungsfrage nach der Veränderung der genannten Rahmenwerke durch die technischen Basis- und Infrastrukturen. Technikfolgen erster Art können sich aus den technischen Formaten ergeben: führen sie vielleicht zu einem Artensterben des Wissens oder ganz im Gegenteil zu größerer Vielfalt, weil die technisierten Wissensarten einfach hinzukommen? Wenn nicht die Anzahl, dann verändern sich unter Umständen sonstige Verhältnisse im Wissenshaushalt der Gesellschaft, wie zum Beispiel die Zusammensetzung, Bedeutung, Gewichtung, Verfügbarkeil bestimmter Wissensgruppen je nach Technisierungsgrad. Noch einschneidender als die Formate wirken sich nach Befürchtungen der Kritiker die technischen Protokolle auf die Wissensinhalte aus. Ist, mit wwrence Lessig zu sprechen, der Code das neue "Gesetz" des Wissens, zumindest für die virtuellen Wissenswelten? Hauptgegenstand der folgenden Überlegungen sind aber nicht diese eventuellen Technikfolgen oder Technikrisiken erster Art für die materiellen Gegenstände und die soziale Realität (Mensch, Gesellschaft), sondern die Technikfolgen zweiter Art für die "symbolischen" Wissenstatbestände, -ordnungen, -Verhaltensweisen, -freiheiten. Bilden die technischen Basis- und Infrastrukturen eine vierte rahmende Grundordnung der Wissensgesellschaft (neben Rechts-, Wirtschafts-, Wissensordnung) oder gar ein unmittelbar durchgreifendes Regime eigener Art? Wenn nicht in der Erfahrungswelt, so doch in der Netzwelt? Im Zusammenhang aller darauf ansetzbaren Rahmenbedingungen betrachtet, kann Wissen aufgefaßt und zugeordnet werden: - als Rechtsgut dem juristischen Ordnungsrahmen des staatlichen Schutzes durch Öffentliches Recht, Privatrecht, Strafrecht, Informationsrecht (einschließlich Sonderregelungen des Urheber- und Patentrechts, von Staatsverträgen über Kulturerbe etc.); - als Wirtschaftsgut (Ressource, Ware) dem ökonomischen Ordnungsrahmen der wirksamen Diskriminierung durch Preise;
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- als Erkenntnisgut dem davon ordnungspolitisch abgekoppelten ("entlasteten", d. h. rechtlich geschützten, ökonomisch alimentierten) akademischen Ordnungsrahmen der Freien Forschung & Lehre (Art. 5 III GG); - als Technikartefakt dem zumeist inhaltlich kriterienfreien artifiziell-formalen Ordnungsrahmen der technischen Standards, Formate, Prozeduren. 3. Zwischenbilanz für drei Lösungsformen: Rücktritt vom Versuch mit untauglichen Mitteln am untauglichen Objekt
Wir stehen heute am Übergang von der kontrollierenden und korrigierenden Technikfolgenforschung zur akzeptierenden Technikgestaltungsforschung, welche die Technikentwicklungen nicht mehr mit- und notfalls umzusteuern, sondern in technikgemäße Verhältnisse einzubetten versucht. Dazu werden die Verträglichkeitskriterien stillschweigend umgedreht. Nicht die Techniken werden unter Änderungsdruck gesetzt, sondern die politischen, rechtlichen, gesellschaftlichen Ordnungen unter Anpassungsdruck. Die Schranken werden gehoben, aus Erschwernissen werden Ermöglichungen, alles mit einer Ausnahme. Es geht nun nicht mehr, beispielsweise, um rechts- oder sozialverträgliche Technologien, sondern um technikermöglichende Rechts-, Wirtschaftsund Gesellschaftsverhältnisse. Wie überall, so gilt auch das nur dann nicht, wenn nicht nur bisherige Problemlösungen, sondern weltanschaulich besetzte Wertpositionen offen in Frage gestellt werden. Das war vor Jahren bei der Abtreibungspille der Fall - im auffälligen Gegensatz zur Verhütungspille und teils auch bei der (ärztlichen!) Abtreibung. Neuerdings ist es die "verbrauchende" und "selektierende" Embryonenforschung, die nach offizieller Sicht mit der deutschen Vergangenheit heftig kollidiert (während bei der Präimplantationsdiagnostik sich jetzt schon ein grundsätzlich akzeptierender Kompromiß abzeichnet). Systematisch gefaßt, ergibt das als Zwischenstand drei Formen der Techniksteuerung, deren schrittweise Ablösung im vollen Gange ist. Die - in der Sicht der Technik(er) - Passivformen der Techniksteuerung, welche die Technikentwicklung oder -anwendung nichttechnischen Anforderungen unterwerfen, haben vorerst ausgedient. Das waren normativ programmierte Unterwerfungsversuche, die nun selbst unterlegen sind. Sie sind nicht an der bestreitbaren Sachkompetenz (die schließlich auch im politischen und wirtschaftlichen Bereich den vielen "Dilettanten" in Führungspositionen abgeht, worin Max Weber sogar einen Vorteil der "gemischten" Organisationsstrukturen gesehen hat), sondern an der fehlenden Kontrollmacht gescheitert.
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Bei den Aktivformen steuert die Technik sich selbst nach eigenen Vorstellungen, deren autonome Wurzel die unbestreitbare Sachkompetenz ist, der gegenüber die moralische Wertung und das politische Urteil zurücktreten. Die Negativposten der Befangenheit, Betriebsblindheit, Orientierung am Eigeninteresse schlägt bei der Technik weniger zu Buche als in der Wissenschaft, wo das Ideologieproblem immer noch virulent ist. Die politisch verbrämten Schwundformen der Techniksteuerung propagieren "Gestaltung" statt Fremdsteuerung, möglichst ohne normative Vorgaben. Entlang der Linie "Steuerung, Ordnung, Regime" geht die Entwicklung im technischen Bereich zu den Aktivformen der Selbststeuerung und im politischen Bereich zu den Schwundformen der akzeptierenden, ja fördernden Technologiepolitik, welche vor allem der wirtschaftlichen Nutzung keine Hemmnisse auferlegen. Von der erwähnten äußersten Grenze weltanschaulicher Vetopositionen abgesehen, bleibt nur noch die einzige wirksame Steuerung durch ökonomische Faktoren. Preise sind Instrumente der effektiven Diskriminierung, sofern sie nicht ausgeschaltet sind (wie vielfach bei der Rüstungstechnologie).
111. Technikregime statt Techniksteuerung und Wissensordnung 1. Die Technik geht voran und dreht den Spieß um In dem Maße, wie die nichttechnischen Instanzen und Institutionen zur externen Techniksteuerung- Ethik, Recht, Politik, Medien etc. - vom wissenschaftlich-technischen Fortschritt überrollt und selbst technologischen Bedingungen unterworfen werden, verliert das konventionelle Projekt der Techniksteuerung als grundsätzlich nichtakzeptierende Risiko- und Folgenkontrolle nicht nur seine ohnehin geringe Hebelwirkung, sondern seine Geschäftsgrundlage. Die Steuerungsrichtung wird umgedreht, das ganze Konzept vom "normativen" Kopf auf beide Füße gestellt: Technik und Ökonomie. An die Stelle einer effektiven, d. h. gegengewichtigen Technikkontrolle treten im ersten Durchgang des gesellschaftlichen Problemlösungsprozesses technikermöglichende, -begleitende, -kodifizierende Gestaltungsaufgaben 17 , wie sie zur Zeit vor allem von der Rechtsordnung (mit Rechtswissenschaft, 17 Zu diesen Akzentverschiebungen im Technikrecht von der hemmenden Kontrolle (als Kosten- und Störfaktor) zur fördernden Ermöglichung, also von der limitierenden Steuerung zur akzeptierenden Begleitung der Technikentwicklung, vgl. Kloepfer 1997/Recht.
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Gesetzgebung, Rechtssprechung) auf den umstrittenen Problemfeldern (Datenschutz, Urheber- und Patentrecht, e-commerce, Informations- und Technikrecht, Biotechnologie etc.) wahrgenommen werden. Im Sinne der erläuterten Lösungsarten sind das größtenteils Schwundlösungen, welche die Rücknahme der alten Steuerungsansprüche - vom registrierenden Auskunftsverlangen bis zur eingreifenden Verhinderungsmaßnahme - nur mühsam verbergen können. Die Frage ist, ob in dem sich abzeichnenden zweiten Durchgang die Technik selbst das Kommando übernimmt und mit der normativen Kraft des Technischen (wie vormals des Faktischen, in der Juristensprache gesagt) eine eigene Technikordnung mit neuen Rahmenbedingungen oder gar ein Technikregime etabliert - wenn nicht auf den traditionellen Feldern der Politik, Wirtschaft, Gesellschaft, so doch in der virtuellen Wissenswelt der elektronischen Netze? Bahnt sich unter dem harmlos klingenden Namen von "Protokollen" 18 ein Technologisches Wissensregime an? Für diesen Überlagerungsprozeß von rahmenden Ordnungen durch eingreifende Regulationen 19 wird hier der Dominanzbegriff des "Technikregimes" gebraucht, der unbelasteter ist als politische Macht- und soziologische Herrschaftskategorien. "Governance without Government" 20 durch nichtstaatliche Regime ist als Point of no Return gegenüber den weitgehend ergebnislosen Diskussionen der Vergangenheit zu verstehen. Mit dem neueren Regimebegriff ist etwas anderes gemeint als mit den teils wortgleichen technokratischen ("Technischer Staat"), systemtheoretischen (Super- und Subsysteme, Blockstruktur, Technical Order als System- statt Rahmenkonzept) und informationstechnischen (imperativische Befehlsdiktion der Programmiersprachen) Wortbildungen der älteren Technikphilosophie und Techniksoziologie. Die Umsteuerung der Regelwerke von incentiven Rahmenrichtlinien ("Ordnungen") auf direktive Programme ("Regime") ist ein ebenso unsichtbarer wie alarmierender Vorgang, dem man mehr Aufmerksamkeit widmen sollte. Es geht nicht um die Technisierung durch Wissen im Zuge des wissenschaftlich-technischen Fortschritts, sondern um die Technisierung des Wissens selber in allen Funktionen und Bereichen der Wissensarbeitsteilung21, die von den luK-Technologien erfaßt werden. Technisiert bis zur vollen Informatisierung wird das Wissen schrittweise über folgende Stufen: äußerliche Bindung an technische Trägersysteme, inhaltliche StandardisieVgl. Berners-Lee, Fischetti 1999/Web-Report, insbes. Kap. 4. Vgl. im weiteren Zusammenhang Hübner 1989/Theorie, insbes. S. 115 ff. 20 Zur Phaseneinteilung der Steuerungskonzepte von Governance by, with, without Government sei auf die einschlägigen Arbeiten von Bernd Lutterheck verwiesen, der im übrigen die von mir mit Dank übernommene Firmierung "Kar1sruher Ansatz der Wissensforschung" in die Diskussion gebracht hat. 18
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rung nach technischen Formaten, prozedurale Bearbeitung gemäß technischen Regelwerken, Anwendung von luK-Praktiken im Netz etc. Spiegelbildlich betrachtet, geht es heute nicht - nicht mehr, muß man mit Blick auf die heutigen Machtverhältnisse der diversen "Regime" sagen - um die Kontrolle der allenfalls noch ökonomisch gesteuerten, ansonsten Selbstläuferischen Technik durch Politik, Recht, Moral etc., sondern umgekehrt um die Kontrolle des Wissens durch die Technik. Die Frage stellt sich, ob an die Stelle wechselseitiger Führungsverhältnisse zwischen diesen Instanzen der dauernde Vorlauf der technischen Entwicklung tritt, sozusagen eine technikgeschichtliche kopernikanische Wende ohne Umkehr? Ist künftig, nachdem in der Datenschutzbewegung das Rechtsdenken noch einmal kurzfristig in Führung gegangen ist, die traditionelle Rollenverteilung von Hase und Igel für alle Zeiten festgeschrieben? Die Folgen (erster und zweiter Art) für die Wissensverfassung der Wissenschaft, die Unabhängigkeit der gesellschaftlichen Wissenseinrichtungen, das duale System mit öffentlich-rechtlichem und privatwirtschaftlichem Arm, die Wahrung der Wissensfreiheiten in allen Bereichen, die Konkurrenz von technischen und nichttechnischen Lösungen auf nahezu allen Gebieten, die Aufgaben der Ordnungspolitik und Informationsethik etc. sind zu untersuchen. Die Ergebnisse stehen noch aus, aber die Konzepte sind verfügbar. 2. Der Wandel der Wissensordnung durch Wirtschaft und Technik
Hand in Hand mit der sogenannten universellen (bzw. polemisch "imperialistischen") Ökonomie übernehmen nach Auffassung vieler Kritiker22 die modernen luK-Technologien mit technischen Standards (Protokollen, Formaten, Regulationen, Praktiken) das Kommando und regieren ohne demokratisches Mandat und öffentliche Kontrolle in die Wissenswelten der elektronischen Netze, teils auch der Massenmedien, bis in die privaten Bereiche hinein. Für die Wissensordnung bedeutet das den Schritt von der nichtdirektiven Rahmung der Wissenstätigkeiten nach primär wissensbezogenen Anforderungen zur Überlagerung durch nichtkognitive Imperative externer Instanzen (Ökonomie, Technik, teils auch Privatrecht). 21 Wie systematisch ausgearbeitet zusammen mit einem nichttechnisch-technischen Funktions- und Leistungsvergleich in Spinner 1998/ Architektur, Viertes Kapitel. 22 Erwähnenswert sind hier die neueren Publikationen von Manuel Castells, Lawrence Lessig, Bemd Lutterbeck, während die schnell wechselnden Thesen von Jeremy Rijkin allzu spekulativ sind und die immergleiche Fundamentalkritik von Neil Postman die wirklichen Probleme aus dem Auge verloren hat.
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Das aufkommende Informationszeitalter bringt mehr ins Spiel als lediglich neue Wissensarten (technisiertes Daten- und Regelwissen), Wissensrechte (z. B. der informationeilen Selbstbestimmung) und Deliktarten (Virenangriffe, Informationseingriffe, Softwarediebstahl u. dgl.). Über Technikfolgen zweiter Art führt der wissenschaftlich-technische Fortschritt zu Änderungen im gesamten Ordnungsrahmen der modernen Gesellschaft, auf nationaler und internationaler Ebene. Das ist ein schleichender, in seiner Bedeutung noch kaum erkannter und in seinen längerfristigen Auswirkungen noch gar nicht absehbarer Wandel der Wissensordnung23 . Gemessen an den klassischen Trennungspostulaten zur Abkopplung von Erkenntnis und Eigentum, Ideen und Interessen, Theorie und Praxis sowie Wissenschaft und Staat bzw. Wirtschaft besteht der gegenwärtige Wandel in ihrer technikinduzierten und marktgetriebenen Wiederannährung oder -Vereinigung durch gegenläufige Verbindungen. Sie ermöglichen oder bewirken Voneigentum auch an "geistigen" Gütern (Wissen als Produktions- und Handelsmittel, also Ressource oder Ware), Ideen/Interessen-Verschmelzungen (früher Ideologisierung, heute Finalisierung), Theorie/Praxis-Verknüpfungen sowie die breite Angleichung des wissenschaftlich-kulturellen Sondermilieus an die Normalbedingungen des gesellschaftlichen Umfelds. Die Exterritorialisierung der Welt des Wissens wird durch den Wandel der Wissensordnung nicht völlig aufgehoben, aber doch wesentlich verschoben, und zwar in genau jene Richtungen, denen die Klassische Wissensordnung zumindest in den Qualitätszonen für kriteriengebundene Wissensarten und unabhängige Wissenseinrichtungen einen Riegel vorschieben wollte. An die Stelle der nie ganz sauberen Trennungen treten schwer durchschaubare Gemengelagen mit inniger Vermischung ("lnterpenetration") beider Seiten. Das alles gilt in höchstem Maße für jene Kernverschmelzungen von Wissen & Technik, die ich als Kognitiv-Technische Komplexe bezeichne. In ihnen wird vereint, was die Klassische Wissensordnung getrennt hat. Trotzdem wird diese durch die neuen Entwicklungen nicht überall und restlos außer Kraft gesetzt, sondern teils in ihrem Geltungsbereich auf nischenartige Sondermilieus eingeschränkt, teils aber auch in der ursprünglichen Absicht gestützt, vor allem hinsichtlich der geforderten Forschungsfreiheit der Wissenschaft und Staatsfreiheit der außerwissenschaftlichen lnformationseinrichtungen. War früher die Wissenschaft eine Gelehrtenrepublik in nichtrepublikanischer Umgebung, so sind es heute nichtdemokratische Expertenzirkel in einer demokratischen Gesellschaft, die der Rechtsstaat auch noch unter den besonderen Schutz des Grundgesetzes stellt. 23 Zum Autbau der (alten, klassischen) Wissensordnung und zu ihrem Wandel vgl. Spinner 1994/Wissensordnung.
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3. Regime überlagern Ordnungen In den modernen Sozialwissenschaften wird der Regimebegriff24 gebraucht zur Bezeichnung von dominanten Herrschafts-, Leitungs-, Lenkungs-, Regierungs-, Kooperations- und Organisationsformen. Im Hinblick darauf ist zum Beispiel in der Ökonomie die Rede von "Produktions- bzw. Betriebsregimen" (z. B. des Fordismus); in der Politikwissenschaften von "autoritären" und "demokratischen Regimen"; in der Soziologie von "urbanen" und "regionalen Regimen"; in der Theorie der internationalen Politik von "weltpolitischen Regimen" u. dgl. Kennzeichnend für diese noch klärungsbedürftige Begrifflichkeit ist der Bezug auf dominant gewordene25 bereichsspezifische, aber mit Universalitätsanspruch auftretende Imperative (Forschungs-, Macht-, Markt-, Managementimperative). Sie sind nicht nur normative Zielvorgaben, sondern zugleich theoretische Einsatzdoktrinen, anleitende Direktiven und vollziehende Maßnahmen eines Regimes. Inzwischen benutzt auch die moderne Wissenschaftsforschung den noch ebenso unklaren Begriff des "epistemischen Regimes", um neue Modi der Wissenserzeugung, -Verwendung, -Organisation zu beschreiben. Dezidierter gilt das für die Technikforschung, welche mit dem technologischen Regimebegriff die Überlagerungs- und Vereinnahmungstrategien der zur Wissensmacht gewordenen Bio- und lnfotechnologien brandmarkt. Ordnungen sind "rahmende" Leitbestimmungen und Randbedingungen, die allgemeine Ziele und Regeln vorgeben. Im Gegensatz dazu sind Regime unmittelbar bestimmend und inhaltlich eingreifend, mit Hegemonialstreben (Dominanz, Überlagerung) und Monopolisierungstendenz. Ordnungen wirken durch Anreize (ökonomisch z. B. durch Gewinngelegenheiten) und Verbote, die nichts unmittelbar vorschreiben; Regime dagegen durch Zielvorgaben, Ressourcenzuteilung und Verhaltensgebote. Die Extrem- oder Degenerationsform eines Regimes wäre das "persönliche Regiment" von Monarchen; die Mischform das bereits erwähnte Auftragsprinzip, welches für allgemein gehaltene Aufträge einen weiten Ermessensspielraum zur konkreten Ausführung einräumt. Wenn im Zuge der durch "universelle Ökonomie" und "planetarische Technik" (Martin Heidegger) forcierten Globalisierungs-, Kommerzialisierungs-, Privatisierungs- und Informatisierungstendenzen Wissensordnungen herkömmlicher Art durch mächtigere Wissensregime mit nichtkognitiven
Näheres zu den folgenden Ausführungen in Spinner 2001/"Wissensregime". Vorahnend schon sprach ein Vertreter der älteren Techniksoziologie bereits 1960 vom "Dominantwerden technischer Kategorien", allerdings in der Lebensstatt in der Wissenswelt (vgl. Freyer 1987/Herrschaft, S. 117 ff.). 24
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Ordnungszielen und Regelwerken überlagert oder verdrängt werden, dann zeichnen sich folgende ordnungspolitische Einbahnstraßen für IuK ab: - totale VerrechtZiehung unter der Dominanz des Privatrechts, also mit den drei zentralen Rechtsinstituten Eigentum, Vertrag, Haftung (privatrechtlieh für Vertragsverpflichtungen, ansonsten für rechtswidrige Handlungen); - universelle Ökonomisierung im Hinblick auf die ordnungspolitische Renormalisierung der Wissensgüter und Wissensmärkte, über das gesamte Spektrum von "normalen" Gütermärkten (z. B. für Bücher ohne Preisbindung), Spezialmärkten (wohl "sortiert" nach dem Fachgeschäftsprinzip) und Supermärkten (alles nebeneinander nach dem kriterienfreien Wareuhausprinzip ); - elitäre Isolierung durch überzogene Privilegierung und ordnungspolitische Exterritorialisierung innerhalb des gesellschaftlichen Umfelds (z. B. Expertenzirkel, Gutachtergremien, Sondermilieus der Wissenschaft, Kunst, Literatur); - künstliche Technisierung (lnformatisierung) gemäß arbiträren Formaten, Protokollen, Prozeduren unter Verlust z. B. des impliziten Gehalts, des sozialen Kontextes, der natürlichen Intelligenz und alltäglichen Heuristik.
Gegenwärtig tobt dieser Verdrängungswettbewerb der Wissensregime in der Real- wie in der Netzwelt In weiten Teilen des Wissensraums, vor allem auch in den für e-commerce offenen Informationsnetzen, droht gleichzeitig die Vollkommerzialisierung der IuK-Wachstumsbranchen (Nachrichten, Unterhaltung, Sport, Werbung, Geschäftsverkehr) durch Marktregime und die Überlagerung durch das neue Technikregime der Intemet-Codes26. Beides sind Regelgeber ohne parlamentarische Kontrolle, demokratische Wahlen (trotz ICANN) und informationeile Gewaltenteilung. Unter der Vorherrschaft einer innenpolitisch hegemonial, außenpolitisch imperial gewordenen ordnungspolitischen Programmatik können sich rechtliche, ökonomische, technische, administrative, unter besonderen Voraussetzungen sogar kognitive Wissensregime bilden, welche die gesellschaftlichen Wissensverhältnisse auf wissensfremde Werte, Ziele, Nutzungen umpolen, die Wissenslage auch inhaltlich verzerren und die eingespielte funktionale Wissensarbeitsteilung tiefgreifend ändern. Begünstigt durch die globalen Entwicklungen, breiten sich Hand in Hand das ökonomische Wissensregime für vollkommerzialisierte Information & Kommunikation in den nichtwissenschaftliehen Sektoren und das Technikregime der vermeintlich nur verfahrensmäßigen bzw. verwaltungsdienlichen Standards in den elektronischen Netzwelten aus. Ersteres marktgetrieben, letzteres mit der normativen 26
Vgl. Lessig 1999/Code.
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Kraft des Faktischen verschieben nachhaltig die Einfluß- und Abwehrlinie zwischen den zweckfreien und kommerziellen Wissenstätigkeiten oder -hereichen. Wissensregime sind in ihren sachgemäßen Grenzen ordnungspolitisch sinnvoll, gesellschaftlich nützlich und im größeren Ordnungsrahmen auch verfassungsverträglich, soweit sie weder umfassend noch alleinbestimmend sind. In Schach gehalten werden sie durch einen für die neuen Bedingungen des Informationszeitalters fortentwickelten Ordnungspluralismus. Dazu gehört unverzichtbar eine eigenständige relativ autonome Wissensordnung, welche der Eigenwertigkeit und Kultivierungsnotwendigkeit des Wissens, seiner Bedeutung für die menschliche Freiheit und für die gesellschaftliche Entwicklung gerecht wird. 4. Steuerungsregime des naturwissenschaftlich-technischen Fortschritts In den gesellschaftlich akzeptierten Ordnungen liegt die Quelle der Legitimation, aber in den Regimen die Kraft zur Durchsetzung. Erstere ergibt sich aus der Ordnungs-Konformität, letztere aus dem RessourcenpotentiaL Die Beurteilung des Steuerungskatalogs nach Ordnungsaspekten folgt in der politischen Auseinandersetzung, leider bis zu einem gewissen Grade auch in der wissenschaftlichen Diskussion, einem Alternativ-Radikalismus, der das Bekenntnis zu ideologischen Grundpositionen des politischen, ökonomischen, gesellschaftlichen "Systems" über die Analyse der Steuerungsleistungen stellt. Dem entsprechend werden die Steuerungsinstanzen polarisiert eingeordnet, ohne mittlere oder vermischte Positionen. Der Merkmalsraum zur Erstellung von Ordnungsprofilen für jede Steuerungsmaßnahme ist wie folgt mit größtmöglicher Spreizung dimensioniert: (I)
Orte der Steuerung: intern/extern (Selbst- oder Fremdsteuerung).
(II) Koordinationsmechanismen der Steuerung: dezentral/zentral ("Sichtbare Hand" mit, "Unsichtbare Hand" ohne Steuerungszentrum). (III) Ameiz- und Sanktionspotentiale der Steuerung: kommerziell/nichtkommerziell (materielles oder immaterielles Steuerungsmedium). (IV) Zeitperspektive: kurzfristig/langfristig bzw. zeitneutral (ohne Zeitbezug). Im letzten Schritt der Analyse werden die Merkmalsmuster mit den Wirkungsmechanismen der eigentlichen Steuerungsregime verbunden. Das ergibt folgenden Überblick, der Einfachheit halber tabellarisch ohne weitere Kommentierung zusammengestellt. Daran läßt sich mit einem Blick der ungefähre Stand des Wissens zur Steuerungsproblematik ablesen.
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Tabelle 1 Steuerungsregime des naturwissenschaftlich-technischen Fortschritts mit Ordnungsprofil Ordnungsprofil
Steuerungsregime, ggfs. "nur" Ordnung ohne Regimecharakter
1a Allgemeinethik
extern, dezentral, nichtkommerziell, langfristig
kein eigenes Regime
1b Sonderethiken des Wissens, der Wissenschaft, Technik etc.
intern, dezentral, nichtkommerziell, zeitneutral
halbautonomes Wissensregime im Wissenschaftsbereich
lc Berufs- und Standesethiken
intern, zentral, nichtkommerziell, zeitneutral
halbautonomes Wissensregime; ökonomisches Regime der Industriewissenschaft
extern, dezentral, nichtkommerziell, kurzfristig
Rechtsordnung, ohne Regimecharakter
Steuerungsinstanzen in alphabetischer Reihenfolge Gruppe 1: Ethik
Gruppe 2: Gesellschaft
2a politische Partizipation der Staatsbürger und Wähler
extern, dezentral, 2b wirtschaftliche Partizipation der Konsumenten kommerziell, kurzfristig
ökonomisches Regime
Gruppe 3: Medien
3a Öffentliche Meinung (als veröffentlichte Medieninformation)
extern, dezentral, teils kommerzialisiert (duales System), kurzfristig
3b nichtwiss. Einrichtungen extern, dezentral, zumeist nichtkommerziell, kurzder Berichterstattung, Gegeninformation, Refristig cherche (Fachjournalismus, massenmediale Wissenschafts- und Technikkritik)
ökonomisches Regime in den Massenmedien; Rechtsordnung für "freie Meinung" Wissensordnung, aber kein eigenes Wissensregime
3c Öffentlichkeitsarbeit und intern, dezentral, kommer- ökonomisches Regime Werbung (als interessen- ziell, sehr kurzfristig gelenkte Tendenzinformation) (Fortsetzung Seite 48)
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Fortsetzung Tabelle 1 Steuerungsinstanzen in alphabetischer Reihenfolge
Ordnungsprofil
Gruppe 4: Recht
zentral; dezentral im Föderalismus
4a Öffentliches Recht
extern, zentral, nichtkommerziell, langfristig
Rechtsordnung; Administratives Regime der Exekutive
4b Privatrecht
extern, zentral, nichtkommerziell, langfristig
Rechtsregime
4c Strafrecht
extern, zentral, nichtkommerziell, langfristig
Rechtsregime
4d spezielles Wissens- und extern, zentral, kommerziell, teils kurzfristig Technikrecht (z. B. Copyright, Patente, gewerbliche Schutzrechte)
Steuerungsregime, ggfs. "nur" Ordnung ohne Regimecharakter
Administratives Regime der Exekutive; Rechtsordnung
Gruppe 5: Staat und Politik 5a Regierung
extern, zentral, nichtkommerziell, kurzfristig (Legislaturperiode)
Administratives Regime
5b Parteien
extern, dezentral, zunehmend kommerzialisiert (Parteienfinanzierung, Spendenwesen), sehr kurzfristig
ökonomisches Regime (Finanzen, Öffentlichkeitsarbeit, Lobbyismus)
Gruppe 6: Wirtschaft 6a Markt
intern, dezentral, kommer- ökonomische Regime; zialisiert, sehr kurzfristig Marktregime i. e. S.; teils (gegenwartskonzentriert) Rechtsordnung (Wettbewerb)
6b Unternehmen (betriebliche Organisationsstrukturen, Hierarchien)
ökonomisches Regime intern, zentral, kommerzialisiert, kurz- bis mittelfristig
6c Verbände, Lobbyismus
intern, zentral, kommerzialisiert, kurzfristig
ökonomisches Regime
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Fortsetzung Tabelle 1
Steuerungsinstanzen
in alphabetischer Reihenfolge
Ordnungsprofil
intern, dezentral, nicht Gruppe 7: Wissenschaft (als erste Wissenschaftsform oder mäßig kommerder "reinen Theorie" sowie zialisiert; langfristig als zweite der verwissenschaftlichten Praxis)
Steuerungsregime,
ggfs. "nur" Ordnung ohne Regimecharakter
Administratives Regime (Universität); ökonomisches Regime (Praxis)
7a kognitve Selbststeuerung durch wissenschaftliche Kriterien, Methoden, sog. Forschungsimperativ
intern, dezentral, nichtkommerziell (im Rahmen des "kognitiven Systems" der Fachwissenschaften), kurzfristig
halbautonomes Wissensregime der Fachwissenschaften
7b soziale Selbststeuerung durch wissenschaftliches Ethos (Universalismus, Uneigennützigkeit etc.)
intern, dezentral, nichtkommerziell (im Rahmen des "sozialen Systems" der Forschungsgemeinschaften), kurzfristig
Wissensordnung; im universitären Bereich "durchstaatlicht" vom Administrativen Regime; Industriewissenschaft mit ökonomischem Regime
Gruppe 8: Technik
8a als dritte Wissenschafts- intern, dezentral, nichtkommerziell, kurzfristig form der Realisierten Wissenschaft (Ingenieurwissenschaften)
Technologisches Wissensregime
ökonomisches Regime 8b als vierte Wissenschafts- intern, zentral, kommerziell, kurz- bis mittelfristig form der kommerzialisierten Wissenschaft (Technikindustrie) 8c Sonderfall Rüstungstechnologie
extern, zentral, nichtkommerziell (als Rüstungsexport kommerzialisiert), kurzfristig
Administratives Regime; teils ökonomisches Regime
Auffällig und aufschlußreich für die Beurteilung ist der breite Raum, der neben dem stark expandierenden Ökonomischen Regime das überkommene Administrative Regime einnimmt. Bürokratie überlebt jeden Systemwechsel, wie schon Max Weber vor 100 Jahren wußte. Das Technikregime kommt hinzu, ohne es zu verdrängen. Ganz im Gegenteil, fördert es mit Hilfe der IuK-Technlogien die Ausdehnung der bürokratischen Überwachung in bislang unberührte Lebens- und Arbeitsbereiche. Die systematische Auswertung ist eine künftige Aufgabe, für die mehr empirische Untersuchungen erforderlich sind. Hier ging es nur um die konzeptuelle Grundlegung und, soweit in der Kürze möglich, theoretische Reflexion. 4 Kloopfer
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5. Wissensregime mit nichtkognitiver Regelherrschaft Wohin der Wandel der Wissensordnung auch führen mag - ob lediglich zur Aufhebung der alten oder zu einer neuen Wissensordnung mit funktionalen Äquivalenten für die Trennungspostulate -, ist die Entwicklung damit keineswegs abgeschlossen. Die gegenwärtigen Umbrüche gehen über gewöhnliche Technikfolgen der zweiten Art weit hinaus. Dem gewachsenen Ordnungspluralismus der Grundordnungen stehen die Expansionstendenzen von Regimen entgegen, die mit ihren nichtkognitiven Regelungen die Welt des Wissens überlagern. Dadurch kommen die Sonderregelungen für ordnungspolitisch verselbständigte Wissensbereiche unter Druck. An ihre Stelle treten einseitige Dominationen, die den Wissenstätigkeiten neue Rahmenbestimmungen und Randbedingen setzen. Für diese Wissensregime sind Wissenschaft, Forschung, Erkenntnisfortschritt, Wissen nicht mehr eigenwertig, sondern Mittel zum Zweck. Die Klassische Wissensordnung hat in mehr oder weniger friedlicher Koexistenz zwei eigene Wissensregime hervorgebracht, die immer mehr unter Druck geraten und deren Zeit allmählich abzulaufen scheint: einerseits das Geschlossene Expertenregime der Fachwissenschaften; andererseits das Bürokratische Venvaltungsregime der staatlichen Wissenschaftsadministration. Das eine hat die Universität von innen, das andere von außen überlagert. Für das spannungsreiche Neben- und Gegeneinander beider steht die Zwittergestalt der Universität als "Idee" einer freiheitlich verfaßten Gelehrtenrepublik einerseits und als Institution eines staatskapitalistischen Verwaltungsbetriebs andererseits. An ihr lassen sich die Abnutzungseffekte idealistischer Ordnungspostulate und die Niedergangserscheinungen ihrer Restbestände ablesen. Ihnen steht heute auf breitem Vormarsch das Kommerzielle Marktregime der auf "geistige Güter" ausgedehnten Wirtschaftsordnung privatrechtliehen Zuschnitts gegenüber. Ob es eine neue Ordnung bringt oder lediglich eine naturwüchsige Unordnung, ist umstritten. Die Wissensordnung des akademischen Sondermilieus stand von Anfang an im Abwehrkampf gegen amtliche Wissenschaftsadministration und staatliche Hochschulpolitik. Die Wissensregime unserer Zeit entspringen nicht mehr dem Geist der Bürokratie, sondern dem neuen Testament der universellen Ökonomie. Die rasanten Fortschritte der neuesten Technologien und die im Zuge ordnungspolitischer Deregulierungen entfesselte Dynamik der globalisierten Märkte gehen dabei Hand in Hand und zielen auf eine Wissensgesellschaft ohne (eigenständige) Wissensordnung ab. Das hat Konsequenzen für die Wissenspolitik in der Demokratie und die Problemlösungsprozesse in der Gesellschaft. Kennzeichnend für die Ausbreitung ökonomischer Wissensregime in bislang eher wirtschaftsfremde Wissensbereiche sind vielfache Schwerpunkt-
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Verlagerungen innerhalb und zwischen den Grundordnungen: im Rechtsbereich vom Öffentlichen Recht zu privatrechtliehen Regelungen; im Wirtschaftsbereich von der Volkswirtschaftslehre zur Betriebswirtschaftslehre (als Managementwissenschaft); im Politikbereich vom "dualen System" zur Privatisierung. Wenn das neue Urheberrecht in aller Offenheit dazu tendiert, anstelle des aus kreativer Wissensarbeit hervorgegangenen schöpferischen Werkes die wissenstheoretisch unbeachtliche wirtschaftliche Investition zu schützen, dann bringt dieser Regimewechsel die ordnungspolitischen Entwicklungen des Informationszeitalters auf den Punkt. Systematisch läßt sich der Begriff des "Wissensregimes" aus dem Wissenskonzept selbst und dem Rahmenkonzept der Wissensordnung entwikkeln, um die Hegemonisierung von Wissenstatbeständen (Arten, Ordnungen, Tätigkeiten, Institutionen) durch nichtkognitive, neuerdings insbesondere ökonomische Auslegungen, Anforderungen und Ausnutzungen zu bezeichnen27 . Was im Bereich der technisierten IuK die rahmenden Wissensordnungen mit eigenen Imperativen zunehmend dominiert, sind ökonomische und technologische Wissensregime, die sich als nichtstaatliche "Ordnungsmächte" einschalten. Sie verdrängen auch im staatlichen Sektor stellenweise das Administrative Regime, welches allerdings hinhaltenden Widerstand leistet und nicht so leicht aus dem Feld zu schlagen ist. In der Ministerialbürokratie, den Sicherheitsdiensten sowie in der "durchstaatlichten" deutschen Universität ist seine Herrschaft weiterhin unbestritten und allenfalls verbal auf dem Rückzug.
IV. Technologisches Wissensregime oder neue Wissensordnung? 1. Die "Technikordnung" als Formationsstruktur des technisierten Wissens Was die modernen IuK-Technologien dem allem hinzufügen, sind nicht einfach zusätzliche Bestimmungen und Bedingungen, die neben dem durchlaufenden Wissensthema herlaufen wie ein weiteres Rad am Wagen und einfach die Geschwindigkeit, Reichweite, Effizienz etc. erhöhen, sondern technische Grundlagen für alle Grundordnungen. Was in der neueren Literatur gelegentlich als "Technikordnung" bezeichnet wird, ist nicht ein Rahmen unter Rahmen, also keine funktional vergleichbare vierte Grundordnung (neben der Rechts-, Wirtschafts- und Wissensordnung) zur Regulierung der Wissenstätigkeiten durch etwas andere Regeln und Randbedin27 Zur Einführung dieses Begriffs in das Wissensordnungs-Projekt vgl. Spinner 1997 /Wissensregime. 4*
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gungen, sondern ein neuer Wissensraum für technisierte Wissensarten und technikgestützte Wissensfunktionen. Für die technikgestützten Wissensarten und Wissenstätigkeiten liefern die IuK-Technologien Formationsstrukturen und Arbeitsprozeduren, die wegen ihrer deutlich abweichenden Beschaffenheit und Funktion nur mit Vorbehalt als "Technikordnung" bezeichnet werden können. 28 Sie bilden keinen Rahmen, sondern Repräsentationsmuster für bestimmte Wissensformate, mit Ausschlußwirkung gegenüber nichtkongruenten Wissensarten und -eigenschaften. Implizites ist ausgeschlossen, Kontextuelles wird abgeschnitten. Was übrig bleibt, sind jene Wissensbestandteile, die mit Hilfe der luKTechnologien gespeichert, verarbeitet, verbreitet und genutzt werden können. Das ist in erster Linie das Informationsmodul des Wissens (dazu später). Im Unterschied sowohl zur herkömmlichen Rahmung durch Rechts-, Wirtschafts- und Wissensordnung als auch zu den auf vergleichsweise enge Wissensfunktionen eingeschränkten traditionellen Kulturtechniken ist die technische Formierung tendenziell umfassend und bestimmend. Sie liefert den wissenschaftlich-technischen Unterbau (der Mikroelektronik als Basistechnik), das funktionsstarke Arbeitsgerät (Hardware), die effektiven Programme (Software) und den dazu passenden ideologischen Überbau mit Einsatzdoktrinen (von der physikalistischen KI-Philosophie bis zum computerisierten Wissensmanagement). Die dadurch gesetzten technischen Bedingungen der Informations-, Kommunikations- und Kontrollmöglichkeiten stehen außer Frage. Sie sind teils freibleibend ermöglichend (z. B. für neues Recht) und teils zwingend verunmöglichend (z. B. bezüglich ausgeschlossener Wissensformate). Umstritten ist lediglich, welche Tendenzen obsiegen werden: größere Wissensfreiheiten oder mehr Verhaltenskontrolle? Das ist eine Frage der letztlich obsiegenden Wissensregime. Mit dem aktuellen Schlagwort "Code is Law" 29 sind zunächst technische Wissensformate angesprochen, die zwar auf einer anderen Ebene liegen als die nichttechnischen Grundordnungen, aber nichtsdestotrotz ordnungspolitische Konsequenzen haben, die ihrerseits politisch gewollt und staatlich gefördert werden können. Sie sind nicht das Ergebnis einer regulativen Wis28 Was Jaques Ellul als "Technologische Ordnung" beschreibt (Ellul 1963/0rder), hat mit beidem klarerweise nichts zu tun. Es ist weder ein Ordnungsrahmen im ordnungspolitischen Sinne noch ein Formationsschema für Wissensforrnate, sondern eine systemtheoretische (Re-)Konstruktion des neuen "specific technical milieu" als "geschlossener Kreis" im Hinblick auf die entstehende "Technologische Gesellschaft". 29 Dazu ausführlich Lessig 1999/Code.
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sensordnungspolitik, sondern der technisch installierten formalen Datenund Regelstrukturen. Diese sind selbstverständlich indifferent gegenüber gefährlichen oder anstößigen Inhalten, die ihrerseits mit der Technik kompatibel sind30. Herkömmliche Ordnungen bestimmen durch förderliche oder hemmende gesellschaftliche Rahmenbedingungen einige Umstände der Wissensarbeit, ohne diese im Ablauf und Ergebnis zu determinieren. Auch wenn ergebnisoffen, bestimmen technische Formierungen nicht nur den programmgesteuerten Ablauf, sondern darüber hinaus die zulässigen Wissensformate. Darin liegt ihre hauptsächliche Ausschlußwirkung gegenüber nicht standardisierten Wissensarten, nicht technikgetragenen Wissensfunktionen, nicht manifesten Wissenseigenschaften (Wahrheit, Wichtigkeit, Neuheit u. dgl.). Zumindest negativ bleiben die Wissensinhalte davon nicht unberührt. Im Vergleich zu den weichen, weiten Rahmenordnungen ist das eine harte Gegenstands- und Verfahrensordnung 31 , die nicht als Mitkonkurrent am Kampf der gesellschaftlichen Ordnungen teilnimmt, sondern diesen trägt und treibt, soweit der Fortschritt der luK-Technologien reiche 2 . 2. Maßgeschneiderte technische Wissensformate: zu eng für freies Wissen?
Daran läßt sich eine ganze Fragenserie anschließen: Können wir darauf vertrauen, daß die Wissensformate über die strikt funktionalen technischen Erfordernisse ("functional prerequisites ") der IuK-Technologien nicht hinausgehen, wie uns mit Hinweis auf die bloße Verwaltungs- und Verfahrenstätigkeit der sog. /CANN-Internetregierung gesagt wird? Welchen mit- oder gar alleinbestimmenden Einfluß haben die Formationsstrukturen und Verarbeitungsprozeduren auf die inhaltliche Ausstattung der Wissensräume und die ordnungspolitische Rahmung (wenn auch nur indirekt durch die Technikfolgen zweiter Art) der IuK, in der Real- und Netzwelt? Die Inhaltsfrage betrifft zum Beispiel die Artenvielfalt des Wissens und die Qualität der Informationen. Die Ordnungsfrage zielt auf die Rahmenbedingungen der Wissenstätigkeiten im Hinblick auf ordnungspolitische Vorentscheidungen über Wissenseigentum, Zugangsregelungen, Produkthaftung für Wissensmängel33 etc. Zur diesbezüglichen Inhaltskontrolle vgl. Engel 1996/lnhaltskontrolle. Zur Unterscheidung dieser drei (ontologischen, prozeduralen und rahmenden) Arten der Ordnung vgl. Spinner 2000/0rdnungen. 32 Die Kritik meines früheren Mitarbeiters Karsten Weber (jetzt Universität Frankfurt/Oder) hat viel zur Klärung dieses Punktes beigetragen. Für verbleibende Irrtümer ist der Autor verantwortlich. 33 Zur Haftung für wissensbezogene Fehlleistungen vgl. Heldrich 1987/Freiheit. 30 31
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Das Problem ist von höchster Aktualität für die elektronischen Netzwerke, deren Wissensveränderungstechniken sich von den eingebauten Gütekriterien der klassischen Kulturtechniken (als Wissensfixierungstechniken mit flächendeckender Infrastruktur der Qualitätskontrolle) losgelöst haben. Entsteht hier ein Technikregime, welches sich möglicherweise als neuartige Ordnungsmacht außerhalb aller demokratischen Schutzvorkehrungen (Grundrechtsgarantien, Gewaltenteilung, rechtsstaatliche Verwaltung, zeitlich begrenztes Herrschaftsmandat, sachliche Legitimation, Infrastruktur der wissenschaftlichen und öffentlichen Kritik etc.) etabliert, zumindest in den großen Netzwerken mit heimlichen Regierungen (vgl. die derzeitige ICANN-Diskussion)?
3. Zwei Fragen zum neuen Szenarium Um die Frage nach dem Einfluß der modernen luK-Technologien auf Inhalt und Struktur des Wissensraums zu untersuchen, ist das konventionelle Szenarium nicht geeignet, weil sich die Vorrangverhältnisse geändert und die Steuerungsrichtung umgedreht haben. Zum neuen Szenarium kann man (problemkonservativ) zwei alte Fragen stellen, muß aber (nicht strukturkonservativ) neue Antworten finden:
(I) Welche Ordnungen werden der anthropologischen Stellung der Wissensbestände im menschlichen Gesamthaushalt am besten gerecht? Entspricht das historische Paradigma der Klassischen Wissensordnung noch den heutigen Verhältnissen? Ist die von allen herkömmlichen Ordnungen durch Extraregelungen und Ausnahmebestimmungen anerkannte Sonderstellung des Wissens vereinbar mit monolithischen Ordnungen, übermächtigen Regimen, lückenlosen Regulationen?
(2) Welche Wirkung geht von wissensfremden Regimen aus, die anderen "Herren" (d. h. Imperativen) dienen und Wissen als Mittel für ihre Zwecke betrachten? In der alten Erfahrungswelt ist es weiterhin das Administrative Regime der Behörden und sonstigen Bürokratien, in der neuen Welt der elektronischen Netze das Technologische Regime bestimmter Super- und Infrastrukturen, in beiden das Ökonomische Regime des globalisierten Marktes und der privatwirtschaftliehen Multis. In der Rechtsordnung liegt die bürgerliche Legalität des Rechtsstaates, in der Wirtschaftsordnung die ökonomische Rationalität des Marktes, in der Wissensordnung die Legitimität der Wissensfreiheiten. An Einfluß überlegen sind ihnen aber die Regime, die mit aller Macht Neuordnungen vornehmen, welche keine "Ordnungen" mehr im Sinne des ordnungspolitischen Denkens sind.
Von der Techniksteuerung zum technologischen Wissensregime
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4. Ist die alte Wissensordnung überholt, entbehrlich, auf das neue Szenarium übertragbar? Das historische Paradigma der Klassischen Wissensordnung setzt weiterhin die Maßstäbe, kann sie aber nur noch in gesellschaftlichen Sondermilieus zum Tragen bringen und außerhalb der Wissenschaft gegen die neuen Regime nicht mehr durchsetzen. Die wissenstechnischen Entwicklungen des Informationszeitalters führen für die überlieferten Ordnungen zwar zu einem weitgehenden Wegfall der Geschäftsgrundlage, schaffen aber noch keine neue Wissensordnung. Eine solche müßte für die klassischen Wissensprobleme (z. B. Geltungsfragen, Gütekriterien, Wissensfreiheiten) und aktuellen Problemlagen (z. B. die verschärfte Ideologie- und Machtproblematik) zeitgerechte, wenn möglich auch technikgestützte Lösungen ermöglichen (z. B. technischer Datenschutz, informationeHe Selbstbestirrunung, Chancengleichheit für Gegeninformation). Maßgeblich dafür sind die wissenspolitischen Zielsetzungen für die Einrichtungen von Qualitäts-, Schutz- und Verbreitungszonen des Wissens. Über die Klassische Wissensordnung sind die Wissenstechniken hinweggegangen. Eine Rückkehr zum Ausgangspunkt steht nicht zur Debatte, wohl aber die Frage, ob sich die genannten Regelungen sinnvoll fortschreiben lassen. Dafür stehen zwei Wege zur Diskussion: Zum einen die dreifache Übertragbarkeit der klassischen Regelungen (Rahmenwerk, Trennungspostulate etc.) erstens von gestern auf heute; zweitens von der Wissenschaft auf nichtwissenschaftliche Wissensbereiche; drittens von der Erfahrungswelt auf elektronische Netzwelten. Zum anderen die Ausarbeitung und Etablierung von funktionalen Äquivalenten, die auf andere Weise oder mit anderen Mitteln dieselben Dienste leisten. Die alte Wissensordnung ist überholt, nicht zuletzt durch die Technik. Sie ist aber als Leitkonzept keineswegs entbehrlich geworden für die Ordnungstheorie und Ordnungspolitik der Wissensgesellschaft Zwar sind die Lösungen größtenteils nicht auf das neue Szenarium übertragbar, aber die alten Problemstellungen bleiben mit voller Schärfe bestehen. Ohne sie wäre die Suche nach funktionalen Äquivalenten sinnlos. 5. Anschlußstellen für die Ordnungstheorie und Regimepolitik Statt pauschal zu fragen ("Kann man Wissen verrechtlichen, ökonomisieren, technisieren?"), kann man die Anschlußfaltigkeil für die Ordnungstheorie und -politik nun genauer spezifizieren: Was vom Wissen (nach Inhalt, Status, Funktion etc.) ist unter Beachtung seiner diversen Besonderheiten
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einer rechts-, wirtschafts-, technikförmigen Behandlung überhaupt zugänglich? Jedenfalls nicht alles und zumeist nicht ohne Disanalogien zu den herangezogenen Modellen (Persönlichkeitsentfaltungsmodell und Eingriffskonzept des Grundgesetzes, Sachenmodell des Privatrechts, Körperverletzungsmodell des Strafrechts, Markt- und Organisationsmodell der Ökonomie, Algorithmusmodell der Informatik etc.). Konkrete Hinweise lassen sich dem Karlsruher Ansatz der Wissensforschung entnehmen, dessen modulares Wissenskonzept die zentralen Anschlußstellen ausweist. Wissen ist kein homogenes Gebilde mit einem Einheitsprofil nahtlos verschmolzener Eigenschaften. Es ist ein Montageprodukt aus Informations-, Erkenntnis- und Kenntniskomponenten. Von degenerierten Grenzfällen abgesehen, sind das eigenständige Dimensionen bzw. Module eines kognitiven Ensembles mit natürlichen und wissenstechnischen Schnittstellen. Im Mittelpunkt der differentiellen Wissenstheorie34 steht ein philosophisch abgerüstetes, analytisch differenziertes, praktisch nichtdiskriminierendes (modulares bzw. Montage-) Wissenskonzept für "Wissen aller Arten, in jeder Menge und Güte", mit den drei eigenständigen, unabhängig variierbaren und frei kombinierbaren Wissenskomponenten: Modul A zur inhaltlichen Wissensbestimmung als semantische Information; Modul B zur qualifizierenden Wissensvalidierung als E- oder V-Wissen, d. h. als kriteriengebundene (z. B. wissenschaftliche) Erkenntnis oder als "kriterienfreie" Low Quality-lnformation (Unterhaltung, Werbung); Modul C zur pragmatischen Wissensbewertung nach alternativen Präferenzen (zugunsten von Neuigkeit, Wichtigkeit, Brauchbarkeit, Verfügbarkeit etc.) als aktivierte Kenntnisse bzw. handlungsleitendes Können. Das Karlsruher Wissenskonzept eröffnet nun folgende Anschlußstellen für problemspezifische, ordnungstheoretische und ordnungspolitische Überlegungen: Erstens und hauptsächlich Informationsmodule für die Rechts-, Wirtschafts- und Technikordnung (z. B. inhaltsindifferente Informationsverarbeitung und -Übertragung, Femkommunikation).
34 Erster Entwurf der neuen Wissensarchitektur in Spinner 1997/Erkenntnistheorie; voll ausmodularisiert als Kernstück einer differentiellen Wissenstheorie für "Wissen aller Arten, in jeder Menge und Güte" in Spinner 2000/Karlsruher Ansatz.
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Zweitens, aber nur in Qualitätszonen des Wissens, Erkenntnismodule für die Wissensordnung (der "gehobenen", kriteriengebundenen Wissensarten und Wissenstätigkeiten; Fachkommunikation). Drittens, vornehmlich in der Arbeits- und Alltagswelt, Kenntnismodule für die Wirtschaftsordnung (z. B. Humankapital, Wissensmanagement). Soweit Kommunikation Austausch von Information ist, gilt diese Analyse auch dafür. Damit schließt sich der Kreis. Die Steuerungsproblematik hat die Ordnungsfrage aufgeworfen und diese ist vom Regimethema überlagert worden. Auf allen drei Ebenen bilden Information (im Sinne des erstgenannten Wissensmoduls) und darauf bezogene Kommunikation die breitesten Anschlußstellen für die Ordnungspolitik. Die weiterführenden Fragen sind gestellt, die Konzepte ausgearbeitet. Die Antworten sollten nicht länger auf sich warten lassen. Mit dem vorliegenden Beitrag wird daran gearbeitet. Literaturverzeichnis Becker (1993) Ansatz: Gary S. Hecker, Der ökonomische Ansatz zur Erklärung menschlichen Verhaltens (1982), 2. Aufl., Tübingen: Mohr. Bemers-Lee!Fischetti (1999) Web-Report: Tim Berners-Lee, Mark Fischetti, Der Web-Report, München: Econ. Castells (1996) Information Age 1: Manuel Castells, The Information Age; Vol. 1: The Rise of the Network Society, Oxford 1996. Ellul (1963) Order: Jacques Ellul, The Technologica1 Order; in: Carl F. Stover, Hrsg., The Technological Order, Detroit: Wayne State University Press, S. 1037 (reprinted in: Philosophy and Technology, ed. by Carl Mitcham and Robert Mackey, New York: Free Press; London: Collier-Macmillan, 1972, pp. 86-105).
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Entwicklungslinien der Informationsund Kommunikationstechnik Von Günter Müller Vorhersagen für die Zukunft zu machen, war schon immer mit der Gefahr verbunden, sich bei der Nachwelt der Lächerlichkeit preiszugeben. Zahlreiche Fehlprognosen bezeugen diese These [4]. Neben dem Nichtwissen sind es jedoch vor allem die Sekundäreffekte, die die Aufgabe der Prognostiker erschweren. Der Wunsch Otto von Guerickes, das Wesen des Verhaltens einer Kompassnadel zu erforschen, führte zur Entdeckung der Elektrizität, die Beobachtungen der regulären Strukturen von Kristallen ermöglichten zuerst die Röntgenstrahlen und jetzt - als Spätfolge - die Gentechnik. Unerwartete Sekundäreffekte von Innovationen und Entdeckungen - oft den Primäreffekten folgend und diese in der Bedeutung weit übertreffend, verändern die Welt in kleinen Schritten [7]. Normalerweise bezeichnet man Gesellschaften nach den dominanten Formen des Einkommenserwerbes der Mehrheit der Bevölkerung. Demnach lag der Schwerpunkt der Industriegesellschaft in der industriellen Fertigung und der Bereitstellung von Gütern. Die Akzeptanz ergibt sich für den Einzelnen und für die Infrastrukturen aus dem ersichtlichen Vorteil dieser Erwerbsform. Eine Informations- oder die Wissensgesellschaft basiert in Analogie auf dem Erwerb und der Verteilung von Informationen. Sollte daraus die dominante Erwerbsform werden, sind existierende Institutionen und Infrastrukturen zu überprüfen und ggf. neu zu errichten. Das Problem bei all diesen und ähnlich gelagerten Fragen ist es, dass dies mit hoher Wahrscheinlichkeit die falschen Fragen sind und niemand weiß, was denn wohl die richtigen Fragen sind. IBM war in den fünfziger Jahren noch der Ansicht, man brauche höchstens fünf Rechner auf der ganzen Welt, der amerikanische Präsident konnte sich bei Einführung des Telefons nicht vorstellen, dass Personen aus Maine und aus Texas sich etwas Wesentliches zu sagen hätten. Allen Prognosen ist gemeinsam, dass alles was heute gilt, morgen nicht mehr zu gelten braucht. Szenarien - auch wenn sie von wissenschaftlich limitierter Aussagekraft sein müssen - sind für die Strukturierung der Problemstellung sowohl für Individuen als auch für Institutionen hilfreich.
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I. Infrastrukturen Vorhersagen besitzen einen Objektbereich sowie einen Kontext. Zur Einordnung in den Kontext sind drei Fragestellungen zu unterscheiden: 1. Was kann geschehen? Dies diskutiert die Optionen, die das fachlich eng umschriebene Wissensgebiet besitzt. Dieser Optionenkranz wird meist innerhalb einer akademischen Disziplin erfass- und beschreibbar.
2. Was wird geschehen? Hierbei wird die ökonomische und politische Analyse ein Teil der Fragestellungen und damit der Prognose. Szenarien werden jetzt interdisziplinär. 3. Was soll geschehen? Dies wird am häufigsten gefragt und führte bisher wissenschaftlich immer zu enttäuschenden Resultaten und ist daher auch für diesen Artikel nicht von Relevanz. Die Analyse des Kontextes der Wissens- oder Informationsgesellschaft wird hier mit der Absicht verfolgt, die Einrichtung der geeigneten Institutionen zu fördern. Eine notwendige Bedingung dazu ist die Identifikation und das Zusammenwirken grundlegender Infrastrukturen. Solche "digitalen" Infrastrukturen haben drei charakterisierende Sektoren [8]: - Die Aggregation von Systemen, Netzen und Verfahren zur Verarbeitung und dem Austausch von Daten (Technikinfrastruktur). - Die Aggregation von Daten in einer Form, die für Menschen zugänglich ist und so zu Ausgangspunkten für Dienste und Anwendungen werden können (Wissensinfrastruktur). - Gesetze, Regeln, Verfahren und Gewohnheiten, die eine Gemeinschaft definieren und für das Handeln des Einzelnen als verbindlich empfunden werden (Handlungsinfrastruktur). Die Errichtung der notwendigen Infrastrukturen unterliegt indes ökonomischen und technischen Gesetzmäßigkeiten. Man kann z. B. durchaus behaupten, dass in Deutschland z. B. mit dem Signaturgesetz die Rahmenbedingungen (Handlungsinfrastruktur) für die Nutzung des aktuellen technischen und wissensmäßigen Standes geschaffen worden sind. Gleichzeitig muss jedoch konstatiert werden, dass einige Hersteller von Sicherheitstechnologien gegenwärtig davon ausgehen, dass jedes "Signaturzertifikat" zur Zeit etwa DM 10 kosten würde. Dies übersteigt noch die Zahlungsbereitschaft der potentiellen Nutzer und wird daher eher keine Institutionen schaffen (Wissensinfrastruktur). Folgende Betrachtung zur digitalen Signatur möge dies verdeutlichen. Ausgehend von Deutschland, das im Jahre 1997 das Gesetz zur digitalen Signatur (§ 3 IUKD Gesetz) verabschiedet hat, sind nachfolgend sowohl in den USA (Utah) als vor allem in Europa bei der EU basierend auf der deut-
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Handlungsinfrastruktur
Wissensinfrastruktur Dienste, Anwendungen und Inhalte
Gesetze, Regeln, Verfahren und
Elektronische Netze, Datentransport, Datenspeicherung, elektronische In fonnations verarbeitung
Technikinfrastruktur Abb. I: Infrastrukturen der Wissens- und Informationsgesellschaft [8]
sehen Gesetzgebung "Empfehlungen" zum E-Commerce entstanden, die die "digitale Signatur" als Kernelement der Technologie zur Förderung des E-Commerce ansehen. Während die Sicherheit vor allem in der Wissenschaft in Deutschland als eine technische Fragestellung und als Schutz vor Missbrauch persönlicher Daten verstanden wird, scheint diese Zielsetzung für die Akzeptanz des E-Commerce in der Gesellschaft und Wirtschaft weniger wichtig. Nicht Sicherheit der Daten ist nachgefragt, sondern das Vertrauen in das Funktionieren der Hilfsmittel, in die Kalkulierbarkeit der Technologien und in die gesicherte Identifikation des beteiligten Partners. Gerade solche Firmen, die am wenigsten Daten in technischer Form schützen, jedoch eine glaubwürdige Garantie vor Missbrauch geben können, haben die besten Erfolge. Die Regulierungsbehörde Telekommunikation in Deutschland hat inzwischen bestätigt, dass ca. nur 100 digitale Signaturen durch die mit enormen Kosten geschaffenen "Zertifizierungsstellen" bestätigt worden sind. Als Ursache werden primär die exorbitanten Kosten für die Zertifizierung, aber fast gleichberechtigt der Mangel an "Vertrauen" genannt. Vertrauen ist nach Luhmann ein Zustand zwischen Menschen oder Institutionen, die prinzipiell unabhängig von technischen Lösungen sind, und als das Ergebnis eines Erfahrungsprozesses angesehen werden muss. In einer virtuellen Umgebung ist jedoch der Vertrauensaufbau auf die Technik angewiesen. Es kommt als Fazit auf die enge Kooperation der Infrastrukturen an. Vorauseilendes Verhalten - so wird vielfach das Signaturgesetz gesehen - kann nachteilig im Sinne von "Unrealistisch und Nutzlos" wirken, es
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kann aber auch - wie im Falle des Signaturgesetzes - die Diskussion der Wissens- und Technikinfrastruktur orientierend fördern.
II. Szenarien der Technikinfrastruktur Zur Einordnung der auf die Technik bezogenen Szenarien der Wissensund Informationsgesellschaft scheinen sich drei Entwicklungslinien abzuzeichnen, die als Visionen oder Leitbilder die Technikgestaltung beeinflussen [3, 15]: 1. Die Erlangung einer globalen Kommunikationsfahigkeit der Individuen. 2. Die Allgegenwärtigkeit. 3. Die Ein-Netzwerk-Sicht. 1. Reichweite und Mächtigkeit
Globale Kommunikationsfahigkeit lässt sich durch die Faktoren "Reichweite" und "Mächtigkeit" sowie anband der Kriterien "Verfügbarkeit" und "Verteiltheit" konkretisieren [7] . Unter Reichweite werden alle Lokationen verstanden, zu denen Kommunikationsbeziehungen aufgenommen werden können. Erhebungstechnisch bedingt können gegenwärtig keine exakten Aussagen zu der Anzahl von Personen und Organisationen, die mit dem Internet prinzipiell, d.h. unter Ausklammerung sprachlicher, wirtschaftlicher, politischer, kultureller oder anderer Unterschiede erreicht werden können, gemacht werden. Entsprechend streuen Schätzungen recht breit von 60 bis über 150 Millionen Teilnehmern. Was man jedoch einigermaßen genau ermitteln kann, ist das Wachstum der Neuanmeldungen [11]. Rechnet man dieses hoch und nimmt man - wenn auch nicht ganz ernst gemeint - dessen Kontinuität an, dann werden im Jahre 2001 zahlenmäßig gesehen alle Menschen auf der Welt am Internet angeschlossen sein. Allerdings lässt sich eine typische Abflachung der Wachsturnskurve bei der prinzipiell begrenzten und kleiner werdenden Menge der noch-nicht-angeschlossenen Menschen bereits heute erkennen. Möglich erscheint dennoch, dass insgesamt mehr eindeutige IPAdressen als die Anzahl der Weltbevölkerung erreichbar sein werden, dann nämlich, wenn einzelne Steuer- oder andere, periphere Einheiten, Haushaltsgeräte u. v. a. m. mit eigener IP-Adresse an die globale Informationsinfrastruktur angeschlossen sind [ 15]. Mächtigkeit bezeichnet die Fähigkeit zur Informationsverarbeitung, -Weitergabe, -Speicherung und -repräsentation von Daten. Eine hohe Mächtigkeit ist dann gegeben, wenn alle Kommunikationspartner multimedial ne-
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Reichweite
Potential ,/ /
weltweit
/
/
national
....-
lokal
'// / IuK-Unterstutzung jeweils einer Phase
/ /
/
/ / '
//// .::.::...
Mächtigkeit bezogen auf Transaktionsphasen .. IuK-Unterstutzung und Teil-Integration mehrerer Phasen
..
IuK-Unterstutzung und Integration aller Phasen
Abb. 2: Potentialfunktion der Informations- und Kommunikationstechnik (IUK) [vgl. dazu 7]
ben einfachem Nachrichtenaustausch zum gegensertlgen Diensteabruf und zur Betriebsmittelnutzung über mehrere Wertschöpfungsstufen und Kornmunikationspartner befähigt werden [7]. Unter dem gegenwärtig und absehbar vorherrschendem (Prozess-)Automatisierungsparadigma ist eine Entwicklung hin zu mächtigerer IT anzunehmen. Vor allem gut strukturierbare Prozesse und Strukturen werden auch weiterhin unter ökonomischem Rational informationstechnisch abgebildet, um gegenüber herkömmlichen Ansätzen letztendlich Effektivitäts- und Effizienzvorteile zu realisieren. Bezogen auf die Reichweite als technisches Äquivalent des Nutzungszwanges und bezogen auf die Mächtigkeit der verfügbaren Rechner, kann man davon ausgehen, dass diese mit der Informatisierungsrate Schritt halten. Hier sind keine nachhaltigen Engpässe zu erwarten. 2. Allgegenwärtigkeit (Ubiquitous Computing)
Nachfolgend wird argumentiert werden, dass die technischen Parameter "Verteiltheit" und "Verfügbarkeit" sich so ändern werden, dass eine soziale 5 Kloepfer
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"Allgegenwärtigkeit" der Informationstechnik erzeugbar ist. Diese Telepräsenz wird als die dominante Anwendung angesehen, da sie unübersehbare ökonomische Vorteile besitzt [vgl. Abb. 3]. Zur Beurteilung von "Verfügbarkeit" und "Verteiltheit" kann man auf zwei Beobachtungen bauen, die inzwischen als Gesetze bezeichnet werden. Gegenwärtig entwickelt sich die Hardware nach dem "Gesetz von Moore" mit einer Verbesserungsrate in der Leistung von jährlich 60%, d.h. das Preis-Leistungsverhältnis verdoppelt sich etwa alle 18 Monate oder verhundertfacht sich jedes Jahrzehnt [6]. Die zweite Beobachtung nach Metcalfe geht davon aus, dass der Wert eines Netzwerkes proportional zum Quadrat der Anzahl der Teilnehmer an diesem Netzwerk steigt [1]. Verfügbarkeil bezeichnet die tatsächliche Nutzbarkeit von Diensten und Funktionalitäten; dies vor dem Hintergrund der Anforderungen der Massenmarktfähigkeit und eines globalen Kommunikationsraumes ohne einheitliche kulturelle Basis. Extrapoliert man heutige Wachstumsraten, so werden in fünfzig Jahren die Rechner 100.000 mal mächtiger sein als heute. Sollten auch die Speicherkapazitäten und die Bandbreiten für Netze mit den gegenwärtigen Raten nachhaltig weiter wachsen, wird die verfügbare Rechenleistung 10 Milliarden mal so mächtig wie die heutige Hardware sein. Geht man davon aus, dass der Mensch in seiner Lebenszeit circa 2 Petabyte (1 PB entspricht I Million Gigabyte) verarbeitet, dann bedeutet dies, dass in weniger als fünfzig Jahren jeder Person zu Preisen heutiger Systeme die Verarbeitungs- und Speicherkapazität zur Verfügung steht, um alle in einem Menschenleben erfahrenen Informationen jederzeit speichern und verarbeiten zu können [1]. Die Speicherung und Verarbeitung von Informationen wird kostenfrei, es lohnt sich nicht mehr, etwas zu vergessen, um Platz zu sparen. Unter Annahme, dass sich wesentliche Paradigmenänderungen im Bereich der Rechnerarchitektur nicht ergeben und Rechner im Allgemeinen universelle Maschinen bleiben, wird die Entwicklung dadurch gekennzeichnet sein, dass spezialisierte virtuelle Rechner weiterhin auf universellen physischen Rechnern aufbauen, um dadurch weitere und komplexere Dienste entstehen zu lassen [5). Diese Annahme geht davon aus, dass einer Person mehrere, eventuell sogar physische Rechner zur Verfügung stehen. Geht man von Wachsturnsraten aus, die dem "Gesetz von Moore" entsprechen, dann wird die Verfügbarkeil von Rechenkapazität so global sein, dass sich die Verteiltheil nach den Anforderungen der Aufgaben richtet und nicht mehr nach dem Preis von Rechenleistung [3J. Die Lösung liegt in einer weitergehenden Standardisierung sowohl der Rechner selbst als auch ihrer Vernetzung zu einem anwendungsbezogenem, und durch die Anwendung induziert spontan verteilter Systeme. Diese Entwicklungen - zusammen betrachtet - werden als "Ubiquitous Computing" oder "Allgegenwärtigkeit" bezeichnet [15].
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3. Ein-Netzwerk-Sicht Folgt man Metcalfe [4] und seinem "Gesetz", dann ist die Interoperabilität der Netze sowie der Zugang zu einem möglichst alles verbindenden Netz von besonderem Vorteil. Dies soll hier als die Vision der Ein-Netzwerk-Sicht bezeichnet werden. Voraussetzung dazu ist die reale Konvergenz und Interoperabilität der existierenden Netzwelt Trotz aller technischen Möglichkeiten zur Erreichung dieses Zieles müssen auch Bedenken geäußert werden, die die Vision des "Ein-Sicht-Netzwerkes" in Frage stellen. Die aktuellen Entwicklungen sind zu gegensätzlich. Während die Telefongesellschaften Sprache auf Leitungen von 64 kbps anbieten, schlagen TV-Anbieter 5 Mbps vor. Dateien, die bisher einige hundert Kilobytes Text umfasst haben, wachsen zunehmend zu Größen von vielen Megabytes heran, bzw. zu mindestens 2 Gigabytes, falls eine Stunde Video in guter Qualität angeboten werden soll, wenn Graphiken und Bilder neben Texten zu Informationsträgem werden. Drahtlose Kommunikation birgt große Potentiale, die bestehenden Kornmunikationsinfrastrukturen vollständig zu verändern. Sie erlaubt wirklich mobiles Rechnen und kann darüber hinaus auf existierende Technologien und Infrastrukturen, z. B. GPS, zurückgreifen, um die Lokation der Beteiligten zu bestimmen. Allerdings bestehen noch ungelöste Probleme hinsichtlich des Bandbreitenmanagements. Avantgardistische Vorschläge gehen hier soweit, dass insgesamt eine neue Allokation aller verfügbaren Bandbreiten vorgenommen werden sollte. So könnten z. B. installierte Geräte und Fernseher "fest verdrahtet" werden, um Bandbreite für mobile Geräte freizusetzen. Das in Japan entwickelte Personal Handphone System (PHS) operiert in einem Radius von circa 300 m, wobei jede Zelle 268 Sprachkanäle im zugeordneten 1895 bis 1918.1 MHZ-Frequenzbereich verfügbar hat. Über geeignete Kompressionsverfahren könnten dann eintausend 8 Kbps Verbindungen schaltbar sein. Das bedeutet mehr Bandbreite als für kontinuierliches Video erforderlich wäre. Mit den gegenwärtigen Lizenzen zu UMTS ist dieser Weg wohl beschritten und man wird gespannt auf die Anwendungen sein können, die die enormen Investionen wieder einbringen sollen. Es ist bei der Interoperabilität von Netzen folglich von einem weiteren Zusammenwachsen auszugehen, doch wird es das eine, allumfassende Netz nur wohl nicht geben. Obwohl wesentlich teurer wird man von einem Durchschalten durch Netze und Vermitteln in Netzen ausgehen müssen. Wann genau und ob jemals die "Ein-Sicht-Netzwerk-Konzeption" erreicht sein wird, ist bedingt durch die vielschichtigen Wechselwirkungen der benannten Infrastrukturen hinreichend genau jedoch kaum zu prognostizieren; technisch ist sie prinzipiell möglich. 5*
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111. Telepräsenz Die Senkung von Transaktionskosten durch die elektronische Technikinfrastruktur hat Rückkopplungs- oder Verstärkungseffekte für Wirtschaftssysteme. Diese Vorteile können jedoch nur realisiert werden, wenn es gelingt, für alle Teilnehmer überzeugende Anwendungen und Vertrauensbereiche zu schaffen. Der "Electronic Commerce" [2,13] wird Angebot und Nachfrage für viele Produkte zu jeder Zeit und an jedem Ort nahezu kostenlos zusammenführen. Das aktuelle Internet liefert dazu schon heute die elektronische Infrastruktur. Durch den anhaltenden technischen Fortschritt wird jedoch die Schaffung einer viel weiterreichenden technischen Infrastruktur notwendig werden. Sie soll dann nicht nur e-commerce, sondern "digitales Wirtschaften" ermöglichen. Dazu sind einerseits neuartige Werkzeuge erforderlich, aber andererseits auch die formale Beschreibung und Festlegung von akzeptierten Ordnungen und Regeln, die einen Ausgleich der Interessen aller Marktteilnehmer ermöglichen und so das Handeln innerhalb der sich abzeichnenden technischen Infrastruktur kalkulierbar machen. Digitales Wirtschaften ist erreicht, wenn die technischen und ökonomischen Institutionen so gestaltet werden können, dass für eine Mehrheit der Anwender viele Vorgänge des tagtäglichen Handeins durch die Nutzung der technischen Infrastruktur verbilligt und qualitativ verbessert werden können. Die Technik überwindet primär zeitliche und räumliche Restriktionen. Dadurch können erhebliche Einsparpotentiale entstehen, aber auch andersartige Tauschbeziehungen. Dies wird durch eine Gegenüberstellung von physischer und Telepräsenz beispielhaft in Abb. 3 verdeutlicht. Die KostenNutzen-Relation verändert sich zugunsten der Telepräsenz, weil etwa bezüglich Zeit, Ort und Sortimentstiefe neue Optionen entstehen. Physische Präsenz
Telepräsenz
Fester Ort
variabler Ort
Synchronität (geringe zeitliche Flexibilität)
Asynchronität (hohe zeitliche Flexibilität)
begrenzter Lieferanten- und Kundenkreis
globaler Lieferanten- und Kundenkreis
begrenzte Auswahl
maximales Sortiment
eingeschränkte Übersicht
globale Übersicht
Realität
digitales Abbild mit variablen Darstellungsmöglichkeiten (Multimedialität)
o "schlechte" Kosten/Nutzen Relation
o "gute" Kosten/Nutzen Relation
Abb. 3: Kosten-Nutzen-Relation und Funktionsstruktur der Telepräsenz
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Die dazu notwendigen Werkzeuge und gesellschaftlichen Institutionen werden das Internet in seiner derzeitigen Form drastisch verändern, wobei die aktuelle Anzahl von Diensten nur ein Ausblick auf die Zukunft sein kann. Aus dem heutigen Internet mit seinen Anwendungen wird ein neues Netz entstehen, das weitgehend Aspekte der in Abb. 1 genannten Infrastrukuren umfasst. Diese Szenario wird hier als das "rZNet", das Zusammenwachsen von Technik- und sozialer Infrastruktur symbolisierend, bezeichnet Technisch gesehen existieren bisher noch keine befriedigenden Möglichkeiten wie - die Interessen der Teilnehmer unter Verwendung von technischen und informatischen Werkzeugen multimedial formulierbar sind, - Informationen und Wissen für alle verständlich, kostengünstig und jederzeit verfügbar gemacht werden können, - entstandene Konflikte transparent, aushandelbar und durch eine akzeptierbare Ordnung lösbar werden, - Privatheit und der Schutz der Werte gesichert sind.
IV. Gefährdung der Privatheit Mit der Grenzenlosigkeit des Internet verlieren Staaten ihr Schutzmonopol und die Wirtschaft sieht sich weltweiter Konkurrenz ausgesetzt, der Markt des Einzelnen wird grenzenlos. Diese Grenzenlosigkeit bedeutet aber auch Schutzlosigkeit und ist damit ein Zustand, den man nur "goutiert" wenn man der Stärkere ist. Sicherheit wird damit die Voraussetzung die Errungenschaften der zivilen Gesellschaft zu erhalten. Was bedeutet dies technisch? Die "Mehrseitige Sicherheit" kann ein solcher Wegweiser für die Zukunft sein [9, 10]. Einerseits gilt es sowohl die Ziele des Datenschutzes - wie Privatheit - zu bewahren, aber gleichzeitig in einer grenzenlosen Welt mit unterschiedlichen Wertvorstellungen gemeinsames Wirtschaften und Zusammenarbeit zu ermöglichen [2,13]. Die Konzeption der "Mehrseitigen Sicherheit" fasst dies zu vier Anforderungen zusammen: 1. "Jeder hat Sicherheitsinteressen" bedeutet, dass man selbst nicht immer identische Sicherheitsinteressen hat. Manchmal benötigt man keinerlei Sicherheit, manchmal sehr viel. Es bedeutet auch, dass möglicherweise derselbe Umstand unterschiedlich beurteilt wird. Sicherheit ist nicht exante regelbar, sondern ist von Transaktion zu Transaktion und von Person zu Person verschieden. 2. Sicherheitsinteressen müssen formulierbar sein. Dies bedeutet, dass man Funktionen finden muss, die Anforderungen ausdrückbar machen. Sie
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sind die Grundlage der formalen Sprache der Mehrseitigen Sicherheit, die dazu genutzt wird, um dem Partner mitzuteilen, welchen Sicherheitsstandard man gerne haben möchte. Dies kann von "Null"-Sicherheit bis zur vollständigen Vertraulichkeit reichen. 3. Konflikte müssen für alle erkennbar werden. Sie tauchen in zweifacher Art auf. Einerseits können die Sicherheitskriterien so unterschiedlich sein, dass man von der eigentlich angestrebten Kommunikation absieht. Andererseits gibt es Konflikte, wenn gegen vereinbarte Regeln verstoßen wird, d. h. z. B. dass das Recht auf Privatsphäre nicht missbraucht werden darf, um sich z. B. Zahlungsverpflichtungen zu entziehen. 4. Das zwischen den Partnern Ausgehandelte wird eingehalten und außerdem wird das Wissen darum nicht von Dritten missbraucht. Hier spätestens ist Sicherheit nicht alleine durch Technik und Werkzeuge zu garantieren, sondern wird eine Frage nach vertrauenswürdigen Institutionen. Die technischen Lösungen der "Mehrseitigen Sicherheit" können in zwei Bereiche aufgeteilt werden. In solche, die im Entscheidungsbereich des Herstellers von Geräten liegen und in ihrer Akzeptanz den Marktgesetzen unterliegen. Da es einen Markt für Vertraulichkeit, Integrität, Verfügbarkeil und Zurechenbarkeit gibt, werden diese Funktionen in Rechnemetzen angeboten und nachgefragt. Technologie dafür existiert. Schwieriger verhält es sich mit der Nachfrage nach Anonymität, Pseudonymität, Unverkettbarkeit und Unbeobachtbarkeit. Diese Kriterien sind einerseits ambivalent und können zweitens nicht von einem Hersteller alleine angeboten werden. Kriterien dieser Art sind daher immer Gegenstand von gesellschaftlicher Diskussion und bedürfen des Interessenausgleiches. Die Technologien dafür finden sich in [9, 10].
V. Thesen zur Entwicklung der Kommunikationstechnik Aktuellliegt die Betonung auf der "Virtualisierung des Realen" und sehr häufig existiert die Angst, hier den Zug und damit den Anschluss an die Modeme zu verpassen. In dieser Arbeit wurden fünf technische Szenarien aufgestellt: 1. Die globale Kommunikationsfähigkeit, 2. die Allgegenwärtigkeit, 3. die Ein-Netzwerk-Sicht, 4. die Telepräsenz und 5. die Sicherheit. Während Rechner-, Speicher- und Übertragungskapazitäten sowie die dafür erforderlichen Netzwerke und andere Hardware weniger als ein begren-
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zendes Problem für die Entwicklung eingestuft wurden, stellt die Realisierung der Wissens- und Handlungsinfrastruktur eine besondere Herausforderung dar. Die notwendige Software ist nicht vorhanden. Die Frage ist auch, ob sie es jemals sein wird? Derartige Schlussfolgerungen basieren auf der Tatsache, dass die Prognosen der vergangeneo Jahre bezogen auf die technische LeistungsHihigkeit der Hardware eher zu pessimistisch und bezogen auf die Software hingegen eher zu optimistisch waren (zahlreiche Beispiele finden sich bei [1]). Scheitert die Virtualisierung des Realen und der "Realisierung des Virtuellen"? Bei der Suche nach einer adäquaten Abbildbarkeit transaktionsrelevanter Kontextbedingungen und -aspekte stößt man an grundsätzliche Grenzen der Formalisierbarkeit von Prozessen und Strukturen und damit an scheinbar unüberwindliche Grenzen der Informationstechnik. Weder die künstliche Intelligenz, noch lernende Systeme haben einen wirklichen Durchbruch erbracht und sind weit hinter ihren Versprechungen zurückgeblieben. Rechner und Netze erzeugen virtuelle soziale Räume. Die Verbindung realer mit virtuellen Sphären erfordert leicht lernbare Schnittstellen über die unkompliziert weltweit kommuniziert werden kann. Kommunikation als Austausch von Information enthält im Regelfalle sowohl verbale als auch nonverbale Nachrichtenteile [14]. Diese werden z. B. durch die Stimme, über Betonung und Aussprache, durch begleitende Mimik und Gestik vermittelt. Charakterisierend für Nachrichten zwischen kommunizierenden Menschen sind der Sachinhalt, der Kontext, die Beziehung der Kommunizierenden untereinander sowie die etwaige Absicht, auf den Kommunikationspartner Einfluss zu nehmen ("Appell") [7]. Heutige Nutzerschnittstellen sind nicht leistungsHihig genug, um diese Bedingungen menschlicher Kommunikation zu erfüllen. Für die nahe Zukunft ist nicht zu erwarten, dass technisch vermittelte Kommunikation sowie die erforderlichen Schnittstellen zur realen Welt und damit zu realen Teilnehmern diese vielschichtigen Wesensmerkmale menschlicher Kommunikation vollständig abzubilden vermögen. Um letztendlich eine korrekte Abbildung möglichst vieler genannter Kommunikationsaspekte zu erreichen, müssen im Extremfall alle Formen der menschlichen Sinneswahrnehmung integriert werden. Die Realisierung des virtuell Möglichen und Denkbaren ist gegenwärtig eher mit Vorsicht zu beurteilen. Literatur [I] Bell, G./Gray, J.: The Revolution yet to happen. In: Denning, P.; Metcalfe, R.: Beyond Calculation. The Next Fifty Years of Computing. Copemicus, 1997. [2] Bloch, M.!Pigneur, Y./Segev, A.: On the Road of Electronic Commerce - a Business Value Framework, Gaining Competitive Advantage and Some Research Issues, 1998, http://www.hec.unil.ch/mbloch/docs/roadtoec/ec.htm.
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[3] CNRI: Vision of the Nil: Ten Scenarios, Reston, 1996. Papers on future networking, http:/ /www.labs.bt.com/people/cochrap/1998. [4] Denning, P./Metcalfe, R.: Beyond Calculation. The Next Fifty Years of Computing. Copernicus, 1997. [5] MIT Media Lab: Things that Think, http://ttt.www.media.mit.edu/1998. [6] Moore, G.: Nanometerand Gigabucks (video tape), 1996, http://www.uvc.com/ videos/ 12Moore.video.html. [7] Müller, G./Kohl, U./Schoder, D.: Unternehmenskommunikation - Telematiksysteme für vernetzte Unternehmen, Addison-Wesley, 1997. [8] Müller, G./Kohl, U./Strauß, R. (Hrsg.): Zukunftsperspektiven der digitalen Vernetzung, dpunkt, Heidelberg, 1996. [9] Müller, G./Pfitzmann, A.: Mehrseitige Sicherheit in der Kommunikationstechnik - Verfahren, Komponenten, Integration. Addison-Wesley-Longman, Bonn u.a., 1997. [10] Müller, G.!Rannenberg, K.: Multilateral Security in Communications - Technology, lnfrastructure, Economy. Addison-Wesley, 1999. [11] Nua2: "How many online?", http://www.nua.ie/surveys/how_many_online/ index.html. [12] OECD 1997: Global Information Infrastructure - Global Information Society (GII-GIS): Policy Requirements [OECD/GD(97)139], http://www.oecd.org/. [13] Schoder, D./Müller, G.: Potentiale, Hürden und Entwicklung des Electronic Commerce, in: Informatik Spektrum, 1999 (im Druck). [14] Watzlawick, P./Beaven, J. H./Jackson, D. D.: Menschliche Kommunikation, Huber, Bern, 1969. [15] Weiser, M.: Some Computer Science Problems in Ubiquitous Computing, Communications of the ACM, Vol. 36, No. 7, July 1993, S. 74-83.
Kommunikation als Gegenstand des Rechts Von Jean Nicolas Druey
I. Kommunikation in rechtlicher Sicht 1. Recht wirkt auf neue Phänomene und sie wirken auf das Recht
Stichworte wie "Informationsgesellschaft" und "Informationszeitalter" haben es an sich, dass sie ebenso evident wie diffus sind. Wir können nur sehen, dass gleichsam die Entropie in den Begriffsfeldern um "Information" und um "Kommunikation" als den intersubjektiven Verbindungen, in welchen Information läuft', dass diese Entropie, oder sagen wir schlicht: diese Aufregung am Steigen ist. Solche Aufregungen sind das Ergebnis eines wilden Wirkens von Aktionen und Reaktionen, in welchen auch ständig das Problem vom Huhn und vom Ei gegenwärtig ist. Denn technische Veränderungen sind das Produkt von Kulturen und sie haben deren Anforderungen zu genügen; aber ebenso wirken sie ihrerseits verändernd auf die Kulturen ein. Dieses Verhältnis ist auch festzustellen zwischen dem Recht und den Erscheinungen der Tatsachenwelt, vor allem also der riesigen technischen Entwicklung von Informationsspeicherung, -Verarbeitung und -Übertragung. Auch das Recht hat in dem Sinn einen mächtigen Anstoss erhalten, und auch hier wirkt er in dieser doppelten Weise, dass auf der einen Seite Antworten auf die neuen Phänomene zu finden sind2 , anderseits aber auch, indem gleichsam der Stein Kreise zieht und das Rechtssystem als solches in Bewegung bringt3 . Auch das Recht kommuniziert in diesem Sinn mit der Tatsachenwelt 1 Zur Vervielfachung des Begriffsverständnisses Gernot Wersig, Die Komplexität der Informationsgesellschaft, Schriften zur Informationswissenschaft, Bd. 26, Konstanz 1996, 221 ff. 2 Vgl. etwa die Auslegeordnung bei Herbert Burkert, Von künftigen Aufgaben des Informationsrechts, in: Christian J. Meier-Schatz/Rainer J. Schweizer (Hrsg.), Recht und Internationalisierung, Festgabe der Juristischen Abteilung der Universität St. Gallen zum Juristentag 2000, Zürich 2000, 155 ff. 3 Vgl. nur Richard Susskind, The Future of Law: facing the challenges of information techno1ogy, Oxford 1996, sowie Ethan M. Katsh, Law in a Digital World, New York/Oxford 1995.
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Bei solchen Feststellungen frage ich mich allerdings sogleich, ob ich mich nicht besser im Futurum ausdrücke. Eine weitere Feststellung muss sich nämlich gleich anfügen, wenn wir die juristische Szene beobachten: das ist die des erstaunlichen Beharrungsvermögens, welches dem Rechtssystem eigen ist. Positiv gesehen, kann dieses Beharrungsvermögen, diese Langsamkeit der Reaktion, auf dieses nervöse Surren der Informationsdiskussion, auf alle die Revolutions-Szenarien und eben Aufregungen, vielleicht beruhigend einwirken. Das Recht als normative Welt setzt sich von der faktischen Welt ab, es ist, wie wir sagen, kontrafaktischer Natur. Wo neue Antworten nötig sind, gibt es diese zunächst peripher und spezifisch, durch Spezialgesetze und Gerichtsurteile, und lässt eine Veränderung seiner zentralen Normen vorerst nicht zu. Dabei kann der enorme Stoss, den diese neuen Phänomene dem Recht versetzen, keineswegs durch einzelne neue Rechtsnormen aufgefangen werden. Das Recht ist ein System, und wie bei einem Mobile von Alexander Calder setzt sich die Bewegung von einem Einzelbereich ins Ganze fort. Alle seine Grundbegriffe - Vertrag, Delikt, Eigentum, Persönlichkeit, Treu und Glauben und andere - werden herausgefordert, ja der Begriff des Rechts selber, ist es doch selber Information4 : alle Institutionen haben sich neuen Fragen zu stellen, in denen sie sich entweder bewähren oder verändern. Und die Tiefendimension dieses Stosses verstärkt sich eben dadurch, dass sich in der Diskussion die Stichworte von selber über die einzelnen Bereiche hinaus erweitern. Und dadurch sind noch so komplexe Phänomene - nicht nur etwa das e-commerce, sondern auch das Internet selber, die elektronischen Medien oder die Telekommunikationsmittel - in dem Sinn nur Einzelbereiche. Denn dahinter steht die rechtliche Erfassung von Information und Kommunikation als solche zur Debatte an. Dies lässt Information und Kommunikation noch in vielen andern "traditionellen" Erscheinungen entdecken und wird einen eigentlichen juristischen Bewusstseinswandel erzeugen. Dass dies im Futurum auszudrücken ist und das Recht demgegenüber jenes erstaunliche Beharrungsvermögen zeigt, dürfte einfach daran liegen, dass von tausend Juristen mindestens deren neunhundertneunundneunzig in der Praxis und kaum einer in der Theorie tätig sind. Die Verwerfungen, die zu erwarten sind, könnten dabei sehr wohl den Satz bestätigen, dass es nichts Praktischeres gibt als eine gute Theorie.
4 Dazu und zum Verhältnis von Information und Recht im Allgemeinen Jean Nicolas Druey, Information als Gegenstand des Rechts, Zürich/Baden-Baden 1995/6,
29 ff. und 83.
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2. Die Erweiterung der Phänomenbetrachtung durch Wertung Dass die Verarbeitung eines solchen Stosses eine so grosse Aufgabe ist, hat damit zu tun, dass Recht wertet. Den Stoss juristisch zu absorbieren, verlangt über die Feststellung der Phänomene hinaus eine Erstreckung des Blicks in vier verschiedenen Richtungen: - Recht regelt intersubjektive Beziehungen. Auch Institutionen wie namentlich auch den Staat versteht das Recht als Subjekte. Information und Kommunikation können rechtlich darum von ihrer Bedeutung beim Subjekt nicht abstrahieren. Information ist in ihrer pragmatischen Erscheinungsweise, d.h. unter Einschluss ihrer Relevanz bei Sender und Empfänger, zu betrachten. Noch weiter ist der Horizont zu spannen, was den Begriff der Kommunikation angeht. Auch hier dürfen wir den Blick rechtlich nicht auf das Kommunikationsmittel, den blossen Kanal, einschränken, so sehr das einem landläufigen Verständnis von Kommunikation entspricht5 . Denn "Kommunikation" muss im rechtlichen Kontext ebenfalls die Relevanz im persönlichen Bereich der Beteiligten miteinbeziehen; das bedeutet, dass nie blass die einzelne Informationsbewegung angesehen werden kann, sondern dass diese ungeheuer schwierige Reflexivität als Eigenschaft von Kommunikation 6 in dieser Sicht ins Spiel kommen muss. Das heisst nichts anderes, als dass Kommunikation nicht blass als Beziehung ausnützendes, sondern als Beziehung schaffendes Phänomen erscheint7 . - Und wenn nun all dies nicht blass festzustellen, sondern eben zu werten ist, so ist das nochmals eine Anstrengung, den Blick genügend weit zu halten. Die Neigung, den eigenen Betrachtungsgegenstand positiv zu werten, entspricht einer Veranlagung unseres menschlichen Geistes. Die Entdeckung von Information als Phänomen und Chance in unserer Zeit hat ganz von selber auch eine ausserordentliche Hochwertung erzeugt8 . Da5 Die Fokussierung auf den neuen Technologien unverkennbar; die Behandlung des "gewöhnlichen" Briefs ist bei Josef Kohler am Anfang des 20. Jahrhunderts stehen geblieben. 6 Zur Reflexivität von Kommunikation vgl. stellvertretend Klaus Merten, Einführung in die Kommunikationswissenschaft, Bd. 111: Grundlagen der Kommunikationswissenschaft, Münster 1999, 18, 63, 87, 107, 111 f., 225. 7 Druey (FN 4), 154-156. 8 Diese steht in Wechselwirkung mit der Verdinglichung und Ökonomisierung des lnformationsphänomens; vgl. aus ökonomischer Perspektive etwa Rüdiger Pethig, Information als Wirtschaftsgut in wirtschaftswissenschaftlicher Sicht, in: Herbert Fiedler/Hanns UHrich (Hrsg.), Information als Wirtschaftsgut, Management und Rechtsgestaltung, Informationstechnik und Recht, Bd. 5, Köln 1997. Auf der rechtlichen Ebene s. schon nur die rasante Zunahme von Informations- und Transparenzpflichten in der neueren Gesetzgebung.
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von werden wir unbedingt loskommen müssen, wenn es auf der normativen Ebene eine sachliche Diskussion geben soll. Bei weitem nicht jede Information erfüllt ein Bedürfnis und ist in dem Sinn wertvoll; Information kann überflüssig, falsch, irreführend, unklar usw. sein und damit sogar einen Negativwert aufweisen 9 . - Das wiederum ruft auf der Ebene des Rechts das Problem der Wertungsschranken hervor. Recht ist generell, Kommunikation indi viduell 10. Das Recht muss sich nicht nur einer immer positiven, sondern im Sinne der Freiheit der Individuen als geistigen Wesen grundsätzlich überhaupt der Wertung enthalten. Denn geistige Freiheit ist die Freiheit des Relevierens, d.h. des Für-Bedeutsam-Erklärens von Inhalten aufgrunddes persönlichen Interesses und des individuell vorhandenen Vorwissens. Die objektive und generelle Wertung enthält dem Individuum Information vor, für die es sich interessiert, oder bedient es mit überflüssiger, seine Aufnahmekapazität belastender Information. Als zusätzliche Aufgabe aus wertender Sicht ist mithin auch die Grenze des eigenen Zuständigkeitsbereichs des Rechts zu bestimmen, also zu fragen, wo genügend gleichmässige Gegebenheiten zu erwarten sind, um eine generelle Aussage zu gestatten. - Wertung, normative Behandlung enthält aber zudem ein weiteres Grundproblem. Sie muss aus sich selbst heraus, aus einem präexistenten normativen Fundus erfolgen. Die normative Betrachtung bedarf immer der Herleitung. Das erst macht den Stoss durch die neuen Phänomene aus, dass in einem Normativsystem wie dem Recht ein thematischer Universalitätsanspruch steckt, der will, dass alle Sachverhalte an seinem Wertesystem zu messen sind, dass also die Findung des "neuen" Rechts nichts als eine Spezifikation des alten ist; und wenn dieses, nach den Worten von Roscoe Pound, auch keine "rule" zur Beurteilung besitzt, so gibt es einen "Standard" als Massstab 11 . Hier stellt sich dem Recht die gewaltige gleichsam interne Aufgabe, den eigenen Normenvorrat nach den Antwort-Ansätzen abzusuchen, die er auf die neuen Phänomene gibt. Diese (letztgenannte) Aufgabe hat- eben als Folge dieses Beharrungsvermögens - noch bei weitem nicht die nötige Aufmerksamkeit erhalten, und ihr möchte ich mich besonders widmen. Es ist also ein Kommunikationsrecht, von dem hier die Rede ist, in welchem weder der Bildschirm noch das Handy als solche vorkommen - mit der Betonung auf "als solche"; denn die Präsenz dieser Erscheinungen als Anstassfaktor dieses Bemühens ist unverkennbar. Unten B. 1. Zur Generalisierungsproblematik ausführlich Druey (FN 4), 171 ff. 11 Roscoe Pound, An Introduction to the Philosophy of Law, New Haven/London 192211954, 64-71. 9
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So wenig die Einzelheiten gesichert sind, so sehr dürften es einige Grundaussagen des Rechts zur Kommunikation sein. Ich erwähne folgende: -
Kommunikation ist ein rechtlicher Sicht ein Wert an sich. Kommunikation ist grundsätzlich vertraulich. Es gibt ein Recht gegen Kommunikation. Es gibt zwar kein Recht auf Kommunikation, wohl aber verschiedene solche Rechte in spezifischen Bereichen. Diesen Aussagen gelten die nachfolgenden Ausführungen.
II. Die Ordnung von Kommunikation durch Recht 1. Werthaftigkeit von Kommunikation
Kommunikation ist aus rechtlicher Sicht nicht nur werthaltig, sondern werthaft. Anders gesagt, hat sie ihren Wert nicht aus ihren jeweiligen Inhalten, sondern unabhängig davon als Vorgang des geistigen Austausches zwischen Menschen als solchen 12 . In dieser Inhaltsunabhängigkeit knüpft sich der Wert notwendig an die Verhaltensweise der beteiligten Personen an, d.h. an das beidseitige Eintreten in den Kontakt. Mithin drückt sich der Wert in einer entsprechenden Freiheit, der Kommunikationsfreiheit, aus 13 , und er ist nicht durch die blasse einseitige Kontakt-Nahme konstituiert. Kommunikation steht insofern im markanten Gegensatz zur Information. Denn Information ist, wie angedeutet, keineswegs per se wertvoll. Menschliche Aufmerksamkeit ist stark eingeschränkt im Vergleich zu dem, was sich ihr als Information anbietet 14. Erst ein Auswahlverfahren könnte ergeben, welches die beste Information ist. Bis dahin, und das heisst unbeschränkt, bleibt die Aufmerksamkeit durch unwesentliche, ja kontraproduktive Information besetzt 15 . Kontraproduktiv ist sie vor allem wegen ihrer Isoliertheit, indem das zu ihrer Verarbeitung erforderliche Kontextwissen Druey (FN 4), 27 und 53. Jean Nicolas Druey, Kommunikationsfreiheit - ein Programm, in: Bemhard Ehrenzeller/Philippe Mastronardi/Rene SchaffhausertRainer J. Schweizer/Klaus A. Vallender (Hrsg.), Der Verfassungsstaat vor neuen Herausforderungen, Festschrift für Yvo Hangartner, St. Gallen/Lachen SZ 1998, insb. 527 ff. 14 Dieser Umstand führt zur Ausbildung einer eigentlichen "Aufmerksamkeitsökonomie", s. Georg Franck, Ökonomie der Aufmerksamkeit, München/Wien 1998. 15 Zum Problem der Überinformation und der Ableitung eines Postulats "informationeller Ökolo€;ie" Jean Nicolas Druey, "Daten-Schmutz" - Rechtliche Aspekte zum Problem der Ober-Information, in: Festschrift Mario M. Pedrazzini, Bem 1990, 379 ff. ; ders. (FN 4), 68 ff.; Ralf H. Weber, Information und Schutz Privater, in: ZSR 118 II 1999, 65 ff. 12
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fehlt. Information bedeutet zudem rechtlich Behaftung, erzeugt mithin Pflichten der weiteren Informationsbeschaffung (das "Wissen-Müssen" 16) sowie zu bestimmten Verhaltensweisen, schränkt also die Freiheit des Empfängers ein. Demgegenüber ist Kommunikation als die blasse Tatsache, dass Austausch stattfindet, im Vergleich mit derjenigen, dass er nicht stattfindet, ein Wert in sich. Das liegt aber nicht am Potenzial des Informationsflusses als solchen, das ja ebenso ein Kontraproduktions-Potenzial darstellt, sondern an der Konstitution von Gemeinschaft, welche in diesem Austausch liegt 17• Der Ausdruck "Kommunikation", "Vergemeinschaftung", sagt es selber. Wir können von einer Selbstzweck-Eigenschaft geistigen menschlichen Austauschs sprechen.
2. Die Begrenzung in der Reichweite Das bedeutet auch, dass alle Kommunikation primär für die kommunizierenden Individuen bestimmt ist. Kommunikation ist eine Beziehung, und wie jede Beziehung schafft sie sich eigene Normen über den Zweck und Charakter des Kontakts (vom "Luftablassen" bis zum formellen Statement) und damit auch über die Verwendung, die vom Inhalt gemacht wird. Jede Kommunikation enthält in diesem Sinn ein Vertrauenselement 18, ist "vertraulich" in einer weiten Bedeutung des Worts. "Vertrauen" und "Vertraulichkeit" brauchen ja keineswegs zu heissen, dass über solche Kontakte kein Sterbenswort an weitere Personen gehen darf, sondern gesagt ist damit einfach, dass die weitere Verwendung der Inhalte aus dem Geist des Kontakts geschieht. Die daraus sich ergebende Einschränkung kann beispielsweise auch blass sein, dass bei Weitergabe auf den Kontext hinzuweisen ist, in welchem der ursprüngliche Kommunikationsakt stand. Besonders die französische Lehre hat in diesem Sinn den engen Zusammenhang von Kommunikation und Geheimnis herausgearbeitet 19• Geheimnis, so gesehen, steht nicht im Gegensatz zu Offenlegung, zu Transparenz, sondern Kommunikation, und damit gerade die Bewegung von Information, ist auf die Schaffung dieses Vertrauensklimas angewiesen. Dabei sind die grossen Entwicklungsdefizite in diesem Rechtsbereich und die Fehlschlüsse und Fehlentwicklungen deutlich zu sehen. "Geheimnis" ist nicht von ungefähr ein weitgehend negativ besetzter Begriff geworden. 16 Dass Mehr-Information den Zwang zu mehr Information erzeugt, widerspiegelt sich auch berufhaftungsrechtlich, illustrativ etwa Giemens Thiele, Die Zeitschriftenlektüre des Rechtsanwalts als haftungsrechtliches Problem, in: ÖJZ 1998, 735 ff. 17 Druey (FN 4), 26 ff., insb. 27 und 151. 18 Vgl. Druey (FN 4), 75-277, 366 f., 371-375, 384-387. 19 Insb. Michel Couetoux, Figures du secret, Grenoble 1981, 19, 25- 30.
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Darin drückt sich eine Radikalität der Informationsunterbindung aus, welche in solcher Starrheit nur in Einzelbereichen, zum Schutz einzelner Funktionen, denkbar ist. Selbst etwa in der Kategorie der Berufsgeheimnisse, welche in sich ein solches (beschränkendes und beschränktes) Segment darstellt, unterscheiden wir ja einzelne besonders qualifizierte Funktionen, denen wir erst strafrechtlichen Schutz, Zeugnisverweigerungsrechte usw. zugestehen. 20 Dieser Vertraulichkeitsschutz ist aber auch nicht dasselbe wie der sogenannte Sphärenschutz (Schutz der Privat-, Intim- oder Geheimsphäre) 21 , aber auch nicht identisch mit dem so genannten informationeilen Selbstbestimmungsrecht22. Mit diesen Institutionen und damit namentlich mit dem Datenschutzrecht sind jeweils inhaltlich qualifizierte Bereiche von Informationen angesprochen, während es beim Kommunikationsschutz um den Austausch als solchen geht. Die englische Rechtssprache unterscheidet treffend in diesem Sinn die confidentiality als die aus dem Kontakt selber geborene Beschränkungsnorm von der funktionsbezogenen secrecy und der lebensbereichbezogenen privacy23 . Die Vertraulichkeitsregeln sind somit rechtstheoretisch gesprochen relatives, spezifische Parteien bindendes Recht. Dennoch sind, so meine ich, solche Normen für Dritte, also beispielsweise für Empfänger einer Nachricht aufgrund von Indiskretion, nicht einfach irrelevant24. Denn alle Kommunikation ist kontextbezogen, ist sicher/unsicher, von Hintergrundwissen abhängig, ist emotional überzogen/von Objektivitätsanspruch begleitet, usw., und namentlich ist jede Kommunikation von Vorstellungen und Intentionen begleitet; selbst wenn der Adressatenkreis offen ist (ein Zettel an der Haustüre), ist nicht jede beliebige Verwendung gemeint. Dessen muss sich auch 20 Vgl. die Liste der geschützten Berufe in § 203 Abs. 1 u. 2 StGB; für deren Zeugnisverweigerungsrecht vgl. § 53 Abs. 1 StPO. 2 1 Zur Sphärentheorie etwa Palandt-Thomas, Bürgerliches Gesetzbuch, 60. Auf!. München 2001, § 823 BGB Rn. 178, aus dem schweizerischen Schrifttum stellvertretend Peter Jäggi, Fragen des privatrechtliehen Schutzes der Persönlichkeit, in: ZSR 1960 li 244a ff.; Mario M. Pedrazzini/Niklaus Oberholzer, Grundriss des Personenrechts, 4. Auf!. Bern 1993, 138 f. Zu den Defiziten der Begriffe der Geheimund Privatsphäre Druey (FN 4), 205 ff. und 354 ff. ; ferner Weber (FN 15), 71 f. 22 BVerfGE 65 1, 41; Klaus Vogelgesang, Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung?, Baden-Baden 1987; Wolfgang Hoffmann-Riem, Informationelle Selbstbestimmung in der Informationsgesellschaft - Auf dem Wege zu einem neuen Konzept des Datenschutzes, in: AöR 1998, 513 ff. 23 Vgl. Yvonne Cripps, Disdosure of Information in the Public Interest, Oxford 1986; lohn D. Baxter, State Security, Privacy and Information, London 1990; vgl. unter diesen Begriffen Henry C. Black, Black's Law Dictionary, 5th ed. St. Paul Minn. 1979. 24 Druey (FN 4), 273-275, 371-375, 382 f.; s.a. Martin Schneider, Schutz des Unternehmensgeheimnisses vor unbefugter Verwertung, Bern u.a. 1989.
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ein Dritter bewusst sein, und dann besteht kein Grund, ihn von der Respektierung solcher Erwartungen zu dispensieren. Sein Kontakt mit dem Mittelsmann ist seinerseits ein Kommunikationsakt; der Dritte wird damit im Rahmen des Erkennbaren in die ursprüngliche Vertraulichkeit einbezogen. Es handelt sich nicht per se um eine res inter alios acta. Ich bin mir bewusst, dass die Wirklichkeit des elektronischen Alltags von solcher Drittwirkung nicht viel erkennen lässt. Alles kommt in der Tat auf die im jeweiligen Bereich und im konkreten Kontakt bestehenden Erwartungen an, und die vorstellungsweise Isolierung des einzelnen Datums, welche die Elektronik mit sich bringt, fördert das Denken im Kontext so wenig wie die Anonymität der Datenautobahnen. Das braucht aber nicht überall und nicht immer so zu sein. Jedenfalls e-mail-Kontakte sind gerichteter, personenbezogener Natur im dargestellten Sinn, und Vermerke auf einer Hornepage mit dem Zettel an der Haustür zu vergleichen, liegt nicht so fem 25 •
3. Die Freiheit, nicht zu kommunizieren Kommunikation erfordert einen Akt der Beteiligten, den man mit "Eintreten"26 bezeichnen kann. Kommunikationsfreiheit hat mithin auch ihre negative Seite, indem Kommunikation verweigert werden kann 27 . Wir erinnern uns zwar an den bekannten Satz von W atzlawick, wonach man "nicht nicht kommunizieren kann" 28 . Dieser enthält eine tiefe Wahrheit, indem die soziale Einbindung jedem Akt Bedeutung in der menschlichen Umwelt verleiht. Ein Kommunikationsakt kann aber auch die Verweigerung der Kommunikation sein 29 . Grundsätzlich kann jeder Kontakt, auf den eingetreten wurde, auch wieder abgebrochen werden. Dieser Entscheid ist freilich nicht beliebig 30 . Nicht nur das Eintreten und die Art, wie dieses verstanden werden muss, 25 Der Gedanke liesse sich weiterführen: kürzlich wurde in der Schweiz ein Vorentwurf für ein Bundesgesetz über den elektronischen Geschäftsverkehr in die Vernehmlassung geschickt, welcher das Einkaufen auf elektronischem Wege den sog. Haustürgeschäften (Art. 40a ff. schweiz. OR) gleichstellt. 26 Zu den Rechtsfolgen dieser Einlassung Druey (FN 4 ), 156 und 315 f. 27 Ausführlich darüber Jörg Fenchel, Negative Informationsfreiheit, Zugleich ein Beitrag zur negativen Grundrechtsfreiheit, Berlin 1997; ferner Wolfgang Fikentscher/Thomas J. M. Möllers, Die (negative) Informationsfreiheit als Grenze von Werbung und Kunstdarbietung, in: NJW 1998, 1337 ff. m. w. Nachw. 28 Vgl. Paul Watzlawick/Janet H. Beavin/Don D. Jackson, Menschliche Kommunikation, Formen, Störungen, Paradoxien, 9. Auf!. Bern 1996, 51. 29 Auf der Basis der Lehre Peter Jäggi's von den menschlichen Grundverhältnissen (etwa Zürch. Komm. Vorbem. vor OR 1 N. 114 f.) Muss allerdings die Verweigerung mit einer wenigstens impliziten und minimalen Begründung verbunden sein. 30 s. Druey (FN 4), 156 u. a.
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sondern die ganze Beziehungsgeschichte sind hier massgebend. Es gibt auch hier, und sei der Kontakt noch so informell, gleichsam prozessuale Grundsätze, so wahr der gerichtliche Prozess eben ein Kommunikationsvorgang ist. Es gibt etwa, um nur ein Beispiel zu nennen, ein Recht auf Antwort, und zwar von beiden Seiten, sowohl aktiv, auf Darlegungen des Kornmunikationspartners zu reagieren, wie passiv, vom Adressaten eine Reaktion zu erhalten. Ähnlich wie es für gewisse Verträge formuliert ist (etwa der Auftrag nach § 671 Abs. 2 BGB oder Art. 404 schweiz. OR), darf der Kontakt also zwar jederzeit, aber nicht zur Unzeit aufgehoben werden. 4. Rechte auf Kommunikation Rechte, die darauf gerichtet sind, dass in ein Kommunikationsverhältnis eingetreten und dieses in einem bestimmten Inhalt, namentlich mit einem bestimmten inhaltlichen Programm geführt werde, sind also Ausnahmen zum dargelegten Prinzip der negativen Kommunikationsfreiheit Diese positiven Rechte auf Kommunikation gibt es aber durchaus und sie vermehren sich stark. Nur werden sie, bei der noch ungenügenden Entwicklung der Theorie vom Informations- und Kommunikationsrecht, meist nicht bei diesem Namen genannt, sondern erscheinen als Rechte auf Anhörung, auf Mitberatung, oder auch nur auf Einsichtnahme, oder aber etwa auf Vorinformation vor bzw. auf Erhalt einer Begründung nach einem Entscheid. Das Aufkommen solcher Ansprüche ist eigentlich umso erstaunlicher, als ihr Inhalt offen, d.h. wie alle Kommunikationsnormen beziehungs- und situationsbezogen ist. Was etwa eine rechtsgenügliche Begründung zu sein hat, lässt sich aus dem Begriff selber nicht ableiten. Solche Rechte lassen also durch ihre blosse Existenz erkennen, dass es einen Fundus von allgemein anerkannten Normen über die informationeHe Interaktion geben muss 31 , d.h. Grundsätze, die nicht als solche in Gesetzen oder anderswo festgehalten sind, aber einem in der betreffenden Kommunikationssituation zu Bewusstsein kommen, im Sinn der Redeweise "When I see it, I feel it". Solche Grundsätze vermögen oft mit nicht geringer Präzision anzugeben, welche Aufklärungen, Hinweise, Begründungen, Detaillierungen mit welcher Ausführlichkeit wann und wo geschuldet sind, mit welcher Geduld Darlegungen der Gegenseite anzuhören sind, welche Verhaltenspflichten diese ihrerseits auslösen, etc. Auch so genannte Auskunfts-, Transparenz- und ähnliche Rechte sind wohl oft als Kommunikationsrechte zu qualifizieren, obwohl sie den Anschein vermitteln, es würde damit eine inhaltlich definierte Information ab31 Die generalisierbaren Grundsätze des Informationsaustauschs können zu einem "Kodex des Gesprächs" verdichtet werden, Druey (FN 4), 158 f., 315 ff. und 323.
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gerufen werden können. Indessen ist schon die Fragestellung für den Aussenstehenden schwierig; andererseits verbieten der Aufwand und/oder Geheimhaltungsinteressen, dass ihm breitere Bereiche unbesehen offengelegt werden. Sinnvoll ist darum meist, ob es nun um Einblick in Verwaltungstätigkeit des Staats oder einer Unternehmensleitung usw. gehe, dass solche Rechte als mehrstufige, den entsprechenden Fairness-Regeln unterworfene Kommunikationsrechte behandelt werden. Anders gesagt, wird eine Lieferpilicht (Information mit bestimmten Inhalten) in einen Vorgang aufgelöst, in welchem in einem Hin und Her von Fragen und Aussagen die Verständigung (inhaltlich und über die Erfüllung der Kommunikationsregeln) gesucht wird32 . Kommunikationsrechte ergeben sich ganz allgemein aus Gemeinschaftsverhältnissen. Leitbeispiel ist in dem Sinn die Ehe33 , es kann sich aber ohne weiteres um "nüchternere", auch ökonomische Verhältnisse handeln, wie namentlich gesellschaftsrechtliche, aber auch arbeitsrechtlich-betriebliche Beziehungen. Die Kommunikation, eben die "Vergemeinschaftung" auf der informationeilen Ebene, gehört hier ganz selbstverständlich dazu, dass das Verhältnis also die Basis für das "Mit-Teilen" gewisser Informationen bildet. Jede Gemeinschaft behält zwar den Teilnehmenden auch ihre Eigensphäre vor, doch auch dann aktualisiert sich im Gemeinschaftsverhältnis der Gedanke des "offenen Geheimnisses", indem nicht das Geheimnis im Sinn von Inhalten, wohl aber im Sinn des Geheimseins als solchen offengelegt wird34 .
111. Die Aufgaben des Kommunikationsrechts 1. Beschränkung rechtlicher Steuerung Recht ist eine thematisch abschliessende normative Ordnung in dem Sinn, dass es aus dem Systemgedanken heraus die Stellungnahme zu jeder Erscheinung enthält, und sei es auch nur durch die Zuerkennung von Freiräumen. Rechtlich ist also jedes Phänomen auch Problem. Das versteht sich indessen nur im Sinne des juristischen Problems, d.h. der Abfrage des Rechtssystems auf die bereitgehaltenen Rechtssätze, also die Frage der Subsumtion der Aussenweltssachverhalte unter diese Rechtsnormen. Aus einer gesellschaftlichen Sicht bedeutet es dagegen keineswegs, dass sich das Recht zu ihrer Bewältigung anheischig macht. Es gibt grundsätzlich keinen Anspruch auf entsprechende Gesetzgebung. Ausführlicher Druey (FN 4), 191. Druey, Information in der Familie, in: Gauch Peter et al. (Hrsg.), Familie und Recht, Festgabe für Bemhard Schnyder zum 65. Geburtstag, Freiburg 1995, 141 ff. 34 Kim Lane Scheppele, Legal Secrets, Chicago u.a. 1988, 21 u.a. 32
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Dies letztere gilt nun ausgeprägt für Kommunikation. Kommunikationsfreiheit ist ein zentrales Element der Menschenwürde35 , aber Freiheit der Information und damit der Kommunikation ist geradezu noch mehr als dies, nämlich eine rechtslogische Notwendigkeit. Freiheit ist insofern also nicht einmal das Ergebnis der Zuerkennung eines Freiraums, eines eigenen Verzichtsakts des Rechts zugunsten des Individuums, sondern der Erkenntnis eines überrechtlichen Faktums, einer Schranke des Rechts. Recht ist selber Information und Kommunikation, und setzt damit diese als geordnete Vorgänge voraus. Denn alle Kommunikation bedarf einer schon vorgegebenen Ordnung, gleichsam eines "Betts", in dem sie fliessen kann. Dazu gehört die gemeinsame Sprache, aber nicht nur sie, sondern eben ein "Kodex des Gesprächs", welcher etwa die Bindung an Themata, die Kadenz von Rede und Antwort, die Rolle der Beteiligten usw. festlegt und so erst die Bedeutung der Kommunikation bestimme6 . Das will besagen, dass das schreckliche Wort, das unserer Zeit so nahe liegt, nämlich dass man "alles in den Griff bekommen" will ("everything under control"), in Sachen Kommunikationssteuerung von vomherein eine Illusion ist. Es ist nicht nur die Illusion, welcher jede Kolonisation unterliegt, dass nämlich die Verdrängung einer Kultur wünschbar und möglich sei, sondern diese rechtliche Kolonisation vorrechtlicher Kommunikationsstrukturen zehrt an der eigenen Basis des Rechts, so wahr eben Recht selber Kommunikation und damit auf das Vorbestehen einer Kommunikationsordnung angewiesen ist. Überdies sind, wie schon betont, solche Normen immer nur adäquat, wenn sie auf den Einzelfall bezogen bleiben, während Recht genereller Natur ist. Darum wird Kommunikationsrecht zu einem beträchtlichen Teil immer sich darauf beschränken müssen, auf diese Fairnessgebote primär aussecrechtlicher Natur zu verweisen, ohne sie selber formulieren zu können. Wir kennen denn auch in den meisten Rechtsordnungen eine Generalklausel, welche in allgemeinster Form eine solche Verweisung darstellt, nämlich das Gebot des Handeins nach Treu und Glauben (§ 242 BGB, Art. 2 schweiz. ZGB). Wo eine Aufklärung nötig ist, wo man auf die Worte eines anderen in welchem Sinn soll bauen dürfen, wo bei veränderten Gegebenheiten frühere Aussagen berichtigt oder ergänzt werden müssen, usw., usw., das muss sich nach Treu und Glauben, und d. h. eben nach diesem aussecrechtlichen "Kodex des Gesprächs" bestimmen. 35 Die Grundrechte freier Kommunikation schützen auch ein grundlegendes menschliches Bedürfnis nach Mitteilung und Auseinandersetzung mit anderen Menschen, s. Jörg Paul Müller, Grundrechte in der Schweiz, Bem 1999, 183; Rudolf Wendt, in: von Münch/Kunig, GGK I, 5. Auf!. München 2000, Rn. 9 f. zu Art. 5 GG; Christoph Degenhart, in: Dolzer/Vogel (Hrsg.), BK, Loseblattsammlung, Stand: Heidelberg November 2000, Art. 5 GG Rn. 3. 36 s. schon oben B. 4.
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Und hier harrt nun erst die eigentliche, grosse juristische Aufgabe. Aus dieser vorrechtliehen Normenkultur muss das Recht nicht nur schöpfen, sondern es muss sich zugleich selber begrenzen. Denn das Hereinfliessen dieser Interaktionsnormen würde letztlich die völlige Verrechtlichung menschlicher Kontakte bedeuten, und Recht würde vom Beschützer gesellschaftlicher Ökologie zu deren grösster Bedrohung37 • Es wäre gleichsam ein Eindringen in die sozialen Mikroorganismen, das nicht nur etwa ein Arzt-Patient-Gespräch zur völligen Standardisierung verhärten lassen könnte, sondern auch die Unternehmens- und womöglich die private Welt in lauter Wenn-dann-Sätze einfangen würde. Die böse Ahnung schon der alten Römer "Summum ius, summa iniuria" könnte schreckliche Wahrheit und die Sehnsucht des modernen Menschen, die Innovation, erst recht stranguliert werden (die heutige auffällige Ubiquität des Rufs nach dieser "Innovation" deutet ja auf bereits bestehende Strangulierungsphänomene). Das dahinter stehende Problem ist die Eigenschaft des Rechts, dass es Regeln bildet, also wie erwähnt genereller Natur ist. Um den Segen nicht zum Fluch werden zu lassen, bedarf es der ständigen Abwägung, wo das Recht durch Verfestigung in Standardsituationen der Gesprächskultur hilft, und wo es dagegen durch Verzicht auf Generalisierung sie am Leben erhält. Das einzige allgemeine Postulat, das sich daraus ergibt, ist dasjenige des Sensoriums der normbildenden und urteilenden Personen für das, worum es geht, also eine Forderung nach Kulturadäquanz dieser Normen und Urteile. Ich bitte um Nachsicht, dass ich diesen Begriff der Kulturadäquanz in die Welt setze - die Versuchung unseres Wissenschaftsbetriebs, sich durch immer neue Begriffe interessant zu machen, ist ja gar gross. Doch was hier gefordert wird, bedarf gerade darum einer besonderen Benennung, weil es sie bis dahin nicht hat: die Ziehung solcher Grenzen, allgemein oder im Einzelfall, bedarf der gesamthaften Kenntnis davon, was bei solchen Gesprächs-Kulturen auf dem Spiel steht.
2. Kommunikations-Mittel: kein Wert an sich Die Reziprozität der Einwirkung, die wir hinsichtlich neuer Phänomene in Bezug auf das Recht festgestellt haben, können wir natürlich auch in Bezug auf Kultur beobachten: Kultur wird ebenso von den neuen Fakten beeinflusst, wie sie sich kontrafaktisch dagegen wendet. So ist auch die Gesprächs-Kultur durch die neuen Medien nicht einfach aus den Angeln gehoben, aber sie wird, laut oder leise, verändert. Wir verkehren per e-mail anders als in den andern Medien, lockerer, kurzfristiger und interaktiver als 37 "Alle Unbefangenheit der Konversation wäre dahin, das bannloseste Wort würde zum Strick" (Rudolf v. Jhering, Culpa in contrahendo, Jherings Jahrbücher 4 (1861) 7 ff., 12).
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in anderen Schriftmedien, aber doch weniger interaktiv und unter weitgehendem Verzicht auf die analogen Ausdrucksmittel im Vergleich zum mündlichen Kontake 8 . Aber die Wertvorstellungen, die eine solche Kultur tragen, konkret die Idee des geistigen Austauschs, können von solchen Wandlungen kaum weggeschwemmt, nur allenfalls teil- und zeitweise überflutet werden, wenn die Neuerungen vorübergehend Tendenzen zum Selbstwert entfalten. Auf der Wertungsebene erzeugt dabei jede neue Erscheinung wieder die "Segen-Fluch-Spaltung": das Handy fördert die Interaktionsmöglichkeiten, schränkt aber die Kommunikationsfreiheit durch Ablenkung und "Allzeit-Bereit-Erwartungen" ein 39 . Das Bewusstsein vom dahinter stehenden Ideal, das Kommunikationsmodell als der Institution geistigen Austauschs, muss präsent bleiben, aber immer wieder neu formuliert werden. Wenn wir den rechtlichen Rahmen für die Medien im weitesten Sinn zu setzen suchen, so stellt uns unsere Zeit wiederum vor die Frage des Verhältnisses von Kommunikation zu Information, in dem Sinn nämlich, dass sich daraus die Vorstellung ergeben kann, gewisse mediale Leistungen seien von der Idee der blossen Informationszufuhr bestimmt, dass also Vieles, was wir aufnehmen, nur gleichsam als das Rohmaterial der Kommunikation zu deren Alimentierung da sei, ohne sich selber als Kommunikation zu qualifizieren. Das Telefonbuch wird uns sogleich als klarer Fall dieser Art erscheinen, aber auch die Nachrichten der Tagesschau erhalten in heutigen Vorstellungen stark den Stoffcharakter, der den Gedanken einer zweiseitigen Beziehung zu verdrängen scheint. Ich glaube indessen nicht, dass es im normativen Sinn überhaupt irgendwelche soleherrnassen einseitige Informationsvorgänge gibt. Denn jedes Informationsangebot ist selber schon die Zusage, die beschränkte Aufmerksamkeit in geeigneter Weise auszufüllen. So vereinheitlicht und so massenhaft die Medienleistung auch sein mag, kann sie sich nicht anders denn als ein Element eines Austauschs verstehen, Austausch des Empfängers einerseits mit dem Medium selber, das für ihn Information selektioniert und verarbeitet, und das dafür nicht nur allenfalls einen Geldbetrag, sondern Aufmerksamkeit erhält, anderseits aber vermittelter Austausch mit den Subjekten, die im Medium auftreten40• Das Kommunika38 Vgl. u.a. Linda Lamb!Jerry Peek: Was Sie schon Immer wissen wollten: alles über email, Bonn 1996, 20 ff.; Wendy E. Mackay, More than Just a Communication: Diversity in the Use of Electronic Mai!, Massachusetts Institute of Technology 1988, 1 m. w. Nachw. 39 Vgl. Egon Bohländer/Walter Gora, Mobilkommunikation: Technologien und Einsatzmöglichkeiten, Bergheim 1992, 7 ff., 17. 40 Hinzu kommt aus medienwissenschaftlicher Sicht, dass auch durch Massenmedien vermittelte Kommunikation reflexiv modelliert werden kann, indem an die Stelle der Reflexivität der Wahrnehmung eine reflexive Erwartungsstruktur sowie eine reflexive Wissensstruktur treten. Die Reflexivität wird nicht durch die Anwesenheit der Kommunikanten, sondern über die Struktur des Wissens und Meinens
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tionsmodell bleibt durchweg gültig. Es gibt, so meine ich, keine zwischenmenschlichen Informationsvorgänge, die nicht Austausch und an dessen Bedingungen gebunden wäre. 3. Kommunikation als Marktgut oder selber als Markt Die Strategien nun, die das Recht zur Erhaltung und Förderung von Kommunikation in diesem Sinn wählen kann, sind wie überall durch die Polarität von laisser-faire und Eingreifen bestimmt. Laisser-faire ist verbunden mit der Idee des Markts, auf welchem ein gerechter Handel aus eigener Initiative der Beteiligten stattfindet. Auf der Seite des laisser-faire ist aber noch eine sehr wichtige Differenzierung notwendig. Unter Markt verstehen wir leider auch im informationeBen Bereich allzu selbstverständlich den ökonomischen Waren- und Dienstleistungsmarkt41 • Kommunikation hat aber auch bezüglich der Antriebskräfte, die den Auftritt als Anbieter oder Interessent motivieren, ihre eigenen Gesetze. Weder den Transparenten in der Strassendemonstration noch dem Überblättern der Zeitschriften durch den emeritierten Professor wird man gerecht, wenn man die Motive rein ökonomisch analysiert. Dieser "Markt" ist schon in seiner Grundstruktur anders, indem auf beiden Seiten das Interesse ebenso im Geben wie im Nehmen bestehen kann: Die Kommunikation wird nicht selten gesucht, um mitzuteilen, und nicht um zu erfahren. Wer im Eisenbahnabteil oder nebenan am Stammtisch die Gespräche verfolgt, wird öfters feststellen, dass nur zugehört wird, um dann auch die eigene Sache loszuwerden. Auf diesem "Markt" stehen sich beidseits informationeile Angebote gegenüber; "Währung" auf diesem Markt ist unmittelbar die soziale Position, nicht Geld42. Wie immer man aber Markt versteht, ergeben sich auch hinsichtlich des Marktversagens eigene und verstärkende informationeile Gesichtspunkte. Auf jedem Markt ist es so, dass man die Katzen mehr oder weniger im Sack kauft, dass man das Produkt also erst nach der Transaktion wirklich kennenlemt, doch ist im Fall von Information die Lage nur dann analog einer Ware, wenn die Information einen ganz spezifischen Nutzen verheisst (Wie baue ich ein Cembalo?). In allen andem Fällen akzentuiert erfüllt. Man kann in diesem Sinn von einem virtuellen Kommunikationssystem sprechen, vgl. Klaus Merten, Einführung in die Kommunikationswissenschaft, Bd. 1/1: Grundlagen der Kommunikationswissenschaft, Münster 1999, 110 f. 41 Darüber, aber auch über den nicht-kommerziellen Markt der Wissenschaft ausführlich Rainer Kuhlen, Informationsmarkt, Chancen und Risiken der Kommerzialisierung von Wissen, Schriften zur Informationswissenschaft, Bd. 15, Konstanz 1995. 42 Gegen die Ökonornisierung der Kommunikationsbewegungen auch Helmut F. Spinner, Die Wissensordnung, Obladen 1994, 32, 91 u.a.; Diskussion, ob Aufmerksamkeit gar die neue Währung (exakt im ökonomischen Sinne) des Informationszeitalters ist, welche das Geld ablöst: Franck (FN 14), 72 ff.
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sich das Problem ausgeprägt dadurch, dass sich die Verwertbarkeit (ökonomisch oder anderweitig) für den Empfänger erst zeigt, wenn er sie aufgenommen und verarbeitet hat, sie ihn also schon entsprechend beansprucht hat. Der Markt kann natürlich vom Recht organisiert und effizienter gemacht werden, auch der Informationsmarkt Die Einsetzung weiterer Reflektoren, also von geeigneten Personen, die beispielsweise Medienleistungen kommentieren, Panels, die auf Fernsehsendungen reagieren usw., sind Wege solcher Art43 . Reflektieren, reagieren ergibt sich im Sinne dieser Mittellösung zwischen laisser-faire und Steuerung unmittelbar aus der Kommunikationssituation, würdigt also die Kommunikationsakte wie es ein Teilnehmer tut und nicht als Beurteilung aufgrund spezifisch rechtlicher Kriterien44. 4. Steuerung als Problem der Informationsqualität Am andem Flügel der Möglichkeiten, bei der staatlichen Steuerung, liegen die Grenzen natürlich an der Kommunikationsfreiheit Das schliesst staatliches Handeln freilich keineswegs als solches aus, nämlich insofern nicht, als staatlich Informationsqualität angestrebt wird. Nun ist freilich Informationsqualität ihrerseits vieldimensional, wir müssen Richtigkeit neben Vollständigkeit, Schlüssigkeit, Klarheit, Zeitgerechtigkeit und noch anderen in einen grossen Kriterientopf werfen und gewinnen daraus nur ein sehr undeutliches Bild darüber, was nun Informationsqualität jeweils heisst45 . Das steigert die Problematik staatlichen Eingreifens. Kornmunikationsfreiheit bedeutet in diesem Kontext, dass rechtliche Qualitätsanforderungen auf einen engen, d.h. einem mit Sicherheit als mangelhaft zu kennzeichnenden Bereich beschränkt bleiben müssen, erst recht, wo staatlich präventiv eingegriffen werden soll, aber auch hinsichtlich der nachträglichen Sanktionierung von Verletzungen46. Kommunikationsfreiheit kann aber jedenfalls bei der rechtlich massgebenden pragmatischen Perspektive47 nicht einfach Freiheit des Kanals, d. h. ungeprüfte Durchlässigkeit für alle Information bedeuten. Vgl. Weber (FN 15), 54 ff. In diese Richtung etwa der Publikumsrat bzw. Presserat in der Schweiz, die Freiwillige Selbstkontrolle Multimedia-Dienstanbieter e. V. (FSM) und die Freiwillige Kontrolle der Filmwirtschaft in Deutschland. 45 Druey (FN 4), 243 ff.; Weber (FN 15 ), 41 ff. 46 Dazu Weber (FN 15), 46 ff., insb. 63 ff.; im Medienkontext Rena Zulauf, Informationsqualität, Ein Beitrag zur journalistischen Qualitätsdebatte aus der Sicht des Informationsrechts, Zürich 2000, 109 ff. 47 Oben A. 2. 43
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5. Recht als Rezeption von Kultur Nun gibt es aber auch nicht-steuerndes Recht, nämlich Recht, das nur die Erwartungen zu honorieren hilft, welche die Individuen einander gegenüber erzeugt haben. Wenn ich darauf jetzt zum Schluss noch zu sprechen komme, so auch, um anband dessen einige der bisherigen Darlegungen nochmals ins Licht zu rücken. Alle Kommunikation bewegt sich in einem Bett von Kommunikationsnormen. Jede menschliche Interaktion hat eine mehrschichtige Struktur wir können uns namentlich von der Sprechakttheorie von Searle und Austin inspirieren lassen4 8 . Der rein inhaltlichen Mitteilung sind in diesem Sinn Referenzen zum Bezugsrahmen aufmoduliert, zur Situation und zum Zweck, in welche sich der einzelne Vorgang hineinstellt. Kommunikation hat in dem Sinn immer einen normativen Bezugsrahmen und generiert aber auch ihrerseits Normen, welche diesen Rahmen allenfalls verändern49 . Solche Normen sind vorrechtlicher Natur. Das Recht gewährt ihnen aber Einlass über seine Generalklauseln, namentlich das Gebot von Treu und Glauben. Es macht sich auch anheischig, diese Normen in bestimmten Kontexten zu sanktionieren, indem es etwa Rechtsfolgen an irreführendes Verhalten knüpft und dabei zu bestimmen hat, was irreführend ist. Diese Gesprächskulturen unterliegen einem enormen Druck und teilweise auch Wandlungen durch die technischen Entwicklungen. Zu Gesprächsunterbrechungen, welche bis dahin gegen jeden Anstand gewesen wären, fühlt sich mancher befugt, wenn das Handy piepst. Alte Norm und neues Phänomen sind in einer Kollision, in welcher das Gesetz von actio = reactio gilt. Die Normen müssen sich ein Stück weit anpassen, im Kern werden sie aber immer stärker bleiben als die Fakten. Das Problem ist doch wohl nicht zuletzt ein Zeitproblem und damit grundsätzlich überwindbar. Dieses Problem liegt in der bedenkenlosen Positivwertung aller Information und damit aller Mittel, welche unter einem nur äussern, syntaktischen Aspekt die Informationsflüsse verstärken. Recht regelt indessen menschliche Beziehungen, und Information ist ihm deshalb nicht per se, sondern als ein darin auftretender Wirkungsfaktor relevant. Menschlichkeit des Rechts - eine grosse Aufgabe, ich gebe es zu.
48 lohn L. Austin, Zur Theorie der Sprechakte (How to do things with Words), 2. Auf!. Stuttgart 1994 und lohn R. Searle, Sprechakte, Ein sprachphilosophischer Essay, 6. Auf!. Frankfurt a.M. 1994. 49 Ausführlich Druey (FN 4), 148- 159.
II. Entwicklungen
Telegraphie, Telefonie, Funk. Kommunikation und Technik im 19. Jahrhundert Von Wolfgang König Zu den Begriffen, welche zur Kennzeichnung unserer Gegenwart vorgeschlagen werden, gehören die der Informations- und Wissensgesellschaft. Welche genaue Bedeutung man mit ihnen auch verbinden mag: Zumindest markieren sie den gewachsenen Stellenwert von Information und Kommunikation. Dies ist auch daran zu erkennen, dass Politik und Recht zunehmend vor der Aufgabe stehen, Information und Kommunikation zu regulieren. Die Ursprünge der modernen Informationsgesellschaft liegen im 19. Jahrhundert. Dieser Aufsatz gibt einen Überblick zur Entstehung und Verbreitung der "neuen Medien" Telegraphie, Telefonie und Funk bis zum Ersten Weltkrieg. Dabei geht er von den Fragestellungen einer "modernen Technikgeschichte" aus (Bild 1). Diese umfasst nicht nur die Struktur und Funktion der technischen Artefakte, sondern bezieht auch deren Entstehungsund Verwendungszusammenhänge sowie die Bedingungen und Folgen der technischen Entwicklung mit ein. Der Beitrag gibt keine Entwicklungsgeschichte der einzelnen Technologien, sondern konzentriert sich auf eine Reihe systematischer technikübergreifender Probleme: - zeitliche und räumliche Verbreitung, - Erfolgsfaktoren, - Nutzungswandel, - Technikstile, - Technikfolgen. Damit diese systematischen Aspekte nicht völlig in der Luft hängen, sollen aber zunächst einige Mindestinformationen zur Entwicklung und Verbreitung der einzelnen Technologien gegeben werden. Die elektrische Telegraphie 1 als Innovation des 19. Jahrhunderts besaß einen Jahrhunderte und Jahrtausende alten Vorläufer in der optischen Telegraphie. So wurden zum Beispiel schon in alten Hochkulturen Signale mit Hilfe des Feuers über größere Entfernungen weitergegeben. Besondere Be1
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