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German Pages 370 Year 2014
Philipp Dorestal Style Politics
American Studies | Band 4
Philipp Dorestal (Dr. phil.) arbeitet zur Geschichte der African Americans, zu postkolonialer Theorie und zur politischen Philosophie des 20. Jahrhunderts.
Philipp Dorestal
Style Politics Mode, Geschlecht und Schwarzsein in den USA, 1943-1975
Diese Veröffentlichung wurde 2011 als Dissertation an der Universität Erfurt angenommen. Gefördert von der Hans-Böckler-Stiftung.
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © 2012 transcript Verlag, Bielefeld
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Inhaltsverzeichnis
ĂŶŬ | 9 ŝŶůĞŝƚƵŶŐ | 11
Aufbau der Arbeit | 18 Forschungsstand | 23 ƵƌĞĨŝŶŝƚŝŽŶǀŽŶ^ƚLJůĞWŽůŝƚŝĐƐ | 27
Zum Begriff Style | 28 Style und Subkultur bei der Birmingham School | 29 Mode, Körper und Style | 34 Gender und Intersektionalität | 38 Performativität von Geschlecht | 41 Performativität und Drag | 45 Hegemonie | 48 Performing Blackness | 52 Politiken des Widerstandes | 59 Die Diskussion um die Kulturgeschichte des Politischen | 66 Quellen und die Frage der Medialität | 72 ŝĞŽŽƚ^ƵŝƚZŝŽƚƐƵŶĚ^ƚLJůĞWŽůŝƚŝĐƐŝŶĚĞŶϭϵϰϬĞƌ:ĂŚƌĞŶ | 79
Der Sleepy Lagoon-Mordfall | 89 Pachuco und Pachuca Style | 93 Die Zoot Suit Riots | 101 „When you wear zoot suits, you’re helping Hitler“ – Styling und Diskurse um die Subversion der Nation | 106
ƺƌŐĞƌƌĞĐŚƚƐďĞǁĞŐƵŶŐƵŶĚ^ƚLJůĞWŽůŝƚŝĐƐ | 117
Der Montgomery Bus Boycott, Martin Luther King, Jr. und die Freedom Rides | 119 Sit-Ins und Wahlregistrierung im Süden | 123 Queering Style: Dragballs, Homosexualität und die Bürgerrechtsbewegung | 128 Styling, Respektabilität und Schönheit in den 1950er Jahren | 136 Style und „The Frustrated Masculinity of the Negro Male“ | 137 A Black Psychiatrist and Black Power | 140 „Who will revere the Black Woman“ | 142 „If we don’t love our hair, then we don’t love ourselves“ | 144 Becoming Black: Die Rezeption des Afro bei Weißen | 155 ^ƚLJůŝŶŐƚŚĞZĞǀŽůƵƚŝŽŶ͘ŝĞůĂĐŬWĂŶƚŚĞƌWĂƌƚLJ | 159
Die Gründung der BPP | 160 Creating a Style | 162 Sacramento | 166 Staging Militancy – Die Free-Huey Rallies | 169 Kritik am Cultural Nationalism | 173 West Coast vs. East Coast Style | 177 Revolutionary Culture und Schwarzsein | 180 Emory Douglas und die Karikatur vom Civil Rights Style | 181 Posing for the Revolution | 184 Radical Chic | 186 Gender und Style | 191 „Sloppy Appearance will not be tolerated at all!“ – Die neuen Style Politics der BPP | 196 „Walking Softly but Carrying It Big“ Eldridge Cleavers Man Pants | 202 Becoming Black: The Yippies | 211 Styling People of Color | 215 ƵůƚƵƌĂůEĂƚŝŽŶĂůŝƐŵƵŶĚ^ƚLJůĞWŽůŝƚŝĐƐ | 219
Hype um Dashikis | 219 A Styling for Us: Die Organisation Us | 220
Performing Blackness: Kwanzaa | 229 Cultural Nationalism und Wahlpolitik in den 1970er Jahren | 231 Der Nationalist Dress Suit | 232 Styling the Candidate | 234 Style Politics in afrikanischen Ländern | 235 „A mast flag of a decaying ship“ der Afro in Afrika | 240 „The Bomb defuses“ Style Politics und das Women’s Movement | 242 ^ƚLJůĞWŽůŝƚŝĐƐŝŶĚĞƌEĂƚŝŽŶŽĨ/ƐůĂŵ | 249
Die Weltanschauung der Nation of Islam | 254 Der Schöfpfungsmythos der NOI | 256 „As Crinkly as Yours, Brother“ | 259 „Shun the Afro!“ Debatten um Hairstyling in der NOI | 264 Styling und die Mimikry von Weißsein | 267 „Civilizing yourself through style“ | 268 Fruit of Islam und die Performanz schwarzer Männlichkeit | 274 Schwarze Frauen in der NOI und das Muslim Girls Training | 278 Respektabilität | 287 Der Diskurs von der Krise der schwarzen Familie und Styling | 290 Veränderungen der NOI nach 1975 | 291 ůĂdžƉůŽŝƚĂƚŝŽŶͲŝƚĞƌĂƚƵƌ | 349
Dank
Das vorliegende Buch entstand als Doktorarbeit, die ich Ende 2011 im Fachbereich Geschichtswissenschaft der Universität Erfurt einreichte. Während der gesamten Arbeit an der Dissertation konnte ich immer auf die engagierte Betreuung meiner beiden Gutachter, Jürgen Martschukat und Olaf Stieglitz zählen, die mich stets kompetent und freundlich auf dem langen Weg von der Konzipierung des Projekts bis zur Fertigstellung des Manuskriptes unterstützt haben. Viele Anregungen und konstruktive Kritik erhielt ich in den Doktorandenkolloquien der Uni Erfurt, in denen ich Teile meiner Arbeit vorstellen konnte. Besonderer Dank gebührt Nina Mackert, Melanie Henne, Felix Krämer und Nora Kreuzenbeck. Nicht nur lasen sie Teile der Arbeit äußerst gründlich und gaben mir wichtige Hinweise, sondern machten die gemeinsamen Fahrten von Hamburg nach Erfurt und die Tage des Kolloquiums zu einem „thought-provoking, brilliant and inspiring process“, der darüber hinaus wiederholt bewies, dass akademische Diskussionen und das Erörtern hochkomplexer Sachverhalte nicht ausschließen, das man äußerst amüsante Stunden miteinander verbringt. Nora Kreuzenbeck und Clemens Tittel haben mich immer herzlich bei sich in ihrer Wohnung aufgenommen und die Aufenthalte in Erfurt durch ihre Gastfreundschaft zu einem reinen Vergnügen gemacht. An die gemeinsamen Kneipenabende und das konsumieren blauer Getränke denke ich mit Freude. Aus meinem Hamburger Freundeskreis haben mich besonders Ulrike Capdepón, Maia Irrarazabal, Özgür Havuc und Svenja Bethke unterstützt. Sie lasen Teile des Manuskriptes und machten wertvolle Anmerkungen und Verbesserungsvorschläge, von denen diese Arbeit sehr profitierte. Das Verfassen einer Doktorarbeit ist ein sehr zeit- und vor allem kostenintensives Unterfangen. Ohne die finanzielle Unterstützung einiger Stiftungen und Personen hätte ich dieses Buch nicht Fertigstellen können. Das Deutsche Historische Institut in Washington, D.C. hat mir durch ein dreimonatiges Stipendium als Doctoral Research Fellow ermöglicht, verschiede-
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ne Archive in den USA zu konsultieren und meine Forschungen mit anderen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern zu diskutieren. Von der Hans-Böckler-Stiftung wurde ich durch ein dreijähriges Promotionsstipendium gefördert. Zudem gewährte sie mir einen umfangreichen Druckkostenzuschuss, ohne den es mir nicht möglich gewesen wäre, das Buch in dieser Form zu publizieren. Ursula Rosa-Braun hat sich ebenfalls sehr großzügig an den Druckkosten beteiligt. Last but definitely not least möchte ich mich bei Ursula Dorestal bedanken. Sie hat mich in den insgesamt mehr als vier Jahren, die das Projekt von der Themenfindung bis zur Fertigstellung des Druckmanuskriptes dauerte, in jeglicher Hinsicht unterstützt. Es ist nicht übertrieben zu sagen, dass diese Arbeit ohne ihre Unterstützung niemals so schnell abgeschlossen worden wäre. – Danke! Dieses Buch ist ihr gewidmet.
Einleitung
Der afroamerikanische Journalist Eldridge Cleaver hatte sich bereit erklärt, am 21. Februar 1967 für das Magazin Ramparts ein Interview mit Betty Shabazz durchzuführen, der Witwe des schwarzen US-Bürgerrechtlers Malcolm X. Anlass war die sich an diesem Tag zum zweiten Mal jährende Ermordung ihres Mannes. Doch als Cleaver im Black House, einem politisch-kulturellen Zentrum in San Francisco, auf die Ankunft von Betty Shabazz wartete, war er nicht auf das vorbereitet, womit er dort gleich konfrontiert werden würde. Cleaver schreibt über den Moment, als sich plötzlich die Tür öffnete: „There was only the sound of the lock clicking as the front door opened, and then the soft shuffle of feet moving quietly toward the circle [… ] I spun round in my seat and saw the most beautiful sight I had ever seen: four black men wearing black berets, powder blue shirts, black leather jackets, black trousers, shiny black shoes – and each with a gun!“
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Was Cleaver hier als „den schönsten Anblick seines Lebens“ beschreibt, war seine erste Begegnung mit der radikalen schwarzen Organisation Black Panther Party for Self-Defense (BPP). Obwohl sich Cleaver in der Zeit vor seiner Anstellung als Journalist in seiner Jugend als Kleinkrimineller durchgeschlagen hatte, mehrere Jahre im Gefängnis verbringen musste, und ihm deshalb militantes Auftreten sicherlich nicht gänzlich fremd war, faszinierte ihn die Erscheinung der Panther doch ungemein. Denn sie unterschied sich von allem, was Cleaver und auch viele andere African Americans bei schwarzen Organisationen in den 1960er Jahren bisher zu sehen gewohnt waren. Dies lag zu einem nicht geringen Teil am uniformen, disziplinierten und selbstbewussten Auftreten der BPP. Der charakteristische Style der Panther mit schwarzer Lederjacke, schwarzen Son-
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Eldridge Cleaver: The Courage to Kill: Meeting the Panthers, in: Robert Scheer (Hg): Post-Prison Writings and Speeches, New York 1969, S. 23-39, hier: S. 29.
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nenbrillen, Baskenmützen und Gewehren war dabei etwas, das nicht nur Cleaver ins Schwärmen brachte, standen diese Merkmale doch für einen ganz neuen Typus von Aktivist/innen, die nicht schwarze Untergebenheit, sondern vielmehr schwarzes Selbstbewusstsein und Black Power symbolisierten. Derartige medienwirksame Performances dieser politischen Gruppierung trugen dazu bei, dass sie schnell zu einer der bekanntesten Organisationen der Black Power-Bewegung avancierte. Doch auch über die BPP hinaus spielte die Frage von Auftreten und Kleidung – von Style – eine bedeutende Rolle und wurde zu einem zentralen Moment der Auseinandersetzungen um das Politische und die Einforderung von Bürgerrechten, Respekt und schwarzem Selbstbewusstsein. Was Eldridge Cleaver also stellvertretend für viele African Americans als „the most beautiful sight“ bezeichnete, deutete auf die nicht bloß ästhetische, sondern eminent politische Bedeutung von Style hin: auf Style Politics. Der Begriff Style Politics scheint zunächst ungewöhnlich oder gar ein Oxymoron zu sein. Style ist zwar etwas, das jeder kennt, das jedoch fast immer als etwas Ephemeres, Triviales angesehen wird. Die Welt der Mode, mit dem der Begriff in der Regel assoziiert wird, gilt gewöhnlich als oberflächlicher Schein. Die Kombination mit dem Wort Politics mag deshalb zunächst befremdlich wirken, ist doch Politik demgegenüber zumindest dem Anspruch nach in der Vorstellung vieler ein „ernsthaftes Geschäft“, dem eine wichtige Funktion im Zusammenleben der Menschen zukommt. In dieser Arbeit möchte ich indes anhand der Geschichte der African Americans von Beginn der 1940er Jahre an bis in die Mitte der 1970er Jahre hinein zeigen, wie das Styling des Körpers in der damaligen Zeit immer auch untrennbar eine politische Dimension hatte. Mit dem Begriff der Style Politics plädiere ich für einen weiten Begriff des Politischen, der sich nicht nur auf die Aktivitäten innerhalb und zwischen Staaten oder in der Erörterung von Parlamentsdebatten u. ä. erschöpft. Vielmehr verstehe ich meine Arbeit als einen Beitrag zu dem, was seit einigen Jahren als „Kulturgeschichte des Politischen“ diskutiert wird. Darunter wird gemeinhin die Analyse kultureller Phänomene unter dem Gesichtspunkt verstanden, wie diese das Politische artikulieren.2 Ich möchte mit der Untersuchung von Style Politics zeigen, dass sich die Unterteilung in „harte Politik“ und „weiche Kultur“, die von einigen Kritiker/innen der „Kulturgeschichte
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Vgl. hierzu den Abschnitt über die Kulturgeschichte des Politischen in Kapitel 1 der vorliegenden Arbeit.
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des Politischen“ vorgenommen wird, nicht aufrechterhalten lässt.3 Vielmehr sind kulturelle Phänomene wie Style immer schon politisch. Mithilfe von Style werden Identitäten konstruiert und dekonstruiert. Es handelt sich um eine performative Praxis, die Strukturkategorien wie Race4, Class, Gender und sexuelle Orientierung verhandelt. Style, so meine These, ist damit immer schon Style Politics, selbst wenn eine explizite „politische“ Aussage von den Träger/innen des Styles gar nicht intendiert ist. Während die Forschung zur Bürgerrechtsbewegung bereits ganze Bibliotheken füllt, und auch die Literatur zur Black Power-Bewegung in den letzten Jahren beständig gewachsen ist, werden Style Politics dabei kaum berücksichtigt. Gerade aber die Untersuchung dieser Leerstelle – der Inszenierung von Identität über Styling – lässt meines Erachtens ein neues Verständnis für diese sozialen Bewegungen zu. Denn performative Praxis, die ein Kernelement von Style ist, war ein wichtiges Element in den verschiedenen Organisationen, die ich in meiner Studie betrachte. Die These, die ich an dieser Stelle vertrete, und die ich anhand des historischen Quellenmaterials prüfen werde, lautet, dass der Style von African Americans im untersuchten Zeitraum äußerst disparat ist, der für die Heterogenität als auch für die internen Auseinandersetzungen innerhalb der unterschiedlichen Strömungen der Bewegung steht. Dies gilt nicht nur zwischen den verschiedenen Gruppen selbst, obwohl medial und auch von Vertreter/innen dieser Organisationen oftmals der Eindruck erweckt wurde, es handle sich bei ihrem Style um einen eindeutigen und uniformen Block. Ich konzentriere mich in meiner Arbeit bewusst auf die Jahre 1943 bis 1975. Das Anfangsjahr der Untersuchung ist dem Ausbruch der sogenannten Zoot Suits Riots geschuldet, die im Juni 1943 begannen, und deren Betrachtung für die Frage, wie Styling mit der Analyse von nationaler Identität, mit Patriotismus, Ge-
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Vgl. Andreas Rödder: Klios neue Kleider. Theoriedebatten um eine Kulturgeschichte der Politik in der Moderne, in: Historische Zeitschrift 283 (2006): S. 657-688, hier: S. 686.
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Ich verwende den englischen Begriff Race, um mich in eine anglophone Forschungstradition zu stellen, die davon ausgeht, dass es menschliche „Rassen“ nicht gibt, Race aber in kritischer Absicht als analytische Strukturkategorie verwendet, um soziale Prozesse der Diskriminierung und der Exklusion aufgrund der Hautfarbe fassen zu können. Ebenso wie Race sind Class und Gender Strukturkategorien, die dazu dienen sollen, den Konstruktcharakter gesellschaftlicher Verhältnisse analytisch offen zu legen. Vgl. hierzu ausführlich Kapitel 1 der vorliegenden Arbeit.
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schlecht und Race zusammenhängt, sehr aufschlussreich ist. Zudem leiste ich mit meiner Arbeit einen Beitrag zu den in den letzten Jahren entstandenen Forschungen über das sogenannte Long Civil Rights Movement. Während die meisten Studien und Gesamtdarstellungen bis in die späten 1990er und 2000er Jahre hinein die US-amerikanische Bürgerrechtsbewegung häufig auf den Zeitraum von 1954 bis 1966 eingrenzten, also auf den Beginn des Montgomery Bus Boycott5, und damit auch die Entstehung der Black Power-Bewegung datierten, schlug Jacqueline Dowd Hall in einem einflussreichen Aufsatz aus dem Jahr 2005 eine Neuperiodisierung und -konzeptionalisierung vor.6 Unter Rückgriff auf neuere Einzelstudien argumentierte sie einerseits, dass Ansätze von afroamerikanischen Kämpfen gegen rassistische Segregation und Diskriminierung bereits Ende der 1930er und Anfang der 1940er Jahre zu beobachten gewesen seien. Andererseits sei auch die vormals in Forschungen zur Bürgerrechts- und Black Power-Bewegung aufgemachte starre Dichotomie zwischen gewaltloser Bürgerrechtsbewegung im Süden der USA und dem Übergang in die militante Black Power-Bewegung im Norden zu schematisch und undifferenziert. Vielmehr gebe es viele Überschneidungspunkte in Bezug auf die Gewaltfrage, und radikale Strömungen innerhalb der Bürgerrechtsbewegung seien schon früh, also bereits in den 1950er Jahren, und nicht erst in den 1960er Jahren, festzustellen gewesen.7 Anhand von Style Politics lässt sich die in neueren Untersuchungen
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Der Montgomery Bus Boycott, den ich ausführlich in Kapitel drei behandele, begann am 1. Dezember 1955 in Montgomery, Alabama, als sich die schwarze Bürgerrechtlerin Rosa Parks weigerte, ihren Sitzplatz für einen weißen Fahrgast zu räumen und somit gegen die in den Südstaaten herrschenden Segregationsgesetze verstieß. Daraufhin boykottierte fast die gesamte afroamerikanische Bevölkerung über ein Jahr lang das öffentliche Verkehrssystem von Montgomery und erreichte schließlich, dass der Oberste Gerichtshof am 20. Dezember 1956 die Segregation im öffentlichen Verkehrswesen für verfassungswidrig erklärte.
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Jacqueline Dowd Hall: The Long Civil Rights Movement and the Political Uses of the Past, in: The Journal of American History 91, 4 (2005): S. 1233-1263.
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Dowd Hall bestimmt vier Charakteristika des Long Civil Rights Movement: „First, this new, longer and broader narrative undermines the trope of the South as the nation’s ‚opposite otherދ, an image that southernizes racism and shields from scrutiny both the economic dimensions of southern white supremacy and the institutionalized patterns of exploitation, segregation, and discrimination in other regions of the country – patterns that survived the civil rights movement and now define the South’s racial landscape as well. Second, this narrative emphasizes the gordian knot that ties race to class and civil rights to workers’ rights. Third, it suggests that women’s activ-
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zur Bürgerrechts- und Black Power-Bewegung vorgenommene Differenzierung bezüglich deren Kampfformen, Inhalten und Strategien m.E. ergänzen und ausweiten. Denn wie ich etwa an den Debatten über Hairstyling zeigen werde, machten sich regionale Unterschiede in den jeweiligen aktivistischen Traditionen des Nordens und Südens in der Bürgerrechtsbewegung der 1950er Jahre bemerkbar. Race und Class artikulierten sich unterschiedlich in Hinblick auf die Frage eines „respektablen“ oder „radikalen“ Hairstylings und machen somit deutlich, wie heterogen diese Bewegungen waren. Eine in der Sekundärliteratur zur Black Power-Bewegung häufig anzutreffende Unterteilung ist die zwischen Revolutionary und Cultural Nationalists.8 Unter ersteren werden dort afroamerikanische Aktivist/innen verstanden, die
ism and gender dynamics were central both to the freedom movement and to the backlash against it. Fourth, it makes visible modern civil rights struggles in the North, Midwest, and West, which entered a new phase with the turn to black nationalism in the mid-1960s but had begun at least a quarter century before.“ S. 1239. Allerdings hat diese These teilweise dazu geführt, die Spezifität und Unterschiedlichkeit in Ideologie, Protestformen und historischem Kontext der Bürgerrechts- und Black PowerBewegung zu nivellieren und beide nahtlos ineinander übergehen zu lassen. Sundiata Keita Cha-Jua und Clarence Lang haben deshalb in einem Aufsatz die Tendenz bei einigen Forscher/innen des Long Civil Rights Movement-Ansatzes kritisiert, beide Bewegungen würden unter dem Rubrum Black Liberation Movement subsumiert, und es würde eine Linie von den 1930er Jahren bis in die 1970er Jahre gezogen, in der nur graduelle Differenzen der jeweiligen Gruppen und Aktivist/innen auszumachen seien, und die Verhältnisse in den Süd- wie Nordstaaten sich wenig unterschieden. Den Autoren ist also beizupflichten, wenn sie für künftige Forschungen fordern: „We need an historical-theoretical framework of the BLM [Black Liberation Movement, P.D.], one that is mindful of political, economic, spatial, ideological, discursive, and cultural factors, as well as subjective activity, in shaping paradigms of African American resistance in consistent, though contextually specific, ways across time and space.“ Sundiata Keita Cha-Jua/Clarence Lang: The ‚Long Movement ދas Vampire: Temporal and Spatial Fallacies in Recent Black Freedom Studies, in: The Journal of African American History 92, 1 (2007): S. 265-288, hier: S. 283. 8
Vgl. z. B. Komoozi Woodard: A Nation Within a Nation: Amiri Baraka (Leroi Jones) and Black Power Politics, Chapel Hill 1999. Kritisch sieht Brian Ward die Unterscheidung von Revolutionary und Cultural Nationalists, vgl. Brian Ward: Jazz and Soul, Race and Class, Cultural Nationalists and Black Panthers. A Black Power Debate Revisited, in: ders. (Hg.): Media, Culture, and the Modern African American Freedom Struggle, Gainesville 2001, S. 161-196.
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neben der Bekämpfung von Rassismus eine radikale soziale Transformation hin zu einer sozialistischen Gesellschaft anstreben. Exemplarisch für diese Strömung wird meist die Black Panther Party angeführt. Cultural Nationalists hingegen werden als schwarze Aktivist/innen portraitiert, die mithilfe einer Rückkehr zu und Zelebrierung von afrikanischen kulturellen Traditionen persönliche und gesellschaftliche Transformationen erreichen wollen. Als Beispiel für Cultural Nationalism dient dabei meist die Organisation Us von Maulana Karenga. In vielen Studien zur Black Power-Bewegung finden sich diese Bezeichnungen wieder, wobei jedoch unkritisch eine zeitgenössische Terminologie der Black Panther übernommen wurde, die eigentlich der politischen Diskreditierung von Us dienen sollte.9 Cultural Nationalism wurde dabei als „unpolitische Strömung“ charakterisiert, die sich im Tragen von „afrikanisch“ anmutender Kleidung erschöpfe. Durch eine Untersuchung von Style Politics wird es jedoch nun möglich, diese reduktionistische Lesart des Cultural Nationalism zu vermeiden. Vielmehr stellt sich diese Bewegung mit der Analyse des Politischen von Styling als wesentlich komplexer dar, als dies bisher geschehen ist. Auch die BPP selbst erweist sich durch eine solche Analyse als deutlich facettenreicher, und ihre Geschichte lässt sich genauer in ihrer Widersprüchlichkeit und internen Heterogenität nachzeichnen. Denn entgegen der Polemik gegen Cultural Nationalism spielte Styling, das bei Us von Seiten der BPP noch als „unpolitisch“ denunziert wurde, innerhalb der BPP selbst eine große Rolle. Öffentliche Performances von Style wurden von der Organisation gezielt eingesetzt, um Vorstellungen von Schwarzsein, Militanz und Männlichkeit aufzurufen. Während die offiziellen Verlautbarungen jedoch die Relevanz von Styling meist herunterspielten, lassen sich anhand der heftigen Auseinandersetzungen um Style Politics zwischen unterschiedlichen Ortsgruppen (Chapter), etwa zwischen der Ost- und Westküste oder auch anhand der neuen Konzeption von Styling, die Anfang der 1970er Jahre mit der Konzentration auf Wahlpolitik einsetzte, ideologische Spannungen und Transformationen der BPP nachzeichnen, die ohne das Augenmerk auf Style Politics nicht so differenziert rekonstruiert werden könnten. Ähnlich verhält es sich mit der Nation of Islam (NOI). Während diese in der Sekundärliteratur meist unter dem Terminus Black Power-Bewegung rubriziert
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Vgl. Scot Brown: The Us Organization, Maulana Karenga, and the Conflict with the Black Panther Party: A Critique of Sectarian Influences on Historical Discourse, in: Journal of Black Studies 28, 2 (1997): S. 157-170; Floyd Hayes/Judson Jeffries: Us does not stand for United Slaves!, in: Judson Jeffries (Hg.): Black Power in the Belly of the Beast, Urbana/Chicago 2006, S. 67-92.
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wird,10 kann ich mit einer Analyse der Style Politics zeigen, dass sich diese Organisation wesentlich stärker an konservativen Werten der Respektabilität orientierte und trotz der militanten Rhetorik somit moderaten Teilen der Bürgerrechtsbewegung deutlich näher stand. Gleichzeitig war die NOI aufgrund ihrer religiösen Doktrin darauf bedacht, in ihrem Styling Reinheit und Disziplin zur Schau zu stellen und in öffentlichen Aufmärschen zu performen. Deshalb lässt sich an dieser Organisation die Verschränkung von Körper- und Modetechnologien – die ich, wie ich im Theoriekapitel ausführen werde, in Anlehnung an Kobena Mercer als Style Politics fasse – besonders gut beobachten. Als letzten Untersuchungsgegenstand dieser Arbeit habe ich das sogenannte Blaxploitation-Genre gewählt. Diese von Anfang bis Mitte der 1970er Jahre in den USA sehr populären Filme sind für eine Analyse von afroamerikanischen Style Politics zum einen deshalb gewinnbringend, weil das Styling der Filmfiguren sehr augenscheinlich und zentrales Element dieses Genres insgesamt ist. Die Bewegung hin zu der im Vergleich zu den 1950er Jahren relativ offenen Darstellung von Sexualität und die filmische Repräsentation von Homosexualität oder die Bezugnahme auf die Black Power-Bewegung wurden in vielen Blaxploitation-Filmen über Styling hergestellt. Insofern bietet sich dieses Genre für eine historische Analyse der sich über die Jahre verändernden afroamerikanischen Style Politics an. Das Hauptaugenmerk werde ich in dieser Studie auf die 1960er Jahre legen, weil dort innerhalb von Bürgerrechts- und Black Power-Organisationen sowie zwischen diesen Gruppierungen hitzige Debatten geführt wurden, die für die Analyse von Style Politics ein reiches Quellematerial liefern. Style Politics könnten sicherlich auch über einen weitaus längeren Zeitraum hinaus untersucht werden. Mir erscheint jedoch 1975 als Zäsur in der Entwicklung der Black Power-Bewegung, und deshalb auch für die Begrenzung dieser Arbeit als sinnvoll, da sich hier weitgehende Veränderungen von Style Politics ankündigten, die Gegenstand einer neuen Studie sein könnten. Es ist nicht meine Intention, den Versuch zu unternehmen, eine vollständige Geschichte afroamerikanischer Style Politics von 1943 bis 1975 zu schreiben. Beide Jahreszahlen markieren vielmehr Schlaglichter historischer Ereignisse, die ich zusammen mit anderen Geschehnissen innerhalb der Bürgerrechts- und Black Power-Bewegung beleuchten will, um Aufschluss darüber zu bekommen, wie in dieser Zeit Konstruktionen von Schwarzsein, Militanz, Geschlechter- und sexueller Identität über Style Politics performiert wurden.
10 Vgl. etwa Jeffrey Ogbar: Black Power: Radical Politics and African American Identity, Baltimore 2005.
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AUFBAU
DER
ARBEIT
Im Folgenden fasse ich kurz die einzelnen Kapitel meiner Studie zusammen. Im ersten Kapitel stelle ich meine theoretische Konzeption von Style Politics vor. Dabei steht die Klärung der Fragen nach dem, was Style eigentlich ist, dem Begriff des Politischen und der Performanz von Style im Vordergrund. Ich positioniere mich darüber hinaus in der Auseinandersetzung um die „Kulturgeschichte des Politischen“ und lege dar, inwiefern eine Untersuchung von Style Politics einen Beitrag zu dieser Diskussion leistet. Den historischen Teil im zweiten Kapitel eröffne ich mit den sogenannten Zoot Suit Riots, die sich 1943 vor allem in Los Angeles, aber auch in Städten wie New York zutrugen. Als Kontext für die politische Signifikanz von Styling sind diese Unruhen außerordentlich aufschlussreich. Sie zeigen, wie Style in den damaligen zeitgenössischen Debatten mit Fragen der Staatsbürgerschaft, von jugendlicher Delinquenz, Geschlechteridentitäten und Race zusammengeführt und verdichtet wurden. Auch wenn die Sekundärliteratur zu den Zoot Suit Riots schon recht umfangreich ist, haben sich nur wenige neuere Untersuchungen aus den letzten Jahren explizit der Analyse von Männlichhkeiten und Weiblichkeiten sowie der Frage gewidmet, wie Race dort konstruiert wird. Über meinen theoretischen Zugang der Performativitätstheorie werde ich einen neuen Blick darauf werfen und Prozessen der Rassifizierung sowie Konstruktionen von Identität nachspüren können. Wenngleich die Zoot Suit Culture in vielen Untersuchungen als primär von Mexican Americans geprägt dargestellt wird, liegt das Miteinbeziehen des Zoot Suit Styles in diese Studie nahe. Denn der Zoot Suit, ein weit geschnittener Anzug, wurde auch von African Americans getragen, und Diskurse um Schwarzsein tauchen in zeitgenössischen Presseberichten auf. Darüber hinaus sind die Adaptionen, Zitationen, Überlagerungen und Modifikationen dieses Stylings für die Analyse von Style Politics außerordentlich fruchtbar. Ich werde zeigen, dass die Konstruktionen von Race in Bezug auf African Americans und Mexican Americans in vielerlei Hinsicht ähnlichen diskursiven Mustern gehorchten, aber auch Unterschiede festzustellen sind, die die Kontextualität von Styling demonstrieren. Insofern soll die Darstellung von Mexican American Styling in dieser Arbeit, die sich im Wesentlichen auf eine Geschichte der Style Politics von African Americans konzentriert, die Perspektive auf Style Politics erweitern und mit einem komparativen Zugriff Gemeinsamkeiten und Spezifika von Styling je nach Race, Class und Gender verdeutlichen. Im dritten Kapitel behandle ich die Anfänge der Bürgerrechts- und Black Power-Bewegung. Dieser historische Kontext ist nötig, um die Auseinanderset-
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zungen um Styling in der afroamerikanischen Community (und darüber hinaus) verstehen zu können. Ich zeige dort, wie Race, Gender, Class, sexuelle Orientierung und andere Strukturkategorien über Styling verhandelt wurden. Die Analyse bestimmter Protest- und Partizipationsformen wie beispielsweise der Sit-Ins, der Wahlregistrierung und Demonstrationen erweisen sich als untrennbar mit Erwägungen von Styling verbunden, ja als ein geradezu integraler Bestandteil sozialer Bewegungen. Im vierten Kapitel setze ich mich mit einer der bekanntesten Black PowerOrganisationen auseinander, der Black Panther Party for Self-Defense. Ich weise nach, dass Style Politics ein integraler Bestandteil der Aktivitäten der Panther waren und für die Popularität in weiten Teilen der afroamerikanischen Communities, aber auch für Furcht in konservativen weißen Kreisen sorgten. Die Auseinandersetzungen zwischen West- und Ostküsten-Panthern wurde auch über das Styling ausgetragen; ein Fokus darauf vermag somit, die bisherige Panther-Historiographie zu ergänzen. Style Politics waren ein zentraler Aspekt in den öffentlichen Performanzen der BPP. Insofern kann eine reine Ideengeschichte oder Rekapitulation der jeweiligen Stationen innerhalb der Entwicklung der BPP nur einen ungenügenden Eindruck dieser Organisation vermitteln. Ich zeige, wie stark Erwägungen über das „richtige“ Styling die Mitglieder der BPP beschäftigte, und wie politische Auseinandersetzungen und Konflikte innerhalb der Gruppe nicht zuletzt um Style Politics kreisten und durch diese ausgetragen wurden. Vergleichend zu Erwägungen der Style Politics der BPP ziehe ich weiterhin die Yippie-Bewegung um Jerry Rubin und Abbie Hoffman heran. Die Yippies kooperierten zeitweilig mit den Panthern, warfen jedoch als weiße Gruppe andere Fragen auf: So erörterten sie unter anderem Styling unter dem Aspekt, wie dieses dazu beitragen könnte, „schwarz“ zu werden, womit sie sich letztlich selbst gesellschaftlich marginalisieren wollten. Im direkten Vergleich dieser beiden Gruppierungen, der BPP und der Yippies, lassen sich deshalb gewinnbringend unterschiedliche Konstruktionen von Race und Schwarzsein analysieren. Dem sogenannten Cultural Nationalism um die Organisationen Us und Amiri Barakas Committee for a Unified Newark (CFUN) widme ich mich im fünften Kapitel. Die Bewegung des Cultural Nationalism ist erst in den letzten Jahren, insbesondere durch die Arbeiten von Scot Brown und Komozi Woodard eingehender erforscht worden.11 Aufgrund ihrer heftigen Auseinandersetzungen mit
11 Vgl. Scot Brown: Fighting for Us. Maulana Karenga, The Us Organization, and Black Cultural Nationalism, New York 2003; Woodard: A Nation within a Nation. Siehe auch das entsprechende Kapitel 5 in der vorliegenden Arbeit.
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den Panthern, dabei nicht zuletzt um die Frage von „authentischem Black Style“ und der Bedeutung von Kultur, sind sie für eine Analyse afroamerikanischer Style Politics unerlässlich. Darüber hinaus skizziere ich in dem Kapitel über Cultural Nationalism die Debatten um (Hair)Styling exemplarisch anhand einiger afrikanischer Länder. Dabei soll keine erschöpfende Analyse der dortigen Style Politics erfolgen, ein Unterfangen, welches ich aufgrund der Anzahl und der Heterogenität der Länder dieses Kontinents und des damit verbundenen Umfangs, den eine solche Analyse annehmen müsste, im Rahmen dieser Arbeit bei weitem nicht leisten kann. Ein Blick auf Aspekte von Style Politics in einigen ausgewählten afrikanischen Ländern der 1960er Jahre vermag dennoch Aufschluss zu geben über transnationale Referenz- und Abgrenzungsprozesse. Da die afroamerikanischen Black Power-Organisationen sich in Bezug auf Styling fast immer positiv auf den imaginierten Kontinent Afrika als Signifikanten für ein „authentisches“ Schwarzsein beriefen, kann eine Analyse der dortigen Debatten um Modernität, Authentizität und Geschlecht gemeinsame und divergierende Diskurs- und Subjektivierungsmuster offen legen. Die von mir angeführten Beispiele zeigen darüber hinaus, wie stark die Wirkung eines bestimmten Stylings vom jeweiligen Kontext abhängt, in dem es erscheint. Die Nation of Islam werde ich im sechsten Kapitel analysieren, da diese Organisation in den 1960er und 1970er Jahren großen Einfluss auf die afroamerikanische Community ausübte und eine Analyse mit dem Fokus auf Style ihre Positionen u.a. in Bezug auf zeitgenössische Diskurse um Weißsein und Schwarzsein, Geschlechterkonstruktionen, sexuelle Orientierungen und Klassenzugehörigkeit offen legt. Ich zeichne anhand der Nation of Islam zudem nach, wie wechselnde gesellschaftliche hegemoniale Machtrelationen dazu beitrugen, dass teilweise diametral entgegengesetzte Direktiven der Parteidirektion über das „richtige“ Styling erlassen wurden. Die Ausbildung von Frauen und Männern in den organisationseigenen Muslim Girls Training Camps bzw. der Fruit of Islam zeigen darüber hinaus exemplarisch, wie die Körper der Mitglieder diszipliniert und über Styling körperliche Technologien des Selbst durchgeführt und performiert wurden. Ein weiterer Untersuchungsgegenstand dieser Arbeit sind in Kapitel sieben die sogenannten Blaxploitation-Filme, die Anfang der 1970er Jahre in den USA als Genre eine große Popularität genossen, jedoch auch kontrovers diskutiert wurden. Dabei handelt es sich zwar nicht um eine politische Organisierungsform, sondern um ein Film-Genre. Dieses eignet sich jedoch aus mehreren Gründen in besonderem Maße für eine Bestimmung der Repräsentanz von Style Politics. Zum einen fällt die Hochphase dieser Filme in genau die Zeit, welche in
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der Sekundärliteratur gemeinhin als „Niedergang“ der Black Power-Bewegung gekennzeichnet wird.12 Es lässt sich über diese Filme demnach ausloten, inwiefern stilistische Elemente von Gruppen wie den Black Panthern, der Nation of Islam oder Us aufgegriffen, popularisiert und auf der Leinwand reproduziert wurden. Ein generelles Problem, das dabei thematisiert werden muss, ist das Verhältnis von historischen Entwicklungen und Populärkultur. Ich gehe dabei den Fragen nach, inwiefern Populärkultur Geschichte (re)konstruiert, wie sich deren Verhältnis gestaltet, und wie das Styling der Black Power-Bewegung rekontextualisiert wird. Meinem Erkenntnisinteresse folgend werde ich in diesem Kapitel dann untersuchen, ob Styling notwendigerweise den politischen Impetus verliert, den es vormals besaß, oder ob nicht auch Resignifikationen von Styling in den Blaxploitation-Filmen Style Politics sind, also ein Mittel der politischen Intervention. Darüber hinaus skizziere ich zeitgenössische Debatten über die Blaxploitation-Filme. Diese drehten sich um Fragen wie etwa der, ob der vermehrt in den Blaxploitation-Filmen repräsentierte sogenannte Pimp-Style mit Plateauschuhen, bunten Hosen und Hüten die „Männlichkeit“ bedrohe. Elemente der Konstruktion von und Diskurse um Schwarzsein, Gender und sexuelle Orientierung lassen sich hieran ablesen. Schließlich spüre ich auch der Frage der Kommodifizierung von Style nach, also wie Styling vermarktet wird, und welche Tendenzen es gab, Mode mit einem bestimmten politischen Impetus zu kommerzialisieren. Die übergeordnete Frage bleibt dabei wieder die nach der politischen Signifikanz von Style. Nur am Rande berührt werden in dieser Arbeit Musikstile. Ich ziehe diese bewusst lediglich dann heran, wenn dies zur Verdeutlichung von Kleidungsstil geboten ist. Musiker/innen zogen in der Regel das Interesse der Medien und der breiten Öffentlichkeit auf sich. Wenn sie einem extravaganten Kleidungs- oder Haarstil frönten, war ihnen Aufmerksamkeit gewiss, und nicht selten wirkten sie stilbildend für das Styling ihrer Anhänger/innen.13 Für meine Fragestellung der
12 Vgl. Peniel Joseph: Waiting ތtill the Midnight Hour. A Narrative History of Black Power in America, New York 2006, S. 289-291; Clayborne Carson: Zeiten des Kampfes. Das Student Nonviolent Coordinating Committee (SNCC) und das Erwachen des afroamerikanischen Widerstandes in den sechziger Jahren, Nettersheim 2004, S. 521549. 13 Die Einbeziehung von Musikstilen in meine Studie zu Style Politics würde den Rahmen meiner Arbeit sprengen. Zudem liegen schon einige Monographien zum Zusammenhang von Musik, afroamerikanischer Kultur und Politik vor. Vgl. Angela Davis: Blues Legacies and Black Feminism: Gertrude ‚Ma ދRainey, Bessie Smith and Billie
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Style Politics und der performativen Herstellung von Identität und Widerständigkeit von African Americans würde sich auch eine Studie der Hip-Hop Kultur anbieten, die teilweise Styling-Elemente der Black Power-Bewegung zitiert. Dies ist jedoch im zeitlichen Rahmen meiner Studie nicht zu leisten, welcher bewusst auf die Mitte der 1970er Jahre gelegt ist, dem Ende vieler Black Power-Gruppierungen. Ich komme auf diese Fragen dennoch in meinem Schlussteil zurück, in dem ich die Erkenntnisse aus den jeweiligen Kapiteln über die unterschiedlichen Gruppen und historischen Beispiele resümiere, den Komplex des Politischen von Styling noch einmal aufgreife und ausblickend auf neuere Entwicklungen verweise. Da diese Studie sich bei der Analyse von Style Politics auf die Geschichte der African Americans konzentriert, ziehe ich nur insofern explizit Styling von Weißen heran, um sie miteinander in Beziehung zu setzen. Dies geschieht etwa in dem Kapitel über die BPP, wo ich die weiße Yippie-Bewegung um Abbie Hoffman und Jerry Rubin diskutiere, die über ihr Hairstyling einen Prozess des Schwarzwerdens postulierten. Auch Style Politics der weißen Frauenbewegung erörtere ich in dieser Arbeit exemplarisch in Kapitel Fünf anhand eines Artikels von Sorriyen, der 1974 in der feministischen Zeitschrit off our backs erschien. Im Vordergrund stehen hier die Bezüge zum Style von African Americans und ihrer Kommerzialisierungsversuche. Wie ich im theoretischen Teil dieser Arbeit ausführen werde, gibt es eine Relationalität von Geschlechterentwürfen, d.h. Konzeptionen von Männlichkeit und Weiblichkeit funktionieren nur in Abgrenzung und unter gleichzeitiger Bezugnahme auf das „Andere“. Dies, so meine These, gilt auch für den Bereich der Style Politics und Schwarzsein/Weißsein. Die Diskussionen in den verschiedenen Organisationen wie NOI, BPP oder Us drehten sich oftmals um die Frage nach Authentizität und dem „angemessenen“ Styling. Dafür war die Distanzierung vom Styling der Weißen immer implizit und meist auch explizit erforderlich. Wie ich en detail beispielsweise anhand der Nation of Islam zeigen werde, dienten Weiße, die von der Organisation als „primitive cave people“ apostrophiert wurden, mit ihrem Styling dort immer als negativer Referenzpunkt, von dem sich die NOI aufgrund der Respektabilität signalisierenden Gewänder positiv abhob. Insofern strebe ich in dieser Arbeit bewusst keinen Vergleich von schwarzem und weißem Styling an, thematisiere aber die Relationalität von Style Politics.
Holiday, New York 1998; Brian Ward: Just My Soul Responding: Rhythm and Blues, Black Consciousness, and Race Relations, Berkeley 1998.
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F ORSCHUNGSSTAND Das Standardwerk über Style Politics im Kontext der Geschichte der African Americans stellt zweifelsohne die Monographie Stylin’. African American Expressive Culture from its Beginnings to the Zoot Suit von Shane und Graham White dar.14 Die Autoren zeigen auf, wie Styling ein wichtiges Medium afroamerikanischer Identitätsfindung war und politische Implikationen hatte. Da sie jedoch nur die Zeit der US-amerikanischen Sklaverei bis Anfang der 1940er Jahre behandeln, verspricht eine Darstellung ab Mitte der 1940er bis in die 1970er Jahre hinein neue Erkenntnisse und schließt eine Forschungslücke, denn bisher liegt noch keine andere umfassende Monographie über diesen Zeitraum vor. Die bisher noch unveröffentlichte Dissertation von Elizabeth Wilson, Burning Bras, Long Hairs, and Dashikis: Personal Politics in American Culture, 1950-1975, liefert bereits wichtige Erkenntnisse zum Komplex Styling und und dessen Verhältnis zum Politischen. Wilson untersucht, wie Style im US-amerikanischen weißen Feminismus der Nachkriegszeit, in der radikalen weißen Antikriegsbewegung und in der afroamerikanischen Bürgerrechtsbewegung zur Konstitution einer politischen Identität genutzt wurde. Der Schwerpunkt ihrer Arbeit liegt auf der politischen Bedeutung von Mode in der weißen US-Gesellschaft, während ich den Akzent auf afroamerikanische Style Politics lege. Wilson beschränkt sich zudem in ihrer Materialanalyse auf gedruckte Quellen, die darüber hinaus fast ausschließlich auf bürgerliche Printmedien eingegrenzt werden. Dies kann, wie die Autorin auch einräumt,15 notwendigerweise nur einen begrenzten Ausschnitt über Styling wiedergeben. Insbesondere da Wilson alternative und linke Bewegungen untersucht, ist die Beschränkung auf Medien, die „von außen“ auf diese Organisationen schauten und ihnen gegenüber meist auch noch negativ eingestellt waren, problematisch. Aus diesem Grunde ziehe ich für diese Arbeit unveröffentlichte sowie von den betreffenden Organisationen wie
14 Shane White/Graham White: Stylin’. African American Expressive Culture from its Beginnings to the Zoot Suit, New York 1998. 15 Vgl. Elizabeth Wilson: Burning Bras, Long Hairs, and Dashikis: Personal Politics in American Culture, 1950-1975, unver. Diss, Chicago 2006, die schreibt: „This struggle [der Jugendlichen, sich selbst zu definieren und von der Mainstreamkultur abzusetzen, P.D] was captured in the underground press and fanzines, in memoirs and diaries, in music and on album covers, and in poetry and literature. Within these sources, among others, lies a great opportunity to complete the picture of how and why such a radical change occured in personal appearance in the 1960s.“ S. 337.
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der Black Panther Party, Us und der Nation of Islam selbst publizierte Quellen heran, um besser analysieren zu können, welche Entwürfe die Mitglieder der Organisationen von „authentischem“ Schwarzsein sowie Männlichkeit und Weiblichkeit hatten. Obwohl die Black Panther Party for Self-Defense inzwischen zunehmend Gegenstand von wissenschaftlichen Monographien geworden ist,16 liegen bislang kaum Untersuchungen vor, die den Style der BPP mehr denn kursorisch behandeln und als konstitutiv für eine Form der performativen Politik analysieren. Ausnahmen bilden ein Aufsatz von Tim Lake, der sich der Darstellung der Black Panther Party mit der Performativitätstheorie annähert, allerdings eher auf die Surrealisten André Breton rekurriert und auch Style nicht explizit untersucht.17 Die Monographie von Kelley Leigh Mills The Fashion and Anti-Fashion of the BPP adressiert die Rolle der Mode für die BPP, bezieht sich dabei allerdings nicht auf deren interne Dokumente.18 Sie zeichnet zudem ein monolithisches Bild vom Style dieser Organisation, so dass Auseinandersetzungen um Styling innerhalb der BPP ebenso wenig thematisiert werden wie beispielsweise die sogenannten Man Pants19 von Eldridge Cleaver, welche sehr aufschlussreich für Entwürfe von geschlechtlicher und „rassischer“ Identität in der Black Panther Party sind. Wichtige Ansätze liefert hingegen eine neuere Arbeit von Amy Ongiri über Spectacular Blackness, die den Blick auf den Einfluss der Black Panther Party und anderer Black Power-Organisationen auf afroamerikanische Literatur wie das Black Arts Movement, Musik und Film richtet.20 Die Organisation Us ist erst in jüngerer Zeit eingehender untersucht worden. Nach wie vor ist die Gruppe jedoch nicht gründlich genug erforscht. Dies liegt zum einen an der schwierigen Quellenlage: Die internen Dokumente von Us sind
16 Für einen Überblick über die neueste Literatur zur BPP bis 2007 vgl. David J. Garrow: Picking Up the Books: The New Historiography of the Black Panther Party, in: Reviews in American History 35, 4 (2007): S. 650-670. 17 Tim Lake: The Arm(ing) of the Vanguard, Signify(ing), and Performing the Revolution: The Black Panther Party and Pedagogical Strategies for Interpreting a Revolutionary Life, in: Jama Lazerow/Yohuru Williams (Hg.): In Search of the Black Panther Party. New Perspectives on a Revolutionary Movement, Durham 2006, S. 306-323. 18 Kelly Leigh Mills: The Political Fashion and Anti-Fashion of the Black Panther Party, unver. MA-Thesis, Fashion Institute of Technology, New York 2007. 19 Vgl. den Abschnitt „Walking Tall but Carrying it Big“: Eldridge Cleavers Man Pants in der vorliegenden Arbeit. 20 Vgl. Amy Ongiri: Spectacular Blackness. The Cultural Politics of the Black Power Movement and the Search for a Black Aesthetic, Charlottesville 2010.
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nur im Us Cultural Center in Los Angeles archiviert, dort allerdings nicht für die Öffentlichkeit zugänglich. An Primärquellen konnte ich nur auf ein Interview zurückgreifen, das ich mit dem Gründer von Us, Maulana Karenga, geführt habe. Eine erschöpfende Darstellung unter Hinzuziehung aller vorhandenen und möglicherweise relevanten Quellen war bedingt durch den eingeschränkten Zugang zum Material dadurch also entsprechend nicht gewährleistet. Die einzige bisher existierende Monographie von Scot Brown, Fighting for Us. Maulana Karenga and the Us Organization21 geht auf die Style Politics von Us nicht gesondert ein. Us wird zwar häufig in Darstellungen der Black Power-Bewegung kurz erwähnt, und es wird auf ihre farbenfrohe Kleidung hingewiesen. Inwiefern Styling für diese sich als Cultural Nationalist verstehende Gruppe konstitutiv war, wurde bisher jedoch noch nicht untersucht. Während die Literatur über die Nation of Islam in den letzten Jahren recht umfangreich geworden ist22, existieren bislang nur wenige Studien, die sich mit Mode im Allgemeinen und Style Politics im Besonderen auseinandersetzen. Positiv hervorgehoben werden muss das Buch Ain’t I a Beauty Queen. Black Women, Beauty, and the Politics of Race von Maxine Craig.23 Dort analysiert Craig die Auseinandersetzungen, die in den 1960er Jahren um schwarze Schönheit geführt wurden. Dabei diskutiert sie u. a. auch die NOI und deren Versuch, den schwarzen Körper zu „disziplinieren“. Sie legt hierbei die Betonung darauf, wie schwarze Schönheit in der Nation of Islam konzipiert wurde und weniger auf die von mir als Style Politics bezeichneten Praktiken. Die Studie von Edward Curtis Black Muslim Religion in the Nation of Islam, 1960-197524 konzentriert sich auf die Untersuchung der religiösen Aspekte der NOI und dem Vergleich mit und der Einbettung in die islamische Exegese. Curtis hat jedoch einen körpertheoretischen Zugang auf bestimmte Praktiken dieser Organisation und bezieht Fragen des Verhältnisses von Männlichkeit und Weiblichkeit in seine Arbeit mit ein. Insofern sind seine Überlegungen für meine
21 Vgl. Brown: Fighting for Us. 22 An neueren Arbeiten und für einen Überblick über die Literatur vgl u. a. Dennis Walker: Islam and the Search for African American Nationhood: Elijah Muhammad, Louis Farrakhan, and the Nation of Islam, Atlanta 2005; Ogbar: Black Power; Manning Marable: Malcolm X. A Life of Reinvention, New York 2011. 23 Maxine Craig: ‚Ain’t I A Beauty Queen? ދBlack Women, Beauty, and the Politics of Race, Oxford 2002. 24 Vgl. Edward Curtis: Black Muslim Religion in the Nation of Islam, 1960-1975, Chapel Hill 2006.
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Studie anschlussfähig, wenngleich ich eine stärkere Betonung auf Style Politics lege und dies meine Untersuchung der Nation of Islam grundlegend strukturiert. In den letzten Jahren hat die akademische Auseinandersetzung mit Blaxploitation-Filmen eine Reihe von interessanten Arbeiten hervorgebracht. Diese diskutieren vor allem Fragen von Geschlechterkonstruktionen in den jeweiligen Filmen. Stephane Dunn unternimmt es in Baad Bitches & Sassy Supermamas, zentrale Filme wie Foxy Brown, Cleopatra Jones und Coffy zu analysieren.25 Dabei hebt sie sich positiv sowohl von hagiografischen Versuchen ab, Blaxploitation als rein emanzipatives Genre zu lesen, welches ein positives Bild von African Americans zeichne, als auch von Interpretationen, die diese Filme als sexistisch und als Karikatur schwarzer Lebensrealität verdammen. Demgegenüber schlägt sie eine differenzierte Analyse vor, die sowohl problematische als auch progressive Elemente von Blaxploitation-Filmen herausstellt. Es besteht jedoch ein Forschungsdesiderat in Bezug auf Untersuchungen von Style Politics in diesem Genre. Auch hier zeigt sich, dass das Styling der Protagonist/innen zwar oftmals von Wissenschaftler/innen registriert, aber meist nur kursorisch kommentiert und keinem eingehenden Studium unterzogen wird. Das Verhältnis von Black Power-Bewegung und Blaxploitation betrachtet auch hier wieder Amy Ongiri in ihrem bereits erwähnten Buch Spectacular Blackness.26 Aber auch sie beachtet kaum, wie Styling in diesen Filmen eingesetzt wird. In meiner Studie werde ich deshalb mit dem Fokus auf Style Politics in Blaxploitation-Filmen einen bisher nicht ausreichend erforschten Bereich dieses Genres untersuchen. Damit kann ich zeigen, dass Style Politics auch in der Populärkultur einen wichtigen Stellenwert einnahmen und dort Fragen von geschlechtlicher und „rassischer“ Identität und Authentizität adressierten. Die Auseinandersetzungen um die Bewertung der Blaxploitation-Filme gibt darüber hinaus Aufschlüsse über Machtverhältnisse und gesellschaftliche Transformationsprozesse, die meine geschichtliche Studie über Style Politics in der Bürgerrechts- und Black Power-Bewegung ergänzt und ein breiteres Panorama eröffnet.
25 Stephane Dunn: ‚Baad Bitches & ދSassy Supermamas. Black Power Action Films, Chicago 2008. 26 Ongiri: Spectacular Blackness.
Zur Definition von Style Politics
In diesem Kapitel werde ich die theoretischen Grundlagen meiner Arbeit erläutern. Zunächst lege ich mein Verständnis von Style und dem Politischen dar. Danach behandle ich die Performativitätstheorie und diskutiere, inwiefern diese für eine Geschichtsschreibung afroamerikanischer Style Politics von 1943 bis 1975 fruchtbar gemacht werden kann. Ich greife dabei die Debatte um die Kulturgeschichte des Politischen auf, die seit den 1990er Jahren in der Geschichtswissenschaft im deutschsprachigen Raum mit zunehmender Vehemenz um die Frage der Definition des Politischen und des Kulturellen geführt wird. Mit der Verwendung des Begriffs Style Politics beziehe ich mich auf den britischen Kulturwissenschaftler Kobena Mercer, der in den frühen 1990er Jahren in seinem Aufsatz Black Hair/Style Politics diesen Terminus für den wissenschaftlichen Diskurs geprägt und erste Überlegungen dazu angestellt hat.1 Der Autor behandelt in diesem Text exemplarisch Auseinandersetzungen um das Styling von schwarzen Haaren in der Geschichte von African Americans, ebenso aber auch zeitgenössische Debatten über die gesellschaftspolitischen Implikationen von Kleidung und Bleichmitteln in der Öffentlichkeit. Mercer gibt allerdings in diesem Kontext keine konzise Definition von Style Politics, sondern erklärt den Begriff lediglich implizit durch seine Ausführungen. Im Anschluss daran hat Stuart Hall eine Definition von Style gegeben, die auch für die vorliegende Arbeit erkenntnisleitend sein soll. Er merkt in Bezug auf die schwarze Diaspora an: „Within the black repertoire, style – which mainstream cultural critics often believe to be the mere husk, the wrapping, the sugar coating on the pill – has become itself the subject of what is going on.“2 Während Style früher als etwas
1
Vgl. Kobena Mercer: Black Hair/Style Politics, in: ders.: Welcome to the Jungle. New
2
Stuart Hall: What is This „Black“ in Black Popular Culture?, in: Gina Dent (Hg.):
Positions in Black Cultural Studies, New York/London 1994, S. 97-128. Black Popular Culture, New York 1983, S. 21-33, hier: S. 27. H.i.O.
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Äußerliches, Oberflächliches angesehen wurde, habe sich dieser, so Hall, mittlerweile als ein zentraler Gradmesser für gesellschaftliche Prozesse erwiesen und wurde so zum Mittelpunkt des Interesses. Ich gehe in dieser Arbeit demnach von der Prämisse aus, dass Style zwar nicht das wichtigste und allein ausschlaggebende Element darstellt, um eine Gesellschaft zu begreifen. Er darf aber auch nicht als bedeutungslos vernachlässigt werden. Vielmehr sollen mit dem Fokus auf Style Erkenntnisse über Prozesse der Rassifizierung, der Vergeschlechtlichung, der Konstruktion von scheinbar „natürlicher“ sexueller Orientierung, des sozialen Status und der politischen Affiliation in der Geschichte der African Americans erlangt werden. Da das Styling am Körper vorgenommen wird, versteht sich diese Arbeit auch als ein Beitrag zur Körpergeschichte.
Z UM B EGRIFF S TYLE Das Wort Style wird – auch im deutschen Sprachraum – inzwischen für die unterschiedlichsten Phänomene verwendet. Im Deutschen wird der Begriff Stil meist im Zusammenhang mit Literaturwissenschaft und Rhetorik verhandelt, und erst in Verbindung mit spezifischeren Begriffen von Architektur-, Kleidungsoder Wohnungsstil gesprochen. Im anglophonen Bereich scheint Style jedoch zu einem catch-all Begriff zu werden. Er wird in vielen Zusammenhängen wie selbstverständlich gebraucht und als allgemeinverständlich vorausgesetzt, ohne dass jedoch ein Konsens darüber besteht, was Style ist. Stuart Ewen schreibt deshalb treffend: „Style today is an incongruous cacophony of images, strewn across the social landscape.“3 Diese konzeptionelle Breite macht deshalb eine Definition so schwierig, wie Stuart Ewen weiter ausführt: „Precisely because style deals in surface impressions, it is difficult to concretize, to discern its definitions. It forms a chimerical, yet highly visible corridor between the world of things and human consciousness.“4 Während Ewen die Definitionsschwierigkeiten von Style hier klar benennt, scheinen mir die Ebenen zwischen Dingwelt und Bewusstsein noch der Ergänzung der gesellschaftlichen Dimension zu bedürfen. Style ist ein soziales Verhältnis. Unter Style ließen sich neben der Musik, der Architektur oder des schriftlichen Ausdruckes beispielsweise Formen des Aussehens oder der Haltung analysieren, wie dies auch Ewen tut.
3
Stuart Ewen: All Consuming Images. The Politics of Style in Contemporary Culture,
4
Ewen: All Consuming Images, S. 22.
New York 1999, S. 14.
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UND
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BEI DER
VON
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B IRMINGHAM S CHOOL
Die zweifellos bekannteste Arbeit über Style stammt von Dick Hebdige. Dieser hat mit seiner inzwischen zum Klassiker avancierten Studie The Meanings of Style5 Subkulturen in Großbritannien untersucht. Hebdige unternimmt dort eine soziologische Analyse bestimmter Jugendgruppen wie der Teddy Boys, der Skinheads oder der Punks. Das Birmingham Center for Cultural Studies, welches sich in den 1970er Jahren mit Forschern wie Stuart Hall, Paul Willis oder dem besagten Dick Hebdige schwerpunktmäßig der Untersuchung von Jugendkultur widmete, betrachtete als ein wichtiges Analysefeld die verschiedenen Kleidungsstile, die sie als ein zentrales Kriterium für Jugendsubkulturen ausmachte. John Clarke, ebenfalls Mitarbeiter am Birmingham Center, veröffentlichte in dem Sammelband Resistance Through Rituals, der die Forschungsergebnisse des Instituts präsentierte, einen Beitrag über Style.6 Als Wesensmerkmal von Style sieht Clarke dessen Selbsterkennungswert, den Style einer Gruppe verleiht. „The important point here is that the group must be able to recognise itself in the more or less repressed potential meanings of particular symbolic objects.“7 Bestimmte Objekte, in diesem Fall Kleidungsstücke, Accessoires sowie Haarsteck- und Frisiertechniken werden so angeordnet, dass sie sowohl von Gruppenmitgliedern als auch von Außenstehenden als distinkt wahrgenommen werden. Sie konfigurieren Bekanntes neu, rekontextualisieren und rekreieren es, um einen bestimmten Stil zu erschaffen. Dieser Vorgang wird sowohl von Hebdige als auch von Clark als Bricolage bezeichnet. Mit diesem Begriff der Bricolage verweisen sie auf einen Gedanken des französischen Ethnologen und Begründers des Strukturalismus Claude LéviStrauss. Das Wort Bricolage leitet sich aus dem französischen „bricoler“ ab, was wörtlich übersetzt „basteln“ bedeutet. Gemeint ist bei Lévi-Strauss die Adaption materieller Elemente in die Alltagspraxis einer bestimmten Kultur.8 Hebdidge und Clarke benutzen den Bricolagebegriff jedoch, um damit Style zu konzeptualisieren. Dieser setzt sich ihnen zufolge aus verschiedenen Elementen zusammen, die unterschiedlichen Kontexten entspringen. Ein neuer Style wird kreiert, indem aus diversen Kleidungsstücken etwas „gebastelt“ wird, das sich signifikant durch die Neuzusammenstellung von den ursprünglichen Kontexten un-
5 6
Vgl. Dick Hebdige: Subcultures. The Meanings of Style, London 1979. John Clarke: Style, in: Stuart Hall et al. (Hg.): Resistance Through Rituals. Youth Subcultures in Postwar Britain, London 1991, S. 175-191.
7
Clarke: Style, S. 179.
8
Vgl. Claude Lévi-Strauss: Das wilde Denken, Frankfurt/Main 1968.
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terscheidet. Ein neuer Style ist somit eine Rekontextualisierung und Umdeutung einzelner Kleidungssignifikanten. John Clarke argumentiert in diesem Zusammenhang mit dem Begriff des oppositionellen Stils: „We […] are considering recently-current ‚unofficial ދstyles, where the stylistic core (if there is one) can be located in the expression of a partly-negotiated opposition to the values of the wider society.“9 Clarkes Stilbegriff ist damit explizit auf Subkulturen ausgerichtet und operiert mit der Dichotomie Konformität-Opposition. Die Subkulturen drückten demnach ihre Gegnerschaft gegen die etablierte Gesellschaftsordnung und deren Konventionen im Stil aus. Kritisch kann man gegen die Anwendung des Bricolage-Konzeptes auf Style anmerken, dass dieses mit dem Begriff des Originals, dem „original sign“ arbeitet. Ebenso deutet das obige Zitat von Clarke – obwohl vorsichtig mit Einschränkung formuliert – einen stilistischen „Kern“ an. Die strikte Gegenüberstellung von konformem und oppositionellem Style ist darüber hinaus m.E. zu statisch gedacht: Vielmehr will ich in der vorliegenden Arbeit an historischen Beispielen zeigen, dass sich Style nicht immer in diese Dichotomie pressen lässt, sondern es Verschiebungen, unterschiedliche Rezeptionsweisen von „konformem“ oder „oppositionellem“ Style gibt, die eine komplexere Konzeptualisierung erforderlich und eine Kontextualisierung des Style-Begriffes notwendig machen. Style erweist sich bei näherer Betrachtung als instabil, als in seiner Bedeutung unabschließbar. Ein überzeugender Ansatz der Birmingham School ist meiner Meinung nach die Betonung strukturell-ökonomischer Faktoren bei der Bildung und Veränderung von Style. John Clarke schreibt diesbezüglich in seinem Aufsatz: „The external relations and structuring principles which place the group in a specific situation do not simply disappear from the scene once the group-style exists, but continue as part of the determinate environment in which the group moves and acts.“10 Clarke verweist also auf die Interdependenz von Style und Gesellschaftsordnung sowie auf den historisch-politischen Kontext. „Style, we argued, cannot be seen in isolation from the group’s structure, position, relations, practices and self-consciousness.“11 Die Einbeziehung von ökonomischen Strukturdeterminanten, kurz Class, wird also im Stylekonzept der Birmingham School, wie sie Hebdige, Clarke und Hall vertreten, stark akzentuiert. Hebdige integriert in seine Stilanalyse auch Anregungen der Semiotik von Roland Barthes. Letzterer hatte in seinen Studien in streng strukturalistischer
9
Clarke: Style, S. 177.
10 Clarke: Style, S. 182. 11 Clarke: Style, S. 176-177.
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Manier das Phänomen der Mode mit der Opposition zwischen Signifikanten zu erklären versucht. Kleidungselemente erhielten ihre Bedeutung im Modesystem demnach einzig in Beziehung und Abgrenzung zu anderen Kleidungsstücken.12 Dies ist allerdings m.E. eine reduktionistische Erklärung. Barthes trifft kaum Aussagen zu Prozessen der Vergeschlechtlichung, die über Mode hergestellt werden, und auch Aspekte der Rassifizierung sowie der sozioökonomischen Positionierung über Mode werden von ihm vernachlässigt. Hebdige und Clarke betonen demgegenüber, dass Style immer in einem gesellschaftlichen Kontext existiert und somit in ökonomische Prozesse eingebunden ist. Spezifische Styles werden konsumiert und adaptiert. Auch die Styles der Subkulturen unterliegen damit der Kommodifizierung. Wenn Style im Alltagsverstand als Sphäre der Freizeitkultur verstanden wird, der sich außerhalb ökonomischer Zwänge bewege, so ist er doch gleichwohl in diese eingebunden.13 Welche Style-Elemente verfügbar sind, ist nicht zuletzt abhängig von den Preisen, die ein Kleidungsstück erschwinglich machen, so dass es später adaptiert und modifiziert werden kann. Das Stylekonzept der Birmingham-School, namentlich von Hebdige und Clarke, und ihr Paradigma des Resistance Through Style, liefert wichtige theoretische Anregungen, die für die vorliegende historische Arbeit zu Style Politics fruchtbar gemacht werden können. Insbesondere die Betonung, dass Style über ökonomische Verhältnisse Aufschluss zu geben vermag und das Augenmerk auf Kommodifizierungsprozesse sind wichtige Einsichten dieser Theorieströmung. Dies ist bei der Performativitätstheorie von Butler nicht reflektiert, wie ich später noch zeigen werde. Darüber hinaus wurde mit dem Resistance Through StyleKonzept ein Schwerpunkt auf die Analyse subkultureller stilistischer Interventionen in die Gesellschaft gelegt und untersucht, wie diese widerständiges Potential entfalten können. Kritisch ist jedoch die Konzeptualisierung des Politischen einzuschätzen, wie es im Resistance-through-Style-Theorem zum Ausdruck kommt. Oliver Marchart merkt zu Recht an, dass dies unter anderem der Konzeption von Subkultur der Birmingham School geschuldet ist: „Aufgrund der Struktur des eigenen Arguments war man nicht in der Lage, wirkliche Politisierung zu erfassen, denn solange man einen angeblichen Widerstand gegen eine angebliche ökonomische Kooptierung in den Mainstream postuliert, stellt sich die Frage nach der Übertragung aufs Makropolitische nicht. Was also der traditionellen Subkulturtheorie aufgrund ihrer reduktionistischen Tendenzen entging, war genau die Frage des
12 Vgl. Roland Barthes: Die Sprache der Mode, Frankfurt/Main 1985. 13 Vgl. Clarke: Style, S. 175.
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Politischen, das heißt die Frage nach der eigentlichen Formationslogik, auf deren Grundlage bestimmte implizite Formen von resistance-through-style in manifest politische Formen subkultureller Aktivität zu direkten Formen oppositioneller Aktion werden.“14
Marchart moniert hier, dass das Resistance-through-Style-Paradigma keine transformatorischen Elemente ausmachen könne, die von oppositionellen Alltagspraktiken zu einer gesamtgesellschaftlichen Veränderung führten. Wie Verwiegerungshaltung und Opposition zu gesellschaftlich hegemonialen Verhältnissen von Subkulturen im Stil nicht nur ausgedrückt werden, sondern wie diese visuell-materielle Kritik zu einem emanzipatorischen Moment wird und eine Transformation der Gesellschaft bewirken kann, bleibt unbeantwortet. Hebdige verbleibt also auf der Deskriptionsebene, die mikropolitische Verhältnisse analysiert, jedoch keine Verbindung zur gesamtgesellschaftlichen Sphäre herstellen kann. Marchart kommt deshalb bezüglich des Stylingkonzeptes der Cultural Studies zu dem ernüchterten Fazit: „So konnte Hebdige behaupten, die Herausforderung der hegemonialen Formation durch die Subkulturen werde von diesen ‚nicht direkt ދausgedrückt, sondern vielmehr indirekt, durch Stil. Statt zu direkter Aktion zu schreiten, konzentrierten sich die Subkulturen auf subversive ‚indirekte ދAktivitäten. […] Doch eine solch ‚indirekte ދArtikulationsform kann vernünftigerweise, jedenfalls aus makropolitischer Sicht, nicht ‚politisch ދgenannt werden, im besten Fall könnte sie konspirativ genannt werden [...]. Aber wie und warum sollten dann solch indirekte Aktionsformen sich je in Formen ‚direkter ދpolitischer Aktion wandeln? Das Resistance through Style-Paradigma kann, obwohl es eine politische Perspektive einzunehmen versucht, darüber letztlich genauso wenig Auskunft geben wie das 15
Paradigma der Post-subcultural Studies.“
Das Problem, welches Marchart hier benennt, hängt damit zusammen, dass Hebdige an einem Ausdrucksparadigma festhält. Er unterscheidet zwei Ebenen: die „eigentlich“ politische Sphäre sowie die Stilebene, in der sich erstere indirekt ausdrücke. Durch diese Zweiteilung ergibt sich das Problem jedoch überhaupt erst. Im Fall meiner Studie erweist sich deshalb die Konzeption des Subkulturstils nur als bedingt brauchbar. Denn ich untersuche die Style Politics der Black Power-Bewegung, also hauptsächlich von Aktivist/innen. Widerstand gegen Rassismus wird hier nicht nur indirekt über Style artikuliert, sondern es handelt sich um ein Ensemble von „mikro“- und „makropolitischen“ Statements und
14 Oliver Marchart: Cultural Studies, Konstanz 2008, S. 126. 15 Marchart: Cultural Studies, S. 126.
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Aktionsformen. Es muss hier allerdings auch betont werden, dass diese Unterteilung zwischen zwischen Mikro- und Makroebene problematisch ist, weil sich beide Bereiche nicht trennen lassen. Das scheinbar nur auf einer Mikroebene, im Alltagsleben sich Ereignende kann starke gesamtgesellschaftliche, „makropolitische“ Auswirkungen haben. So haben etwa alternative Paarbeziehungen, die von dem Modell der klassischen heteronormativen Kleinfamilie abweichen und damit Fragen nach dem Status beispielsweise der rechtlichen Anerkennung dieser Partnerschaften und ihrer Gleichsetzung mit der traditionellen Ehe von Mann und Frau aufwerfen, durchaus „makropolitische“ Wirkung. Zudem wird oftmals bei der Unterscheidung zwischen Mikro- und Makropolitik erstere abgewertet und als weniger wichtig dekretiert, während letztere als das Wesentliche gilt. Diese essentialistische Politikkonzeption soll hier vermieden werden. Soziale Konflikte drücken sich nicht indirekt im Stil aus, sondern werden genauso direkt wie bei Demonstrationen, Flugblättern, oder politischen Beschlüssen verhandelt. Aus diesem Grunde halte ich es für problematisch, das Konzept der „expressiven Kultur“ auf Style anzuwenden, weil es eine strikte Trennung zwischen einem eigentlichen Gehalt und dem, was „ausgedrückt“ wird, suggeriert. Style vermag wichtige Aufschlüsse über gesellschaftliche Machtverhältnisse zu geben. Nicht zuletzt artikulieren sich Kategorien wie Race, Gender und Class über Style. Gegen den Einwand, Style sei nur ein ephemeres Phänomen, dem deshalb keine erkenntniserweiternde Funktion innewohne, hält Dorinne Kondo zu Recht fest: „For many people on the margins, style is not merely superficial decoration but an arena for the production of potentially oppositional identities. Sometimes the body is the most available surface for inscribing resistance.“16 Kondo weist hier darauf hin, dass Style ein Schauplatz für die Entstehung alternativer Identitätsentwürfe ist, vor allem für gesellschaftlich marginalisierte Gruppen. Damit kommt Style eine wichtige Funktion zu, und er kann somit nicht auf ein bloßes Derivat „interner“, oberflächlicher Prozesse wie etwa persönliche modische Präferenzen reduziert werden. Race, Class, Gender und Sexualität artikulieren sich multidimensional auf dem Körper, dessen Element auch Style ist. Beide, Körper und Style, lassen sich nicht trennen. Wie lässt sich jedoch die gesellschaftspolitische Relevanz von Style bestimmen? Handelt es sich bei Style nur um ein äusserliches, ephemeres Phänomen, welches für politische Aussagen und gesellschaftliche Veränderungen nichts beizutragen hat? Sollte man also Ewens Bewertung zustimmen, dass Style zwar für
16 Dorinne Kondo: About Face. Performing Race in Fashion and Theater, New York/ London 1997, S. 105-106.
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viele Menschen relevant ist, aber nur oberflächlich etwas bewirkt? In Ewens Worten: „It is the most common realm of our society in which the need for a better, or different way of life is acknowledged, and expressed on a material level, if not met. It constitutes a politics of change, albeit a ‚change ދthat resides wholly on the surface of things. “17 Trotz dieses Aspektes des Wandels und der Veränderung, den Stuart Ewen unterstreicht, kommt dem Style auch als ein wesentliches Charakteristikum die Beständigkeit zu; ein bestimmter Style wird nur dadurch identifizierbar, dass er mehrere Elemente gemeinsam hat, die ihn von anderen Styles unterscheiden. Er oszilliert also zwischen den beiden Determinanten Beständigkeit und Wandel, so dass die Performativitätstheorie für eine theoretische Konzeptionalisierung von Style geeignet erscheint, weil diese genau jenes Spannungsverhältnis beschreibt. Es wird etwas aufgeführt und zitiert, dass jedoch niemals identisch performt wird, sondern immer Veränderungen unterliegt. Style ist damit schon allein dadurch politisch, dass es keinen „neutralen“, lediglich für die eigenen ästhetischen Vorlieben aussagekräftigen Modegeschmack gibt. Vielmehr bedeutet Style eine Positionierung in der Gesellschaft, die durch Kategorien wie Race, Gender und Class neben anderen strukturiert ist.
M ODE , K ÖRPER
UND
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In vielen neueren Arbeiten werden Style und Mode fast synonym verwendet. Rob Schorman schreibt beispielsweise: „Rather than make distinctions among terms such as ‚fashionދ, ‚costumeދ, ‚dress ދand ‚styleދ, I presume that even when these words are not exact synonyms, they exist in such a tight network that they cannot be studied separately.“18 Wenngleich Schorman die Ähnlichkeit von Begriffen wie Mode und Style zu Recht betont, möchte ich doch auf deren Unterschiede abheben und diese konzeptionell schärfer fassen. In den Theorien über Style im Allgemeinen und Mode im Besonderen fällt auf, dass beide meist als vom Körper unabhängig konzeptionalisiert werden. Mode wird beispielsweise als ein semiotisches System begriffen, das den Referenzrahmen abgibt, an dem sich der Kleidungsstil der meisten Menschen orientiere.19 Joanne Entwistle hat aber überzeugend gezeigt, dass Mode als übergeord-
17 Ewen: All Consuming Images, S. 16. 18 Rob Schorman: Selling Style. Clothing and Social Change at the Turn of the Century, Philadelphia 2003, S. 8. 19 Vgl. Barthes: Die Sprache der Mode.
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nete Kategorie und Kleidung als universelles Kennzeichen aller Menschen ein Mittel ist, dem Körper soziale Bedeutung zu verleihen.20 Insofern muss die Frage des Styles als ein Teil der Körpergeschichte begriffen werden.21 Ausgehend von den Arbeiten Michel Foucaults entstanden in den 1980er Jahren vermehrt Studien, die sich neuen Fragen der Historiografie widmeten. Die Körpergeschichte war hier eines der schnell expandierenden Felder.22 Unter letzterer wird „die Historisierung des und dies bedeutet der pluralen Körper in der Geschichte der Menschheit begriffen. Der physische Körper wird nicht als monolithische anthropologische Konstante verstanden, die nur durch die Brille (und schon da fragt sich welche?) der modernen Biowissenschaften erkannt werden kann. Körper – und dies bestätigt seine in vielen Sprachen multiple Bedeutung und Benennung – kann nur im Spektrum seiner sich wandelnden und teilweise gleichzeitig miteinander konkurrierenden Definitionen beschrieben und interpretiert werden.“
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In dieser Arbeit soll die Körper- mit der Modegeschichte zusammengeführt werden. Mit einer Untersuchung über Styling in den 1960er und 1970er Jahren will ich die Historizität von Körperkonzeptionen und -bildern herausarbeiten und dabei gleichzeitig analysieren, wie Style dazu beitrug, bestehende Vorstellungen von schwarzen und weißen Körpern herauszufordern und zu verändern. Wie wir auftreten, und wie wir von anderen wahrgenommen werden, hängt stark davon ab, in welchem gesellschaftlichen Kontext wir uns bewegen (z. B. bei einer Hochzeitsfeier, Beerdigung, Sportveranstaltung, Arbeitsplatz, etc.), in welchem regionalen Gebiet wir uns befinden, oder welchem Geschlecht wir uns zugehörig fühlen. Abgesehen von zwei kursorischen Nebenbemerkungen unterlässt es Joanne Entwistle in ihren Ausführungen jedoch, die Beziehungen von Style und Race zu erörtern.24 Wenn sie unter Rückgriff auf Bourdieu Stil als
20 Vgl. Joanne Entwistle: The Dressed Body, in: dies./Elizabeth Wilson: Body Dressing, Oxford/New York 2001, S. 33-58, hier: S. 36. 21 Vgl. zur Körpergeschichte Maren Lorenz: Leibhaftige Vergangenheit. Einführung in die Körpergeschichte, Tübingen 2000. 22 Vgl. Philipp Sarasin: Reizbare Maschinen. Eine Geschichte des Körpers 1765-1914, Frankfurt/Main 2001, S. 14-15: „Den Körper grundsätzlich als historische und soziale Tatsache zu begreifen, wagte die Geschichtswissenschaft erst seit den späten achtziger Jahren, sie fand damit Anschluss an eine breite kulturwissenschaftliche Debatte über das Verhältnis von Körper und Gesellschaft.“ 23 Lorenz: Leibhaftige Vergangenheit, S. 10-11. 24 Entwistle: The Dressed Body, vgl. bes. S. 46.
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Habitus begreift, d. h. als ein Set von Dispositionen, die uns vorhergehen, die wir aber immer wieder erneut abrufen und aktualisieren müssen, und Style somit bestimmt ist von Klassenposition und Geschlecht, verwundert es umso mehr, dass die Frage, wie Ethnizität Style prägt, so gut wie gar nicht thematisiert wird. Ebenso wie ein Style über die Klassenposition und das Geschlecht der Trägerin oder des Trägers in der Gesellschaft als bestimmte Kodizes Aufschluss geben kann, so ist ein bestimmtes Auftreten, eine Frisur, oder ein Kleidungsstil auch in bestimmten Hinsichten als Ausdruck für ethnische Zugehörigkeit interpretierbar. So werde ich mich in Kapitel zwei beispielsweise mit dem Zoot Suit befassen, einem in den USA der 1940er und 1950er Jahren vor allem unter Mexican aber auch unter African Americans populären Kleidungsstück. Allerdings kann nur immer wieder betont werden, dass Style keinen intrinsisch „ethnischen“, statusmäßigen oder geschlechtlichen Gehalt hat, sondern diesen immer erst in einem spezifischen und kontingenten Kontext erhält. Was zu einer bestimmten Zeit in der hegemonialen Lesart als ein „weiblicher“ Style der Mittelschicht gelesen wird, kann in einem anderen Kontext zum Signum eines „männlichen“ Styles der Unterschicht werden. Jean Allman ist deshalb zuzustimmen wenn sie in Bezug auf Kleidung sagt: „It is not possible to find a formula, a calculus of power and change over time, which determines the meaning of dress at any given historical juncture.“25 Dies macht die Untersuchung von Style Politics für eine historische Studie so reizvoll, weil mittels der zeitgenössischen Diskurse über Styling viel über die sich verändernden und unterschiedlichen Vorstellungen von Race, Class, Geschlecht und Sexualität zu erfahren ist, die in den unterschiedlichen Styles performiert und reimaginiert wurden. Style verstehe ich als ein Ensemble von stofflichen Accessoires, Gegenständen, aber auch Körperteilen, die eine bestimmte Identität performieren. Aus diesem Grunde untersuche ich in meiner Arbeit auch Hairstyle, weil über Haare bestimmte Diskurse artikuliert, visualisiert und eine bestimmte Form der Identität konstruiert werden. Da die Hautfarbe ein wichtiges Feld der Identitätszuschreibung ist und sie nicht nur im Kontext der Geschichte der African Americans eine eminente Bedeutung einnimmt, weil hierüber Differenzen und Zugehörigkeiten konstruiert werden, bezieht diese Arbeit auch Versuche ein, die Haut zu stylen, also artifiziell deren Aussehen zu verändern.26 Es gab in den USA un-
25 Jean Allman: Fashioning Africa: Power and the Politics of Dress, in: dies. (Hg.): Fashioning Africa. Power and the Politics of Dress, Bloomington/Indianapolis 2004, S. 1-10, hier: S. 6. 26 Es muss hier jedoch betont werden, dass ich einen dekonstruktiven Begriff von „Hautfarbe“ verwende, weil Menschen nicht von Natur aus eine „schwarze“ oder „weiße“
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ter African Americans schon früh Versuche und Beispiele dafür, die Hautfarbe zu beeinflussen und sie so zu verändern, dass sie nicht mehr ihre „natürliche“ Pigmentierung behielt. Die Hautbleich- und Haarglättmittel sind ein klares Indiz dafür, dass African Americans sich damit stylten, um einer anderen Identität Ausdruck zu verleihen. In den USA haben Versuche, Race dadurch zu performen, dass man sich eine andere Hautfarbe aufmalte, eine lange Tradition. Dominant war das in Theatherstücken des 19. Jahrhunderts und in Filmen aus der er’sten Hälfte des 20. Jahrhunderts sogenannte Blackface. Dies diente dazu, African Americans lächerlich zu machen, indem weiße Schauspieler sich ihr Gesicht dunkel anmalten und dann rassistische Vorstellungen über Schwarze darboten und karikierten.27 Seit den 1950er Jahren gab es auch alternative Versuche, mit Blackface zu erproben, wie stark die rassistische Diskriminierung von African Americans war. Beispielsweise tourte der weiße US-Amerikaner John Howard Griffin 1961 als African American geschminkt durch die Südstaaten der USA, um den alltäglichen Rassismus gegen Schwarze zu dokumentieren.28 Shirley Ann Tate benutzt in ihrer anregenden Studie über schwarze Schönheitskonzepte den Begriff stylization dafür, Veränderungen der Haut mithilfe von Bleichcremes, aber auch von Bräunungsmitteln zu beschreiben.29 Sie weist darauf hin, dass Styling eine performative Körperpraxis ist, die den Körper selbst erst konstituiert. „Schönheit“ ist damit etwas, was immer neu hergestellt und aufrechterhalten werden muss. Der Komplex Styling bedarf also der ständigen Wiederholung, um sich zu sedimentieren, so dass ein bestimmter Style als solcher erkennbar wird.
Hautfarbe haben, sondern dies eine gesellschaftliche Zuschreibung ist. Wie Susan Arndt hervorhebt: „‚Hautfarbenދ, so wie sie als Marker der Klassifizierung von Menschen gebraucht werden, sind nicht von Natur aus sichtbar, sondern ergeben erst Sinn im Kontext der Klassifikation von Menschen aus einer historisch gewordenen und auf der Grundlage ‚rassenދtheoretischer Theoreme hergestellten Sichtbarkeit.“ Susan Arndt: Hautfarbe, in: dies./Nadja Ofuatey-Alazard (Hg.): (K)Erben des Kolonialismus im Wissensarchiv deutsche Sprache. Ein kritisches Nachschlagewerk, Münster 2011, S. 332-342, hier: S. 333. Wenn ich in dieser Arbeit also die Begriffe „Schwarzsein“ und „Weißsein“ verwende, dann sind damit immer soziale Konstruktionskategorien gemeint. 27 Vgl. Eric Lott: Love and Theft: Blackface Minstrelsy and the American Working Class, New York 1993. 28 John Howard Griffin: Black Like Me, New York 1961. 29 Shirley Anne Tate: Black Beauty: Aesthetics, Stylization, Politics, Farnham 2009.
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Die Frage des Styles, die Judith Butler meist nur illustrativ zitiert, lässt sich mit der Performativitätstheorie m.E. sehr gut konzeptionell fassen. Ein bestimmter Style wird nämlich erst wirkmächtig durch das Tragen und über die entsprechende Performanz, die ihn als einen männlichen oder weiblichen Style, jugendlich oder gesetzt, rassifiziert als „Black Style“ oder „White Style“ erkennbar werden lässt. Deshalb schlage ich vor, die Performanz von Style als Styling zu fassen. Begrifflich macht dies deutlich, dass es nicht nur um eine Ansammlung von Kleidungsstücken geht, sondern Style performt werden muss; Style hat also immer nur bei bestimmten Träger/innen und in bestimmten Kontexten eine spezifische Wirkung. Dieses Styling mithilfe von Kleidungsstücken, durch Frisiertechniken oder durch Alteration der Hautfarbe kann nicht ohne den spezifischen Körper selbst gedacht werden. Styling kann in Anschluss an Foucault als eine Technologie des Selbst beschrieben werden, in der sich das Subjekt mithilfe von Kleidungsstücken, Accessoires oder anderen äußerlichen Veränderungen am Körper Subjektivierungsprozessen unterwirft.30 Gleichzeitig ist Styling aber auch ein aktives Handeln, mit dem auf ein Ensemble von gesellschaftlichen Konventionen und Erwartungen in Bezug auf den Körper reagiert wird. Dabei muss Styling nicht zwangsläufig die Werte und Normen des tragenden Individuums reproduzieren, sondern dieses kann sich situativ und temporär über Style gesellschaftlichen Konventionen unterordnen, ohne dabei die in der hegemonialen Lesart mit diesem Styling ausgedrückten Werte internalisiert zu haben. In jedem Fall reagiert aber Styling – ob affirmativ oder ablehnend – auf soziale Machtverhältnisse und kann sich nicht außerhalb dieser stellen. Schließlich ist auch die immerwährende Instabilität des Stylings zu erwähnen: Dieses ist offen für unterschiedliche Lesarten. Zwar gibt es hegemoniale Angebote, ein spezifisches Styling zu lesen, wie beispielsweise die Irokesenfrisur der Punks als antikonformistisch und rebellisch. Die Lesart kann sich aber in einem neuen Kontext ändern, so dass die gleiche Frisur, beispielsweise getragen von einem Popstar in den 2000er Jahren, als modisch oder gar als dem Mainstream angepasst interpretiert werden kann.
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Im Folgenden sollen kurz zentrale Ergebnisse der Geschlechterforschung vorgestellt werden. Dies ist als theoretische Grundlage notwendig, um zum einen dar-
30 Vgl. Michel Foucault: Technologien des Selbst, in: ders. et al. (Hg.): Technologien des Selbst, Frankfurt/Main 1993, S. 24-62.
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stellen zu können, wie über Styling geschlechtliche Identitäten inszeniert und verhandelt werden. Zum anderen bezieht sich Judith Butlers Performativitätstheorie, die für meine Konzeption von Styling wichtig ist, kritisch auf die Anfänge dieser Geschlechterforschung. Deshalb ist deren Skizzierung erforderlich, um zeigen zu können, inwiefern Butler über diese frühen Theorien hinausgeht und diese weiterentwickelt. Die feministische Forschung hat im anglophonen Bereich mit der Unterscheidung zwischen natürlichem Geschlecht, als Sex, und sozial konstruierten Geschlecht, als Gender die Sozialwisssenschaften stark beeinflusst. Gender ist spätestens seit den 1980er Jahren als eine Analysekategorie eingeführt worden, um einen naturalistischen Begriff von Geschlecht zu vermeiden. Joan Scott konzepualisierte in einem einflussreichen Aufsatz diesen Begriff. Sie schreibt: „As meaning systems, subjective identities are processes of differentiation and distinction, requiring the suppression of ambiguities and opposite elements in order to ensure (create the illusion of) coherence and common understanding. [...] In addition, conscious ideas of masculine or feminine are not fixed, since they vary according to contextual usage.“
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Scott weist hier darauf hin, dass die Annahme einer eindeutigen Identität, bezogen auf Geschlechterzugehörigkeit (aber dies gilt auch für andere Kontexte) problematisch ist. Denn Ambivalenzen und Mehrdeutigkeiten werden dabei negiert, damit eine kohärente, eindeutige Identität konstruiert werden kann. Es zeigt sich aber, dass Attribute wie „männlich“ oder „weiblich“ sozialen Konstruktions- und Normierungsprozessen unterliegen. Was als spezifisch weibliche Tätigkeiten, als weibliches Aussehen und damit, für diesen Kontext, als weibliches Styling oder als feminine Mode angesehen wird, ist abhängig von den gesellschaftlichen Verhältnissen. Die Vorstellung von Weiblichkeit bekommt den Anschein von Natürlichkeit, wenn sie durch Anerkennung bestimmter Verhaltensweisen und Normierungen gesellschaftlich hegemonial wird, und ein Verstoß gegen diese Erwartungshaltungen sozial sanktioniert wird. Auch Männlichkeit ist als Geschlechteridentität gesellschaftlich produziert durch Anrufung bestimmter Normen, die erfüllt werden müssen.32
31 Joan Scott: Gender: A Useful Category of Historical Analysis, in: dies. (Hg.): Feminism and History, New York 1996, S. 152-180, hier: S. 163. 32 Erst seit einigen Jahren wird auch Männlichkeit vermehrt wissenschaftlich untersucht: vgl. dazu Jürgen Martschukat/Olaf Stieglitz: ‚Es ist ein Junge! ދEinführung in die Geschichte der Männlichkeiten in der Neuzeit, Tübingen 2005; Bruce Dorsey: ‚Add Men and Stirr? ދMännlichkeiten in geschlechterhistorischer Lehre und Forschung, in: Jür-
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Weiblichkeit und Männlichkeit können nur relational gedacht werden, weil das eine immer auf das andere verweist: Was in einer Gesellschaft als „weiblich“ angesehen wird, besitzt dieses Attribut nicht an sich, sondern weil es gleichzeitig nicht-männlich ist. Gleiches gilt umgekehrt für „männlich“: Diese Kategorie konstituiert sich erst in Abgrenzung zu „weiblich“. Diese gesellschaftlich produzierte Geschlechterdichotomie verdeckt jedoch, dass es immer graduelle Abstufungen dessen gibt, was in einer Gesellschaft als „männliche“ oder „weibliche“ Attribute angesehen wird, und auch Merkmale des jeweils „anderen“ Geschlechts in unterschiedlicher Ausprägung bei jedem Menschen vorhanden sind. Zudem kann es nicht die Männlichkeit oder die Weiblichkeit im Singular geben, weil diese beiden allgemeinen Begriffe, die die Geschlechteridentität fassen sollen, auf Realitäten verweisen, die historisch und kulturell äußerst verschieden und somit kontingent sind. Es handelt sich vielmehr um mehrdeutige Begriffe, die eine bestimmte soziale Konstruktion in einem spezifischen gesellschaftlichen Kontext beschreiben, die von anderen Faktoren überdeterminiert sind. Race, Class, Gender, sexuelle Orientierung, Gesundheit und anderes spielen bei der Konstitution von Geschlechteridentität eine Rolle. Der von der US-amerikanischen Juristin Kimberlé Crenshaw geprägte Begriff der Intersektionalität hat sich vielfach in den Sozialwissenschaften durchgesetzt, um diese multiplen Machtverhältnisse gleichzeitig in den Blick zu nehmen.33 Die Intersektionalitätsanalyse bietet sich an, um die unterschiedlichen Dimensionen zu erfassen, die in einer Gesellschaft Identität strukturieren. Die Betrachtung von Männlichkeiten und Weiblichkeiten muss jedoch hierbei historisiert werden, um die Spezifizität und Kontingenz dieser Geschlechterentwürfe herausarbeiten zu können.34 Um Prozesse der Konstruktion und Dekonstruktion von Geschlechteridentität zu analysieren, bietet sich wiederum Style an, weil über diesen auch hegemoniale Geschlechterzuschreibungen abzulesen sind und Auseinandersetzungen darüber, was „männlich” und was „weiblich“ ist, oftmals über die Kleidung ausgetragen werden.
gen Martschukat/Olaf Stieglitz (Hg.): Väter, Soldaten, Liebhaber: Männer und Männlichkeiten in der Geschichte Nordamerikas. Ein Reader, Bielefeld 2007, S. 27-42. 33 Vgl. Kimberlé Crenshaw: Demarginalizing the Intersection of Race and Sex: A Black Feminist Critique of Antidiscrimination Doctrine, Feminist Theory and Antiracist Politics, in: The University of Chicago Legal Forum 139 (1989): S. 139-167. 34 Vgl. hierzu Olaf Stieglitz: Rezension zu: Winker, Gabriele; Degele, Nina: Intersektionalität. Zur Analyse sozialer Ungleichheiten, Bielefeld 2009, in: H-Soz-u-Kult, 30.10.2009.
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Es lässt sich beobachten, dass Beiträge zur Körpergeschichte häufig Mode ignorieren und jenen Fragen, wie diese tatsächlich Körperbilder und -identitäten beeinflusst, letztlich nicht nachgehen. Auf der anderen Seite gehen Studien zu Mode in der Regel nicht auf die Interdependenz zum Körper ein und ignorieren, wie beide im Verhältnis zueinander stehen.35 Genau dies ist ein zentraler Aspekt der vorliegenden Arbeit.
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Die in der feministischen Literatur der 1980er Jahre noch hegemoniale These vom Unterschied von Sex und Gender wird von Judith Butler in ihrem Buch Gender Trouble radikal kritisiert. Die Differenz von biologischem Geschlecht und Geschlechteridentität, die die französische Philosophin Simone de Beauvoir auf die prägnante Formel brachte, man werde nicht als Frau geboren, sondern zur Frau gemacht, die sie in ihrem Buch Das andere Geschlecht: Sitte und Sexus der Frau, formuliert hatte, zuvor in der Feministischen Theorie als innovativ gegolten.36 Für historische Untersuchungen war diese These, dass „[…] ‚Frau ދund damit jede Geschlechterzugehörigkeit eher eine geschichtliche Situation als ein Faktum ist“37, produktiv: Es konnten damit Analysen angestoßen werden, die die Kontingenz und Wandelbarkeit von Geschlechteridentitäten herausstellten. Butler radikalisiert jedoch de Beauvoirs These von der Konstruiertheit der Frau: Nach ihr gibt es kein ahistorisches, gesellschaftlichen Prozessen vorgängiges biologisches Geschlecht, auf dem dann ein soziales Geschlecht, eben Gender, ruhen würde. Die sex/gender-Dichotomie ist für sie damit obsolet: „The sex/gender distinction and the category of sex itself appear to presuppose a generalization of ‚the body ދthat preexists the acquisition of its sexed significance. This ‚body ދof-
35 „While literature on the body has so far almost entirely ignored fashion, literature on fashion has generally ignored the body.“ Joanne Entwistle: The Fashioned Body. Fashion, Dress and Modern Social Theory, Cambridge/Malden 2000, S. 40. 36 Simone de Beauvoir: Das andere Geschlecht: Sitte und Sexus der Frau, Hamburg 1951. 37 Judith Butler: Performative Akte und Geschlechterkonstitution. Phänomenologie und feministische Theorie, in: Uwe Wirth (Hg.): Performanz: Zwischen Sprachphilosophie und Kulturwissenschaften, Frankfurt/Main 2002, S. 301-320, hier: S. 303.
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ten appears to be a passive medium that is signified by an inscription from a cultural source figured as ‚external ދto that body.“
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Butler bestreitet also, dass es dieses biologische Geschlecht unabhängig von gesellschaftlichen Prozessen der Performanz, der Diskursivierung und der Zuschreibung geben würde: „The body posited as prior to the sign, is always posited or signified as prior.“39 Der Körper, so Butler weiter, ist damit immer schon in einen Prozess der Signifikation eingebunden. Dass er als „unberührt“, „natürlich“ gilt, und erst danach sozialen Konstruktionsprozessen ausgesetzt sein soll, verwirft sie als selbst schon eine gesellschaftliche Konstruktion. Das Geschlecht des Körpers ist deshalb auch nicht etwas „Gegebenes“, sondern es wird über bestimmte, gesellschaftlich legitimierte Zuschreibungen zugewiesen. Vergeschlechtlichung ist demnach ein Prozess, der gesellschaftlich hergestellt wird, ein Tun. Butler spricht deshalb auch von einem doing gender: es gibt kein festes biologisches Substrat, das von diesem doing ausgenommen wäre. Den performativen Charakter von Geschlecht und eine mögliche Verbindung mit der Konzeptualisierung von Style deutet Judith Butler an einer Stelle an, in der sie Gender als Akt beschreibt: „As in other ritual social dramas, the action of gender requires a performance that is repeated. This repetition is at once a reenactment and reexperiencing of a set of meanings already socially established; and it is the mundane and ritualized form of their legitimation. […] Gender ought not to be construed as a stable identity or locus of agency from which various acts follow; rather, gender is an identity tenously constituted in time, insti40
tuted in an exterior space through a stylized repetition of acts.“
38 Judith Butler: Gender Trouble. Feminism and the Subversion of Identity, New York 1990, S. 164. 39 Judith Butler: Bodies that Matter. On the Discursive Limits of ‚Sexދ, New York/London 1993, S. 30. 40 Butler: Gender Trouble, S. 178-179. Moya Lloyd betont, dass Butlers Performativitätskonzept sich in vielerlei Hinsicht von einer Sozialisationstheorie unterscheidet, vor allem dadurch, dass Butler die Vorstellung zurückweist, es gäbe einen doer behind the deed. Vgl Moya Lloyd: Judith Butler. From Norms to Politics, Cambridge/UK 2007, S. 48. Zur Unterscheidung des Butlerschen Performativitätskonzepts zum doing gender der Ethnomethodologie vgl. auch Maren Möhring: Performanz und historische Mimesis: Die Nachahmung antiker Statuen in der deutschen Nacktkultur, 1890-1930, in: Jürgen Martschukat/Steffen Patzold (Hg.): Geschichtswissenschaft und „performa-
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Gender konzipiert Butler also als stilisierte Wiederholung von Akten und integriert damit einen Stilbegriff, der für die vorliegende Untersuchung aufschlussreich ist. Denn hier wird der Körper mit einbezogen. Die starre Dichotomie zwischen Körper und Mode, die in vielen Arbeiten zu beobachten ist, lässt sich deshalb mit einem performativitätsinformierten Stylebegriff umgehen. Mit Butler kann man somit den Style-Begriff erweitern: Nicht nur die bestimmte Art und Wiese, in der Kleidung angeordnet wird, so dass ein distinkter Style entsteht, sondern das gesamte Ensemble des Körpers muss betrachtet werden. Style lässt sich in einer konsequenten Anwendung, die die Performativitätstheorie ernst nimmt, weder vom Körper, noch von der Kleidung, noch vom Auftreten trennen. Man könnte in Abwandlung des feministischen Diktums vom doing gender somit vom doing style sprechen. Aus dem o.g. Zitat von Butler wird auch deutlich, dass Style für sie zumindest konzeptionell historisch gedacht wird. Der Performativitätsansatz von Butler eröffnet auch Anregungen für eine neue Art der Historiografie, die den Körper in seiner Veränderbarkeit begreift. Denn die sekundären Geschlechtsmerkmale sind gesellschaftlich determiniert, d.h. ein Mann oder eine Frau wird als eine solche, als ein solcher identifiziert, wenn er oder sie über die entsprechenden normativ vorgegebenen und strikt dichotom konstruierten Marker verfügen. An sich sind diese biologischen Fakten jedoch nicht losgelöst von ihrer diskursiven gesellschaftlichen Thematisierung zu betrachten: Was als „naturgegeben“, „unhistorisch“ und „unwandelbar“ erscheint, erweist sich als von gesellschaftlichen Prozessen affiziert und historischen Wandlungsprozessen unterworfen. Auf den Kontext Style angewendet bedeutet dies, dass die materielle Faktizität eines Gegenstandes, beispielsweise ein Mini-Rock, keine intrinsische gesellschaftliche Bedeutung hat, also nicht von vornherein geschlechtlich kodiert ist. Eine bestimmte Konnotation wird einem Kleidungsstück erst dadurch verliehen, dass es wiederholt von Menschen getragen wird und eine bestimmte Lesart, beispielsweise als weiblich oder „aufreizend“ hegemonial wird. Dies kann sich je nach Kontext jedoch wandeln, was das Beispiel des Drag verdeutlicht, wo etwa der Mini-Rock, meist als weiblich interpretiert, nun beispielsweise von Männern getragen wird. Den Begriff der Performativität unterscheidet Butler klar von dem der Performanz. Ersteren gewann sie durch die Rezeption verschiedener Theorieströmungen.41 Performativität ist für Butler unabdingbar mit Zeitlichkeit verbunden
tive turn“. Ritual, Inszenierung und Performanz vom Mittelalter bis zur Neuzeit, Köln 2003, S. 255-286, hier: S. 258. 41 Judith Butler: Für ein sorgfältiges Lesen, in: Seyla Benhabib et al. (Hg.): Der Streit um Differenz. Feminismus und Postmoderne in der Gegenwart, Frankfurt/Main 1993,
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und in ihrem Verständnis deshalb klar zu trennen von der singulären Performance, wie aus der nachfolgenden Textstelle hervorgeht: „Performativity is thus not a singular ‚actދ, for it is always a reiteration of a norm or set of norms, and to the extent that it acquires an act-like status in the present, it conceals or dissimulates the conventions of which it is a repetition.“42 Performativität eröffnet Butler eine neue Sicht auf den Körper: Dieser konstituiert sich erst in der Aufführung der wiederholten Akte, ist nach Maren Möring „Produkt einer sedimentierenden Praxis“.43 Es handelt sich dabei um eine Repetition, also in Anlehnung an Jacques Derrida44 um eine Zitation bestimmter Normen und Gesten, die durch die Wiederholung sedimentiert werden und somit den Anschein der Natürlichkeit erhalten. Die Gewordenheit nicht nur von Gender sondern auch vom scheinbar natürlichen Geschlecht herauszustellen, und deren Historizität zu analysieren, wird bei näherer Betrachtung zu einem eminent politischen Unterfangen. Denn dass etwas, was als natürlich erscheint, erst durch Prozesse eine bestimmte Form angenommen hat, ist der erste notwendige Schritt, um diese scheinbare Festigkeit wieder aufbrechen und dekonstruieren zu können. Mit der Einbeziehung von Style kann diese Historizität des Körpers noch stärker akzentuiert werden, da der beständiger Veränderung unterworfene Style darauf hindeutet, dass sich ästhetische Vorstellungen wandeln. Butlers theoretische Position begreift Geschlecht als politische Kategorie, weil dies mit Naturalisierungsprozessen einhergeht, die eine Gesellschaft als binär strukturieren, damit als heterosexuell begreifen, und somit eine gewaltsame Vereindeutigung vornehmen.45 Auch beim Style kann dies beobachtet werden: Ein bestimmtes Styling dient oftmals der Unterstreichung einer spezifischen
S. 122-132, hier: S. 123: „Der Begriff ‚Performativitätދ, so wie ich ihn verwende, kommt von J. L. Austins How to do Things with Words und ist durch die Lektüre von Derridas ‚Signature, Event, Context ދin Limited, Inc. gegangen, sowie durch Paul de Mans Begriff der ‚Metalepsisދ, wie er in seinen Aufsätzen zu Nietzsche in den Allegorien des Lesens formuliert wird.“ 42 Butler: Bodies That Matter, S. 13. Vgl. auch S. 234, wo Butler unmißverständlich schreibt: „The reduction of performativity to performance would be a mistake.“ 43 Möhring: Performanz und historische Mimesis, S. 258. 44 Derrida verwendet den Begriff der Iteration. Vgl. Jacques Derrida: Signature, Evenement, Contexte, in: ders.: Marges de la Philosophie, Paris 1972, S. 365-393, bes. S. 382-384. 45 Vgl. Gill Jagger: Judith Butler. Sexual Politics, Social Change and the Power of the Performative, London/New York 2008, S. 29.
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Identität. Meist wird in der Mode geschlechtliche Eindeutigkeit gefordert. Drag ist ein Beispiel dafür, wie diese scheinbare Eindeutigkeit irritiert werden soll.
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Das Beispiel des Drag erscheint mir für den theoretischen Hintergrund dieser Arbeit besonders gewinnbringend, geht es doch um die Performanz und Inszenierung einer Identität mittels Kleidung, und damit auch um Style. Butlers Illustration ihres Performativitätsansatzes mit Drag wurde vielfach missverstanden. Sie betont an verschiedenen Stellen, dass Drag nicht ausschließlich und per se Subversion bedeuten würde, sondern sie führt dies lediglich als ein Beispiel unter vielen an. Jedoch wurde von vielen Kritiker/innen genau diese Konzeption von Drag angegriffen. Wenngleich Butler unterstreicht, dass sich ihr Buch Gender Trouble von anderen Publikationen in den 1990er Jahren unterscheide, weil sie eben nicht die These vertrete, Kleidung würde die Frau „machen“,46 ist die Performativitätstheorie zwar breiter anwendbar, lässt sich aber m.E. gerade auf dem Gebiet der Style Politics fruchtbar anwenden. Gleichzeitig insistiert Butler auf der Komplexität der Kategorie Gender, die sich nicht auf das Tragen bestimmter „Geschlechterrollen“ reduzieren lasse; vielmehr wird der Begriff der Rolle von ihr abgelehnt, weil dieser impliziert, dass diese Rollen für sich feststehend sind.47 Die Performativitätstheorie geht demgegenüber davon aus, dass Geschlechternormen gesellschaftlich legitimiert und akzeptiert werden, immer jedoch auch Gegenstand von Auseinandersetzungen und Kämpfen um Hegemonie sind. Ein zentraler Vorwurf gegen Butler lautet, sie würde ein unterkomplexes und naives Verständnis von Gesellschaft und deren Bewegungsgesetzen haben, weil sie annehme, durch ein Umstylen des Körpers mit Drag könnten radikale Veränderungen des sozialen Gefüges gezeitigt werden. Gegen diesen Voluntarismusvorwurf betont Butler noch einmal den Unterschied zwischen Performanz und Performativität. Nur weil ihre Kritiker/innen beide Konzepte konfundierten, könne der Eindruck entstehen, Drag wäre ein voluntaristischer Akt der Subversion, mit dem gesellschaftliche Machtverhältnisse außer Kraft gesetzt würden:
46 Butler: Gender Trouble, S. 231. 47 Vgl. zur Kritik an der Rollentheorie Raewyn Connell: Die Wissenschaft von der Männlichkeit, in: Hans Bosse/Vera King (Hg.): Männlichkeitsentwürfe. Wandlungen und Widerstände im Geschlechterverhältnis, Frankfurt/Main/New York 2000, S. 1728.
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„Drag is not unproblematically subversive. It serves a subversive function to the extent that it reflects the mundane impersonations by which heterosexually ideal genders are performed and naturalized and undermines their power by virtue of effecting that exposure. But there is no guarantee that exposing the naturalized status of heterosexuality will lead to its subversion.“48
Butler macht hier deutlich, dass Drag ein subversives Potential birgt, dies aber nicht notwendigerweise realisiert wird. Drag Kings und Queens sind für Butler exemplarische Beispiele dafür, wie die gesellschaftlichen Geschlechterzuschreibungen irritiert werden können.49 Denn hier wird eine geschlechtliche Rolle inszeniert, die scheinbar in Dissonanz mit dem „natürlichen“ Geschlecht steht. Nach Butler verdeutlicht Drag, dass selbst unsere als natürlich imaginierte Geschlechteridentität eine performative Inszenierung ist, die beständig reiteriert werden muss und auch „misslingen“ kann, indem wir nicht als das (an)erkannt werden, was wir sein möchten. Aber selbst wenn die Performanz einer Geschlechteridentität bei Drag funktioniert, bedeutet dies für Butler nur, dass „natürliches“ Geschlecht imitiert werden muss. Diese Imitation und Inszenierung findet jedoch auch beim „normalen“ tagtäglichen Styling von Männern und Frauen statt. Kleidung wird dann z.B. als nicht angemessen in einem bestimmten Kontext interpretiert und sanktioniert, wenn etwa ein Mann einen Mini-Rock tragen würde, während er seiner Arbeit als Bankberater nachgeht. Kritikwürdig erscheint mir bei Butler allerdings, dass sie einen undifferenzierten Begriff des Politischen verwendet. Ihre Analysen von Normierungsprozessen sind m.E. sehr plausibel. Im Anschluss an Michel Foucault zeigt sie, wie Subjektivierungsstrategien funktionieren. Sexualität und Vorstellungen über geschlechtliche Identität können so als produziert begriffen werden, als nicht natürlich, sondern erst über beständige Anrufungen von Normen geschaffen, die performativ sedimentiert werden. Aber auch wenn Butler ihre Drag-Konzeption modifiziert, so sind ihre Beispiele und Vorschläge für politische Aktions- und
48 Butler: Bodies that Matter, S. 231. 49 Butler weist in dem Vorwort der Neuausgabe von Gender Trouble von 1999 darauf hin, dass Drag von ihr als ein Beispiel von Subversion und politischer Intervention angeführt wurde, und nicht als notwendigerweise das wichtigste oder ausschließliche: „It would be a mistake to take it as the paradigm of subversive action or, indeed, as a model for political agency.“ (Judith Butler: Preface 1999, in: dies. Gender Trouble S. xxii). Vgl. auch Lloyd: Judith Butler, S. 55-56.
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Subversionsformen dennoch sehr stark beeinflusst von LBGT50-Aktivist/innen und verbleiben in dieser Matrix. 51 Die Strukturkategorie Class kommt darüber hinaus m.E. bei ihr zu kurz. Wie genau geschlechtliche Subjektivierungsweisen in einer Gesellschaft, die von ökonomischen Zwängen strukturiert und determiniert wird, von dieser affiziert werden und wiederum auf diese einwirken, wird bei Butler kaum thematisiert. Eine intersektionale Analyse, die nicht nur Gender, Sexualität und Race berücksichtigt, sondern auch Class miteinbezieht und diese Strukturkategorie anhand konkreter historischer Beispiele durchführt, existiert bei Butler nur als Postulat. Eine gute Kritik an Butler, die in eine ähnliche Richtung geht, formuliert Moya Lloyd. Sie moniert bei Butler eine zu undifferenzierte Konzeption des Sozialen. Darüber hinaus vernachlässige sie eine Untersuchung politischer Institutionen und gesamtgesellschaftlicher Praxen, die auf der Makroebene angesiedelt sind. Sie konzentriere sich auf die Bedingungen der Möglichkeit von Resignifikation, ohne ausreichend darauf einzugehen, welcher Art die spezifischen historischen Umstände sind, aus denen die jeweiligen Resignifikationen hervorgehen. Während die Analyse von Subjektivierungsprozessen also sehr elaboriert ist, bleibt die Einbeziehung von gemeinhin auf der „Makroebene“ verorteten Phänomenen zumindest in den frühen Schriften von Butler wie Gender Trouble und Bodies That Matter unzureichend, weil sie einen zu engen und ungenauen Begriff des Sozialen vertritt.52 Die vorliegende Monographie unternimmt nun den Versuch, über die historische Analyse von afroamerikanischem Styling in den USA der Nachkriegszeit genauer zu belegen, wie sich Vorstellungen von Körperlichkeit, Vergeschlechtlichung und Rassifizierungsprozesse manifestieren und verändern. Der Performativitätsansatz ist, angestossen durch Butler, insbesondere in den Gender Studies stark rezipiert worden. In der Geschichtswissenschaft wird die Performativitätstheorie bisher jedoch nur zaghaft aufgenommen und auf historische Analysen angewendet.53 Maren Möhring hat in ihrer Studie zur Nacktkultur in Deutschland den Begriff der historischen Mimesis geprägt.54 Mit diesem Begriff betont Möhring den zeitlichen Aspekt, der in dem Konzept der Performativität
50 Lesbian Bisexual Gay and Transgender. 51 Vgl. Lloyd: Judith Butler, S. 56. 52 Vgl. Lloyd: Judith Butler, S. 125. 53 Vgl. Jürgen Martschukat/Steffen Patzold: Geschichtswissenschaft und „performative turn“. Einleitung, in: dies. (Hg.): Geschichtswissenschaft und „performative turn“, S. 1-32. 54 Möhring: Performanz und historische Mimesis, S. 260.
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implizit schon angelegt ist. Denn die Wiederholung und Reinszenierung einer Handlung verweist immer schon zurück, bezieht sich somit auf die Vergangenheit. Neben der Einbeziehung der historischen Dimension in eine Theorie der Performativität bedarf diese darüber hinaus auch noch des Konzeptes der Hegemonie. Denn damit wird zu der zeitlichen Komponente noch der Aspekt der je nach Kräfteverhältnissen sich ändernden Wirkmächtigkeit von Machtkonstellationen hinzugefügt. Das Konzept der Hegemonie soll im Fogenden vorgestellt werden, weil es für meine theoretische Konzeptionalisierung von Style Politics eine wichtige Funktion einnimmt.
H EGEMONIE Historische Arbeiten, die hegemonietheoretisch informiert sind, sind bisher noch selten. Jackson Lears hat allerdings schon sehr früh in einem Aufsatz Antonio Gramscis Hegemonietheorie für historische Untersuchungen fruchtbar zu machen versucht.55 Das Konzept der Hegemonie hat den Vorteil, dass es nicht von einer monolithischen und allumfassenden Ideologie ausgehen muss, die die Bevölkerung vollständig beherrscht. Stattdessen können damit gesellschaftliche Kräfteverhältnisse analysiert werden, die kontingent sind und sich deshalb in einem anderen gesellschaftlich-politischen Kontext auch wieder verändern können. „As Gramsci understood, the hegemonic culture depends not on the brainwashing of the ‚masses ދbut on the tendency of public discourse to make some forms of experience readily available to consciousness while ignoring or suppressing others.“56 Damit ist die Hegemonietheorie anschlussfähig für eine Konzeptualisierung von Style Politics, weil ein bestimmter Style somit nicht als omnipräsent, und die ihn begleitenden gesellschaftlichen Diskurse und Signifikationen nicht als monolithisch gefasst werden müssen. Es wird stattdessen möglich, Style zu kontextualisieren, historisch-politisch zu situieren und in seiner Veränderbarkeit und seinen unterschiedlichen Lesarten zu konzeptionalisieren. Begrüßenswert ist zudem Lears Unterfangen, mit dem Hegemoniekonzept historisch variierende Konjunkturen von Machtdynamiken auszuloten und diese als von Kategorien wie Geschlecht und Race bedingt zu denken. Dadurch antizipiert er ein Analysekonzept, welches wiederum mit Crenshaws Begriff der Intersek-
55 Vgl. Jackson Lears: The Concept of Cultural Hegemony: Problems and Possibilities, in: The American Historical Review 90, 3 (1985): S. 567-593. 56 Lears: The Concept of Cultural Hegemony, S. 577.
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tionalität die Interdependenz von sozialen Stukturkategorien wie Race, Class und Gender zu denken versucht. Lears unterscheidet das Politische vom Präpolitischen. Zu Letzterem führt er am Beispiel der Sklaverei aus: „Prepolitical protest (such as breaking a plough blade or running off to the woods after a beating) provided slaves with a valuable breathing space and even a sense of dignity. But it also reinforced the master’s paternalistic belief that he was dealing with irresponsible children.“57 Problematisch an dem Begriff des Präpolitischen ist, dass er mit einer Dichotomie arbeitet, die deutlich wertend ist und einem historischen Entwicklungsmodell folgt: Das Präpolitische ist bei Lears und anderen nur eine Vorstufe des Politischen, während die „wahre“ Sphäre der Politik für ihn klassisch auf der Seite der Staatsmacht und der Herrschenden ist. Zwar hat Lears mit dem Hegemoniekonzept ein Analysewerkzeug an der Hand, mit dem sich gesellschaftliche Machtverhältnisse benennen und deren Ungleichheiten kritisieren lassen. Indem er jedoch auf die Zweiteilung in Präpolitisches und Politisches rekurriert, bewegt er sich in einem Gedankenmodell, welches implizit wertend ist. Denn die politischen Artikulationsmöglichkeiten der Subalternen – beispielsweise in der Sklaverei das langsame Arbeiten – werden von Lears nicht als gleichwertig anerkannt. Das Präpolitische muss sich gemäß dieser Logik erst zum „wirklich“ Politischen entwickeln. Auch wenn Lears nicht explizit von Style Politics spricht, ist seine Abwertung des Präpolitischen doch symptomatisch für eine eurozentristische Historiographie, die sicherlich auch Style in der Sphäre des Präpolitischen verorten würde. Demgegenüber mache ich einen erweiterten Begriff des Politischen geltend, der sich auf Ansätze der postkolonialen Theorie stützt. Dipesh Chakrabarty hat in seinem Aufsatz über die Geschichte der Subaltern Studies eine scharfe Kritik an einer eurozentristischen Historiografie formuliert. Diese arbeite mit Entwicklungsmodellen, die letztendlich geschichtliche Prozesse nur vor der Folie der europäischen Staaten analysierten und deren Phasen als einzig möglichen Verlauf vorschrieben. Sich auf Ranajit Guha beziehend äußert Chakrabarty dabei auch Kritik gegen einige Historiker/innen, namentlich Hobsbawn, und an deren Begriff des „Präpolitischen“, weil diese das Politische nach eurozentristischen Kriterien kategorisierten und bewerteten.58 Diese Kritik ließe sich auch auf Lears übertragen und erweitern: Das Konzept des „Präpolitischen“ bedeutet implizit, dass ungleiche gesellschaftliche Machtverhältnisse reproduziert
57 Lears: The Concept of Cultural Hegemony, S. 574. 58 Dipesh Chakrabarty: Eine kleine Geschichte der Subaltern Studies, in: ders.: Europa als Provinz. Perspektiven postkolonialer Geschichtsschreibung, Frankfurt/New York 2010, S.19-40, hier: S. 24-25.
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werden, indem Widerstandsaktionen der Subalternen nur dann als „politisch“ gelten, wenn sie sich in den geordneten Bahnen des Staates bewegen: Innerhalb des Parlaments oder als Demonstration auf der Straße, jedoch nicht als Sabotageakte. In der Geschichte der African Americans wurden jedoch häufig Aktionsformen genutzt, die die wenigen Möglichkeiten des Widerstands, die etwa Sklav/innen hatten – langsames Arbeiten, Zerstörung des Werkzeugs der Sklavenhalter, Flucht von der Plantage – voll ausschöpften.59 Ebenso lässt sich dies auf dem Gebiet der Style Politics nachweisen: Das Tragen von spezifischer Kleidung, die eigentlich als nicht „schicklich“ für schwarze Sklav/innen galt, war immer schon eine politische Intervention, weil sie sich damit gegen ihren subordinierten Status wendeten.60 Die Aufteilung in Präpolitisches und Politisches ist deshalb meiner Meinung nach nicht sinnvoll, weil sie wesentliche politische Aktionsformen ignoriert. Eine hegemonietheoretisch informierte Konzeption von Style Politics kann etwa die Debatten um den Afro genauer historisch situieren, als es eine reine ereignisgeschichtliche Konstatierung von der Zunahme des Afro-Hairstyles Ende der 1960er Jahre könnte. Denn selbst zu den Hochphasen dieser Frisur war der Afro nicht uneingeschränkt und überall akzeptiert, sondern dies war immer kontextabhängig und wurde nicht zuletzt durch die politische Präferenz aber auch aufgrund von Strukturkategorien wie Race, Class und Gender bestimmt. Der Afro, aber auch andere Styleelemente wie der Dashiki demonstrieren, dass auch ein sich von dominanten Modetrends abhebender Kleidungsstil immer, und sei es auch negativ, auf diesen beziehen muss. Es gibt somit – so könnte man in Abwandlung des Diktums von Foucault in Bezug auf Macht formulieren61 – kein Außerhalb des Styles: Dieser ist immer situiert, ob er nun einen hegemonialen Style imitiert, rekreiert, oder sich davon abzusetzen versucht. Stuart Ewen betont darüber hinaus, dass Style nicht nur in der subjektiven Sphäre des Trägers oder der Trägerin existiert: „But the question of style cannot be limited to the realm of subjectivity. Style is also a significant element of power.“62 Ewen thematisiert hier, wie Style mit Macht verbunden ist. Diese Machtdimension wird deutlich, wenn man betrachtet, wie stark ein bestimmter Style von Fragen wie Race, Class, Gender, Sexuality und anderem abhängt. Ein nicht
59 Vgl. hierzu Peter Martin: Das rebellische Eigentum. Vom Kampf der Afroamerikaner gegen ihre Versklavung, Frankfurt/Main 1988. 60 Vgl. White/White: Stylin’, S. 84. 61 Vgl. Michel Foucault: Der Wille zum Wissen. Sexualität und Wahrheit 1, Frankfurt/ Main 1983, S. 96. 62 Ewen: All Consuming Images, S. 23.
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gesellschaftlich hegemoniefähiger Stil wird etwa sanktioniert, wenn sich jemand beispielsweise den gesellschaftlichen Normen von Respektabilität nicht anpasst und durch sein äußeres Erscheinungsbild von bestimmten beruflichen Positionen ausgeschlossen wird. Dick Hebdige integriert – beeinflusst von einer Rezeption Gramscis – dessen Hegemonietheorie auf die Interpretation der Subkulturstile. Stil wird von Hebdige als ein Mittel des Widerstandes interpretiert, welches jedoch indirekt funktioniere: „Die von den Subkulturen dargestellte Herausforderung an die Hegemonie geht jedoch von ihnen nicht direkt aus. Sie wird vielmehr indirekt ausgedrückt: im Stil. Die Einwände werden auf der im Grunde oberflächlichen Ebene der Erscheinungen eingebracht und die Widersprüche dort zur Schau gestellt (und, wie wir sehen werden, ‚magisch gelöst)ދ: das heißt, auf der Ebene der Zeichen.“
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Hebdige begreift Stil hier als Ausdruck gesellschaftlicher Prozesse, die sich an der Oberfläche artikulieren. Nach diesem dichotomen Modell wird die hegemoniale Ordnung durch den Subkulturstil herausgefordert. Interne Widersprüche, die in der kapitalistischen Gesellschaftsstruktur begründet sind, kommen so extern zum Ausdruck, können aber keine wirkliche gesellschaftspolitische Veränderung bewirken. Diese Stilkonzeption ist m.E. aus zwei Gründen zu reduktionistisch: erstens begreift sie Stil als Oberfläche, dem ein Gesellschaftskern korrespondiert. Zweitens wird die Möglichkeit, dass die Subkulturen, die einen alternativen Stil zur Schau tragen, gleichzeitig auch auf anderen Ebenen intervenieren, die die Zeichenebene komplementieren und darüber hinausgehen, außer Acht gelassen. Die Beispiele, die Hebdige anführt, wie die Mods oder Teddyboys im Grossbritannien der 1960er und 1970er Jahre, haben keinen alternativen Gesellschaftsentwurf, der die sozialen Widersprüche über die Zeichenebene hinaus artikulieren würde. Subkulturstil muss aber nicht per se die traditionellen Politikformen vernachlässigen, die sich der Behebung gesellschaftlicher Missstände widmen wollen. So definiert sich etwa die Punk-Kultur nicht nur über die Kleidung, sondern es wird beispielsweise in vielen Songtexten die Ablehnung der kapitalistischen Gesellschaftsordnung im Allgemeinen und eines Arbeitsethos im Besonderen oder eine Kritik an Polizei und Neonazis artikuliert. Dies kann einhergehen mit Teilnahme an Demonstrationen, Engagement in lokalen Initiativen oder Parteien etc.
63 Diedrich Diedrichsen/Dick Hebdige/Olaph-Dante Marx: Schocker. Stile und Moden der Subkultur, Hamburg 1983, S. 22.
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Allerdings halte ich das Subkulturtheorem von Hebdige für meine Studie nur bedingt brauchbar. Denn afroamerikanische Style Politics begreife ich nicht als subkulturell. African Americans waren zwar in dem Zeitraum von 1943 bis 1975, den ich untersuche, gesellschaftlich marginalisiert durch die Verwehrung wesentlicher Bürgerrechte und dem erschwerten Zugang zu materiellen Ressourcen. Jedoch sind African Americans keine Subkultur. Wie ich zeigen werde, ist diese Gruppe sehr heterogen, was sich nicht zuletzt im Styling und den Auseinandersetzungen darüber belegen lässt. Würde man African Americans unter dem Begriff Subkultur fassen, suggerierte dies eine Homogenität der Gruppe. Ebenso wie Styling von Weißen ist dieses nicht per se subkulturell, sondern kann je nachdem, welche Performanzen von Race, Class und Gender vorgenommen werden, als solches wahrgenommen werden. Subkultur ist aber immer kontextgebunden. So ist das Styling der Punks zwar in den 1980er Jahren in England stark als subkulturell interpretiert worden. Es gab zu deren Hochphase gleichwohl auch Kommodifizierungsprozesse, so dass der Punk-Style als „schick“ galt. Wenngleich also das Subkulturkonzept nur begrenzt für die Konzeptionalisierung meiner Studie anwendbar ist, dient Hebdiges Gebrauch der Hegemonietheorie doch als wichtige Anregung, weil sich somit Machtverhältnisse und deren Veränderungen denken lassen.
P ERFORMING B LACKNESS Schon seit Mitte des 20. Jahrhunderts ist es in der Biologie Konsens, dass Menschen nicht nach „Rassen“ unterschieden werden können, und dass diese Unterteilung außerhalb des Tierreiches keinen Sinn macht. An prominenter Stelle hat der italienische Nobelpreisträger Luca Cavalli-Sforza in einem Buch den Nachweis geführt, dass die Unterschiede zwischen Menschen verschiedener Hautfarben nicht auf einen signifikanten Abstand genetischer Art verweisen und zudem die intra-ethnischen Unterschiede größer sind als die inter-ethnischen Differenzen.64 Zunächst im US-amerikanischen Kontext und inzwischen auch in Deutschland wird jedoch der Begriff Race als analytische Kategorie benutzt, um untersuchen zu können, wie Prozesse der Ethnisierung funktionieren und gesell-
64 Vgl. auch den Artikel von Susan Arndt: „Rasse“ in: dies./Nadja Ofuatey-Alazard (Hg.): Wie Rassismus aus Wörtern spricht. (K)Erben des Kolonialismus im Wissensarchiv deutsche Sprache. Ein kritisches Nachschlagewerk, Münster 2011, S. 660-664; Francesco Cavalli-Sforza/Luca Cavalli-Sforza: Verschieden und doch gleich. Ein Genetiker entzieht dem Rassismus die Grundlage, München 1994.
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schaftliche Wirkmächtigkeit erlangen. Es handelt sich bei der Anwendung dieses Konzeptes stets um einen Balanceakt, weil es einerseits biologisch so etwas wie menschliche „Rassen“ nicht gibt, andererseits soziale Rassifizierungsprozesse aber reale Auswirkungen haben. Mit der Kursivsetzung des Wortes und der Verwendung des englischen Terminus Race weise ich auf diesen sozialen Konstruktcharakter hin und betone im Rahmen dieser Arbeit die analytische Dimension der Kategorie. Allerdings ist immer die Gefahr gegeben, dass „Rasse“ – genauso wie „Schwarzsein“ oder „Weißsein“ – trotz kritischer Intention der Forschenden reifiziert wird und ihr Konstruktcharakter in Vergessenheit gerät. Da Style in der vorliegenden Arbeit hauptsächlich anhand der Geschichte der African Americans untersucht wird, stellt sich auch die Frage, ob es einen genuinen „Black Style“ gibt, ob Style also rassifiziert ist? Wie die Antwort auf diese Frage ausfällt, hängt ab von den theoretischen Prämissen und der Konzeption von Style. Viele Arbeiten bejahen diese Frage und gehen davon aus, dass der Style von African Americans ihr Schwarzsein ausdrücke. Constance C. R. White schreibt deshalb auch unumwunden: „The answer is a resounding yes. There is indeed such a thing as African American style. [...] African American style is partly an expression of African culture and partly a collection of preferences born out of black style inventions and assimilation in America.“65 Die beiden Autoren Shane und Graham White deuten schon im Titel ihrer Arbeit über African American Expressive Culture die Antwort auf die Frage nach einem Black Style an. Diese sei demnach Ausdruck eines „schwarzen Wesens“ und unterscheide sich als kulturelle Ausprägung vom Style weißer Menschen. Wenngleich der Begriff der Expressive Culture essentialistisch anmutet, so argumentieren White/White zumindest in ihren Beispielen historisch: Den Körper zu stylen habe für African Americans, besonders in der Zeit der Sklaverei, aber auch nach der Emanzipation nach dem US-amerikanischen Bürgerkrieg 1865 eine wichtige Funktion gehabt, knüpften sie so doch einerseits an kulturelle Traditionen aus ihren Heimatländern in Afrika an, aus dem sie und ihre Vorfahren gewaltsam verschleppt worden waren. Andererseits sei das dressing up, dass „sich gut anziehen“, ein Widerstandsakt, der den subordinierten Status, den Weiße ihnen zuweisen wollten, unterminiert habe. Diese politische Dimension hätten viele Weiße erkannt und deshalb versucht, African Americans Vorgaben zu machen, die gute Kleidung untersagten, oder hätten sich über deren Styling lustig gemacht. Die Autoren schreiben deshalb: „Whites physical response to the sartorial strategies of blacks suggests that they clearly recognized, in the black
65 Constance C.R. White: Style Noir, New York 1998, S. 1.
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adornment of the body, a highly political subtext of struggle, a determination to renegotiate the social contract.“66 Es geht mir hier nicht darum, die konkreten Erfahrungen von African Americans zu negieren, die sich im Styling niederschlagen, wie ich es in den historischen Fallstudien noch aufzeigen werde. Es soll jedoch die Vorstellung problematisiert werden, dass es eine vorgängige „rassische“ Existenz gäbe, die geäussert würde, wie dies bei White schon im Titel ankündigt wird. Deshalb teile ich die generelle Kritik am Begriff des Expressivismus, wie sie von Theoretiker/innen der Performativität angeführt wird, da sie hierin einen Rekurs auf die Annahme eines Kerns, eines Ursprungs oder einer Substanz sehen.67 Erika FischerLichte bringt den Gegensatz von Expressivität und Performativität auf den Punkt, wenn sie schreibt: „Die performativen Akte (als körperliche Handlungen) sind insofern als ‚non-referentiellދ zu begreifen, als sie sich nicht auf etwas Vorgegebenes, Inneres, eine Substanz oder gar ein Wesen beziehen, das sie ausdrücken sollen: Jene feste, stabile Identität, die sie ausdrücken könnten, gibt es nicht. Expressivität stellt in diesem Sinne den diametralen Gegensatz zu Performativität dar. Die körperlichen Handlungen, die als performativ bezeichnet werden, bringen keine vorgängig gegebene Identität zum Ausdruck, vielmehr bringen sie Identität als ihre Bedeutung allererst hervor.“
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Es geht darum zu zeigen, dass sich „schwarzer Style“ auch immer wieder neu inszenieren und artikulieren muss, er bestimmte historische Erfahrungen durch Performativität ständig wieder abruft und dadurch sedimentiert. Kobena Mercer äußert die Vermutung, dass „all suggest, that black style is not the uniform expression of some unchanging ethnic ‚essenceދ, but is best un-
66 White/White: Stylin’, S. 128. 67 Vgl. Jürgen Martschukat: „Eine performanztheoretische Kernthese lautet, dass die Dinge eben keinen festen Kern haben, keinerlei letzte Substanz oder Ursprung existiert, auf den die Dinge, Wahrnehmungs- und Handlungsweisen zurückgeführt werden können. Bedeutung entsteht erst in actu, im Moment der theatralischen Aufführung oder des Ritualvollzugs unter den ganz spezifischen Aufführungsbedingungen zwischen Aufführenden, Publikum und Setting und nicht durch den Rückbezug auf eine ultimative, sinnstiftende Instanz.“ Jürgen Martschukat: „His chief sin is being a Negro. Next he whipped a white man. Next he married a white woman.“ Sport, Rassismus und die (In)Stabilität von Grenzziehungen in den USA um 1900, in: Historische Anthropologie 15, 2 (2007): S. 259-280, hier: S. 270. 68 Erika Fischer-Lichte: Ästhetik des Performativen, Frankfurt/Main 2004, S. 37.
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derstood as an act of aesthetic agency inscribed into a material world of immense social disparity.“69 Auch Mercer problematisiert also ein Verständnis von „Black Style“, das diesen als essentialistischen Ausdruck eines unveränderlichen schwarzen Kerns fasst. Weiter führt Mercer aus: „The concept of ‚style ދhas an ambiguous history which is relevant here. Because it concerns the formal and expressive aspects of communication rather than the material substrate or medium, ‚style ދlies at the heart of the classifications and categorizations that distinguish one artist, or movement, or period, from another.“
70
Mercer betont hier die ambivalente Rolle, die Style spielt, sieht diese aber weniger im Medium desselben, sondern unter dem Gesichtspunkt der Kommunikation und des sozialen Verhältnisses. Style wirkt als Mittel der Distinktion: Er dient der Unterscheidung und der Abgrenzung von anderen Styles und eignet sich besonders für eine historische Untersuchung, weil soziopolitische Veränderungen und Brüche sich durch ihn deutlich ablesen lassen. Mercer geht im oben zitierten Text allerdings nicht auf die Performativitätstheorie ein; mit dieser lassen sich jedoch m.E. seine Ausführungen erhellen und Style besser konzeptionalisieren. Wie ich in den folgenden Kapiteln demonstrieren werde, rekurriert das Styling militanter schwarzer Gruppen in den USA auf bestimmte Style-Elemente, die durch ihren Afrika-Bezug „schwarz“ konnotiert sind oder zumindest als Symbol für die afroamerikanische Identität gelesen werden können. Dies ist beispielsweise der Fall beim Dashiki, einem Tunika-ähnlichen Hemd, dem ein „afrikanischer“ Ursprung zugeschrieben wurde. Grundsätzlich ist jedoch kein Style per se „weiß“ oder „schwarz“, sondern wird nur innerhalb einer hegemonialen Repräsentationsordnung so gelesen. Dieser Style kann aber auch alternative Deutungen erfahren, sich wandeln und von anderen Individuen und Gruppen adaptiert werden, um eine neue Identität visuell darzustellen. Von verschiedener Seite ist angemerkt worden, dass Butlers Überlegungen zur Performativität von Race hinsichtlich der Konstruktion von rassifizierten Körpern noch weiterer Ausarbeitungen und Klärungen bedürfen.71 Insbesondere bei
69 Kobena Mercer: Foreword, in: Caroll Tulloch (Hg.): Black Style, London 2004, S. 8. 70 Mercer: ebd. 71 Vgl. Jan Campbell/Janet Harbord: Playing it Again. Citation, Reiteration or Circularity?, in: Theory, Culture & Society 16, 2 (1999): S. 229-239, hier: S. 235: „Whether or not the theory of the performative can be mapped onto ‚race ދis an area that requires
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Gender Trouble fällt auf, dass die Konstruktion von Race eine Leerstelle bleibt, und das auch an jenen Punkten, wo die Parallelen zu den Prozessen der Produktion von Geschlecht offensichtlich sind. Denn Butler kritisiert zwar sehr scharfsinnig de Beauvoir dafür, dass sie unkritisch den kartesianischen Dualismus von Körper und Seele reproduziere, der in einer ungebrochenen philosophischen Tradition von Platon bis hin zu Sartre reiche. 72 Diese Körper-Seele-Dichotomie gehorche einer Hierarchie, die die Seele (Geist) als das Höherstehende setze und den Körper als das Untergeordnete, das von der Seele abhängig sei. Diese Dichotomie sei zudem gegendered, d.h. der Geist oder die Seele wird als das superiore, männliche Element konnotiert, während der Körper als weiblich konstruiert würde.73 Butler schließt daraus, dass als Resultat dieser Erkenntnis, „[…] any uncritical reproduction of the mind/body distinction ought to be rethought for the implicit gender hierarchy that the distinction has conventionally produced, maintained, and rationalized.“74 Erstaunlicherweise fehlt an dieser Stelle bei Butler jedoch jeglicher Hinweis auf die Rassifizierung dieser diametralen Gegenüberstellung, in der sowohl in der Philosophie als auch im Zuge des Kolonialismus das weiße Subjekt als „höherstehender Geist“ konstruiert wurde, während Schwarze und People of Color auf eine niedere körperliche Existenz degradiert und reduziert wurden, denen die Sphäre des Geistes und der Kultur nicht zugänglich sei.75 Ein wesentliches Manko in Judith Butlers Überlegungen zur Performativität von Race sehe ich auch darin, dass diese hauptsächlich von der Warte des Passing betrachtet wird. Darunter versteht man den Umstand, dass eine nicht-weiße Person in der gesellschaftlichen Wahrnehmung dennoch als „weiß“ wahrgenommen und akzeptiert wird. Dass es keine „rassische Essenz“ gibt, wird dadurch von Butler zu dekonstruieren versucht, indem analog zu Drag etwas imitiert wird (in diesem Fall eine „weiße“ Hautfarbe), obwohl der- oder diejenige eigentlich in der rassistischen One-Blood-Taxinomie als schwarz gilt. Butler analysiert in
further elucidation.“ Vgl. auch Michele Hunter: ‚Doing ދJudith: Race, Mixed Race and Performativity, in: Mary Brewer (Hg.): Exclusions in Feminist Thought. Challenging the Boundaries of Womanhood, Brighton/Portland 2002, S. 227-235, hier: S. 228; 232-233. 72 Vgl. Butler: Gender Trouble, S. 17. 73 Vgl. Butler: ebd. 74 Vgl. Butler: ebd. 75 Vgl. hierzu den Sammelband von Robert Bernasconi/Sybol Cook (Hg.): Race and Continental Philosophy, Bloomington 2003.
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Bodies that Matter die Erzählung von Nella Larsen „Passing“, in der eine schwarze Frau als weiß durchgeht, d.h. passes. Es ließe sich jedoch kritisch nachfragen, ob Butler insgeheim nicht doch noch einen essentialistischen Ballast mit sich herumträgt, den sie eigentlich bei der Dekonstruktion der Dichotomie von Sex und Gender, also biologischem und sozialem Geschlecht, bereits hinter sich gelassen zu haben schien. Denn jemand, der „durchgeht“, imitiert quasi das natürliche, biologische „rassische“ Andere mit der Übernahme der „fremden“ sozialen Identität von Weißsein. Damit wird aber außer Acht gelassen, dass auch Schwarzsein performiert werden muss – selbst von denjenigen, die physignomisch keine Grenzfälle darstellen und somit nicht „durchgehen“ können. Es zeigt sich dadurch, dass dort, wo es um Race geht, Butlers Radikalität in Bezug auf Gender nicht so ausgeprägt ist. Denn die Performanz von Race betrachtet sie nur, solange dies „biologisch“ möglich scheint, d.h. bei den genannten Grenzfällen des Passing. Race erscheint ebenso wie Gender als etwas Natürliches, weil es sich in einem gesellschaftlichen Kontext durch hegemoniale Zitation sedimentiert und materialisiert hat. Wie fragil jedoch diese scheinbare Eindeutigkeit ist, zeigt sich daran, dass in der US-amerikanischen Geschichte Weißsein und Schwarzsein immer umkämpfte Konzepte waren. Acting white oder acting black sind Ausdrücke, die auf die Existenz einer bestimmten performativen Praxis verweisen, die nicht authentisch performt, d.h. falsch zitiert worden ist. Die m.E. noch nicht voll ausgereifte Konzeptionalisierung von Race in den Arbeiten von Butler ist aber nicht einer Unvereinbarkeit mit der Performativitätstheorie geschuldet. Dies hat bereits Maren Möhring erkannt; die schreibt, dass auch Race performt werden und sich damit materialisieren muss: „Neben sex gehört auch race zu denjenigen Normen, die zwangsweise materialisiert werden, um sich als kulturell intelligibles, lebensfähiges Subjekt zu qualifizieren. […] verbunden mit der Herstellung eines vergeschlechtlichten Körpers ist seine Rassifizierung.“76 Möhring betont also die Simultanität der Kategorien Race und Sex, wobei hier noch ergänzt werden sollte, dass ebenso Class und Sexuality als weitere Kategorien miteinbezogen werden müssen.77
76 Möhring: Performanz und historische Mimesis, S. 259. 77 Weiterhin sind auch Nation, „Normalität“, Disability oder Age Kategorien, die Subjektpositionen konstituieren. Wenn in dieser Arbeit hauptsächlich von Race, Class, Gender, Sexualität und Raum, d.h. Region gesprochen wird, heißt dies nicht, dass andere Strukturkategorien nicht ebenso wichtig sind. Meine Auslassung begründet sich in der notwendigen Operationalisierbarkeit der Analyse. Allerdings bin ich mir der
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Shirley Anne Tate nimmt in ihrer Studie Black Beauty ebenfalls Bezug auf Butlers Performativitätstheorie, indem sie diese auf die Performanz von Race im Kontext von Konzeptionen schwarzer Schönheit zu adaptieren versucht. Ihre Überlegungen sind für meine Untersuchung von Style Politics sehr anschlussfähig, auch wenn Tate sich auf Hairstyling, Bräunungsmittel und Hautalteration in den 1990er Jahren bis heute konzentriert. Über ihr Konzept von Schönheit führt sie aus: „Clearly, there is no natural or artifical beauty, indeed no beauty as such, which pre-exist their representation and reading in culture. Beauty is not something that simply is but it is rather done and translated for its cultural intelligibility. As culturally intelligible beauty is 78
an effect of discourses.“
Schönheit ist demnach nicht eine feststehende Entität, sondern etwas, das hergestellt, also performt werden muss. Zudem sei sie, so Tate weiter, nur mittels einer Übersetzungsleistung intelligibel, die diese Schönheitsdiskurse erst verständlich mache. Resümierend sagt Tate schließlich zur Dichotomie von Schönheit und Hässlichkeit: „Beauty and ugliness are performatively produced in and through discourse so it is possible to change the interpellation of beautiful/ugly on the basis of an alternative set of discursively constructed attributes as was the case at the birth of Rastafarianism in 1930s 79
Jamaica or in the ‚Black is beautiful ދera, for example.“
Wie Tate hier mit den Beispielen des Rastafarianismus oder der Black PowerÄra argumentiert, war somit nicht feststehend, was als schön oder hässlich galt, sondern historisch kontingent und verschob sich aufgrund von politischen Auseinandersetzungen. Diese Überlegungen lassen sich erweitern auf das Feld der Style Politics. Ein bestimmter Style ist nicht per se mit einer spezifischen Bedeutung versehen, sondern erhält diese erst durch diskursive Prozesse, die die Performanzen von Race kommentieren. Auch Jürgen Martschukats Bemerkungen über die Performativität von Race lassen sich auf den Kontext der Style Politics übertragen: „Der Flüchtigkeit von Bedeutung wird also die ständige Wiederholung von Handlungsformen und Zu-
Problematik der Nichtthematisierung dieser Kategorien und ihrer Subsumierung unter „weitere Kategorien“ bewusst. 78 Tate: Black Beauty, S. 9. 79 Tate: ebd.
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schreibungen entgegengesetzt, die Stabilität erzeugen.“80 Ein Style, der an sich über keine stabile Bedeutung verfügt, sondern diesen erst durch gesellschaftliche diskursive Aushandlungsprozesse Stabiltät und Hegemonie verschaffen muss, wird also wiederholt performt, um die gewünschte Bedeutung zu fixieren. Wie ich später anhand verschiedener Beispiele zeigen werde, können die Bedeutungen eines bestimmten Styles jedoch selbst innerhalb desselben Zeitrahmens je nach Kontext stark variieren und diametral entgegengesetzte Lesarten hervorrufen, wie es etwa die Diskussionen um den Afro-Hairstyle belegen. Style ist damit niemals identisch. Jede performative Aufführung eines Styles weicht immer von vorhergehenden Aufführungen ab, sei es, indem einzelne Elemente neu angeordnet werden, Style mit dem Körper anders performt wird, oder sich die Rezeptionsbedingungen der Zuschauenden verändert haben.81
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Butlers intensive Rezeption von Foucault hat auch stark ihre Konzeption von Politik geprägt. Letzterer hatte einen Machtbegriff entwickelt, der diesen nicht ausschließlich auf der Regierungsebene verortete, sondern auch bis in die Mikrosphäre hinein ansiedelte.82 Damit wird auch die Privatsphäre zu einer politischen Sphäre. In Einklang mit der feministischen Theorieströmung der 1970er Jahre fasst auch Butler das Private als das Politische.83 Das bedeutet, dass nicht nur Konflikte zwischen Staaten oder zentrale politische Figuren der Geschichte (wobei dies auch eine umkämpfte und historisch sich wandelnde Frage ist) als der Untersuchung für würdig befunden werden. Auch auf der Mikroebene, im alltäglichen Bereich, im scheinbar Trivialen und Persönlichen artikulieren sich
80 Martschukat: „His chief sin is being a Negro“, S. 271. 81 Vgl. Martschukat: „His chief sin is being a Negro“, S. 272: „Schließlich impliziert jede Wiederholung auch Abweichung und sie birgt somit auch die Möglichkeit grundsätzlicher Veränderung der kulturellen Konfiguration. Die Kette der Zitationen, die einerseits Stabilität erzeugt, kann andererseits jederzeit durchbrochen werden.“ 82 Dies geht schon aus dem programmatischen Titel seiner Aufsatzsammlung „Mikrophysik der Macht“ hervor. Vgl. Michel Foucault: Mikrophysik der Macht: Über Strafjustiz, Psychiatrie und Medizin, Berlin 1976. 83 „For Butler, the personal is political because it always already involves socially normative performances.“ Jon McKenzie: Genre Trouble: (The) Butler Did It, in: Peggy Phelan/Jill Lane (Hg.): The Ends of Performance, New York 1998, S. 217-235, hier: S. 221.
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Machtverhältnisse, die kontingent sind und stets neu ausgehandelt werden. Dadurch gewinnen sie einen politischen Charakter. Das Politische lässt sich in einem ersten Schritt somit als alles beschreiben, das nicht naturgegeben ist, sondern veränderbar. Damit sind alle sozialen Interaktionen von Menschen politisch. Als Aufgabe einer feministischen Politik sieht Butler die Dekonstruktion und Destabilisierung von Geschlecht. Dieses müsse eliminiert oder zumindest uneindeutig gemacht werden, um die aufgrund des Geschlechts erfolgende Subordination von Frauen zu umgehen.84 Hierin kann ein wichtiger Aspekt von Butlers politischem Widerstandskonzept gesehen werden. „When such categories come into question, the reality of gender is also put into crisis: it becomes unclear how to distinguish the real from the unreal. And this is the occasion in which we come to understand that what we take to be ‚realދ, what we invoke as the naturalized knowledge of gender is, in fact, a changeable and revisable reality. Call it subversive or call it something else. Although this insight does not in itself constitute a political revolution, no political revolution is possible without a radical shift in one’s notion of the pos85
sible and the real.“
Diese radikale Verkehrung von gesellschaftlich unhinterfragter und durch beständige Wiederholung als natürlich konstruierter geschlechtlicher Identität ist ein Austragungsort politischer Auseinandersetzungen, wenn diese Natürlichkeit in Frage gestellt wird. Wie bereits dargestellt, führt Butler wiederholt Drag als Beispiel einer möglichen subversiven Praxis an, betont aber auch, dass etwa das Offenlegen von heterosexueller Orientierung als gesellschaftlich produziert nicht per se ein widerständiger Akt sei und subversiven Charakter habe.86 Allerdings hat Butlers Anführung von Drag-Performanzen als exemplarische Beispiele für politische Interventionsformen, die gesellschaftlich sedimentierte Vorstellungen von geschlechtlicher Identität und deren Natürlichkeit zu irritieren vermögen, dazu geführt, dass insbesondere in der Queer Theory und in deren Aktivismus dieses Verständnis des politischen Widerstandes rezipiert wurde. Butler hat sich zwar an verschiedenen Stellen gegen eine solche reduktionistische Interpretation gewendet und diese als „bad reading“ deklariert. So schreibt sie beispielsweise: „The bad reading goes something like this: I can get up in the morning, look in my closet, and decide which gender I want to be today. I can take out a piece of
84 Vgl. Butler: Gender Trouble, Preface, S. xiii. 85 Butler: Gender Trouble, Preface, S. xxiii. 86 Vgl. Butler: Bodies That Matter, S. 231.
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clothing and change my gender, stylize it, and then that evening I can change it again and be something radically other [...].“87 Butler bestreitet in dieser Textpassage also, dass ihre Theorie der Geschlechterperformanz adäquat damit wiedergegeben wäre, dass der oder die einzelne sich ad hoc entscheiden könne, welches Geschlecht angenommen werden solle und dies dann durch das „Anziehen“ der geschlechtlich konnotierten Kleidung performt werden könne. Dies ist nach ihrer Auffassung eine Karikatur ihrer Theorie, weil es auf einen extremen Voluntarismus hinauslaufen würde. Im Gegensatz dazu betont Butler wiederholt, dass die Performativität von Geschlecht dadurch gekennzeichnet sei, dass gesellschaftliche Normen von Geschlecht diskursiv produziert werden und das Subjekt von diesen Diskursen angerufen wird. Diese Diskurse erhalten Wirkmächtigkeit dadurch, dass sie gesellschaftlich akzeptiert und immer wieder reiteriert werden müssen. Auch Geschlechterirritation durch Drag muss sich zu diesen diskursiv zirkulierenden Normen ins Verhältnis setzen. Wenngleich aber Butler Identitätspolitiken kritisch gegenübersteht, weil diese häufig einem Voluntarismus gefährlich nahe kommen, der die gesellschaftliche Dimension von Identität und von sozial produzierten und in der Gesellschaft wirksamen Normen nicht ausreichend Rechnung trägt, ist das Beispiel von Drag bei Butler für subversive Geschlechterirritation und die häufige Rezeption in diese Richtung in der Queer Theory kein Zufall, sondern verweist auf die ihrer Konzeption inhärente Schwäche, das Politische nicht weitergehend zu denken. Wie Elisa Glick zutreffend festhält: „Celebrating the free play of resignification, a stylizing of gender, brings her work dangerously close to the so-called ‚bad readers ދwho conceptualize gender as fashion and celebrate a politics of style.“88 Was Glick hier als politics of style kritisiert, ist eine Reduktion auf einen Kleidungswechsel als ausreichend für die Destabilisierung von geschlechtlichen Subordinationsverhältnissen in der Gesellschaft. Dafür bedürfe es vielmehr einer gesamtgesellschaftlichen Perspektive, die auch Race und Class mit einbeziehe und Machtungleichgewichte zu verändern versuche. Ein einfacher Stylewechsel reiche dafür nicht aus. Glick moniert darüber hinaus bei Butler einen – auch im Queer-Aktivismus anzutreffenden – Ahistorismus, der die spezifischen Entstehungsbedingungen der Drag Balls negiere und damit die Rolle, die etwa Race und Class dabei gespielt haben, ignoriere. Diese Entkontextualisierung sei auch bei Butler festzu-
87 Judith Butler: The Body that You Want: Interview with Liz Kotz, in: Artforum, November 1992, S. 82-89, hier: S. 83. Zit. nach Elisa Glick: Sex Positive: Feminism, Queer Theory, and the Politics of Transgression, in: Feminist Review 64 (Spring 2000): S. 19-45, hier: S. 35. 88 Glick: Sex Positive, S. 37.
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stellen. Insofern muss die Kritik von Elisa Glick an Butler und queerem Aktivismus, einen reduktionistischen Begriff des Politischen aufrechtzuerhalten, ernst genommen werden: „As such historians and theorists of lesbian culture as Davis & Kennedy (1993), Feinberg (1993, 1996), Hollibaugh & Moraga (1992) and Nestle (1987, 1992) have demonstrated, butch/femme is a sexual style that developed within working-class and variously raced communities in the 1930-1950s. As these writers have suggested, butch/femme must be understood in the context of various struggles for social change undertaken by workingclass people, people of color, and gay, lesbian, bisexual and transgendered people. Despite this insight, feminist and queer theorists like Case and Butler efface the histories and contexts of gay lives by glorifying butch/femme roles as performative, surface identities, uncomplicated by race or class and detached from specific communities and interests.“
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Performative Politiken wie Style Politics im Allgemeinen und Drag im Besonderen kommen also nicht ohne eine intersektionale Verortung aus, die die konkreten Kontexte berücksichtigt und die Bedeutung nicht nur von Gender, sondern auch von Race und Class miteinbezieht. Styling allein als subversive Praxis zu konzeptionalisieren, ohne diese zu historisieren und mit sozialen Bewegungen zu denken, die sie erst inszenieren, führt deshalb m. E. zu einem reduktionistischen Begriff des Politischen und von Widerstand. Deshalb geht es in meiner Studie darum, insbesondere die Verschränkung von Style Politics mit den jewieligen Kontexten und zeitlichen Veränderungen innerhalb der Geschichte der African Americans zu zeigen. Auch der slovenische Philosoph Slavoj Žižek äußert in einem Aufsatz eine generelle Kritik an Butlers Widerstandskonzept und ihrem Begriff des Politischen. Deren Schwäche sieht er in ihrer Dichotomisierung von Politiken des Performativen: „Wofür man Butler tadeln sollte, ist, dass sie diesen [den ethischen, authentischen, P.D.] Akt in seiner radikalen Dimension mit der performativen Neugestaltung der eigenen symbolischen Bedingung via ihrer repetitiven Verschiebungen verschmilzt: die zwei sind nicht dasselbe, d. h. man sollte den entscheidenden Unterschied zwischen bloßer ‚performativer Neugestaltungދ, einer subversiven Verschiebung, die INNERHALB des hegemonialen Feldes verbleibt und sozusagen gegen es einen internen Guerillakampf führt, der gegen das hegemoniale Feld seine eigenen Begriffe kehrt, UND dem viel radikaleren AKT einer
89 Glick: Sex Positive, S. 28.
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gründlichen Neugestaltung des ganzen Feldes beibehalten, welcher genau die Bedingungen der Performativität neu definiert. Darum ist es Butler selbst, die in einer Position endet, welche gerade marginale ‚Neugestaltungen ދdes vorherrschenden Diskurses gestattet, d. h. die auf eine Position ‚innerer Überschreitung ދbeschränkt bleibt, die als Bezugspunkt den Anderen in Gestalt eines vorherrschenden Diskurses benötigt, der nur marginal verschoben oder überschritten werden kann.“
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Žižek moniert hier also Butlers Perspektive, die weitgehend immanent bleibe, anstatt das ganze hegemoniale Feld zu sprengen zu versuchen. Stattdessen sollten die mikrologisch ausgerichteten performativen Strategien der Verschiebung und Rekontextualisierung von Geschlechteridentität kombiniert werden mit einem Engagement auf der Makrobene, sprich, mit auf die radikale Veränderung der ökonomischen und sozialen Verhältnisse abzielenden politischen Aktionen. Žižek beanstandet bei Butler, dass die Subversion und Destabilisierung von gesellschaftlichen Normierungen wie der heterosexuellen Zweigeschlechtlichkeit immer noch auf das hegemoniale Feld rekurrieren muss, sobald es die Verschiebungen zu performieren versucht. Die Kritik von Žižek scheint mir zum Teil berechtigt, auch wenn ich nicht glaube, dass Žižeks strikte Trennung des „inneren“ und „äußeren“ politischen Feldes sich aufrechterhalten lässt. Das innere Feld ist nicht „rein“, sondern schon immer vom „äußeren Feld“ kontaminiert. D. h. dass sich scheinbar nur auf die Mikroebene beziehende persönliche Beziehungen von Strukturkategorien wie Race, Gender, Class und anderen durchzogen sind. Diese verweisen auf die soziale Bedingtheit des scheinbar „bloß“ Privaten und Alltäglichen. Die Kritik von Žižek lässt sich jedoch produktiv auf den Kontext Style anwenden, wenn wir damit das von Dick Hebdige vorgeschlagene Subkulturkonzept betrachten. Subkulturen haben bei ihm ein widerständiges Moment, weil sie durch Resignifikation gesellschaftliche Konventionen irritieren.91 Bei Hebdige kommt allerdings politischer Aktivismus nicht vor. Insofern greift hier Žižeks Kritik, dass das innere Feld performativer Neugestaltung mit dem äußeren Feld, d. h. dem Bruch der hegemonialen Ordnung kombiniert werden müsse, auch in Bezug auf die Konzeptionalisierung von Style Politics. Ein alternativer Style, dies sollen die Fallbeispiele der vorliegenden Arbeit zeigen, war fast immer integrales Moment politischer Strategien, dieses hegemoniale Feld zu verändern, also beispielsweise Bürgerrechte zu fordern, die soziale wie ökonomische Lage
90 Slavoj Žižek: Sehr innig und nicht zu rasch. Zwei Essays über sexuelle Differenz als philosophische Kategorie, Wien 1999, S. 33. H.i.O. 91 Vgl. Hebdige: Subcultures, S. 106-112.
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von African Americans zu verbessern und eine positiv konnotierte Neukonzeptionalisierung von Schwarzsein hegemonial werden zu lassen. Style operiert auf dem Gebiet des Visuellen. Insofern kommt ihm eine große Bedeutung dabei zu, Wahrnehmungen, die immer rassifiziert und gegendert sind, zu affirmieren oder zu konterkarieren. Durch diese Machtverhältnisse operieren Blicke immer in einem historisch-konkreten hegemonialen Feld. Wer welchen Style verkörpern kann, ist zudem kontextuell und in Abhängigkeit von Raum, der besetzt wird, unterschiedlich. Wie Shane und Graham White in ihrem Buch Stylin’ zeigen, ist etwa das dressing up in der Zeit der Sklaverei für African Americans sanktioniert worden, weil es als ein Nichtanerkennen des subalternen Status’ interpretiert wurde.92 Styling ist deshalb untrennbar mit Machtverhältnissen verknüpft, weil es eine bestimmte Positionierung des Subjektes im gesellschaftlichen Raum unterstützt oder unterwandert. Darum ist es ein Phänomen, welches keine einfache und gleich bleibende Interpretation seiner Bedeutung erlaubt. Die Komplexität von Styling thematisiert die Theoretikerin Kaja Silverman in einem Aufsatz über Mode. Dort weist sie darauf hin, dass die Modegeschichte im Westen die automatische Gleichsetzung von zur Schaustellen mit weiblicher Unterwerfung widerlegt. Die Annahme, dieses Präsentieren wäre ein bloßes Ausgesetztsein des männlichen Blickes, müsse überdacht werden.93 Stattdessen macht Silvermann den Klassenaspekt der Mode stark: „As a number of fashion critics have already observed, ornate dress was primarily a class rather than a gender prerogative during the fifteenth, sixteenth and seventeenth centuries, a prerogative that was protected by law. In other words, sartorial extravagance was a mark of aristocratic power and privilege, and as such a mechanism for tyrannizing over rather 94
than surrendering to the gaze of the (class) other.“
Style wurde also, so belegt Silverman mit ihren Beispielen, als Mittel der Ermächtigung und der Herausforderung des anderen genutzt. Auch in folgendem Zitat hebt Silverman auf den widerständigen Aspekt ab, der extravagantem Kleidungsstil eigen sei, und der gesellschaftliche Konventionen in Frage stellen könne: „Increasingly, in the second half of the twentieth century, imaginative dress has become a form of contestation – a way of challenging not only dominant
92 Vgl. hierzu White/White: Stylin’, S. 83. 93 Vgl. Kaja Silverman: Fragments of a Fashionable Discourse, in: Shari Benstock (Hg.): On Fashion, New Brunswick 1994, S. 183-197, hier: S. 183. 94 Silverman: Fragments of a Fashionable Discourse, S. 183.
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values, but traditional class and gender demarcations.“95 Silverman thematisiert in ihrer Analyse des Modediskurses, wie Class und Gender diese strukturieren und determinieren. Sie hebt sich darüber positiv von einigen feministischen Theoretikerinnen ab, die Mode auf eine sexistische Unterwerfungspraktik reduzieren. Silverman argumentiert dahingehend, weiblichen Stil als zumindest potentiell transgressiv und disruptiv zu bezeichnen, weil er eine Form der Subjektivierung und des Empowerment ermögliche.96 Er interveniere in die soziale Ordnung und vermöge so Blickverhältnisse zu ändern: „Clothing not only draws the body so that it can be seen, but also maps out the shape of the ego, then every transformation within a society’s vestimentary code implies some kind of shift within its ways of articulating subjectivity.“97 Silverman ignoriert jedoch vollkommen die Kategorie Race in ihren Ausführungen. Sie behandelt nicht das transformative oder stabilisierende Potential eines Stils für die Konstitution oder Infragestellung rassistischer Machtverhältnisse. Ebenso wenig bezieht sie Blackness in ihre Reflexionen über die Umkehrung und Ermächtigung von Mode auf dem Gebiet des Visuellen mit ein. Sie beschreibt lediglich, wie der Blick von Frauen durch Mode subjektiviert wird, von einem Objekt des männlichen Betrachters zu einem Subjekt, das sich selbstbestimmt kleidet und die Blicke auf sich zieht, die erwünscht sind, sowie selbst blickt. Dass Blickrelationen immer schon rassifiziert sind, bleibt aber bei Silverman unerwähnt. bell hooks98 hat im Gegensatz zu Silverman die Rassifizierungsprozesse sowie die Historizität und Machtdynamik des Blickes klar konturiert: „There is power in looking. [...] The politics of slavery, of racialized power relations, were such that the slaves were denied their right to gaze.“99 Die Verweigerung des Rechtes zu betrachten ging einher mit der Verweigerung, sich selbstbestimmt kleiden zu dürfen und einen eigenen Stil zu entwickeln. Das Styling und Blicke sind also eingebettet in Machtverhältnisse von Race, Class, Gender, und können Mittel der Ermächtigung werden. Über die Blickverhältnisse schreibt Hooks weiter: „In resistance struggle, the power of the dominated to assert agency by claiming and cultivating ‚awareness ދpoliticizes ‚looking ދrelations – one learns to look a certain way in order to resist.“100 hooks Beschreibung der Blickverhältnisse und des ‚oppositional gaze ދals politische Strategie
95
Silverman: Fragments of a Fashionable Discourse, S. 193.
96
Silverman: Fragments of a Fashionable Discourse, S. 192.
97
Silverman: Fragments of a Fashionable Discourse, S. 193.
98
bell hooks ist der nom de plume von Gloria Watkins, den sie kleinschreibt.
99
bell hooks: Black Looks. Race and Representation, Boston 1992, S. 115.
100 hooks: Black Looks, S. 116.
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der Infragestellung und der Umkehrung von Machtverhältnissen lässt sich auch auf das Gebiet des Styling anwenden. Mit einem neuen Style werden die Blickverhältnisse geändert. Ein bestimmter Style macht sichtbar oder unsichtbar, indem er in ersterem Fall aus einem hegemonialen visuellen Regime ausbricht und auffällt. Eine Zitation von einem konventionellen Style hingegen ist aussagekräftig für gesellschaftliche Verhältnisse. Sie verweist nicht nur darauf, was als „modisch“ gilt, sondern auch als schicklich, und für wen.
D IE D ISKUSSION UM DIE K ULTURGESCHICHTE DES P OLITISCHEN Von den Cultural Studies, die Studien zu Themen wie Subkulturen, Fernsehen oder Populärliteratur durchführten, gingen auch Impulse auf die Geschichtswissenschaften aus. Vormals als trivial erachtete Bereiche galten nunmehr als der wissenschaftlichen Untersuchung wert. Die Geschichtswissenschaft, die insbesondere in Deutschland traditionell durch die Schule des Historismus bedingt ihr Interesse auf die Rekonstruktion von Nationenbildung, der Ereignisgeschichte und der Erzählung der Taten von Staatsmännern und Politikern gewidmet hatte101, begann, von der Makroperspektive nun vermehrt auch zu einer Mikroperspektive überzugehen und ihre Untersuchungsfelder nun auch auf andere Themen und Gebiete auszuweiten, die vormals als für historische Studien nicht relevant galten. Die dahinter stehende Prämisse war, dass sich auch auf dieser Ebene wichtige Erkenntnisse über gesellschaftliche Prozesse, über Machtstrukturen und historische Konfliktlinien gewinnen ließen. Somit schien dieser neue Blickwinkel auf kleinteilige Fragestellungen neue Erkenntnisse liefern zu können. In den Geschichtswissenschaften in Deutschland wurde in den letzten Jahren der 1990er und 2000er Jahre der Begriff der Kulturgeschichte des Politischen geprägt. Die darunter subsumierten Studien und Forschungsparadigmen sind vom theoretischen Zugriff her teilweise sehr heterogen. Barbara Stollberg-Rillinger stellt aber in der Einleitung zu ihrem gleichnamigen Sammelband heraus, was als die zentralen Gemeinsamkeiten der Kulturgeschichte des Politischen angesehen werden können:
101 Vgl. Thomas Mergel: Kulturgeschichte – die neue „große Erzählung“? Wissenssoziologische Bemerkungen zur Konzeptionalisierung sozialer Wirklichkeit in der Geschichtswissenschaft, in: Geschichte und Gesellschaft 16 (1996): S. 41-76, hier: S. 45.
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„Vielmehr haben die unter dem Etikett ‚Kulturgeschichte des Politischen ދversammelten Ansätze gemein, dass sie von einem weiten, sozialanthropologischen Kulturbegriff ausgehen, wonach Kultur über die fundamentale Fähigkeit des Menschen zur Symbolerzeugung definiert wird und die Gesamtheit der symbolischen Hervorbringungen – von der Sprache über die Institutionen und Alltagspraktiken bis zur Wissenschaft – umfasst.“102
Sowohl was eine konkrete Studie zur Kulturgeschichte des Politischen auszeichne, wie auch die Frage, inwiefern dieses Projekt überhaupt zu neuen und relevanten Erkenntnissen in der Historiografie beitragen kann, ist jedoch nach wie vor Gegenstand zum Teil äußerst polemisch geführter Debatten. In Bezug auf den neuen Politikbegriff, der mit diesem kulturgeschichtlichen Forschungsprogramm umrissen ist, merkt Jürgen Martschukat an: „Sie [die Kulturgeschichte des Politischen, P.D] fragt weniger nach Haupt- und Staatsaktionen oder den Abläufen des politischen Tagesgeschäfts, sondern vielmehr nach den Möglichkeitsbedingungen und Sinnzusammenhängen politischen Handelns und politischer Strukturen.“103 Daraus ergibt sich auch die Ersetzung des Politikbegriffes durch den des Politischen. Damit soll eine reduktionistische, einem klassischen Untersuchungsparadigma gleichende Konzeption von Gesellschaft vermieden werden. „Aus diesem Grund ist auch der Begriff des Politischen gegenüber demjenigen der Politik zu präferieren, um eine vorschnelle Assoziation mit bestimmten Institutionen oder Personen zu vermeiden.“104 Der Begriff des Politischen erweist sich somit als umfassender als vorhergehende Geschichtskonzeptionen, die deshalb auch nur bestimmte Phänomene in den Blick nahmen, weil ihnen das darüber Hinausgehende als trivial und unpolitisch erschien. Barbara Stollberg-Rillinger resümiert das Programm der Kulturgeschichte des Politischen wie folgt: „Das Anliegen einer Kulturgeschichte des Politischen ist also die Dekonstruktion jedes überhistorisch-universalisierenden und essentialistischen Verständnisses politischer Handlungsformen und Institutionen, Wert-
102 Barbara Stollberg-Rillinger: Was heißt Kulturgeschichte des Politischen? Einleitung, in: dies. (Hg.): Was heißt Kulturgeschichte des Politischen?, Berlin 2005, S. 9-24, hier: S. 10-11. 103 Jürgen Martschukat: Rezeption: Geschichtswissenschaften, in: Clemens Kammler/ Rolf Parr/Ulrich Johannes Schneider (Hg.): Foucault-Handbuch. Leben – Werk – Wirkung, Stuttgart/Weimar 2008, S. 320-330, hier: S. 322. 104 Achim Landwehr: Das gezählte Volk. ‚Bevölkerung ދals Gegenstand einer Kulturgeschichte des Politischen, in: Barbara Stollberg-Rillinger: Was heißt Kulturgeschichte des Politischen?, S. 207-224, hier: S. 211.
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vorstellungen und Motive.“105 Mit diesem neuen Forschungsparadigma ergeben sich für die Historiografie neue Perspektiven und die Möglichkeit, als selbstverständlich und „natürlich“ wahrgenommene gesellschaftliche Verhältnisse auf ihre historische Genealogie hin zu befragen.106 Es entstehen somit Arbeiten, die zum Beispiel Weißsein als Gewordenes herausstellen, wie dies etwa Noel Ignatiev in seiner Studie „How the Irish became white“ tut.107 Ebenso werden Geschlechterverhältnisse als eminent politisch begriffen. „Gerade die feministische Theorie hat frühzeitig darauf aufmerksam gemacht, dass ein enger Politikbegriff Frauen kategorisch aus dem Feld des Politischen herausdrängt und ihre historische Exklusion damit gleichsam begrifflich-methodisch reproduziert.“108 Inzwischen lässt sich in der Historiografie die Bewegung weg von der bloßen Frauengeschichte hin zur Geschlechtergeschichte beobachten. Nicht mehr Weiblichkeiten allein werden untersucht, sondern beispielsweise auch Männlichkeiten oder als „außerhalb“ gesellschaftlich als akzeptabel gelabelter Normen stehenden Menschen wie etwa Hermaphroditen.109 Geschlecht wird somit als relationale Kategorie betrachtet, die sich nur in Abgrenzung von und gleichzeitigem Bezug zu Weiblichkeit bzw. Männlichkeit konstituiert.110 Allerdings sind die Ansätze, die gleichermaßen unter dem Begriff Kulturgeschichte des Politischen firmieren, sehr disparat und gehen von unterschiedlichen theoretischen Prämissen aus. Dies gilt etwa für die Beiträge in dem Sammelband von Stollberg-Rillinger, in denen auf so unterschiedliche Theorieströmun-
105 Stollberg-Rillinger: Was heißt Kulturgeschichte des Politischen?, S. 13. 106 Die Genealogie, als philosophisches Konzept ursprünglich von Nietzsche eingeführt, wird zunehmend in den Geschichtswissenshaften über die Rezeption Michel Foucaults als für die Analyse fruchtbares Verfahren angesehen. Foucault sagt über die Genealogie: „Die Genealogie [kann] sich nur in Bescheidenheit üben; sie muss die Ereignisse in ihrer Einzigartigkeit und jenseits aller gleich bleibenden Finalität erfassen, sie dort aufsuchen, wo man sie am wenigsten erwartet, und in solchen Bereichen, die keinerlei Geschichte zu besitzen scheinen: Gefühle, Liebe, Gewissen, Triebe.“ Michel Foucault: Nietzsche, die Genealogie, die Historie, in: ders.: Dits et Ecrits. Schriften Bd. 2, Frankfurt/Main 2002, S. 166-191, hier: S. 166. 107 Noel Ignatiev: How the Irish Became White, New York 1995. 108 Ute Frevert: Neue Politikgeschichte, in: Joachim Eibach/Günther Lottes (Hg.): Kompass der Geschichtswissenschaft, Göttingen 2002, S. 152-177, hier: S. 157. 109 Vgl. Martschukat/Stieglitz: ‚Es ist ein Junge!ދ. 110 Vgl. zur Relationalität von Männlichkeit und Weiblichkeit Raewyn Connell: The Social Organization of Masculinity, in: Stephen Whitehead/Frank Barret (Hg.): The Masculinities Reader, Cambridge 2001, S. 30-50, hier: S. 31.
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gen wie Diskursanalyse oder Systemtheorie rekurriert wird.111 Der hinter der Rede von der Kulturgeschichte des Politischen stehende Gedanke ist jedoch, so der Konsens der Beitragenden, dass die historische Analyse von scheinbar Alltäglichem eine eminent politische Angelegenheit ist und wichtige Aufschlüsse über die bestehenden Machtverhältnisse einer Gesellschaft zu liefern vermag. Schon Dick Hebdige wandte sich in seinem Buch über die Subkulturen dagegen, einen reduktionistischen Begriff von Kultur zu verwenden. Demnach wäre nur das wert, untersucht zu werden, was gemeinhin als „Hochkultur“ gehandelt würde. Demgegenüber hält er fest: „Alle Aspekte von Kultur besitzen semiotischen Wert, und die selbstverständlichsten Erscheinungen können als Zeichen fungieren: als Elemente in Kommunikationssystemen, die – nicht direkt durch Erfahrung erworbenen – semantischen Regeln und Kodes unterliegen.“112 Die Historiker/innenzunft tut sich mit einem solchen erweiterten Verständnis von Kultur und dem Politischen teilweise bisher jedoch schwer. Stellvertretend für eine solche Skepsis kann ein Aufsatz von Andreas Rödder herangezogen werden. In der Historischen Zeitschrift formuliert er eine Kritik der Kulturgeschichte des Politischen, die wesentliche Vorbehalte gegen dieses neue Forschungsparadigma von Seiten sich eher an traditioneller Historiografie orientierender Geschichtswissenschaftler/innen bündelt. Der Autor schreibt dort: „Was die kulturalistische Perspektive auf die Politik nicht in den Blick nimmt – theoretisch (trotz manch weitergehend formulierter Ansprüche) und hinsichtlich der praktisch bearbeiteten Themen – sind die zentralen Gegenstände des klassischen Politikbegriffs, die ‚harten Fakten ދjenseits der Ebene ihrer kommunikativen Konstitution, auf der bereits angesprochenen Ebene einer angenommenen Realität: sachthematische Inhalte, konkretes Handeln im Zusammenhang der Herbeiführung von Entscheidungen und institutionalisierte Staatlichkeit, etwa im Bereich des Sozialstaats, der Sicherheits- oder Finanzpolitik, der Verwaltung etc.“113
Problematisch an der Kritik von Rödder ist m. E. die starre Dichotomie zwischen „harten Fakten“ und den gemäß dieser Logik „weichen Diskursen“. Die hier konstruierten Ebenen existieren in dieser Ausschließlichkeit nicht. Die staatliche Ebene, Institutionen, politische Entscheidungen lassen sich nicht ohne diskursive Prozesse verstehen. Der perzeptive Zugriff ist stets diskursiv vermittelt und di-
111 Vgl. etwa die einzelnen Beiträge im Sammelband von Stollberg-Rillinger: Was heißt Kulturgeschichte des Politischen. 112 Hebdige: Schocker, S. 18. 113 Rödder: Klios neue Kleider, S. 686.
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rekt auf diese „harten Fakten“ nicht möglich. In dieser Absolutheit ist zudem der Vorwurf nicht zu halten, die sich dem Ansatz der Kulturgeschichte des Politischen verpflichtet fühlenden Forscher/innen würden die Makroebene außen vor lassen und sich nur mit Diskursen über ephemere Phänomene auf der Mikroebene beschäftigen. Die Ebene der „harten Fakten“ wird von einigen Arbeiten aus dem Umkreis der Kulturgeschichte des Politischen durchaus thematisiert oder gar ins Zentrum der Forschung gestellt, allerdings mit einer neuen Perspektive, die eben nicht eine Rekonstruktion der Ereignisse, „so wie es wirklich war“ unternimmt.114 Denn historische Narrative können keinen Anspruch darauf erheben, eine „an sich“ vorhandene, notwendig linear-kausal verlaufende Ereignisfolge abzubilden. Vielmehr besteht Historiografie immer schon in einer Selektion der von Rödder als solchen apostrophierten „harten Fakten“, die von den Historiker/innen in einer gewissen Weise angeordnet werden. Geschichtsschreibung hat damit, worauf bereits Hayden White hinwies, einen ähnlichen Entstehungsprozess wie Literatur: Es werden Ereignisse aus Quellen rekonstruiert. Welche jedoch von der Unzahl der verschiedenen Möglichkeiten gewählt werden und wie Geschichte(n) erzählt werden, gleicht einer narrativen Komposition: „Eine gegebene Menge von zufällig überlieferten Ereignissen [stellt] niemals für sich selbst eine Geschichte dar […]; das äußerste, was sie einem Historiker bieten kann, sind die Elemente einer Geschichte. Die Ereignisse werden zu einer Geschichte gemacht durch das Weglassen oder die Unterordnung bestimmter Ereignisse und die Hervorhebung anderer, durch Beschreibung, motivische Wiederholung, Wechsel in Ton und Perspektive, durch alternative Beschreibungsverfahren und ähnlichem – kurz mit Hilfe all der Verfahren, die wir normalerweise beim Aufbau einer Plotstruktur eines Romans oder eines Dramas erwarten.“115
Und weiter schreibt White: „Als eine symbolische Struktur reproduziert die historische Erzählung nicht die Ereignisse, die sie beschreibt; sie sagt uns, in welcher Richtung wir über die Ereignisse denken sollen und lädt unser Nachdenken über diese Geschehnisse mit verschiedenen emotionalen Valenzen auf. Die historische Erzählung bildet nicht die Dinge ab, auf die sie verweist; sie
114 Vgl. hierzu die Sammelrezension von Gerd Schwerhoff: B. Stollberg-Rillinger: Was heißt Kulturgeschichte des Politischen?, in: H-Soz-Kult, 21.04.2006. 115 Hayden White: Auch Klio dichtet oder Die Fiktion des Faktischen. Studien zur Tropologie des historischen Diskurses, Stuttgart 1986, S. 104.
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ruft die Bilder von Dingen, auf die sie verweist, ins Bewusstsein, in derselben Weise, wie 116
es eine Metapher tut.“
Diese Arbeit verfährt nicht anders, indem ich versuche, eine Geschichte afroamerikanischer Style Politics in den USA zu erzählen. Dabei interpretiere ich bekannte Ereignisse und Bewegungen wie das Civil Rights- und Black PowerMovement vor dem Hintergrund von Style. Style stellt in der Sprache von White somit den Plot dieser Studie dar, mit Fokus auf den hin bestimmte Quellen untersucht und in die historische Erzählung einordnet werden. Michel Foucault hat mit dem Begriff des Dispositivs versucht, Diskursives und Nicht-Diskursives zusammenzudenken. Dieser Begriff scheint im Kontext der vorliegenden Untersuchung deshalb brauchbar, weil ein neues Verständnis des Politischen konzeptionalisiert werden soll, um das schwierige Verhältnis zwischen Institutionen und Diskursen auszutarieren. In einem Gespräch mit Jacques-Alain Miller liefert Foucault eine umfassende Definition des komplexen Dispositivbegriffs und führt aus: „Das was ich mit diesem Begriff zu bestimmen versuche, ist erstens eine entschieden heterogene Gesamtheit, bestehend aus Diskursen, Institutionen, architektonischen Einrichtungen, reglementierenden Entscheidungen, Gesetzen, administrativen Maßnahmen, wissenschaftlichen Aussagen, philosophischen Lehrsätzen, kurz: Gesagtes ebenso wie Ungesagtes, das sind die Elemente des Dispositivs. Das Dispositiv ist das Netz, das man zwischen diesen Elementen herstellen kann.“117
Mit dem Dispositivbegriff ist angezeigt, dass es nicht nur um Diskursives geht, sondern ein Ensemble, das sowohl Diskursives wie Nichtdiskursives erfasst. Beides kann nicht getrennt voneinander gedacht werden. Eine Kulturgeschichte des Politischen muss diesem Umstand Rechnung tragen, will sie eine nichtreduktionistische Konzeption des Politischen entwerfen. Die Untersuchung von Style Politics kann in diesem Sinne auch als ein Dispositiv verstanden werden, das allerdings sehr stark auf der visuellen Ebene operiert. Man könnte in Anlehnung an Foucault somit von einem Styledispositiv sprechen. Damit wird deutlich, dass es nicht ausschließlich um Style an sich geht, sondern dieser eingebunden ist sowohl in diskursive wie nichtdiskursive Prozesse, sich somit in Machtverhältnis-
116 White: Auch Klio dichtet oder Die Fiktion des Faktischen, S. 112. 117 Michel Foucault: Dits et Écrits. Schriften 3, Frankfurt/Main 2003, S. 392. Vgl. auch Jürgen Link: Dispositiv, in: Kammeler/Pfarr/Schneider (Hg.): Foucault-Handbuch, S. 237-242.
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sen bewegt. Mit dem Dispositivbegriff kann ein reduktionistisches Verständnis von Style vermieden werden, in welchem dieser als allein ausschlaggebender Indikator gesellschaftlicher Verhältnisse konzipiert und einzig darüber soziale Konflikte und Prozesse ausgetragen würden. Vielmehr ist Style eingebettet in gesamtgesellschaftliche Entwicklungen, die auf verschiedenen Ebenen operieren, diskursiv und nichtdiskursiv, visuell und nichtvisuell, makro- und mikrologisch. Mit dem Dispositivbegriff lässt sich eine neue Konzeption des Politischen einführen, die nicht auf einer traditionellen Historiografie von Ereignissen oder Institutionen verbleibt, sondern darüber hinaus diskursive, visuell-materielle Formationen mit einbezieht, um über gesellschaftliche Prozesse Aufschluss zu geben. Die vorliegende Arbeit versteht sich deshalb als ein Beitrag zu einer Kulturgeschichte des Politischen. Anhand von Style Politics in den USA der 1960er und 1970er Jahre will ich zeigen, wie Auseinandersetzungen über Style für die Protagonist/innen zentrale Bedeutung erlangten und integraler Bestandteil dessen waren, was in eher traditionell orientierten Historiografien als politische Bewegungen der Bürgerrechts -und Black Power-Bewegung untersucht wurde. Damit liefern Style Politics einen alternativen Zugang, und vermögen neue Einsichten und ein komplexeres Bild der Auseinandersetzungen in der damaligen Zeit zu eröffnen.
Q UELLEN
UND DIE
F RAGE
DER
M EDIALITÄT
Für die vorliegende Arbeit ziehe ich eine Vielzahl von unterschiedlichen Quellengattungen heran. Neben zeitgenössischen Zeitungsartikeln benutze ich unveröffentlichte Manuskripte und Korrespondenzen, Autobiografien, Fotografien, Filme und Oral History aus dem Untersuchungszeitraum von 1943 bis 1975. Zur Analyse der Zoot Suit Riots verwende ich neben zeitgenössischen Zeitungsberichten auch einige Selbstzeugnisse ehemaliger Zoot Suiter. Für die Nation of Islam greife ich hauptsächlich auf die Zeitung der Organisation Muhammad Speaks zurück, die ab dem Jahre 1961 wöchentlich publiziert wurde. Interne Dokumente sind leider bisher kaum zugänglich. Es gibt veröffentlichte Autobiografen einiger Mitglieder, am prominentesten etwa die von Malcolm X, aber auch von Sonsyrea Tate, die ich konsultieren werde.118
118 Alex Haley (Hg.): Die Autobiographie von Malcolm X, München 1999; Sonsyrea Tate: Little X. Growing Up in the Nation of Islam, Knoxville 2005.
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Bei dieser Vielzahl des Quellenmaterials stellt sich unweigerlich das Problem, wie die Rekonstruktion von Style Politics durch diese unterschiedlichen Quellen affiziert wird. Historiografie ist seit jeher mit dem Problem der Medialität konfrontiert. Dabei spielen Fragen eine Rolle wie: Welchen Status hat die Quelle als Medium, oder wie beeinflusst diese unsere Wahrnehmung vergangener (und gegenwärtiger) gesellschaftlicher Prozesse? Einen Zugang zu geschichtlichen Entwicklungen erlangen wir immer nur vermittelt über die Medialität der Quellen. Ob es sich um schriftliche Dokumente, Fotografien oder Filme handelt, ist dabei schon konstitutiv dafür, wie wir ein Ereignis rezipieren. Andreas Käuser hält deshalb fest: „Geschichte manifestiert sich in Medien, in Materialitäten und Dokumenten der verschiedensten Art, und zwar so, dass die verschiedene Medialität dieser Dokumente für den geschichtlichen Vorgang keineswegs gleichgültig, sondern konstitutiv ist.“119 In meiner Arbeit verwende ich die Methode der historischen Diskursanalyse, d.h. die verschiedenen Quellen dienen mir als Material, mit dem bestimmte diskursive Konstellationen, Brüche und Verschiebungen deutlich gemacht werden sollen. Im Vordergrund steht deshalb nicht die minutiöse Analyse weniger einzelner Quellen, sondern ich betrachte ein möglichst breites Spektrum an diskursiven Äußerungen, um bestimmte Muster in Bezug auf zeitgenössische Konzeptionen von Style Politics erkennen zu können. Die historische Diskursanalyse untersucht Aussagen in ihrer Positivität, d.h. es wird nicht primär nach tieferliegenden, unter den Aussagen versteckten Botschaften gesucht, sondern die Existenz bestimmter Aussagen zum Untersuchungsgegenstand gemacht: Warum erscheinen diese bestimmten Diskursmuster zu einer bestimmten Zeit, oder warum verschwinden andere sind dabei erkenntnisleitende Fragen.120 Es gibt nur eine begrenzte Anzahl des Sagbaren, das zu einer bestimmten Zeit gesellschaftlich
119 Andreas Käuser: Historizität und Medialität, in: Ralf Schnell (Hg.): MedienRevolutionen. Beiträge zur Mediengeschichte der Wahrnehmung, Bielefeld 2006, S. 146166, hier: S. 152. 120 Vgl. auch Achim Landwehr, der schreibt: „In diesem Sinne interessiert sich die historische Diskursanalyse für Oberflächlichkeiten und Positivitäten. Sie will nicht mehr im Sinne einer traditionellen Hermeneutik hinter die Erscheinungen gelangen, um deren ‚eigentlichen ދKern freizulegen, sondern nutzt vielmehr hermeneutische Verfahren, um dem Problem nachzugehen, welche Umstände dazu geführt haben, solche Erscheinungen als Wirklichkeit hervorzubringen.“ Achim Landwehr: Historische Diskursanalyse, Frankfurt/New York 2008, S. 92.
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intelligibel ist.121 Es gibt demnach diskursive Formationen, die in einer bestimmten Periode, in einem bestimmten Kontext das vorstrukturieren, was gesagt werden kann. Sie verknappen somit das Feld der möglichen Aussagen. Diese diskursiven Formationen sind veränderbar, aber sie begrenzen dasjenige, was gesellschaftlich zu einem Zeitpunkt als denkbar und wissenschaftlich akzeptabel gilt. Wenngleich Studien, die eine historische Diskursanalyse durchführen, sich meist auf sprachliche Formen konzentrieren, so schließt dies andere Formen nicht aus. Wie Achim Landwehr schreibt, „können prinzipiell alle Elemente soziokultureller Wirklichkeit zum Gegenstand entsprechender Analysen gemacht werden, denn es gibt kein Medium, keine Praxis und keinen Gegenstand, die nicht zur Formierung mindestens eines Diskurses beitragen würden.“122
In Bezug auf diese Arbeit argumentiere ich, dass Style Politics immer auch eine historisch spezifische diskursive Formation sind, wobei sich der Begriff Diskurs hier nicht ausschließlich auf Sprachliches beschränkt, sondern allgemein andere Zeichen miteinbezieht, wie Kleidung, Frisur etc. Abschließend soll in diesem Kapitel noch das Verhältnis von Performativität und Medialität behandelt werden. Maren Möhring hat das Problem einer Konzeptionalisierung von Performativität für die Geschichtswissenschaft im Rahmen ihrer Studie zur Nacktkultur in Deutschland zu Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts in Deutschland aufgeworfen. In Bezug auf Medialität schreibt sie: „Eine ereignishafte performative Praxis [ist] immer nur medial zu erfassen. Steht bei einer miterlebten Performance das Medium des Körpers im Vordergrund, ist man bei historischen Analysen vergangener Performances zumeist auf Bild- und Schriftquellen (gegebenenfalls auf Tonquellen) verwiesen.“123 Bei einer Untersuchung von Style Politics ist dieses Problem der Medialität ebenfalls gegeben: Styling findet am und mit dem Körper statt. Während der Aufführungscharakter bei historischen Dokumentarfilmen noch gewahrt bleibt (wobei sich allerdings die Rezeptionsbedingungen des Publikums radikal geändert haben können), und auch Fotografien noch auf der Ebene des Visuellen verbleiben, so findet bei schriftlichen Quellen über performative Handlungen eine Verschiebung statt.
121 Dies hat Foucault in der Archäologie des Wissens ausgeführt: Michel Foucault: Archäologie des Wissens, Frankfurt/Main 1973. 122 Landwehr: Historische Diskursanalyse, S. 98. 123 Möhring: Performanz und historische Mimesis, S. 267.
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Möhring schreibt in Bezug auf ihren Untersuchungsgegenstand der antiken Nacktskulpturen: „Doch weder die antiken Statuen noch die Körperpraktik der Statuennachahmung sind in Sprache übersetzbar, es bleibt immer ein Rest. Was im Bild oder in der Plastik auf einen Blick, gleichzeitig vorhanden ist, muss im Text stückweise geschildert werden. […] Mit diesem Problem ist auch jede historiographische Analyse von Bildquellen sowie performativen Praktiken konfrontiert.“124
Dieser Schwierigkeit ist somit auch die vorliegende Arbeit ausgesetzt, denn neben Schriftquellen arbeite ich mit Bild- und Filmmaterial. Schriftquellen, die Aussagen über Style machen, sind immer schon eine Interpretation des Visuellen; sie operieren damit aber auf einer anderen, nämlich textuellen – im Gegensatz zur visuellen – Ebene. Insofern muss der schriftliche Niederschlag von Style Politics immer unzureichend sein, weil die Darstellungsebene gewechselt wird. Andererseits ist die Interpretation des Stylings, die Selektion des visuellen Materials, die implizit in einer schriftlichen historischen Quelle durch Beschreibung und Einordnung bestimmter Elemente vorgenommen wird, als Gegenstand der Untersuchung äußerst aufschlussreich. Somit lassen sich Erkenntnisse über historische Vorstellungen von Style und die damit assoziierten Gedanken, etwa über geschlechtliche und „rassische“ Identität und deren Veränderungen gewinnen. Eine Möglichkeit, mit dieser Schwierigkeit der Ebenendifferenz der Quellen in einer geschichtlichen Untersuchung umzugehen, schlägt Möhring vor, indem sie den Begriff der Supplementierung verwendet: „Die Unterschiedlichkeit der Register des Sagbaren, des Sichtbaren und des Performativen zu betonen, bedeutet aber nicht, von einem vollständigen Bruch zwischen Diskurs und Performanz auszugehen; vielmehr ließe sich hier von einer wechselseitigen Supplementierung sprechen.“125
Dieser Begriff der Supplementierung, den Möhring von Derrida entlehnt, scheint mir für eine Untersuchung zu Style Politics fruchtbar zu sein. Denn auch Style operiert gleichermaßen auf der visuellen, diskursiven und performativen Ebene, und jede Ebene supplementiert somit die anderen Ebenen. Insofern muss keinem Bereich eine Priorität eingeräumt werden, sondern alle können gleichermaßen nützlich für die Rekonstruktion von zeitgenössischen Vorstellungen von Styling
124 Möhring: Performanz und historische Mimesis, S. 268. 125 Möhring: Performanz und historische Mimesis, S. 268-269.
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sein. Jedoch konstituiert die Medialität der Quellen auch die Art der Historiografie. Crivellari, Kirchmann, Schlögl und Sandl halten richtig fest: „Die nunmehr in den Blick rückende ‚Medialität der Geschichte ދakzentuiert also nicht nur die Tatsache, dass uns Geschichte ja immer nur in medialer Überlieferung überhaupt zugänglich ist, sondern stellt sehr viel weitgehender darauf ab, dass Medien selbst elementare Produktivkräfte des Geschichtlichen sind.“126
Dies wird etwa an der Fotografie deutlich. Fotos als Quelle waren in den letzten Jahren vermehrt Gegenstand geschichtswissenschaftlicher Untersuchungen.127 Fotografien galten und gelten häufig noch als Garant für Authentizität: Was dort zu sehen ist, dient als unumstößlicher Beleg für Ereignisse. Im Gegensatz etwa zu Schriftquellen bilden sie scheinbar etwas ab, was im Moment der Aufnahme so gewesen ist, während schriftliche Darstellungen stärker als von subjektiven Wahrnehmungen und Empfindungen geprägt gelten und auch anfälliger für Fälschungen seien. Wie ich anhand einiger Beispiele im Verlaufe dieser Arbeit zeigen werde, besitzen auch Fotos einen Inszenierungscharakter. Die Aufnahme eines Fotos ist schon dadurch aufschlussreich, weil dazu eine Entscheidung nötig ist: Was ist überhaupt wert, fotografiert zu werden, was wird ausgelassen, welches Foto wird veröffentlicht oder erreicht eine hohe Verbreitung? Fotos nehmen den Körper auf und damit auch den Style, den ein bestimmter Mensch trägt. In der Geschichte der African Americans spielten Fotos, insbesondere im Kontext der Bürgerrechts- und Black Power-Bewegung eine wichtige Rolle. Sie wurden zur Dokumentation von Gewalt genutzt, als Beweis beispielswiese des Unrechts, welches African Americans im Süden der USA durch die Polizei und die Jim Crow-Gesetzgebung erlitten hatten.128 Maurice Berger problematisiert allerdings zu Recht die unkritische Vorstellung von der scheinbaren
126 Fabio Crivellari et al.: Einleitung: Die Medialität der Geschichte und die Historizität der Medien, in: dies. (Hg.): Die Medien der Geschichte. Historizität und Medialität in interdisziplinärer Perspektive, Konstanz 2004, S. 9-45, hier: S. 20. 127 Vgl. für einen allgemeinen Überblick Jens Jäger: Fotografie und Geschichte, Frankfurt/Main 2009. 128 „Organizations such as SCLC, SNCC, the National Council of Churches, and the Congress of Racial Equality (CORE) cultivated teams of professional ‘movement photographers,’ both to support their work as a form of artistic expression and to use it as an instrument of motivation or persuasion.“ Maurice Berger: For All the World to See. Visual Culture and the Struggle for Civil Rights, New Haven/London 2010, S. 110.
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Unmittelbarkeit und Authentizität von Fotos und betont demgegenüber deren Konstruktcharakter: „Photographs, far from representing an irrefutable truth, are shaped by the point of view, motives, and biases of the person who takes them. They carry ulterior meaning, determined by and articulated through a range of conceits: the posing of subjects, the distance and position from which they are shot, attention to and choice of details, and the cropping of the field to include or exclude information. Their messages can also be altered or enhanced by their context – the social or cultural milieu in which they are made or distri129
buted and their juxtaposition with other images or explanatory texts and captions.“
Fotos sind also weit entfernt davon, im Sinne eines naiven Realismus ein bloßes Abbild dessen zu sein, „wie es wirklich war“. Die Frage der Medialität der Quellen kann m.E. produktiv mit dem performativen Element von Style Politics zusammengedacht werden. Sybille Krämer schreibt zur Verbindung von Medialität und Performativität: „Unsere Hypothese ist also, dass wir das Verhältnis von Performativität und Medialität dann sinnvoll bestimmen können, wenn wir beide als Dimensionen von – und im Zusammenhang mit – Akten der Aisthetisierung begreifen. Dabei geht in den Begriff ‚Aisthetisierung ދein, dass es sich im Wechselverhältnis von Ereignis und Wahrnehmung um ein ‚in Szene gesetztes ދGeschehen handelt, welches Akteur- und Betrachterrollen einschließt.“130
Krämer betont hier, dass das Auseinanderhalten von „aktiven“ Akteur/innen und „passiven“ Betrachter/innen eine arbiträre Trennung ist. Denn beide bedingen sich gegenseitig, und Performativität sowie Medialität seien nicht isoliert voneinander zu betrachten. Für den Kontext dieser Arbeit bedeutet das, dass die Performativität von Style Politics gleichzeitig auch medial vermittelt ist und dies Erstere konstituiert. Wenn ehemalige Akteure der Black Power-Bewegung etwa in Memoiren oder Texten über ihr damaliges Styling schreiben, dann ist dieses Schreiben produktiv in dem Sinne, dass es die beschriebene Wirklichkeit erst konstituiert. Im selben Zug löst sich aber auch die reine Akteursrolle auf, da die Protagonist/innen durch den Schreibprozess gleichzeitig auch zu Betrachter/
129 Berger: For All the World to See, S. 111. 130 Sybille Krämer: Was haben ‚Performativität ދund ‚Medialität ދmiteinander zu tun? Plädoyer für eine in der ‚Aisthetisierung ދgründende Konzeption des Performativen, in: dies. (Hg.): Performativität und Medialität, München 2004, S. 13-32, hier: S. 14.
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innen werden, die ihr eigenes „sich in Szene setzen“ reflektieren. Ein weiteres Beispiel für das Zusammenfallen von Performativität und Medialität sind Bildquellen wie Fotos. Wenn ein bestimmter Style vor der Kamera performt wird, so sind die Handlungen immer schon strukturiert von der Antizipation der möglichen Betrachter/innen: Man wendet sich der Kamera zu, posiert in gewisser Weise, etc. Insofern spielt also das Medium Foto eine wichtige Rolle bei der Performativität von Style. Nachdem ich in diesem Kapitel mein Verständnis von Style Politics dargelegt und es innerhalb der Debatten um Geschlechtergeschichte sowie der Auseinandersetzungen um die Aufgabe einer Kulturgeschichte des Politischen situiert habe, werde ich im nächsten Kapitel die hier entwickelten theoretischen Einsichten am historischen Beispiel der 1943 in den USA begonnenen Zoot Suit Riots anwenden und zeigen, wie Style Politics dort wirkmächtig wurden.
Die Zoot Suit Riots und Style Politics in den 1940er Jahren
Der junge Afroamerikaner mit dem Spitznamen Detroit Red war am 1. Juni 1943 alles andere als entzückt, als er ein Schreiben vom US-amerikanischen Militär erhielt. Darin wurde er aufgefordert, sich zur Musterung in der Wehrerfassungsbehörde einzufinden, um seine Tauglichkeit für den Einsatz in der US-Armee feststellen zu lassen. Die USA waren seit kurzem in den Zweiten Weltkrieg involviert, und alle jungen Männer im entsprechenden Alter wurden gemustert, um sie bei entsprechender Eignung für den Militärdienst zu verpflichten. Aber Detroit Red war mit anderen Dingen zu Gange. Er verdiente seinen Lebensunterhalt mit kleinkriminellen Aktivitäten und war ansonsten damit beschäftigt, die Nachtclubs von New York zu frequentieren.1 Dafür zog er sich den Zoot Suit an, einen lang geschnittenen Anzug, der bis zu den Knien ging, verstärkte Schultern hatte und aus farbig-grellem Stoff bestand. Nicht nur Detroit Red teilte die Vorliebe für diese extravagante Kleidung – es gab eine regelrechte Zoot Suit Culture, die das Tragen des Zoot Suit mit einem bestimmten Lebensstil verband, der unter anderem im regelmäßigen Ausgehen und Tanzen in angesagten Clubs bestand. Detroit Red hatte keine Lust, all dies für militärischen Drill in der US-Armee aufzugeben. Auch die Aussicht, eventuell sogar sein Leben für sein Land zu geben, das ihn sonst als African American diskriminierend behandelte, war alles andere als verlockend. Deshalb überlegte er sich für den entscheidenden Tag der Musterung, der über sein weiteres Schicksal entscheiden sollte, eine bestimmte Strategie: „Am besagten Tag [der Wehrerfassung, P.D.] kostümierte ich mich wie ein Schauspieler. Zu meinem ausgeflippten Zoot Suit trug ich die gelben Schuhe mit den Knopfspitzen. Die Haare frisierte ich mir zu einem rotbuschigen Conk [einer Frisur, die durch chemische 1
Vgl. zu dieser frühen Phase von Detroit Red: Marable: Malcolm X, S. 39-69.
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Mittel aus krausem glattes Haar macht, P.D.]. Ich tänzelte und hüpfte in die Wehrerfassungsbehörde hinein und schleuderte dem weißen Soldaten am Tresen meinen völlig verfledderten Einberufungsbefehl hin: ‚Ist ja irre, Alter, lass mich gleich abfahren. Ich kann’s kaum erwarten, mich ins Gemetzel zu stürzen…! ދWahrscheinlich hat sich der Soldat bis heute noch nicht ganz von dieser Begegnung erholt.“2
Detroit Red, der mit bürgerlichem Namen Malcolm Little hieß, wurde später zu einem der bekanntesten und umstrittensten Bürgerrechtsaktivisten der USA.3 Detroit Red hatte seinen Zoot Suit Style also eingesetzt, um eine Performance abzuliefern, die mit zeitgenössischen Stereotypen über Zoot Suiter als Kriminelle und Verrückte arbeitete, um als für die Armee ungeeignet zu erscheinen. Das Styling als Zoot Suiter, das viele US-Amerikaner/innen zur Zeit des Zweiten Weltkrieges mit einem hedonistischen, verschwenderischen Lebensstil assoziierten, stand darüber hinaus in Widerspruch zu dem Bild des patriotischen Bürgers, der sich an die Rationierungsbestimmungen des War Production Board4 (WPB) hielt und aufwendige, teure Kleidung vermied, um die Produktion von Militäruniformen nicht zu gefährden.5 Detroit Red und andere Zoot Suiter griffen zwar nicht auf bis dato bewährte Formen des Protestes zurück, die aus gewerkschaftlichem oder organisiert politischem Aktivismus bestanden. Mit dem Zoot Suit und der damit verbundenen Inszenierung des Körpers, der Style Politics, performten sie jedoch widerständige Akte.6 Sie wiesen darüber für alle sofort sichtbar darauf hin, dass sie sich bewusst gegen hegemoniale Konzeptionen dessen wandten, was als Kleidungsstil in der zeitgenössichen Vorstellung als schicklich galt. Der Zoot Suit war somit ein stylepolitisches Statement gegen den Status quo.
2
Haley: Die Autobiographie von Malcolm X, S. 121.
3
Durch die Ersetzung seines Nachnamens „Little“ durch „X“ verwies er auf die aufgezwungene Namensgebung durch die weißen Sklavenhalter. Vgl. auch Kapitel zur Nation of Islam in der vorliegenden Arbeit.
4
Das War Production Board wurde 1942 von der US-Regierung gegründet, um die Ressourcen für die Kriegsführung während des Zweiten Weltkrieges zu überwachen.
5
Die Los Angeles Daily News zitierten einen Sprecher des War Production Board mit den Worten: „Every boy who buys such a garment and every person who sells it is really doing an unpatriotic deed.“ Zit. nach Catherine Ramírez: The Woman in the Zoot Suit. Gender, Nationalism, and the Cultural Politics of Memory, Durham 2009, S. 62. Vgl. auch Robin Kelley: Race Rebels: Culture, Politics and the Black Working Class, New York 1994, S. 172.
6
Vgl. Luis Alvarez: The Power of the Zoot. Youth Culture and Resistance during World War II, Berkeley/Los Angeles 2008, S. 236.
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Abbildung 1: Teens in Zoot Suits
Quelle: Bettmann Corbis
Im Folgenden werde ich die sogenannte Zoot Suit Culture und die später einsetzenden sogenannten Zoot Suit Riots analysieren. Letztere fanden im Juni 1943 in Los Angeles statt. Dabei jagten weiße Matrosen über mehrere Tage Mexican und African American Zoot Suiter durch die Stadt und entkleideten und verprügelten diese. Zeitgenössische Auseinandersetzungen um die unterschiedliche Bewertung der Zoot Suiter sind äußerst aufschlussreich, weil in ihnen Diskurse um Race, Class, Gender, Nation und jugendlicher Delinquenz sowie Styling verhandelt wurden. Die Zoot Suit Culture dient darüber hinaus als wichtiger Kontext, um spätere Style Politics verstehen zu können, und um die historische Kontingenz von Styling herauszuarbeiten. Der Zoot Suit erlangte in den 1970er Jahren außerdem in abgewandelter Form neue Popularität als Pimp Suit, wodurch Zitationen und Rekontextualisierungen von Style untersucht werden kön-
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nen. Abschließend gebe ich einen Ausblick auf die Rezeption und Adaption des Zoot Suit in der Nachkriegszeit. Der Ursprung des Zoot Suit ist sowohl in der zeitgenössischen Presse als auch in der jüngeren Forschung zu den Zoot Suit Riots immer noch strittig. Die New York Times veröffentlichte am 11. Juni 1943, als die Zoot Suit Riots wieder weitestgehend abgeflaut waren, einen Artikel, dem zufolge der erste Zoot Suit, der dann auch unter dem Namen Killer Diller firmierte, im Februar 1940 als Maßanfertigung von einem jungen Mann namens Clyde Duncan in Gainesville, Florida geordert worden war.7 Von anderen Autoren wurde hingegen der JazzMusiker Cab Calloway als Initiator des Zoot Suit Trends angesehen, da er diesen weitgeschnittenen Anzug schon in den 1930er Jahren auf der Bühne getragen habe. Auch Clarke Gable kommt als möglicher Begründer des Trends in Frage, weil er diesen in dem Filmklassiker Gone with the Wind präsentierte.8 Relativ unstrittig ist jedoch, dass der Zoot Suit sehr eng mit der Jazzmusik und -kultur verbunden war, und von vielen Musiker/innen und Aficionados getragen wurde.9 Das Wort „Zoot“, ein in der damaligen Jazzszene gebräuchlicher Terminus, wird auf die ungewöhnliche Weite des Anzugschnittes zurückgeführt (s. Abb. 1) und bedeutete wörtlich etwas Extremes oder Übertriebenes. Die Schneider wandten den Begriff seit 1942 auf diesen Look an, weil der Zoot Suit angesichts der kriegsbedingten Rationierungsbestimmungen der US-Regierung als Kleidungsstück in der Tat „extrem“ war und mit dem, was als zu tragen schicklich galt, stark kontrastierte.
7
N.N.: Zoot Suit originated in Georgia; Bus Boy ordered First one in ’40, The New York Times, 11. Juni 1943, S. 21. Es heißt dort: „The garment so startled A.C. McEver, conservative half of Frierson-McEver, that when the zoot suit was ready he photographed the purchaser, a busboy in Gainesville, and sent the pictures to Men’s Apparel Reporter. It was published in the February, 1941, issue.“
8
Vgl. Douglas Henry Daniels: Los Angeles Zoot: Race „Riot“, the Pachuco, and Black Music Culture, in: The Journal of African American History 87 (2002): S. 98-118, hier: S. 104.
9
Vgl. Eduardo Obregón Pagán: Murder at the Sleepy Lagoon. Zoot Suits, Race, and Riot in Wartime L.A., Chapel Hill 2003, S. 39: „What is clear is that the zoot suit did not originate in El Paso or Mexico, as some observers speculated, but among African American jazz enthusiasts and artists. Etymological and biographical evidence suggests the ways in which the two worlds intersected.“
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Mit dem Zoot Suit war nicht nur ein bestimmtes Aussehen, sondern auch ein spezifisches Auftreten, eine ganzer Lebensstil verbunden.10 Die häufig grelle Farbe der Zoot Suits setzte die Träger/innen modisch von der Kleidung der Mehrheitsbevölkerung deutlich ab. Die weiten und langgeschnittenen Anzüge eigneten sich hervorragend, um die Tanzbewegungen zur Jazzmusik – insbesondere beim Lindy Hop oder Jitterbug – auszuführen.11 Enggeschnittene Kleidung wäre bei den weiten und großzügigen Bewegungen nur hinderlich gewesen. Auch der Tanzstil der Zoot Suiters war schon an sich eine Herausforderung für konservative Erwartungen an respektables und gesittetes Tanzverhalten. Das äußerst enge Tanzen, die schnellen Drehungen und das in die-Luft-Werfen der Tanzpartnerinnen, welches für einige Sekunden den Blick auf die Unterwäsche freigab, war für konservativ eingestellte Amerikaner/innen ein Affront.12 Dies umso mehr, als der inkriminierte Style – auch in Anbetracht der verschwindend geringen Anzahl weißer Zoot Suiter – rassifiziert und zunehmend als Ausdruck der moralischen Verkommenheit von Mexican und African Americans interpretiert wurde. Der Psychologe Ralph S. Banay schrieb 1943 in dem Aufsatz A Psychiatrist looks at the Zoot Suit in der Zeitschrift Probation beispielsweise über den Style der weiblichen mexikanischen Zoot Suiter, dieser verweise auf eine „abnormale“ Sexualität, die auf der Tanzfläche zudem in übertriebener Weise dargestellt würde.13 Die Konstruktion des Zoot Suit als Signifikanten für „unpatriotisches Verhalten“ beginnt mit dem Zweiten Weltkrieg. Durch den offiziellen Eintritt der USA in das Kriegsgeschehen am 7. Dezember 1941, nach dem japanischen Angriff auf Pearl Harbor, wurden viele männliche US-Amerikaner zum Armeedienst eingezogen. In großen Teilen der Presse und von der Regierung wurde dies als eine patriotische Pflicht angesehen. Die ihren Militärdienst ableistenden Soldaten nahmen jedoch oftmals – verstärkt durch Berichte in der Presse – Mexican Americans und African Americans als draft dodgers, d.h. als Wehrdienst-
10 So etwa Kelley in Race Rebels und Alvarez in The Power of the Zoot. Kritisch dazu aber Kathy Peiss: Zoot Suit. The Enigmatic Career of an Extreme Style, Philadelphia 2011, S. 54. 11 Alvarez: The Power of the Zoot, S. 145; vgl. zum Lindy Hop den Aufsatz von Terry Monaghan: Why Study the Lindy Hop, in: Dance Research Journal 33, 2 (2001/2): S. 124-127. 12 Vgl. Alvarez: The Power of the Zoot, S. 146. 13 Ramírez: The Woman in the Zoot, S. 70. Dieser von Ramirez zitierte Aufsatz findet sich allerdings nicht an der von ihr genannten Stelle; er ließ sich auch nach einer ausführlichen Recherche nicht in der Zeitschrift Probation lokalisieren.
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verweigerer, wahr.14 Sich dem Anschein nach darauf zu konzentrieren, auf das äußere Erscheinungsbild zu achten und sich in Nachtclubs zu amüsieren, während die Armeeangehörigen sich für ihr „Vaterland“ einsetzten, wurde von der weißen Mehrheitsgesellschaft als unziemlich aufgefasst. Die kriegsbedingte prekäre ökonomische Lage, in der sich viele weiße US-Amerikaner/innen befanden und im Gegensatz dazu die Opulenz, die der vor allem von African und Mexican Americans getragene Zoot Suit suggerierte, beförderten vermehrt rassistische Ressentiments. Ein weißer New Yorker beschwerte sich etwa in einem Brief an Bürgermeister La Guardia darüber, dass „the nigger can afford to dress ‚and strut ދfar better than a lot of whites“.15 Die Zoot Suiter seien, so suggeriert ihr Styling dem Verfasser des Briefes zufolge, ökonomisch besser gestellt als viele Weiße und trügen diesen Wohlstand zudem öffentlich und stolz zur Schau. Es wurde deshalb in der hegemonialen, öffentlichen weißen Meinung eine pauschalisierende und rassifizierende Dichotomie aufgemacht, die zwischen weißen, treu dienenden Soldaten und den Kriegsdienst verweigernden afroamerikanischen und Mexican American Zoot Suiters unterschied. Indes dienten auch viele Mexican und African Americans in der Armee. Dies war Auslöser für die von einigen schwarzen Zeitungen und Bürgerrechtsorganisationen angestoßene Double V-Kampagne (von Double Victory).16 Sie zielte darauf ab, einerseits den Widerspruch aufzuzeigen zwischen dem proklamierten Ziel der USA, das NaziRegime in Deutschland zu stürzen und dort die Demokratie wieder einzuführen, während die rassistischen, antidemokratischen Jim Crow-Gesetze in den Südstaaten der USA und die Diskriminierung von African und Mexican Americans in der US-Armee weiterhin existierten. African Americans wurden beispielswiese aus der Flugzeugindustrie systematisch ausgeschlossen, und auch viele Gewerkschaften in der Verteidigungsindustrie hatten entweder Bestimmungen, die African Americans die Mitgliedschaft verwehrten, oder ungeschriebene Gesetze,
14 Vgl. Anthony Macías: Bringing Music to the People: Race, Urban Culture, and Municipal Politics in Postwar Los Angeles, in: American Quarterly 56, 3 (2004): S. 693717, hier: S. 696. 15 Zit. nach Macias: Bringing Music to the People, S. 697. 16 Den ersten Aufruf zur Kampagne startete die schwarze Zeitung Pittsburgh Courier, dem bald andere afromaerikanische Zeitungen folgten. An der Kampagne war von schwarzen Organisationen vor allem die National Association for the Advancement of Coloured People (NAACP) beteiligt.
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die deren Aufnahme verhinderte.17 Die Kampagne hatte deshalb neben dem Sieg gegen den Faschismus im Ausland auch den Sieg gegen den institutionellen Rassismus im eigenen Land als Ziel. Aus diesem Grund begann die NAACP bereits 1940, die Praxis der Restriktion von African Americans auf niedrige Tätigkeitsbereiche und den Ausschluss aus vielen Armeeeinheiten zu thematisieren und mit juristischen Mitteln dagegen vorzugehen.18 Es gab auch viele Suit Zooter, die genau aus dieser Erwägung heraus, den Leib und Leben gefährdenden Kriegsdienst nicht ableisten zu wollen versuchten, den Einberufungsbefehl zu umgehen. Warum man angesichts dieser Tatsachen für die Weißen in den Krieg ziehen sollte, erschloß sich vielen African Americans nicht. Ein schwarzer Soldat, der am Harlem Riot von 1943 teilgenommen hatte, bekannte offenherzig: „ By the time you read this I will be fighting for Uncle Sam, the bitches, and I do not like it worth a damn. I’m not a spy or a saboteur, but I don’t like goin’ over there fightin’ for the white man.“19 Ein prominentes Beispiel für den Unwillen der Zoot Suiter, in der Armee zu dienen und dort im Krieg ihr Leben aufs Spiel zu setzen, ist der bereits oben erwähnte Malcolm Little, später Malcolm X. Er beschreibt in seiner Autobiografie, wie er, bevor er im Gefängnis zur Nation of Islam konvertierte und zu einem ihrer eloquentesten und erfolgreichsten Redner wurde, in Detroit und anschließend in New Yorks Harlem zu einem Hipster wurde, der die Zoot Suit Culture lebte.20 Die Zoot Culture war aber mehr als eine hedonistische Tanzkultur, sie war ein Ticket in die „in crowd“ und symbolisierte eine neue militante und ultramaskuline schwarze „street culture“.21 Robin Kelley spricht deshalb von Malcolm X und den Zoot Suitern insgesamt als von Race Rebels, Bruce Tyler auch von Cultural Rebels.22 Während Malcolm X in der Retrospektive seine Zeit als Zoot Suit tragender Hipster als unpolitischen Irrweg abtut, und erst seine Konversion zum Islam und damit seine Aktivität für die Nation of Islam für politisch erklärt,
17 Vgl. Joe William Trotter, Jr.: From a Raw Deal to a New Deal? 1929-1945, in: Robin D. Kelley/Earl Lewis (Hg.): To Make Our World Anew. A History of African Americans, Volume II, New York 2000, S. 131-166, hier: S. 158. 18 Trotter, Jr.: From a Raw Deal to a New Deal?, S. 164. 19 Zit. nach Eric Lott: Double V, Double-Time: Bebop’s Politics of Style, in: Callaloo 36 (Summer 1988): S. 597-605, hier: S. 598. 20 Vgl. Haley: Die Autobiographie von Malcolm X, S. 115-116. 21 Robin Kelley: Negroes on the Loose: Malcolm X and the Black Bourgeoisie, in: Callaloo 21, 2 (1998): S. 419-435, hier: S. 422. 22 Vgl. Kelley: Race Rebels, S. 61; Bruce Tyler: Black Jive and White Repression, in: Journal of Ethnic Studies 16, 4 (1989): S. 32-38.
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zeigt Kelley überzeugend, dass Malcolm X’ Phase als Zoot Suiter eminent wichtig für dessen Entwicklung war und zudem auf dem Gebiet des Style Widerständigkeit gegen Patriotismus aber auch gegen die rassistische Diskriminierung von African Americans bedeutete. „It is my contention that his participation in the underground subculture of black workingclass youth during the war was not a detour on the road to political consciousness but rather an essential element of his radicalization. The zoot suiters and hipsters who sought alternatives to wage work and found pleasure in the new music, clothes, and dance styles of the period were ‚race rebels ދof sorts, challenging middle-class ethics and expectations, carving out a distinct generational and ethnic identity, and refusing to be good proletarians.“23
Kelleys Darstellung muss allerdings dahingehend differenziert werden, dass es durchaus Zoot Suiter gab, die ihren Militärdienst ableisteten. Gegen die rassistische Segregation der Streitkräfte zu protestieren und in der Armee zu kämpfen, wurde von einigen Zoot Suitern als ein subversives Verhalten interpretiert, weil sie sich damit über die White Supremacy Doktrin hinwegsetzten. Einige liessen ihre Uniformen umschneidern, so dass diese durch einen weiten Schnitt dem Zoot Suit ähnelten.24 Die Zoot Suit Culture, die nicht nur den Style beinhaltete, sondern auch die Verwendung eines gewissen Slang und ein spezifisches Freizeitverhalten umfasste, das durch den Besuch von Nachtclubs und Tanzen bestimmt war, wurde von den US-amerikanischen Autoritäten mit Besorgnis betrachtet. Denn nicht nur das „dressing up“ in Zoot Suits war ein visueller Affront gegen die Rationierungsbestimmungen des War Production Board sondern auch die Jazzclubs, in denen die rassistische Jim-Crow Doktrin, die das sogenannte „Race-Mixing“ untersagte, weitestgehend ignoriert wurde. Wenn den Zoot Suitern auch die Möglichkeiten der traditionellen politischen Intervention durch Lobbygruppen oder Parteien nicht gegeben waren, artikulierten sie durch ihr Styling doch ihre gegenderten, ethnischen und Klassenidentitäten.25 Die Jazzkultur, die größtenteils von afroamerikanischen Musikern dominiert wurde, und in der auch das Publikum anfänglich hauptsächlich schwarz war, legte nahe, dass die weißen Aficionados weniger rassistische Vorurteile hatten als der Rest der weißen Bevölkerung. Dass African Americans in den clubs mit weißen Frauen tanzten, war in
23 Kelley: Race Rebels, S. 163. Vgl. auch ders.: Negroes on the Loose, S. 422. 24 Vgl. Peiss: Zoot Suit, S. 100. 25 Alvarez: The Power of the Zoot, S. 114.
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den Augen von Jim Crow-Vertretern ein Verstoß gegen das Race-Mixing. African Americans würden sich mit ihrem Styling und durch den Umgang mit weißen Frauen über den ihnen zugewiesenen inferioren Status hinausbewegen und sich als gleichberechtigte Bürger/innen wähnen.26 Ähnliche Diskursmuster tauchen in der zeitgenössischen Presse auch in Bezug auf Mexican American Zoot Suiter auf. Insbesondere junge mexikanische Frauen wurden als Gefahr angesehen, weil sie angeblich promiskuitiv seien und deshalb leicht weiße Matrosen verführten. In zeitgenössischen Artikeln wurde für weibliche Mexican American Zoot Suiter deshalb häufig die Figur der „Whore“ verwendet, die in ihrem Styling nicht Respektabilität ausdrücken würden, sondern „ungezügelte“ und „abnorme“, ergo „verwerfliche“ Sexualität.27 Verstärkt wurde diese in den US-Medien geschürte Angst dadurch, dass die sogenannten Anti Miscegenation Laws, also die Gesetze, die „Rassenmischung“ verbaten, nur zwischen Weißen und African Americans galten. „Since anti-miscegenation statutes did not consider sex between whites and Mexicans to be interracial, and thus unlawful, some did worry that, without legal deterrents, sexual relations between the two communities could easily occur.“28 Neben der angeblichen „Rassenmischung“ wurde auch die Double V-Kampagne als Vorwand für rassistische Übergriffe und Repressalien von Weißen gegenüber African und Mexican Americans angeführt. Als Zentrum der Kampagne galt vielen African Americans die Stadt New York, und als exemplarischer Ort, der dies symbolisierte, das Savoy Hotel.29 Das Savoy wurde im Juni 1943 vom damaligen Bürgermeister Fiorello La Guardia mit der Begründung geschlossen, dort würde Prostitution betrieben, und es sei ein Ort, an dem Geschlechtskrankheiten verbreitet würden. Die meisten Bewohner/innen Harlems glaubten jedoch, dass die wahren Gründe für diese Schließung im Durchbrechen der rassistischen Segregation beim Tanzen und Feiern lagen.30 Die dadurch ausgelösten Spannungen führten unter anderem im Jahr 1943 zum sogenannten Harlem Riot.31 Tyler schreibt über die allgemeine politische Stimmungslage in-
26 Alvarez: ebd. 27 Vgl. Ramírez: The Woman in the Zoot Suit, S. 68-72. 28 Elizabeth R. Escobedo: The Pachuca Panic: Sexual and Cultural Battlegrounds in World War II Los Angeles, in: Western Historical Quarterly 38 (Summer 2007): S. 133-156, hier: S. 144. 29 Vgl Tyler: Black Jive and White Repression, S. 52. 30 Tyler: ebd. 31 Der Harlem Riot begann am 1. August 1943, nachdem sich das Gerücht verbreitet hatte, der afroamerikanische Soldat Robert Bandy sei im Braddock Hotel in Harlem
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nerhalb der weißen US-Bevölkerung während der Kriegsjahre und angesichts der Präsenz von Zoot Suiters in New York: „Racists bitterly resented the social and cultural Double V program and its strides toward greater recognition and success. The high profiles of Black entertainers and Zoot Suiters gave Whites the impression that Blacks were making more economic and social progress than was actually the case.“32
Doch nicht nur an der Ostküste mit New York als Zentrum war der Zoot Suit ein neues kulturelles Phänomen. In Los Angeles gab es neben afroamerikanischen Zoot Suitern vor allem Mexican American Suiter, die den Style populär machten. Anfang Juni 1943, bevor dort die Riots ausgebrochen waren, beriet der City Council von L.A. bereits über ein Verbot des von ihm abfällig als „Freak Suit“ titulierten Zoot Suit. Obwohl einige Abgeordnete Zweifel darüber äußerten, ob ein Verbot der Zoot Suits verfassungsgemäß und eine adäquate Antwort auf die Unruhen sei, wurde der Kleidungsstil selbst zum Problem gemacht.33 Dass in Teilen der Bevölkerung rassistische Ansichten zunahmen, und die Zoot Suiter als Mexikaner/innen rassifiziert wurden, bewog das County Board of Supervisors zu einer Stellungnahme, die beschwichtigend wirken sollte. Es hielt in einem Statement fest: „We ask the general public to view the situation without prejudice toward any group, but as a problem aggravated by war conditions and calling for both a sympathetic understanding and a firm insistence on an impartial administration of justice.“34 So wurde von städtischer Seite zumindest registriert, dass es in der Bevölkerung eine zunehmend anti-mexikanische Stimmung
nach einem Streit von einem Polizisten erschossen worden. (Die genauen Umstände der Auseinandersetzungen sind unklar, jedoch wurde Bandy nicht getötet, sondern durch den Schuss nur leicht verletzt.) Dieses Gerücht setzte lange aufgestaute Aggressionen von African Americans vor allem gegenüber der Polizei und deren Schikanierungen frei. Die Plünderungen verweisen aber auch auf die oftmals ökonomisch sehr prekäre Lage der schwarzen Bevölkerung. Der Harlem Riot dauerte vier Tage lang an. Am Ende waren sechs African Americans tot, ungefähr 600 Personen wurden verhaftet und 1485 Geschäfte wurden verwüstet. Vgl. ausführlich zum Harlem Riot: Nat Brandt: Harlem at War. The Black Experience in WWII, New York 1996, S. 183-207. 32 Tyler: Black Jive and White Repression, S. 60. 33 N.N.: Ban on Freak Suits studied by Councilmen, in: Los Angeles Times, 10. Juni 1943, S. A. 34 Statement des County Board of Supervisors, zit. nach: N.N.: County Advises Public against Racial Prejudice, in: Los Angeles Times, 9. Juni 1943, S. 1.
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gab, die es zu entschärfen galt. Dies wurde bereits vor den Zoot Suit Riots an einem früheren Gerichtsprozess deutlich. Diesen werde ich im Folgenden schildern und in Bezug darauf analysieren, wie dort Diskurse von „Rasse“, Geschlecht und Styling zusammengeführt wurden, die später während der Zoot Suit Riots wieder abgerufen wurden.
D ER S LEEPY L AGOON -M ORDFALL In Los Angeles lagen die Konnotationen des Zoot Style mit Mexican Americans und jugendlicher Delinquenz darin begründet, dass es im August 1942 – also ziemlich genau ein Jahr vor den Zoot Suit Riots – den sogenannten Sleepy Lagoon Murder Case gab, in dem einige jugendliche Mexican Americans des Mordes angeklagt wurden.35 Dort lässt sich bereits bei der zeitgenössischen Berichterstattung der bürgerlichen Presse über den Gerichtsprozess eine Verknüpfung der Themen von angeblich „ungebührlichem“ Styling mit jugendlicher Delinquenz beobachten. Der Vorfall, der zum Prozess führte, ereignete sich in der Nacht vom 1. auf den 2. August 1942 in Southeast Los Angeles. Es gab eine Schlägerei am Sleepy Lagoon See, in deren Folge der leblose Körper des zweiundzwanzigjährigen José Diaz gefunden wurde. Diaz starb durch einen Schlag auf den Kopf. 22 junge Männer, davon 21 Mexican Americans, wurden des Mordes angeklagt. In dem Prozess, der in den Gerichtsakten unter People vs. Zamorra geführt wurde, der in den Zeitungen jedoch längst unter dem Namen Sleepy Lagoon Murder Case firmierte, wurden Diskurse über jugendliche Delinquenz so mit Mexican Americans assoziiert und gleichgesetzt, dass eindeutig von einer Rassifizierung der Diskurse gesprochen werden kann. Jugendliche Delinquenz war ein Terminus, der seit Anfang des 20. Jahrhunderts für das, was unter dem sehr unpräzisen Begriff als „jugendliches Fehlverhalten“ galt, verwendet wurde. Während der Kriegsjahre bekam „jugendliche Delinquenz“ verstärkt die Bedeutung eines Effektes, den der Krieg auf Kinder durch schnellen sozialen Wandel und Desorientierung gehabt habe, und wurde seit den Jahren 1942 und 1943 aus verschiedenen Gründen zu einer öffentlich diskutierten Angelegenheit.36 Zum einen schien vieles darauf hinzudeuten, dass durch Jugendliche verübte Verbrechen seit Dezember 1942 stark angestiegen
35 Vgl. Obregón Pagán: Murder at the Sleepy Lagoon. 36 Vgl. James Gilbert: A Cycle of Outrage. America’s Reaction to the Juvenile Delinquent in the 1950s, New York/Oxford 1986, S. 25.
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waren. Andererseits hatten Experten für das Verhalten von Jugendlichen den Anstieg von jugendlicher Delinquenz bereits vorausgesagt, und diese Warnungen beförderten in weiten Teilen der Bevölkerung die Erwartung einer Kriminalitätswelle. Verstärkt wurde dies durch die sensationsgierigen Artikel in der Presse, die undifferenziert über jugendliche Delinquenz schrieben und sich dabei auf die zur damaligen Zeit sehr ungenauen staatlichen Kriminalitätsstatistiken beriefen.37 Waren noch vor dem Prozess des Sleepy Lagoon Mordfalles die Begriffe Pachuco bzw. Pachuca nicht geläufig, so war seit dessen Beginn fast ausschließlich nur noch davon die Rede – gemeint war mit diesem Terminus das rassistisch unterlegte Stereotyp des mexikanischen kriminellen Zoot Suiters.38 Die Frage des Styling spielte im gesamten Prozess gegen die Angeklagten eine große Rolle. Den Beschuldigten wurde über Tage hinweg nicht erlaubt, die Kleidung zu wechseln, sich zu duschen oder die Haare zu kämmen. Sie sollten den Eindruck erwecken, verwahrlost und ungepflegt zu sein. Der Staatsanwalt thematisierte daraufhin erwartungsgemäß wiederholt das äußere Erscheinungsbild der Angeklagten und versuchte, eine Assoziationskette zu knüpfen, die vom Styling auf die innere Einstellung schließen lasse. Das Aussehen sei Beleg dafür, dass die Angeklagten tatsächlich jugendliche Delinquenten seien. Rechtschaffene Bürger würden demgegenüber Wert auf ihr Erscheinungsbild legen und keinen so „verlotterten“ Eindruck machen. Zudem sei somit ihre „Fremdheit“ bewiesen. Ihr gesamtes Aussehen wurde damit als bizarr und andersartig dargestellt.39 Die Verquickung von Diskursen über jugendliche Delinquenz mit Mexican Americans forcierte zunehmend die ohnehin schon vorhandene rassistische, antimexikanische Stimmung. Viele Zeitungen berichteten fortan über jugendliche Mexican Americans als „baby gangsters“ und „pachuco hoodlums“.40 Die neun Hauptangeklagten wurden allesamt verurteilt und mussten langjährige Haftstrafen im Gefängnis San Quentin absitzen. In einem Zeitungsartikel über den Prozess wurde die drakonische Rechtsprechung mit dem Verweis auf die abschreckende Wirkung für jugendliche Zoot Suiter positiv interpretiert, da sie diese zu-
37 Vgl. Gilbert: A Cycle of Outrage, S. 26. 38 Vgl. Ramírez: The Woman in the Zoot Suit, S. 5; Escobedo: The Pachuca Panic, S. 138. 39 Vgl. Mauricio Mazón: The Zoot Suit Riots. The Psychology of Symbolic Annihilaton, Austin 1984, S. 28. 40 Vgl. Richard Griswold de Castillo: The Los Angeles „Zoot Suit Riots“ Revisited: Mexican and Latin American Perspectives, in: Mexican Studies/Estudios Mexicanos 16, 2 (2000): S. 367-391, hier: S. 370.
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künftig von kriminellen Aktivitäten abhalten sollten: „The jury’s action was an answer at once coupled with an ominous warning to all gangsters in zoot suits – to all young scoundrels hellbent on homicide, holdup, rioting, robbery, arson and every other crime in the book.“41 Auch dieser Gerichtsreport belegt eindeutig, dass Zoot Suit Culture mit Kriminalität assoziiert wurde, die wiederum implizit rassifiziert war. Das Sleepy Lagoon Defense Commitee, welches von einigen liberalen Anwält/innen und Aktivist/innen wie Alice McGrath initiiert wurde, um die Jugendlichen juristisch zu vertreten und durch Öffentlichkeitsarbeit politischen Druck zu erzeugen, entfaltete unterschiedliche öffentlichkeitswirksame Aktivitäten, um seine Ziele zu erreichen. Das Komitee legte den Schwerpunkt seiner Arbeit auf die Kritik an der medialen Berichterstattung über den Fall, die mehrheitlich Mexican Americans stereotyp als Kriminelle porträtierte. Dieser Angriff auf die Presse versäumte es jedoch, über eine Medienschelte hinauszugehen und andere Probleme wie strukturelle Ursachen von Rassismus zu thematisieren. Luis Alvarez bemerkt zurecht: „The failure to adress structural conditions and to move beyond a critique of the mainstream press, reflected an implicit acceptance of the need to ‚improve ދand Americanize the social behaviour of African American and Mexican American youth.“42 Das Verteidigungskommittee teilte also die Grundannahmen, die in den Presseberichten über die den Mexican Americans angeblich inhärenten Tendenzen zur Delinquenz und dem Ausscheren aus dem „american way of life“ kolportiert wurden. Es versuchte, die jugendlichen Mexican American zu einem „besseren“ sozialen Verhalten zu erziehen. Es ging also um eine Unterwerfung unter gesellschaftlich wirkmächtige diskursive Anrufungen, die dazu führen sollten, dass sich Mexican Americans in die US-amerikanische Gesellschaft besser „integrierten“. Nicht zuletzt der Zoot Suit Style verhindere genau diesen Integrationsprozess, wie sie wiederholt problematisierten. Von einigen Mexican American Zoot Suitern wurde die Verbindung ihres Stylings mit delinquentem Verhalten durchaus geteilt. Arthur Arenas, ein damaliger Zoot Suiter, hält in einem Interview fest: „A lot of guys would dress up in zoot suits and go to the night clubs in Boyle Heights. Thatތs where all the zoot suits were, and thatތs where all the fights were, you know? And the police and
41 Barnaby Frame: Gangsters in Zoot Suits, May 1943, ohne Zeitungs- und Seitenangabe, in: McGrath Collection, Box 5, Folder 5, in: UCLA Special Collections. 42 Vgl. Alvarez: The Power of the Zoot, S. 73.
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all that. But I was dancing somewhere else with big band music, you know? “43 Dieses Bild von den in Schlägereien verwickelten und krawallbereiten Zoot Suitern, das in der Äußerung von Arenas mitschwingt und auch von der zeitgenössischen Presse als die zentrale Figur des Zoot Suiter verwendet wurde, hängt mit der Konfusion darüber zusammen, was Zoot Suit Culture bedeutete. Denn die Zoot Suiter waren nur ein kleiner Teil der größeren und äußerst heterogenen USamerikanischen Jazzkultur. Dies wurde von vielen Zeitgenoss/innen übersehen und wird auch in der Sekundärliteratur zu den Zoot Suit Riots bisher kaum ausreichend differenziert. Galadriel Mehera Gerardo stellt diesbezüglich eine Ausnahme dar. Sie hat eine wichtige Unterscheidung vorgenommen, die bisher in der Forschung noch nicht gemacht wurde: Sie identifiziert zwei differente Gruppen innerhalb der Zoot Suit Culture im Los Angeles der 1940er Jahre: „Two distinct but concurrent phenomena therefore occured in Los Angels in the late 1930s and the early 1940s under the sign of the zoot suit. First, a large contingent of the city, black, white, Mexican, and Filipino, patronized the large, mainstream Central Avenue clubs, either because the clubs were in the neighborhood they lived in, because they were ‚slummingދ, or because they liked the music and dance styles performed there. Second, a smaller subculture existed, consisting mostly of Mexican American zoot suit wearers, some Filipino men, and also some African Americans, especially those who played and preferred avant-garde jazz.“44
Gerardo kommt deshalb zu dem Schluss, dass die häufig als repräsentativ für die Mexican Americans bezeichneten Zoot Suiters nur eine Untergruppe der ohnehin schon kleinen Jazzkultur ausmachte: „Thus, the most visible zoot suiters, those who appeared in the press and who were featured in highly publicized trials, really constituted a subculture within a subculture. While only this small group of men deliberately acted as race rebels, the press portrayed all of the men who participated in zoot suit subculture deliberately defying and attempting to subvert American norms.“
45
43 Arthur Arenas: The Big Band Scene, in: PBS documentary über die Zoot Suit Riots, im Internet einsehbar unter: http://www.pbs.org/wgbh/amex/zoot/eng_sfeature/pop_zo ot.html, [abgerufen am 17.05.2010.]. 44 Galadriel Mehera Gerardo: Misunderstood Masculinities. Competing Expressions of Manhood, the Zoot Suit Riots, and Young Mexican American Masculine Identity in World War II Los Angeles, unver. Diss, UCLA 2007, S. 103. 45 Gerardo: Misunderstood Masculinities, S. 104.
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Die durch ihr Styling extrem auffallenden Zoot Suiter, also diejenigen, die mit farbenfrohen Hüten und dem sogenannten Drape, einem langen Anzug, alle Insignien der Zoot Suit Culture verwendeten, waren durch ihr ungewöhnliches Aussehen in der zeitgenössischen Wahrnehmung und Presse zwar sehr präsent, hatten jedoch innerhalb der Jazzkultur nur einen kleinen Anteil an dieser. Viele Mexican Americans berichteten, dass sie einige Stilelemente der Zoot Suiter adaptierten, aber auf das gesamte Ensemble des Zoot Suit Style verzichteten. Das hatte verschiedene Gründe: Einigen gefielen einfach nur bestimmte Accessoires der Zoot Suiter, während sie deren gesamtes Outfit als zu ausgefallen ablehnten. Andere befürchteten zudem, dass sie mit ihrem Style als eben die „juvenile delinquents“ kategorisiert würden und deshalb mit gesellschaftlicher Exklusion und staatlicher Repression zu rechnen hätten. Da sie in der Regel nicht in einer Gang waren, wie beispielsweise Arthur Arenas bezeugt, bevorzugten es einige Jugendliche, nur einen Semi-drape zu tragen, d.h. eine nicht ganz eng an den Fußknöcheln abschließende, sondern etwas weiter geschnittene Hose: „But it wasnތt – it wasn't gang-related. It was just a style that came out, you know? And a lot of guys wore semi-drape, not only me, a lot of guys. And they werenތt extreme drapes. They were semi. They looked nice.“46 Die Konstruktion eines Zoot Suit (oder Drape) tragenden Jugendlichen als kriminell und gefährlich war also eine in der Mainstreampresse lancierte und unzulässige Homogenisierung einer äußerst disparaten Zoot Suit Culture. In Folgenden soll gezeigt werden, wie der Zoot Suit zu einem race consciousness unter von Rassismus betroffenen African und Mexican Americans beitrug. Zudem soll genauer auf den sogenannten Pachuquismo und die sich in diesem Phänomen artikulierende Geschlechterverhältnisse eingegangen werden.
P ACHUCO
UND
P ACHUCA S TYLE
Der Zoot Suit ist ein Beispiel dafür, wie über Style Politics Identifikationsprozesse hergestellt und Solidarität mit anderen rassifizierten Gruppen geschaffen wurden. Zunächst aus der afroamerikanischen Community kommend, wurde der Zoot Suit schnell von Mexican Americans als á la mode angesehen und getragen. George Sanchez, ein damaliger Zoot Suiter berichtete: „There was a kind of assertiveness in the dress. A sense that this was unique. This was to really assert that, you know, we are here, and we want to make a statement about the fact
46 Arenas: PBS documentary.
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that weތre here. But it was also, I think, a connection with other minority and poor youth in the United States. I mean, a zoot suit was also worn by black youth, certainly worn by Malcolm X in New York. So there was a sense that the zoot suit was not just a Mexican dress, it was also a connection with other minority youth, but in Los Angeles also was representative of the Mexican American population, in a certain way.“
47
Sanchez betont hier, dass der Zoot Suit Style eine gewisse Verbundenheit zwischen von Rassismus betroffenen und ausgegrenzten Minoritäten schaffte. Er verwies auf der visuellen Ebene auf eine Gemeinsamkeit, die auf ähnliche Erfahrungen in der weiß-hegemonialen US-amerikanischen Gesellschaft hindeutete. Aus diesem Grunde wurde die Zoot Suit Culture von staatlichen Institutionen und den großen Zeitungen wie der New York Times und der Los Angeles Times mit Besorgnis beobachtet. Neben einem Diskurs von jugendlicher Delinquenz, der das Verhalten von Mexican und African Americans pathologisierte, schimmert an einigen Punkten die Angst der Regierung und der Medien vor der kollektiven politischen Identitätsfindung der Zoot Suiter als Marginalisierte durch. Dieses race consciousness wurde in den Gerichtsakten des Juvenile Court in Los Angeles wiederholt thematisiert. Elizabeth Escobedo konstatiert: „[…There] was the fear that beneath the zoot suiter’s outwardly flashy appearance lay a militant racial consciousness. Reports to the juvenile court frequently commented on the ‚race conscious ދnature of pachucas and their propensity to stir up racial antagonisms between minority groups and whites.“
48
Die Angst vor race consciousness ethnischer Minoritäten vereinte die staatlichen Stellen der Jugendgerichte und der großen Zeitungen mit liberalen Reformern. Denn diese beklagten, dass die „racial feelings“ die Vision eines vereinten Amerikas, welches die USA gerade in der Kriegszeit aufrechtzuerhalten versuchten, durch die Zoot Suiter und deren Verweis auf ihren subordinierten Status beschädigen würden.49 Dies betraf neben den African American Zoot Suiters auch die Mexican American Pachucas und Pachucos. Cesar Chavez, ein Chicano Aktivist, der später im Jahre 1962 zusammen mit Dolores Huerta die United Farmworkers Association leiten und einen Streik organisieren sollte, bezeichnete sich in seiner Jugend selbst als Pachuco und schreibt über diese Zeit: „And then I rebelled at the conventional way of dres-
47 George Sanchez: PBS documentary. 48 Escobedo: The Pachuca Panic, S. 147. 49 Vgl. Escobedo: The Pachuca Panic, S. 147-148.
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sing. I once said I was a pachuco, and I had a very difficult time explaining it. The pachucos wore their hair long, in a duck-tail cut; they wore pegged pants and long coats, long key chains, and a pegged, broad flat hat.“50 Der Pachuco bediente sich also eines Stylings, welches als distinkt von der Kleidung der weißen US-Bevölkerung wahrgenommen wurde. Ein Pachuco zog sich somit in dieser spezifischen Weise an, um sich stilistisch abzuheben und ein Statement gegen Konformismus abzugeben. Chavez schreibt weiter, was es bedeutete, sich als Pachuco zu kleiden: „We needed a lot of guts to wear those pants, and we had to be rebellious to do it, because the police and a few of the older people would harass us. But then it was the style, and I wasn’t going to be a square. All the guys I knew liked that style, and I would have felt pretty stupid walking around dressed differently.“
51
Der Pachuco-Style war also ein soziales Band, mit dem Zugehörigkeit zu der inGroup signalisiert und sich von den „Squares“, den Outsidern, abgegrenzt wurde. Da das Tragen dieser Kleidung jedoch auch scharf sanktioniert werden konnte, wurde dem Pachuco-Style ein rebellischer Charakter zugeschrieben. Der mexikanische Schriftsteller Octavio Paz begreift den Pachuco als hybride Gestalt.52 Denn dieser bewege sich zwischen verschiedenen Traditionen und Kulturen: „Von seiner Tradition abgeschnitten, behauptet er sich eine Zeit lang in provozierender Einsamkeit. Er verleugnet die Gesellschaft, aus der er kommt, aber auch die nordamerikanische.“53 Das verstörende Element entsteht also durch die Uneindeutigkeit des Pachuco – dieser bewegt sich zwischen verschiedenen kulturellen Einflüssen und kann nicht auf eine Staatsangehörigkeit festgelegt werden. Paz hebt treffend hervor, dass der Pachuco die Kleidung ästhetisiere: „Die Tracht des Pachuco ist weder Uniform noch Ritualgewand. Sie ist einfach ein Modeerzeugnis. […] Das Neuartige seiner Tracht liegt in ihrer Übertreibung. Der Pachuco treibt die Mode bis zur letzten Konsequenz und macht sie dadurch ästhetisch. Eines der die nordamerikanische Mode beherrschenden Prinzipien ist nämlich die Bequemlichkeit.
50 Zit. nach Jacques E. Levy: Cesar Chavez. Autobiography of La Causa, Minneapolis 2007, S. 81. 51 Zit. nach Levy: Cesar Chavez, S. 82. 52 Vgl. Octavio Paz: Das Labyrinth der Einsamkeit, Frankfurt/Main 1974, S. 26. 53 Paz: Das Labyrinth der Einsamkeit, S. 27.
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Durch reine Ästhetisierung der gewöhnlichen Kleidung macht der Pachuco sie unpraktisch. So verneint er die Prinzipien, die sein Vorbild beherrschen. Daher das Provokatorische an ihm.“
54
Durch diese Ästhetisierung des Styles, die im starken Widerspruch zu genau der Praktikabilitätsideologie steht, die im Zuge des Zweiten Weltkrieges in der USamerikanischen Gesellschaft propagiert wurde, wendet sich der Pachuco visuell gegen die Diskurse von Patriotismus und Frugalität, die die Kriegsanstrengungen unterstützen sollten. Gerardo unterscheidet – soweit mir bekannt ist als Einzige in der Sekundärliteratur – klar zwischen Zoot Suitern, Pachucos und Mexican Americans.55 Sie schreibt hierzu: „Pachucos were urban gangsters, although most engaged in petty crime as opposed to serious pimping or drug dealing. Pachucos spoke in a distinctive dialect called Caló, which scholars claim had ancient roots in the gypsy languages of fifteenth century Spain and was brought to the new world by the conquistadores [...]. Pachucos therefore had a distinctive language, distinctive behavior, and, with the adoption of the zoot suit, a distinctive style of dress. However, not all (or even most) Mexican Americans who wore the zoot suit were Pachucos, and not all Pachucos wore zoot suits.“56
Zudem war der Begriff auch gegendert. Das gesetzwidrige und ungebührliche Verhalten wurde in den Presseberichten zunächst als Problem der männlichen Mexican Americans beschrieben.57 Anders als Eduardo Obregón Pagán, der die These vertritt, der Pachuco Style sei hauptsächlich unter Männern populär gewesen, zeigen Catherine Ramírez und Elizabeth Escobedo in ihren Arbeiten jedoch, dass sich durchaus auch Frauen des Pachuca-Lebens- und Kleidungsstils bedienten.58 Auch Stuart Cosgrove betont, dass zeitgenössische Zeitungsartikel im Juni 1943 verstärkt über zwei weibliche Pachuca-Gangs berichteten – die Slick Chicks und die Black Widows – nachdem die Pachuca Amelia Venegas wegen Tragens eines Totschlägers und der Androhung, diesen auch tatsächlich einzu-
54 Paz: Das Labyrinth der Einsamkeit, S. 25. 55 Vgl. Gerardo: Misunderstood Masculinities, S. 8. 56 Gerardo: Misunderstood Masculinities, S. 9. 57 Pagán: Murder at the Sleepy Lagoon, S. 15. 58 Vgl. Ramírez: The Woman in the Zoot Suit, S. 70-72; Escobedo: The Pachuca Panic, S. 147.
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setzen, angeklagt worden war.59 Dies macht deutlich, dass die Zoot Suit Riots als ein sehr viel komplexeres Ganzes interpretiert werden müssen, als es meist in der zeitgenössischen Presse diskutiert wurde. Denn Pachuquismo war ein Phänomen, das die potenzielle Radikalität von Subkultur offenkundig werden ließ: „What the zoot-suit riots brought to the surface was the complexity of pachuco style. The Black Widows and their aggressive image confounded the pachuco stereotype of the lazy male delinquent who avoided conscription for a life of dandyism and petty crime, and re60
inforced radical readings of pachuco subculture.“
Zudem wird die Instabilität der Konstruktion von Weiblichkeit anhand der Pachuca offensichtlich. Mithilfe von kräftigem Makeup und kurzer, körperbetonter Kleidung wirkte sie einerseits „hyperfeminin“ und steigerte Vorstellungen von US-amerikanischer Weiblichkeit in der Zeit des Zweiten Weltkrieges ins Extrem; andererseits bewegte sie sich für zeitgenössische hegemoniale Ansichten auch an der Grenze zur Obszönität. Pachucas verstießen nämlich gegen das kriegsbedingte neue Styling weißer Frauen. Weder die Figur der Rosie the riveter, einer Frau, die in der Kriegsproduktion tätig ist und schwere, praktische, „unfeminine“ Arbeitskleidung trägt, noch die Rolle der Hausfrau, die sich um das Heim kümmert, während der Mann in Übersee an der Front kämpft, war mit dem Styling der Pachucas kompatibel.61 Zur damaligen Zeit bemühte sich die Kosmetikindustrie, auch die mexikanischen Communities in den USA zu erreichen und verkaufte Bleichcremes und Haarfärbemittel dort allgemeinhin mit großem Erfolg. Konkret bedeutet dies, dass ein weißes Schönheitsideal in der mexikanischstämmigen Bevölkerung durchaus weit verbreitet war. Die Pachuca hingegen wies dieses Ideal weißer Schönheit jedoch bewusst zurück. Ihre Style Pol-
59 Vgl. Stuart Cosgrove: The Zoot Suit and Style Warfare, in: History Workshop Journal 18, 1 (1984): S. 77-91, hier: S. 84. Cosgrove betont jedoch, dass die schlechte Quellenlage in Bezug auf Pachucas es erschwert, deren Rolle in der Zoot Suit Culture im Allgemeinen und den Zoot Suit Riots im Besonderen zu erfassen: „Unfortunately, the absence of consistent or reliable information on the female gangs makes it particularly difficult to be certain about their status within the riots, or their place within traditions of feminine resistance.“ S. 85. 60 Cosgrove: Zoot Suit and Style Warfare, S. 84. 61 Vgl. Alvarez: The Power of the Zoot, S. 108. Allerdings gab es neben der Figur der Rosie the riveter auch noch weitere, hegemoniale Styleformationen wie etwa der Teenie-Mädchen Style. Vgl. hierzu Kelly Schrum: Some Wore Bobby Sox: The Emergence of Teenage Girl’s Culture, 1920-1945, New York 2004.
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itics wandten sich gegen alle etablierten hegemonialen Schönheits- und Stylingvorgaben der Kriegszeit: „Pachucas parodied the understated up-dos and subtle make-up of everyday women as well as Hollywood starlets. […] Flashy and ostentatious, their shared adoption of exaggerated pompadors, overstated lipstick, and short skirts visibly signified a sense of belonging to a distinctly Mexican American subculture.“
62
Darüber hinaus wurde in den 1940er Jahren ein selbstbewusstes, als aggressiv wahrgenommenes Verhalten, das Tragen von Waffen und die Androhung oder gar Anwendung von Gewalt, welches mit den Pachucas assoziiert wurde, als „männliches“ Verhalten angesehen. Durch die Aneignung dieser Verhaltensweisen (ver)störte die Pachuca somit stereotype Konzeptionen von Geschlecht. Catherine Ramírez schreibt deshalb treffend: „Whereas zooter girls’ appearance was criticized as monstruously feminine, their behavior was condemned as masculine.“63 Gruppen wie die Black Widows oder die Slick Chicks brachten dadurch festgefahrene Geschlechterkonstruktionen und Stereotype über Pachuquismo ins Wanken und verkomplizierten dessen Bild. Die Bedrohlichkeit von Pachucos und Pachucas resultierte also zu einem großen Teil aus ihrer Umgehung und Umkehrung von feststehenden dichotomen Annahmen über Männlichkeit und Weiblichkeit. Viele zeitgenössische Kommentatoren monierten, dass die Zoot Suiter eine Geschlechterinversion durch Style praktizierten: „Indeed, pachucos were pathologized as effeminate precisely because they, like women, participated in consumer culture, which historically has been gendered feminine. Like women, they paid attention to their looks.“64 Die männlichen Mexican Americans galten den meisten US-Amerikaner/innen bereits Anfang der 1940er Jahre als gewalttätige jugendliche Delinquenten, die durch ihr vermeintliches Gewaltpotential und ihre Gangmitgliedschaft eine Gefahr für die Gesellschaft darstellten. Die neue Kategorie der weiblichen Delinquentin, der Pachuca, wurde erst im Sommer 1942 von der Juvenile Division of the Los Angeles County Superior Court als „Problem“ angesehen.65 Noch in den
62 Escobedo: The Pachuca Panic, S. 149. 63 Ramírez: The Woman in the Zoot, S. 72. 64 Ramírez: ebd. 65 Dabei korrespondierte der beschworenen jugendlichen Delinquenz junger weiblicher Mexican Americans kaum einer realen Entsprechung: „In 1942, for instance, one observer estimated that a mere 0.6 percent of the girls of the Mexican American community demonstrated delinquent behavior. But the uneasy wartime populace failed to dis-
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vorangegangenen Monaten waren weibliche Zoot Suiter von der Bevölkerung und der Presse fast vollständig ignoriert worden: Das Interesse hatte sich lediglich auf den männlichen Zoot Suiter konzentriert.66 Lupe Leylas, eine Mexican American, die in den 1940er Jahren zu den Pachucas gehörte, beschreibt deren Styling in einem Interview: „During the forties we had the very miniskirts that are very much in today. We had very short skirts, and long jackets that went the same length as our skirts. Our socks would be almost to our knee. Sometimes we would wear white boots with tassels. Our hairdos were high pompadours, flowers in our hair – mostly artificial flowers. When we wore dresses, weތd have like sweetheart necks, very low waisted, and very full at the bottom, so when we turned and danced, there was a lot of room for our knees. A lot of jewelry.“67
Die Pachuca war einer patriarchalen Rollenvorstellung entgegengesetzt, welche der Frau nur eine devote und dienende Funktion zugestehen wollte, und ihr damit auch keine Handlungsmacht zugestand. Diese übten Pachucas aber mit dem Styling ihres Körpers und dem selbstbestimmten Auftreten aus. Sie äußerten zudem Kritik an ihrem Status als faktische Bürgerinnen zweiter Klasse, die mit Diskriminierung aufgrund ihrer mexikanischen Herkunft konfrontiert waren.68 Der Umstand, dass Pachucas auch selbstbewusst auftreten konnten, kollidierte also mit der Konstruktion der sanftmütigen Frau. Nicht nur in der weißen USAmerikanischen Gesellschaft, sondern auch in der Mexican American Community wurde dies oftmals von Eltern kritisiert: „Women were expected to patriotically fulfill sacrificial feminine roles; minorities were expected to embrace Americanism. Pachucas, however, seemed to do neither.“69
tinguish delinquent pachucas from any Mexican American woman who adopted aspects of the pachuca look.” Escobedo: The Pachuca Panic, S. 143. Das Label Pachuca, welches der Juvenile Court verwendete, bedeutete zudem meist nicht, dass die Angeklagten wegen Vergehens gegen andere bezichtigt wurden: “Instead, authorities brought them before the court because they lacked adequate supervision, roamed neighborhoods, and stayed out late with companions deemed ‚undesirable – ދallegations based largely upon assumptions of pathological, unrestrained behavior.“ Escobedo: The Pachuca Panic, S. 139. 66 Vgl. Escobedo: The Pachuca Panic, S. 136. 67 Lupe Leyvas: PBS documentary. 68 Vgl. Escobedo: The Pachuca Panic, S. 135. 69 Escobedo: The Pachucha Panic, S. 156.
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Es gab darüber hinaus das äußerst wirkmächtige Narrativ eines Generationenkonflikt, der sich im Pachuquismo ausdrückte. Die Eltern der Pachucos missbilligten oftmals den Lebens- und Kleidungsstil der Jugendlichen. Dabei waren zwei Faktoren ausschlaggebend: Zum einen war die erste Generation der mexikanischen Einwanderer in der Regel daran interessiert, sich in den USA zu assimilieren und in die Nation einzufügen. Sie akzeptierten die in den 1940er Jahren wirkmächtigen Erzählungen, die die zuvor noch hegemonialen biologistischen Theorien über die Existenz verschiedener Rassen durch Assimilationsdiskurse verdrängten. Um sich zu integrieren oder gar zu assimilieren war es allerdings notwendig, sich den kulturellen Gepflogenheiten des neuen Heimatlandes anzupassen. Andererseits versuchten jedoch viele mexikanische Immigrant/innen der ersten Generation, an einigen kulturellen Traditionen und Wertvorstellungen festzuhalten. Sie reproduzierten dennoch auch unkritisch die Diskurse um jugendliche Delinquenz und respektables Auftreten. Der Zoot Suit symbolisierte deshalb für viele Mexican und African Americans der älteren Generation wie auch für viele weiße US-Amerikaner/innen eine Zugehörigkeit zu Gangs, Rebellion und Drogenkonsum.70 Eine Mutter, die selbst Mexican American war, zeriss beispielsweise den Zoot Suit ihres Sohnes, nachdem dieser im Krankenhaus gelandet war, weil er von weißen Armeeangehörigen während der Zoot Suit Riots angegriffen worden war.71 Als Ursache für den Übergriff sah sie entsprechend den Pachuco-Style und das dazugehörige Auftreten, und nicht die eigentlich zugrunde liegende rassistische Gewalt gegen Mexican und African Americans an. Resümierend kann also konstatiert werden, dass das subversive Potential der Pachucas in der Umkehrung und der Hinzufügung neuer Facetten eines weiblich konnotierten Kleidungsstils bestand. Ihre Widerständigkeit artikulierte sich in ihrem Styling, welches transgressive Elemente enthielt. Frauen, die in den 1940er und 1950er Jahren cross-dressing betrieben, also gemäß einer gesetzlichen Vorschrift nicht mindestens drei Kleidungsstücke trugen, die als weiblich identifizierbar waren, konnten wegen „male impersonation“ verhaftet werden.72 Ebenso irritierten Pachucos hegemoniale Konstruktionen von Männlichkeit. Catherine Ramirez schreibt hierzu:
70 Vgl. Alvarez: The Power of the Zoot, S. 101. 71 N.N.: Mother Tears Up Zoot Suit of Boy Wounded in Clash, in: Los Angeles Times, 11. Juni 1943, sec. A. 72 Vgl. Ramírez: The Woman in the Zoot, S. 79.
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„In wartime Los Angeles, pachucas and pachucos represented an unsettling gender paradox: the former were simultaneously regarded as excessively and inadequately feminine, while the latter were masculinized, emasculated, or homoeroticized by their critics, AngloAmerican, Mexican, and Mexican American alike.“
73
Das gewaltsame Entkleiden der Zoot Suiter während der Riots kann somit als ein Versuch der Demütigung angesehen werden, der dazu diente, das Selbstbewusstsein und die Autonomie, die sich im Style des Trägers und der Trägerinnen manifestierte, zu erschüttern.74
D IE Z OOT S UIT R IOTS Die Zoot Suit Riots75 hatten ihre Epizentren in Los Angeles und New York. Kleinere Auseinandersetzungen gab es indes auch in Detroit und Philadelphia. Während in Los Angeles hauptsächlich Mexican Americans Opfer von Übergriffen durch weiße Matrosen und die Staatsmacht wurden, traf es in New York hauptsächlich African Americans. Der Zoot Suit wurde aber weder in Los Angeles noch New York ausschließlich von einer ethnischen Gruppe getragen. „The zoot crossed racial, ethnic, and regional boundaries.“76 Was sich generell feststellen lässt, ist, dass der Zoot Suit als Signifikant für Race galt, dieses Styling also rassifiziert war. Der Zoot Suit Riot begann am frühen Abend des 3. Juni 1943 in Los Angeles, als ungefähr 50 Matrosen der Naval Reserve Training School durch die Vier-
73 Ramírez: The Woman in the Zoot, S. 80. 74 Mazón spricht von einer symbolischen Kastration und Emaskulation. Er verfügt aber nicht über einen kritischen Begriff von Männlichkeiten als sozialem Konstrukt, so dass seine Verwendung des Begriffes der Emaskulation auf problematische Annahmen über eine Norm der „Männlichkeit“ rekurriert. Vgl. Mazón: The Zoot Suit Riots. 75 Douglas Henry Daniels verweist mit Recht darauf, dass der Begriff „Zoot Suit Riots“ strenggenommen ein Euphemismus ist, denn „[…] the term was a means of preventing citizens from understanding a host of issues, such as the significance of a popular style of dress, its alleged connections with juvenile delinquency, its role in the violence reported in local newspapers at that time, and the allegedly criminal character of Mexican Americans.“ Daniels: Los Angeles Zoot, S. 98. Ich verwende den Begriff in kritischer Weise trotzdem, weil er sich in der Sekundärliteratur etabliert hat, und ich zudem die genannten Probleme thematisiere und exponiere. 76 Alvarez: The Power of the Zoot, S. 84.
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tel stürmten, die zwischen ihrer Ausbildungsstätte und Downtown Los Angeles lagen. Bereits zuvor hatte es immer wieder kleinere Auseinandersetzungen zwischen weißen Matrosen und Zoot Suitern gegeben. In dieser Nacht jedoch zwangen die Armeeangehörigen die Zoot Suiter gewaltsam dazu, ihre Anzüge auszuziehen um diese zu zerreißen und zu zerstören. Dies löste die mehr als eine Woche lang andauernden sogenannten Zoot Suit Riots aus, in denen Tausende von Armeeangehörigen aus den umliegenden Kasernen in die Innenstadt von Los Angeles zogen und jeden angriffen, der einen Zoot Suit trug, um ihn vor den Augen Schaulustiger zusammenzuschlagen.77 Die Polizei von Los Angeles unternahm nichts, um die Armeeangehörigen zu stoppen und begründete dies mit dem Mangel an rechtlicher Handhabe. Stattdessen inhaftierte das LAPD Hunderte junger, hauptsächlich Mexican Americans, aber auch einige African Americans und weiße Männer unter dem Vorwand, dies sei zu ihrem eigenen Schutz oder mit der Begründung, sie würden Landfriedensbruch begehen oder vagabundieren.78 Am Montag, den 7. Juni 1943, versammelten sich Tausende weiße Bewohner von Los Angeles, die von Ankündigungen in der Presse über einen genauen Zeitpunkt weiterer Riots angestachelt worden waren. Carey McWilliams schreibt über die dann folgenden Ausschreitungen: „Marching through the streets of downtown Los Angeles, a mob of several thousand soldiers, sailors, and civilians, proceeded to beat up every zoot suiter they could find. [...] If the victims wore zoot-suits, they were stripped of their clothing and left naked or halfnaked on the streets, bleeding and bruised.“
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Die Riots dauerten bis zum 13. Juni 1943 an.80 Am 9. Juni 1943, nachdem die Ausschreitungen ihren Höhepunkt erreicht hatten, verabschiedete der City Council von Los Angeles einen Beschluss, der das Tragen von Zoot Suits innerhalb der Stadtgrenzen nicht nur als Ärgernis bezeichnete, sondern untersagte und einen Verstoß mit 30 Tagen Haft belegte.81 Mit diesem Erlass wurde die Verantwortung für die Zoot Suit Riots somit den Zoot Suitern selbst angelastet. Nicht
77 Vgl. Alvarez: The Power of the Zoot, S. 155. 78 Eduardo Obregón Pagán: Los Angeles Geopolitics and the Zoot Suit Riot, 1943, in: Social Science History 24, 1 (2000): S. 223-256, hier: S. 224; Alvarez: The Power of the Zoot, 156. 79 Carey McWilliams: North from Mexico. The Spanish-Speaking People of the United States, New York/Westport/London 1990, S. 224. 80 Ramirez: The Woman in the Zoot Suit, S. 36. 81 Macías: Bringing Music to the People, S. 696.
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der sich formierende Mob aus Armee und Zivilisten, der wahllos alle Zoot Suit tragenden Menschen angriff und sie ihrer Kleidung beraubte, um sie zu demütigen und ihnen Gewalt anzutun, wurde zur Rechenschaft gezogen, geschweige denn mit Sanktionen zur Unterbindung der Attacken gedroht. Stattdessen zeigte die tatsächlich erlassene Gesetzesverordnung, dass sich ein hegemoniales Bild von den Zoot Suiters als „Unpatrioten“ verfestigt hatte. „Civilian officials hastened to the support of servicemen. On 9 June the Los Angeles City Council passed a resolution banning the zoot suit: ‚NOW, THEREFORE, BE IT RESOLVED, that the City Council by Resolution find that the wearing of Zoot Suits constitutes a public nuisance and does hereby instruct the City Attorney to prepare an ordinance declaring same a nuisance and prohibit the wearing of Zoot Suits with reet pleats within the city limits of Los Angeles.“ދ
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In konservativen Zeitungen wurde gar Bedauern über das Ende der Angriffe auf die Zoot Suiter geäußert. So beklagte das Editorial des Eagle Rock Advertiser: „It is too bad the Soldiers were called off before they were able to complete the job… Most of the citizens of the city have been delighted with what has been going on.“83 Die Armeeangehörigen richteten ihre Angriffe aber nicht ausschließlich gegen die Zoot Suiter, die zum Großteil Mexican und African Americans waren, sondern zum Teil auch gegen einige nicht-weiße Menschen, die keine Zoot Suits trugen.84 Das macht deutlich, dass es sich bei den Riots um Übergriffe handelte, deren rassistische Natur über den Signifikanten Zoot Suit verdeckt wurde, die jedoch in der Assoziationskette bei den als unpatriotisch, delinquent und kriminell konstruierten African und Mexican Americans landeten. Es verdichteten sich somit in den Angriffen gegen die Zoot Suiter auch Ressentiments gegen egalitäre Bestrebungen dieser von rassistischer Diskriminierung betroffenen Gruppen. Dies wurde von der Mainstreampresse jedoch nur am Rande oder gar nicht wahrgenommen und auch von der Stadtverwaltung nicht anerkannt. Gleichzeitig wurde eine Umkehrung vorgenommen: Die Zoot Suiter selbst wurden zum Prob-
82 Mazón: The Zoot Suit Riots, S. 75. 83 Zit. nach McWilliams: North from Mexico, S. 225. 84 Vgl. Terry Ann Knopf: Race, Riots, and Reporting, in: Journal of Black Studies 4, 3 (1974): S. 303-327, hier: S. 320.
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lem gemacht.85 Die New York Times schrieb, dass sich Community Leader in Los Angeles in verschiedenen Komitees zusammensetzten um die Ursachen der Krawalle zu ergründen und „Beweise zu liefern dafür, dass die gewaltsamen Auseinandersetzungen nicht ein Symptom rassistischer Diskriminierung waren, sondern eines landesweiten ernsten und sich verschärfenden Problems jugendlicher Delinquenz.“86 Und auch in der Los Angeles Times wurden die Zoot Suit Riots als „juvenile warfare“ bagatellisiert.87 In den Zoot Suit Riots zeigt sich auch, wie rassistische Diskurse gegendert wurden und sich die Kategorien Race und Gender gegenseitig durchdrangen: Denn männliche weiße Armeeangehörige und Zivilisten führten als Legitimation für Übergriffe auf African und Mexican Americans oft an, dass diese mit weißen Frauen Kontakt hätten. Die Zoot Suiter bzw. Pachucos brachten mit ihrem Style die Affinität zu Jazz-Musik zum Ausdruck. Und damit wurde wiederum ein ganzer Lebensstil assoziiert, der liberal war und die rassistische Segregation von Weißen und Schwarzen zu durchbrechen suchte.88 Zudem war die Konzeption von weißer Männlichkeit in der Geschichte der USA verbunden mit dem Beschützen und Reinhalten einer „reinen weißen Weiblichkeit“ vor „unzivilisierten“ und „beastly black men“89 Die Motivation, die angeblich verletzte Ehre der weißen Frauen wiederherzustellen und auch die eigene weiße Männlichkeit zu demonstrieren, kommt in der Aussage der Armeeangehörigen zum Ausdruck, „aufräumen“ zu wollen.90 In dieser Rede wird implizit die gegenderte Figur der „white Womanhood“ abgerufen. Indem weiße
85 Die Los Angeles Times schrieb: „Fresh in the memory of Los Angeles is last years surge of gang violence that made the ‚zoot suit ދa badge of deliquency.“ Los Angeles Times, 2. Juni 1944, S. A 10. 86 N.N.: Seek Basic Causes of Zoot Suit Fray, The New York Times, 11. Juni 1943, S. 21, meine Übersetzung, P.D. 87 N.N.: Punishment of All Urged to End Suit Zoot War, in: Los Angeles Times, 13. Juni 1943: S. A 1. 88 Vgl. Tyler: Black Jive and White Repression, S. 51-52. 89 Vgl. Steve Estes: „I Am a Man!“ Race, Manhood, and the Civil Rights Movement, Chapel Hill/London 2005, S. 5. 90 Vgl. die Los Angeles Times, in der es heißt: „The arrests [of 28 zoot suiters, P.D.] came after a ‚warދ, declared by service men, mostly sailors, on zoot suit gangs which have been preying on the East Side as well as molesting civilians. Impetus was given on the clean-up campaign when the wives of two sailors were criminally attacked by the youth.“ N.N.: 28 Zoot Suiters Seized on Coast After Clashes With Service Men, in: Los Angeles Times, 7. Juni 1943, S. 15.
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Matrosen und andere weiße Männer die Straßen „aufräumten“, die sie als von den Mexican American Zoot Suitern besetzt sahen, installierten sie den öffentlichen Raum wieder als „geschützt“ und gerierten sich damit entsprechend als Beschützer der weißen Frauen: „In seeing their roles as protectors of white women and ultimately public safety, military men acted to ‚clean up ދthe streets of Los Angeles from the mess that aggressive Mexican American youth created in refusing to defer to the privileges of whiteness, defending the boundaries of their social space, and asserting a very visual public presence through the flamboyant zoot suit.“91
Die rassistischen Angriffe weißer Navymänner und Zivilisten wurden somit als legitim dargestellt. Dies war ein bekanntes Muster in der Geschichte der African Americans.92 Wenn diese ihre inferiore Position, die ihnen vom Jim Crow System zugewiesen wurde, zu durchbrechen suchten, weil sie ökonomisch erfolgreich waren oder sich nicht unterwürfig verhielten, wurde oftmals für Lynching oder gewaltsame Angriffe die Begründung gegeben, die weiße Frau müsse beschützt werden.93 Die „reine“ weiße Weiblichkeit würde also in dieser rassistischen Vorstellung durch (intimen) Kontakt mit Mexican und African Americans beschmutzt. Andererseits wurde auch die Fähigkeit, von African und Mexican Americans „belästigte“ weiße Frauen beschützen zu können, zum Zeichen „wahrer“ weißer Männlichkeit deklariert. In der Konsequenz wurden mexikanisch- und afroamerikanische Männer, die selbstbewusst auftraten, als Gefahr wahrgenommen. Paradoxerweise wurde es im Verlaufe des Zweiten Weltkrieges für die US-Armee zwar notwendig, schwarze Männer durch den Militärdienst zu „wahren Männern“ zu machen; gleichzeitig wurden diese Afroamerikaner, die mit Waffen umgehen konnten und selbstbewusst auftraten, aber als Gefahr eingestuft:
91 Obregón Pagán: Los Angeles Geopolitics and the Zoot Suit Riot, S. 249. 92 Daniels: Black Music Culture: „The defense for their retaliative actions seemed groundless the more Los Angeles citizens searched for testimony to support the accusations. Perhaps more importantly, it was identical to the excuses given for the brutal southern lynchings of blacks.“ S. 103. 93 Vgl. zu Lynching Philip Dray: At the Hands of People Unknown, New York 2002; zur Trope des Schutzes von weißer Weiblichkeit: Judith Ketelsen: Das unaussprechliche Verbrechen. Die Kriminalisierung der Opfer im Diskurs um Lynching und Vergewaltigung in den Südstaaten der USA nach dem Bürgerkrieg, Hamburg 2000.
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„Black soldiers were trained to exhibit these traditional attributes [physical strength, courage, duty and honor, P.D.] of manhood to help win the war, but these same qualities that helped them survive military service were perceived as dangerous to an American social order that rested on white male supremacy.“
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Die Zoot Suiter waren durch ihren Style visuell sofort erkennbar. Und gutgekleidete Schwarze stellten für Weiße, insbesondere für jene aus dem Süden mit den Jim-Crow-Gesetzen „uppity-niggers“ dar, die vergessen hätten, wo ihr Platz sei: nämlich als Angestellte und Arbeiter, die dazu bestimmt seien, schwere körperliche Arbeit zu verrichten.95 Demgegenüber wurde in der zeitgenössischen weißen Presse und in der Wahrnehmung der weißen Mehrheitsgesellschaft den Matrosen eine alternative, weiße Männlichkeit zugesprochen, die mit ihren weißen Seemannsanzügen assoziiert wurde: „In their tight-fitting, all-white starched uniforms, white American sailors defined their own masculinity against that of zoot suiters and proposed a dramatically different vision of manhood that emphasized patriotism, nationalism, and dedication to war production.“96 So wurde eine rassifizierte Dichotomie aufgemacht zwischen weißer, ehrbarer, „harter“ Männlichkeit der Armeeangehörigen und der unpatriotischen, delinquenten Männlichkeit der Mexican und African Americans. Dass sowohl einige Mexican und African American Zoot Suiter ihren Dienst in der Armee versahen, und dass es ebenso auch weiße Zoot Suiter gab, wurde in dieser Konstruktion von Männlichkeit ausgeblendet.
„W HEN
YOU WEAR ZOOT SUITS , YOU ’ RE HELPING H ITLER “ – S TYLING UND D ISKURSE UM DIE S UBVERSION DER N ATION Auch Verschwörungstheorien bezogen auf die Zoot Suiter machten die Runde. Die Los Angeles Times berichtete über Spekulationen, die Unruhen könnten von Nazi-Spionen angestiftet worden sein, um Uneinigkeit in den USA zu erzeugen und somit die Kriegshandlungen zu erschweren.97 Auch mit dieser Mär wurde
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Estes: „I Am A Man!“, S. 23.
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Tyler: Black Jive and White Repression, S. 39.
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Tyler: Black Jive and White Repression, S. 104.
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„State Senator Jack Tenney, left, and R.E. Combs, investigator, question Alfred Valencia and Frank H. Tellez in County Jail as Tenney started investigation yesterday to determine whether local zoot suit rioting was sponsored by Nazi agencies at-
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der Diskurs des Unpatriotismus installiert und die Zoot Suiter konnten quasi als Gehilfen des Nazi-Regimes interpretiert werden, die die Heimatfront sabotierten. Die Gerüchte, die Unruhen könnten von einer anderen Macht, etwa Nazideutschland initiiert worden sein, wies Staatsanwalt Howser zwar als jeglicher Grundlage entbehrend zurück. Stattdessen machte er aber verschiedene Ursachen wie dysfunktionale Familien und jugendliche Delinquenz für die Auseinandersetzungen verantwortlich und reproduzierte unkritisch virulente zeitgenössische Diskurse: „This is just another conflict arising out of the mental attitudes of youth. Homes cannot be disrupted, mothers cannot be propagandized into taking war plant jobs, youth cannot be taken into the military and unlimited purchasing power cannot be turned loose without having far-reaching social and economic and psychological effects.“
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Hier werden verschiedene Diskurse verdichtet. Howser thematisiert die zerrüttete Familie, die dadurch in die Brüche gehe, weil die Mutter berufstätig sei. Auch die Konsumtion wird als gefährlich gebrandmarkt. Der Kauf von Zoot Suits würde somit dieses sich in den Unruhen manifestierende jugendliche kriminelle Potential zum Ausdruck bringen. Die propagierte Restriktion der Kaufkraft in der Kriegszeit würde durch die Zoot Suiter ignoriert, und sie verhielten sich dadurch einmal mehr unpatriotisch. Auch wenn sich die großen Zeitungen wie die New York Times und Los Angeles Times in der Berichterstattung über die Zot Suit Riots bemühten, einen nüchternen Ton zu bewahren, lässt sich doch an der Wortwahl ablesen, dass deren Journalisten klare Sympathien für die Navy-Soldaten hegten, und sie letztlich die Zoot Suit „hoodlums“ selbst für die Auseinandersetzungen verantwortlich machten.99 Ein Artikel der New York Times beispielsweise, der den Gründen für die Riots nachgehen wollte, reproduzierte unkritisch die Version der Navy-Offiziellen. Demnach läge die Ursache für die Zuspitzung schon im Dezember 1942 in San Pedro, als einzelne Navy-Soldaten von Gruppen der Zoot Suiter zusammengeschlagen und ausgeraubt worden seien.100 Seit März 1943 hätte es 26 Übergriffe von Zoot Suitern auf Armeeangehörige gegeben, Navy-Angaben
tempting to spread disunion within the American nations.“ N.N.: U.C.L.A. Commissions Degrees – Zoot Suit Arrests, Los Angeles Times, 10. Juni 1943, S. B. 98
N.N.: Idea of Enemy Hand in Zoot Trouble spiked by Howser, in: Los Angeles
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Vgl. N.N.: Seek Basic Causes of Zoot Suit Fray, S. 21.
Times, 12. Juni 1943, S. A. 100 Vgl. ebd.
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gingen sogar von mehr als 50 aus.101 Daraufhin sei es dann zu „Vergeltungsmaßnahmen“ gekommen.102 Sehr hetzerisch berichteten die Publikationsorgane der konservativen HearstPresse über die Unruhen. Der Los Angeles Examiner und der Herald & Express titelten mit Schlagzeilen wie „Zooters Threaten L.A. Police“ oder zitierten angebliche Zoot Suiter mit der Aussage: „We’re meeting 500 strong tonight and we’re going to kill every cop we see.“103 Diese reißerischen Aussagen basierten jedoch meist auf wenig mehr als Hörensagen. Der eben zitierte Satz, wonach Zoot Suiter planten, alle Polizisten zu töten, auf die sie träfen, hatte seine Grundlage einzig in einem angeblich im Polizeirevier eingegangenen anonymen Anruf.104 Die veröffentlichten Texte beschrieben die Übergriffe der Soldaten auf die Zoot Suiter als gerechtfertigt und ermutigten indirekt ihre Leser/innen, es diesen nachzutun: „Procedure was standard: grab a zooter. Take off his pants and frock coat and tear them up or burn them. Trim the ‚Argentine Ducktail ދhaircut that goes with the screwy costume.“105 Vor dem Hintergrund des Krieges und des proklamierten Zieles der USA, Nazi-Deutschland zu besiegen um Europa wieder der Demokratie zuzuführen, reagierte die US-Administration äußerst sensibel auf Proteste von African Americans und auf die Anschuldigungen, der nach wie vor existierende Rassismus sei Zeichen dafür, dass die USA ihre Ideale selbst noch nicht umgesetzt hätten, für die sie vorgaben zu kämpfen. Die Angst vor negativer Berichterstattung im Ausland führte so beispielsweise dazu, dass Roosevelt im Juni 1941 die Executive Order 8802 erließ, die Diskriminierung in Bundesbehörden, Gewerkschaften und Firmen mit Kriegsbezug verbot. Vorausgegangen war diesem Schritt die Androhung von A. Philipp Randolph, dem Vorsitzenden der Gewerkschaft der Sleeping Car Porters, im Jahr 1943 einen öffentlichkeitswirksamen Marsch auf
101 Vgl. ebd. 102 Im Original heißt es „retaliatory action“ ebd. 103 Zit. nach Knopf: Race, Riots, and Reporting, S. 319. 104 Vgl. Knopf: ebd. 105 Zit. nach Cosgrove: The Zoot Suit and Style Warfare, S. 81. Vgl. auch Knopf: Race, Riot, and Reporting, S. 317-318: „Unlike the term ‚Mexican ދwhich, to some extent, conjured up visions of the distant and romantic past, the latter phrase [zoot suiter, P.D.] suggested only a sordid picture of a social outcast, lacking in moral character and, as befits a deviant individual, not entitled to the usual standards of justice and fair play. The phrase was associated with sexual offenses and other crimes, gangster activities, and even draft-dodging.“
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Washington zu organisieren, der auf die weiter bestehende rassistische Segregation innerhalb der US-amerikanischen Streitkräfte aufmerksam machen sollte.106 Aus ähnlichen Erwägungen heraus, die „Heimatfront“ könnte durch interne Debatten über die „Rassenfrage“ geschwächt werden, wurden auch die Zoot Suit Riots als nicht rassistisch motiviert abzuwiegeln versucht und umgekehrt wurden die Zoot Suiter als unpatriotisch denunziert. Der Polizeikommissar Robert Underwood verstieg sich gar zu dem Vergleich von Zoot Suitern mit Hitler: „When you wear zoot suits you’re helping Hitler. Hitler wants you to wear zoot suits. He loves it. Now you all agree that if a traitor knew that wearing a zoot suit would cause trouble, he’d refuse to take it off. Right? Okeh [sic], if you fellows continue to wear zoot suits, then you’re traitors to your country.“107
Der Zoot Suit Style wird von Underwood also als Signifikant für „Vaterlandsverrat“ dargestellt: Symbolisch würde damit Hitler geholfen, denn der Zoot Suit bewirke innerhalb der Nation Zersetzung und Aufruhr der Jugend. In schwarzen Zeitungen war die Berichterstattung über die Zoot Suit Riots und deren Ursachen ambivalent. In einigen Artikeln wurde ebenfalls jugendliche Delinquenz, darin der weißen Mainstreampresse weitestgehend folgend, als ein wesentlicher Faktor für den Beginn der gewaltsamen Auseinandersetzungen im Juni 1943 ausgemacht. Einige Publikationen versuchten, durch Karikaturen und Artikel das Tragen der Zoot Suits lächerlich zu machen und African Americans dazu zu bewegen, diesen Kleidungsstil wieder abzulegen. Nur so könnten Repression und rassistische Diskriminierung vermieden werden. Somit wurde die Verantwortung für die Übergriffe nicht den weißen Matrosen und Soldaten zugeschrieben, die ihre rassstischen Ressentiments ausagierten. Vielmehr wurde so implizit die Botschaft transportiert, dass African Americans selbst schuld seien, weil sie sich nicht an die Vorgaben des War Productions Boards hielten. Allerdings trugen viele anerkannte schwarze Künstler, die als „credit to the race“ angesehen wurden, Zoot Suits.108 Insofern waren die Berichterstattung und die Appelle in den schwarzen Zeitungen, den Zoot Suit nicht mehr zu tragen, nur bedingt wirksam.
106 Vgl. Philip Klinkner: The Unsteady March. The Rise and Decline of Racial Equality in America, Chicago/London 1999, S. 154-160. 107 Jack Cravans: Zoot Suiters Pledge Police they’ll abandon odd garb, in: Los Angeles Daily News, June 15, 1943, S. 3. 108 Vgl. Bruce Tyler: Zoot Suit Culture and the Black Press, in: Journal of American Culture 17, 2 (1994): S. 21-34, hier: S. 23.
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Einige liberale Politiker und Journalisten verurteilten jedoch die Angriffe auf die Mexican Americans. Sie nahmen diese in Schutz, differenzierten und verwiesen darauf, dass nicht alle Mexican Americans kriminell seien. Sie hinterfragten die Gleichsetzungskette, nach der alle Zoot Suiter Mexican Americans waren. Zudem trügen auch nicht alle Delinquenten Zoot Suits. Die Artikel teilten indes viele der rassistischen Einstellungen gegenüber Mexican Americans, wenngleich sie nicht die repressiven Maßnahmen gegen diese befürworteten: „They [the reformers, P.D.] were so defensive about the alleged inferiority of the minority group, or their gangster traits, and spent so much time recounting the history of discrimination, they never could effectively assume the offensive to demand that soldiers be prosecuted. [...] They believed the youngsters were prone to gangsterism to an excessive degree.“
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Die Reformer entwarfen einige alternative Vorschläge, mit denen die jugendliche Delinquenz reduziert werden sollte, verblieben aber in einer latent rassistischen Logik, denn sie machten minoritäre Gruppen zum Problem und nicht soziale und rassistische Exklusionsmechanismen.110 Eleanore Roosevelt, die liberal eingestellte Frau des damaligen amtierenden US-Präsidenten Franklin D. Roosevelt, traf sich mehrmals mit Bürgerrechtlern, um Wege für die Abschaffung von rassistischer Diskriminierung zu finden.111 Roosevelt sah sehr klar und äußerte öffentlich, dass die Zoot Suit Riots rassistisch motiviert waren, wofür sie in der US-amerikanischen Presse hart angegangen wurde. In einem Kommentar in der Los Angeles Times vom 18. Juni 1943 wurde sie dafür kritisiert, in Kriegszeiten interne Probleme der USA öffentlich zu machen und sich einer Argumentation zu bedienen, die in großer Nähe zu kommunistischer Propaganda stünde:
109 Daniels: Black Music Culture, S. 104. 110 Eine Ausnahme bildet das Citizen Committee des damaligen Gouverneurs von Kalifornien Earl Warren. Der Abschlussbericht dieser Kommission hielt fest: „It is significant that most of the persons mistreated during the recent incidents in Los Angeles were either persons of Mexican descent or Negroes. In undertaking to deal with the cause of these outbreaks, the existence of race prejudice cannot be ignored.“ Zit. nach Alvarez: The Power of the Zoot, S. 190. 111 Vgl. Klinkner: The Unsteady March, S. 130-132. Allerdings versuchte Eleanore Roosevelt später, A. Philip Randolph vom March on Washington abzubringen. Vgl. ebd. S. 157-158.
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„It seems incredible that the wife of the President of the United States in Wartime would deliberately seek to create a vicious international racial antagonism without a foundation in fact. Yet Mrs. Roosevelt in her public statement Wednesday that zoot suit fights in Los Angeles are due to long time discrimination against Mexicans here says something that is as untrue as it is dangerous. For one thing, it shows ignorance. For another, it shows an amazing similarity to the Communist party propaganda line, which has been desperately devoted to making a racial issue of the juvenile gang trouble here.“112
Die Gewaltexzesse der weißen Armeeangehörigen und Zivilisten gegen Mexican Americans wurden einerseits als Gang-Rivalitäten unter Jugendlichen verharmlost. Andererseits wurde jedwedes Thematisieren von Rassismus in den USA als kommunistische Propaganda denunziert. Dies war dem Umstand geschuldet, dass die Kommunistische Partei der USA und andere radikaldemokratische und linksradikale Organisationen zumindest in ihrer Rhetorik am konsequentesten gegen rassistische Segregation und Diskriminierung agitierten und mit African Americans kooperierten.113 Weiter heißt es in dem besagten Artikel, dass der Vorwurf, es handele sich bei den Zoot Suit Riots um rassistische Übergriffe, nicht von Mexikaner/innen oder Mexican Americans geäußert würde, sondern nur von Personen, die einen „racial discord“ erzeugen wollten. Als Plädoyer wird an Mexican Americans und weiße US-Amerikaner/innen gemeinsam appelliert, das Problem der Zoot Suiter als vergänglich zu begreifen, was gemeinsam gelöst werden könne. „They [Mexicans, P.D.] know and we know that zoot suitism is a passing phase, a juvenile problem which we have to solve together.“114 Die Zoot Suit Culture wird damit zu einem „Jugendproblem“ gemacht, das quasi notwendig den Übergang von der Adoleszenz in das Erwachsenenalter begleiten würde. Zwar müsse dieses Problem gelöst werden, es wird aber durch die Betonung auf den Jugend- und damit vergänglichen Charakter etwas von seinem bedrohlichen Moment genommen und entpolitisiert. Im Artikel kommt darüber zum Ausdruck, dass Erwachsene, ob Mexikaner/innen oder US-Amerikaner/innen, gemeinsam das Problem der jugendlichen Delinquenz in den Griff bekommen müssten. Mit diesem Kunstgriff wird im Text der Los Angeles Times schon im Vornherein ausgeschlossen, dass es eine rassistische Diskriminierung
112 N.N.: Mrs. Roosevelt Blindly Stirs Race Discord, in: Los Angeles Times, 18. Juni 1943, S. A 4. 113 Vgl. zur Verbindung von Bürgerrechtsbewegung und kommunistischer Bewegung das Buch von Glenda Gilmore: Defying Dixie: The Radical Roots of Civil Rights, 1919-1950, New York 2008. 114 N.N.: Mrs. Roosevelt Blindly Stirs Race Discord, S. A 4.
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von Mexican Americans gebe und dass die weiße US-Bevölkerung darin involviert sein könnte. Auch die mexikanische Regierung verfolgte die Krawalle an der US-amerikanischen Westküste im Juni 1943 mit Besorgnis. Ein scharfer Protest von ihrer Seite blieb aber aus verschiedenen Gründen aus: Zunächst war dies dem Umstand geschuldet, dass Mexiko starke politische Verbindungen zu den USA hatte und zum Zeitpunkt der Zoot Suit Riots die amtierende mexikanische Regierung die US-Regierung nicht brüskieren wollte.115 Zum anderen wurde die Figur der Pachucos/as wiederum in Mexiko selbst mit „niederer“ Arbeiterkultur und jugendlicher Delinquenz verbunden. In Lateinamerika wurden die gewaltsamen Auseinandersetzungen in Los Angeles deswegen auch Pachuco Riots genannt.116 Ökonomische Abhängigkeit war ein weiterer Faktor: Die guten Handelsbeziehungen zwischen Mexiko und den USA waren für erstere überlebensnotwendig und sollten nicht aufgrund von starken Protesten der mexikanischen Regierung gefährdet werden, wodurch sich die US-amerikanische Seite zum Einfrieren des Handels hätte veranlasst sehen können. Eine Reaktion auf die Ereignisse im Juni 1943 kam deshalb von mexikanischer Seite nur sehr zögerlich. Die mexikanische Regierung reagierte erst nach vier Tagen auf die Riots.117 Der Zoot Suit und die mit ihm verbundene Outlaw-Culture, die über den Style Nonkonformität und die Zugehörigkeit zur Jazzkultur ausdrückten, übten über die Grenzen der USA hinaus Anziehungskraft insbesondere auf Jugendliche aus und wurden weltweit populär.118 So wurde beispielsweise auch in England der Zoot Suit unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg infolge der Verbreitung der Jazz-Musik getragen und es bildete sich der sogenannte Hipster-Stil heraus.119 Ein auffallender Unterschied zu den USA war, dass im Nachkriegs-England Zoot Suits nicht als Signifikanten von Race – in diesem Fall schwarzer materiel-
115 Vgl. de Castillo: The Los Angeles „Zoot Suit Riots“ Revisited: „Because of their wartime alliance against the Axis powers, the Mexican government could not adopt a strong position protesting the disturbances.“ S. 369. 116 de Castillo: ebd. 117 Vgl. de Castillo: The Los Angeles „Zoot Suit Riots“ Revisited, S. 371. 118 Vgl. Holly Alford: The Zoot Suit: Its History and Influence, in: Fashion Theory 8, 2 (2004): S. 225-236, hier: S. 233. 119 Vgl. Obregón Pagán: Murder at the Sleepy Lagoon,S. 39: „The terms ‚hip ދand ‚hipsterދ, which were common to the jazz world, originally referred to someone who spent the day lying on his or her hip smoking opium, and Tirilis likely came into contact with jazz through the opium and marihuana trade.“
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ler Kultur – galten, sondern meist von weißen Jugendlichen der Arbeiterklasse getragen wurden. Sie hießen zudem nicht mehr Zoot Suiter, sondern spiv, was wörtlich so viel wie „Kleinkrimineller“ oder „Schieber“ bedeutet.120 Auch hier werden also die Zoot Suit Culture und ihr „Ableger“, die spivs, mit eindeutig negativ konnotierter Subkultur assoziiert. Während in den USA in der Presse die Verbindung von Zoot Suit mit einer Jugendkultur der Delinquenz, des Hedonismus und des „Unpatriotismus“ dominierte, wurde der unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg unter Jugendlichen angesagte und deutlich vom Zoot Suit beeinflusste drape style in England für Gesetz- und Autoritätslosigkeit verantwortlich gemacht. Dies kulminierte 1952 in einer Law and Order-Panik, die durch den Craig-Bentley-Mordfall ausgelöst worden war. Christopher Craig und Derek Bentley waren in ein Kaufhaus eingebrochen und töteten einen Mann, als die Polizei die Verfolgung aufnahm und eine Schießerei entbrannte. Dies wurde in der britischen Presse als Beispiel des negativen Einflusses der US-amerikanischen Kultur auf die Jugendlichen interpretiert. Denn beide Täter trugen große, breitkrempige Hüte, lange Overcoats und drape suits. „In the person of Cristopher Craig the worst fears about the debilitating effects on youth of exposure to ‚Yank ދculture seemed to be confirmed. He and Bentley walking the streets ‚with the exaggerated sway of the shoulders that, like their clothes, was so much a part of London youth in the early fifties ދembodied all the complex associations between dress, demeanour, age, social pension, style of entertainment and behaviour which discredited 121
the American look.“
Die Entstehung der Ted-Bewegung in England war ebenfalls deutlich beeinflusst von den amerikanischen Zoot Suitern.122 Auch in Paris waren Anfang der 1940er Jahre junge Jazz-Fans, die Zazous genannt wurden dadurch bekannt, dass sie einen Style zur Schau trugen, der stark vom Zoot Suit inspiriert war.123 Zusammenfassend lässt sich also sagen, dass über den Zoot Suit und die mit ihm verbundenen kulturellen Praktiken verschiedene Identitäten konstruiert und inszeniert wurden. Er diente African und Mexican Americans zum Ausdruck eines neuen Selbstbewusstseins und der Selbstbestimmung. Der Zoot-Kleidungs-
120 Vgl. Steve Chibnall: Whistle and Zoot: The Changing Meaning of a Suit of Clothes, in: History Workshop 20 (Autumn 1985): S. 56-81, hier: S. 65. 121 Chibnall: Whistle and Zoot, S. 74. 122 Vgl. Chibnall: ebd. 123 Vgl. Ramírez: The Woman in the Zoot, S. 152.
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stil bedeutete in Zeiten des Krieges eine symbolische Abkehr von Patriotismus, weil er gegen die Rationierungsbestimmungen des War Production Board verstieß. Indem sich African und Mexican Americans darüber hinwegsetzten und sich so stylten, wie es ihnen gefiel, übten sie einen widerständigen Akt aus. Zudem war es ein Mittel, um rassistische Stereotype vom „primitiven“ und ergo sich auch im Styling niederschlagenden schlecht gekleideten Schwarzen zu dekonstruieren. In der Zoot Suit Culture wurden aber darüber hinaus noch andere transgressive Elemente performiert. Das „interracial dancing“ war eine faktische Umgehung der de facto in den Nordstaaten der USA und de jure im Süden bestehenden Segregationsgesetze, die intimen Kontakt zwischen African bzw. Mexican Americans und weißen US-Amerikaner/innen untersagten. Durch die Jazzkultur und das hedonistische Verhalten der Zoot Suiter, die durch ihr Styling einen symbolischen Angriff auf die Arbeitsethik der Kriegszeit und die Prioritätensetzung der Kriegsanstrengung auch in der Freizeitgestaltung unternahmen, waren die Zoot Suiter Race Rebels. Das subversive Potential der Zoot Culture lag aber auch in einem Genderaspekt. Große Aufmerksamkeit auf das eigene Aussehen zu verwenden widersprach dem hegemonialen Bild von US-amerikanischer Männlichkeit während des Zweiten Weltkrieges und wurde als „effeminiertes Verhalten“ bewertet. Dadurch entwarfen die männlichen Zoot Suiter jedoch alternative Bilder von Männlichkeit und widersetzten sich damals wirkmächtigen gesellschaftlichen Normen. Auch die Pachucas kehrten bestimmte stereotype Konstruktionen von „Weiblichkeit“ um, indem ihr Kleidungsstil als für die damalige Zeit sehr freizügig wahrgenommen wurde, was als nicht schicklich galt. Das Tanzen und die Bewegungen, die Blicke auf die Unterwäsche erlaubten, wenn bestimmte Drehbewegungen ausgeführt wurden, kollidierten mit hegemonialen Vorstellungen von „Ladyhood“. Andererseits gab es bei den Pachucas auch Butch-Elemente, denn sie verhielten sich so, wie es eigentlich in der heteronormativen und sexistischen Vorstellung der Kriegsjahre nur Männern zukam: Als selbstbewusst, traditionelle Autoritäten in Frage stellend und agressiv. Anhand der Zoot Suit Riots konnte ich deutlich machen, dass über Styling zentrale Prozesse des Othering, der Rassifizierung und der Vergeschlechtlichung vorgenommen wurden. Race, Class und Gender waren, das zeigen die zeitgenössischen Auseinandersetzungen um die Zoot Suit Riots, untrennbar miteinander verbunden. Männlichkeiten und Weiblichkeiten der Zoot Suiter wurden immer schon vor dem Hintergrund von Race verhandelt. Weiße Matrosen attackierten die Zoot Suiter, weil sie in ihnen eine stylepolitische Infragestellung des Status quo sahen. Dies wird aus den Dokumenten
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deutlich, die im vorliegenden Kapitel zitiert wurden. Zudem wurde der virulente Diskurs über jugendliche Delinquenz zu einem zentralen Topos der Auseinandersetzungen über die Zoot Suit Riots. Der Zoot Suit hatte durch seine kulturellen Effekte und seine Konfrontation mit der Staatsmacht bereits das subversive Potential von Styling offenkundig gemacht. Der Zoot Suit übte auch nach dem Krieg eine Wirkung auf die US-amerikanische Gesellschaft aus und war später mit subkulturellen Gruppen wie den Beats verbunden. Feststellen lässt sich, dass Styling vielfach große Wirkmächtigkeit entfaltete, wenn Musiker/innen sich in einer bestimmten Art und Weise kleideten. Insbesondere afroamerikanische Jazzmusiker/innen übten großen Einfluss auch auf weiße Jugendliche, insbesondere auf die Beats aus. Die Interdependenz von Styling und Prozessen der Identitätskonstruktion, von Gender und Race soll im nächsten Kapitel anhand einiger Stationen in der Geschichte von African Americans in den 1950er Jahren, insbesondere der Bürgerrechtsbewegung, nachgezeichnet werden. Ich zeige dort, wie Auseinandersetzungen um Hairstyling und die „richtige“ Kleidung kontrovers innerhalb der Bürgerrechtsbewegung selbst geführt wurden und wie die unterschiedlichen Positionen, die eingenommen wurden, Rückschlüsse über die Verschränkung der Kategorien Race, Class, Gender und Region erlauben.
Bürgerrechtsbewegung und Style Politics
Es soll im Folgenden die Bürgerrechtsbewegung in Bezug daraufhin untersucht werden, inwiefern Fragen von Style Politics dort eine Rolle spielten. Zudem ist das Nachzeichnen zentraler Elemente der Bürgerrechtsbewegung erforderlich, weil sich die Black-Power-Bewegung explizit von jener in ihren inhaltlichen Positionen und ihrem Auftreten abgrenzte, und dies auch deutliche Unterschiede hinsichtlich der praktizierten Style Politics mit sich brachte. Ich beginne dieses Kapitel mit der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg und den dann einsetzenden Auseinandersetzungen um Styling zwischen zurückkehrenden afroamerikanischen Kriegsveteranen und rassistischen Südstaatler/innen. Danach analysiere ich den Montgomery Bus Boycott, die Sit-Ins, die sogenannten Drag Balls und die Debatten um Hairstyling, weil sich anhand dieser Beispiele sehr gut zeigen lässt, welchen wichtigen Stellenwert Style Politics in der afroamerikanischen Bevölkerung der 1950er und 1960er Jahre einnahm und die zeitgenössischen Auseinandersetzungen um Bürgerrechte, den schwarzen Körper und dessen Selbstbestimmung prägten. Unmittelbar nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges kehrten viele afroamerikanische Soldaten in ihre Heimatstädte zurück. Sie sahen sich dort oftmals mit Anfeindungen rassistischer Weißer konfrontiert, die nicht zu Unrecht der Auffassung waren, der Militärdienst habe Schwarze in ihrer Forderung nach Gleichberechtigung bestärkt. Insbesondere das Tragen der US-Uniform wurde von rassistisch eingestellten Weißen als Affront angesehen, weil African Americans die Respektabilität und Gleichstellung damit in ihrem Styling zum Ausdruck brachten – in den Augen vieler Weißer ein Privileg, welches Schwarzen nicht zugestanden werden dürfe. Darüber hinaus war die Dienstkleidung der afroamerikanischen Soldaten seit dem Zweiten Weltkrieg und der Double V-Kampagne zu einem eindeutigen Zeichen gegen Faschismus und weiße Vorherrschaft gewor-
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den.1 Dass African Americans auch außerhalb der Dienstzeit ihre Uniformen trugen, galt bigotten Weißen deshalb als bewusste Provokation. Dazu bemerkt Jennifer Craig richtig: „Ex-soldiers chose to wear (part of) their uniforms in civilian life because the uniform signified attributes of discipline and reliability, attributes that enhanced their employment and other prospects. The uniform was the visible lexicon of social characteristics, skills, attitudes, and habits valued in civil society.“2
Nicht nur in den Südstaaten wurden schwarze Kriegsveteranen, die ihre Uniformen trugen, von Rassisten angegriffen und gezwungen, die Kleidung abzulegen, die die Zugehörigkeit zur Armee signalisierte. Derartige Übergriffe spielten sich selbst an der als „liberal“ geltenden Westküste ab. Damit wurde eine unmissverständliche Botschaft an afroamerikanische Kriegsveteranen gesendet, wie R. J. Smith am Beispiel schwarzer Südstaaten-Veteranen schreibt: „Southern veterans were quickly delivered a postwar message: as they arrived home, some as they stepped off trains, they were stripped of their uniforms, beaten and warned to expect no new treatment. Their uniforms were viewed as presumption, and presumption was met with retribution.“3
In den seltensten Fällen gelang es jedoch, das neu geweckte Selbstbewusstsein der schwarzen Veteranen durch solche Aktionen zu schmälern. Vielmehr engagierten sich viele von ihnen in der Verbreitung von Bürgerrechtsidealen. Sie waren maßgeblich am Aufbau neuer Organisationen beteiligt und betätigten sich in vielfacher Weise politisch für die Belange von African Americans: „Across the South, returning black veterans organized NAACP chapters, sparked voter registration drives, and resisted attempts to reestablish the racial status quo.“4 Die Rückkehr der Veteranen verstärkte demnach bereits bestehende Tendenzen unter den African Americans – ablesbar etwa an der im vorangegangenen Kapitel beschriebenen Double-V-Kampagne – für ihre Bürgerrechte zu kämpfen.
1
Vgl. Kelley: Race Rebels, S. 64.
2
Jennifer Craig: The Cultural Politics of the Uniform, in: Fashion Theory 7, 2 (2003):
3
R.J. Smith: The Great Black Way. L.A. in the 1940s, New York 2006, S. 39.
S. 127-148, hier: S. 131-132. 4
Timothy Tyson: Radio Free Dixie. Robert F. Williams and the Roots of Black Power, Chapel Hill 1999, S. 54.
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Außerhalb der Armee griffen viele der Personen, die sich Mitte der 1950er Jahre entschlossen, gegen die Diskriminierung von African Americans zu protestieren, anfangs auf ein Styling zurück, welches als kompatibel mit konservativen Werten wahrgenommen wurde. Darius Swann, ein Bürgerrechtsaktivist, der sich früh in der Bewegung engagierte, beschreibt die Kriterien, die das Styling vieler Aktivist/innen in der Anfangsphase der Bürgerrechtsbewegung beinflussten, folgendermaßen: „I guess we were more conservative in our dress. We thought that by dressing more conservatively we would be taken more seriously. People wanted to be respected. People thought the way you appeared would make a difference. Many leaders were ministers who were used to a coat and tie always... And pressure came from within the Black community because you had to look like somebody when you would go to these things (Civil Rights meetings and rallies).“5
Aus dieser Äußerung geht hervor, dass Styling innerhalb der Bürgerrechtsbewegung auch in Hinsicht auf mediale Repräsentation und die Wirkung auf Außenstehende bewusst eingesetzt wurde. Der Aspekt der Respektabilität war dabei das leitende Kriterium und Style ein integraler Bestandteil einer Performance – denn Demonstrieren in zerschlissener Kleidung hätte nach der Schilderung dieses Bürgerrechtsaktivisten die Ziele für Gleichberechtigung, Würde und Respekt konterkariert. Diesen Aspekt werde ich im Folgenden exemplarisch anhand des Montgomery Bus Boycotts und der Sit-Ins aufzeigen und dabei ausführlicher veranschaulichen, wie respektables Styling von Teilen der Bürgerrechtsbewegung bewusst eingesetzt wurde, um dies mit den Style Politics anderer Organisationen wie der Black Panther Party oder Us zu kontrastieren.
D ER M ONTGOMERY B US B OYCOTT , M ARTIN L UTHER K ING , J R . UND DIE F REEDOM R IDES Im Jahre 1956 wurde Martin Luther King, Jr., einer der prominentesten Vertreter der Bürgerrechtsbewegung, im Prozess The State of Alabama vs. Martin Luther King, Jr. wegen Verletzung des Segregationsgesetzes angeklagt. Vorausgegangen war dem Prozess der sogenannte Montgomery Bus Boycott, bei dem sich die afroamerikanische Bevölkerung in Montgomery, Alabama gegen die rassisti-
5
Interview mit Dr. Darius Swann, zit. nach: Abena L. Mhoon: Dressing for Freedom, in: Black History Bulletin 67, 1-4 (2004): S. 26-29, hier: S. 27.
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schen Segregationsgesetze gewandt hatte, welche besagten, dass Schwarzen der vordere Busteil verwehrt war, und sie sich in den hinteren Busteil begeben mussten, sobald ein weißer Fahrgast sich ebenfalls im vorderen Teil befand. Nachdem die afroamerikanische Bürgerrechtlerin Rosa Parks sich am 1. Dezember 1955 geweigert hatte, ihren Sitzplatz im vorderen Busteil für einen weißen Fahrgast zu räumen, wurde sie verhaftet und der Übertretung der Segregationsgesetze für schuldig befunden. In der Folge boykottierten viele African Americans das öffentliche Transportsystem und protestierten auf diese Weise öffentlich gegen die Segregationsgesetze. Der Boykott selbst wurde dabei von der Montgomery Improvement Association organisiert, deren Präsident Martin Luther King, Jr. war. Dieser wurde in besagtem Prozess für schuldig befunden und musste eine Geldstrafe zahlen; aber der über ein Jahr lang anhaltende Boykott war dennoch erfolgreich: Als Konsequenz der Proteste erklärte der US Supreme Court die Segregation im öffentlichen Transportwesen für verfassungswidrig.6 Zum Prozess selbst bemerkte der Journalist Charles Loeb: „Negro spectators, witnesses and defendants were well behaved and amazingly unperturbed [... and their] hair was well-groomed, apparel selected with an eye to crease and cleanliness, and backs were straight and heads up.“7 Die Ziele der als politisch moderat einzustufenden Bürgerrechtsbewegung in der Mitte der 1950er Jahre im Süden umfassten, wie sich aus dieser Bemerkung von Loeb entnehmen lässt, ein komplexes Ensemble von Strategien, die eine Performance mit respektablem Styling notwendig erscheinen ließen, um damit ihren Forderungen Nachdruck zu verleihen. Auch bei anderen Aktionsformen war Styling ein wichtiges Element der Performanz von zivilem Ungehorsam. Beispielsweise wurden ab 1961 die sogenannten Freedom Rides („Freiheitsfahrten“) von der Bürgerrechtsorganisation Congress of Racial Equality (CORE) initiiert. Ziel der Fahrten war, die nach wie vor vielerorts in den Südstaaten trotz des Supreme Court-Urteils weiterhin faktisch bestehende Segregation der Sitze in Bussen und Wartehallen nach Schwarz und Weiß öffentlichkeitswirksam aufzuzeigen und sich dieser rassistischen Trennung zu widersetzen. Die ersten Aktivist/innen verließen unterstützt von zwei
6
Vgl. dazu ausführlich Taylor Branch: Parting the Waters. America and the King Years
7
Zit. nach Marisa Chappell/Jenny Hutchinson/Brian Ward: ‚Dress modestly, neatly...
1954-63, New York 1988, S. 143-205. as if you were going to churchދ: Respectability, Class and Gender in the Montgomery Bus Boycott and the Early Civil Rights Movement, in: Peter Ling/Sharon Monteith (Hg.): Gender and the Civil Rights Movement, New Brunswick/London 2004, S. 6999, hier: S. 93.
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Reportern am 4. Mai 1961 Washington, D.C. und traten den Weg durch North Carolina und Virginia an, bevor sie mit Gewalt von Seiten rassistischer Südstaatler konfrontiert wurden.8 Die Freedom Rides stellten ein Beispiel dafür dar, was Larry Isaac als „Strategic Performance“ bezeichnet hat: „The freedom rides, designed to challenge Jim Crow cultural codes and practices on interstate bus travel, represented not only an affront, an oppositional performance, but one that was a trans-regional, multi-racial invasion of men and women of all ages.“9 Diese transregionale Dimension der Freedom Rides wird deutlich, wenn man eingehender untersucht, wie dabei auch unterschiedliche Stylingkonzeptionen von Nord und Süd aufeinandertrafen. Denn ein genauerer Blick auf afroamerikanisches Hairstyling, insbesondere im Untersuchungszeitraum dieser Arbeit, also mit dem Hauptfokus auf den 1960er und 1970er Jahren, macht deutlich, dass Styling nicht nur nach Race, sondern u.a. auch nach Gender und Region ausdifferenziert ist. Ein Beispiel dafür liefern die Schilderungen der Bürgerrechtsaktivistin Unita Blackwell, die zu dieser Zeit im Süden der USA im Bundesstaat Mississippi lebte. Ihre Politisierung erfolgte in den 1960er Jahren durch die Freedom Riders, meist Studierende aus dem Norden, die in Gebiete der Südstaaten fuhren, um – wie bereits erwähnt – auf die weiterhin bestehende Segregation aufmerksam zu machen und dort zusätzlich die Wählerregistrierung der afroamerikanischen Bevölkerung über die Durchführung von Workshops zu forcieren.10 Die Freedom Riders suchten während ihrer politischen Aktivitäten im Süden der USA Unterschlupf bei der einheimischen schwarzen Bevölkerung und wurden von dieser in der Regel auch herzlich aufgenommen, obwohl diese damit ein Risiko auf sich nahm, da sie den von der ansässigen weißen rassistischen Bevölkerung angedrohten Sanktionen trotzten. Unita Blackwell schildert in einem Interview ihre erste Begegnung mit der Bürgerrechtsaktivistin Muriel Tillinghast, die sie bei sich aufnahm: „We were all excited about these young people because they was [sic] educated and they treated us so nice. All the educated folk we had known looked at us like we were fools and didn’t know nothing, and these here talked to us like we was [sic] educating them.“11 Blackwell thematisiert hier den Klassen-
8 9
Vgl. Carson: Zeiten des Kampfes, S. 89-101. Larry Isaac: Movement of Movements: Culture Moves in the Long Civil Rights Struggle, in: Social Forces 87, 1 (2008): S. 33-63, hier: S.37.
10 Vgl. zu den Freedom Riders Carson: Zeiten des Kampfes, S. 88-105. 11 Unita Blackwell: Oral History Interview, in: Ralph J. Bunche Oral History Collection, Moorland-Spingarn Research Center, Howard University, Washington, D.C. [Ohne Paginierung].
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unterschied zwischen den meist aus der Mittelschicht kommenden, über eine Universitätsausbildung verfügenden Bürgerrechtsaktivist/innen aus dem Norden und den African Americans der Südstaaten, die größtenteils dem Bauern- und Arbeitermilieu entstammten und mehrheitlich wenig formale Schulbildung erhalten hatten. Dennoch bewertet Blackwell die Bürgerrechtsaktivist/innen positiv, weil diese sie nicht herablassend, sondern respektvoll behandelten. Die unterschiedlichen sozialen Positionen führten jedoch auch zu Spannungen, was sich symbolisch anhand der divergierenden Konzeptionen von „angemessenem“ Hairstyling manifestierte. Deutlich wird dies, als Unita Blackwell ihren Gast Muriel zum ersten Mal sieht und feststellt, dass diese einen Afro trägt: „So Muriel came. Here, we looked up and here come this nappy-headed child coming down the street. I thought she had done [sic] washed her head, so I said well, I know a girl that can fix your hair. She said okay. She turned me off very nice. […] That next morning I asked her was she going to church. She said yes. I said well, we got to get your hair fixed before you go away from here. And she said, well, that’s all right, Iތll just tie something on it and go ahead. So she went on to church with her head look [sic!] like that. So, that’s my first time ever finding anybody with a natural hairdo. I didn’t know what to do about 12
it, I had kept talking to her about it.“
Aus diesen Bemerkungen von Unita Blackwell geht hervor, dass der Afro in den 1960er Jahren keinesfalls bei der gesamten afroamerikanischen Community populär war, sondern in den Südstaaten als Zeichen von Ungepflegtheit und mangelnder Respektabilität angesehen wurde. Der Afro wird von Blackwell als unpassend für die Kirche empfunden, weshalb sie Muriel anbietet, ihr Haar wieder „in Ordnung“ bringen zu lassen. Bei einem Meeting mit anderen Bürgerechtsaktivist/innen in Greenville stellt Blackwell dann fest, dass der Afro in den 1960er Jahren ein populäres Hairstyling bei African Americans im Norden geworden ist: „I got up there and stepped in there and there was [sic] white folks and black; and they were there in the office together and that was the most amazing thing I had ever seen. All the other girls had their heads nappy, so I said, well, this must be a style, so I’d better let this child’s head alone.“13 In den Äußerungen von Blackwell manifestiert sich ein vollzogener Bewusstseinswandel: Sie erkennt, dass der Afro bei den jungen Aktivist/innen aus dem Norden zu einem modischen und politisch-emanzipativen Statement geworden ist, welches nichts mit den von ihr davor mit dem Afro assoziierten Vorstellungen von Irre-
12 Blackwell: ebd. 13 Blackwell: ebd.
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spektabilität und Ungepflegtheit zu tun hat. Blackwell akzeptiert deshalb diesen neuen Hairstyle. Dieser Erkenntnisprozess Blackwells hinsichtlich der Rezeption des Afro ist beispielhaft für die sich verändernden politischen Haltungen in der afroamerikanischen Bevölkerung der 1960er Jahre, die über Styling angestoßen und zum Ausdruck gebracht wurden. Neben den Freedom Rides waren aber auch die sogenannten Sit-Ins ein wichtiges Element im Aktionsrepertoire der Bürgerrechtsbewegung, bei welchen ebenso Styling als politische Strategie performativ eingesetzt wurde.
S IT -I NS
UND
W AHLREGISTRIERUNG IM S ÜDEN
Die Sit-ins wurden im Februar 1960 in Greensboro, North Carolina zum ersten Mal durchgeführt. Mit dieser Art von Widerstand nutzten African Americans eine Form des gewaltfreien zivilen Ungehorsams, um gegen die rassistische Jim Crow-Praxis in den Südstaaten, Schwarze in Restaurants und Cafés nicht zu bedienen, zu protestieren. Das erste Sit-In wurde von vier Studenten veranstaltet, die sich am 1. Februar 1960 an den Tresen eines Woolworth Imbisses setzten und verlangten, ebenso wie weiße US-Amerikaner/innen bedient zu werden. Die Forderungen der vier Aktivisten wurden an diesem Tage zwar nicht mehr erfüllt, dennoch bildete ihre Aktion den Auftakt einer ganzen Reihe von weiteren Sitins, die darauf abzielten, die Gleichbehandlung von African Americans durchzusetzen. Dabei war dieses erste Sit-in kein spontanes Ereignis, sondern ein „staged event“, also eine zuvor gut konzipierte und durchdachte politische Inszenierung.14 In den bisher vorliegenden Studien ist die Rolle des Stylings für die Sitins jedoch noch nicht genügend berücksichtigt worden. Neben einem bedachten und disziplinierten Auftreten der Aktivist/innen, die sich auch nicht von physischen Angriffen und Beschimpfungen beirren ließen, war, wie bereits erwähnt, ein respektabler Kleidungsstil integraler Bestandteil der Strategie der Bürgerrechtsbewegung, und damit auch der Sit-ins. Durch ihr gesamtes Styling sollte bewusst Würde und Disziplin vermittelt werden – eine Haltung, die die weißen Angreifer/innen bei ihren Aktionen vermissen ließen. Rebekah Kowal stellt eine Analogie her zwischen der Aktionsform des Sit-ins bei Woolworth in Greensboro und einer Theateraufführung, die sowohl Ort, Rede, Kleidung und Bewegungen genau wählen muss, um die gewünschten Effekte beim Publikum hervorzu-
14 Rebekah J. Kowal: Staging the Greensboro Sit-Ins, in: The Drama Review 48, 4 (2004): S. 135-154, hier: S. 135.
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rufen.15 Darüber hinaus weist sie auf einen wichtigen strategischen Unterschied der Sit-ins im Vergleich mit beispielsweise Streiks oder Boykotten hin: „While boycotters or strikers made their point through concerted absences, sit-inners exerted pressure by insistent presence, occupying spaces from which they were usually prohibited. Sit-inners put themselves center stage instead of removing themselves from the scene.“16 Entgegen einiger Darstellungen, die das erste Sitin als spontanes, nicht geplantes und ohne genaue Strategie erfolgtes Ereignis einordnen17, folge ich Rebekah Kowal, die den performativen Charakter schon des ersten Sit-ins unterstreicht, der sehr genau orchestriert war. Interessant für den Aspekt der Style Politics ist hier insbesondere die Kleidung, die die vier Studenten bei ihrem Protest trugen: „The impact of this moral demand depended on the effectiveness of its enactment, which involved staging, costuming, casting, text, and audience. By dressing, speaking, and acting as they did, the protesters performed their right to be served ‚as if ދthey were white, thereby ‚integratingދ their bodies into formerly white public space.“ 18 Die Sit-ins wurden als neue Aktionsform in Studierendenkreisen schnell populär, und bereits am 10. Februar 1960, also nur neun Tage nach dem ersten Sitin, fand bereits das erste Sit-in außerhalb North Carolinas in Hampton, Virginia statt. Ende des Monats hatte sich die Sit-in-Bewegung in dreißig Gemeinden von insgesamt sieben Bundesstaaten ausgebreitet, und die Proteste weiteten sich bis
15 Vgl. Kowal: ebd. 16 Julian Bond: The Media and the Movement. Looking Back from the Southern Front, in: Brian Ward (Hg.): Media, Culture, and the Modern African American Freedom Struggle, Gainesville 2001, S. 16-40, hier: S. 29. 17 Vgl. etwa Branch: Parting the Waters, der auf S. 272 schreibt: „They defined no tactical goals. They did not train or drill in preparation.“ Kowal betont demgegenüber, dass die Sit-Inners genaue Anweisungen zum Verhalten und Probedialoge ausgaben, um die Aktivist/innen gut auf einen wirkungsvollen Auftritt vorzubereiten. 18 Kowal: Staging the Greensboro Sit-Ins, S. 149. Elizabeth Abel argumentiert ähnlich wie Kowal und verweist auf den performativen Charakter der Sit-ins: „Through carefully designed corporeal signs of comportment, grooming, and posture, naturally tailored by the accessories that accompanied and declared their student status, and intentionally inflected by the display of American flags, the demonstrators crossed the signifiers of race with those of nation and class.“ Elizabeth Abel: Signs of the Times. The Visual Politics of Jim Crow, Berkeley/Los Angeles/London 2010, S. 252.
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Mitte April 1960 auch auf die restlichen Südstaaten aus.19 Zu diesem Zeitpunkt beteiligten sich bereits ungefähr 50.000 Menschen an den Sit-Ins.20 Die Aktionen der Bürgerrechtsaktivist/innen zielten einerseits darauf ab, die rassistische Segregationspraxis anzuklagen. Andererseits wurde aber auch der propagandistische Wert erkannt, der in der performativen Praxis der Sit-Ins lag. Die Wirkung, die die Sit-Ins auf Fred Shuttlesworth hatten, einen Prediger, Bürgerrechtler und Kollegen von Martin Luther King, Jr., schildert Taylor Branch: „He saw the well-dressed students step off in good order, like soldiers in the joyous early stages of a popular war, and he heard that it was the same in the other North Carolina towns – only bigger.“21 Begeistert berichtete er der Bürgerrechtsaktivistin Ella Baker und Martin Luther King, Jr. von diesen Protesten und forderte sie dazu auf, sich an der Sit-In-Bewegung zu beteiligen, was diese auch taten. Selbst für viele Außenstehende war das respektvolle, disziplinierte Auftreten der Studierenden bei den Sit-Ins erfurchtgebietend – sie erduldeten physische Angriffe wie Schläge, das Auskippen von Getränken, das Bewerfen mit Eiern und ähnliches mit stoischer Ruhe und ließen sich nicht auf die Provokationen der Segregationist/innen ein.22 Auch weiße US-Amerikaner/innen, die der Bürgerrechtsbewegung bis dahin skeptisch bis ablehnend gegenübergestanden hatten, waren oftmals vom Auftreten der schwarzen Aktivist/innen beeindruckt, wenn sie die Bilder von den Protesten im Fernsehen verfolgten. Demgegenüber erschienen die weißen Angreifer/innen, die verbal sowie physisch Studierende attackierten, in einem schlechten Licht. Sie agierten in den Augen vieler USBürger/innen im Gegensatz zu den African Americans undiszipliniert und würdelos. Dies drückte sich auch im Styling aus. So berichet der bekannte Bürgerrechtsaktivist Julian Bond von einer Kolumne des weißen segregationistischen Herausgebers des Richmond News Leader, James J. Kilpatrick, in der dieser schrieb:
19 Vgl. Carson: Zeiten des Kampfes, S. 48-49. 20 Vgl. Carson: Zeiten des Kampfes, S. 49. 21 Branch: Parting the Waters, S. 273. 22 Zeitungen berichteten über die Ereignisse und interviewten die Aktivist/innen; hier standen jedoch meist die männlichen Protagonisten im Vordergrund. Im Gegensatz dazu waren auf den Fotografien von den Sit-ins auch Frauen abgebildet. Fotografie stellte insofern ein Korrektiv der zeitgenösssischen auf die Männer fokussierten Berichterstattung in der US-amerikanischen Presse dar: „The most immediate gain was the correction of the written record, which prioritized the voices of the male leaders, through the visible presence of the female activists who worked and sat by their side.“ Abel: Signs of the Times, S. 254.
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„He [Kilpatrick, P.D] contrasted the dignified black students ‚in coats, white shirts, ties ދto their rowdy white attackers – ‚a ragtail rabble, slack jawed, black jacketed, grinning fit to kill and some of them … waving the proud and honored flag of the Southern states in the last war fought by gentlemen. Eheu! ދSuch coverage, even in the ‚enemy ދpress, again confirmed the wisdom of deploying respectable, nonviolent direct actions in the pursuit of white support.“23
In der hier kolportierten Darstellung Kilpatricks seien also die die Sit-In-Aktivist/innen angreifenden Weißen in ihrem Auftreten demnach eine Schande für die alten, in seinen Augen ehrwürdigen Traditionen der Südstaaten, während die African Americans mit ihrem Styling und dem disziplinierten Gebaren dagegen überlegen wirkten. Eine solche Vorgabe der Respektabilität bezogen auf Styling unterschied die Bürgerrechtsbewegung maßgeblich vom überwiegend militanten Auftreten der Black Power-Organisationen wie etwa den Black Panthern oder Us Ende der 1960er Jahre. Deren Ziel war es nicht, Unterstützung von weißen Liberalen und Sympathisanten zu bekommen, sondern sie wollten mit einem aggressiven und entschlossenen Erscheinungsbild die Inszenierung als unterwürfige „Onkel Toms“ durchbrechen und stattdessen Schwarzen ein neues Selbstbewusstsein vermitteln.24 Dass die Vorstellung von den in Anzügen beziehungsweise weißen Röcken gekleideten Bürgerrechtaktivist/innen als einheitlichem, unveränderlichem Style differenzierter dargestellt werden muss, veranschaulichen die Äußerungen der Bürgerrechtsaktivistin Ira Stolhman. Um in den USA wählen zu können, muss man sich zuvor in ein Wahlregister eintragen lassen. In den Südstaaten wurden bis in die 1960er Jahre hinein durch schikanöse Bestimmungen wie Lese- und Schreibfähgkeitstests und Drohungen African Americans systematisch daran gehindert, ihr Wahlrecht auszuüben.25 Deshalb war die Vorbereitung und Begleitung der ländlichen schwarzen Bevölkerung auf den Gang zur Wahlregistrierung eine der zentralen Strategien der Bürgerrechtsbewegung, für die sie – ähnlich
23 James Jackson Kilpatrick: Editorial, in: Richmond News Leader, February 22, 1960, zit. nach Bond: The Media and the Movement, S. 30. 24 Vgl. hierzu die Kapitel zur BPP und den Cultural Nationalists in der vorliegenden Arbeit. 25 Die Situation in Mississippi war dafür symptomatisch: „According to the U.S. Commission on Civil Rights, just over 6 percent of the eligible nonwhite voters in Mississippi in the early 1960s were registered to vote.“ Steve Estes: „I Am a Man!“, S. 68.
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den Freedom Rides – Unterstützung von Studierenden aus dem Norden erhielt.26 Stolhman, eine dieser Aktivist/innen aus dem Norden, beschreibt nun in einem Interview die Probleme und Spannungen, mit denen sich die meist aus der Mittelklasse stammenden und über eine Universitätsbildung verfügenden Studierenden konfrontiert sahen, wenn sie Wählerregistrierungen im Süden mit der ländlichen schwarzen Bevölkerung durchführen wollten: „We were talking to people in work clothes. We wanted to be in work clothes, too. Why is anybody going to really listen to anyone all dressed up in the middle of a cotton field? Yes we were from a university but we saw ourselves as workers and we were doing work. So did we want to dress up like we were there for Sunday church social? Not us. Not then.“
27
Stolhman thematisiert in dieser Passage sehr deutlich ein Glaubwürdigkeitsproblem. Bei bestimmten Aktionsformen wie beispielsweise bei den Sit-Ins war das Auftreten in einem als „gepflegt“ geltenden Outfit ein wichtiges Medium, um die Botschaft vor allem an weiße, aber auch an schwarze US-Bürger/innen zu vermitteln, dass es sich bei den Aktivist/innen um respektable schwarze Menschen handelte, die die gleichen Rechte haben sollten wie weiße US-Bürger/ innen. Gänzlich anders war die Situation hingegen bei der Wahlregistrierung im Süden der USA. Hier zeigt sich die Verwobenheit der Strukturkategorien Race und Class sowie die jeweilige regionale Bedeutung. Für die ländliche Bevölkerung, die schwere körperliche Arbeit zu verrichten hatte, war das dressing up, das Erscheinen in eleganter Kleidung, zum einen unpraktisch, zum anderen auch oftmals nicht erschwinglich. Das Styling der mehrheitlich dem studentisch-akademischen Milieu zugehörigen Bügerrechtsaktivist/innen aus dem Norden bildete hierzu einen starken Kontrast, markierte diese als „Outsider“ und schuf eine nicht beabsichtigte Distanz zwischen den beiden Gruppen. Dadurch wurde ihre Absicht erschwert, das Vertrauen der lokalen schwarzen Bevölkerung im Süden zu gewinnen, um diese zur Wahlregistrierung zu bewegen. Da den Aktivist/innen aus dem Norden diese Wirkung bewusst wurde, passten sie ihre Style Politics der lokalen Bevölkerung an. Anhand dieses Beispiels wird offensichtlich, welche immense Bedeutung Kontextualität von Styling zukommt, und wie untrennbar verbunden sie nicht nur mit der Kategorie Race, sondern auch mit Class und Region ist. Dies wird auch an einem weiteren Beispiel deutlich. Septima Clark war als Organizerin, d.h. Aktivistin, im Bereich der Selbstorganisierung der schwarzen Community aktiv. Im Zuge ihrer politischen Tätigkeit
26 Vgl. hierzu Carson: Zeiten des Kampfes, S. 109-117. 27 Interview mit Ira Stolhman, zit. nach: Abena L. Mhoon: Dressing for Freedom, S. 28.
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initiierte sie die sogenannten Citizenschools in Mississippi, die später im gesamten Süden aufgebaut wurden. Sie vertrat von Anfang an die Auffassung, dass der Unterricht von der lokalen Bevölkerung übernommen werden sollte, und dass auch Angehörige der unteren Bevölkerungsschichten breit in Führungspositionen vertreten sein sollten. Clark wandte sich dabei von Anbeginn gegen jeglichen Klassendünkel, den sie nicht nur bei Studierenden der Mittelschicht aus dem Norden feststellte, sondern auch bei besser situierten Bevökerungsgruppen des Südens: „‚They [wohlhabende African Americans, P.D.] were going to be there because they were going to show those beautiful clothes and those summer furs and the like, but they weren’t listening.“ދ28 Mit einem elitären Styling, welches auf Wohlstand hindeutete und schön anzusehen war, brachten diese Aktivist/innen jedoch gleichzeitig zum Ausdruck, dass sie nicht wirklich daran interessiert waren, von der armen Landbevölkerung zu lernen und sich deren Lebenssituation schildern zu lassen. Stattdessen nutzten diese wohlgekleideten Aktivist/innen die Treffen zur Darstellung ihres extravaganten Styles. Doch nicht nur Class und Region waren Kategorien, die die Auseinandersetzungen innerhalb der Bürgerrechtsbewegung implizit strukturierten. Auch die Frage von Heteronormativität und Gender bezogen auf Styling wurde von Anbeginn der Bürgerrechtsbewegung zu einem umkämpften Feld, wie ich im Folgenden zeigen werde.
Q UEERING S TYLE : D RAGBALLS , H OMOSEXUALITÄT DIE B ÜRGERRECHTSBEWEGUNG
UND
Die bereits erwähnte Organisation Southern Christian Leadership Conference um Martin Luther King, Jr. gehörte Mitte der 1950er Jahre zu einer in den USamerikanischen Medien stark beachteten Gruppierung innerhalb der Bürgerrechtsbewegung. Die SCLC orientierte sich an Werten wie Respektabilität und christlicher Nächstenliebe, um ihre moderaten Forderungen nach Integration in die weiße US-Gesellschaft zu unterstützen und dafür Sympathien von Seiten der weißen Mehrheitsgesellschaft zu erhalten. Dazu gehörte auch eine heterosexuelle Ausrichtung, die an Mittelklassevorstellungen von Ehe, d.h. einer Partnerschaft
28 Zit. nach Charles M. Payne: I’ve Got the Light of Freedom. The Organizing Tradition and the Mississippi Freedom Struggle, Berkeley/Los Angeles/London 1995, S. 76. H.i.O.
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von Mann und Frau, orientiert war.29 Auch das Styling mit Anzug und Krawatte bei Männern sollte diese Klassenzugehörigkeit ausdrücken. Völlig im Gegensatz zu diesen Bestrebungen stehen jedoch die sogenannten Dragballs, die sich von den 1930er bis 1950er Jahren einer zunehmenden Beliebtheit vor allem unter African Americans erfreuten – ein Hinweis darauf, wie komplex die Style Politics in diesen Jahrzehnten waren. Bei diesen Bällen wurde extravagante Kleidung getragen, und das Styling der überwiegend homosexuellen Teilnehmenden mit Schmuck und Make-Up, vor allem aber über Crossdressing, d.h. über das Einnehmen von anderen Geschlechterrollen, wurde zur Hauptattraktion. In den Arbeitervierteln Chicagos fand so beispielsweise der jährliche Finnie’s Ball statt, aber auch in Harlem wurde der sogenannte Hamilton Lodge Ball sogar bis in die 1960er Jahre hinein gefeiert.30 Nach dem Zweiten Weltkrieg bis zum Beginn der Bürgerrechtsbewegung wurde allerdings Detroit, die Stadt mit der damals drittgrößten afroamerikanischen Bevölkerung zu dem Ort, wo es einen regelrechten drag craze gab.31 Während in der weißen Mainstream-Presse nicht über die Drag Balls berichtet wurde, gab es in schwarzen Zeitungen und Magazinen regelmäßig Artikel darüber. Drag Balls waren so ein populärer Bestandteil des Nachtlebens und des Abendprogrammes verschiedener Theater in Städten wie Chicago, Washington, D.C., Philadelphia, San Francisco, New Orleans und Detroit.32 Der Tenor der zeitgenössischen Texte in der afroamerikanischen Presse war größtenteils positiv, und die Beschreibung der Drag Balls zeigt, wie Crossdressing und auch Homosexualität in der schwarzen working class culture weitgehend akzeptiert wurde. Interessanterweise waren führende Köpfe der Bürgerrechtsbewegung gegen die Drag Balls, weil diese mit ihren Vorstellungen von respektablem Styling kollidierten. Dabei können diese Veranstaltungen auch als ein Beispiel für die Integration angesehen werden, denn dort fanden sich schwarze und weiße Tanzpartner/innen zusammen. Ein weißer Frisör, John
29 Vgl. Marybeth Hamilton: Sexual Politics and African-American Music, or, Placing Little Richard in History, in: History Workshop Journal 46 (Autumn 1998): S. 161176, hier: S. 174. 30 Vgl. Allen Drexel: Before Paris Burned. Race, Class, and Male Homosexuality on the Chicago South Side, 1935-1960, in: Brett Beemyn (Hg.): Creating a Place for Ourselves. Lesbian, Gay, and Bisexual Community Histories, New York/London 1997, S. 119-144, hier: S. 133-136. 31 Vgl. Thaddeus Russel: The Color of Discipline. Civil Rights and Black Sexuality, in: American Quarterly 60, 1 (2008): S. 101-128, hier: 105-106. 32 Russel: The Color of Discipline, S. 106.
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Friers, der einen der ersten Drag Balls in Chicago Anfang der 1950er besuchte erzählt: „At the time integration hadn’t come to existence yet, but the gay world was integrated long before... Well, the gay world was always integrated. Not one hundred percent, certainly. Some white gays didn’t like blacks. Some black gays didn’t like whites. But gay people could go into black areas and black nightclubs and feel perfectly safe because blacks knew that white gays were quite liberal.“
33
Die afroamerikanische Presse betonte in ihren Artikeln über die Drag Balls den Umstand, dass Schwarze und Weiße sich dort faktisch über die Segregationsgesetze hinwegsetzten und oftmals sogar intime Beziehungen eingingen. Allerdings thematisierte sie nicht den Widerspruch, dass die schärfsten Kritiker/innen dieser Veranstaltungen Bürgerrechtler/innen waren, die sich eigentlich gerade die Integration von African Americans in die US-amerikanische Gesellschaft zum Ziel gesetzt hatten.34 Neben den in der Historiographie zur Bürgerrechtsbewegung sowie in den zeitgenössischen US-amerikanischen Mainstreammedien meist an prominenter Stelle stehenden Predigern wie Martin Luther King, Jr. oder Ralph Abernathy, welche traditionelle Geschlechtervorstellungen vertraten und dies auch in ihrem Styling zum Ausdruck brachten, gab es auch von diesen sowohl im Styling als auch hinsichtlich der Konzeption von Gender abweichende Positionen. Thadeus Russel weist darauf hin, dass es einige Prediger gab, die in den 1940er und 1950er Jahren offen zu ihrer Homosexualität standen und dies auch in ihrem Styling offensiv zur Schau trugen. Vor allem James Francis Jones, der unter dem Namen Prophet Jones bekannt wurde und Charles Manuel Grace, der den Künstlernamen Sweet Daddy Grace annahm, waren Beispiele für ein alternatives Styling.35 Sweet Daddy Grace war ein Pfarrer, der sich in seinem Äußeren sehr stark an zeitgenössischen Vorstellungen von Feminität orientierte. Russel beschreibt dessen Aussehen wie folgt: „His shoulder-lenght hair splayed across the collar of his gold and purple coats, which often framed chartreuse vests and floral-print ties. Grace always sported a massive diamond ring on the middle finger of his left hand, and the most famous part of his appearance were his five-inch long fingernails, which he usually painted red, white, and blue. Grace, who
33 John Fiers, zit. nach Drexel: Before Paris Burned, S. 138. H.i.O. 34 Vgl. Russel: The Color of Discipline, S. 107. 35 Vgl. Russel: The Color of Discipline, S. 109.
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immigrated from Cape Verde and worked as a dishwasher and migrant farm laborer before becoming a preacher, said the nails represented both his rejection of work and his own immortality.“111
Graces Aussehen kollidierte mit Konstruktionen von „respektabler“ heterosexueller Männlichkeit, welchem die christlich geprägte Bürgerrechtsbewegung zu entsprechen suchte. Stattdessen orientierte sich sein Styling mit gefärbten Fingernägeln und Nerzmänteln eher an dem, was in der zeitgenössischen Vorstellung mit Femininität verbunden wurde. Zunächst wurde Graces Auftreten in den späten 1940er Jahren und Anfang der 1950er Jahre noch toleriert. Wie jedoch Thadeus Russel belegt, ging das Erstarken der moderaten Bürgerrechtsbewegung um Martin Luther King und Organisationen wie SCLC und NAACP einher mit der Zurückdrängung von liberalen Ansichten über Homosexualität, Freiheit und working class culture. Stattdessen wurden Disziplin, Askese und Selbstverzicht als Werte etabliert.36 Im Jahre 1954, als das Urteil Brown vs. Board of Education of Topeka vom Supreme Court gefällt wurde, welches den getrennten Unterricht nach „rassischen“ Kriterien für unkonstitutionell erklärte, hörten Zeitschriften wie Ebony auf, Artikel über Homosexualität zu publizieren, und schwarze Zeitungen in Detroit, New York und Chicago beendeten ihre Berichterstattung über Drag shows.37 Das Styling in Drag, also die (Ver)Kleidung in einem anderen als dem „natürlichen“ Geschlecht, wurde in den USA in den 1960er Jahren vom Staat sanktioniert. Dies galt auch für Städte wie San Francisco und New York, die in Bezug auf Homosexualität als liberal angesehen waren und über eine große homosexuelle Community verfügten. Laurence Senelick beschreibt, wie die Besucher/ innen von Drag-clubs ihr Styling anpassen und Vorsichtsmaßnahmen treffen mussten, um bei eventuellen Polizeirazzien nicht mitgenommen zu werden: „Even in New York and San Francisco in the 1960s, drag was illegal: frequenters of clubs had to wear a minimum of five articles of male attire to avoid arrest in case of police raids. An early warning was to turn up the lights: dancers would run to chairs, ‘grab a diesel dyke and pretend she was your girlfriend.“ދ38
36 Vgl. Russel: The Color of Discipline, S. 112. 37 Vgl. Russel: The Color of Discipline, S. 114. 38 Laurence Senelick: The Changing Room. Sex, Drag, and Theatre, London/New York 2000, S. 384.
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Aufgrund dieser restriktiven und repressiven Verordnungen bezüglich des DragStylings fungierten die geduldeten jährlich stattfindenden Drag Balls als Ventil, wie Laurence Senelick weiter schreibt: „The venues for gender impersonation, even as performance, were severely limited by municipal legislation. [...] These laws were still enforced in the early 1960s. Under these conditions, the annual drag balls had an inevitable air of hysteria about them: identities and proclivities kept tightly under wraps the rest of the year suddenly erupted into the public eye. A thirst for theatrical glamour, pomp, and circumstance was finally if temporarily satisfied.“
39
In der afroamerikanischen Presse wurde über Drag als Phänomen in den 1950er Jahren bis zum oben thematisierten Erstarken der Bürgerrechtsbewegung 1954 regelmäßig berichtet, während über die Drag Balls in der weißen Mainstreampresse nicht geschrieben wurde.40 Ein Artikel in der Zeitschrift Jet aus dem Jahre 1952 widmet sich afroamerikanischen Männern, die sich als Frauen stylten, und die im zeitgenössischen Sprachgebrauch als Female Impersonators bezeichnet wurden. Dabei werden auch Fragen der Geschlechteridentität angesprochen. Der/die namentlich nicht aufgeführte Autor/in vertritt dort die These: „Actually, in many mannerisms female impersonators are often more feminine than real women, but many others are grotesque caricatures of real women.“41 Im Verlauf des Artikels wird dann die Frage aufgeworfen, ob man eine generelle größere Toleranz gegenüber „abweichenden“ sexuellen Orientierungen konstatieren könne und ob dies dann Männer ermutige, Frauenkleidung zu tragen: „One question: is society now more tolerant of the deviant male and does this encourage men to wear women’s clothes? The answer to this is a qualified yes, but society still scorns feminine men and often puts them in jail for perversion. [...] Why do audiences get such a big kick out of female impersonators? Some psychiatrists say that impersonators reflect latent homosexual qualities in the audience. Women might like to watch men act the way they do because the impersonator often overacts. To women this may be like a big joke on their own sex.“42
39 Senelick: The Changing Room, S. 378-379. 40 Vgl. Drexel: Before Paris Burned, S. 135. 41 N.N.: The Truth about female Impersonators, in: Jet, October 1952, S. 27. 42 N.N.: The Truth about female Impersonators, S. 29.
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Der Kommentar in Jet kommt dem implizit dem nahe, was Judith Butler in ihren Bemerkungen zu Drag als Möglichkeit von politischem Widerstand und Subversion theoretisiert hat.43 Drag imitiert eine Geschlechterzuschreibung, macht dies jedoch in einer übertriebenen Art und Weise, d. h. „overacts“, um als Mann bzw. Frau zu erscheinen. Da dies meist aber als Drag act erkannt wird, zeigt sich auch, wie brüchig selbst das „natürliche“ Geschlecht und die damit einhergehende Rollenzuschreibung ist. Diese muss ebenso aufgeführt werden, und ihre Authentizität kann jederzeit angezweifelt werden. Das Styling von Prophet Jones zielte darauf ab, Extravaganz und sexuelle Devianz zu demonstrieren, als die zum damaligen Zeitpunkt Homosexualität in der hegemonialen Lesart galt. Durch das Zusammenführen von ungewöhnlich farbenfroher Kleidung mit einem homosexuellen Subtext erlangte Jones einen weithin sichtbaren Platz in den von Weißen kontrollierten Massenmedien.44 Diese Medienpräsenz nahm erst Mitte der 1950er Jahre ab. Tim Retzloff führt dies auf die nun explizit bekannt gewordene Homosexualität von Jones zurück, die von dem meist konservativ eingestellten Publikum nicht mehr goutiert wurde: „In the 1940s and 1950s suggested homosexuality, under the guise of an entertainer’s flamboyance, was permissible. [...] Jones’ 1956 arrest allowed the formerly sympathetic press finally to name the trait intrinsic to his fame. Coded reference to flamboyance became uncoded and labeled ‚devianceދ. [...] As long as Jones’ queerness was a social performance, confined to the role of the freakish man, he appealed to a mass print audience. Once he was arrested and his queerness was explicitly connected to homosexual practice, tagged criminal and perverse in the language of courts and commissions, he was unfit for 45
print.“
Wurde Prophet Jones Auftreten mit manikürten Fingernägeln und in Nerzmänteln anfangs also noch als unterhaltsam begrüßt oder zumindest als exzentrisch toleriert, so waren die bereits damals impliziten homosexuellen Konnotationen seines Stylings nach Jones Verhaftung nun evident geworden und ließen keinen Spielraum mehr für unterschiedliche Interpretationen: Es war mit dem Streben der Bürgerrechtsbewegung nach Respektabilität unvereinbar geworden. So kam es, dass sowohl in afroamerikanischen Theateraufführungen wie auch in öffentlichen Protestaktionen ein Styling in Drag oder zumindest in Kleidung, die in der
43 Vgl. Kapitel Eins der vorliegenden Arbeit. 44 Vgl. Tim Retzloff: ‚Seer or Queer? ދPostwar Fascination with Detroit’s Prophet Jones, in: GLQ: A Journal of Lesbian and Gay Studies 8, 3 (2002): S. 271-296, hier, S. 288. 45 Retzloff: Seer or Queer, S. 289.
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zeitgenössischen Wahrnehmung als geschlechtlich nicht eindeutig wahrgenommen wurde, als unziemlich und anstößig deklariert wurde. „In part, it [die zunehmende Verdrängung des schwarzen homosexuellen Lebens aus dem öffentlichen Showbusinness, P.D.] was shaped by politics: a civil-rights movement that stressed respectability and a black-power movement stressed heterosexual machismo and that politicized black masculinity more intensely than ever before. Those political imperatives had a discernable impact on the visibility of black gay life. It’s at exactly the time of the civil rights movement that drag balls disappear from the black press. The balls themselves went underground over the next decade, on at least one occasion (at the Apollo Theatre in Harlem) after black nationalists damned them for ‘glorify[ing] the homosexual... and [posing] a threat to black life and the black family.“46
Wie hier deutlich wird, ging die Marginalisierung der Drag-Szene einher mit dem Erstarken der Bürgerrechtsbewegung. Priester wie etwa Prophet Jones und Daddy Grace zeigten ein anderes Bild von religiösem Aktivismus, der sich in Forderungen und Styling gleichermaßen von dem eines Martin Luther King, Jr. unterschied. Jones Nerzmantel wurde zu einem Symbol seines Reichtums und seines ins Auge springenden grellen Stylings, was in Zeitungen wie Newsweek, der Detroit Free Press und der Associated Press vermerkt wurde.47 Er galt nun auch als der „Messiah in Mink“: „The Jones boy went in for expensive negligees and such. He doused himself liberally and often with exotic and costly perfumes. He was rarely seen without baubles on his fingers, bracelets on his wrists, and beads on his ears.“48 Diese Beschreibung von Jones ist Indiz für die sich in den 1950er Jahren mit der Bürgerrechtsbewegung verschiebenden hegemonialen Vorstellungen von angemessenem Styling. Der aus seiner Kleidung, dem MakeUp und den Accessoires sprechende Manierismus von Prophet Jones wurde nun kritisch gesehen. Die in seinem gesamten Auftreten ausgestrahlte Bohème, das ostentaive Prahlen mit seinem Reichtum und die implizite Absage an körperliche Arbeit stand im Gegensatz zum Respektabilitätsdispositiv der aufkommenden Bürgerrechtsbewegung à la King. Vor allem die im Styling angelegte Betonung der Homosexualität über die Adaption feministisch konnotierter Elemente schien nicht kompatibel mit den Vorstellungen der heterosexuellen schwarzen Familie, die die Bürgerrechtsbewegung in den 1950er Jahren zu propagieren begann. Die Verhaftung von Jones wegen homosexueller Akte im Jahr 1956 fiel zusammen
46 Hamilton: Sexual Politics and African-American Music, S. 174. 47 Vgl. Retzloff: ‚Seer or Queer?ދ, S. 279. 48 Zeitschrift Whisper, zit. nach Retzloff: ‚Seer or Queer?ދ, S. 285.
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mit einem konservativeren Klima in den USA der 1950er Jahre, das von Antikommunismus und Invektiven gegen Schwule und Lesben geprägt war. Wie Tim Retzloff schreibt: „Indeed, the denunciation of Jones coincided with the falling out of fashion of drag revues, like those of female impersonator Priscilla Dean, which had long been showcased by local African American nightclubs and the Michigan Chronicle.“49 Ein anderes Beispiel für Cross-dressing in der afroamerikanischen Musikszene war Richard Penniman, der mit seinem Künstlernamen Little Richard berühmt wurde. Marybeth Hamilton und Tim Retzloff sprechen von der Figur des freakish man, die Little Richard verkörpert habe: „The ‚freakish manދ, a role rooted in the sexual system of the African American urban working class. The freakish man – a flamboyant, sissified entertainer in African American vaudeville – both destabilized sexual norms and defused sexual tensions among African American men and women caught in the social stresses of migration and urbanization.“50
Little Richard verließ mit vierzehn Jahren sein Elternhaus und trat danach für mehrere Jahre im Süden in Ministrel Shows51 als drag queen „Princess Lavonne“ auf. Er traf bei seinen Shows female impersonator, die ihm viel in Bezug auf queeres Styling beibrachten. Teile der Drag Queen-Accesoires wie das Tragen von Röcken legte er ab, aber „he retained her sequins, her makeup, her pompadour, her strutting self-confidence and her way with words.“52 Little Richard war damit Teil einer in den 1940er und 1950er Jahren weit verbreiteten Anzahl von Drag Queens aber auch anderen Darstellern, die für die damaligen Vorstellungen von gebührlicher und geschlechtlich eindeutiger Kleidung als (noch) nicht verstörend wahrgenommen wurden.53 Wie das Verhältnis von Styling und Respektabilität verhandelt und öffentlich diskutiert wurde, soll im Folgenden wiederum exemplarisch anhand einiger in
49 Retzloff: ‚Seer or Queer?ދ, S. 287. 50 Retzloff: ebd. 51 Als Ministrelsy Shows bezeichnet man Theaterstücke und Filme, in denen weiße Schauspieler/innen sich im Gesicht schwarz anmalten, African Americans lächerlich machten und diese als dumm und einfältig darstellten. Diese Art der Unterhaltung war in den USA Anfang des 20. Jahrhunderts bis in die 1950er Jahre hinein unter Teilen der weißen US-amerikanischen Bevölkerung äußerst populär. Vgl hierzu Lott: Love and Theft. 52 Hamilton: Sexual Politics and African-American Music, S. 162. 53 Vgl. Hamilton: Sexual Politics and African-American Music, S. 168.
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den 1950er und 1960er Jahren in afroamerikanischen Zeitschriften geführten Debatten nachgezeichnet werden.
S TYLING , R ESPEKTABILITÄT IN DEN 1950 ER J AHREN
UND
S CHÖNHEIT
Mit der Gründung der Zeitschrift Ebony im Jahre 1945 und des Magazins Jet 1951 verfügten African Americans über zwei Publikationen, die sich in ihren Ausgaben vornehmlich auf eine schwarze Zielgruppe konzentrierten. Neben aktuellen politischen Entwicklungen wurden auch Fragen der Mode und des Stylings an prominenter Stelle verhandelt. Durch die große Leser/innenschaft besonders dieser beiden Zeitschriften waren sie zum einen ein beliebtes Werbeforum, in denen Designer/innen, Make-Up-Firmen und Friseur/innen ihre Produkte anpriesen. Die Berichterstattung über afroamerikanische Models, Musiker/innen und Schauspieler/innen verhandelte aber auch implizit Style Politics. Was als „angemessene“ Kleidung oder „(un)ziemliches“ Präsentieren des Körpers galt, wurde auch in den Artikeln in Ebony und Jet diskutiert und hatte in der Umkehrung wiederum eine große normative Wirkung auf das Styling der Leser/innenschaft. Zudem wurde als positiver Referenzrahmen häufig ein Vergleich mit dem Styling der Bürgerrechtsbewegung gezogen. Janice Cheddie hat in einem Aufsatz die hegemonialen Diskurse in den prominenten schwarzen Zeitschriften wie Ebony und Jet in Bezug auf weibliche Körperpolitik und Styling untersucht. Selbst wenn in den 1950er Jahren das Bild der „primitiven“ Schwarzen noch virulent war, kommt die Autorin zu dem Schluss, dass ein alternatives visuelles und ästhetisches Bild zunehmend an Einfluss gewann: „Despite the continuing presence of primitivist imaging within the civil rights era, as demonstrated by some of Avedonތs images of Luna, within 1950s black discourses the dominant image of femininity was the production of a black feminine corporeal style that stressed feminine concealment, understatement, discretion, and a concerted effort to counter charges of hypersexuality, ‚sexless elegance.“ދ
54
Die Figur der „hypersexuellen“, „primitiven“ schwarzen Frau wich in den 1950er Jahren also auch hier dem Versuch, über Styling Respektabilität zu per-
54 Wilson, zit. nach Janice Cheddie: The Politics of the First. The Emergence of the Black Fashion Model in the Civil Rights Era, in: Fashion Theory 6, 1 (2002): S. 6181, hier: S. 66.
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formen, und der Körper wurde verdeckt, um Erotik und sexuelle Reize in der öffentlichen Sphäre bei schwarzen Frauen zu vermeiden. Die institutionalisierte Repräsentation dessen, was als „schön“ definiert und anerkannt wurde, nämlich die jährlich stattfindenden US-amerikanischen Schönheitswettbewerbe in Atlantic City, waren bis in die 1960er Jahre hinein weißen Frauen vorbehalten.55 Während 1968 weiße Feministinnen gegen die Beauty Pageants an sich protestierten, weil sie darin eine Herabwürdigung der Frau sahen, veranstaltete eine Gruppe von African Americans einen „positiven Protest“, indem sie den ersten Miss Black American Pageant veranstalteten.56 Dies ist ein Hinweis darauf, dass der hegemoniale Schönheitsstandard bis zu dieser Zeit ein explizit weißer war, und somit die Möglichkeiten schwarzer Models, im Modeund Schönheitsgeschäft erfolgreich zu sein, erst langsam im Zuge der Erfolge der Bürgerrechtsbewegung größer wurden.57 Doch auch das Bild schwarzer Männer änderte sich Ende der 1950er und Anfang der 1960er Jahre, was ich anhand eines Aufsatzes von Nathan Hare zeigen will, der für Konzeptionen von Maskulinität in dieser Zeit symptomatisch ist. Diesen Text kontrastiere ich anschließend mit der zeitgenössischen Diskussion um den Artikel Who will revere the Black Woman, der die Relationalität von Männlichkeits- und Weiblichkeitskonzeptionen im Zusammenhang mit Style Politics verdeutlicht.
S TYLE UND „T HE F RUSTRATED M ASCULINITY N EGRO M ALE “
OF THE
Nathan Hare, ein afroamerikanischer Soziologieprofessor, der in den 1960er Jahren an der Howard University in Washington, D.C. arbeitete, beschäftigte sich in seinen Forschungen schwerpunktmäßig mit der schwarzen Familie. Wiederholt intervenierte er in der afroamerikanischen Presse zu kontroversen zeitgenössi-
55 1937 wurde im Regelwerk der Schönheitswettbewerbe festgehalten, dass Teilnehmerinnen der „white race“ angehören müssen. Vgl. Janel Hobson: Venus in the Dark. Blackness and Beauty in Popular Culture, New York/London 2005, S. 120-121. 56 Vgl. Hobson: ebd. 57 Vgl. White: Style Noir, die schreibt: „Sepia-toned models, battling cultural standards that had little regard for African beauty, found few opportunities to establish careers on Seventh Avenue. The sucess of actresses like Lena Horne and Dorothy Dandridge opened doors for beautiful black women with café au lait complexions, but developing a career in modelling was even more difficult.“ S. 27.
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schen Diskussionen und schrieb auch insbesondere über schwarze Männlichkeit. Sein Essay The Frustrated Masculinity of the Negro Male, der im August 1964 im Negro Digest erschien, thematisiert Fragen des Stellenwertes der Bürgerrechtsbewegung in Bezug auf Schwarzsein, Geschlechterbeziehungen und Körperpolitik und ist deshalb als Quelle für Style Politics sehr aufschlussreich. Interessant ist bereits die von der Redaktion des Negro Digest jedem Artikel vorangestellte Indexbetitelung, die im Fall von Hares Essay „Cultural Castration“ lautet. Hier werden die Leser/innen sogleich auf den verbreiteten Topos der symbolischen Kastration des schwarzen Mannes eingestellt.58 Hare beginnt seinen Aufsatz mit der Feststellung, dass der schwarze Mann Schwierigkeiten damit habe, die männliche Rolle zu spielen: „This leads to a psychological effort to compensate for feelings of inadequacy by way of a struggle for conspicuous masculinity. Many cloak their deepseated feelings of inadequacy in boldly masculine garb and mannerisms. For example, while only eccentric white males and Old West villains wear mustaches, the mustache is widely sported by Negro men. This spotlights their visible contrast with women.“59
Ebenso werde der ganze Körper eingesetzt, um schwarze Männlichkeit zu demonstrieren, wie es weiter im Text heißt: „The bouncing jitterbug walk and the bluffing demeanor of Negro males is still another aspect of the quest for conspicuous masculinity. While white men think nothing of crossing their arms or legs as a gesture of refinement, Negroes typically spread their legs and lean forward ever so slightly to achieve an effect not open to women wearing dresses and skirts.“
60
Hare macht also einen deutlichen Unterschied zwischen weißen und schwarzen Männern aus. Erstere würden bestimmte Gesten nicht mit der Intention ausführen, ihre „Männlichkeit“ zu demonstrieren, wohingegen schwarze Männer ihre Bewegungen kalkulierten und so ausführten, um keinen Zweifel an ihrer „Männlichkeit“ aufkommen zu lassen. Aus diesem Grund sei bei schwarzen Männern
58 Vgl. hierzu auch Philipp Dorestal: „We shall have our manhood“. Entwürfe schwarzer und weißer Männlichkeit in den USA der 1950er und 1960er Jahre, Saarbrücken 2009, S. 113 und S. 138-139. 59 Nathan Hare: The Frustrated Masculinity of the Negro Male, in: Negro Digest, August 1964, S. 5-9, hier: S. 6. 60 Hare: ebd.
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auch eine große Reserviertheit gegenüber und Furcht vor Homosexualität zu beobachten. Selbst bei heterosexuellen Männern sei der Gedanke, als homosexuell zu erscheinen, eine verpönte Vorstellung, da Homosexualität mit Effemination gleichgesetzt würde und dies die Anstrengungen, die eigene Männlichkeit unter Beweis zu stellen, konterkariere.61 Hare analysiert dann die Bürgerrechtsbewegung unter dem Gesichtspunkt der Demonstration schwarzer Männlichkeit und Weiblichkeit. Der Autor vertritt die These, dass die schwarze Männlichkeit beschädigt sei, weil meist schwarze Frauen bei Aktionen die Initiative ergriffen und sich in die vorderste Front gestellt hätten. Die Männer hingegen seien im Hintergrund geblieben und erst aktiv geworden, als die ersten Hürden genommen worden seien. Demnach hätten sie eine „Feigheit“ gezeigt, die im diametralen Gegensatz zu „wahrer“ Männlichkeit stehe. Hare zählt Eckdaten der Bürgerrechtsbewegung auf, die diese These untermauern sollen: „Negro women and children were typically sent in. Men hung back, apparently, then rushed in after the situation was underway. Witness Rosa Parks […,] Autherine Lucy, first Negro to enter the University of Alabama; […] and Daisy Bates, who stood up to Faubus along with the Little Rock Nine. Now that the pattern has been set and the Klu Klux Klan tamed, Negro males have become more reckless, although one wonders what they would do without Constance Baker Motley of the NAACP legal staff and Gloria Richardson, militant leader of the Cambridge, Maryland, protest.“62
Der afroamerikanische Mann übe nicht die ihm traditionell als „männlich“ zugewiesene Rolle aus, seine Frauen und Kinder zu beschützen und sei in einigen Bezirken des tiefen Südens machtlos, Angriffe weißer Südstaatler abzuwehren.63 Dies führe dazu, dass schwarze Männer an ihrer Männlichkeit zweifeln würden. Sie internalisierten auch die Kritik von Seiten der Frauen, die von ihnen erwarten würden, die Rolle des Beschützers zu erfüllen. Während Frauen eigene Organisationen wie den National Council of Negro Women und der National Association of Colored Women’s Club hätten, verfügten die Männer über keine eigenen Organisationen, die ihre Interessen verträten. Daraus ergebe sich nach Hare die Konsequenz, dass die Männlichkeit schwarzer Männer in Gefahr sei.
61 Hare: ebd. 62 Hare: The Frustrated Masculinity of the Negro Male, S. 6-7. 63 „The fact that the Negro men cannot protect his family presents a special problem to the Negro male psychology.“ Hare: The Frustrated Masculinity of the Negro Male, S. 7.
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Hares Text ist als Quelle interessant, weil er Körper und Style Politics in Verbindung mit Männlichkeitsentwürfen zusammendenkt. Der kritische Impetus seines Essays bleibt hingegen oberflächlich: Er hinterfragt nicht die Rhetorik von der Krise der schwarzen Männlichkeit, die bei einigen schwarzen Männern vorhanden sei. Seine Chronologie der Bürgerrechtsbewegung und die zunehmend prominente Rolle weiblicher Mitglieder, die er an einer angeblichen Dominanz der Frauen bei politischen Aktionen festmacht, wertet er negativ und reproduziert damit sexistische Diskurse, anstatt zu fragen, ob der Aktivismus der Frauen nicht vielmehr zu begrüßen sei, da er keine Bedrohung für „Männlichkeit“, sondern vielmehr ein Kampf gegen Rassismus und für gleichberechtigte Geschlechterverhältnisse sein könnte. Die Vorstellung, dass afroamerikanische Frauen sich selbst bewaffnen und sich gegen gewaltsame Angriffe zur Wehr setzen, sieht Hare nicht als unterstützenswert an, sondern verbleibt in einer klassischen patriarchalen Logik, die Selbstverteidigung und die Ausübung von Gewalt oftmals als männliches Privileg betrachtet.64 Zudem reproduziert er eine binäre Geschlechtereinteilung, in der bestimmte Verhaltensweisen als quasi „natürlich männlich“ oder „weiblich“ reifiziert werden und nicht als Reproduktionen von gesellschaftlich wirkmächtigen Vorstellungen. Insgesamt beschreibt der Autor einen starken Zusammenhang zwischen der Performanz von Geschlechteridentität und Styling. Der Autor verbleibt mit dieser Argumentationsweise jedoch bei einer unkritischen Reproduktion der Krisenrhetorik und gesteht Frauen im Bürgerrechtsaktivismus nur eine subordinierte Funktion zu. Im nächsten Abschnitt betrachte ich ein weiteres Dokument, welches implizit Styling in Bezug auf die Black Power-Bewegung behandelt.
A B LACK P SYCHIATRIST
AND
B LACK P OWER
Eine andere Quelle, die die Fragen von Schwarzsein, Geschlecht und Styling und deren Veränderung im Zuge der Black Power-Bewegung thematisiert, ist ein Aufsatz des Psychiatrieprofessors Alvin Poussaint. In dem 1970 in Ebony erschienenen Text konstatiert der Autor einen Wandel von der integrationsorientierten Bürgerrechtsbewegung hin zu einer kulturellen und politischen Revolution des schwarzen Bewusstseins, die in der Black Power-Bewegung festzustellen sei und nun auf Selbst-Entwicklung und Selbstbestimmung setze.65 Lange
64 Vgl. Estes: „I Am A Man!“, S. 67. 65 Vgl. Alvin Poussaint: A Psychiatrist Looks at Black Power, in: Ebony, März 1970, S. 142-151, hier: S. 142.
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Zeit hätten African Americans ihr Schwarzsein als einen Makel betrachtet, weshalb bei ihnen ein Trend zu beobachten sei, Statussymbole zu sammeln, um diesem vermeintlichen Makel etwas entgegenzusetzen: „Too many blacks have long worshipped big cars, fancy clothes, good liquor, expensive weddings and elaborate funerals.“66 Diese Symbole hätten dazu gedient, akzeptiert zu werden, was oftmals synonym mit dem Wunsch gewesen sei, weiß und in die Mehrheitsgesellschaft integriert zu werden. Mit dem Aufkommen der Black Power-Bewegung sei dieser Wunsch jedoch unter African Americans immer schwächer geworden. „More and more, blacks are rejecting this racist-integrationist trap and no longer want to have ‚status ދat the sociopsychological expense of the more poverty-stricken and downtrodden blacks. Since the emergence of the black power movement, many Negroes are searching for new paths to psychic salvation and trying to mitigate their guilt, anti-black attitudes or economic success by forming a renewed identification with ‚blackness ދand the ghetto.“67
Poussaint stellt im Zuge der Radikalisierung der Bürgerrechtsbewegung folglich eine positive Bezugnahme auf das eigene Schwarzsein fest. Das Integrationsdispositiv, welches mit dem Wunsch einherging, etwa über respektables Styling oder das Akkumulieren von Statussymbolen möglichst weiß zu erscheinen, wieche nun der Identifikation mit dem Ghetto und dem niedrigeren ökonomischen Status der African Americans. Deren größter Wunsch sei also nicht mehr, von der weißen Mehrheitsgesellschaft akzeptiert zu werden, was oftmals mit „to be as white as possible“68 identifiziert wurde. Trotz dieser Entwicklung bestehe jedoch in der afroamerikanischen Community nach wie vor noch ein schwieriges Verhältnis zum eigenen Schwarzsein. Dies sei abzulesen an der weiterhin großen Zahl von African Americans, die sich für das Tragen eines Afro schämten und gegen ein solches Hairstyling seien. Selbst einige Anhänger der Black PowerBewegung, die öffentlich ihre Zugehörigkeit auch durch ein entsprechendes Styling zur Schau trügen, hätten ein ambivalentes Verhältnis zum Afro: „Surprisingly, otherwise militant parents will feel that a ‚natural ދdoes not appear ‚wholesome ދor ‚decent ދwhen it’s on their daughter!“69 Viele African Americans seien also vom Grad der politischen Bewusstheit noch lange nicht soweit wie diese
66 Poussaint: A Psychiatrist Looks at Black Power, S. 142. 67 Poussaint: A Psychiatrist Looks at Black Power, S. 148. 68 Poussaint: ebd. 69 Poussaint: A Psychiatrist Looks at Black Power, S. 149.
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„militanten“ Eltern, die zwar für ihre Kinder den Black Power-Style ablehnten, diesen aber zumindest allgemein guthießen. Viele Schwarze lehnten stattdessen alles auf irgendeine Art „afrikanisch“ Konnotierte ab, wie etwa einen Dashiki zu tragen: „Others refer to blacks who wear African dress as ‚crazy ދand ‚sickދ. Despite the black power movement, many Negroes still have a long way to go psychologically before they accept their blackness.“70 Die Mehrheit von ihnen würde die Bewegung hin zu mehr schwarzem Bewusstsein als einen weiteren neuen Trend abtun, der bald wieder passé sei.71 Dass ein Hemd, das sich den Schnitt und dem Stoffumfang nach an afrikanischen Gewändern orientierte, von der Black Power-Bewegung als eine notwendige Affirmation des eigenen Schwarzseins wirke, war Poussaint zufolge erst von wenigen African Americans erkannt worden. Insgesamt macht Poussaint einen positiven Effekt der Black Power-Bewegung aus, der dazu führe, die über Jahrhunderte überlieferten negativen Konnotationen von Schwarzsein zu korrigieren. Psychologisch gesehen habe Black Power das Leben von African Americans also sehr stark verändert.72 Insofern stelle die Bewegung eine Umkehr der schwarzen Entfremdung dar und nicht mehr das Integrationsparadigma, sondern der stolze Bezug auf schwarze Kultur und Geschichte zeitige somit positive Effekte auf die schwarze Psyche.
„W HO WILL
REVERE THE
B LACK W OMAN “
Die Frage von Schwarzsein wird auch in einem anderen Text verhandelt, der Mitte der 1960er Jahre erschien und aufschlussreich ist, weil er zudem das Verhältnis von Weiblichkeit und Style Politics thematisiert. Die schwarze Sängerin und Schauspielerin Abbey Lincoln veröffentlichte im September 1966 in der Zeitschrift Black World einen Artikel mit dem Titel Who will revere the Black Woman. Lincoln beginnt mit der Feststellung, dass der Begriff „Black“ bisher von African Americans abgelehnt worden sei: „Too many Negroes, if described or referred to as ‚blackދ, take it as an affront [...].“73 Dies deute auf den Umstand hin, dass aufgrund der langen Tradition einer weißen rassistischen Abwertung von Schwarzsein African Americans diese Sichtweise in Bezug auf sich selbst
70 Poussaint: ebd. 71 Vgl. Poussaint: ebd. 72 Vgl. Poussaint: A Black Psychiatrist Looks at Black Power, S. 151. 73 Abbey Lincoln: Who Will Revere the Black Woman?, in: Negro Digest, September 1966, S. 16-20, hier: S. 17.
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vielfach übernommen, sich also selbst abgewertet hätten. Deshalb gebe es insbesondere bei schwarzen Frauen ein Bedürfnis, sich weiß zu geben, um die negativen Konnotationen von Schwarzsein zu vermeiden, was sich bis ins Styling erstrecke: „Our women are encouraged by our own men to strive to look and act as much like the white female image as possible, and only those who approach that ‚goal ‚ދin physical appearance and social behavior are acceptable.“74 Im Negro Digest, einer weiteren afroamerikanischen Zeitschrift, wurden immer wieder konträre Positionen gegenübergestellt, um einen Diskussionsprozess zu initiieren. Auch auf den Artikel von Abbey Lincoln reagierten in der Ausgabe des Negro Digest vom Mai 1967 zwei Autoren unterschiedlich: Billy Archibald beantwortete die Frage danach, wer die schwarze Frau wertschätzen würde mit „I will“, während Thomas Curtis als Gegenposition „I will not“ entgegensetzte.75 Curtis begründet seine negative Antwort auf die von der Zeitschrift aufgeworfene Frage damit folgendermaßen: „Our blackness was to be a sign of inferiority, a sign of shame. It followed, then, that the closer one came to shedding one’s heritage of Negritude, the closer one came to being human. To be slavishly imitative of everything white was to be on the path to quasi-human status.“76
Da schwarze Frauen sich diesem „quasi-human“ Status so weit wie möglich annähern wollten, würden sie sich mit artifiziellen Mitteln wie Hautbleichcremes ihres Schwarzseins zu entledigen versuchen. Deshalb sollten diese Frauen laut Curtis jedoch nicht von schwarzen Männern respektiert werden, weil dies die schwarzen Frauen nur in ihrer Überzeugung bestärken würde, Weißsein sei nachahmenswert. Demgegenüber versichert Archibald, er würde schwarze Frauen bewundern. Interessanterweise begründet er deren Diskriminierung damit, dass diese sich aus der permanenten Abwertung des schwarzen Mannes ableite: Dieser würde von Weißen aufgrund seiner Hautfarbe ständig als minderwertig disqualifiziert. Es komme deshalb darauf an, dass sich schwarze Frauen und Männer nun immer wieder davon überzeugten, dass sie trotz Diskriminierung zu allem fähig seien. Bei diesem Prozess der Gewinnung größeren Selbstbewusstseins müsse der schwarze Mann auch schwarze Frauen unterstützen: „In all her splendor, draped
74 Lincoln: Who Will Revere the Black Woman?, S. 19. 75 Thomas Curtis: On Revering the Black Woman. I will not, Negro Digest, Mai 1967, S. 94-98; Billy Archibald: I will, in: Negro Digest, Mai 1967, S. 96-98. 76 Curtis: On Revering the Black Woman. I will not, S. 95.
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in the finest costume that man can produce or money can buy, touched with the hand of God like make-up to enhance her beauty or disguise her ugliness, I will revere her. I will revere her in dirty rags and natural comeliness.“77 Über die Verehrung und das Hofieren würden schwarze Männer also deren Selbstbewusstsein stärken und einen Beitrag zum „uplifiting the race“ leisten. Während Archibald damit Styling schwarzer Frauen etwa mit Make-up nicht als Versuch, weiß zu werden interpretiert, sondern als Strategie, „Hässlichkeit“ zu kaschieren, so argumentiert Curtis, dass schwarze Frauen mit dem Styling der Haut mittels Bleichcremes oder des Haares durch Glättmittel immer schon eine Imitation eines weißen Schönheitsstandards intendierten. Beiden Autoren ist jedoch gemeinsam, dass sie Stylingtechniken vor dem Hintergrund einer rassistischen Tradition der Abwertung von Schwarzsein in der Geschichte der USA verorten. Die von Abbey Lincoln angestoßene Debatte im Negro Digest zeigt, wie verschränkt Körpertechnologien um Styling mit der Verhandlung von Schwarzsein und Konstruktionen von Geschlechteridentität zusammenhängen und in den 1960er Jahren als eminent politische Fragen betrachtet wurden. Im Folgenden möchte ich dies im Detail für Hairstyling demonstrieren. Anhand der Veränderlichkeit von Haarfrisuren und deren unterschiedlichen Lesarten lässt sich zeigen, dass diese nicht nur ein natürlicher, biologisch bedingter Teil des Körpers sind, sondern immer in gewissem Maße auch sozialen Prozessen unterliegen. Gerade die Untersuchung von Hairstyling lässt deshalb auch Rückschlüsse auf Konstruktionen von Race, Class und Gender zu.
„I F WE
DON ’ T LOVE OUR HAIR , THEN WE DON ’ T LOVE OURSELVES “ In der Geschichte der African Americans spielte das Styling des Haares von Anbeginn eine wichtige Rolle. Verschiedene Arten, das Haar zu flechten, in Zöpfen zu arrangieren, zu kämmen oder zu schneiden wurden von schwarzen Sklav/innen in Anknüpfung an Traditionen ihrer afrikanischen Heimatländer fortzuführen versucht.78 Im Gegensatz zu ihren Herkunftsländern, in denen das Styling des Haares eine wichtige soziale Rolle zur Bestimmung von Faktoren wie Alter, Geschlecht, sozialem Status und Region spielte, waren die Möglichkeiten, das
77 Billy Archibald: I will, S. 97. 78 Vgl. hierzu ausführlich Shane White/Graham White: Slave Hair and African American Culture in the Eighteenth and Nineteenth Centuries, in: The Journal of Southern History 61, 1 (1995): S. 45-76.
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eigene Haar selbstbestimmt zu frisieren, im US-Kontext der Sklaverei für African Americans stark beschränkt.79 Afroamerikanisches Hairstyling wurde zum Austragungsort von Machtkämpfen um Repräsentation, in denen sich der Wille der Sklav/innen, über ihren Körper selbst verfügen zu können, mit Sklavenhalter/innen konfrontiert sahen, die ihre Verfügungsgewalt über African Americans als ihren Besitz auch über die Regulierung und das Verbot bestimmter Hairstyles demonstrierten.80 Kämpfe wie diese um Repräsentation und Style wurden auch noch im 20. Jahrhundert in den USA der Nachkriegszeit geführt, wobei der jeweilige geschichtliche Kontext diese Auseinandersetzungen um Hairstyling deutlich beeinflusste. Im Folgenden will ich dies anhand der Geschichte des Afro zeigen. Der Afro gilt schlechthin als das Emblem der Black Power-Bewegung; sein erstes Erscheinen wird deshalb häufig auf das Jahr 1966 datiert, in dem zum ersten Mal der Black Power-Slogan von dem afroamerikanischen Bürgerrechtler Stokely Carmichael öffentlich proklamiert wurde. Neuere Untersuchungen konnten allerdings aufzeigen, dass diese Frisur schon zuvor populär war. Robin Kelley hält zu Recht fest, dass die Geschichte des Afros mit der Datierung und Fixierung auf die Black Power-Bewegung keinesfalls erschöpft ist: „On the contrary, the very discourse that endowed the Afro with political meaning has also profoundly obscured crucial aspects of the styleތs history that might call into question its Black power roots. The framing of the Afro in popular culture has made it impossible for many contemporary writers to see beyond the raised-fisted militant attired in black turtlenecks or faux African garb. Most commentators repeat the time-worn narrative linking the Afro to the masculinist rhetoric and ichnography [sic] of Black Power.“
81
Der Afro war also tatsächlich schon lange vor der Black Power-Bewegung bekannt. Zudem war er – genauso wie Hairstyling überhaupt – nicht nur ein „rassischer“ Signifikant, sondern vergeschlechtlicht und über Class, sexueller Orientierung sowie regionale Unterschiede definiert. Denn der Afro wurde nicht in der Mitte der 1960er Jahre von männlichen Black-Power-Aktivisten entdeckt, sondern bereits Ende der 1950er Jahre von schwarzen Frauen, vor allem von Musikerinnen getragen. So sagte die Sängerin Abbey Lincoln schon Ende der 1950er
79 Vgl. White/White: Stylin’, S. 41. 80 Vgl. White/White: Stylin’, S. 38-42. 81 Robin Kelley: Nap Time. Historicizing the Afro, in: Fashion Theory 1, 4 (1997): S. 339-352, hier: S. 340.
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Jahre: „I discovered at the time that my hair was my crown, so I wore it naturally.“82 Und nicht erst zu Ende, sondern bereits zu Beginn der 1960er Jahre trugen schwarze Frauen wie Miriam Makeba, Odetta oder Nina Simone den mittleren bis kurzen Afro. Dieser Hairstyle wurde noch mit „downtown chic“ verbunden, stand also für ein urbanes Modebewusstsein, hatte aber dennoch bereits damals eine politische Bedeutung, weil beispielsweise Makeba, Lincoln oder Simone sich mit der Bürgerrechtsbewegung und afrikanischer Befreiungsbewegung solidarisch erklärten und dies auch über ihr Styling zum Ausdruck brachten.83 Hairstyling wird in vielen Untersuchungen als eindeutiger Signifikant betrachtet, der per se beispielsweise Angepasstheit (Conk) oder Widerständigkeit (Afro) symbolisieren kann. Die hegemoniale Lesart des Conk, also des künstlich geglätteten Haares schwarzer Männer, der in den 1950er bis in die Mitte der 1960er Jahre populär war, wurde durch die Autobiografie von Malcolm X noch befördert. Dieser schildert dort, wie er sich in einem schmerzhaften Prozess die Haare mit chemischen Mitteln glättete, um dem weißen Schönheitsstandard glatter Haare besser zu entsprechen. In der Retrospektive denunziert er sein eigenes Verhalten als Ausdruck einer schwarzen Selbstentfremdung, die er später abgelegt habe, als er zur Nation of Islam konvertierte und dort einen Stolz auf schwarze Geschichte und den eigenen Körper entwickelte. 84 Maxine Craig hat jedoch in einer Studie dieser verbreiteten Lesart des Conk bzw. des Process, d.h. des „prozessierten“, mit chemischen Haarpflegeprodukten geglättete Haares, eine alternative Interpretation entgegengestellt. Geglättetes Haar sei demnach bei afroamerikanischen Frauen nicht nur Rassifizierungen unterworfen, sondern vor allem Prozessen der Vergechlechtlichung: „To reduce fashion at all times to any one meaning is to close one's eyes to much of the language of fashion. Within black communities before 1965, hair signified as much about class and gender as it did about race.“85 In Bezug auf den Conk führt Craig dann weiter aus: „Before the emergence of the black consciousness movement, the conk had a variety of meanings. To poor black men and women it could represent sophistication and prosperity.
82 Ayana D. Byrd/Lori L. Tharps: Hair Story. Untangling the Roots of Black Hair in America, New York 2001, S. 53. 83 Vgl. Kelley: Nap Time, S. 343. 84 Vgl. Marable: Malcolm X, S. 45. 85 Maxine Craig: The Decline and Fall of the Conk, or, How to Read a Process, in: Fashion Theory 1, 4 (1997): S. 399-420, hier: S. 402.
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Wearing a conk, one could be like the entertainers, who were virtually the only African Americans who received national recognition. To others it bore the stigma (or appeal) of its association with dangerous men. Some African Americans never accepted it as a legitimate expression of masculinity and saw it as a feminizing style. And to some it represented a desire to imitate whites. Present but not predominant in the 1940s and 1950s, that view grew to eclipse all other readings of a conk.“
86
Der sogenannte Process, wurde vor Mitte der 1960er Jahre also u. a. als notwendiges Attribut von Weiblichkeit innerhalb der African American Community propagiert. Beeinflusst war dieser Trend sicherlich zum Teil durch die Wirkmächtigkeit des weißen hegemonialen Schönheitsstandards, lässt sich aber laut Craig nicht darauf reduzieren – denn schwarze Schönheitsstandards waren niemals vollkommen mit weißen Schönheitsstandards identisch.87 Es gab allerdings durchaus auch schon vor der Hochphase der Black Power-Bewegung Mitte der 1960er Jahre Kritik am Process.88 Dieser wurde innerhalb der afroamerikanischen Community zum Symbol einer distinguierten, respektablen Weiblichkeit und Männlichkeit erhoben und galt weit weniger als Signifikant von Weißsein. Das Tragen von Afros Anfang der 1960er Jahre hatte jedoch unterschiedliche Konsequenzen für schwarze Frauen und Männer, denn er wurde nun zunehmend als Symbol schwarzen Stolzes gelesen; unterminierte das krause Haar doch wirkmächtige Konstruktionen weiblicher Schönheit.89 Eine andere aufschlussreiche Quelle für ein Verständnis der umkämpften Bedeutung von Hairstyling innerhalb der Bürgerrechts- und Black Power-Bewegung ist ein Oral History-Interview mit dem Aktivisten Ewart Brown. Dieser erzählt in einem Gespräch die Bedeutung, die der Afro für ihn selbst als politische Botschaft hatte: „Now, I always think of the remark that Rapp [sic] Brown made that you could have a natural head and a processed mind, and hopefully I am not guilty of that. I try to get my mind straight before I let my hair grow, and I think that my hair now represents a symbol to make others ask questions and to make others remark about, well his hair is long and
86 Craig: How to Read a Process, S. 409. 87 Vgl. Maxine Craig: Race, Beauty, and the Tangled Knot of a Guilty Pleasure, in: Feminist Theory 7, 2 (2006): S. 159-177, hier: S. 169. 88 Craig: How to Read a Process, S. 401. 89 Craig: How to Read a Process, S. 404.
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why does he wear it like that. [...] It’s merely a provocative symbol. That is why I do it now.“
90
An diesen Selbstreflexionen wird deutlich, dass Ewart Brown den Afro als politisches Instrument benutzt und bewusst als visuelle Manifestation seiner radikalen Ansichten einsetzt. Er zitiert jedoch gleichzeitig die Mahnung des Student Nonviolent Coordination Committee- (SNCC) Aktivisten H. Rap Brown, dass ein Afro nicht automatisch ein radikales schwarzes Bewusstsein bedeute. Gleichzeitig grenzt sich Ewart Brown auch explizit von einem Zwang des Tragens bestimmter stilistischer Marker für Schwarzsein wie Afro oder Dashiki ab: „We find what I call the contest for blackness: you have three dashikis and I have one so you’re blacker than I am. You’re [sic] hair is one inch longer than mine so you’re blacker than I am. [...] It’s very difficult to find any aspect of a surging movement without some negative, and I think there is more to be gained out of these symbols then there is to be lost.“
91
Schwarzsein ist nach Brown nicht ausschließlich an ganz bestimmten Style Politics abzulesen, sondern soll Ausdruck einer politischen Haltung, eines radikalen Bewusstseins sein. Kritisch sei demgegenüber ein Wettbewerb einzuschätzen, der seine Radikalität einzig aus dem Style beziehe und den Grad des Schwarzseins daran festmache. Dies sei eine negative Begleiterscheinung der Bewegung, die Brown insgesamt aber trotzdem als positiv bewertet. Der Aktivist thematisiert im weiteren Verlauf des Interviews dann die geschlechtliche Dimension des Hairstylings und führt aus: „Now, the situation is different with men than it is with women. Now, black women have traditionally straightened their hair, and the question is, now, why do they straighten their hair. I don’t say that a black women [sic] has to. I can find many black women who think black, who are proud of themselves, who straighten their hair; however, I continue to question them as to why they straighten their hair, because with women I think it is a little more of an indication as to how they think. Black women straighten their hair as far as I’m concerned to look good, and looking good means looking more like the women who are
90 Ewart Brown: Oral History Interview, o. O. und o. J. in: Ralph J. Bunche Oral History Collection, Moorland-Spingarn Research Center, Howard University, Washington, D.C. 91 Brown: ebd.
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movie stars and women in commercials on television: the white women. [...] They did it because it looked good and looking good means looking white.“
92
Brown konstatiert hier einen Unterschied zwischen geglättetem Haar bei schwarzen Männern und Frauen. Letztere würden sich an einem weißen Schönheitsideal orientieren: Sie wollten gut aussehen, was letztlich mit dem Wunsch, weiß auszusehen gleichzusetzen sei. Diese Interpretation von Brown ist allerdings in mehrerlei Hinsicht problematisch. Zum einen gab es auch damals viele schwarze Frauen, die schönes Aussehen mit Schwarzsein assoziierten, obwohl der hegemoniale Schönheitsstandard sich in der Tat eigentlich am weißen Schönheitsideal orientierte.93 Zum anderen bleibt bei Brown unverständlich, wieso das Styling schwarzer Frauen einer anderen Logik gehorchen sollte als das von schwarzen Männern. Brown behauptet damit, dass, während bei Männern das Tragen des Afro nicht notwendigerweise auf einen positiven Bezug auf Schwarzsein hindeute, und umgekehrt auch jemand mit geglättetem Haar radikal sein könne, dies bei vielen schwarzen Frauen nicht der Fall sei. Es stellt sich die Frage, warum Brown den Männern in der oben zitierten Passage implizit abspricht, ihr Hairstyling nicht nur nach politischen Maßstäben zu wählen, sondern sich auch an ästhetischen Kriterien auszurichten. Denn auch für schwarze Männer ist es als plausibel anzunehmen, dass es vor der großen Popularität des Afro und seiner damit einhergehenden hegemonialen Lesart als Zeichen von Schwarzsein Männer gab, die den Process als Möglichkeit trugen, einfach „gut auszusehen“ oder „weiß“ zu wirken. Die Lesart des Afro als Symbol der Black Power-Bewegung war in den späten 1960er Jahren zwar hegemonial, doch selbst zu diesem Zeitpunkt war sie nicht die einzige Deutung, sondern vielmehr äußerst facettenreich und der Hairstyle hatte für jede Trägerin und jeden Träger schon immer eine große Palette von ganz unterschiedlichen Bedeutungen, die sich nicht auf den Wunsch nach Weißsein bzw. nach Schwarzsein reduzieren lassen. So entspann sich zu Beginn des Jahres 1970 in der Zeitschrift Ebony im Anschluss an einen Leserbrief von D. E. Wilson eine rege Debatte um die Frage des Stellenwertes des Afrohairstyles in der schwarzen Community. Wilson hatte dafür plädiert, dass Frauen entgegen dem Trend, den Natural zu tragen, also ihr natürliches, krauses Haar zu zeigen, ihr Haar wieder glätten sollten. Sie war nämlich der Auffassung, dass die Erreichung von Schwarzsein über den Afro ein Aufgeben der schwarzen Weiblichkeit bedeute: „I go along with being black,
92 Brown: ebd. 93 Vgl. Craig: Ain’t I A Beauty Queen?, S. 5-6 und S. 24.
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thinking black and living black, but I don’t go along with the new Afro hair style on our women.“94 Denn mit dem Afro-Trend bei Frauen würden sich schwarze Männer nun zu weißen Frauen hingezogen fühlen, weil diese mit ihrem weichen, glatten Haar femininer seien. Es sei deshalb an der Zeit, dass schwarze Frauen sich wieder das Haar glätten und sogar Perücken kaufen sollten, „to keep her looking sweet, delicate, desirable and feminine.“95 Am Schluss ihres Leserbriefes konstatiert Wilson: „Disagree all you want, but think. The men look great and masculine in their Afro hair styles – our women look great and masculine too.“96 Was also für Männer sowohl als Signifikant für Schwarzsein und zur Unterstützung ihrer Maskulinität diene, sei bei schwarzen Frauen abzulehnen, da sie so nicht feminin, sondern männlich wirken würden. In der übernächsten Ausgabe von Ebony war eine ungeheure Resonanz auf den Text von Wilson zu verzeichnen. Die Reaktionen gingen dabei weit auseinander und reichten von großer Zustimmung bis hin zu scharfer Ablehnung. Interessanterweise führt einer der Schreiber, William Johnson das „Brainwash-Argument“ an. Eine Gehirnwäsche finde statt, wenn behauptet würde, der Afro sei schön. Dieses „Brainwash-Argument“ war bis dahin immer umgekehrt verwendet worden, demzufolge das Haareglätten auf die Imitation des weißen Schönheitsstandard zurückzuführen sei. So konstatiert Johnson: „Let’s face it, we blacks are trying to brainwash ourselves that the now popular Afro hairdo is beautiful. It’s becoming to the men, but makes our sisters look like our brothers. [...] I for one find it very difficult to become romantic with a boyish type female.“97 Johnson wiederholt hier das Argument, wonach der Afro schwarze Männlichkeit unterstreiche und dies bei schwarzen Frauen zum „Problem“ würde, da diese dadurch maskulin wirkten und nicht mehr attraktiv für Männer seien. Johnson reproduziert dabei ein heteronormatives Argument, weil er davon ausgeht, dass es nur Liebesbeziehungen zwischen unterschiedlichen Geschlechtern geben könne. Darüber hinaus hinterfragt er nicht die implizit rassistische Annahme, wonach weibliche Schönheit nur mit glattem Haar unterstrichen würde und somit der Natural für schwarze Frauen unpassend sei. Die gerade referierten Positionen wurden jedoch von anderen Leserinnen und Lesern vehement in Frage gestellt. Elmar Stovall beispielsweise verortet die Ursachen für den geringen Erfolg einiger schwarzer Frauen (unter anderem der Leserbriefschreiberin von „Back to the Hot Comb“, E. D. Wilson) bei schwarzen
94 D.E. Wilson: ‚Back to the Hot Combދ, Leserbrief, in: Ebony, November 1969, S. 19. 95 Wilson: ebd. 96 Wilson: ebd. 97 William Johnson: Leserbrief, in: Ebony, Januar 1970, S. 20-21.
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Männern nicht darin, dass diese per se stärker von weißen Frauen angezogen würden, sondern mit einem mangelnden Selbstbewusstsein der schwarzen Frauen selbst: „If she cannot see herself as a beautiful woman naturally, then don’t put the reason on the brothers.“98 Während Stovall einräumt, dass viel mehr erforderlich sei, als einen Afro zu tragen, um bei schwarzen Männern Erfolg zu haben, sei es jedoch so „as for me and most of my friends, we prefer our brown sugar natural.“99 Judy Wright stimmt diesem Gedankengang in einem anderen Leserbrief zu. Der Afro sei nur der Anfang einer kulturellen Wiedergeburt, und die kulturellen Traditionen der African Americans seien für Jahrhunderte im Kampf ums Überleben verloren gegangen.100 Der Versuch, weiß auszusehen, der sich darin manifestiere, sein Haar zu glätten, sei von vornherein zum Scheitern verurteilt, da diejenigen schwarzen Männer, die ein Faible für weiße Frauen hätten, diese Präferenz nicht durch geglättetes Haar bei schwarzen Frauen aufgeben würden: „It is our duty as a race to try and help each other understand what pride is, because if we don’t love our hair then we don’t love ourselves and no matter how much we try to look white, those men who prefer white women don’t really love us either.“101 Die eigentliche Aufgabe bestehe also darin, race consciousness innerhalb der Black Community zu entwickeln. Nur wenn Stolz auf das eigene Schwarzsein ein allgemein akzeptierter Wert bei afroamerikanischen Männern geworden sei, würden diese sich zu schwarzen Frauen hingezogen fühlen. Sonst sei das Haareglätten allein nicht ausreichend, weil die Kopie von weißem Haar und damit Weißsein niemals an das von weißen Frauen heranreichen würde.102 Wie ich zu Anfang dieses Kapitels bereits gezeigt habe, galt Nappy Hair, also krauses Haar, in Teilen der afroamerikanischen Bevölkerung der Südstaaten in den 1950er und 1960er Jahren nicht als Zeichen von Radikalität, sondern von Ungepflegtheit. Neben dieser regional in den 1950er Jahren zeitweise hegemonialen Lesart war die Bedeutung nicht nur des Afro, sondern auch von „Black Styling“ insgesamt für die Zuschreibung des Grades von Schwarzsein nicht die einzige Dimension der Signifikation. Vielmehr diente Black Styling auch als Aushandlungsort für unterschiedliche Konzeptionen von Gender oder sexueller Orientierung. In den 1960er Jahren, d. h. zu Hochzeiten des Afro war dieser zudem nicht für alle ausschließlich Ausdruck einer politischen Manifestation, son-
98
Elmar Stovall: Leserbrief, in: Ebony, Januar 1970, S. 20.
99
Stovall: ebd.
100 Vgl. Judy Wright: Leserbrief, in: Ebony, Januar 1970, S. 20. 101 Wright: ebd. 102 Vgl. Wright: ebd.
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dern galt vielen auch einfach als eine angesagte modische Frisur, also als ein „Hairstyle, plain and simple.“ Besteht nun also ein antagonistisches Verhältnis zwischen Praktiken des politischen Widerstandes und modischem Style? Wird nicht die politische Botschaft entleert und verflacht, wenn nur noch die Visualität eines Styles für eine politische Intervention einzustehen scheint, statt sich mit Demonstrationen, Texten und ähnlichem für die Ziele einer Bewegung zu engagieren? Angela Davis setzt sich in einem Aufsatz mit diesen Fragen, d.h. mit dem Verhältnis von Politik, Style und dessen Reifizierung auseinander. Sie bewertet dabei die Reduktion ihrer eigenen Person als „stylishe“ Afro-tragende Polit-Ikone sehr kritisch, weil sie sich ihrer politischen Identität beraubt sieht und ihr emanzipatorisches Anliegen und Engagement nicht mehr wahrgenommen würde. Davis schildert in ihrem Artikel eine Begegnung mit dem Bruder einer Bekannten, der zunächst mit ihrem Namen nichts anfangen kann, dann aber erkennend ausruft: „‚Oh ދhe said, ‚Angela Davis – the Afro. ދSuch responses, I find, are hardly exceptional, and it is both humiliating and humbling to discover that a single generation after the events that constructed me as a public personality, I am remembered as a hairdo. It is humiliating because it reduces a politics of liberation to a politics of fashion; it is humbling because such encounters with the younger generation demonstrate the fragility and mutabili103
ty of historical images, particularly those associated with African American history.“
Die Ambivalenz von Fotos und Bildern bei der Konstruktion eines bestimmten Geschichtsbildes betont Davis an einer späteren Stelle ihres Aufsatzes nochmal: „The circulation of various photographic images of me – taken by journalists, undercover policemen, and movement activists – played a major role in both the mobilization of public opinion against me and the development of the campaign that was ultimately respon104
sible for my acquittal.“
Während Fotos von Davis einerseits als Propagandamittel gegen sie selbst eingesetzt wurden, um mit diesem visuellen Medium ihre Bedrohlichkeit und Radika-
103 Angela Davis: Afro Images. Politics, Fashion, Nostalgia, in: Monique Guillory/ Richard C. Green (Hg.): Soul. Black Power, Politics, and Pleasure, New York/London 1998, S. 23-31, hier: S. 23. 104 Davis: Afro Images, S. 26. H.i.O.
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lität zu demonstrieren, dienten diese Bilder andererseits dazu, Sympathisant/innen zu gewinnen, die Davis unterstützten. Davis Beobachtungen bieten Anlass für eine Reflexion des Verhältnisses von Style und dem Politischen: Die Reduktion des Afro auf ein unpolitisches StyleAccessoire ist Indikator für eine Rekontextualisierung dieses Hairstyles, die bereits Anfang der 1970er Jahre begann. Style lässt sich somit niemals „einfrieren“, er ist immer in einem historischen, sozio-politischen Umfeld verortet, und ist selbst in diesem Kontext offen für verschiedene Lesarten. Die Autorinnen eines Aufsatzes über Black Style sprechen deshalb auch von „mixed cultural messages“, die unterschiedlich dechiffriert oder nur partiell rezipiert werden.105 Ist die Sicht von Angela Davis auf den Afro deshalb falsch? Nicht unbedingt, sie ist eher Ausdruck einer generellen Unabschließbarkeit und Offenheit der Interpretation. Dies ist Indiz dafür, dass das imagologische Gedächtnis in diesem Fall eine scheinbar größere Reichweite erlangte als das Wissen um die politischen Ziele der Black Power-Bewegung. In einer Phase des Niedergangs der radikalen Black Power-Bewegung aufgrund verschiedener Faktoren wie der starken staatlichen Repression, beispielsweise durch das Aufstandsbekämpfungsprogramm Counter Intelligence Programm (COINTELPRO), änderte sich auch die Bedeutung des Afro: Er wurde resignifiziert als stylish, hegemonial und in den Mainstream eingebettet. Wie sah es jedoch um die Kommodifizierung von Hairstyling aus? Die Haarpflegeindustrie sah sich durch das Aufkommen des Afro-Hairstyles anfangs um eine höchst lukrative Einnahmequelle gebracht. Die Kosmetikindustrie war innerhalb der afroamerikanischen Community bereits zu Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts zu einem bedeutenden ökonomischen Segment geworden. Madam C. J. Walker wurde beispielsweise mit ihren Haarglättprodukten die erste afroamerikanische Millionärin.106 Die Beauty Parlors für Frauen bzw. die Barber Shops für Männer erfüllten auch eine wichtige soziale Funktion, da hier nicht nur das Haar gestylt wurde, sondern auch politische und kulturelle Ereignisse diskutiert und soziale Kontakte geknüpft wurden.107 Firmen reagierten schnell, als der
105 „The vigilant marketing of the Afro as a sign of black beauty and identity during the period has understandably left a legacy of mixed cultural messages.“ Carol Tulloch: Introduction, in: dies. (Hg.): Black Style, London 2004, S. 11-21, hier: S. 14. 106 Vgl. zu Madam C. J. Walker die Biographie von Lelia Bundles: On Her Own Ground. The Life and Times of Madam C. J. Walker, New York 2001. 107 Vgl. hierzu Silke Hakenesch: ‚In the Doing of Hair, One Does Raceދ. Afroamerikanische Hairstyles als Technologien des Selbst, in: Jens Eberfeld/Marcus Otto (Hg.): Das schöne Selbst. Zur Genealogie des modernen Subjekts zwischen Ethik und Äs-
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Afro populär zu werden begann, indem sie Pflegeprodukte anboten, die diese Frisur zu stylen helfen sollten und damit den Trend aufgriffen und kommerzialisierten. Die Ausrichtung vieler Werbekampagnen änderte sich, indem nun nicht mehr an weiße Schönheitsstandards wie glattes Haar oder helle Haut appelliert wurde, sondern die Black Power-Bewegung und ihre „Black is beautiful“-Rhetorik aufgriffen wurde. Die für afroamerikanische Kosmetika bekannte Firma Raveen schaltete beispielsweise schon 1968 eine Anzeige, die postulierte: „Beautiful, proud, unmistakably you. Because youތre a Natural woman. Free, at last, from rollers, hot combs, sticky dressings.“108 Bestimmte aus der Bürgerrechtsund Black Power-Bewegung bekannte Begriffe wie beautiful, proud oder die Formel „free at last“, die in der berühmten Rede Martin Luther King, Jrs. „I Have a Dream“ bei dem sogenannten Marsch auf Washington am 28. August 1963 geäußert und daraufhin populär geworden waren, ruft die Werbung hier gezielt auf, um eine Verknüpfung zwischen dem Pflegeprodukt und radikalem und „authentischem“ Schwarzsein herzustellen. Susannah Walker stellt jedoch fest, dass die formelhafte Beschwörung dieses politischen Kontextes ohne eine wirkliche Identifikation mit den Zielen oder der Benennung der drängenden Probleme innerhalb der African American Community auskam, und stattdessen nur Anzeichen der Kommodifizierung des Afro gewesen sei: „Although the images and rhetoric in these ads implictly invoked Black Power's aesthetics, they virtually never referred to the economic or political ideals of black nationalism. The advertisements seemed to offer merely an alternative version of consumer citizenship; cultural pluralism replaced assimilation.“
109
Meiner Meinung nach muss allerdings zwischen der zweifellos zu beobachtenden Kommodifizierung des Afro durch die Schönheitsindustrie einerseits und der Identifizierung mit den Zielen der Black Power-Bewegung, die sich im Signifikanten des Natural bei Afroträger/innen beobachten lassen, unterschieden werden. Während die meisten Studien über afroamerikanisches Hairstyling eine starke Periodisierung des Afros vornehmen, in der dieser Anfang der 1970er Jahre
thetik, Bielefeld 2009, S. 285-311, hier: S. 295-296. Vgl. auch Tiffany Gil: Beauty Shop Politics. African American Women’s Activism in the Beauty Industry, Chicago 2010. 108 Ebony, November 1968, S. 22. 109 Susannah Walker: Style and Status. Selling Beauty to African American Women, 1920-1970, Lexington 2007, S. 174.
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entpolitisiert oder seines radikalen Gehaltes entleert wurde,110 lässt sich auch argumentieren, dass weder zu Anfang des Afrotrends alle Träger/innen sich mit den Zielen identifizierten, für die er in der hegemonialen Lesart stand, noch dass in den 1970er Jahren alle Träger/innen nur noch aus rein modischen Gründen diese Frisur trugen. Ich folge Elizabeth Wilson in ihrer Annahme, dass diese dichotome Gegenüberstellung zwischen politisiertem Afro in den 1960er und kommodifiziertem hegemonial-konventionellem Afro in den 1970er Jahren nicht aufrechterhalten werden kann, und dass die Diskurse um den Afro zu jedem Zeitpunkt weitaus umkämpfter waren und differenzierter analysiert werden müssen: „The Afro remained a politicized issue among blacks because of the increased social pressure to look authentically black as well as the amount of debate the hairstyle stirred in the white mainstream press. Commercial or not, the Afro was the site of contentious personal battles among groups and individuals and was deeply invested with political meaning.“
111
Schwarzes Haar, so lässt sich resümieren, war demnach immer mit politischer Bedeutung versehen, unabhängig davon, ob es sich um die Afrofrisur oder geglättetes Haar handelte. Diskurse um Schwarzsein, Geschlechteridentität sowie politische und sexuelle Orientierung materialisierten sich in den Debatten über Hairstyling und lassen so Rückschlüsse über historische Konjunkturen, gesellschaftspolitische Auseinandersetzungen und hegemoniale Formationen zu. Die Debatten um den Afro zeigen dabei exemplarisch, dass es nicht eine „richtige“ Interpretation des Afro gibt, sondern Style immer zahlreiche mögliche Lesarten bereithält.
B ECOMING B LACK : D IE R EZEPTION DES AFRO BEI W EISSEN Mitte der 1970er Jahre wurde der Afro zunehmend auch von weißen US-Amerikaner/innen getragen. Barbara Streisand war die erste Weiße, die öffentlich einen Afro trug bzw. in seiner jüdischen Variante den sogenannten „Jewfro“: zuerst auf dem Cover ihres Albums What about today, für ein breites Publikum sichtbar, spätestens aber durch den Film A Star is born.112 Das Aufkommen des Jewfro wurde auch in den großen bürgerlichen Zeitungen wie der New York
110 Vgl. für diese Interpretation u. a. Kelley: Nap Time, S. 347. 111 Wilson: Burning Bras, Long Hair, and Dashikis, S. 273. 112 Vgl. Wilson: Burning Bras, Long Hair, and Dashikis, S. 279.
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Times oder der Los Angeles Times Anfang der 1970er Jahre registriert.113 Insbesondere jüdische Frauen, die sich aktiv in der Bürgerrechtsbewegung engagierten adaptierten den Hairstyle und kämmten ihr Haar zum Jewfro.114 Afroamerikanische Magazine wie Ebony berichteten ebenfalls Anfang der 1970er Jahre über das Phänomen, dass Weiße Afro-Perücken trugen. Das Magazin zitierte in einem Artikel mehrere Stimmen von African Americans, die dieses neue Hairstyling bei Weißen kritisch kommentierten. In dem Text The Natural Look – Is it Here To Stay? wird geschildert, wie ein schwarzer Mann, der nicht aus New York kommt, einen Club in Greenwich Village besucht und dort das Publikum mustert. Er sieht afroamerikanische Frauen und Männer, die von eher militant aussehenden Dashikiträgern mit Sonnenbrille bis hin zu konservativ gedressten Männern mit Anzug und Frauen mit Afros eine große Palette von unterschiedlichen Styles aufweisen. Sein Blick schweift dann auf zwei weiße Frauen, die einen Afro tragen: „They were white, by all indications, except for their dark brown, carefully styled kinky coiffures. With a closer look, he realized that they were wearing wigs. But natural wigs on white girls? ‚My God!ދexclaimed the incredulous buff. ‚They’re stealing our thing!“ދ.115 Die Usurpation des vormals für Schwarzsein stehenden Signifikanten Afro wird in diesem Ausruf deutlich. Ebony kommentiert diese Reaktion des Clubbesuchers in den folgenden Sätzen als berechtigt: „His heated reaction was not unjustifiable, for like the music, dance and jargon of hipness born and bred in the black sub-society, kinky hair styles are now being snatched up by the fad-hungry fashion mainstream.“116 Der Artikel führt dann weitere Beispiele aus großen Modemagazinen an, die belegen, wie populär der Afro auch unter Weißen geworden sei, und er sich zu einem modischen Accessoire transformiert habe. Dies kommt in dem Satz zum Ausdruck, dass es schick geworden sei, schwarz zu sein: Während dies früher als Makel angesehen worden sei, und Afroamerikaner/innen alles dafür getan hätten, um mithilfe verschiedener Techniken weiß zu werden, sei die Situation nun verändert: „Suddenly it has become fashionable to be black. […] Now everybody wants to be a soul sister.“117 Ebony konstatiert, dass besonders unter weißen Frauen die Imitation des Afro populär werde, sich dieser nun aber dadurch in den Metropolen von einem Symbol des Protestes zu einem Modetrend entwickelt habe.
113 Vgl. Murray Chass: Harvard's Hairy Five Makes Some Foes Bristle, The New York Times, 28. Februar 1971, S. 4. 114 Vgl. White: Style Noir, S. 37. 115 N.N.: The Natural Look – Is it Here To Stay?, in: Ebony, Januar 1970, S. 104. H.i.O. 116 N.N.: The Natural Look, ebd. 117 Women’s Wear Daily, zit. nach: Ebony, ebd.
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Dass Weiße den Afro trugen, kann man allerdings auch als Indikator für den Wandel der politischen Verhältnisse interpretieren. Indem der Afro nun auch als weißes Hairstyling bei einigen Menschen Anklang fand, lässt sich ein Prozess der Hegemonialisierung feststellen: die Radikalität der Black Power-Symbolik wirkte nicht mehr abschreckend, sondern sogar auf Einige anziehend. Und selbst wenn angenommen werden muss, dass nicht alle Afro-Träger/innen sich mit den politischen Zielsetzungen der Black Power-Bewegung identifizierten, so markiert dieser Hairstyle bei Weißen zumindest einen Wandel im hegemonialen Feld. Nicht mehr nur der Schönheitsstandard von Weißen war stilbildend und diente der modischen Orientierung, sondern eine distinkt afroamerikanisch konnotierte, vormals politisch-emanzipative Frisur wie der Afro war Referenz für weißes Hairstyling. Der „weiße“ Afro ist somit auch Zeichen für die starke Kontextualität von Style, bei dem bestimmte Lesarten hegemonial werden, sich aber auch gemäß politischem Kontext, nach Race, Gender, Region, sexueller Orientierung und anderen Kriterien verändern können. In diesem Kapitel habe ich anhand einiger Beispiele aus der Bürgerrechtsbewegung wie den Sit-Ins und den Kampagnen für die Wahlregistrierung gezeigt, dass Style Politics ein zentrales Element des Aktivismus in den 1950er und 1960er Jahren waren. Sie stellten eine politische Inszenierung dar, in der Race, Gender und Class performiert wurden. Wie die angeführten Auseinandersetzungen um die Bewertung des Afro oder des Styling der aus dem Norden kommenden Aktivist/innen in den Südstaaten belegt, war auch Raum eine wichtige Strukturkategorie, die die Subjektposition beim Styling affizierte. Des Weiteren konnte ich mithilfe der Drag Balls und einiger ausgewählter zeitgenössischer Aufsätze zeigen, dass die Fragen von Respektabilität und sexueller Orientierung mit Style Politics verbunden und innerhalb der Bürgerrechtsbewegung kontrovers diskutiert wurden. Schließlich demonstrierten auch die Debatten um Hairstyling, wie prominent die persönliche und politische Performativität oftmals im Bürgerrechtsaktivismus betrieben und in der zeitgenössischen Wahrnehmung rezipiert wurde. Im nächsten Kapitel werde ich die Black Panther Party im Hinblick auf Style Politics untersuchen, um Unterschiede und Gemeinsamkeiten zur Bürgerrechtsbewegung rausarbeiten zu können.
Styling the Revolution. Die Black Panther Party
Der besondere Style der Black Panther-Party mit ganz in schwarz gehaltener Lederjacke, Baskenmütze, Sonnenbrille und Gewehr unterschied sich von dem anderer Black Power- Organisationen deutlich, und war, wie ich schon anhand von Eldridge Cleavers erster Reaktion auf die BPP in der Einleitung skizziert habe, ein wesentlicher Aspekt für ihre Popularität in der afroamerikanischen Community Ende der 1960er Jahre. In diesem Kapitel möchte ich anhand verschiedener Episoden in der Geschichte der Panther, von Auseinandersetzungen innerhalb der Partei und mithilfe der Analyse von Rezeptionsweisen der BPP durch andere radikale Gruppierungen zeigen, dass Style Politics integrales Moment ihrer politischen Praxis waren. Ich analysiere zunächst das Auftauchen des besonderen Panther-Stylings, bevor ich einige Stationen in der Geschichte der BPP nachzeichne, die als Kontext für das Verständnis ihrer performativen Praktiken notwendig sind. Dabei nehmen die Auseinandersetzungen mit dem Cultural Nationalism einen großen Raum ein, weil sich hieran zeigen lässt, dass sich die Panther zwar gegen Kulturnationalisten wie Us stark abgrenzten und diese als „apolitisch“ und „reformistisch“ denunzierten, weil diese nur mit Styling beschäftigt seien. Gleichzeitig zeigen diese Konflikte jedoch auch, dass die postulierte Homogenität der Panther in Bezug auf Styling bei genauerer Betrachtung nicht gegeben war. Zur Illustration dieser These ziehe ich darüber hinaus die Spannungen zwischen Ostküsten- und Westküsten-Panthern heran, die sich nicht zuletzt an Style Politics entzündeten. Schließlich wird auch die Verhandlung von Geschlechterverhältnissen, von Schwarzsein sowie Militanz von mir anhand von Style Politics dargestellt. Dabei zeige ich, dass es in Bezug auf die Konstruktionen von Race, Class und Gender in der BPP zu großen Veränderungen kam, die sich in unterschied-
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lichen Phasen der Parteigeschichte1 von 1966 bis 1982, bedingt durch interne und externe Faktoren, feststellen lassen und sich auch im Styling niederschlagen.
D IE G RÜNDUNG
DER
BPP
Die Black Panther wurden im Oktober 1966 in Oakland von Huey P. Newton und Bobby Seale gegründet. Beide gehörten der Afro-American Association an, die 1961 von Student/innen der University of California at Berkeley und der San Francisco State University ins Leben gerufen worden war.2 Den Namen Black Panther übernahmen sie von der Lowndes County Black Panther Party, einer Organisation des SNCC.3 Die Wahl des schwarzen Panthers als Symbol der Gruppe erklärte Huey Newton mit der Natur des Panthers, der ein friedliebendes Tier sei und nicht von sich aus angreifen würde. In die Ecke gedrängt verteidige sich dieser jedoch mit allen Mitteln selbst und vernichte den Aggressor. 4 Aus diesem Grunde nannte sich die Organisation bis 1968 Black Panther Party for Self Defense, um den zentralen Stellenwert zu betonen, den Selbstverteidigung in ihrem Selbstverständnis einnahm. Ein wesentlicher Aspekt der BPP in ihrer Anfangsphase war die Kontrolle und Begleitung von Polizeistreifen. Die Polizei von Oakland und Los Angeles war unter der schwarzen Bevölkerung berüchtigt für ihre Brutalität gegenüber African Americans.5 Misshandlungen und sogar Todesfälle führten jedoch nicht
1
Vgl. David Garrow, der richtig bemerkt: „The BPP of September 1968 was dramatically different from the BPP of September 1967, and the Panthers’ situation in December 1969 was radically different from what it had been a year earlier or what it would be a year later. Far too much of what has been written about the BPP fails to specify expressly which period of Panther history is being adressed or characterized, and interpretive clarity, and accuracy, will benefit greatly from a far more explicit appreciation and identification of the major turning points in the BPP’s eventually tragic evolution.“ Garrow: Picking Up the Books, S. 651.
2
Vgl. Donna Murch: The Campus and the Street. Race, Migration, and the Origins of the Black Panther Party in Oakland, CA, in: Souls 9, 4 (2007): S. 333-345, hier: S. 338.
3
Vgl. Carson: Zeiten des Kampfes.
4
Vgl. Huey P. Newton: Revolutionary Suicide, New York 1973, S. 119.
5
Vgl. Gerald Horne: The Fire This Time. The Watts Uprising and the 1960s, Charlottesville 1995, S. 16. Neben der ökonomisch prekären Situation vieler African Ame-
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dazu, dass die staatlichen Kräfte angeklagt wurden. Schon 1961 machte Roy Wilkins, der Executive Director der NAACP Schlagzeilen, als er die Polizei von Los Angeles als „‚next to those in Birmingham, Alabama in the treatment of Black Citizens “ދbezeichnete.6 Deswegen nutzte die BPP die Gesetzeslage in Kalifornien, die das offene Tragen von Gewehren erlaubte. Durch die bewaffnete Begleitung von Polizeifahrzeugen erhofften sich Newton und Seale eine einschüchternde Wirkung und Schutz für die schwarze Bevölkerung durch die Anwesenheit von Zeug/innen. Wenn die Polizei sich beobachtet wisse, so die Überlegung, würde sie nicht mehr ohne weiteres African Americans misshandeln. Die Panther eigneten sich somit zeitweise ein Machtmonopol des Staates an und das Kontrollverhältnis wurde umgekehrt. Nikhil Pal Singh bemerkt treffend: „Patrolling the Police armed with guns and law books, the Panthers undermined the very notion of policing by performing it, and in effect deforming it, themselves. [...] By refusing to recognize the status of policing as it operated within black communities, the Panthers effectively nullified police power and substituted themselves as its alternative.“7
Die Polizeikontrollen hatten jedoch hauptsächlich symbolischen Wert. Sie waren Teil einer politischen Performanzstrategie, die über Visualität und Visibilität propagandistische Erfolge zu erzielen versuchte. In einer aufschlussreichen Replik auf einen Text von William Patterson gesteht Newton die begrenzte Wirkung der Polizeikontrollen ein. Er schreibt: „The Black Panther Party picked up the gun and concentrated on point seven of the program [das politische Manifest der Organisation, P.D.] because in this way we could most clearly communicate to the Black community the necessity of picking up the gun to gain liberation and freedom, not because we could end police terror merely by ‚sharply challenging ދthe police. This of course is not to say that by challenging the police the Party did not begin to show that if a few people with guns challenged the police they could have
ricans war dies ein entscheidender Faktor, der zum Ausbruch der Ausschreitungen 1965 in Watts führte. Vgl. dazu ebd. 6
Zit. nach Yohuru Williams: In the Name of the Law: The 1967 Shooting of Huey Newton and Law Enforcement’s Permissive Environment, in: Negro History Bulletin 61, 2 (1998): S. 6-18, hier: S. 9.
7
Nikhil Pal Singh: Black is a Country. Race and the Unfinished Struggle for Democracy, Cambridge/London 2005, S. 204-205.
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some effect, but it was done in the context of educating the masses of the potential power of an armed Black community.“8
Newton sagt hier also aus, dass die Herausforderung und Brechung des Gewaltmonopols der Polizei durch die BPP partiell gelingen könne, wichtiger jedoch die Tatsache der Erziehung der Massen sei. Die Performanz von Widerständigkeit, deren integraler Bestandteil die Style Politics der Panther waren, vermittelte somit der Black Community, laut Newton, ein neues Selbstbewusstsein, und zwar unabhängig davon, ob eine wirkliche Brechung des staatlichen Gewaltmonopols durch die Begleitung der Polizeikontrollen von den Panthern selbst als nicht realistisch eingeschätzt wurde.
C REATING
A
S TYLE
Das markante Styling der BPP entstand eher zufällig. Bobby Seale schildert in einem kurzen Text, wie es dazu kam: „Then our uniform came about because one day Huey [P. Newton, P.D.] happened to be dressed in a sports-style leather jacket, black slacks, and a blue shirt. I stepped back, looked at him in the nice California sunshine, and said, ‚Hey, Huey, wait a minute. That should be our uniform, just the way you ތre dressed right now, with the black shoes nice and shiny. ދThe next evening we were watching an old movie about the French underground resistance to Hitler’s occupation. The characters in the film were wearing berets. I 9
said, ‚Huey, let’s wear berets, man.“ދ
Beeinflusst war dieser Stil demnach höchstwahrscheinlich von dem Outfit der französischen Résistance, darüber hinaus aber auch von dem Film The Wild One mit Marlon Brando, in dem dieser in Machopose und mit Lederjacke zu sehen
8
Huey Newton: Reply to William Pattersons Article „The Black Panther Party/A Force Against U.S. Imperialism“, September 19, 1970, Huey P. Newton Collection, Cecil Green Library, Stanford University, Palo Alto, USA, Series 1, Box 48, Folder 5, S. 3. Im Folgenden zitiert als HPNC.
9
Bobby Seale: Foreword, in: The Black Panthers. Photographs by Stephen Shames, New York 2006, S. 11-13, hier: S. 11.
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ist.10 Der Style der BPP adaptierte und zitierte also bestimmte Kleidungselemente historischer Widerstandsbewegungen, rezipierte Style jedoch auch aus der Populärkultur wie z. B. aus zeitgenössischen Filmen. Von Newton und Seale nicht explizit benannt werden die Beatniks, kurz Beats. Deren Kleidungsstil weist jedoch große Ähnlichkeiten zum Panther-Outfit auf, weshalb ein Einfluss auf die BPP angenommen werden kann.11 Die sich als Beats bezeichnenden Jugendlichen lasen die Schriften von Beat-Autoren wie Jack Kerouac und Allen Ginsberg. Mit dieser literarischen Vorliebe ging ein spezifischer Dresscode einher.12 Die Beats hatten ihre Hochphase in den 1950er Jahren, kleideten sich komplett in Schwarz und mit Rollkragenpullovern. Zudem lebten Schriftsteller wie Ginsberg zeitweilig in San Francisco, und die Beats hatten allgemein in Kalifornien eine Hochburg, so dass sie sicherlich im Straßenbild visuell präsent waren. Die Beats begriffen sich als Subkultur, die sich von der als politisch konservativ und durch soziale Restriktionen als einengend wahrgenommenen US-amerikanischen weißen Mehrheitsgesellschaft abgrenzen wollte. Die überwiegend weißen Beats identifizierten sich stark mit afroamerikanischer Kultur wie Jazz. Sie frequentierten Jazzclubs und hatten Umgang mit African Americans – ein für die rassistisch segregierten USA der damaligen Zeit, die in der sozialen Interaktion sehr stark nach Hautfarben getrennt war, bemerkenswerter Umstand. Ein im Umkreis der Beatschriftsteller stehender Autor wie Norman Mailer publizierte mit The White Negro einen Text, der symptomatisch war für eine (in vieler Hinsicht problematische) Identifikation weißer US-Amerikaner (vor allem Männer) mit einer verklärten und von rassistischen Stereotypen geprägten Konzeption von Schwarzsein.13 Das Styling der Beats in schwarz war ein Ausdruck dieser Identifikation mit Schwarzsein, die in den 1950er Jahre eine gesellschaftliche Marginalisierung von der weißen US-Mehrheitsgesellschaft bedeutete. Erfolg und Akzeptanz wurden im Fernsehen, in der Presse und in der Werbung als weiß konnotiert.14 Für African Americans bedeuetete dies den Zwang zur Assimilation, wollten sie die-
10 Erika Doss: Imaging the Panthers: Representing Black Power and Masculinity, 1960s1990s, in: Prospects. An Annual of American Cultural Studies 23 (1998): S. 483-516, hier: S. 490. 11 Vgl. Leigh Mills: Black Power, S. 18. 12 Vgl. Linda Welters: The Beat Generation: Subcultural Style, in: dies./Patricia Cunningham (Hg.): Twentieth-Century American Fashion, Oxford 2005, S. 145-168. 13 Vgl. zu Mailer ausführlich Dorestal: „We shall have our Manhood“, S. 65-86. 14 Wini Breines: The Other Fifties. Beats and Bad Girls, in: Joanne Meyerowitz (Hg.): Not June Cleaver. Women and Gender in Postwar America, 1945-1960, Philadelphia 1994, S. 382-408, hier: S. 399.
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se Werte erreichen. Menschen, die sich dagegen stellten und ihr Außenseitertum betonten, war indes der Beat-Style nahe liegend. Die schwarze Kleidung sollte die selbstgewählte soziale Exklusion der Beats signalisieren und in gewissem Sinne ein temporäres Ablegen ihres Weißseins bewirken. „Blackness, darkness – symbolized for many girls by Beatnik or hood clothes, in fantasies of romance with nonconformist or outsider boys, in the love of rock 'n' roll and interest in black culture – exerted the pull it did because the denial of difference was so central to conceptions of whiteness. From this perspective, whiteness was a color defined by 15
blackness or, rather, its denial.“
Abbildung 2: Black Panther vor dem Legislative Building, Olympia, WA
Quelle: State Governors’ Negative Collection, 1949-1975, Washington State Archives.
Insofern kann mit ziemlicher Sicherheit davon ausgegangen werden, dass die Panther-Gründer Newton und Seale, die selbst in Oakland nahe San Francisco wohnten, den Beatstyle bereits wahrgenommen hatten, als sie sich für ihr Panther-Outfit entschieden. Auffällig ist bei den oben genannten verschiedenen Rezeptionslinien, die für den Panther-Style wirkmächtig wurden, dass ein expliziter Bezug auf die Geschichte und Kultur der African Americans fehlt. Die Darsteller der Filme waren weiß, ebenso wie die Beat-Autoren und die meisten ihrer Anhänger. Insofern kreierten Newton und Seale paradoxerweise einen Style, der später am Ende der
15 Breines: The Other Fifties, S. 402.
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1960er Jahre als Inkarnation von Schwarzsein per se interpretiert wurde, jedoch mit Elementen operierte, die in einer „weißen“ Kleidungstradition standen. Das Auftreten mit schwarzen Lederjacken, Sonnenbrillen, Baskenmützen und Gewehren (wie in Abb. 2) war ein wichtiger Teil der Inszenierung von Militanz und Radikalität, die die BPP vermitteln wollte. Dieser Style trug zu einem großen Wiedererkennungswert und der besonderen Wahrnehmung durch die Medien bei. Bobby Seale verwies wiederholt auf diesen Umstand: „The uniform was an important part of our image. Huey and I understood that good visuals – the graphics in our posters and newspapers and the use of photographs like Stephen Shames’s – were part of how we could successfully communicate and capture the imagination of the people.“16
Style wurde somit von Anbeginn der BPP-Geschichte als strategisches Mittel eingesetzt, um das öffentliche Bild der Panther zu performieren und damit vorherrschende negative rassistische Vorstellungen von African Americans durch positive Bilder zu ersetzen. Dass das gesamte Styling der Panther schwarz war, bedeutete eine offensive Resignifikation dieser Farbe. Sie wurde symbolisch neu besetzt und statt der lange Zeit hegemonialen Konnotation von schwarz als negativ nun als positiv dargestellt: „The BPP used the color black in fashion as a literal symbol to emphatically illustrate the point that ‚Black is Beautiful. ]…[ ދThe quintessential piece of the Panther wardrobe, the leather jacket, was reminiscent of the color and smoothness of black skin, and was meant to be seen as such.“17
Die Tradition der Minstrelsy-Filme, in denen Schwarze als einfältige, devote und grinsende Menschen dargestellt wurden,18 durchbrachen die Panther mit ihren schwarzen Lederjacken und Sonnenbrillen sowie dem Gewehr. Sie inszenierten so eine bedrohliche und militante Identität, die auf viele African Americans sehr anziehend wirkte. Sie wendeten sich damit zudem gegen Vorstellungen von Schwarzsein, die in weiten Teilen der weißen Bevölkerung in den 1960er Jahren hegemonial waren.19 Das disziplinierte Auftreten der BPP rief – ähnlich wie das
16 Seale: Foreword, S. 11. 17 Mills: Black Power, S. 3. 18 Vgl. zu Ministrelsy die Arbeit von Lott: Love and Theft. 19 Vgl. Ogbar: Black Power, S. 137-138: „The coon and happy Negro were the most enduring images that whites had of blacks. A 1963 Newsweek poll revealed that the
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der Nation of Islam – Bewunderung unter vielen African Americans hervor, trug zu Sympathiebekundungen bei und war mit ausschlaggebend dafür, dass die Mitgliederzahlen der BPP bis Ende 1968 rasant anstiegen.20
S ACRAMENTO Ein zentrales Ereignis, welches die BPP in den USA und international in die Schlagzeilen brachte und bekannt machte, war die Demonstration gegen das sogenannte Mulford-Gesetz, welches Senator Don Mulford in Sacramento in den Senat eingebracht hatte, um der BPP das Tragen von Gewehren zu untersagen.21 Als 24 Black Panther bewaffnet in das Senatsgebäude stürmten und dadurch die Sitzung unterbrachen, war ihnen die Aufmerksamkeit der US-Medien sicher. Eldridge Cleaver schreibt über die Aktion in Sacramento deshalb auch folgerichtig: „The Sacramento confrontation is what did it. Television flashed the images of twentyfour Black Panthers in a delegation, armed with shotguns, rifles, and pistols, inside and outside the State House. An electric current snaked through black America. Thousands of people flocked to our banner, as a new expression and vision of their cause. They began to make the world over in the image of the Black Panther Party.“22
Zu der Dramaturgie des Ereignisses trug darüber hinaus noch bei, dass sich der damalige Gouverneur Kaliforniens, Ronald Reagan, an diesem Tag vor dem Gebäude aufhielt und Fragen von Schulkindern in Begleitung der Medien beantwortete. Das Erscheinen einer Gruppe von bewaffneten African Americans, die in Lederjacken und Sonnenbrillen in ein staatliches Gebäude eindrangen, war so
most popular stereotype that whites held about black people was that ‚Negroes laugh a lot. ދAt 85 percent, the stereotype was the most common among all categories and the most popular among whites from every region.“ 20 Die BPP hatte bereits Ende 1968, also gut 2 Jahre nach ihrer Gründung, mehr als 5000 Mitglieder. Vgl. Manning Marable: Race, Reform and Rebellion. The Second Black Reconstruction in Black America, 1945-1990, Jackson/London 1991, S. 110. 21 Vgl. hierzu Donna Murch die schreibt: „Sacramento created a ‚colossal ދmedia spectacle that transformed the small local organization into a national phenomenon.“ Donna Murch: Living for the City. Migration, Education, and the Rise of the Black Panther Party in Oakland, California, Chapel Hill 2010, S. 147. 22 Eldridge Cleaver: Soul on Fire, Waco 1978, S. 118.
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einschüchternd für Reagan, dass er sich zurückzog. Die Pressevertreter hingegen stürzten sich auf die Panther und nahmen gespannt das berühmte Executive Mandate Nr. 1 auf.23 Da nicht alle sofort den von Bobby Seale verlesenen Text mitgeschnitten hatten, wiederholte er seine Botschaft ein zweites Mal. Tags darauf erschienen in überregionalen Zeitungen wie der New York Times und im U.S. News and World Report kurze Berichte über die Aktion der Panther. Das von einem Fotografen der Associate Press (AP) aufgenommene und in der New York Times abgedruckte Bild, welches einige grimmig dreinblickende Panther mit Lederjacken, Gewehre haltend und in einer militärischen Pose stehend zeigt, machte die Organisation über die Grenzen Kaliforniens hinweg bekannt. „This image was America’s visual introduction to the Black Panther Party, and it was guaranteed to stir fear and concern in a populace already wracked by war and social unrest.“24 Ein Kommentar in der Wochenendausgabe der New York Times vom 7. Mai 1967 beschwor paradoxerweise den Spirit of Lawlessness, den die Panther verfolgen würden, obwohl diese sich in ihrer Protestaktion in Sacramento sehr legalistisch nur auf das bestehende Waffengesetz beriefen. Der Kommentar insinuierte eine Nähe von Zielen und performativer Praxis der Black Power-Bewegung, namentlich der BPP, mit rassistischen Organisationen wie dem Ku Klux Klan. Jane Rhodes merkt dazu an: „By framing the Panthers as extremists in the vein of the Ku Klux Klan, the news media demonstrated an inability to see beyond action, to distinguish between the donning of a white hood and the wearing of a black beret as symbolic practices.“25 Die Berichterstattung ist also ein erster Indikator für die Ambivalenz und Offenheit von Style Politics für unterschiedliche Rezeptionslinien. Während der Style von den Protagonist/innen mit einer bestimmten politischen Intention getragen wurde, die diese unterstreichen sollte, zeigt der Kommentar in der New York Times, dass diese politische Motivation verkannt werden kann. Die Stärke einer performativen Praxis über Style Politics erweist sich damit gleichzeitig immer auch als mögliche Schwäche: Sie kann als Inszenierung leichter von ihrer politischen Intention abgetrennt und rein auf ihren performativen Aspekt reduziert werden, der damit ideologische Unterschiede wie den zwischen Ku Klux Klan und Panthern einebnet. Andererseits, und dies demonstriert die Verlesung des Executive Mandat Nr. 1, ist auch ein Text immer kontextuell eingebunden und offen für unterschiedliche Lesarten,
23 Enthalten in Philip Foner: The Black Panthers Speak, Cambridge, MA 1970, S. 40. 24 Jane Rhodes: Framing the Panthers. The Spectacular Rise of a Black Power Icon, New York/London 2007, S. 76. 25 Rhodes: Framing the Panthers, S. 77.
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die dem ursprünglich Intendierten der Verfasser/innen mitunter diametral entgegenstehen kann. Durch die starke Medienpräsenz bei ihrem Auftritt in Sacramento verzeichneten die Panther einen großen Mitgliederzuwachs und es wurden PantherChapter in über 30 Städten gegründet.26 Newton war damit seinem erklärten Ziel, den schwarzen Massen ein kritisches Bewusstsein zu vermitteln und sie zu Aktivitäten zu bewegen, ein großes Stück näher gekommen. Mit dem 10-PunkteProgramm, das viele Elemente des Nation of Islam-Programms wortwörtlich übernahm, adressierten Seale und Newton drängende Probleme, mit denen African Americans konfrontiert waren. Vorangegangen war der Formulierung des Programms eine Umfrage von Newton und Seale unter der schwarzen Bevölkerung von Oakland, in der die größten Missstände und Änderungswünsche erfragt worden waren.27 Dies kommt insbesondere in den Punkten „decent housing“, „clothing“, und „end of police brutality“ zum Ausdruck.28 Ein Faktor, der ebenfalls zu einem größeren Bekanntheitsgrad der BPP beitrug, war ihre ab 1967 erscheinende Zeitung Black Community News, kurz The Black Panther. Die Organisation verfügte damit über ein Medium, in dem eine alternative Berichterstattung über Ereignisse der Black Community, aber auch über internationale Begebenheiten möglich war, die sich von bürgerlichen Medien abhob. Die Panther hatten damit ein Forum, um ihre Sicht der Dinge darzulegen. Die Effektivität und Relevanz wurde von staatlichen Stellen schnell festgestellt und es gab verschiedene Versuche, die Zeitung zu sabotieren beispielswiese durch Behinderung der Auslieferung.29 Die Ermordung von Martin Luther King, Jr. am 4. April 1968 trug zu einer Radikalisierung von weiten Teilen der Bürgerrechtsbewegung bei. Der Tod Kings wurde von vielen African Americans als symbolischer Tod des Gewaltlo-
26 Vgl. Rhodes: Framing the Panthers, S. 74-77. 27 Huey P. Newton: Interview, in: Henry Hampton/Steve Fayer (Hg.): Voices of Freedom. An Oral History of the Civil Rights Movement from the 1950s through the 1980s, London 1995, S. 353. 28 Das „Black Panther Party Platform and Program. What We Want What We Believe“, wie das Ten-Point-Programm vollständig heißt, ist abgedruckt in Newton: Revolutionary Suicide, S. 122-124. 29 Vgl. Ward Churchill: ‚To Disrupt, Discredit and Destroyދ. The FBI’s Secret War against the Black Panther Party, in: Kathleen Cleaver/George Katsiaficas (Hg.): Liberation, Imagination, and the Black Panther Party. A New Look at the Panthers and their Legacy, New York/London 2001, S. 78-117, hier: S. 85-87.
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sigkeitsansatzes interpretiert.30 Es kam nach Bekanntgabe seiner Ermordung zu Aufständen in fast allen Großstädten der USA. Die BPP verzeichnete danach einen deutlichen Mitgliederschub, und auch andere Black Power-Organisationen erhielten Zulauf. Kathleen Cleaver beschreibt die veränderte politische Konstellation wie folgt: „Even nonviolent change was violently rejected. So it’s like the Panthers were all of a sudden thrust into the forefront of being the alternative, and maybe weren’t quite anticipating as much attention as they got – neither the media attention nor the police repression.“31 Die Panther waren also selbst überrascht, so viel neue Mitglieder und eine dermaßen große mediale Aufmerksamkeit zu bekommen.
S TAGING M ILITANCY – D IE F REE -H UEY R ALLIES Neben den Polizeikontrollen, den sogenannten Community-Programms, Koalitionen mit weißen Antikriegsorganisationen wie der Peace and Freedom Party war ein Großteil der Aktivitäten der BPP ab Ende 1967 über Jahre der Free Huey-Kampagne gewidmet.32 Huey P. Newton war im Oktober 1967 bei einer Polizeikontrolle angehalten worden. Die genauen Umstände des Vorfalles sind nach wie vor unklar. Fest steht, dass es zu einem Schusswechsel kam, in Folge dessen Huey Newton schwer verletzt wurde und der Polizist John Frey starb.33 Newton wurde daraufhin des Polizistenmordes angeklagt. Die Panther organisierten vielfältige Aktivitäten, um politischen Druck auszuüben und einen Freispruch für Newton zu erwirken. Die Demonstrationen vor dem Gerichtsgebäude, dem Alameda County District in Kalifornien waren eine performative Praktik, in der die Verschränkung von Style, Synchronität, und Körpertechnologien als strategisches Ensemble politischer Interventionen deutlich wird. Die zeitgenössische Presse wurde schnell der Art und Weise gewahr, in der die BPP ihre politischen Forderungen mit einem bestimmten Style und Körperdisziplinierungen verband. George Draper vom San Francisco Chronicle schrieb beispielsweise am 16. Juli 1968 über die Free Huey Rally vor dem Alameida Bezirksgericht:
30 Vgl. Joseph: Waiting ތTill the Midnight Hour, S. 227-228. 31 Kathleen Cleaver: Interview, in: Henry Hampton/Steve Fayer (Hg.):Voices of Freedom. An Oral History of the Civil Rights Movement from the 1950s through the 1980s, London 1995, S. 514. 32 Vgl. Murch: Living in the City, S. 151-160. 33 Vgl. hierzu Rhodes: Framing the Panthers, S. 118.
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„Nearly 3000 black and white militants, their passions barely reined by a cadre of uniformed leaders, marched on the Alameda county courthouse in Oakland yesterday. Their mighty roar, heard almost all day, was simple. ‘Free Huey!’ the rythmic chant went. ‘Free Huey. Black is beautiful! Set our warrior free. The weird, almost tribal incantation carried high to the seventh floor of the cement and granite building, glistening in the mid-summer sunshine, where Huey P. Newton, Black Panther leader, was going to trial in the murder of an Oakland policeman. The long-threatened demonstration was an almost awesome demonstration of controlled hatred, limited for the most part to words coined out of black America’s boiling anger and frustration.“34
Obwohl Draper pejorative Adjektive zur Beschreibung der Panther-Demonstration wählt („weird“, „tribal“, „hatred“), wird deren Perfektion im Auftreten doch aus seinem Bericht deutlich. Den militärischen Charakter des gesamten Ereignisses beschreibt Draper weiter folgendermaßen: „Altough the Newton trial was not scheduled to start until 10 a.m., the first contingent of Black Panthers arrived before 8 a.m., already sweating in their black leather jackets, blue shirts, black trousers and black berets. [...] The group left without incident, to join more than 200 brother and sister Panthers, all similarly garbed, and equally schooled in disciplined behavior.“
35
Aus dieser Passage geht hervor, dass die BPP ihre Auftritte sehr gut orchestrierte und durchführte. Die Style Politics umfasste nicht nur die einheitliche Kleidung, sondern wurde wirkmächtig mithilfe des paramilitärischen Marschierens, Salutierens und generell der aufeinander abgestimmten Bewegungen. Auch wenn Drapers kritische Einstellung gegenüber den Panthern in seinem Artikel mehr als offensichtlich ist, gesteht er ihnen doch zu, ein hohes Maß an diszipliniertem Auftreten an den Tag zu legen. Dieser Eindruck von Draper wurde nicht zuletzt auch dadurch bedingt, dass die BPP Visualität strategisch einzusetzen versuchte. Fotograf/innen und Filmemacher/innen sollten dazu beitragen, ein positives Bild der BPP als militante und straff organisierte Gruppe zu inszenieren. T.N. Phu hat darauf hingewiesen, dass die Aufnahmetechnik des Fotografen Pirkle Jones von den Panthern, etwa vor dem Alameda County Court bestimmte Assoziationen und die Bilder ein bestimmtes Licht auf die Panther werfen sollten:
34 George Draper: [Titel nicht mehr lesbar, P.D.] San Francisco Chronicle, July 16, 1968, ohne Seitenangabe, zit. nach: Black Panther Party Files, Box 1, Folder 13, African American Museum and Library at Oakland. 35 Draper: San Francisco Chronicle, July 16, 1968.
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„The evocative angle from which protests were shot served an important purpose. Photos were often taken from a lower height and carefully aimed upward, highlighting the humanity of protest participants. A significant effect of this photo technique was to celebrate the proud body politics of protest participants.“36
Das Panther-Styling sowie die minutiös choreografierte Marsch- und Standformation der Mitglieder waren Teil einer politischen Performanz, mithilfe derer Disziplin, Militanz und eine alternative Konzeption von Schwarzsein inszeniert wurden. Dieses Styling bedeutete somit eine Zäsur in der Repräsentation von Schwarzsein, wie sie als hegemoniales Bildregime in den US-amerikanischen Medien vermittelt wurde. Die Proteste vor dem Alameda State Court verdeutlichen einerseits, wie die Black Panther Party Style Politics gezielt einsetzte, um mit einer Performanz von Disziplin, Einheit und Militanz eine politische Botschaft zu vermitteln, nämlich die Freilassung von Huey P. Newton. Sie machen aber auch deutlich, dass die Inszenierung anhand von geschlechtlichen Kriterien choreografiert wurde. Dies lässt sich anhand eines Dokumantarfilms der Gruppe Newsreel zeigen. Newsreel war ein Kollektiv von weißen linken Dokumentarfilmer/innen, Journalist/innen und Fotograf/innen. Sie gründeten sich 1967 in New York und hatten das erklärte Ziel, der Berichterstattung der Mainstreammedien etwas entgegenzusetzen, emanzipatorische Projekte und Organisationen mit ihrer Arbeit zu unterstützen und diesen zu mehr Aufmerksamkeit zu verhelfen.37 Newsreel sah die Black Panther als eine vielversprechende und faszinierende radikale Organisation an und plante deshalb, einen Dokumentarfilm über sie zu drehen. Obwohl Newsreel jedoch große Sympathien für die BPP hegte, verlief die Kooperation zwischen dem Journalist/innenkollektiv und den Black Panthern nicht immer konfliktfrei. Letztere wollten den Film als Medium nutzen, um ihre politischen Botschaften zu vermitteln und sich durch ihr Auftreten und Styling als eine streng disziplinierte, selbstbewusste und furchtlose Organisation zu präsentieren. Newsreel war sich darüber bewusst, als weißes Kollektiv sensibel an die Zusammenarbeit herangehen zu müssen, weil historisch die Darstellung von African Americans in den USA von Weißen oftmals rassistische Stereotype inszenierte und reproduzierte. Aus der Korrespondenz von Newsreel mit den Pan-
36 T.N. Phu: Shooting the Movement: Black Panther Party Photography and African American Protest Traditions, in: Canadian Review of American Studies/Revue canadienne d’études américaines 38, 1 (2008): S. 165-189, hier: S. 170. 37 Rhodes: Framing the Panthers, S. 127.
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thern ist diese Unsicherheit deutlich abzulesen. In einem Brief von Newsreel an das BPP-Headquarter heißt es: „Dear Sisters and Brothers, the relationship between Newsreel and the BPP in the past 3 years has been erratic and lacking in political coherency. [...] We understand the tremendous pressures on the B.P.P in all of its years of struggle from pig repression and media distortions in this racist, sexist, classist monster, amerikkka. We feel that our films and propaganda work are primary and necessary to building a revolutionary movement in this country at this time and we take our work seriously. [...] We consider this a Newsreel film and feel that it is necessary for good propaganda to work closely with the Party on its development and completion [...].“38
Das Newsreel-Kollektiv sah seine Aufgabe laut diesem Brief also in einer Aufklärung über die strukturelle Ungerechtigkeit in den USA, die Diskriminierung aufgrund der Kategorien Race, Class, Gender befördere. Der Film über die Panther sollte in enger Kooperation mit diesen produziert werden, um die ideologische Wirkung des Werkes zu optimieren. Insofern arbeiteten die Panther aktiv an der Gestaltung mit und waren in der Lage, sich selbst in der gewünschten Art und Weise zu inszenieren und eine militante Performanz von Schwarzsein zu gewährleisten. In dem kurzen, rund zehnminütigen Film über die Proteste vor dem Alameda State Court sieht man zunächst in Panther-Kluft gekleidete Männer wie in Armeeformation mehrreihig marschieren. Durch die einheitlichen schwarzen Uniformen, die Sonnenbrillen und das gleichmäßige, rhytmische Bewegen wird ein Bild von Entschlossenheit vermittelt. Auffallend ist die Abwesenheit weiblicher Panther in dieser Marschformation. Panther-Fahnen mit der Aufschrift „Free Huey“ werden in einem bestimmten Rhythmus in die Luft gestreckt, herumgewirbelt und wieder an den Körper angelegt, einer Militärübung gleich, die in der Armee mit Gewehren ausgeführt wird. Die Inszenierung von Disziplin, Geschlossenheit und entschiedenem Handeln wird auch direkt vor dem Alameda State Court vollzogen, indem dort vier männliche Panther, in ihrer kompletten Uniform mit schwarzer Lederjacke, Hose, Sonnenbrille, schwarzen Baskenmützen und „Free Huey“-Fahnen auf den Treppen vor dem Gebäude postiert sind, unbeweglich, in einer Rauten-Formation, die Fahnen waagerecht in die Luft haltend. Hinter ihnen sind weibliche Panther in einer Reihe aufgestellt, alle mit einem großen Afro, die einen Refrain skandieren: „No more Brothers in Jail, off
38 Brief von Newsreel, New York, o. J., in: HNPC, Box 12, Series 2, Folder 13.
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the Pigs, The Pigs are gonna catch hell, off the pigs“. Dieser Slogan wird mehrere Male wiederholt, wobei jedesmal, wenn „off the pigs“ intoniert wird, die Hände zum Black Power-Gruß gereckt werden. Nach diversen Wiederholungen wird der Rhythmus schneller und die Stimmlage des gesungenen Statements höher. Nun wird skandiert: „No more pigs in our community! Off the pigs! No more pigs in our community! Off the pigs!“ Vor den Frauen steht eine Reihe männlicher Panther mit verschränkten Armen. Eine weitere Gruppe männlicher Panthern marschiert, einen Kreis formend und das bekannte Poster von Newton im Korbsessel vor sich tragend im Kreis und reckt die Fäuste in die Luft, wenn „off the pigs!“ gerufen wird. Die Style Politics lassen sich hier sehr deutlich als Performanz von Militanz und Widerständigkeit erkennen, durch die Einheitlichkeit von Kleidung, Slogans und Bewegung hergestellt wird. Die Performativität besteht somit im Aufführungscharakter der politischen Agitation der BPP.39 Dabei ist die Performanz außerdem klar gegendered, indem das militärische Marschieren nur von den männlichen Panthern vollführt wird, während die weiblichen Mitglieder lediglich im Hintergrund als Verstärkung mitwirken. Allerdings vermitteln auch sie ein Bild von Stärke und Widerständigkeit durch das massierte Auftreten, ihren AfroStyle, die schwarze Panther-Uniform und die militärische Anordnung in einer Reihe sowie das gemeinsame Skandieren des „Free Huey“-Slogans.
K RITIK
AM
C ULTURAL N ATIONALISM
Dass die Auseinandersetzung mit Style Politics in der BPP einen großen Stellenwert einnahm, wird deutlich an den Konflikten, die die Partei mit den sogenannten Cultural Nationalists austrug, die im Folgenden näher beleuchtet werden sollen. Die Abgrenzung von anderen Black Power-Gruppen, insbesondere von den sich als Cultural Nationalists verstehenden Organisationen, war ein den politischen Diskurs der BPP bestimmendes Thema. Bobby Seale kritisierte die Kulturnationalisten, namentlich die Organisation Us für ihren Style und hob die aus seiner Sicht grundlegende Differenz zwischen Revolutionary Nationalism, wie ihn die BPP vertrete, und Cultural Nationalism hervor: „We don’t care about changing what we wear, we want power – later for what we wear. Dashikis don’t
39 Vgl. Fischer-Lichte: Ästhetik des Performativen, S. 41. „Performativität führt zu Aufführungen bzw. manifestiert und realisiert sich im Aufführungscharakter performativer Handlungen […].“
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free nobody and pork chops don’t oppress nobody.“40 Seale moniert also, dass Cultural Nationalists wie Us sich einzig um ihr Styling sorgten, direkter Aktion und wichtigen politischen Fragen nach der Beseitigung von Diskriminierung und Befreiung aber nicht nachgehen würden. Der Wechsel des Stylings sei vernachlässigbar im Vergleich zum gesellschaftlichen Wechsel, der von einer politischen Gruppe herbeigeführt werden sollte. Mittels der Kritik am Cultural Nationalism wurde eine Auseinandersetzung über Schwarzsein in der BPP geführt. Denn dieser postulierte zwar einen Bezug auf Schwarzsein mittels der Aneignung afrikanischer Geschichte und Kultur. Dies galt jedoch der BPP nur als eine oberflächliche Bezugnahme. Boston Fred Nolan, ein BPP-Mitglied, schreibt diesbezüglich im Black Panther: „We have jumped one of the hurdles that was in the way by identifying with our beautiful Blackness, now we still have a whole track of hurdles in front of us. Now we must move on to true Blackness, to a Black revolutionary soulfulness.“41 Der Autor bescheinigt also den kulturnationalistischen Gruppen zwar die Affirmation des eigenen Schwarzseins, was eine Überwindung der ersten „Hürde“ bedeute, die die lange Geschichte der rassistischen Entwertung von African Americans darstelle. Es sei aber ein zweiter Schritt nötig, der mithilfe von Militanz authentisches, revolutionäres Schwarzsein herstelle. Nolan konstatiert zudem einen Trend zur Vereinnahmung und Kommodifizierung von Schwarzsein durch AfroPerücken und Dashikis „along with a horde of other so-called ‚black things.“ދ42 Im Gegensatz dazu repräsentiere die BPP „wirkliches“ Schwarzsein, da sie diese schon in der Haltung und im Styling darstelle, darüber hinaus aber auch revolutionäre Ziele verfolge. Auch Huey P. Newton äußert sich in einem Beitrag für ein panafrikanisches Musikfestival unmissverständlich über die seiner Meinung nach problematische Ideologie des Cultural Nationalism: „When the Party started, we started because we recognized that what was growing out of the movement was what we called a cultural cult group. We defined a cultural cult group as an organization that disguised itself as a political organization, but really it was more interested in the cultural rituals of Africa in the 1100’s before the contact with the European. Instead of administering to the community and organizing it, they would rather wear
40 Bobby Seale, zit. nach David Hilliard: This Side of Glory. The Autobiography of David Hilliard and the Story of the Black Panther Party, Chicago 1993, S. 122. 41 Boston Fred Nolan: On Black Cultural Nationalism, in: The Black Panther, 7. Dezember 1968, S. 15. 42 Nolan: ebd.
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bubas and get African names and use this and demand that the community do the same and do nothing about the survival of the community. Sometimes they say that ‚well, if we get our culture back then all things will be solvedދ, this is like saying to be regenerated and born again is to solve everything.“
43
Der Panafrikanismus, der auf diesem Musikfestival zelebriert wurde, ist Newton zufolge also kritikwürdig, weil er lediglich auf einer oberflächlichen Ebene die Bedürfnisse der African Americans anspricht. Die Rituale, die eine Wiederbelebung einer glorifizierten afrikanischen Kultur vor Ankunft der Kolonialist/innen heraufbeschwören sollen und die visuelle Unterstützung dieses Wunsches durch einen als „afrikanisch“ apostrophierten Style tragen laut Newton jedoch nicht dazu bei, die Probleme der schwarzen Community zu beheben. Statt konkret genau diese Probleme des strukturellen, gesellschaftlichen Rassismus in den USA zu adressieren und die Menschen politisch zu organisieren, habe die durch ein verändertes „afrikanisches“ Styling angestrebte kulturelle Wiedergeburt keinerlei Auswirkungen auf die Verbesserung der realen Verhältnisse. Anhand einer Bemerkung des Chicagoer Panthers Fred Hampton lässt sich verfolgen, wie die Polemik gegen das Styling von Cultural Nationalists ein wiederkehrendes Muster war, das als Abgrenzung zu anderen Black Power-Gruppen, namentlich Us fungierte und mit Geschlechterdiskursen zusammengeführt wurde. In einer 1970 als Flugschrift erschienenen Rede appelliert Hampton mit folgenden Worten an männliche Kulturnationalisten: „If he's gonna continue wearing dashikis... he oughta stop wearin' pants. ތCause he 'd look a lot better in miniskirts. Thatތs all a motherfuckin ތman needs in Babylon that ainތt got no gun, and thatތs a miniskirt.“44 Die Kritik an Cultural Nationalists, die in den vorangegangenen Quellen nicht explizit gegendered war, wird hier mit traditionellen Diskursen über Männlichkeit kombiniert, die in der Black Power-Bewegung der 1960er Jahre stark verbreitet waren. Hampton stellt in dieser Passage einen aus seiner Sicht notwendigen Zusammenhang zwischen der Bewaffnung der Panther und Männlichkeit her. Der von Organisationen wie Us gerne getragene Dashiki hingegen wird als Signifikant interpretiert, der den Träger effeminiere. Da die Cultural Nationalists außerdem keine Gewehre tragen würden, seien sie auch keine „wahren“ Männer. Um ihre Unmännlichkeit offensichtlich zu ma-
43 Statement by Huey P. Newton, Minister of Defense BPP Servant of the People to the Black Odyssey Festival The Center for Urban Black Studies Graduate Theological Union, Berkeley, in: HPNC, Series 1, Box 48, Folder 7:, California 19. Mai 1971, S. 16. 44 Fred Hampton: Power Everywhere There’s People, Chicago 1970, S. 101.
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chen, so Hampton weiter, sollten sie also am besten auch gleich aufhören, Hosen zu tragen, weil dies ein Kleidungsstück sei, welches originäre Männlichkeit repräsentiere. In Hamptons Bezugnahme auf Styling finden sich viele sexistische und heteronormative Vorstellungen gebündelt und konkretisiert. Seine Aussage lässt zudem erkennen, dass er Frauen als nicht zum bewaffneten Widerstand befähigt ansieht. Damit ignoriert er sowohl die Tradition militanter schwarzer Frauen, die gegen Rassisten in den Südstaaten radikalen Widerstand geleistet haben, als auch die Frauen innerhalb der BPP selbst.45 Auch Bobby Seale formuliert in einem Gespräch mit Herman Blake ein weiteres Mal die von ihm geteilte Kritik Newtons an den Cultural Nationalists: „Huey would say, ‚The point is what are you going to unify them around, just a naturalދ [i.e. Afro, P. D]? And I used to blow – ‚I don’t care if you’re over in Africa wearing a dashiki or here wearing a dashiki or whether you’re wearing a sharkskin suit or whether you are wearing some beatnik clothes or whether you’re poor and don’t have any clothes, that oppressor, that exploiter that brutalizing police force, that demagogic politician will trick you, the police will brutalize you, they will kill you, murder you and exploit you, they’re 46
doing it, they have been doing it, that’s their practice.“ދ
Seale kritisiert hier also die Style Politics sich radikal gebärender Cultural Nationalist-Gruppierungen in toto. Egal welches Kleidungsstück getragen würde, die staatlichen Repressionsapparate blieben davon unbeeindruckt und würden mit der Bekämpfung jeglicher Form von Widerstand fortfahren. Stylepolitische Statements wie der Afro oder ein Dashiki seien nicht dazu geeignet, die Massen zu organisieren, geschweige denn als Mittel für den Widerstand gegen Polizeigewalt zu dienen. Bezüglich der starken Betonung von Schwarzsein durch die Cultural Nationalists mithilfe von Styling und der Rede von Black is Beautiful führt Seale weiter aus: „We’re black and beautiful, right on! I don’t mind. And that’s what these cultists couldn’t see. They forget that the real highest level is the masses of the people, you have to serve the masses of the people!“47 Im Kontext
45 Vgl. hierzu Tracye Matthews: ‚No One Ever Asks, What a Man’s Role in the Revolution Isދ: Gender and the Politics of The Black Panther Party, 1966-1971, in: Charles Jones (Hg.): The Black Panther Party Reconsidered, Baltimore 1998, S, 267-304; Joseph: Waiting ތTil the Midnight Hour; Laura Browder: Her Best Shot. Women and Guns in America, Chapel Hill 2006, zu schwarzen Frauen bes. S. 143-162. 46 Bobby Seale: unveröffentlichtes Interview mit Herman Blake, Third Session, in: HPNC, Series 2, Box 26, Folder 10, S. 21. 47 Seale: Interview mit Herman Blake, Third Session, S. 22.
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der Polemik gegen die Cultural Nationalists unterstreicht Seale demnach also zwar die Legitimität des positiven Bezuges auf Schwarzsein, der sich beispielswiese im Afrohairstyle oder dem Tragen von Dashikis manifestiere. Er relegiert Style aber implizit auf einen Nebenschauplatz, während „wahre“ Politik die Massen adressiere und mit anderen Mitteln Veränderungen anstrebe als mit Kleidung und Frisuren. Diese hier vertretene Position von Seale, Newton und anderen, die eine deutliche Abgrenzung von Cultural Nationalism im Allgemeinen und damit von Style Politics im Besonderen ist, konstruiert eine Eindeutigkeit und negiert m. E. die wichtige Rolle, die Style innerhalb der BPP als Mittel der Inszenierung und Mobilisierung politischer Wirkmächtigkeit spielte. Anhand der Auseinandersetzungen um Style Politics innerhalb der BPP, etwa zwischen der Ost- und Westküste, werde ich demgegenüber jedoch zeigen, dass die Invektiven gegen das Styling der Cultural Nationalists nur eine polemische Funktion einnahmen. Es bedeutet indes keineswegs, dass Styling für die BPP eine untergeordente Rolle spielte. Im Gegenteil, waren Style Politics doch integraler Bestandteil der performativen Strategie der BPP und Ursache ihres großen Bekanntheitsund Popularitätsgrades innerhalb der afroamerikanischen Community.
W EST C OAST
VS .
E AST C OAST S TYLE
Die BPP inszenierte und performierte eine bestimmte Form von Militanz und Schwarzsein, die sowohl in der Mainstream-Presse als auch vom BPP-Hauptquartier aus Oakland um Huey P. Newton und Bobby Seale keinen Raum für Ambivalenzen lassen wollte. Die BPP-Führung war darum bemüht, nicht nur ideologisch, sondern auch stylepolitisch uniform aufzutreten und sich zu positionieren. Zu Spannungen kam es deshalb mit einigen BPP-Chaptern, vor allem mit dem in New York. David Hilliard berichtet von einem Besuch an der Ostküste, in dem der Style der New Yorker Gruppe thematisiert wurde. Er schildert einen signifikanten kulturellen Unterschied wie folgt: „They certainly dress unlike us. The women wear weird side-slit boots and the wife of another self-proclaimed captain – enters wrapped in a mink covered with political buttons, an ostentatious display totally out of line with Party discipline. [...] And they’re also militaristic: they walk around with walrus or elephant teeth on rawhide loops and big, sleek, 48
copper 45-caliber cartridges hung around their necks.“
48 Hilliard: This Side of Glory, S. 168.
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Dieser sich vom Westküstenstil der Panthers abhebende Style führt zu einer scharfen Auseinandersetzung zwischen der Gruppe um Hilliard aus Oakland und den New Yorker Panthern. Hilliard beschreibt, wie es zu einem erhitzten Wortwechsel zwischen seiner Delegation und den Panthern in New York kommt: „‚What is this stuff? ދwe say. ‚Panthers don’t dress like that.‚ ދThey do in New Yorkދ, they tell us, adding that they have their own style. [...]‚Noދ, we say. ‚The Party doesn’t have two styles. The Party doesn’t work that way. Black Panthers have one way of doing things. And it’s not how you guys think things should be done. It’s how we say it goes.“ދ49
Hilliard betont an dieser Stelle, dass die Uniformierung nicht etwas Nebensächliches sei, welches den einzelnen Mitgliedern überlassen wäre. Vielmehr solle die BPP nur einen Style haben, der sie untereinander und für Außenstehende identifizierbar mache. Gleichzeitig insistiert Hilliard darauf, dass die Style Politics der Panther nicht verhandelbar seien, sondern eine Direktive vom Zentralkommitee, die befolgt werden müsse. Es soll also Disziplin durch den Style performiert und inszeniert werden, weshalb eine Abweichung vom angeordneten BPP-Auftreten nicht toleriert werden könne. Die faktische Uneinheitlichkeit des Erscheinungsbildes der BPP, die mit dem Wunsch nach Uniformität des Zentralkomitees sowie dem monolithischen Bild, welches die bürgerliche US-amerikanische Presse von der Organisation zeichnete in Widerspruch stand, lässt sich auch in anderen Städten feststellen, wo sich aus unterschiedlichen, teils auch pragmatischen Erwägungen heraus ein alternativer Style entwickelte. Judson L. Jeffries schreibt diesbezüglich: „In places like Baltimore, Cleaveland, Indianapolis, and New Orleans, some found the uniform impractical. In those cities where winters are especially brutal, the skimpy leather jacket and beret were not adequate protection against belowfreezing temperatures. The fashionable wardrobe was also not the outfit of choice during the summer months, especially in New Orleans, where it can get unbearably hot. Perhaps most importantly, some Panthers chose not to wear the signature leather jacket and beret because it made them stand out, making them easy targets for the police. Although many Panthers across the country did not wear the uniform, they did carry guns, just not in plain like their West 50
Coast counterparts.“
49 Hilliard: ebd. 50 Judson L. Jeffries: An Unexamined Chapter of Black Panther History, in: ders. (Hg.): Black Power in the Belly of the Beast, Illinois 2006, S. 185-223, hier: S. 194.
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In den oben erwähnten Panther-Chaptern ging es also nicht um die Inszenierung von Militanz und Widerständigkeit, sondern um Klandestinität. Sie wollten mit ihrem Styling nicht auffallen, weil dieses sie zu leichten Zielen von Repression gemacht hätte. Das politische Klima in den jeweiligen Städten, der Grad an staatlicher Unterdrückung, aber auch kulturelle Traditionen sowie spezifische lokale Kontexte bestimmten somit die Style Politics des jeweiligen Chapter. Das als monolithisch in der Presse wahrgenommene Panther-Styling entpuppt sich daher als höchst komplex und als von vielfältigen Machtdynamiken geprägt. Die scheinbare Uniformität des Panther-Styles – nicht nur in der zeitgenössischen Wahrnehmung, sondern auch in der Historiografie, so er denn überhaupt in mehr als einem Nebensatz thematisiert wird51 – ist auch dadurch begründet, dass spektakuläre Aktionen der Panther wie in Sacramento oder die Free Huey-Rallies fast ausschließlich in Kalifornien stattfanden, demzufolge vor allem der Westküsten-Style entsprechend auf den Abbildungen repräsentiert ist. Zudem sind als größter Bildquellenkorpus die Fotografien von Pirkle Jones überliefert, der selbst in Kalifornien lebte und dort fotografierte.52 Die Unerbittlichkeit, mit der das BPP-Hauptquartier in Kalifornien den einheitlichen Panther-Style durchsetzen wollte, lässt sich zum Teil auch aus der Gründungsgeschichte der Panther in Oakland und der gewaltsamen Auseinandersetzungen mit der Organisation Us auf dem Campus der UCLA erklären, bei der zwei Panther getötet wurden.53 Der Cultural Nationalism von Us und ihr Dashiki-Style wurden deshalb scharf kritisiert und als den politischen Vorstellungen und dem Style der BPP diametral entgegenstehend dargestellt. Dieser spezifische Kontext war jedoch in anderen Städten an der Ostküste wie beispielsweise New York nicht gegeben, wo Dashikis häufig auch von Panthern getragen wurden. Dies war auf eine stärkere lokale Verankerung und Tradition von kulturnationalistischen Bewegungen in New York zurückzuführen, die vom jamaikanischen Panafrikanisten Marcus Garvey bis hin zu Malcolm X reichten. Aus
51 Die bisher einzige Monographie von Kelly Leight Mills, die Style Politics der BPP untersucht, ignoriert die regionalen und sich zeitlich ausdifferenzierdenen Style Politics vollkommen. Vgl. Mills: The Fashion and Anti-Fashion of the BPP. 52 Vgl. hierzu die beiden veröffentlichten Bildbände von Ruth Marion Baruch/Pirkle Jones: The Vanguard. A Photographic Essay on the Black Panthers, Boston 1970; Ruth Marion Baruch/Pirkle Jones: Black Panthers 1968. Photography by Ruth Marion Baruch and Pirkle Jones, Los Angeles 2002 sowie Shames: The Black Panthers. 53 Vgl. Ogbar: Black Power, S. 120. Vgl. auch Kapitel fünf zu Us und Cultural Nationalism in der vorliegenden Arbeit.
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diesem Grund wurden die Invektiven von Newton und Seale gegen den Cultural Nationalism an der Ostküste kritisch gesehen.54 In Philadelphia hingegen wurde das urbane und militante Element des Styles der Panther aus Kalifornien sogar noch zu überbieten versucht. Ein von dort stammender Panther sagt beispielsweise, dass sie „ghetto niggas“ seien, was bedeute: „‚We were soldiers. ދWearing combat boots and fatigues, they maximized their militant image.“55 Mithilfe militärischer Accessoires versuchten die Panther dort ihr militantes Erscheinungsbild noch zu steigern, als dies schwarze Lederjacke, Sonnenbrille und Gewehr ohnehin schon demonstrierten.
R EVOLUTIONARY C ULTURE
UND
S CHWARZSEIN
Der Politikbegriff der BPP war sehr umfassend und beinhaltete alle Bereiche des menschlichen Lebens. Aus diesem Grunde wurde der Kultur eine wichtige Funktion im Befreiungskampf zugewiesen. In einem Artikel mit dem programmatischen Titel For a Revolutionary Culture des Minister of Education der BPP George Murray umreißt dieser die Kulturkonzeption der BPP. Schon eingangs macht Murray deutlich, welches deren zentrale Aspekte sind: „Our culture must not be something that the enemy enjoys, appreciates, or says is attractive, it must be repelling to the slave master.“56 Eine Kultur, die den Anspruch einlösen wolle revolutionär zu sein, sei mit einer positiven Rezeption durch den Gegner nicht zu vereinbaren. Im Gegenteil, sie müsse diesen angreifen und kritisieren. Murray definiert dementsprechend Kultur wie folgt: „Culture may be defined as the total creation of a people. Everything black people do, our food, songs, dances, music, art, literature, stories, poems, paintings, plays, speech, talk, kisses, embraces, squeezes, and clothes. Our black faces must be used in our revolutionary culture.“57 Der Autor begreift somit Kultur als alle menschlichen Tätigkeiten umfassend und weist einen damals weit verbreiteten engen Begriff zurück, der beispielsweise nur Belletristik oder klassische Musik als Kultur klassifizieren würde. Das Revolutionäre all dieser kulturellen Aktivitäten macht Murray daraufhin im Wandel aus – sie seien nur dadurch revolutionär, indem sie gesellschaftliche Veränderungen generierten. Eine revolutionäre Kultur weise bereits Elemente
54 Vgl. Murch: Living for the City, S. 186. 55 Ogbar: Black Power, S. 109. 56 George Murray: For a Revolutionary Culture, in: The Black Panther, 7. September 1968, S. 12. 57 Murray: For a Revolutionary Culture, S. 12.
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auf, die Vorschein einer künftigen befreiten Gesellschaft und eines neuen Menschentypus seien. „Because we are changing, we are deciding that freedom means change, changing from the slaves, the cowards, the boys, the toms, the clowns. Coons, spooks of the 50’s, 40’s, 30’s, into the wild, courageous, freedom fighting, revolutionary black nationalists of the 60’s and the coming 70’s are years of dynamite [...].“58
Murray schränkt jedoch die Wirkmächtigkeit der revolutionären Kultur ein, insbesondere den Black Power-Style, wenn er schreibt: „The police fear brothers and sisters who wear naturals, but the natural is not a gun, it is black, beautiful, but we need change, we need freedom, we need black power and political power comes through the barrel of guns. We change, we are changing. We are changing from slaves to men to be free.“59 Der Autor weist hier dem Style der Panther eine wichtige Rolle als Einschüchterungstaktik gegenüber der Polizei zu, und gleichzeitig sei dieser auch, beispielsweise als Afrohairstyle, Ausdruck schwarzen Selbstbewusstseins. Gleichwohl sei Style als Befreiungsstrategie aber nicht ausreichend. Vielmehr müsse wirkliche Militanz mithilfe des Gewehrs praktiziert werden. Einzig der bewaffnete Befreiungskampf könne so die gewünschte gesellschaftliche Veränderung herbeiführen. Interessant ist in der oben zitierten Textstelle außerdem, dass diese Veränderung eine geschlechtliche Dimension hat. Militanz wird als performativer Akt angeführt, mittels dessen aus Sklaven Männer würden. Frauen tauchen in dem Zitat zwar auf, ihr Transformationsprozess wird aber nicht benannt.
E MORY D OUGLAS UND DIE K ARIKATUR VOM C IVIL R IGHTS S TYLE In der Zeitung der BPP, The Black Panther, die 1967 erstmals und nach ihrer Konsolidierung bis zum Jahr ihrer Einstellung 1979 wöchentlich erschien, nahmen die Zeichnungen des Minister for Culture Emory Douglas einen wichtigen Stellenwert ein. Dies lag zum einen darin begründet, dass sich die BPP an das sogenannte Lumpenproletariat richtete60 und sie davon ausging, dass die Lese-
58 Murray: ebd. 59 Murray: ebd. 60 Vgl. Chris Booker: Lumpenization: A Critical Error of The Black Panther Party, in: Jones: The Black Panther Party Reconsidered, S. 337-362.
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kompetenz bei diesem nicht so stark ausgeprägt sei. Abgesehen von ihrer größeren Plastizität und Anschaulichkeit appellieren Bilder zudem direkt an eine emotionale Ebene und wirken darüber meist stärker. Douglas, der fast alle Zeichnungen in der Zeitung erstellte,61war künstlerisch stark vom Black Arts Movement beeinflusst worden und engagierte sich dort Anfang der 1960er Jahre in Theaterproduktionen.62 Die Tätigkeit in diesem Black Nationalist Kollektiv prägte seine späteren Arbeiten für die BPP. In einem programmatischen Artikel, der mit Revolutionary Art/Black Liberation betitelt ist, verdeutlicht Douglas seine Konzeption von revolutionärer Kunst und Style. Kunst wird dort bereits eingangs als ein wichtiges Propagandawerkzeug bestimmt, das der Herbeiführung revolutionärer Zustände dienen solle: „We try to create an atmosphere for the vast majority of black people –who aren’t readers but activists –through their observation of our work, they feel they have the right to destroy the enemy.“63 Die Zeichnungen orientierten sich anfangs besonders stark an Bildern von Vietcong-Kämpfer/innen aus Vietnam und anderen bewaffneten Befreiungsbewegungen.64 Deren militanter Style in Militärkluft wurde von Douglas reproduziert und auf die Gegebenheiten der schwarzen Community angepasst.65 Hier ist also eine klare transnationale Perspektive erkennbar. In den Arbeiten von Douglas wird darüber hinaus der Klassenaspekt über das Styling immer sehr deutlich. Er zeigt teils verschiedene Gestalten in zerrissener Kleidung, die bezeichnend ist für deren prekären ökonomischen Status.
61 Vgl. zur Biografie von Douglas das Interview mit St. Clair Bourne: An Artist for the People, in: Sam Durant (Hg.): Black Panther. The Revolutionary Art of Emory Douglas, New York 2007. 62 Bourne: An Artist for the People, S. 199. 63 Emory Douglas: Revolutionary Art/Black Liberation, in: The Black Panther, 18. Mai 1968, S. 20. 64 Douglas veranschaulicht künstlerisch, wie stark die internationalistische Ausrichtung der BPP sich in jedweder Hinsicht ausdrückte. Vgl. zum Internationalismus der BPP Robyn Spencer: Merely One Link in the Worldwide Revolution. Internationalism, State Repression, and the Black Panther Party, 1966-1972, in: Michael West/William Martin/Fanon Che Wilkins (Hg.): From Toussaint to Tupac. The Black International Since the Age of Revolution, Chapel Hill 2009, S. 215-231. 65 Vgl. Douglas: Revolutionary Art/Black Liberation, S. 20.
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Abb. 3: Zeichnung von Emory Douglas, „We shall overcome“
Quelle: The Black Panther, 7. Juni 1969, S. 18 (Faksimile).
In einer Zeichnung vom 7. Juni 1969 im Black Panther (s. Abb. 3) wird der Wandel der Style Politics von der moderaten Bürgerrechtsbewegung hin zur Black Power-Bewegung von Douglas in einer Karikatur anschaulich dargestellt. Man sieht auf der linken Seite einen schwarzen Mann und eine schwarze Frau, die beide traditionell bürgerlich gekleidet sind. Die Frau trägt Rock und Brille, der Mann einen Anzug. Aus dem Bild geht auch hervor, dass die zwei Figuren das wohl bekannteste Lied der Bürgerrechtsbewegung, We shall Overcome singen, welches für einen gewaltlosen Protest und den Integrationsansatz der moderateren Bürgerrechtsbewegung steht. Die Zeichnung soll damit den noch angepassten, gemäßigten Style des Jahres 1965 repräsentieren. In der zweiten Zeichnung, die mit der Jahreszahl 1969 unterlegt ist, sieht man dieselben Protagonist/innen in ähnlicher Körperhaltung, jedoch nun ein Lied anstimmend, welches eindeutig größere Militanz verheißt: beide singen We shall Overthrow. Das Paar ist in der zweiten Zeichnung nun in einem neuen Outfit zu sehen. Sie tragen Afros und der Mann zudem noch eine Baskenmütze und Patronengürtel. Hatte der
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Mann im ersten Bild noch in der rechten Hand eine US-amerikanische Flagge geschwenkt, so reckt er nun die rechte Faust zum Black Power-Gruß. Während der am Rande des ersten Bildes dargestellte weiße Zuschauer noch entzückt und zu Tränen gerührt „beautiful, beautiful“ ausruft, sieht man ihn im zweiten Bild sich angewidert abwenden und entsetzt „My God! Anarchy!“ exklamieren. Aus Emory Douglas’ Zeichnung wird deutlich, dass sich der Style der aktiven African Americans von der Mitte bis Ende der 1960er Jahre in den Augen der BPP maßgeblich verändert hat und Ausdruck einer Radikalisierung und gewachsener Militanz ist. Die abweichenden Style Politics führen in der Botschaft dieses Bildes zu einer veränderten Wahrnehmung bei Weißen. Sympathisierten diese noch teilweise mit den christlich inspirierten, respektabel gekleideten und in Duktus sowie Forderungen moderaten Bürgerrechtler/innen, so wird das ganze Ensemble der Black Power-Rhetorik und des Styles von vielen Weißen nun als Bedrohung wahrgenommen, weil es eine wirkliche, radikale Transformation des Gesellschaftsgefüges verheißt.
P OSING
FOR THE
R EVOLUTION
Dass die BPP ihre Auftritte sehr genau orchestrierte und inszenierte, lässt sich auch an dem berühmtesten Bild von Huey P. Newton im Korbsessel demonstrieren. Eldridge Cleaver war einer derjenigen, der die Relevanz für Public Relations-Arbeit früh erkannte und verschiedene Termine organisierte, um die Visualität und Popularität der BPP zu erhöhen. Das Foto, welches 1967 in der Wohnung von Eldridge Cleavers Apartment aufgenommen und zum ersten Mal in der Ausgabe des Black Panther vom 15. Mai 1967 veröffentlicht wurde, trug zu einem stärkeren Bekanntheitsgrad der BPP und ihres Styles bei (s. Abb. 4). Dieses Bild von Newton wurde künftig in fast jeder Ausgabe reproduziert und hing als Plakat an vielen Straßenwänden in Kalifornien.66 In der Aufnahme ist Huey P. Newton zu sehen, wie er im Sessel sitzt, in der einen Hand ein Gewehr, in der anderen einen Speer. Gekleidet ist er in die schwarze Panther-Uniform mit Lederjacke, Baskenmütze, einem Patronengürtel und daran befestigten Black Panther-Buttons.
66 Vgl. Rhodes: Framing the Black Panthers, S. 103.
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Abbildung 4: Huey P. Newton im Korbsessel
Quelle: Bancroft Library, UC Berkeley.
Die eingenommene Pose von Newton soll Militanz und Entschlossenheit signalisieren. Darüber hinaus ist jedoch interessanterweise zu beobachten, dass ein starker Bezug zu afrikanischer Kultur und darüber eine Assoziation mit Schwarzsein hergestellt wird, der in dieser Form ungewöhnlich für die Ikonografie der Panther ist. Ihr Outfit lässt sich sonst eher als urban bezeichnen – Lederjacke, Sonnenbrille und Baskenmütze sind allesamt Kleidungsstücke, die in der Regel mit einem städtischen Kontext verbunden werden. Dies kontrastiert mit dem Speer und den Schildern, den man mit Zulu-Kriegern aus Südafrika assoziiert, und dem
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Korbsessel, der Symbol und Privileg afrikanischer Chiefs war. Die stilistische Inszenierung verbindet hier also verschiedene Elemente miteinander: Eine Anrufung von Schwarzsein wird aufgrund des Speers und des Korbsessels hergestellt, Newton posiert als afrikanischer Prinz. Gleichzeitig findet eine Anrufung von Urbanität über das Gewehr und die schwarze Lederjacke statt. Newton zitiert also sowohl Elemente einer Urbanität signalisierenden Straßenkultur als auch Signifikanten für „afrikanisch“ konnotiertes Schwarzsein wie Speer und Korbsessel. Der Style ist somit eine Neuverortung dieser beiden Referenzrahmen Urbanität und „afrikanisches“ Schwarzsein, die im Bild als Pose performiert werden. Entgegen der scharfen Polemik, die Newton, Seale und andere Panther gegen die Cultural Nationalists und deren Anrufung von Schwarzsein über Style geführt hatten, bedient sich Newton hier einer ähnlichen Inszenierungspraxis. Obwohl Newton selbst mit diesem Foto sehr unzufrieden war,67 wurde dessen propagandistische Wirkung von ihm und anderen Panthern hoch eingeschätzt. David Hilliard, der Chief of Staff der BPP, schreibt diesbezüglich: „Huey hates the photograph. But the image is indubitably striking. We put it smack in the middle to let the cops know Huey and the Party are here to stay and we’re not backing down.“68
R ADICAL C HIC Die Inszenierung schwarzer Militanz, die in dem Foto von Huey Newton im Korbsessel mit Gewehr und Speer zu beobachten ist, war in der Zeitschrift Esquire Anlass für Spott und Hohn. In einem im November 1970 dort erschienenen Artikel, der scherzhaft „Is it too late to pal with Panthers?“ überschrieben ist, wird Newtons Foto auf die verschiedenen, für den Panther-Style charakteristischen Elemente hin seziert und analysiert. Während auf der ersten Seite des Textes, die Leser/innen bei einer Gruppe von African Americans „richtige“ Panther identifizieren sollen, werden sie kurz darauf aufgeklärt, dass dies allesamt nur „unechte“ Panther seien. Das Foto von Newton im Korbsessel hingegen ist überschrieben mit: „This is closer to the real Panther. It ought to be. A Panther posed for it.“69 Mit Erklärungspfeilen werden minutiös die unterschiedlichen Accessoires des Panther-Styles erläutert und so ironisierend die Inszenierung von schwarzer Militanz, Männlichkeit und das Streben nach „rassischer“ Authentizi-
67 Vgl. Hilliard: This Side of Glory, S. 140. 68 Hilliard: ebd. 69 N.N.: Is it too late to pal with the Panthers?, in: Esquire, November 1970, S. 142.
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tät der Lächerlichkeit preiszugeben versucht. Zur Lederjacke heißt es beispielsweise: „Leather is primeval. To a flabby suburbanite like you, it means a tough outer skin. That’s why the Panther wears leather. What would you think of a Panther in a jacket made out of permanent-press polyester.“70 Der Esquire-Artikel adressiert hier explizit weiße Sympathisant/innen der Panther, die besonders Gefallen am Style der BPP hätten, weil dieser Ursprünglichkeit, Härte und Männlichkeit signalisiere, die die in den Vorstädten lebenden „verweichlichten“ Männer vermissen würden. Diese Passage ruft damit vertraute Diskurse von der sogenannten „Krise der Männlichkeit“ aus den USA der 1950er Jahre auf. Die Popularität der Panther bei weißen Vorstadtbewohnern sei, so Esquire, darauf zurückzuführen, dass diese ein Verlangen nach ihrer verloren geglaubten Männlichkeit hätten. Weiter heißt es im Text dann: „An unarmed Panther is not as groovy on a poster either. Although Huey doesn’t need them, a Panther wears shades to scare you. They hide what he’s thinking and make him look cool and mean. A cool, mean, scary black can give even the best of liberals, even you, sleepless nights.“71
Hier macht sich der Autor des Artikels über die Unterstützung der Panther durch weiße Liberale lustig, die die präsentierte Militanz nur bis zu einem gewissen Grade vertragen könnten. Eine ähnlich geartete Kritik an der Unterstützung der BPP durch weiße Liberale findet sich in dem Essay von Tom Wolfe Radical Chic. A Party at Lenny’s. Ursprünglich als Essay in der Zeitschrift New Yorker 1970 erschienen, veröffentlichte er seinen Text später als Buch, das sehr erfolgreich wurde und die Rezeption der Panther nachhaltig prägte.72 Tom Wolfe gehörte neben Truman Capote, Gail Sheehy und Norman Mailer zu einem der prominentesten Schriftsteller des sogenannten New Journalism. Dieser versuchte eine Gradwanderung zwischen Fiktion und Reportage, Belletristik und Wirklichkeitsbeschreibung. Die Texte des New Journalism zeichneten sich dadurch aus, dass sie reale Ereignisse nachzeichneten und diese so spannend zu rekonstruieren versuchten, als wäre es ein Roman. Dabei bedienten sie sich verschiedener Stilelemente wie der Übernahme
70 N.N.: ebd. 71 N.N.: ebd. 72 Vgl. dazu Michael E. Staub: Setting up the Seventies. Black Panthers, New Journalism, and the Rewriting of the Sixties, in: Shelton Waldrep (Hg.): The Seventies. The Age of Glitter in Popular Culture, New York/London 2000, S. 19-40, hier: S. 23.
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einer Innenperspektive der beteiligten Personen und Spekulationen über deren Gedankengänge und Motivationen für bestimmte Handlungen.73 Tom Wolfe beschreibt in Radical Chic ein Treffen im New Yorker Apartment des weißen Komponisten Leonard Bernstein. Dort hatten sich Black Panther sowie wohlhabende weiße Sympathisant/innen versammelt, um Spendengelder zu sammeln. Wolfes These, die immer wieder im Laufe der Erzählung variiert wird, ist, dass sowohl die Panther nur einem radical chic frönen würden, also ihren militanten Style zur Schau tragen aber keine wirklichen politischen Anliegen verfolgen würden. Und auch die weißen Sympathisant/innen seien einem Modetrend verfallen, der die Unterstützung radikaler Anliegen der Schwarzenbewegung als „hip“, als angesagt, erscheinen lasse. Dahinter verstecke sich aber keine authentische Identifizierung mit den Zielen der BPP, sondern eine pseudorevolutionäre Attitüde. Die Beschreibung der Teilnehmer/innen des Treffens, die Wolfe ausführlich unternimmt, macht deutlich, dass der Style hier als oberflächlich abgetan wird: „Radical Chic [war] die neue Superwelle in der New Yorker Society. Seit mehr als sechs Monaten hatte sie sich aufgebaut. Sie war schon bis in die Modeseiten von Vogue vorgedrungen und bewegte sich auf die Rezept-Kolumne zu.“74 Dass der Radical Chic bereits Eingang in das bürgerliche Modejournal Vogue gefunden hatte, ist für Wolfe Beleg dafür, dass es den weißen Liberalen nicht um radikale politische Inhalte, sondern nur um ein angesagtes Modephänomen zu tun war. Wolfe ironisiert dann diese angebliche Spannung zwischen Modebewusstsein einerseits und dem politisch linken Anliegen der Black Panther Party andererseits, die die weißen Liberalen in ein Dilemma bei der Kleidungswahl stürze: „Oder – wie soll man sich zu diesen Parties für die Panthers, die Young Lords oder die Landarbeiter anziehen? Wie soll eine Frau sich kleiden? Es liegt auf der Hand, dass man keine frivolen und ungeheuer teuren Sachen trägt, etwa ein Gerard Pipart-Party-Kleid. Andererseits möchte man auch nicht in irgendeinem gräulichen Rollkragen und einer unten ausgestellten West-Eight-Street-Jeans-Kombination das ganze verärmlichen, als ob man ‚irre ދoder ‚vom Volke ދwäre.“
75
Obgleich sich die weißen Sympathisant/innen also zu den Solidaritätsparties für die BPP einfinden, sei es ihnen wichtiger, gut und in ihrem Styling distinguiert
73 Vgl. zum New Journalism Staub: Setting Up the Seventies, S. 21-24. 74 Tom Wolfe: Radical Chic und Mau Mau bei der Wohlfahrtsbehörde, Hamburg 1972, S. 25. 75 Wolfe: Radical Chic, S. 13.
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zu erscheinen, als mit der ärmlichen Bevölkerung verwechselt zu werden. Wolfes Essay beschreibt weiter die Zusammenkunft von Unterstützer/innen und BPP, in der der Autor großes Gewicht auf den Style der Panther sowie die Modeüberlegungen ihrer Unterstützer/innen legt. „Cheray [Duchin, eine weiße Sympathisantin, P.D.] erzählt: ‚Ich bin noch nie einem Panther begegnet – dieser ist für mich bahnbrechend! ]…[ ދAber sie ist nicht die einzige, der es schaudert, als die Black Panthers Lennys Haus überrollen, Robert Bay, Don Cox aus Oakland, Oberkommandierender der Panthers, Henry Miller, Verteidigungsminister der Harlem Panthers, die Pantherfrauen – Jesus, als wüssten die Panthers nicht ganz genau, wie sie alles unter einen Hut bringen: die engen Hosen, die engen schwarzen Rollkragen, die Ledermäntel, Supersonnenbrillen, Afros. Aber echte Afros, nicht solche, die sich wie Buchsbäume stutzen und trimmen lassen und sich sprayen, bis sie glänzen wie ein Wandzu-Wand-Teppich aus Acryl – sondern jede Gefahr witternde, animalische, sehnige…wilde…Die sind keine Civil-rights-Neger mit drei Nummern zu großen grauen An76
zügen […].“
In Wolfes Text zeichnet er die Panthers in ihrem Style als authentisch und schwarz. Der Panther-Style wird mit einem Diskurs der Primitivität beschrieben – „wild“, „animalisch“ – der auf die Verknüpfung von Authentizität, Schwarzsein und Körperlichkeit verweist. Hier ruft Wolfe eine rassistische Trope ab, wobei es durch die Form seines Textes nicht aus Autorperspektive, sondern scheinbar objektiv, neutral beschreibend klingt. Am Schluss kontrastiert er den Panther-Style mit dem der Bürgerrechtsaktivisten in Anzügen, die für ihn jedoch ebenfalls kein positives Beispiel sind, sondern die er lächerlich macht, da sie zu große Konfektionsgrößen tragen würden. Obwohl Wolfes Text nicht den Anspruch erhebt, eine wortgetreue und exakte Rekonstruktion der Solidaritätsparties für die BPP in den weißen Sympathisant/innenkreisen zu sein, so ist sein Bericht trotz der Überspitzung doch eine Kritik an den Style Politics der Panther. Wolfe reduziert diese auf ein stilistisches Spektakel, das er als losgelöst von jedem politischen Inhalt konstruiert, welche die komplexe performative politische Praxis und Strategie der BPP verkennt, wenn nicht gar absichtlich ins Lächerliche verzerrt. Demgegenüber benennt Amy Onigiri ein zutreffendes Problem der Style Politics der Black Panther:
76 Wolfe: Radical Chic, S. 9.
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„The problem with the Panther incursion into visual culture was that it actually worked too well. It successfully raised the specter of radical change and offered an opportunity for deep identification with that possibility without ultimately being able to keep the attendant promise of victory through armed struggle, especially as the party was increasingly subjected to police and government repression following the public relations success of the ‚Free Huey ދcampaign.“
77
Das Bild von schwarzer Militanz, Radikalität und Kompromisslosigkeit, welches die BPP durch ihren Style und ihr genau orchestriertes, an militärische Formationen erinnerndes Auftreten hervorrief, war so wirkmächtig, dass es zwar Sympathien in Teilen der Black Community weckte und die Mitgliederzahlen der Organisation zu erhöhen half. Gleichzeitig bewirkte das durch ihre Style Politics vermittelte Bild einer omnipotenten Gruppe, die der Staatsmacht ebenbürtig war und diese herausforderte allerdings eine starke Repression durch die Polizei und FBI und eine spätere Desillusionierung der Mitglieder, die sahen, dass der radikale gesellschaftliche Bruch, den die Panther proklamierten nicht durchgesetzt werden konnte. Angela Davis, das Ende der 1960er Jahre prominenteste Mitglied der Kommunistischen Partei der USA, politische Gefangene und Unterstützerin der Black Panther Party, steht deren Style Politics sehr kritisch gegenüber. In einem Aufsatz aus den 1990er Jahren reflektiert sie über ihre eigenen Erfahrungen mit der Ikonografie der BPP und ihrem Status als Verkörperung von schwarzer Militanz. Davis verweist in einer Schilderung eines Fototermins aus dem Jahre 1974 auf den Umstand, dass die Inszenierungspraktiken der BPP problematisch werden könnten, weil sie kommodifiziert und so ihres politischen Gehaltes entleert würden. „When I entered his [des Fotografen, P.D.] studio with Toni Morrison, who was my editor, the first question he asked us was whether we had brought the black leather jacket. He assumed, it turned out, that he was to recreate with his camera a symbolic visual representation of black militancy; leather jacket (uniform of the Black Panther Party), Afro hairdo, and raised fist. We had to persuade him to photograph me in a less predictable posture.“
78
Die Reaktion des Fotografen verdeutlicht für Davis, dass der Style die Inhalte und Forderungen überdecke und somit diese nicht ergänze, sondern in einem ausschließenden Verhältnis zu diesen stehe.
77 Ongiri: Spectacular Blackness, S. 74-75. 78 Davis: Afro Images, S. 27-28.
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Was in diesem von Angela Davis angeführten Beispiel deutlich wird, ist die Ambivalenz von Style Politics. Die intendierte Bedeutung der Performanz von Militanz und Visibilität seitens der BPP ist niemals monolithisch, sondern stets kontextabhängig und bietet Möglichkeiten für unterschiedliche Rezeptionsweisen. Der Panther-Style, der als integraler Bestandteil einer performativen Politik gedacht war, die selbstbewusstes, militantes Schwarzsein verkörpern sollte, findet sich hier auf eine banale fotogene Modenschau reduziert, die Gefahr läuft, als oberflächliche Pose gelesen zu werden. Das Beispiel von Angela Davis zeigt somit, dass es kaum Möglichkeiten gibt, die Styleelemente gegen eine in den Augen der Panther triviale und kommodifizierte Lesart zu immunisieren. Die Rezeption ist immer in einen Kampf um die Hegemonie innerhalb der Repräsentationsordnungen eingebunden.
G ENDER
UND
S TYLE
Wie ich bereits an vielen Beispielen gezeigt habe, werden mit Style Politics immer gesellschaftliche Strukturkategorien wie Race, Class und Gender verhandelt. Insbesondere wie schwarze Geschlechteridentität mit dem Styling der Panther konstruiert wurde, soll im Folgenden gezeigt werden, wobei ich die Abkoppelung von Gender von anderen Strukturkategorien nur aus heuristischen Gründen vornehme – sie sind im Grunde genommen nicht voneinander separierbar. Die Style Politics der BPP dienten vornehmlich dazu, schwarze Maskulinität wiederherzustellen, die von vielen schwarzen Männern in den 1960er Jahren als beschädigt angesehen wurde, und diese performativ zu resignifizieren. Dass die sogenannte „Krise der Männlichkeit“ in den Anfangsjahren der Organisation von den Haupttheoretikern der BPP als akut bedroht wahrgenommen wurde, geht aus vielen Äußerungen beispielsweise von Huey P. Newton oder George Jackson hervor.79 Newton führt diese in einem Text von 1967 auf den omnipräsenten Rassismus zurück, dem der schwarze Mann ausgesetzt sei: „The lower socio-economic Black male is a man of confusion. [...] All his life he has been taught (explicitly and implicitly) that he is an inferior approximation of humanity. As a
79 Vgl. hierzu auch Norbert Finzsch: „Gay Punk, White Lesbian, Black Bitch“. Zur Konstruktion des schwarzen männlichen Revolutionärs durch die Black Panther Party – 1966 bis 1982, in: Rainer Hering/Rainer Nicolaysen (Hg.): Lebendige Sozialgeschichte. Gedenkschrift für Peter Borowsky, Wiesbaden 2003, S. 206-220; Dorestal: „We shall have our manhood“, S. 105-108.
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man, he finds himself void of those things that bring respect and a feeling of worthiness. He looks around for something to blame for his situation, but because he is not sophisticated regarding the socio-economic milieu and because of negativistic parental and institutional teachings, he ultimately blames himself.“
80
Die ständige rassistische Diskriminierung bewirke demnach ein Minderwertigkeitsgefühl, und der schwarze Mann suche die Gründe für sein Scheitern in seiner eigenen scheinbaren Unfähigkeit, anstatt äußere Faktoren wie Rassismus als Ursache zu identifizieren. Dieser Minderwertigkeitskomplex wirke sich letztlich laut Newton auch auf das Styling aus, weil dieses als ein Weg erscheine, die dem schwarzen Mann vormals verwehrte Anerkennung zu erlangen: „In a desperate effort to assume self-respect, he rationalizes that he is lethargic; in this way, he denies a possible lack of innate ability. If he openly attempts to discover his abilities, he and others may see him for what he is – or is not, and this is the real fear. He then withdraws into the world of the invisible, but not without a struggle. He may attempt to make himself visible by processing his hair, acquiring a ‚boss mopދ, or driving a long car, 81
even though he can’t afford it.“
Das Styling der Haare als „Process“, also als artifiziell geglättet, ebenso wie andere Äußerlichkeiten und Statussymbole wie ein dickes Auto, sollen dieses Minderwertigkeitsgefühl kompensieren. Sie dienten dem Ausbruch aus der Unsichtbarkeit; es soll stattdessen eine Hypervisibilität geschaffen werden, mit der die verwehrte gesellschaftliche Anerkennung erreicht würde. Doch dieses Unterfangen misslingt laut Newton. Die Style Politics der Panther können ausgehend von dieser durch Newton und anderen konstatierten Diagnose der vermeintlichen „Entmännlichung“ als ein Versuch gelesen werden, eine solche Sichtbarkeit zu kreieren, die die vormalige politische und kulturelle schwarze Unsichtbarkeit beseitigen soll.82 Die Inszenierungspolitiken der Black Power-Bewegung im Allgemeinen und der BPP im Besonderen orientierten sich dabei vielfach an einer Vorstellung von schwarzer Hypermaskulinität, die emanzipatorische Entwürfe von Weiblichkeit kaum repräsentierte. Michele Wallace, eine afroamerikanische Feministin, kriti-
80 Huey P. Newton: Fear and Doubt, May 15, 1967, S. 1, in: HPNC Series 1, Box 48, Folder 6, S. 2. 81 Newton: ebd. 82 Literarisch adressiert Ralph Ellisons Klassiker Invisible Man die Thematik der schwarzen Unsichtbarkeit. Ralph Ellison: Invisible Man, New York 1947.
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siert in ihrem umstrittenen Buch Black Macho and the Myth of the Superwoman das Auftreten vieler Gruppen denn auch wie folgt: „To most of us [women, P.D.] Black Power meant wooly heads, big black fists and stern faces, gargantuan omnipotent black male organs, big black rifles and foot-long combat boots, tight pants over young muscular asses, dashikis, and broad brown chests.“83 Die feministische Kritik von Frauen in der BPP am Sexismus innerhalb der Partei zeigte nach einiger Zeit zumindest bei der Führungsriege jedoch Wirkung. In einem Interview äußerte Huey P. Newton sich später in aller Deutlichkeit über Geschlechterverhältnisse in der BPP und erklärte den Wandel, den die Organisation diesbezüglich seit den Anfängen der Organisation bis zum Sommer 1970 vollzogen hatte, als Newton eine Rede über Gay and Women’s Rights hielt: „LNS: What kind of reaction did you get to your letter to the Party about Gay Liberation and Women’s Liberation? Huey: They were very happy that this should come from the Party, out of all people – people seem to be very surprised. LNS:
Who was that?
Huey: The women’s liberation people. They were very happy that the Party was attempting to relate to them. Within our Party we‘re not completely rid of male chauvinism (laughter). I think that we are trying, we’re making an honest effort. Women in our Party can participate at any level in the Party. We‘re constantly fighting those bourgeois attitudes of male chauvinism. We are advancing, we try to keep our ranks open – there are women ministers in the Party. All women are trained, just as the men, with the revolutionary tool. At every level I think that the women should be included. “
84
Newton beschreibt hier den allmählich einsetzenden Prozess, den innerhalb der Organisation bestehenden Sexismus abzubauen und eine egalitäre Stellung der Frauen anzustreben. Carol Giardina kommentiert diese Veränderungen der BPP in Bezug auf Sexismus und Selbstkritik wie folgt: „The Panthers engaged in public self-criticism on sexism. Far from indicating the severity of male chauvinism in the party, this should be understood as precisely the opposite – an
83 Michele Wallace: Black Macho and the Myth of the Superwoman, New York 1978, S. 60. 84 The Whole Revolution Will be Kicked OFF... An Interview with Huey P. Newton (L.N.S.), in: HPNC, Box 57, Folder 8:, S. 4.
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expression of the growing strenght of feminist forces within the BPP. That this self-criticism took place while the party was subjected to attacks by the FBI and local police is a remarkable indication not only of feminism within the party but also of the party’s courage.“
85
David Hilliard beschreibt in dem Vorwort zu einem geplanten Buch von Robert Sandarg über den französischen Schriftsteller Jean Genet, wie stark Genets Einfluss insbesondere in Bezug auf eine Veränderung der Einstellung zu Homosexualität in der BPP war: „Soon after this incident [when Panthers, among them Hilliard, had used homophobic expressions, P.D.] the Panthers held the first of several classes in which Genet, through an interpreter, attacked homophobia. Hilliard recalls: ‚Genet became our educator; he enlightened us and humanized us. ދIn fact, it was Genet who modified the Party’s outlook and led Huey Newton, through articles in The Black Panther, the Party newspaper, to advocate homosexuality as a viable alternate lifestyle. [...] On September 6, 1970, the Gay Liberation Front recognized the Black Panther Party as the vanguard of the revolution. The FBI would later use the Panthers’ new stance to exploit divisions within the Party, since some members still opposed relating to gays.“86
Die Unterstützung der Rechte von Homosexuellen nahm nach der Rede von Newton über Gay and Women’s Rights in den 1970er Jahren in der BPP weiter zu. Bobby Seale und Elaine Brown machten dies zu einem zentralen Eckpunkt ihres Wahlprogrammes bei ihren Kandidaturen um das Bürgermeister- bzw. Stadtratsamt: „Bobby Seale and Elaine Brown, people’s candidates for Oakland city offices have announced their support of Gay rights for Oakland and have pledged themselves to work for an end to the oppression of Gay people as part of their campaign to serve all the people of the city. Gay men and women who reject the definition of homosexuals as mentally ill, are another part of the population who have been oppressed by and are invisible to the Read-
85 Carol Giardina: Freedom for Women. Forging the Women’s Liberation Movement, 1953-1970, Gainesville u.a. 2010, S. 214. 86 David Hilliard: Foreword, in: Robert Sandarg: Jean Genet, unver. Manuskript, o.O. und J., in: HPNC, Series 2, Box 60, Folder 3S. 58.
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ings, the Kaisers, and the Oakland Tribune. Now they will be part of a coalition of people supporting Bobby and Elaine and a people’s platform for change in Oakland.“
87
Die zu Beginn der 1970er Jahre erfolgte allmähliche Hinwendung von Newton und anderen aus der Führungsriege der BPP zu einer emanzipatorischen Genderpolitik, die Homophobie und Sexismus denunzierte,88 war im Vergleich zu anderen linken Gruppen der damaligen Zeit ungewöhnlich. Das FBI versuchte deshalb hieraus Spannungen zu erzeugen. In einem internen Memorandum des FBIChefs J. Edgar Hoover an Geheimdienstmitarbeiter/innen heißt es diesbezüglich: „Counterintelligence action by San Francisco to capitalize on Huey P. Newton’s favorable stand towards homosexuals has already been authorized by the Bureau.“89 Durch COINTELPRO-Maßnahmen sollten die emanzipatorischen Positionen, die Newton Anfang der 1970er Jahre in seiner Organisation und darüber hinaus in Bezug auf Homosexualität zu propagieren versuchte, als kritikwürdig dargestellt werden. Es wurde somit wohl auch intendiert, dass das Bild der BPP als hypermaskulin unterminiert würde, weil Homosexualität damals mit „Effemination“ oftmals gleichgesetzt wurde. Dies hätte das Ansehen bei anderen radikalen Black Power-Gruppierungen, die fast ausnahmslos sehr homophob eingestellt waren, stark beschädigt.90
87 Why Gay People Should Vote for Bobby Seale and Elaine Brown. People’s Campaign Supports Gay Rights, in: HPNC, Series 2, Box 46, Plakat: March 17, 1973. 88 „To support men like Zayd and adress gender tensions in the party, the national leadership sent Don Cox and Masai Hewitt to eradicate ‚sexual facism ދin local offices across the country by speaking to the men of each chapter about the Panthers’ official stace against sexism.“ Estes: „I Am A Man!“, S. 169-170; Vgl. auch Matthews: ‚No One Ever Asks, What a Man’s Role in the Revolution Isދ, S. 267-304; Huey P. Newton: The Women’s Liberation and Gay Liberation Movements, August 15, 1970, in: ders: To Die for the People, New York 1972, S. 152-155. 89 Director, FBI: Counterintelligence Program/Black Nationalist – Hate Groups/Black Panther Party (BPP)/Racial Matters, 9/16/70, in: Panther Files, Reel 1, Schomburg Center for the Study of Black Culture, New York. 90 Vgl. stellvertretend für den Cultural Nationalism Amiri Baraka und dessen Aufsatz: American Sexual Reference: Black Male, in: ders.: Home. Social Essays, New York 1966, S. 216-233; ausführlich dazu Dorestal: „We shall have our manhood“, S. 109117.
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„S LOPPY APPEARANCE WILL NOT BE TOLERATED AT ALL !“ – D IE NEUEN S TYLE P OLITICS DER BPP Im August 1974 übernahm Elaine Brown den Vorsitz der BPP, als Huey P. Newton aufgrund eines von staatlicher Seite gegen ihn erhobenen Mordvorwurfs nach Kuba floh.91 Bereits nach dem Bruch innerhalb der BPP im Jahre 1971, ausgelöst durch die Meinungsverschiedenheiten zwischen Eldridge Cleaver um die zukünftige Ausrichtung der BPP und verbunden mit der massiven Repression des FBI und des COINTELPRO, war die BPP zu diesem Zeitpunkt schon stark dezimiert.92 Die Chapter in anderen Städten wurden geschlossen, und lediglich in Kalifornien blieben die Panther aktiv. Mitte der 1970er Jahre wurde unter dem Vorsitz von Elaine Brown deshalb eine stärkere Hinwendung zu den sogenannten Survival-Programms vollzogen.93 Statt der gewaltsamen Konfrontation wurde zudem versucht, politische Veränderungen nun mit moderaten Mitteln zu bewirken.94 In einem Interview mit verschiedenen Exil-Panthern auf Kuba, unter anderem Huey P. Newton, betonen diese, dass die Beteiligung an und Kandidatur für Wahlen einer neuen Situation geschuldet sei: „Well, we intend to – to continally [sic] – to work in electoral politics until such time that the people decide that we can get nothing out of the electoral process. And I think that this – this was carefully analyzed three or four years ago. And this is why that we thought that it’s necessary to – to work in a more traditional structure. I think that there’s –it’s possible to get something, some improvements, even through the electoral process. I don’t [...] believe now, as we didn’t believe then, that the total question will be answered through the 95
electoral process.“
91 Vgl. zu Elaine Browns Sicht auf ihre Zeit als Vorsitzende der BPP ihre Autobiographie: Elaine Brown: A Taste of Power. A Black Woman’s Story, New York 1992. 92 Vgl. Churchill: „To Disrupt, Discredit and Destroy“; Mumia Abu-Jamal: We Want Freedom. A Life in the Black Panther Party, Cambridge, MA 2004, bes. S. 117-158. 93 Vgl. JoNina Abron: „Serving the People“: The Survival Programs of the Black Panther Party, in: Jones: The Black Panther Party Reconsidered, S. 177-192. 94 Im Vergleich zur Geschichte der BPP von ihrer Gründung bis zum internen Bruch zwischen dem Flügel um Newton und dem von Cleaver im Februar 1971 ist die Phase seit 1971 bis zu ihrer offiziellen Selbstaufösung 1982 noch wenig erforscht. Am ausführlichsten hierzu ist Murch: Living for the City, S. 191-229. 95 Havanna libre [Interviews mit verschiedenen Panthern auf Kuba, o.J.], HPNC, Series 1, Box 3, S. 14.
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Im letzten Satz wird klar, dass es sich dabei um eine taktische Entscheidung handelt, die den momentanen Bedürfnissen der Black Community und den Kräfteverhältnissen in den USA Mitte der 1970er Jahre geschuldet ist. Elaine Brown kandidierte 1977 für den Stadtrat, Bobby Seale für das Bürgermeisteramt von Oakland. Die radikale Transformation der Panther von einer gewaltbereiten Gruppe hin zu einer sich für gemeinnützige Programme einsetzenden und für Wahlen kandidierenden Organisation blieb nicht unbemerkt. Auffällig war für die Medien zudem der scheinbare Kontrast in den Style Politics der BPP Ende der 1960er mit denen Ende der 1970er Jahre. Der Honolulu Advertiser schrieb beispielsweise: „The woman who now runs the Black Panther Party says the once-feared revolutionary organization, which bolted to world fame in its gun battles with police, is gaining power as a peaceful community force. ‚We were a threat and we still are a threat ދsays Elaine Brown. ‚And the threat is not in the number of guns [...] but in the number of people who can be influenced to seize control of their lives.[ ދ...] Of her own taste for elegant clothes, the young, attractive Panther chairwoman says: ‚People get involved in superficialities. If you take off a pair of jeans and put on a skirt, they think your whole person has changed because you changed your clothes.“ދ
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Elaine Brown widerspricht hier vehement der Vorstellung, die Panther wären keine Gefahr mehr für das politische Establishment der USA, nur weil sie sich nun schwerpunktmäßig Community-Programmen widmen würden. Der veränderte Style der Panther, den sie vor allem als Vorsitzende repräsentiert, ist für sie kein Indiz für eine fehlende Radikalität und Militanz. Sie beharrt vielmehr darauf, dass dies nur Oberflächlichkeiten seien, ihre elegante Kleidung statt Lederjacken und Jeans jedoch keinesfalls ein Ende der gesellschaftsverändernden Ziele der BPP bedeuten würden. Auch ein Journalist des afroamerikanischen Magazins Jet, James Stephens, stellt bereits im Mai 1972, also nur wenige Monate nach dem Bruch innerhalb der BPP und ihrer ideologischen Neuausrichtung, eine damit korrespondierende neue Style Politics fest. „It was this man [Newton] who gave the Party its old image of ‚bad-ass niggers ;ދthat is, tough and ready to pull the gun in self-defense.“97 Stephens thematisiert auch die neue Style- und Inszenierungspolitiken
96 N.N.: Black panthers now have new approach, in: Honululu Advertiser, 14. Oktober 1977, zit. nach HPNC, Box 49, Folder 5. 97 James Stephens: Inside Report on Transformed Black Panthers, in: Jet, 11. Mai 1972, S. 21-30, hier: S. 23.
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der Panther und sieht diese als Indikatoren der erfolgten neuen strategischen Ausrichtung an: „Images of the old Newton are in direct conflict with the image that is now being constructed and projected across the land. Once there was a Newton who sat in a wooden African chair with shotgun in one hand and spear in the other, tam jauntily cocked to one side and clothed in black. Now, there is a Newton who sits in a brown leather chair, his Afro combed thoroughly and the gun is missing. But that look of sternness [...], the cold, piercing stare that became indicative of all Party members remains [...].“
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Stephens konstatiert hier eine nach wie vor vorhandene Entschlossenheit, die sich im Blick von Newton spiegeln würde. Jedoch sei die Inszenierung und performative Praxis eine andere geworden. Die Style Politics der Anfangstage, in denen Newtons Bild mit Speer, Gewehr und Lederjacke im Korbstuhl sitzend tausendfach von der BPP reproduziert wurde, waren jedoch endgültig vorbei. Nunmehr legte Newton Wert auf ein gepflegtes Äußeres, dass Respektabilität suggerieren sollte – eine Strategie, die stark an die Anfänge der Bürgerrechtsbewegung erinnert. Diese Beobachtungen von Stephens über die neuen Style Politics der BPP Mitte der 1970er Jahre stehen auch in Einklang mit Anweisungen der Party an ihre Mitglieder. In einer internen Direktive vom März 1973 an die Parteimitglieder wird festgehalten: „This statement is to make it clear to all comrades that our Party can not function without organizational discipline, discipline within the collective and the attainment of self-discipline within each one of us. We stand firm on our decision from long ago to suggest different forms of correction for particular and specific violations of policy and principle.“
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Hier werden alle Parteimitglieder ermahnt, diszipliniertes Auftreten an den Tag zu legen. Man könnte auch von Selbsttechnologien sprechen, die angewandt werden sollen, um selbst und in den Augen anderer Geschlossenheit, Stärke und politische Attraktivität auszustrahlen.100 Explizit wird in diesem Zusammenhang auch auf das Styling eines jeden Panthers abgehoben. Es wird penibel aufge-
98
Stephens: Inside Report, S. 23-24.
99
Central Committee of the BPP: Organizational Discipline, 21. März 1973, in: HPNC, Series 2, Box 4, Folder 2.
100 Vgl. Foucault: Technologien des Selbst.
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führt, welche und wie viele Kleidungsstücke jedes Mitglied besitzen soll.101 Dort heißt es beispielsweise: „Inspection Check List: E. Offensive Smelling Body Odors Will not be Tolerated At All: ·
All Party members are to take a bath and or shower daily.
·
Hair is to be combed and kept neat at all times.
·
Teeth brushed at least twice a day and breath smelling clean at all times.
·
Ears washed and cleaned of all wax, grease and dirt at all times
·
Hands constantly washed and cleaned.
F. Sloppy APPEARANCE Will not be Tolerated At All: ·
Clothes must be clean, kept neat and repaired at all times. (Including no missing buttons, busted seams or holes, etc.)
·
Shoes must be kept polished, clean of all mud, crud, dirt, etc.
·
If there are belt loops on your pants and/or skirts you must wear a belt.
·
Eyeglasses must be kept clean at all times
·
All jewelry must be kept cleaned and polished.
·
Brief cases, purses, wallets must be kept in a clean neat order at all times.“102
Weiter wird darauf insistiert, dass Barthaare immer sauber geschnitten sein müssen und das Gesicht bei Männern, die keinen Bart tragen, tadellos rasiert sein müsse. Aus diesen Anweisungen wird deutlich, dass die Style Politics der BPP sich im Laufe ihrer Geschichte, bedingt durch die unterschiedlichen politischen Kontexte und der von ihr verfolgten Ziele stark verändert haben. Die Verkörperung von Militanz und Radikalität in der Anfangsphase, performt mithilfe des Gewehrtragens und des gesamten Styles, wird Mitte und Ende der 1970er Jahre aufgegeben für ein respektables Erscheinungsbild, das kompatibler zu sein scheint mit der Orientierung auf Community-Programme, der Erringung parlamentarischer Ämter und der Vermeidung von gewaltsamen Konfrontationen mit der Staatsmacht. Die BPP adressierte nicht mehr primär das Lumpenproletariat, was sich in den Anfängen der Organisation in den Zeichnungen von Emory Douglas mit African Americans in abgewetzten Kleidern gezeigt hatte, jedoch nicht über die militärisch peniblen Kontrollen des Stylings und des Körpers selbst erfolgt war. Die Inspektionslisten und die Anweisungen an die Mitglieder Mitte der 1970er Jahre ist jedoch ein Anzeichen dafür, dass ein in seiner Öffent-
101 Vgl. die Listen: Required Clothing for Sisters: Dress Wear; Work/Leisure Wear; Required Clothing for Brothers: Dress Wear, in: HPNC, Series 2, Box 4, Folder 4. 102 Inspectionlist, in: HPNC, Series 2, Box 4, Folder 4, H.i.O.
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lichkeitswirkung respektabler, weil makelloser Style vom Zentralkomitee als adäquat für die veränderten Ziele der BPP angesehen wurde. In einem EbonyArtikel vom August 1973, in dem über die Kampagne von Bobby Seale berichtet und dieser interviewt wird, zeigt schon die kommentierte Fotostrecke, die verschiedene Aufnahmen von Seale enthält, dass dessen Style Politics nun auf die schwarze Mittelschicht abzielend interpretiert werden. Es heißt in dem Artikel etwa, bezugnehmend auf ein Bild des Mitbegründers der BPP: „In surprise switch from militant to middle-class image, an impeccably attired Seale outlines political platform (above) during his recent campaign for mayor […].“103 Seale betont anlässlich seiner Kandidatur für das Bürgermeisteramt jedoch, dass sein neuer Style nichts an seinem Engagement für die Belange der African Americans ändern würde: „The dress doesn’t make any difference. That’s real, beyond the surface image.“104 Vom Interviewer wird Seale nochmals direkt auf die radikale Veränderung seines Stylings angesprochen, die sich im Tragen einer Krawatte äußern würde: „By wearing a tie, are you wearing a mask? And behind the mask, is there a smiling cobra?“105 Der Journalist insinuiert mit dieser Frage also, dass das neue Styleing von Seale ein Täuschungsmanöver sei, um die Menschen von den wahren, schlangenartig-verschlagenen Absichten zu täuschen. Darauf entgegnet Seale jedoch: „I wore a tie back in 1968. It’s not anything false or phony. But I think people are a little bit more conscious than the tie concept. I wear the tie because of the value of it in terms of the consciousness of my people. I know that my people relate to the slick, EBONY-JET type, especially the older people. And I repeat: nobody said nothing about Malcolm X wearing a tie. I paid my dues and I think people see beyond that surface thing.“
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Seale bestreitet hier einerseits den Vorwurf der Täuschungsabsicht über seine wahren Motive, die sein neues, respektables Styling verdecken würde, wie der Journalist nahegelegt hatte. Mit Verweis darauf, dass er eine Krawatte bereits 1968 getragen habe und zudem auch Malcolm X mit einer solchen oft aufgetreten sei, ohne dass Zweifel an dessen politischer Integrität und Radikalität aufgekommen wären, entkräftet er die Kritik von Mason. Gleichzeitig gesteht Seale zu, dass ein in den Zeitschriften Ebony und Jet hofiertes Bild von gepflegtem Er-
103 B.J. Mason: A Shift to the Middle. Chairman Bobby Seale changes Black Panther image to fit the times, in: Ebony, 28. August 1973, S. 80-87, hier: S. 81. 104 Bobby Seale, zit. nach Murch: Living for the City, S. 191. 105 Mason: A Shift to the Middle, S. 87. 106 Mason: ebd.
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scheinungsbild, welches ein Mittelklassestyling ausdrücke, Anklang in der afroamerikanischen Community finde, weshalb es legitim sei, eine Krawatte zu tragen. Eine alternative Deutung für die veränderten Style Politics der BPP Anfang der 1970er Jahre liefert der ehemalige Bodyguard von Huey P. Newton, Florence A. Forbes in seinen Memoiren. Ausführlich äußert sich dieser über die neuen politischen Strategien und die Neuausrichtung der BPP, insbesondere nach dem endgültigen Bruch innerhalb der Partei zwischen der Newton-Fraktion und der Gruppe um Eldridge Cleaver, Geronimo Pratt und dem New York-Chapter der BPP vom Februar 1971. Durch seine zentrale Position innerhalb der BPP verfügte Forbes über sehr detaillierte Kenntnisse zu internen Abläufen der Organisation. Er schreibt: „We began working on changing our image in the early 1970s and our individual appearances. We realized that we had alienated parts of the community with our rhetoric, bravado, and just outright bad behavior. So we stopped wearing the garb that was deemed the clothing of the revolutionary. We shed our black leather jackets, field jackets, jungle boots, buttons, and all the things associated with the media’s stereotypical picture of us. The brothers who had earrings had to stop wearing them, including me. And if you were one of those Panthers who wore a 50-caliber shell around your neck, well, that had to go. We began to dress like the masses so that we could blend in. The uniforms and other garish outfits may have been fine in the beginning, but we were settling down to business, so we had to get serious about the whole idea of fighting this revolution to win. So this blending-in concept was the basic premise behind our shadow security. When Bobby and Elaine showed up at a candidate’s night or event or at just another speaking engagement, the chairman was wearing a suit and a tie and Elaine was suited and booted in a dress, heels, the whole nine yards. Their personal security people would also be dressed in suits, ties, et cetera. [...] And the retinue of campaign workers would be dressed similarly while they distributed campaign literature and sold papers that offered campaign themes.“
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Forbes beschreibt hier den neuen angepassten, massentauglicheren Style der Panther. Die gesamte Inszenierung der BPP in den Anfangsjahren hatte ihm zufolge zu einer Entfremdung von der schwarzen Community geführt. Anstatt deren Probleme zu adressieren, führte das martialische Auftreten der Panther dazu, auch Teile der schwarzen Bevölkerung zu brüskieren. Deswegen habe die BPP bewusst ihre Style Politics geändert, um eine dem Streben nach öffentlichen
107 Flores A. Forbes: Will You Die with Me? My Life and the Black Panther Party, New York 2006, S. 80-81.
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Ämtern wie dem Bürgermeisteramt oder dem Stadtrat adäquate Respektabilität zu performieren. Das frühere militante Image der BPP vertrug sich nicht mit dem Anschein von Seriosität, den die Kandidatur für Staatsämter erforderte. Deshalb waren Anzüge bzw. elegante Kleider, die Gesetztheit symbolisierten, dem vormals typischen militanten und legeren Panther-Style mit Lederjacke, Sonnenbrille und Gewehr vorzuziehen. Allerdings betont Forbes, dass der neue, Respektabilität ausdrückende Style, der die Hinwendung zu einer moderaten und gewaltlosen Form der Politik signalisieren sollte, lediglich ein taktisches Manöver war, welches als subversive Strategie gedeutet werden kann, um Kräfte zu sammeln und zu einem späteren Zeitpunkt wieder den militanten Kampf aufzunehmen. „If we needed to change our rhetoric in order to fool the opposition, we did so. If we needed to change the way we dressed in order to deceive the local police and other law enforcement agencies, we did so. We had announced that we were laying down our guns in order to cut back on police attacks and murders, though we did not mean it. It was just another urban guerrilla adaptation. We made political statements for military reasons that would buy us time until we regrouped for another push against the system and society.“
108
Die BPP konnte jedoch die von Forbes hier angesprochenen ambitionierten Ziele nicht mehr erreichen. Ihr Wirkungskreis blieb nach dem parteiinternen Bruch auf Oakland beschränkt, sie betrieb dort weiterhin Community-Programme, wurde allerdings aufgrund des zunehmend autokratischen Führungsstils von Newton und Elaine Brown für die schwarze Bevölkerung unpopulärer.109 Die Black Panther lösten sich schließlich 1982 aufgrund der geringen Mitgliederzahlen offiziell auf.
„W ALKING S OFTLY BUT C ARRYING I T B IG “ E LDRIDGE C LEAVERS M AN P ANTS Aufschlussreich für die Art und Weise, wie sich Diskurse über geschlechtliche und „rassische“ Identität durch Style manifestierten und unauflöslich mit diesem
108 Forbes: Will You Die with Me, S. 166. 109 Vgl. Brief von Dr. Jay W. Friedman, Dec. 13, 1977 in: HPNC, Series 2, Box 41, Folder 5. Vgl. auch Murch: Living for the City, S. 221: „While [Elaine, P.D.] Brown courted liberals outside, within the BPP she and Huey Newton implemented a brutal top-down hierarchical organization that led to many abuses of the rank and file.“
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verbunden sind, ist die Modeschöpfung des ehemaligen Informationsminister der Panther, Eldridge Cleaver, die im Folgenden untersucht werden soll. Anhand der sogenannten Man Pants will ich zeigen, wie komplex die Style Politics in den 1960er und 1970er Jahren waren, und wie sich Strukturkategorien von Race, Class und Gender gegenseitig beeinflussten. Anlass für die „Man Pants“ war laut Cleavers eigenem Bekunden seine kritische Auseinandersetzung mit einem Text des Herausgebers des Playboy-Magazins, Hugh Hefner, über Sexualität.110 Darüber hinaus, so erklärte er in einem Gespräch mit dem Oui Magazine, wurde er in Frankreich beim Flanieren durch die Straßen von Cannes zu seiner Modekollektion angeregt: „Recently I was watching people walking on the Croisette in Cannes. Everyone looked nice, but the men were in great discomfort. In their tight pants, one was walking with his penis here, one with his penis there...“111 Von dieser Beobachtung inspiriert entwickelte Cleaver eine neue Art von Männerhosen. In der Oktoberausgabe des Rolling Stone vom Jahre 1975 präsentiert Eldridge Cleaver nun seine Man Pants oder auch „Cleavers“. Auf einem dort abgedruckten Bild sieht man ihn mit verschränkten Armen betont lässig stehend, während die Hose im Schritt eine stoffliche Ausbuchtung für die Geschlechtsteile aufweist. Die Cleavers sollten die geschlechtliche Identität des männlichen Trägers offenbaren und nicht – wie bei vielen anderen Kleidungsstücken – verhüllen. Die Dringlichkeit einer Kreation wie der Man Pants in den Augen von Cleaver war symptomatisch für die von ihm diagnostizierte „Entmännlichung“, die er schon früher in seinem Essayband Soul on Ice moniert hatte, dabei den in den USA der 1950er und 1960er Jahre populären Diskurs von der „Krise der Männlichkeit“112 aufgreifend. Die Man
110 „I was in the process of writing an essay for my book, criticizing Hugh Hefner and the whole Playboy influence on sexuality in the Western world, on how ideology is structured into our clothing, on how decisions are made as to how our clothing is cut without our even being aware of it.“ Jerome McFadden: Last Interview with Eldridge Cleaver before prison, in: Sepia, 2. Mai 1976, ohne Paginierung, zit. nach HPNC, Series 2, Box 41, Folder 10. 111 Eldridge Cleaver: Interview mit Oui Magazine, January 1976, zit. nach HPNC, Series 1, Box 49, Folder 10, S. 1. 112 Zu den konzeptionellen Problemen bei der Rede von der „Krise der Männlichkeit“ vgl. Felix Krämer: Playboy tells his story. Geschichte eines Krisenszenarios um die hegemoniale US-Männlichkeit der 1970er Jahre, in: Feministische Studien 27, 1 (2009): S. 83-96.
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Pants waren insofern ein Novum, als sie nun auf visuell-materieller Ebene die Antwort auf die „Emaskulation“ lieferten, die Cleaver beklagte.113 Die Redaktion des Rolling Stones bewarb Cleavers Modeschöpfung vollmundig mit den Sätzen: „Walking Tall…Walking Proud…Walking Softly but Carrying It Big…You’ll Be Cock of the Walk with the NEW FALL COLLECTION From ELDRIDGE DE PARIS.“114 Die Hosen werden damit als die neue Herbstmode aus Paris angepriesen, aus der Modemetropole kommend und somit als der letzte Schrei. Zudem wird das Tragen der Hose mit Attributen belegt, die den Träger als groß, selbstbewusst und sexuell potent erscheinen lassen. Weiter heißt es: „Life is just a chain of daisies when you slip into (careful now) these revolutionary hot pants…with their ever-so-daring accent provocateur – just unveiled by famous radical designer Eldridge Cleaver.“115 In diesen Zeilen wird nun einerseits auf den politischen Gehalt der Hosen abgehoben, die als revolutionär bezeichnet werden. Darüber hinaus wird aber auch ihr provokantes Moment betont: Durch das ostentative Zurschautragen der Geschlechtsteile seien die Hosen außergewöhnlich, denn sie vereindeutigten, was zunehmend uneindeutig erscheine. Der Umstand, dass in den USA seit den 1960er Jahren Frauen, die Hosen trugen, eine verbreitete modische Erscheinung wurden, und dieses Kleidungsstück somit seine Bedeutung als geschlechtlicher Signifikant zunehmend verlor,116 scheint Cleaver dazu bewogen zu haben, eine „Remaskulinisie-
113 Die Man Pants weisen eine frappierende Ähnlichkeit zu der Photographie Man in Polyester Suit des Künstlers Robert Mapplethorne von 1980 auf. Dort ist der untere Teil eines Anzuges abgebildet. Die Hände des schwarzen Mannes sind zu sehen, während sein Gesicht abgeschnitten ist. Aus dem Hosenschlitz ragt ein Penis. Dieser Kontrast, seriöser Anzug, der den Körper bedeckt, und sichtbarer Penis, stellt einen Bruch mit der Erwartungshaltung der betrachtenden Person dar. Bei Cleavers ist der Penis sichtbar, aber gleichzeitig unsichtbar, weil er in einem Lederetui zur Schau gestellt wird. Vgl. zu Mapplethorne: Susan Gubar: Racechanges. White Skin, Black Face in American Culture, New York/Oxford 1997, S. 172-174. 114 Rolling Stone, October 1975, S. 65 H.i.O., P.D. Leider erhielt ich vom Rolling Stone keine Abdruckgenehmigung für die Man Pants. Ein Faksimile von Cleavers Modeschöpfung findet sich allerdings im Internet unter: http://undercoverblackman.blog spot.com/2007/09/eldridge-cleaver-fashion-visionary.html [15.04.2010]. 115 Rolling Stone, ebd., H.i.O. 116 Vgl. allerdings das Buch Radical Rags, in dem das Modemagazin WWD zitiert wird. Daraus geht hervor, dass das Verschwimmen der geschlechtlichen Marker bei Kleidungsstücken positive Effekte zeitigen würden: „‚And the ironic thing ދWWD observes, ‚is the young men who look most fragile and unmasculine – are the ones who
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rung“ der Mode zu betreiben, um damit das (wieder) Männlichwerden des „effeminierten“ Mannes zu bewirken. Diese modische Revolution war dem ehemaligen Informationsminister der Panther zufolge nötig geworden, um einen radikalen Umsturz der bestehenden Verhältnisse zu bewirken, in denen Frauen sich Hosen als Unisex-Mode angeeignet hatten.117 Bei einem Gespräch mit vier Harvard-Studenten, das von Mark Stillman in der Zeitschrift Harvard Crimson dokumentiert wurde, betont Cleaver: „‚Now you see how this is a direct attack on uni-sex. Women can’t wear them, right? Take a look at what you guys are wearing. You are wearing sissy pantsދ, Cleaver said.“118 Dies ist vor dem Hintergrund des seit den 1950er Jahren in den USA immer wieder aufkommenden Diskurses von der „angeblichen Krise der Männlichkeit“ zu verstehen.119 In diesem Kontext wirkt Cleavers Aussage, „The pants that men wear now will be looked upon as girls` pants after my models are sold“120 nur konsequent: Der Vergleich mit seinen Cleavers würde dann deutlich machen, wie „verweiblicht“ die zeitgenössischen Hosen seien. Denn diese seien nicht eindeutig männlich, sondern verdeckten die Geschlechtsidentität des Trägers dadurch, dass die Geschlechtsteile verhüllt seien. Die Man Pants wiesen demgegenüber deutlich auf Penis und Hoden hin, akzentuierten diese gar, und wären somit für Frauen nicht tragbar. Eine geschlechtliche Uneindeutigkeit von Cleavers Modeschöpfung sei also von vornherein ausgeschlossen. Cleavers „Man Pants“ sind Indiz für die ständige Veränderung von Mode, aber auch von scheinbar eindeutigen geschlechtlichen Signifikanten, die immer in einen gesellschaftlichen Kontext eingebettet sind. Dem Krisendiskurs der
get all the girls. ދThe 60s proposed that camaraderie, much as positive/negative attraction, could exist between the sexes. ‚After twenty-five hundred years of lonely separation, they can once again share their experienceދ, Marshall McLuhan wrote in 1968. ‚Likeness in men’s and women’s dress…is terribly healthy‘, WWD had reassured its readers in 1966. ‚It’s a symptom of liking each other. They’ve stopped worrying and their sick preoccupancy with virility. “ދJoel Lobenthal: Radical Rags. Fashions of the Sixties, New York 1990, S. 155. 117 Vgl. das Zitat von Cleaver im San Francisco Chronicle: Ex-Panther Now Designs Sexy Pants, 14. August 1975, S. 1. 118 Mark Stillman: Eldridge Cleaver’s New Pants. Every Revolution Needs a Haberdasher, Right?, in: The Harvard Crimson, 26. September 1975. Abrufbar unter: www.thecrimson.com [24.3.2011]. 119 Vgl. hierzu James Gilbert: Men in the Middle. Searching for Masculinity in the 1950s, Chicago/London 2005. 120 Rolling Stone, ebd.
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Männlichkeit folgend versucht Cleaver mit seiner Modekollektion die Instabilität von geschlechtlicher Identität zu umgehen und eine Eindeutigkeit zu fixieren, was jedoch aufgrund der Fragilität von Identität zum Scheitern verurteilt ist. Die „Cleavers“ sind ein Beispiel dafür, dass Style stets in bestimmte Machtverhältnisse interveniert, in eine hegemoniale Formation, die durch Zitation eines bestimmten Style verfestigt und reproduziert wird, die jedoch auch herausgefordert werden kann, indem Style verändert wird oder einige seiner Elemente rekontextualisiert werden. Allerdings reflektiert Cleaver diese Instabilität und Kontextualität geschlechtlicher und „rassischer“ Identität nicht, sondern hält vielmehr an einem essentialistischen Begriff von Männlichkeit fest. Er begreift diese als unveränderlich und glaubt, dass Männlichkeit lediglich der Restauration bedürfe, um die „wahre Männlichkeit“ wieder freizulegen, die durch Einheitsmode verdeckt worden sei. Die Kreation der Man Pants fiel mit Cleavers zunehmender Distanzierung von der BPP und deren radikalem Eintreten für Black Power zusammen. Nach seiner Rückkehr aus dem französischen Exil im Jahre 1975 hatte der ehemalige Minister of Information bereits einen ideologischen Wandel durchgemacht, wie dies zwei Reporter in Newsweek konstatieren: „Once he was the epitome of black rage – a self-confessed assailant of white women who believed rape was an act of insurrection, a Black Panther spokesman who exhorted his fellows to take up the gun and destroy the system. But now Eldridge Cleaver, fugitive from both Federal and Californian courts, has begun to change. After six years of exile, he seems a softer, mellower man. His beard is gone and so is the fierceness in his hazel eyes. […] The leather outfits of his Panther years have been replaced by turtlenecks and cheap pants. Along with his appearance, Cleaver’s militant rhetoric – and his ideas – seem to have moderated.“
121
Die frühere Performanz von politischer Militanz schlägt sich, so konstatiert Newsweek, also bei Cleaver nicht mehr im typischen Panther-Styling mit schwarzer Lederjacke, Sonnenbrille und Gewehr nieder. Allerdings behält Cleaver in Bezug auf seine Hosen eine positive Konnotation des Wortes „revolutionär“ bei, wie aus dem oben zitierten Beitrag des Rolling Stone deutlich wird. Auch in einem Interview, welches Cleaver dem Harvard Crimson gibt, verteidigt er seine Modeschöpfung gegen Kritik und stellt eine explizite Verbindung zu revolutionärer Politik her: „I’m really amused by the way people react to
121 Kim Williamson with Jane Friedman: Old Panther with a New Purr, in: Newsweek, 17. März 1975, S. 40.
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these pants. People who talk radical, about politics, then start talking conservative about these pants.“122 Cleaver konstatiert also bei einigen Aktivist/innen eine Trennung zwischen revolutionärer Rhetorik und Ideologie einerseits und einer konservativen Auffassung von Mode andererseits, die damit im Widerspruch stünde. Im weiteren Verlauf des Gespräches spricht sich Cleaver für eine neue Auffassung von Sexualität aus, die mit seinen Hosen verbunden sei. Auf die Frage, ob es nicht peinlich sei, mit derartigen den Penis zur Schau stellenden bzw. diesen nur leicht bedeckenden Hosen eine Erektion in der Öffentlichkeit zu bekommen, erwidert Cleaver: „You see, this is the thing I’m trying to get away from — that fig leaf mentality. I’m trying to get people in touch with their bodies and sexuality. It’s amazing now to think that thousands of years ago men were walking around with no clothes on, and thought nothing of it. Now men walk around with clothes on and think nothing of it. What a shock it must have been then, to see the first person wear clothes! And what a shock now, to see a person without clothes. Or with these pants on. [...] What’s wrong with getting an erection and letting people know about it? If a girl turns you on, why not let her know about it? There have been so many games going on between men and women for so long, that when sexuality finally comes out, it takes some pretty weird forms.“
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Er macht hier also einen Rekurs auf gesellschaftliche Umbrüche, die sich an einem Wandel des Stylings festmachen lassen. Cleavers Man Pants sind seiner Auffassung zufolge ein Wegbereiter für eine neue, befreitere Form der Sexualität. Was sich bei Cleaver anhand seiner Modeschöpfung beobachten lässt, ist eine interessante Verschiebung seiner Konzeption des Zusammenhangs von Männlichkeit und Schwarzsein, die eng mit seiner veränderten politischen Einstellung verbunden ist. Cleaver setzte sich nun für ein Ende dessen ein, was er Skin Politics nannte. In einem Interview mit Jerome McFadden von der Zeitschrift Sepia, welches er im Mai 1976 kurz vor seiner Inhaftierung in den USA führte, wird dies deutlich. McFadden beginnt mit einer Frage: „From what youތve said and from what youތre saying here, your interest is really more in a class type thing as opposed to a color type thing? Cleaver: Yeah. I think the whole skin game has limits and pitfalls. I think the whole experience in America has gone past that. Even though there are sparks and contradictions, I think the American people, and I’m
122 Stillman: Eldridge Cleaver’s New Pants. 123 Stillman: ebd.
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talking about the white people, have accepted black people in the United States. So I don’t see any reason to play the skin game any more. I can’t play the skin game any more. It just doesn’t come up. I think there are still people who can make politics out of it. But I think it has a limited future. And I think we’re getting ready to have some brand new pol124
itics.“
Cleaver kommt hier vor dem Hintergrund seiner früher beispielsweise in Soul on Ice geäußerten Positionen zu einer erstaunlichen Feststellung: Identitätspolitik sei obsolet geworden. Die USA seien nun eine Nation, die African Americans gesellschaftlich integriert hätte, weshalb ein gezieltes Eintreten für deren Interessen nicht mehr angemessen sei. Skin Politics seien damit nur noch von begrenztem Nutzen. Noch deutlicher wird Cleaver in einem Interview, welches er der Zeitschrift Africa im Januar 1976 gab. Auf die Frage, was seiner Meinung nach die Rolle schwarzer Menschen und anderer Minoritäten sei, antwortete er: „I don’t want to deal with different colours anymore, I don’t relate to that anymore. I totally reject to be politically identified as an Afro-American; I can’t be ethnically identified that way, but I am an American. I have learnt that in exile, and I believe if all Black people took the same approach, it could have fantastic implications inside America, it could be a tremendous shift of energy. [...] I like to look at the US as a kind of an organization, like all American citizens. That’s primary. The first reaction of a lot of Black cats to this would be: ‚That’s reason to say you are an American first. ދBut Iތm sure that my argument will carry the day eventually.“
125
Aus dieser Passage wird deutlich, dass Eldridge Cleaver in seiner Pariser Exilzeit einen radikalen politischen Wandel durchlaufen hat. Der vormals militante Befürworter von Black Power plädiert nun für einen amerikanischen Universalismus. Cleaver tritt nicht mehr für eine Identitätspolitik von African Americans und die Schaffung von Organisationen mit dem Endziel einer schwarzen Nation ein. Da rassistische Diskriminierung von Schwarzen in den USA nicht mehr akut sei, könne man sich als gleichberechtigte Bürger Amerikas betrachten, so Cleavers Argument. Auch die Bezeichnung als „Afro-Americans“, welche den positiven Bezug auf das eigene Schwarzsein signalisieren sollte, die Referenz also auf die afrikanische Herkunft, lehnt Cleaver nun ab.
124 McFadden: Eldridge Cleavers Last Interview Before Prison. 125 Eldridge Cleaver: The black American activist and author talks to Africa, in: Africa, Januar 1976, zit. nach: HPNC, Series 2, Box 41, Folder 10.
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Interessant ist diese Negation von Schwarzsein vor dem Hintergrund der visuellen Konzeption von Männlichkeit, der Cleaver in seinen Man Pants modischen Ausdruck verleiht. Denn wie schon gezeigt, hatte er noch zuvor in seiner Zeit als Informationsminister der Black Panther Party in Reden und Schriften Männlichkeit immer rassifiziert. Zurückgreifend auf den zentralen Aufsatz von Norman Mailer, The White Negro, wurde der weiße Mann als verweichlicht und emaskuliert beschrieben. Der schwarze Mann sei zwar auch effeminiert; dies sei aber einerseits der Nachahmung des weißen Mannes und andererseits der Rolle der schwarzen Frau, die den Mann dominieren würde, zuzuschreiben. Durch militantes Auftreten könne der schwarze Mann seine Virilität jedoch wiedererlangen.126 Aus Cleavers Äußerungen über seine Man Pants lassen sich jedoch keine Hinweise finden, dass er sie ausschließlich für African Americans entworfen hätte. Vielmehr zeigen seine diesbezüglichen Kommentare und Erläuterungen, dass er sie für Männer im Allgemeinen konzipiert hat. Und die oben zitierten Interviewpassagen, insbesondere über Skin Politics, legen nahe, dass Cleaver nun die Krise der Männlichkeit, auf die die Man Pants eine Antwort darstellen, nicht mehr als spezifisch schwarzes Problem betrachtet, sondern als generelles Männerproblem, dem auch von allen Männern durch das Tragen der Cleavers begegnet werden könne. Eldridge Cleavers Karriere als Modeschöpfer war sehr kurzlebig. Die Man Pants wurden skeptisch betrachtet127 und ließen sich nicht als Kollektion verkaufen. Seine ehemaligen Weggefährt/innen reagierten sehr kritisch auf dessen Man Pants. Huey P. Newton äußerte sich darüber beispielsweise sehr abfällig: „Prior to Eldridge Cleaver’s announcement from his Paris exile that he would return to the U.S. (as he recently did), he declared he was going into pants’ manufacturing. Stealing archaic thoughts, somewhat along the lines of the Richard Nixon-John Wayne-Ronald
126 Vgl. hierzu ausführlich Finzsch: „Gay Punk, White Lesbian, Black Bitch“; Dorestal: „We shall have our manhood“, S. 87-108; S. 119-135. 127 Selbst Kathleen Cleaver, Eldridge Cleavers Frau, reagierte auf die Man Pants äußerst reserviert. Aus ihren Äußerungen in einem Interview lässt sich eine implizite Distanzierung erkennen: „She [Kathleen Cleaver, P.D.] was also less than enthusiastic about the anti-unisex men’s pants her husband designed while he was in Paris, featuring a tube at the crotch. ‚I think the philosophy behind his pants was very interesting. He came up with the idea while he was writing an essay. I think he should have continued to write the philosophyދ, she said, allowing herself a smile for the first time about an hour into the interview.“ Ruthe Stein: Kathleen Cleaver – Back Home, San Francisco Chronicle, 18. Juni, 1976, S. 1.
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Reagan fantasies of a return to the good old days when men were men and ‚niggers ދknew their places, Cleaver re-introduced a version of the use of the 15th and 16th centuries’ European ‚codpieceދ: ‚an ornamented bag or flap appended to the front of the tight britches worn by men... “ދ
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Newton kritisiert Cleavers Man Pants hier als modisches Relikt und Reminiszenz archaischer Zeiten des Wilden Westens und deren entsprechender Renaissance. Die Cleavers erinnerten dabei an Phantasien von Hypermaskulinität, wie sie auch Schauspieler wie John Wayne und Ronald Reagan hegten, die „wahre Männlichkeit“ wieder herstellen wollten, wie es sie damals in dem frugalen und harten Leben der Cowboys gegeben habe. Newton führt im selben Atemzug eine Lesart ein, die diese Form von Männlichkeit bei Cleaver als rassifiziert begreift: Die „wahren“ Männer waren weiß und African Americans auf einen subalternen Status relegiert durch Sklaverei und die Jim Crow-Gesetzgebung. Cleavers ignorieren von Race bei der Erläuterung der Man Pants schreibt – so könnte man Newtons Vorwurf fortführen – eine weiße, heterosexuelle Männlichkeit fest. Unterstützung für diese These findet sich in den oben zitierten Bemerkungen Cleavers zum end of the skin game, in der er Race als relevanten Faktor für die USamerikanische Gesellschaft der 1970er Jahre verneint, da letztere sich zu einem universellen, egalitären politischen System entwickelt habe. Cleavers Modeschöpfung verschwand nach einem kurz aufflammenden Medieninteresse wieder in der Obskurität. Er selbst distanzierte sich während seiner Gefängniszeit nach seiner Rückkehr aus dem französischen Exil 1975 weiterhin allmählich von seinen früheren radikalen gesellschaftspolitischen Vorstellungen. In seinem zweiten, autobiografischen Buch Soul on Fire, 1978 erschienen, beschreibt Cleaver seine Konversion zur christlichen Religiosität, die ihn dazu bewegte, der politischen und christlichen Rechten zugehörige Gegner früherer Tage zu treffen, Gemeinsamkeiten mit diesen festzustellen und sich teilweise sogar mit deren politischen Zielen zu identifizieren.129 Soul on Fire, war eine Momentaufnahme, die einen Wendepunkt in Eldridge Cleavers Leben markiert und ihn später so weit bringt, die konservativen Ansichten des US-Präsidenten Ronald Reagan zu unterstützen.
128 Huey P. Newton: „Punk-Hunting“ (Revised, February, 1976), in: HPNC, Series 1, Box 49, Folder 5, P. 1. 129 Vgl. hierzu Cleaver: Soul on Fire.
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B ECOMING B LACK : T HE Y IPPIES Um die Dynamik von Style Politics in den 1960er und 1970er Jahren zu verstehen und Verschiebungen und Veränderungen von hegemonialen Formationen beobachten zu können, lohnt sich ein vergleichender Blick auf die Yippies. Denn die dort propagierten Vorstellungen von Hairstyling deuten darauf hin, dass Weißsein und Schwarzsein über Hairstyle nun anders interpretiert wurden als in der hegemonialen Lesart der 1950er Jahre und sich die Referenzparameter in Bezug auf Styling nicht nur in der Black Power-Bewegung, sondern auch bei der radikalen weißen Linken in den USA Ende der 1960er und Anfang der 1970er Jahre transformierten. Die Yippies waren eine weiße Protestbewegung, die sich in den USA in den 1960er Jahren bildete und für eine Politik gegen das Establishment, traditionelle, als „spießig“ angesehene sexuelle Beziehungen und gegen den Vietnamkrieg eintrat. Am prominentesten waren die beiden Sprecher der Yippies, Jerry Rubin und Abbie Hoffmann, die mit ihren jeweiligen Büchern Do it! Scenarios of the Revolution bzw. Revolution for the Hell of It die Manifeste der Bewegung publizierten. Die Yippies sind aus zwei Gründen für eine Untersuchung von Style Politics interessant: Zum einen arbeiteten sie anfangs eng mit den Black Panthern zusammen und waren somit teil der radikalen Linken in den 1960er Jahren. Insbesondere aber ihre Attitüde gegen die in ihren Augen zu starke bürgerliche Verkrustung und Konventionen der Mainstream-Gesellschaft führten zu einer Umkehr von hegemonialen Vorgaben der Respektabilität und des Stylings. Der Körper wurde von den Yippies als politische Entität wahrgenommen: Wie dieser gestylt würde, sei somit schon eine politische Performanz, weil damit implizite Vorstellungen von gesellschaftlichen Konventionen attackiert würden. Interessant sind insbesondere die Überlegungen von Rubin und Hoffmann zur Funktion von Hairstyling als Mittel der „rassischen“ Transgression. Abbie Hoffman postuliert in seinem Buch Revolution for the Hell of It eine Verbindung von Hairstyling und Schwarzwerden. Das folgende Zitat, das sich bezeichnenderweise in dem Buchabschnitt findet, der mit „White Niggers“ überschrieben ist, postuliert, dass Weiße durch ihr Styling schwarz werden könnten: „You want to get a glimpse of what it feels like to be a nigger? Let your hair grow long. Longhairs, that new minority, are getting the crap kicked out of them by cops all over the country, and with the beatings and jailings comes the destruction of flower power.“130 Hoffman suggeriert in dieser Passage, Weiße könnten durch einen Langhaarschnitt ähnliche Erfahrungen wie African Ameri-
130 Abbie Hoffman: Revolution for the Hell of It, New York 1970, S. 75.
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cans machen, weil dieser Style für eine Position des Outsiders stehe und von der Polizei mit Gewalt sanktioniert werde. Problematisch an dieser These ist, dass er die historische Dimension von Rassismus ignoriert und Diskriminierung aufgrund eines reversiblen Hairstyle mit einer irreversiblen Markierung über die Hautfarbe gleichsetzt. Zudem bedeutet Rassismus immer den Ausschluss von Ressourcen und den Verzicht auf Privilegien, der bei weißen Langhaarträger/innen je nach Gusto wieder erlangt werden kann, wenn das Erscheinungsbild geändert wird. Ähnlich wie Hoffman stellt die zweite prominente Figur der YippieBewegung Jerry Rubin eine Analogie über Hairstyling hin zu einer Rassifizierung des weißen Körpers her. Rubins Buch Do it! Scenarios of the Revolution avancierte neben Hoffmans Buch Revolution for the Hell of It zum zentralen Text der Yippie-Bewegung. Das 1968 erstmals veröffentlichte Buch versammelte viele kleinere Artikel und Manifeste, die zu zeitgenössischen politischen Begebenheiten Stellung bezogen. Das Eldridge Cleaver ein Vorwort zum Buch beisteuerte, verweist auf die zeitweilige politische Nähe zwischen Yippies und Panthern Ende der 1960er Jahre, die erst 1971 beendet wurde, als sich Cleaver mit Rubin überwarf.131 Der Text Long Hair, Aunt Sadie, Is a Communist Plot setzt sich mit der Rolle von Hairstyling und politischer Positionierung auseinander. Rubin vertritt hier die These, dass weiße Linke, die ihr Haar lang trügen, als Kommunist/innen stigmatisiert und darüber einen ähnlich minoritären Status zugewiesen bekämen wie African Americans. Rubin entwickelt sein Argument in einem rekonstruierten fiktiven Dialog mit seiner Tante Sadie und schreibt dort: „Long hair gets people uptight – more uptight than ideology, cause long hair is communication. We are a new minority group, a nationwide community of longhairs, a new identity, new loyalties. We longhairs recognize each other as brothers in the street. Young kids identify short hair with authority, discipline, unhappiness, boredom, rigidity, hatred of life – and long hair with letting go, lettig your hair down, being free, being open.“
132
Rubin macht also eine Dichotomie auf, die zwischen Langhaar- und Kurzhaarträger/innen verlaufe. Während der Kurzhaarschnitt von Jugendlichen mit der etablierten sozialen und politischen konservativen Ordnung assoziiert würde,
131 Vgl. Leerom Medovoi: A Yippie-Panther Pipe Dream. Rethinking Sex, Race, and the Sexual Revolution, in: Hilary Radner/Moya Luckett (Hg.): Swinging Single. Representing Sexuality in the 1960s, Minneapolis/London 1999, S. 133-178, hier: S. 164. 132 Jerry Rubin: Do It! Scenarios of the Revolution, New York 1970, S. 93.
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wäre der Langhaarschnitt ein Style, der mit diesen Konventionen bräche und Freiheit und Unangepasstheit symbolisiere. Diesen Status des Ausgestoßenseins treibt Rubin dann noch weiter ins Extrem, indem er das Tragen von langen Haaren mit Schwarzsein analogisiert und damit Hairstyling rassifiziert: „Aunt Sadie, long hair is our black skin. Long hair turns white middle-class youth into niggers. America is a different country when you have long hair. We’re outcasts. We, the children of the white middle class, feel like Indians, Blacks, Vietnamese, the outsiders in Amerikan history.“
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Rubin nivelliert damit historisch gewordene Unterdrückungsstrukturen, die African Americans und People of Color mit Rassismus konfrontierten, während das Tragen von langen Haaren eine selbstgewählte Entscheidung ist, die reversibel ist und die zudem nicht die Auswirkungen hat, wie sie Menschen mit Rassismuserfahrungen machen.134 Gegen Ende seines Textes geht Rubin schließlich auf die neue Körperpolitik ein, die mit dem neuen Hairstyling der Yippies einherginge. Diese hätten ein natürliches, ungehemmtes Verhältnis zu ihrem Körper und könnten somit auch eine freiere Sexualität leben. „Man was born to let his hair grow long and to smell like a man. We are descended from the apes, and we’re proud of our ancestry. We’re natural men lost in this world of machines and computers. Long hair is more beautiful than short hair. We love our bodies. We even smell our armpits once in a while. [...] Long hair is the beginning of our liberation from the sexual oppression that underlies this whole military society. Through long hair we’re engaged in a sexual assault that’s going to destroy the political-economic structure of Amerikan society!“
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Das Wachsenlassen von langem Haar steht für Rubin demnach für einen befreiten Umgang mit dem Körper. Durch gesellschaftliche Konventionen würden Sauberkeit und Hemmung als zivilisatorische Leistungen deklariert, die jedoch dem Ursprung des Menschen entgegenstehen würden. Langes Haar sei damit ein politischer Akt, weil dadurch die US-amerikanische konservativ-militaristische Gesellschaftstruktur in ihrem Innersten getroffen und erschüttert würde. In dieser Passage klingt eine Zivilisationskritik an, die in ihren Hauptargumenten aus Eldridge Cleavers Begründung für seine Man Pants bekannt ist: Die moderne Indus-
133 Rubin: Do It!, S. 94. H. i. O. 134 Vgl. Medovoi: A Yippie-Panther Pipe Dream, S. 165. 135 Rubin: Do it!, S. 96.
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triegesellschaft habe das Verhältnis des Menschen zu seinem Körper und seiner eigenen Sexualität entfremdet. Ähnlich wie Cleaver das Tragen der Man Pants begründet Rubin das Tragen langer Haare mit einer Enthemmung und einer Rückkehr zu einer „ursprünglichen Natürlichkeit“. Dies sei erst der Anfang einer sexuellen Revolution, die schließlich die politische und ökonomische Struktur der US-Gesellschaft zu Fall bringen würde. Die Gleichsetzung von langem Haar mit schwarzer Haut erfüllt bei Rubin einen problematischen Zweck, weil der Unterschied zwischen einem nicht veränderbarem biogischem Faktum (schwarzer Haut) und einem Subkulturstyle (Haar) eingeebnet wird. Leerom Medevoi konstatiert deshalb treffend: „It is not difficult to see that this elision served an unspoken ideological purpose of allowing the Yippies to grant a convenient absolution from white guilt to the counterculture (i.e. if you’re no longer white, how can you be the perpetrator of white crimes?). Doubtless this discourse helped to deflect questions about complicities and continuities between 136
the counterculture and a mainstream culture of white supremacy.“
Auffällig ist, dass Rubin diese neue Körperpolitik und befreite Sexualität nur als männliche denkt. Steht am Anfang des Zitates noch das geschlechtsneutrale „man“, so wird im Laufe des Textes explizit gemacht, dass es um Männer geht („we’re natural men“), zumal nur für Männer lange Haare zur damaligen Zeit einen Bruch mit dem hegemonialen und normierenden Frisurenstandard darstellte. Diese Zivilisationskritik zusammen mit dem Argument, durch die moderne Gesellschaft würde der Mann „domestiziert“, und erst ein neues Verhältnis zum Körper – hier über das Hairstyling – ihn befreien und „remaskulinisieren“, ist eine rassistische Trope, die an Norman Mailers Essay The White Negro und auch andere Beat-Schriftsteller wie Jack Kerouac erinnert. Diese hatten ebenfalls gesellschaftliche Konventionen kritisiert und ein Outsider-Dasein als erstrebenswert beschrieben, womit dann ein ähnlich „ursprünglicher“ Zustand wie der von African Americans und People of Color erreicht werden würde, die noch ein „ungehemmtes“ Verhältnis zu ihrem Körper und deshalb auch noch ihre Männlichkeit bewahrt hätten.137 Frauen kommen in Mailers Essay nur als Negativfolie vor. Es verwundert deshalb auch nicht, dass ein so begeisterter Anhänger von Mailers Essay wie Cleaver sich mit Rubins Schrift und insbesondere mit dem Artikel Long Hair, Aunt Sadie, is a Communist Plot identifizieren konnte. 1971 endete die Allianz zwischen Black Panthern und Yippie-Bewegung, nachdem
136 Medovoi: A Yippie-Panther Pipe Dream, S. 160. 137 Vgl. hierzu: Dorestal: „We shall have our manhood“, S. 65-84.
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sich Eldridge Cleaver im algerischen Exil mit einem der Köpfe der Yippies, Timothy Leary überworfen hatte. Cleaver denunzierte nun die Yippies als eine pseudopolitische Gruppe, deren Gegenkulturansatz – sprich die Rede von einer befreiten Sexualität, dem Nehmen von Drogen und einem Subkulturstil – keine radikale gesellschaftspolitische Alternative böte und eine Zusammenarbeit sich deshalb erübrige. Im Gegenzug attackierten die Yippies Cleaver, womit die politische Kooperation beider Gruppen damit beendet war.138 Neben den Yippies gab es jedoch viele andere radikale Organisationen in den 1970er Jahren, die sich positiv auf die BPP bezogen, wie im Folgenden besonders unter dem Gesichtspunkt der Adaptation ähnlicher Style Politics herausgestellt werden soll.
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C OLOR
Die Radikalisierung der Bürgerrechtsbewegung und Ereignisse wie die Ermordung Martin Luther King, Jrs. oder der Vietnam-Krieg bewirkten eine starke Politisierung nicht nur von African Americans, sondern auch anderer ethnischer Minoritäten wie der Chicana/os, Puerto Ricaner/innen oder Asian Americans. Sie forderten Respekt und besannen sich auf ihre eigene Geschichte und Kultur. Das Ende der 1960er und der Anfang der 1970er Jahre markiert somit den Aufstieg des Radical Ethnic Nationalism, in dem militante Gruppierungen wie die Young Lords oder die Brown Berets entstanden.139 Die Black Panther Party übte aufgrund ihrer engen Kooperation mit anderen radikalen Organisationen nicht nur ideologisch, sondern auch durch ihre Style Politics großen Einfluss aus. Ihr hoher Grad an Visibilität, der über das Spektrum kleiner linker Subkulturen hinauswirkte und sich bis hin in bürgerliche Medien erstreckte, machte ihre performative Politik auch für andere Gruppen anziehend. Beispielsweise orientierte sich eine von Asian Americans gegründete Gruppierung namens Red Guards sowohl stark am politischen Konzept als auch an der Performanz von Style und der widerständigen radikalen Militanz der Panther.140 Sie entwarfen mit der Adaption wesentlicher Teile der Black Power-In-
138 Vgl. Medovoi: A Yippie-Panther Pipe Dream, S. 164. 139 Vgl. hierzu Ogbar: Black Power, S. 159-197. 140 Die Red Guards hatten ein Ten-Point Programm, das wesentliche Passagen des Panther-Programms wortwörtlich übernahm. Vgl. Daryl Maeda: Black Panthers, Red Guards, and Chinamen: Constructing Asian American Identity through Performing
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szenierung eine neue Form der Subjektivität, die sich von dem Assimiliationsgedanken und der Integrationsrhetorik der klassischen Bürgerrechtsbewegung klar abgrenzte. Die Red Guards beteiligten sich an vielen Free Huey-Rallies und performten dort den Panther-Style: „They wore berets and armbands at rallies, called police ‚pigs ދand whites ‚honkiesދ, used slogans like ‚All Power to the People ދand ‚Fuck the Pigsދ, and appointed ‚ministers ދof defense and information a la the Panthers.“141 Es lässt sich jedoch beobachten dass die Style Politics der Red Guards nicht vollkommen mit der der Panther identisch waren. Sie integrierten bestimmte Symbole und Kleidungsstücke, die mit ihrer eigenen Geschichte und Kultur zusammenhingen. Sie stellten dadurch nicht Blackness, sondern Asianness dar: „Asian Americans also performed their racial radicalism by displaying ‚the symbols of Asian resistance to imperialism, particularly those of the Cultural Revolution – the Mao jackets, the Red Book, the slogans. ދRed Guard rallies melded stylistic elements borrowed from the Panthers with Asian elements aluding to Red China. While they wore berets and armbands in Panther fashion, they also donned Mao jackets and waved Chinese flags as ways to highlight their racial linkage to the Asian leader.“
142
Dies ist ein Beispiel dafür, dass Style niemals stabile Bedeutungen hat und identische Effekte zeitigt, sondern immer kontextualisiert wird, und auch durch die Adaption von anderen Gruppen neue Bedeutungsgebungsprozesse stattfinden. Das Beispiel der Red Guards belegt, dass es beim Style keine identische Zitation geben kann, weil das Zitat durch den Akt des Zitierens sich schon in einer neuen Konstellation befindet und selbst ein vollkommen identischer Style unterschiedliche Signifikationen generiert, je nachdem, ob der oder die Träger/in schwarz oder weiß, Frau oder Mann, alt oder jung etc. ist.143 Die Brown Berets orientierten sich ähnlich wie die Red Guards nicht nur ideologisch, sondern auch durch ihr Styling an den Panthern, was schon aus dem Namen hervorgeht. David Sanchez gründete die Organisation am 3. Dezember 1967, nachdem ein Mann in Los Angeles von der Polizei bewusstlos geprügelt worden war. Die Berets beteiligten sich an Demonstrationen und kooperierten
Blackness, 1969-1972, in: American Quarterly 57, 4 (2005): S. 1079-1103, hier: S. 1079. 141 Maeda: Black Panthers, Red Guards, and Chinamen, S. 1090. 142 Maeda: Black Panthers, Red Guards, and Chinamen, S. 1090-1091. 143 Vgl. zum Zitationsbegriff, bei dem ich mich an Judith Butler anlehne; Butler: Gender is Burning, in: dies.: Bodies That Matter, S. 121-140, bes.131-134.
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eng mit der BPP. Die Style Politics der Panther waren dabei ein Orientierungspunkt für die Brown Berets. Sanchez erläuterte, die Baskenmützen „symbolized the dignity and pride in the color of my skin and my race.“144 Über das Styling wurde also bezug genommen auf die eigene ethnische Identität, was eine Manifestation von Selbstbewusstsein und eine Zurückweisung rassistischer Stereotype beinhaltete.145 Dieses Kapitel hat gezeigt, dass die BPP immer wieder auf Styling als wichtiges Mittel der politischen Intervention zurückgriff. Style Politics stellten einen zentralen Aspekt in ihrer Geschichte dar, der in bisherigen Studien zu den Black Panthern kaum berücksichtigt, sondern eher als triviales Beiwerk abgetan wurde. Die ambivalenten und sich im Laufe der kurzen Geschichte dieser Organisation stark verändernden politischen Ansichten und Strategien, die zudem nicht homogen, sondern immer wieder Gegenstand kontroverser interner Auseinandersetzungen waren, griffen auf Style Politics als einem wirkmächtigen Mittel der Repräsentation und Signifikation zurück. Style lässt sich somit als ein wichtiger Bestandteil der „kulturellen Matrix der Black Power-Bewegung“146 bezeichnen. Die BPP ist keineswegs ausschließlich auf Style reduzierbar. Genauso wenig lässt sich ihre Entwicklung allerdings rekonstruieren und ihre große Bedeutung innerhalb der Geschichte der African Americans verstehen, wenn man nur ihre politischen Positionen oder ihre Aktivitäten analysiert, ohne den zentralen Aspekt der Performanz von Race, Militanz und geschlechtlicher Identität durch Style Politics Rechnung zu tragen. Über die einheitliche schwarze Kleidung wurde Uniformität hergestellt, die durch synchrone Bewegungsabläufe noch verstärkt wurde. Durch Marsch- und Standformationen eigneten sich die Panther den öffentlichen Raum an und versuchten, eine neue Repräsentationsform von Schwarzsein zu generieren, die deutlich mit den Style Politics der Bürgerrechtsbewegung brach. Mithilfe des demonstrativen Zurschaustellens von Gewehren wurde Militanz inszeniert, die mit der Gewaltlosigkeit und dem Erdulden von körperlicher Demütigung durch Rassist/innen als politische Strategie von Teilen der Bürgerrechtsbewegung kontrastierte. Durch den männlich dominierten Umgang mit Waffen wurden die BPP und ihre Style Politics in der öffentlichen Wahrnehmung mit Männlichkeit asso-
144 Zit. nach Ogbar: Black Power, S. 161. 145 Neben den Black Panthern bezogen sich die Brown Berets in ihrem Style auch auf die Kleidung der Revolutionäre in der Mexikanischen Revolution. Vgl. Ellie Hernández: Postnationalism in Chicana/o Literature and Culture, Austin 2009,S. 114. 146 Rhodes: Framing the Panthers, S. 308, meine Übersetzung, P.D.
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ziiert oder gar synonym gesetzt. Die ambivalenten Geschlechterdynamiken der BPP waren somit schwer wahrzunehmen, denn trotz des Umstandes, dass mehr als die Hälfte der Mitglieder Frauen waren, gehorchte die stylepolitische Performanz ihrer Auftritte doch meist patriarchalen Mustern. Die auch von den Medien dankbar aufgegriffene hegemoniale Repräsentation schwarzer männlicher Militanz wurde von den mit diesem Bild konfligierenden Frauen, die ebenfalls mit Gewehr auftraten oder in den Zeichnungen von Emory Douglas als kämpferisch dargestellt wurden, nur marginal gestört. Die Mobilisierungskraft der Style Politics ging in der Anfangsphase der BPP also zu Lasten eines egalitären Geschlechterbildes. Nach dem Bruch innerhalb der BPP kann eine Veränderung in den Style Politics beobachtet werden, die nun stärker die moderateren politischen Ziele wie die Erschaffung von Community-Programmen und die Beteiligung an Wahlen reflektierte. Ich habe deshalb – auch anhand der regional sich ausdifferenzierenden und über die Jahre sich verändernden Style Politics der BPP – zeigen können, dass diese sowohl ein wichtiges Mittel der politischen Intervention waren, als auch dass das repräsentierte monolithische Bild eines Styles der Panther revidiert werden muss, und sich die Style Politics stattdessen als multipel und als von Ambivalenzen und Spannungen durchzogen erweisen. Im nächsten Kapitel behandele ich den Cultural Nationalism, weil dieser eine wichtige Strömung innerhalb der Black Power-Bewegung war und zudem in einer anderen Tradition als die BPP stand. So kann ich Gemeinsamkeiten und Unterschiede beider Gruppierungen in Bezug auf Style Politics herausarbeiten.
Cultural Nationalism und Style Politics
H YPE
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D ASHIKIS
Im Zuge der großen Visibilität der Black Power-Bewegung Mitte der 1960er Jahre gelangte ein Kleidungsstück innerhalb des Cultural Nationalism zu großer Prominenz: der sogenannte Dashiki. Dies war ein farbenfrohes, breit geschnittenes Hemd, welches als einer der zentralen Signifikanten für den afrikanischen Kontinent und für Schwarzsein gelesen wurde. Henry Delton Williams eröffnete 1968 in Oakland den ersten Dashiki-Shop der Bay Area. Über seine Beweggründe, Dashikis herzustellen, sagte er im Interview: „I just graduated from Laney College and I decided that I would open up a clothing store in downtown Oakland. [...] So that was my place, back in ’68. And I had planned on doing regular clothes but when I opened, people wanted African clothing. It was during that time. So here I am, the first in the Bay Area to do such and we made dashikis and sold dashikis and all the kids in all the high schools began to wear them.“1
Aus Williams Aussage geht hervor, dass Dashikis und überhaupt afrikanische Kleidung 1968 bereits sehr beliebt und unter schwarzen Jugendlichen zum Trend geworden waren. Interessant ist in diesem Zusammenhang, wie Williams, der zunächst einen ganz normales Kleidungsgeschäft eröffnen wollte, seine Expertise in Sachen Dashikis beschreibt: „I think it just happened. Nobody planned. I didn’t plan moving downtown Oakland opening up a dashiki shop. I started to be a designer tailor. I was gonna make slack suits and
1
Henry Delton Williams: Interview in: Exhibition on African American History in the Bay Area, Herbst 2008, in: African American Museum and Library Oakland. Meine Transkription, P.D.
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dresses and stuff like that. As soon as I got downtown, the Panthers and Martin Luther King and the War and everbody wanted dashikis. At that time there was not one piece of African fabric in Oakland. I don’t even know how I even knew what African fabric looked like. [laughs] But I knew so I got psychedelic fabric. And made dashikis out of it.“
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Delton Williams sagt hier aus, dass er nicht wisse, wie afrikanischer Stoff überhaupt aussehe. Und tatsächlich ging es in der Regel auch nicht um „authentischen“ afrikanischen Stoff, sondern nur um Stoff, der authentisch wirkte. Ebenso wie seine Kunden wusste Williams, wie Dashikis auszusehen hatten, nämlich dem Stereotyp für „afrikanisch“ entsprechend. Afrikanisch konnotierte Kleidung wurde somit Ende der 1960er Jahre für große Teile der afroamerikanischen Bevölkerung zum Signifikanten von Schwarzsein. Dashikis erhalten ihre Anziehungskraft durch die Transnationalität, die dadurch symbolisiert wurde. Die Kleidung stand für ein „authentisches“ Schwarzsein, weil sie suggerierte, vom „schwarzen“ Kontinent Afrika zu kommen, der in der hegemonialen Vorstellung der Black Power-Bewegung den Ursprung der afroamerikanischen Geschichte und Kultur darstellt. Eine zentrale Rolle im Styling spielten Dashikis auch bei der in Kalifornien ansässigen Organisation Us, auf deren Style Politics ich im Folgenden eingehen werde.
A S TYLING FOR U S : D IE O RGANISATION U S Die Organisation Us zählte zu einer der bekanntesten Cultural Nationalist und Black Power-Gruppen in den 1960er Jahren. Die Rivalität dieser Organisation mit der BPP, die sogar in bewaffneten Auseinandersetzungen mündete, prägte lange Zeit die Wahrnehmung von Us in der Historiografie.3 Bezeichnend dafür ist, dass bereits der Name von Us in vielen Arbeiten falsch widergegeben wurde. In der zeitgenössischen Pressedarstellung von Us, und insbesondere in The Black Panther wurde das Akronym Us als United Slaves definiert.4 Diese Bezeichnung wurde jedoch von der BPP in diffamatorischer Absicht gebraucht. Sie suggerierte damit, dass die Gruppe wenig revolutionär sei, da ihre Mitglieder sich schon
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Williams: Interview.
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Vgl. Brown: The Us Organization, Maulana Karenga, and the Conflict with the Black
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Vgl. etwa Linda Harrison: On Cultural Nationalism, in: The Black Panther, 2. Februar
Panther Party, S. 157-170. 1969, S. 6; Joan Riggold: Karenga-King of Bloodsuckers, in: The Black Panther, 2. Mai 1970, S. 12.
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selbst als Sklav/innen bezeichneten. Us selbst verwendete allerdings niemals diese Titulierung. „Us“ wurde vielmehr in Abgrenzung zu „them“ gebraucht, wobei Us für African Americans und „them“ für weiße US-Amerikaner/innen stand.5 Aufgrund der Tatsache, dass die Forschungen zur Black Power-Bewegung sich bis Ende der 1990er Jahre vornehmlich auf die Black Panther Party konzentrierten, wurde dieser abwertende Terminus mitsamt den negativen Urteilen über Us in vielen Monographien unkritisch übernommen.6 Ich werde im Folgenden kurz die Entstehungsgeschichte von Us nachzeichnen, um verständlich zu machen, warum sich ihre Mitglieder als Cultural Nationalists begriffen, und welche Rolle Styling in ihrem politischen Selbstverständnis spielte. Us gründete sich kurz nach dem Watts Aufstand in Los Angeles.7 Im August 1965 war es dort nach dem Übergriff eines weißen Polizeibeamten auf einen African American zu Ausschreitungen gekommen, in denen lange aufgestaute Frustration über rassistische Diskriminierung und soziale wie ökonomische Exklusion zum Ausdruck kamen. Die mehrere Tage andauernden Unruhen beschränkten sich nicht auf den im Süden von Los Angeles gelegenen Stadtteil Watts, hatten dort aber ihr Epizentrum.8 Diese Unruhen sowie zuvor die Ermor-
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Maulana Karenga: Interview mit dem Verfasser, Los Angeles, 24. September 2008;
6
Vgl. Hayes/Jeffrries: Us Does Not Stand for United Slaves!, S. 68-69; Brown: The Us
Hayes/Jeffries: Us does not stand for United Slaves!, S. 67-92. Organization, Maulana Karenga, and Conflict with the Black Panther Party, S. 159164. 7
Vgl. Maulana Karenga: Interview mit dem Verfasser. Eine Schwierigkeit bei der Rekonstruktion der Geschichte von Us ist die schlechte Quellenlage. Viele Dokumente befinden sich im Besitz der Organisation selbst und werden Forscher/innen nicht frei zugänglich gemacht. Neben der wenigen Sekundärliteratur konnte ich mich nur auf ein Oral History Interview beziehen, welches ich selbst im September 2008 mit Karenga führte. Ein Gespräch über eine Phase der Organisation, die schon vierzig Jahre zurückliegt, wirft jedoch generelle Fragen der Historiografie auf. Steve Estes bemerkt diesbezüglich zu Recht: „Conversations between the historians and historical actors do not take place in a vacuum; they are shaped by the events of intervening years.“ Steve Estes: Engendering Movement Memories. Remembering Race and Gender in the Mississippi Movement, in: Renee Romano/Leigh Raiford (Hg.): The Civil Rights Movement in American Memory, Athen/London 2006, S. 290-312, hier: S. 303. Insofern kann dieses Interview – wie allerdings auch alle anderen historischen Quellen – nur kritisch und im Bewusstsein seiner Positionalität und Historizität verwendet werden.
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Vgl. Joseph: Waiting ‘Till the Midnight Hour, S. 120.
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dung von Malcolm X am 21. Februar desselben Jahres waren die zwei Ereignisse, die 1965 eine wachsende Radikalisierung und die Gründung von Black Power-Organisationen forcierten. Kurz nach Watts wurde die Bedeutung der Ermordung von Malcolm X auch im Styling ersichtlich: Viele Aktivist/innen – unter ihnen Ron Everett, der sich später in Maulana Karenga umbennen und 1967 Us gründen sollte – trugen ein T-Shirt mit dem Konterfei von Malcolm X und dem Slogan „St. Malcom“.9 Dies verdeutlicht die enge Verbindung zwischen Malcolm Xs Tod und den Ausschreitungen in Watts, die symbolisch mit dem Styling ausgedrückt wurde. Der Stadtsoziologe Mike Davis interpretiert die Auseinandersetzungen in Watts als Protest gegen den sogenannten Cotton Curtain, der African Americans von den besser bezahlten Jobs außerhalb Watts im Industriegebiet östlich der Alameda Straße ausschloss.10 Watani Stiner, der sich Us früh angeschlossen hatte, schildert den Aufstand von Watts als „reinigendes“ Ereignis: „To many of my peers, the Watts rebellion was a cathartic experience. I remember it primarily as a taste of freedom. At age seventeen, my participation in the rebellion was enthusiasticically random and psychologically satisfying. It felt so liberating riding and running down the streets screaming at the top of my lungs, ‚Burn, Baby, Burn!ދ, ‚Civil War!ދ,Remember Emmett Till! ދIn my mind, this was payback for all the TV images of vicious dogs and water hoses turned loose on Black people in the South.“
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Cultural Nationalism beinhaltete als ein wesentliches Kriterium den Rückbezug auf afrikanische Geschichte und Kultur. Zentrale Figur und Mitgründer von Us war Ron Everett. Geboren 1943 in Maryland, zog er mit seiner Familie in den späten 1950er Jahren nach Südkalifornien. 1959 begann er ein Studium am Los Angeles City College (LACC) und wechselte später an die UCLA, um dort seinen Master in Politischer Wissenschaft zu machen.12 Er engagierte sich stark im Studentenparlament, wurde am LACC zum ersten schwarzen Präsidenten des Parlaments gewählt und kümmerte sich um Studierende aus dem Ausland, vor allem
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Vgl. Brown: Fighting for Us, S. 22.
10 Zit. nach Horne: Fire This Time, S. 47. 11 Watani Stiner: Something More Precious Than Freedom. Unveröffentlichtes Manuskript, o.O. 2005, in: Department of Special Collections, Bancroft Library, UC Berkeley, S. 2. 12 Vgl. ausführlich zur Biografie von Karenga Keith Mayes: Kwanzaa. Black Power and the Making of the African-American Holiday Tradition, New York/London 2009, S. 52-63.
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aus afrikanischen Ländern. Dies begründete sein Interesse an aktuellen politischen Entwicklungen in diesem Kontinent und er belegte den ersten Kurs zu afrikanischer Geschichte an der LACC im Jahre 1961. Everett lernte in dieser Zeit zudem Swahili. Diese intensive Auseinandersetzung mit der Geschichte und Kultur Afrikas, dem Kontakt mit afrikanischen Studierenden und der Anfang der 1960er Jahre in vielen Ländern Afrikas durchgesetzten Unabhängigkeit führte bei Everett zu einem persönlichen und politischen Transformationsprozess. Im Jahre 1963 änderte er seinen Namen von Everett zu Karenga, was auf Swahili „Bewahrer der Tradition heißt“.13 Im Herbst 1965 wurde Us von Maulana Karenga und Hakim Jamal, einem früheren Mitarbeiter von Malcolm X, gegründet. Im Sommer 1966 trennte sich Jamal von Us, und Karenga wurde der Chefideologe der Organisation. Der wachsende Einfluss von Karenga kam auch dadurch zum Ausdruck, dass die T-Shirts der Mitglieder, die noch im vergangenen Jahr das Gesicht von Malcolm X zierten, nun ein Portrait von Karenga zeigten.14 Us sah sich nicht als Massenorganisation, sondern als Gruppe, die sich ad hoc an bestimmten Bündnissen schwarzer Organisationen beteiligte und diese ideologisch von der Notwendigkeit einer kulturellen Revolution zu überzeugen versuchte, ihre organisatorische Eigenständigkeit dafür aber nicht aufgab.15 Karenga prägte dafür das Wort von der „Unity without Uniformity“. Us beteiligte sich im Sommer 1966 auch an dem sogenannten TALO-Bündnis (Temporary Alliance of Local Organizations), in dem Mitglieder verschiedener Organisationen aus Los Angeles wie CORE (Congress of Racial Equality), NAACP, SLANT (Self Leadership for All Nationalities Today) und dem United Civil Rights Commitee vertreten waren. TALO konnte Gelder aquirieren, die die Community Alert Patrol finanziell unterstützte, eine Gruppe, die die Tätigkeit der Polizei in South Central Los Angeles überwachte.16 Im Herbst desselben Jahres trat Us allerdings wieder aus TALO aus, weil Karenga den Entscheidungsfindungsprozess des Bündnisses für ineffektiv hielt und außerdem kritisierte, dass TALO kein Programm habe, welches über die Community Alert Patrol hinausginge.17 Im Herbst 1967 trat Us dem Black Congress bei, einem Zusammenschluß von über 20 verschiedenen Organisationen, Unternehmen und Verbän-
13 Vgl. Mayes: Kwanzaa, S. 77. 14 Vgl. Brown: Fighting for Us, S. 39. 15 Vgl. Scot Brown: The Politics of Culture: The Us Organization and the Quest for Black „Unity“, in: Peniel E. Joseph (Hg.): The Black Power Movement. Rethinking the Civil Rights-Black Power Movement, New York 2006, S. 223-253, hier: S. 224. 16 Vgl. Brown: The Politics of Culture, S. 234. 17 Vgl. Brown: ebd.
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den. In ihrer politischen Ausrichtung sehr heterogen, konnten sie jedoch mit einem den UN nachempfundenen Delegationssystem effektiv bestimmte Interessen durchsetzen. Neben dem Kampf für die Implementierung von Black HistoryProgrammen an Schulen solidarisierte sich der Black Congress mit Chicano-Aktivist/innen, der Spanish-American Federal Alliance of Free City States, die Autonomiebestrebungen im Südwesten der USA verfolgten. Ein weiterer Schwerpunkt der Aktivitäten war der Kampf gegen den Vietnam-Krieg. 18 Us beteiligten sich anfangs sogar an Free Huey-Rallies, die von den Black Panthern für ihren inhaftierten Parteigründer abgehalten wurden. Nach einer Schießerei zwischen Mitgliedern von Us und Panthern am 17. Januar 1969, die Höhepunkt der zunehmenden Rivalität beider Gruppen um den Einfluss in Südkalifornien war und bei denen die Panther John Huggins und Bunchy Carter getötet wurden, wurde die Zusammenarbeit jedoch beendet. Die politische Philosophie von Us übte über den Kreis ihrer Mitglieder hinaus Einfluss auf das Denken und Handeln vieler African Americans aus. Dabei stand der performative Aspekt des Cultural Nationalism an zentraler Stelle. So wurde beispielsweise von dem schwarzen Militärjournalisten Wallace Terry konstatiert, dass Karengas Us Organisation in mindestens vier Stützpunkten der Marines sehr populär war und Anhänger gefunden hatte.19 Das Styling des schwarzen Körpers durch den Afro verbunden mit einer bestimmten Gestik sowie der Begrüßung und Verabschiedung auf Swahili war so weitverbreitet, dass viele weiße Vorgesetzten es als Gefährdung für die militärische Disziplin und den ideologischen Zusammenhalt der Truppe im Kampf gegen die Vietcong ansahen: „Many white NCOS and officers viewed Afros, dapping, and passing power [various types of handshakes] as threats to authority and challenges to leadership.“20 Der Cultural Nationalism wurde also als Bedrohung angesehen, weil er eine komplette persönliche Transformation beinhaltete, die sich im Styling und anderen performativen Praktiken des Gehens, Grüßens und Redens manifestierte. Keith Mayes nennt vier wesentliche Elemente, die den Cultural Nationalism von Us ausgezeichnet habe: „To be a black cultural nationalist generally, one of four elements, if not all four, must be present and discernable in those who identified with this part of the movement: rebirth, at the level of consciousness (from ‚Negro ދto black at a minimum, and from black to ‚Afri-
18 Vgl. Brown: The Politics of Culture, S. 235-236. 19 Zit. nach Brown: Fighting for Us, S. 86. 20 Zit. nach Brown: Fighting for Us, S. 87.
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can ދif possible); renamed, the elimination of the socalled ‚slave ދbirth name and the assumption of an African one; reclothed, the forgoing of Western attire for African dashikis and other continental-style clothing; and re-educated, the disposal of Eurocentric and other ‚white ދknowledge and the acquisition of a new ‚black ދintellectual reservoir. [...] What separated most cultural nationalists from other black nationalists was not only the adoption of African names, clothing, and languages, but the insistance that the cultural realm represented the primary site of resistance.“
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Mayes unterstreicht hier, dass die Cultural Nationalists einen sehr umfassenden Kulturbegriff hatten, der eine persönliche Transformation durch verschiedene performative Praktiken bewirken wollte. Styling spielte bei Us eine zentrale Rolle, weil es die persönliche Transformation von einem entfremdeten Leben, in dem afrikanische Geschichte und Kultur in den USA kaum, und wenn, dann nur verzerrt präsentiert wurde, hin zu einer Affirmation eines wichtigen Teils der eigenen schwarzen Identität markierte. Die Polemik der Black Panther gegen den Cultural Nationalism von Us, der diesen auf das Tragen von Dashikis reduzierte, war dem Unverständnis gegenüber deren Kulturbegriff geschuldet. Das Styling wurde von Us als ein wichtiger Teil der materiellen Kultur angesehen, der zusammen mit anderen Aspekten eine persönliche und gesellschaftliche Transformation bewirken sollte. Somit war Style für Us immer schon Style Politics: Die Dashikis zitierten mit einem Kleidungsstück afrikanische Geschichte und Kultur. Deswegen schreibt Keith Mayes: „The greatest cultural statement that Us members made was not so much what came out of their mouths, or what rituals they performed, but how they looked to the general public.“22 Ihr Styling diente den Us-Mitgliedern also als visuelles politisch-kulturelles Statement, welches unmittelbar von Außenstehenden wahrgenommen wurde. Kultur wurde als eminent politische Sphäre von den Cultural Nationalists aufgefasst, wie Karenga im Interview ausführt: „If we were ever gonna be politically free, we have to be culturally free. But to free ourselves culturally and to use culture as a weapon in the struggle we found support for that in Césaire, Aimé Césaire, in Frantz Fanon, in Amilcar Cabral, in Mao Tse-Tung. We found that everywhere. We didn’t feel we were wrong or mistaken and we did not confuse as so many people, you know, wanted us to do and wanted to portrait Us as people who just believed in symbolism. But our clothes, when we changed our clothes, and our names that was an act of self-determination. When we created institutions that housed and ad-
21 Mayes: Kwanzaa, S. 104. 22 Mayes: Kwanzaa, S. 65.
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vanced our aspirations, that was an act of self-determination. It's a preparation for the struggle of confrontation.“
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Demgegenüber insistiert Karenga hier darauf, dass das Umbenennen und Umstylen ein Akt der Selbstbestimmung war. Dieser könne nicht von der Sphäre des Politischen abgetrennt werden, sondern sei schon genuin politisch. Die Selbstbestimmung wird durch das neue Styling allererst vollzogen. Das Kleiden in Dashikis ist für Us eine performative Praxis, denn sie ist eine Abkehr von einem als „westlich“ und „weiß“ abgelehnten Kleidungsstil. Mit den Dashikis distanzieren sich die Cultural Nationalists von dieser „weißen“ Tradition, die ihnen von der US-amerikanischen Mehrheitsgesellschaft oktroyiert wurde, und wählen ihre eigene kulturelle Tradition. Hairstyling diente innerhalb von Us der visuellen Distinktion in der Hierarchiestruktur. Die Mwalimu hatten kahlrasierte Köpfe, was sie sofort als Lehrer identifizierbar machte. Das Styling der Us-Mitglieder war zudem nach Geschlechtszugehörigkeit unterschieden. „Women typically wore long gown-like dresses that covered the torso down to the lower legs, often accompanied with equally colorful head-wraps. Some men wore two-piece dashiki-tops and pants, but many were content to just don the dashiki or buba-top in a solid black or brown with regular western-style slacks or jeans.“24
Us verfügte über eine paramilitärische Gruppe, die Simba Wachanga („Junge Löwen“), die für die Sicherheit von Us und der mit ihr verbündeten Organisationen sorgen sollten. Ähnlich wie die BPP marschierten die Simbas genau orchestriert und vermittelten so über die Performanz von Körper- und Stylingtechnologien Einheit und Militanz. Die beiden führenden Cultural Nationalists in den 1960er Jahren, Maulana Karenga und Amiri Baraka25 wurden in ihrer Konzeption von Styling als zentraler Bestandteil persönlicher Transformationsprozesse auch durch die sogenannte Négritude-Bewegung um Aimé Césaire, Leon Damas und Leopold Senghor inspiriert.26 Während Panther-Aktivisten wie Huey New-
23 Maulana Karenga: Interview mit dem Verfasser. Diese und alle folgenden Interviewpassagen mit Karenga sind von mir transkribiert, P.D. 24 Keith Mayes: Kwanzaa, S. 105. 25 Vgl. zur Biographie von Amiri Baraka: Leroi Jones/Amiri Baraka: Autobiography of Amiri Baraka, New York 1984. 26 Bereits 1937 schrieb Damas in seinem Gedicht S.O.S. „I feel ridiculous/in their shoes/ their dinner jackets/their starched shirts/and detachable collars...“ Zit. nach Nagueyalti
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ton oder Bobby Seale wiederholt harsche Kritik am Cultural Nationalism von Us übten und diesen als unvereinbar mit dem Revolutionary Nationalism der BPP bezeichneten, sah Karenga eine generelle Kompatibilität beider politischen Theorien. Er betonte dies in einem Brief ausdrücklich: „Cultural nationalism is not anti-white or anti-socialist or ipso facto reactionary. Thus, it was and it is a vulgar Marxism and theoretical clumsiness which opposes cultural nationalism to revolutionary nationalism. For, in fact, ‚cultural ދrefers to an area of emphasis of nationalism like political, religious or economic. Whereas revolutionary refers to a quality of social motion. Cultural nationalism can be as revolutionary as any other nationalism and political nationalism can be as reactionary as opponents of cultural nationalism want it to be.“
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Karenga wies also die Charakterisierung von Cultural Nationalism im Allgemeinen und von Us im Besonderen durch die Black Panther als übertrieben und nicht zutreffend zurück. Dieser könne genauso radikal sein wie die unter dem Rubrum des Revolutionary Nationalism gefassten Gruppen. Der Style von Us mit den farbenfrohen Dashikis hob sich deutlich und für alle sichtbar vom Style der Black Panther mit dem uniformen schwarzen Look von Lederjacke und schwarzen Hosen ab. Aufgrund der Rivalität beider Gruppierungen nach der Schießerei in der UCLA wurde dies zu einem Problem. Harriet Smith, die das von Us 1967 eingeführte „afrikanische“ Fest Kwanzaa über die Grenzen von Los Angeles hinaus vor allem in der Bay Area bekannt machen wollte und deshalb Kwanzaa-Utensilien dorthin brachte, musste vorsichtig agieren, wollte sie nicht in gewaltsame Auseinandersetzungen mit den Panthern geraten. Keith Mayes berichtet in einem Aufsatz von einem Interview, dass er mit ihr geführt hat, und in dem Smith von den Einschränkungen erzählt, den der Dashiki-Style mit sich brachte:
Warren: Pan-African Cultural Movements: From Baraka to Karenga, in: The Journal of Negro History 75, 1-2 (1990): S. 16-28, hier: S. 20. Senghor definierte Négritude in Bezug auf Styling folgendermaßen: „In order to establish an effective revolution, our revolution, we first had to divest ourselves of our borrowed attire – that of assimilation – assert our being, that is to say our negritude.“ Zit. nach ebd. 27 Brief von Ron Karenga an Martin Sklar, 22. Juni 1977, in: HPNC, Series 2, Box 57, Folder 12.
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„The spatial politics of Black Power, however, forced [Harriet] Smith to discard the African attire before reaching Oakland and Berkeley because of the potential danger the clothing posed in areas controlled by the Black Panthers.“
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Dieses Beispiel zeigt anschaulich, wie eng Style und Raum mit Machtverhältnissen durchzogen sind. Bestimmte Kleidungsstücke, die an einem Ort der Selbstermächtigung und der Anrufung anderer Menschen dient, die sich ähnlichen Zielen verbunden fühlen, wird in diesem Fall zu einer Schwäche, weil der Style einen identifizierbar und somit als Gegner kenntlich macht. Innerhalb von Us gab es trotz der ideologischen Vorgaben von Karenga interne Auseinandersetzungen, was das Styling betraf. Bobette Azizi Glover beschreibt, wie über Frauen in der Organisation, die den Afro-Look nicht annehmen wollten und sich auch sonst nicht an die Vorgaben der Gruppe hielten, abfällig als sogenannte „Laz“ oder „Lazarine“ gesprochen wurde. „[W]omen who ‚fried ދtheir hair were called ‚lazzes… ދThat [term] was also supposed to mean that you didn’t have the same [Us] values.“29 Die generelle Position von Frauen lässt sich an dem gerade zitierten Statement gut ablesen. Ihre Rolle wurde von Karenga Ende der 1960er Jahre als lediglich komplementär zu derjenigen des Mannes stehend definiert, was als subordiniert verstanden werden muss.30 Die streng hierarchisierte Organisationsstruktur von Us, die nach Mwalimu (Lehrer) und anderen untergebenen Funktionen unterteilt war, wies auch deutlich chauvinistische Elemente auf. Dies hatte in Bezug auf die Mitgliedschaft von Frauen äußerst negative Auswirkungen: „(1) it reduced female membership; (2) it frightened away potential female recruits; and (3) it damaged female support in the Black community.“31 Erst Mitte der 1970er Jahre korrigierten die Cultural Nationalists Karenga, Baraka und der Schriftsteller des Black Arts Movement, Haki Madhubuti (Don L. Lee), ihre Einstellung gegenüber der Rolle von Frauen in politischen Organisationen, machten moderate Zugeständnisse und sprachen sich explizit gegen Sexismus aus.32
28 Keith Mayes: „A Holiday of Our Own“. Kwanzaa, Cultural Nationalism, and the Promotion of a Black Power Holiday 1966-1985, in: Peniel E. Joseph (Hg.): The Black Power Movement. Rethinking the Civil Rights-Black Power Era, New York 2006, S. 229-250, hier: S. 237. 29 Bobette Azizi Glover, zit. nach Brown: Fighting for Us, S. 61. 30 Vgl. Baraka Papers, Box 16: The Women’s Role in the Revolution (September 1973). 31 Hayes/Jeffries: Us Does Not Stand for United Slaves!, S. 83. 32 Vgl. Woodard: A Nation within a Nation, S. 183.
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P ERFORMING B LACKNESS : K WANZAA Karenga entwickelte Ende der 1960er Jahre eine politische Philosophie, Kawaida, was auf Swahili soviel wie Tradition bedeutet und formulierte als deren zentrale Pfeiler die „sieben Prinzipen“, die Nguzo Saba.33 Diese waren als Umoja (Einheit), Kujichagula (Selbstbestimmung), Ujima (kollektives Arbeiten und Verantwortung), Ujamaa (kooperatives Wirtschaften), Nia (Zielsetzung), Kuumba (Kreativität) und Imani (Glaube) definiert.34 An diesen sieben Prinzipien sollten sich African Americans orientieren, um ein sinnvolles Leben zu führen und ihr politisches Handeln danach auszurichten. Aber obwohl Us seine Mitglieder dazu bewegen konnte, diese Prinzipien zu respektieren und zu versuchen, ichnen gemäß zu handeln, waren African Americans in ihrem Alltagsleben doch noch in viele als „weiß“ apostrophierte Festtagstraditionen wie Weihnachten eingebunden und zelebrierten diese. Deshalb suchte Karenga nach einer Alternative, die der kulturellen und geschichtlichen Tradition von African Americans entsprach. Er entwickelte Kwanzaa, welches bestimmte Elemente aus der siebentägigen Zulufeier umkhosi und anderen afrikanischen Erntefesten aufgriff.35 Ein Aktivist beschrieb Kwanzaa für den Black Political Caucus, einen Zusammenschluss verschiedener Black Power-Organisationen, wie folgt: „KWANZA [sic] is an African celebration that is traditional all over the African World. The word KWANZA is a Swahili word meaning first or ‘first fruits’. KWANZA originated when our ancestors gathered together to celebrate the harvesting of their first crops. [...] When we recover KWANZA we rediscover part of our African selves. [...] By readopting KWANZA we take back a holiday that is rightfully ours. By affirming our Black Holidays, we begin to create the traditions that will be passed on to yet unborn generations of African people. By coming together to give thanks and enjoy the blessing of living and working collectively we give concrete expression to our IMANI (faith) in our people and the righteousness and victory of our struggle.“36
Kwanzaa wurde in direkter Abgrenzung zu Weihnachten im Jahre 1967 vom 26. Dezember bis zum 1. Januar zum ersten Mal abgehalten. Den sieben Feiertagen
33 Vgl. Molefi Asante: Maulana Karenga. An Intellectual Portrait, Cambridge, UK 2009, S. 6; Mayes: Kwanzaa, S. 77-78. 34 Vgl. Mayes: ebd. 35 Vgl. Asante: Maulana Karenga, S. 148. 36 Habari: The S.F. Black Political Caucus, n.d. o.O. Kwanza [sic], in: HPNC, Series 7, Flatbox 9, S. 1.
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sollten jeweils die sieben Prinzipien korrespondieren, wobei jeder Tag einem Prinzip gewidmet war. Die Besinnung darauf sollte den persönlichen Transformationsprozess hin zu einem bewussten Schwarzsein unterstützen. Kwanzaa übte von Beginn an auf viele African Americans eine große Faszination aus und führte dazu, dass sie selbst Kwanzaa-Feiern abhielten oder sich der Gruppe Us anschlossen. Watani Stiner berichtet, wie er Zeuge der ersten Kwanzaa-Feier wurde: „What caught my attention about the crowd was its multicolored African attire, shining bald heads, and clusters of beautifully defiant Afros. I stopped to investigate and was greeted in a strange language, warmly embraced, and invited inside. This is the most exhilarating experience among so many African-Americans I’ve ever encountered. I left with rich feelings of racial pride and a renewed sense of self-worth. Unknown to me, I had stumbled upon the first-ever Kwanzaa celebration.“
37
Deutlich wird hier, das Kwanzaa eine genau abgestimmte Performance war. Das Styling der Haare und die den Bezug auf Afrika symbolisierenden bunten Dashikis wurden unterstützt von den Begrüßungsformeln auf Swahili. Das Styling ist hier ein integraler Bestandteil von Körpertechnologien, die der Demonstration vom Stolz auf das eigene Schwarzsein dienen sollten. Das Erscheinungsbild der Us-Miglieder war zudem transnational. Das durch die Sklaverei verloren gegangene Wissen um die Geschichte und Kulturen Afrikas versuchten sie mithilfe der symbolischen Style Politics und der gesamten Performance, die Swahili sprechen und eine bestimmte Art zu gehen umfasste, zu evozieren. African Americans in den USA stellten somit über eine performative Praxis eine grenzüberschreitende symbolische Verbindung zum afrikanischen Kontinent her. Kwanzaa wurde ein institutionalisiertes Ritual, dass mit dazu beitragen sollte, die kulturelle und persönliche Transformation eines jeden Mitgliedes voranzutreiben. Bestimmte Kodizes sollten diesen Prozess unterstützen und einen Rückfall in alte, „entfremdete“ Verhaltensmuster verhindern, wie das Styling nach westlichem Stil. Die sogenannten Kanuni, ein Regelkatalog, sah neben dem Verbot von Alkoholgenuss, Schimpfwörtergebrauch und dem Besprechen von Us-Interna mit Außenstehenden auch vor, dass es nicht erlaubt sei, sich in einer Art und Weise zu kleiden, die im Widerspruch zu den Vorgaben der Organisation stand.38 Dies wäre als eine Regression zu weißer Kultur im Allgemeinen und weißem Style im Besonderen verstanden worden.
37 Watani Stiner: Something More Precious Than Freedom, S. 3. 38 Vgl. Mayes: Kwanzaa, S. 64.
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C ULTURAL N ATIONALISM UND W AHLPOLITIK IN DEN 1970 ER J AHREN Obwohl die Vorgaben in Bezug auf das Styling von Karenga sehr streng waren, war er durchaus bereit, taktische Zugeständnisse zu machen, um politische Ämter besser besetzen zu können. Beispielsweise ermunterte er einen Aktivisten der Black Power-Koalition United Brothers, seinen Dashiki aus pragmatischen Erwägungen heraus zeitweilig abzulegen: „One United Brothers candidate, Donald Tucker, reminisces that as a young black militant, he did not want to switch from his African attire in order to campaign for a city council seat election. Ironically, it was Maulana Karenga who convinced him that it would be politically counterproductive to campaign in his dashiki. Instead Karenga advised the candidates to dress so they would appeal to a wider audience and, rather than emphasizing 39
different fashions, to raise political issues.“
Der afroamerikanische Schriftsteller und Aktivist Leroi Jones, der seinen bürgerlichen Namen erst durch LeRoi Jones und schließlich durch Amiri Baraka ersetzte, wurde Ende der 1960er und Anfang der 1970er neben Maulana Karenga zu einem der bekanntesten und eloquentesten Vertreter des Cultural Nationalism. Diese Strömung der Black Power-Bewegung nahm Anfang der 1970er Jahre in der afroamerikanischen Community an Bedeutung zu. „The period between 1970 and 1974 was the zenith for the politics of black cultural nationalism. The development of the scope of the dynamics of nationality formation from the local political arena to the national political stage marks the most important phase of the politics of cultural nationalism as well as the birth of a black national community.“
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Mit der Gründung des Bündnisses CFUN (Coalition for a Unified Newark), die von Karengas Organisation Us inspiriert war, hatte der Cultural Nationalism eine institutionelle Verankerung an der Ostküste. Diese Koalition vereinigte unterschiedliche Black Power-Organisationen mit dem Ziel, politische Kräfte zu bündeln. In der sogenannten Black United Front waren neben diesen politischen Gruppierungen auch Künstler/innen und Theaterschauspieler/innen von Barakas Spirit House sowie Hunderte von Community Organisationen, Gewerkschaften, und Studierendenvereinigungen vertreten. Bei Großversammlungen wurde so
39 Woodard: A Nation within a Nation, S. 109. 40 Woodard: A Nation within a Nation, S. 160.
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versucht, eine unabhängige schwarze politische Agenda an der US-amerikanischen Ostküste durchzusetzen.41 Besonders Baraka als prominentestem Vertreter eines Cultural Nationalism kam die Aufgabe zu, Kritik an dessen politischer Konzeption zu entkräften. Gegen den gegenüber den Cultural Nationalists geäußerten Vorwurf, diese würden naiv eine Rückkehr der African Americans nach Afrika, den Kontinent ihrer Vorfahren propagieren, entgegnete er: „And you will say, well, he’s talking about going back to Africa. I’m talking about going back to Africanism; going back to an African understanding of yourself.“42 Es gehe also nicht um eine physische Translokation, sondern um eine spirituelle und psychische Selbstbesinnung und Neuausrichtung von African Americans. Diese müssten ihr Schwarzsein durch ein afrikanisches Verständnis ihres Selbst bestärken, d.h. eine Rückkehr zu ihren geschichtlichen und kulturellen afrikanischen Ursprüngen. Dies sei geboten, weil African Americans im Vergleich zu Schwarzen in anderen Ländern den Bezug zu ihren afrikanischen Traditionen am stärksten verloren hätten: „You go to the West Indies, and go to Africa, and come back here and look at us, we are the whitest looking, the whitest acting, and the whitest thinking of any Africans anywhere in the World.“43 Laut Baraka ist demnach die kulturelle Entfremdung der African Americans von ihrem Schwarzsein am weitesten fortgeschritten. Sie hätten sich fast vollständig an weißen Vorgaben des Aussehens, Verhaltens und Denkens orientiert. Demgegenüber versuche der Cultural Nationalism eine Neuausrichtung der African Americans an schwarzer Kultur zu bewirken, die nicht zuletzt über Styling ausgedrückt würde.
D ER N ATIONALIST D RESS S UIT In dem Text eines unbekannten Autors wird der Nationalist Dress Suit vorgestellt. Dieser sei von dem damaligen Präsidenten Tansanias, Julius Nyerere, erschaffen worden: „The nationalist dress suit was conceived, created and designed by the Honorable Mwalimu Julius K. Nyerere, President of the Republic of Tanzania in East Africa. One of the most progressive leaders on the Continent or any place else in the African world, Mwalimu Nyerere sought to combine African tradition and twentieth century reason into a suit
41 Woodard: A Nation within a Nation, S. 256. 42 Amiri Baraka Papers, Box 3, Columbia University Folder, S. 5. 43 Amiri Baraka Papers, Box 3, Columbia University Folder, S. 6-7.
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that would manifest the African ethos and be exemplary of his country’s efforts to be selfdetermining and modern. Under the inspiration and leadership of Imamu Amiri Baraka, CAP’s NewArks saw the Tanzanian national dress fur as a distinctly African political expression and later as a basis for economic development for Africans in America seeking a contemporary African alternative to erratic American style and dress. Politically, the suit could provide Pan-African nationalists with an obvious means of displaying a physical unity that would not only join us on Western Hemisphere together but also embrace the Continent.“
44
Der Autor des Textes spricht hier verschiedene Funktionen an, die der Nationalist Dress Suit erfülle. Als Kreation von Nyerere vermittle dieses Kleidungsstück afrikanische Tradition und Kultur, gleichzeitig jedoch auch Modernität und Selbstbestimmung. Als aus einem Land kommend, das gerade die Unabhängigkeit erlangt hat, sei der Nationalist Dress Suit für African Americans in den USA eine Möglichkeit, ihre kulturelle Verbundenheit mit Afrika zu manifestieren und transnationale Solidarität auszudrücken. Dadurch würde eine Kontinuität und Uniformität im Styling erreicht, die mit den unterschiedlichen Kleidungsstücken in den USA nicht erreicht würde. Dies habe Baraka und der Congress of African People (CAP) sofort verstanden.45 Ein weiterer Grund für die Propagierung des Dress Suit sei jedoch auch, dass die Fabrikation des Nationalist Dress Suit für neu in die USA immigrierende Afrikaner/innen eine Möglichkeit darstelle, Geld zu verdienen. Weiter heißt es zur Verbreitung des Kleidungsstücks: „It is already being worn in parts of the Western and Midwestern United States by members of different nationalist organizations. But for the most part its wear is limited to these groups. The suit that CFUN has brought to this Assembly represents our efforts over several months to develop and perfect a garment that discerning nationalists would wear. We are seeking to make contacts in the West, Midwest and other parts of the United States with nationalist groups that have the capacity to distribute and sell the suit. We could de-
44 N.N. The Nationalist Dress Suit. A Prototype for Nationalist Economic Development, in: Amiri Baraka Papers, Box 18, unbenannter Folder, o.J. 45 „CAP had an extensive national organization, reaching at least twenty-five cities with black population concentrations. It trained young men and women to lead its organizational branches; employing their own initiative, they responded to local conditions and fashioned schools, cooperatives, institutions, associations, and networks in order to flesh out the Black Power program of self-determination, self-respect, and selfdefense.“ Woodard: A Nation within a Nation, S. 258.
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velop an internal circle of economic activity that would have a [...] flow through African hands from manufacturer to retailer.“
46
CFUN wird hier als die Organisation gepriesen, die diesen Anzug im Kreis der US-amerikanischen Cultural Nationalists populär gemacht habe. Der Autor appelliert an die Zuhörer/innen, einen eigenen Produktionszweig für den Nationalist Dress Suit aufzumachen, so dass ausschließlich African Americans in den unterschiedlichen Arbeitsschritten involviert seien. Der Gedanke des Black Capitalism, einem zentralen Element des Cultural Nationalism, d.h. der ökonomischen Stärkung der schwarzen Community dadurch, dass ausschließlich bei African Americans eingekauft wurde, ist hier spürbar. Zum Schluss des Textes wird noch einmal auf die Hauptzielgruppe für den Nationalist Dress Suit eingegangen: „Our most immediate market of course is to be found among nationalists. We must understand that we can make nationalism physically attractive to our people, they will be more inclined to listen to what we have to say and follow the positive things we are trying to do.“
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Der Nationalist Dress Suit dient, so geht aus dieser Passage hervor, der Rekrutierung neuer Mitglieder. Denn der Style sei für viele African Americans attraktiv und bewöge sie dazu, sich mit den Inhalten des Cultural Nationalism zu beschäftigen.
S TYLING THE C ANDIDATE Die Kandidatur des Afroamerikaners Kenneth Gibson für das Bürgermeisteramt in Newark im Jahre 1970 führte zu Debatten um die Frage, ob dieser auch die Interessen der städtischen Bevölkerung adäquat repräsentieren könne. Dies wurde auch vor der Folie des Styling verhandelt. Gibson, der selbst aus einem ländlichen Teil Alabamas kam, sah sich mit Kritik an seiner angeblich mangelnden Urbanität konfrontiert. Die beiden Bürgerrechtler Jesse Jackson und Carl Stockes mahnten deshalb laut Amiri Baraka an, Gibson solle seinen Style ändern:
46 N.N.: The Nationalist Dress Suit. 47 N.N.: ebd.
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„They [Jesse Jackson und Carl Stokes, P.D.] remarked that if Gibson was going to win an election in a major northeastern urban center, ‚he was going to have to slick up a bit.[ ދ...] For instance, they were taken aback at first when they saw that, despite coming from Newark, Gibson kept his hair in a by-then outmoded, close-cut Julius Caesar or Quo Vadis style during a period when most black men wore the universal and obligatory Afro.“
48
Baraka schreibt weiter über Jacksons Kritik: „Gibson ...showed with a suit with cuffed pants and a short haircut. Jackson [reacted] publicly to Gibsonތs lack of big-city slickness. Jesse said to his huge Breadbasket audience, ‚We gon have to slick bro Gibson up a bit. He gon have to grow some hair and get 49
rid of these oldfashion shoes... ދThe audience loved it. Iތm not sure about Gibson.“
Jesse Jackson mahnte hier unter großer Zustimmung des Publikums eine StyleVeränderung von Gibson an. Denn dessen öffentliches Auftreten mit seinem Hairstyle und antiquierten Schuhen sei ein Hinweis auf Gibsons mangelnde „big-city slickness“. Stattdessen würde ein neuer Style mit Afro und Kleidung, die Urbanität ausdrücke, Gibsons politische Beliebtheit fördern. Die Rolle von Style war deshalb auch in der politischen Kampagnenarbeit von African Americans, die für öffentliche Ämter kandidierten, ein integraler Bestandteil der politischen Performanz, wie ich dies bereits am Beispiel der BPP und insbesondere anhand der Kandidaturen von Bobby Seale und Elaine Brown gezeigt habe.
S TYLE P OLITICS
IN AFRIKANISCHEN
L ÄNDERN
Der afrikanische Kontinent bildete für die Black Power-Bewegung einen permanenten Referenzrahmen. Viele African Americans bezogen sich auf den Kontinent als den Ursprung ihrer Vorfahren, The Motherland, von dem sie durch die Sklaverei gewaltsam verschleppt worden waren. Diese traumatische Erfahrung der Entwurzelung, des Displacement bewirkte den vielfältig geäußerten Wunsch, sich die Geschichte und Kultur Afrikas anzueignen, die im Schul- und Universitätssystem der USA bis in die Mitte der 1960er Jahre nicht vorgesehen war.50 Die Kämpfe um die Einführung von Black Studies-Programmen konzentrierten sich genau auf diese Belange. Afrika stellte in den 1960er Jahren aber auch poli-
48 Baraka, zit. nach Woodard: A Nation within a Nation, S. 147. 49 Woodard: ebd. 50 Vgl. Maulana Karenga: Introduction to Black Studies, Los Angeles 2002, S. 5-16.
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tisch eine wichtige Inspirationsquelle dar, weil sich zum damaligen Zeitpunkt viele der ehemaligen Kolonien die Unabhängigkeit erkämpften. Insbesondere für die Style Politics der Black Power-Bewegung war die Aneignung afrikanischer Kultur zentral. Ich will im Folgenden zeigen, dass Haar- und Kleidungsstil in Afrika jedoch keinesfalls monolithisch waren, wie es die Adaption „afrikanischer“ Stylings innerhalb der Black Power-Bewegung suggerierte. Vielmehr war Style von Land zu Land unterschiedlich, differierte auch innerhalb der jeweiligen Nation sehr stark und war Austragungsort von Debatten und Machtkämpfen. Es zeigt sich an diesen Auseinandersetzungen, dass es keinen authentischen Signifikanten für Schwarzsein an sich gibt, sondern dass Styling immer innerhalb eines gesellschaftspolitischen Kontextes existiert und diesen affiziert. Auffällig ist, dass in vielen afrikanischen Staaten ab den 1950er und den 1960er Jahren im Zuge der Unabhängigkeit Kleidung und das Styling des Körpers fast immer vor der Folie der Modernität verhandelt wurde.51 Weiterhin ist bemerkenswert, dass sich diese Debatten um das „richtige“ Styling, die in den 1960er Jahren in vielen afrikanischen Zeitungen und von Regierungsvertretern geführt wurden, fast ausschließlich auf die Kleidungswahl von Frauen konzentrierten. Wie Männer sich zu stylen hätten, wurde kaum thematisiert und nicht restriktiv reguliert. Kritik an diesem Doppelstandard wurde nur verhalten laut und beschränkte sich meist auf die Leserbriefkolumnen. Eine Frau, die ihre Ausführungen mit „Victim“ unterschrieb, beschwerte sich darüber, dass „our men today use shaving creams and other Western cosmetics and I am most certain that if the European men wore make-up our men would have been doing the same. They do everything that the European does so they better stop criticizing us.“52 Besonders der Mini-Rock wurde zu einem kontroversen Symbol, welches für den zu starken Einfluss westlicher „Primitivität“ verantwortlich gemacht wurde. Karen Hansberg konstatiert, dass Ende der 1960er und Anfang der 1970er Jahre in vielen afrikanischen Staaten Miniröcke verboten wurden. „Miniskirts were banned in several African countries of the region in the late 1960s and early 1970s, including Tanzania, Kenya, Malawi, and Uganda. [...]‚foreign ދinfluences
51 Vgl. Hildi Henrickson: Introduction, in: dies. (Hg.): Clothing and Difference. Embodied Identities in Colonial and Post-Colonial Africa, Durham/London 1996, S. 1-16, hier: S. 13. 52 Zit. nach: Audrey Wipper: African Women, Fashion, and Scapegoating, in: Canadian Journal of African Studies 6, 2 (1972): S. 329-349, hier: S. 342.
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were blamed for independent women’s lack of morality.“53 Die scharfe Rhetorik gegen den Mini-Rock, in der antifeministische Diskurse um Promiskuität, Verwestlichung und moralischen Verfall gebündelt wurden, führte sogar zu gewaltsamen Ausschreitungen in Kenia, Uganda, Malawi und Sambia. In Äthiopien wurden 1969 Frauen gar zwei Wochen lang von einem Mob bestehend aus Jugendlichen und Universitätsstudenten beschimpft, physisch angegriffen und ihrer Kleidung beraubt, weil der Mini-Rock als provokant und unziemlich denunziert wurde. Mehr als 50 Frauen wurden verletzt, 100 Autos zerstört und Schulen für zwei Wochen geschlossen.54 In Malawi wurden Miniröcke Anfang 1968 verboten. Die Begründung dafür wurde im Editorial der Malawi News, dem offiziellen Presseorgan der malawischen Congress Party gegeben: „The move by the Government to ban mini-skirts and dresses has come at the most appropriate time. Mini-skirts and dresses are a diabolic fashion which must disappear from the country once and for all. Foreign women such as the one seen on Sunday by the President, Ngwazi Dr. Kamuzu Banda indecently dressed, are setting bad examples to our young girls and we will not tolerate anyone who wants to spoil our nation by importing these diabolic fashions.“
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Der Mini-Rock wird hier als etwas von Außen Kommendes verurteilt, welches der Nation schade. Die wiederholte Charakterisierung dieser Mode als „diabolisch“ betont, dass es sich beim Mini-Rock um eine „tückische“, „zersetzende“ Erscheinung handele, die zu verbannen sei. Karen Hansberg konstatiert deshalb in Bezug auf die Diskurse um den Mini-Rock: „Both strands of the early miniskirt debates shared notions of tradition that made young women’s bodies an index of the nation and of their place within it. In advocating ‚traditional dressދ, the House of Chiefs and the Women’s League depicted wearers of miniskirts as women who had been warped by non-traditional influences.“
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53 Karen Hansberg: Dressing Dangerously: Miniskirts, Gender Relations, and Sexuality in Zambia, in: Jean Allman (Hg.): Fashioning Africa. Power and the Politics of Dress, Bloomington/Indianapolis 2004, S. 166-185, hier: S. 166. 54 Wipper: African Women, Fashion, and Scapegoating, S. 329-330. 55 Malawi News, March 8, 1968, zit. nach Wipper: African Women, Fashion, and Scapegoating, S. 332. 56 Hansberg: Dressing Dangerously, S. 172.
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Der Mini-Rock diente also in Malawi als Signifikant, über den Diskurse von Tradition, Moderne und Nation verhandelt wurden. Frauen, die dieses Kleidungsstück trugen, wurden als korrumpiert von westlichen Einflüssen dargestellt, die auf Distanz zu „authentischen“ Traditionen ihres Landes gegangen seien. Dass Styling stark von transnationalen Austauschprozessen geprägt wurde, verdeutlicht auch das Beispiel von Sambia. In den 1960er Jahren gab es dort noch kein „nationales“ Kleidungsstück. Deswegen wurde ein Outfit kreiert, welches „typischer“ afrikanischer Kleidung nachempfunden sein sollte, jedoch aus Europa kam: „‚Because we did not have a national dress as such in Zambiaދ, noted Vernon Mwaanga, a long-time politician, recalling his appointment as debuty high commissioner in the United Kingdom just prior to independence in 1964, ‚the High Commissioner’s wife improvised togas of African print ....It turned out to be a very ordinary piece of red and white stripe[d] 57
cloth material.... available from the shops [in London].“ދ
Es wurde also ein Styling zu erfinden versucht, welches als Referenzrahmen dienen und eine allgemeine Identifikation mit der sambischen Nation bewirken sollte. Zur selben Zeit wurde jedoch bereits in einigen der neuen unabhängigen afrikanischen Staaten die transnationale Rezeption von Style aus Europa problematisiert. Abzulesen ist dies an den Debatten um die Verdeckung von Nacktheit. Besonders in Ghana wurde Style mit Fragen von Zivilisation, Modernität und der Zugehörigkeit zur Nation adressiert. Dort gab es eine Kampagne, Menschen aus dem nördlichen Teil des Landes zu bekleiden, die nur wenige oder gar keine Kleidungsstücke trugen. Damit reagierte die Convention People’s Party auf westliche Vorstellungen, die Bedeckung des Körpers mit Stoff mit „Zivilisation“ gleichsetzte. „The ‚Ghanaian costume ދin which [Hannah] Kudjoe [Convention People’s Party CPP, P.D] Activist sought to dress the north was very much based on southern Ghanaian notions of what it meant to be ‚clothed( ދthough the actual clothes distributed were seldom ‚in line ދwith ‚Ghanaian fashion ދand were made up primarily of second-hand European 58
and North American items brought in by various non-governmental organizations).“
57 Hansberg: Dressing Dangerously, S. 169. 58 Jean Allman: „Let Your Fashion be in Line with our Ghanaian Costume“. Nation, Gender, and the Politics of Clothing in Nkrumah’s Ghana, in: dies.: Fashioning Africa, S. 144-165, hier: S. 157.
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Während also einerseits „westlicher“ Kleidungsstil vielfach in den neuen unabhängigen afrikanischen Staaten abgelehnt wurde, so gehorchten die Verordnungen, die in einigen anderen Ländern erlassen wurden und die beispielsweise einigen regionalen Gruppen vorschrieben, den Körper stärker zu verhüllen, um statt „primitiv“ modern zu erscheinen, auch Vorstellungen über eurozentrische Modelle und deren durch Bekleidung angeblich signalisierte Modernität. Demgegenüber verabschiedeten Organisationen in einigen afrikanischen Ländern Resolutionen, nach denen kurze Röcke und Perücken verboten werden sollten, weil diese in Widerspruch zur Würde und Kultur des Kontinents stünden. 59 Verständlich wird dies vor dem Hintergrund der gerade erlangten Unabhängigkeit vieler afrikanischer Staaten: Ausländische Produkte und Styles, besonders wenn sie aus den ehemaligen Kolonialstaaten kamen, wurden mit einer unterdrückerischen Gesellschaft assoziiert und folglich abgelehnt. Audrey Wipper beschreibt die in vielen afrikanischen Staaten damals stattfindenden Kampagnen gegen Frauen, die die als „westlich“ apostrophierten Schönheitsmittel benutzen; Wipper zitiert dazu den kenianischen Politiker Martin Shikulu: „Women who use western cosmetics and dress in the latest western fashion are berated for copying western ways and accused of rejecting their own culture. The beauty aids subjected to the harshest attacks are wigs, skin lighteners and hair straighteners that ‚deafricanize ދthe wearer. [...] Kenya’s Chief Government Whip, Martin Shikulu, said: ‚They are a disgrace to the Kenya nation. They disfigure themselves because they are ashamed of their 60
natural colour.“ދ
Das Zitat von Martin Shikulu zeigt, dass das Styling der kenianischen Frauen hier für den moralischen Zustand der Nation insgesamt verantwortlich gemacht wird. Die Adaption westlicher Kosmetika deute auf eine Entfremdung der Trägerinnen von ihrer afrikanischen Kultur hin. Auffällig ist zudem, dass auch hier eine „Verwestlichung“ sich immer nur gegen das Styling von Frauen richtet und Männer nicht adressiert wurden, sondern eine Leerstelle blieben. Die in der Kampagne gegen Schönheitsmittel abgerufenen Tiraden sind insofern aufschlussreich, als sie sich nur gegen Perücken, Hautbleichmittel und Haarglätter wenden, die die Trägerinnen angeblich „entafrikanisierten“. Lippenstift, Puder und Lidschatten werden als die natürliche Schönheit unterstützend kategorisiert, während die inkriminierten Bleich- und Glättemittel als die physischen Attribute verändernd und deshalb abzulehnen seien. Es wird somit eine
59 Vgl. Wipper: African Women, Fashion, and Scapegoating, S. 329. 60 Wipper: African Women, Fashion, and Scapegoating, S. 330.
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Dichotomie zwischen „natürlichen“ und „unnatürlichen“, „afrikanischen“ und „westlichen“ Schönheitsprodukten hergestellt. Hippies waren eine Personengruppe, die als diskursive Figur für verkommenen „westlichen“ Lebens- und Kleidungsstil verantwortlich gemacht wurden. Deshalb erließen einige afrikanische Länder drakonische Einwanderungsbestimmungen, die es Hippies nicht erlaubten, ins Land einzureisen. Insbesondere afrikanische Sozialist/innen kritisierten Kosmetika, Mode und Hippies als dekadente Erscheinungsformen des westlichen Kapitalismus. 61 Im Folgenden sollen die Unterschiede von transnationalen Style Politics am Beispiel der Bedeutung des Afro-Hairstyles in einigen Ländern Afrikas verdeutlicht werden. Damit kann ich die starken regionalen und je nach Kontext variierenden Differenzen von Styling unterstreichen und zeigen, dass es niemals nur die eine Interpretation eines bestimmten Styles geben kann.
„A MAST FLAG OF A DECAYING SHIP “ DER AFRO IN AFRIKA Der Afro, welcher in den USA innerhalb der Black Power-Bewegung als Identifikationssignifikant für die afrikanischen Wurzeln der African Americans stolz getragen wurde, wurde von Kulturnationalist/innen in Afrika hingegen mehrheitlich abgelehnt, weil er als Zeichen westlicher Arroganz gelesen wurde. Der Schriftsteller Kadji Konde schreibt in seiner Invektive über den Natural: „How ‚natural ދthese nests are is a mystery to me. In the United States, where this hairdo comes from, it is called an Afro style. This implies a link with Africa, although I personally fail to see how this keeping of wild oiled bush on the skull has anything to do with dear mother Africa. From that land of drug-takers and draft-dodgers comes another shameless importation, a mast flag of a decaying ship under the guise of a hair style intended to identify American Negroes with Africans...“62
Konde begreift den Afro also nicht als „afrikanisch“ sondern als das genaue Gegenteil: als einen westlichen modischen Importartikel. Neben der Kritik am ästhetischen Wert des Natural („wild oiled bush“) wird dieser auch als moralisch „zweifelhaft“ charakterisiert, weil er aus den USA komme, einem Land, dass Konde als „korrumpiert“ durch Junkies und Wehrdienstverweigerer bezeichnet.
61 Vgl. Wipper: African Women, Fashion, and Scapegoating, S. 334. 62 Zit. nach Wipper: African Women, Fashion, and Scapegoating, S. 331.
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Interessanterweise wird der Afro, so er überhaupt in Afrika Verbreitung fand, in der Regel nur von einer kleinen Elite getragen: es handelte sich dabei fast ausschließlich um Frauen von Ministern und Staatsbediensteten. Der Afro wird hier ein Statussymbol für soziale Distinktion und Geld, er kennzeichnete seine Träger/innen gerade nicht als „afrikanisch“, sondern als „westlich“ und „modern“.63 Dass die Diskurse um Style Politics in einem so großen Kontinent wie Afrika äußerst unterschiedlich waren, zeigt auch ein Artikel der nigerianischen Journalistin Theresa Obunbiyi. Ihr Text, ursprünglich in der Lagos Times veröffentlicht, wurde im August 1963 erneut im Negro Digest abgedruckt, wo er als Gegenposition zu Helen Hayes Kings Beitrag zu der Frage fungierte, ob schwarze Frauen ihr Haar glätten sollten. Im Gegensatz zu King bejahte Ogunbiyi dies. Ihr Text thematisiert nicht nur Haare, sondern Styling in Nigeria insgesamt und ist für die zeitgenössischen Debatten um Hairstyling interessant. Das Hauptargument für die Glättung der Haare und gegen das Tragen des Afro, wie dies Helen King befürwortet, ist für Obunbiyi der Fortschritt. Sie zitiert einige Frauen wie etwa Adekunle Oshos, die im Zuge des afrikanischen Nationalismus das Tragen europäischer Kleidung oder das Glätten der Haare kritisieren. Gegen diese wendet Ogunbiyi jedoch ein: „In this Twentieth century and in this age of nuclear devices, the Adekunle Oshos and other Nigerians are asking this country to stand still and not to progress, in the name of national heritage. [...] Other things, appearances and mode of living are just as important.“64
Das Festhalten an afrikanischen Traditionen und der Umstand, dass einige Nigerianer/innen sich gegen jegliche Neuerungen – seien diese nun technischer oder modischer Art – sperren würden, sei ein Problem. Denn somit würden positive Entwicklungen und Innovationen aus westlichen Staaten nicht angenommen, was zur Folge hätte, dass Nigeria hinter europäischen Ländern zurückfalle. Geglättete Haare sind damit Ogunbiyi zufolge ein Anzeichen für eine fortschrittliche Entwicklung, die sich nun am schwarzen Körper feststellen lasse, weil die Haare mit Haarpflegemitteln behandelt würden. Dies sei eine Stylingtechnik, die für Fortschritt und Modernität stehe, da es eine Transformation des ursprünglichen Zustandes des Haares darstelle. Die Autorin argumentiert in ihrem Text also genau entgegengesetzt zu den US-amerikanischen Strömungen des Cultural Nationalism innerhalb der Black Power-Bewegung. Hatten diese afrikanische
63 Vgl. Wipper: ebd. 64 Theresa Ogunbiyi: Should Negro Women Straighten their Hair? Yes!, in: Negro Digest, August 1963, S. 65-68, hier: S. 66.
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Traditionen als bewahrenswert propagiert und sich für eine Rückkehr zu ihnen, etwa mittels Afro-Hairstyle und Dashikis ausgesprochen, plädiert Ogunbiyi dafür, sich von alten Traditionen wegzubewegen und neue Anregungen und Entwicklungen in Europa und den USA nicht zuletzt in Bezug auf Styling aufzugreifen. Aus den vorhergehenden zwei Unterkapiteln über Style Politics auf dem afrikanischen Kontinent wurde deutlich, wie umkämpft Style innerhalb der jewieligen Länder Afrikas war und widerlegt damit die von vielen African Americans der Black Power-Bewegung gehegte Vorstellung, es gäbe einen einheitlichen „African“ oder „Black“ Style. Im Folgenden soll ein Text aus der weißen Frauenbewegung der 1970er Jahre analysiert werden. Dies erweitert das Spektrum der in dieser Arbeit präsentierten Positionen von Style Politics und erlaubt zu bestimmen, wie wirkmächtig bestimmte Diskurse um Styling waren und über African Americans hinaus auch in anderen Bewegungen rezipiert und Wirkmächtigkeit erlangten.
„T HE B OMB DEFUSES “ S TYLE P OLITICS UND DAS W OMEN ’ S M OVEMENT In der radikalfeministischen Zeitschrift off our backs findet sich in der Juliausgabe des Jahres 1974 eine Auseinandersetzung mit den politischen Implikationen von Mode.65 Der Artikel der Autorin mit dem nom de plume Sorryien ist aus mehreren Gründen interessant. Zum einen versucht er eine Bestandsaufnahme der radikalen Frauenbewegung der 1970er Jahren zu geben. Der Text bezieht jedoch auch andere soziale Bewegungen wie die Black Power- und Hippiebewegung mit ein. Aufschlussreich ist der Aufsatz im Rahmen der vorliegenden Arbeit auch deshalb, weil er zu analysieren versucht, wie Style, der als Ausdruck radikaler politischer Überzeugungen dienen sollte, kommodifiziert und für den Massenkonsum attraktiv gemacht wird. Der Text beginnt mit der Frage nach dem Stand und der Zukunft der Frauenbewegung. Zur Beantwortung der Frage schlägt Sorryien einen Blick in die Wirtschaftsspalte der New York Times vor. Denn dort würde evident, was sich in Bezug auf das Women’s Movement, der Frauenbewegung in den USA, abspiele. In großen Lettern schreibt die Autorin: „THE PATRIARCHY IS MAKING MONEY OFF THE MOVEMENT, AND THAT IS PRECISELY WHY WE
65 Sorryien: Fashion Politics and the Fashion in Politics, in: off our backs. A Women’s Newsjournal 4, 8 (1974): July 31, S. 17-24.
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ARE ALLOWED TO EXIST.“66 Nach Sorryien erweist sich also die Frauenbewegung als ein Mittel, um Geld zu verdienen. Das, wogegen die Bewegung sich eigentlich wendet, das Patriarchat, toleriere die Frauenbewegung also lediglich aus Rentabilitätsgründen. Diese allgemeine Beobachtung wird im Artikel dann konkretisiert anhand des Beispiels von Style. Dieser wird seines subkulturellen Kontextes entkleidet und so adaptiert, dass er über keinen subversiven Gehalt mehr verfüge. „The establishment also rips off the subgroup’s style of dress and language which originally set them apart from the establishment followers. [...] They spread the antiestablishment group’s words/ideas, dress, etc., around society so successully that you can’t tell who’s who anymore in clothes; and through misuse and overuse the words and clothes loose their original anti-establishment meaning; the dynamite of the original message fizzles, the bomb defuses.“
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Sorryien beklagt hier also, dass die ursprüngliche Bedeutung von Äußerungen oder Kleidung verschwimme. Durch den falschen und vor allem übermäßigen Gebrauch des rebellischen Styles verlöre dieser seinen gesellschaftskritischen Impetus. Sorryien argumentiert weiter, dass die Kleidung der Protestbewegungen von Unternehmensketten als profitabel erkannt würde und nunmehr lediglich einen avantgardistischen Chic verkörpere.68 „The clothes are sold in Bloomingdales, and are no longer threatening or signify anything but the latest fashion.“69 Sorryiens fährt fort, die Entradikalisierungsprozesse der sozialen Bewegungen der 1960er Jahre nicht nur als bedingt durch die Neutralisierung ihrer ursprünglichen gesellchaftskritischen Ideen zu beschreiben, sondern auch darauf hinzuweisen, dass die Werbe- und Modewelt große Gewinne einfährt, indem sie den ursprünglich subkulturellen Stil von so unterschiedlichen Bewegungen wie den Hippies, Frauen oder Black Power, als hip und modisch deklariert. „In the ‚political ދdiscussions of how these movements of the 60’s (black, hippie, other nonwhite minorities) got coopted by neutralizing their ideas, by spreading them to middleAmerica in diluted form, what went unmentioned was the enormous amount of money made by the advertising industry and the fashion setting corporations they represent in
66 Sorryien: Fashion Politics and the Fashion in Politics, S. 2. H.i.O. 67 Sorryien: ebd. 68 Sorryien: ebd. 69 Sorryien: ebd.
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spreading these ‚avant-garde ދideas and styles and mass-producing them as the latest ‚inދ 70
thing to own or to look like (e.g. fashion, books, records, etc.)“
Sorryien beschreibt also einen Prozess der Kommodifizierung und Vereinnahmung von radikalen Bewegungen. Diese generierten zwei unterschiedlich große Märkte: den Oppressed Group Market und den zweiten, größeren Markt, der als Oppressed Group Rip-off tituliert wird. Letzterer verspräche die größten Profite und sei für Leute geschaffen, die mit ihren Ansichten mehr dem Mainstream entsprächen, jedoch an der Hipness partizipieren und durch die Adaption des revolutionären Styles „in“ sein wollten. Sorryien spricht an dieser Stelle explizit African Americans an und schreibt: „In the case of blacks, this market is largely the middle-class blacks who were moving toward making it in the mainstream until the ‚black revolutionaries ދcame on the scene.“71 Es folgt eine Passage, die interessant ist, weil sie die Frage der Performanz von Race durch Style thematisiert: „Out of guilt for becoming too white when it’s ‚in ދto be black, they buy some of the diluted ‘avant-garde’ stuff like ‚hip ދrecords and ‚people’s clothes ދto wear on the week-ends when they are not working.“72 Im Zuge der radikalen Schwarzenbewegung werden African Americans, die moderate politische Vorstellungen hegen, als „zu weiß“ deklariert. Um dieses Weißwerden ein Stück weit zu revidieren – zumindest in der Freizeit, wie Sorryien anmerkt – würden sie sich aus dem Eccoptation Market „verwässerte“ Accessoires wie Kleidung oder Schallplatten kaufen. Mit diesem als „Black“ und revolutionär apostrophierten Style versuche man somit, so der implizite Wunsch, schwarz werden.73 Styling wird hier also als verbreiteter Signifikationsprozess nicht nur unter African Americans verstanden, mit dem bestimmte Identitäten gewechselt und performiert werden können. So wie die Anthropologin Shirley Tate dies für den Kontext von Authentizitätspolitiken in der schwarzen Community ausgeführt hat, könnte man argumentieren, dass „people’s clothes“ und „hip records“ zu Simulacra werden,
70 Sorryien: Fashion Politics and the Fashion in Politics, S, 4. 71 Sorryien: ebd. 72 Sorryien: Fashion Politics and the Fashion in Politics, S. 4-5. 73 Zu Praktiken des Schwarzwerdens durch Werbung, aber auch mittels Musik und anderem vgl. die Arbeit von Moritz Ege: Schwarz werden. „Afroamerikanophilie“ in den 1960er und 1970er Jahren, Bielefeld 2007, die sich allerdings auf Rezeptionslinien afroamerikanischer (Populär-)Kultur für den bundesrepublikanischen Kontext beschränkt.
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die die Ikonographie des Schwarzseins konstituieren. Die schwarze Community wird durch den Style und die Musik als Fetisch re-imaginiert.74 Am Ende ihres Artikels ruft Sorryien den Leser/innen in Erinnerung, dass es die zwei von ihr genannten Märkte gebe, wobei es in diesem Kontext zwischen der „radical feminist“ Konsumentin zu unterscheiden gelte, die eine stärkere Affinität zu direkten Aktionen habe und einer anderen Konsumentin, die eine Frau sei, die ihre Informationen über die Frauenbewegung nur aus den Medien beziehe. Diesen Markt nennt die Autorin den Liberated Woman Consumer Market. Der Style dieser beiden Konsumentinnen sei nur in der Hinsicht gleich, dass sie keine Kleider mehr anziehen wollten. „They can’t get either of these two consumers to wear dresses much anymore so the ‚radical feminist ދwears whatever the Gloria Steinems and N.O.W. women wear and the ‚liberated woman ދwears pants-suits.“75 Sie würden sich also nur noch danach richten, was prominente Feministinnen wie Gloria Steinem oder die National Organization of Women tragen würden. Von den beiden Konsumentinnengruppen, der Radical Feminist und der Liberated Woman sei jedoch letztere diejenige, die für die Modeindustrie am einträglichsten sei: „The ‚liberated woman ދis going to bring in the heavy money of the two consumer markets because it covers everything in skirts, or maybe it would be clearer to say everyone not wearing a cock.“76 Die sich selbst für befreit haltende Frau trägt damit Sorryien zufolge in gewisser Weise zu ihrer eigenen Unterdrückung bei, weil sie im Komsumentinnenmarkt den größten Anteil an Geld in Kleidungsstücke wie Röcke investiert. Als Fazit zieht Sorryien aus ihren Beobachtungen: „Moral: Don’t be a consumer as a ‚radical feminist ދor as a ‚liberated womanދ. Make your own clothes. The thing to remember is that is [sic] women didn’t buy, the ec(cop)tation fails.“77 Die Gegenstrategie, um sich vor den Vereinnahmungstendenzen und Kommodifizierungsprozessen der Frauenbewegung durch die Werbe- und Modewelt zu schützen, sei demnach, keine der beiden Konsumentinnenoptionen zu wählen. Weder als Radical Feminist noch als Liberated Woman könne man der Verwässerung der ursprünglich radikalen Botschaft begegnen, die sich im Style ausdrücke. Die Kreation eines eige-
74 Shirley Tate: Die Schwarze community, Interstitialität und Gouvernementalität, in: Marianne Pieper/Encarnación Gutiérrez Rodríguez (Hg.): Gouvernementalität. Ein sozialwissenschaftliches Konzept in Anschluss an Foucault, Frankfurt/Main/New York 2003, S. 179-195, hier: S. 193. 75 Sorryien: Fashion Politics and the Fashion in Politics, S. 5. 76 Sorryien: ebd. 77 Sorryien: Fashion Politics and the Fashion in Politics, S. 6-7.
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nen Stils, das Herstellen eigener Kleidungsstücke sei somit das einzige Mittel, um die Ec(co)ptation zu verhindern. Sorriyens Artikel ist eine Stimme in der zunehmend radikaler werdenden Frauenbewegung der 1970er Jahre, die sich einer Kritik an traditionellen Schönheitsstandards und Kommodifizierungsprozessen gleichermaßen verschrieb. Letztere sieht sie als Gefahr an, weil ursprünglich widerständige Style Politics durch die Vermarktung in Kaufhausketten und die weite Streuung der Kleidung nur noch zu einem Modeaccessoire verkämen. Dadurch, dass der Style nicht mehr auf radikale Subkultur beschränkt bleibe, befürchtet die Autorin, dass eine Entpolitierung und Entradikalisierung um sich greifen könne. Lesbische Feministinnen kreierten deshalb auch zunehmend sogenannte Anti-Fashion: FlannelHemden und weite Hosen wurde einerseits als Mittel der Zurückweisung der dominanten Kleidungsnormen für Frauen genutzt, die Femininität, Schönheit und Respektabilität vorschrieben. Gleichzeitig machte dieses Styling es auch einfacher, sich untereinander zu erkennen: „Lesbian-feminist antistyle was an emblem of refusal, an attempt to strike a blow against the twin evils of capitalism and patriarchy, the fashion industry and the female objectification that fueled it.“78 Dass ein bestimmter Style als kommerziell gewinnversprechend erkannt wird, lässt sich auch für den Kontext der Black Power-Bewegung feststellen. Insbesondere der Afro wurde Anfang der 1970er Jahre als Möglichkeit der Haarpflegeindustrie erkannt, neue Produkte abzusetzen.79 Insgesamt deutet Sorryiens Artikel als ein Quellentext also darauf hin, dass in unterschiedlichen Bewegungen und Subkulturen – d.h. nicht nur in der Black Power-Bewegung, sondern auch in der Frauen- und Lesbenbewegung – Style Politics integrales Moment der politischen Praxis waren. Gleichzeitig stellt der Umstand, dass das Styling dieser Bewegungen als nonkonformistisch interpretiert wurde den Grund dafür dar, dass es als radical chic für Vermarktungsstrategien attraktiv wurde. Durch diese Kommodifizierungsprozesse, aber auch dadurch, dass viele Menschen den Style tragen, weil er „gut“ aussieht und nicht, weil sie sich mit den politischen Zielen, in deren Kontext dieser Style entstanden ist identifizieren, verliert er seinen Distinktionsstatus.
78 Arlene Stein: All Dressed Up, but no Place to Go? Style Wars and the New Lesbianism, in: Joan Nestle (Hg.): The Persistent Desire. A Femme-Butch Reader, Boston 1992, S. 431-439, hier: S. 432. 79 Vgl. hierzu den Abschnitt über Hairstyling in der vorliegenden Arbeit.
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Im nächsten Kapitel widme ich mich den Style Politics der Nation of Islam, die sich in wesentlichen Punkten sowohl von der BPP als auch vom Cultural Nationalism unterschieden und davon abgrenzten.
Style Politics in der Nation of Islam
Die 1930 gegründete Nation of Islam entwickelte sich in den 1950er und 1960er Jahren zu einer der einflussreichsten aber auch umstrittensten religiös-politischen Gruppen in den USA der Nachkriegszeit. Zeitweilig gehörten ihr zentrale Figuren der Bürgerrechts- und Black Power-Bewegung wie beispielsweise Malcolm X oder Eldridge Cleaver an. Im Zuge von Kämpfen um Bürgerrechte, Anerkennung, Selbstbewusstsein und schwarze Identität spielten die öffentlichen Auseinandersetzungen um Style Politics auch in der Nation of Islam eine große Rolle. Verschiedene, zum Teil kontroverse Debatten um Style innerhalb der NOI sollen deshalb im Folgenden herausgearbeitet werden. Unter anderem untersuche ich, warum die anfänglich positive Bezugnahme auf den Afro-Hairstyle zu Beginn der 1960er Jahre gegen Ende der 1960er Jahre in das Gegenteil umschlug. Darüber hinaus zeige ich, wie die Nation of Islam über Styling geschlechtliche Identität performierte. Zunächst gebe ich jedoch einen kurzen Überblick über die Entstehung der Nation of Islam und ihre politischen und religiösen Weltanschauungen, da ihre internen Auseinandersetzungen um Style Politics nur vor diesem Hintergrund zu verstehen sind. Die Nation of Islam wurde 1930 in Chicago von Wallace D. Fard gegründet. Zunächst hieß die Organisation Moorish Science Temple of America.1 In dieser Anfangsphase, die bis ungefähr 1955 andauerte, rekrutierte die NOI ihre Anhängerschaft, die Black Muslims fast ausschließlich aus Angehörigen der Unter-
1
Vgl. Algernon Austin: Achieving Blackness. Race, Black Nationalism and Afrocentrism in the Twentieth Century, New York/London 2006, S. 45. Austin bemerkt zu Recht, dass viele Arbeiten zu Black Nationalism und Black Power die NOI in den Entstehungskontext vieler erst in den 1950er und 1960er Jahren gegründeten Organisationen einordnen und dadurch wichtige Unterschiede in der politischen und religiösen Ausrichtung der NOI einebnen. Vgl. ebd.
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schicht.2 Auffällig war jedoch, dass sich die dort von Beginn an propagierten Ziele der Respektabilität und das Ideal eines disziplinierten und autonomen Menschen stark an Mittelstandsnormen orientierten.3 Über die Größe der Mitgliederzahlen herrscht in der Forschung nach wie vor Uneinigkeit. Die Angaben für das Jahr 1960, das als die Hochphase der NOI angesehen wird, reichen von 50.000 bis hinzu 250.000 Anhängern.4 Auch genauere Angaben zur Entwicklungsgeschichte der NOI in den Anfangsjahren zu bekommen ist schwierig, da die Organisation erst ab den 1960er Jahren vermehrt wissenschaftliches und öffentliches Interesse hervorrief.5 Aufgrund ihrer radikal separatistischen Ansichten und der Doktrin vom „blauäugigen weißen Teufel“ galt die Gruppe vielen Weißen, aber auch vielen African Americans als „extremistisch“ und wurde mit Skepsis oder Ablehnung betrachtet. Nationale Bekanntheit erlangte die NOI durch die Ausstrahlung des von Mike Wallace produzierten Dokumentarfilms The Hate That Hate Produced von 1959, in dem die Mitglieder der Organisation als „umgekehrte Rassisten“ dargestellt werden, die aufgrund der jahrhundertelangen Diskriminierung von African Americans durch weiße Rassist/innen nun eine Inversion dieser extremen Position vornehmen würden und alle Weißen ablehnten.6 Insbesondere durch die Eloquenz von Malcolm X wurde die NOI in der amerikanischen Öffentlichkeit stark wahrgenommen.7 Dieser war während seiner sechsjährigen Gefängnisstrafe von 1946 bis 1952 zur NOI konvertiert und nach seiner Entlassung schnell zu einem der bekanntesten Wortführer der Organisation aufgestiegen, bis er sich 1964 mit Elijah Muhammad, dem damaligen Oberhaupt der NOI überwarf.
2
Vgl. Walker: Islam and the Search for African-American Nationhood, S. 121.
3
Vgl. Curtis: Black Muslim Religion in the Nation of Islam, S. 9 und S. 12.
4
Vgl. Ula Taylor: Elijah Muhammad's Nation of Islam: Separatism, Regendering, and a Secular Approach to Black Power after Malcolm X (1965-1975), in: Jeanne Theoharis/Komozi Woodard (Hg.): Freedom North: Black Freedom Struggles outside the South, 1940-1980, New York 2003, S. 177-198, hier: S. 178. C. Eric Lincoln bezeichnete die NOI 1961 als „probably Americas’s fastest growing racist sect“ mit mehr als 100.000 Mitgliedern, Vgl. C. Eric Lincoln: The Black Muslims in America, Boston 1961, S. 4.
5
Vgl. Taylor: Elijah Muhammad’s Nation of Islam, S. 178-179.
6
Vgl. Mike Wallace: The Hate That Hate Produced, WNTA-TV, ausgestrahlt am 23.
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Die Literatur über Malcolm X ist sehr umfangreich. Den bisher aktuellsten For-
Juli 1959. schungsstand gibt wider: Marable: Malcolm X. Als Quelle unverzichtbar ist: Haley: Die Autobiographie von Malcolm X.
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Der Zeitpunkt ihrer Gründung und Konstituierung war für die Expansion der NOI sehr günstig. Die UNIA (United Negro Improvement Association) von Marcus Garvey, noch zu Beginn des 20. Jahrhunderts eine der wichtigsten schwarzen radikalen Gruppen in den USA, hatte aufgrund von Korruptionsvorwürfen Ende der 1920er Jahre an Einfluss verloren.8 Moderatere Bürgerrechtsgruppen wie die NAACP existierten zwar weiterhin, doch war die NOI zu diesem Zeitpunkt eine der wenigen Organisationen, die radikale Forderungen nach Separation für einen eigenen schwarzen Staat erhoben. Denn die Nation of Islam unterschied sich von Bürgerrechtsgruppen wie der SCLC oder der NAACP vor allem dadurch, dass ihr erklärtes politisches Ziel nicht die Integration in die weiße Mehrheitsgesellschaft war. Aus diesem Grund wird die NOI gemeinhin unter dem Rubrum Black Nationalism gefasst.9 Allerdings wird dieser Terminus für viele in ihrer politischen Ausrichtung sehr heterogene Gruppen gleichermaßen angewendet wie beispielsweise für die UNIA Garveys, die BPP, Us und andere. Eine genauere Bezeichnung der NOI als Black Religious Nationalists, wie beispielsweise R. Drew Smith vorgeschlagen hat, erscheint sinnvoller, um die charakteristischen Unterschiede dieser Organisation besser zu betonen. „The religious nationalism that emerged by the early twentieth century was committed to throwing off these ‚devaluations ދand providing new categories of religious and cultural definition for blacks to draw upon in their search for affirmation.“10 Anders als beispielsweise die 1909 gegründete NAACP, deren Anliegen die Integration in die weiße Gesellschaft war und die sich an Bürgerrechten für African Americans orientierte, waren religiöse schwarze Nationalist/innen mehr daran interessiert, einem alternativen kulturellen und religiösen Weltbild zu folgen, das sich klar von der weißen Mehrheitsgesellschaft abgrenzte. Die Strategie Martin Luther King, Jrs., Bürgerrechte durch gewaltlose Formen des zivilen Ungehorsams zu erlangen und damit die gleichberechtigte Partizipation an eben jener Gesellschaft einzufordern, die African Americans aufgrund rassistischer Diskriminierung bis in die
8
Vgl. zur Garvey-Bewegung E. Essien-Udom: Black Nationalism. The Search for an Identity, Chicago 1971, S. 36-39 und S. 60-61. Claudrena Harold: The Rise and Fall of Marcus Garvey and his Dream of Mother Africa, Oxford 2008.
9
Ogbar definiert Black Nationalism wie folgt: „The most viable definition of black nationalism is one that includes group consciousness among black people and the belief that they, independent of whites, can achieve liberation by the creation and maintenance of black institutions to serve the best interests of black people.“ Ogbar: Black Power, S. 3.
10 R. Drew Smith: Black Religious Nationalism and the Politics of Transcendence, in: Journal of the American Academy of Religion 66, 3 (1998): S. 533-547, hier: S. 538.
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1960er Jahre in weiten Teilen der USA verwehrt wurde, lehnte die NOI ab.11 Daraus resultierte auch der in der US-amerikanischen Öffentlichkeit als unüberbrückbar wahrgenommene ideologische Konflikt zwischen Martin Luther King Jr. und Malcolm X, dem Ende der 1950er und Anfang der 1960er Jahre neben Elijah Muhammad, bekanntesten Black Muslim.12 Infolge der Weltwirtschaftskrise 1929 und der sich anschließenden Great Depression war die ökonomische Situation großer Teile der US-Bevölkerung miserabel. Die stärksten Auswirkungen hatten jedoch African Americans und andere marginalisierte und diskriminierte Minderheitenzu zu spüren.13 Während der New Deal des damaligen US-Präsidenten Franklin Roosevelt einige wohlfahrtsstaatliche Programme initiiert hatte, die Teilen der weißen Bevölkerung wieder Arbeitsgelegenheiten und ökonomische Prosperität ermöglichte, profitierten African Americans von diesem Programm kaum.14 Aus diesem Grund war die Frustration vieler Schwarzer stetig gewachsen, und die Bereitschaft, den radikalen Ansichten der NOI Gehör zu schenken, stieg, denn die Black Muslims der NOI schienen Hoffnung auf ein besseres Leben zu versprechen.15 Durch ihr dis-
11 Zu Martin Luther King, Jrs. Strategie des zivilen Ungehorsams vgl. George Hendrick/Willene Hendrick: Why Not Every Man? African Americans and Civil Disobedience in the Quest for the Dream, Chicago 2005, S. 176-204. 12 Vgl. dazu schon den programmatischen Titel von Britta Waldschmitt-Nelson: Gegenspieler. Martin Luther King, Malcolm X, Frankfurt/Main 2000. Inzwischen wird jedoch davon ausgegangen, dass der ideologische Gegensatz zwischen Martin Luther King, Jr. und Malcolm X nicht so groß war wie bisher angenommen. Besonders in den letzten Jahren kamen King nach neueren Studien Zweifel an der Strategie der Gewaltlosigkeit und er radikalisierte seine politischen Ansichten. Deutlich wird dies u. a. aus seiner klaren Position gegen den Krieg in Vietnam und seiner Berücksichtigung ökonomischer Ungleichheit in Chicago. Vgl. dazu Michael Eric Dyson: I May Not Get There With You. The True Martin Luther King, Jr., New York 2000, bes. S. 51-100. 13 Vgl. Hall: The Long Civil Rights Movement and the Political Uses of the Past, S. 1240-1241. 14 Die Förderprogramme betrafen Arbeitsbereiche, in denen African Americans selten beschäftigt waren, weswegen sie kaum begünstigt wurden. Vgl. dazu Ira Katznelson: When Affirmative Action was White. An Untold History of Racial Inequality in Twentieth-Century America, New York 2005; Hall: The Long Civil Rights Movement, S. 1241-1242. 15 Vgl. Oliver Jones, Jr.: The Black Muslim Movement and the American Constitutional System, in: Journal of Black Studies 13, 4 (Juni 1983): S. 417-437, hier: S. 421.
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zipliniertes Auftreten und aufgrund der von ihnen propagierten Aussicht, sich aus der sozialen und perspektivischen Misere befreien zu können, übten sie eine große Attraktivität auf African Americans der Unterschicht aus. Insbesondere in Kalifornien fühlten sich viele der Migrant/innen, die ab den 1930er Jahren im Zuge der Great Migration16 aus dem ländlichen Süden in nördliche und urbane Ballungsgebiete wie Los Angeles gezogen waren, vom Versprechen der Nation auf den Aufstieg in die Mittelklasse angezogen. Die NOI füllte damit ein Vakuum, das durch das repressive politische Klima – etwa das Taft-Hartley Gesetz, welches die Organisierung in Gewerkschaften und linken politischen Gruppierungen erschwerte –entstanden war. African Americans wandten sich deshalb vermehrt der NOI zu, 17 denn deren Ziel der Gründung einer vereinten und starken schwarzen Gesellschaft in der nahen Zukunft war ein positiver Lebensentwurf, der vielen Schwarzen nach Jahrhunderten der Unterdrückung als äußerst erstrebenswert erschien.18. Die Attraktivität der NOI Mitte der 1950er Jahre und in den 1960er Jahren nahm für African Americans zu, je mehr brutale und gewaltsame Angriffe von Weißen auf unbewaffnete und sich nicht wehrende Schwarze sich häuften.19
16 Darunter wird die Migrationsbewegung von ungefähr 2 Millionen African Americans zwischen 1910 und 1930 verstanden, die aus dem Süden in die Nordstaaten der USA zogen, um rassistischer Diskriminierung zu entgehen und Arbeitsmöglichkeiten in der Industrie zu suchen. 17 Vgl. Horne: Fire This Time, S. 10. 18 Vgl. Howard M. Kaplan: The Black Muslims and the Negro American’s Quest for Communion. A Case Study in the Genesis of Negro Protest Movements, in: The British Journal of Sociology 20, 2 (Juni 1969): S. 164-176, hier: S. 171. Jones: The Black Muslim Movement, S. 421. Auch die Gründung einiger anderer religiöser Gruppierungen wie das Father’s Devine Movement im Norden oder die Etablierung der Anhängerschaft um den Prediger Sweet Daddy Grace im Süden wurden durch die weitgehende soziale politische und ökonomische Exklusion von African Americans befördert. 19 Vgl. folgende Passage. „The civil rights movement created the social and political climate that precipitated the rapid growth of the Nation. The civil rights movement brought on many examples of white aggression and terror to substantiate the NOI's belief that whites were demons and that integration was the preoccupation of fools, idiots, and enemies of the black nation. No sane person would ever love his murderous, rapist enemy, the Nation insisted. The desire to integrate with whites must be a symptom of the dysfunctional slave culture that black people embraced.“ Ogbar: Black Power, S. 19.
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D IE W ELTANSCHAUUNG DER N ATION
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Die NOI sah sich selbst als unpolitische Organisation, die statt der Erlangung von politischen Mandaten und der Einflussnahme über das Wahlsystem auf ökonomische und gesellschaftliche Autarkie ihrer Mitglieder setzte.20 Die Militanz, die der NOI zugeschrieben wurde, war nicht radikalen Aktionen geschuldet, sondern verdankte sie größtenteils ihren explizit antiweißen Positionen und ihrer Rhetorik.21 Von African Americans betriebene Geschäfte sollten die schwarze Community stärken und die Abhängigkeit von der weißen Gesellschaft reduzieren. Kontakt zu Weißen sollte weitestgehend vermieden werden, und intime Beziehungen mit diesen wurden als Grund für die Rückständigkeit der schwarzen Welt angesehen.22 Sehr deutlich wird die Ablehnung der Integrationsstrategie in folgender Invektive von Malcolm X gegen die sogenannten „Onkel Toms“, also devote African Americans, die sich in die weiße Mehrheitsgesellschaft eingliedern und auf Selbstverteidigung gegen rassistische Angriffe sowie schwarzen Separatismus verzichten wollten23: „The anemic Negro leadership that is willing to settle for TOKEN integration instead of complete separation, is only asking for continued slavery… and these Uncle Tom Negroes do not represent the true sentiments or feelings of the masses of our oppressed people.“24 Streng genommen lassen sich jedoch religiöse und politische Weltanschauung der NOI nicht klar voneinander trennen, bedingten sie sich doch gegenseitig:
20 Hieraus erwuchsen später Konflikte zwischen Malcolm X und Elijah Muhammad, weil letzterer diese Position durch Malcolm Xs Kommentare zum aktuellen Tagesgeschehen konterkariert sah. Insbesondere nachdem der US-amerikanische Präsident John F. Kennedy am 22. November 1963 ermordet worden war, und Elijah Muhammad Malcolm X verboten hatte, sich dazu zu äußern, dieser sich jedoch darüber hinwegsetzte und mit seinem umstrittenen Kommentar, „the chickens coming home to roost“ – was sinngemäß soviel hieß wie „man erntet, was man sät“ – scharfe Kritk von fast allen Seiten des US-amerikanischen politischen Spekrums auf sich zog, begann der Entfremdungsprozess zwischen Malcolm X und Elijah Muhammad. Vgl. hierzu ausführlich Marable: Malcolm X, S. 269-320. 21 R. Drew Smith: Black Religious Nationalism and the Politics of Transcendence, S. 543. 22 Vgl. Dan Burley: The Evils of Racially Mixed Sex Relations, in: Muhammad Speaks, Januar 1962, S. 4. 23 Vgl. Malcolm X: Message to the Grassroots, in: George Breitman (Hg.): Malcolm X Speaks, New York 1966, S. 3-17. 24 Malcolm X, zitiert in: Muhammad Speaks, Januar 1962, S. 24.
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Die Ablehnung von klassischen Bürgerrechtsstrategien wie Sit-ins oder dem Kampf für das Wahlrecht resultierte aus der religiösen Lehre vom „teuflischen“ Charakter der Weißen. Denn die gesamte religiöse und politische Ideologie der NOI beruhte auf einem Dualismus von Schwarz und Weiß. Schwarze seien die „ursprüngliche“ „Menschenrasse“ gewesen und „gut“ und moralisch respektabel, während Weiße „schlecht“, „verkommen“ und „blauäugige Teufel“ seien.25 Daraus ergebe sich auch die Notwendigkeit, sich gesellschaftlich und ökonomisch von den Weißen zu trennen und eigene Organisationen und Geschäfte aufzubauen. Eine Integration in und Gleichberechtigung mit der weißen Mehrheitsgesellschaft erschien deshalb als nicht erstrebenswert. Edward Curtis betont diesen Punkt der Überschneidung religiöser Praxen und politischer Überzeugung, wenn er schreibt: „It is important to emphasize that their [NOIs, P.D.] religious activities, like those of all other human beings, were tied inextricably to their politics, social location, and their cultural orientations. Oftentimes, the religion of the NOI was so powerfull precisely because it was simultaneously a form of political activism and religious expression.“26
Wie schon aus dem Namen hervorgeht, verstand sich die Nation of Islam als islamische Organisation. Es ist jedoch verschiedentlich angemerkt worden, dass die religiösen Überzeugungen weder orthodoxen Vorstellungen des sunnitischen noch des schiitischen Islams entsprachen, sondern eine synkretistische Ideologie waren, die stark von den Vorstellungen Elijah Muhammads geprägt wurde.27 Trotzdem sehen einige Forscher/innen die NOI durchaus als legitime muslimische Gruppe an: „The difference between the two theological traditions [orthodox Islam and the NOI, P.D.] were substantial, but not to the point of mutual exclusiveness.“28 Ein zentraler Punkt, in dem sich die Anhänger/innen von Elijah Muhammad von der klassischen islamischen Auslegung des Korans unterschieden, war der Glaube daran, dass Elijah Muhammad der direkte Bote Allahs sei. Dieser sei zunächst inkarniert in der Person Wallace D. Fard auf die Erde gekommen, um die schwarze Nation zu erwecken und sie von der jahrhundertelangen Unterdrückung durch den weißen Mann zu befreien.29 Über die Person W.D.
25 Vgl. Lincoln: The Black Muslims in America, Boston 1962, S. 87-93. 26 Curtis: Black Muslim Religion in the Nation of Islam, S. 6. 27 Vgl. Walker: Islam and the Search, S. 47. 28 Claude Andrew Clegg III: An Original Man. The Life and Times of Elijah Muhammad, New York 1997, S. 68. 29 Vgl. Lincoln: The Black Muslims in America, S. 21.
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Fard, der laut der Gründungslegende 1930 in Detroit zum ersten Mal in Erscheinung trat, um die Nation of Islam ins Leben zu rufen, gibt es kaum gesicherte Angaben.30 Als verbürgt kann einzig gelten, dass er die Gruppe, die er in Detroit organisierte, Allah Temple of Islam nannte, seine religiöse Doktrin als Islam deklarierte und African Americans zu konvertieren versuchte. Zafar Ansari betont allerdings, dass die raison d’etre der NOI von Anbeginn ihre race-centeredness, also ihre Fokussierung auf die Zentralität von „Rasse“ für den Lauf des Weltgeschehens war.31 1934 verschwand W.D. Fard spurlos, und Elijah Muhammad übernahm die Position des Oberhauptes der Nation of Islam bis zu seinem Tode 1975.32 Die Namensänderung von Elijah Robert Poole zu Elijah Muhammad half dabei, den im Koran als Boten Allahs Muhammad ibn-Abd Allah genannten Propheten mit der Person Elijah Muhammad zu vermengen. Wie bereits erwähnt, nimmt in der Doktrin der NOI die Genealogie von Schwarzen und Weißen einen zentralen Platz ein und untermauert ihre religiöse Ausrichtung. Der Mythos soll deshalb im Folgenden knapp skizziert werden.
D ER S CHÖFPFUNGSMYTHOS
DER
NOI
Laut der Lehre der NOI schuf der verrückte Wissenschaftler Yakub mithilfe eines Experiments die weiße „Rasse“, indem er auf einer Insel „Schwarze“ mit „Braunen“ kreuzte und so schließlich weiße Menschen erhielt. Letztere seien nach Europa geschickt worden und lebten dort „unzivilisiert“ und moralisch „verkommen“. Schwarze Menschen seien hingegen weiterhin moralisch „rein“ und zudem bereits vor 66 Trillionen Jahren entstanden, während die Weißen erst sehr viel später, vor ca. 6000 Jahren erschaffen worden seien.33 Dieser Umstand verweise auf die „Primitivität“ der Weißen, denn sie hätten somit nicht so viel Zeit gehabt, sich kulturell und physisch zu entwickeln. Auch seien die Weißen „blauäugige“ Teufel, weil sie dem bösen Willen Yakubs entsprangen, der diese aus dem ursprünglich schwarzen Menschen erschuf,
30 Vgl. Zafari I. Ansari: Aspects of Black Muslim Theology, in: Studia Islamica 53 (1981), S. 137-176, hier: S. 139-140. 31 Vgl. Ansari: Aspects of Black Muslim Theology, S. 161. 32 Zur Biografie von Muhammad vgl. Ansari: Aspects of Black Muslim Theology, S. 140-141. 33 Vgl. ausführlich zum Schöpfungsmythos Elijah Muhammad: Message to the Blackman in America, Chicago 1965.
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indem er dessen Gene veränderte und so einen Prozess der Weißwerdung – und damit der Degeneration – einleitete. Weiße Menschen seien deshalb grundsätzlich von „teuflischer Natur“ und hätten die Intention, die schwarze „Rasse“ zu vernichten.34 In der Gegenwart hätten es die Weißen geschafft, ihre Dominanz und Ausbeutung der Schwarzen aufrechtzuerhalten. Darüber hinaus sei das Christentum explizit die Religion des weißen Mannes. Indem African Americans diese Lehre zu großen Teilen übernommen hätten, würden sie zu ihrer eigenen Entwertung und Ausbeutung beitragen.35 Ein zentrales Element der Weltanschauung der Nation of Islam war also der Ursprungsmythos über die Entstehung der Menschheit. Der Ursprung schwarzer Menschen liege demnach in Asien, genauer im arabischen Raum, denn sie würden vom (fiktiven) Stamm der Shabazz aus Mekka abstammen und seien deshalb, so Fard, Black Asiatics.36 Durch diese Genealogie unterscheidet sich die NOI von anderen Organisationen, die einen schwarzen Nationalismus vertreten. Denn als Ursprungsland galt letzteren immer Afrika.37 Dieser neue Ursprungsmythos bewirkte auch eine unterschiedliche Konzeption von Schwarzsein. In gewisser Weise nehmen Elijah Muhammad und andere Autor/innen der NOI zwar einen positiven Bezug darauf, wie der folgende Beitrag erkennen lässt: „BUT I SAY, BROTHERS AND SISTERS, be happy that you are Black. It is the first color, original of man, in the sun. It is honorable, durable and lasting. It is not easy to be changed even under climatic conditions.“38 Schwarzsein wurde also auch hier von Elijah Muhammad als etwas „Ehrenhaftes“ und „Dauerhaftes“ bestimmt, auf das African Americans stolz sein könnten. Andererseits herrschte bedingt durch den auf Asien bezogenen Ursprungsmythos eine strikte Abgrenzung zu der sonst in der Black Power-Bewegung dominierenden Fokussierung auf eine gemeinsame afrikanische Genealogie. Und während Schwarzsein bei Letzterer meist in einer transnationalen Di-
34 Vgl. Elizabeth Mazucci: Going Back to Our Own. Interpreting Malcolm X’s Transition from ‚Black Asiatic ދto ‚Afro-Americanދ, in: Manning Marable/Vanessa AgardJones (Hg.): Transnational Blackness. Navigating the Global Color Line, New York 2008, S. 245-264, hier: S. 250. 35 Vgl. Marable: Malcolm X, S. 188-189. 36 Mazucci: Going Back to our Own, S. 249-250. 37 Mazucci äußert die für mich sehr plausible Vermutung, dass die Konzeption von Black Asiatics dazu gedient haben könnte, sich unter den verschiedenen Black Nationalist-Gruppen hervorzuheben. Vgl. Mazucci: Going Back to Our Own, S. 251. 38 Elijah Muhammad: Are We the Black Muslims?, in: Muhammad Speaks, 21. März 1969, S. 22. H.i.O.
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mension gedacht wurde, wird in vielen Äußerungen von Elijah Muhammad und anderen Autor/innen der Nation eine Geringschätzung von afrikanischer Kultur und Geschichte geäußert.39 Demgegenüber wird Asien aufgewertet und als Ursprung schwarzer Menschen konstruiert, wie Algernon Austin festhält: „One sees that the Nation of Islam was not celebrating being black but being Asiatic. Asiatic was the way that believers defined themselves and it had a significant impact on their behavior and cultural life.“40 Allerdings geht Austin mit seiner Einschätzung m.E. zu weit, die NOI würde nicht „being black“, sondern „being Asiatic“ zelebrieren. Denn beides schließt sich nicht aus: Für die NOI war ein positiver Bezug auf Schwarzsein auch Asianness, analog dazu, wie in den meisten anderen Black Power-Doktrinen Schwarzsein mit Africanness synonym gesetzt und diese positiv konnotiert wurde. Die Konzeption von Schwarzsein ist also in der NOI sehr stark von der religiösen Lehre geprägt und rekurriert auf die Aussagen des NOI-Gründers Fard aus den 1920er Jahren, der alle Nichtweißen als „Black Asiatics“ betrachtete.41 Die NOI verzichtete damit darauf, die rassistischen Stereotype vom „primitiven“ Kontinent Afrika in Frage zu stellen und trug sogar noch zu deren Verstärkung bei, indem sie diese Mythen reproduzierte.42 Und so ging die Glorifizierung der Asian Blackness bei der NOI mit der Zurückweisung des subsaharischen Afrikas und seiner Geschichte und Kultur einher.43 Diese religiöse und rassifizierte Weltanschauung der NOI hatte von Beginn der 1930er Jahre an Auswirkungen auf die Visibilität der Mitglieder. Durch ihren Style sollten diese sofort im äußerlichen Erscheinungsbild und Auftreten als Black Muslims erkennbar sein. Style lässt sich also als ein wichtiges Feld weltanschaulicher Interventionen und Auseinandersetzungen in der Organisation identifizieren. Die NOI-Aktivistin Ermine Lowe thematisiert in einem Artikel die Dynamiken des Stylings vor dem Hintergrund der NOI-Ideologie. Sie verweist darauf, dass der Beitrag schwarzer Menschen zur „Zivilisierung“ der USA bisher immer von den weißen Sklavenhaltern angeeignet worden und diesen zugutegekommen sei und nicht schwarzen Sklav/innen, die diese Leistungen eigentlich vollbracht hätten. Die Autorin geht dann explizit auf das Styling der Mitglieder und die Rolle ein, die die NOI dabei gespielt habe. Sich das Haar als Conk zu glätten und
39 Vgl. Taylor: Elijah Muhammad’s Nation of Islam, S. 179-181. 40 Austin: Achieving Blackness, S. 46. 41 Vgl. Curtis: Black Muslim Religion in the Nation of Islam, S. 73. 42 Vgl. Taylor: Elijah Muhammad’s Nation of Islam, S. 186. 43 Vgl. Taylor: Elijah Muhammad’s Nation of Islam, S. 179.
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mit verschiedenen chemischen Mitteln zu behandeln, um das Kräuseln zu verhindern, sei ein Ausdruck der Imitation und des Wunsches zur Assimilation mittels äußerlicher Angleichung. Die religiösen Lehren Allahs, wörtlich weitergegeben durch seinen Botschafter Muhammad, machten diesen Imitationsdruck jedoch obsolet. Es würde nun vielmehr Wert auf die Einzigartigkeit des schwarzen Körpers gelegt. Dieser ist gemäß dem Ursprungsmythos der NOI „göttlich“, und das Styling müsse dies zum Ausdruck bringen durch Bescheidenheit der Kleidung und den Verzicht auf Make-Up. Die religiösen Selbsttechnologien würden den NOI-Mitgliedern neues Selbstbewusstsein und Stolz auf das eigene Aussehen verleihen. Damit falle auch der Wunsch weg, nur eine Karikatur des weißen Körpers zu sein. „All the contributions we have made to America’s civilization have benefited only the slave master. Is there any glory in that? [...] Under the teachings of the Messenger of Allah, we no longer find it necessary to imitate the appearance of other races. There is no need to conk, fry, process or slick down with ‚bear grease ދour hair. We find under the impact of Islam, that it is indeed a divine blessing to be unique – and our hair and color help make us that. As Christians, we feel so ashamed of the blessings God has given us, in His wisdom, that we bleach our skins and suffer any kind of indignity or hardship to make ourselves look like some grotesque caricature of our open enemy.“44
Lowe betont hier deutlich die Wichtigkeit der islamischen Lehre Elijah Muhammads. Während die christliche Lehre für African Americans zu einem Minderwertigkeitskomplex führe, weil sie schwarze Menschen dazu verleite, sich die Haut zu bleichen und allerlei Demütigungen über sich ergehen zu lassen, um Weiße zu imitieren, verleihe der Islam Stolz auf die eigene schwarze Einzigartigkeit. Haare und Hautfarbe seien dementsprechend positive Distinktionsmerkmale, die wertzuschätzen einzig die durch W.D. Fard und seinem Nachfolger Elijah Muhammad verkündete Lehre gewähre.
„AS C RINKLY
AS
Y OURS , B ROTHER “
Auch wenn sich bereits für die Frühphase der Organisation Rückschlüsse über geschlechtliche und „rassische“ Identitäten anhand der Style Politics ihrer Mitglieder ziehen lassen könnten, soll der Schwerpunkt hier bewusst auf die 1960er
44 Ermine Lowe: Blessing of Islam Include Dignity and Self-Respect, in: Muhammad Speaks, 14. Mai 1965, S. 8.
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und den Anfang der 1970er Jahre gelegt werden, um Vergleiche mit anderen Black Power-Organisationen anstellen zu können, die sich erst in diesem Zeitraum konstituierten. Es soll ferner gezeigt werden, dass Style als eminentes Feld der politischen Auseinandersetzung betrachtet wurde. Dafür sollen die Veränderungen der Style Politics innerhalb der NOI untersucht werden. Ein wichtiger Text für die Positionsbestimmung zu Schwarzsein und Identität zu Beginn der 1960er Jahre ist Eldridge Cleavers Artikel As Crinkly as Yours, Brother, der im Juni 1962 in der NOI-Zeitung Muhammad Speaks erschien. Dieser kurze Aufsatz war bereits im März desselben Jahres im Negro History Bulletin veröffentlicht und dann in der NOI-Zeitung wiederabgedruckt worden.45 Es kann deshalb davon ausgegangen werden, dass er über die Mitgliederschaft der NOI hinaus stark rezipiert wurde. Da alle Beiträge in Muhammad Speaks von Elijah Muhammad und den Herausgebern vor dem Druck genehmigt werden mussten,46 kann der Artikel auch als repräsentativ für die Konzeption von Style innerhalb der NOI Anfang der 1960er Jahre gelten. Eldridge Cleaver, der spätere Informationsminister der Black Panther Party, saß zum Zeitpunkt der Veröffentlichung von As Crinkly as Yours, Brother wegen Vergewaltigung und bewaffnetem Raubüberfall im Gefängnis von San Quentin.47 Wie viele andere African Americans auch, war er während seiner Inhaftierung der Nation of Islam beigetreten.48 Cleaver setzt sich in seinem Artikel mit Schönheitsidealen auseinander, die er als rassifiziert begreift. Dabei charakterisiert er diese als hegemonial und als Dreh- und Angelpunkt der White Supremacy-Doktrin.49 Da sich African Americans äußerlich aufgrund der Hautfarbe und Haartextur von weißen US-Amerikaner/innen unterschieden, sei dies, so Cleaver, der Ansatzpunkt, an dem eine Distinktion zu und Abwertung von Schwarzsein vollzogen würde. Diese Effekte der Setzung des weißen Schönheitsideals als hegemonialem Standard spezifiziert Cleaver dann wie folgt: „How can the effects of the Caucasian standard of beauty be identified in the thinking and actions of Negroes? Why, observe the great vogue of hairstraighteners, wigs, and skinbleaches that sprang into being!“50
45 Eldridge Cleaver: ‚As Crinkly as Yours, Brotherދ, in: Muhammad Speaks, Juni 1962, S. 4 und S. 16. 46 Vgl. Curtis: Black Muslim Religion in the Nation of Islam, S. 192. 47 Vgl. zu Cleavers Biographie Kathleen Cleaver: Forword, in: dies. (Hg.): Eldridge Cleaver. Target Zero: A Life in Writing, New York 2006, S. xi-xx. 48 Vgl. Eldridge Cleaver: Soul on Ice, New York 1968, S. 50. 49 Vgl. Cleaver: ‚As Crinkly as Yours, Brotherދ, S. 4. 50 Cleaver: ebd.
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Die große Popularität, die diese Produkte unter African Americans Anfang der 1960er Jahre genossen,51 wird deshalb von Cleaver auch als Symptom gelesen, denn sie verweise auf Entfremdungsprozesse, die durch die Mimikry des weißen Schönheitsideals hervorgerufen würden. Und tatsächlich galt das krause Haar als „bad hair“, während das artifiziell geglättete als „good hair“ bezeichnet wurde: „The straighter the hair – that is to say, the more one’s hair resembles that of the Caucasian – the ‚better ދit is.“52 Cleaver macht die „Negro Press“ als Hauptverantwortlichen für diese Ideologie aus, weil dort in großem Maße all die Produkte beworben würden, die eine Annäherung an Weißsein bewirken sollten. Auch der scheinbar positive Bezug auf Schwarzsein, den die Zeitschrift Ebony durch Feature-Berichterstattung über The World’s Most Beautiful Negro Women herstellte, erweise sich nach Cleaver als den weißen Hegemonialvorstellungen über Schönheit verhaftet. Denn alle Gewinnerinnen, so Cleaver weiter, seien eher geeignet, für den „title of Miss Scandinavia, Miss Greater Europe, or Miss Anything – other than that which is indicated by the title of the feature.“53 Sie würden also nicht wegen, sondern trotz ihres Schwarzseins als schön empfunden und das auch nur, weil sie eher als weiß wahrgenommen würden. Demgegenüber plädiert Cleaver für eine Rückbesinnung auf das eigene Schwarzsein und das stolze Tragen von Afro und afrikanischer Kleidung. Weder dürfe man weiterhin an den Konnotationen festhalten, die mit Weißsein assoziiert seien, noch Schwarzsein mit negativen Vorstellungen verbinden. Dabei genüge es nicht, schwarzes Selbstbewusstsein in Schriften und Reden zu propagieren. Stattdessen müssten die Elemente, die die Entwicklung schwarzen Stolzes verhindert hätten, beseitigt werden.54 Kwame Nkrumah, der erste Präsident des unabhängigen Ghana, habe dies bei einem fulminanten Auftritt in der UNVollversammlung vorgelebt:
51 In der sich an ein afroamerikanisches Publikum wendenden Modezeitschrift Ebony finden sich dafür viele Beispiele. Die auf Hautbleichcremes spezialisierte Firma Nadinola bewarb ihre Produkte etwa mit folgendem Text: „It’s hard to score in the game of love if you’re handicapped by a dark, dull complexion. But remember – wishing won’t lighten your skin, NADINOLA will.“ Ebony, November 1953, S. 11. H.i.O. In diesem Satz wird auch die Verbindung von Rassifizierung und Sexualität deutlich: Nur mit einem hellen Teint habe man Aussicht, im „Game of love“ erfolgreich zu sein. 52 Cleaver: ‚As Crinkly as Yours, Brotherދ, S. 4 53 Cleaver: ebd. 54 Cleaver: ebd.
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„[When he, in] majestically [...] colorful robes, can stride in towering dignity and pride onto the highest rostrum of the United Nations General Assembly, and deliver a rousing, epoch-making speech – without first pausing to either ‚straighten ދhis hair or ‚bleach ދhis skin [...] the unspoken message to his brethren is unmistakable: Black is Coming Back!“55
So könne letztlich ein eigener schwarzer Schönheitsstandard etabliert werden und „when Africa asks the American Negro with what type of hair was he born, he will answer loud and clear, with dignity and pride: ‚As crinkly as yours.“ދ56 Dieses Plädoyer für den Afro als Symbol für schwarzes Selbstbewusstsein stand im Einklang mit dem Aufkommen der Black Power-Bewegung, die 1966 durch das Exklamieren des Black Power-Slogans durch Willie Ricks und Stokely Carmichael offiziell ihren Anfang nahm.57 In Muhammad Speaks wurde die wachsende Militanz der Bürgerrechtsbewegung zur Mitte der 1960er Jahre genauso aufmerksam verfolgt wie die damit einhergehenden Style Politics, die sich in der großen Popularität manifestierten, die afrikanische Kleidung innerhalb einiger Teile der afroamerikanischen Bevölkerung erfuhr. Es lässt sich feststellen, dass die Berichterstattung über diesen neuen Trend anfangs neutral bis positiv war. Ein Artikel der NOI-Autorin Harriet Muhammad in der Ausgabe vom 16. April 1965 berichtet beispielsweise von einer westafrikanischen Modenschau und konstatiert: „The apparel of Negro women in America may undergo a radical change, judging by the phenomenal sucess of the recent West African Fashion Show held here [in Los Angeles, P.D.].“58 Die in dem Artikel verwendeten Adjektive wie etwa „atemberaubend“, mit denen die verschiedenen Kleidungsstücke beschrieben werden, zeigen die durchweg positive Bewertung dieses westafrikanischen Kleidungsstils, der durch den sogenannten „buba“, das Oberhemd eines dreiteiligen Kleidungsstücks, und die „stole“, die um den Hals geschlungen wird, gekennzeichnet ist. Auch in anderen Beiträgen in Muhammad Speaks wird der „European Look“ abgelehnt und der Afro als Zeichen von „Negro Womanhood“ zelebriert. So berichtet ein Artikel von Sylvester Leaks aus dem Jahr 1963 von der Naturally ’63 Hair, Fashion Revue. Eingangs wird die historische Situation beschrieben, in der sich African Americans in Bezug auf das eigene Schönheitsideal befänden: „Perhaps no group of people in the history of the world has had its cultural heritage
55 Cleaver: ebd. 56 Cleaver: ebd. 57 Vgl. Joseph: Waiting ތtill the Midnight Hour, S. 142-143. 58 Harriet Muhammad: West African Fashion Show Displays Inventive Designs, in: Muhammad Speaks, 16. April 1965, S. 14.
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so systematically and ruthlessly demolished as have Negro Americans.“59 Genau deshalb sei der Natural von schwarzen Frauen zuvor auch nicht getragen worden: Sie hätten befürchtet, dass Männer sie so nicht mehr attraktiv fänden, da diese sich ebenfalls an einem weißen Schönheitsmaßstab orientierten, welcher glattes Haar als erstrebenswert postuliere. Leaks zitiert dann verschiedene Frauen, die den Afro nun jedoch bewunderten, auch wenn sie sich noch nicht trauten, diesen zu tragen: „During my travels I discovered that many women were kind of pleased to see me wearing my hair natural; that a lot of them would like to wear theirs likewise. The reason they didn’t was because they wanted to please their husbands or the men they planned to marry.“60
Interessant ist hier, dass in diesem Zitat Männer als diejenigen identifiziert werden, die die Schönheits-Standards festlegen und an denen sich die Frauen orientieren. Die neuen Schönheitsideale und die wachsende Popularität afrikanischer Kleidung wurden auch in einem Beitrag beschrieben, der den Titel Advocate of the African Look Sees Bright Future trägt. Hier wird die Eigentümerin eines African Look and Hairstyle Shop aus Chicagos South Side, Joyce Gere, interviewt. Die starke Verbreitung des Afros begründet sie in dem Artikel folgendermaßen: „One reason ‚natural look ދhair styles are catching on among black women across America is that they provide us with a way to stop being mimics and identify with ourselves and our own heritage, rather than with white women […]“.61 Die Imitation und Identifikation mit Weißsein würde ihr zufolge durch das Tragen von Afros und afrikanischen Gewändern somit beendet und ein neuer Bezugspunkt über die Orientierung an Schwarzsein gesucht. Lee Mc Daniels, die Mitinhaberin dieses Afroshops, äußert sich in ähnlicher Weise: „‚Long or shortދ, Miss Lee concluded, ‚when you wear your hair natural, you are showing that you are proud of your identity, your heredity and dissatisfied with whitey’s stand-
59 Sylvester Leaks: Beauty of Negro Womanhood Theme of ‚Naturally ތ63 ދHair, Fashion Revue. Rebels Against European Look, in: Muhammad Speaks, 15. Januar 1963, S.24. 60 Leaks: ebd. 61 N.N.: Advocate of the African Look Sees Bright Future, in: Muhammad Speaks, 12. November 1965, S. 16.
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ards.“ދ62 Schwarzsein wird also über Style hergestellt. Der Afro ist Manifestation dieser Inszenierung der eigenen, schwarzen Identität. Entgegen der von einigen African Americans geäußerten Vermutung, der Afro wäre nur ein ephemeres Phänomen, berichtete ein Artikel im Jahr 1965, dass dieser sich nach wie vor großer Beliebtheit erfreue, was darauf zurückgeführt wird, dass er „‚the original African coiffure and fashion extravaganza designed to restore our racial pride and standards “]…[ ދsei.63 Man kann jedoch konstatieren, dass sich mit den veränderten, Militanz und Schwarzsein inszenierenden Style Politics im Zuge der Black Power-Bewegung eine sich davon absetzende Position innerhalb der NOI zu entwickeln begann, die ich im Folgenden genauer analysieren werde.
„S HUN THE A FRO !“ D EBATTEN UM H AIRSTYLING IN
DER
NOI
Das Glätten der Haare war ein Prozedere, dem sich nicht nur schwarze Frauen unterwarfen; es wurde seit Anfang der 1960er auch zunehmend von Männern betrieben. Populär wurde es aber vor allem durch Madam C.J. Walker, eine afroamerikanische Unternehmerin aus Louisiana, die bereits in den 1920er Jahren die erste chemische Methode zum Haare glätten erfand und damit Möglichkeiten der Veränderung des äußeren Erscheinungsbildes eröffnete. Diese Entwicklung wird in Muhammad Speaks folgendermaßen kommentiert: „For some fellow made the equally startling discovery that a portion of lye mixed with boiled potatoes could be rendered into a solution that would straighten even the ‚nappiest hair ދfor longer periods of time. In spite of the fact that thousands got their scalps badly and sometimes permanently burned by lye or incurred serious diseases, the passion for straightened hair spread among colored men.“64
In dem Artikel aus dem Jahr 1962 wird jedoch an anderer Stelle ein bereits einsetzender Trend ausgemacht, der sich von der „conking mania“, also der „Haarglätte-Manie“ entfernt habe: „[It] has been started, strangely enough, by bebop, ‚progressive ދand ‚modern musiciansދ. Among the younger followers of these new jazz forms, it is counted as a sign of intelligence to wear the hair short, un-
62 N.N.: ebd. 63 Muhammad Speaks, 27. August 1965. 64 N.N.: Be satisfied with self, in: Muhammad Speaks, Januar 1962, S. 21.
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greased but neat.“65 Demgegenüber versuchten jedoch Lehrer/innen und Arbeitsberater/innen verstärkt, die Teenager von der chemischen Behandlung ihrer Haare abzuhalten.66 Denn so würden sie keine Berufsaussichten haben, weil insbesondere weiße Arbeitgeber sie schon allein wegen ihres Stylings ablehnen würden: „They have to be awakened to the danger that white employers are turning them down by the thousands simply because they are afraid to take a chance with people who persist in putting acid on their heads.“67 Stattdessen sollten sie sich mit dem eigenen Aussehen zufrieden geben und nicht versuchen, den weißen Mann zu imitieren. Allerdings wurde der Process nicht zwangsläufig als Versuch interpretiert, weiß zu werden. Paul Sneeds, ein schwarzer Friseur, widersprach beispielsweise in einem Gespräch mit Muhammad Speaks der Annahme, das Haare glätten bei schwarzen Frauen sei einzig motiviert durch den Wunsch, weiße Frauen zu imitieren: „‚White women have permanents, use curlers and every other device to make their hair manageable. Our women straighten their hair also, primarily to make it manageable and easy to style ދhe remarked.“68 Der Natural oder Afro wurde von vielen in der Schönheitsindustrie arbeitenden African Americans zunächst als eine kurzzeitige Modeerscheinung gedeutet, welche nicht über schwarze Intellektuellenkreise hinaus Popularität gewinnen würde.69 Auch ein Portrait eines Models aus New York in Muhammad Speaks verstärkte diesen Eindruck, dass der African Look lediglich ein Distinktionsmerkmal der schwarzen Mittel- und Oberschicht an den Universitäten sei, sich aber nicht auf die breite Masse der afroamerikanischen Bevölkerung erstrecken würde.70 Ende der 1960er Jahre war der Afro unter African Americans jedoch so populär geworden, dass die Nation of Islam eine Kampagne gegen dieses Hairstyling begann. Dies lässt sich damit erklären, dass die Organisation sich gegenüber anderen Black Power-Gruppen abheben wollte und ihre Weltanschauung nun verstärkt über Style Politics propagierte, wie ich im Folgenden zeigen werde.
65 N.N.: Be satisfied with self, ebd. 66 Ebd. 67 Ebd. 68 N.N.: Women Believe: Men Will Discover the Hidden Beauty, in: Muhammad Speaks, 23. Oktober 1965, S. 21. 69 Vgl. N.N.: Women Believe: Men Will Discover the Hidden Beauty, S. 22. 70 Vgl. Muhammad Speaks, 24. September 1965, S. 19: „New York Model Clara Lewis Buggs displays natural hair to accentuate the African look, which seems to be gaining popularity all over the U.S., particularly among the elite Negro college circles.“
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Einen generellen Angriff auf den Afro unternahm Kathleen X, ein damaliges Mitglied der NOI, in dem Artikel Shun the Afro! in Muhammad Speaks vom 12. September 1969. Die Autorin beschreibt dort, wie African Americans auf der Suche nach einer eigenen Identität seien und dafür verschiedene Manierismen annähmen, wie beispielsweise sich selbst als „Black“ zu bezeichnen und Freunde mit „Brother“ anzureden. Als letzte Konsequenz dieser Entwicklung schmücke insbesondere der schwarze Mann sich mit dem Afro: „He dons the ‚Afro-Look.ދ And this is wrong! […] I can attest to the fact that the wearing of bushy hair is uncivilized.“71 An dieser Stelle lässt sich also die wiederkehrende Trope der „Unzivilisiertheit“ beobachten, die sich in einem „falschen“ Styling manifestiere. Laut dem Ursprungsmythos der NOI seien nun aber nicht Schwarze „unzivilisiert“, sondern diese seien die „Original People“, während „Unzivilisiertheit“ vielmehr mit Weißsein assoziiert wird, da die sogenannten „white cave people“, also die weißen Urmenschen, als primitive Wesen geschaffen seien. Demgegenüber führt die Autorin einen Ausweg aus dieser „Unzivilisiertheit“ an, den Elijah Muhammad verkündet habe: „He has been taught by God (Allah), To Whom praises are due forever, the proper techniques for grooming our ‚glory( ދhair). He teaches us that we should use only a warm comb in our hair and we should keep our hair neat.“72 Die religiösen Lehren von Elijah Muhammad werden hier als die einzig richtigen Stylingtechnologien angepriesen. Muhammad als das geistige Oberhaupt und direkter Botschafter Allahs verfüge über die religiöse Autorität und das Wissen, wie das Haar behandelt werden solle. Styling gehorcht in der NOI also nicht primär ästhetischen, sondern vielmehr religiös-politischen Vorgaben. Die „Primitivität“ und „Ungepflegtheit“, die der Afro signalisiere, wurde in der NOI ersetzt durch kurz geschnittenes, „adrett“ aussehendes Haar und eine Uniform, die Stolz und Respektabilität ausdrücke. Dies betont auch Kathleen X, wenn sie schreibt: „We have a costume! Brothers in blue and Sisters bedecked in white (symbol of purity) can be seen in Muhammad’s Mosques throughout the country. This is a national uniform which identifies a clean, civilized, and righteous people. [...] Yes, Black Man, identify. Identify with the best in civilization.“73
Das „islamische Styling“ verbinde die Mitglieder der NOI also wieder mit diesem gemäß der NOI-Doktrin erstrebenswerten „reinen“ Ursprung schwarzer
71 Kathleen X: Shun the Afro!, in: Muhammad Speaks, 12. September 1969, S. 24. 72 X: Shun the Afro!, ebd. 73 X: ebd.
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Menschen. „Reinheit“ und „Zivilisation“ werden also in der Überzeugung der NOI durch das Tragen ihrer eigenen Uniformen hergestellt. Im Gegensatz dazu stehe das Styling von Weißen, dessen Imitation durch African Americans fatale Konsequenzen hätte, wie ich im Folgenden ausführen werde.
S TYLING
UND DIE
M IMIKRY
VON
W EISSSEIN
Die Insignien des Black Power-Styles, Afro und Dashiki, zusammen mit einem freizügigeren Kleidungsstil schwarzer Frauen, die Mini-Rock und körperbetonte Kleidung als Zeichen von Autonomie und Selbstbewusstsein trugen, wurden sowohl von Elijah Muhammad, als auch von verschiedenen Autor/innen in Muhammad Speaks als Mimikry des weißen und damit „dekadenten“ sowie „unzivilisierten“ Lebensstils gebrandmarkt. Auffällig ist hierbei, dass die Style Politics großer Teile der Black Power-Bewegung, die diese Style-Elemente als genuin Schwarzsein verkörpernd propagierten, nun als Imitation von Weißsein gelesen wurden. Dies unterstützt meine These, dass Black Style zu Ende der 1960er Jahre unterschiedlich interpretiert wurde. Zeigen lässt sich dies u.a. anhand eines Artikels von Eugene Majied in Muhammad Speaks vom 13. Februar 1970 mit dem Titel Desire to Go Nude and Wear Long Hair. Majied beginnt damit, Weiße als ein „Volk“ zu beschreiben, welches als „unzivilisiert“ zu gelten habe und seine „Primitivität“, die dem Leben in Höhlen 2000 Jahre vor Christus geschuldet sei, nun wiederhole. Er schreibt: „We are now seeing the people of the cave two thousand (2000) B.C., re-acting their history in the way of letting their hair, beards grow out like the wild savages of the cave dwellers, though our people, the Black man, had no part in this history of the white man 74
[...].“
Diese Genealogie der Weißen, die also untrennbar mit Schmutz, „Primitivität“ und „Unzivilisiertheit“ verbunden sei und sich nun in der Gegenwart ungebrochen fortsetze, stehe in Opposition zur Genealogie von Schwarzen. Die Perfidität der Weißen bestehe nun laut der millenaristischen Ideologie der NOI darin, dass sie African Americans mithilfe ihrer „Tricknology“ vom rechten Weg abbringen und dazu verleiten würden, deren Lebens- und Kleidungsstil zu imitieren:
74 Eugene Majied: Desire to Go Nude and Wear Long Hair, in: Muhammad Speaks, 13. Februar 1970, S. 5-12.
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„Regardless to how filthy they act and how many evil things he can do, you will find our people following in pursuit because they were reared by the cave man [i.e. the white man, P.D.], whose cave savagery condition was removed by Moses; and this civilization, of the civilized nations of the earth, gives him mastery over the other civilizations due to his father who made them, taught them a wisdom of the utmost evil and deceit and is referred to as tricknology, which is the science of tricks, and he wants you today to let him teach and guide you so you will always practice his way of life that the nations of righteous (Muslims) will reject. This is the nature of him: to deceive the Black man against accepting his Salvation, or that which is good for him. Follow Mr. Muhammad and let him teach you plenty of this world, up from the cave, out of the hills and mountainsides of Europe.“75
Die Praxis des Stylings gemäß der Black Power-Ideologie ist Majied zufolge also bei African Americans darauf zurückzuführen, dass sie schon zu Urzeiten vom Lebensstil des „weißen Höhlenmenschen“ durch Täuschung animiert wurden. Demgegenüber sei es die eigene Bestimmung von Schwarzen, auf ihre religiöse Erlösung hinzuarbeiten. Dem „primitiven“ und „schmutzigen“ Lebensstil der Weißen, den der Black Power-Style nur imitiere, setzten die Black Muslims ihre religiösen Praktiken entgegen, die sich auch im Styling manifestierten. Indem sie die europäische Lebensweise und das Styling der Weißen zurückwiesen und die Lehren von Elijah Muhammad befolgten, besännen sie sich auf ihre eigene bewunderungswürdige vergangene Geschichte und Kultur, die somit wieder zum Leben erweckt würde.
„C IVILIZING
YOURSELF THROUGH STYLE “
In einer ohne Autor/innennamen abgedruckten Zeichnung in Muhammad Speaks vom 7. November 1969 zeigt sich, wie die Assoziationskette von Weißsein, Style und Unzivilisiertheit visuell konstruiert wurde. Auf der abgedruckten Abbildung sieht man einen schwarzen Mann mit seinem Sohn in einem Museum, die zusammen einen Ausstellungskasten betrachten (s. Abb. 5). In diesem Kasten sind drei weiße Figuren portraitiert, die spärlich in Fell gekleidet sind, in einer Höhle hausen und gebückt oder auf allen Vieren gehen. Überschrieben ist der Glaskasten, in dem die als „primitiv“ gezeichneten Weißen zu erkennen sind, mit dem Satz „European Cavewoman 2000 B.C.“. Neben dem schwarzen Mann und seinem Sohn erkennt man, dass weiße Frauen in Miniröcken vorbeigehen. Unter der Zeichnung heißt es: „The White People Haven’t Made Any Progress in the
75 Majied: Desire to Go Nude and Wear Long Hair, S. 12.
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Direction of Becoming Civilized. They Wore Mini Skirts in The Caves and They Wear Them Today.“76 Diese Karikatur lässt sich unschwer als scharfe Kritik an einem weißen weiblichen Kleidungsstil interpretieren, wie er insbesondere durch den Minirock in den 1960er Jahren auch in den USA weit verbreitet war. Die These, dass sich weiße Frauen in zweitausend Jahren nicht gesellschaftlich wieterentwickelt hätten, sondern nach wie vor an einer „primitiven“ spärlichen Bekleidung festhielten, die der Minirock darstelle, soll insbesondere der weiblichen Leserinnenschaft signalisieren, dass dieser Trend nicht nachahmenswert sei. Dagegen sei die weiße NOI-Uniform für schwarze Frauen Ausdruck von Reinheit und Respektabilität, ein Symbol für Zivilisation und Modernität. Paradoxerweise dient ein Styling in weiß in der NOI für den schwarzen Körper als gleichbedeutend mit positiven Werten, während andererseits Weißsein in der Organisation negativ konnotiert wird. Auch der schwarze Erwachsene selbst stellt in der Zeichnung einen starken Kontrast zu den cave people dar, weil er einen Modernität und Respektabilität symbolisierenden schwarzen Anzug trägt. Diese Zeichnung ist umso bemerkenswerter, als hier – wie auch in anderen Karikaturen und in der gesamten Ideologie der NOI – eine Inversion vorgenommen wird: Die hegemoniale Lesart, die über eine rassistische Konstruktion Schwarzsein mit „Primitivität“ gleichsetzt,77 wird umgedreht und auf Weißsein angewandt. Afrika galt bekannten rassistischen Interpretationen zufolge als „kulturlos“ und Afrikaner/innen wurden zu „Wilden“ stilisiert, die keinerlei Errungenschaften technischer, kultureller und sonstiger Art zu bieten hätten.78 Die Kolonisation wurde demzufolge häufig als zivilisatorischer Akt dargestellt, weil Afrikaner/innen durch Versklavung und Verschleppung nach Europa und Nordamerika die angeblich überlegene westliche Zivilisation kennengelernt hätten.
76 N.N.: The White People Haven’t Made any Progress in the Direction of Becoming Civilized, in: Muhammad Speaks, 7. November 1969, S. 19. 77 Vgl. Julian B. Carter analysiert die Konstruktion von Weißein und Zivilisation in dem Buch The Heart of Whiteness und schreibt diesbezüglich „Modernity and progress [..] thus appeared to be naturally, rather than politically, linked to the refined white body. The link that sutured them together was the powerful self-discipline, and especially the sexual/economic self-restraint and its corollary committment to rational productivity, that seemed to many Gilded Age Anglos the essence of their racial heritage.“ Julian B. Carter: The Heart of Whiteness. Normal Sexuality and Race in America, 1880-1940, Durham/London 2007, S. 70. 78 Vgl. zu diesem rassistischen Diskurs in Bezug auf die USA in historischer Perspektive Winthrop Jordan: White over Black. American Attitudes Toward the Negro, 15501812, Chapel Hill 2000.
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Abbildung 5: Karrikatur aus der Zeitung der Nation of Islam
Quelle: Muhammad Speaks, 7. März 1969, S. 8 (Faksimile).
Eine andere Karikatur, die für die Konzeption von Styling in der NOI aufschlussreich ist, erscheint zusammen mit dem Aufsatz The White Race Repeat their History. Desire to Go Nude and Wear Long Hair (s. Abb. 6). Man sieht dort einen schwarzen Mann mit Afro, Bart und Dashiki in kurzen Shorts und eine ebenfalls einen Afro tragende schwarze Frau, mit weit ausgeschnittenem Dekolleté sowie Mini-Rock abgebildet. Darunter steht in großen Lettern: „They are not the real descendants.“79 Die Signifikanten der Black Power-Bewegung, Afro und Dashiki, werden hierbei neu kodiert. Während viele Cultural Nationalists dieses Styling als Ausdruck der transnationalen Solidarität und Verbundenheit mit dem Land ihrer Vorfahren in Afrika einsetzten, wird dieses Postulat in der Zeichnung von Majied bestritten. Eine Analogie wird vielmehr zu den weißen Höhlenmenschen hergestellt, die auf der anderen Seite des Artikels abgedruckt sind. Letztere tragen lange Haare und nur spärliche Bekleidung, genauer unförmige Stofffetzen.
79 Majied: The White Race Repeat their History, in: Muhammad Speaks, 13. Februar 1970, S. 12.
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Abbildung 6: Karrikatur aus Muhammad Speaks
Quelle: Muhammad Speaks, 13. Februar 1970, S. 11 (Faksimile).
Die Schlussfolgerung, die man aus dem Text und den beiden Zeichnungen ziehen kann, ist die, dass die „unreal descendants“ der beiden in den Black PowerInsignien gekleideten African Americans die weißen „cave people“ sind. Sie beziehen sich in der Lesart der NOI-Ideologie mit den Signifikanten Afro, Dashiki und Mini-Rock auf eine vergangene, „primitive Zeit“ und ein „Volk“, das dem Mythos der NOI gemäß dekadent, „unzivilisiert“ und dem Untergang geweiht sei. Somit imitieren sie also quasi Weißsein, und damit die ganze Signifikantenkette von „Primitivität“, „Unzivilisiertheit“ und Dekadenz. Die „real descendants“ der African Americans sind der NOI-Logik demgegenüber die Black Muslims, die über ihr Reinheit und „Zivilisation“ repräsentierendes Styling eine Rückbindung an eine imaginierte glorreiche Vergangenheit in Vorderasien herstellen. Schwarzsein wird so als Asian Blackness konstruiert.
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Gleichzeitig wird die Referenz auf „afrikanisches“ Schwarzsein stellvertretend für die generelle Haltung der NOI in der Zeichnung karikiert und als „primitiv“ denunziert. Die NOI nimmt insofern eine ambivalente Position ein, als sie einerseits mit der Asian Blackness einen positiven Bezug auf Schwarzsein herstellen will, dabei jedoch durch die Abqualifizierung von African Blackness klassische rassistische Stereotype bedient.80 Die wachsende Popularität des Black Power-Styles bewog Elijah Muhammad Ende der 1960er Jahre dazu, in verschiedenen Beiträgen selbst zu Fragen der Mode Stellung zu nehmen und Anweisungen für das Auftreten und das äußere Erscheinungsbild der Black Muslims zu formulieren. In einem mit Beards betitelten Artikel skizziert Muhammad eine Genealogie des Bartes und von Kleidung allgemein. Letztere sei lediglich als funktionales Medium anzusehen, um Schmutz vom Körper abzuhalten.81 Die gleiche Aufgabe komme dem Bart zu.82 Die Gründe für das Barttragen seien in früheren Zeiten unterschiedliche gewesen, beispielsweise als Zeichen der Heiligkeit bei den „original people“, also gemäß der NOI-Terminologie bei der „schwarzen Urbevölkerung“. Bärte seien aber ebenso von „infidels“, also Ungläubigen, getragen worden, die diesen als Distinktionsmerkmal ansähen. Unabhängig von der Motivation in vergangenen Zeiten sei der Bart nun aber abzulehnen: „Regardless to the reason, I want to set forth in these words, that the beard is unsanitary.“83 Diese Interpretation des Bartes steht allerdings der islamischen Tradition entgegen, dergemäß der Prophet Muhammad aus Arabien einen Bart getragen habe.84 Dass ein Bart an sich unhygienisch sei, wird von Elijah Muhammad in seinem Argumentationsstrang noch erweitert um eine geschlechtliche und rassifizierte Dimension. Denn er bezieht dann Haare allgemein in seine Überlegungen mit ein und erklärt, dass er ebenso gegen Männer sei, die wie Frauen lange Haare trügen. Dies sei ein Relikt aus den Zeiten Moses:
80 Diesem Umstand wurde sich Malcolm X in seinem letzten Lebensjahr bewusst, als er sich mit Elijah Muhammad überwarf: „Malcolm realized that the Nation’s genealogical myth deprived members of the truth about their African origin. Noble Drew and Elijah Muhammad internalized racism to the extent that despite attempting to subvert racist ideology, they appropriated it.“ Mazucci: Going Back to Our Own, S. 259. 81 Elijah Muhammad: Beards, in: Muhammad Speaks, 4. Juli 1969, S. 5. 82 Vgl. Muhammad: ebd. 83 Muhammad: ebd. 84 Vgl. Curtis: Black Muslim Religion in the Nation of Islam, S. 216.
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„When the white man came out of the cave, he was full of hair. Hair covered his whole body and face. He had no barber shop. [...] When you let the hair of face and head grow long, you are wearing the style of ancient traditional people and you are not classified with the modern man of today.“85
Aus diesem Zitat wird deutlich, dass das Tragen längerer Haare, sowohl auf dem Kopf als auch im Gesicht, laut Elijah Muhammad auf vergangene Zeiten zurückgehe, als es noch keine Barbiere gegeben habe und Weiße in Höhlen gelebt hätten. Die „Primitivität“ der Weißen würde somit reproduziert, wenn man in der Gegenwart wieder lange Körperbehaarung zulassen würde. Lange Haupthaare seien deshalb nicht nur ein Merkmal mangelnder Hygiene, sondern auch der „Nichtmodernität“, und afroamerikanische Männer sollten sich deshalb rasieren und die Haare kurz schneiden. Zum Schluss seines Artikels wird Elijah Muhammad explizit und unterstreicht noch einmal: „I do not want to return to a traditional garb of my fathers before four hundred (400) years ago. I am not going to adopt any of those jungle styles of our people. I ASK you, if you would like to be a modern man, get away from trying to imitate the non-modern man.“86
Muhammad verweist hier erneut – über die Assoziation Dschungel – auf die scheinbare „Unzivilisiertheit“ der Weißen, die die Schwarzen imitiert hätten. Beachtenswert ist die Inversion der Assoziationskette von Dschungel und Weißsein, wurde doch zuvor Dschungel in einer langen rassistischen Tradition mit Afrika, Schwarzsein und „Primitivität“ assoziiert und gleichgesetzt.87 Schwarze hätten letzterer zufolge naturverbunden aber „primitiv“ im Dschungel in Afrika gelebt und seien erst durch die „zivilisationsbringenden“ weißen Kolonisatoren mit der Modernität in Kontakt gekommen. Muhammad reproduziert also damit die rassistische Weltsicht von der „Unzivilisiertheit Afrikas“, derzufolge dieser Kontinent keine geschichtlichen und kulturellen Errungenschaften vorweisen könne, sondern gänzlich „naturverhaftet“ sei. Muhammad konstruiert über den Signifikanten Haare damit also eine starre Dichotomie zwischen unmodern vs. Modern; Imitation weißer Primitivität vs. Modernität; lange Haare vs. kurze Haare inklusive der Existenz von Friseuren als Element von „Zivilisiertheit“. Insofern spiegele auch das Styling von Schwarzen, wie es in der oben abgebildeten
85 Muhammad: Beards, S. 5. 86 Muhammad: ebd. H.i.O. 87 Vgl. Claude Liauzu: Race et Civilization: L’Autre dans la culture orientale, Paris 1992.
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Karikatur zu sehen ist, diese „Primitivität“ wider, weil sie „jungle styles“ tragen würden. Die Black Power-Signifikanten Afro und Dashiki werden also mit dieser rassistischen Genealogie Afrikas kurzgeschlossen und als Regression in eine kulturlose Vergangenheit denunziert. Wer hingegen modern sein wolle, müsse sich mit den Black Muslims identifizieren, die dies durch ihre Style Politics zum Ausdruck bringen und Reinheit und Respektabilität verkörpern würden. Dass Styling in der Nation of Islam vor allem religiös-ideologisch bedingten Normierungen unterlag, habe ich bereits aufgezeigt. Doch wie wurde das Schönheitsideal der NOI in Bezug auf Styling nun umgesetzt? Dies sollte durch die Uniformen der NOI sowie eine intensive Schulung der Mitglieder erreicht werden.
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OF I SLAM UND DIE P ERFORMANZ SCHWARZER M ÄNNLICHKEIT Das Styling der NOI-Mitglieder war stark bedeutungsgeladen, weil der einzelne Körper einen Teil der zukünftigen schwarzen Nation repräsentierte, die geschaffen werden sollte. Insofern waren Symbole an den Körper gebunden: „The building of a Nation required public displays of symbols that often occurred at the site of the body.“88 Die vergeschlechtlichte Dimension der Style Politics kommt in dem Umstand zum Ausdruck, dass die angebliche „Entmännlichung“ der schwarzen Männer durch die Ausbildung in der NOI bekämpft und diese somit zudem vor der christlichen Beeinflussung bewahrt werden könnten.89 Über die Funktion der NOI-Schulungen für die männlichen Mitglieder äußert sich Wallace Muhammad in einem Beitrag aus Mr. Muhammad Speaks eindeutig: „The men here in North America who follow the Honorable Elijah Muhammad are trained in these private classes to face and fulfill their obligation as men, and shoulder their responsibilities by REPRODUCING the good which the religion of Islam has PRODUCED in them.“90 In den Fruit of Islam-Kursen sollten also mithilfe verschiedener Selbsttechnologien, durch Instruktion in islamischer Religion und Disziplinierungsmaßnahmen aus Jugendlichen „richtige“ Männer
88 Taylor: Elijah Muhammad’s Nation of Islam, S. 190. 89 Vgl. Edward Curtis: Islamizing the Black Body: Ritual and Power in Elijah Muhammad’s Nation of Islam, in: Religion and American Culture 12, 2 (2002): S. 167-196, hier: S. 169. 90 Wallace D. Muhammad: The Impact of Islam on Black Men. The Fruit of Islam, in: Mr. Muhammad Speaks, Special Edition, Januar 1961, S. 28. H.i.O.
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hervorgebracht werden. Sie sollten befähigt werden, das Potential, welches die NOI in ihnen geweckt hatte, vollständig zur Entfaltung zu bringen. Über die positiven Effekte dieser Ausbildung in der FOI schreibt Elijah Muhammad: „Some of the activities of the F.O.I. (Fruit of Islam), a class for the registered brothers, are congratulated by both white and black critics. The militant, disciplined, well-mannered, and clean cut young men produced by the F.O.I. has been highly complimented even by the Messenger’s most severe critics [...].“91
Über ihr diszipliniertes Auftreten und respektables Styling würden die NOI-Mitglieder also selbst von Kritikern anerkannt. Elijah Muhammad inszenierte nicht nur bei den Treffen in der Moschee Uniformierung und einheitliches Auftreten, Disziplin und Respektabilität. Er wies seine Mitglieder auch an, Paraden in vorwiegend schwarzen Stadtteilen durchzuführen. Dies sollte verhindern, dass die Praktiken der Black Muslims nur innerhalb der eigenen Organisation zelebriert und gesehen wurden.92 Brother Rasheed erzählt in einer Dokumentarfilm-Serie über die NOI, der im Jahre 1976 im New Yorker Sender WNBC-TV News ausgestrahlt wurde, was für Folgen das Styling der NOI für seine eigene Identitätsbildung und sein Selbstbewusstsein hatte. Auf die Frage der Interviewerin, wie er sich gefühlt habe, als er die Uniform anzog, antwortet er: „Oh, I felt proud! I wanted everybody to see me, you know? And when people saw me coming down the street, you know what they said? ‚Where are you going brother? ދIތm going to the Mosque, you wanna come with me? You know, there it is. ... And we were very serious. You know, very serious.“
93
Rasheed beschreibt die positive Wirkung des NOI-Styling, erwähnt darüber hinaus aber noch, dass die Uniform der Organisation auch auf Außenstehende anziehend wirkte und deren Interesse erweckte. Ein weiteres Element, welches Brother Rasheed im Interview erwähnt, ist der Blick. Dieser wurde eingeübt und sollte Ernsthaftigkeit und Entschlossenheit signalisieren. Selbstdisziplinierung und Körperbeherrschung wurde den Mitgliedern der NOI von Beginn an beige-
91 Wallace D. Muhammad: Impact of Islam on the Muslim Woman, in: Mr. Muhammad Speaks, Special Edition, Januar 1961, S. 7. 92 Vgl. Walker: Islam and the Search for African-American Nationhood, S. 67. 93 WNBC-TV News: Black Muslims in America. A Nation in Transition (Regie: Sharon Sopher), USA 1967, meine Transkription, P.D.
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bracht. Ein falscher Tritt beim Marschieren, nicht den Vorgaben entsprechendes Salutieren (also etwa die Hand nicht im vorgeschriebenen Winkel am Kopf anlegen), wurden sofort sanktioniert. Wallace D. Muhammad begründete dies in Muhammad Speaks wie folgt: „The military drills promote coordination and ‚cooperationދ, for they are designed not only to create mental alertness, but also to instill a willingness in the Muslim men to take orders from responsible men and women of their own race.“94 Die Ausbildung in der NOI war also sehr umfassend und den ganzen Körper und Geist betreffend. Sie zeichnete sich durch Synchronität und militärischen Drill aus.95 Dieser wurde sowohl äußerlich durch die Uniform als auch innerlich mithilfe der religiösen Ideologie und in der Performanz von Disziplin und schwarzer Einheitlichkeit deutlich. Die Ausbildung in der Junior FOI war ähnlich rigide und umfasste ebenfalls das Salutieren vor der NOI-Flagge und das Stehen in einer vorgeschriebenen, nach Größe sortierten Formation.96 Sehr aufschlussreich für die intendierten Effekte des NOI-Styles in Bezug auf Männlichkeitsentwürfe sind auch die Karikaturen in Muhammad Speaks. Politische Karikaturzeichnungen dienen generell dazu, einen bestimmten Sachverhalt pointiert und plastisch darzustellen. Insofern sind die Zeichnungen, die in Muhammad Speaks abgedruckt sind, aufschlussreich für die in der NOI-Ideologie wahrgenommenen Probleme und alltäglichen Auseinandersetzungen. Style Politics waren ein wichtiges Element in den Figuren des Zeichners Gerald 2 X. Ein wiederkehrendes Moment, das in seinen Zeichnungen mehrmals auftritt und das vor dem Hintergrund des Diskurses von der „Krise“ des schwarzen Mannes gelesen werden muss, sind die Karikaturen, in denen der modische Chic der 1960er Jahre als feminin betrachtet wird. Dieser Diskurs von der „Krise der schwarzen Männlichkeit“, der in der Geschichte der African Americans immer wieder auftauchte und in den 1960er und 1970er Jahren besonders virulent war, beeinflusste auch die Debatten über angemessenes Styling. Dass der Mann durch Kleidung effeminiert würde, wurde nicht nur in der NOI sondern auch in anderen afroamerikanischen Zeitschriften als ständige Bedrohung heraufbeschworen.97
94 Muhammad: The Impact of Islam on Black Men, S. 28. 95 Vgl. auch Curtis: Black Muslim Religion in the Nation of Islam, S. 137. 96 Vgl. Curtis: Black Muslim Religion in the Nation of Islam, S. 157. 97 Vgl. hierzu den Beitrag von Judith Rollins: Do Clothes Unmake the Man?, in: Black World, Mai 1974, S. 86-87 und meine Analyse im Abschnitt „Styling and the faggotizing of Black Men“ in Kapitel Sieben der vorliegenden Arbeit sowie auch die Man Pants von Eldridge Cleaver, ebenfalls in der vorliegenden Arbeit.
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Abbildung 7: Karrikatur aus Muhammad Speaks
Quelle: Muhammad Speaks, 13. August 1971, S. 14 (Faksimile).
Eine Zeichnung von Gerald 2 X ist besonders symptomatisch für dieses Krisenszenario (s. Abb. 7). Man sieht auf dem Bild zunächst eine schwarze Frau, die nach Hause kommt und ein Paar Schuhe erblickt. Sie zieht sie an und ruft entzückt aus: „They are so feminine! So lovely,“. In der zweiten Zeichnung tritt ihr Mann hinzu, der entrüstet ausruft: „Woman, get out of my shoes!“98 Sehr plastisch will hier der Zeichner verdeutlichen, dass der Modegeschmack vieler afroamerikanischer Männer mit polierten Schuhen und schicker, glitzernder Kleidung nicht männlich sei und Männlichkeit vielmehr dadurch untergraben würde. Denn eigentlich wären diese Schuhe eindeutig feminin, was seine Frau auch auf Anhieb erkennt und diese deshalb sogleich anprobiert.
98 Gerald 2 X: Stop Patterning after a Doomed Race of Devils, Muhammad Speaks, 13. August 1971, S. 14.
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S CHWARZE F RAUEN IN DER NOI UND DAS M USLIM G IRLS T RAINING Das Pendant zur Fruit of Islam war in der NOI das Muslim Girls Training (M.G.T) und die General Civilization Class (G.C.C.), in der junge schwarze Frauen nicht nur religiös, sondern umfassend weltanschaulich unterwiesen wurden. Die Instruktionen beinhalteten, neben einer Einführung in den Islam, detaillierte Anweisungen von Elijah Muhammad, wie zu gehen, sich zu kleiden und ganz generell sich zu verhalten sei. Die schwarzen Frauen sollten durch ständige Performanz bestimmter Vorstellungen von Respektabilität eine radikale persönliche Transformation durchlaufen. Es ging dabei, anknüpfend an eine lange Tradition, um ein ‚Uplifting the race ދund ein Überwinden negativer Entwicklungen in der Black Community wie etwa jugendlicher Delinquenz. Wallace Muhammad schreibt dazu: „The women who are accepted into this class (M.G.T.) must be dedicated toward the general upliftment of their race, and are expertly trained in the act of eliminating all forms of juvenile delinquency, for they realize that the very future of our people depends upon the proper training and care of our children [...].“99
Die einzelnen Trainingsaufgaben umfassten unter anderem Hausarbeiten und graziöses Gehen: Es sollte eine Transformation zur Lady stattfinden.100 Am Ende sollte der schwarze weibliche Körper der Absolventin vollkommen diszipliniert sein und Würde sowie Selbstbeherrschung zum Ausdruck bringen: „After finishing her studies as a student of the M.G.T. and G.C.C. the Muslim Sister is never again seen wearing vulgar, immodest or indecent attire. All of her body positions and movements reflect her finest qualities, highest morals, and in a way that demands the respect of everyone, black or white, Muslim or non-Muslim.“101
Die Ausbildung in der Schule der NOI habe für Frauen also zur Folge, dass sie zur Verkörperung von Respektabilität geworden seien. Ihr gesamtes Styling sei
99
Wallace D. Muhammad: Impact of Islam On The Muslim Woman, in: Mr. Muhammad Speaks, Special Edition, Januar 1961, S. 15.
100 „At M.G.T. class we learned about acting ladylike. We learned not to use profanity and not to raise our voices, and we practised walking with a book balanced like a crown on our head.“ Tate: Little X, S. 94. 101 Muhammad: Impact of Islam On The Muslim Woman, S. 7.
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nun im Einklang mit der Ideologie der Organisation. Nicht mehr das „primitive“ und „vulgäre“ Gebaren der weißen Frauen sei demnach der Maßstab für das Auftreten, sondern die Vorgaben von Elijah Muhammad. Die Instruktionen für die Style Politics in den M.G.T. wurden dabei immer religiös mit der Weltanschauung der Nation of Islam begründet. In einem mit Islam betitelten Beitrag von Anna Karriem lässt sich der Zusammenhang von Uplift-Gedanken, Geschlechterpolitik und der Bedeutung des Islam für die Reorganisation der schwarzen Familie und Nation analysieren, die in der NOI propagiert wurden. Karriem stellt eine Analogie zwischen dem Style der schwarzen Frau und dem Zustand der schwarzen Nation her. Wie diese gekleidet sei gebe Hinweise darauf, wie weit der Fortschritt der Black Community schon gediehen sei: „The Woman is the compliment to her Nation and the measuring instrument of its progress. If she is improperly instructed and misguided, she becomes a disgrace to her man, family and society.“102 Aus diesem Zitat wird deutlich, warum die Ausbildung in den Muslim Girl Training Classes so eine zentrale Bedeutung in der Nation of Islam einnahm: An der richtigen Schulung der schwarzen Frau hing das Wohl und Wehe des schwarzen Mannes, der Familie und der Gesellschaft insgesamt. Wenn sie deshalb noch an ihrem alten von den weißen „blauäugigen Teufeln“ verbreiteten dekadenten Lebens- und Kleidungsstil hängen würde, der durch Profanität und Unreinheit geprägt sei, wäre ein Uplifting unmöglich. Es sei schwarzen Frauen bei der Adaption eines „weißen“ Stylings unmöglich, die von der Nation of Islam angestrebten Werte wie Respektabilität und die Erhebung der schwarzen Familie zu moralischer Reinheit und Harmonie zu erreichen. Denn wie Karriem schreibt: „The White Man has designed clothing that could only be referred to as a loin cloth in reality and uses it to attract the Black Woman so that she will want to walk the streets half nude as he does.“103 Die Kleidung des weißen Mannes sei demnach so konzipiert worden, dass sie dessen niederes Wesen widerspiegeln und schwarze Frauen dazu verleiten würde, sich „primitiv“, d.h. „halbnackt“ zu präsentieren. Frauen wurde in der Nation of Islam eine subordinierte Position zugewiesen. Sie sollten unterwürfig Männern dienen und durften keine leitenden Aufgaben in der Organisation übernehmen.104 Ihre Funktion sollte stattdessen auf die Regelung der Familienangelegenheiten beschränkt bleiben. Diese Geschlechterungleichheit wurde jedoch von Elijah Muhammad zu verdecken versucht:
102 Anna Karriem: Islam, in: Muhammad Speaks, 7. November 1969, S. 19. 103 Karriem: ebd. 104 Vgl. Ogbar: Black Power, S. 29.
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„Muhammad […] helped to camouflage the gender inequalities in the Nation of Islam with the affectionate rhetoric of love, protection, and respect for black womanhood. […] The most efficient way to rationalize limiting the participation of women was through an ideology that connected their marginalized role to the greater good of black people. It was both their racial and religious duty to sacrifice self for the liberation project.“105
Der paternalistische Ton und die untergeordnete Rolle der Frauen innerhalb der NOI werden auch in Bezug auf die Vorgaben hinsichtlich des Stylings deutlich, die im Folgenden genauer analysiert werden sollen. Der Beitrag von Abdul Basit Naeem thematisiert Style Politics innerhalb der Nation of Islam bezüglich der Geschlechterverhältnisse. Er macht eine Dichotomie auf zwischen dem „europäischen“, weißen Look und dem Look der Black Muslima. Während erstere durch ihre Freizügigkeit, die von der NOI als weitgehende Nacktheit charakterisiert wird, Ausdruck der Dekadenz und des „Schmutzes“ seien, wären die langen Gewänder der Black Muslima Zeichen der inneren Stärke, Reinheit und Respektabilität. Allerdings sei eine Tendenz zu beobachten, dergemäß schwarze Frauen den Stil weißer Frauen imitierten: „While the new – or ‚Nude – ދlook in women’s fashions may be attributed to the fertile (and I daresay, filthy) minds of European and American designers, I cannot say that only the Caucasian (white) women seem to have succumbed to the temptation of adopting it.“106 Auch innerhalb der African Americans sei dieser freizügige Kleidungsstil modisch geworden. Von diesem Trend, so hebt Naeem hervor, unterschieden sich die Anhängerinnen Elijah Muhammads jedoch positiv, die nicht eine Spur „Unschicklichkeit“ an den Tag legen würden: „Under instruction of their wise leader, […] female members […] have adopted a garb – both for formal and informal wear – that calls for a complete departure from the ‚beast’s ދfashion edicts.“107 Dahinter stünde die Erkenntnis Muhammads, dass schwarze Frauen von Natur aus schöner seien als weiße Frauen und deshalb auch nicht darauf angewiesen wären, ihre körperlichen Reize zu entblößen oder artifizielle Schönheitsmittel wie Gel und Haarglätter zu verwenden: „‚You are so beautiful just the way you are and the way our ALL Wise God (ALLAH) has made youދ, says the Muslim leader, that to use artificial make-up on your face or other
105 Taylor: Elijah Muhammad’s Nation of Islam, S. 192-193. 106 Abdul Basit Naeem: Praises the Modest Attire Worn by Muslim Women, in: Muhammad Speaks, 7. Mai 1965, S. 19. 107 Naeem: ebd.
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parts of your body would mean you are dissatisfied with our Maker, as well as being foolish and extravagant. “ދ108
Die Körper- und Stylepolitik, die in der NOI durchzusetzen versucht wurde, wird aus dieser Passage sehr deutlich. Es wird die Natürlichkeit der schwarzen Frau in den Vordergrund gestellt, die keiner äußerlichen Hilfsmittel mehr bedürfe, um ihr wahres Wesen, das rein und bescheidener sei, zu erkennen zu geben. Ein ökonomischer Aspekt spielt sicherlich auch mit hinein: In einem Beitrag wird moniert, dass Millionen von Dollar für Schönheitsprodukte ausgegeben würden, was angesichts des Umstands, dass African Americans von Natur aus schön seien, absurd wäre. Dies stünde dem erklärten Ziel der NOI entgegen, sich selbst aus Armut und Abhängigkeit von den Weißen zu befreien und autonom zu werden.109 Zudem wird aber in dem obigen Zitat auch eine religiöse Komponente in die Vorgaben für das Styling miteinbezogen. Die schlichte und den Körper der Frau bedeckende Kleidung der NOI hingegen sei gehalten, keine Ablenkung durch als „oberflächlich“ Deklariertes wie z.B. sinnliche Reize zu befördern und erst dadurch der betrachtenden Person Einblicke in ihr „wahres“ inneres Wesen zu ermöglichen. Der den Blick auf den Körper freigebende modische Trend bei weißen Frauen sei demgegenüber bezeichnend für deren „verkommenes“ Wesen und die Notwendigkeit, durch Äußerlichkeiten von der inneren Dekadenz und moralischen Korruption abzulenken, die der weißen „Rasse“ zu eigen sei. Es wird also eine klare Dichotomie zwischen Schwarz und Weiß gezogen, wobei die Konnotationen bei Schwarz ausschließlich positiv, bei Weiß ausschließlich negativ sind. In einem anderen Artikel in Muhammad Speaks vom September 1962 wird innere Schönheit als vom äußeren Erscheinungsbild entkoppelt dargestellt: „A woman possessed of poise and grace, combined with a pleasing personality is true beauty that is not necessarily related to or contingent on surface beauty.“110 Die Persönlichkeit, nicht Äußerlichkeit sei somit das Entscheidende. Da die Bezugnahme auf die innere Schönheit ein wiederkehrendes Motiv in den Beiträgen in Muhammad Speaks ist, erscheinen mir Shirley Anne Tates Überlegungen zu schwarzen Schönheitskonzeptionen für diesen Themenkomplex erhellend zu sein. Zwar untersucht Tate in ihrer Studie die Schönheitsideale junger schwarzer
108 Naeem: ebd. H.i.O. 109 Vgl. Minister Roy: Beauty Dollar Waste; Could Fight Poverty, in: Muhammad Speaks, 26. März 1965, S. 26. 110 N.N.: ‚Inner Beauty ދas Reflected in Personality Key to true Beauty, in: Muhammad Speaks, 15. September 1962, S. 17.
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Frauen zu Ende des 20. und zu Beginn des 21. Jahrhunderts mithilfe von Interviews. In den Gesprächen findet sich jedoch auch häufig die Rede von der inneren Schönheit wieder. Tate dekonstruiert die scheinbare Neutralität des Satzes „Beauty comes from within“, denn er suggeriere eine „rassische“ Neutralität, die nicht vorhanden sei. „For one thing the saying serves to hide the fact that beauty is not neutral in a context in which iconic beauty is white.“111 Interessant ist deshalb das Auftauchen dieser Trope von der „inneren Schönheit“ im Kontext der Nation of Islam, die sich in ihrer offiziellen Ideologie gegen Weißsein als hegemonialem, moralischem und ästhetischem Referenzrahmen positionierte. Dass die Rede von der inneren Schönheit so häufig auftaucht, deutet darauf hin, dass die weißen ästhetischen Schönheitsstandards trotzdem noch wirkmächtig sind. Ich stimme Tate deshalb in ihrer Aussage zu, wenn sie sagt: „We can see ‚beauty comes from within ދas a socially constructed and sanctioned way of handling the stigma of flawed beauty, while also being a critique of a beauty of the surface itself.“112 Die Vorstellung von der „inneren Schönheit“ ist jedoch auch nicht etwas einfach Gegebenes. Vielmehr bedarf es der in der Nation of Islam obligatorischen Stylingtechnologien, um diese Schönheit hervorzubringen und aufrechtzuerhalten. Bei Schönheit handelt es sich in diesem Kontext um eine performative Praxis, die beständig reiteriert werden muss, um Respektabilität zu demonstrieren und sich in den Körper einzuschreiben. Dass die „innere Schönheit“ nicht einfach da ist, wird dadurch deutlich, dass im NOI-Diskurs immer wieder die Gefahr der Degeneration durch Imitation des weißen, „primitiven“ Stylings beschworen wird. Darüber hinaus wird dies anhand des hohen Stellenwertes ersichtlich, den die Technologien der Selbstführung für die Ausbildung der Mitglieder einnehmen und die die Black Muslims in den entsprechenden NOI-Schulungen erlernen müssen. Ein aufschlussreicher Artikel, der das Verhältnis zwischen Mode und Schönheit thematisiert, erschien in Muhammad Speaks im April 1962. Der ohne Autor/innenangabe abgedruckte Text wirft die Frage auf, ob Schönheit und Mode identisch seien. Es wird zu Beginn des Beitrages konstatiert, dass beide oftmals miteinander vertauscht würden. „Schöne“ Kleidung gelte vielen als Ausdruck von Schönheit. Demgegenüber argumentiert der Artikel jedoch, dass die schwarze Frau die als „artifiziell“ bezeichnete Schönheit der Mode nicht brauche: „All black women are endowed with the basic material for a true beauty. A mind, heart, and body already fashioned by the Perfect Creator. We only have to develop them to their
111 Tate: Black Beauty, S. 32. H.i.O. 112 Tate: Black Beauty, S. 24. H.i.O.
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fullest beauty [...] You do not need fashion... You as a black woman need only a few basic rules to follow to be beautiful... Cleanliness...internally and externally at all times, for cleanliness is the next to Godliness.“113
Mode sei für schwarze Frauen also kein wichtiges und erstrebenswertes Hilfsmittel, da sie von Natur aus schön seien. Durch das Befolgen eines „reinlichen“ Lebensstils erreiche die schwarze Frau eine Annäherung an den Zustand der Göttlichkeit. Äußere Erscheinung sei nur insofern relevant, als diese innere Reinheit äußerlich sichtbar mache. Im Gegensatz zu Elijah Muhammad, der ein striktes Verbot von Make-Up durchsetzen wollte, appellierte sein Sohn, Wallace Muhammad, 1961 zwar an schwarze Frauen, das Schminken zu unterlassen; dennoch wollte er dies nicht sanktionieren. Ob Make-Up getragen werde oder nicht, liege in der Verantwortung einer jeden Frau und sei Indikator des erreichten Bewusstseinsgrades: „She then abstains according to her level of understanding and her confidence in her God-given beauty.“114 Make up sei ein Relikt eines Zustandes von Unwissenheit und drücke den Wunsch schwarzer Frauen aus, ihre natürliche Schönheit aufzugeben und künstlich zu verändern, um den „Caucasian standards of beauty“ näherzukommen.“115 Eine solche Verlautbarung wurde zu diesem Zeitpunkt in der NOI noch akzeptiert und nicht sanktioniert. Erst 1968 verbot Elijah Muhammad den gesamten Black Power-Style sowie Make-Up für Black Muslims.116 Die Style Politics der NOI, die sich in Muhammad Speaks explizit an Frauen wenden, lässt sich als Versuch der Konstruktion eines weiblichen muslimischen Subjekts interpretieren. Respektabilität und Reinheit werden inszeniert über die Appellation an innere Werte, die durch äußere angemessene Kleidung und Verhalten realisiert und ständig neu bestätigt werden müssen. Zwar gibt es auch Karikaturen, die den Kleidungsstil von männlichen NOI-Mitgliedern thematisieren, aber quantitativ fallen diese nicht so stark ins Gewicht und scheinen somit auch nicht im Fokus des Interesses zu stehen. Style Politics stehen damit für die NOI innerhalb der sogenannten Uplift-Tradition, also dem Versuch von African Americans, aus ökonomischer Prekarität
113 N.N.: Are Fashion and Beauty the Same?, in: Muhammad Speaks, 12. April 1962, S. 22. 114 Edwin Moss: Wallace Muhammad Says Women Not Forbidden To ‚Make-upދ, in: Mr. Muhammad Speaks, Special Edition, Januar 1961, S. 7. 115 Moss: ebd. 116 Vgl. Curtis: Black Muslim Religion in the Nation of Islam, S. 115.
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und auszubrechen und über Bildung und Arbeit die rassismusbedingt desolate Situation der schwarzen Bevölkerung zu verbessern.117 Das „richtige“ Styling trage dazu bei, aus Selbsthass und Minderwertigkeitskomplexen auszubrechen: „It is part of the process of building, of emerging from the shadowy world of self contempt, of overpowering the destructive psychological impact of a standard of beauty worshipped by the majority in American society.“118 Es gehört in den Zusammenhang der Performanz einer neuen, selbstbewussten islamischen schwarzen Identität, die die NOI mit verschiedenen Disziplinierungsstrategien, der Ausbildung im Rahmen ihrer Nachwuchsorganisationen in Fruit of Islam und M.G.T. (Muslim Girls Training Camp) sowie der öffentlichen Paraden zu erreichen versuchte. Die Organisation kämpfte somit permanent gegen die omnipräsente Versuchung der „profanen“ und „dekadenten“ weißen Welt an. Das weiße Styling sei besonders perfide, weil es der erste Schritt hin zur Sünde sei. „In order to get you to commit evil and indecency, the white man cuts your dress off up to and above your knee, and you follow them with a smile. It did not seem possible [...] that you would stoop to any such filth, and display your nude body and spread out your low desire and characteristics and allow the public to see you in such a half-nude condition. But you fall back on this answer: ‚That is the style. ދYou do not have enough sense to reply that this is the style of the enemy of yours, for you are lost to the knowledge of self and you think everything white people do, you should follow them.“119
Nichtmuslime seien also schutzlos dem zunächst attraktiv erscheinenden Kleidungsstil der Weißen ausgesetzt. Da sie nicht über das Wissen der NOI, demgemäß Weiße „blauäugige Teufel“ und zum Verderb der African Americans erschaffen worden seien verfügten, imitierten sie diesen Kleidungsstil, nicht wissend, dass diese Weißen ohnehin zur Verdammnis verurteilt seien. Sie sähen dies bloß als einen angesagten Style an, während dies jedoch ein Emblem des Gegners, der Weißen sei. Die Frage des Kleidungsstils wird von Elijah Muhammad hier als Dreh- und Angelpunkt interpretiert, anhand dessen sich moralisches Verhalten ablesen lasse. Die Imitation des weißen äußeren Erscheinungsbildes führe
117 Vgl. zur Uplift-Tradition Kevin Gaines: Uplifting the Race. Black Leadership, Politics and Culture in the Twentieth Century, Chapel Hill 1996. 118 N.N.: Mirror, Mirror On the Wall, Who Now?, in: Muhammad Speaks, 4. Februar 1963, S. 13. 119 Elijah Muhammad: To the Black Woman, in: Muhammad Speaks, 20. August 1968, S. 8.
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somit dazu, dass deren selbstzerstörerisches Verhalten auch Auswirkungen auf das Leben der African Americans habe. Nur durch die Mitgliedschaft in der Nation of Islam würde eine wirkliche Hinwendung zur Moderne und eine moralische Lebensweise gelingen, die Erlösung verspreche. Elijah Muhammad appelliert im weiteren Verlauf des Artikels eindringlich an die African Americans, diesen Nude-Style nicht zu übernehmen, da selbst einige Weiße Mini-Rock und Körperbehaarung ablehnten – nämlich die intelligentesten und anständigsten unter ihnen: „NOW, THE WHITE MAN is talking about a more modest style for you – for you went crazy over his half nude style which was disgracing him and his kind before the civilized, decent society of other nations. If you noticed, the most intelligent and decent people, especially among the white race, do not wear mini-dresses; it would disgrace their office of intelligence and rule. What would you look like going to the office of intelligent white people today and see them sitting there with long hair or beards or with hair worn down their backs like a woman? This is the way the uncivilized white man went in the days when they lived in caves. It is the style of Black people of uncultured parts of Africa and the Islands of the Pacific, which was caused by the absence of the right guide, but they too will turn to the civilized way when they have the right guide.“120
Muhammad reproduziert hier also ein weiteres Mal die rassistische Interpretation von Afrika als kulturlos. Die African Americans besäßen allerdings die Möglichkeit, durch die richtige Anleitung auf den Pfad der Zivilisation zu gelangen. Aber es bestehe noch Wiederwillen dagegen: „But, yet the Black Man does not want to come to Allah (God) however you see that he wants to be Black. So by refusing and rejecting the call of Allah (God) to ‚set him in heaven at once ދhe turns and seeks to imitate old traditional Africa instead of looking for the modern Africa or Islam.“121
Muhammad thematisiert hier eine angebliche Ambivalenz, die verhindere, dass mehr African Americans (und Muhammad spricht dabei fast ausschließlich vom Black Man!) zum Islam konvertierten. Zwar sei ein großer Wille da, „schwarz“ zu sein, aber es würde mit dem Styling ein „falsches“ Schwarzsein imitiert, nämlich das eines traditionellen, vergangenen und deshalb primitiven Afrika. Statt-
120 Muhammad: ebd. 121 Elijah Muhammad: The Angry 100% Dissatisfied, in: Muhammad Speaks, 10. Dezember 1969, S. 15.
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dessen sei es aber notwendig, sich dem modernen Afrika und Islam zuzuwenden. Dies wird auch aus der folgenden Passage deutlich: „THE Black Man in America would like to show his love for Black but he is imitating the old traditional Africa, which Africa herself is trying to discard. And Africa must discard her old traditional life and custom. The ignorance and savagery here and there in Africa must be removed and replaced with the modern civilization of Islam and not by the westernized idea or way of life.“122
Muhammad beschwört also eine Dichotomie eines „zivilisierten“ und eines „unzivilisierten“ Afrikas, in der die Tradition der rassistischen Trennung von dem hochkulturellen Nordafrika beispielsweise Ägyptens gegenüber dem subsaharischen Afrika deutlich nachhallt.123 Das alte Afrika und dessen Schwarzsein würde vom heutigen „kultivierten“ Afrika verpönt, und es vollziehe sich eine Hinwendung zum modernen, islamischen Afrika. Dies sei der einzige Weg zu authentischem Schwarzsein: die Konversion zur Nation of Islam und die Adaption ihres Stylings, die dieses moderne Afrika repräsentiere, statt sich mit der Kleidung auf etwas zu beziehen, das längst obsolet und nur noch von Weißen, infolge der ihnen inhärenten Dekadenz getragen würde. Elijah Muhammad appelliert deshalb eindringlich an die Frauen der NOI: „Bring your dress down below the knee. [..] Show self-decency.“124 Das Styling schwarzer Frauen dürfe nicht obszön sein und zu viel Haut preisgeben, sondern müsse den Körper bedecken, damit Selbstachtung auch nach Außen transportiert würde. In seinem Aufsatzband The Fall of America wird Elijah Muhammad noch expliziter, was die Vorgaben an den Style von schwarzen Frauen anbelangt. Er führt dort aus: „First, we must discipline our women. If any of them are so blind as to consort with our oppressors, then we must take counsel among ourselves and with her. [...] Much of the defection among our women stems from the fact that they have been cajoled into following the oppresor’s style when it comes to hair, dress and clothing. These are the badges to sin and cause men to leer and behave lasciviously. If you study the customs and traditions of
122 Elijah Muhammad: ebd. 123 Vgl. hierzu Ingrid Jacobs/Anna Weicker: Afrika, in: Susan Arndt/Nadja OfuateyAlazard (Hg.): (K)Erben des Kolonialismus im Wissensarchiv deutsche Sprache. Ein kritisches Nachschlagewerk, Münster 2011, S. 200-214, hier. S: 201-204. 124 Elijah Muhammad: The Black Woman in America, in: Muhammad Speaks, 19. Februar 1970, S. 11.
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Islamic countries you will see the proper manner of dress. These are the rules we must lay down and enforce if our women are to receive the respect due to them.“
125
In Bezug auf Styling seien demnach islamische Länder der Maßstab, an dem sich weibliche NOI-Mitglieder orientieren müssten. Die patriarchale und chauvinistische Sichtweise von Elijah Muhammad wird aus diesem Zitat deutlich, denn er spricht von der Selbstverschuldung der Frauen, wenn sie als Sexualobjekte wahrgenommen würden. Frauen müssten demgegenüber von Männern diszipliniert werden: Diese wären das Korrektiv, welches die Frauen durch Härte wieder auf den richtigen Weg bringen würden, wenn schwarze Frauen sich durch den verkommenen „oppressor’s style“ hätten verführen lassen. Darüber hinaus wurde wiederholt an die Frauen in der NOI appelliert, Respektabilität an den Tag zu legen.
R ESPEKTABILITÄT Die Inszenierung von Respektabilität war seit Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts eine wichtige Strategie afroamerikanischer Frauen.126 Religion war dabei ein zentraler Aspekt, weil sie die innere Überzeugung für ein respektables Auftreten lieferte. Äußerlich wird die Respektabilität durch verschiedene Selbsttechnologien wie Sauberkeit, Disziplin und adäquate Kleidung performt. Die Frauen der Nation of Islam richteten sich mit ihrem Styling somit nach Vorgaben, die eine lange Tradition in der African American Community hatten. Der Respektabilitätsdiskurs wandte sich gegen rassistische Stereotype über die schwarze Frau. In der Nation of Islam ebenso wie in christlichen Kirchen adressierte er das Indiviuum, um der Gesamtheit der African Americans zu moralischer Distinktion zu verhelfen. Evelyn Brooks Higginbotham schreibt in ihrer Studie zur Black Baptist Church: „Respectability demanded that every individual in the black community assume responsibility for behavioral self-regulation and self-improvement along moral, educational, and economic lines.“127 Während Respektabilität für die Black Baptist Church jedoch ein erster Schritt zum Dialog
125 Elijah Muhammad: The Fall of America, Chicago 1973, S. 16. 126 Vgl. Evelyn Brooks Higginbotham: Righteous Discontent. The Women’s Movement in the Black Baptist Church, 1880-1920, Cambridge, MA 1993; E. Francis White: Dark Continents of Our Bodies. Black Feminisms and the Politics of Respectability, Philadelphia 2001. 127 Brooks Higginbotham: Righteous Discontent, S. 196.
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mit dem weißen Amerika war und den Weg frei machen sollte für eine Integration in die weiße Gesellschaft,128 war das postulierte Ziel der Frauen in der NOI die Separation von der weißen Mehrheitsgesellschaft. Respektabilität wurde für die Black Community und nicht für die Weißen inszeniert, da Letztere in der Überzeugung der Nation of Islam als „blauäugige Teufel“ selbst nicht respektabel, sondern verkommen waren. Der Slogan „Black and proud“, den viele Black Power-Gruppen durch Afros und Dashikis stilistisch zum Ausdruck brachten, wurde Ende der 1960er Jahre von den Frauen der Nation of Islam durch bescheidene Ganzkörperbekleidung ausgedrückt. Ein Artikel von James L. 4 X beschreibt diesen Trend an der New York University, an der er mehrere junge Black Muslims befragte. Die 18-jährige Darlene Booth beispielsweise bezieht sich in dem Interview auf ein Gespräch mit einem Black Muslim, Brother Jerry, in dem sie sich über das Programm von Elijah Muhammad ausgetauscht hatten. „When we asked him how could we boost our men, he replied that ‚one good way was to let the Black man know that you demand respect from all people.“129 Der beste Weg, dies zu zeigen, sei das Tragen langer Kleider, die keinen Blick mehr auf den Körper gestatten würden.130 Eine andere junge Frau, die vom Autor des Artikels befragt wurde, war die 19-jährige Iris Joseph, die über ihre Erfahrung mit dem Kleidungsstil der Black Muslims berichtete: „She said ‚when I wear my garments long, it makes me realize what my true state is to be, and that it is to be a woman – and more than just a woman – but a Black woman. I also feel more reserved, more calm and I respect myself more because I know other people respect me.[...] It is a blessing that we have been introduced to something that says ‘we are really Black and proud.“ދ131
Das Styling der Black Muslims wird hier als authentisch dargestellt, weil es ein wirkliches Bekenntnis zu Schwarzsein und Stolzsein demonstriere. Denn die langen Gewänder drückten die Reinheit und Respektabilität aus, die aufgrund der religiösen Lehren der NOI jedem Mitglied, das die Regeln der Organisation be-
128 Brooks Higginbotham: ebd. 129 James L. 4 X: Inspired by Muhammad’s Teachings: New York Black Co-Eds Quit Mini-Skirts; Discover New Dignity in Modest Attire, in: Muhammad Speaks, 27. Juni 1969, S. 35. 130 4 X: ebd. 131 4 X: ebd.
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folge, eigen sei. Der modische Black Power-Chic hingegen sei nur etwas Oberflächliches. Kritisch stellt die Autorin deshalb fest: „We have, by our appearances, gravely retrogressed into oblivion. Where is our touch of creativeness, originality and genius in this white woman’s wardrobe? We are simply playing the part of ‚copycatsދ. Something as simple as a dress [...] is causing us to falter behind the rank and file of the advanced societies of the world. Why doesn’t the white woman of 132
America or abroad wear the long dress of Ghana or the dress and veil of Egypt?“
Der Kleidungsstil der weißen Europäerinnen wird also auch hier schon als ungeeignet für die schwarze Frau dargestellt. Stattdessen wird die Frage aufgeworfen, warum nicht weiße Frauen den Kleidungsstil der schwarzen Frauen aus Afrika imitierten. Auch Malcolm X thematisiert in einer Rede den weiblichen Kleidungsstil und kritisiert den Umstand, das weiße Frauen von schwarzen Männern bewundert und als Maßstab für Schönheit begehrt würden, während sie schwarze Frauen ablehnten: „We worshipped the false beauty of the slavemaster’s leprous looking women… We regarded them with the utmost respect, courtesy and kindness, bowing, and tipping our hats, showing our teeth. We perfected the art of humility and politeness for their sake, but at the same time we treated our own women as if they were mere animals, with no love, respect or protection.“133
Anstatt die weißen Frauen wertzuschätzen und zu bewundern, sei es für schwarze Männer also an der Zeit, afroamerikanische Frauen zu respektieren und zu verehren. Mithilfe des neuen Selbstbewusstseins, welches die männlichen NOIMitglieder durch diszipliniertes Training erlangten, könnten sie nun auch die falschen Schönheitsmaßstäbe der weißen Gesellschaft ablegen und die schwarze Frau als schön anerkennen.
132 Tynetta Deanar: Dress Should Identify Black Woman, in: Muhammad Speaks, Juli 1962. 133 Malcolm X, zit. nach Lincoln: Black Muslims, S. 69.
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D ER D ISKURS VON DER K RISE DER SCHWARZEN F AMILIE UND S TYLING Die Styling- und Körperkonzepte der Nation of Islam lassen sich nur vor dem Hintergrund der wachsenden Sorge um die angeblich zerrüttete schwarze Familie und deren auf die Zeit der Sklaverei zurückgehende matriarchale Struktur begreifen.134 Diese These wurde am prominentesten von Daniel Moynihan in seinem Report on the Black Family von 1965 vertreten, der als sogenannter Moynihan-Report bekannt wurde.135 Damit verbunden sei die Emaskulation des schwarzen Mannes, dessen Männlichkeit dadurch gefährdet sei, dass er infolge von ökonomischer Prekarität nicht mehr die Rolle des Familienvorstandes übernehmen könne, wie dies der weiße Mann ihm vorlebe. Dies führe letztlich zu einer Krise der schwarzen Männlichkeit.136 Während viele Black Power-Aktivist/ innen den Report kritisierten und dessen These zurückwiesen, stimmten Vertreter der NOI seinen Thesen zu.137 Bereits in den 1950er Jahren war der Diskurs von der Krise der Familie und der Männlichkeit virulent, sowohl in der weißen als auch in der schwarzen Bevölkerung.138 Auch Malcolm X setzte sich für die Kernfamilie als notwendige Einheit ein, auf der die schwarze Nation ruhen müsse. Insofern nahm er schon bestehende Vorstellungen von der „idealen“ weißen Familie und Nation auf:
134 Vgl. zur Kritik daran Norbert Finzsch: Gouvernementalität, Moynihan und die Welfare-Queen im Cadillac, in: Jürgen Martschukat (Hg.): Geschichte schreiben mit Foucault, Frankfurt/Main 2002, S. 257-282. 135 Vgl. Lee Rainwater/William Yancey (Hg.): The Moynihan Report and the Politics of Controversy: A Trans-Action and Public Policy Report. Including the Full Text of The Negro Family. A Case for National Action by Daniel Patrick Moynihan, Cambridge, MA 1967. 136 Vgl. hierzu Dorestal: „We shall have our Manhood“, S. 97-102; Estes: „I am a Man!“, S. 107-129. 137 Hervorgehoben werden muss, dass die Kritik bei vielen Black Power-Aktivisten nicht so weit ging, die These von der Krise der Männlichkeit zu bestreiten, lieferte dies doch die Möglichkeit, patriarchales Verhalten als legitimen Akt der Rückerlangung von Maskulinität zu deklarieren. Schwarze Feministinnen hingegen kritisierten den Report von Beginn an. Vgl. Paula Giddings: When and Where I Enter. The Impact of Black Women on Race and Sex in America, New York 1984, S. 324-329 und S. 334-335. 138 Vgl. Gilbert: Men in the Middle, bes. S. 15-33.
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„The construction of this family unit within the NOI, and Malcolm X’s propagation of this family unit in the entire black community through his preaching, coincides with a growing anxiety among white Americans over the erosion of that family perceived as the foundation of the white nation.“139
Der Körper war dabei ein umkämpftes Feld, in den sich Diskurse um Race, Class, Gender und religiöse Identität einschrieben. Das Styling des schwarzen Körpers fungierte als Symbol für schwarze Befreiung insgesamt. Entsprach Ersteres den religiösen Vorgaben der NOI, so wurde damit eine Abgrenzung von einem „dekadenten“ und mit Weißsein assoziierten Lebensstil inszeniert. Dabei war diese „Unzivilisiertheit“ nicht nur die der Weißen. Weißsein konnte durch die Mimikry des Lebens- und Kleidungsstils der Weißen auch von African Americans performt werden, wie ich bereits an verschiedenen Beispielen ausgeführt habe. Der vorgegebene Style der Nation of Islam hingegen sei ein Schutz gegenüber dem weißen Einfluss, sei es religiöser Art (Christentum) aber auch der Dekadenz und der Unzivilisiertheit der weißen „Rasse“ allgemein. In nuce bilde der einzelne schwarze Körper der NOI, der diszipliniert und mit den Regeln des äußeren Auftretens konform sei, demnach die künftige schwarze Nation.
V ERÄNDERUNGEN
DER
NOI
NACH
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Der Tod von Elijah Muhammad markierte eine Zäsur in der Geschichte der NOI. Denn Wallace D. Muhammad, der Sohn des verstorbenen Oberhauptes, übernahm die Führung der Organisation. Wallace Muhammad hatte in Saudi Arabien Arabisch und Islamwissenschaften studiert, mehrere Wallfahrten nach Mekka unternommen und strebte eine orthodoxere Interpretation des sunnitischen Islam an. Eine der markantesten Änderungen in der Weltanschauung der neuen Organisation war der Umstand, dass Weiße nun nicht mehr als „blauäugige Teufel“ angesehen wurden. Es war ihnen vielmehr gestattet, der NOI beizutreten, da keine Unterscheidung mehr aufgrund der Hautfarbe, sondern lediglich bezüglich des Muslimseins getroffen wurde. Veränderungen ließen sich aber auch in Bezug auf Style Politics feststellen. Es war Frauen beispielsweise erlaubt, Make-Up zu tragen und auch die Kleidung wurde nicht mehr so streng reglementiert wie zu
139 Maria Josefina Saldana-Portillo: Consuming Malcolm X: Prophecy and Performative Masculinity, in: NOVEL: A Forum on Fiction 30, 3 (Spring 1997): S. 289-308, hier: S. 303; vgl. auch Curtis: Islamizing the Black Body, S. 172.
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Zeiten von Elijah Muhammad.140 Diese Phase der relativen Öffnung und der stärkeren Islam-getreuen Orthodoxie währte jedoch nicht lange. Louis Farrakhan übernahm 1981 die Führung und orientierte sich wieder an den Vorgaben von Elijah Muhammad.141 Es lässt sich also eine insgesamt signifikante Verschiebung innerhalb der NOI hinsichtlich ihrer Werte und Normen festhalten. Anfang und Mitte der 1960er Jahre wurden Afro und afrikanische Kleidung als Symbole von schwarzem Selbstbewusstsein, als Zeichen von Schwarzsein positiv rezipiert und propagiert, wie etwa in Eldridge Cleavers Aufsatz As Crinkly as Yours, Brother zu erkennen ist. Diejenigen, die den Afro trugen und sich in afrikanische Gewänder kleideten, galten als „Rebels Against European Look“.142 Später jedoch, Ende der 1960er und Anfang der 1970er Jahre, wurden die Style Politics vieler sich mit der Black Power-Bewegung verbunden fühlender African Americans abgelehnt. Nun galt dies als Imitation der „Unzivilisiertheit“ und „Primitivität“ der Weißen. Lange Haare, die der Afro erforderte, wurden als Symbole für „Unreinheit“ und mangelnde Disziplin gelesen, die eine Mimikry des als mit Dekadenz und Verfall assoziierten Weißseins sei. Die vormaligen Signifikanten von Schwarzsein wurden so zu Signifikanten von Weißsein uminterpretiert – ein Nachweis für die sich in den 1960er und 1970er Jahren stark wandelnden Dynamiken von Style Politics innerhalb der Nation of Islam. Die nach Geschlechtern getrennte Instruktion und Unterweisung in religiösen Praktiken und Verhaltenstechniken, die jeden einzelnen Bereich des persönlichen Lebens reglementierten und nach der Weltanschauung der NOI ausrichteten, wie Ernährung, Kleidung oder Auftreten, bedeuteten eine extreme Form der Selbstdisziplinierung und von Technologien des Selbst. Der schwarze Körper sollte mit Style Politics optimiert werden, damit er wieder in den als „ursprünglich“ konstruierten Zustand, als die „Black Asiatics“ noch moralisch rein waren, zurückversetzt werden könne. Damit sollte folgerichtig die Rekonstruktion und Reparation der schwarzen Nation gelingen, die infolge des dekadenten Einflusses vom Lebensstil der Weißen beschädigt worden sei. Und auch die krisenbehaftete schwarze Familie könne wieder in ihrer Moralität und Respektabilität erhoben werden durch die Wiederer-
140 Vgl. Lawrence H. Mamiya: From Black Muslim to Bilalian: The Evolution of a Movement, in: Journal for the Scientific Study of Religion 21, 2 (1982): S. 138-152, hier: S. 148. 141 Vgl. Walker: Islam and the Search for African-American Nationhood, S. 472-493; Mattias Gardell: Countdown to Armageddon: Louis Farrakhan and the Nation of Islam, London 1996, S. 119-143. 142 Sylvester Leaks: Beauty of Negro Womanhood, S. 24.
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langung der Stärke und der „Männlichkeit“ des schwarzen Mannes und der Respektabilität und „wahren“ Weiblichkeit der schwarzen Frau.
Blaxploitation-Kino und Style Politics in den 1970er Jahren
In diesem Kapitel werde ich Style Politics in US-amerikanischen Filmen der 1970er Jahre untersuchen. Ich konzentriere mich dabei auf das sogenannte Blaxploitation-Genre. Dieses scheint mir besonders aufschlussreich, um über Styling im Film historische Prozesse und Transformationen von gesellschaftlichen Vorstellungen ablesen zu können. Nicht nur, wie Style von zeitgenössischen afroamerikanischen Organisationen und Personen verkörpert wurde, sagt etwas darüber aus, wie die Kategorien Race, Class und Gender in der damaligen Gesellschaft wirkten. Auch in Spielfilmen werden Fragen der Identität und soziale Konstruktionsprozesse verhandelt. Dabei geht es nicht um eine Reproduktion der Wirklichkeit, sondern eine eigene filmische Wirklichkeit wird in diesem Medium selbst geschaffen. Ich will nicht nur analysieren, wie die Black Power-Bewegung sich in der Populärkultur der 1970er Jahre manifestierte, und welche Rezeptionslinien, Verschiebungen, Abgrenzungen und Karikaturen es zu zeitgenössischen politischen Organisationen und Aktivist/innen gibt. Ich will vielmehr darüber hinaus gleichzeitig auch untersuchen, wie diese Filme ihrerseits durch bestimmte Styleelemente Wirkmächtigkeit auf die Style Politics der 1970er Jahre erlangten. Ich beschränke mich dabei bewusst auf das bereits erwähnte Blaxploitation-Genre, da hier in einem besonderen Ausmaß schwarze Style Politics performt und verhandelt wurden. Dies scheint mir auch deshalb nahe liegend, da diese Filme auf ein afroamerikanisches Publikum zielten und vornehmlich afroamerikanische Figuren als Held/innen zeichneten. Nach einer kurzen Erläuterung der Bedeutung und Entstehung des Blaxploitation-Kinos gehe ich auf einige der sogenannten Message-Filme ein, einen Vorgänger der Blaxploitation-Filme, deren zentraler Charakterdarsteller Sidney Poitier war. Dies dient als Folie, vor der ich herausarbeiten kann, inwiefern sich die Style Politics der Blaxploitation-Filme von vorhergehenden afroamerikanischen
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Repräsentationen im Film unterscheiden. Danach analysiere ich anhand einiger ausgewählter Werke, wie bestimmte Styleelemente genutzt werden und Figuren wie der Pimp, der Queer Freak – aber auch schwarze Weiblichkeiten konstruiert werden. Abschließend untersuche ich exemplarisch an dem zeitgenössischen Text Do Clothes Unmake the Man?, wie die Style Politics des Blaxploitation-Kinos in den 1970er Jahren in Bezug auf Geschlechteridentität, Sexualität und Schwarzsein diskutiert wurden. Der Genreterminus Blaxploitation setzt sich aus den Wörtern Black und Exploitation zusammen und verweist damit auf den von Anfang an kontroversen Status dieser Filme. Der Begriff wurde 1971 zum ersten Mal vom Vorsitzenden der Los Angeles NAACP, Junius Griffin, verwendet und setzte sich dann allgemein durch. Der Schauspieler Ron O’ Neil, der in dem Blaxploitation-Klassiker Super Fly den Drogenhändler Youngblood Priest spielt, sagt über den Ursprung des Begriffes: „Blaxploitation was a term created by a black person. A black press agent named Junius Griffin, who was at the time the head of the Beverly Hills NAACP. […] He was very tight with Johnson Publications, and that’s where the term was popularized, through Ebony and Jet Magazine. Blaxploitation. Johnson Publications publicized Junius Griffin’s little jingle word – blaxploitation.“1
Dieses Label entstammte also dem Umfeld moderater Bürgerrechtsgruppen wie der NAACP und liberaler schwarzer Zeitschriften wie Ebony. Der Begriff war dabei von seinem Ursprung her als Kritik gemeint.2 Diese richtete sich sowohl gegen die in den Augen der NAACP gegebene Ausbeutung und schlechte Bezahlung der schwarzen Schauspieler/innen als auch gegen die Inhalte dieser Filme. Moniert wurden beispielsweise die exzessive Gewaltdarstellung und die explizit sexuellen Handlungen. Griffin sah einen negativen Einfluss dieser Filme auf die afroamerikanische Bevölkerung, weil es ein stereotypes Bild der schwarzen Gesellschaft zeichne und fatale Folgen für die junge Generation habe: „We must in-
1
Ron O’Neil: Interview: in: David Walker/Andrew Rausch/Chris Watson: Reflections on Blaxploitation. Actors and Directors Speak, Lanham 2009, S. 137-139, hier: S. 138.
2
Deshalb distanzieren sich auch einige ehemalige Blaxploitation-Stars wie etwa Gloria Hendry von diesem Begriff. Sie schlägt dagegen den Terminus Black Renaissance vor: „I will not say black exploitation. This, to me, was the Black Renaissance. That, to me, takes on a much larger picture.“ Gloria Hendry: Interview, in: Walker/Rausch/ Watson: Reflections on Blaxploitation, S. 93-100, hier: S. 100.
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sist that our children are not constantly exposed to a steady diet of so-called black movies that glorify black males as pimps, dope pushers, gangsters, and super males with vast physical prowess but no cognitive skills.“3 Insgesamt werden, je nachdem, wie man dieses Genre charakterisiert, zwischen ca. 30 und 170 Filmen unter dem Blaxploitation-Label gefasst.4 Chris Norton erläutert diesen Umstand wie folgt: „Despite popular opinion, there is no one pure example of blaxploitation. The range of stories are as varied as mainstream action films. However, action is an underlying element in all of them. Violence and guns appear in all of blaxploitation films.“5 Die einen Großteil ausmachenden Actionmovies, in denen ein schwarzer Detektiv oder Agent als Held fungiert wie beispielsweise in Shaft, über Horrorfilme wie Blacula bis hin zu Actionstreifen mit schwarzen weiblichen Protagonistinnen wie Cleopatra Jones, Foxy Brown oder Coffy, verweisen auf die immense Diversität des BlaxploitationGenres. Als zentrales Element dieser Filme kann festgehalten werden, dass African Americans im Fokus des Geschehens standen, positiv portraitiert und als nachahmenswert dargestellt wurden. Über die durch die Blaxploitation-Ära eingeleitete Entwicklung des schwarzen Films sagt Ron O’ Neil, der Hauptdarsteller in Superfly: „We were trying to emulate and achieve what we saw white films achieving – what white movie stars we admired were doing. [...] We were trying to show a mature, intelligent
3
Zit. nach Nelson George: Fools, Suckas & Baadasssss, in: Ashley Kahn/Holly George-Warren/Shawn Dahl (Hg.): Rolling Stone. The Seventies, Boston/New York/ Toronto/London 1998, S. 58-61, hier: S. 60. Kurz nachdem Super Fly 1972 in die Kinos kam, erreichte der Protest moderater Bürgerrechtsgruppen gegen Blaxploitation einen Höhepunkt, indem sich im August dieses Jahres die Coalition against Blaxploitation (CAB) gründete, bestehend unter anderem aus NAACP (National Association for the Advancement of Colored People), CORE (Congress of Racial Equality) und SCLC (Southern Christian Leadership Conference). Vgl. hierzu Ed Guerrero: Framing Blackness. The African American Image in Film, Philadelphia 1993, S. 100-102.
4
Ongiri macht ungefähr 70 Blaxploitation-Filme aus, vgl. dies.: Spectacular Blackness, S. 159; William Van Deburg zählt zwischen 55 und 175 Titel. Vgl. William Van Deburg: Black Camelot. African-American Culture Heroes in Their Times, 1960-1980, Chicago/London 1997, S. 131. Ed Guerrero subsumiert etwa 60 Filme unter dem Blaxploitation-Label. Vgl. Guerrero: Framing Blackness, S. 69.
5
Chris Norton: Cleopatra Jones 007: Blaxploitation, James Bond, and Reciprocal CoOption, in: Images. A Journal of Popular Film and Culture, July 1997, S. 1, abgerufen unter: www.imagesjournal.com. [20.08.2010].
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black man, operating with all the panache and verve of James Bond. [...] You need to understand this: this was all very new. We never had black people on the screen like this. You’ve got to understand this: you could not see black people on the screen! They were nonexistent before these films.“
6
Blaxploitation stellte demnach eine Transformation afroamerikanischer Filmpräsenz dar: Die Rollen, welche vormals fast ausschließlich weißen Schauspieler/innen vorbehalten gewesen waren, konnten nun von schwarzen Darsteller/innen eingenommen werden. Bemerkenswert ist hier, dass Ron O’Neil nur den „Black man“ anspricht, der den Platz von populären Filmcharakteren wie James Bond besetzen könnte, schwarze Frauen jedoch nicht thematisiert. Das Fehlen filmischer Repräsentationen von positiv besetzter schwarzer Weiblichkeit in der Anfangsphase des Blaxploitation-Booms Anfang der 1970er Jahre führte denn auch zu Filmen wie Foxy Brown und Cleopatra Jones, die eine schwarze Frau in der Hauptrolle hatten. Die Hochphase der Blaxploitation-Popularität von 1969 bis 1974 ist darüber hinaus auf noch weitere Faktoren zurückzuführen. Nicht zuletzt die militante Black Power-Bewegung mit BPP, Us und anderen Gruppierungen artikulierte eine Kritik an Teilen der moderaten, gewaltfreien Bürgerrechtsbewegung, und diese Kritik wirkte sich auch auf die Forderungen nach filmischer Repräsentation von Schwarzsein aus. Nicht unterwürfige und erleidende schwarze Charaktere, sondern selbstbewusste, gewaltbereite Männer und in geringerem Maße auch Frauen wurden gewünscht.7 Darüber hinaus artikulierten fast alle BlaxploitationFilme eine scharfe Kritik an der Polizeibrutalität weißer Ordnungshüter gegenüber African Americans, indem weiße Polizisten dort fast ausnahmslos als sadistische und korrupte Figuren portraitiert wurden. Somit wurde filmisch eine Umkehrung der hegemonialen Konstruktionen von Weißsein vorgenommen, die vor dem Aufkommen des Genres fast durchweg als positiv gezeichnet wurden: „[...] One of the functions of the blaxploitation film is to render ‚whitey ދbad (but never baaaaad!). To a certain extent, this representation subverts hegemonic representations of whiteness.“8
6 7
O’Neil: Interview, S. 137. H.i.O. Vgl. George: Fools, Suckas & Baadasssss, S. 58-59: „Blaxploitation movies reserved little space for turning the other cheek, singing Negro spirituals or chaste kissing. In fact, characters who engaged in those activities bore the brunt of the hero’s much-applauded derision.“
8
Jennifer DeVere Brody: The Returns of Cleopatra Jones, in: Signs 25, 1 (1999): S. 91-121, hier: S. 111.
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Das Aufkommen der Blaxploitation-Filme war auch einer spezifischen sozioökonomischen Situation der US-amerikanischen Filmindustrie und zudem einer politischen Krise geschuldet. Hollywood stand Ende der 1960er Jahre nahe am finanziellen Kollaps. Dies machte es erforderlich, den Erwartungen des afroamerikanischen Publikums stärker zu entsprechen, weil dieses einen erheblichen Anteil an den Umsätzen beisteuerte.9 Filme, die vornehmlich eine afroamerikanische Zuschauerschaft adressierten, wurden für die Filmindustrie somit zu einer Notwendigkeit, um ihre finanziellen Probleme zu lösen.10 Der Filmtheoretiker Elvis Mitchell merkt zudem an, dass das politische Klima in den USA mit Präsident Nixon und dem Skandal um Watergate ein Bedürfnis erzeugte, zumindest in der Populärkultur über positive Gesellschaftsentwürfe und Identifikationsfiguren zu verfügen. Dieser Wunsch sei bereits in der weißen Filmlandschaft der damaligen Zeit wenig befriedigt worden, und insofern stellte das Blaxploitation-Genre eine willkommene Abwechslung dar: „In the mid-seventies, early seventies, [..] white cinema, mainstream cinema was about defeat. It was the Nixon era, it was Watergate, people didn’t feel empowered. [...] Black movies had heros who won, people that could effect change, they were funny. They were people with these actors who were bursting with charisma and ambition. [...] They were not affected by the kind of defeatist attitude that had taken this place in pop culture. They were about winning.“11
Zunächst beschäftige ich mich im folgenden Abschnitt mit einigen ausgewählten Filmen von Sidney Poitier aus den 1960er Jahren. Diese stellen frühe Formen des Versuches in den USA dar, Schwarzsein positiv filmisch zu repräsentieren. Die Blaxploitation-Filme kontrastieren demgegenüber jedoch sehr stark, weil sie mit der von Poitiers Figuren symbolisierten Respektabilität brechen. Ein Vergleich vermag somit Veränderungsprozesse in der populärkulturellen Repräsentation von Schwarzsein zu eröffnen.
9
Vgl. Guerrero: Framing Blackness, S. 83: „Variety estimated that while blacks made up to 10 to 15 percent of the population, they made up more than 30 percent of the audience in first-run, major-city theaters. The same article pointed out that Ebony readers alone spent $ 450 000 weekly on movie admissions.“
10 Vgl. Guerrero: Framing Blackness, S. 69-70. 11 Elvis Mitchell: Interview, in: Baaadasss Cinema (Regie Isaac Julien), USA 2002. Meine Transkription, P.D.
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„W HY ARE YOU WEARING WHITE MEN ’ S CLOTHES “. S IDNEY P OITIER UND M ITTELKLASSESTYLING Ende der 1940er bis Mitte der 1960er Jahre wurden in den USA die zuvor schon erwähnten Message-Filme populär. In ihnen ging es um Ausgrenzung und Rassismus und sie griffen somit Themen auf, die von der Bürgerrechtsbewegung zu dieser Zeit in die US-amerikanische Öffentlichkeit getragen wurden. Allerdings wurde Rassismus nicht als ein strukturelles Problem dargestellt, sondern meist als ein Vorurteil, welches überkommen werden könne, wenn sich die weißen Protagonist/innen vom tadellosen Charakter der African Americans überzeugt hätten.12 Da es eine lange Tradition der rassistischen Darstellung von African Americans in kommerziellen Filmen gab – begonnen mit Birth of a Nation 1915 bis in die 1950er Jahre – die als edle Wilde, ergebene Diener/innen, Feiglinge und Monster dargestellt wurden, stellten die Message-Filme insofern einen Fortschritt dar. Sie richteten sich dabei jedoch hauptsächlich an ein weißes Publikum: „Although guaranteed to boost black expectations of fair treatment, the ‚message ދin the message film cycle was directed primarily to whites. Even as they were being entertained, mainstream audiences were offered instruction in various aspects of the ‚Negro Problem“ދ13
Der in den 1960er Jahren in den USA am erfolgreichsten agierende afroamerikanische Schauspieler war zweifelsohne Sidney Poitier. Filme wie In the Heat of the Night oder Guess who’s coming to Dinner14 machten ihn über die Landesgrenzen hinaus berühmt. In Letzterem spielt er einen frischvermählten jungen schwarzen Arzt, der den neuen Schwiegereltern seiner weißen Frau vorgestellt wird. Obwohl er alle Wunschkritierien erfüllt, die man sich zur damaligen Zeit in den USA für den Mann seiner Tochter vorstellen könnte (mit einem anerkannten Beruf, gutaussehend, freundlich, intelligent), stößt die Figur von Poitier bei den Schwiegereltern zunächst auf Ablehnung, die in nur wenig verdeckten rassistischen Vorbehalten begründet liegen. Poitier verkörpert mit seiner ganzen Person jedoch Respektabilität. Er ist mit Anzug und Krawatte bekleidet, beherrscht gesellschaftliche Umgangsformen wie Tischmanieren perfekt, ist gebil-
12 Vgl. Paula Masood: Black City Cinema. African American Urban Experiences in Film, Philadelphia 2003, S. 80-81. 13 Van Deburg: Black Camelot, S. 130. 14 Guess Who’s Coming to Dinner? (Regie Stanley Kramer): USA 1967.
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det etc. Sein ganzes Auftreten, sein Styling und die Performanz repräsentieren Ansehen. Die Mittelklasse spricht aus all seinen Gesten, seiner Kleidung und seinen Äußerungen. Dies gilt auch für Poitiers andere Rollen in Filmen wie In the Heat of the Night (1967) oder To Sir, with Love (1967), in denen er einen Polizeikommissar bzw. einen Lehrer spielt. Eithne Quinn bemerkt hierzu: „These stories of professional integration privileged the newfound status of an isolated ‚racial exceptionދ, precariously positioned in a white-dominated world of work.“15 Die von Poitier gespielten Figuren verkörpern damit fast ausschließlich die sich in den 1960er Jahren entwickelnde schwarze Mittelklasse. Die Auseinandersetzung mit rassistischer Exklusion findet allerdings auf einer individuellen Ebene statt und es werden weder strukturelle Disparitäten zwischen African Americans und weißen US-Amerikaner/innen benannt, noch werden die Kämpfe um Gleichberechtigung, wie sie die Bürgerrechtsbewegung und nachfolgend die Black Power-Bewegung führten, filmisch dargestellt. Das Styling und der gesamte Habitus der Figuren ist mittelständisch, entsexualisiert und familienorientiert. „These men were devoted to their families, dressed respectably, danced awkwardly or not at all, and exhibited not the slightest libido.“16 In dem Film In the Heat of the Night17 wird der Zusammenhang von Styling, Race und Class in einer Szene implizit angesprochen. Poitier spielt dort einen schwarzen Polizisten aus dem Norden der USA, der im Süden mit einem dortigen weißen Kollegen einen Mordfall untersuchen soll. Poitier, der tadellos in Anzug gekleidet ist, wird von einem weißen Segregationisten gefragt: „Why are you wearing white men’s clothes?“. Aus dieser Äußerung wird deutlich, dass Styling immer auch verortet ist. In dem segregierten Raum der Südstaaten gilt die von Poitier mit seiner Kleidung ausgedrückte Respektabilität als Affront, die mit den dortigen rassistischen Gepflogenheiten konfligiert. Der Anzug ist hier ein rassifizierter Signifikant, ein Statussymbol, welches in der rassistischen Vorstellung allein das Privileg weißer Männer ist. Mit Sidney Poitiers Filmen wie Guess who’s coming to Dinner oder In the Heat of the Night wurde zwar in den 1960er Jahren ein neues Bild von schwarzen Menschen entworfen, das sich von offen rassistischen Darstellungen unterschied, und die nach der Formel von Donald Bogle im Film vormals nur als
15 Eithne Quinn: ‚Tryin’ to Get Overދ: Super Fly, Black Politics, and Post-Civil Rights Film Enterprise, in: Cinema Journal 49 (Winter 2010): S. 86-105, hier: S. 94. 16 Russel: The Color of Discipline, S. 123. 17 In the Heat of the Night (Regie Norman Jewison): USA 1967.
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„Toms Coons, Mammys, Mulatoes and Bucks“ repräsentiert wurden.18 Sidney Poitiers Filmcharaktere blieben in den Augen vieler African Americans jedoch eine Karikatur ihrer eigenen Lebenswirklichkeit. Die Präsenz der Black Power-Bewegung im Bewußtsein der afroamerikanischen Bevölkerung und deren wachsende Akzeptanz und Popularität führte auch zu einem Wandel in der filmischen Rezeption der Messagefilme von Sidney Poitier durch große Teile der afroamerikanischen Bevölkerung. Die Kritik an den von ihm gespielten Figuren, wie sie prominent etwa von Clifford Mason in seinem in der New York Times erschienenen Artikel Why does white America love Sidney Poitier so? geäußert wurde, führte dazu, dass Letzterer sein aufgrund des neuen politischen Klimas ramponiertes Image zu verändern suchte.19 In dem Film The Lost Man von 1969 trat Poitier beispielsweise in Lederjacke und Sonnenbrille auf, eine klare Hommage an die Black Panther. Der Wandel vom personifizierten Schwiegersohn-Ideal jedes noch so bigotten weißen Schwiegervaters, welches Poitier in Guess whos coming for Dinner als gutgekleideter, mit feinen Manieren ausgestatteter hochgebildeter Arzt gespielt hatte hin zum grimmig dreinblickenden Outlaw war jedoch für viele Zuschauer nicht glaubwürdig.20 Das Blaxploitation-Genre der 1970er Jahre brach hingegen radikal mit allen vorherigen filmischen Repräsentationen von African Americans, für die Sidney Poitier stand.
18 Vgl. Donald Bogle: Toms, Coons, Mulattoes, Mammies and Bucks. An Interpretive History of Blacks in American Films, New York 2009. 19 Clifford Mason: Why Does White America Love Sidney Poitier So?, in: The New York Times, 10. September 1967, S. D 21. Mason stellt am Anfang seines Textes mehrere Fragen nach der Popularität von Poitier, um schließlich zum zentralen Punkt zu kommen: „Why do they love him so? […] Because he stands for a proud, black image, something all of us who are non-white have needed in this country for a long, long time? Noooo“ Explizit spricht Mason später Poitiers Style Politics an, wenn er kritisiert: „It is a schizophrenic flight from identity and historical fact that makes anybody imagine [...] that the Negro is best served by being a black version of the man in the gray flannel suit, taking on white problems and a white man’s sense of what’s wrong with the world.“ Poitiers Styling, so suggeriert Mason, sei also Ausdruck davon, dass er eher eine schwarze Imitation des weißen Mannes im grauen Flannelanzug sei. Dadurch könne Poitier nicht die wirklichen Probleme der schwarzen Community repräsentieren. Vgl. zum Gray Flannel Suit auch Wilson: Burning Bras, Long Hair, and Dashikis, S. 19-72. 20 Vgl. dazu Van Deburg: Black Camelot, S. 135.
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Mich interessiert im Folgenden, wie Style Politics in Filmen der 1970er Jahre eingesetzt und wie das Verhältnis von Schwarzsein, geschlechtlicher Identität und dem Politischen darüber austariert wurde. Hierfür ziehe ich hauptsächlich die allgemein als das Blaxploitation-Genre begründend angesehenen Filme Sweet Sweetbacks Baadasssss Song, Shaft, sowie Filme, in denen die Figur des Pimp oder des Hustlers an prominenter Stelle steht wie The Mack oder Willie Dynamite heran. Darüber hinaus werden Coffy, Foxy Brown und Cleopatra Jones als Analysematerial untersucht, weil hieran abgelesen werden kann, wie das Verhältnis von Style Politics und Weiblichkeiten im Blaxploitation-Genre verhandelt wird.21
Q UEERING S TYLE In vielen Blaxploitation-Filmen lässt sich beobachten, dass sexuelle Identitäten über Styling markiert und performiert werden. Dabei gehört es zu der Paradoxie des Genres, dass zwar viele Filme ein sehr sexistisches, homophobes und heteronormatives Narrativ entwerfen, jedoch trotzdem häufig queere Figuren auftauchen. Ein wiederkehrendes Muster ist das Erscheinen von Homosexuellen, Drag Queens und „effeminierten“ Männern. Sie stellen einen Kontrast zu der Hypermaskulinität dar, die Figuren wie Shaft, Superfly oder Sweetback verkörpern. Deutlich wird dies etwa an Melvin Van Peebles Sweet Sweetbacks Baadassss Song. Dieser 1971 herausgekommener Film gilt neben Shaft und Super Fly als einer der Klassiker des Blaxploitationkinos, der das Genre mit begründete.22 Obwohl Van Peebles den Film mit geringen finanziellen Mitteln produzieren musste, die ihn veranlassten, selbst die Hauptrolle zu spielen, weil das Geld für die Bezahlung eines professionellen Schauspielers fehlte, war Sweetback ein absoluter Kassenerfolg. Die Produktionskosten beliefen sich auf lediglich 500.000 Dollar, der Film spielte jedoch an der Abendkasse mehr als 10 Millionen US-Dollar
21 Nicht gesondert analysiert werden Filme, die der Unterkategorie Horrorfilme des Blaxploitation-Genres zugeordnet werden können, namentlich etwa Blacula, Blackenstein oder Sugar Hill, obwohl hier auch interessante Fragen nach neuen Repräsentationen „rassischen“ Otherings gestellt werden könnten. Vgl. hierzu Harry Benshoff: Blaxploitation Horror Films: Generic Reappropriation or Reinscription?, in: Cinema Journal 39, 2 (2000): S. 31-50. 22 Chris Norton weist zu Recht darauf hin, dass dieser Film nur durch den gesellschaftlichen Druck, den die Black-Power-Bewegung in den 1960er Jahren aufbauen konnte überhaupt möglich wurde. Vgl. Norton: Cleopatra Jones 007.
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ein. Dies war umso bemerkenswerter, als der Film hauptsächlich African Americans als Zielgruppe anvisierte.23 Sweetback kann als Zäsur im afroamerikanischen Film bezeichnet werden, weil er eine neue Form der Darstellung des schwarzen Subjekts, des schwarzen Körpers und der Lebensumstände von African Americans überhaupt inaugurierte. Robert Reid-Pharr stellt die Revolution und den innovativen Charakter heraus, den van Peebles Werk für das US-amerikanische Kino bedeutete: „He [Melvin van Peebles, P.D.] was understood to be one of the first artists to bring not only compelling but realistic images of Black Americans into mainstream cinemas, breaking with decades long traditions in which blacks were portrayed as either shockingly servile (Butterfly McQueen), impossibly honourable (Sidney Portier) or perhaps not black at all (Susan Kohner in Douglas Sirk's 1959 classic, Imitation of Life).“24
Der Film Sweetback ist in seiner Aussage sehr ambivalent. Er erzählt die Geschichte des Protagonisten Sweetback, der in einem Bordell großgeworden ist und sich nun selbst prostituiert. Nachdem er und der Black Nationalists Mo-Mo von zwei Polizisten für einen Mord verhaftet werden, den sie nicht begangen haben und der Aktivist von den Polizisten misshandelt wird, überwältigt Sweetback beide, befreit sich und beginnt seine Flucht vor der Polizei, die ihn am Schluss des Films bis nach Mexiko führt und deren verschiedene Stationen der Film detailliert erzählt. In Sweetback werden einerseits problematische Vorstellungen von Männlichkeit, Gewalt und Frauenunterdrückung transportiert und Frauen selbst kommen als eigenständige, sorgfältig gezeichnete Charaktere nicht vor.25 Demgegenüber
23 Vgl. Eric Pierson: Blaxploitation, Quick and Dirty. Patterns of Distribution, in: Screening Noir 1 (Fall/Winter 2005): S. 126-152, hier: S. 126. 24 Robert Reid-Pharr: Sweet Bad Black Ass, or Who is this Queer Black in Queer Black Studies?, in: Elahe Haschemi Yekani/Beatrice Michaelis (Hg.): Quer durch die Geisteswissenschaften. Perspektiven der Queer Theory, Berlin 2005, S. 168-190, hier: S. 176. 25 Dies liegt wohl nicht zuletzt daran, dass zu der Zeit von Sweetback die Rezeption der Black Power-Bewegung und ihres Diskurses weitestgehend als Hypermaskulinismus geschah, als Wiederherstellung der angeblich beschädigten schwarzen Männlichkeit. Kritik daran von schwarzen Feministinnen wurde nur vereinzelt wahrgenommen. Vgl. auch Guerrero, der die Interpretation verschiedener Forscher/innen dazu zusammenfasst: „A politicized black women’s agenda was generally submerged under a malefocused black nationalist discourse aimed at rediscovering and articulating the mys-
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tritt Sweetback als hyperpotenter Mann auf, der sich mithilfe seiner Sexualität in mehreren Szenen behauptet und dadurch seine Flucht fortsetzen kann. Allerdings gibt es auch Elemente im Film, die als ermächtigend gelesen werden können, indem beispielsweise Schwarzsein nun positiv konnotiert wird und in der bigotte Weiße am Ende eben nicht triumphiert, wie dies noch in vielen US-amerikanischen Spielfilmen der 1950er und 1960er Jahre Usus war. Die Style Politics in Sweetback sind interessant, weil trotz der schwarzen Hypermaskulinität, die Sweetback verkörpert, immer wieder Szenen auftauchen, in denen mithilfe von Style Identitäten dekonstruiert und Geschlechterzuschreibungen gebrochen werden. 26 Dies wird schon in einer der Anfangsszenen deutlich, in der zuerst eine Figur mit Perücke zu sehen ist, die eine Frau zu sein scheint, die sich aber als Sweetback selbst entpuppt. Robert Reid-Pharr hat diese Verwandlung mit dem aus der Queer Theory bekannten Begriff der Butch bezeichnet, der eine lesbische Frau beschreibt, die sich „männlich“ gibt und kleidet und in der Beziehung die Rolle einnimmt, die in der klischeehaften sexistischen Vorstellung von einer heterosexuellen Beziehung der Mann einnimmt. ReidPharr schreibt über diese Szene: „With that the butch woman removes her bra and beard and through the magic of amateur editing it is revealed that the woman has changed into a man, indeed into Sweetback himself.“27 Im Verlaufe der weiteren Handlung kommt es auch zu einer Begegnung von Sweetback mit einer ihm feindlich gesinnten weißen Bikergang. Deren Anführer, bis zum Kopf in schwarzer Lederkleidung und mit einem Motorradhelm ausgestattet, so dass dessen Gesicht nicht zu sehen ist, fordert Sweetback zu einem Duell heraus. Als der Anführer den Helm abnimmt, zeigt sich entgegen der stereotypen Erwartung jedoch, dass es eine Frau ist. Der Film spielt hier also mit den Signifikanten von schwarzer Lederkleidung und Männlichkeit. Die ganze Anordnung irritiert, weil sie mit Vorstellungen von Männlichkeit in Dissonanz steht, die eigentlich dieses aggressive Verhalten eher als männlich identifizieren würde. Der weitere Verlauf der Auseinandersetzung spitzt die Körperlichkeit zu, denn als Sweetback gefragt wird, welche Art der Waffen er wählen will, sagt er
tique of a liberated ‚black manhood ދduring the late 1960s and into the early 1970s.“ Guerrero: Framing Blackness, S. 91. 26 Vgl. auch William Lyne, der schreibt: „While Sweetback does contain the regressive sex, violence, and misogyny that would come to characterize future blaxploitation films, it also has progressive doses of solidarity and consciousness raising that set it apart from its successors.“ William Lyne: No Accident: From Black Power to Black Box Office, in: African American Review 34, 1 (Spring 2000): S. 39-59, hier: S. 45. 27 Reid-Pharr: Sweet Bad Black Ass, S. 185.
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„fucking“. Daran anschließend haben die weiße Rockerfrau und Sweetback Sex, der dadurch als Auseinandersetzung repräsentiert wird, dass sich die beiden auf dem Boden wälzen und abwechselnd auf dem jeweils anderen sitzen, bis schließlich Sweetback triumphiert, was durch das Stöhnen der Rockerin ausgedrückt wird, die „Oh Sweetback“ seufzt. Sweetback siegt hier, weil er den anfänglichen Kampf in eine sexuelle Befriedigung für die Bikerin transformiert. Diese Szene affirmiert in der traditionellen Geschlechterkonstellation von Sweetback wieder die Position von schwarzer Männlichkeit als überlegen und die von weißer Weiblichkeit als unterlegen. Trotz der Elemente, die eine queere Lesart von Sweetback möglich machen, gehorcht der Film deshalb weiterhin einer machistischen Logik, die den prominenten Diskurs von der zu befreienden schwarzen Männlichkeit des Black Nationalism in den späten 1960er Jahre und Anfang der 1970er Jahre reproduziert. Zeitgenössische Reaktionen waren in der Regel eher kritisch, besonders in der schwarzen Presse, aber auch weiße Feministinnen brandmarkten den Film bei seinem Erscheinungstermin als sexistisch.28. Eine Ausnahme zu der Ablehnung von Sweetback stellte die BPP dar. Huey Newton widmete eine ganze Ausgabe der Parteizeitung dem Film und lobte ihn als Beispiel revolutionärer schwarzer Ästhetik: „It shows the robbery which takes place in the Black Community and how we are the real victims.“29 Newton zeigt keinerlei Problembewusstsein in Bezug auf den im Film transportierten impliziten Hypermaskulinismus. Im Gegenteil hält er fest: „In the first baptism he did not become a whole man because he went into that freak show, but when he is baptized in the blood he righteously moves on to a higher level because the next time he is with the police with handcuffs on, he gets away.“30 Der Erfolg von Sweetback in kommerzieller Hinsicht lässt sich zurückführen auf die Umkehrung der gesellschaftlichen Machtverhältnisse. Der schwarze Protagonist ist der Held und setzt sich gegen die feindliche weiße Umwelt durch. Zudem verkörpert er ein Bild von starker, militanter schwarzer Männlichkeit,
28 „The bi-weekly Women’s Liberation, unlike Good Times, ran no letters of praise for the gender relations depicted in Van Peebles’ film. Women’s Liberation’s graffiti-ascommentary on a full-page ad for Sweetback makes quite a contrary statement: Van Peebles’ provocative promotion is encircled by a string of handwritten graffiti. ‚Fuck this Racist bullshitދ, ‚Unite & Resistދ, and ‚Smash sexismދ, read three of the inscriptions.“ Jon Hartmann: The Trope of Blaxploitation in Critical Responses to Sweetback, in: Film History 6, 3 (Autumn 1994): S. 382-404, hier: S. 387-388. 29 Newton: Revolutionary Suicide, S. 114. 30 Newton: Revolutionary Suicide, S. 122.
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das heroisiert wird. Es bricht mit der Figur des servilen und einfältigen Schwarzen ebenso wie mit dem auf Integration abzielenden, der Mittelschicht zugehörigen African American.31. Ein Beispiel für Entwürfe von queerer Männlichkeit wird auch in dem Film Black Shampoo32 ersichtlich, in dem John Daniels den Friseur „Mr. Jonathan“ spielt. Zunächst fällt dort die explizite Darstellung von Nacktheit und Sexualität auf, die sich in den vielen, minutenlangen Sexszenen manifestiert, und die damit eine deutliche Abkehr von den früheren Message-Filmen mit Sidney Poitier ist. Schwarze heterosexuelle Sexualität und der schwarze Körper selbst firmieren in Black Shampoo an prominenter Stelle, wohingegen diese in Filmen wie etwa Guess who’s coming to Dinner abwesend waren.33 Indem Mr. Jonathan die ausschließlich weibliche Kundschaft weniger durch seine Haarstylekünste als vielmehr durch seine sexuellen Fähigkeiten beglückt, bricht er mit der klassischen Assoziationskette des „effeminierten“ homosexuellen Friseurs. Seine beiden Mitarbeiter entsprechen jedoch vollkommen diesem Klischee: Sie reden affektiert, sind schreckhaft, können keine Gewalt anwenden und stattdessen wird an ihnen Gewalt ausgeübt. Beide Mitarbeiter entsprechen damit der Rolle, die Marybeth Hamilton als „Queer Freak“ bezeichnet hat.34 Die Hypermaskulinität von „Mr. Jonathan“ wird durch den Kontrast mit seinen beiden „effeminierten“ Gehilfen Artie und Richard hervorgehoben und durch deren unterschiedliches Styling akzentuiert: Ihre bunten Hosen, Schals und andere Accessoires können im
31 „Instead what Sweet Sweetback accomplishes is the re-articulation of a grammar of Black American realism (ghetto violence, grinding poverty, confrontations with police and state, and most especially a certain potent and almost inexhaustible black sexuality) that continues today as a primary discursive mode [...].“ Robert Reid-Pharr: Once You Go Black. Choice, Desire, and the Black American Intellectual, New York/London 2007, S. 176. 32 Black Shampoo (Regie: Greydon Clark): USA 1976. 33 Vgl. Paula Masood, die in Bezug auf die Messagefilme festhält: „Message movies introduced characters who were almost always male (and almost always played by Sidney Poitier […]. Additionally, sexuality played an important role in the civil rights era representations of black characters, not for its presence, but rather for its absence, as exemplified by the characters played by Poitier.“ Masood: Black City Cinema, S. 80. 34 „Freaks, fairies, sissies, were precisely the opposite: biological males who lived out a feminine social identity, adopting feminine nicknames, using female pronouns, and acting in a brassily feminine manner. Their ‚freakishness ދconsisted, not just in their sexual preference, but in their inversion of their whole gender role.“ Hamilton: Sexual Politics and African-American Music, S. 170.
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Ensemble des Films als Signifikanten für „Effemination“ gelesen werden. Mr. Jonathan trägt dagegen einheitliche weiße oder graue Overalls, die sehr körperbetont sind und den Blick auf seinen Oberkörper freigeben. Insgesamt sind sehr viele Kameraeinstellungen zu sehen, auf denen der muskulöse Körper von Mr. Jonathan zu erkennen ist. Dies, seine physische Stärke und die große Attraktivität, die er auf Frauen ausübt, scheinen seine Männlichkeit und Heterosexualität zu unterstreichen. Es gibt aber immer wieder queere Interventionen im Film, also ein Moment, dass die hypermaskuline Erzählwelt unterbricht. So ist etwa zur Mitte des Films eine Szene zu sehen, in der eine Barbecue-Party veranstaltet wird und die beiden Gehilfen sich mit einem Besucher unterhalten. Dieser wird durch seine Sprechweise, aber auch durch seine Kleidung, (rote Rose im Jackett, ein Accessoire, das andeuten soll, dass es sich um jemanden handelt, der sehr viel Wert auf sein Äußeres legt, ergo homosexuell sei) charakterisiert. Im Gespräch mit den Gehilfen sagt der Besucher: Besucher: „Is Mr. Jonathan coming? I hope so! I’d love to get my hands on him.“ Artie:
„Lay off. Mr. Jonathan is straight as an arrow.“
Besucher: „Maybe I can bend him.“ Richard:
„Not a chance. Just leave him alone.“
35
Letztlich erweist sich also der heterosexuelle Mr. Jonathan als nicht empfänglich für homosexuelle Verführungsversuche, was seine Heterosexualität demonstriert, die damit wiederum seine Hypermaskulinität unterstreichen soll. Was für den männlichen Homosexuellen „Freak“ gilt, kann auch für die Figur des weiblichen „Freaks“ festgestellt werden. Lesbische Liebe wird in einigen Blaxploitation-Filmen als etwas Faszinierendes, aber gleichzeitig Deviantes dargestellt, wie ich weiter unten zeigen werde. Während also konstatiert werden kann, dass in vielen Blaxploitation-Klassikern der Superheld ein Bild von schwarzer Hypermaskulinität evoziert und somit an problematische rassistische Repräsentationen anknüpft, wird diese Konstruktion gleichzeitig oftmals an vielen Stellen irritiert und gebrochen durch das Auftauchen und die Thematisierung von Homosexualität. Joe Wlodarz bemerkt deshalb zu Recht: „One of blaxploitation cinema’s most intriguing (and overlooked characteristics is its tendency to trouble dominant conceptions of blackness, masculinity, and sexuality in spite of the genre’s (and the era’s) perceived investment in coherent black male subjectivity.“36
35 Black Shampoo.
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Blaxploitation-Filme bieten deshalb Material für eine queere Interpretation und eine Offenlegung von darin verdrängtem homoerotischem Begehren. Auch der Film Car Wash37 bietet sich für eine queere Lesart von Style Politics an, weil hier Verschiebungen von filmischer Stylingrepräsentation und deren Konnotationen Mitte der 1970er beobachtet werden können. Car Wash ist eine Komödie, die die Geschichte von Menschen rund um einen Autowaschsalon in Los Angeles erzählt. Interessant für den Kontext von Style Politics ist zum einen die Konstruktion von Race, Gender, sexueller Orientierung und Militanz. Die Black Power-Bewegung und politische Radikalität werden durch die beiden Filmfiguren Dwayne (Abdullah) und Lonnie, den weißen Sohn des Autowaschanlagenbesitzers, thematisiert. Dwayne bzw. Abdullah ist durch sein Styling als Black Nationalist identifizierbar, weil er eine Mütze mit den panafrikanischen Farben Rot, Schwarz und Grün trägt. Zudem insistiert er gegenüber seinen Arbeitskollegen darauf, nicht bei seinem bürgerlichen Namen Dwayne, sondern mit seinem gewählten panafrikanischen Namen Muhammad Abdullah Akbar angesprochen zu werden. Lonnie ist ebenfalls durch sein Styling als radikal markiert: Er trägt den ganzen Film über ein weißes T-Shirt mit dem Konterfei von Mao Tse-Tung. Zudem zitiert er ständig aus dem Roten Buch von Mao. Diese Präsenz von Radikalität und Black Power-Bewegung wird allerdings dadurch als negativ markiert, dass beide Filmfiguren von ihren Arbeitskollegen nicht anerkannt werden, sondern mit Hohn und Spott bedacht werden. Insofern ist Car Wash eine aufschlussreiche Filmquelle, weil hier die Transformationen der Bedeutung von Schwarzsein und Militanz ersichtlich werden: Radikale Umwälzung der Gesellschaft wird als Vision, die Ende der 1960er Jahre noch von vielen African Americans mit Sympathie betrachtet wurde, nun als obsolet dargestellt. Dies kommt besonders in einer rhetorischen Auseinandersetzung zwischen den Filmcharakteren Lindy und Abdullah zum Ausdruck. Lindy, ein Mann in Drag, gespielt von Antonio Vargas, hat in einer Szene eine Auseinandersetzung mit Abdullah. Lindy weist dessen Black Nationalist Diskurs zurück, nicht zuletzt, so lässt sich vermuten, wegen der implizit homophoben und misogynen Vorstellungen, die in dieser Bewegung hegemonial waren. Der Dialog zwischen den beiden Protagonisten erhitzt sich, als Abdullah Lindy homophob beschimpft: Abdullah: „Would you please get out of my face, you sorry looking faggot? “ Lindy:
„Who you calling sorry-looking? “ [die umstehenden Mitarbeiter lachen]
36 Joe Wlodarz: Beyond the Black Macho: Queer Blaxploitation, in: The Velvet Light Trap 53 (Spring 2004): S. 10-25, hier: S. 22. 37 Car Wash (Regie Michael Schultz): USA 1976.
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Abdullah: „Can’t you all see that she ain’t funny? She is just another poor example of how the system is destroying our men? “ Lindy:
„Honey, I am more man than you ever be and more woman than you ever get!“
38
Abdullah rekapituliert in diesem Dialog den von Cleaver und anderen Black Nationalists bekannten Diskurs von der Effemination des schwarzen Mannes, der durch das System, also die kapitalistische Gesellschaft, seine Männlichkeit verlieren würde. Lindy geht aber aus dieser verbalen Auseinandersetzung als Siegerin hervor, indem sie mit Witz entgegnet. Sie spielt mit ihrer geschlechtlichen Identität und benutzt diese Ambivalenz, um Abdullah lächerlich zu machen. Während Lindy nämlich in Drag auftritt und somit kaum noch „männlich“ erscheint, sei sie doch „männlicher“ als der pseudorevolutionäre Abdullah. Gleichzeitig definiert sich Lindy als Frau und als so weiblich, dass sie in einer anderen Liga spielen würde als Abdullah, der sie mit seiner „defizienten“ Männlichkeit nicht erobern könne. Wie die gerade geschilderte Szene und die beschriebenen Charaktere verdeutlichen, werden verschiedentlich Referenzen auf die Black Power-Bewegung hergestellt. Diese wird jedoch durchgehend negativ und als nicht mehr zeitgemäß dargestellt. Styling ist bei der Abgrenzung der unterschiedlichen Protagonisten ein wichtiges Element, um ihre jeweiligen politischen Positionen zu unterstreichen. Das Erscheinen der Filmfigur Lindy und der Dialog mit Abdullah verwiesen darüber hinaus auf ein Echo des Gay Liberation Movement. Die Präsenz einer homosexuellen Figur, die, wie ich gezeigt habe, in vielen BlaxploitationFilmen beobachtet werden kann, deutet auf einen gesellschaftspolitischen Wandel in den USA der 1970er Jahre hin. Wenngleich das Erscheinen dieser Charaktere nicht notwendigerweise mit einer höheren Akzeptanz von Homosexualität gleichgesetzt werden muss, so ist das historische Referenzfeld zumindest verändert. In den 1950er und 1960er Jahren, vor allem in den Message-Filmen mit Sidney Poitier, wäre eine offene Auseinandersetzung mit Sexualität, geschweige denn gleichgeschlechtlicher Homosexualität, nicht möglich gewesen. Im Blaxploitation-Genre taucht Homosexualität hingegen immer wieder auf. Dies geschieht meist, um die Heterosexualität der Hauptfigur zu akzentuieren, manchmal jedoch auch, wie gerade in Car Wash analysiert, um schwarze Militanz zu karikieren.
38 Car Wash.
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P IMPING THE S TYLE Der 1972 in die Kinos gekommene Film Super Fly mit Ron O’Neil in der Hauptrolle als Drogenhändler Youngblood Priest zählt zu den bekanntesten und populärsten Blaxploitation-Filmen. Zusammen mit The Mack, Trouble Man, Black Caesar, Slaughter und Hit Man wurde für diese Filme der Unterbegriff Buckmania geprägt: „Perhaps, the most profitable subgenre of blaxploitation films was the exaltation of the black male, or ‚Buckmaniaދ. […] The servile Stepin Fetchit and the polite Sidney Poitier were replaced by brash, superstuds who ‚put Whitey in his place.“ދ39 Super Fly ist ein Actionfilm, der den Werdegang von Youngblood Priest erzählt, der sich als Drogenhändler einen exquisiten Lebensstil leisten kann. Die Art seiner Kleidung mit Mantel, Hut und Lederschuhen kontrastiert stark mit dem Black Power-Style der 1960er Jahre. Priest verkörpert als Filmfigur ein hedonistisches und utilitaristisches Lebensprinzip, das nicht mehr auf gesellschaftliche Veränderung aus ist, sondern nur individuellen Erfolg und die Anhäufung von Reichtum als Ziele verfolgt. Die Botschaft von Super Fly muss im gesellschaftlichen Kontext der Situation der African Americans in den 1970er Jahren gesehen werden. Massive staatliche Repression reduzierte die Anhängerschaft von Gruppen wie der Black Panther Party. Moderate Bürgerrechtsgruppen sahen die Hauptziele der Beseitigung der gesetzlichen Diskriminierung als weitestgehend geglückt an. Vor allem die ökonomische Situation vieler African Americans war jedoch noch prekär. Deswegen wurde nun der Gedanke attraktiv, individuelles Fortkommen und das Erheben aus der eigenen Misere zu erreichen. Ed Guerrero spricht in diesem Zusammenhang von der Ablösung der we-Generation zur me-Generation: „This was the shift from the self-sacrificing we-generation of the Civil Rights movement and its aftermath to the me-consumer generation that was starting to rise. Energy that up until ’72, ’73 was very militant starts to get displaced into sartorial display: fashion, coiffure.“40
Das Styling von Youngblood Priest im Film Super Fly markiert diese gewandelte soziopolitische Situation und die neue Pimp-Ideologie. Diese war darüber hinaus jedoch auch stark gegendert. Die Popularität der Pimp-Figur kann als eine Antwort auf das Bild der angeblichen schwarzen weiblichen Dominanz gelesen
39 Robert E. Weems, Jr.: Desegregating the Dollar. African American Consumerism in the Twentieth Century, New York/London 1998, S. 83. 40 Guerrero: Interview, in: Baaadasss Cinema.
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werden, welches der Moynihan-Report gezeichnet hatte.41 Der Pimp war durch seine ostentative Hypermaskulinität deshalb besonders reizvoll für einige afroamerikanische Männer, die ihre scheinbare „Entmännlichung“ beklagten. Priest trägt keinen Afro, sondern hat sehr glatte Haare, hat zudem relativ „helle“ Hautfarbe, weshalb er auch für Shaft als „nicht schwarz genug“ abgelehnt wurde.42 Er repräsentiert die im Blaxploitation-Genre immer wiederkehrende und heroisierte Figur des Pimp, des Zuhälters und Drogenbosses, der im Rotlicht- und Untergrundmilieu zuhause ist. Schon die Figur Sweetback war als Sexarbeiter dort tätig gewesen. Youngblood Priest, die Hauptfigur in Super Fly, kann als Prototyp der Pimpfigur im Film interpretiert werden, der sich durch Drogengeschäfte aus der ökonomischen Prekarität befreit. Eithne Quinn beschreibt die Ziele des Pimp folgendermaßen: „The affluent ‚pimp daddy ދis preoccupied with the conspicuous display of material wealth (‚drop-top Caddy clothesދ, and ‚riches)ދ.”43 Der für Priest charakteristische Hut ist ein wesentliches Merkmal des Pimp und taucht als dessen notwendiges Accessoire auch in späteren Blaxploitation-Filmen wie Willie Dynamite, Dolemite oder Foxy Brown immer wieder auf. Schon der Titel Super Fly deutet auf die Stilisierung des Protagonisten als gutaussehend, gutgekleidet hin. Der durch Überfluss gekennzeichnete Lebensstil zeigt sich in Priests Juwelen, seinem Ring, aber auch in glänzenden und prunkvollen Autos. Quinn interpretiert die Figur des Pimp deshalb als ein Beispiel von „black stylization.“44 Super Fly ist zudem Ausdruck von funkyness. Stella Bruzzi schreibt diesbezüglich: „In terms of dress, ‚funkiness ދcame to be expressed by the ‚Pimp Lookދ, an eclectic amalgam of clashing styles most often seen on pimps, hustlers and other ghetto figures who had got rich by dubious means. The Pimp Look is blatantly sexual, tight around the hips and crotch and low cut over the chest; the funksters are ‚dressed to slayދ.“45
41 Vgl. Kelley: Race Rebels, S. 126. 42 „[Ron O’Neil] had been turned down for Shaft as being ‚too light[ ދ...].“ Gordon Parks: A Hungry Heart. A Memoir, New York 2005, S. 318. 43 Eithne Quinn: ‚Who’s The Mack ?ދ. The Performativity and Politics of the Pimp Figure in Gangsta Rap, in: Journal of American Studies 34, 1 (2000): S. 115-136, hier: S. 121-122. 44 Quinn: ‚Who’s The Mack ?ދ, S. 124. 45 Stella Bruzzi: Undressing Cinema. Clothing and Identity in the Movies, London 1997, S. 100-101.
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Das Auftauchen der Pimp-Figur hatte einen starken Einfluss – insbesondere im Zuge von Super Fly – auf das Styling von vielen African Americans. Nathan McCall bemerkt dazu: „Almost overnight, brothers shifted from Black Power chic to gangster buffoon. Suddenly, cats who had been sporting dashikis and monster Afros broke out the plattform shoes and crushed velvet outfits that made them look like clownish imitations of the flamboyant Priest.”46 Der Pimp-Look wurde somit zum hegemonialen Style innerhalb der afroamerikanischen Bevölkerung und verdrängte populäre, mit Black Power assoziierte Styles wie Dashikis und Afros. In der moderaten Bürgerrechtsbewegung wurde besonders Super Fly Zielscheibe der Kritik, denn dieser Film wurde als Propagierung von Drogenkonsum und Kriminalität in der Black Community interpretiert. Auch der bekannte afroamerikanische Psychologe Alvin Poussaint bemerkt die Faszination, die die Pimp-Figur auf viele schwarze Jugendliche ausübt und sieht darin eine große Bedrohung. In einem Artikel in der Zeitschrift Psychology Today vom Februar 1974 mit dem Titel Blaxploitation Movies: Cheap Thrills That Degrade Blacks schreibt er: „Practically the entire student body of a high school in Los Angeles is wearing the ‚cokeދ spoon necklace after a showing of the same movie [Super Fly, P.D.] ... The fluffed hairdo has undergone a dramatic change into the slick, conk, style, as urban youth copy the hair styles of film characters. They mimic the stars’ hip, violent personalities that suggest that success comes with a cool ‚rapދ, flashy clothes, big expensive cars, and a gun.“
47
Poussaint sieht im neuen Pimp-Style also eine Gefahr für die Jugend, weil dieser eine Identifikation mit der Verherrlichung von Drogenkonsum, Gewalt und Überfluß signalisiere. Die scheinbare Aufwertung von Schwarzsein dadurch, dass Priest im Film als hart, überlegen und statusmäßig von anderen anerkannt wird, vollziehen sich nach Poussaint in Wirklichkeit um den Preis einer Degradierung von Schwarzsein, nämlich indem African Americans als skrupellose Drogenhändler gezeichnet werden.
46 Nathan McCall, zit. nach Lyne: No Accident, S. 42. Lyne merkt allerdings treffend weiter an, dass McCalls Beschreibung der Styleveränderungen die sie begleitenden sozioökonomischen Rahmenbedingungen ignoriert. „The political and economic shifts beneath these fashion choices have become virtually invisible to McCall.“ Lyne: ebd. 47 Alvin Poussaint: Cheap Thrills That Degrade Blacks, in: Psychology Today, Februar 1974, S. 22, 26, Zit. nach Weems: Desegregating the Dollar, S. 87-88.
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Ähnlich wie Super Fly war auch der Film The Mack ein Kassenerfolg und avancierte schnell zu einem Klassiker des Blaxploitation-Genres. Die Hauptfigur des Mack, also des Drogenhändlers, genannt Goldie und gespielt von Max Julien, popularisiert ein weiteres Mal die Figur des Pimp. Die Konflikte zwischen radikalem Aktivismus, der die Community als Kollektiv befreien will, und dem Hustler-Dasein, welches der Mack führt, wird filmisch in der Beziehung zwischen dem Mack und seinem Bruder artikuliert. Letzterer ist ein radikaler schwarzer Nationalist. Im Film tritt er zum ersten Mal als Redner einer Versammlung auf, in der er die Black Power-Ideologie an seine Zuhörer/innen vermittelt. Goldie wird, nachdem er gerade aus dem Gefängnis entlassen wurde, wieder von denselben beiden rassistischen Polizisten belästigt, die ihn zuvor angeschossen und beinahe haben sterben lassen. Sie sagen zu ihm: „Look at you! You used to be a sharp dresser and now you’re a mess!“48 Diese Bemerkungen sollen Goldie demütigen und die Abwertung seines Styling als Ausdruck seines generellen Verfalles signalisieren. Eine ähnliche Szene, in der das Styling explizit thematisiert wird, in der aber die Sprecherpositionen vertauscht sind, ereignet sich am Ende des Filmes. Goldie ist nun zu einem erfolgreichen Zuhälter geworden. Inzwischen stylt er sich wie ein Pimp und trägt einen braunen Umhang, braune Kleidung, den obligatorischen Pimp-Hut und einen Stock mit vergoldetem Knauf. Als er die beiden Polizisten in einer dunklen Straße wiedertrifft, entspinnt sich ein Dialog, in dessen Verlauf Goldie die beiden herausfordert und provoziert: „[Goldie] You know what your problem is? [Polizist:] Tell us! [Goldie] You wanna be me. I mean you’d like to have my clothes. You like to have my money and get in my big car. You’d like to have some of the pretty ladies I got, especially that pretty white lady I just left in the restaurant. I bet you have a problem with women, don’t ya? And in fact you’d even like to look like me.“
49
Die Polizisten fangen daraufhin an zu lachen und beginnen, auf Goldie einzuschlagen. Denn Goldie spricht in diesem Dialog sein Styling an: Sein ganzer Habitus als Pimp, gutaussehend, der über Frauen, Geld und ein schickes Auto verfügt, würde den Neid der beiden weißen Polizisten hervorrufen. Darüber hinaus ist die Beziehung zwischen Priest als schwarzem Mann und einer weißen Frau für die Polizisten eine Provokation. Durch ihre brutale Reaktion auf den in ihren Augen sich abgespielt habenden Affront zeigen sie, dass Goldie sie durchschaut 48 The Mack (Regie Michael Campus): USA 1973. 49 The Mack.
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und er ihre geheimen Wünsche enthüllt hat. Dass das Verlangen nach Schwarzsein bei zumindest einem der beiden Polizisten, dem rassistischeren und brutaleren, stark vorhanden ist und Goldie somit durch seine Bemerkungen einen wunden Punkt trifft, ist auch bereits aus einer früheren Filmszene abzuleiten. Dort ist derselbe Polizist bei einer schwarzen Prostituierten, betatscht diese, ist betrunken und macht einen verwirrten Eindruck. Hier zeigt sich die Ambivalenz des Rassismus, der auf der einen Seite sexuelles Begehren, auf der anderen Seite Abscheu und Aggression beinhalten kann.50 Der Film endet damit, dass Goldie und sein Bruder sich schließlich zusammenschließen und die beiden Polizisten töten. Obwohl letzterer dem Pimp-Dasein sehr kritisch gegenübersteht und als Figur im Film den radikalen Black Power-Aktivisten symbolisiert, kommt Goldies Bruder somit schließlich darin überein, dass die Polizei der Hauptfeind ist. Die unterschiedlichen Konzeptionen von Politik werden in einem Dialog der beiden Brüder gegen Mitte des Filmes verhandelt. Auf die Kritik des Bruders am Zuhälterdasein erwidert Goldie: „I mean being black and rich means something, don’t you know that!“ Daraufhin erwidert der Bruder: „Don’t you see that you teach young black kids to exploit your own kind? So you lost your love for the brothers altogether then, haven’t you?“ Goldie entgegnet diesem Vorwurf jedoch indigniert: „Don’t you droppin’ that‚love for the brothers ދon me, man!“51 Goldies Politikentwurf besteht im individuellen ökonomischen Erfolg, sein Styling drückt dies aus. Es gibt keine Kollektivvision mehr, die ein „Uplifting the Race“ der Black Community einbeziehen würde.52 Diese Lebenskonzeption ist ein wiederkehrendes Muster: der Einzelkämpfer, der sich für einige Belange der African Americans einsetzt, aber kein umfassendes Programm zur Befreiung mehr verfolgt. Der gerade zitierte Satz erinnert auch an Sweetback, der, nachdem er den Black Nationalist Mo-Mo befreit, die Polizisten überwältigt und auf die Frage, „Where are we going?“ mit „Where did you get the we-shit from?“53 antwortet. Goldie (The Mack), Youngblood Priest (Super Fly), Willie Dynamite (Willie Dynamite) und andere Blaxploitation-Hauptfiguren stehen exemplarisch für die Rolle des Outsiders, der sich einer umfassenden emanzipatorischen Utopie verweigert und hauptsächlich an der Verwirklichung eigener hedonistischer Ziele interessiert ist.
50 Vgl. zu dieser Ambivalenz auch Mailer und mein entsprechendes Kapitel Desiring Blackness in: Dorestal: „We shall have our Manhood“, S. 65-86. 51 The Mack. 52 Vgl. zur Entwicklung des Konzeptes des Uplift-Gedankens Gaines: Uplifting the Race. 53 Sweet Sweetbacks Baadasssss Song (Regie Melvin van Peebles): USA 1971.
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Die Pimps sind besonders in The Mack durch ihre farbintensive Kleidung, fast immer mit Hut, zu erkennen. Ihre Anzüge sind dabei einfarbig – knalliges Blau, Gelb oder Rot – und dadurch sofort von allen identifizierbar. Sie werden zudem oft im Friseursalon gezeigt, was darauf hindeutet, dass sie sehr viel Aufmerksamkeit auf ihr Styling verwenden. Bei einer Durchsuchung seines Hauses durch die beiden weißen rassistischen Polizisten beschwert sich ein Hustler in The Mack: „I’m a rich Nigger!“. Er vermittelt über sein Styling seine Klassenzugehörigkeit und ist indigniert darüber, dass er wie ein „gewöhnlicher“ African American, also als mittellos wahrgenommen wird, den man misshandeln könne. Mit seiner Kleidung repräsentiert er Überfluss und auch sein gesamter Habitus deutet auf seinen gehobenen sozialen und ökonomischen Status hin. Die Anerkennung, die der Pimp erfährt, wird in einer Szene deutlich, in der Goldie mit seinem Cadillac vorfährt und begeistert von einer Gruppe Kinder und Jugendlicher umringt wird. Sie sagen, sie wollten so wie Goldie werden, woraufhin dieser scharf erwidert: „Don’t ever say that again!“ Goldie ist sich also dessen bewusst, dass das Zuhälterdasein für schwarze Kinder nicht nachahmenswert ist, sondern vielmehr andere Berufe erstrebenswert sind. Andererseits kokettiert er mit dieser Anerkennung durch die Außenwelt und genießt seinen Ruhm. Ein anderer Film, in dem der Pimp-Style eine populäre Rolle spielt, ist Willie Dynamite54, der die Geschichte des gleichnamigen Zuhälters (gespielt von Roscoe Orman) erzählt. Auch er wird immer wieder von der Polizei belästigt und festgenommen. Zum Schluss des Films gibt er das Pimp-Leben auf, was auch durch einen neuen Style signalisiert wird. Er trägt nun nicht mehr den farbenfrohen-Pimp-Suit mit Nerz und Hut, sondern ein schlichtes, einfarbiges Outfit mit beigem Hemd und Hose ohne Hut. Der neue Style unterstützt die gewandelte Einstellung von Dynamite, denn er legt nicht länger Wert auf Statussymbole. Deutlich wird dies auch in einer der letzten Szenen, als Dynamite aus dem Polizeirevier kommt. Im Verlaufe des Films wurde dessen extravaganter Wagen wiederholt von der Polizei abgeschleppt, um ihn zu schikanieren. Als sein Auto nun wieder einmal im Begriff ist, abgeschleppt zu werden und Dynamite gefragt wird, „Is that your car?“ verneint er. Der neue Style und die Indifferenz gegenüber seinem früheren Statusobjekt Auto zeigt somit die gewandelte Lebenseinstellung von Dynamite an.
54 Willie Dynamite (Regie Gilbert Moses): USA 1974.
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Abbildung 8: Willie Dynamite im Nerzmantel (Bildmitte)
Quelle: Willie Dynamite, USA 1974.
Dass Style im Film die Funktion eines Markers für statusrelevante Distinktion hat, legt auch eine andere Filmsequenz nahe, in der die Sozialarbeiterin Sands zu Dynamites Sexarbeiterinnen kommt und sie dazu bewegen will, das Anschaffen zu beenden und Dynamite zu verlassen. Sie thematisiert den eklatanten Unterschied zwischen Willies Style und dem der Frauen: „You feed Willie, dress him like a King. He’s wearing mink and you get battered. You are being ripped-off on everything. I don’t mean to preach but do it for yourselves. Organize! You don’t need Willie. Didn’t you know? [Hebt zweimal die rechte Faust] We’re liberated now.“
Dies ist die einzige Szene im Film, wo eine Perspektive der politischen Emanzipation thematisiert wird. Sands bezieht sich auf die (schwarze) Frauenbewegung. Sie weist die Frauen darauf hin, dass Dynamite sich durch deren Arbeit bereichert und sich teure Kleidung leisten kann, während die Frauen selbst mit Schund vorlieb nehmen müssten.55 Styling ist somit ein sich durch den gesamten Film durchziehendes und immer wiederkehrendes Element, das dazu dient, unterschiedliche soziopolitische
55 Besonders Nerz galt in den USA der Nachkriegszeit als Distinktionsmerkmal der Wohlhabenden: „Wealth was best expressed in garments, such as a mink coat, that could not be made cheaply or without skilled craftsmanship.“ Arianne Batterberry/Michael Batterberry: Mirror, Mirror. A Social History of Fashion, New York 1977, S. 357.
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und ideologische Positionen zu markieren. Willie Dynamite ändert im Film mehrmals seine Kleidung; mit Ausnahme der letzten Filmsequenz ist er aber immer im typischen Zuhälter-Style angezogen, d.h. in weiten, bunten Mänteln und Hüten, die mit Federn geschmückt sind (s. Abb. 8). Dieser Style ist auch aus anderen Filmen wie Super Fly oder Black Shampoo bekannt und erlaubt es den Zuschauer/innen sofort, einen Zuhälter zu erkennen. Dynamites Style ist so extravagant, dass er im Laufe des Films immer wieder sowohl bewundernde als auch spöttische Blicke für seine mit Nerz verzierten Mäntel erntet. Bemerkenswert ist, dass die extralegale Aktivität der Zuhälter im Film, namentlich von Willie Dynamite, aber auch von seinen Kollegen, nicht etwas ist, was zu verstecken versucht wird. Stattdessen betont ihr Styling diese Outlaw-Existenz noch. An einer Stelle des Films wird dies auch direkt angesprochen, als ein Polizist, der einen Pimp verfolgt, sagt: „Whatever happened to criminals trying to be inconspicuous [unauffällig, unscheinbar]?“ Das Style eine soziale Beziehungsebene und Anerkennung erfordert, verdeutlicht eine Episode gegen Ende des Films, in der Willie Dynamite verhaftet und zum Polizeirevier gebracht wird. Auf die Frage, was ihm zur Last gelegt wird, antwortet der Polizist, bewaffneter Raubüberfall, bei dem hundert Dollar erbeutet wurden. Darauf entspinnt sich ein Dialog, weil Dynamite nicht glauben kann, dass man ihn, den großen Pimp, so einer Lappalie verdächtigen könne: Dynamite: „Are you flippin’ or something?“ Polizist:
„You fit the description“
Dynamite: „I fit the descritpion?!“ Polizist:
„A man in a brown coat.“
Dynamite: „A brown coat?! [einen roten Anzug mit weißem Nerz tragend] This is lamb! [Polizist lacht]. I paid over a grand for it!“
Es kommt zu einer Verdächtigengegenüberstellung, in der Dynamite noch einmal empört „this is lamb!“ ausruft. Dynamite wird in dieser Szene also offensichtlich schikaniert, was von dem Polizisten auch durch sein hämisches Lachen eingestanden wird. Diese Schikane wird über Style zum Ausdruck gebracht, weil es augenscheinlich ist, dass der extravagante Style von Dynamite nicht mit der Täterbeschreibung übereinstimmen kann – Dynamites Status wird somit von den weißen Polizisten nicht anerkannt: Der Versuch, seinen teuren Mantel als Statusaufwertung zu benutzen misslingt, weil die Machtrelation zwischen Dynamite und der Polizeigewalt weiterhin so ungleich ist. Man kann diese Szene so interpretieren, dass Dynamite hier rassifiziert wird: Er ist ein African American, der
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von der Polizei ungerecht behandelt wird. Sein Schwarzsein ist das für den Polizisten ausschlaggebende Kriterium, um ihn zu diskriminieren. Willie Dynamite unterscheidet sich von vielen anderen Filmen des Blaxploitation-Genres dadurch, dass eine Zitation und eine (wenn auch in den meisten Filmern kritische) Auseinandersetzung mit der Black Power-Bewegung weitestgehend ausbleibt. Es tauchen keine in schwarze Lederjacken oder Dashikis gekleideten Männer auf. Die politische Philosophie der Figur Willie Dynamite wird in der Szene thematisiert, wo dieser sich mit den anderen Pimps trifft. Dort wird jegliche Vision kollektiver schwarzer Befreiung abgelehnt und stattdessen auf free enterprise gesetzt. Willie Dynamite bezeichnet sich selbst als Kapitalist und weist das Ansinnen der anderen Zuhälter zurück, die Bezirke untereinander aufzuteilen. Die einzige Referenz auf die Black Power-Bewegung findet sich im Film an der Stelle, wo eine Sexarbeiterin von Dynamite im Gefängnis sitzt. An der Wand sieht man mehrmals eingeblendet den Ausspruch „Black is bootiful“ [von booty, Engl. für Hintern], eine Reformulierung des „Black is beautiful“-Slogans. Die Botschaft der ästhetischen Rekonzeptionalisierung von Schönheitsstandards, die als schön in der hegemonialen Lesart vormals Weißsein deklarierte, wurde von der Black Power-Bewegung mit „Black is beautiful“ umgekehrt.56 Der Ausspruch „Black is bootiful“ verweist jedoch auf eine Sexualisierung des schwarzen Körpers, die den emanzipatorischen Impetus des Black Power Slogans vermissen lässt und stattdessen in einer Tradition des zum-Objekt-Machens von Schwarzen steht. Die Fixierung auf den „booty“ ist zudem implizit sexistisch, da die Botschaft zwar nicht davon spricht, welcher geschlechtliche schwarze Körper hier beschrieben wird. Im Subtext und in der Tradition rassistischer Ikonografie wird jedoch deutlich, dass es die schwarze Frau ist, die hier sexualisiert wird. Auch aus dem Kontext geht dies hervor, denn der Ausspruch „Black is bootiful“ findet sich an der Wand des Frauengefängnisses. Willie Dynamite endet mit einer Botschaft, die nicht zuletzt auch über Dynamites Styling transportiert wird. Er entsagt seinem Pimp-Leben und gibt seine Statussymbole wie sein protziges Auto und seine Aufsehen erregenden Mäntel auf. Von zeitgenössischen Kritikern wurde in Bezug auf Willie Dynamite angemerkt, dass dieser Film ob der selbst für das Blaxploitation-Genre äußerst extravaganten Kleidung und der Dialoge wie eine Parodie auf das Genre selbst wirke. So schrieb Vincent Canby in der New York Times:
56 Vgl. ausführlich hierzu die Kapitel über die Black Panther Party sowie den Cultural Nationalism in der vorliegenden Arbeit.
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„The costumes, language, melodrama, performances and even the soundtrack music are so outrageously broad it seems as if the film were putting itself on, parodying such earlier live-action black cartoons as ‚The Mackދand ‚Cleopatra Jonesދ. Not at all. It wants a piece of the same action.“57
Willie Dynamite sei also ebenso durch einen Exzess an farbenfrohem Style gekennzeichnet. Die schrille Kleidung der Filmcharaktere macht deshalb Styling zu einem durchgängigen Thema von Willie Dynamite.
S TYLING B LACK F EMININITY Die Filme Coffy und insbesondere Foxy Brown mit der Schauspielerin Pam Grier gehören mit zu den populärsten Blaxploitation-Produktionen der 1970er Jahre. Eine Analyse dieser Filme ist deshalb interessant, weil daran neue Repräsentationen von schwarzer Weiblichkeit abgelesen werden können, die auch im Styling zum Tragen kommen. In den 1950er Jahren und bis in die 1960er Jahre hinein war Femininität, so wie sie beispielsweise in afroamerikanischen Zeitschriften wie Ebony oder Jet in dortigen Artikeln, Werbeanzeigen, Modestrecken und deren Kommentierung zum Ausdruck kam, stark mit dem Ideal der Respektabilität verbunden.58 Der Style sollte dabei konservativ sein und nicht viel vom Körper preisgeben. Janice Cheddie kommt in einem Aufsatz, der sich dem Aufkommen der ersten afroamerikanischen Models in den USA widmet, zu dem Schluss, dass das in vielen afroamerikanischen Medien konstruierte Bild von Weiblichkeit sich am Ideal der „respektablen bourgeoisen Femininität“ orientierte: „For black magazines of the period this desired respectability and recognition for the black woman was achieved through the presentation of the black female body, a body that aims to play down and conceal racial difference through the adoption of a bourgeois dress code, a symbol, for black magazines of the period, of respectable bourgeois femininity.“
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57 Vincent Canby: Wille Dynamite (1973). The Screen. Willie Dynamite Tells the Story of a Pimp, in: The New York Times, 24. Januar 1973, im Internet abrufbar unter: http://movies.nytimes.com/movie/review?res=9D03E6DD153DE73ABC4C51DFB76 6838F669EDE [zuletzt abgerufen am 05.08.2011]. 58 Vgl. dazu ausführlich Kapitel drei über die Bürgerrechtsbewegung in der vorliegenden Arbeit. 59 Cheddie: The Politics of the First, S. 71.
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Pam Grier bricht in ihren Rollen mit dieser Konstruktion von respektabler schwarzer Femininität, um rassistischen Repräsentationen von schwarzer Weiblichkeit und deren angeblich ungezügelter Sexualität – dem Bild der Jezebel – mit einen positiven Gegenentwurf zu begegnen, was zur Popularität von Blaxploitation-Filmen mit weiblichen Protagonistinnen beitrug.60 Gleichzeitig war das Aufkommen der Blaxploitation-Filme mit weiblichen Hauptrollen zum Teil auch bedingt durch die Kritik an der offen sexistischen und karikaturhaften Darstellung von Weiblichkeit in den ersten, das Genre konstituierenden Filmen wie Sweetback, Shaft oder Super Fly.61 Dort wurden Frauen meist als sexuell immer verfügbare unterwürfige Wesen portraitiert. Die Figuren Foxy Brown und Coffy kokettieren zwar mit ihrer Sexualität: der Körper und der Kleidungsstil werden jedoch so präsentiert, dass der Blick bewusst auf den Körper gelenkt wird, so dass dieser im Zentrum der Handlung steht.62 Die Figuren setzen ihre Körperlichkeit jedoch strategisch ein und sind autonom in ihrer Sexualität. Auch Sex zwischen der Protagonistin und ihren Partnern wird gezeigt und weicht damit von der Darstellungsweise in den 1950er Jahren mit schwarzen Schauspielern wie etwa Sidney Poitier ab, die als asexuelle Wesen gezeichnet werden – in den Umgangsformen und im Styling makellos und Respektabilität ausstrahlend, jedoch über keine Körperlichkeit verfügend. Filme mit schwarzen weiblichen Heldinnen wie Foxy Brown, Coffy, Sheba, Baby, Cleopatra Jones und TNT Jackson repräsentieren ein anderes Extrem von Weiblichkeitsbildern im Blaxploitation-Genre. In den erwähnten Filmen werden die Charaktere als selbstbewusst, stark, attraktiv und intelligent dargestellt, die am Ende immer gegen die weißen Bösewichte gewinnen.
60 Die Figur der Jezebel entstand in der Zeit der US-amerikanischen Sklaverei und steht in einer langen Tradition rassistischer Konstruktionen schwarzer, als „deviant“ markierter weiblicher Sexualität. Vgl. Patricia Hill Collins: Black Feminist Thought. Knowledge, Consciousness, and the Politics of Empowerment, New York/London 2000, S. 81-82. 61 „Both black and white critics had decried the overwhelming sexism in earlier blaxploitation films, and filmmakers had responded by inserting female protagonists into the formerly male ‚avenger ދrole, another flipping of binary concepts that had the potential to reveal an inherent hierarchy.“ Benshoff: Blaxploitation Horror Films, S. 41. 62 Dies ist allerdings überhaupt ein Spezifikum des Action-Filmes: „Action heroes and heroines are cinematically constructed almost exclusively through their physicality, and the display of the body forms a key part of the visual excess that is offered in the muscular action cinema.“ Yvonne Tasker: Spectacular Bodies. Gender, Genre and the Action Cinema, New York 1995, S. 35.
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Styling spielt eine wichtige Rolle bei der Konstruktion und Identifikation von sexueller Orientierung, und dies gilt in besonderem Maße für die Blaxploitation-Filme mit weiblichen Hauptrollen. Denn die Filmcharaktere Foxy Brown bzw. Coffy sind zwar immer als heterosexuell konzipiert, begegnen jedoch wiederholt lesbischen Frauen, welche erst durch ihr Styling als solche markiert werden. Daraus ergibt sich eine Ambivalenz in der Konstruktion der weiblichen Heldin im Blaxploitation-Film, auf die Kara Keeling hinweist: „Each of the blaxploitation characters had to visibly and consistently demonstrate her heterosexuality, even as her insertion into the traditionally masculine role of blaxploitation hero threatened to disturb the common-sense articulation wherein a female body must be feminine and sexually available to men.“
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Diese Ambivalenz der schwarzen weiblichen Heldin, die eine „männliche“ Funktion in der Filmhandlung einnimmt, weil sie dominant ist, Gewalt ausübt und am Ende gegen die Bösen triumphiert und die gleichzeitige Herausforderung, ihre „Weiblichkeit“ zu demonstrieren, vollziehen sich über ihr Styling. Die von Pam Grier in Coffy und Foxy Brown bzw. von Tamara Dobson in Cleopatra Jones und Cleopatra Jones and the Casino of Gold gespielten Protagonistinnen sind immer sehr körperbetont gekleidet, so dass ihr Styling als „sehr feminin“ erscheint. Als Kontrast fungiert in vielen Filmen, namentlich in Coffy und den Cleopatra Jones-Filmen die lesbische Butch.64 Diese garantiert durch ihr „männliches“ Styling, dass die weibliche Heldin im Kontrast dazu trotz ihrer „männlichen“ Rolle als „asskicking baad bitch“ und damit als feminin infolge ihres mit Weiblichkeit konnotierten Stylings sowie ihrer Heterosexualität im Film gesehen wird.65 Um zu verdeutlichen, wie die Femininität von Coffy trotz dieser „männlichen“ Rolle betont wird und ihre Figur in die heterosexuelle Matrix eingeschrieben wird, ziehe ich eine Szene heran, deren Funktion dahingehend interpretiert werden kann, dass hier geschlechtliche Ambivalenzen wieder vereindeutigt werden. Auf der Suche nach dem Drogenboss und Pimp, den Coffy für die Drogenabhängigkeit ihrer kleinen Schwester verantwortlich macht, sucht sie eine Frau auf, um von ihr Hinweise auf den Aufenthaltsort des Pimps zu erlangen. Es ent-
63 Kara Keeling: The Witch’s Flight. The Cinematic, the Black Femme, and the Image of Common Sense, Durham/London 2007, S. 108. 64 Vgl. zum Begriff Joan Nestle: Flamboyance and Fortitude. An Introduction, in: dies. (Hg.): The Persistent Desire. A Femme-Butch Reader, Boston 1992, S. 13-22. 65 Vgl. zur ‚baad bitch ދDunn: ‚Baad Bitches & ދSassy Supermamas.
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spinnt sich ein Dialog, in der die Frau sagt: „When my old man comes back, she kills you.“66 Harriet nimmt die Rolle des „old man“ ein, des starken Mannes, der seine Freundin gegen Coffy beschützt. Kurz darauf betritt Harriet tatsächlich die Wohnung, indem sie die Tür gewaltsam auftritt. Harriet unterstützt durch ihr Styling als Butch die vorher von ihrer Partnerin gemachte Aussage, wonach sie der „old man“ sei: Sie ist in schwarze, lederne Bikerklamotten gehüllt und performt so mit ihrem Aussehen und Auftreten Männlichkeit. Dies kontrastiert mit Coffys Style, der „weiblich“, d.h. körperbetont und in weichere und farbenfrohe Stoffe gekleidet ist. Coffys Femininität wird dadurch verstärkt, dass sie den Kampf gegen die Butch Harriet nicht gewinnt und nur noch die Flucht aus dem Haus antreten kann. Harriets Partnerin war als Femme bereits dadurch markiert worden, dass sie die Auseinandersetzung mit Coffy verliert: Sie wirft ihr gezücktes Messer weg und weicht verängstigt zurück, als Coffy eine Glasflasche zerschlägt und bedrohlich mit dem spitzen, abgeschlagenen Flaschenboden auf sie zugeht. Durch das Auftreten von Harriet kann Coffy in Abgrenzung zu ihr wieder feminin erscheinen. Coffy und Foxy Brown zeigen – ähnlich wie auch die überwiegende Anzahl der anderen Blaxploitation-Filme mit männlichen Hauptrollen, namentlich Sweetback, Black Caesar und Willie Dynamite – keine kollektive Vision schwarzer Befreiung. Jennifer deVere Brody hat sie deshalb auch als Women Revenge Movies apostrophiert. Pam Griers Filmcharaktere handeln immer erst, nachdem es in ihrem Leben eine persönliche Tragödie gegeben habe: Beispielsweise wurde ein Bruder oder Liebhaber der Hauptfigur ermordet und muss nun gerächt werden.67 Allerdings heißt dies nicht zwangsläufig, dass eine politische Botschaft in diesen Filmen fehlen würde. In Foxy Brown liegen ihre Handlungen zwar in persönlichen Motiven begründet (ihr Liebhaber wird umgebracht), sie schließt sich jedoch am Schluss mit schwarzen Nationalist/innen zusammen, die über ihr Styling erkennbar sind, um Rache an den Mördern zu üben. Hier wird also eine gemeinsame Aktion durchgeführt, die mit einem gesellschaftlichen Wandel kompatibel ist, den die Cultural Nationalists anstreben. In Coffy dient Style zur Konturierung der Rolle der Filmcharaktere und ihrer Geschlechteridentität. Pam Grier als Coffy trägt eng anliegende, farbenfrohe, körperbetonte Kleider, die ihre Feminität untersteichen sollen. King George als Pimp und Drogenbaron ist, wie auch in anderen Filmen, durch seinen „flashy“ Style sofort zu erkennen: den einfarbigen Overall, Hut und Gehstock. Ein Bezug auf schwarze Befreiungsbewegungen fehlt in Coffy fast vollständig und dies
66 Coffy (Regie Jack Hill): USA 1973. 67 Vgl. DeVere Brody: The Returns of Cleopatra Jones, S. 96.
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schlägt sich auch im Styling nieder. Das einzige Relikt der Black Power-Bewegung ist Coffys großer Afro. Dieser betont zwar Pam Griers Rolle als selbstbewusste, starke Frau, doch tauchen sonst keine anderen Insignien des Black Power-Stylings im Film auf. Der Afro fungiert hier deshalb nicht primär als Symbol von Black Power, sondern erfüllt pragmatische Funktionen, indem er z. B. als Versteck für Waffen dient: In einer Szene präpariert Coffy ihre Frisur mit Rasierklingen, um den antizipierten Angriff der Sexarbeiterinnen von Zuhälter King George abzuwehren. In einer anderen Filmsequenz verbirgt sie in ihrem Afro eine angespitzte Büroklammer, die sie ihrem Entführer in den Hals rammt und so entkommen kann. Coffys Style wird also durch implizite Referenz auf die Black Power-Bewegung sowohl über ihre Frisur als auch mithilfe ihrer performativen Praktiken hergestellt. Sie selbst tritt als stark und selbstbewusst auf. Eine explizite und eindeutige Bezugnahme auf die Black Panther oder Cultural Nationalists findet allerdings nicht statt. Coffys Ambivalenz als Filmfigur besteht darin, dass sie eine Rolle einnimmt, die in der hegemonialen Vorstellung der damaligen Zeit und verstärkt durch das Blaxploitation-Genre mit Filmen wie Shaft, Sweetback und Super Fly als männlich imaginiert wurde: die Rolle des Beschützers und Rächers, der Gewalt ausübt und die Bösewichte zur Strecke bringt. Dieser wurde immer als hypermaskulin und heterosexuell gezeichnet. Neben Coffy und Foxy Brown mit Pam Grier als Hauptdarstellerin waren auch die beiden Cleopatra Jones-Filme mit Tamara Dobson innerhalb des Blaxploitation-Genres außerordentlich erfolgreich.68 Der Film handelt von der gleichnamigen CIA-Agentin, die sich der Bekämpfung des Drogenhandels widmet und dadurch in eine erbitterte Auseinandersetzung mit der Drogenbaronin Mommy (Shelley Winters) tritt. Die Frage des Stylings erfüllt in beiden Cleopatra-Filmen eine wichtige Funktion. Cleopatras Auftritt im Film wird immer wieder dramatisch unterstrichen durch ihr extravagantes Styling. Stella Bruzzi betont zu
68 Die Cleopatra Jones-Filme beziehen sich nur entfernt auf die historische Kleopatra bzw. auf deren literarische Stilisierung in Shakespeares Cleopatra and Antony. In ihrer Studie über die Rezeption und Adaption der Kleopatra-Figur bemerkt Francesca Royster, dass in Theater- oder Filmrollen bis in die 1970er Jahre hinein fast ausschließlich weiße Schauspielerinnen engagiert wurden, obwohl die Überlieferung Kleopatra als schwarz beschreibt. Michael Neill schreibt: „It is a telling paradox of the play’s stage history that, despite Shakespeare’s clearly envisaging Cleaopatra as a North African queen whose skin is either ‚tawny ދor ‚blackދ, there is no history of black Cleopatras as there has been, since the triumphs of Ira Aldridge in the mid-nineteenth century, a series of striking black Othellos.“ Zit. nach Francesca Royster: Becoming Cleopatra. The Shifting Image of an Icon, New York/London 2003, S. 149.
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Recht, dass die Konstruktion von Schwarzsein bei Cleopatra Jones durch die verschiedenen stilistischen Referenzen heterogen ist, und diese somit zu einer Exotisierung beitragen: „Dobson in Cleopatra Jones constructs an image of blackness as exotic, non-specific ‚otherness ދwhich flirts between African, Middle Eastern, Indian and hippie influences, apparently indiscriminately. [...] Her extreme appearance is incoherent and excessive, and 69
hardly suited to her role as government agent. Yet the disparity adds to the exoticism.“
Referenzen auf die radikale Black Power-Bewegung finden sich auch in Cleopatra Jones wenig. In ihrem Styling verweist einzig Cleopatras Afro auf die fortwährende Popularität dieses Hairstyles. Ihr sonstiges Outfit signalisiert hingegen neben Exotik, wie dies Stella Bruzzi richtig festgehalten hat, vor allem auf einen hohen sozialen Status. Ihre Nerzmäntel und Hüte mit Straußenfeder indizieren eine Haute Couture, keinen allgemein zugänglichen Street Style. Dies liegt sicherlich auch am ambivalenten Status der Filmfigur, die als CIAAgentin eine Rolle innehat, die in der Geschichte der US-Schwarzenbewegung meist als problematisch, da radikalen Befreiungsvisionen entgegenstehend und gar als diese bekämpfend angesehen wurde.70 Durch ihr teures Auto, aber auch nicht zuletzt durch ihr Styling, das nonkonform ist und nicht dem entspricht, was in einer hegemonialen Lesart als regierungsoffizielles Aussehen anerkannt würde, wird der Balanceakt von Cleopatra Jones als einer Figur vollzogen, die einerseits die Staatsmacht verkörpert, andererseits aber durch ihr unorthodoxes Auftreten einen Außenseiterstatus einnimmt, der sie für die Black Community akzeptabel, ja regelrecht bewundernswert macht: „In spite of the costume of the counterculture, the ID card [of the CIA, P.D] shows us that Jones is ‘on the grid’ [...] and that her actions and ID are produced out of and underwritten by the government.“71 Auch in Cleopatra Jones wird die Figur des Pusherman, d. h. des Drogenhändlers ähnlich wie in Super Fly, Willie Dynamite, Black Shampoo durch das Styling hervorgehoben: Er ist in exquisite, schrill-bunte Anzüge mit schicken Hüten gekleidet. Eine Szene gegen Ende des Films belegt dies, als Cleopatra den Dealer in seiner Wohnung aufsucht, ihn überwältigt und seine ganze Garderobe zerstört, um von ihm das Versteck seiner Drogen zu erfahren. Auch seine Pla-
69 Bruzzi: Undressing Cinema, S. 103. 70 Vgl. hierzu Churchill: „To Disrupt, Discredit and Destroy“, S. 79-82. 71 Royster: Becoming Cleopatra, S. 164.
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teauschuhe fallen Cleopatra zum Opfer. Sie besiegt und demütigt ihn nicht zuletzt durch die Vernichtung seiner Statussymbole. Styling hat somit für einige Filmcharaktere fetischistische Züge.72 Neben dem Dealer wird dies insbesondere bei der Figur des Doodlebug (gespielt von Antonio Fargas) deutlich, der in einer Szene gutes Aussehen und dabei vor allem gutes Hairstyling hervorhebt. Doodlebug fährt mit seinen Freunden im Auto, als er diese fragt: „How do I look?“ Auf deren Antwort „You look good“ erwidert er: „I don’t look good, I look marvellous! It’s ’cause I take care of my hair. My hair is like a woman. You treat it good, they treat you good. You got to hold it, caress it and love it and it’s gonna love you right back. And if your hair get’s out of line you take a scissor and say: ‚Hair, I’m gonna cut you!“ދ
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Doodlebug stellt hier eine Analogie zwischen Haaren und Frauen her. Man müsse sich immer um beide kümmern, es bedürfe also einer beständigen performativen Handlung, um die Haare in Form zu halten: Genauso müsse man auch Frauen gut behandeln und sie lieben, dann würden sie dies zurückgeben. Doodlebug spricht aber auch eine Gewaltdimension an, denn durch seine Analogiebildung suggeriert er, ebenso wie unbändiges Haar durch die Androhung des Haareschneidens „gezähmt“ werden könnte, könnten „widerspenstige“ Frauen durch die Androhung von Gewalt kontrolliert werden. Doodlebug spricht an keiner Stelle direkt an oder verweist indirekt darauf, dass Hairstyling für ihn eine Referenz auf Schwarzsein ist. Sein Afro wird nicht mit schwarzer Befreiung assoziiert, sondern mit „einfach gut aussehen“ gleichgesetzt. Der fetischistische Charakter, den Hairstyling für Doodlebug einnimmt, zeigt sich, als er von Gangstern erschossen wird und sich mit letzter Kraft durchs Haar fährt, bevor er stirbt. Interessant ist in den Cleopatra Jones-Filmen auch die Konstruktion von schwarzer bzw. weißer Femininität und Sexualität. Sowohl in Cleopatra Jones als auch im Sequel Cleopatra Jones and the Casino of Gold ist die böse Gegenspielerin der Protagonistin eine weiße lesbische Frau. Die Figur Mommy wird auch durch ihr Styling von Cleopatra abgehoben: Sie trägt einen schwarzen Ledermantel und einen Stock und weckt somit Assoziationen an die Kleidung der Gestapo. Francesca Royster hält in Bezug auf die Konstruktion von „guter schwarzer“ und „böser weißer Weiblichkeit“ fest:
72 Vgl. hierzu auch Norton: Cleopatra Jones 007, S. 2. 73 Cleopatra Jones (Regie Jack Starrett): USA 1973. Meine Transkription, P.D.
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„Cleopatra Jones’s good black womanhood is endangered by Winter’s monstrous Mommy-hood. In one scene [...] Mommy, dressed in black leather Gestapo coat and brandishing a whip, yells sexualized taunts from above. Betraying its homophobia, the film equates Mommy’s lesbianism with her violent white supremacy. [...] Through the Mommy/Cleopatra Jones dynamic, the film further elevates black womanhood by scapegoating white womanhood as perverse.“
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Ähnlich wie in den Filmen mit Pam Grier ist Cleopatra Jones schwarze Weiblichkeit im Gegensatz zur Figur der Mommy als heterosexuell markiert. Ihre körperbetonte Kleidung und ihr tief ausgeschnittenes Dekolleté werden an verschiedenen Stellen des Films von Männern kommentiert, und sie erntet bewunderndanzügliche Blicke dafür. Sie wird damit innerhalb der Matrix des Filmes als außerhalb eines homosexuellen Begehrens stehend gestellt. Abbildung 9: Cleopatra Jones (2. v.l.) und Mommy (Bildmitte)
Quelle: Cleopatra Jones, USA 1973.
Komplexer als im ersten Teil ist die Konstruktion schwarzer und weißer Weiblichkeit und Sexualität in Cleopatra Jones and the Casino of Gold. In diesem Film wird Cleopatra Jones auf eine Mission nach Hongkong geschickt, um zwei CIA-Agenten zu befreien, die sich in der Gewalt der sogenannten „Dragon Lady“ befinden. Diese, gespielt von Stella Stevens, ist als weißer Bösewicht homosexuell; Weißsein wird also wie im ersten Teil der Cleopatra-Reihe mit Negativem und lesbischem Begehren verschmolzen. Obwohl Cleopatra Jones in diesem Teil die weibliche Mitstreiterin Tanny zugeteilt bekommt, eine Asian American, wird deren Beziehung als rein freundschaftlich inszeniert, der keine homoerotische Komponente zukommt. Die Weiblichkeit von schwarzen und 74 Royster: Becoming Cleopatra Jones, S. 168.
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Women of Color Frauen wird demnach als heterosexuell konstruiert, während die Dragon Lady durch verschiedene Szenen eindeutig als lesbisch markiert wird. Chris Norton hat in einem Aufsatz die beiden Cleopatra Jones-Filme mit dem James Bond-Klassiker Live and Let Die von 1973 verglichen. Während Cleopatra Jones viele implizite Bezüge zu dem Bond-Narrativ des Geheimagenten herstellt, der die Welt vor Bösewichten schützt, zeigt Norton überzeugend, dass Live and Let Die vielmehr eine Reaktion auf den Erfolg der BlaxploitationFilme ist. Denn hier wird wieder die klassische Struktur bedient, nach der alle im Film vorkommenden Schwarzen böse und moralisch verkommen sind und sich auf die eine oder andere Weise kompromittieren. Die unterschiedlichen Style Politics der Filme sind laut Norton dabei augenscheinlich: „In odd ways, Cleo’s outrageous outfits are also analogous with Bond’s dinner jackets and playboy wardrobe. Cleo’s three foot hat brims and flowing fur robes are treated with respect and awe within the film, just as Bond’s refinements are looked upon as the height of good taste. Also, both their wardrobes connote each one’s sexuality but to different degrees. While Bond is often decked out in refined clothing that connotes his English-ness and power as man, Cleo’s clothes connote her as sexually available through their fetishistic qualities.“
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Während Norton also einerseits auf Analogien im Styling von Bond und Jones verweist, sind doch andererseits auch starke Unterschiede feststellbar, die auf die Konstruktion von (weißer) Männlichkeit bzw. schwarzer Weiblichkeit zurückzuführen sind. Die Verweise auf das Blaxploitation-Cinema in Live and Let Die werden aber auch in anderer Hinsicht deutlich. In dem James Bond Film erscheinen zwei schwarze Schauspieler/innen, die durch den Blaxploitation-Boom erst bekannt wurden: Yaphet Kotto und Gloria Henry. Letztere spielte in Live and Let Die Rosie Carver und damit die Figur, die zum ersten Mal in der Geschichte der James Bond-Filme als schwarze Frau eine intime Beziehung mit James Bond auf der Leinwand einging.76 Es zeigt sich hier, wie wirkmächtig BlaxploitationFilme selbst auf den Hollywood-Mainstream waren und ein neues Feld des Diskursiven, Visuellen und Denkbaren in Bezug auf Repräsentationen von Schwarzsein eröffneten.
75 Norton: Cleopatra Jones 007, S. 2. 76 Vgl. Walker/Rausch/Watson: Reflections on Blaxploitation, S. 93.
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B LAXPLOITATION -S TYLE UND „ FAGGOTIZING OF B LACK MEN “ Die zeitgenössische Rezeption der Blaxploitation-Filme war sehr unterschiedlich, und die Auseinandersetzung darum, wie die Darstellung von Schwarzsein in diesen Filmen bewertet werden sollte, wurde, äußerst kontrovers geführt77. Vernichtende Kritiken kamen vor allem aus dem Umkreis moderater Bürgerrechtsgruppen wie der NAACP, deren Sprecher Junius Griffin die Filme durchweg als drogen- und gewaltverherrlichend verdammte.78 Im Gegensatz dazu deklarierten die Black Panther Van Peebles Sweetback zu einem filmischen Meisterstück. Diese Interpretation blieb allerdings in aktivistischen Kreisen marginal. Amiri Baraka formulierte als prominenter Vertreter des Cultural Nationalism einen scharfen Angriff gegen die Blaxploitation-Filme. Denn diese repräsentierten keine positiven Entwürfe von Schwarzsein: „We are short of black images now, constantly. No different from the Steppin Fetchits of 20 years ago; modern Steppin Fetchits; super-fly, even haired negroes return to the barber shop to straighten their hair. I’ve seen that the whole hair straightening thing has got back. And people have come back up for a new justification.“
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Baraka stellt hier eine Analogie zwischen der Figur des unterwürfigen Schwarzen in den 1950er und der Blaxploitation-Welle in den 1970er Jahren her. Durch Super Fly sei das Haarglätten wieder akzeptabel geworden, weil es nun modischer Chic sei und zudem von einer Filmfigur präsentiert würde, der nicht vorgeworfen werden könne, gegenüber der white power structure angepasst zu sein. Im Gegenteil: Da Youngblood Priest ein Outlaw ist und er geglättetes Haar hat, sei der Process dadurch laut Baraka erneut akzeptabel geworden. Die gesamte
77 Vgl. Richard Simon: The Stigmatization of ‘Blaxploitation’, in: Guillory/Green (Hg.): Soul, S. 236-249. 78 Die Kritik beschränkte sich allerdings auf die sogenannten Gangster-Movies. Die Unterkategorie der sogenannten Black Horror-Filme wurde in diese Kritik kaum miteinbezogen, wohl weil der phantastische Charakter von Filmen wie Blacula und Blackenstein als gegeben angesehen wurde, während Filme wie Sweetback, Super Fly und The Mack als so realistisch eingeschätzt wurden, dass die Jugend hätte versuchen können, die Drogen- und Zuhältertypen nachzuahmen. Vgl. Benshoff: Black Horror Films, S. 34. 79 Amiri Baraka: Amiri Baraka Papers, Box 3, „Columbia University Folder“, Behind the Black Intellect Series.
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„Black is beautiful“-Bewegung stünde darüber hinaus in Gefahr, von Weißen vereinnahmt und kommerzialisiert zu werden: „The flashy images that people the ‚soul flick ދof our times are modern nigger-toys for colored adults and children. Black Art, as concept, without the material structures necessary to bring about the material culture and products for Black consumption at the level the 70s propose, is easily coopted, and ‚Black ދimages are utilized as new weapons of white control of Black minds.“80
Die neue Ästhetik der Blaxploitation-Filme würde laut Baraka letztlich gegen African Americans gewendet werden. Denn Black Art ohne Bezug auf die soziopolitischen Bedingungen, in denen sie entstanden ist, hätte keinen kritischen Impetus mehr, sondern würde einzig von Weißen kommodifiziert. Baraka artikuliert mit dieser Kritik eine hegemoniale Argumentationsweise innerhalb der Black Power-Bewegung. Sie stand Blaxploitation und dem dadurch populären Style äußerst distanziert gegenüber und interpretierte dies als einen Rückschritt in Bezug auf die Darstellung von Schwarzsein, die in den 1960er Jahren durchgesetzt wurde. Der große Anklang, den Blaxploitation-Filme in großen Teilen der afroamerikanischen Bevölkerung fanden, war nicht nur an den Gewinnen abzulesen, die an den Kinokassen mit Shaft, Super Fly oder The Mack erzielt wurden. Der Style der Filmprotagonisten Shaft, Goldie oder Youngblood Priest bzw. Cleopatra Jones und Foxy Brown wurde von African Americans imitiert. Plateauschuhe, Leder- und Nerzmäntel, farbige breitkrempige Hüte und Goldschmuck erfreuten sich Anfang bis Mitte der 1970er Jahre großer Beliebtheit. Der BlaxploitationStyle löste damit allmählich die stylepolitischen Codes der Black Power-Bewegung ab, die in den Blaxploitation-Filmen Mitte der 1970er Jahre bereits stark in den Hintergrund traten. Blaxploitation war damit, so resümiert Ed Guerrero, keine wirkliche Zäsur in der filmischen Repräsentation von African Americans: „Thus Hollywood was able to combine its traditional moneymaking ingredients of violence and sexploitation, wrap them in the distorted and grotesque signs and imagery of the urban black underworld, and at the same time keep the insurgent black political thought and cultural expressions of the times to a minimum.“81
80 Amiri Baraka Papers, Box 3, „New York Times File“, November 1972. 81 Guerrero: Framing Blackness, S. 94-95.
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In vielen afroamerikanischen Zeitschriften wurde dieser neue Kleidungsstyle registriert und kommentiert. Ein Artikel von Judith Rollins in der Zeitschrift Black World diskutiert den Blaxploitation-Style in Bezug auf Männlichkeit und Schwarzsein. Schon der Titel ihres Textes deutet auf die Stoßrichtung ihres Argumentes: „Do Clothes Unmake the Man?“82 Rollins konstatiert zunächst, dass die neueren Entwicklungen in der afroamerikanischen Männermode beunruhigend seien: Männer seien in hochhackigen Schuhen zu sehen, mit Schmuck, das Haar werde in Schönheitssalons geschnitten, und sie ließen ihre Fingernägel maniküren und lackieren. Dies sei ein langsames aber sicheres Entfernen äußerlicher Marker der Männlichkeit, was diese schließlich untergraben würde: „The more Black men embrace with gusto the clothes and an appearance often inspired by homosexual designers, the further they move away, on this superficial level, from their manhood.“83 Styling sei also ein Indikator dafür, dass schwarze Männer ihre Männlichkeit verlieren würden. Homosexualität und Männlichkeit werden von Rollins deshalb als Gegensatz konstruiert, weil die von ihr kritisierte „entmännlichende“ Mode hauptsächlich von Homosexuellen getragen werde. Männlichkeit müsse ständig gepflegt werden, so die Autorin weiter, sonst verkümmere sie: „And the less they keep in touch with, nurture and express the appearance and characteristics associated with masculinity, the less able they are to accept the responsibilities of being a man, the responsibility of building and protecting a Black community.“84 Aus diesem Zitat wird deutlich, dass Rollins klassische Argumentationsmuster von der „Krise der Männlichkeit“ aufgreift. Demnach gebe es einen Kern des Mannseins, der in Gefahr sei zu verschwinden. Die Position der Autorin bleibt widersprüchlich, weil sie gleichzeitig implizit zugesteht, dass Mannsein eine beständige performative Inszenierung ist, die über Styling, Auftreten und das Verrichten von „männlichen“ Tätigkeiten allererst hergestellt werden muss. Freilich theoretisiert Rollins dies nicht und es bringt sie nicht dazu, Geschlechteridentität zu dekonstruieren. Sie appelliert stattdessen an die Männer, ihr Verhalten zu ändern: Männlichkeit müsse geäußert werden – nicht zuletzt im Styling – um Verantwortung und Schutz für die Black Community übernehmen zu können. Kleidung wird somit als Regulation des Körpers begriffen, und die aktuelle Mode verunmögliche es, wirklich „männlich“ aufzutreten. Denn sie schränke die Bewegungsfreiheit ein und unterbinde damit männliches Auftreten. Die von Rollins kritisierte Mode für Männer würde eher weiblicher Kleidung ähneln, die den Körper in gewisser Weise fixiere.
82 Judith Rollins: Do Clothes Unmake the Man?, in: Black World, Mai 1974, S. 86-87. 83 Rollins: Do Clothes Unmake the Man, S. 86. 84 Rollins: ebd.
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„These clothes are impediments. Like women’s clothes, they bridle, immobilize, constrict. [...] The tight trousers, high-heeled shoes, and bright colors force the wearer to move in a controlled way, to sit carefully, to use mental energy on the mechanics of protecting the fragility of his outfit. The constriction on the body becomes a constriction on the mind and spirit.“85
Das Styling würde also zu einem Hindernis nicht nur für freie Bewegungen, sondern auch für freies, emanzipatorisches Denken werden, dass erforderlich sei, um eine befreite Gesellschaftsordnung schaffen zu können, in der Schwarze nicht mehr unterdrückt würden. Der von Rollins kritisierte Blaxploitation-Style ist ihrer Ansicht nach nur ein weiteres der vielen Mittel, mithilfe dessen African American durch ihr eigenes Verschulden unterdrückt würden: „Another way in which Black people carelessly allow themselves to subvert their strengh. Another subtle, apparently frivolous, but effective means by which we continue our oppression.“86 Obwohl Kleidung als eine belanglose Sache erscheine, trage sie doch auf subtile Weise dazu bei, schwarze Unterdrückung zu perpetuieren. Rollins fasst am Schluss ihres Artikels nochmals ihre Argumente zusammen und zählt die Faktoren auf, die zur Unterdrückung und Verunmöglichung von Widerstand gegen die weiße Vorherrschaft geführt hätten: „The murdering (via the use of Black men as ‚cannon fodder ދon the front lines of the Vietnamese war), the drugging and the faggotizing of Black men in recent years is robbing Black people of the spirit and the man-force essential to the reversal of the European destruction machine, to the regaining of our love for and pride in ourselves and thereby one another, and to the building of whole, self-reliant, self-protecting, liberating Black communities.“87
Neben dem Mißbrauch schwarzer Soldaten als Kanonenfutter und der Paralysierung der Black Community durch Drogen moniert Rollins also das „faggotizing of black men“, im Deutschen etwa übertragbar mit der „Verschwuchtelung“ schwarzer Männer. Der zeitgenössische modische Chic der Männer mit Plateauschuhen und Schmuck führe dementsprechend zu einer „Verweiblichung“ und „Verweichlichung“ der Männer. Sie würden somit unfähig, schwarzen Stolz und Autonomie zu entwickeln, die für den Aufbau starker schwarzer Communities erforderlich seien. Mit dem aktuellen Styling, so lässt sich Rollins Text interpre-
85 Rollins: Do Clothes Unmake the Man, S. 87. 86 Rollins: ebd. 87 Rollins: ebd.
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tieren, würde ein performativer Akt vollzogen, in welchem schwarze Männer durch ihr äußerliches Erscheinungsbild als homosexuell erscheinen und damit dann auch gleich zu Schwächlingen würden. Durch das beständige Tragen dieses Styles internalisierten schwarze Männer schließlich die in Plateauschuhen, Maniküre und Schmuck zum Ausdruck kommende Femininität und Homosexualität und „verweichlichten“ schließlich unwiderrufbar. Rollins Artikel zeigt einmal mehr, wie virulent die Diskurse von der „Krise der (schwarzen) Männlichkeit“ in der Mitte der 1970er Jahre waren. Die Autorin gelangt damit zu einer ähnlichen Diagnose der Geschlechterverhältnisse wie Eldridge Cleaver, der mit seinen Man Pants die angebliche „Effemination“ des Mannes beheben wollte. Während Cleaver jedoch in Abkehr von seinen früheren politischen Analysen aus den 1960er Jahren, namentlich in Soul On Ice, wo er die „Entmännlichung“ klar als Schwarz konstatiert hatte, nun die Man Pants für alle Männer vorschlägt, weil schwarze und weiße Männer gleichermaßen durch Einheitsmode effeminiert seien, adressiert Rollins explizit nur schwarze Männer. Sie wendet sich an ein Publikum, dass sich den Idealen der Black Power-Bewegung noch zugehörig fühlt und appelliert an die Männer, das zeitgenössische Styling abzulegen, weil es der Schaffung einer emanzipatorischen, befreiten Black Community im Wege stehe. Über die Regulation des Stylings soll also, wie die Beispiele von Cleavers Man Pants und Rollins Invektive gegen die flashy clothes belegen, die im Zuge der Blaxploitation-Filme en vogue wurden, Männlichkeit (re)konstruiert werden. Da „falsche“ Kleidung die Männlichkeit schwarzer Männer gefährden könne, sei also das „richtige“ Styling wichtig, und dieses dürfe sich nicht an der „effeminierten“ Mode der Blaxploitation-Filme orientieren. Rollins Text belegt als Quelle damit, wie eng Vorstellungen von Geschlecht mit Race in den 1970er Jahren zusammengedacht wurden, wenngleich die Autorin über keine kritische Distanz und keinen Begriff vom Konstruktionscharakter beider Strukturkategorien verfügt. Vielmehr befürwortet sie ein essentialistisches Verständnis von Schwarzsein und Männlichkeit, welches durch „angemessene“ Kleidung ausgedrückt werden müsse. Insgesamt konnte ich in diesem Kapitel zeigen, dass Styling in den Blaxploitation-Filmen der 1970er Jahre eine wichtige Rolle spielte. Dabei lässt sich konstatieren, dass die in den vorhergehenden Kapiteln beschriebenen Style Politics der Bürgerrechts- und Black Power Bewegung vielfach aufgegriffen wurden: Es gab dabei sowohl positive Bezugnahmen in Form von Imitationen als auch Abgrenzungen durch Parodien des Stylings schwarzer Aktivist/innen. Dies ist ein Anzeichen dafür, wie stark der geschichtliche Kontext dieser Bewegungen als Referenzrahmen für Blaxploitation wirkmächtig war, und dass sich auch im Me-
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dium Film die bereits in den einzelnen Beispielen dieser Arbeit vorgeführten Aushandlungen von Race, Class-, Gender und Sexualitätsverhältnissen über Styling vollziehen. Im nächsten und damit letzten Kapitel fasse ich nochmals wesentliche Ergebnisse meiner Studie zusammen und gebe einen Forschungsausblick über künftige noch zu leistende Arbeiten in Bezug auf Style Politics.
Schlussbemerkung
In dieser Arbeit habe ich die Bedeutung von Style Politics anhand einiger Stationen aus der afroamerikanischen Nachkriegsgeschichte bis in die Mitte der 1970er Jahre herausgearbeitet. Ausgehend von den Zoot Suit Riots konnte ich zeigen, dass eine intersektionale Analyse von Race, Class, Gender, Raum und sexueller Orientierung Einblicke über geschichtliche Prozesse und Entwicklungen innerhalb der US-Gesellschaft zu gewähren vermag. In Bezug auf die Zoot Suit Riots wurde deutlich, dass Diskurse über das „richtige“ Styling von der US-Regierung im Jahre 1943 zusammengeführt wurden mit Debatten über die Zugehörigkeit zur Nation, Patriotismus und jugendlicher Delinquenz. Besonders der Zoot Suit wurde zum Signifikanten eines individuellen Styles, der sich von der konventionellen US-Gesellschaft abhob, und mit dem Rebellion assoziiert wurde. Nach der Verordnung des War Production Board über das Verbot des Tragens extravaganter Kleidung, unter das auch der Zoot Suit fiel, war eine derartige Gesetzesübertretung gleichbedeutend mit einem Affront gegenüber nationalen Kriegsbemühungen. Styling wurde somit zum Marker von „antipatriotischem“ Verhalten. Für die Zoot Suiter hingegen war dieses Kleidungsstück ein visuelles Manifest gegen die Zugehörigkeit zum Militär. Ebenso wurden die in den 1940er Jahren gängigen Vorstellungen von Geschlechterrollen durch den Zoot Suit herausgefordert, und er war somit Teil der Style Politics der Zoot Suiter. Beispielsweise waren die weiblichen Zoot Suiter mit ihren als „sehr weiblich“ assoziierten Kleidern und ihrem starken Make-Up einerseits, ihren Gang-Aktivitäten und dem als „männlich“ konnotierten, „aggressiven“ Verhalten andererseits irritierend für zeitgenössische Konzeptionen von Männlichkeit und Weiblichkeit. Die Übergriffe auf Zoot Suiter durch NavyAngehörige im Juni 1943 und die entsprechende hegemoniale Presseberichterstattung in vielen US-Medien beweisen die Virulenz rassifizierender Exklusionsmechanismen. Style und Race wurden hier zusammengeführt mit anderen Signifikanten wie Nation und Geschlecht. Die Zoot Suiter wurden somit als außerhalb
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der Nation stehend und dieser nicht zugehörig verortet. Das Tragen von Militäruniform bzw. ziviler Kleidung, die den nationalen, infolge der Kriegswirtschaft erlassenen Vorgaben entsprach, demonstrierte demgegenüber eine Verbundenheit mit und die Zustimmung zum nationalen Kollektiv. Dies galt jedoch nur für weiße US-Amerikaner/innen: Auch wenn Mexican und African Americans den Militärdienst ableisteten, wurden sie nicht als gleichberechtigte Bürger/innen anerkannt, sondern waren oftmals mit vielfältigen Diskriminierungen konfrontiert. Mit dem Fokus auf Style Politics in der Bürgerrechtsbewegung konnte ich darüber hinaus demonstrieren, wie deutlich weniger monolithisch diese war, als sie vielfach dargestellt wird. Die weit verbreitete Vorstellung von den in Anzügen bzw. in weißen Röcken und Blusen auftretenden Bürgerrechtsaktivist/innen liefert deshalb nur einen unvollständigen Ausschnitt der Bewegung. Wie ich beispielsweise durch Oral History-Dokumente etwa von Ira Stolham zeigen konnte, wurden die aus dem Norden kommenden Bürgerrechtsaktivist/innen bei der Wählerregistrierung im Süden von der dortigen lokalen schwarzen Bevölkerung kritisch beäugt. Es gab ein Glaubwürdigkeitsproblem, weil das Respektabilität signalisierende Styling der aus dem Norden kommenden und meist über eine Universitätsausbildung verfügenden Aktivist/innen mit der Landbevölkerung aus dem Süden kontrastierte, die in Arbeitskleidung auftraten. Die Aktivist/innen des Nordens versuchten deshalb, ihr Styling der örtlichen Bevölkerung anzupassen, was beweist, wie stark nicht nur Race, sondern unter anderem auch Class, Gender und vor allem Raum Style Politics beeinflussten. Meine Annäherung an die Geschichte der Black Panther Party durch die Folie der Style Politics konnte aufzeigen, dass es auch innerhalb dieser Organisation, die sich als ideologisch homogen zu inszenieren und präsentieren versuchte, sehr unterschiedliche Vorstellungen von Politik und Kultur gab. Während in ihrer Gründungsphase die Performanz von schwarzer Militanz und Hypermaskulinität im Vordergrund stand, und der Panther-Style gezielt als propagandistisches Mittel eingesetzt wurde, waren durch die Anfang der 1970er Jahre einsetzende staatliche Repression und die Neuorientierung der Parteistrategie hin zu der Beteiligung an Wahlen auch veränderte Style Politics nötig, die sich an dem Ideal von Respektabilität ausrichteten, wie das neue Erscheinungsbild von Bobby Seale und Elaine Brown anlässlich ihrer Kandidatur für das Bürgermeisteramt bzw. für den Stadtrat andeutet. Auch die Konflikte innerhalb der BPP zwischen den stylepolitischen Vorgaben des Hauptquartiers an der Westküste in Kalifornien und der eher an Kleidungstraditionen des Cultural Nationalism anknüpfenden Ostküstensektionen ist Ausdruck der Auseinandersetzungen um Styling. Die Ostküsten-Chapter der BPP hatten allerdings eine größere Nähe zu dem Style von Us über Dashikis, weil dort eine längere Tradition des Cultural Nationalism
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existierte. Die gewünschte Uniformität ihrer Style Politics, die die BPP anstrebte, blieb insofern immer unerreicht: Dieses sollte bestimmten hegemonialen Vorgaben entsprechen, die aber immer wieder ins Wanken gerieten und niemals fixiert werden konnten. Erwähnenswert ist darüber hinaus, dass die Panther die Inspiration für ihr Styling, welches zum Symbol von schwarzer Militanz wurde, aus Filmen bezogen, genauer aus einem Spielfilm über die französische Résistance. Was als Zeichen schwarzer Militanz der 1960er Jahre galt, ist also ein Zitat eines Signifikannten, der aus einem vollkommen anderen Kontext adaptiert wurde. Dies zeigt einmal mehr die Interdependenz zwischen populärkulturellem und aktivistischem Styling: Beides sind nicht getrennte Sphären, sondern sie verweisen jeweils aufeinander. Mit dem Fokus auf Prozesse der Rassifizierung und der Vergeschlechtlichung durch stilistische Peformanzen konnte ich zudem den bisher in der Literatur als sehr dichotom und starr wahrgenommenen Gegensatz zwischen Cultural Nationalism und Revolutionary Nationalism auflösen und auf gemeinsame Schnittmengen hinweisen. Es wurde deutlich, dass trotz der Polemik der BPP gegen den Cultural Nationalism von Us aufgrund von deren Beschränkung auf „afrikanisches“ Styling die BPP selbst Styling als zentrale performative Strategie nutzte, um mediale Aufmerksamkeit zu erlangen. Wie Kobena Mercer schreibt: „The political positions of the Black Panthers had an empowering effect in extending the chain of radical democratic equivalences to more and more social groups precisely through their dramatic and provocative visibility in the public sphere.“1 Wie die Untersuchung der Style Politics der sogenannten Yippies vor Augen geführt hat, waren Fragen des Stylings für die weiße radikale Linke bedeutsam für Versuche des Schwarzwerdens. Dass Aktivist/innen wie Jerry Rubin oder Abbie Hoffman das Tragen von langen Haaren propagierten, weil so ein Outsiderstatus erreicht würde, der dem von African Americans äquivalent sei, deutet darauf hin, dass sich Ende der 1960er Jahre, dem Kulminationspunkt der Black Power-Bewegung, der stylepolitische Referenzrahmen zumindest für einige Teile der sozialen Bewegungen innerhalb der US-amerikanischen Gesellschaft geändert hatte: Nicht mehr Weißsein war der einzige Schönheitsstandard, der hegemonial war, sondern es fanden zumindest zeitweilig an einigen Orten Verschiebungen statt, die den Slogan „Black is beautiful“ ermöglichten. Damit war die Nachahmung eines schwarzen Stylings für weiße radikale Linke ein vermehrt
1
Kobena Mercer: Periodizing Politics and Identity, in: ders.: Welcome to the Jungle, S. 287-308, hier: S. 303.
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auftretendes Phänomen, welches auf die Konjunkturen und die Kontingenz von Style Politics hindeutet. Darüber hinaus wird hieran auch die Relationalität von Styling deutlich: Genauso wie Konstruktionen von Weiblichkeit und Männlichkeit über Style Politics verhandelt werden, indem beide in einem Verhältnis stehen, das durch Abgrenzung auf das jeweils andere verweist, macht das Beispiel der Yippies, aber auch die Untersuchungen in dieser Arbeit insgesamt deutlich, dass Styling Rassifizierungsprozesse artikuliert. Über Styling kann ein Weißwerden oder Schwarzwerden performiert werden: Während die Yippies sich mit ihren langen Haaren nun als Schwarze sahen, so haben meine Studien über die Nation of Islam gezeigt, dass in ihren Augen über Styling African Americans auch in gewisser Weise weiß werden konnten, etwa indem sie den Style der „cave people“ nachahmten. In meiner Untersuchung zu Us habe ich darüber hinaus ausgeführt, dass Styling ein wichtiges Mittel der politischen Philosophie des Cultural Nationalism, und damit integraler Bestandteil des persönlichen und gesellschaftlichen Transformationsprozesses war. Über das Tragen von Dashikis, über Rituale wie das Kwanzaa-Fest und Begrüßungszeremonien wurde eine neue Identität für African Americans angestrebt, die die Entfremdungsprozesse durch „weiße“ kulturelle Einflüsse rückgängig machen sollte. Während Us immer noch häufig durch die Rezeption der zeitgenössischen Panther-Darstellung interpretiert wird, und demnach Us als dashikitragende „Konterrevolutionäre“ denunziert werden, die keine radikalen Forderungen hätten, konnte ich diese Lesart differenzieren. Wenngleich die Quellenlage zu Us schlecht ist, und somit noch weitere Untersuchungen folgen müssen, um ein der Komplexität dieser Organisation angemessenes Bild zu liefern, so konnte ich doch zeigen, dass Styling im Cultural Nationalism ein wichtiges Moment für die Transformation der US-amerikanischen schwarzen Gesamtgesellschaft repräsentierte. Die Dashikis waren so nicht etwas rein Äußerliches, das unvermittelt neben den politischen Forderungen gestanden hätte. Vielmehr war das Styling eine politische Performanz, die nicht nur der Rekrutierung neuer Mitglieder diente, sondern eine Referenz auf afrikanische Kulturen bedeutete, was somit psychologische Befreiungseffekte eines innerhalb einer weiß-hegemonialen US-Gesellschaft beschädigten schwarzen Selbstbewusstseins hervorrufen konnte. Der Rückgriff auf afrikanische Traditionen und Geschichte, der mit dem Afro in der Black Power-Bewegung noch als so eindeutig erschien, zeigte jedoch, dass dieses Styling in der Nation of Islam Ende der 1960er und Anfang der 1970er Jahre ganz anders interpretiert wurde. NOI-Mitglieder lasen den Black Power-Style vielmehr als Mimikry von Weißsein, weil er die „Primitivität“ der „weißen Höhlenmenschen“ ausdrücke. Aus meiner Untersuchung von Karikatu-
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ren und Zeitungsartikeln wurde deutlich, wie Race und Sexualität ebenso wie Class über Styling verhandelt wurden. Wie ich in dem entsprechenden Kapitel ausgeführt habe, waren die Auseinandersetzungen in der Nation of Islam stark vom gesellschaftspolitischen Kontext abhängig. Während das frühere NOI-Mitglied Eldridge Cleaver in seinem Aufsatz As Crinkly as Yours, Brother in Muhammad Speaks im Jahre 1962 noch den Afro als Symbol für schwarzen Stolz und als Mittel zur Erlangung schwarzen Selbstbewusstseins propagieren konnte, so offenbarte sich Ende der 1960er Jahre auf dem Höhepunkt der Popularität der Black Power-Bewegung bereits eine scharfe Ablehnung von deren Symbolen innerhalb der NOI. Verlautbarungen von Elijah Muhammad und Artikel, die mit Shun the Afro überschrieben waren, machen dennoch deutlich, dass Black Power-Styling als wichtiger Teil der tagespolitischen Konfrontationen innerhalb der Black Community angesehen wurde. Über ihre Uniformen und öffentliche Performanzen versuchte die NOI demgegenüber, Respektabilität und Disziplin zu vermitteln. Diskurse über die angeblich zerrüttete schwarze Familie, wie sie etwa der Moynihan-Report aufgerufen hatte, wurden von der NOI als zutreffende Diagnose angesehen, der sie mit Rekurs auf das Styling des Körpers als einem wesentlichen Element ihrer religiösen Erlösungsideologie zu entgehen versuchte. Vorstellungen über respektable schwarze Männlichkeit und Weiblichkeit sollten mithilfe von Styling zu einer vollkommenen persönlichen Transformation der NOI-Mitglieder beitragen. Während die Rhetorik der NOI mit der Verdammung der weißen „blue eyed devils“ sehr radikal klang und ihre Einordnung durch Zeitgenoss/innen und Forscher/innen in die Black Power-Bewegung erklären, knüpften ihre Style Poltics an die moderate Bürgerrechtsbewegung und deren Ideale von Respektabilität und Uplifting nahtlos an. Die Blaxploitation-Filme der 1970er Jahre schließlich, so habe ich ausgeführt, sind wesentlich komplexer, als dies in den meisten vorangegangenen Analysen bisher anerkannt wurde. Auch sie verarbeiten gesellschaftspolitische Auseinandersetzungen um Race, Class, Gender und Sexualität der 1960er und 1970er Jahre, und die Kämpfe der Bürgerrechts- und Black Power-Bewegung spiegeln sich in ihnen wider. Neben der zeitgenössischen Wahrnehmung klassischer Bürgerrechtsorganisationen geht ein signifikanter Teil der Sekundärliteratur davon aus, dass die filmische Repräsentation von African Americans in Blaxploitationfilmen problematisch ist, da hier Gewaltverherrlichung und die Abkehr vom Bürgerrechtskampf propagiert würde. Filme wie The Mack oder Super Fly, die die Figur des Pimp zeichneten, der auch über sein Styling als selbstbewusst, extravagant und wohlhabend porträtiert wurde, sind jedoch für eine kritische historische Untersuchung von Style Politics aufschlussreich, weil diese Filme eine
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neue Form der Darstellung schwarzer Männlichkeiten und Weiblichkeiten einführten. Wenn zu Recht die misogynen Charaktere kritisiert werden, die etwa Youngblood Priest in Super Fly oder Goldie in The Mack darstellen, so heben sie sich gleichwohl einerseits deutlich ab vom Bild des infantilen, minderbemittelten und servilen Dieners aus den 1940er Jahren der Minstrelsy-Filme, und andererseits der respektablen und massenkompatiblen, aber völlig entsexualisierten und elitären Mittelschichtsmännlichkeit eines Sidney Poitier. Die Konstruktion von Weiblichkeit ist zudem innerhalb des BlaxploitationGenres äußerst disparat. Während in den gerade erwähnten Filmen mit männlichen Hauptfiguren – besonders in The Mack – Frauen in der Regel als willenlose, sexuell verfügbare Wesen dargestellt werden, die dem Zuhälter ohne Widerrede gehorchen, zeigen Kassenschlager wie Cleopatra Jones, Foxy Brown und Coffy auch alternative Entwürfe von Weiblichkeiten. Frauen werden dort als selbstbewusst, sexuell selbstbestimmt und fähig inszeniert, sich gegen Männer auch physisch zu behaupten. In ihrem Styling wird auf Überfluss, etwa durch prunkvollen Schmuck gesetzt, der die Aufmerksamkeit auf sich zieht. Die Blaxploitation-Filme sind Beispiele dafür, wie in der Populärkultur der 1970er Jahre Style Politics verhandelt wurden. In Shaft und The Mack hallen auch die Black Power-Bewegung und die unterschiedlichen Sichtweisen darauf nach, wie gesellschaftliche Missstände, insbesondere von African Americans, behoben werden könnten. Auch The Mack oder Super Fly sind Einzelgänger, die in ihrem Styling durch ihre auffällige Kleidung herausstechen, dadurch aber nicht Zugehörigkeit zu einer radikalen Gruppe wie den Black Panthern oder Us signalisieren. Vielmehr ist das Styling der Pimps in diesen Filmen ein Anzeichen für den Wandel der „we-Generation“ mit Bürgerrechtsbewegung und „Black Unity“ hin zur „me-Generation“. Die teure Kleidung sollte dabei einen statusmäßigen Aufstieg und Reichtum signalisieren, der individuell erreicht werden könne. Black Power-Aktivist/innen hingegen, die in den Filmen auftauchen, sind aufgrund ihres Outfits zwar immer sofort zu erkennen, werden aber in der Regel nicht als positive Figuren portraitiert. Denn sie verkörpern für viele Blaxploitation-Regisseure eine bereits antiquierte Vision kollektiver radikaler gesellschaftlicher Veränderung, die als unrealistisch disqualifiziert wird. Interessant zu beobachten ist in den Blaxploitation-Filmen darüber hinaus die Präsenz von homosexuellen Figuren. Diese werden auch durch ihr Styling von den anderen Filmcharakteren abgehoben und dienen meist dazu, die geschlechtliche Identität der Hauptfiguren zu vereindeutigen. Die böse Gegenspielerin von Cleopatra Jones ist in beiden Filmen eine weiße Lesbe (Mommy bzw. die Drachenlady). Schwarze Weiblichkeit wird positiv konnotiert, während weiße Weiblichkeit nicht zuletzt über das Styling als negativ gezeichnet wird, indem etwa
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Mommy in schwarzem Ledermantel mit Stock auftritt, was Assoziationen an die Gestapo weckt. Die Relevanz der Blaxploitation-Filme für eine Analyse von afroamerikanischen Style Politics ergibt sich also einerseits daraus, dass hier eine gesellschaftspolitische Zäsur abgelesen werden kann: Die abnehmende Stärke und Popularität der Black Power-Bewegung ist deshalb auch an ihrer karikaturhaften Darstellung in Super Fly oder The Mack erkennbar. Andererseits wirkten diese Filme aber auch stark auf das Styling der afroamerikanischen Bevölkerung ein, und die charakteristischen Hüte, Plateauschuhe sowie die geglättete Frisur wurden zum Modetrend. Dies rief Kritik in der Black Power-Bewegung hervor – interessanterweise nicht so sehr wegen der fehlenden Bezugnahme auf politische Radikalität und Schwarzsein, sondern vielmehr aufgrund der angeblichen „Entmännlichung“, die mit diesem neuen Pimp-Style einherginge. Sowohl in einigen Zeichnungen in der NOI-Zeitung Muhammad Speaks als auch in der Black Nationalist Zeitschrift Black World wurde der neue Pimp-Style in dem Aufsatz Do clothes unmake the man? kritisiert, weil er den Mann „entmännlichen“ würde. Während in einigen Teilen der Black Community der Pimp-Style ein Mittel der sozialen Distinktion war, über welches materieller Überfluss signalisiert werden sollte, war für andere Interpret/innen dieser Style Ausdruck einer zu starken Aufmerksamkeit für Äußerlichkeiten, was auf „Verweiblichung“ hindeuten würde: Wenn Männer viel Zeit vor dem Spiegel verbringen würden, sei das ein Anzeichen dafür, dass sie „effeminiert“ seien, weil dies sonst nur Frauen tun würden. Aus diesen Debatten wird deutlich, dass Hypermaskulinität, Hyperfemininität und Heteronormativität weiterhin die hegemoniale Matrix waren, vor der Style diskutiert wurde, während die politische Radikalität und der Einfluss der Black Power-Bewegung abnahm. Anhand der Diskussionen um Hairstyling habe ich in meiner Arbeit deutlich gemacht, dass die Bedeutung eines bestimmten Stylings immer Gegenstand von Deutungskämpfen ist, um eine hegemoniale Lesart durchzusetzen. So wurde etwa der Afro, der ab Mitte der 1960er Jahre meist als Symbol schwarzer Befreiung gelesen wurde, auch von Haarpflegefirmen, die das Projekt der schwarzen Emanzipation nicht verfolgten, als lukratives Modeaccessoire entdeckt und die stylepolitische Botschaft schwarzer Militanz mithilfe von Werbeanzeigen durch „In-sein“ und Modernität zu ersetzen versucht.2 Andererseits war auch nicht jeder und jede, der oder die in den 1960er Jahren einen Afro trug, notwendigerwei-
2
Vgl. Susannah Walker: Black is Profitable: The Commodification of the Afro, 19601975, in: Enterprise & Society 1, 3 (2000): S. 536-564.
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se politisch radikal, sondern verfügte oftmals einfach nur über ein gewisses Modebewusstsein. Umgekehrt waren auch nicht alle African Americans, die sich mit geglättetem Haar zeigten, „Onkel Toms“, die sich auf das moderate Projekt der Integration in die weiße Gesellschaft geeinigt hätten. Es gibt also keine eindeutige Dichotomie zwischen widerständigem und angepasstem, d.h. die eigene Identität verneinendem Styling, sondern es handelt sich um einen komplexen Aushandlungsprozess, der mit Machtstrukturen verwoben ist, und in dem Identitäten unterschiedlich positioniert werden. Am Beispiel von Hairstyling habe ich darüber hinaus demonstriert, dass es hegemoniale Schönheitsstandards gibt – im Kontext dieser Arbeit in der US-amerikanischen Nachkriegszeit bis hin zur Mitte der 1970er Jahre den der weißen US-Mehrheitsgesellschaft – dass diese aber nie unhinterfragt von allen akzeptiert, sondern Deutungskämpfe darum geführt werden, und diese Standards somit veränderbar sind. Der Slogan „Black is beautiful“, der im Zuge der Black Power-Bewegung populär wurde, macht deutlich, dass es eine Verschiebung in den Kämpfen und Repräsentationen um Hegemonie gab, so dass schließlich ein schwarzer Schönheitsstandard in der afroamerikanischen Community, und darüber hinaus auch in weißen linken Gruppierungen wie bei den Yippies, oftmals als ästhetischer Referenzrahmen fungieren konnte. Studien zu Hairstyling in den 1980er, 1990ern und 2000er Jahren haben im Übrigen gezeigt, dass es bis heute maßgebliche Verschiebungen vor allem um schwarze Schönheitsstandards gab und gibt, und Auseinandersetzungen um die Durchsetzung einer hegemonialen Lesart für bestimmte Frisuren nach wie vor geführt werden.3 Die Aussage, geglättete Haare bei African Americans seien ausschließlich einem selbstentfremdeten Bewusstsein geschuldet, lässt sich somit nicht aufrechterhalten, genauso wenig, wie dies in den 1950er, 1960er und 1970er Jahren der Fall war, wie ich in meiner Arbeit zeigen konnte. Vielmehr muss diese Dichotomie zwischen angeblich „authentischem“ Schwarzsein (Natural) und angeblichem Wunsch nach Weißsein (geglättetes Haar oder Process) zurückgewiesen werden. Mit dem theoretischen Instrumentarium des Performativitätskonzeptes, welches hegemonietheoretisch informiert ist, lassen sich komplexere, nichtreduktionistische Erklärungen für die Vielfalt bei Frisur- und Kleidungsstilen finden. Shirley Ann Tate weist deshalb zurecht die immer noch weit verbreitete Vorstellung zurück, der weiße Schönheitsstandard sei der einzige und ausschließliche Referenzrahmen, nach dem sich schwarze Frauen richten würden: „I will say once again because it seems necessary that it is not a white ideal that is
3
Vgl. Tate: Black Beauty.
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being emulated but there are different Black Beauty models which have their own aesthetics and racing stylization technologies.“4 Anhand der in meiner Arbeit analysierten Beispiele der Zoot Suit Riots, der Bürgerrechtsbewegung, den unterschiedlichen Black Power-Organisationen und schließlich der Blaxploitation-Filme und deren Rezeption konnte ich diese These von der Unterschiedlichkeit der Vorstellungen dessen, was allgemein schwarze Schönheit und genauer, was Black Style ausmacht, belegen. Zudem wurde anhand der gesellschaftlichen Diskurse und der verschiedenen Performanzen von Style deutlich, dass diese entlang der Strukturkategorien von Race, Class, Gender, sexueller Orientierung und Raum – um nur einige zu nennen – verhandelt werden. Es gibt demnach auch keinen monolithischen Black Style, wenngleich dieses Konstrukt immer wieder zu inszenieren versucht wurde. An dieser Stelle soll auch nochmals abschließend die Frage angerissen werden, wie Filme, Bilder und Texte als historische Quellen in Bezug auf Style Politics wirken. Da Style auf der visuellen Ebene agiert, ist immer schon eine Transformation nötig, um die bildlichen Eindrücke in eine sprachliche Analyseebene zu übersetzen. Besonders in vielen zeitgenössischen Artikeln und Zeitungsaufsätzen, die ich in dieser Arbeit analysiert habe, wird Styling etwa anhand des Afros oder beispielsweise bei den Man Pants sprachlich artikuliert. Style Politics wiesen jedoch stets einen visuellen Überschuss auf, eine Uneindeutigkeit, die mit der größeren sprachlichen Genauigkeit nur ungenügend vereindeutigt werden kann. Dafür sind auch die zahlreichen Quellen Beleg, welche zeigen, wie unterschiedlich ein bestimmtes Styling beschrieben werden kann, und welche Assoziationen und Konnotationen daran geknüpft werden können. Damit ist die Medialität der Quellen, anhand derer Style Politics historisch rekonstruiert werden, von entscheidender Bedeutung. Als Forschungsausblick dieser Arbeit bliebe dem nachzuspüren, wie Style Politics im US-amerikanischen Hip-Hop in den 1980er, 1990er und 2000er Jahren von Rap-Gruppen eingesetzt wurden. Zwar ist die Mode von Rappern mit Baggy-Pants, Basecap und Goldketten als integraler Bestandteil des Hip-Hop bemerkt und auch schon in einigen Studien untersucht worden.5 Interessant wäre jedoch, den Effekten, Rezeptionslinien und Abgrenzungsbewegungen verschie-
4
Tate: Black Beauty, S. 105.
5
Für eine Auswahl vgl. Emil Wilbekin: Great Aspriations: Hip Hop and Fashion Dress for Excess and Success, in: Alan Light (Hg.): The Vibe History of Hip Hop, New York 1999, S. 277-284; Tulloch: Black Style; Sue Vander Hook: Hip Hop Fashion, Mankato 2010.
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dener Rap-Combos und Künstler/innen in Bezug auf die Black Power-Bewegung nachzuspüren. Beispielsweise ist die Bezugnahme auf Letztere bei der Gruppe Public Enemy offenkundig. Nicht nur bezieht sie sich in ihren Texten auf bekannte Figuren wie Malcolm X, Louis Farrakhan und die Nation of Islam. Auch die militarisierten Auftritte der Gruppe bei Konzerten erinnern sowohl an die Fruit of Islam, der Nachwuchsorganisation der Nation of Islam, als auch an die Black Panther Party durch das Tragen von Camouflage-Anzügen und Gewehren. Auch andere Musiker, insbesondere aus dem Spektrum des Conscious-Rap, also des Hip-Hop Styles, der sich in seinen Texten weder die Glorifizierung des Ghettos zum Ziel setzt noch misogyne Botschaften propagiert, sondern soziale Missstände wie Rassismus und Armut anprangert, (re)inszenieren Style-Elemente der Black Power-Bewegung und insbesondere der BPP. So widmete das HipHop-Magazin Vibe dem Rapper Nas 2003 das Titelbild, auf dem dieser, das berühmte Bild von Huey P. Newton imitierend, in einem Korbsessel posiert. Leigh Reiford kommentiert dieses Foto: „Complete with shields, spear, rifle, and zebra rug, the image nevertheless sampled on but distinguished itself from the original by eliminating the rifle shells from the base of the picture. An effort perhaps to counter the excessive violence that has marked and marred Hip Hop, the absence of the shells points to the artifice of the image and the distance between Nas, his audience, and the realities of armed revolutionary struggle.“
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Zudem trägt Nas nicht die für den Panther-Style typische schwarze Lederjacke, sondern eine grüne, militärisch anmutende Jacke. In dem Bild von Nas findet also eine Transformation des Styles statt, der in einigen Elementen zitiert, aber durch die Hinzufügung neuer Accessoires und die Weglassung zentraler Aspekte rekontextualisiert wird. Die Black Panther sind eine vor allem ikonografische Referenz, aber die wesentlichen Bestandteile ihrer politischen Überzeugung wie das Berufen auf bewaffnete Selbstverteidigung werden ausgeklammert. In diesem Fall vollzieht sich genau das, was Angela Davis in ihrem Aufsatz über Afro Images kritisiert: Die Black Power-Bewegung wird als Mode-Statement herangezogen, bei dem aber ausgeblendet wird, dass es sich um eine soziale Befreiungsbewegung handelt. Die eigentlich politische Aussage verkümmert dadurch
6
Leigh Reiford: Restaging Revolution. Black Power, Vibe Magazine, and Photographic Memory, in: Renee Romano/Leigh Raiford (Hg.): The Civil Rights Movement in American Memory, Athen/London 2006, S. 220-249, hier: S. 242.
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zu einem Radical Chic.7 Allerdings kann die Reinszenierung des Black PowerStyles durch Hip-Hop-Musiker/innen auch ein Mittel sein, um die Vergangenheit wiederaufleben zu lassen und performieren zu können. Ein möglicher Effekt davon könnte zudem sein, dass die jüngere Generation, die die Bürgerrechts- und Black Power-Bewegung selbst nicht (bewusst) miterlebt hatte, dadurch einen Zugang zur Geschichte gewinnt, der eine intensivere Beschäftigung mit der Bewegung initiieren könnte. Somit wären die Bilder eine „legible lens for contemporary audiences.“8 Für den Gangsta-Rap lassen sich im Styling klare Bezugnahmen auf den (Lebens-)Stil der Pimps in den Blaxploitation-Filmen der 1970er Jahre erkennen. Ähnlich wie etwa Goldie in The Mack, der eine Goldkette mit Cokespoon trägt, gehört das sich-Schmücken mit wertvollem Ornat zum Repertoire vieler Gangsta-Rapper. Hier wird der hedonistische, individuelle Gedanke und die Konsument/innenideologie, die auf persönliche Statusdemonstration durch einen extravaganten Style, protzige Autos und sexuell verfügbare Frauen setzt, weitestgehend identisch übernommen.9 Dennoch gibt es weiter viele Leerstellen in der Forschung bezüglich des Zusammenhangs von Style Politics, afroamerikanischer Geschichte und Hip-Hop Kultur. Insofern wäre eine gesonderte Untersuchung zu diesem Themenkomplex sicher aufschlussreich. Styling, so zeigen die verschiedenen Beispiele dieser Studie, ist immer kontextabhängig. Es gibt kein Original eines Stylesignifikanten, der die Eindeutigkeit seiner Botschaft sichern könnte. Vielmehr ist Styling immer Zitation anderer Styles, eine Rekontextualisierung, die neue Bedeutungen generiert, aber in ihrer Bedeutung immer auch instabil und offen für neue Interpretationen ist. In meiner Arbeit habe ich somit demonstriert, dass Styling nicht etwas Triviales und Irrelevantes ist, sondern Austragungsort hochpolitischer Debatten um Race, Class, Gender, und sexuelle Identität, und deshalb Style immer schon Style Politics selbst ist. Der Begriff des Politischen muss somit erweitert werden und erschöpft sich nicht reduktionistisch nur auf die explizit in Reden, Schriften und Interviews geäußerten Botschaften und Forderungen der Protagonist/innen. Die Inszenierung und Art des Auftretens, die Orchestrierung politischer Aktionen und deren genaue Planung, wie etwa die Sit-ins Anfang der 1960er Jahre oder die Verlesung des Ten-Point-Programms der Black Panther am 1. Mai 1967 in Sa-
7
Vgl. Davis: Afro Images, S. 23-31; vgl. ebenso den Abschnitt Radical Chic im Kapitel über die Black Panther Party in der vorliegenden Arbeit.
8
Reiford: Restaging Revolution, S. 244.
9
Vgl. Quinn: ‚Who’s The Mack?ދ, S. 115-136.
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cramento, waren integraler Bestandteil ihrer Strategie. Der Körper musste gestylt werden, um die politische Botschaft zu performieren und in der Bevölkerung rezipierbar zu machen. Sogenannte „rassische“ Authentizität wurde mithilfe von Styling verhandelt: Man kleidete sich „black“ oder „white“, um eine rassifizierte Identität zu bestätigen oder zu umgehen. Die schwarzen Anzüge einiger afroamerikanischer Aktivisten und die schwarzen Röcke mit weißen Hemden der Aktivistinnen der Bürgerrechtsbewegung riefen ein Bild von Respektabilität auf und unterstrichen damit implizit ihre politischen Forderungen nach Integration in die weiße USMehrheitsgesellschaft. Die Konstruktion von Schwarzsein sollte demgegenüber mithilfe von Dashikis und Afros performt werden. Sie wurde so durch die Anrufung von Africanness inszeniert. Diese Africanness musste jedoch nicht in dem Sinne „authentisch“ sein, dass die Stoffe der Hemden wirklich aus afrikanischen Ländern kamen, und die Muster der Hemden landestypisch waren. Es genügte, dass sie so aussahen, als ob die Dashikis „afrikanisch“ seien. Hier wurde explizit eine Referenz auf ein (imaginiertes) Afrika mittels Style hergestellt. Darüber hinaus lässt sich auch eine zeitliche Performanz feststellen: Mit dem Tragen des Dashikis wurde eine afrikanische Vergangenheit zitiert und positiv gewertet, indem diese ostentativ getragen wurde. Styling besitzt also eine transnationale und transtemporale Komponente. Der von mir angestellte Vergleich zu Hairstyling in einigen afrikanischen Ländern und dem dortigen Kleidungsstil hat verdeutlicht, dass dort der Afro nicht notwendigerweise für „afrikanische Authentizität“ stand, sondern vielmehr als merkwürdiger westlicher Modetrend angesehen wurde. Auch der Kleidungsstil wurde nicht einheitlich konzipiert. Styling hat einen performativen Charakter, dass heißt es wird etwas zitiert und reiteriert und eine Identität geschaffen. Die verschiedenen historischen Fallbeispiele, die ich in meiner Arbeit untersucht habe, verdeutlichten, wie Styling immer auch transnationale Aspekte beinhaltet. Der typische Black Panther-Style mit Lederjacke und schwarzem Barett adaptierte also Elemente aus einem anderen nationalen und historischen Kontext. Auch mit der Analyse der Style Politics der NOI habe ich den Wechsel von teilweiser Tolerierung des Afro und seiner Verdammung als Beispiel herangezogen, das verdeutlichen kann, dass Style niemals als etwas unwandelbar Gegebenes existiert, sondern immer historisch gedacht werden muss, d.h. in seiner Eingebundenheit und in seiner Einwirkung auf Machtstrukturen, Traditionen und Kontexte. Style ist somit immer Style Politics, weil er niemals ohne diese politische Dimension existiert. Dies wirft daran anschließend Fragen nach der Konzeption
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des Politischen auf. Wie ich gezeigt habe, ist Style ein Beispiel dafür, wie nicht nur „große Erzählungen“ von makrogesellschaftlichen Prozessen historisches Interesse beanspruchen können, wie etwa Geschichten „großer Staatsmänner“. Vielmehr versteht sich die vorliegende Arbeit als ein Beitrag zu einer Kulturgeschichte des Politischen, der über die Untersuchung von Style als Strategie der politischen Intervention die Verschränkung von gesellschaftlichen Auseinandersetzungen und die eminente Rolle, die Race, Class, Gender, sexuelle Orientierung und Raum bei der Aushandlung von Gesellschaften und ihren Transformationen spielen, herausarbeitet. Im Gegensatz zum Begriff der Mode hebe ich mit dem Terminus Styling auf den performativen Charakter ab, der eine Form der Inszenierung von Identitäten ist, eine Subjektivierungsform. Die vorliegende Untersuchung von Style hat deutlich gemacht, dass über Anrufungsprozesse von „authentischem Schwarzsein“ mittels Style Subjektivierungsprozesse inauguriert werden. Man könnte somit auch von einem Style Regime sprechen, welches das gesellschaftspolitisch hegemoniale Feld vorstrukturiert, und innerhalb dessen die Auseinandersetzungen darüber verlaufen, was ein angemessener „Black Style“, ein „männliches“ oder „weibliches“, ein heteronormativen Vorgaben gehorchendes oder diese verletzendes, und schließlich was ein dem Ideal von Respektabilität bzw. von Streettoughness und Urbanität entsprechendes Styling ist. Dass diese Anrufungen niemals vollkommen gelingen, konnte ich anhand der Debatten um angemessenes Styling anhand der unterschiedlichen Gruppen und in den verschiedenen historisch-politischen Konjunkturen der USA in der Nachkriegszeit bis zur Mitte der 1970er Jahre aufzeigen. Dies macht deshalb auch die beständige Performanz von Style aus: Es handelt sich also um eine permanente Stilisierung des Körpers, die immer wieder neu vollzogen werden muss, die aber immer unvollkommen und instabil bleiben muss. Style Politics, so habe ich in dieser Studie gezeigt, do matter.
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