208 29 11MB
German Pages 189 [192] Year 1967
Robert Hinderling Studien zu den starken Verbalabstrakta des Germanischen
Quellen und Forschungen zur Sprach- und Kulturgeschichte der germanischen Völker
Begründet von
Bernhard Ten Brink und Wilhelm Scherer
Neue Folge Herausgegeben von
Hermann Kunisch Stefan Sonderegger und Thomas Finkenstaedt 24 (148)
Walter de Gruyter & Co vormals G. J. Göschen'sche Verlagshandlung — J. Guttentag, Verlagsbuchhandlung Georg Reimer — Karl J. Trübner — Veit Sc Comp.
Berlin 1967
Studien zu den starken Verbalabstrakta des Germanischen von
Robert Hinderling
Walter de Gruyter & Co vormals G. J. Göschen'sche Verlagshandlung — J. Guttentag, Verlagsbuchhandlung Georg Reimer — Karl J. Trübner — Veit & Comp.
Berlin 1967
Archiv-Nr. 43 30 67/3
© Copyright 1967 by Walter de Gruyter 6c Co., vormals G . J . Göschen'sche Verlagshandlung — J . Guttentag, Verlagsbuchhandlung — Georg Reimer — Karl J . Trübner — Veit & Comp. — Printed in Germany. Alle Rechte des Nachdrucks, der photomcchanisehen Wiedergabe, der Herstellung von Mikrofilmen, auch auszugsweise, vorbehalten. Satz und D r u c k : Walter de Gruyter & Co., Berlin
VORWORT DER HERAUSGEBER
Mit dem vorliegenden Band 24 der 'Neuen Folge' der »Quellen und Forschungen zur Sprach- und Kulturgeschichte der germanischen Völker« wird die Herausgeberschaft erweitert. Es soll damit erneut zum Ausdruck kommen, daß die von Bernhard ten Brink und Wilhelm Scherer 1874 begründete, später unter anderen von Elias von Steinmeyer, Erich Schmidt und Andreas Heusler herausgegebene, in der Neuen Folge seit 1958 zunächst von Hermann Kunisch allein betreute Reihe wieder in stärkerem Maße das gesamte in ihrem Titel umschriebene Gebiet umfassen will. Die wissenschaftliche Haltung wird, wie im Vorwort zur 'Neuen Folge' (Band 2, 1958) betont, der großen Tradition verpflichtet und den neuen Forderungen geöffnet bleiben. Hermann Kunisch (München)
Stefan Sonderegger (Zürich)
Thomas Finkenstaedt (Saarbrücken)
VORWORT
Die vorliegende Arbeit wurde 1964 als Dissertation an der Philosophischen Fakultät I der Universität Zürich eingereicht. Während eines Studienaufenthaltes in Dänemark wurde ich auf die Genusunterschiede aufmerksam, die zwischen den nordischen Sprachen und dem Deutschen hauptsächlich im Abstraktbereich bestehen. Von diesem Ansatzpunkt aus weitete sich die Fragestellung zu vorliegender Arbeit aus. Bei der Ausarbeitung des Themas, beim Korrekturenlesen und bei so mancher praktischen Schwierigkeit wurde ich dabei von Herrn Professor Stefan Sonderegger (Zürich) unterstützt; ihm gehört mein tiefgefühlter Dank. Ihm und dem Verlag W. de Gruyter danke ich auch sehr herzlich für die Aufnahme meiner Arbeit in die »Quellen und Forschungen zur Sprach- und Kulturgeschichte der germanischen Völker«. Es versteht sich von selbst, daß ich auch meinen übrigen akademischen Lehrern sehr verbunden bin; erwähnt seien nur Professor Rudolf Hotzenköcherle, Professor Ernst Risch (Zürich) und Professor Louis Hjelmslevf (Kopenhagen). Für Verbesserungsvorschläge und Berichtigungen habe ich weiterhin vor allem Dr. Janez Oresnik in Laibach (Jugoslawien) zu danken, ferner Dr. Harald Burger (Zürich) und meiner Frau, fil. mag. Anne Marie Hinderling-Eliasson. Von Dänemark habe ich ein Staatsstipendium für das Studienjahr 1960/61 bekommen und von der Stipendienkommission der Universität Zürich einen großen Druckkostenzuschuß. Auch hierfür sei an dieser Stelle gedankt.
INHALTSVERZEICHNIS
Vorwort der Herausgeber Vorwort Einleitung
1
I. Teil: Verbalnomen und starkes Verb 1. Der Ausbau der Ablautklassen im Germanischen Anhang: Zur Darstellung des grammatischen Wechsels in Comparative Germanie Grammar
9 10 PROKOSCHS
20
2. Die Schichtung der starken Zeitwörter (am Beispiel der Verbalklasse II) Zum Alter der Verbalnomina
25
3. Das Wortbildungsgefüge des starken Zeitworts
37
Π. Teil: Das Verbalnomen
42
Erstes Kapitel: Die Frage des Nebeneinanders von an. skot n. und (süd)germ. *skuti- m.,Schuß'
42
1. Zur Geschichte der Forschung über das Verhältnis von an. skot n. und (süd)germ. *skuti- m. .Schuß'
42
2. Die zwei germanischen Typen *skuti- m. und *gaskota- n. und ihre Verteilung auf nord- und südgerm. Boden 52 3. Der Typ *gaskot und altnordisches Füllwort
56
4. Die Frage der altnordischen Zusammensetzungen mit *gaskot
65
Anhang: Zum Füllwort of [um
71
5. Die Herkunft der Bildung *gaskot
75
6. Zu den Bedeutungsverhältnissen
84
7. Formale Einzelheiten zu den Bildungen *skutij*gaskot
89
8. Verbalabsttakta mit anderen Präfixen als ga93 9. Der germanische Typ *skuti- m. .Schuß' und sein Verhältnis zu außergermanischen Bildungen 102
vm
Inhaltsverzeichnis Zweites Kapitel: Materialsammlung
116
Vorbemerkungen 1. Die Bildungen zur Verbalklasse II 2. Die Bildungen zur Verbalklasse I 3. Die Bildungen zur Verbalklasse ΙΠ 4. Die Bildungen zur Verbalklasse IV 5. Die Bildungen zur Verbalklasse V 6. Die Bildungen zur Verbalklasse VI 7. Die Bildungen zur Verbalklasse VII
116 118 133 139 145 148 152 156
Zusammenfassung und Ausblicke
166
Verzeichnis des wichtigsten Schrifttums und der Abkürzungen . . .172
EINLEITUNG (Zur Stellung der Wortbildung; Definition der starken Verbalnomina; gehört unser Typ in die Wortbildung? Abgrenzung gegen K L U G E ; Ausblick) In dieser Arbeit geht es um ein Kapitel der Wortbildung. Das gibt uns Anlaß, kurz nach der Stellung der Wortbildung im Rahmen der Grammatik zu fragen. Die strukturalistische Sprachforschung hat die herkömmliche Einteilung Wortbildung—Formenlehre in Frage gestellt. Wo die Grenze zwischen beiden verläuft, hält man nicht mehr für so selbstverständlich wie bisher1. Doch scheint man zum mindesten teilweise an der Wortbildung als gesonderter Erscheinung festzuhalten, wie die Arbeit von W O L F G A N G M Ö T S C H zeigt2. Mötsch bestimmt die Aufgabe der Wortbildung als Beschreibung der syntaktischen Beziehungen zwischen den Morphemen innerhalb der Wortstämme, also etwa von jbol^j und je (r)«/ in hölzern. Ein Substantiv wie jhol^j setzt je(r)nl nicht voraus, aber l-e(r)»/ setzt umgekehrt ein Substantiv wie ζ. B. \hol%J voraus. Der syntaktische ,Sinn' von l-e(r)nj ist die Adjektivierung eines Substantivs, d. h., daß dem Substantiv ein anderer Platz innerhalb des Satzes zugewiesen wird3. Eine Bildung wie Zug zu Rieben würde Mötsch wohl mit der Formel n>r + d v . s umschreiben, d. h. in der Bildung sind eine Verbalwurzel und ein substantivisches Derivationsmorphem, das nur an Verbalwurzeln antreten kann, enthalten. Strukturmäßig müßten wir also jsyeb- -f- dy.gl schreiben. Daß diese Formel als Zug verwirklicht wird, d. h. als Morphem,ballung' (,cumul· nach der Ausdrucksweise Ζ. B. L. H J E L M S L E V , Principe! de grammaire generale> Kopenhagen 1928, S. 313, wo das dänische Morphem -vis ( = dt. -weise) als Kasusmorphem betrachtet wird (dabei stört allerdings die grundsätzliche Artikellosigkeit solcher Bildungen!). Vgl. daselbst auch S . 317f. Vor allem auch P A U L D I D E R I C H S E N , Elementar dansk grammatik, Kopenhagen 2 1957, § 6 Tilla:g und J O H . E R B E N , 86 f. 2 Vgl. auch ζ. B . K N U D T O G E B Y , Structure immanente de la langue franfaise (Travaux du Cercle ling, de Copenh. 6), Kopenhagen 1951, 143—261. Geleugnet wird der Unterschied von H E N D R I K S C H U L T I N K , De morfologische valentie van bet ongelede adjectief in modern Nederlands. Proefschrift Leiden. Den Haag 1962, ζ. B. S. 263, wogegen L. L. H A M M E R I C H , „Bemerkungen zur Adjektivflexion", in Zeitschrift für dt. Wortforschung 19 (1963), 129—137. 3 Vgl. auch G . K R A M E R , 412. 1
1 Hinderling
Einleitung
2
Ballys), geht die syntaktische Analyse nichts an, kommt aber beim Übergang der Analyse von der Morphemebene zur Phonemebene zu ihrem Recht (in den sog. morphophonemischen Regeln, vgl. die „Thesen" in den Studia Gramm. I, S. 9 ff.). Wenn das Wort als definiert gelten darf (was mir durch die „Thesen" nicht ganz deutlich geleistet zu sein scheint, aaO, 21), so läßt sich die Wortbildung als Struktur des Wortstammes klar definieren (aaO, 26; Definition des Wortstammes ebd.). Diese Definition hätte den Vorteil, daß sie über den Ansatz H . PAULS hinausführen würde 4 . Paul läßt nur die flexivischen Bestandteile der Sprache syntaktisch bestimmt sein. Was die Syntax für die Formenlehre, das leiste für die Wortbildungslehre die Bedeutungslehre. Wenn wir auf den Wortbildungstyp, um den es hier geht (Wörter wie Schuß, Zug, Riß, Bruch), die Ergebnisse M Ö T S C H S anwenden wollen, so läßt sich nicht nur die Morphemstruktur leicht und bequem beschreiben. Die Unerläßlichkeit morphophonemischer Regeln macht außerdem deutlich, daß die „starke", nichtlineare Veränderung der Wortstämme nicht nur einen Grundzug der germ. Verbalflexion, sondern auch der germ. Wortbildung ausmacht. In diesem Sinne ist es zu verstehen, wenn in dieser Arbeit von „starker Wortbildung" gesprochen wird. Es ist damit gemeint, daß wir von der Analyse der Wortbildungsmorpheme nicht unmittelbar zur Phonemfolge des Wortes kommen, weil fcieb-l + Idy-sl sich im Falle von Zug nicht linear zusammensetzen lassen, wie sich dies für fcieh-1 -f- jd^,. s j im Falle von Zieher (fcieh-1 + /-er/) tun läßt. Einfacher gesagt: Starke Wortbildung ist wesentlich ablautende Wortbildung 5 . Unter starken Verbalnomina wollen wir also Nomina verstehen, die durch Derivationsmorphem 0 ausgezeichnet sind, womit sich Ablaut verbindet. Die Frage ist, ob der Ablaut als notwendige Bedingung mit in die Definition hineingenommen werden soll. Diese Frage zu beantworten ist darum nicht ganz leicht, weil wir auf der einen Seite neben Zug·. Riehen das Verhältnis Stoß-.stoßen haben, auf der andern aber 1 6
HERMANN PAUL, „Über die Aufgaben der Wortbildungslehre". Wenn wir den Begriff „starke Wortbildung" ganz in Parallele zu dem der „starken Verbalflexion" entwickeln wollen, so zeigt sich, daß es in einem Fall wie Schrift zu schreiben nicht zweckmäßig ist, von starker Wortbildung zu sprechen, ganz einfach darum, weil wir hier ein Wortbildungssuffix deutlich greifen können (-/). Ein Prät. wie brachte zählt man ja auch nicht zu den starken Präterita. Der Einwand, Bildungen wie Zug hätten in früheren Zeiten doch auch ein Suffix gehabt, verfängt darum nicht, weil dieses -/' nur noch Deklinationsklassenzeichen ist und darum auch an jede Stammstufe antreten kann (ζ. B. rauki- neben ruki-, vgl. unten S. 37 f.), was bei -/(/') eben nicht der Fall ist (außer bei isolierten Bildungen: WILMANNS I I , § 254, 2).
Einleitung
3
auch schon früh Fälle wie Besuch: besuchen. Eine ähnliche Frage auf dem Gebiet des Zeitwortes ist, ob man die Zeitwörter von Klasse V—VII, die im Obd. mit dem Prät. auch den Ablaut eingebüßt haben, zu den starken oder schwachen Verba zählen will (Jahren—gefahren unter der Voraussetzung, daß der Konj. Prät. nicht mehr lebt). Die einfachste Beschreibung (eine immer wiederkehrende Forderung der Strukturalisten) würde ohne Zweifel durch eine weitere Anwendung des Begriffs „stark" erreicht. Da es aber wenig sinnvoll ist, diesen vom Zeitwort her entwickelten Begriff „stark" bei Verbalnomina zu schwachen Zeitwörtern anzuwenden, entschließen wir uns für eine engere Fassung des Begriffs und bestimmen ein starkes Verbalnomen als eine Ableitung mit Derivationsmorphem 0 und Ablaut im Verhältnis t(um Grundvokalismus des Verbs. Trotzdem werden wir allerdings auch auf die „schwachen" Abstraktbildungen wie ,Stoß' eingehen müssen. Es ist ein Hauptanliegen der Materialsammlung (S. 116ff.), zu zeigen, wie der Wechsel stark>schwach fast mechanisch Zustandekommen mußte (vgl. z . B . S. 164f.). Es erhebt sich nun allerdings die Frage, ob ein Wort wie Zug durch die Formel j^ieh-j -+- Derivationsmorphem ( + Flexionsmorphem; das Wort ist ja ein Substantiv) richtig beschrieben sei, oder ob die Größe, die hier als Derivationsmorphem bezeichnet ist, nicht vielmehr zugleich ein flexivisches Element enthält, d. h. von anderen Größen außerhalb des Wortstammes her bestimmt werde. Es würde dies bedeuten, daß Zug ins Formengebäude des Zeitwortes j^ieh-j gehörte. Aus zweierlei Gründen kann man bei Verbalabstrakta an einen solchen weitern (d. h. über die Wortgrenze hinausgreifenden) syntaktischen Zusammenhang denken. Einmal hat man in verschiedenen Gruppen von Verbalabstrakta Unterschiede des Aspekts und der Zeit feststellen zu können geglaubt®. Daß in einem Paar wie nhd. ,Schießen' und ,,Schuß' ein Aspekt-Unterschied (vorsichtig ausgedrückt) mitvorliegt, kann nicht zweifelhaft sein. Doch kann der germ. Infinitiv erst spät und nicht überall substantiviert verwendet werden (WILMANNS II, § 303). O b sich zwischen andern Verbalabstrakttypen in altgerm. Zeit solche Aspektunterschiede feststellen lassen, ist noch nicht untersucht worden und muß hier offen bleiben. 6
Vgl. dazu ζ. Β. E. BENVENISTE, Noms d'agent et noms d'action en indo-europten, Paris 1948; vor allem J. H O L T , Les noms d'action en -ΣΙΣ (-ΤΙΣ). (Acta Jutl.13) Aarhus/ Kopenhagen 1941, 67—91, 167; sowie dens. Etudes d'aspect. (Acta Jutl. 15) Aarhus/Kopenhagen 1943, 1 ; weiterhin auch H E R M A N N P A U L , a a Ο und E R W I N K O S C H M I E D E R , Zeitbe^ug und Sprache, Berlin/Leipzig 1929, 82. Vgl. auch unten S. 94. 1·
4
Einleitung
Vielleicht sind die altgerm. Verbalabstrakta aber auch in einem andern, ebenfalls außerhalb der Wortstämme (s. o. S. 2) liegenden syntaktischen Gefüge zu beschreiben. HJELMSLEV hat den genialen Gedanken gehabt, die grammatischen Kategorien nach ihrer Stellung im Satz bzw. in den Sätzen zu beschreiben7. Wenn wir diesen Gedanken auf die Ergebnisse, die W A L T E R PORZIG für die Verbalabstrakta herausgearbeitet hat, anwenden, so scheint sich zu zeigen, daß die Verbalabstrakta eine grammatische Kategorie darstellen. Porzig hat nämlich nachgewiesen, daß die Abstrakta ,Namen' für Satzinhalte sind8. Ein beliebiger Satzinhalt wird in ein Abstraktum zusammengefaßt und wie ein Name für einen Gegenstand im folgenden Satz eingebaut. Statt aus Porzigs reichem Material zu zitieren, soll ein gotisches Beispiel das Gemeinte veranschaulichen. Hier steht Matth. 26, 74f.: jab suns bana hrukida. jab gamunda Paitrus waurdis Iesuis: qtpanis du sis: patei faur hanins hruk prim sinpam afaikis mik. Hier setzt das Nomen (Akk.) hruk „das Krähen" die verbale Fügung hrukida (bzw. bana brukida) voraus9. In dieser Funktion steht das Verbalabstraktum in nächster Nachbarschaft zum Fürwort, wie Porzig an anderm Ort gezeigt hat10. Ein Beispiel mag dies verdeutlichen. Wenn wir einen Satz haben wie „Karthago wurde von den Römern im Jahre 146 zerstört", so können wir den Gedanken weiterführen, indem wir ζ. B. sagen: „Dies bedeutete den endgültigen Untergang des karthagischen Volkes". Man kann aber auch beispielsweise fortfahrend sagen: „Durch die Zerstörung der Stadt wurde auch das karthagische Volk zerstört." Man sieht: Das Verbalabstraktum faßt einen Gedanken in einem Wort zusammen und gestattet so eine Weiterführung des Gedankenganges, indem nämlich 7
8
9
10
„Essai d'une theorie des morph6mes", in Actes du IVe Congres internat. de Ungutstes 1936, Kopenhagen 1938, 140—151 ( = Essais Unguistiques. (Travaux du Cercle linguistique de Copenh. 12) Kopenhagen 1959, 152—164). Ein Morphem kann danach auf viererlei Weise bedingt sein: Entweder durch eine Größe innerhalb desselben „Nexus" (ungef. = Satz): homonexuelle Gerichtetheit der Kategorie, durch eine Größe außerhalb des Nexus: heteronexuelle Gerichtetheit, durch Größen sowohl inner- als außerhalb des Nexus: homonexuell-heteronexuelle Gerichtetheit und endlich durch eine Größe desselben Nexus oder eines andern Nexus: homonexuelle oder heteronexuelle Gerichtetheit. Vgl. auch denselben, Sproget. En Introduktion. (Berlingske leksikonbibliotek 21) Kopenhagen 1963, 104 u. 108. Bei der Durchführung dieses Prinzips stößt man allerdings im einzelnen auf große Schwierigkeiten. W . PORZIG, 1942; vgl. auch PORZIG, 1930/1931, sowie Das Wunder der Sprache, München 1950, 373. Die griechische Vorlage, die statt des got. Verbalabstraktums einen infinitivischen Nebensatz hat, bestätigt dadurch PORZIGS Deutung. PORZIG, 1 9 5 1 .
Einleitung
5
der so zusammengefaßte Gedanke in einem neuen Gedanken in irgendeiner Weise näher bestimmt wird oder selber nähere Bestimmung für eine andere Sache ist. In gleicher Weise faßt das Fürwort bereits Genanntes zusammen. Das Fürwort ist aber noch umfassender als das Verbalabstraktum, denn es enthält nichts mehr von der dem Ausdruck des Gedankens dienenden Verbalwurzel. Außerdem kann das Fürwort ja auch Abkürzung für ein Nomen sein, ja ist dies sogar gewöhnlich. Dies weist uns auf eine grammatische Kategorie, die unsern Abstrakten noch näher steht als das Fürwort: Das bestimmte Nomen11. Auch das bestimmte Nomen nimmt bereits Gesagtes wieder auf. Auch hier enthält das bestimmte Nomen (wie das Verbalabstraktum, aber im Gegensatz zum Fürwort) dasselbe lexikalische Morphem wie das Bezugswort. Auch das bestimmte Nomen steht für alle Formen des Bezugswortes, so wie auch das Verbalabstraktum für alle Formen12 des Bezugswortes steht13. Ob im genannten Fall der erste Satz „Die Römer zerstörten Karthago" oder „Karthago wurde von den Römern zerstört" oder „Die Römer zerstören Karthago" heißt, ändert an der Form des Verbalabstraktums im folgenden Satz nichts. In gleicher Weise beim Nomen: Ob das Wort, worauf das bestimmte Nomen sich bezieht, im Nom., Gen., Dat. oder Akk. steht, ändert nichts an der Bestimmtheitsform des Nomens (ζ. B. madur-inn ,der Mann' im Neuisl. Daß die bestimmte Form selber wieder in den verschiedenen Kasus erscheinen kann, hat mit dem Kasus des Bezugswortes nichts zu tun, sondern ergibt sich aus der Stellung des Wortes im neuen Satz). Der Unterschied des hier untersuchten Abstrakttyps zum (substantivierten) Infinitiv des Deutschen einerseits und noch stärker zur Bestimmtheitsform des Nomens andererseits ist aber deutlich. In den meisten Fällen sind die vorkommenden Verbalabstrakta nämlich nicht mehr syntaktisch bestimmt: „Aber die Abstrakta bleiben nicht auf den Kreis, dem sie ihre Entstehung verdanken, beschränkt, sondern 11
12
13
D. h. die flexivisch ausgedrückte Vorstellung der Bestimmtheit beim Nomen, z. B. in den nordischen Sprachen (sog. suffigierter Artikel). Wir sehen hier davon ab, daß es einen auch im Zeitwort unterschiedenen Aspekt a ' s Aspektweiterführen könnte. Wenn man den Unterschied Schießen!Schuß unterschied auffassen darf, so ist dies allerdings darum auffällig, weil dieser Unterschied in den ,übrigen' Verbalformen fehlt. Man vergleiche Sätze wie: Die Soldaten schössen, aber alle Schüsse verfehlten das Ziel. Die Soldaten schössen. Nach dem Schießen putzten sie ihre Waffen. Mit K A R L BOOST (Neue Untersuchungen zum Wesen und zur Struktur des deutseben Satzes. Der Satz als Spannungsfeld. (Dt. Akad. d. Wiss. zu Berlin. Veröffentlichungen d. Institutes f. dt. Sprache u. Lit. 4, Berlin 1956) zu sprechen hat das Abstraktum also eine besondere Neigung, die „Thema"-Stellung des Satzes einzunehmen. Das ergibt sich schon daraus, daß die syntaktisch bestimmten Abstrakta wohl nur mit bestimmtem Artikel versehen vorkommen.
Einleitung
6
haben, wie alle Wörter, eine starke Neigung, sich in der Gemeinsprache auszubreiten. Damit verlieren sie aber ihren Halt an der syntaktischen Wechselbeziehung mit dem zugehörigen Satzinhalt und also auch ihren Charakter als Abstrakta. Sie sind, wo sie vorkommen, in besonderem Maße den Umdeutungen ausgesetzt, die Wörter ganz allgemein bei Neugliederung eines Satzsinnes erfahren" (PORZIG, 1930/31, 74). Diese .Lexikalisierung' der Verbalabstrakta zeigt sich nur zum Teil in ihren konkreten Bedeutungen. Denn ein echtes (syntaktisch definiertes) Verbalabstraktum hat durchaus die Möglichkeit, sehr konkrete Sachverhalte zu bezeichnen14. Weil ein Verbalabstraktum wie ein gewöhnliches Nomen im Satz behandelt wird, ist es dann allerdings leicht möglich, daß es völlig sachliche Bedeutung annimmt. Wie dies geschehen kann, hat MANU LEUMANN, „Zum Mechanismus des Bedeutungswandels", IF 45 (1927), 105—118 ( = Kl. Schriften 286—296) gezeigt16. Dies würde nun zusammenfassend bedeuten, daß die Verbalabstrakta, man kann schon sagen: ihrem Wesen nach, eine Zwischenstellung zwischen Erscheinungen der Formen- und Wortbildungslehre einnehmen1®. Ob das Verbalabstraktum häufig noch syntaktisch bedingt auftritt (also ins Paradigma des Verbums gehört), wird sich nach dem Alter der Bildungsweise richten. Je unverbrauchter sie ist, umso öfter wird sie wohl syntaktisch bedingt auftreten (so ζ. B. häufig die substantivierten Infinitive im Deutschen). Doch finden sich auch Unterschiede von Wort zu Wort: ,Leben' etwa erscheint als Bildung fast stets lexikalisiert, während dieselbe Bildung in ,Ausruhen' fast stets grammatischen Sinn haben wird. Da es uns aber in dieser Arbeit um einen ganz bestimmten, bildungsmäßig genau beschreibbaren formalen PORZIG, 1930/1931, 75f. Porzig gibt folgendes Beispiel: Wenn jemand zum Tanz aufspielt, so spielt er etwa auf der Geige einen Tanz. Der Bedeutungsunterschied liegt darin begründet, daß ein ,Tanz' nicht nur den Satzinhalt ,wenn man tanzt', sondern auch ,was man tanzt' zusammenfaßt. 15 Vgl. auch PORZIG, Satzinhalte, Buch 2: Die Gegenständlichkeit der abstrakten Nomina. Darin schreibt P. u. a.: „Bei der Verbindung eines abstr. Nomens mit einer Präposition tritt eine Spannung ein, weil die Präposition zunächst ein konkretes räumliches Verhältnis angibt. Das Ergebnis des Ausgleichs ist entweder, daß das Nomen als Bezeichnung einer örtlichkeit erscheint, oder daß die Präposition statt der räumlichen eine logische Bedeutung erhält" (151). Das ist eben ,Mechanismus des Bedeutungswandels'. Eine wichtige Rolle spielt bei der Konkretisierung dann weiter das Absterben der Verbalwurzel. Vgl. auch M. SZA14
DROWSKY, 1 9 3 3 . 16
Diese Zwischenstellung der Verbalabstrakta kann auch so zutage treten, daß sie wie eine Verbalform ein Objekt neben sich haben können. Vgl. E. SCHWYZER, Griechische Grammatik. Bd. II. S . 73 und B. DELBRÜCK, Syntaktische Forschungen 5, Halle 1888, 181 f. und andere mehr.
Einleitung
7
Typ geht, die Einheit des Gegenstandes mithin von der formalen Seite her gegeben ist, können wir im folgenden von der Frage der richtigen Einordnung dieses Typs im Rahmen der Grammatik absehen. Es genügt, die Schwierigkeit angedeutet zu haben. Im übrigen wird man schon darum diesen Bildungstyp in herkömmlicher Weise vorläufig als einen Wortbildungstyp auffassen dürfen, weil lange nicht zu allen starken Verbalwurzeln dieses bestimmte Verbalabstraktum gebildet werden kann. In dieser Aussage taucht bereits eine zweite Grenze dieser Arbeit auf: Andere Verbalabstrakta, die möglicherweise denselben syntaktisch-wortbildungsmäßigen Sinn haben, bleiben im allgemeinen unberücksichtigt. Das System der Abstraktbildungen kann hier nicht skizziert werden17. Noch eine Abgrenzung gegen K L U G E ist nötig. Von der heutigen Forschungslage her sind zwei Einwände gegen seine Stammbildungslehre18 zu machen. Einmal befriedigt in vielen Fällen die Gliederung nach der Bedeutung nicht. Kluge muß wegen dieser Einteilung verschiedene Suffixe zweimal behandeln, ζ. B. erst unter den Suffixen für persönliche Konkreta, dann unter denen für sachliche Konkreta, oder erst unter denen für sachliche Konkreta und dann unter denen für Abstraktbildungen. Es ist nach der heutigen Auffassung aber ein Unding, einem Wort eine und nur eine abstrakte oder konkrete „Urbedeutung" beizulegen. Vielmehr ist vom Lebenszusammenhang, in dem das Wort seinen Sitz hat, auszugehen. Dann zeigt es sich, daß es immer schon eine Vielzahl von Möglichkeiten in sich birgt19. Aber auch bei der formalen Analyse nimmt Kluge zu wenig Rücksicht auf das Insgesamt der Bezüge, in denen das Wort steht. Bei den Verbalabstrakten mit Suffix i, um die es uns in dieser Arbeit vorab geht, sagt er einfach, daß sie meist „niedrige wurzelstufe und allenfalls grammatischen Wechsel" zeigten. Dies ist deutlich eine phonetische, lineare, in gewisser Weise indogermanistische Definition des Bildungstyps. Vom germanistischen Standpunkt aus muß man aber sagen, daß es die „niedrige Wurzelstufe" oder Schwundstufe systemintern gar nicht mehr gibt. Denn es gibt den phonetischen Mechanismus, der unter bestimmten Bedingungen den Wurzelvokal schwinden läßt, nicht mehr. Statt dessen gibt es den Ablaut, was etwas ganz anderes ist. Denn der Ablaut lebt nicht dank dem Wechsel von Betontheit—Tonlosigkeit, sondern er ist morphologisch geregelt. Er lebt aus dem Gegensatz zweier sich unterscheidender und doch zusammen1?
18 18
Vgl. dazu H. BRINKMANN, vor allem S. 4 0 1 ff. und
411
f. und W .
Nominale Stammbildungslebre der altgermaniscben Dialekte.
HENZEN
Das ist von vielen gesehen worden. Ich verweise nur wieder auf inhalte.
a. a.
PORZIGS
O.
Satz-
8
Einleitung
gehöriger Formen. Auf unsern Bildungstyp angewandt heißt dies: Ein Wort wie tugi- ,Zug' hat nicht mehr .Schwundstufe' wegen eines betonten /-Suffixes. Der Vokalismus von tugi- ist nicht mehr aus der Phonem- und Akzentemfolge des Wortes zu verstehen. Das Wort steht vielmehr im Ablaut zum zugrunde liegenden Zeitwort bzw. zu dessen Grundform oder stützt sich auf eine bestimmte Stammstufe dieses Zeitworts. Erst aus dem System des Zeitworts können wir in vielen Fällen den Gang der Entwicklung verstehen, ζ. B. den Ersatz „schwundstufiger" 20 Typen durch „vollstufige", etwa von ahd. brüst durch brest m. ,Bruch'. So muß die germanische Wortbildungslehre ihren Ausgangspunkt beim starken Zeitwort nehmen21. Ihm gilt darum der erste Teil dieser Arbeit. Der zweite Teil soll unsern Abstrakttyp selbst behandeln. Das erste Kapitel wird dabei auf verschiedene Fragen rund um diesen Abstrakttyp eingehen, vor allem sich mit der Herkunft der Bildung beschäftigen. Das zweite Kapitel bringt das nach Verbalklassen geordnete Material. 80
41
Natürlich wird auch in dieser Arbeit von Schwundstufe gesprochen. Man muß sich dabei nur bewußt sein, daß dies ein diachronischer Begriff ist. Vgl. W I S S M A N N S Arbeit über die ö- Verben!
I. T E I L VERBALNOMEN UND STARKES VERB Im Gegensatz zu den meisten übrigen indogermanischen Sprachen hat das Germanische den Ablaut nicht nur weitgehend bewahrt, sondern auch ausgebaut. Dies zeigt die Geschichte des starken Zeitworts im Germanischen. In dieser Arbeit geht es um Verbalnomina zu solchen starken Zeitwörtern. Ich versuche dabei, sie ganz in das System der starken Zeitwörter einzuzeichnen, weil dies dem untersuchten Gegenstand angemessen ist. Es zeigt sich ζ. B., daß solche Verbalnomina durchaus nicht in allen Ablautklassen in gleicher Fülle zu belegen sind. Auch die lautliche Gestalt der Nomina wird oft erst von Wesen und Geschichte des starken Verbs her erklärbar. Außerdem möchte man gerne eine Aussage über das Alter der hier untersuchten Bildungen. Die Frage stellt sich, da es sich um Verbalnomina handelt, unter anderm als eine Frage nach dem Alter des zugrunde liegenden Verbs. Von zwei Seiten her werden wir in unserm Fragen also zunächst auf das starke Verb zurückverwiesen: Von der Erscheinung der untersuchten Nomina und von ihrer Geschichte. Aus diesem Grunde und da es an solchen Zusammenfassungen noch fehlt, soll im folgenden versucht werden, das dem germ, starken Zeitwort Eigentümliche nach zwei Richtungen hin zu skizzieren. Beide Untersuchungen zeigen im Grunde dasselbe: Die Wichtigkeit, die dem Ablaut im System des germanischen Verbums zukommt. Sie wird zuerst am Leitfaden der Geschichte der Verbalklassen, des Ablautspiels, vom Idg. bis ins Spätgemeingermanische zu zeigen versucht. Sodann soll beschrieben werden, wie der Ablaut als Bildungsprinzip für die Zeitwörter bis in die germ. Zeit hinein, ja in gewissem Sinn bis in die Gegenwart (wie die Mundarten zeigen) lebendig bleibt. In einem dritten Abschnitt soll endlich gezeigt werden, in welchem Umfang das starke Zeitwort des German, das Gerüst für einen großen Ausschnitt der verbalen und nominalen Wortbildung ist. Es wird damit deutlich werden, daß die Spannungen im Gefüge des Verbalsystems sich ins Gefüge der „starken" Nomina fortauswirken. Welchen Sinn diese drei Abschnitte im besonderen, d. h. im Rahmen dieser Arbeit haben, wird bei Abschnitt zwei sogleich deutlich. Für
10
I. Teil: Verbalnomen und starkes Verb
die andern Abschnitte wird dies in der Zusammenfassung am Schluß dieses Teils zu zeigen versucht. 1. Der Ausbau der Ablautklassen im Germanischen Mit dem Einbau der o-Stufe in das Verbalsystem der e-Wurzeln ist der Ablaut unmißdeutbar über eine lautlich-akzentuelle Erscheinung in eine morphologische hinausgehoben. Während es ζ. B. möglich ist, den Gegensatz ei — i in λείττειν — λιττεϊν rein lautlich zu erklären und das i in λιττεϊν als ursprüngliche kombinatorische Variante des ei in λείπειν aufzufassen, kommt man mit dieser Erklärung im Falle von idg. *n>oida ,weiß, bin Augenzeuge', zu *weid- ,sehen', nicht mehr durch1. Zwar kann auch hier das i in *n>idmes (1. PI.) als tonlose Variante des oi in *woida gedeutet werden, aber die Gegenüberstellung von *woida (Perf.) und *wiid- (Präs.) zeigt, daß eine phonetische Erklärung des Wechsels hier unmöglich ist. Man glaubt zwar die lautkombinatorischen Ursachen für diese ί-ο-Abtönung noch erschließen zu können 2 . In den uns überlieferten Sprachschichten erscheint dieser Ablaut aber phonetisch nicht mehr durchsichtig. Ursprünglich phonetisch zu erklärende Varianten sind funktionalisiert worden. Hier erst können wir vom Ablaut im eigentlichen Sinne sprechen3. Die folgenden Ausführungen sollen zeigen, wie noch im Germanischen der Ablaut, der dergestalt sich also seit vorindogerman. Zeit entwickelt hat, weiter ausgebaut wird. Zwei große lautliche Veränderungen spielen vorab eine große Rolle bei dieser Ausbreitung des Ablauts: Einerseits der Verlust der idg. Laryngale 4 , andererseits die Aufgabe vokalischer Geltungsmöglichkeit der Nasale und Liquiden. Beide Vorgänge ziehen phonologische Veränderungen nach sich. Der Laryngal, ursprünglich wie die Liquiden ein Sonant 5 , wird (sofern er nicht schwindet) vokalisiert und zwar im Germanischen wie in den meisten andern Sprachen zu α β . Wo er schwindet, bewirkt der Laryngal Auch Fälle wie ζ. Β. ελιττον—Ιλεπτον sind phonetisch nicht erklärbar. Der Unterschied des Wechsels e : 0 vom Wechsel e: ο ist aber, daß der letztgenannte Wechsel in keinem Fall in den überlieferten Sprachschichten anders denn funktionalisiert auftritt, während der e: 0-Wechsel in einigen Fällen noch gleichzeitig lautlich verstanden werden kann. 2 K U R Y * . O W I C Z , Apophonie, 36 ff. 3 Man spricht in solchen Fällen von morpho(pho)nologischen Erscheinungen: T R U B E T Z K O J , Grundzüge der Phonologie, Göttingen 31958/62, 268. Vgl. auch K N O B L O C H , Sprachwissenschaftliches Wörterbuch, Heidelberg 1961ff., 12f. 4 Fürs Germ, genügt es, von dem Laryngal zu sprechen. Auf die 3—4 verschiedenen Laryngale, die man ansetzt, gehen wir darum nicht ein. 5 Damit ist nur etwas über die Funktion, nichts über den lautlichen Charakter des Laryngals gesagt.
1
1. Der Ausbau der Ablautklassen im Germanischen
11
Dehnung eines vorangehenden Vokals. Die Nasale und Liquiden hatten ursprünglich je nach Stellung bald vokalischen, bald konsonantischen Wert. Indem ihnen in der ersten Stellung aber ein die Silbigkeit tragender Vokal zuwächst, werden sie in allen Stellungen zu Konsonanten (sog. „Desonantisierung", VAN COETSEM; Anm. 7 ) . Beide Lautveränderungen weisen über den germanischen Rahmen hinaus7. Was daraus im Germanischen geworden ist, muß als durchaus typisch gelten. Hier hat es zu einer Verfestigung des Ablautes als Grundzuges der starken Verbalbeugung geführt 8 . Denn nun kann auch die Schwundstufe nicht mehr als kombinatorische Variante der Vollstufe bzw. der Vollstufen aufgefaßt werden, sie wird vielmehr selber zu einer positiven Größe,die. den Vollstufen ähnlich gegenübersteht wie die o-Stufe der ί-Stufe. Jetzt erst wird die Schwundstufe zu einer eigentlichen Ablautstufe. Schematisch dargestellt: Aus der zweistufigen Ablaut reihe el\öl mit der Variante \ — wird die Dreierreihe eljoljüP. Oder aus der Reihe eXjöX mit der Variante X— entsteht die neue Reihe e (bzw. o, ä)j
djd.
Wir wenden uns nun kurz den germ. Verbalklassen zu und wollen sehen, woher sie ihren Ablaut bezogen haben10. D i e V e r b a l k l a s s e n I—III Beispiele: germ. *leihn>an, *beudan, *werpan. Die drei Klassen sind zunächst völlig einheitlich gebaut. Doch werden sie im Verlauf der germ. Sprachgeschichte aufgespalten. Zuerst ist auf Klasse III einzugehen. Hier entsteht durch die Desonantisierung die neue »-Stufe neben der ί/ο-Stufe: *wurpum. Daß β
7
Z u andern Vokalen als angeblichen Reflexen der Laryngale vgl. LEHMANN, 1952, 53 f. S. auch unten S. 114. Wie weit dies von den Sonanten gilt, ist allerdings nicht sicher, VAN COETSEM verlegt die „Desonantisierung" in die Zeit seiner „«-^-Periode" (des Urgerm.). V g l . u n t e n A n m . 9 u n d VAN COETSEM, 1 9 6 3 , 2 6 9 .
8
Dies im Gegensatz etwa zum Lateinischen (LAT. GR., § 49) und Slawischen
9
Genau genommen hat das u in ul erst mit dem Festwerden des Akzents auf der ersten Silbe phonematischen Wert. Zur Frage vgl. LEHMANN, L g . 31 (1955),
10
Von großer Bedeutung für die Entwicklung des Ablautsystems im Germanischen ist auch die „innere" Geschichte der Tempora. Das idg. o-stufige Perfekt, ursprünglich außerordentlich beschränkt, wird im Germ, die gewöhnliche Vergangenheitsform. Dadurch erhält die o-Stufe, die im idg. System einen bescheidenen Platz einnimmt, plötzlich eine außerordentlich wichtige Stellung im Ablautgefüge (Hinweis von Prof. ERNST RISCH; vgl. auch F. SPECHT, „ Z u r Perfektbildung im Germanischen und Indogermanischen").
(BRÄUER I, § § 3 5 u . 38).
3 5 5 — 6 6 u n d SAMUEL R . L E V I N , L g . 3 2 (1956),
631—2.
12
Ϊ. Teil: Verbalnomen und starkes Verb
ur in *wurpum wirklich zwei Phoneme enthält, hat MARCHAND gezeigt11. Das Got. hat nämlich in waurkeip (aus wfk-, wo r Vokal ist; wfk- ist also kurzsilbig wie wak- usw.) ein langsilbiges jan-Yctb (wie sokeip). Es wird damit deutlich, daß die Umwandlung von wfk- > wurk- nicht bloß eine phonetische Angelegenheit ist, sondern vielmehr Strukturveränderungen nach sich gezogen hat. Wir haben damit folgende Klassen bekommen 12 : 1. Präs. eR oder R, Prät. Sg. aR, Prät. PL und Part. R (wobei R nur i oder u; — spätere Klassen I—II) 2. Präs. eRK, Prät. Sg. aRK, Prät. PI. und Part. uRK (wobei R nicht i oder u; = spätere Kl. III) Nach VAN COETSEM erst in gemeingermanische Zeit fällt dagegen die Desonantisierung von ji, »/, wodurch also auch in Klassen I und II i und u Vokale werden, d. h. Ablautstufen darstellen13. Dadurch ist gleichzeitig Klasse I und II aufgespalten (Prät. PI./Part, früher: einheitlich schwundstufig, jetzt Stufe i gegenüber Stufe ü). Die Spaltung vertieft sich durch den ebenfalls späteren Übergang von ei > /, womit auch die Präsentien auseinanderfallen. Auf die schwundstufigen Präsentien, die uns bei Klasse VI noch weiter zu beschäftigen haben werden, ist hier nur für die Verben der Klasse II einzugehen. Hier haben wir ja die Sondergruppe der sog. Aoristpräsentien, die vermutlich auf schwundstufige Präsentien zurückgehen, vgl. H I R T , Hdb. II, 1 6 9 ; VAN COETSEM, 1 9 6 3 , 2 7 8 ; SGGJ II, 2 5 0 — 2 5 2 . Auszugehen ist bei diesen schwundstufigen Präsentien offenbar von ehemals athematischen Verben, bei denen ja in der Mehrzahl der Formen Schwundstufe galt 14 . Wie athematische Präsentien sich in schwundstufige thematische Präsentien verwandeln, läßt sich im Ai. noch schön verfolgen, vgl. THUMB-HAUSCHILD I, 2 , § 4 7 5 1 5 . Zur 11 12 13
14
15
Lg. 32 (1956), 287. Κ bezeichnet einen beliebigen Konsonanten, R einen (Re-)Sonantcn. VAN COETSEM, 1 9 5 6 , 1 5 f . ; 1 9 6 3 , 2 6 9 mit Hinweis auf LEHMANN, Lg. 3 1 (1955),
355f. und Τ WADDELL, ebd. 532f. Zur athem. Flexion des Urgerm. vgl. auch G. H0ST, NTS 17 (1954), 441 ff. Auf die athem. Flexion weisen auch oftmals danebenstehende Zeitwörter mit «-Infix, denn Verba mit und ohne Nasalinfix bilden alte athematisch flektierende Paare; KUIPER, 1937, 70—84. So gesehen erinnert germ. *bugan sehr stark an ai. bhujäti. Vielleicht ist auch der Unterschied im Wurzelauslaut zu lösen. Jedenfalls scheint man fürs Germ, am besten von germ. *beuy_- auszugehen (vgl. ahd. bubil .Hügel', lit. buklüs .listig, schlau'; FRANCIS A . WOOD, Mod. Phil. 5 ( 1 9 0 8 ) , 2 7 0 ) . Mit der Aufgabe des athem. Präsens und der Durchführung der Schwundstufe ( > ü-Stufe) im Präsens stand der Sg. des Prät. allein mit einer alten Vollstufe und der dazu passenden stimmlosen Konsonanz, weshalb die stimmhafte Konsonanz verallgemeinert worden sein dürfte.
1. Der Ausbau der Ablautklassen im Germanischen
13
Länge des u kam es, wie man jedenfalls teilweise annimmt, durch Einwirkung der Länge in der ersten Klasse, also (I) i:ai:i = (II) χ: au :u, woraus χ = ü. Diese Frage beschwert uns aber hier nicht weiter. Wir stellen nur einfach positiv fest, daß auch in diesem ü eine neue Ablautstufe vorliegt, die es nach allem, was wir darüber wissen, im Indogermanischen hier noch nicht gegeben hat. Wenn der Ώ-Umlaut als gemeingermanisch gelten kann, wie VAN COETSEM annimmt, so müssen wir hier auch die Entstehung der neuen, germanischen o-Stufe im Partizip der Klassen II und III erwähnen. Für einen Teil der Klasse III erhalten wir damit sogar eine Viererreihe, vgl. ahd. werf-/warf-Jwurf-/worf-. Endlich sei noch auf den /-Umlaut hingewiesen, durch den in den Klassen II und III, aber auch IV und V neue „Ablaute" entstehen, auf die wir aber nicht mehr weiter eingehen wollen. Nur soviel wollen wir als für unsern Überblick entscheidend festhalten: 1. Das geschlossene idg. ejoj0-Sjstem wird aufgefächert·, es entstehen die Klassen I—III. Auf Klasse IV, die zunächst hier auch mitzubehandeln wäre, wird gleich zurückzukommen sein, desgleichen auf den Sonderfall Klasse V. 2. In jeder Klasse wird der Ablaut durch neue Stufen ausgebaut. D i e V e r b a l k l a s s e n IV—V (VI) Auch bei Klasse IV entsteht eine neue »-Ablautstufe, woraus später die durch ώ-Umlaut bewirkte Veränderung zu o: * no man-™. Das Besondere von Klasse IV und V ist aber die vielumstrittene ^-Lautung im Prät. PI. Soviel ist zunächst klar, daß diese Lautung erst sekundär in die Klasse IV eingedrungen ist. Das bezeugen vor allem die Präteritopräs., etwa man-munum. Damit haben wir also auch hier einen klaren Fall von sekundärem Ausbau des Ablauts. Es ist der erste völlig unbezweifelte Fall von analogischem Ausbau, in dieser Übersicht also besonders wertvoll, weil damit bewiesen ist, daß der Ablautausbau nicht nur ein Spiel des Zufalls, das Ergebnis der lautgeschichtlichen Entwicklung ist, sondern gleichzeitig eine strukturelle Tendenz. Wie ist aber diese Lautung in Klasse V entstanden? Mit der Frage haben sich zuletzt KURYLOWICZ, FOURQUET und VAN COETSEM be16
Phonologisch ist die Situation hier zwar verschieden, da der Sonant in vorvokalischer Stellung eigentlich konsonantisch werden mußte: ber-: br-an-s. Warum es zu br-an-s kommt, erklärt KURYIOWICZ, Apoph. 2 1 8 f .
14
I. Teil: Verbalnomen und starkes Verb
schäftigt 17 . Nach KuRYtowicz hängt die Frage eng zusammen mit der Herkunft des δ im Präteritum der Klasse VI (Jaran); das Verhältnis far- :för- hätte zum Ersatz von geh- :geb- durch geh- :geb- geführt. Oder besser (VAN COETSEM, 1 9 6 3 , 2 8 1 ) : fär-:fdr- = geb-:geb-. Die genügend abgehobene Einzahl des Prät. gab bleibt aber unangegriffen. Die alte „Schwund"- oder besser Tonlosigkeitsstufe bleibt im Part. Prät. erhalten (ahd. gi-geban); auch die Λ'-Abstrakta (*geb-ti- > gift) wären als Zeugen der alten „Schwund"-stufe zu erwähnen. FOURQUET geht dagegen von dehnstufigen Perfekta aus, also etwa von set- (Präs.): set- (Prät. Sg. und PI.) und fragt umgekehrt: Wie kommt es zur Einführung des α im Prät. Sing. Die Antwort lautet: Durch Einfluß der übrigen Verben mit Ί-Präs. VAN COETSEM kombiniert beide Ansichten: Das systematische Auftreten von ä ( > a) im Sing, von Klasse V beruht auf der Analogie der übrigen e-Verben, das systematische Auftreten von e im Prät. PI. auf der Analogie durch die Klasse VI. Für unsre Zwecke genügen diese kurzen Hinweise. O b die Stufe e schon vereinzelt vorhanden war oder nicht: sicher ist soviel, daß ihre systematische Durchführung in einer ganzen Reihe von Verben eine germanische Neuerung ist und einen klaren Fall von Ablautausbau darstellt. V e r b a l k l a s s e VI In ähnlicher Weise wie bei Klasse V stellt sich hier die Frage nach der Herkunft des langen Vokalismus im Präteritum. Eine sehr eigenwillige Lösung hat KuRYtowicz versucht. Auszugehen sei bei dieser Klasse von einem Präteritum mit Vokal α wie noch das Prät.Präs. magjmagun zeige18. Man habe also (für skaban) von einem Prät. Typ *skabj*skabun auszugehen. Für die Endungen im Plural des Prät. setzt Kurylowicz dabei -mex, -pex und -un an, wobei -ex einen Endungsvokal unbekannter Farbe bezeichne. Nach der Kürzung der Langdiphthonge 19 vor Konsonant (ERK > ERK) wird die phonetische Größe ERK20 phonologisch zweideutig. Sie kann, wenn etwa -K Endung ist, funktionell entweder zu ER oder ER gehören. Anders gesagt: ER und ER fallen vor Konsonant in ERK zusammen. Gemäß dem Gesetz der Polarisierung zwischen voneinander abhängigen Mor17
18
19
20
KuRYtowicz, Apophonie, 308—20; F O U R Q U E T , „Germanique skulum, munum et la classification des pr6t6rits forts"; V A N COETSEM, „Zur Frage der internen Ordnung der Ablautsalternanzen im Germanischen I" (vor allem S. 278ff.). Aus etymologischen Gründen dürfte KuRYtowicz dieses Prät. Präs. zur Klasse VI rechnen (vgl. den Ansatz magh\mägh in I E W , 6 9 5 ) . Anders dagegen FOURQUET, 6 4 . Diphthong hier im indogermanistischen Sinn verstanden; auch er ist ein Diphthong. Ε bezeichnet einen beliebigen Vokal.
1. Der Ausbau der Ablautklassen im Germanischen
15
phemen (wonach die abhängige Formengruppe sich bietende Gelegenheiten ergreift, um sich von der Grundform abzuheben21), wird diese phonetische Zweideutigkeit im Sinne einer Differenzierung des Prät. vokals vom Präs.vokal in eindeutiger Weise festgelegt, nämlich als funktionelle Länge, was zur Einsetzung der sowohl phonematischen wie phonetischen Länge auch in vorvokalischer Stellung führt. Also: [far-mex] l wird, da [färm] nicht jför-me*\ x [far-pe ] > mehr möglich ist, als • jför-pe^j [far-rn] J funktionelles aufgefaßt, woraus durch Systemzwang auch funktionelles j'för-un/, was aber gleichzeitig auch phonetisch [förun] sein muß. Diese Ubergänge sind also bedingt durch das Lautgesetz, daß Langdiphthong vor Konsonant gekürzt wird. Die Umgestaltung ist zunächst also an „diphthongische" Wurzeln gebunden (vgl. Anm. 19), d. h. an Lautgruppen wie er, en, au usw. Erst durch Analogie werden dann auch Wurzeln wie skabvon der Umgestaltung erfaßt; es kommt also ebenfalls zur funktionellen Form fsköb-mexj, die aber auch zur phonetischen Größe [sköbmeXJ führen muß (da phonetisch [skabmeXJ ja nicht wie [farme*] funktionell zweideutig ist). Ein letzter Schritt geschieht im Gefolge der Ersetzung der Personalendung -me* durch -um, wodurch jför-mex/ mit funktionellem (man möchte sagen latentem) ö, aber phonetischem a [farmex] zu jför-umj mit auch phonetischem ö werden kann [förum]. Diese Darstellung ist, wie man sieht, sehr verwickelt. Sie ist aber nach meiner Meinung auch unwahrscheinlich. Es spricht nicht für diese Erklärung, daß die phonetische Situation, die KURYLOWICZ für die Erklärung des Übergangs α > δ braucht, sich nur in einer Minderheit von zu Klasse VI gehörigen Verben nachweisen läßt. Von gegen 50 Verbalstämmen, die in den germ. Sprachen mit Formen nach Klasse VI belegt sind, enden nur acht auf Sonant, nämlich got. alan, -anan, malan, faran, srvaran, an. gala, kala, ae. spanan*la. Von diesen acht Verben haben zwei wohl idg. Dehnung im Prät., wie gleich zu zeigen sein wird, und drei sind alte e-Verben, bei denen also ein Präs. auf a zunächst erst entstehen mußte. So ohne weiteres kann darum diese Erklärung nicht angenommen werden. Statt dessen wollen wir mit BETHGE festhalten, daß in dieser Klasse VI verschiedenes zusammengeflossen ist22. Folgende Hauptquellen kommen in Frage: 1. Bei sogenannten vokalisch anlautenden Wurzeln gibt es im Idg. ein sogenanntes dehnstufiges Perfekt. Auf die Frage, wie dieses dehn21 Apophonie, 8 ff. sia Vgl. auch an. deyja und geyja. 22
Bei DIETER, 387; auch 355.
16
I. Teil: Verbalnomen und starkes Verb
stufige Perfekt entstanden ist, braucht hier nicht eingegangen zu werden. An der Tatsache selber scheint kein Zweifel möglich ( T H U M B HAUSCHILD
I, 2
§ 5 2 0 , 1 ; SCHWYZER, I 6 5 0 , Z u s . 3 ; H I R T , I d g . G r .
IV, § 1 1 6 usw.). H I R T schränkt die Erscheinung allerdings sehr ein23. Dieses dehnstufige Perfekt mußte bei den a- und o-Wurzeln über d-ä zu a-ö führen. Hierher gehört etwa an. aka-ök, womit man gerne griech. δγω-ήχα (mit η < α) vergleicht. Weiterhin got. us-anan, Prät. u^-on (vgl. ai. äna), got. alan (Dehnstufe außerhalb des Germ, anscheinend fehlend; vgl. IEW, 2 6 ) , sowie agan-og, wozu BRUGMANN air. ad-ägor, -ägur ,fürchte' stellt24. Ae. acan ,schmerzen' ist nicht sicher verknüpfbar. IEW, 8 vergleicht fragend ai. ägas (offenbar mit idg. a), gr. &yos ,Schuld, Blutschuld'. 2. Vor allem sind hier aber die sog. langvokalischen, d. h. larytigalhaltigen Wurzeln zu nennen. Der Gegensatz a-ö geht hier offenbar auf X —jöX zurück, d. h. setzt einen Wechsel Schwundstufe/o-Vollstufe fort. Wie das Präsens zu einer Schwundstufe kommt, haben uns die sog. Aoristpräsentien bereits gezeigt (oben S. 12 f.) 26 . Über die ehemals athematischen Verben hinaus sind aber auch die jejjo-Verben zu nennen, die in Klasse VI besonders stark vertreten sind, oder auch Verben mit andern Suffixen, ζ. B. »-Suffix. Als ehemaliges athematisches Verb kann man vielleicht an. taka ansprechen, weil daneben im Got. eine vollstufige Form (tekan) vorliegt. Allerdings ist die Etymologie des Wortes unsicher26. Zu den ye/yo-Präsentien ist zu bemerken, daß der grammatische Wechsel nie so zu spielen scheint, wie man es bei unveränderter ursprachlicher Betonung erwarten möchte27. Nehmen wir das Wort heben, so erwarten wir ein Paradigma habjanlhoflhofumjhabans. Statt dessen weisen imAhd. die belegten Formen mit f ausgerechnet aufs Präs., während das Prät. und das Part. Prät. immer b (bzw. p) zeigen. Daneben kommen /»-Formen auch im Präs. vor (die andern Sprachen zeigen keinen sichern grammatischen Wechsel). Neben habjan, das zu lat. capto stimmt, lassen sich etwa noch ahd. sebben, as. 23
bezweifelt das Alter der lat. Bildung edi, ai. äda u. a. mit Hinweis auf angebliches got. at, und auch FOURQUET spricht merkwürdigerweise v o m Mischtyp at-etum. Dabei deuten got. Prät. fret (zu fra-itan), sowie die andern germ. Sprachen eindeutig auf *et (nicht dagegen got. fra-atjan usw.!) Vgl. auch KRAUSE, § 2 3 1 ; HIRT
KIECKERS, 2 1 7 f. u s w . 24 25
28
27
Grttndr. II, 3, 484; vgl. auch WAGNER, 28. Ob man bei diesem Übergang eine Zwischenstufe e X oder X e anzusetzen hat, ist hier nicht wichtig. DE V R I E S (U. d. W . ) denkt an germ. Neubildung. Vgl. aber noch HOLT, Bibliotheca Orientalis 15 (Leiden 1958), 155f. Teilweise rechnet man allerdings mit schon ursprachlich durchgeführter Stammbetonung. Betonte Schwundstufe zeigt auch das A i . ; vgl. H I R T , Idg. Gr. V I , 2 1 6 f .
17
1. Der Ausbau der Ablautklassen im Germanischen
afsebbian (vgl. lat. sapiof8 und vielleicht got. hlabjan ,lachen' (wozu möglicherweise κλώσσω, .gluckse' gehört) vergleichen. Nach dem System der andern Klassen müßten wir hier im Prät. PI. Schwundstufe erwarten, d. h. dieselbe Stufe wie im Präsens und Part. Wie es zur Tilgung dieser Schwundstufe kam, ist unbekannt. Man darf auf die ähnliche Entwicklung bei Klasse V hinweisen. Zu dieser Gruppe lassen sich etwa 30—40 Zeitwörter zählen, wovon die Hälfte gesamtgermanisch, der Rest meist ebenfalls gut belegt ist. 3. Schließlich finden sich in dieser Klasse nach allgemeiner Ansicht eine Reihe von ehemaligen e-Verben. Zwei Möglichkeiten werden hier ins Auge gefaßt. Einerseits rechnet man mit idg. Perfekta mit Dehnstufe und Ablaut zu e-Verben, d. h. mit Perf. auf -δ- zu e-Verben. Weil damit das Perf. mit den unter 1. und 2. genannten Bildungen zusammenfiel, erhielt das Präsens solcher Wörter ein α statt des ursprünglichen e (vgl. noch an. grefa neben grafa ,graben' ?) Andererseits ist man darauf aufmerksam geworden, daß sich unter den hierhergehörigen ursprünglichen e-Verben oftmals y-Präsentien finden. Darin will man ein Iterativpräsens (mit regelmäßiger Ablautstufe) sehen, das das alte Präsens schließlich verdrängt und dann ein neues Präteritum nach schon vorhandenen Mustern gebildet hätte. Die zwei Möglichkeiten lassen sich so schematisieren: a) greb-, Perf. grob- > grab-jgröbb ) swer-, Perf. swar}> swarj-IVeri. swar
> swarj-/Feit,
swör-2®.
Iterativ swarj- , An dieser Stelle könnte man auch KuRYtowiczs Deutung einsetzen (bei der Erklärung der Umwandlung von swarj-jswar-). Doch ist dies unter der Voraussetzung, daß die unter 2. genannten Verben älter sind als die Bildungen hier, eine unnötige Verumständlichung. Auf die
Das Präs. ist as. nicht belegt. Fürs Ahd. pflegt man zum Prät. intsuab ,er gewährte, gewahrte* unter Mißachtung von imebben ,inveniunt' (Gl. II 238, 2) ein *seffen anzusetzen und daneben für die Erklärung von iniebben ein schwaches Verb zu fordern; vgl. SCHATZ, § 452. Das halte ich für eine überflüssige Verumständlichung. Daß wir Formen mit b im Präs. ebensogut wie solche mit / erwarten können, zeigt hafjanjhabjan. Daran ändert natürlich auch nl. beseffen nichts. Vgl. im übrigen den Anhang und mhd. entsebben. 19 Vgl. FLASDIECK, „Die redupl. Verben des Germanischen", sowie BRUGMANN, 28
IF 32 (1913), 179—95. Anders GÄRTCHEN, Die primären
Präsentia
mit
o-Vokalis-
mus in den idg. Sprachen, der an eine Art syntaktische Assimilation als Ursache des a-Vokalismus bei «-Verben denkt. Die betreffenden Zeitwörter hätten gewöhnlich ein inneres Objekt bei sich von derselben Wurzel wie das Zeitwort, aber mit o-Vokalismus, der sich dann aufs Verb ausdehne; also gewissermaßen * Jeron far ,eine Fahrt fahren* > faran far. Vgl. weiterhin CHRISTIAN STANG, Das slaviscbe und baltische Verbum, Oslo 1942, 39; dens. in Ungut Posnaniensis I (Posen 1949), 153, sowie ROLF HIERSCHE, IF 68 (1963), 149—59 (mit weiterer Lit.). Zu einer
ähnlichen Erscheinung im Baltischen vgl. KUIPER, 1937, 181. 2 Hinderimg
18
I. Teil: Verbalnomen und starkes Verb
ursprüngliche Flexion als e-Verben scheinen noch gewisse Nomina zurückzuweisen, so etwa got. ga-faurds ,Rat, Versammlung', ahd. furt m. jFurt' 30 . Da die /-Präsentien zu starken Verben vor unsern Augen durch y'-lose Bildungen ersetzt werden, ist es möglich, daß man mit der Erklärung b. allein auskommt. Entscheidend für den Anschluß dieser e-Verba an die obige Gruppe (1. und) 2. war vermutlich gerade die ^'-Bildung: *swarjan wie skapjan. Dieser Gruppe sind etwa 12 Zeitwörter zuzuzählen; die Hälfte ist gesamtgerm. belegt, die übrigen im allgemeinen ebenfalls gut belegt. Wenn wir die Klasse VI insgesamt überblicken, so können wir folgendes festhalten: Es ist möglich, daß man auf rein lautgesetzlichem Weg zum Ablaut α/δ kommt (1.). Sicher ist es nicht, und vor allem sind es nur sehr wenige Beispiele, die so erklärt werden können. Bei den laryngalhaltigen Verben kommen wir in vielen Fällen zwar ebenfalls zu einem Ablaut a/ö auf lautgesetzlichem Wege. Nicht erklärt werden kann aber auf diese Weise der Plural des Prät. Nicht erklärt ist weiterhin ein Beispiel wie skapjan, weil wir hier ein Prät. *skeß zu erwarten hätten (vgl. IEW, 950)31. Auch hier und vor allem in Gruppe 3 zeigt sich demnach eine systematisierende Tendenz in der Geschichte des germ, starken Zeitwortes, und insofern kann man auch bei Klasse VI von einem Ausbau des Ablauts im Germanischen sprechen. Schließlich können wir wieder auf den /-Umlaut hinweisen, der in der jüngsten Entwicklungsschicht auch im Präsens dieser Klasse eine Alternanz entwickelt. Diese Entwicklung, die hier nur gerade genannt werden soll, gilt weitgehend auch in der folgenden Klasse, ohne daß sie nochmals erwähnt würde. V e r b a l k l a s s e VII Im Gotischen entspricht ihr bekanntlich die reduplizierende, im allgemeinen ablautlose Klasse, weshalb man versucht hat, die hierhergehörenden Präterita des „Spätgemeingermanischen" als ursprünglich reduplizierend aufzufassen32. Durch Verschmelzung des Doppelungs80 Anders zu gafattrds K U R Y L O W I C Z , Apophonie, 211—4. —Das sw. Zw. farjan (got. an. as. ahd.) könnte noch zeigen, daß man auch faran sehr wohl nach b. erklären kann (anders FLASDIECK, 339). Das Nebeneinander von farjan und faran ist doch
31 82
am einfachsten so zu erklären, daß sich der Systemzwang eines ursprünglichen Paradigmas farjanjför in zwei Richtungen ausgewirkt hat, einerseits also ein schwaches Prät. zu farjan, andererseits ein /-loses Präsens zu för erzeugte. Der Formenanfall wäre dann bedeutungsdifferenzierend ausgenutzt worden. Vgl. dazu auch FOURQUET, 66. Diese Theorie ist wahrscheinlich doch noch nicht erledigt. Vgl. vor allem H. LÜDTKE, „Der Ursprung des germanischen e2 und die Reduplikationspräterita", aber auch noch C. SOETEMAN, „Das e2 und die sogenannten reduplizierten Präterita im Deutschen", Neophtlologus 37 (Groningen/Djakarta 1953), 140—6. —
1. Der Ausbau der Ablautklassen im Germanischen
19
vokals mit der Wurzelsilbe wäre dann ein sekundärer Ablaut entstanden. Demgegenüber erklärt V A N C O E T S E M den sekundären Ablaut in Klasse VII als durch Analogie zu den starken Zeitwörtern der übrigen Klassen entstanden. Das heißt: Das Prinzip des Ablautes dehnte sich auch auf die ablautlosen starken Zeitwörter, die die Doppelungssilbe verloren hatten, aus (vgl. an. Prät. sveip zu sveipa). Da die meisten ehemals reduplizierenden Verba aber ein α im Präs. aufweisen, also eine Stufe, die die übrigen Klassen (außer VI) im Prät. zeigen, weicht das Prät. hier in den e-Vokalismus aus als Folge der Proportion (Präs.vokal: Prät.vokal = ) e:a = a:x (woraus χ = e). Diese Hinweise genügen für unsere Zwecke. Wir halten wieder fest, daß wir auch hier — auf welchem Wege auch immer — neue Ablaute bekommen und zwar ehaltige Stammstufen, von denen hier vor allem das e2 wichtig ist (die andern Ablaute kommen auch sonst schon vor). Damit können wir den kurzen Überblick zusammenfassend beschließen: Es sollte gezeigt werden, in welchem Umfang sich der ererbte Ablaut im Germ, durch eine Reihe von unursprünglichen Ablauten vermehrt. Aus einem idg. ejo-Ablaut wird im Germ, ein Ablaut, an dem mehr oder weniger das gan^e Vokalsystem beteiligt ist. Viele Einzelschritte der Entwicklung liegen im Dunkel oder sind umstritten. Unbestreitbar ist, daß das Ziel der Entwicklung grundlegend anders ist als der Ausgangspunkt. Dies soll die folgende Übersicht nochmals deutlich machen (die jüngern a- und /-Umlaute im Präs. und Part, lassen wir dabei weg, ebenfalls einige Prät.bildungen bei Klasse VII): Verbalklas se: I II III IV V
Ursprünglicher Ablaut:
i/ö/0-Ablaut in Wurzeln mit auslautenden
i U RK*
Ziel der Entwicklung: 11 ai/ i eu 1 au 1 u bzw. ΰ / au 1 u eRK 1 aRK j u R K eR 1 aR / eR / u R
vermutlich e/o-Ablaut mit Wiederherstellung der „Schwund"stufe. Nur vor Konsonant
eK I aK 1 eK / eK
VI
ζ. B.
a / ö / (δ) / a
VII
gewöhnlich ohne Ablaut
XjoXIX?IX
ai / e / e / ai (ζ. Β.)
*) wobei R φ /, u Über die Etymologie der Verben dieser Klasse vgl. die umfassende Studie von Auf die Entstehung des Präs.vokalismus gehen wir hier nicht mehr näher ein. FLASDIECK.
2*
20
I. Teil: Verbalnomen und starkes Verb
Die neuerworbenen Ablaute sind fettgedruckt. Doch ist dies eigentlich noch immer nicht die ganze Wahrheit. D a das ejo-System, d. h. germ.