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German Pages 20 [24] Year 1902
SONDERABDRUCK
STRASSBURGER FESTSCHRIFT ZUR
XLV1. VERSAMMLUNG DEUTSCHER PHILOLOGEN UND SCHULMÄNNER HERAUSGEGEBEN
VON DER PHILOSOPHISCHEN F A C U L T Ä T DER KAISER-WILHELMS-UNIVERSITÄT
R. REITZENSTEIN SCIPIO AEMILIANUS UND DIE STOISCHE RHETORIK
STRASSBURG VERLAG VON KARL J. TRÜBNER 1901
R. REITZENSTEIN
SCIPIO AEMILIANUS UND DIE STOISCHE RHETORIK Die Existenz einer stoischen Rhetorik zu erweisen und ihre Einwirkungen auf die Entwicklung der xéxvri wie der Sprache zu verfolgen, ist in neuster Zeit mehrfach versucht worden, zuletzt von mir selbst in den Nachträgen zu dem kleinen Buch M. Terentius Varro und Johannes Mauropus von Euchaita; ich setze der Kürze halber jene Ausführungen hier voraus; ich beschränke mich ferner — abgesehen von einer Kleinigkeit, in der mein Freund und College Br. Keil und ich unabhängig von einander zusammengetroffen sind — auf das Lateinische und auch hier nicht auf die Theorie, sondern auf die Beobachtung der Praxis. Nicht durch neue philosophische Gedanken, sondern dadurch, dass sie entschlossen die Erbschaft des aristotelischen Universalismus antrat, in alle Zweige der Wissenschaft eingriff und für sie ein System zu schaffen wusste, hat die Stoa ihre Bedeutung für die Entwicklung des Menschengeistes. Wie weit und wie tief ihre Wirkungen reichen, könnte am besten eine Geschichte des religiösen Empfindens im Altertum lehren; unberührt von ihr ist aber auch keine Téxvri geblieben, auch die Rhetorik nicht, über die schon ihre ersten Vertreter von Zeno bis Chrysipp in besonderen Schriften gehandelt haben. Einen starken Fortschritt brachte die mittlere Stoa; in Griechenland wie in Rom treten Redner auf, welche die Lehre der Stoa ins Praktische übertragen; Cicero muss sich mehrfach gegen sie wenden. Am ausführlichsten geschieht es im Brutus 116: habemus igitur in Stoicis oratoribus Rutilium, Scaurum in antiquis. utrumque tarnen laudemus, quoniam per illos ne haec quidem in civitate genera hac oratoria laude caruerunt tum Brutus: quam hoc idem in nostris contingere intellego quod in Graecis, ut omnes fere Stoiciprudentissimi in disserendo sint et id arte faciant sintque architecti paene verborum, eidem traducti a disputando ad dicendum inopes reperiantur; unum
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R . Reitzenstein
excipio Catonem, in quo perfectissimo Stoico summam eloquentiam non desiderem, quam exiguam in Fannio, ne in Rutilio quidern magnam, in Tuberone nullam video fuisse1. Die Fortsetzung zeigt, dass die Einleitung zu den Paradoxa Stoicorum
aus demselben Gedankenzusammenhang stammt. Hier wird im allgemeinen die Sprache der Stoa charakterisiert: nullum sequitur florem orationis neque dilatat argumentum; minutis interrogatiunculis quasi punctis quod proposuit, efficit. H i e r m i t b e r ü h r t
sich wieder eng de fin. IV 5—7 und auch hier wird — wieder ganz allgemein — die stoische Redeweise charakterisiert: pungunt quasi aculeis interrogatiunculis angustis, quibus etiam qui assentiuntur, nihil commutantur animo et idem abeunt, qui venerant.
Man muss freilich alle drei zeitlich sich ja sehr nahestehenden Stellen in ihrem Zusammenhange lesen, um zu empfinden, dass sie eine Einheit bilden und sich gegenseitig ergänzen. Ihren Zweck lassen die Paradoxa am klarsten erkennen. Der Nutzen der öecreiq, welche der stoische Rhetor ja verächtlich zurückwies2, soll an den Hauptsätzen der Stoa erwiesen werden; nicht gegen einen philosophischen, sondern gegen einen rhetorischen Gegner wendet sich Cicero. Auch in der geschichtlichen Darstellung des Brutus richtet sich die Polemik in der ersten Hälfte vorwiegend gegen die Stoiker, erst im zweiten Teil gegen die Atticisten8. Also gab es im Jahre 46 v. Chr. zu Rom einen stoischen' 1
Hiernach ist bei der vorausgehenden Schilderung des Rutilius (114) zu beurteilen:
prope perfectus esse exilenec astrietior
in Stoicis, satis
est oratio
quorum peracutum
populari
et artis plenum
orationis genus scis tarnen
adsensioniaccommodatum;
aliquantoque
contractior,
quam aures populi
ferner 120:
Stoicorum
requirunt.
Zu den
Charakteristiken der verschiedenen stoischen Redner giebt ein wirkliches Bild aus der G e g e n w a r t offenbar die Z ü g e : Sp. Mummius Stoicorum
(94); C. Fannius
ut vita sie oratione
durus,
den leves o^atiunculae besonders gut. als oratiunculae;
astrietior;
fuit
enim doctus ex
et moribus et ipso genere dicendi durior incultus,
horridus
(117).
(100); Aelius
diseiplina Tubero
..
Individuell wird das Urteil erst bei
des Aelius Stilo und zeigt die Abneigung gegen die ganze A r t noch
Ähnlich bezeichnet Marc Aurel (Fronto p. 34 Naber) die R e d e n Scipios doch werde ich aus ihrer Kürze natürlich keinen
Schluss auf die
stilistische Richtung machen. 2
Vgl. Strabo X I I I p. 609.
Dass C i c e r o dabei die peripatetische
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