Die klassische Bildung als allgemeine Volksbildung: Vortrag gehalten au der 55. Versammlung deutscher Philologen und Schulmänner im Erlangen [Reprint 2019 ed.] 9783111549910, 9783111180656


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German Pages 20 [24] Year 1925

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Die klassische Bildung als allgemeine Volksbildung
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Die klassische Bildung als allgemeine Volksbildung: Vortrag gehalten au der 55. Versammlung deutscher Philologen und Schulmänner im Erlangen [Reprint 2019 ed.]
 9783111549910, 9783111180656

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Die klassische Bildung als allgemeine Volksbildung von

Ernst hornefser Dr. phil., a. o. Professor der Philosophie in Gießen

Vortrag gehalten auf der 5 5. Versammlung deutscher Philologen und Schulmänner in Erlangen

1925 Verlag von Alfred Opelmann in Gießen

3n bewegten Zeiten, wenn große Veränderungen im Menschenleben eintreten, hat die Erziehung einen schweren Stand. Sie setzt im Grunde eine vollständig geschlossene und zugleich anerkannte, allgemein-gültige Be­ trachtung der Dinge voraus, welche sich nicht auf eine Vorstellung von der Wirklichkeit beschränkt, sondern einen höchsten, allbestimmenden wert mit der Auffassung des wirklichen verknüpft. Kus diesem obersten werte ent­ fließen die einzelnen Normen für das Nulturleben in seinen verschiedenen Abzweigungen. Das Amt der Erziehung ist es, in diese allseitig aner­ kannten, geglaubten Normen hineinzuerziehen, die einzelnen Maßnahmen ausfindig zu machen, welche geeignet sind, die Jugend in dieses geschlossene System von Normen einzuführen, und zwar so, daß die Jugend dieses System nicht nur mit dem verstände ergreift und also begreift, sondern daß es diese Normen in das Gemüt aufnimmt, mit warmen Gefühlen um­ klammert, woraus allein die Kraft hervorgehen kann, diese Normen in der gesamten Lebensgestaltung zu bewähren und durchzuführen. (Es liegt am Tage, daß sich unser Zeitalter nicht rühmen kann, eine solche einheitliche Betrachtung der Dinge, welche auf allgemeine Aner­ kennung Anspruch erheben kann, zu besitzen. Innerlich zerrissen, von Spannungen ausgefüllt sind alle Zeitalter, völlig eindeutig und bestimmt ist keine Epoche. Aber weite Zeitstrecken hindurch können gewisse Grund­ richtungen der Weltbetrachtung vorherrschend sein, die der Erziehung einen festen halt geben, weil sie ihr ein festes Ziel vor Augen stellen. In dieser Notlage stoßen wir heute häufig auf eine nicht ungefährliche Selbstüberschätzung der Pädagogik, weil sie aus dem Zwange ihrer Aufgabe heraus das Ziel, welches ihr die Zeit nicht mit Klarheit und Bestimmtheit zur Verfügung stellt, sich selbst zu schaffen sucht, wozu sie von sich aus niemals imstande ist. Die Pädagogik kann niemals führen, sondern immer nur folgen. Es ist die Aufgabe der allgemeinen Philo­ sophie oder der Religion, dieses Ziel zu umreißen, es aus dem höchsten werte, den sie gefunden, abzuleiten. Es muß hier unerörtert bleiben, welche der beiden genannten Mächte, Religion oder Philosophie, diese Aufgabe zu leisten hat, ob vielleicht beide gleichzeitig und in welcher gegenseitigen Ab­ grenzung und Ergänzung zu diesem Amte berufen sind. — Die Schwierigkeit der Pädagogik steigert sich aber ins Unermeßliche, wenn nicht nur die Vorstellungswelt der Menschen zerrüttet ist, sondern wenn damit im Zusammenhänge und vielleicht im Gefolge dieser Ver­ wirrung auch die realen Verhältnisse des Menschenlebens selbst erschüttert

4 sind, wenn zugleich die soziale Ordnung in einer Umbildung begriffen ist. (Es steht außer Zweifel, daß dies heute der Fall ist, und zwar in einem Ausmaß, bis in eine Tiefe, wie es frühere Zeitalter nicht erlebt haben. (Ein denkwürdiger Vorgang spielt sich in unserem Zeitalter ab, von dem es noch gänzlich ungewiß ist, ob er zum Segen oder Unsegen der Mensch­ heit ausschlagen wird, ob er die Kultur bereichern und erhöhen oder ver­ nichten wird. Beides ist möglich. Und es wird zum großen Teil gerade von der Erziehung abhängig sein, ob unsere Kultur dieses mächtige Er­ eignis überdauern, es sich gleichsam einverleiben oder an ihm zerbrechen wird. Dieses gefährliche Ereignis ist die Erhebung der Massen. (Es hat in früheren Zeitaltern niemals im eigentlichen und strengen Sinne eine Demokratie gegeben. Sondern immer war es auch in den als demo­ kratisch bezeichneten Ordnungen von Staat und Gesellschaft eine vergleichs­ weise dünne Oberschicht, welche das Gemeinwesen in Staat, Wirtschaft und Bildung leitete, heute aber ist das gesamte Volk bis zum letzten, un­ scheinbaren Volksgliede eingeströmt in Staat, Wirtschaft, Kultur mit dem Anspruch auf Mitbestimmung über alle Angelegenheiten des Menschenlebens. Eine ungeheure Masse hängt sich gleichsam an die überkommenen Kultur­ werte an, welche ehemals von einem kleinen und engen Kreise führender Schichten geschaffen und für solche geschaffen waren. Werden die zarten Kulturwerte die gewaltig niederziehende Wucht dieser Massen aushalten können? Werden die herzuströmenden Massen die in einer langen, arbeits­ reichen Geschichte gewonnenen Kulturwerte stützen und steigern, durch die begehrte Anteilnahme heben und fördern, wie weit und breit gehofft wird? Oder muß dieser Zustrom von Massen der Kultur zum Verhäng­ nis werden, daß sie vergröbert, herabgewürdigt oder gar völlig zugrunde gerichtet wird? Die Gefahr ist unbeschreiblich groß. Und es erhellt aus diesen Zusammenhängen, daß die Erziehung vor einer unsäglich schwie­ rigen Aufgabe steht, um diese Gefahr zu beschwören, um die große Zahl so auszurüsten, innerlich so zu bestimmen und zu beeinflussen, daß sie die ererbten Kulturgüter nicht zerschlagen und nicht verwüsten, sondern mit­ tätig und sördersam an ihrer Weiterführung schaffen. — Die ganze Größe dieser pädagogischen Aufgabe enthüllt sich uns, wenn wir ihr die gegenwärtigen Bildungsverhältnisse in unserem Volke gegenüberstellen, wenn wir mit dem angedeuteten Ziele den tatsächlichen Bestand unserer allgemeinen Volksbildung vergleichen. Ich muß an dieser Stelle einige schroffe und deshalb vielleicht verletzende Behauptungen ausstellen. Ich schicke voraus, daß allgemeine Urteile über gewisse Zeitverhältniffe, über einen weiteren Umkreis menschlicher Zustände notwendig immer Ungerechtig­ keiten für einzelne, ja zahlreiche Fälle einschließen. Denn bei der unend­ lichen Mannigfaltigkeit des menschlichen Lebens gibt es stets viele Ab­ weichungen. Dennoch aber ist das Bemühen gerechtfertigt und unvermeid­ lich, allgemeine Urteile abzugeben, die große Fülle der Erscheinungen ein­ heitlich zusammenzufaffen und zu charakterisieren. Mit dieser Einschränkung spreche ich meine Behauptungen aus, in der Zuversicht, daß sie im We-

sentlichen, im Großen und Ganzen die vorwaltenden Verhältnisse richtig kennzeichnen werden. Da ist zunächst zu sagen, daß die breiten Schichten unseres Volkes völlig denkunfähig sind. Vie Zähigkeit, selbständig und richtig zu urteilen, ist in den weiteren Volkskreisen geradezu erschreckend gering. (Es macht den Eindruck, als ob die Kunst zu urteilen den grö­ ßeren Massen unseres Volkes überhaupt noch niemals nahegebracht worden sei, als ob sie noch niemals in eine Schule des Denkens genommen wären. Aus der Volksschule bringen die Zöglinge die Beherrschung gewisser tech­ nischer Zähigkeiten mit, die ein Kulturvolk von seinen Volksgliedern ver­ langt: Lesen, Schreiben, Rechnen. Mit diesen Fähigkeiten leidlich ausge­ stattet treten die Menschen in das Leben ein und werden dann ein (Opfer der hohlsten Schlagworte. Die Schlagworte treiben mit unseren Massen ihr Spiel wie mit einer wehrlosen Beute. Ich wiederhole: es gibt zahl­ reiche Ausnahmen. Aber richtet man den Blick auf das Allgemeine, sucht man die durchgehende Erscheinung zu erfassen, dann wird man diese Fest­ stellung bestätigen müssen. Das unabhängige Urteil ist in unserem Volke so gut wie garnicht ausgebildet, der Mangel an Denkfähigkeit ist unsäg­ lich groß. Aber noch schwerer wiegt, daß ein großer Teil unseres Volkes, wie er nicht richtig denken kann, so auch nicht richtig fühlen kann. Auch die elementaren, wichtigsten, grundlegenden Wertgefühle sind in dem all­ gemeinen Volke nicht ausgebildet. Auch hier liegt alles furchtbar im Argen. Ich behaupte, daß ein gewaltiger Bruchteil unseres Volkes weder Staatsgefühl noch Kulturgefühl besitzt. Auch auf diesem Gebiete dürfen uns Ausnahmen nicht irre machen. Wir müssen auf das Ganze schauen und den Mut haben, das Geschaute rückhaltlos auszusprechen. Und so erkläre ich, daß große Massen unseres Volkes auch nicht eine Spur von Staats­ gefühl besitzen. Sie kennen in ihren Wertgefühlen nichts, rein garnichts als ihr persönliches Selbst und dessen materielles Intereste. Mit diesem ihren materiellen Interesse sind sie nur an ihren Stand, an ihre Klasse gebunden. Der Klassenegoismus aber ist in seiner Auswirkung noch viel furchtbarer als der rein individuelle Egoismus, weil der letztere durch den Klassenegoismus geweiht, geheiligt erscheint und sich deshalb erst hemmungs­ los ausrast. Der Klassenegoismus ist der Tod des Staates, jedes Gefühls und jeder Verantwortung für die Gemeinschaft und Einheit. Dieses Unheil wird nicht dadurch bester, daß das Gift des Klassengedankens mehr oder weniger unser gesamtes Volk zerreißt. Die Sünde des einen wird durch die Sünde des andern nicht entschuldigt. Die Tatsächlichkeit dieses Zustan­ des wird nicht bestritten werden können. Ich schrecke nicht vor der Be­ hauptung zurück, daß, als unser Volk den Krieg verloren hatte, weite Kreise unseres Volkes diese entsetzliche Niederlage gar nicht als Schmerz empfunden haben. 3m Gegenteil, sie empfanden eine wahrhaft grimmige Freude darüber, daß sich durch diese Niederlage die bis dahin leitenden Kreise unseres Volkes endlich bis auf die Knochen blamiert, damit abge­ wirtschaftet hatten. Dieses Gefühl des Hohnes war das einzige Gefühl,

6 zu dem sie sich aufschwingen konnten. Die behauptete Tatsache ist durch unzählige Beweise zu belegen. Und nun das Kultur-Gefühl, die Wertschätzung der geistigen Güter! Man darf die Augen nicht verschließen vor den unangenehmen und pein­ lichen Eindrücken, die uns jeder Tag entgegenbringt, wenn wir uns für den seelischen Zustand unseres Volkes verantwortlich fühlen, müssen wir über die engen Schranken unserer Studierstube hinausblicken und die Dinge in ihrer nackten Wirklichkeit zu erfassen suchen, die nicht erfreulich ist. Es gibt einen recht großen Teil unseres Volkes, der geistige Arbeit überhaupt nicht für Arbeit hält, wer diese Tatsache nicht aner­ kennt, von dem behaupte ich, daß er völlig blind durch unsere Zeit hin­ durchschreitet, sich nicht die Mühe nimmt oder nicht die Fähigkeit hat, das, was sich um ihn herum abspielt, wahrzunehmen. Es steht wirklich so: große Massen unseres Volkes schätzen die geistige Tätigkeit so gering ein, haben eine so geringe Vorstellung von geistigem Bilden und Schaffen, daß es in ihren Augen die reine Nichtigkeit ist. Auch hier können die vielfachen Erscheinungen gegensätzlicher Gesinnung nicht die Wahrheit dieser Tatsache, nicht diese trostlose Erfahrung umstotzen. Die geschilderte Anschauung ist nichts geringeres als der Einbruch und Anbruch der Bar­ barei. Alle Kultur beruht auf der Wertschätzung des Geistes, auf der Ehr­ furcht vor dem Geiste, auf der dankbaren Anerkennung geistiger Leistungen, wenn die Ehrfurcht vor dem Geiste und seiner überlegenen würde schwin­ det, ist die Kultur im Niedergänge begriffen. Es ist das Anzeichen und Kennzeichen, daß eine furchtbar gefährliche Wendung in dem Kulturstreben eingetreten ist, daß nicht mehr ein Streben zur Kultur, sondern ein Stre­ ben fort von der Kultur um sich gegriffen hat. wir sind in Deutschland so stolz auf unsere Bildung, so stolz auch auf unsere Schulen gewesen, die diese Bildung vermitteln und in unser Volk verpflanzen. Und die deutsche Volksschule haben wir sogar immer als ein wahres Prunkstück unserer Erziehungskunst hingestellt. Und das ist nun das Ergebnis unserer so hoch gerühmten Volksschule, daß ein erheblicher Teil unserer Bevölkerung, der ihre Erziehung genossen hat, dem Geiste so entfremdet ist, allem Geistigen so feindselig und ahnungslos gegenübersteht, daß er jeder geistigen Arbeit und Bemühung, welcher Art sie auch sei, die Anerkennung versagt. Und dazu nehme man die um sich greifende Wertschätzung und pflege des Sportes, der nur körperlichen Betätigung und Auszeichnung. Ich weiß wohl, wie notwendig für unser Volk und namentlich in seiner gegenwärtigen Lage die Ausbildung der körperlichen Kraft und Tüchtig­ keit ist. Aber die gefährliche Neigung unseres Volkes zum Extrem hat dieser an sich so lobenswerten Bestrebung einen Umfang gegeben, eine Rangschätzung verschafft, daß nach gerade jedes höhere geistige Streben dadurch gefährdet, der Sinn für die geistigen Aufgaben der Kultur er­ schüttert ist. Auf den fänden trägt man die Boxer durch die Straßen, jede Summe steht für diese Bestrebungen zur Verfügung, während die geistigen und künstlerischen Einrichtungen in unserem Volke sich nur mit

äußerster Not am Leben erhalten können. Fast scheint es in Vergessenheit geraten zu sein, daß unser Volk einst und noch ganz vor kurzem das geistigste Volk unter den gegenwärtigen Kulturvölkern gewesen ist. Unser Volk scheint sich so gewaltsam von seiner gesamten Vergangenheit, einer großen Vergangenheit loszureißen, daß es auch die Wurzeln abzuschneiden droht, aus denen alle Kultur allein erwachsen kann. Ich habe schwarz gemalt. Aber wir müssen uns die Gefahr, die in dieser Erscheinung lauert, vergegenwärtigen, wenn wir uns die Frage beantworten wollen: was hat unter den obwaltenden Verhältnissen die Erziehung zu leisten? Daß noch alles zu gewinnen ist, davon bin ich fest durchdrungen. Daß aber auch alles zu verlieren ist, ist mir nicht minder gewiß.— Befremdet wird man mich fragen, weshalb ich diese Darstellung nicht vor einem ganz anderen Forum, etwa unseren Politikern, vor den Schulbehörden oder in erster Linie vor den Vertretern der Volksschule entwerfe und mit diesen Kräften auf Abhilfe sinne. Das Problem ist ein allgemeines Problem, gehört vor das ganze deutsche Volk. Daß ich es vor den Philologen und Schulmännern der höheren Lehranstalten zur Sprache bringe, hat seinen Grund darin, daß dieses Forum in erster Linie berufen ist über die L ö s u n g ein Urteil abzugeben, die ich für diese Not­ lage in Vorschlag bringen will. Die Volksschule wird von sich aus, mit ihren Lehrzielen und Lehrkräften die hier umrissene Aufgabe nicht bewäl­ tigen können. Sie wird Anlehen machen müssen bei dem höheren Schul­ wesen und zwar gerade bei derjenigen Schule, der die Vertreter der Volks­ schule die größte Abneigung entgegenzubringen pflegen, nämlich bei dem Gymnasium, bei der klassischen Bildung. Diese befremdliche Erklärung be­ darf der Begründung, damit komme ich zu dem Ziel meiner Ausführungen. Die heutige Volksschule vermittelt die Kenntnis und Beherrschung der notwendigsten technischen Elemente unseres Kulturlebens, lesen, schreiben, rechnen. Es liegt auf der Hand, daß die Ausbildung in diesen technischen Elementen nicht genügen kann, daß sie durch das Wesentliche, die sittliche Bildung, die eigentliche Erziehung ergänzt werden muß. Ehemals nun wurde diese sittliche Erziehung in der deutschen Volksschule großartig geleistet. In dieser sittlichen Erziehung lag der wahre Wert und das große Verdienst unserer früheren Volksschulbildung, der unsere Nation Unermeßliches zu danken hat. Aber gerade diese sittliche Bildung, die die allgemeine Volksschule neben der unerläßlichen technischen Schulung vollbringen soll, stößt heute auf die stärksten Hemmnisse, die fast unüber­ windlich sind. Die sittliche Bildung war früher mit der religiösen Erziehung eng verknüpft, ja war mit dieser ein und dasselbe. Der Religionsunter­ richt mit der biblischen Geschichte und Katechismuslehre war der eigentliche Wittel- und Kernpunkt der alten Volksschule, aus der unerschöpfliche Kräfte in die deutsche Volksseele einströmten. Die Volksschullehrer waren damals gleichsam die Unteroffiziere unserer sittlichen Bildung, die mit ihrer vor­ trefflichen Pädagogik die sittliche Bildung einpaukten, und zwar so, daß sie fest saß und für das ganze Leben standhielt. Die Volksschullehrer

8 werden diesen vergleich bei ihrer heutigen Verletzlichkeit als krankend empfinden. Ich meine aber diesen vergleich in hohem Sinne. (Es roar eine wundervolle Aufgabe, die jeden Ehrgeiz befriedigen konnte und worin das ältere Geschlecht der Volksschullehrer mit seiner schlichten Anspruchlosigkeit auch seine volle Befriedigung und seine Berufsehre gefunden hat. Vas ist nun heute alles anders geworden. Ich verkenne nicht, daß die konfessionellen Kirchen noch einen weitgehenden und tiefen Einfluß auf unser Volk ausüben, was auch in der Erziehung der Volksschule zur Geltung kommt. Und man mag sich dem Glauben hingeben, daß dieser Einfluß der konfessionellen Kirchen außerhalb der Schule und innerhalb der Schule weiter dauern und sogar wieder stärkere Macht erlangen werde. Aber es hieße die Augen vor den bedeutsamsten Tatsachen ver­ schließen, wenn man verkennen wollte, daß die kirchlich-konfessionelle Reli­ giosität in unserem Volke trotz äußerer Zugehörigkeit zu den Rirchen erheb­ lichen Abbruch gelitten hat. Ein recht großer Teil unseres Volkes und namentlich aus den Schichten, die die Rinder der Volksschule stellen, ist dem Einfluß der Rirche entglitten. Und es ist nicht abzusehen, wie das in kurzer Zeit sich sollte ändern können. Vies Verhältnis nun bringt die Erziehungsaufgabe der Volksschule in die größte Schwierigkeit. Wo die Lehrer selbst und die Familien, aus denen die Zöglinge stammen, innerlich treu und gläubig an dem überlieferten Rirchentum hängen, wo diese wechsel­ seitige Übereinstimmung stattfindet, da entfaltet die Volksschule ihre alte ungebrochene Kraft, was namentlich in katholischen Gebieten der Fall ist. Aber welche Hemmungen müssen sich einstellen, wenn diese religiösen Über­ zeugungen nicht mehr Lehrer und Schüler verbinden! Ver fromme Lehrer ar­ beitet dann mit aller Hingabe vergeblich. Was er in die kindliche Seele einpflanzt, reißt der Unglaube der Familien, die zuletzt einen weit größeren Einfluß haben als die Schule, immer wieder aus. Am unglücklichsten aber wird die Lage, wenn die Lehrer selbst nicht mehr mit klarer Einfachheit auf dem Boden des konfessionellen Rirchentums stehen und doch in dieser Religionslehre erziehen sollen. Vie Volksschullehrer sind, wie bekannt, die hauptträger der religiösen Aufklärung in den breiteren Volkskreisen geworden, die Vertreter der inneren Ablösung von dem überkommenen Rirchentum, woraus ich ihnen gewiß keinen Vorwurf mache. In ihrem schweren Berufe spiegelt sich und kommt geradezu tragisch zur Geltung die tiefe Notlage unseres religiösen Lebens, daß der alte Glaube vielfach seine Macht ein­ gebüßt hat, ein anderer Glaube aber nicht aus der Tiefe unserer Volks­ seele emporgestiegen ist. Und nun irrt diese Seele ruhelos hin und her. Was aber ist nun die Folge dieser schlimmen und beängstigenden Lage? Daß unsere Volksschule so gut wie garnicht mehr erzieht, weil sie nicht mehr erziehen kann — immer mit der Einschränkung, daß religiös-kon­ servative Gebiete auszunehmen sind. 3m übrigen aber steht die Volksschule hoff­ nungslos vor ihrer Erzieher-Aufgabe. Mit den bloß technischen Fähigkeiten ausgestattet, treten unsere volksmaffen in das Staats- und Kulturleben ein. Wie kann man sich wundern, daß sie kein Verständnis für diese Werte

9 mitbringen, sich nicht darin zurechtfinden, störend statt fördernd wirken? Ihnen fehlen alle Voraussetzungen für eine gedeihliche Mitarbeit. Die Persönlichkeit des Lehrers als Beispiel genügt nicht, so groß der Wert des persönlichen Vorbildes ist. Das Beste, was die Volksschule unter den jetzigen Verhältnissen an erzieherischer Kraft leistet, entfließt diesem vorbilde charaktervoller Persönlichkeiten. Aber es braucht nicht erwiesen zu werden, daß dieses persönliche Vorbild nicht ausreicht. Es gibt nicht gar zu viele charaktervolle und vorbildliche Menschen. Keine Schule kann sich auf diesen bloß persönlichen Einfluß der Lehrer verlassen. Sie bedarf überpersönlicher, allgemeingültiger, sachlicher werte von sittlicher Kraft, als deren Vermittler die jeweiligen Lehrer wirken. Die Religion bietet bei den heutigen Zuständen nicht mehr diese überpersönlichen, sachlichen Werte von allgemeingültiger Anerkennung. Andere Fächer aber, an die man denken könnte, wie beispielsweise Geschichte und Deutsch, sind hierzu gleichfalls nicht imstande, weil die deutsche Geschichte viel zu schwierig und verwickelt ist und die deutsche Dichtung in ihren Hauptwerken bei ihrer höhe der Vollendung dem jugendlichen Gemüte noch nicht erschlossen werden kann. (Es handelt sich gerade darum, zum Verständnis des deutschen Staates und -er deutschen Bildung die nötige Vorbereitung zu treffen, eine Vorschule zu schaffen, da sie nicht unmittelbar für den jugendlichen Geist zugänglich sind. Ich glaube, wir müssen nach anderer Richtung Ausschau halten und Rettung suchen. — (Eine der schwierigsten Fragen der Geschichtsphilosophie ist das Ver­ hältnis von Religion und Kultur, häufig, weite Zeitstrecken hindurch finden wir eine mehr oder weniger heftige Spannung zwischen Religion und Kultur. Die Religion knüpft den Menschen an das Ewige an. Die Kultur ist die menschliche Tätigkeit in der Zeitlichkeit. So begreifen wir, daß der Wille zur Zeitlichkeit und der Wille zur Ewigkeit leicht mit­ einander in Widerspruch geraten, daß der Mensch vor der Wahl des Ent­ weder—tvder zu stehen glaubt. Aber das Ideal wird wohl sein, daß das Ewige in das Endliche hineinwirke, alle zeitliche Arbeit und Betätigung ein Symbol ewiger Bedeutsamkeit und Bestimmung sei. Und die geschicht­ liche Erfahrung lehrt, daß jede Kultur zerfällt und sich zersetzt, wenn sie keine religiösen Wurzeln mehr hat, wenn ihr die religiösen Grundlagen und Kräfte absterben. Die Frage der religiös-sittlichen Bildung für unsere künftigen Ge­ schlechter ist vorläufig ein unlösbares Problem. Wir werden recht und schlecht uns mit den geschichtlich gewordenen Verhältnissen abfinden müffen. Um so mehr müffen wir Gewicht auf die Kulturwerte legen und die an­ gemessene Erziehung zu den großen und entscheidenden Kulturwerten an­ streben, nicht als ob die Erziehung zur Kultur die religiöse Erziehung ersetzen könnte. Aber gerade bei dem Mangel oder der Schwäche der religiösen Bildung können die Kulturwerte, wenn sie tief in das Bewußt­ sein der Generationen eingesenkt werden, doch eine sehr bedeutsame Er­ gänzung bilden. Ist mit dieser Kultur-Erziehung auch nicht alles, so ist

10 doch sehr Wesentliches geleistet. Und namentlich bei der Kulturlage der Gegenwart ist auf diesem Gebiete eine unabweisbare Aufgabe vorgezeichnet. Vie Kulturwerte können künftig nicht mehr nur auf der Schätzung einer kleinen aristokratischen Oberschicht beruhen, welcher sich die große, breite Masse in dumpfem Autoritätsgefühl unterordnet. Diese dumpfe Auto­ rität ist für immer verloren. 3n einem Zeitalter, da die große Masse an allen Schätzen der Kultur Anteil begehrt, verfassungsmäßig und tat­ sächlich berufen ist in alle Kultur-Aufgaben hineinzuwirken, deren Gestaltung von der eigenen Mitwirkung abhängig zu machen, in einem solchen Zeit­ alter muß die Gesamtheit des Volkes bis zum letzten, unschein­ barsten volksgliede herab die Grundbegriffe und Grundwerteder Kultur sich aneignen und in das eigene Verständ­ nis aufnehmen. (Es gibt für die Erhaltung der Kultur nur zwei Möglichkeiten: entweder die dumpfe Autorität oder das verständnisvolle Mitwissen und mitwissende Verständnis der Massen. Bei der jetzigen Kulturlage kann nur das zweite Glied dieses Gegensatzes in Frage kommen. Augenblicklich befinden wir uns in einem höchst gefährlichen Zwischen­ zustande, da die Kultur weder durch Autorität noch durch das überzeugte Verständnis getragen wird. Entschließen wir uns aber zu dem letzteren, nämlich ber Gesamtheit unseres Volkes bis in alle Schichten hinein Ver­ ständnis und mit dem Verständnis Ehrfurcht vor den Kulturwerten zu verschaffen und einzupflanzen, dann müssen wir für diesen großen und erhabenen Zweck auch die rechten Mittel ergreifen, dann müssen wir die Erziehung in diesem Sinne von der frühesten Jugend an in der Volks­ schule beginnen. Später läßt sich das nicht mehr einholen, dann ist alles versäumt. (Es ist ein geradezu lächerlich törichter Gedanke gewesen, mit der sogenannten Volks-Hochschule die gegenwärtigen Kulturwerte unmittel­ bar und ohne jede Vorbereitung an unser Volk herantragen zu wollen. Der entsetzliche Mißerfolg dieser Bewegung ist geradezu niederschmetternd. Entweder war die Volkshochschulbewegung nach einem ersten täuschenden Aufblühen alsbald gänzlich ergebnislos, oder es ist der durch Schulbildung einigermaßen vorbereitete Mittelstand, der sich mit der Volkshochschule weiter zu bilden sucht. Die große Masse, für welche eigentlich diese Bemühung bestimmt war, ist fern geblieben. In ihrer überwältigenden Mehrheit hat diese große Masse bis jetzt auch nicht das geringste Bedürfnis nach Weiter­ bildung gezeigt. Das alles ist bis jetzt nur ein frommer Wunsch unklarer Volksbeglücker geblieben. Solche Bedürfnisse müssen durch planmäßige Jugenderziehung geweckt und angeregt werden. Mit dem versuche, von den gegenwärtigen Kulturwerten aus unmittelbar an das Volk heranzu­ gehen, zäumt man das Pferd von hinten auf. — wir müssen zu dem alten, tausendfach bewährten pädagogischen Grund­ sätze zurückkehren, nämlich daß man in die Kultur nur einführen kann dadurch, daß man zu ihren (Quellen und Ursprüngen hin­ führt, wo allein die Elemente ber Kultnr in schlichter Ein­ fachheit vorliegen. Und nur von dem Einfachen kann man zu dem

vielgestaltigen, verwickelten, Kunstreichen der späteren Epochen hinleiten. Diese späteren, reichgegliederten Bildungen kann man nur verstehen, wenn man durch ihre verwirrende Fülle hindurch die einfachen, großen Linien ihrer Elemente, ihres Wesens hindurchschimmern sieht. Diese einfachen Wesenszüge aber, diese Elemente gereifter Kulturerscheinungen kann man nur herauserkennen und durchfühlen, wenn man sie in ihrer ursprüng­ lichen, klaren und schlichten Fassung ohne die späten Zutaten und Über­ wachsungen kennen gelernt und verstanden hat. Nur dann findet man an ihnen einen sicheren Leitfaden, um sich durch das wirre Gewebe über­ ladener Bildungen späterer Epochen hindurchzuwinden. Kurz, man kann die Kultur und ihre werte nur dann verstehen, wenn man die Kultur in ihr em ersten Entstehen belauscht, sie in ihrem ersten werden und Aufkeimen beobachtet hat. Eine andere Möglichkeit zum Eindringen in das Wesenhafte der Kulturwerte gibt er nicht. Nun aber steht außer allem Zweifel, daß die Grundlagen aller höheren Kultur, die Elemente der Kulturwerte, die heute und für immer die Kultur beherrschen und beherrschen werden, ein Werk des Griechentums sind. Es ist dies die weltgeschichtlich ein für allemal feststehende Tatsache, ein Geschehnis, das nicht abzustreiten, auch nicht rückgängig zu machen ist, das man preisen oder schelten mag, an dem man sich erhebt oder ärgert. Die Tatsache als solche ist, ist unabänderliche Wahrheit: die Griechen haben die Elemente jeder höheren menschlichen Kultur mit einer großartigen Ge­ staltungskraft zum erstenmal geschaffen. Sucht man die (Quellen der höheren Kultur auf, sucht man redlich, läßt man sich nicht durch irgend welche Vorurteile und Vorgefühle in die Irre drängen, so kommt man immer und immer wieder zu den Griechen zurück. Bei aller Ehrfurcht vor den Leistungen des alten Orients ist doch niemals zu verkennen: die Griechen haben den ersten freien Bürgerstaat geschaffen, gewiß mit mancherlei Ein­ schränkungen, aber im Prinzip ist der Bürgerstaat damals für die mensch­ liche Geschichte erobert worden, und für uns ist der Staat nur in dieser Verfassung als Staat im eigentlichen Sinne anzuerkennen. In Griechen­ land ist, was gleichfalls unabstreitbar ist, die Wissenschaft als theoretische Weltbetrachtung erfunden worden. Und was bedeutete alle Kultur ohne die Machtstellung der Wissenschaft! Die Griechen haben die Grundformen der großen Dichtung, das Epos und namentlich das Drama als das wahre Bild des Menschenschicksals mit seinen höhen und Tiefen, seinen Kon­ flikten und Lösungen geschaffen, wie überhaupt die Kunst als symbolischen Ausdruck des Typischmenschlichen. Alle weitere Kulturschöpfung hat sich in diesen damals zuerst betretenen Bahnen bewegt, bewegt sich heute noch in diesen Bahnen und es ist nicht abzusehen, wie die Kultur, solange sie überhaupt Kultur sein will, jemals wieder diese Bahnen verlassen könnte. Diese Schöpfungen bedeuten die Geburt der Kultur, sind ihr erster ge­ schichtlicher Ausdruck gewesen. Es ist schlimm, daß man eine so offenkundige Tatsache noch aus­ sprechen muß. Aber die großen Wahrheiten müssen von Zeit zu Zeit immer

12 wieder ausgesprochen, mit aller Kraft hervorgehoben werden, weil sie sonst in Vergessenheit geraten, wodurch das gesamte Leben in verfall gerät. Aber eine sehr wichtige Folge hat nun diese Tatsache, nämlich daß es nur einen einzigen Weg gibt, um zum Verständnis der Kultur, ihrer Grundkräfte und Grundformen zu gelangen, der Weg über das Griechentum. Freilich, viele Wege führen nach Rom. Aber von diesen vielen ist doch immer einer der nächste, der gerade, der unmittelbar auf das Ziel hinleitet, während andere Seiten- und Umwege leicht in die Irre führen. Und gerade die Bildung der großen Volksmasse, die nicht viel Zeit für die geistige Schule übrig hat, muß den nächsten, direkten weg einschlagen, um sich die Grundbegriffe der Kultur zu verschaffen. Das Werk kann nur gelingen, wenn man jene Grundformen in der schlichtesten Einfachheit an die Volksseele heranbringt. Diese schlichte Ein­ fachheit aber besitzen die Kulturformen naturgemäß nur bei ihren Anfängen, im Griechentum. Alles Spätere ist gebrochen, überladen, unübersichtlich, schwierig. Ein kurzes Wort über die griechische Einfachheit ist hier einzuschalten. Wir wissen heute, daß diese Einfachheit keine unmittelbare Gabe der Natur gewesen ist, als hätten die Griechen der ursprünglichen, unverdor­ benen und unverschrobenen Natur noch näher gestanden, als hätte diese Einfachheit sich gleichsam mühelos von selbst gegeben, von selbst verstanden. Die Griechen haben mit den verwirrenden Schwierigkeiten des mensch­ lichen Lebens nicht minder ringen müssen als wir heutzutage. Sie haben die stärksten Einflüsse vom Grient empfangen, die sie haben verarbeiten müssen. Und in sich selbst haben sie alle Gegensätze des menschlichen wesens in herber Spannung vorgefunden und in voller Tiefe empfunden. Aber sie haben nun doch all diesen gefährlichen Reichtum gebändigt, sie haben die großartige Gestaltungskraft besessen, um aus der gegensätzlichen Viel­ heit die schone Form, die klare Einfachheit herauszumeißeln. Ihre Ein­ fachheit war gewiß kein selbstverständliches Naturgewächs, aber sie war Tatsache, die große Leistung, die stolze Frucht des griechischen Lebens. Durch diese Formkraft haben sie eben die Grundgebilde der Kultur er­ zeugen können, die nun ewig klar und rein am Fimmel des geschichtlichen Lebens wie unvergängliche Sterne leuchten. Und deshalb ist die wunder­ barste und schönste Art zur Kultur zu erziehen, die später Geborenen in die Kultur einzuführen, die Schule durch das Griechentum, die Freund­ schaft und Vertrautheit mit dem Griechentum. Das war der rechte Weg für die Jugendbildung, für die höherstrebende Jugend, welche zur Weiter­ führung der Kultur berufen ist, es ist auch - das ist meine Ergänzung — der einzige Weg für die allgemeine und große Volksbil­ dung, wenn von jetzt ab nicht nur ein kleiner auserwählter, abgeschlossener Kreis des Volkes, sondern wenn das ganze Volk in die Kultur einströmen soll, von sich selbst aus, ohne planmäßige Schule, nur aus Instinkt und Nachahmung wird die breite Volksmasse diesen Weg zur Kultur niemals finden können. Sie wird die

13 Kultur nur zerstören können. Zur Ehrfurcht vor den Kulturwerten muß sie planmäßig herangebildet werden, durch das Verständnis für diese Kultur­ werte in ihren Grundlagen. 3n vollem Bewußtsein, wie sehr ich damit -em Zeitgeist widerstrebe, behaupte ich mit aller Entschiedenheit: Die allgemeine Volkserziehung muß die klassisch-humanistische werden oder unsere Kultur ist in dem Grade gefährdet, daß mit ihrem verfall zu rechnen ist. — Wie einen lächerlich ausschweifenden Traum, wie ein sinnloses phantastegebilde wird man diese Anschauung auffassen, wie soll es möglich sein unser gesamtes Volk durch die Kultur eines fremden, fernen, längst ver­ gangenen Volkstums hindurchzuführen! Demgegenüber erkläre ich: man hat das von jeher getan, was ich hier fordere, ist durchaus nichts neues, wenigstens grundsätzlich nicht, man hat von jeher bewußt oder un­ bewußt nach diesen Grundsätzen gehandelt, weil man nach diesen Grund­ sätzen hat handeln müssen, um sein Ziel zu erlangen, was ich fordere, ist nur eine andere und weitere Ausdehnung und Anwendung dieser Grundsätze. Man hat von jeher, seitdem es überhaupt Erziehung gab, nicht nur die leitende Oberschicht, sondern das gesamte Volk durch die Anschauungen und Vorstellungen, Gesinnungen und Ideale eines fremden, längst ver­ gangenen Volkstums hindurchgeführt und zwar in dem Religions-Unter­ richt, der dem ganzen Volke zuteil wurde, durch den Unterricht in der Geschichte des alten und neuen Testamentes, was ist rein geschichtlich gesprochen das alte und neue Testament anders als die geistige Welt, der literarische Niederschlag eines geschichtlich weit zurückliegenden, orientalischen Volkes? Durch die orientalische vorstellungs- und Gefühlswelt, wie sie in der Bibel zum Ausdruck gekommen ist, hat man unser gesamtes Volk hindurchgeleitet. Dieses war das eigentliche Herzstück unserer Volkserziehung. Und ich sage, man hat recht daran getan. Es war eine großartige Grund­ lage, auf der sich nunmehr weiterbauen läßt. Denn abgesehen von der religiösen Dogmatik, in die die lebendige Geschichte des jüdischen Volkes eingekleidet war, war doch das Belebende, Fesselnde, Erziehende das ReinMenschliche, das in diesen geschichtlichen Überlieferungen enthalten war und zu dem empfänglichen Sinn der Jugend und des gesamten Volkes vernehmbar gesprochen hat, die herzen geweckt und ergriffen hat. wenn es nur um die Dogmatik zu tun gewesen wäre, hätte man sich doch mit dem dürren Katechismus-Unterricht, der nackten Lehre der Dogmatik be­ gnügen können. Die Sagengestalten des alten Judentums, Abraham und Jakob, die wundervolle Josefnovelle mit ihren herzbewegenden Schicksalen, die Königsgeschichten Davids und Salomos, die große Gpfergeschichte Jesu, die Wanderfahrten seiner Apostel, alle diese rein menschlichen Vorgänge und Charaktere haben durch die Jahrhunderte hindurch ihren namenlosen Reiz ausgeübt. Und warum? weil auch diese Gestalten und Vorgänge der jüdischen Geschichte die große, schlichte Einfachheit zeigen, wie sie den Anfängen des geschichtlichen Lebens eigen ist. wie damals in ferner Ver­ gangenheit die Menschen überhaupt empfanden, dachten und strebten, das

14 entspricht dem erst werdenden Sein und Wesen der Jugend, des noch un­ entwickelten Volkes. Fremd sind daran nur die Namen und äußeren Zustände, der Gehalt jenes fremden Volkstums ist trotz aller Verschieden­ heiten dem einfachen und schlichten Sinne der Heranwachsenden Jugend und des unverbildeten Volkes angemessen. Diese Stoffe sind für die Er­ ziehung unersetzlich, ob man sie dogmatisch oder undogmatisch verstehen mag, weil eine spätere Zeit niemals wieder eine so echte Naivität und Schlichtheit hat entfalten können. Nun aber ist hinzuzufügen: das orientalische Leben ist in enge Grenzen eingeschlossen. Nur die ganz primitiven, elementaren Vorgänge des familiären und sittlichen Lebens finden hier ihre künstlerische Gestaltung. Alle Vorgänge, Schicksale, Gebilde höheren Kulturlebens hat erst das Griechen­ tum herausgearbeitet und darum muß nunmehr zu der E rz iehung in den Denkmälern der orientalisch en Bildung die Erzieh­ ung in den Denkmälern der griechischen Bildung ergän­ zend hinzutreten. Jene orientalische Bildung reicht als Vorstufe und Einführung für unser heutiges Kulturleben nicht mehr aus. Unser gegen­ wärtiges Kulturleben erfordert als Vorstufe und erzieherische Einführung die weitere und reichere Welt des Griechentums und zwar für Jedermann, für das gesamte Volk. Denn dem gesamten Volke gebührt nunmehr neben den elementaren sittlichen Funktionen das Verständnis für die Hauptformen des höheren Kulturlebens, wie sie erstmalig schlicht und klar, groß und ein­ fach ihre Gestalt im Griechentum gefunden haben. — An ganz wenig Beispielen erläutere ich diese Behauptung. Die homerische Ilias zeigt das Grundproblem als Gemeinschafts- und Staats­ lebens, das Herrscher- und Führer-Problem in sinnvoller Deutlichkeit, näm­ lich die ewig typische Tatsache, daß der Herrscher mit seiner Persönlichkeit das ihm zugefallene Amt nicht auszufüllen vermag, die ewig sich wieder­ holende Tragik des Staates. Daraus erwächst die Spannung zu dem ihm persönlich überlegenen Helden, und da beide sich nicht selbst beherrschen können, der eine nicht in seiner Schwäche und der andere nicht in seiner Stärke, wälzt sich ein unsägliches Unheil über Tausende heran. Um diese tragische Haupthandlung bewegen sich die Tharaktere gleichfalls in typischer Bedeutsamkeit, sodaß gleichsam das ganze Menschenleben zur Anschauung kommt, die schwerfällige Kraft des Ajas, die bewegliche und geschmeidige Kraft des Gdysseus und Diomedes, — die aufdämmernde Ahnung von der Überlegenheit des Geistes — der redselige greise Nestor, der immer von der guten alten Zeit schwärmt usw. Und in diese bewegte Welt reicher Tharaktere des Gemeinschaftslebens mit seinen Spannungen und Gegensätzen treten die typischen Vorgänge des persönlichen Lebens hinein, Ehe und Freundschaft, die jeden Unbefangenen zu Tränen be­ wegende Darstellung der Ehe Hecktors und Kndromaches und die erschüt­ ternde Tragik der Freundschaft des Achill und patroklos. Neben diesen Lagerstaat der Ilias tritt in der Gdyssee die unendliche heimatsehnsucht des Helden, der in allen Gefahren und Stürmen noch einmal den Rauch von

seiner Heimat-Insel möchte aufsteigen sehen - gleichfalls Ewig-Mensch­ liches in anschaulichster Kraft versinnbildlicht. Staat und Heimat mit tausendfältigen persönlichen und familiären Schicksalen durchwebt — das ist die Welt Homers. Keine andere Literatur hat etwas vergleichbares Homer an die Seite zu stellen. Mit der größten Einfachheit, fast spielend, möchte man sagen, ist hier dar höchste und Tiefste des Menschentums ausgesprochen. Allenfalls unser Nibelungenlied bietet sich zum vergleiche an, aber es läßt gerade das wesentliche vermissen, die hohe Vollendung der künstlerischen Form, wodurch der menschliche Gehalt erst zur Er­ scheinung und Wirkung gelangt. Die wundervolle Erzählungskunst des herodot schildert uns mit geradezu berückender Naivität, wie ein Volk durch die Not zu einem Staate gelangt, und Thukpdides mit seiner alles durchbohrenden Schärfe der Menschenkenntnis zeigt uns, wie das höchstbegabte Volk durch Selbstentzweiung den soeben aufblühenden Staat wieder zerstört. Cs gibt in der ganzen Weltgeschichte keine größeren Lehrmeister des Staatsgedankens und Staatsgefühles als herodot und Thukpdides — und auch diese wieder mit der sinnfälligen Plastik und klaren Schlichtheit, wie sie für die erste Erziehung zum Staate erforderlich ist. Das Gespräch des Sokrates mit Kriton im Gefängnis, dieses Gespräch über die Erhabenheit der Gesetze und was der Einzelne seinem heimatlichen Staate zu danken habe — dieses einzige Gespräch ist die beste staatsbürgerliche Erziehung, die sich in aller Weltliteratur finden läßt. Kus dem platonischen Gorgias kann man wiederum wie nirgends sonst aus der Literatur aller Zeiten und Völker die Grundprobleme des Staates erkennen, daß er auf sittlichem Grunde ruhen muß, daß alle Führer im Staate sittliche Charaktere sein müssen, die nicht zu ihren persönlichen Zwecken, zur Befriedigung ihrer Machtgier, zum Zwecke der Ausbeutung herrschen wollen, sondern zum heile der Geführten. Sonst sind sie nicht Führer, sondern Ver­ führer. Gerade in einer Zeit, die in einen demokraktischen Staat ein­ mündet, muß die Gefahr und das Wesen des Demagogentunis jedem Staats­ bürger klar vor Augen stehen. Und nirgends in der gesamten Welt­ literatur ist diese Gefahr so anschaulich und plastisch, so klar und verständlich geschildert wie bei Platon. „Der Nichtwissende, der vor den Nichtwissenden den Anschein erweckt als wäre er ein wissender" — diese Kritik des Demagogentums sollte jedem Staatsbürger geläufig sein. Geradezu absurd erscheint mir der Gedanke, mit der heutigen Keichsverfassung und ähnlichen Scherzen staatsbürgerliche Erziehung leisten zu wollen. Die Einsicht in in die deutsche Geschichte und deutsche Verfassung kann nur die Frucht, das letzte Ergebnis staatsbürgerlichen Denkens und Fühlens sein, welches nur an den primitiven Grundformen des Staates zu erzielen ist, wie sie die griechischen Historiker und griechischen Denker mit jugendlicher Unbe­ fangenheit herausgearbeitet haben. Und die griechische Tragödie schildert uns mit der nämlichen einfachen und schlichten Kraft die großen sittlichen Konflikte des Menschentums. Gerade in einer Zeit, da die religiösen und

16 sittlichen Gesetze erschüttert sind, weil der Glaube an das geschriebene Wort erschüttert ist, mutz jeder Mann und jede Frau aus dem Volke etwas von den ungeschriebenen Gesetzen erfahren, die über dem Menschen­ tum walten, die wuchtig und mächtig in der griechischen Tragödie ihren Aus­ druck gefunden haben. Fremdartig an all diesen griechischen Meisterwerken sind, wie gesagt, nur die Namen und die rein äußeren Zustände. Der innere wesenhafte Gehalt spricht vernehmbar zu jedem Menschengemüt. Wie sich unser Volk an die Namen Abraham und Jakob, Salomon und David und die sie umgebenden äußeren Nulturzustände hat gewöhnen Können, so kann unser gesamtes Volk, wenn es wirklich erzogen werden soll, sehr leicht auch an die Namen, Gestalten und Umstände der griech­ ischen Welt gewöhnt werden, weil ihm eben das innerlichste Wesen dieser Welt angemessen, verwandt und zuträglich ist. Nur an diesen ersten Schöpf­ ungen höheren Menschentums kann es das höhere Menschentum selbst mit seinen unvergänglichen Aufgaben, mit seinen Bedürfnissen, Gefahren, Zielen und Idealen verstehen lernen. — Nur auf diesem Wege über das Griechentum kommen wir zu einer nationalen Erziehung. Alle Schöpfungen unseres eigenen polkes, wenigstens alle reifen, großen, vollendeten Werke, sind sehr späte Bil­ dungen, die ohne jene Vorschule nicht verständlich werden. Der bildungs­ durstige Arbeiter wirft die goethische Iphigenie beiseite, schon aus ärger, weil er den Namen nicht aussprechen kann. Und so steht es mit der Gesamtheit unserer Literatur. Sie ist nur gereiften Menschen zugänglich zu machen. Und diese erlangen die Reife nur durch die Vorschule im Griechentum. Vie Einfachheit der griechischen Werke ist eben sonst nirgends wiederzufinden. Einige unserer Gedichte und Balladen, aus dem Volksliede entsprungen, finden unmittelbar den Weg zum Volksgemüte. Alle großen, umfassenden Werke aber der deutschen Dichtung, die doch erst den wahren Bildungswert haben, sind nicht unmittelbar erringbar. Der Boden mutz durch naivere Bildungen, wie sie das Grichentum bietet, empfänglich gemacht werden. Ohne diese Vorbereitung bemüht sich der beste Wille zur Volks­ erziehung vergeblich. Gewiß kann die Vermittlung der griechischen Welt nur in der Form deutscher Übertragungen erfolgen. Und da haben wir mit dem Vorurteil gegen alle Übertragungen einen schweren Kampf zu Kämpfen. Die Ver­ ächter der Übersetzungen aber muß man daran erinnern, daß das Christen­ tum mit all seinen Ideen und Wertgefühlen, mit seinem ganzen see­ lischen Reichtum, mit seinen zartesten und mächtigsten Wirkungen zu der Gesamtheit der europäischen Völker nur in Form der Übersetzung, der Umgießung in andere Sprachen gedrungen ist. Will man die Be­ hauptung wagen, daß das Christentum keinen Einfluß auf die europäische Welt gewonnen habe? Dieser Einfluß aber ist nur mit Hilfe der sprach­ lichen Umformung bewirkt und gewonnen worden. Dieses Zeugnis, sollte ich meinen, beweist. Nur die kongeniale Natur darf sich an die Auf­ gabe der Übertragung solcher Meisterwerke wagen. Die Beherrschung der

fremden Sprache, die philologische Schulung genügt nicht. Das Wichtigste ist die Beherrschung der eigenen Sprache, die nur eine große Seele ge­ winnt. Luther konnte die Bibel übersetzen, weil er selbst ein Religions­ stifter war. In ihm glomm das gleiche Feuer wie in den Propheten Israels. Schlegel hat uns Shakespeare neben Goethe und Schiller ge­ stellt. Welch einen beispiellosen Einfluß haben diese Übersetzungen auf un­ seren Volksgeist ausgeübt! Das deutsche Geistesleben ist ohne diese Über­ setzungswerke garnicht vorstellbar. Und selbstverständlich darf man dann nicht davor zurückschrecken, Homer, herodot und die anderen Autoren in gekürzter und bearbeiteter Form als Schullesebücher herauszugeben, wie wir ja auch die Bibel in der verschiedensten Form zu Schulzwecken be­ arbeitet haben. — Daß diese Aufgabe lösbar und möglich ist, davon habe ich mich durch langjährige versuche in diesem Sinne überzeugen können. Ich spreche diesen Gedanken nicht leichtfertig und aufs Geratewohl hin aus. Ich hatte vor dem Kriege in München fast ein Jahrzehnt lang eine private ethische Unterrichtsanstalt zu leiten, wo ich diese Methode der Erziehung an Schülern und Schülerinnen aus allen Schulgattungen, in der überwiegenden Mehrheit aber aus den Volksschulen habe erproben können. Den jünge­ ren Rindern las ich Homer vor, den etwas reiferen, aus den Jahren etwa, wo sie konfirmiert werden, legte ich die Antigone aus, das Ge­ fängnisgespräch des Sokrates und anderes mehr. Und ich kann nur er­ klären, die Rinder haben mit wahrem Heißhunger, mit unendlicher Freude diese Stoffe in sich ausgenommen, wahrhaft verschlungen. Man muß sich bei diesem ganzen Plane vergegenwärtigen, daß es ja nicht auf eine wissenschaftlich-geschichtliche Behandlung der griechischen Werke abgesehen ist, sondern auf eine Verwendung dieser Werke zu Erziehungszwecken. Wir geben doch der Jugend ohne Bedenken die alttestamentlichen Werke in die Hand zu Erziehungszwecken, in der Erwartung, daß das zeitlos und ewig Menschliche sie ergreifen werde. Der alttestamentliche Forscher sieht natürlich über dies einfach Menschliche hinweg und hindurch die schwierigen wissenschaftlichen Probleme, die in diesen werken verborgen liegen. Aber die Geschichte löst sich nicht in lauter Relativitäten auf. 3m Gewände des Relativen enthält die Geschichte einzelner, auserwählter Zeitalter klassische Werte, das heißt zeitlos gültige Werte, die das un­ vergänglich und ewig wiederkehrend Menschliche offenbaren. Und dies Rlaffische ist das Erzieherische und als solches unentbehrlich und unver­ lierbar, solange man die Kultur nicht überhaupt verlieren will. Man hat oft darauf hingewiesen, daß eigentlich der große Bildungs­ gegensatz in die europäischen Völker durch die Renaissance hineingetragen wurde, durch Herübernahme der antiken Bildung in das europäische Geistesleben, die den breiteren Volksschichten verschloffen blieb. 3m Mittel­ alter herrschte der eine gleiche Geist der christlichen Weltanschauung und ihrer Traditionen gleichmäßig in allen Gesellschaftsschichten. Der soziale Gegensatz der Gebildeten und Ungebildeten hat den letzten Jahrhunderten

18 eine schwere Belastung aufgebürdet. Und man irrt sich sehr, wenn man die soziale Spaltung nur als eine materielle Gegnerschaft auffaßt. Eines der dümmsten Worte unserer Epoche, die mit dummen Worten und Gedanken allzu reich gesegnet ist, ist das Wort: „Vie soziale Frage ist eine Magenfrage". Nein, sie ist in weitgehendem Maße eine gei­ stige Frage. Die Arbeiter beneiden den Reichen nicht nur ihre Villen und ihre Autos, sie beneiden sie — und zwar noch mehr un­ bewußt als bewußt - weil sie, wie die Arbeiter glauben, vermöge ihres Reichtums zu geistigen werten den Zugang haben, die ihnen und ihren Nachkommen für immer verschlossen sind, wie sie meinen. Ich habe diese Stimmung unseren Arbeitern vielfach ablauschen können. Materiell reich können wir die Massen nicht machen, wir können sie geistig reich machen und dazu sind wir verpflichtet, wir müssen ihnen das Beste geben, das wir zu bieten haben. Und das Beste, das wir zu bie­ ten haben, — davon lasse ich mich nicht abbringen — ist die klassische Bildung. Und wenn man mich in allen Tonarten auslacht, — ich er­ blicke in diesem plane, soweit sie überhaupt lösbar ist, die Lösung der sozialen Frage, eine geistige Gemeinsamkeit in unserem Volke nach langer und immer heftigerer Spannung wieder heraufzuführen oder anzubahnen. Zwei Bildungselemente beherrschen das europäische Leben: T h r i st e n tum und Hellenismus. Seit der Renaissance hat sich der Hellenismus neben dem Thristentum als unentbehrlich erwiesen. Das Christentum ist die Erziehung zur Ewigkeit, der Hellenismus die Erziehung zur Zeitlich­ keit, jenes die Schule zur Religion, dieses die Schule zur Kultur. Keine der beiden Mächte kann preisgegeben werden. Beide sind uner­ läßlich für alle in dem Zeitalter der Erhebung der Masse. Und wenn man einwendet und fragt, ob wir für immer in den Schöpfungen der früheuropäischen Geschichte verharren sollen, ob wir nicht über diese Kulturschöpfungen zu eigenen Leistungen hinausstreben sollen, so sage ich: gewiß sollen wir dies. Aber zu dieser Aufgabe werden wir nur in Stand gesetzt, dadurch daß wir die Vorstufe durchleben, nur durch die Schule der Tradition. Die Tradition aber des menschlichen Geistes liegt im Griechentum. — was ich anrege, ist im Grunde nichts anderes als die Ausführung des großen Erziehungsplanes von Schiller. 3m Zeitalter der fran­ zösischen Revolution sah er den Drang nach politischer Freiheit mächtig die Völker ergreifen. Er aber sagte: die Vorschule und Vorbereitung zur politischen Freiheit müsse die aesthetische Erziehung des Menschenge­ schlechtes bilden. Diese aesthetische Erziehung aber bedeutete ihm die Er­ ziehung zu allen Anlagen und Betätigungen des Menschen. Durch das Bild der Kunst sollte der Mensch das Menschliche, das große Menschliche anschauen, verstehen und lieben lernen. Dann erst werde er der rechte Bürger eines freien Gemeinwesens werden — eine große Weisheit. Ohne diese humanistische Bildung, ohne Bildung zum rechten Menschentum muß

dem Menschen die politische Freiheit zum Verhängnis werden. „Sie strahlt ihm nicht, sie kann nur zünden und äschert Statt* und Länder ein*. — Ich halte es für eine sträfliche Überhebung, wenn sich unser Zeit­ alter mit der großen Reformepoche Preußens vor den Freiheitskriegen vergleicht. Ich sehe bisher von schöpferischen Reformen noch nichts. Bis­ her hat dieses revolutionäre Zeitalter nur zerstört und nur verwüstet. Die Epoche der wirklichen Umbildung und Neubildung haben wir noch zu erwarten. Und in der Schule hat man, soviel ich sehe, bisher fast nur verwüstet. Das Gymnasium kann selbstverständlich nicht mehr die einzige Lehranstalt für die höheren Berufe sein. Gleichberechtigt sind ihm andere Anstalten an die Seite getreten. Über dann ziehe man daraus auch den nötigen Schluß: das Gymnasium als Sonderanstalt in seinem eigentümli chen Charakter vollständig wiederher­ zustellen, wie es war, bevor die erste Reform es zu zerstören begann. Da es andere Anstalten genug gibt, hat man kein Recht mehr, das Gym­ nasium wie eine Anstalt für alle zu behandeln, hier erlernt die Ju­ gend oder soll sie erlernen die klassisch-humanistische Bildung im Griginal, in den Ursprachen. Aber deshalb dürfen die anderen Anstalten diese Bildung als solche nicht entbehren. Denn diese klassisch-huma­ nistische Bildung ist die Erziehung zum Menschentum schlechthin, zu der Kultur jedes höheren Menschentums. Durch Vermittlung der Über­ setzung, in dem deutschen Gewände muß sie jegliche Jugend in sich auf­ nehmen, wie sonst auch die verschiedenen Schultypen für die verschiedenen Berufe beschaflen sein mögen. Jugend und Volk sollen sie gemeinsam erlernen, erleben. Damit erfüllen wir erst das Vermächtnis der großen geistitzen Epoche des Goethe-Schillerschen Zeitalters. Derverfall in unserem Volke beginnt genau in dem Augenblick, da man sich von diesem Geiste entfernte. Damit hat man auch die wahre „Einheitsschule", von der soviel ge­ sprochen wird, die man aber bisher nicht geschaffen hat. Bisher hat man nur zersplittert. Die Gliederung ist notwendig, aber ein gemeinsamer Grundstock muß in dieser reichhaltigen Gliederung vorhanden sein. Ich sage: das ist die klassisch-humanistische Bildung, denn sie ist die Bildung zum Kulturverständnis schlechthin. Nur durch die höchsten Werte des Menschentums gelangen wir zur nationalen Kraft. Das Größte und Schönste holen wir aus der menschlichen Geschichte und leiten es in die Seele unseres Volkes. — Die Volksschullehrer sind heute sehr unzufrieden mit ihrem Berufe, mit vollem Rechte. Sie haben es satt, nur „Abrichter" des Volkes zu sein, sie wollen wieder werden, was sie ehemals waren, wirkliche Er­ zieher des Volkes, hier bietet sich ihnen nun eine große Aufgabe, die ihren Ehrgeiz befriedigen kann. Nur durch erhöhte Leistungen kann man er­ höhte Bedeutung erlangen. Und der Wille zu erhöhten Leistungen ist nach meinem Eindruck in der Lehrerschaft der Volksschule in hohem Grade vorhanden. Die Volksschullehrer lechzen danach ihrem Beruf einen

20 größeren wert zu verleihen. Deshalb aber sollten sie ihre Abneigung gegen das höhere Schulwesen abtun, vielmehr in die Fußtapfen dieses höheren Schulwesens eintreten. Damit vergeben sie sich nichts. Damit ziehen sie nur die natürliche Folgerung aus der bisherigen Geschichte des Geistes. Was ehemals ein Vorzug.abgegrenzter Kreise war, sollen sie in bestem Sinne zu einem Gemeingut aller machen, wenn sich ihre unver­ gleichliche Pädagogik, die bei allen Einsichtigen stets uneingeschränkte Aner­ kennung gefunden hat und hoffentlich mit der Neuordnung ihrer Ausbildung nicht verloren geht — wenn sich diese ihre vortreffliche Pädagogik mit dem wertvollsten Gehalt und Kern der euro­ päischen Bildung — das ist die klaffische Bildung - verbindet, dann muß für unser Schulwesen und damit für unser hochveranlagtes Volk Ersprießliches hervorgehen. Der Blick in eine große Zukunft wird frei. Die Philologen sollen ihre Aufgabe der wiffenschaftlichen Erforschung des Altertums weiter mit derselben Hingabe, Treue und Sorgfalt üben wie bis auf den heutigen Tag. Daneben aber sollen sie wieder werden, was auch das Geschlecht der älteren Philologen gewesen ist, die Hüter und Verwalter, die Priester des Großen und Schönen, was diesem älteren Philologengeschlecht die eigentümliche weihe gab. Als solche sollen die wissenschaftlichen Philologen nicht nur die künftigen Lehrer der höheren Schulen, sondern auch die Volksschullehrer heranbilden — ob an der Universität oder an besonderen Anstalten, das ist gleichgültig — damit die Volksschullehrer mit dem starken Werkzeug und Rüstzeug der klassischhumanistischen Bildung wiederum das gesamte Volk zum Großen und Schönen erziehen. Ich schließe mit dem Goetheschen Weisheitsworte: „Das wahre war schon längst gefunden, hat edle Geisterschaft verbunden, Das alte wahre, faß es an!"

Aus der Abwehrstellung müssen die Freunde des Griechentums heraus­ treten und zu kühnem Angriff ausholen, mit der ewig unzerstörbaren Kraft ihres Ideals auf die verwirrte, ratlose Zeit den Angriff wagen, mit der Losung: „Nicht fort mit der klassischen Bildung, sondern die klassische Bildung für das ganze Volk!"

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Ernst Hornesser Professor der Philosophie in Gießen

Der junge Platon Erster Teil:

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Auf diese Schrift unsere Leser, Laien wie Theologen, hinzuweisen, bestimmt mich Dreierlei. Zuerst ihr nächster Zweck. Gegenüber der neuerdings weitverbreiteten Auffassung, daß es sich in Platons Apologie des Sokrates um ein Erzeugnis philosophischer Fiktion handele, sucht h. der von den älteren Forschern nicht be­ zweifelten Geschichtlichkeit der Schrift wieder zur Anerkennung zu verhelfen, H. sieht - und das ist das Zweite, was mich zur Empfehlung der Lektüre seiner Schrift bestimmt - in Sokrates höchstes Prophetentum mit reiner, offener, freier Menschlichkeit zu unlösbarer Einheit verbunden. Und er weiß - das ist das Dritte - diese seine Auffassung mit solch überzeugender Wärme vorzutragen, daß es schlechthin ein Genuß ist, seinen Ausführungen zu folgen. (Prof. Krüger in der Lhristl. Welt)

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Uücher, die uns bei aller philosophischen Abgeklärtheit und Kühe nicht einschlafen und selbstgenügen lassen, die uns unwiderstehlich den höchsten und aller­ höchsten Zielen zustreben lassen. Iedes Buch ein Wegweiser, ein göttlicher Mentor der Menschen- und Weltweisheit. Aöes so packend, so erhebend und be­ seligend, daß es keinem der Unsrigen verloren gehen sollte. (W. Schwaner im Volkserzieher)

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