Strafrecht der Militärpersonen: Handbuch der wesentlichen auf Militärpersonen anwendbaren materiellen und formellen Strafgesetze mit Anmerkungen und Sachregister [Reprint 2018 ed.] 9783111542317, 9783111174167


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German Pages 1215 [1224] Year 1905

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Table of contents :
Vorwort
Inhaltsübersicht
Wichtigste Abkürzungen
Vorbemerkung, betreffend die Zuständigkeit
Einführungsgesetz zum Militär-Strafgesetzbuche für das Deutsche Reich. Vom 20. Juni 1872
I. Militärstrafgesetzbuch für das Deutsche Reich, vom 20. Juni 1872
Einleitende Bestimmungen §§ 1—13
Erster Teil. Von der Bestrafung im Allgemeinen
Zweiter Teil. Von den einzelnen Verbrechen und Vergehen und deren Bestrafung
Verzeichnis der zum Deutschen Heer und zur Kaiserlichen Marine gehörenden Militärpersonen (Anlage)
Klasseneinteilung der Militärbeamten des Reichsheeres und der Marine, Verordnung vom 12. August 1901 (RGBL. 283)
II. Strafgesetzbuch für das Deutsche Reich
Einleitende Bestimmungen §§ 1—12
Erster Teil. Bon der Bestrafung der Verbrechen, Vergehen und Übertretungen im allgemeinen
Zweiter Teil. Von den einzelnen Verbrechen, Vergehen und Übertretungen und deren Bestrafung
Erster Abschnitt. Hochverrat und Landesverrat
Zweiter Abschnitt. Beleidigung des Landesherrn
Dritter Abschnitt. Beleidigung von Bundesfürsten
Vierter Abschnitt. Feindliche Handlungen gegen befreundete Staaten
Fünfter Abschnitt. Bergrechen und Vergehen in Beziehung auf die Ausübung staatsbürgerlicher Rechte
Sechster Abschnitt. Widerstand gegen die Staatsgewalt
Siebenter Abschnitt. Bergrechen und Vergehen wider die öffentliche Ordnung
Achter Abschnitt. Münzverbrechen und Münzvergehen
Neunter Abschnitt. Meineid
Zehnter Abschnitt. Falsche Anschuldigung
Elster Abschnitt. Vergehen, welche sich auf die Religion beziehen
Zwölfter Abschnitt. Verbrechen und Vergehen in Beziehung auf den Personenstand
Dreizehnter Abschnitt. Verbrechen und Vergehen wider die Sittlichkeit
Vierzehnter Abschnitt. Beleidigung
Fünfzehnter Abschnitt. Zweikampf
Sechszehnter Abschnitt. Verbrechen und Vergehen wider das Leben
Siebenzehnter Abschnitt. Körperverletzung
Achtzehnter Abschnitt. Berbrechen und Vergehen wider die persönliche Freiheit
Neunzehnter Abschnitt. Diebstahl und Unterschlagung
Zwanzigster Abschnitt. Raub und Erpressung
Einundzwanzigster Abschnitt. Begünstigung und Hehlerei
Zweiundzwanzigster Abschnitt. Betrug und Untreue
Dreiundzwanzigster Abschnitt. Urkundenfälschung
Vierundzwanzigster Abschnitt. Baukerutt
Fünfundzwanzigster Abschnitt. Strafbarer Eigennutz und Verletzung fremder Geheimnisse
Sechsundzwanzigster Abschnitt. Sachbeschädigung
Siebenundzwanzigster Abschnitt. Gemeingefährliche Berbrechen und Vergehen
Achtundzwanzigster Abschnitt. Verbrechen und Vergehen im Amte
Neunundzwanzigster Abschnitt. Uebertretungen
III. Militärstrafgerichtsordnung vom 1. Dezember 1898
Inhaltsübersicht
Verzeichnis
Militärstrafgerichtsordnung
Erster Teil. Gerichtsverfassung
Zweiter Teil. Verfahren
1. Einführungsgesetz zur Militärstrafgerichtsordnung vom 1. Dezember 1898
2. Gesetz, betr. die Dienstvergehen der richterlichen Militärjustizbeamten und die unfreiwillige Versetzung derselben in eine andere Stelle oder in den Ruhestand, vom 1. Dezember' 1898
IV. Anhang
1. Allerhöchste Verordnung über die Disziplinarstrafordnung für das Heer, vom 31. Oktober 1872
2. Allerhöchste Verordnung über die Disziplinarstrafordnung für die Marine, vom 1. November 1902
3. Beschwerdeordnung für das Heer
4. Beschwerdeordnung für die Marine
5. Ausführungsbestimmungen für die Marine zu der Militärstrafgerichtsordnung vom 1. Dezember 1898, dem Einführungsgesetz zur Militärstrafgerichtsordnung und dem Richterdisziplinargesetz von demselben Tage
6. Verordnung, betr. das strafgerichtliche Verfahren gegen Militärpersonen der Kaiserlichen Schutztruppen vom 18. Juli 1900; mit Ausführungsbestimmungen vom 23. Juli 1900
7. Gesetz, betr. die militärische Strafrechtspflege im Kiautschougebiete, vom 25. Juni 1900
8. Allerhöchster Erlaß, betr. die Geschäftsordnung für das Reichsmilitärgericht, vom 30. Januar 1902
9. Allerhöchster Erlaß, betr. die Geschäftsordnung für den bei dem Reichsmilitärgerichte bestehenden Disziplinarhof für richterliche Militärjustizbeamte, vom 30. Januar 1902
10. Verfügung des Preuß. Kriegsministeriums vom 18. November 1901 zu § 414 MStrGO
11. Gebührenordnung für Zeugen und Sachverständige vom 30. Juni 1878, in der Fassung der Bekanntmachung vom 20. Mai 1898
12. Gesetz, betr. die freiwillige Gerichtsbarkeit und andere Rechtsangelegenheiten in Heer und Marine, nebst Bestimmungen des Preuß. Kriegsministeriums über die Anwendung dieses Gesetzes, vom 28. Mai 1901
Sachregister
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Strafrecht der Militärpersonen: Handbuch der wesentlichen auf Militärpersonen anwendbaren materiellen und formellen Strafgesetze mit Anmerkungen und Sachregister [Reprint 2018 ed.]
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Strafrecht der

MMtärperfonrn. Handbuch der wesentlichen auf Militärpersonen anwendbaren materiellen und formellen Strafgesetze mit Anmerkungen und Sachregister von

Dr. jur. Paul Her;»

Dr. jur. Georg Ernst,

Senatspräsident am Reichsmtlitärgericht.

Kriegsgerichtsrat beim General-Kommando III. Armee-Korps.

Berlin 1905.

I. Guttrntag, Verlagsbuchhandlung, G. m. b. H.

Vorwort In dem vorliegenden Werke sind alle wesentlichen Gesetze zusammengestellt und erläutert, die für Straftaten der Militär­

personen Bedeutung haben. strafgesetzbuch

In erster Linie kommt das Militär­

und die Militärstrafgerichtsordnung in Betracht.

Aber auch das Reichsstrafgesetzbuch mußte als Grundlage für das Militärstrafgesetzbuch besondere Berücksichtigung finden.

Dies um

so mehr, als die bisherigen Kommentare des bürgerlichen Rechts, mehr dem Bedürfnis der bürgerlichen Gerichte entsprechend, Straf­

taten der Zivilpersonen erörtern und der Rechtsanschauung der Militärgerichte sowie den speziell im militärischen Leben häufiger

vorkommenden Straffällen weniger Rechnung tragen können. Demgegenüber haben die Verfasser unter eingehender Heran­

ziehung der reichsgerichtlichen Urteile auf die Darlegung der bei

den Militärgerichten, namentlich bei dem Reichsmilitärgericht in dessen Entscheidungen und Prüfungsergebnissen — § 113 MStrGO.

— vertretenen Rechtsauffassung besonderen Wert gelegt; eine Dar­ legung, die auch für die Zivilstrafgerichte nicht ohne Bedeutung

sein dürfte.

Mit Rücksicht darauf, daß dem Praktiker ein möglichst voll­ ständiges Material für die Beurteilung des Einzelfalls gegeben werden sollte, gestattete es der Charakter des Werks als Handbuch

Vorwort.

IV

nicht, den Umfang der einzelnen Anmerkung weiter auszudehnen,

als dies unbedingt zum Verständnis nötig war.

Die eingehendere

Begründung wurde deshalb auf solche Fälle beschränkt, in denen das RMGer. noch nicht gesprochen hatte oder in denen eine von

dem RMGer. abweichende Ansicht vertreten wurde. Die einschlä­ gige Literatur ist, soweit sie von Bedeutung erschien, berücksichtigt.

Berlin, April 1905.

Inhaltsübersicht. Seit? Vorwort............................................................................................................... III Wichtigste Abkürzungen.................................................................................... XI Vorbemerkung, betreffend die Zuständigkeit ................................................XIV Einführungsgesetz zum Militär-Strafgesetzbuche für das Deutsche Reich. Vom 20. Juni 1872.............................................. 1

I. Militärstrafgesetzbuch für das Deutsche Reich, vom 20. Juni 1872 ............ Einleitende Bestimmungen §§ 1—13........................................................ Erster Teil. Von der Bestrafung im allgemeinen. I. Abschnitt. Strafen gegen Personen des Soldatenstandes §§ 14—42............................................................................................ II. Abschnitt. Strafen gegenMilitärbeamte §8 43—45................ III. Abschnitt. Versuch §46................................................................ IV. Abschnitt. Teilnahme § 47............................................................ V. Abschnitt. Gründe, welche die Strafe ausschließen, mildern oder erhöhen §§ 48—55 ................................................................. Zweiter Teil. Von den einzelnen Verbrechen und Vergehen und deren Bestrafung. Erster Titel. Militärische Verbrechen und Vergehen des Soldaten­ standes ................................................................................................ I. Abschnitt. Hochverrat, Landesverrat, Kriegsverrat §§ 56—61 II. Abschnitt. Gefährdung der Kriegsmacht im Felde §§ 62—63 III. Abschnitt. Unerlaubte Entfernung und Fahnenflucht §§64—80 IV. Abschnitt. Selbstbeschädigung und Vorschützung von Ge­ brechen §§ 81—83.............................................................................. V. Abschnitt. Feigheit §§ 84—88..................................................... VI. Abschnitt. Strafbare Handlungen gegen die Pflichten der mili­ tärischen Unterordnung §§ 89—113............................................... VII. Abschnitt. Mißbrauch der Dienstgewalt §§ 114—126............. VIII. Abschnitt. Widerrechtliche Handlungen im Felde gegen Per­ sonen oder Eigentum §§ 127—136 .............................................. IX. Abschnitt. Andere widerrechtlich e Handlungen gegen das Eigentum §§ 137, 138 ......................................................................

5 5

23 51 52 54

63

78 78 85 87 103 107 110 155

174 184

VI

Inhaltsübersicht.

Seite X. Abschnitt. Verletzung von Dienstpflichten bei Ausführung be­ sonderer Dienstverrichtungen §§ 139—145 .................................. XI. Abschnitt. Sonstige Handlungen gegen die militärische Ord­ nung 88 146—152.............................................................................. Zweiter Titel. Militärische Verbrechen und Vergehen der Militär­ beamten 88 153, 154 ....................................................................... Dritter Titel. Strafbestimmung für Personen, welche den Militär­ gesetzen nur in Kriegszeiten unterworfen sind 88 155—161.. Vierter Titel. Zusatzbestimmungen für die Marine 88 162—166. Verzeichnis der zum Deutschen Heer und zur Kaiserlichen Marine gehörenden Militärpersonen (Anlage)................... Klasseneinteilung der Militärbeamten des Reichsheeres und der Marine, Verordnung vom 12. August 1901 (RGBl. 283)

II. Strafgesetzbuch für das Deutsche Reich.............................

193

206 216

217 221

224

226 237

Einleitende Bestimmungen 88 1—12................................................ 244 Erster Teil. Von der Bestrafung der Verbrechen, Vergehen und Übertretungen im allgemeinen.

Abschnitt. Strafen 88 13—42........................................... Abschnitt. Versuch 88 43—46........................................... Abschnitt. Teilnahme 88 47—50 ..................................... Abschnitt. Gründe, welche die Strafe ausschließen oder mildern 88 51—72 ................................................................. 5. Abschnitt. Zusammentreffen mehrerer strafbarer Hand­ lungen 88 73—79................................................................... Zweiter Teil. Von den einzelnen Verbrechen, Vergehen und Übertretungen und deren Bestrafung. 1. 2. 3. 4.

1. 2. 3. 4. 5. 6.

7. 8. 9. 10. 11. 12.

Abschnitt. Hochverrat und Landesverrat 88 80—93 .. Abschnitt. Beleidigung des Landesherrn 88 94—97... Abschnitt. Beleidigung von Bundesfürsten 88 98—101 Abschnitt. Feindliche Handlungen gegen befreundete Staaten 88 102—104............................................................. Abschnitt. Verbrechen und Vergehen in Beziehung auf die Ausübung staatsbürgerlicher Rechte 88 105—109 .. Abschnitt. Widerstand gegen die Staatsgewalt 88 110 bis 122............................... Abschnitt. Verbrechen und Vergehen wider die öffent­ liche Ordnung 88 123—145 ................................................ Abschnitt. Münzverbrechen und Münzvergehen 88 146 152.... Abschnitt. Meineid 88 153—163 ...................................... Abschnitt. Falsche Anschuldigung 88 164—165............. Abschnitt. Vergehen, welche sich auf die Religion be­ ziehen 88 166—168................................................................. Abschnitt. Verbrechen und Vergehen in Beziehung auf den Personenstand 88 169—170..........................................

261 276 280

290

316

325 339 342 344 345 348

364

388 391 403 406

410

Inhaltsübersicht.

VH Seite

13. Abschnitt. Verbrechen und Vergehen wider die Sittlich­ keit §§ 171—184..................................................................... 14. Abschnitt. Beleidigung §§ 185—200............................... 15. Abschnitt. Zweikampf §§ 201—210............ 16. Abschnitt. Verbrechen und Vergehen wider das Leben §§ 211—222 ............................................................................ 17. Abschnitt. Körperverletzung §§ 223—233 ....................... 18. Abschnitt. Verbrechen und Vergehen wider die persön­ liche Freiheit §§ 234—241 .................................................. 19. Abschnitt. Diebstahl und Unterschlagung §§ 242—248 20. Abschnitt. Raub und Erpressung §§ 249—256............. 21. Abschnitt. Begünstigung und Hehlerei §§ 257—262... 22. Abschnitt. Betrug und Untreue §§ 263—266 ............... 23. Abschnitt. Urkundenfälschung 88 267—280..................... 24. Abschnitt. (Bankerutt §§ 239—244 KO.)....................... 25. Abschnitt. Strafbarer Eigennutz und Verletzung fremder Geheimnisse §§ 284—302 e.................................................. 26. Abschnitt. Sachbeschädigung §§ 303—305 ..................... 27. Abschnitt. Gemeingefährliche Verbrechen und Vergehen §§ 306—330.............................................................................. 28. Abschnitt. Verbrechen und Vergehen im Amte §§ 331—359 29. Abschnitt. Übertretungen §§ 360—370 ...........................

1. Einführungsgesetz zum Strafgesetzbuch, vom 31. Mai 1871 . 2. Einführungsgesetz zum Strafgesetzbuch für Elsaß-Lothringen, vom 30. August 1871 ..................................................................... 3. Gesetz vom 15. Mai 1871, betr. Redaktion des Strafgesetz­ buchs für den Norddeutschen Bund als Strafgesetzbuch für das Deutsche Reich......................................................................... 4. Verordnung vom 22. März 1891, betr. die Einführung von Reichsgesetzen in Helgoland......................................................... 5. Reichsgesetz vom 30. April 1884 zur Ausführung der inter­ nationalen Konvention vom 6. Mai 1882, betr. die polizei­ liche Regelung der Fischerei in der Nordsee, außerhalb der Küstengewässer, mit der Konvention vom 6. Mai 1882 (s. zu 8 3 RStrGB.).................................................................................. 6. Reichsgesetz vom 4. März 1894, betr. die Ausführung des internationalen Vertrages vom 16. November 1887/14. Fe­ bruar 1893 zur Unterdrückung des Branntweinhandels unter den Nordseefischern aus hoher See, ausgenommen mit dem internationalen Vertrage vom 16. November 1887/14. Fe­ bruar 1893 (f. zu 83 RStrGB.)................................................ 7. Gesetz, betr. die Schonzeit für den Fang der Robben, vom 4. Dezember 1876 (s. zu 8 4 RStrGB.) .................................... 8. Reichsgesetz gegen den Verrat militärischer Geheimnisse, vom 3. Juli 1893 (s. zu 8 92 RStrGB.)............................................

412 430 444 447 457

470 478 497 503 513 525 543 550 575

578 592 612 239 241

243 243

246

252 256 . 335

VIII

Inhaltsübersicht. Sette

9. Reichsgesetz vom 28. Juli 1895, betr. die Bestrafung des Sklavenraubs und des Sklavenhandels (RGBl. 1895 S. 425, s. zu § 234 RStrGB.)................................................................. 10. Neichsgesetz, betr. die Bestrafung der Entziehung elektrischer Arbeit, vom 9. April 1900 (s. zu § 242 RStrGB.) ............... 11. Reichskonkursordnung vom 10. Februar 1877, Strafbestim­ mungen, §§ 239 ff., in der Fassung des Ges. vom 17. Mai 1898 (s. zu §§ 281—283 RStrGB.).......................................... 12. Preuß. Gesetz, betr. das Spiel in außerpreußischen Lotterien, vom 29. August 1904 (s. zu § 286 RStrGB.)....................... 13. Preuß. Gesetz, betr. das Verbot des Privathandels mit Staatslotterielosen, vom 18. August 1891 (s. zu § 286 RStrGB.)...................................................................................... 14. Preuß. Gesetz, betr. den Handel mit Anteilen und Ab­ schnitten von Losen zu Privatlotterien und Ausspielungen, vom 19. April 1894 (s. zu § 286 RStrGB.) ......................... 15. Preuß. Gesetz, betr. die Abzahlungsgeschäfte, vom 16. Mai 1894 (s. zu § 286 RStrGB.)....................................................... 16. Preuß. Wildschongesetz vom 14. Juli 1904 (s. zu § 293 RStrGB.)......................................................................................

III. Militärstrafgerichtsordnung vom 1. Dezember 1898. (Inhaltsverzeichnis s. Seite 635—636.) 1. Einführungsgesetz zur Militärstrafgerichtsordnung vom 1. De­ zember 1898 .................................................................................... 2. Gesetz, betr. die Dienstvergehen der richterlichen Militär­ justizbeamten und die unfreiwillige Versetzung derselben in eine andere Stelle oder in den Ruhestand, vom 1. Dezember' 1898 .................................................................................................

IV. Anhang...............................................................................

471 478

543 553

555

555

555 562 633

933

949 964

1. Allerhöchste Verordnung über die Disziplinarstrafordnung für das Heer, vom 31. Oktober 1872 ....................................... 2. Allerhöchste Verordnung über die Disziplinarstrafordnung für die Marine, vom 1. November 1902 ................................

965

980

3. Beschwerdeordnung für das Heer: I. vom 30. März 1895 .............................................................. 1023 II. vom 14. Juni 1894 ................................................................ 1029

4. Beschwerdeordnung für die Marine: I. vom 30. Dezember 1895........................................................ 1033 II. vom 23. Oktober 1894 .......................................................... 1036 5. Ausführungsbestimmungen für die Marine zu der Militärstrafgerichtsordnung vom 1. Dezember 1898, dem Einfüh­ rungsgesetz zur Militärstrafgerichtsordnung und dem Richter­ disziplinargesetz von demselben Tage...................................... 1036

Inhaltsübersicht.

IX Sette

6. Verordnung, bett, das strafgerichtliche Verfahren gegen Militärpersonen der Kaiserlichen Schutztruppen vom 18. Juli 1900; mit Ausführungsbestimmungen vom 23. Juli 1900 .. 7. Gesetz, bett, die militärische Strafrechtspflege im Kiautschougebiete, vom 25. Juni 1900......................................................... 8. Allerhöchster Erlaß, bett, die Geschäftsordnung für das Reichsmilitärgericht, vom 30. Januar 1902 ........................... 9. Allerhöchster Erlaß, bett, die Geschäftsordnung für den bei dem Reichsmilitärgerichte bestehenden Disziplinarhof für richterliche Militärjustizbeamte, vom 30. Januar 1902 .... 10. Verfügung des Preuß. Kriegsministeriums vom 18. Novem­ ber 1901 zu § 414 MStrGO.: Anweisung I, bett. Ersuchen an Behörden im Auslande Anweisung II, bett. Auslieferungsanträge....................... 11. Gebührenordnung für Zeugen und Sachverständige vom 30. Juni 1878, in der Fassung der Bekanntmachung vom 20. Mai 1898.................................................................................. 12. Gesetz, bett, die freiwillige Gerichtsbarkeit und andere Rechts­ angelegenheiten in Heer und Marine, nebst Bestimmungen des Preuß. Kriegsministeriums über die Anwendung dieses Gesetzes, vom 28. Mai 1901...................................................... Sachregister..........................................................................................

1049

1061 1061

1066

1069 1076

1106

1109 1124

Wichtigste Abkürzungen. = Anmerkung. = Abweichender Ansicht. = Ausführungsbestimmungen. --- Allerhöchster Erlaß. = Allerhöchste Kabinettsorder. = Armeeverordnungsblatt. = Beschluß. = Begründung des Entwurfs einer Militärstrafgerichts­ ordnung: Reichstagsdrucksache Nr. 6 der 9. Legis­ laturperiode, V. Session 1897/98. BGB. = Bürgerliches Gesetzbuch v. 18. August 1896. cf. = vergleiche. = Disziplinarstrafordnung für das Heer v. 31. Oktober DStO. 1872. E. = Entscheidung. EG. Einführungsgesetz zur Militärstrafgerichtsordnung v. 1. Dezember 1898. EG. z. MStrGB. = Einführungsgesetz zum Militärstrafgesetzbuche für das Deutsche Reich v. 20. Juni 1872. EG. z. RStrGB. = Einführungsgesetz zum Strafgesetzbuch für das Deutsche Reich v. 17. Mai 1871. Entw. = Entwurf einer Militärstrafgerichtsordnung und des Einführungsgesetzes hierzu. Reichstagsdrucksache Nr. 6 der 9. Legislaturperiode, V. Session 1897/98. — Formularbuch. FrBV. = Friedensbesoldungsvorschrift für das Heer v. 10. März 1898. AS. = Friedenssanitätsordnung v. 16. Mai 1891. = Gesetz, betr. die Dienstvergehen der richterlichen Militär­ justizbeamten und die unfreiwillige Versetzung derselben in eine andere Stelle oder in den Ruhestand. GS. = Preußische Gesetz-Sammlung. GVG. = Gerichtsverfassungsgesetz v. 27. Januar 1877. GV. = Garnisondienstvorschrift v. 15. März 1902. ib. = Verordnung v. 22. November 1888.

A. AA. AB. AE. AKO. ABBl. B. Begr.

JMBl. = Preußisches Justizministerialblatt. Koppmann, Weigel = Kommentar z. MStrGB. von Cl. v. Koppmann, bearbeitet v. Dr. G. Weigel, 3. Auflage 1903. Koppmann = üon Koppmann, Kommentar zur Militärstrafgerichts­ ordnung. München 1901.

XII

KA. KB.

KM. KV. Loewe

M. MDStO. MGS. MO. MOrgB. MStrGB MStrGO. MStrVV. MVBl. Olsh.

Oppenhf.

PE. R.

NBG. RG.

RGBl. RMA. RMG. RMGer.

RStr.GB. RStrPO. RV. RZentrBl.

Wichtigste Abkürzungen. = Kriegsartikel für das Heer v. 22. September 1902. ' = Bericht der VIII. Kommission über die Entwürfe 1. einer Militärstrafgerichtsordnung; 2. eines Einführungs­ gesetzes hierzu; 3. eines Gesetzes, betreffend die Dienst­ vergehen der richterlichen Militärjustizbeamten rc. Reichstagsdrucksache Nr. 150 der 9. Legislaturperiode, V. Session 1897/98. = Preuß. Kriegsministerielle Verfügung. = Kritische Vierteljahrsschrift für Gesetzgebung und Rechts­ wissenschaft. Herausgegeben von Birkmeyer, Stielmann und Ullmann. = Die Strafprozeßordnung für das Deutsche Reich rc. Mit Kommentar von Dr. E. Loewe. Bearbeitet von A. Hellweg. = Marine. = Disziplinarstrafordnung für die Kaiserliche Marine v. 1. November 1902. = Militärgesetzsammlung. = Marineordnung v. 12. November 1894. = Organisatorische Bestimmungen für das Personal des Soldatenstanoes der Kaiserlichen Marine v. 26. Juni 1899. = Militärstrafgesetzbuch v. 20. Juni 1872. = Militärstrafgerichtsordnung v. 1. Dezember 1898. = Preußische Militärstrafvollstreckungsvorschrift v. 9. Fe­ bruar 1888. = Marineverordnungsblatt. = Kommentar zum Strafgesetzbuch für das Deutsche Reich von Dr. Justus Olshausen, Oberreichsanwalt. Berlin 1900. = Kommentar zum Strafgesetzbuch für das Deutsche Reich von Dr. Friedrich Oppenhoff, herausgegeben von Dr. Hans Delius. Berlin 1901. = Ergebnis der von dem Reichsmilitärgericht nach § 113 MStrGO. vorgenommenen Prüfung der Oberkriegs­ gerichtlichen Ausstellungen und Urteile. = das „Recht", Rundschau für den deutschen Juristenstand. Herausgegeben von Dr. Soergel. München. = Reichsbeamtengesetz v. 31. März 1873. Reichsgericht, I (rc.) = erster Senat, E. = Entschei­ dungen des Reichsgerichts in Strafsachen, herausgegeben von den Mitgliedern rc. des Reichsgerichts, R. = Recht­ sprechung des deutschen Reichsgerichts in Strafsachen, herausgegeben von den Mitgliedern der Reichsanwall­ schaft. l,i (rc.) = Band 1, Seite 1. = Reichs-Gesetzblatt. = Reichsmarineamt. = Reichsmilitärgesetz v. 2. Mai 1874. = Reichsmilitärgericht, I (rc.) = erster Senat, E. = Ent­ scheidungen des Reichsmilitärgerichts, herausgegeben von den Senatspräsidenten, dem Obermilitäranwalt rc. l,i (rc.) = Band 1, Seite 1. PE. = Prüfungsergebnis. = Strafgesetzbuch für das Deutsche Reich v. 17. Mai 1871. = Strafprozeßordnung für das Deutsche Reich. = Reichsverfassung v. 16. April 1871. = Zentralblatt für das Deutsche Reich.

Wichtigste Abkürzungen. RZPO. Schl.

Stengl. W.

Weigel WG. WO. Wolff-Weiffenbach

Z.

XIII

Deutsche Zivilprozeßordnung. Schlayer, Heer und Kriegsflotte, II. Militärstrafrecht, von Dr. jur. Schlayer, Kriegsgerichtsrat b. General­ kommando XIII. AK. Berlin 1904. Stenglein, Kommentar zur Militärstrafgerichtsordnung. Weiffenbach, Systematische Darstellung der MStrGO. Berlin 1900. Mittler & Sohn. Handausgabe der MStrGO. mit Einleitung und Er­ läuterung; herausgegeben von Dr. Weigel, Stabs­ auditeur. Wehrgesetz v. 9. November 1867. Wehrordnung v. 22. November 1888. Handbuch für die Ausübung der niederen Gerichtsbarkeit von Prof. Dr. Weiffenbach, Senatspräs, beim Reichs­ militärgericht, und Friedrich Wolff, Geh. Kriegsrat u. Abteilungschef im Preuß. Kriegsministerium. Berlin 1901. Zeitschrift für die gesamte Strafrechtswissenschaft. Herausgegeben von Prof. v. Liszt und von Lrlienthal. Berlin. Guttentag.

Vorbemerkung. Vor dem Gesetzestext bedeutet: KG. die Zuständigkeit des Kriegsgerichts. StG. die Zuständigkeit des Standgerichts. StG. bzw. KG. die Zuständigkeit des Standgerichts, wenn nicht der Täter Offizierrang hat, oder die Verhängung einer Ehrenstrafe (für „im Feld" und „an Bord" ausgenommen die Versetzung in die zweite Klasse des Soldatenstandes) zu erwarten steht, in welchen Fällen das Kriegsgericht ausschließlich zuständig ist. §15 MStrGO. KG. bzw. StG. die Zuständigkeit des Standgerichts, wenn nach dem Ermessen des niederen Gerichtsherrn neben einer etwaigen Einziehung keine höhere Strafe als Freiheitsstrafe bis zu 6 Wochen oder Geldstrafe bis 150 Mark, allein oder in Verbindung miteinander, zu erwarten steht; andernfalls ist das Kriegsgericht zuständig. § 16 MStrGB. i. F. vor StG. die Zuständigkeit des Standgerichts „im Felde und an Bord". §§ 5, 6 EG.

Militär-Strafgesetzbuch für Vas

Deutsche Reich.

Einführungsgesetz rum Militär-Strafgesetzbuche für das Deutsche Deich. Vom 20. Juni 1872 (RGBl. S. 173). Wir Wilhelm, von Gottes Gnaden Deutscher Kaiser, König von Preußen rc.

verordnen im Namen des Deutschen Reichs, nach erfolgter Zustim­ mung des Bundesrathes und des Reichstages, was folgt:

§ 1. Das Militär-Strafgesetzbuch für das Deutsche Reich tritt im ganzen Umfange des Bundesgebietes mit dem 1. Oktober 1872 in Kraft. i)2) 1) Das MStrGB. wurde in Elsaß und Lothringen auf Grund des § 3 des Ges. betr. die Vereinigung von Elsaß und Lothringen mit dem Deutschen Reiche v. 9. Juni 1871 (RGBl. S. 212) durch Kaiserliche Ver­ ordnung v. 8. Juli 1872 und in den afrikanischen Schutzgebieten durch Kaiserliche Verordnung v. 26. Juli 1896 eingeführt. 2) Materielles, das MStrGB. ergänzendes Strafrecht enthält § 18 Abs. 1 u. 2 EG.

§ 2. Mit diesem Tage treten im ganzen Bundesgebiete alle Militärstrafgesetze, insoweit sie materielles Strafrecht zum Gegenstände haben, außer Kraft. In Kraft bleiben die Vorschriften über die Bestrafung der von Landgendarmeni) begangenen strafbaren Handlungen.2) Dagegen finden die Bestimmungen des Militär-Strafgesetzbuches auch auf die Offiziere ä la suite3) Anwendung, welche nicht zum Soldatenstande gehören, wenn und insolange sie zu vorübergehender Dienstleistung zugelassen sind, sowie in Bezug auf Handlungen gegen die militärische Unterordnung,3 ^) welche sie begehen, während sie die Militäruniform tragen. ^) 1) In Preußen, Baden, Hessen, Mecklenburg-Schwerin, Waldeck, Schaumburg-Lippe, Lippe, Elsaß-Lothringen gelten die Landgendarmen als Personen des Soldatenstandes und unterstehen dem MStrGB.; nicht den für Beamte gegebenen Vorschriften des RStrGB.; vgl. § 2 Abs. 3 EG. Herz u. Ernst, Strafrecht der Militärpersonen.

1

2

Einführungsges. z. Militär-Strafgesetzbuch f. d. Deutsche Reich.

Soweit sie im Range von Unteroffizieren stehen, sind sie in diesen Bundes­ staaten in und außer Dienst Vorgesetzte der im Range ihnen nachstehenden Militärpersonen (Gefreiten, Gemeinen). Befehle, die am Tage der Kontroll­ versammlung auch außerhalb derselben von Gendarmen an Kontrollpflich­ tige zur Aufrechterhaltung der Ruhe und Ordnung erteilt werden, stellen sich als Befehle in Dienstsachen dar. RMGer. I. 28. Nov. 1901 E. 2,?o. Im Dienst befindliche Gendarmen sind nicht Wachen im Sinne des § 111 Abs. 2 MStrGB.; die den Gendarmen übergeordneten Militärpersonen haben nur insoweit Befehlsbefugnisse des Vorgesetzten, als sie die dienstlichen Vorge­ setzten der Gendarmen sind, also dem Gendarmeriekorps angehören oder sich im Dienste bei demselben befinden. ACO. v. 30. Dez. 1820 (GS. 21 S. 1). ACO. v. 19. Juli 1873 (AVBl. S. 219). Eine Ausnahme besteht in Elsaß-Lothringen, wo Gendarmen im Dienste zu den Personen des Soldatenstandes ohne Rücksicht auf den Militärrang der letzteren im Ver­ hältnis einer militärischen Wache (§ 111 Abs. 2 MStrGB.) stehen. § 2 des Ges. v. 20. Juni 1872, betr. die Errichtung der Gend. für ElsaßLothringen. Nach § 2 Abs. 2 EG. z. MStrGB. sind für die Gendarmeriekorps der oben aufgeführten Bundesstaaten § 48 Abs. 2 u. 3 u. § 188 PrMStrGB. in Kraft geblieben. RMGer. I. 10. Febr. 1902. E. 2,193. § 48 Abs. 2: Wo Versetzung in die zweite Klaffe des Soldaten­ standes oder Degradation stattfindet, ist gegen Lanogendarmen stets noch außerdem aus Entlassung aus der Gendarmerie zu erkennen. Abs. 3: Auch muß auf diese Entlassung jederzeit erkannt wer­ den, wenn ein Landgendarm wegen Verletzung seiner Amtspflichten zum dritten Male gerichtlich mit der ordentlichen gesetzlichen Strafe belegt wird. Vorausgesetzt wird eine gerichtliche (nicht disziplinäre) Bestrafung wegen Verletzung der Amtspflichten; anderweite gerichtliche Bestrafungen wegen rein militärischer oder gemeinstraflicher Delikte genügen nicht. Das Gesetz macht zwischen „Amt" und „Dienst" des preußischen Gendarmen keinen Unterschied; es können von den „ Di en st "Handlungen zu sondernde „Amts"Handlungen, je nach der Verschiedenheit derjenigen Personen, gegen welche sich die Handlung richtet (Personen des Soldatenstandes — Sivilpersonen), nicht unterschieden werden. RMGer. II. 24. Juni 1903. . 5,210. § 188. Wachen oder Landgendarmen, welche in Ausübung des Dienstes sich des Mißbrauchs ihrer Dienstgewalt schuldig machen, sind ebenso zu bestrafen, wie^ Vorgesetzte, die sich ein solches Ver­ gehen gegen Untergebene zu schulden kommen lassen. Machen sie sich des Mißbrauchs der Dienstgewalt gegen Per­ sonen schuldig, welche außer diesem Dienstverhältniß ihre Vorge­ setzten sind, so ist dies bei Zumessung der Strafe als ein erschwerender Umstand oder als ein Grund zur Verschärfung der Strafe zu be­ trachten. Ein Gendarm befindet sich auf einem Patrouillengange stets in Aus­ übung des Dienstes. RMGer. PE. IV. Nr. 134. Der Begriff in „Ausübung des Dienstes" ist nicht Tatbestandsmerkmal, er schließt die Straferhöhung aus § 55 Nr. 2 MStrGB. nicht aus, RMGer. PE. III. Nr. 121 und umfaßt auch den Begriff „bei Gelegenheit" der Aus­ übung des Dienstes. RMGer. PE. IV. Nr. 134. Ein Gendarm, welcher in oder bei Gelegenheit der Ausübung eines Dienstes sich der Beleidigung einer Zivilperson schuldig macht, ist nicht auf Grund der §§ 185 ff. RStrGB., sondern auf Grund des § 121 MStrGB., also auch ohne Vorhandensein eines Strafantrags, zu bestrafen. RMGer. I. 10. Febr. 1902 E. 2,193. Die gleichen Grundsätze gelten bei Mißhandlungen von Zivilpersonen durch

8 3.

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Gendarmen; §§ 122 ff. MStrGB. finden Anwendung, nicht §§ 223ff. RStrGB. Die Zivilperson, gegen die ein preuß. Gendarm in oder bei Gelegenheit der Ausübung des Dienstes sich des Mißbrauchs der Dienst­ gewalt schuldig macht, tritt in kein — auch nicht fiktives — Untergebenen­ verhältnis zu dem Gendarmen. Es wird vielmehr für letzteren nur die Strafe so bestimmt, wie sie den Vorgesetzten trifft, der sich des Mißbrauchs der Dienstgewalt gegen einen Untergebenen schuldig macht. RMGer. I. 3. Aug. 1903. E. 5,2si. Die Gerichtsbarkeit über die Gendarmen bestimmt sich für Preußen nach den AB. Nr. 1, 3, 5 zu § 37 MStrGO. Die Land­ gendarmen unterstehen ferner der DStO. In Bayern, Württemberg und Oldenburg sind die Landgendarmen nicht Personen des Soldatenstandes; sie unterstehen in Bayern dem fr. bayerischen MStrGB. v. 29. April 1869 (vgl. Ges. v. 28. April 1872) und in Württemberg nur dem bürgerlichen Strafgesetz. Kgl. Ber. vom 11. Okt. 1898 §§ 61—63 (Reg.-Bl. 241); die bayerischen Gendarmerieoffiziere stehen unter dem MStrGB. Die Feldgendarmen sind Personen des Soldatenstandes des aktiven Heeres; auf sie findet das-MStrGB. in vollem Umfange Anwendung; sie sind im Dienst militärische Wachen im Sinne der §§ 111, 125 MStrGB. 2) Abs. 2 des § 2 enthielt früher im Schlußsatz „sowie die Vorschriften über die Bestrafung der Fahnenflüchtigen' im Wege des Ungehorsams(Kontumazial-)Verfahrens"; derselbe ist durch tz 2 Abs. 2 EG. aufgehoben. 3) Diese Offiziere stehen ä la suite der Armee oder eines Kontingents; ihnen gleich stehen die Sanitätsoffiziere ä la suite des Sanitätskorps. Sa) §§ 89 — 112 MStrGB. u. § 2 Nr. 2 DStO. u. MDStO. (vgl. bezüglich des Begriffs Militäruniform Anm. 4 zu § 113 MStrGB.). 4) Vgl. 8 1 Nr. 6, 8 5 Nr. 3 MStrGO.

§ 3. Eine Bestrafung in Gemäßheit des Militär-Strafgesetz­ buches kann nur auf Grund eines gerichtlichen Erkenntnisses *) er­ folgen. In leichteren Fällen2) können im Disziplinarwege3) geahndet werden:4)^ 1. Vergehend) wider die 88 64, 89 Absatz 1, 90, 91 Absatz 1, 92, 121 Absatz 1, 137, 141 Absatz 1, 146, 151; 2. Vergehen3) wider § 114, wenn die strafbare Handlung nur in dem Borgen von Geld oder in der Annahme von Geschenken ohne Vorwissen des gemeinschaftlichen Vorgesetzten besteht. Jedoch darf im Disziplinarwege keine andere Freiheitsstrafe,?) als Arrests) festgesetzt werden, und die Dauer desselben vier Wochen gelinden Arrestes oder Stubenarrestes, drei Wochen mittleren Arrestes oder vierzehn Tage strengen Arrestes nicht übersteigen?) Urkundlich unter Unserer Höchsteigenhändigen Unterschrift und beigedrucktem Kaiserlichen Jnsiegel. Gegeben Schloß Babelsberg, den 20. Juni 1872. (L. S.) Wilhelm. Fürst von Bismarck. J) D. h. Urteil im Sinne des 8 314 MStrGO. die Strafverfügung gleich 8 349 MStrGO.

Dem Urteil steht

4 Einführungsges. z. Militär-Strafgesetzbuche f. d. Deutsche Reich. § 3. 2) Hinsichtlich der Voraussetzungen einer leichteren Falles ist die Straf­ tat nicht ausschließlich nach ihrer objektiven Seite, sondern in allen ihren Beziehungen, also auch nach ihrer subjektiven Seite einer Prüfung zu unter­ ziehen; es kommen auch die in der Person des Täters liegenden, eine mildere Auffassung rechtfertigenden Umstände in Betracht, vgl. auch RMGer. I. 14. Febr. 1901. E. 1,35. Die Entscheidung der Frage, ob ein „leichterer Fall" vorliegt, liegt ausschließlich in der Hand des mit der Disziplinarstrafgewalt versehenen Vorgesetzten. Vgl. §§ 157 Abs. 2, 250, 251 MStrGO. KM. v. 17. Juni 1895. AVBl. S. 143. RMGer. II. 20. Dez. 1902. E. 4,107. 3) Vgl. Disziplinarstrafordnung für das Heer v. 31. Okt. 1872; die­ selbe gilt auch in Sachsen und Württemberg. Für Bayern vgl. Diszi­ plinarstrafordnung v. 12. Dez. 1872, für die Marine Disziplinarstrafordnung für die Kais. Marine v. 1. Nov. 1902 MVBl. Nr. 28. 4) Ist eine lediglich auf Grund der im § 3 Nr. 1 aufgeführten §§ strafbare Handlung von dem zuständigen Disziplinarvorgesetzten im Diszi­ plinarwege geahndet worden, so wird hierdurch die endgültige Erledigung der Sache, der Verbrauch des staatlichen Strafanspruchs herbeigeführt und zwar auch dann, wenn diese Ahndung im Laufe der gerichtlichen Unter­ suchung wegen einer anderen selbständigen Straftat erfolgt. RMGer. II. 20. Dez. 1902. E. 4,107. Vgl. § 1 Note 7 z. MStrGB. Vgl. §§ 157, 250, 251 Note 3 zu Z 314 MStrGO. und Note 7 zu § 1 MStrGB. Hebt der höhere Vorgesetzte die von dem niederen Vorgesetzten verhängte Strafe auf (§ 55 DStrO.), so verliert diese ihre rechtliche Existenz; das zur Ab­ urteilung derselben Tat berufene erkennende Gericht ist an die Tatsache der Aufhebung gebunden und darf sich der Aburteilung nicht entziehen, weil seiner Überzeugung nach § 55 DStrO. zu Unrecht angewandt worden ist. RMGer. II. 30. Jan. 1904. E. 6,243. 5) Wegen Verletzung der nach § 286 MStrGO. auferlegten Pflicht der Geheimhaltung durch unbefugte Mitteilung können in leichteren Fällen Personen des Soldatenstandes des aktiven Heeres (Marine) im Disziplinar­ wege bestraft werden. § 18 Abs. 1, EG. § 3, EG. z. MStrGB. Disziplinarbestrafung ist ferner vorgesehen in den Fällen der §§ 202, 290 MStrGO. 6) Vgl. Note 7 zu § 1 MStrGB. und Note 8, 9, 10 zu § 114 MStrGB. 7) Es darf nur auf Arrest, nicht auf Kasernen-, Quartierarrest oder Gefängnis oder Festungshaft erkannt werden. 8) Der Disziplinarvorgesetzte ist an die im MStrGB. für das Delikt getroffene Strafandrohung hinsichtlich der Art, Dauer und des Mindest­ betrages des Arrestes gebunden. Innerhalb dieses Strafrahmens darf ferner die von ihm festzusetzende Arreststrafe die im Abs. 3 des § 3 EG. z. MStrGB. für jede Arrestart vorgesehene Höhe des Arrestes nicht über­ steigen. Gegen Personen des Beurlaubtenstandes darf in den Fällen der §§ 23, 26, 27 DStrO. nur mittlerer oder gelinder Arrest bis zu 3 Tagen verhängt werden. Militärische Ehrenstrafen des § 30 MStrGB. können im Disziplinarwege nicht festgesetzt werden, wohl aber für Gemeine der zweiten Klaffe d. S. Einstellung in eine Arbeiterabteilung, vgl. DStO. § 3 C. 4. 9) In den Fällen des § 3 EG. z. MStrGB. unterbricht jede wegen der begangenen Tat gegen den Täter gerichtete Handlung des Disziplinar­ vorgesetzten die Verjährung. § 10 EG.

Militär-Strafgesetzbuch für das Deutsche Reich. Vom 20. Juni 1872 (RGBl. S. 174).

Wir Wilhelm, von Gottes Gnaden Deutscher Kaiser, König von Preußen re.

verordnen im Namen des Deutschen Reichs, nach erfolgter Zustim­ mung des Bundesrathes und des Reichstages, was folgt:

Einleitende Bestimmungen?*) § 1.

Eine Handlung,i)?) welche dieses ^) Gesetz mit dem Tode,

mit Zuchthaus, oder mit Gefängniß ober4) Festungshaft von mehr

als fünf Jahren bedroht/) ist ein militärisches Verbrechen.

Eine Handlung/) 2) welche

dieses Gesetz

mit Freiheitsstrafe3)

(§ 16) bis zu fünf Jahren bedroht/) ist ein militärisches Vergehen?) !a) Zur Auslegung der Vorschriften des MStrGB. können die Kriegs­ artikel — als allgemeine Pflichtenlehre — herangezogen werden. RMGer. II. 29. März 1902. E. 2,240. 1) Die Einteilung der strafbaren Handlungen in militärische Ver­ brechen und in militärische Veryehen ist für die Beurteilung des Versuchs, der Teilnahme und bei der Verjährung (vgl. § 67 RStrGB.) von Wichtig­ keit. Während..das RStrGB. die strafbaren Handlungen in Verbrechen, Vergehen und Übertretungen einteilt, ist dem MStrGB. letzterer Begriff fremd. RG. II 1. April 1887. E. 15,396. Die militärischen Übertretungen, o. h. Handlungen gegen die militärische Zucht und Ordnung und gegen die Dienstvorschriften, für welche die Militärstrafgesetze keine Bestimmungen enthalten, flno der Disziplinarbestrafung zugewiesen. § 1 Abs. 1 DStO. und § 1 Abs. 1 MDStO. Die nach gemeinem Reichs- oder Landesstraf­ recht mit Haft oder Geldstrafe bis 150 Mk. bedrohten strafbaren Hand­ lungen, — Übertretungen im Sinne des § 1 RStrGB. — werden von der niederen Gerichtsbarkeit umfaßt. § 15 MStrGO. 2) Der Ausdruck „Handlungen" begreift die vorsätzliche und fahrlässige Rechtsverletzung in sich. Zu den Handlungen gehören auch die Unter­ lassungen. RG. I 14. Febr. 1884. E. 1O,ioi. 3) Die im MStrGB. mit Strafe bedrohten Handlungen sind mili­ tärische Verbrechen oder Vergehen; sie behalten diesen Charakter auch gegenüber den Vorschriften des RStrGB., insbesondere sind die nur mit

6

Militär-Strafgesetzbuch für das Deutsche Reich.

Arrest bedrohten militärischen Vergehen auch im Sinne des RStrGB. Vergehen, nicht Übertretungen. RG. eit. Erk. E. 15,396. Zu den mili­ tärischen Vergehen gehören auch Zuwiderhandlungen gegen § 18 EG., so­ fern sie von Personen des Soldatenstandes des aktiven Heeres und der Marine begangen werden. Vgl. Weiffenbach, Militärrechtl. Erörterungen. Heft 1, S. 62. Die Teilnahme einer Person des aktiven Dienststandes an einem militärischen Verbrechen oder Vergehen ist als militärisches, nicht als gemeinstrafrechtliches Delikt zu beurteilen. RMGer. PE. III. Nr. 111. Handelt es sich um eine Handlung einer Militärperson, welche lediglich durch das RStrGB. mit Strafe bedroht ift,„ so ist die Frage, ob die Hand­ lung sich als Verbrechen oder Vergehen (Übertretung) darstellt, nach den Vorschriften des RStrGB. (§ 1 ibid) zu entscheiden. Bürgerliche Straf­ taten, welche unter einer der Voraussetzungen des § 55 MStrGB. verübt worden sind, werden dadurch nicht militärische Delikte. Vgl. Note 1 zu § 55 MStrGB. 4) Daß Gefängnis und Festungshaft von mehr als fünf Jahren wahl­ weise angedroht sein müssen, wird für den Begriff des militärischen Ver­ brechens nicht erfordert. Es genügt die eine oder die andere Strafan­ drohung. 5) Als Kriterium für den Begriff des Verbrechens oder Vergehens ist nur diejenige Strafart und dasjenige Strafmaß maßgebend, mit welchem die einzelne Handlung in ihrem schwersten Falle bestraft wird. Bei wahl­ weiser Strafandrohung ist die schwerste angedrohte Strafart maßgebend. Das Vorhandensein von Strafmilderungsgründen, die eine Ermäßigung der Strafe vorsehen, die Strafermäßigungen, die beim Versuch und der Beihilfe eintreten, sind für die Qualifizierung der Tat als Verbrechen oder Vergehen ohne Einfluß. RMGer. PE. II. Nr. 170. Droht das MStrGB. (§§ 53, 55, 56, 103 Abs. 2, 115, 125, 136) eine erhöhte Freiheitsstrafe an, so ist dieser Höchstbetrag für die Frage, ob die Tat sich als Verbrechen oder Vergehen darstellt, entscheidend. RMGer. PE. III. Nr. 110. Das gleiche gilt, wenn nur mittelbar ein Höchstbetrag angedroht wird, wie in den §§ 72, 81 Abs. 2, 103 Abs. 1 MStrGB. In beiden Fällen nimmt die Tat Verbrechensqualität an, wenn die arbitrierte Strafe vom Richter über fünf Jahre Gefängnis oder Festungshaft hinaus erhöht wird. Auch Fahrlässig­ keitsvergehen können bei Anwendung der §§ 53, 55 MStrGB. Verbrechens­ qualität erhalten. RMGer. II. 19. Sept. 1901. E. 1,290. 6) Freiheitsstrafe im Sinne des MStrGB. ist nur Gefängnis, Festungs­ haft, Arrest. § 16 MStrGB. Eine mit Zuchthaus bedrohte Handlung ist nach Abs. 1 stets ein Verbrechen. Im übrigen umfaßt an einzelnen Stellen (§§ 53, 54, 88 MStrGB.) der Ausdruck „Freiheitsstrafe" auch die Zuchthausstrafe. 7) Militärische Vergehen, deren Bestrafung nach § 3 des EG. zum MStrGB. im Disziplinarwege gestattet ist, verlieren durch die disziplinarische Ahndung ihren Charakter als Vergehen nicht. Die disziplinarische Beung derselben hat die Wirkung eines gerichtlichen Urteils; es steht in einem späteren gerichtlichen Verfahren der Grundsatz ne bis in idem entgegen. RMGer. II. 20. Dez. 1902. E. 4,io?. Vgl. auch Note 4 zu § 3. EG. z. MStrGB. Handelt es sich dagegen um die — irrtümlich erfolgte — disziplinarische Ahndung einer strafbaren Handlung, welche nur im strafgerichtlichen Verfahren abgeurteilt werden darf, so ist die spätere gerichtliche Verfolgung einer solchen Handlung nicht ausgeschlossen, 88157, 250, 251 MStrGO. RG. II. 20. Mai 1891. E. 22,i. — 8 45 DStO-, 8 55 MDStO. Eine Anrechnung der irrtümlich festgesetzten und vollstreckten Diszi­ plinarstrafe auf oie ergehende gerichtliche Strafe findet nicht statt, immerhin kann der ersteren bei der Strafausmessung Rechnung getragen werden.

a

Einleitende Bestimmungen.

§§ 2, 3.

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§ 2. Diejenigen Bestimmungen/) welche nach den Vorschriften des Deutschen Strafgesetzbuches2) in Beziehung aus Verbrechen und Vergehen allgemein gelten, finden auf militärische Verbrechen und Ver­ gehen entsprechendes Anwendung. x) Unter diesen Bestimmungen des RStrGB. — landesstrafrechtliche Normen kommen nicht in Betracht — sind nicht allein die Bestimmungen zu verstehen, welche für alle Verbrechen und Vergehen gelten, sondern auch diejenigen, welche für eine besondereArt von Verbrechen und Vergehen gegeben sind, soweit das MStrGB. nicht bezügliche besondere Vorschriften enthält. Es findet deshalb Anwendung: auf § 138 MStrGB. der § 242 Abs. 2, §§ 43, 44, § 246 Abs. 3 und § 247 Abs. 3 RStrGB.; auf § 137 MStrGB. der § 303 Abs. 2 RStrGB.; auf §140 MStrGB. der §335 RStrGB. RMGer. PlBeschl. v. 17. Mai 1901. E. 1,134. II. 24. Mai 1901. E. 1,151. RG. III. 27. März 1884. E. 10,330. 2) Der Ausdruck „Deutsches Strafgesetzbuch" umfaßt nach den Motiven auch das Einführungsgesetz z. D. Strafgesb. v. 31. Mai 1870. 3) „Entsprechende Anwendung", d. h. nur soweit Anwendung, als dies mit der Rücksicht auf die Erhaltung der Disziplin im Heere vereinbar ist. Überall da, wo besondere militärische Interessen, vornehmlich die Be­ dürfnisse der Disziplin in Betracht kommen, sino der Gleichstellung des bürgerlichen und des Militär-Strafrechts Grenzen gezogen. RMGer. II. 19. Sept. 1901. E. 1,290. Die §§ 199, 200, 231, 233 RStrGB. sind auf die Fälle der §§ 91,121,122 MStrGB. nicht anwendbar, weil letztere militärische Sondervergehen sind. Uber das Verhältnis des § 193 RStrGB. zu §§ 91, 121 MStrGB. vgl. die Ausführungen zu diesen §§. Vgl. auch den in Note 1 zit. PlBeschl. und RMGer. I. 14. Okt. 1901. E. 2,34.

§ 3?) Strafbare Handlungen2) der Militärpersonen, welche nicht militärische Verbrechen oder Vergehen2^) sind, werden nach den allge­ meinen Strafgesetzen6) 6611^eilt.4)5)6) Die Vorschrift des § 3 entspricht der Bestimmung des § 10 RStrGB. Aus § 3 MStrGÄ. ergibt sich die Unterstellung der Militärpersonen unter das RStrGB. 2) Der Begriff „strafbare Handlung", wie er in §§ 3, 7, 49, 55, 115, 116,140,143 und 147 MStrGB. gebraucht ist, umfaßt nur die militärischen Verbrechen und Vergehen und die nach den allgemeinen Strafgesetzen zu beurteilenden Straftaten. Zu letzteren gehören auch die Übertretungen des RStrGB. vgl. § 1 das. Auf Handlungen, welche lediglich disziplinarisch geahndet werden können, erstreckt sich der Ausdruck dieses Paragraphen „strafbare Handlungen" nicht. § 1 Nr. 1 DStO., § 1 Nr. 1 MDStO. 2a) Zu den militärischen Delikten gehören auch die Teilnahme (Mittäter­ schaft, Anstiftung, Beihilfe) an einem militärischen Delikt, der Versuch des­ selben (über die Strafbarkeit desselben vgl. auch Note 1 zu § 46 MStrGB.), oer militärisch ausgezeichnete Diebstahl im Verbrechensgrade (§138 Abs. 2 MStrGB.), RMGer. PE. III. Nr. 111; PlBeschl. 17. Mai 1901 E. 1,im; II. 24. Mai 1901. E. 1,154; PlBeschl. 12. Mai 1903. E. 5,uo; ferner die Delikte aus §§ 115, 243 MStrGB., auch wenn die strafbare Handlung, welche der Untergebene begangen hat, oder deren Begehung zugelassen worden ist, eine bürgerliche Straftat ist. Dagegen sind Hehlerei, Begünsti­ gung zu militärischen Delikten, Straftaten aus § 56 MStrGB., bürgerliche Straftaten; bürgerliche unter einer der Voraussetzungen des §55 MStrGB. begangene Straftaten werden dadurch nicht militärische Verbrechen oder Vergehen. Vgl. auch Note 1 zu § 55 MStrGB. Vgl. auch Koppmann Note 17b—19 zu §3 und Weiffenbach, Militärrechtl. Erörterungen!, S.50.

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Militär-Strafgesetzbuch für das Deutsche Reich.

3) Unter den allgemeinen Strafgesetzen ist das gesamte Reichs- und Landesstrafrecht zu verstehen. 4) Für die von Militärpersonen begangenen nach gemeinem Reichs­ oder Landesstrafrecht strafbaren Handlungen kommen auch die Strasarten dieses Strafrechts zur Anwendung. Eine Umwandlung der gegen Militär­ personen wegen gemeiner Verbrechen oder Vergehen erkannten Strafen in militärische Strafen findet nicht statt. Während bei militärischen Vergehen nach § 17 MStrGB. die verhängte Gefängnis- oder Festungshaftstrafe mindestens 43 Tage betragen muß, sind wegen gemeiner Vergehen die im Reichs- oder Landesstrafrecht gegebenen Strafgrenzen maßgebend. Wegen vor dem Eintritt in das Heer rc. begangener, nach gemeinem Strafrecht strafbarer Handlungen kann vom Militärgericht nur auf die im gemeinen Strafrecht angedrohten Strafen (also z. B. nicht auf Versetzung in die zweite Klasse des Soldatenstandes) erkannt werden. 5) Auch bei von Militärpersonen verübten, nach gemeinem Strafrecht strafbaren Handlungen weicht das MStrGB. vom RStrGB. ab hinsichtlich des Territorialitätsprinzips (§ 7 und § 161 MStrGB.), beim Strafvollzug (§§ 14, 15, 45 MStrGB.), ferner bezüglich der Zulässigkeit von Geldstrafen (§ 29 MStrGB.), von militärischen Ehrenstrafen neben Hauptstrafen, welche wegen bürgerlicher Ehrenstrafen verhängt sind (§§ 30 ff. MStrGB.), bei der Teilnahme (§ 47 MStrGB.), bei oen Gründen, welche die Strafe aus­ schließen, mildern oder erhöhen (§ 49 Abs. 1 und 2 § 55 MStrGB.) und bei den im Felde begangenen Antragsdelikten (§ 127 MStrGB.). 6) Von Militärpersonen verübte Mißhandlungen gegen Zivilpersonen oder Kameraden unterfallen den Strafbestimmungen des RStrGB., vgl. aber auch § 29 MStrGB. Eine Ausnahme findet hinsichtlich der Wachen und Landgendarmen statt, welche in oder bei Gelegenheit der Ausübung des Dienstes sich des Mißbrauches ihrer Dienstgewalt schuldig machen; sie sind ebenso zu bestrafen, wie Vorgesetzte, die sich eine solche Straftat gegen Untergebene zu schulden kommen lassen. § 2 EG. z. MStrGB. § 188 Pr. MStrGB.; vgl. auch RMGer. I. 3. Aug. 1903. E. 5,284. und Note 1 zu 8 2 zit.

§ 4. Unter Militärpersonen*) sind die Personen des Soldaten­ standes ^) und die Militärbeamtenb) zu verstehen, welche zum Heer oder zur Marine gehören.3)4)3)3)

Unter Heer ist das Deutsche Heer, unter Marine die Kaiserliche Marine zu verstehen?)3)^) *) Bezüglich der Teilnahme von Nichtmilitärpersonen an militärischen Delikten vgl. Note 1 a. E. zu § 47 MStrGB. 2) Zu den Personen des Soldatenstandes sind sowohl die Personen des aktiven Heeres und der aktiven Marine, wie diejenigen Personen des deutschen Heeres und der Marine, welche dem Beurlaubtenstande angehören, zu rechnen. RG. I. 15. Dez. 1894. E. 26,314. Die Eigenschaft einer Person als einer zum aktiven Heer (Marine) gehörigen Person des Soldaten­ standes geht durch Verschleierung des wahren Namens ebensowenig ver­ loren, wie etwa ourch das Tragen von Zivilkleidern statt der Uniform. RMGer. II. 5. Dez. 1903. E. 6,146. Inwieweit die Personen des Beur­ laubtenstandes dem MStrGB. unterworfen sind, regelt § 6 MStrGB. und § 60 Nr. 3 RMG. 3) Welche Militärpersonen Personen des Soldatenstandes und welche Militärbeamte sind, bestimmt das dem MStrGB. beigefügte Verzeichnis. 4) Dem Militärstrafgesetzbuch unterstehen: I. Militärpersonen:

Einleitende Bestimmungen.

§ 4.

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A. Die Militärpersonen des aktiven Dienststandes (Friedensstandes) (vgl. § 38 RMG. Art. II, §§ 26, 30, s. Ges. v. 11. Febr. 1888 sRGBl. S. 11]). 1. Die Offiziere vom Tage ihrer Anstellung bis zum Zeitpunkte ihrer Entlassung aus dem Dienste. Zu den Offizieren gehören die Sanitätsoffiziere, die Marineingenieure, die Torpedoingenieure, die Feuerwerks-, Zeug- und Torpedooffiziere, die Festungsbau­ offiziere; vgl. auch § 2 MOrgB. und ACO. v. 20. März 1902. 2. Die Kapitulanten von Beginn bis zum Ablauf oder bis zur Auf­ hebung der abgeschlossenen Kapitulation. In erster Hinsicht ist für die Zugehörigkeit eines Kapitulanten zum aktiven Heere, in­ soweit der Kapitulationsvertrag nichts anderes bestimmt, lediglich der Zeitablauf entscheidend, nicht aber der möglicherweise hiervon verschiedene Zeitpunkt der ordnungsmäßigen Entlassung durch die zuständige Militärbehörde. Die Anordnung der militärischen Untersuchungshaft kann als Einberufung zum Dienste im Sinne des § 38B Ziss. 1 RMG. nicht angesehen werden. Befindet sich der Kapitulant bei Ablauf der Kapitulationszeit wegen eines Verbrechens gegen die allge­ meinen Strafgesetze in militärischer Untersuchungshaft, so ist er der bürgerlichen Behörde zur Erledigung des Straffalles zu über­ geben, und der Gerichtsherr zum Erlaß einer Anklageverfügung nicht mehr befugt. RMGer. II. 2. Juni 1902. E. 3,72. 3. Die Freiwilligen und die ausgebobenen Rekruten von dem Tage, mit welchem ihre Verpflegung durch die Militärverwaltung be­ ginnt; Einjährig-Freiwillige von dem Zeitpunkte ihrer definitiven Einstellung in einen Truppenteil an, sämtlich bis zum Ablaufe des Tages ihrer Entlassung aus dem aktiven Dienste. ad 1, 2, 3 vgl. § 38 A, sub 1, 2, 3 RMG.; wegen der vor­ läufig in die Heimat beurlaubten Rekruten vgl. § 6 Note lb. Nach Ablauf der aktiven Dienstzeit (vgl. Art. II § 1 Abs. 1 des Gesetzes v. 5. Aug. 1893 u. Art. II des Gesetzes v. 25. März 1899) hat der Soldat einen gesetzlichen Anspruch auf Beurlaubung zur Reserve, abgesehen von den Ausnahmen des § 14 des WG. und des Art. II § 1 Abs. 2 des Gesetzes v. 3. Aug. 1893. Be­ findet derselbe sich in Untersuchungshaft, so ist er an dem Tage, an dem seine Entlassung nach erfüllter aktiver Dienstpflicht zu erfolgen hat, zu den Personen des Beurlaubtenstandes zu zählen und tritt gegebenenfalls unter die Gerichtsbarkeit des für ihn als Person des Beurlaubtenstandes zuständigen Gerichtsherrn. Vgl. das Nähere §§ 10 und 259 MStrGO. KM.v. 7. Febr. 1902. 4. Die Militärbeamten hinsichtlich des im Felde von ihnen be­ gangenen Hochverrats, Landesverrats, Krregsverrats, der Ge­ fährdung der Kriegsmacht im Felde, der Fahnenflucht, der uner­ laubten Entfernung, der strafbaren Handlungen gegen die Pflichten der militärischen Unterordnung und der widerrechtlichen Hand­ lungen im Feloe gegen Personen und Eigentum. § 153 MStrGB. Andere, sowohl im Feloe wie ihm Frieden von ihnen begangene Delikte unterliegen dem Beamtenstrafrecht, bezw. dem Gemeinen Strafrecht. § 154 MStrGB. 5. Die in Invalideninstitute aufgenommenen Invaliden. Als dauernd ganzinvalide anerkannte Unteroffiziere und Mannschaften, die nicht im Jnvalidenhause untergebracht werden, scheiden aus allen militärischen Verhältnissen aus; im Garnisondienste verwendete Halbinvaliden setzen damit den aktiven Militärdienst fort. Andere halbinvalide oder zeitig ganzinvalide Unteroffiziere und Mann-

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Militär-Strafgesetzbuch für das Deutsche Reich.

schäften gehören für die Dauer ihrer Dienstpflicht (§ 5 Nr. 1 WO.) zum Beurlaubtenstande. Kriegsm. Zusstellg. d. RMPensGes. § 78 u.79; § 13 Nr. 10, § 14 Nr. 7, § 36 Nr. 5 HO. vgl. auch Koppmann Note 6 zu §§ 4, 5 MStrGB. Vgl. auch Note 10 zu dies. Paragraph. 6. Die Kaiserlichen Schutztruppen, Kaiser!. Verordnung v. 26. Juli 1896, die Ostasiatische Besatzungsbrigade. B. Die Personen des Beurlaubtenstandes; vgl. das Nähere § 6 MStrGB. Die aus dem Beurlaubtenstande zum Dienste einberufenen Offiziere, Ärzte, Militärbeamten und Mannschaften gehören von dem Tage, zu welchem sie einberufen sind, bis zum Ablaufe des Tages der Wiederentlassung zum aktiven Heere (Marine). § 38B RMG. C. Alle in Kriegszeiten zum„Heeresdienste aufgebotenen oder freiwillig eingetretenen Offiziere, Ärzte, Militärbeamten (diese mit der Be­ schränkung zu A Nr. 4) und Mannschaften, welche zu keiner der Kategorien ad A1—3 gehören, vom Tage, zu welchem sie einberufen sind, bezw. vom Zeitpunkte des freiwilligen Eintritts an, bis zum Ablauf des Tages der Entlassung. § 386 2 RMG. Hierher gehören insbesondere nach ergangenem Aufrufe des Landsturms die von dem­ selben betroffenen Landsturmpflichtigen, sowie die infolge freiwilliger Meldung in die Listen des Landsturms Eingetragenen. §§ 26, 30 des Gesetzes v. 11. Febr. 1888. D. Die Feld- und Landgendarmen; vorausgesetzt ist, daß die Land­ gendarmen nach der Gesetzgebung ihres Staates, wie in Preußen, Baden, Hessen, Elsaß-Lothringen, Mecklenburg-Schwerin, Waldeck, Schaumburg-Lippe, Lippe, zu den Personen des Soldatenstandes ge­ hören. Sie sind in diesen Staaten Personen des Soldatenstandes, gehören aber nicht zum Heere. Gendarmerieoffiziere unterstehen ausnahmslos dem MStrGB. II. Dem MStrGB. unterstehen folgende nicht zu den Personen des Soldaten­ standes gehörende Personen. 1. Die Offiziere ä la suite der Armee oder eines Kontingents, die Sanitätsoffiziere ä la suite des Sanitätskorps, wenn und so lange sie zu vorübergehender Dienstleistung zugelassen sind, sowie in bezug auf Handlungen gegen die militärische Unterordnung, welche sie in Militäruniform begehen. § 2 Abs. 2 des EG. z. MStrGB. Von ihnen zu unterscheiden sind die ohne Gehalt beurlaubten (ä la suite ihrer Truppenteile gestellten) Offiziere; sie sind Personen des Soldatenstandes. 2. Die mit Pension zur Disposition gestellten Offiziere, insofern gegen sie wegen gemeiner Delikte auf Verlust des Offizierstitels und des Rechts zum Tragen der Offiziersuniform erkannt werden kann. §§ 33, 36 MStrGB. Sofern und solange solche Offiziere in aktiven Offizierstellen Verwendung finden, gehören sie zum aktiven Heere (Marine). RMGer. PE. III. Nr. 3. Verabschiedete Offiziere unter­ stehen, sofern sie nicht wieder als solche im Heer oder der Marine Verwendung gefunden haben, dem gemeinen Strafrecht und den bürgerlichen Gerichten. § 1 des Ges. v. 3. Mai 1890. 3. Während eines gegen das Deutsche Reich ausgebrochenen Krieges alle Personen, welche sich in irgend einem Dienst- oder Vertragsverhältniffe bei dem kriegführenden Heere befinden oder sonst sich bei dem­ selben aufhalten oder ihm folgen. § 155 MStrGB. 4. Die zu dem kriegführenden Heere zugelassenen ausländischen Offiziere; § 157 MStrGB. Das Gefolge derselben fällt unter die Vorschrift ad II, 3. 5. Die Kriegsgefangenen § 158 MStrGB.

Einleitende Bestimmungen.

§ 4.

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6. Ausländer und Deutsche während eines gegen das Deutsche Reich ausgebrochenen Krieges wegen strafbarer Handlungen gegen §§ 57—59, 134 MStrGB., ferner wegen aller gegen deutsche Truppen oder Be­ hörden in einem von deutschen Truppen besetzten ausländischen Ge­ biete verübten strafbaren Handlungen. 7. Die nicht zu den Personen des Soldatenstandes gehörenden Ange­ stellten eines Schiffes (über den Begriff „Schiff" vgl. § 163 MStrGB.). Andere an Bord eines Schiffes dienstlich eingeschiffte Personen unter­ liegen den Kriegsgesetzen, solange das Schiff im Kriegszustände sich be­ findet; letzterer tritt auch dann ein, wenn das Schiff außerhalb der heimischen Gewässer allein fährt. §§ 166,164 MStrGB. 5) Nach Erlaß des NMG. und des Ges. v. 11. Febr. 1888 ist die Eigenschaft als Militärperson von Ableistung eines Fahnen- bezw. Dienst­ eides nicht abhängig. RMGer. II. 12. März 1902. E. 2,222. Durch das Delikt der Fahnenflucht wird die Eigenschaft des Täters als Militärperson nicht aufgehoben. RG. IV. 5. April 1895. E. 27,143. Vor der Einstellung in das Heer rechtskräftig zu Zuchthaus verurteilte und versehentlich ein­ gestellte Personen sowie die auf Grund des § 11 RMG. eingestellten staatenlosen Deutschen erlangen durch die Einstellung die Eigenschaft als Militärperson. Hat die staatliche Behörde im Einzelfalle durch Einstellung des Rekruten von ihrem gesetzlichen Ansprüche auf dessen Dienstleistung im Heere oder der Marine Gebrauch gemacht, so besteht die durch das Gesetz begründete Verpflichtung zur Leistung des Heeresdienstes bis zur Entlassung im geordneten Wege fort. Bis zu diesem Zeitpunkte ist auch der dienst­ untaugliche Rekrut Person des Soldatenstandes und den Vorschriften des MStrGB. unterworfen. Er darf insbesondere nicht ohne Erlaubnis von seinem Truppenteil sich entfernen und wird, wenn er sich dieser Verpflichtung zum Heeresdienst durch eigenmächtige Entfernung dauernd entziehen will, wegen Fahnenflucht bestraft. RMGer. II. 12. März 1902. E. 2,222. Ein unter irrtümlicher Annahme seiner Reichsangehörigkeit eingestellter Ange­ höriger eines fremden Staates untersteht nicht den Vorschriften des MStrGB.; wohl aber wird durch die Tatsache der Einstellung in das deutsche Heer (Marine) ein Militärrechtsverhältnis insofern begründet, daß der zu Unrecht eingestellte Ausländer von der Militärgerichtsbarkeit er­ griffen wird. Vgl. RMGer. II. 17. Okt. 1903. E. 6, 78. II. 9. Nov. 1901. E. 2,53. Beling, Z. 1903/1904 S. 247. Anders bei den staatenlosen früheren Deutschen (vgl. oben) die durch Einstellung auch den materiellen Militär­ strafgesetzen unterworfen werden. Personen des Soldatenstandes, gegen welche auf Entfernung aus dem Heere oder auf Dienstentlassung erkannt ist (§§ 31—35 MStrGB.), Militär­ beamte, gegen welche auf Amtsverlust (§ 43 MStrGB.),„Zuchthaus, Ehr­ verlust oder Unfähigkeit zur Bekleidung öffentlicher Ämter (§§ 31—35 MStrGB.) erkannt ist, scheiden mit dem Zeitpunkt der Rechtskraft des Urteils aus dem Heere bezw. der Marine aus. 6) Die Merkmale des Begriffs „Militärbeamter" finden sich in An­ lage B. zum MStrGB. Vgl. auch die dort abgedruckte, auf der Verord­ nung v. 12. Aug. 1901 beruhende Klasseneinteilung. Vgl. ferner §§ 153, 154 MStrGB. Die Zivilbeamten der Militärverwaltung gehören zwar nach § 38 0 des RMG. zum aktiven Heer, unterstehen aber, abgesehen von dem Falle des § 155 MStrGB., dem bürgerlichen Strafgesetz und Gericht. Wird ihnen in Kriegszeiten Militärrang verliehen, so erhalten sie damit die Eigenschaft als Militärbeamte. Vgl. Koppmann, Note 10 zu § 5. Zu den Personen oes Beurlaubtenstandes sollen Militärbeamte des Friedens­ standes und Zivilbeamte der Militärverwaltung nicht gehören. § 36 Nr. 6 HO. Bezüglich der Offiziere des Beurlaubtenstandes, welche Militär­ beamte pp. sind, vgl. § 31 Nr. 10 HO.

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Militär-Strafgesetzbuch für das Deutsche Reich.

7) Diese Vorschrift bezieht sich nicht nur auf § 4, sondern auf das ganze Gebiet des MStrGB. 8) Die Tatsache, daß der vom Zivilgerichte verurteilte Angeklagte zur Zeit der Tat dem Soldatenstande angehörte, kann auch in der Revisions­ instanz mit Erfolg geltend gemacht werden. RG. IV. 5. April 1895. E. 27,uo. Vgl. § 14 EG. 9) Unter „Heer" im Sinne des MStrGB. sind auch die Kaiserlichen Schutztruppen zu verstehen. Verord. betr. die Eins, der deutschen Militär­ strafgesetze in den Afrikanischen Schutzgebieten v. 26. Juli 1896. 10) Gegen Personen, oie aus allen militärischen Verhältnissen ausge­ schieden sind, können Disziplinarstrafen nicht vollstreckt werden, auch wenn sie während der Dienstzeit verhängt sind; oie Disziplinarstrafgewalt über eine Militärperson erlöscht mit dem Ausscheiden dieser Person aus allen Militärverhältnissen. Vgl. auch KM. v. 27. Mai 1889.

§ 5.

Die Klasseneintheilung der Militärpersonen ergibt das diesem

Gesetze beigefügte Verzeichniß.

Die Mitglieder des Sanitätskorps und des Maschinen-Jngenieur-

korps unterliegen den für andere Personen des Soldatenstandes ge­ gebenen Vorschriften nach Maßgabe ihres Militärranges,

x) Es stehen die einjährig-freiwilligen Ärzte und Unterärzte im Range von Portepee-Unteroffizieren, die Assistenzärzte im Range der Leutnants, die Oberärzte im Range der Oberleutnants, die Stabsärzte im Range der Hauptleute, die Oberstabsärzte im Range der Majors, die Generaloberärzte im Range der Oberstleutnants, die Generalärzte im Range der Obersten, der Generalstabsarzt der Armee im Range eines Generalmajors, die einjährig-freiwilligen Marineärzte und Marine-Unterärzte im Range der Fähnriche zur See mit Offizierssäbel, die Marine-Assistenzärzte im Range der Leutnants zur See, die Marine-Oberärzte im Range der Oberleutnants zur See, die Marine-Stabsärzte im Range der Kapitänleutnants, die Marine-Oberstabsärzte im Range der Korvettenkapitäne, die Marine-Generaloberärzte im Range der Fregattenkapitäne, die Marine-Generalärzte im Range der Kapitäne zur See, der Generalstabsarzt der Marine im Range des Kontreadmirals. Vgl. Verordnungen über die Organisation des Sanitätskorps v. 6. Febr. 1873 und über die Organisation des Sanitätskorps der Marine v. 8. März 1897, ACO. v. 31. März 1898, v. 27. April 1898, 26. Juni 1899 und 26. März 1901. 2) An die Stelle des Maschinen-Jngenieurkorps ist das Marine-Jngenieurkorps getreten. ACO. v. 26. Juni 1899, §§ 2, c, d, § 10, 11, Anlage 8 und 21 MOrgB., vgl. ferner 88 9 Nr. 2 u. 7, 88 5, 55 MStrGO. Zu den Offizieren der Marine gehören außer dem Seeoffizierkorps, dem Sanitätsoffizierkorps, dem Offizierkorps der Marine-Infanterie, das Marine-Jngenieurkorps und das Torpedo-Jngenieurkorps, gebildet durch ACO. v. 8. Juli 1897, beide in MStrGO. 8 1 Nr. 2,7 zusammengefaßt unter „Ingenieure des Soldatenstandes", ferner die Feuerwerks-, Zeug- und Tor­ pederoffiziere. 8 2 MOrgB. Die Rangverhältnisse der Ingenieure des Soldatenstandes regeln die ACO. v. 7. Mai 1872, 8. Juli 1879 und 26. Juni 1899. Es haben den Rang

Einleitende Bestimmungen.

§§ 5, 6.

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Leutnants zur See die Marine- bezw. Torpedoingenieure, Oberleutnants zur See die Marine- bezw. Torpedo-Oberingenieure, Kapitänleutnants die Marine- bezw. Torpedo-Stabsingenieure, Korvettenkapitäns die Marine- bezw. charakt. Torpedo-Oberstabs­ ingenieure, eines Fregattenkapitäns die Marine-Chefingenieure. 3) Hinsichtlich der Militärbeamten vgl. Note 6 zu § 4 MStGB.

eines eines eines eines

§ 6. Personen des Beurlaubtenstandes *) unterliegen den Straf­ vorschriften dieses Gesetzes in der Zeit, in welcher sie sich im Dienstes

befinden; außerhalb dieser Zeit finden auf sie nur diejenigen Vor­ schriften3) Anwendung, welche in diesem Gesetze ausdrücklich auf Per­ sonen des Beurlaubtenstandes für anwendbar erklärt finb.4)5)6)

Zum Beurlaubtenstande gehören: a) die Offiziere, Ärzte, Beamten und Mannschaften der Reserve, Marine­ reserve, Landwehr, Seewehr, sowie die Mannschaften der Ersatz­ reserve und der Marineersatzreserve; die Verpflichtung zum Dienst in der Land(See-)wehr zweiten Äufgebots und damit die Zugehörig­ keit zum Beurlaubtenstande dauert bis zum 31. März desjenigen Kalenderjahres, in welchem das 39. Lebensjahr vollendet wird. Für Dienstpflichtige, welche vor vollendetem 20. Lebensjahre in das Heer (Marine) eingetreten sind, endigt die Verpflichtung am 31. März desjenigen Kalenderjahres, in welchem der Dienstpflichtige 6 Jahre der Landwehr zweiten Aufgebots angehört hat. Die Zugehörigkeit zur Ersatzreserve (Ersatzreservepflicht) dauert 12 Jahre und rechnet vom 1. Okt. des ersten Militärpflichtjahres ab. Ersatzreservisten, die geübt haben, treten nach diesem Zeitpunkt zur Land(See-)wehr zweiten Aufgebots über; Ersatzreservisten, die nicht geübt haben, scheiden nach diesem Zeitpunkte aus dem Beurlaubtenstande aus und treten zum Landsturm über. Art. II, §§ 3, 11, 19, 15, 20, 22 des Ges. v. 11. Sept. 1888. Dauernd Ganzinvalide scheiden ohne Rück­ sicht auf ihre Dienstzeit aus jedem Militärverhältnisse aus, dieselben werden aus den Landwehrstammrollen gestrichen. HO. § 13 Nr. 11. 8 14 Nr. 7, § 29 Nr. 9 c Militärpaß, Muster 6 daselbst, VIII. A. 2, Als zeitig ganzinvalide anerkannte Unteroffiziere und Soldaten, welche sich noch im reserve- oder landwehrpflichtigen Alter befinden, gehören, soweit sie nicht dem Landsturm überwiesen sind, zu den Mannschaften des Beurlaubtenstandes; b) die vorläufig in die Heimat beurlaubten Rekruten und Freiwilligen, 88 34, 56 Nr. 2 RMG.; sind sie auf einen bestimmten Tag einbe­ rufen und nicht eingerückt, so gehören sie auch nach diesem Zeit­ punkte zum Beurlaubtenstande und verbleiben bis zu ihrer tatsäch­ lichen Einstellung in die Truppe unter ihrer bisherigen Gerichts­ barkeit. Ihre Zugehörigkeit zum aktiven Heere (Marine) beginnt erst mit dem Zeitpunkte der Verpflegung durch die Militärverwaltung. 88 34, 38 Litt. A. 3 und B. 1, RMG. RMGer. III. 29. Dez. 1900. E. 1,9 I 25. April 1901. E. 1,98. Die Gewährung der Marschgebühr an solche vorläufig in die Heimat beurlaubten Rekruten bei ihrer Einbeorderung zum Truppenteil ist als Beginn der Verpflegung durch die Militärbehörde im Sinne des 8 38 A. 3 RMG. nicht an­ zusehen. Vgl. 88 38 A. 3, 34 RMG. 8 53 Abs. 1. Der FrBV. und 8 2 Abs. 1 und 2 der Friedensverpflegungsvorschrift. KM. 19. Juli 1902;

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c) die bis zur Entscheidung über ihr ferneres Militärverhältnis zur Dis­ position der Ersatzbehörden entlassenen Mannschaften: §§ 54, 56 Nr. 3 RMG. §§ 82, 83 WO.; d) die vor erfüllter aktiver Dienstpflicht zur Disposition der Truppenteile (Marineteile) beurlaubten Mannschaften. Vgl. auch ad a—d § 15 WG., §§ 34, 38, 54, 56 des RMG., § 11 d. Ges. v. 11. Febr. 1888, § 109 Nr. 4 WO., §§ 14 Nr. 2a, 27 HO.; e) die nach Aufruf des Landsturms davon betroffenen Landsturmpflichtigen, sowie die nach freiwilliger Meldung in die Listen des Landsturms eingetragenen Personen bis zu dem Tage, zu welchem sie einberufen sind, oder an welchem sie freiwillig eintreten. §§ 26, 30 des Ges. v. 11. Febr. 1888. Nach diesem Zeitpunkte gehören diese Personen zum aktiven Heere (Marine). § 38 B. 1 RMG. Nach Ablauf der aktiven Dienstpflicht hat der Soldat (abgesehen von den Ausnahmen des § 14 WO. und Art. II, § 1, Abs. 2 d. Ges. v. 3. Aug. 1893) einen gesetzlichen Anspruch auf Beurlaubung zur Reserve. Der Umstand, daß der Mann sich in Untersuchungshaft befindet oder genommen wird, hindert seine Überführung zur Reserve nicht. Mit der Beurlaubung zur Reserve geht die Gerichtsbarkeit auf das Gericht des kontrollierenden Be­ zirkskommandos bezw. auf das Gericht der diesem vorgesetzten Division über, wenn nicht bereits Anklage erhoben oder eine Strafverfügung zuge­ stellt ist. §§ 259, 10 MStGO. Dieser Anspruch auf Beurlaubung zur Reserve ist auch bei der Voll­ streckung von Disziplinarstrafen sowie in den Fällen zu beachten, wo Mann­ schaften wegen Abwartens der Entscheidung auf erhobene Versorgungs­ ansprüche oder wegen Krankheit, zurückbehalten werden. Die begonnene Strafverbüßung wird durch die Überführung des Bestraften zu den Mann­ schaften des Beurlaubtenstandes nicht unterbrochen. Kann aber die Strafe nicht spätestens am letzten Tage der gesetzlichen aktiven Dienstpflicht ange­ treten werden, so geht die Strafvollstreckung auf das Bezirkskommando über. KM. Nr. 60, 4. 02, C. 3, v. 7. Ium 1902 u. Nr. 17, 1. 02, A. 1 v. 7. Febr. 1902. 2) Vorausgesetzt wird die Einberufung zu einem militärischen Dienst aus Grund der dem Einberufenen obliegenden Wehrpflicht; z. B. Einberufung zur gesetzlichen Übung (§ 8 WG., § 42 HO.), zur Kontrollversammlung (§ 1 des Ges. v. 15. Febr. 1875, Art. II, § 12 des Ges. v. 11. Febr. 1888, § 115 Nr. 7 WO.), Beorderung zur Erfüllung der Meldepflicht beim Be­ zirksfeldwebel oder zur persönlichen Vernehmung beim Bezirkskommando. (§2 d. Ges. v. 15. Febr. 1875, § 114 Nr. 1b WO.). § 38 B. 1 RMG. und RMGer. II. 2. Juni 1802. E. 3,72, II. 28. März 1903. E. 4,284; als militärischer Dienst kann die Einberufung zu einer militärgerichtlichen Ver­ nehmung oder zur Verbüßung einer Freiheitsstrafe oder selbst die lediglich zur Durchführung eines militärgerichtlichen Verfahrens erfolgte Einbe­ orderung oder Abführung in die Üntersuchungshaft nicht angesehen werden. Auch der Verhaftete bleibt Person des Beurlaubtenstandes RMGer. II. 28. März 1903. E. 4,284. II. 2. Juni 1902. E. 3,72. Die Nichtbefolgung eines solchen Einberufungsbefehls ist daher nicht aus §§ 64, 66, sondern nur aus §§ 92,113 MStrGB. strafbar. Leistet dagegen eine Person des Beurlaubtenstandes der Einberufung zu einer Übung nicht Folge, so kann sie nicht wegen Ungehorsams (8 22 MStrGB.), sondern nur wegen uner­ laubter Entfernung (88 64 ff. das.) bestraft werden. RMGer. III. 20. Jan. 1901. E. 1,19. Eine Person des Beurlaubtenstandes befindet sich nur dann in einem militärischen Dienste, wenn sie von einer zuständigen Behörde einberufen ist. 8 38 B. 1 RMG. Eine Person des Beurlaubtenstandes, welche — ohne zum Dienst einberufen zu sein — behufs Erfüllung der ihr obliegen-

Einleitende Bestimmungen.

§ 6.

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den Verpflichtungen, Handlungen vornimmt, die militärische Zwecke ver­ folgen, tritt hiernach nicht in den „Dienst" und ihre Handlung unterliegt dem MStrGB. nur dann, wenn das letztere dies für den Einzelfall aus­ drücklich vorschreibt. Bei vorsätzlicher Abstattung wissentlich falscher Mel­ dungen seitens einer Person des Beurlaubtenstandes ist die Anwendbarkeit des MStrGB. insbes. des § 139 MStrGB. ausgeschlossen. RMGer. II. 9. Nov. 1901. E. 2,52. Im § 38 B. 1 des RMG. wird nicht unterschieden, zu welchem Zwecke die Einberufung zum Dienste geschehen ist, es wird vielmehr die Zugehörig­ keit zum aktiven Heer (Marine) nur von der Einberufung aus dem Be­ urlaubtenstande zum Dienste abhängig gemacht. Die Einbeorderung einer Person des Beurlaubtenstandes zu einer Kontrollversammlung stellt eine Einberufung zum Dienste dar, § 26 DStO., § 29 MDStO. Der Tag der Ein­ berufung und der Tag der Wiederentlassung können auf einen Tag zusammen­ fallen. Eine zur Kontrollversammlung einberufene Person des Beurlaubten­ standes gehört daher während des ganzen Tages (von Mitternacht zu Mitternacht), zu welchem sie einberufen ist, zum aktiven Heere (Marine) und ist dem MStrGB. unterworfen. RG. II. 21. Sept. 1886. E. 14,328, II. 30. Juni 1885. E. 12,319. RMGer. I. 18. Nov. 1901. E. 2,59.1. 28. Nov. 1901. E. 2,70. Befehle, die am Tage der Kontrollversammlung außer­ halb der letzteren von Gendarmen an Kontrollpflichtige zur Aufrecht­ erhaltung der Ruhe und Ordnung erteilt werden, stellen sich als Befehle in Dienstsachen dar. RMGer. I. 28. Nov. 1901. E. 2,70. Zwischen den zur Kontrollversammlung einberufenen Unteroffizieren und Mannschaften besteht das aus dem Dienstgrade sich ergebende Vorgesetztenverhältnis nicht bloß während der Kontrollversammlung selbst, sondern während der ganzen Dauer des betreffenden Tages. RMGer. I. 18. Nov. 1901. E. 2,59; I. 5. Mai 1902. E. 3,28; III. 1. März 1904. E. 6,267. Wegen der Zuständig­ keit des Militär- oder Zivilgerichts vgl. § 10 MStrGO. und RMGer. I. 18. Nov. 1901. E. 2,59. Die Angehörigkeit einer zum Dienste einberufenen Person des Beurlaubtenstandes zum aktiven Heere (Marine) ist unabhängig von der persönlichen Anwesenheit des Einberufenen an dem zum Dienste bestimmten Orte oder von tatsächlicher Ausführung von Dienstleistungen. Personen des Beurlaubtenstandes, welche dem Einberufungsbefehle nicht nachkommen, sind strafrechtlich so anzusehen, als ob sie tatsächlich im Dienste wären und zählen von dem &age, zu welchem sie einberufen sind, bis zu dem Tage, an welchem ihre Entlassung hätte erfolgen müssen, zum aktiven Heer (Marine). Mit diesem Tage treten sie ohne weiteres zum Beur­ laubtenstande zurück. Die Nichtbefolgung einer Einberufung zum militäri­ schen Dienst (zur Übung, Kontrollversammlung rc.) ist, wenn sie vorsätzlich erfolgt, nach § 64 MStrGB. strafbar; der § 92 MStrGB., dem gegenüber der § 64 a. a. O. der speziellere ist, kommt nicht zur Anwendung. (Für den Fall der Mobilmachung vgl. § 68 a. a. O.). Die fahrlässige Nicht­ befolgung einer Einberufung zum militärischen Dienst seitens einer Person des Beurlaubtenstandes ist nach § 92 MStrGB. strafbar. RMGer. III. 30. Jan. 1901. E. 1,19; II. 27. Mai 1903. E. 5,16?; I. 29. Juni 1903. E. 5,220; PE. V. Nr. 92; PE. IV. Nr. 144; PE. VI. Nr. 94; §§ 38 B. 1; 56 RMG., RG. I. 21. April 1892. E. 23,81. 3) Diese Vorschriften finden sich in §§ 42, 68, 69, 101, 113, 126 MStrGB. Das RMG. hat in § 60 Nr. 3 die in Note 1 sub. b c d dieses Para­ graphen genannten Personen des Beurlaubtenstandes den Bestimmungen des MStrGB. Teil II, Titel I, Absch. 3 und 4 über unerlaubte Entfernung und Fahnenflucht, Selbstbeschädigung und Vorschützung von Gebrechen unterworfen. Vgl. auch §§ 5 Nr. 1, 30 MStrGO. 4) Wegen Disziplinarbestrafung und Disziplinarstrafmittel vgl. Ab-

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Militär-Strafgesetzbuch für das Deutsche Reich.

schnitt III DStO., und Abschnitt II MDStO. und § 6 des Ges. v. 15. Febr. 1875, betr. die Ausübung der militärischen Kontrolle über die Personen des Beurlaubtenstandes. 5) Zur Reserve entlassene Mannschaften sind noch für den Ent­ lassungstag Personen des aktiven Heeres. § 38 A. 3, B. 1 RMG. 6) Wegen unerlaubter Auswanderung vgl. § 140 2 u. 3, § Z60 3 RStrGB. Erfolgt die unerlaubte Auswanderung nach Einberufung zum Dienst, so ist die Militärgerichtsbarkeit begründet und die Tat nach §§ 64 bis 76 MStrGB. zu beurteilen. § 7.

Strafbare Handlungen,4) welche von Militärpersonen im

Auslandes) während sie dort bei den Truppens oder sonst in dienst­

licher Stellung4) sich befinden, begangen werden, sind ebenso zu bestrafen, als wenn diese Handlung von wären, b) 6)

ihnen im

Bundesgebiete begangen

4) Durch § 7 MStrGB. wird nur die Vorschrift der §§ 4,5,6 RStrGB. abgeändert, nicht die des § 7 RStrGB. Eine im Auslande vollzogene Strafe ist, wenn wegen derselben Handlung durch ein Militärgericht aber­ mals eine Verurteilung erfolgt, auf die zu erkennende Strafe in Anrech­ nung zu bringen. Zu den „strafbaren Handlungen" im Sinne des § 7 MStrGB. gehören auch die Übertretungen des RStrGB. Der § 7 MStrGB. enthält eine der im § 6 RStrGB. vorgesehenen Ausnahmen. AM. Koppmann Note 2 zu tz 7. Auf strafbare Handlungen von Militär­ personen im Auslande, welche nicht unter den Voraussetzungen des § 9 MStrGB. verübt sind, finden die 88 4—6 RStrGB. Anwendung. 2) Ausland ist jedes nicht zum Deutschen Reiche gehörige Gebiet (vgl. auch 8 8 RStrGB ). Ausland in diesem Sinne sino auch die Schutzgebiete, urnwilisierte, staatenlose Gebiete, das offene Meer. Deutsche Kriegsschiffe und Handelsschiffe sind schwimmende Gebietsteile des Inlandes: erstere dauernd, letztere solange sie sich nicht in fremden Hoheitsgewässern befinden. 3) Zu den Truppen im Sinne dieser Vorschrift gehören auch die Truppen des ausländischen Staates, in dem sich die Militärperson befindet. 4) Vorausgesetzt wird, daß die Militärperson während ihres Aufent­ haltes im Auslande Angehöriger des Reichsheeres, der Kais. Marine oder der Schutztruppe bleibt. (Vgl. auch Verordnung betr. Einfg. d. Deutschen Militär-Strafgesetzes in den afrik. Schutzgebieten v. 26. Juli 1896.) Die dienstliche Stellung kann auch eine diplomatische sein. Vgl. Koppmann, Note 7 zu 8 7 MStrGB. 5) Die Vorschrift des 8 7 MStrGB. gilt auch für Friedenszeiten. 6) Die Vorschrift des 8 7 MStrGB. findet in Kriegszeiten auch auf die Teil II Titel III MStrGB. bezeichneten Personen Anwendung.

§ 8.

Militärische

Verbrechen

und

Militärpersonen verbündeter Staaten2)

Vergehen,4)

welche

gegen

in gemeinschaftlichen Dienst­

verhältnissen^) begangen werden, sind, wenn Gegenseitigkeit verbürgt ist, ebenso zu bestrafen, als wenn diese Handlungen gegen Militär­ personen des Heeres oder der Marine begangen wären.4) 4) Vgl. auch Note 3 u. 7 zu 8 1 MStrGB. Wegen Bestrafung ledig­ lich auf Grund des RStrGB. strafbarer Reate im Auslande vgl. 88 4—6 RStrGB., 8 3 MStrGB. 2) Die Eigenschaft einer „Militärperson eines verbündeten Staates" liegt vor, wenn diese Militärperson in gleicher Stellung im Reichsheere

Einleitende Bestimmungen.

§§ 7—9.

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oder der Marine als deutsche Militärperson anzusehen wäre (Motive 52). Vorausgesetzt sind Militärpersonen eines außerdeutschen Staates, welcher mit dem Deutschen Reich verbündet ist. Die zum Deutschen Reich ge­ hörigen Bundesstaaten gehören nicht hierher. 3) Die gemeinschaftlichen Dienstverhältnisse mit dem verbündeten Staate müssen zur Zeit der Begehung der Tat bestanden haben. Derartige gemeinschaftliche Dienstverhältnisse können auch in Friedenszeiten (z. B. bei gemeinschaftlichem Manöver) vorliegen. 4) Ein Bündnisverhältnis wird in der Regel auf einem Staatsvertrage beruhen; mangelt ein solcher, so wird die Entscheidung über das Be­ stehen eines Bündnisverhältnisses dem Allerhöchsten Kriegsherrn zustehen. Vgl. Schlayer, Note 30 zu §8 MStrGB. Das Bestehen des Bündnisver­ hältnisses und der Gegenseitigkeit muß dem Täter bekannt sein. § 59 RStrGB. Es dürfte gegebenenfalls hierüber eine Bekanntmachung an die Truppen zu erfolgen haben.

§ 9. Die in diesem Gesetze^) für strafbare Handlungen im Felde gegebenen Vorschriften (Kriegsgesetze) gelten: 1. für die Dauer des mobilen Zustandesx) des Heeres, der Marine oder einzelner Theile derselben; 2. für die Dauer des nach Vorschrift der Gesetze erklärten Kriegs­ zustandes in den davon betroffenen Gebietens) 3. in Ansehung derjenigen Truppen, denen bei einem Aufruhr,3) einer Meuterei,3) oder einem kriegerischen Unternehmen^) der befehligende Offizier dienstlich bekannt ^) gemacht hat, daß die Kriegsgesetze für sie in Kraft treten, für die Dauer dieser Zu­ stände; 4. in Ansehung derjenigen Kriegsgefangenen,3) welchen der höchste an ihren: Aufenthaltsorte befehligende Offizier3) dienstlich be­ kannt^) gemacht hat, daß die Kriegsgesetze für sie in Kraft treten.8) xa) Das Reichs- und Landesstrafrecht kommt für die Kriegsgesetze nicht in Betracht. Vgl. aber auch § 127 MStrGB. x) Die Anordnung der Kriegsgemeinschaft (Mobilmachung) steht nach Art. 63 der Reichsverfassung dem Kaiser zu. Für Bayern erfolgt sie auf Veranlassung des Kaisers als Bundesfeldherrn durch den König von Bayern. III § 5 des Vertrages betr. d. Beitritt von Bayern zur Ver­ fassung d. Deutschen Bundes v. 23. Nov. 1870. Der Abschluß des Friedens macht aber einen mobilen Truppenteil noch nicht zu einem demobilen. RMGer. I. 8. Sept. 1902. E. 3,2is. Bezüglich des mobilen Zustandes der Marine vgl. auch § 164 MStrGB. 2) Ist die öffentliche Sicherheit in dem Bundesgebiet bedroht, so kann der Kaiser, abgesehen von Bayern, einen jeden Teil desselben nach Maß­ gabe der Vorschriften des Pr. Gesetzes vom 4. Juni 1851 im Falle eines Krieges oder Aufruhrs bei dringender Gefahr für die öffentliche Sicherheit in Kriegszustand erklären. Art. 68 d. Reichsverfassung. Dies Recht steht aus­ schließlich dem Kaiser zu, unabhängig von der Zustimmung der Landes­ regierung, dem Bundesrat oder dem Reichstag. Vgl. Laband, Staatsrecht d. D. R. IV 40ff. In Boyern erfolgt die Erklärung des Kriegszustandes Herz u. Ernst, Strafrecht der Militärpersonen.

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Militär-Strafgesetzbuch für das Deutsche Reich.

durch den König von Bayern nach Maßgabe der bayr. Gesetzgebung. Vgl. III u. IV des in Note 1 zit. Vertrages. 3) Es kommen hier lediglich der militärische Aufruhr und die militäriscbe Meuterei in Frage. *) Dieselben können auch in Friedenszeiten stattfinden. 5) Es handelt sich um Kriegsgefangene in einem dem Kriegszustände nicht unterworfenen Gebiete. Vgl. auch MStrGB. § 158, 9 Nr. 2. Kriegs­ gefangene sind alle feindlichen Personen, welche aus Anlaß von Kriegs­ operationen in Gefangenschaft geraten sind; daß sie Militärpersonen sind, wird nicht erfordert. 6) D. h. „deutscher" Offizier. 7) Eine Form der dienstlichen Bekanntmachung ist nicht vorgeschrieben, sie ist in das Ermessen des zuständigen Befehlshabers gestellt. 8) Befindet sich der Täter in Unkenntnis der die Anwendung der Kriegsgesetze begründenden Zustände des § 9 MStrGB., so findet § 59 RStrGB. Anwendung.

§ 10. Den Kriegsgesetzen unterworfen sind im Falle des § 9 Nr. 1: 1. die Personen des aktiven Dienststandesla) von dem Tage ihrer Mobilmachung*) bis zu ihrer Demobilmachung; 2. die Personen des Beurlaubtenstandes von dem Tage, zu welchem sie einberufen sind, bis zu ihrer Entlassung.2)3) !a) Vgl. Note 4 a zu § 4 MStrGB. *) Zur Anwendung dieser Vorschrift muß der Regel nach eine Mobil­ machungsorder ergangen sein, dieselbe muß sich auf die in Rede stehende Militärperson erstrecken und eine Demobilmachung darf noch nicht erfolgt sein. Für eine Person des aktiven Dienststandes beginnt der Zustand der Kriegsbereitschaft mit dem ersten für diese Person geltenden Mobil­ machungstag, d. i. dem Tage, an welchem auf Grund dienstlicher Bekannt­ machung die Kriegsverpflegung eintritt, und dauert bis zum Aufhören der Kriegsverpflegung (Demobilmachung). Die Tatsache des Friedensschlusses macht einen mobilen Truppenteil noch nicht zu einem demobilen. RMGer. I. 8. Sept. 1902. E. 3,218. 2) D. h. bis zum Ablauf des Tages der Wiederentlassung; § 38 B 1 des RMG. 3) Bezüglich der Personen des Beurlaubtenstandes vgl. Note 1 zu § 6 MStrGB.

§ 11. Im Sinne dieses Gesetzes*) ist als vor dem Feinde be­ findlich jede Truppe zu betrachten, bei welcher?) in Gewärtigung eines Zusammentreffens mit dem Feinde der Sicherheitsdienst3) gegen den­ selben begonnen hat.*)3) *) Vgl. §§ 58, 73, 85, 86, 95, 108 u. 141 MStrGB. Vgl. auch § 165 MStrGB. 2) Erfordert wird der tatsächliche Beginn des Sicherheitsdienstes. Auch Truppen, denen nicht an sich, wie der Avantgarde (Avantgarden­ kavallerie, Vortrupp, Haupttrupp) und Arrieregarde (Haupttrupp, Nach­ trupp, Arrieregardenkavallerie) der Sicherheitsdienst obliegt, befinden sich vor dem Feinde, wenn bei ihnen tatsächlich der Sicherheitsdienst begonnen hat. Vor dem Feinde befindet sich eine Truppe so lange, bis der Sicher-

Einleitende Bestimmungen.

§§ 10—12.

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heitsdienst wieder aufhört, also nicht nur auf dem Vormarsch und im Ge­ fecht, sondern auch auf dem Rückzug. 3) Die Anordnung des Sicherheitsdienstes trifft der zuständige Kom­ mandeur; unerheblich ist, ob die Anordnung sich später als unnötig heraus­ stellt. Es genügt aber nicht, daß der Sicherheitsdienst befohlen worden ist, er muß auch tatsächlich eingetreten sein. Über die Handhabung des Sicher­ heitsdienstes vgl. Felddienstordnung S. 43ff. 4) Bei Unkenntnis des Täters von dem Beginn des Sicherheitsdienstes findet § 59 RStrGB. Anwendung. 5) Bezüglich der Marine vgl. §§ 162, 165 MStrGB.

§ 12. Diejenigen Vorschriften dieses Gesetzes, welche die Strafe mit Rücksicht darauf bestimmen, daß eine Handlung vor versammelter Mannschaft4) begangen worden ist, finden Anwendung, wenn außer dem Vorgesetzten4») und dem einzelnen Betheiligten2) noch mindestens drei andere zu militärischem Dienstes versammelte Personen des Soldatenstandes4) gegenwärtig^) gewesen sind.3) 4) Der Begriff „vor versammelter Mannschaft" erfordert, daß bei der gegen den Vorgesetzten von dem Täter verübten strafbaren Handlung der Vorgesetzte, der Täter und noch mindestens drei andere, zu militärischem Dienste unter der Aufsicht oder dem Kommando eines ev. anderen Vor­ gesetzten (RMGer. I. 9. Jan. 1902. E. 2,136) versammelte Personen des Soldatenstandes gegenwärtig sind. RMGer. II. 13. Sept. 1902. E. 3,236. Eine gemeinsame Leitung des Dienstes durch denselben Vorgesetzten und Gemeinschaftlichkeit des Dienstes ist nicht erforderlich, RMGer. PE. III. Nr. 112; ebensowenig Gegenwart dieses Vorgesetzten i. S. d. Paragraphen. Vgl. Koppmann Note 9 zu § 12 MStrGB. Für den Begriff der ver­ sammelten Mannschaft unerheblich ist es, ob der Vorgesetzte und der Täter außer Dienst oder in Ausübung des Dienstes sich befinden oder zum Dienst versammelt sind. 4a) Vgl. Note 7 zu § 47 MStrGB. 2) Wird die Tat von Mehreren oder gegen mehrere Vorgesetzte ver­ übt, so ist dem einzelnen Beteiligten (Täter, Teilnehmer im Sinne des RStrGB. T. 1 Absch. 3) gegenüber jeder andere Beteiligte und jedem einzelnen Vorgesetzten gegenüber jeder andere Vorgesetzte, falls diese Per­ sonen zum militärischen Dienste versammelt waren, mitzurechnen. Es ist daher bei einer Subordinationsverletzung gegenüber einer aus mehreren Leuten bestehenden Patrouille jeder einzelne Mann als Vorgesetzter, die übrigen Leute derselben als versammelte Mannschaft zu zählen. RMGer. I. 25. Mai 1903. E. 5,iss. 3) Militärischer Dienst ist jede Verrichtung einer Militärperson, welche auf einer militärischen Dienstpflicht beruht; unter militärischen Dienst­ pflichten sind nicht nur solche zu verstehen, welche auf bestimmten, schrift­ lich oder mündlich gegebenen Befehlen oder Vorschriften sich gründen, sondern auch solche, welche sich aus militärdienstlichen Grundsätzen er­ geben. RMGer. II. 12. Febr. 1901. E. 1,30; I. 19. Dez. 1901. E. 2,ioi; PE. I. Nr. 118. Eine Ausübung des Dienstes ist nicht nötig, erforderlich ist nur das Versammeltsein zum Zwecke einer militärischen Dienstverrich­ tung. Das dienstlich befohlene Anhören der Ansprache des Kompagniechefs zu Kaisersgeburtstag ist für die Mannschaften eine Diensthandlung. Arbeitsdienst kommt nach einer unter der Herrschaft der preußischen MStrGO. ergangenen Allerhöchsten Entscheidung als militärischer Dienst nur dann in Betracht, wenn er unter dauernder Aufsicht eines. Vorgesetzten zu militärdienstlichen Zwecken erfolgt.

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Militär-Strafgesetzbuch für das Deutsche Reich.

So sind beispielsweise nach früheren Entscheidungen des preußischen Generalauditoriats als „zu militärischem Dienst versammelt" anzusehen Militärhandwerker, welche zur Arbeit auf einer militärischen Handwerk­ stätte, Soldaten, welche zur Arbeit auf der Kammer oder bei den Scheiben­ ständen kommandiert sind und diese Arbeiten unter der Aufsicht eines Vor­ gesetzten verrichten; Soldaten, während sie von einem Vorgesetzten zur Küche geführt werden, um das Essen zu holen; wird das Essen unter mili­ tärischer Aufsicht eingenommen, so sind die Mannschaften auch während des Essens zum militärischen Dienste so lange versammelt, bis der Aufsicht führende Vorgesetzte sie entläßt. Dagegen ist das Einnehmen des Essens an Bord kein militärischer Dienst, da die Mannschaften hierzu nicht eigent­ lich kommandiert werden. Zu militärischem Dienst versammelt sind da­ gegen anzusehen Mannschaften, welche zum Kartoffelschälen kommandiert sind und diese Arbeit unter der Aufsicht eines Vorgesetzten verrichten, Kavalleristen, welche im Stalle unter Aufsicht eines Vorgesetzten die Pferde satteln, oder abwarten, putzen (RMGer. I 9. Jan. 1902. E. 2,136), Soldaten, welche in einer dazu angesetzten Putzstunde ihre Sachen reinigen, Mann­ schaften, welche auf Befehl des Vorgesetzten zum Gewehrreinigen heraus­ treten, Mannschaften, welche dienstlich zum Waschen unter Aufsicht des Vorgesetzten antreten, Mannschaften, welche an Bord zum Kohleneinnehmen, oder zum Deckaufklaren kommandiert sind und diese Arbeiten unter Auf­ sicht des Vorgesetzten verrichten, Mannschaften, die vom Urlaub zurück­ kehren und an Bord geführt werden, Arrestanten, Einzelgefangene, welche im Hofe des Arresthauses oder des Festungsgefängnisses in freier Luft sich ergehen; das Einnehmen von Medizin in Gegenwart und auf Befehl des Arztes ist als militärischer Dienst anzusehen. Als solcher stellt sich ferner dar die Abführung von Arrestanten, die Übergabe derselben an den Arrest­ hausaufseher, die Untersuchung der Arrestanten durch letzteren (RMGer. II 13. Sept. 1902. E. 2,236), Haferfassen, Schwimmen (vgl. Koppmann Note 7 zu § 12 MStrGB.), Geschützreinigen. Nicht im militärischen Dienst befinden sich zum Zwecke des privaten Erwerbs durch Musizieren versammelte Militärmusiker. Ob biwakierende Truppen sich im Dienste befinden, hängt von den tatsächlichen Verhältnissen ab und ist je nach dem Zwecke des Biwakierens und den dafür ergangenen Verhaltungsmaßregeln zu entscheiden. Soweit Manöverbiwaks zu Übungszwecken stattfinden, sind die an denselben teil­ nehmenden Mannschaften, auch wenn sie nicht zu den Vorpostentruppen gehören, während der ganzen Dauer des Biwaks als im Dienste befindlich anzusehen. Ist das Biwak aus Mangel hinreichender Unterkunftsräume für die Mannschaften angeordnet, so befinden sich die biwakierenden Truppen, soweit ihnen nicht ein bestimmter Dienst befohlen ist, außer Dienst. Vgl. Koppmann a. a. O. Die Mannschaften einer im Allarmquartier liegenden Vorposten­ kompagnie sind während der Dauer dieses Zustandes zum militärischen Dienste versammelt. Felddienstordnnng S. 106. Für den Begriff des „militärischen Dienstes" genügt das Antreten zum Dienst; unerheblich ist, ob der Dienst tatsächlich ausgeübt wurde, ob die Mannschaft sich rührte oder sich in dienstlicher Ordnung befand. Es sind daher auch die in der Wachstube, im Bereitschaftsdienst versammelten Mannschaften der Wache „zu militärischem Dienst versammelt". Kopp­ mann Note 10 zu § 12 z. MStrGB. 4) Der Begriff des Versammeltseins erfordert ein räumliches Zu­ sammensein, welches auf militärischem Dienste beruht, also einen „dienst­ lichen", nicht nur zufälligen Zusammenhang der Mannschaften. RMGer. zit. Erk. E. 2,236. Gegenwärtige Militärbeamte erfüllen den Begriff „vor versammelter Mannschaft" nicht. Daß die zum militärischen Dienst ver-

Einleitende Bestimmungen.

§ 13.

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sammelten Personen des Soldatenstandes bewaffnet waren, ist nicht er­ forderlich; welchen Rang diese Personen haben, ist gleichgültig. 5) Der Begriff „gegenwärtig" erfordert, daß die räumlichen und sonstigen Verhältnisse den drei zum militärischen Dienste versammelten Personen des Soldatenstandes die Möglichkeit eigener sinnlicher Wahr­ nehmung des Vorfalls gewährten, insbesondere also die gesprochenen Worte zu hören und das mit den Augen wahrzunehmende zu sehen. Daß die Tat von den als versammelte Mannschaft anzusehenden Personen wahr­ genommen wurde, wird nicht vorausgesetzt. RMGer. I. 9. Jan. 1902. E. 2,136. II. 13. Sept. 1902. E. 3,236. I. 25. Sept. 1902. E. 3,273. II. 30. Dez. 1903. E. 6,210. 6) Eine Handlung kann dem Täter als „vor versammelter Mann­ schaft" begangen nur dann zugerechnet werden, wenn demselben bei Be­ gehung der Tat die Gegenwart der als versammelte Mannschaft anzu­ sehenden Personen bekannt war oder er doch das Bewußtsein hatte, daß von diesen Personen die ihm zur Last fallende Tat wahrgenommen werden konnte, verbunden mit dem Einverständnisse mit diesem Erfolge, wenn er eintrete; dolus eventualis. § 59 RStrGB., § 2 MStrGB. RMGer. I. 25. Sept. 1902. E. 3,273. Die Feststellung, daß der Täter sich habe sagen müssen, die zur Erfüllung des Begriffs der versammelten Mannschaft erforderliche Personenzahl sei vorhanden, ist rechtlich unerheblich. RMGer. PE. V. Nr. 93. II. 30. Dez. 1903. E. 6,210. § 13?)

Wo das Gesetz die Strafe mit Rücksicht auf den Rück­

fall bestimmt, tritt dieselbe ein, wenn der Thäter, nachdem etla) wegen eines militärisch en 2) Verbrechens oder Vergehens durch ein Deutsches

Gerichts verurtheilt und bestraft4)5) worden ist, dasselbe8) militärische

Verbrechen oder Vergehen abermals begeht. Diese

Bestimmung findet Anwendung,

auch

wenn die frühere

Strafe nur theilweise verbüßt oder ganz oder theilweise erlassen ist. Sie bleibt jedoch ausgeschlossen, wenn seit der Verbüßung oder dem Erlasse der Strafe bis zur Begehung der neuen strafbaren Handlung

fünf Jahre verflossen sind. Dasselbe gilt bei wiederholtem 9lit(ffalk.7)7a)8)9) 1) Der § 13 MStrGB. behandelt den Rückfall im engeren Sinne, welcher Vorbestrasungen wegen militärischer Delikte der gleichen Art vor­ aussetzt. Ueber den Rückfall im weiteren Sinne, bei welchem es sich all­ gemein um Vorbestrafungen wegen militärischer Straftaten handelt, vgl. § 22 Abs. 3, § 38 MStrGB. xa) Der Bestrafung als Täter steht die Bestrafung wegen Versuchs oder Teilnahme (Anstiftung, Beihilfe) gleich. RG. I. 23. Sept. 1880. E. 2,261, II. 13. Jan. 1882. R. 4,40, II. 3. März 1882. R. 4,223. 2) Auf gemeinstrafrechtliche Verbrechen und Vergehen bezieht sich die Bestimmung des § 13 nicht. Eine Bestrafung wegen Körperverletzung (§§ 223ff. RStrGB.) begründet gegenüber einem Vergehen gegen § 122 Abs. 2 MStrGB. keinen Rückfall. 3) Eine während eines ausländischen Militärdienstes durch ein aus­ ländisches Militärgericht erkannte Strafe, ferner disziplinarische Bestrafungen (§ 3 Abs. 2 des EG. zum MStrGB.) kommen als Vorbestrafungen für den Rückfall im Sinne des § 13 MStrGB. nicht in Betracht. 4) Eine durch die erlittene Untersuchungshaft für verbüßt erachtete Strafe gilt als vollstreckt.

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Militär-Strafgesetzbuch für das Deutsche Reich.

5) Eine Bestrafung ist erst dann vorhanden, wenn der Verurteilte die erkannte Strafe zur Zeit der Begehung der neuen Straftat entweder ver­ büßt oder an getreten hat oder wenn die Strafe erlassen ist. Bei dem nicht in Untersuchungshaft befindlichen Angeklagten trifft der Beginn des Strafantritts mit der Einlieferung in die Strafanstalt zusammen. Ent­ weicht der Angeklagte bei dem Transport (§ 4 MStrVV.) zur Strafanstalt, so kann die Strafe nicht als an getreten angesehen werden. Befindet sich der Angeklagte in Untersuchungshaft, so beginnt der Strafantritt mit dem Tage der Rechtskraft des Urteils, oder, wenn der Angeklagte bereits vorher auf Einlegung eines Rechtsmittels verzichtet hat, mit dem Tage des Ver­ zichts. Vgl. auch Note 5 zu § 38 MStrGB. Erfolgt die Verhaftung des Angeklagten nach Rechtskraft des Urteils oder nach dem Verzicht auf Ein­ legung eines Rechtsmittels, so fällt der Beginn des Strafantritts mit der Verhaftung zusammen. Das gleiche gilt, wenn der Angeklagte verhaftet wird, nachdem er das eingelegte Rechtsmittel zurückgenommen hat oder, ohne eine Erklärung abzugeben, die Einlegungsfrist hat verstreichen lassen; §§ 458, 459 MStrGO. Begeht der Verurteilte zwischen der Verurteilung und dem Antritt (Erlaß) der Strafe dasselbe militärische Delikt, so liegt ein Rückfall nicht vor. Gelangen mehrere durch verschiedene Urteile dem Angeklagten auf­ erlegte Freiheitsstrafen, hinsichtlich welcher die Voraussetzungen des § 461 MStrGO. nicht zutreffen, nacheinander in ungetrennter Folge zur Voll­ streckung, so ist auch die Bestrafung aus jedem einzelnen Urteile durch den Antritt der in jedem einzelnen Urteile erkannten Strafe bedingt. Begeht ein wegen Fahnenflucht Verurteilter während der Verbüßung seiner Strafe dasselbe Verbrechen, wird deshalb wegen Fahnenflucht im Rückfall ver­ urteilt und macht sich dann noch während oer Verbüßung der gegen ihn wegen Fahnenflucht aus dem ersten Urteil erkannten Strafe zum dritten Male der Fahnenflucht schuldig, so kann er nicht mit der Strafe des wieder­ holten Rückfalls belegt werden; die Handlung ist vielmehr nur als Fahnen­ flucht im abermaligen ersten Rückfall zu erachten. Bestand die Bestrafung aus einer Gesamtstrafe wegen mehrerer Delikte, von denen nur eins dasselbe Verbrechen oder Vergehen darstellt, wie das neuerdings zur Aburteilung gelangende Delikt, so begründet der Antritt der Gesamtstrafe den Rückfall. 6) Nach den Motiven wird ein militärisches Delikt gleicher Art vor­ ausgesetzt RMGer. PE. VII Nr. 26; gleichgültig ist, ob in dem einen oder anderen Falle ein straferhöhender Umstand konkurrierte. Eine Bestrafung wegen Fahnenflucht begründet für eine später unerlaubte Entfernung die Strafe des Rückfalls (nicht aber umgekehrt). Unerheblich ist ferner, ob die Begehungsart des Delikts in dem einen Falle eine andere war wie in dem anderen. Die unter eigenmächtiger Entfernung von der Truppe begangene Fahnenflucht steht der unter vorsätzlichem Fernbleiben vom der Truppe be­ gangenen Fahnenflucht gleich; die Verweigerung des Gehorsams, das Er­ kennengeben des Ungehorsams durch Worte usw., das Beharren im Unge­ horsam sind im Sinne dieser Vorschrift untereinander gleich. Der einfache Un­ gehorsam begründet dem qualifizierten Ungehorsam gegenüber, der qualifizierte Ungehorsam dem einfachen Ungehorsam gegenüber die Rückfallsstrafe. Das­ selbe gilt von den einzelnen Begehungsformen des Mißbrauchs der Dienstgewall (§ 114 MStrGB.) untereinander. Dagegen kann Widerrede gegen er­ haltenen Verweis nicht als Rückfallsvergehen gegenüber der Gehorsamsver­ weigerung erachtet werden, da hier ungleichartige Vergehen vorliegen. Vgl. § 94 MStrGB. 7) Rückfall wie wiederholter Rückfall liegt nur dann vor, wenn so­ wohl seit Verbüßung oder Erlaß der ersten Strafe bis zur Begehung oer neuen zweiten Straftat, als auch seit Verbüßung oder Erlaß der für die

Erster Teil.

Von der Bestrafung im allgemeinen.

§ 14.

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zweite Straftat verhängten Strafe bis zur Begehung der dritten Straftat je fünf Jahre noch nicht vergangen sind. Die Entscheidungen des RG. E. 1,246, R. 1,833 sind im Hinblick auf Absatz 2 des § 13 MStrGB. auf den hier behandelten Rückfall nicht anwendbar. Der die rechtlichen Bedingungen des Rückfalls und des wiederholten Rückfalls prüfende Richter hat sich bei der Tatsache zu bescheiden, daß auf Grund eines rechtskräftigen Urteils eine Strafvollstreckung erfolgt ist. Die materielle Gerechtigkeit der rechtskräftigen Vorbestrafung und des rechts­ kräftig festgestellten Rückfalls ist der Entscheidung des über den Rückfall oder den wiederholten Rückfall erkennenden Richters entzogen. RG. II. 20. Sept. 1888. E. 18,ii6. 7a) Ein Urteil, welches ohne Rechtsirrtum auf Grund unrichtiger tat­ sächlicher Feststellungen Rückfall für gegeben erachtet, kann nicht im Wege der Revision, sondern nur durch Wiederaufnahme des Verfahrens ange­ fochten werden. Dasselbe gilt, wenn die Vorbestrafungen, welche den Rück­ fall begründen, vom Tatrichter, weil unbekannt, nicht berücksichtigt worden sind. RG. III. 2. Juni 1880. R. 2,1?; II. 14. April 1885. R. 7,225; III. 20. Sept. 1888. E. 18,133. Vorbestrafungen unter falschen Namen stehen bei feststehender Identität des Täters der Rückfallsstrafe nicht entgegen. Oppenhoff, Kommentar, Note 14 zu § 244 RStrGB. Andrerseits kann Verurteilung wegen einer im wiederholten Rückfall begangenen Tat nur dann erfolgen, wenn in der Sachdarstellung die Vorbestrafungen nach Zeit und Art unter Angabe der stattgehabten Verbüßung 2c. festgestellt sind. Vgl. § 38 Note 3 u. 12 MStrGB.; RMGer. I. 19. Jan. 1903. E. 4,ui. 8) Auch wo das Gesetz keine besondere Rückfallsstrafe vorschreibt, ist der Richter berechtigt, den Rückfall als strafschärfend zu berücksichtigen. 9) Die Erwähnung des Rückfalls und zwar des wievielten im Urteils­ tenor empfiehlt sich allgemein, insbesondere aber bei solchen Straftaten, bei denen der zweite Rückfall ein eigenes Strafmaß bedingt oder sonst, z. B. für die Zulässigkeit von Ehrenstrafen, straferhöhend in Betracht kommen kann.

Erster Theil.

Von der Bestrafung im Allgemeinen?^^ Erster Abschnitt. Strafen gegen Personen des Soldatenstandes. § 14. Die Todesstrafe?) ist durch Erschießen zu vollstrecken?) wenn sie wegen eines militärischen Verbrechens, im Feldes auch dann/) wenn sie wegen eines nicht militärischen Verbrechens erkannt worden ist6)7)8) la) Falls sich eine Zivilperson der Teilnahme, Begünstigung oder der Hehlerei bezüglich einer militärischen Straftat schuldig macht, sind militärische Verbrechen insoweit als Verbrechen, militärische Vergehen in­ soweit als Vergehen im Sinne des RStrGB. zu erachten. Militärische Strafarten, z. B. Erschießen, Arrest, werden von Zivilgerichten nicht ver­ hängt. An ihre Stelle treten die bürgerlichen Strafen: Enthaupten und Haft. Das Zivilgericht kann einer Zivilperson gegenüber weder auf Todesstrafe durch Erschießen, noch auf 6 Jahre Gefängnis (wegen einer einzelnen Tat) noch auf Arrest erkennen. RG. III. 1. April 1887. E. 15,3%. Vgl. auch Note 1 zu tz 4 und 16 MStrGB.

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Militär-Strafgesetzbuch für das Deutsche Reich.

4) Das Strafsystem des MStrGB. ist folgendes: I. Hauptstrafen: 1. Todesstrafe, 2. Zuchthaus, 3. Freiheitsstrafen, A. Gefängnis, B. Festungshaft, C. Arrest, a) strenger, b) mittlerer, c) gelinder, d) Stubenarrest (Kammerarrest), einfacher, geschärfter. II. Nebenstrafen: 1. Entfernung aus dem Heere oder der Marine (Schutztruppe), 2. Dienstentlassung, 3. Versetzung in die zweite Klasse des Soldatenstandes, 4. Degradation vom Unteroffizier zum Gemeinen, 5. Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte, 6. Amtsverlust. Haft und Geldstrafe ist für militärische Vergehen in diesem Gesetze nicht angedroht. Wegen bürgerlicher Vergehen und Übertretungen ist auch gegen Militärpersonen unter der im § 29 MStrGB. gegebenen Ein­ schränkung auf diese Strafen zu erkennen. Auf Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte kann wegen aller mit Todesstrafe oder mit Zuchthaus be­ drohten militärischen Verbrechen, sowie wegen der nach § 134 und § 138 MStrGB. strafbaren militärischen Vergehen erkannt werden. § 2 MStrGB., § 32 RStrGB. 2) Mit Todesstrafe bedroht sind die Verbrechen gegen §§ 58, 60, 71, 72, 73, 84, 95, 97, 107, 108, 133, 141, 159 MStrGB. Es sind dies nur solche Delikte, welche im Felde begangen sind. 3) Die Vollstreckung einer durch Erschießen zu vollziehenden Todesstrafe erfolgt durch die Militärbehörde; 8 453 MStrGO. Das Nähere über die Ausführung vgl. in §§ 1, 2 Nr. 1 MStrVV. und ACO. v. 22. Jan. 1889 über die Vollstreckung an Bord. Wird in Friedenszeiten wegen eines bürgerlichen Verbrechens auf Todesstrafe von den Militärgerichten erkannt, so erfolgt die Vollstreckung der Todesstrafe (Enthaupten) durch die bürgerlichen Behörden; § 454 MStrGO. Das Ersuchen um Vollstreckung ist an die Staatsanwaltschaft zu richten, in deren Amtsbezirke sich der Verurteilte befindet; § 2 Nr. 2 MStrVV. 4) Vgl. §§ 9 und 10 MStrGB. 5) Ist im Felde wegen eines nicht militärischen Verbrechens auf Todes­ strafe erkannt, tritt aber vor Vollstreckung der Strafe Demobilmachung ein, so ist die Todesstrafe durch Enthaupten zu vollstrecken. 6) Neben der wegen eines militärischen Verbrechens erkannten Todes­ strafe kann auf Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte und zwar ohne Zeit­ beschränkung erkannt werden. § 2 MStrGB., § 32 RStrGB., RG. I. 10. März 1887. R. 9,175. 7) § 14 findet im Felde auch auf Militärbeamte Anwendung. 8) Die Vollstreckung der wegen eines bürgerlichen oder militärischen Verbrechens erkannten Todesstrafe verjährt in 30 Jahren; § 70 Nr. 1 RStrGB., § 2 MStrGB.

§ 15. Hat eine Person des Soldatenstandes4) vor oder nach ihrem Eintritte in den Dienst?) eine Freiheitsstrafe^) verwirkt,4) so wird

diese von den Militärbehörden vollstreckt.4 ^) Ist nach den Vorschriften des Deutschen Strafgesetzbuches eine Beschäftigung des Verurtheilten zulässig oder geboten/) so findet die-

Erster Teil.

Von der Bestrafung im allgemeinen.

§ 15.

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selbe zu militärischen Zwecken und unter militärischer Aufsicht statt6) Die zu Gefängniß verurtheilten Unteroffiziere und Gemeine können auch ohne ihre Zustimmung außerhalb der Anstalt beschäftigt werden. Ist Zuchthaus verwirkt, oder wird auf Entfernung aus dem Heer 'oder der Marine, oder auf Dienstentlassung erkannt, oder wird das militärische Dienstverhältniß aus einem anderen Grunde aufge­ löst,^ fo geht die Vollstreckung der Strafe auf die bürgerlichen Be­ hörden toet.8)9)10)11)12) !) Vgl. Note 2 und 4, I, A, Z zu 8 4 MStrGB. 2) d. h. in den „aktiven" Dienst. Vgl. Note 4,1, A zu §4 und Note 4b zu 8 6 MStrGB. 3) Geldstrafe vgl. 462 MStrGB. Todesstrafe 8 14 MStrGB. In Frage kommt hier nur die Vollstreckung von Gefängnis, Festungs­ haft, Arrest (auch von Stuben- oder Kammerarrest) des MStrGB., und von Gefängnis, Festungshaft und Haft des RStrGB., auch die in Aus­ übung der Sitzungspolizei verhängte Haft- bezw. Arreststrafe (88 177, 178 GVG. und 8 290 MStrGO.) gehört hierher. Unerheblich ist, ob die Strafen wegen bürgerlicher oder militärischer Delikte verhängt sind. 4) „Verwirkt" ist eine Strafe erst, wenn auf dieselbe rechtskräftig er­ kannt oder durch Strafverfügung — 8 349 MStrGO. — endgültig festgesetzt ist. 8 383 MStrGO. Es können auch Urteile (Strafbefehle) bürgerlicher Gerichte oder polizei­ liche Strafverfügungen und Strafbescheide der Verwaltungsbehörden, soweit sie rechtskräftig sind, in Betracht kommen. 8 2 MStrGO. Vgl. 8 7 Abs. 1 nebst Anm. ebendaselbst. Verhängt ein vor dem Dienstantritt ergangenes Urteil eines bürgerlichen Gerichts eine Freiheitsstrafe von mehr als sechs Wochen, so ist der Verurteilte zur Disposition der Ersatzbehörden zu entlassen, so­ fern die noch zu vollstreckende Freiheitsstrafe die Dauer von sechs Wochen übersteigt; 818 RMG. 88 2«, tu, 82 WO. und 8 16 HO. Das gleiche gilt, wenn wegen eines vor dem Dienstantritt begangenen bürgerlichen Delikts eine Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe von mehr als sechs Wochen zu erwarten ist; 8 7 Nr. 2 MStrGO. 88 2C, aa, 82 WO. Findet eine Ent­ lassung nicht statt, so ist auch ein von einem bürgerlichen Gericht ergehen­ des Urteil von der Militärbehörde zu vollstrecken. 4a) Die Strafvollstreckung erfolgt durch den Gerichtsherrn, welcher die Anklage verfügt hat, bezw. im Falle eines zivilgerichtlichen Urteils zu ver­ fügen gehabt hätte, wenn die militärgerichtliche Zuständigkeit begründet gewesen wäre. 8 451 MStrGO. Vgl. aber AusfBest. zu 8 2, sowie 8 463 MStrGO. Eine Vollstreckung durch die Militärbehörde liegt auch dann vor, wenn die Vollstreckung seitens einer Zivilbehörde auf Ersuchen des Gerichtsherrn stattgefunden hat. RMGer. PE. III. Nr. 113. Vgl. auch 88 2 u. 3 MStrGO. Disziplinarhaftstrafen gegen Personen des Beurlaubtenstandes vollstreckt die Zivilbehöroe, 8 7 des Kontrollges. v. 15. Febr. 1875; desgl. Disziplinar­ arreststrafen im Falle des 8 49 Abs. 2 DStrO.; 88 31, Nr. 2, 66 MDStO. 5) Vgl. 88 15, 16 RStrGB. 6) Vgl. MStrVV. 8 H Nr. 1, 8 13 Nr. 4, 8 15 Nr. Id, § 57 Nr. 1, 88 89 ff. 8 114, RStrGB. 8 16 Abs. 2 und 3, 8 17 Nr. 4, 8 18 Abs. 2. 7) Die Entlassung zur Reserve ist keine Auflösung des militärischen Dienstverhältnisses, infolge deren die Strafvollstreckung auf, die bürgerlichen Behörden übergeht. RMGer. PE. I. Nr. 113. Wegen Überweisung von Militärgefangenen wegen Untauglichkeit zur dereinstigen Fortsetzung des Militärdienstes und wegen Ausscheidens aus dem Landsturm infolge voll-

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Militär-Strafgesetzbuch für das Deutsche Reich.

endeten 45. Lebensjahres vgl. §§43 und 44 MStrVV. Bei Offizieren und Militärbeamten kann das militärische Dienstverhältnis auch durch Aus­ scheiden infolge Allerhöchster Order gelöst werden. Vgl. Schlayer, Note 67 zu § 15 MStrGB. 8) Die Vollstreckung erfolgt durch die Behörden des Heimatstaates, wenn entweder die strafbare Handlung außerhalb des Bundesgebietes ver­ übt worden ist oder der Verurteilte sich im Gebiete des Heimatstaates auf­ hält, in anderen Fällen durch die Behörden des Bundesstaates, in dessen Gebiet die strafbare Handlung verübt worden ist. Die Überweisung der Verurteilten geschieht unmittelbar an die betreffende Strafanstalt. EG. § 15. Vgl. das Nähere in § 5 Nr. 1 und 2, §§ 43—45 der MStrVV. Anlage 2 daselbst bestimmt, an welche Zivilstrafanstalt die Abgabe der Verurteilten in den einzelnen Fällen stattzufinden hat. Bezüglich der Schutztruppen vgl. Schutztruppenordnung S. 59. Nach KM. v. 10. Febr. 1894 und Verfügung des Justizministers v. 3. Jan. 1894 (AVBl. S. 58, JMBl. Nr. 1) sind in Preußen die gerichtlichen Gefängnisse nur noch zur Voll­ streckung von Arrest- und Haftstrafen in Anspruch zu nehmen. Das Er­ suchen um Strafvollstreckung ist in diesem Falle an die zuständige Staats­ anwaltschaft (§ 483 RStrPO.) zu richten. Anträge auf Strafunterbrechung unterliegen der Entscheidung durch die zuständigen Zivilbehörden (Erster Staatsanwalt, Oberstaatsanwalt, Minister des Innern bezw. Justizminister). Vgl. auch § 182 der Dienstordnung für die dem Minister d. Innern unter­ stellten Strafanstalten v. 14. Nov. 1902. Anträge auf vorläufige Entlassung (§§ 23—26 NStrGB.) gehen zur Entscheidung (durch Generalkommando, bezw. Inspekteur) an das Kriegs­ ministerium. § 41 MStrVV. 9) §„15 findet auf Militärbeamte Anwendung. Vgl. § 45 MStrGB. 10) Über Anrechnung der Untersuchungshaft auf eine Freiheitsstrafe vgl. Note 8 zu § 16 MStrGB. n) Disziplinarstrafen (auch auf Grund des § 3 EG. z. MStrGB. auszusprechende) können nach Ausscheiden aus dem militärischen Dienst­ verhältnis nicht mehr verhängt, bereits verhängte nicht mehr vollstreckt werden; die Diziplinarstrafgewalt ist bedingt durch das militärische Dienst­ verhältnis und endigt mir der Auflösung desselben. 12) Über den Geschäftsgang für die Behandlung von Begnadigungs­ gesuchen militärgerichtlich verurteilter Personen, bei denen die Vollstreckung der Strafe auf die bürgerlichen Behörden übergegangen ist, vgl. Note 1 zu § 418 MStrGO.

§ 16.i) Freiheitsstrafe?)9) im Sinne dieses Gesetzes ist Gefäng­ niß/) Festungshastb) oder Arrest. 9)7)8) Die Freiheitsstrafe ist eine lebenslängliche oder eine zeitige. Der Höchstbetrag der zeitigen Freiheitsstrafe ist frmfzehn Jahre, ihr Mindest­ betrag Ein Tag.9) Wo dieses Gesetz die Freiheitsstrafe nicht ausdrücklich als eine lebenslängliche androht, ist dieselbe eine zeitige. i) Das Strafsystem des § 16 MStrGB. gilt nur für Handlungen, welche das MStrGB. mit Strafe bedroht. Wird von Milstärgerichten eine nach dem NStrGB. strafbare Handlung abgeurteilt, so kommen die im NStrGB. angedrohten Strafen auch hinsichtlich ihrer Dauer zur An­ wendung. Eine Umwandlung einer nach NStrGB. erkannten Gefängnis­ strafe in „Arrest" ist gesetzlich unzulässig. RMGer. PE. III. Nr. 139. Anderer­ seits kann wegen mrlitärischer Vergehen, auch wenn der Angeklagte

Erster Teil.

Von der Bestrafung im allgemeinen.

§ 16.

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inzwischen aus allen Militärverhältnissen entlassen ist, nur auf die im MStrGB. festgesetzten Strafarten erkannt werden; wird eine Freiheitsstrafe unter 6 Wochen für ausreichend erachtet, so ist auf Arrest zu erkennen. RMGer. I. 4. Aug. 1902. E. 3,177. 2) Zu den Freiheitsstrafen im Sinne des § 16 MStrGB. gehört nicht die Haft. Deshalb muß beim Zusammentreffen der Haftstrafe mit einer der im § 16 MStrGB. genannten Freiheitsstrafen bei Feststellung der Gesamtstrafe die „Haft" außer Betracht bleiben und gesondert auf diese erkannt werden, vgl. auch §§ 74, 77 RStrGB. Ungeachtet der Definition des Absatz 1 ist der Ausdruck „Freiheitsstrafe" im Sinne von Gefängnis­ oder Festungshaftstrase in §§ 18, 34 Abs. 2 Nr. 1, 43 Nr. 1 MStrGB., im Sinne von Gefängnis-, Festungshaft- und Haftstrafe im § 15 MStrGB. gebraucht. In §§ 53, 54, 88, 98, 97 Abs. 2 MStrGB. ist unter „Freiheits­ strafe" auch Zuchthausstrafe zu verstehen. Bei Freiheitsstrafen wird der Tag zu vierundzwanzig Stunden, die Woche zu sieben Tagen, der Monat und das Jahr nach der Kalenderzeit gerechnet. Die Dauer einer Freiheitsstrafe darf nur nach vollen Tagen bemessen werden. Die Bemessung der Strafen nach Bruchteilen von Jahren, Monaten, Wochen oder Tagen ist unzulässig. § 19 RStrGB., RMGer. PE. IV. Nr. 135, II. Nr. 171. Das gesetzliche Straf­ mindestmaß der Gefängnisstrafe wegen einer militärischen Straftat beträgt 43 Tage; wird auf dieses erkannt, so ist diese Strafe stets in Tagen aus­ zudrücken; bei der Bezeichnung 1 Monat 14 Tage Gefängnis würde, wenn die Strafe im Februar angetreten wird, der gesetzliche Strafmindestbetrag nicht erreicht werden. RMGer. PE. I. Nr. 127. 3) Die Zuchthausstrafe gehört nicht zu den Freiheitsstrafen im Sinne des § 16 MStrGB. Hinsichtlich der Dauer und des Vollzugs der Zucht­ hausstrafe gelten die Bestimmungen des RStrGB. in §§ 14, 15, 20, 21 (diese modifiziert durch § 17 Abs. 2 MStrGB.), 22, 23—26, vgl. § 2 MStrGB. 4) Die §§ 23—26 RStrGB. (vorläufige Entlassung) finden Anwendung auf die auf Grund des MStrGB. erkannten Gefängnisstrafen, nicht aber auf die nach dem MStrGB. erkannten Festungshaft- und Arreststrafen. § 2 MStrGB. In Preußen entscheidet über die vorläufige Entlassung das Kriegsministerium, auch wenn die Strafvollstreckung an die bürgerlichen Behörden übergegangen ist; 88 41 ff. MStrVV. 4») Die wegen eines militärischen Verbrechens und Vergehens erkannte Gefängnisstrafe (8 17 Abs. 1 MStrGB.) ist stets eine härtere Strafe als jede Arreststrafe. Die Erwägung, daß für den Angeklagten die Wirkungen der Strafe des strengen Arrestes zu hart sein würden, darf nicht zur Ver­ hängung einer Gefängnisstrafe führen. RMGer. PE. III. Nr. 114. 5) Festungshaft kann wie gegen Offiziere so auch gegen Unteroffiziere und Gememe erkannt werden. 6) Der Arrest ist in allen seinen Arten (8 19 MStrGB.) eine aus­ schließlich militärische Strafart, welche gegen Nichtmilitärpersonen wegen Anstiftung, Beihilfe, Begünstigung zu militärischen nur mit Arrest bedrohten Vergehen — abgesehen von den Fällen der 88155—161, 166 MStrGB. — nicht erkannt und vollstreckt werden kann. An die Stelle des Arrestes tritt bei Nichtmilitärpersonen die Haftstrafe. RG. I. 4. April 1887. E. 15,382. III. 5. Dez. 1887. E. 16,433. II. 1. April 1887. E. 15,396. Gegen einen, wenn auch inzwischen aus allen Militärverhältnissen entlassenen Angeklagten kann wegen militärischer Vergehen nur auf die im Militärstrafgesetzbuche festgesetzten Strafarten erkannt werden. RMGer. I. 4. Aug. 1902. EG. 175. A. A. Gerland, siehe KV. 1904; er läßt in dem gegebenen Falle an die Stelle des Arrestes die Haftstrafe treten. 7) Wo das Gesetz „Freiheitsstrafe" androht, kann nicht allgemein auf „Freiheitsstrafe", sondern nur auf eine der drei Arten der Freiheitsstrafe,

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Militär-Strafgesetzbuch für das Deutsche Reich.

also auf Gefängnis, Festungshaft, Arrest erkannt werden. Vgl. auch § 21 MStrGB. 8) Ist auf eine Freiheitsstrafe die Untersuchungshaft anzurechnen, so ist dieselbe in der durch das Urteil bestimmten Höhe auf die gleiche Dauer der verhängten Strafe (Zuchthaus, Gefängnis, Festungshaft, Arrest) in An­ rechnung zu bringen. Vgl. auch § 11 Nr. 5a MStrVV. 9) Der Absatz 2 ist durch die Bestimmung des § 17 zu ergänzen. Der Mindestbetrag von 1 Tag bezieht sich nur auf den Arrest, nicht auf Ge­ fängnis und Festungshaft. RG. II. 12. Okt. 1897. E. 30,277; vgl. auch Note 1 zu § 21 MStrGB. 10) Der Absatz 2 des § 16 enthält eine doppelte Abweichung vom RStrGB. Letzteres kennt als „lebenslängliche" Freiheitsstrafe Zuchthaus und Festungshaft (§ 17 RStrGB.) und setzt als Höchstbetrag der zeitigen Freiheitsstrafe bei Gefängnis 5 Jahre fest, während das MStrGB. „lebenslängliches Gefängnis" und als zeitige Gefängnisstrafe Gefängnis bis 15 Jahre zuläßt.

§ 17. Die Freiheitsstrafeist, wenn ihre Dauer mehr als sechs Wochen beträgt, Gefängniß2) oder Festungshaft, ?) bei kürzerer Dauer Arrest.2a) Ist eine angedrohte Zuchthausstrafe9) auf eine kürzere als ein­ jährige Dauer zu ermäßigen, so tritt an deren Stelle Gefängniß von gleicher Dauert)5) x) Freiheitsstrafe ist hier im Sinne des § 16 MStrGB. zu verstehen. 2) Die Gefängnis- und Festungsstrafe beginnt mit einer Strafe, die länger als 6 Wochen dauert. Wo im MStrGB. Gefängnis oder Festungs­ haft angedroht ist, beträgt mithin die Mindestdauer der Strafe 6 Wochen und 1 Tag, sofern nicht ein höherer Mindestbetrag angedroht ist. RG. II. 12. Okt. 1897. E. 30,277. Stenogr. Berichte betr. die Reichstagssession v. 1872 S. 808 und RMGer. PE. II. Nr. 144. Der Strafmindestbetrag ist stets in Tagen (43) auszudrücken. Wird auf 1 Monat 14 Tage Gefängnis erkannt, so kann, wenn der Strafantritt im Monat Februar erfolgt, der Strafmindestbetrag möglicherweise nicht erreicht werden. RMGer. PG. I. Nr. 127. Die wegen eines militärischen Verbrechens oder Vergehens erkannte Gefängnisstrafe ist stets eine härtere Strafe als jede Arreststrafe. Die Erwägung, daß für oen Angeklagten die Wirkungen der Strafe des strengen Arrestes zu hart sein würden, darf nicht zur Verhängung einer Gefängnisstrafe führen. MGer. PE. III. Nr. 114. 2a) Treffen Gefängnisstrafen und Arreststrafen zusammen, so sind diese Straf art en gleichwertig. Als Einsatzstrafe gilt die ihrer Dauer nach längste. RMGer. I 21. Juli 1902. E. 3,154. PE. I Nr. 117. Vgl. auch Note 4 zu 8 54 MStrGB. A. A. Gerland in K. V. 1904 und Beling in Z. B. 24, S. 254 ff. 3) Vgl. Note 3 zu 8 16 MStrGB. 4) Die im Abs. 2 vorgesehene Ermäßigung kann eintreten in den Fällen der 88 88, 98 MStrGB., sowie beim Versuche und der Beihilfe zu einem militärischen Verbrechen. Während nach 8 44 Abs. 4 und 8 49 RStrGB. die für den Versuch oder die Beihilfe zu einem gemeinen Verbrechen verwirkte Zuchthausstrafe unter einem Jahr nach 8 21 RStrGB. im Verhältnis von 2:3 in Gefängnisstrafe verwandelt werden muß, tritt nach 8 17 Abs. 2 MStrGB. an die Stelle der Zuchthausstrafe von kürzerer als einjähriger Dauer Gefängnisstrafe von gleicher Dauer. 5) Das Nähere über die Vollstreckung der Freiheitsstrafen vgl. in

Erster Teil. Von der Bestrafung im allgemeinen.

§§ 17,18.

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MStrVV. u. ACO. v. 22. Jan. 1889 bett, die Strafvollstreckung an Bord. MVBl. S. 11.

§ 18. Tie Zeit einer Freiheitsstrafei) von mehr als sechs Wochen wird auf die gesetzliche Dienstzeit?) im stehenden Heer oder in der Flotte nicht angerechnet.3) 1) Freiheitsstrafe ist hier nicht im Sinne des § 16 MStrGB., sondern im weiteren Sinne aufzufassen. Auch die wegen bürgerlicher Delikte erkannten Gefängnis-, Festungshaft- und Haftstrafen (§ 77 RStrGB.) sind, sobald sie die Dauer von 6 Wochen übersteigen, auf die Dienstzeit nicht anzurechnen, vgl. KM. 8. Sept. 1893. Ob die erkannte Freiheitsstrafe durch die erlittene Untersuchungshaft ganz oder teilweise für verbüßt er­ achtet ist, ist für die Anwendung der Vorschrift des § 18 MStrGB. ein­ flußlos. § 13 Anmerkung 2e HO. Ist eine Freiheitsstrafe nach ihrer Dauer auf die Dienstzeit nicht anzurechnen, so muß die Gesamtdauer der -Freiheitsstrafe nachgedient werden, nicht etwa nur die Zeit, um welche die Freiheitsstrafe sechs Wochen übersteigt. Vorausgesetzt wird stets eine wirklich verbüßte Strafe; soweit eine Freiheitsstrafe ganz oder teilweise im Gnaden­ wege erlassen ist, erfolgt stets die Anrechnung auf die Dienstzeit. § 13 Anm. 2 f HO. Die Zeit einer gerichtlich bestraften Fahnenflucht oder un­ erlaubten Entfernung ist nachzudienen. § 13 Anm. 2 a HO. Erfordert wird ferner, daß durch ein Urteil eine Freiheitsstrafe von mehr als sechs Wochen festgesetzt ist; eine Zusammenrechnung mehrerer, durch verschiedene Urteile festgesetzten Freiheitsstrafen ist, soweit es sich nicht um Festsetzung einer Gesamtstrafe handelt (§ 461 MStrGO.), aus­ geschlossen. 2) Im Sinne des § 18 MStrGB. ist unter gesetzlicher Dienstzeit im stehenden Heere lediglich die Zeit zu verstehen, während welcher die Mann­ schaften zum ununterbrochenen Dienst bei den Fahnen verpflichtet sind, o. h. die aktive Dienstzeit im Heere (Marine), (nicht etwa die Dienstzeit in der Reserve oder Landwehr), §§ 6 bis 10 WG., Art. 59 der Reichs­ verfassung v. 16. April 1871, Art. I des Gesetzes bett. Änderung der Wehr­ pflicht v. 11. Febr. 1888, Art. II § 1 des Gesetz bett, die Friedens­ präsenzstärke d. DH. v. 3. Äug. 1893 und Art. II des Ges. v. 25 März 1899. Äuf Kapitulanten findet § 18 MStrGB. nicht Anwendung, wohl aber auf Offiziere und Unteroffiziere, soweit sich solche Personen noch in der Er­ füllung ihrer aktiven Dienstpflicht befinden. Uber Verpflichtung und Beginn des Nachdienens vgl. § 7 Nr. 3 WO. und § 13 Nr. 1 HO. Mannschaften, welche infolge eigenen Verschuldens (§ 18 MStrGB.) verspätet aus dem aktiven Dienst entlassen werden, treten stets in die jüngste Jahresklasse der Reserve ein. § 62 Abs. 3 RMG., § 11 Nr. 3 WO. 3) Bei Berechnung der Pension ist die Zeit einer Freiheitsstrafe von einjähriger und längerer Dauer, sowie die Zeit der Kriegsgefangenschaft von der Anrechnung als aktive Militärdienstzeit ausgeschlossen. In Be­ tracht zu ziehen ist jedoch nur die tatsächlich abgebüßte Strafzeit. Unter besonderen Umständen kann jedoch in diesen Fällen die Anrechnung mit Genehmigung des Kontingentsherrn bezw. des Kaisers stattsinden. § 24 MPensGes. v. 27. Juni 1871, § 50 RBG.

§ 19. Der Arrest zerfällt in Stubenarrest, gelinden Arrest, mitt­ leren Arrest, strengen Arrest?)?)3)^) x) Bestehen zusammentreffende Freiheitsstrafen nur in Arrest, so darf auch die Gesamtstrafe nur in Arrest bestehen; § 54 MStrGB. Bezüglich

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Militär-Strafgesetzbuch für das Deutsche Reich.

des Zusammentreffens von Arrest- und Gefängnisstrafen vgl. Note 4 zu § 54 MStGB. 2) Wegen Anrechnung der Untersuchungshaft auf Arrest vgl. Note 8 zu § 16 MStrGB. 3) Zum Arrest im Sinne des § 19 MStrGB. gehört nicht Quartierund Kasernenarrest; es sind dies Disziplinarstrafen, welche im Disziplinar­ wege wegen reiner Disziplinarvergehen (nicht auch wegen der im § 3 EG. z. MStrGB. aufgeführten militärischen Vergehen, welche disziplinarisch geahndet werden können) verhängt werden. — Die Haftstrafe ist keine härtere Strafe als gelinder Arrest. RMGer. II 27. Juni 1903. E. 5,212. 4) Die Arrest art, auf welche erkannt wird, muß im Tenor des Urteils ausdrücklich bezeichnet werden.

§ 20. Der Stubenarrest*)2) findet gegen Offiziere statt, der ge­ linde Arrest gegen Unteroffiziere^ und Gemeine,4) der mittlere Arrest gegen Unteroffiziere ohne Portepee und gegen Gemeine, der strenge Arrest nur gegen Gemeine?) T) Der Stubenarrest (Kammerarrest bei der Marine § 162 MStrGB.) findet nur gegen Offiziere, nicht auch gegen Fähnriche statt. Als Dis­ ziplinarstrafe an Bord ist der einfache und geschärfte Kammerarrest auch gegen Deckoffiziere (einschließlich der Ingenieur- und Zahlmeisteraspiranten) uno Unterärzte und gegen untere Militärbeamte vorgesehen; § 4a Nr. 3 MDStO. 2) Gegen obere Militärbeamte kann nur auf Stubenarrest, gegen untere Militärbeamte nur auf gelinden Arrest erkannt werden, gleichviel ob im Gesetz eine strengere Arrestart angedroht ist; § 44 MStrGB. 3) Wird gegen einen Unteroffizier die Strafe der Degradation aus­ gesprochen, so kann gleichzeitig gegen ihn nur auf die nach § 20 MStrGB. gegen den betreffenden Dienstgrad zulässige Arrestari erkannt werden, weil er den Dienstgrad des Unteroffiziers erst mit der Rechtskraft der Urteils verliert. Hat der Täter nach der Tat einen höheren Militärrang erreicht, so bestimmt sich für das erkennende Gericht die gegen ihn zulässige Arrest­ art nach dem Range im Zeitpunkt der Aburteilung. Koppmann Note 6 zu § 20 MSrrGB. u. Note 2 zu § 22 MStrGB. 4) Zu den Gemeinen gehören auch die Gefreiten und Obergefreiten. 5) Über die Vollstreckung des Arrests vgl. §§ 16—22 MStrVV. und Bestimmungen über die Vollstreckung der Freiheitsstrafen an Bord, s. a. Anlage 2 zu MDStrO.

§ 21. Ist in diesem Gesetze Freiheitsstrafe angedroht, so sind darunter, je nach der Zeitdauer*) des Strafmaßes, Gefängniß, Festungs­ haft^) und Arrest als wahlweise angedroht zu erachten?) x) Arrest von einem Tage bis sechs (gelinder, mittlerer Arrest) bezw. vier (strenger Arrest) Wochen. Eine Freiheitsstrafe von mehr als sechs Wochen besteht in Gefängnis- oder Festungshaft; §§ 17, 24 MStrGB. RG. II. 12. Okt. 1897. E. 30,277. RMGer. PE. IV. Nr. 135; aus der Vorschrift des § 21 MStrGB. ist — argumentum e contrario — zu folgern, daß überall, wo im MStrGB. Gefängnis oder Festungshaft ohne An­ gabe eines höheren Mindestbetrags angedroht ist, oer Gesetzgeber eine Mindestdauer von mehr als sechs Wochen, also eine Dauer von mindestens sechs Wochen und einem Tage tm Auge gehabt und gewollt hat. 2) Die Anwendung der Festungshaft wird in der Regel auf Offiziere,

Erster Teil.

Von der Bestrafung im allgemeinen.

§§ 20—22.

ZI

Portepee-Unteroffiziere, Einjahrig-Freiwillige und Fahnenjunker zu be­ schränken sein. 3) Es muß aber auf eine dieser drei Strafarten erkannt werden.

§ 22. Ist in diesem Gesetze Arrest angedroht,1) so kann auf jede der nach dem Militärrange des Thäters?) statthaften Arten des Arrestes erkannt werden. Ist in diesem Gesetze eine bestimmte Arrestart3) angedroht und dieselbe gegen den Thäter nach seinem Militärrange*) nicht statthaft, so ist auf die nächstfolgende nach seinem Range statthafte Arrestart zu erkennen. Strenger Arrest ist, wo das Gesetz ihn nicht in einzelnen Fällen ausdrücklich androht,3) nur gegen denjenigen zulässig, welcher wegen militärischer Verbrechen oder Vergehens bereits mit einer Freiheits­ strafe bestraft?)^ worden ist9)10) x) Nach Abs. 1 dieser Vorschrift in Verbindung mit § 20 MStrGB. kann je nach der Beschaffenheit der Tat und nach der Person des Täters auf jede der nach dem Dienstgrade zulässigen Arrestarten und zwar nur innerhalb des für jede Arrestart gegebenen gesetzlichen Strafrahmens erkannt werden. Ist im Gesetze „Arrest" allgemem angedroht, so gelten bez. der Gemeinen (Gefreiten, Obergefreiten) gelinder, mittlerer, strenger Arrest, bei Unteroffizieren ohne Portepee gelinder und mittlerer Arrest als wahlweise angedroht. Bezüglich der Portepee-Unteroffiziere, Deckoffiziere und unteren Militärbeamten kann nur gelinder Arrest und bezüglich der Offiziere und oberen Militärbeamten nur Stubenarrest erkannt werden. Von der Arrestart ist die Dauer des Arrestes abhängig (§ 17 Abs. 1 und 24 MStrGB.). Stubenarrest, gelinder, mittlerer Arrest bis zu sechs Wochen, strenger Arrest bis zu vier Wochen. 2) Der Ausdruck „Täter" umfaßt auch den „Teilnehmer" (Mittäter, Anstifter, Gehilfen). Kommen mehrere Täter von verschiedenem militärischen Range bei einer strafbaren Handlung in Frage, so kann, da trotz der Iden­ tität der Handlung gegen jeden der Täter auf die seiner Charge entsprechende Arrestart erkannt werden muß, dieselbe Tat gegen jeden der Täter (Teil­ nehmer) durch eine andere Arrestart geahndet werden. Tritt eine Änderung des Militärranges nach Begehung der Tat ein, so ist die Frage, welche Arrestarten statthaft sind, danach zu entscheiden, ob die Änderung in einer Beförderung oder in einem Verlust des Militärranges besteht. Bei Beföroerung ist für das erkennende Gericht der Augenblick der Aburteilung entscheidend; denn die Vorschrift, daß bei höheren Dienstgraden gewisse Arrestarten unzulässig sind, entspringt aus der militärischen Erwägung, daß diese Arrestarten und ihre Vollstreckung dem Ansehen und der Stellung der höheren Dienstgrade nicht angemessen erscheinen; hierbei kann nur der Zeit­ punkt der Aburteilung, nicht die Zeit der Tat in Betracht kommen. Ist dagegen der Inhaber eines höheren Dienstgrades nach der Tat mit Degra­ dation bestraft, so kann nur die Zeit der Tat für die Zulässigkeit der Arrest­ arten Berücksichtigung finden; denn die mit der Tat nicht im Zusammen­ hänge stehenden, ihr nachfolgenden Ereignisse dürfen die strafrechtliche Beurteilung der Tat nicht zuungunsten des Täters ändern. 3) Ob neben der bestimmten Ärrestart noch Gefängnis- oder Festungs­ haft wahlweise angedroht sind, ist unerheblich. Als Täter (Teilnehmer) kommen im Falle des Abs. 2 dieses Paragraphen nur Offiziere, Militär­ beamte oder Unteroffiziere in Betracht.

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Militär-Strafgesetzbuch für das Deutsche Reich.

4) Bezüglich des Militärranges vgl. § 20 MStrGB. Droht das Gesetz strengen Arrest als einzige Arrestart (§§ 89 Abs. 2, 93 Abs. 1, 94) oder wahlweise strengen oder mittleren Arrest (§§ 99 Abs. 2, 102 Abs. 2,138 Abs. 1, 139, 141 Abs. 1, 146, 151) an, so ist gegen einen Unteroffizier ohne Portepee nur auf mittleren, gegen einen Portepee-Unteroffizier auf gelinden und gegen einen Offizier auf Stubenarrest zu erkennen. Eine Umwandlung der Arrestart im Sinne des § 54 Abs. 2 MStrGB. findet nicht statt. 5) Die Worte „strenger Arrest" müssen in der Strafandrohung ent­ halten sein; unerheblich ist, ob der strenge Arrest ausschließlich oder wahl­ weise mit mittlerem Arrest oder Gefängnis oder Festungshaft angedroht ist. Eine allgemeine Strafandrohung des Arrestes, sei es, daß das Gesetz schlechthin „Arrest", oder sei es, daß es „Freiheitsstrafe" (also Gefängnis, Festungshaft, Arrest) androht, enthält nicht die ausdrückliche Androhung des strengen Arrestes. 6) Eine Vorbestrafung wegen eines gemeinstrafrechtlichen Deliktes oder eine Disziplinarbestrafung wegen eines reinen Disziplinarverschuldens stellt eine Vorbestrafung in: Sinne des Abs. 3 §22 MStrGB. nicht dar, wohl aber eine Disziplinarbestrafung wegen eines militärischen Deliktes auf Grund des § 3 Abs. 2 EG. 7) Gerichtlich oder disziplinarisch auf Grund des § 3 Abs. 2 EG. z. MStrGB. RMGer. PE. I Nr. 114. Das Vorliegen der Voraussetzungen des § 20 Abs. 3 MStrGB. nach Art der Tat und Zeit der Strafver­ büßung ist in den Urteilsgründen festzustellen. RMGer. PE. IV. Nr 66 e. 6) Zur Zeit der Begehung der zur Bestrafung stehenden Handlung muß die im Abs. 3 des § 22 MStrGB. vorausgesetzte Strafe ganz oder teilweise verbüßt sein. Es folgt dies aus dem gesetzgeberischen Motiv der Vorschrift, der Fruchtlosigkeit der Vorbestrafung und der in derselben zu­ tage getretenen Unverbesserlichkeit. Der Verbüßung steht der Erlaß der Strafe gleich. 9) Zur Anwendung des Abs. 3 dieses § wird vorausgesetzt, daß eine Bestrafung wegen eines militärischen Deliktes stattfinden soll, sei es gerichtlich, sei es im Disziplinarwege auf Grund des § 3 EG. z. MStrGB. Handelt es sich lediglich um eine Bestrafung eines reinen Disziplinarver­ schuldens, so ist der Disziplinarvorgesetzte an die Bestimmung des § 22 Abs. 3 MStrGB. nicht gebunden. Vgl. Koppmann Note 5 zu § 92 MStrGB. 10) Voraussetzung ist, daß der Täter bereits vor Begehung der strafbaren Handlung wegen eines militärischen Verbrechens oder Vergehens mit einer Freiheitsstrafe bestraft ist. RMGer. PE. V. Nr. 94.

§ 23. Der Stubenarrest wird von dem Verurtheilten in seiner Wohnung verbüßt. Der Verurtheilte darfi) während der Dauer des Stubenarrestes seine Wohnung9) nicht verlassen, auch Besuche nicht annehmen. Gegen Hauptleute, Rittmeister und Subaltern-Offiziere kann durch Richterspruch die Strafvollstreckung in einem besonderen Offizier-Arrestzimmer angeordnet werden (geschärfter Stubenarrest)?)4)5) 1) Die strafrechtlichen Folgen der Übertretung dieses Verbotes bestimmt § 80 MStrGB. 2) Unter Wohnung ist der Inbegriff derjenigen Räumlichkeiten, welche einer Einzelperson oder einer zusammengehörenden Mehrheit von Personen (einer Familie) zum ständigen Aufenthalt dienen oder zur Benutzung frei­ stehen, zu verstehen, RG. I. 16. April 1885. E. 12,123. Unter den Begriff oer Wohnung im Sinne dieser Vorschrift fällt nicht der zur Wohnung ge­ hörige Garten.

Erster Teil. Von der Bestrafung im allgemeinen. §§ 23, 24.

ZZ

In Zweiselsfällen entscheidet über den Begriff der Wohnung der nächste mit mindestens der Disziplinarstrafgewalt eines detachierten Stabs­ offiziers, Hauptmanns oder Rittmeisters betraute Vorgesetzte. Dieser kann auch einzelnen Personen in dringenden Fällen den Zutritt zu dem Ver­ urteilten gestatten. Dem Arzt steht der Zutritt jederzeit frei. Bewohnt der Verurteilte eine gemeinsame Wohnung mit anderen Personen, so kann er den Verkehr mit denselben auch während der Strafzeit in gewohnter Weise fortsetzen. Das Ausgehen ist dem Verurteilten erst nach einer Straf­ dauer von 14 Tagen, oder, wenn der Arzt Bewegung in freier Luft für notwendig hält, täglich für eine Stunde und zwar in der Regel unter Auf­ sicht einer im Range gleich oder höher stehenden Militärperson gestattet. Jeder zu Stubenarrest verurteilte Offizier ist bei dem Strafantritt von dem oben bezeichneten Vorgesetzten auf die Bestimmung des § 80 MStrGB. hinzuweisen. Der Säbel wird dem Verurteilten nicht abgenommen; §§ 7,16 MStrVV. Anl. 2 zu 8 64 MDStO. und 8 2 Nr. 4 daselbst. Als Wohnung kommt lediglich die eigene Wohnung des Verurteilten und zwar diejenigen geschlossenen Räume in Betracht, welche zur Zeit des Strafantritts das Quartier des Bestraften umfassen. Für die Marine ist Wohnung gleichbedeutend mit Kammer; 8162 MStrGB. 3) Obere Militärbeamte haben Offiziersrang, sind aber nicht Personen des Soldatenstandes, geschärfter Stubenarrest ist daher gegen sie nicht zu­ lässig. Dies trifft auch bei den höheren Baubeamten für Schiffbau und Maschinenbau, bei den Zahlmeistern bei der Marine zu, obwohl denselben der spezielle Offiziersrang verliehen ist. Vgl. ACO. v. 10. April 1899, betr. anderweite Organisation der höheren Baubeamten für Schiffbau rc. u. ACO. v. 31. Jan. 1867, Allg. Marinebefehl Nr. 135. 4) Geschärfter Stubenarrest kann nur durch Richterspruch verhängt werden. Vgl. auch 8 17 MStrVV. Werden die im 8 3 Abs. 2 EG. z. MStrGB. aufgeführten Vergehen im Disziplinarwege geahndet, so kann geschärfter Stubenarrest nicht verhängt werden. Aus den geschärften Stubenarrest finden die Bestimmungen des 8 80 MStrGB. nicht Anwendung, da der Verurteilte in dem Offizier-Arrestzimmer eingeschlossen wird; 8 17 MStrVV. Rechtswidriges Verlassen des Offizier-Arrestzimmers im Wege des Ausbrechens fällt unter die Strafbestimmung des 8 79 MStrGB. 5) Gehaltsabzug findet beim Stubenarrest und geschärftem Stubenarrest nicht statt.

§ 24. Der gelindes) der mittlere und der strenge Arrests) werden in Einzelhaft verbüßt. Der Höchstbetrag des strengen Arrestes ist vier Wochen. x) Über Vollstreckung des gelinden Arrestes vgl. 8 20 MStrVV. Über die Vollstreckung des mittleren und strengen Arrestes vgl. 88 25, 26 MStrGB. Eine Überschreitung der gesetzlichen Höchstdauer der einzelnen Strafarten bezw. der Strafverschärfungen bei Vollstreckung mehrerer Arreststrafen hintereinander ist unzulässig; gegebenenfalls wird eine Unterbrechung der Strafverbüßung erforderlich. Vgl. Note zu 8 18 der MStrVV. 8 67 MDStO. Die Haftstrafe ist keine härtere Strafe als gelinder Arrest, RMGer. VI. 27. Juni 1903. E. 5,212. 2) Der im Disziplinarwege verhängte Arrest unterscheidet sich von dem gerichtlichen Arrest lediglich durch den Höchstbetrag; bei ersterem be­ trägt die Dauer des gelinden Arrests, sowie oes Stubenarrests 4 Wochen, die des mittleren Arrests 3 Wochen, die des strengen Arrests 14 Tage. Die Art der Vollstreckung ist beim gerichtlichen und disziplinarischen Arreste die gleiche. Vgl. 88 16-22 MStrVV. und Anl. 2 zu 8 64. MDStO. Herz u. Ernst, Strafrecht der Militärpersonen.

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§ 25. Der mittlere Arrest wird in der Art vollstreckt, i) daß der Verurtheilte eine harte Lagerstätte und als Nahrung ^) Wasser und Brot erhält. Diese Schärfungen2) kommen am vierten, achten, zwölften und demnächst an jedem dritten Tage in Fortfall. § 26. Der strenge Arrest wird in einer dunkelen Arrestzelle, im übrigen wie der mittlere Arrest vollstreckt. *) Die Schärfungen2) kommen am vierten, achten und demnächst an jedem dritten Tage in

Fortfall. *) Über die Vollstreckung des mittleren und strengen Arrestes vgl. §§ 18-22 MStrGB. §§ 5—7 der Anl. 2 zu 8 64 MDStO. 2) Entziehung der Wärme ist bei Vollstreckung des Arrestes nicht ge­ stattet; in den belegten Arrestzellen soll eine Temperatur von +14 Grad Reaumur herrschen; 8 18 Nr. 9 MStrGB. 3) Das im Entwurf des MStrGB. hinter Nahrung enthaltene Wort „nur" ist in der Kommissionsberatung gestrichen worden; die Militärver­ waltung ist daher in der Lage, je nach Umständen (z. B. in großer Kälte) noch andere Nahrungsmittel zu verabreichen.

§ 27. Läßt der körperliche Zustand des Verurtheilten die Ver­ büßung des strengen oder mittleren Arrestes nicht zu, so tritt eine gelindere Arrestart ein.1)2) 2) Die Vorschrift enthält, wie 88 23 — 26, 28, lediglich eine auf dem Gebiete der Strafvollstreckung liegende Bestimmung. Für das er­ kennende Gericht kommt sie nicht in Betracht; dieses hat die Strafe ledig­ lich dem angewandten Strafgesetze zu entnehmen; dabei darf die Er­ wägung, daß für den Angeklagten die Wirkungen der Strafe des strengen Arrests zu hart sein würden, nicht zur Verhängung einer Gefängnisstrafe führen. RMGer. PE. III. Nr. 114, V. Nr. 76. A. A. der Aufsatz im „Recht" 1904, S. 326. In Frage kommen kann nur die Zeit nach der Verurteilung; ob die Strafverbüßung bereits begonnen hat oder nicht, ist unerheblich. 2) Sind Zweifel vorhanden, ob der körperliche Zustand des Verur­ teilten die Verbüßung des strengen oder mittleren Arrestes zuläßt, so ist derselbe ärztlich zu untersuchen. Ergibt diese Untersuchung, daß eine gelinde Arrestart eintreten muß, so ist hiervon dem Gerichtsherrn bezw. Befehls­ haber, welchem die Veranlassung der Strafvollstreckung obliegt, behufs weiterer Verfügung gemäß 8 27 MStrGB. Mitteilung zu machen; 8 18 Nr. 5 MStrVV., 8 23 Nr. 5 Friedens-Sanitätsordnung. Vgl. ferner auch § 460 MStrGO.

§ 28. Die Abweichungen, welche bei Vollstreckung von Arrest­ strafen dadurch bedingt werden, daß sie während eines Krieges oder auf den in Dienst gestellten Schiffen oder anderen Fahrzeugen der Marine zu vollziehen sind, werden durch Kaiserliche Anordnung be­ stimmt.1) x) Vgl. 88 21, 22 MStrVV., ACO. über die Vollstreckung der Frei­ heitsstrafen an Bord vom 22. Jan. 1889 u. 88 47, 48 DStO., 8 65 MDStO., u. 8 7 Anl. 2 zu 8 64 MDStO., ACO. v. 4. Aug. 1887.

Erster Teil.

Von der Bestrafung im allgemeinen.

§§ 25—29.

35

§ 29. Wo die allgemeinen *) Strafgesetze Geldstrafe und Frei­ heitsstrafe wahlweise?) androhen, darf, wenn durch die strafbare Handlung zugleich eine militärische Dienstpflicht ^) verletzt worden ist, auf Geldstrafe nicht erkannt werben.4)5) x) Unter den allgemeinen Strafgesetzen ist das gesamte Reichs- und Landesstrafrecht zu verstehen, nicht aber die DStO., so daß der § 29 MStrGB. auf die Fälle des § 28 DStO. nicht anwendbar ist. 2) Die Bestimmung des § 29 MStrGB. kommt nur dann zur An­ wendung, wenn Geldstrafe und Freiheitsstrafen wahlweise angedroht sind; sie ist nicht anwendbar, wenn neben der zu erkennenden Freiheits­ strafe noch aus Geldstrafe erkannt werden kann. RMGer. I. 26. Febr. 1903. E. 4,230. So ist bei einer Verurteilung wegen Betrugs (§ 263 RStrGB.) die Erkennung einer Geldstrafe neben der Gefängnisstrafe nicht ausge­ schlossen, auch wenn durch die betreffende Straftat zugleich eine militärische Dienstpflicht verletzt worden ist. RMGer. PE. I. Nr. 115. Die Tatsache der Mittellosigkeit des Angeklagten ist kein Grund, von der Verhängung einer Geldstrafe abzusehen und sofort auf Freiheitsstrafe zu erkennen. RMGer. PE. II. Nr. 172. 3) Unter Verletzung der militärischen Dienstpflicht ist jede, vorsätzliche oder fahrlässige, Zuwiderhandlung gegen die auf allgemeinen oder einer speziellen Dienstvorschrift oder einem Dienstbefehle beruhenden Dienst­ obliegenheiten, sowie jede vorsätzliche oder fahrlässige Zuwiderhandlung gegen die militärische Zucht und Ordnung zu verstehen; zu den Dienst­ pflichten des Soldaten gehört auch die Befolgung der in den Kriegsartikeln enthaltenen Pflichtenlehre. RMGer. I. 7. Mai 1903. E. 5,107. Schlägereien und Beleidigungen von Soldaten untereinander sind als der militärischen Zucht und Ordnung widersprechend verboten, Art. 25 der Kriegsartikel; sie enthalten daher eine Verletzung der Dienstpflicht, so daß bei ihnen nicht auf Geldstrafe erkannt werden kann. RMGer. II. 20. Mai 1903. E. 5,153. PE. V. Nr. 95. Dasselbe gilt für die Mißhandlung eines Kameraden. RMGer. I. 25. Mai 1903. E. 5,165. Eine militärische Dienstpflicht ist beim Vorliegen der in § 55 MStrGB. vorgesehenen straferhöhenden Umstände stets verletzt; z. B. wenn ein Gendarm eine Straftat unter Mißbrauch der Waffe verübt. RMGer. PE. III. Nr. 115. Wird bei der Bestrafung einer Person des Soldatenstandes wegen Körperverletzung einer Zivilperson § 29 MStrGB. angewandt, weil durch die Körperverletzung zugleich eine militärische Dienstpflicht verletzt ist, so muß im Urteil angegeben werden, in welchen Umständen eine solche Ver­ letzung gefunden wird. RMGer. PE. III. Nr. 115. Die Verletzung einer militärischen Dienstpflicht (§ 29 eit.) ist im Rechtssinne keine Tatsache, sondern stellt sich lediglich als eine rechtliche, bezw. militärdienstliche Schlußfolgerung aus anderen Tatsachen dar. Ist sich der Angeklagte nicht bewußt, durch die von ihm verübte Handlung zu­ gleich auch eine militärische Dienstpflicht verletzt zu haben, so liegt trotz­ dem die Voraussetzung des § 59 RStrGB. nicht vor, denn es handelt sich lediglich um die Unkenntnis der Strafbarkeit bezw. des Strafmaßes; eine solche aber entschuldigt den Täter nicht. RMGer. zit. Erk. E. 5,107; 5,164. Wird durch die Handlung einerseits ein allgemeines Strafgesetz und andererseits lediglich eine militärische Dienstpflicht verletzt, so ist eine be­ sondere disziplinäre Bestrafung wegen Verletzung dieser militärischen Dienst­ pflicht nicht ausgeschlossen. 4) Bezüglich der Vereinnahmung und Vollstreckung gerichtlich oder disziplinarisch (§§ 28, 31, 36 DStO., §§ 31, 43 MDStO.) erkannter

3*

36

Militär-Strafgesetzbuch für das Deutsche Reich.

Geldstrafen, vgl. §§ 28 —31a MStrVV., §§ 28 — 31 a und § MStrGO. 5) Die Rüge der Nichtberücksichtigung des § 29 MStrGB. allein dem Berufungsgerichte nicht das Recht, den gesamten der Anklage grunde liegenden Tatbestand einer erneuten selbständigen Verhandlung Beweisaufnahme zu unterziehen. RMGer. I 28. Aug. 1901. E. 1,258.

§ 30. Die besonderen Soldatenstandes3) sind:

Ehrenstrafen2)

gegen

Personen

462

gibt zu­ und

des

1) Entfernung3 ^) aus dem Heer oder der Marine;3») 2) gegen Offiziere: Dienstentlassung; 3b)

3) gegen Unteroffiziere und Gemeine:

Versetzung in die zweite

Klasse des Soldatenstandes; 4) gegen Unteroffiziere: Degradation.^)^ 6) 7) 8)9) Der Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte gehört zu den allgemeinen, im RStrGB. bereits vorgesehenen Ehrenstrafen. Für ihn gilt daher ledig­ lich § 45 RStrGB., nicht § 46 MStrGB., so daß beim Versuch auf Ehr­ verlust erkannt werden muß, wenn die Aberkennung der bürgerlichen Ehrenrechte neben der Strafe für das vollendete Verbrechen geboten ist. Der Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte ist neben der wegen mili­ tärischer Delikte zu erkennenden Zuchthausstrafe, auch wenn das Gesetz denselben nicht besonders vorschreibt, zulässig. Neben Gefängnisstrafe von mindestens drei Monaten kann bei militärischen Delikten nur oann auf Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte erkannt werden, wenn derselbe aus­ drücklich im Gesetze zugelassen ist (§§ 134, 138 MStrGB.) oder wenn die Gefängnisstrafe bei kürzerer als einjähriger Dauer an Stelle der Zucht­ hausstrafe tritt; § 17 Abs. 2 MStrGB., § 32 RStrGB. Die Dauer oieses Verlustes beträgt bei zeitiger Zuchthausstrafe mindestens zwei und höchstens zehn Jahre, bei Gefängnisstrafe mindestens ein und höchstens fünf Jahre. Bei Todesstrafe und lebenslänglicher Zuchthausstrafe ist oer Ehrverlust ein dauernder. RG. I 10. März 1887. R. 9,175. Neben Festungshaft kann auf Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte nicht erkannt werden. 2) Ehrenstrafen sind Nebenstrafen, welche nur in Verbindung mit einer Hauptstrafe, jedoch nicht selbständig erkannt werden können. Vgl. aber 8 42 Abs. 2 MStrGB. Ob die Hauptstrafe wegen bürgerlicher oder wegen militärischer Delikte erkannt wird, ist unerheblich. Bei Verurteilung zu einer Gesamtstrafe darf auch eine Ehrenstrafe nur neben der GesamtK, nicht neben einer Einzelstrafe erkannt werden. Die Verhängung khrenstrafe ist jedoch davon abhängig, daß letztere neben einer der verwirkten Einzelstrafen zulässig oder geboten ist. RMGer. I. 5. März 1903. E. 4,248. RG. II. 6. Febr. 1903. E. 36,88. Die Ehrenstrafen sind aber schon bei den Einzelstrafen, bei denen sie zutreffen, auszuwerfen. Es ist oies deshalb erforderlich, weil ev. die anderen real konkurrierenden Delikte und damit die Gesamtstrafe (durch Einlegung von Rechtsmitteln oder Be­ gnadigung) in Wegfall kommen können. RMGer. zit. Erk. E. 4,248. Die Verübung eines in der öffentlichen Meinung entehrenden Ver­ gehens gestattet selbst beim Vorliegen mildernder Umstände das Verbleiben des Täters in der Stellung eines Offiziers oder Unteroffiziers grundsätz­ lich nicht. Von ganz besonderen Ausnahmefällen abgesehen, wird in den betreffenden Fällen gegen die gedachten Chargen auf die zulässigen Ehren­ strafen der 88 31, 33, 34, 40 MStrGB. zu erkennen sein. Rundschr. d. KM. v. 20. Febr. 1873. Die Entfernung von der Charge des Gefreiten

Erster Teil.

Von der Bestrafung im allgemeinen.

§§ 30, 31.

37

und Obergefreiten gehört nicht zu den hier in Rede stehenden Ehrenstrafen, sie kann nur im Disziplinarverfahren ausgesprochen werden. § 3 C. 3 § 41 DStO. 3) Gegen Militärbeamte kann auf keine der im § 30 vorgesehenen Ehrenstrafen erkannt werden, wohl aber auf Amtsverlust, §§ 43, 153 MStrGB. auf Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte und auf Unfähigkeit zur Bekleidung öffentlicher Ämter nach den Vorschriften des RStrGB. Hinsichtlich der Gendarmen vgl. § 48 Abs. 2 PrMStrGB. und Note 1 z. § 2 EG. z. MStrGB. 3a) Die Versetzung in die zweite Klasse des Soldatenstandes in Ver­ bindung mit der Degradation ist eine mildere Strafe als die Entfernung aus dem Heere, und zwar auch für Gendarmen, bei denen mit den ersteren Ehrenstrafen gemäß § 2 des EG. z. MStrGB. u. § 48 Abs. 2 PrMStrGB. die Entlassung aus der Gendarmerie einzutreten hat. RMGer. I. 3. Aug. 1903. E. 5,284. 3b) Ist gegen einen Offizier auf Entfernung oder Dienstentlassung er­ kannt worden, so ist von der eingetretenen Rechtskraft des Urteils der Stelle, bei der der Verurteilte in Verpflegung steht, sofort Nachricht zu geben. KM. Nr. 163/2. 04. C. 3 v. 2. März 1904. 4) Zuständig zur Verhängung von Ehrenstrafen sind die Kriegsgerichte, § 15 Äbs. 2 MStrGO.; im Felde und an Boro auch die Standgerichte, 8 15 Abs. 3 MStrGO. 5) Die Vorschriften über Ehrenstrafen §§ 31, 34, 37, 40 MStrGB. sind subsidiärer Natur und greifen nur dann Platz, wenn die Ehrenstrafen nicht schon in derjenigen Vorschrift des II. Teils MStrGB. angedroht sind, welche durch die zur Aburteilung stehende Handlung verletzt sind. 6) Die Verhängung militärischer Ehrenstrafen hat, abgesehen von den Fällen der §§ 33, 36, 42 MStrGB. zur Voraussetzung, daß die strafbare Handlung in der Zeit begangen wurde, in welcher der Täter den Militär­ strafgesetzen unterworfen ist. RMGer. PE. I. Nr. 116, VII. Nr. 25. 7) Bürgerliche Delikte, neben denen auf eine militärische Ehrenstrafe erkannt wird (vgl. § 37 MStrGB.), werden dadurch nicht zu militärischen Delikten. (Weiffenbach, Militärrechtl. Erörterungen. Heft 1 S. 50.) 8) Die Degradation ist eine mildere Strafe als die Versetzung in die 2. Kl. des Soldatenstandes. RMGer. I. 20. Jan. 1902. E. 2,i?i. 9) Wegen Vollstreckung der Ehrenstrafen vgl. §§ 23—27 MStrVV. Die Ehrenstrafen können wie die Hauptstrafen im Gnadenwege, ganz oder in einzelnen gesetzlichen Folgen, erlassen werden. § 31?)la)

Auf Entfernung aus dem Heer oder der Marine muß

gegen Unteroffiziere und Gemeine neben Zuchthaus stets, neben dem

Verluste der bürgerlichen Ehrenrechte dann erkannt??) werden, wenn

die Dauer dieses Verlustes drei Jahre übersteigt?) Gegen Offiziere muß auf diese Entfernung erkannt werden: 1) neben Zuchthaus oder dem Verluste der bürgerlichen Ehrenrechte

ohne Rücksicht aus die Dauer derselben?)

2) wo gegen Unteroffiziere oder Gemeine die Versetzung in die zweite

Klasse des Soldatenstandes geboten ist.7) Aus Entfernung aus dem Heer oder der Marine kann erkannt

werden neben Gefängniß4)8)9) von längerer als fünfjähriger Dauer?9)

außerdem gegen Offiziere, in allen Fällen, in denen gegen Unteroffiziere

Militär-Strafgesetzbuch für das Deutsche Reich.

38

oder Gemeine die Versetzung in die zweite Klasse des Soldatenstandes zulässig ist.11)12)13)14) !) Vgl. § 30 Note 5 MStrGB. la) Eine Vorschrift, daß neben Todesstrafe auf Entfernung aus dem 8eere zu erkennen ist, fehlt. In der Praxis wird oie Frage dadurch ihre rledigung finden, daß neben der Todesstrafe in der Regel auf dauernden Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte erkannt werden wird. § 32 RStrGB. 2) Die Nebenstrafe der Entfernung aus dem Heere ist im Urteilstenor ausdrücklich auszusprechen. Durch die während der Abwesenheit von der Truppe unter falschen Namen gegen eine Militärperson erfolgte zivilgericht­ liche Verurteilung zur Zuchthausstrafe ist nicht ohne weiteres auch die Ent­ fernung aus dem Heere erfolgt oder der Militärgerichtsstand des Ver­ urteilten geändert. 3) Die Vorschrift des § 31 MStrGB. bezieht sich nicht nur auf mili­ tärische, sondern auch auf bürgerliche Delikte. 4) Maßgebend rst die Zeitdauer, auf die im Urteil erkannt ist; uner­ heblich ist, ob tatsächlich eine geringere Strafzeit (z. B. infolge der An­ rechnung der Untersuchungshaft oder teilweisen Erlasses der Strafe) ver­ büßt wird. 5) Beträgt die Dauer des Ehrverlustes nur drei Jahre, so darf auf Entfernung aus dem Heere nicht erkannt werden. 6) Die Mindestdauer des Ehrverlustes beträgt ein Jahr; § 32 RStrGB. 7) Vgl §§ 37 Abs. 1, 74, 81 Abs. 1, 85, 106, 131, 133,134 MStrGB. 8) Neben Festungshaft ist die Ehrenstrafe des § 31 MStrGB. nicht zulässig. 9) Bei einer Gesamtstrafe (§§ 74, 79 RStrGB., § 54 Abs. 3 MStrGB.) kann nur dann auf Entfernung aus dem Heere erkannt werden, wenn eine Einzelstrafe die Dauer von fünf Jahren übersteigt. RMGer. PE. Nr. 97; III. 3. April 1903. E. 5,19. Vgl. auch Note 2 Abs. a. E. zu § 30 MStrGB. §§ 76, 92 RStrGB., § 54 Abs. 3 MStrGB., ACO. v. 23. Aug. 1879. 10) Neben der Ehrenstrafe der Entfernung aus dem Heere (Marine) ist, soweit es sich um dieselbe Straftat handelt, auf andere militärische Ehrenstrafen nicht zu erkennen. RMGer. PE. III. Nr. 116. Vgl. auch Anm. 2 zu § 74 MStrGB. und Note 10 zu § 37 daselbst. u) Vgl. auch §§ 37, 38, 62, 75, 78, 82, 83, 87, 128, 135, 136, 140, 144 MStrGB. 12) Der Angeklagte, gegen den auf Entfernung aus dem Heere oder der Marine (Schutztruppen) erkannt ist, hört mit dem Eintritte der Rechts­ kraft des Urteils auf, Soldat zu sein. RMGer. I. 15. Okt. 1903. E. 6,75. Wegen Vollstreckung der neben der Ehrenstrafe der Entfernung aus dem Heere erkannten Strafen vgl. § 15 Abs. 3 MStrGB., wegen Vollstreckung der Ehrenstrafe der Entfernung aus dem Heere vgl. § 23 der MStrVV. Diese durch die Verhängung der Ehrenstrafe der Entfernung notwendig werdenden Verfügungen haben nur die Bedeutung, die Folgen dieser Ehren­ strafe, welche rechtlich mit der Rechtskraft des Urteils eingetreten sind, tatsächlich zum Ausdruck zu bringen. RMGer. zit. Erk. E. 6,75. 13) Auf Militärbeamte findet § 31 MStrGB. nicht Anwendung, vgl. §§ 43 und 153 MStrGB. 14) Vgl. auch Note 2 zu § 30 MStrGB.

§ 32.

Die Entfernung aus dem Heer oder der Marine hat

1) den Verlust der Dienststelle*) und der damit verbundenen Aus­

zeichnungen, sowie aller durch den Militärdienst erworbenen An-

Erster Teil.

Von der Bestrafung im allgemeinen.

§ 32.

39

spräche, soweit dieselben durch Richterspruch aberkannt werden könnens) 2) den dauernden Verlust der Orden und Ehrenzeichens)

3) die Unfähigkeit^) zum Wiedereintritte in das Heer und in die

Marine von Rechtswegen b) zur $olge.6)7)8)9)10)

x) Dazu gehört der Verlust des Dienstgrades (RMGer. I. 3. Aug. 1903. E. 5,284.), des Diensteinkommens, des Titels und des Rechts, Uniform zu tragen. 2) Das preuß. MStrGB. von 1845 enthielt in §§ 50—52 T. I die Voraussetzungen, unter welchen gegen pensionierte Offiziere — aktive Offiziere, die auf Grund gerichtlichen Urteils ausscheiden, kommen der Regel nach nicht in Betracht, da nach § 2 des MPensG. v. 27. Juni 1872 die Ver­ abschiedung Voraussetzung des Penstonsbezuges ist; Ausnahme: A.CO. dahin, daß die Art des Ausscheidens keinen Einfluß auf die Bewilligung der vor der Entlassung erworbenen Pensionsansprüche haben soll — wegen mili­ tärischer Delikte auf Verlust der (bereits bezogenen bezw. angewiesenen) Pension ausdrücklich zu erkennen war. Diese Bestimmung berücksichtigt die Vorschrift des § 32 Abs. 1 a und b des Reichs - Militär - Pensionsgesetzes v. 27. Juni 1871, nach welchem das Recht auf den Bezug der Pension durch rechtskräftiges gerichtliches, auf Pensionsverlust lautendes Urteil er­ losch und hiervon nur im Abs. 2 die Ausnahme gemacht war, daß Penstonserhö Hungen durch richterliches Urteil nicht entzogen werden können. Die Frage, ob das MStrGB. v. 20. Juni 1872 den Vorschriften der §§ 50 bis 52 des Pr. MStrGB. von 1845 entsprechende, den Verlust von Pension durch gerichtliches Urteil vorsehende Bestimmungen enthält oder ob der Zusatz „soweit dieselben durch Richterspruch usw." versehentlich im Gesetze geblieben, ist streitig, aber z. Z. bedeutungslos; denn nach den an die Stelle der §§ 32, 33, 34 Satz 1 des Reichs - Militär - Pensionsgesetzes getretenen Bestimmungen des Gesetzes v. 22. Mai 1893 (§8 32, 33, 34 Satz 1, 100, 101) erlischt das Recht auf Bezug der Pension und Penstonserhöhung durch richterliche Aberkennung überhaupt nicht und kraft Gesetzes nur dann, wenn eine rechtskräftige Verurteilung zu Zuchthausstrafe wegen Hochverrats, Landesverrats, Kriegsverrats oder wegen Verrats militärischer Geheimnisse stattgefunden hat. Ist wegen eines dieser Verbrechen vor einem bürgerlichen Gericht die Anklage erhoben oder in einem militärgerichtlichen Verfahren die Anklage verfügt, so ruht das Recht auf Pension und Penstons­ erhöhung so lange der Angeklagte sich im Auslande aufhält oder sein Aufenthalt unbekannt ist. Vgl. auch Rotermund im „Recht" 1905 S. 4. Erworbene Zivilversorgungsscheine (§§ 75—77 MPensGes. v. 27. Juni 1871, § 10 Ges. v. 4. April 1874, Art. 6, 7. 12 v. 22. Mai 1893) werden durch Verurteilung zu einer die dauernde Unfähigkeit zur Bekleidung öffentlicher Ämter nach sich ziehenden Strafe verwirkt und sind dem General­ kommando mit Urteilsformel zurückzugeben. Ist,, nur Verurteilung zu zeitiger Unfähigkeit zur Bekleidung öffentlicher Ämter erfolgt, so wird der Zivilversorgungsschein für die Dauer dieser Zeit einbehalten. §§ 25, 26 der Grundsätze für Anstellung von Militäranwärtern v. 7. und 21. März 1882 (Zentralbl. f. D. R. S. 123). 3) Die Vorschrift umfaßt den Verlust aller Orden und Ehrenzeichen, auch der ausländischen. Zu den Ehrenzeichen gehören auch die Dienstalterskapitulationszerchen und die durch AE. v. 20. Mai 1871 gestiftete Kriegsdenkmünze. Den späteren Erwerb von Orden und Ehrenzeichen schließt die Be-

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Militär-Strafgesetzbuch für das Deutsche Reich.

ftimmung des § 32 MStrGB. nicht aus. Vgl. aber § 34 Nr. 3 RStrGB., oer die Wiedererlangung für die Zeit ausschließt, für welche auf Ehr­ verlust erkannt ist. Bezügliche Gesuche auf Wiederlangung vgl. Anl. 8 HO. Ist die Entfernung aus dem Heere neben dem Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte ausgesprochen worden, so begründet der Ehrverlust für seine Dauer die Unfähigkeit, Orden und Ehrenzeichen zu erlangen; § 34 Nr. 3 RStrGB. 4) Die Unfähigkeit ist eine dauernde; sie verhindert auch die Anstellung als Militärbeamter. 5) Einer besonderen Aufführung der Folgen der Entfernung a. d. H. im Urteilstenor bedarf es nicht. RMGer. I. 3. Aug. 1903. E. 5,284. Vgl. auch Note 12 zu § 31 MStrGB. 6) Die Wirkungen der Ehrenstrafe können 'ganz oder teilweise im Gnadenwege aufgehoben werden. 7) Wegen Vollstreckung dieser Ehrenstrafe vgl. § 23 der MStrVV. 8) Neben der Versuchsstrafe kann die Ehrenstrafe des § 32 MStrGB. verhängt werden in allen Fällen, in denen sie neben der Strafe des voll­ endeten Delikts erkannt werden kann; § 46 MStrGB. 9) Auf Militärbeamte findet § 32 MStrGB. keine Anwendung; § 43 MStrGB. 10) Entfernung aus dem Heere ist — auch für Gendarmen — härtere Strafe als Versetzung in die 2. Kl. oes Soldatenstandes in Verbindung mit Degradation. RMGer. zit. Erk. E. 5,284.

§ 33. Gegen pensionirte Offizieres ist statt auf Entfernung aus dem Heer oder der Marine auf Verlust des Offiziertitels zu er­ kennen?) Mit diesem Verluste treten zugleich die im § 32 Nr. 2 und 3 bezeichneten Folgen?) sowie die Verwirkung des Rechts, die Offizieruniform zu tragen, von Rechtswegen em.4)5)6) x) Nach Erlaß des Gesetzes v. 3. Mai 1890 sind die verabschiedeten Offiziere der Militärgerichtsbarkeit nicht unterworfen. Sofern sie nicht wieder im Heere oder der Marine Verwendung gefunden haben und aus diesem Grunde der Militärgerichtsbarkeit unterstehen (§ 1 Nr. 7 MStrGO.), unterliegen sie lediglich den Bestimmungen des RStrGB. und unterstehen den bürgerlichen Gerichten. Der Verlust des Offiziertitels, der Orden und Ehrenzeichen und des Rechts, die Offizieruniform zu tragen, kann gegen sie nur als Folge des von bürgerlichen Gerichten verhängten Ehrverlustes eintreten; § 33 RStrGB. A. M. Schl. Note 124 zu § 33 MStrGB., nach welchem die §§ 33, 36 MStrGB. auch nach dem Erlaß des Gesetzes v. 3. Mai 1890 als materielles Recht nicht außer Kraft gesetzt, vielmehr von den bürgerlichen Gerichten, z. B. sofern sie gegen verabschiedete Offiziere auf Zuchthaus erkennen, gemäß § 31 Nr. 1 MStrGB. anzuwenden sind. Mit der Uniform verabschiedete Offiziere unterstehen den Ehren­ gerichten, § 4 Nr. 5, AV. v. 2. Mai 1874 und den Strafbestimmungen da­ selbst §§ 51 und 53. Die Vorschrift des § 33 MStrGB. bezieht sich nur auf die mit Pension zur Disposition gestellten Offiziere; gegen sie kann wegen gemeiner Delikte auf Verlust des Offiziertitels erkannt werden. Sie unterstehen wegen aller Straftaten der Militärgerichtsbarkeit § 1 Nr. 2 MStrGO. Auf Offiziere „von der Armee" und Offiziere (Sanitätsoffiziere) ä la suite der Armee findet § 33 MStrGB. keine Anwendung. Werden solche Offiziere, abgesehen von den Fällen des § 1 Nr. 6 und § 5 Nr. 3 MStrGO. und des § 2 EG. zum MStrGB., wegen solcher Delikte ver­ urteilt, neben welchen bei aktiven Offizieren die Entfernung aus dem Heere

Erster Teil.

Von der Bestrafung im allgemeinen.

§§ 33, 34.

41

auszusprechen ist, so kann die Entfernung aus dem Dienste nur auf dem Dienstwege oder durch ehrengerichtliches Verfahren erfolgen. 2) Nur die in § 32 Nr. 2 und 3 MStrGB. ausgesprochenen Folgen treten ein, nicht der Verlust der Pension oder der Pensionserhöhung. Vgl. auch Note 2 zu § 32 MStrGB. 3) Der Verlust des Offiziertitels ist in dem Urteilstenor auszusprechen. 4) Auf pensionierte Militärbeamte findet § 33 MStrGB. keine An­ wendung. 5) Hinsichtlich der Vollstreckung dieser Ehrenstrafe vgl. auch § 23 MStrVV. 6) Vgl. auch Note 2 zu § 30 MStrGB.

§ 34?) Auf Dienstentlassung muß erkannt werben:1») 1) neben Erkennung auf Unfähigkeit zur Bekleidung öffentlicher Aemter; 2) 2) wo gegen Unteroffiziere Degradation geboten ist3)4)5) Auf Dienstentlassung kann erkannt werden: 1) neben Freiheitsstrafeb) von längerer als einjähriger Dauert) 2) wo gegen Unteroffiziere Degradation zulässig ift.8)9)10)11)12)^)14) !) Vgl. § 30 Note 5 MStrGB. la) Die Ehrenstrafe der Dienstentlassung ist im Tenor des Urteils auszusprechen. 2) Vgl. §§ 35, 128, 129, 331, 339—341, 352—355, 357, 358 RStrGB. Auf Unfähigkeit zur Bekleidung öffentlicher Ämter muß ausdrücklich im Tenor des Urteils erkannt worden sein. 3) d. h. neben Gefängnis von länger als einjähriger Dauer. § 40 Nr. 1 MStrGB. Vgl. ferner §§ 75, 122 MStrGB. Die Vorschrift des § 40 Nr. 2 und 3 kommt nicht in Frage, da im Falle, daß gegen Unter­ offiziere und Gemeine Versetzung in die 2. Kl. des Soldatenstandes geboten ist, gegen Offiziere schon auf Grund des § 31 MStrGB. ausschließlich auf Entfernung aus dem Heere erkannt werden muß, und die Bestimmung des § 40 Nr. 3 MStrGB. bereits in der Vorschrift des § 34 Abs. 1 MStrGB. vorgesehen ist. Vorausgesetzt ist bei der Bestimmung des § 34 Abs. 1 Nr. 2 MStrGB., daß tatsächlich auf Gefängnisstrafe von längerer als einjähriger Dauer (wegen bürgerlicher oder militärischer Delikte) erkannt wird; daß Gefängnis von mehr als einem Jahre angedroht ist, genügt nicht. Neben Festungshaft (oder neben Gefängnis von einem Jahre oder kürzerer Dauer) ist die Ehrenstrafe der Dienstentlassung nur zulässig, nicht geboten. § 34 Abs. 2 Nr. 2 und § 40 Abs. 2 Nr. 1 MStrGB. 4) Neben einer Gefängnisstrafe von mehr als fünf Jahren kann der Richter statt der obligatorisch angeorohten Dienstentlassung auf Entfernung aus dem Heere erkennen. § 31 MStrGB. 5) Obligatorisch ist Dienstentlassung im einzelnen angedroht in § 80 Abs. 1 und 2, §§ 97, 112, 122 MStrGB. b) Als Freiheitsstrafe kann mit Rücksicht auf § 17 Abs. 1 und § 34 Abs. 1 Nr. 2 MStrGB. nur Festungshaft in Frage kommen. Die Fassung hätte besser „Festungshaft" statt „Freiheitsstrafe" lauten müssen. 7) Es muß auf länger als ein Jahr Festungshaft im einzelnen Fall erkannt sein; daß Festungshaft über ein Jahr für das Delikt im Gesetze angedroht ist, genügt nicht zur Anwendung der Vorschrift des § 34 Abs. 2 Nr. 1 MStrGB.

42

Militär-Strafgesetzbuch für das Deutsche Reich.

8) Vgl. §§ 40 Abs. 2, 98 Abs. 1, 101, 114, 117, 119, 122, 142, 147, 150, 151 MStrGB. Im wiederholten Rückfalle und im Falle des § 37 Abs. 2 Nr. 2 MStrGB. kann gegen Offiziere auf Entfernung aus dem Heere oder auf Dienstentlassung erkannt werden; § 31 Abs. 3, § 34 Abs. 2 Nr. 2, § 40 Abs. 2 Nr. 2 MStrGB. 9) Neben der Versuchsstrafe ist die Ehrenstrafe der Dienstentlassung immer nur zulässig, auch wenn sie neben der Strafe für das vollendete Delikt geboten ist; § 46 MStrGB. 10) Gegen Militärbeamte kann nicht auf Dienstentlassung erkannt werden. n) Neben einer Gesamtstrafe kann die Ehrenstrafe der Dienstentlassung nur verhängt werden, wenn eine Einzelstrafe, neben welcher auf Dienst­ entlassung erkannt werden kann oder muß, mehr als ein Jahr Gefängnis oder Festung beträgt; § 76 RStrGB. RG. I. 5. Febr. 1880, R. 1,321 und die in Note 2 Abs. 1 zu § 30 MStrGB. zit. Erk. RMGer. E. 4,248; RG. E. 36, 88. 12) Bezüglich der Vollstreckung der Ehrenstrafe der Dienstentlassung vgl. § 24 MStrVV. 13) Die Vollstreckung der Freiheitsstrafe, neben welcher Dienstentlassung erkannt ist, geht auf die bürgerlichen Behörden über. Vgl. § 15 Abs. 3 MStrGB. 14) Vgl. auch Note 2 zu § 30 MStrGB.

§ 35. Die Dienstentlassung hat den Verlust der Dienststelle*) und aller durch den Dienst als Offizier2) erworbenen Ansprüche, soweit dieselben durch Richterspruch aberkannt werden können,8) ingleichen die Verwirkung des Rechts, die Offizieruniform zu tragen, von Rechts­ wegen4) zur Folge. Der Verlust des Diensttitels ist mit dieser Strafe nicht verbunden. *) Den Verlust des Offiziertitels, der Orden und Ehrenzeichen, des Offizierpatents hat die Dienstentlassung nicht zur Folge; eine etwa noch bestehende Wehrpflicht des Offiziers wird durch die Dienstentlassung auf­ gehoben. Wiedereintritt in die Armee — der Regel nach als Gemeiner — ist zulässig. Ebenso Keller, Kriegsart. S. 12 und Schlayer, Note 132 zu § 35 MStrGB., welche mit Recht auch Wiedereinstellung als Offizier nicht für ausgeschlossen erachten, da der oberste Kriegsherr an der Wieder­ einstellung als Offizier durch die frühere Dienstentlassung nickt behindert ist. 2) Im Gnadenwege kann selbstverständlich Bestimmung oahin getroffen werden, daß die Art des Ausscheidens aus dem Dienste auf die Geltend­ machung von Pensionsansprüchen ohne Einfluß sein soll. 3) Vgl. § 32 Note 2 MStGB.; nach Koppmann Note 3 zu 8 35 MStrGB. gehen durch die Dienstentlassung nur die als Offizier, nicht aber die „als Soldat und Unteroffizier" erworbenen Ansprüche verloren. 4) Daher ist der Eintritt der Folgen der Dienstentlassung im Urteil nicht noch besonders auszusprechen.

§ 36. Gegen pensionirte*) Offiziere, welche das Recht zum tragen der Offizieruniform haben, ist statt auf Dienstentlassung aus Verlust dieses Rechts zu erkennen.2)3) *) Vgl. § 33 Note 1 Abs. 3 MStrGB. Die Vorschrift des § 36 MStrGB. findet nach Erlaß des Ges. v. 3. Mai 1890 nur noch auf die mit Pension zur Disposition gestellten Offiziere Anwendung.

Erster Teil.

Von der Bestrafung im allgemeinen.

§§ 35—37.

43

2) Der Besitz des Offiziertitels, der Orden- und Ehrenzeichen, sowie die Pension werden durch die Bestimmung des § 36 MStGB. nicht berührt. 3) Ohne Uniform verabschiedete Offiziere, Offiziere „von der Armee" oder ä la suite der Armee unterstehen der Vorschrift des § 36 MStGB. nicht. Vgl. auch § 33 Note 1 a. E. MStGB.

Z37?) Auf Versetzungla) in die zweite Klasse des Soldaten­ standes muß erkannt'^) werden neben3) dem Verluste der bürgerlichen Ehrenrechte, wenn die Dauer dieses Verlustes nicht drei Jahre über­ steigt?)3) Auf Versetzung in die zweite Klasse des Soldatenstandes kann erkannt werden: 1) in wiederholtem Rückfalle,3) 2) 6a)7)8) wenn die Verurtheilung wegen Diebstahls, Unterschlagung, Raubes, Erpressung, Hehlerei, Betruges oder Urkundenfälschung erfolgt, auch wenn der Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte nicht eintritt.9)10) 1) Vgl. § 30 Note 5 MStrGB. Bezüglich des Verhältnisses zwischen Entfernung aus dem Heere, Versetzung in die zweite Klasse des Soldaten­ standes und Degradation vgl. auch Note 3a und 8 zu 8 30 MStrGB. !a) Die Versetzung in die zweite Klasse des Soldatenstandes findet nur gegen Unteroffiziere (mit und ohne Portepee) und gegen Gemeine statt. Gegen Unteroffiziere muß neben derselben Degradation ausgesprochen werden. § 30 Nr. 3, § 40 Abs. 1 Nr. 2 MStrGB. (Wegen der Gendarmen vgl. Note 1 zu § 2 EG. z. MStrGB.). Ist letzteres unterblieben, so darf, da die Degradation eine mildere Strafe ist als die Versetzung in die zweite Klasse des Soldatenstandes, das Berufungsgericht an ine Stelle der Versetzung in, die zweite Klasse des Soldatenstandes Degradation setzen, wenn es die Überzeugung gewinnt, daß der Angeklagte durch die härtere Strafe der Versetzung in die zweite Klasse des Soldatenstandes beschwert ist. KMGer. I. 20. Jan. 1902 E. 2,i?i. Die Versetzung in die zweite Klasse des Soldatenstandes wird ohne Zeitbeschränkung verhängt, sie dauert über die Zeit des ausgesprochenen Ehrverlustes fort und kann nur im Gnadenwege aufgehoben werden. Bezüglich dieser Rehabilitierung vgl. das Nähere in Anlage 8 zu 8 36 HO. und Anlage 11 zu 8 48 MO. Gegen Militärbeamte ist im Felde statt auf Versetzung in die zweite Klasse des Soldatenstandes auf Amtsverlust zu erkennen. 8 153 MStrGB. Einjährig-Freiwillige, welche während ihrer Dienstzeit mit Versetzung in die zweite Klasse des Soldatenstandes bestraft werden, verlieren die Eigen­ schaft als Einjährig-Freiwillige und den Anspruch auf Entlassung nach einjährigem Dienst. 8 50 RMG. und 8 25 Nr. 1 MStrVV. 2) Die Versetzung in die zweite Klasse des Soldatenstandes muß in der Urteilsformel ausgesprochen werden. Gehört der Angeklagte bereits der zweiten Klasse des Soldatenstandes an, und ist die Ehrenstrafe der Versetzung in die zweite Klasse des Soldatenstandes wiederum geboten, so muß auf erneute Versetzung m die zweite Klasse des Soldatenstandes er­ kannt werden. Eine solche erneute Verurteilung zu der Ehrenstrafe ist bei Prüfung des Antrags auf Rehabilitierung (vgl. Note la) nicht ohne prak­ tische Bedeutung. 3) Es muß vom Gerichte — sei es wegen bürgerlicher oder militäri­ scher Delikte — auf Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte tatsächlich er-

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Militär-Strafgesetzbuch für das Deutsche Reich.

sannt sein (vgl. auch Notel zu 8 30 MStrGB.); daß Ehrverlust im Gesetze als Nebenstrafe angedroht ist, genügt nicht. 4) Mit Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte Bestrafte werden in eine Arbeiter- oder Disziplinarabteilung eingestellt; § 46 MStrVV. Übersteigt die Dauer des Ehrverlustes drei Jahre, so tritt gegen Unteroffiziere und Gemeine Entfernung aus dem Heere em. § 31 Abs. 1 MStrGB. Beim Offizier bedingt der Ehrverlust ohne Rücksicht auf seine Dauer stets Ent­ fernung aus dem Heere; § 31 Abs. 2 Nr. 1 MStrGB. 5) Auf Versetzung in die zweite Klasse des Soldatenstandes muß ferner erkannt werden im Falle der §§ 74, 81 Abs. 1, 85 Abs. 2, 106, 131, 132, 133 Abs. 2, 134, 139 MStrGB. 6) Vgl. § 13 MStrGB. Die Vorschrift des § 37 Abs. 2 Nr. 1 bezieht sich nur auf militärische Delikte, nicht aber auf den Rückfall hinsichtlich bürgerlicher Straftaten; sie setzt Begehung eines militärischen Verbrechens oder Vergehens derselben Art voraus. RMGer. PE. VII. Nr. 26. Auf Grund wiederholten Rückfalls kann Versetzung in die zweite Klasse des Soldatenstandes nicht auf Grund des § 13, sondern nur auf Grund des 8 37 Abs. 2 Nr. 1 ausgesprochen werden. RMGer. PE. II. Nr. 143. § 37 Abs. 2 Ziff. 1 MStrGB. enthält keinen gesetzlichen Straferschwerungs­ grund, sondern die fakultative Androhung der Versetzung in die zweite Klasse des Soldatenstandes. RMGer. PE. I. Nr. 116. 6a) Eine Feststellung des Richters, daß die Handlungsweise des An­ geklagten eine ehrlose sei, erfordert das Gesetz nicht. 7) Die Vorschrift des § 37 Abs. 2 MStrGB. bezieht sich nur auf den Diebstahl im Sinne oer §§ 242 ff. RStrGB., nicht auf Mundraub (§ 370 Nr. 5 RStrGB.) oder Forst- und Felddiebstahl; § 18 des Feld- und Forst­ polizeigesetzes v. 1. April 1880 und § 1 des Gesetzes betr. den Forstdieb­ stahl v. 15. April 1878. Im übrigen vgl. zu: Diebstahl §§ 242ff. RStrGB., § 138 MStrGB., Unterschlagung § 246 RStrGB., § 138 MStrGB., Raub § 249, Erpressung § 253, Hehlerei §§ 258, 259, Betrug §§ 263 bis 265 RStrGB., §§ 239, 242 Reichs-Konkursordnung, Urkunden­ fälschung §§ 267—269, 270 RStrGB. Die frühere Ansicht, der zufolge § 348 Abs. 1 RStrGB. als Urkundenfälschung im Sinne des § 37 MStrGB. in Betracht kommen sollte, kann nicht aufrecht erhalten werden; § 348 eit. enthält mcht eine Urkundenfälschung im Sinne des Teil II Abschn. 23 RStrGB. und ist ein reines Beamtendelikt. Auch wegen Teilnahme (Mit­ täterschaft, Anstiftung, Beihilfe) an und wegen Versuchs einer dieser De­ likte ist die Versetzung in die zweite Klasse des Soldatenstandes zulässig. Eine analoge Ausdehnung der Vorschrift des § 37 Abs. 2 Nr. 2 MStrGB. auf andere Delikte (z. B. Begünstigung, Untreue re.) ist ausgeschlossen. Vgl. Koppmann Note 9 zu 8 37 MStrGB. Wird bei Verurteilung wegen eines der angeführten Delikte auf Ehrverlust erkannt, so tritt die Vorschrift der 88 31 bezw. 37 Abs. 1 MStrGB. in Kraft. 8) Auf Versetzung in die 2. Kl. des Soldatenstandes kann ferner er­ kannt werden im Falle der 88 38, 62, 75, 78, 82, 83, 87, 128,135,137, 140, 144 MStrGB. 9) Ist die strafbare Handlung vor dem Eintritt des Täters in den Militärstand oder im Beurlaubtenstande verübt, so finden lediglich die Strafen des bürgerlichen Rechts, unter dessen Herrschaft die Tat begangen wurde, Anwendung; auf Versetzung in die 2. Kl. des Soldatenstandes darf nicht erkannt werden. RMGer. PE. I. Nr. 116, vgl. auch 8 2 RStrGB. 10) Bei Bildung einer Gesamtstrafe ist, wenn neben einer Einzelstrafe Versetzung in die 2. Kl. des Soldatenstandes obligatorisch angedroht und, neben einer anderen, die Dauer von fünf Jahren übersteigenden, Gefängnis­ strafe Entfernung aus dem Heere auszusprechen ist, auf beide Ehrenstrafen

Erster Teil.

Von der Bestrafung int allgemeinen.

§ 38.

45

zu erkennen; der Richter kann von einer gesetzlich vorgeschriebenen Strafe nicht willkürlich absehen. Praktisch erheblich wird die Frage, wenn die Entfernung aus dem Heere im Gnadenwege erlassen wird. RMGer. PE. II. Nr. 154.

§38?) Wer wegen militärischer Vergehens bereits zweimal ^) gerichtlich4) verurtheilt unb5) bestraft worden ist, kann, wenn er zum dritten Male wegen eines militärischen Vergehens2) verurtheilt wird, neben der Freiheitsstrafe 6) in die zweite Klasse des Soldatenstandes versetzt werden. Dasselbe kann geschehen, wenn außer einer gerichtlichen Strafe?) mehrmalige3) Disziplinarstrafen des höchsten Grades vollstreckt worden sind und zum zweiten Male wegen eines militärischen Vergehens2) eine Verurtheilung^) erfolgt. Die Strafschärfung bleibt jedoch ausgeschlossen?) wenn feit10) der zuletzt bestraften Handlung11) bis zur Begehung des Vergehens sechs Monate verflossen finb.12) !) § 38 MStrGB. behandelt den Rückfall im weiteren Sinne; ersetzt nicht Vorbestrafungen wegen militärischer Delikte der gleichen Art (vgl. § 13 MStrGB., Rückfall im engeren Sinne), sondern allgemeine Vorbe­ strafungen wegen militärischer Straftaten voraus; seine Anwendung kann erst dann in Frage kommen, wenn die Voraussetzungen des § 37 Abs. 2 Nr. 1 MStrGB. (Gleichheit der früheren und jetzigen Straftaten ihrer Art nach. Vgl. § 13 MStrGB.) nicht vorliegen. Die Voraussetzungen des § 38 MStrGB. betreffen nicht die Schuldfrage. RMGer. 1.19. Jan. 1903. E. 4,iu; die Anwendung des § 38 eit. wird nicht dadurch bedingt, daß die ihm zugrunde liegende Straftat „ehrenrührig" ist. RMGer. II. 11. Sept. 1903. E. 4,206. 2) Der Ausdruck „Vergehen" ist nicht im Sinne des § 1 Abs. 2 MStrGB. zu verstehen; er begreift auch militärische Verbrechen in sich. Ein solches ist im Sinne des § 38 eit. auch das Verbrechen des § 138 Abs. 2 MStrGB., vgl. Weiffenbach, Militärrechtl. Erörterungen, Heft 1 S. 55. 3) Die Anwendung des Abs. 1 des § 38 MStrGB. setzt voraus, daß der Täter wegen militärischen Deliktes gerichtlich verurteilt und bestraft wurde, darauf wieder ein militärisches Delikt begangen hat, deshalb ver­ urteilt und bestraft worden ist, nun aber neuerlich ein solches Vergehen begeht. RMGer. PE. III. Nr. 118. Das Urteil muß die Vorbestrafungen nach Zeit und Art und unter Angabe der stattgehabten Vollstreckungen aufführen. RMGer. PE. IV. Nr. 136. Es müssen also zwei selbständige Urteile vorliegen, bei denen die Voraussetzungen einer Gesamtstrafe (§ 79 RStrGB. und § 461 MStrGO.) nicht gegeben sind. Eine disziplinarische Bestrafung wegen eines militärischen Vergehens gemäß § 3 Abs. 2 EG. z. MStrGB. genügt im Falle des § 38 Abs. 2 MStrGB. nicht. 4) Eine Verurteilung durch ein und dasselbe Gericht wird nicht erfordert. 5) Die Strafe muß ganz oder teilweise verbüßt oder erlassen sein. Ein Rückfall kann erst begangen werden, nachdem das Urteil über die frühere militärische Straftat die absolute Rechtskraft beschritten hat, d. h. wenn — im ordentlichen Verfahren — das Urteil im Sinne des § 416 MStrGO. von keiner der Prozeßparteien anfechtbar ist. § 458 MStrGO.

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Militär-Strafgesetzbuch für das Deutsche Reich.

hat nur bezüglich der Berechnung der Strafe Bedeutung. Die Be­ stätigung des früheren Urteils ist nur im außerordentlichen Verfahren not­ wendige Voraussetzung des Rückfalls. Vgl. § 420 a. a. O. 6) § 38 MStrGB. findet auch Anwendung, wenn die erkannte Freiheits­ strafe durch die erlittene Untersuchungshaft für verbüßt erachtet ist. 7) Die vorangegangene Strafe muß wegen eines militärischen Delikts erfolgt sein. RMGer. PE. III. Nr. 118. Gleichartigkeit der früheren und der jetzigen Straftat wird auch hier nicht erfordert. 8) Es genügen zwei Disziplinarstrafen; auch die wegen reiner Dis­ ziplinarvergehen (§ 1 DStrO.) verhängten Arreststrafen höchsten Grades erfüllen die Voraussetzungen des § 38 Abs. 2 MStrGB. RMGer. PE. V. Nr. 98; höchster Grad ist im Sinne der nach dem Dienstgrad des Täters zulässigen höchsten Strafart (§§ 20, 22 Abs. 2 MStrGB.), nicht im Sinne der höchsten Dauer zu verstehen. Die Versetzung in die 2. Kl. des Sol­ datenstandes darf auch erfolgen, wenn gegen einen degradierten Unter­ offizier mehrmalige Disziplinarstrafen des höchsten nach seinem früheren Dienstgrade zulässigen Arrestgrades vollstreckt worden sind. Als Disziplinar­ strafen des höchsten Grades kommen nur Freiheitsstrafen in Betracht; auch die Disziplinarstrafen des höchsten Grades müssen vollstreckt, d. h. ganz oder teilweise verbüßt oder teilweise oder ganz erlassen sein; die rechts­ kräftige Verurteilung allein stellt eine Bestrafung im Sinne dieser Vorschrift nicht dar. Die in § 104 MStrVV. vorgesehene Einzelhaft ist eine disziplinäre Maßregel, keine Disziplinarstrafe. 8a) Zu einer Freiheitsstrafe vgl. auch Koppmann Note 15 zu § 38 MStrGB. 9) Abs. 3 des § 38 MStrGB. bezieht sich auf Abs. 1 und Abs. 2 dieser Vorschrift. RMGer. PE. III. Nr. 118. 10) Die Frist der Verjährung des im § 38 MStrGB. behandelten Rückfalls ist nicht von der Begehung der zuletzt bestraften Handlung, sondern vom Tage der Verbüßung der letzten Strafe (gerichtlichen oder diszipli­ nären des höchsten Grades) zu berechnen; RMGer. I. 19. Jan. 1903. E. 4,141; der Antritt dieser Strafverbüßung genügt zur Anwendung des § 38 MStrGB. nicht. n) Unter der zuletzt bestraften Handlung im Sinne des § 38 Abs. 3 MStrGB. ist nur eine solche Handlung zu verstehen, welche mit einer gerichtlichen Strafe oder mit einer „Disziplinarstrafe des höchsten Grades" bestraft worden ist. Die Worte: „seit der zuletzt bestraften Handlung" sind gleichbedeutend mit „seit Verbüßung der letzten Strafe". RMGer. zit. Erk. E. 4,i4i. 12) Die Verurteilung zur Versetzung in die 2. Kl. des Soldatenstandes in Gemäßheit des § 38 MStrGB. kann nur auf Grund der Feststellung sämtlicher gesetzlicher Voraussetzungen erfolgen. Ist eine solche Voraus­ setzung ohne oie erforderliche Feststellung erfolgt, so liegt eine Verletzung einer materiellen Rechtsnorm vor. RMGer. 1.19. Jan. 1903. E. 4,ui.

§ 39. Die Versetzung in die zweite Klasse des Soldatenstandes hat den dauernder/) Verlust der Orden und Ehrenzeichen*») von Rechtswegen?) zur Folge, auch darf der zu dieser Strafe Verurtheilte die Militärkokarde^) nicht tragen und Versorgungsansprüche, soweit dieselben durch Richterspruch aberkannt werden könnest/) nicht geltend machen.b)8)7)8^ i) Vgl. Note 3 zu § 32 MStrGB.

Erster Teil.

Von der Bestrafung im allgemeinen.

§§ 39, 40.

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!») Hierher gehören auch die Schießauszeichnungen vgl. Note 7. 2) Es erübrigt sich daher, diese Folgen im Urteilstenor auszusprechen. 3) Das unbefugte Tragen der Militärkokarde stellt sich als Verstoß gegen § 1 Nr. 1 DStO. dar; es enthält aber ein Vergehen gegen § 92 MStrGB., wenn das in § 25 Nr. 1 MStrVV. enthaltene Verbot dem Täter ausdrücklich bekannt gemacht war. Vgl. auch RMGer. PE. II 190; Koppmann Note 5 zu § 39 MStrGB. Ein Amtszeichen im Sinne des § 360 Nr. 8 RStrGB. sind die Militärkokarde und die Gefreitenknöpfe nicht. Vgl. Oppenhof, Komment, z. RStrGB. Note 46 zu § 368 u. zit. PE. II. 190. 4) Der Zusatz: Soweit dieselben usw. hat keine Bedeutung mehr. Vgl. Note 2 zu 8 32 MStrGB. Der § 80 des MPensG. v. 27. Juni 1871, welcher den Soldaten 2. Klasse den Anspruch auf Jnvalidenversorgung beließ, wenn sie vor dem Femde verwundet und infolgedessen invalide find, ist durch Art. 8 des Ges. v. 22. Mai 1893 aufgehoben. Die nach dem 1. April 1893 aus dem aktiven Militärdienste ausgeschiedenen oder noch ausscheidenden Mannschaften der zweiten Klasse des Soldatenstandes sind hinsichtlich ihrer Versorgungsansprüche den Mannschaften der ersten Klasse des Soldatenstandes gleichgestellt. Zusammenst. d. RMPensGes. Bemerk, zu § 80. 5) Der Anspruch auf Versorgung kann richterlich nicht mehr aberkannt werden und erlischt kraft Gesetzes bei einer Verurteilung zu Zuchthausstrafe wegen Hoch-, Landes-, Kriegsverrats und ruht kraft Gesetzes, wenn nach Erhebung oder Verfügung der Anklage der Täter im Auslande sich aufhält oder sein Aufenthaltsort unbekannt ist; §§ 100,101 d. zit. Ges. v. 22. Mai 1893. 6) Über die Vollstreckung der Versetzung in die zweite Klasse des Soldatenstandes vgl. § 25 MStrVV. und über die Rehabilitierung Anlage 8 zur HO. und Anlage 11 zu § 48 MO. 0 Besondere Wirkungen der Versetzung in die zweite Klasse des Soldatenstandes sind folgende: für Gefreite Verlust dieses Dienstgrades, §25 Nr. 4 MStrVV.; Zulässigkeit der Einstellung in eine Arbeiterabteilung vgl. 8 3 C. Nr. 4, 8 14, 41 Nr. 2b. DStO. 8 6 Nr. 4, 88 19, 51 MDStO.; mit Versetzung in die zweite Klasse des Soldatenstandes bestrafte Mann­ schaften des Gardekorps treten nach Verbüßung der Hauptstrafe in die Disziplinarabteilung des Gardekorps. ACO. v. 27. Juli 1885. (AVBl. S. 158.) Bezüglich der Einjährig-Freiwilligen vgl. Note 1 zu 8 37 MStrGB. Die Versetzung in die zweite Klasse des Soldatenstandes hat den Verlust der Schießauszeichnung zur Folge; für die Dauer dieser Ehrenstrafe können Schießauszeichnungen nicht erworben werden. Durch Rehabilitierung werden verliehene Auszeichnungen wieder erworben. ACO. v. 16. Juni 1894 und KM. dazu Nr. 8. Schießvorschrift v. 16. Nov. 1899. Vgl. auch 8 25 Nr. 4 u. 5 MStVV. Nach 8 6 GV. dürfen unter der Wirkung von Ehren­ strafen stehende Mannschaften nicht zu Ehrenposten verwendet werden; auch bleiben diese Mannschaften von der Besetzung aller wichtigen Posten, zu denen u. a. die Posten vor den Kasernen und die mit Patronen ausgerüsteten Posten gehören, ausgeschlossen. Zu Pulver- und Munitionsarbeiten sind solche Mannschaften nicht zu verwenden. KM. 28. Jan. 1873. 8) Entfernung aus dem Heere ist — auch für Gendarmen — eine härtere Strafe als Versetzung rn die zweite Klasse des Soldatenstandes in Verbindung mit Degradation. RMGer. I. 3. Aug. 1903 E. 5,284

§ 40?) Auf Degradation'^) muß erkannt8) werden: 1) neben Gefängniß von längerer als einjähriger Dauer;4) 2) neben Versetzung in die zweite Klasse des Soldatenstandes;3)

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Militär-Strafgesetzbuch für das Deutsche Reich.

3) neben Aberkennung der Fähigkeit zur Bekleidung öffentlicher Aemter. Aus Degradation kann erkannt3) werden: 1) neben Gefängniß von einjähriger oder kürzerer Dauert) 2) wegen wiederholten Rückfalls;?) 3) wegen einer strafbaren Handlung der im § 37 Absatz 2 Nr. 2 bezeichneten Art. 8)»)^) Vgl. Note 5 zu § 30 MStrGB. Bezüglich des Verhältnisses zwischen Entfernung aus dem Heere, Versetzung in die 2. Kl. des Soloatenstandes und Degradation, vgl. auch Note 3a und 8 zu Z 30 MStrGB. 2) Zulässig nur gegen Unteroffiziere § 30 Nr. 4 MStrGB. Gegen untere Militärbeamte, Obergefreite oder Gefreite kann auf Degradation nicht erkannt werden. §§ 30, 43, 153 MStrGB. Die Degradation schließt ein späteres Avancement zum Gefreiten und Unteroffizier nicht aus. 3) Die Degradation ist im Urteilstenor auszusprechen. 4) Nur neben Gefängms von mindestens einem Jahr und einem Tag, nicht auch neben Festungshaft ist die Degradation geboten; es muß ferner auf diese Gefängmsstrafe erkannt sein, wogegen es unerheblich ist, ob die Strafe infolge Anrechnung der Untersuchungshaft oder bei ganzem oder teilweisem Erlaß der Strafe in der ausgesprochenen Höhe vollstreckt wird. Daß das auf die Straftat anzuwendende Strafgesetz mehr als ein Jahr Gefängnis androht, genügt nicht, um die Degradation zu verhängen. Neben einer Gesamtstrafe (§§ 74, 79 RStrGB. und § 54 MStrGB.) muß die Degradation nur dann ausgesprochen werden, wenn eine Einzelstrafe mehr als ein Jahr Gefängnis beträgt; vgl. auch § 76 RStrGB. und RG. I 5. Febr. 1880. R. 1,32i. RMGer. PE. V. Nr. 97; vgl. auch Note 9 zu 8 31 und Note 2 Abs. 2 a. E. zu ß 30 MStrGB. 5) Unerheblich ist, ob die Versetzung in die 2. Kl. des Soldatenstandes gesetzlich geboten oder nur zulässig ist; vorausgesetzt wird aber, daß die Versetzung in die 2. Kl. des Soldatenstandes tatsächlich ausgesprochen wird. 6) Wie sich aus der Entstehungsgeschichte und dem Zwecke der Vor­ schrift des Abs. 2 Nr. 1 des 8 40 MStrGB. ergibt, kommt nur eine solche — wegen bürgerlicher oder militärischer Delikte verwirkte — Gefängnis­ strafe in Betracht, welche in einem Festungsgefängnis zu vollstrecken ist, welche also in ihrer Dauer der im 8 17 MStrGB. bezeichneten militärischen Gefängnisstrafe entspricht, mithin eine Gefängnisstrafe von mindestens 43 Tagen. RMGer. I. 10. Nov. 1902. E. 4,21. PE. VI Nr. 95. Die Vorschrift des 8 40 Abs. 2 Nr. 1 MStrGB. ist durch die Be­ stimmung des 8 114 Abs. 2 MStrGB. nicht eingeschränkt worden. Vgl. Note 20 zu 8 114 MStrGB. 7) Es kommt nur der wiederholte Rückfall hinsichtlich militärischer Delikte in Frage. 8) In den Fällen des Abs. 2 Nr. 2 und 3 des 8 40 MStrGB. ist vorausgesetzt, daß auf Versetzung in die 2. Kl. des Soldatenstandes nicht erkannt wird; geschieht letzteres, so ist auf Degradation gemäß Abs. 1 Nr. 2 des 8 40 zit. zu erkennen. Die Strafe der Degradation ist auch im Falle des 8 40 Abs. 2 MStrGB. nicht durch die Feststellung bedingt, daß die Handlungsweise des Angeklagten eine ehrlose, aus niedriger Gesinnung ent­ sprungen ist; die Degradation ist auch bei im Affekt begangenen Straftaten nicht ausgeschlossen. RMGer. I. 4. Febr. 1904. E. 6,253; I. 21. Juli 1902. E. 3,145. 9) Vgl. ferner Note 10 8 31 MStrGB. über die Vollstreckung der Degradation siehe 8 26 MStrGB.

Erster Teil.

Von der Bestrafung im allgemeinen.

§§ 41, 42.

49

In den Fällen des Abs. 2 Nr. 1 und 2 des § 40 MStrGB. kann bei der Bestätigung die Degradation erlassen werden. AB. Nr. 5 Abs. 7 zu § 418 MStrGO. 10) Neben der Entfernung aus dem Heere oder der Marine ist, so weit es sich um dieselbe Straftat handelt, auf andere militärische Ehrenstrasen nicht zu erkennen. RMGer. PE. III. Nr. 116.

§ 41. Die Degradation hat den Rücktritts in den Stand der Gemeinen und den Verlust der durch den Dienst als Unteroffiziers erworbenen Ansprüche, soweit dieselben durch Richterspruch aberkannt werden können, von Rechtswegen3) zur Folge.4)3)

1) Vgl. § 40 Note 2 MStrGB. 2) Etwaige dem Degradierten als Gemeinen zustehende Ansprüche gehen nicht verloren. Ein bereits erworbener Zivilversorgungsschein wird durch Degradation an sich nicht verwirkt. Zusstllg. d. RMPensGes. Bemerkung 26 und Note 2 zu § 32 MStrGB. 3) Die Folgen sind deshalb im Urteil nicht auszusprechen. 4) Ob in Jnvalideninstituten versorgte Unteroffiziere, welche degradiert werden, in der Anstalt verbleiben, hängt vom Ermessen der Dienstbehörde ab; einen Anspruch darauf hat der Invalide nicht; § 78 MPensGes. v. 27. Juni 1876. 5) Die Degration ist eine mildere Strafe als die Versetzung in die 2. Kl. des Soldatenstandes. Sie kann deshalb von der II. Instanz auch dann an Stelle der in I. Instanz erkannten Versetzung in die 2. Kl. des Soldatenstandes verhängt werden, wenn lediglich der Angeklagte Berufung eingelegt hat. RMGer. I. 20. Jan. 1902. E. 2,172. Vgl. auch § 396 MStrGO. und Note la 311 § 37 MStrGB. und Note 8 zu § 39 MStrGB.

§ 42. Wird gegen eine Person des Beurlaubtenstandesx)2) während der Beurlaubung aus Zuchthaus, aus Verlust der bürger­ lichen Ehrenrechte oder auf Unfähigkeit zur Bekleidung öffentlicher

Aemter erkannt, so treten diejenigen militärischen Ehrenstrasen, aus welche bei

einer solchen Verurtheilung nach den Bestimmungen der

§§ 30—40 erkannt werden muß,2») von Rechtswegen ein.3)4)

Erfolgt die Verurtheilung3) einer Person des Beurlaubtenstandes

während der Beurlaubung wegen einer strafbaren Handlung der im § 37 Absatz 2

Nr. 2 bezeichneten Art, so kann ein besonderes Ver­

fahren3) des Militärgerichts zur Entscheidung darüber angeordnet?)

werden, ob auf Dienstentlassung oder auf Degradation zu erkennen ist. 8)9)10)11) *) Vgl. § 6 Note 1 und 2 MStrGB. Während der Beurlaubung unterstehen die Personen des Beurlaubtenstandes, von den in § 6 MStrGB. angeführten Ausnahmen abgesehen, regelmäßig den bürgerlichen Gerichten, vgl. §§ 5—10 ff. MStrGO.; §42 Abs. 1 MStrGB. betrifft nur Verur­ teilungen wegen bürgerlicher Delikte durch bürgerliche — auch auslän­ dische — Gerichte. Erfolgt während der Beurlaubung eine Verurteilung durch ein Militärgericht (vgl. §§ 113, 123, 126 MStrGB. und ferner § 5 Nr. 2, 10 Abs. 1, 11 MStrGO.), so treten die gesetzlich gebotenen Ehren­ strafen nicht von Rechts wegen ein, sondern müssen erkannt werden. Herz u. Ernst, Strafrecht der Militärpersonen.

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Militär-Strafgesehbuch für das Deutsche Reich.

2) Auf Militärbeamte des Beurlaubtenstandes bezieht sich § 42 MStrGB. nicht. Gegen sie ist gegebenenfalls auf Grund der §§ 75ff., 120 ff. RBG. das weitere zu veranlassen. 2a) Entfernung aus dem Heere § 31 Abs. 1 u. 2 Nr. 1 u. 2 (nicht Abs. 3); Dienstentlassung § 34 Äbs. Nr. 1 (nicht Abs. 1 Nr. 2 u. Abs. 2); Versetzung in die zweite Klasse des Soldatenstandes § 37 Abs. 1 (nicht Abs. 2); Degradation § 40 Abs. 1 Nr. 2 u. 3 (nicht Abs. 1 Nr. 1 u. Abs. 2) MStrGB. 3) Auch die infolge einer zivilgerichtlichen Verurteilung gegen Per­ sonen des Beurlaubtenstandes von Rechts wegen eintretende Versetzung in die 2. Kl. des Soldatenstandes dauert fort, bis Rehabilitierung erfolgt, vgl. Note la §37 MStrGB. 4) § 42 Abs. 1 MStrGB. sieht den Fall nicht vor, daß gegen einen Offizier oder Unteroffizier des Beurlaubtenstandes auf Gefängnis über ein Jahr (nicht Aber zugleich auf Ehrverlust oder auf Unfähigkeit zur Beklei­ dung öffentlicher Ämter) erkannt wird, in welchem Falle beim aktiven Offizier Dienstentlassung, beim aktiven Unteroffizier Degradation eintreten muß; § 34 Abs. 1 Nr. 1, §40 Abs. 1 Nr. 3 MStrGB. Sofern nicht Abs. 2 § 42 MStrGB. vorliegt, wird beim Offizier des Beurlaubtenstandes eventuell auf ehrengerichtlichem Wege Abhilfe zu schaffen sein, hinsichtlich des Unteroffiziers des Beurlaubtenstandes, bei welchem nicht eins der im § 37 Abs. 2 Nr. 2 MStrGB. aufgeführten Delikte in Frage kommt, ent­ hält das Gesetz eine Lücke. 5) Es darf aber nicht auf Zuchthaus, oder Ehrverlust, oder Unfähig­ keit zur Bekleidung öffentlicher Ämter erkannt sein, sonst tritt die Vor­ schrift des Äbs. 1 § 42 MStrGB. ein. 6) Das zur Entscheidung über die Erkennung auf Dienstentlassung oder auf Degradation angeordnete besondere Verfahren des Militärgerichts ist ein Äkt der Strafverfolgung, dessen Zulässigkeit davon abhängt, daß die Strafverfolgung wegen der von dem Angeklagten begangenen Tat noch nicht verjährt ist. Hinsichtlich der Verjährung kommen daher die §§ 67—69 RStrGB. und § 10 des EG. z. MStrGO. über die Verjährung der Strafverfolgung, nicht diejenigen über die Verjährung der Strafvollstreckung (§§ 70 ff.) zur Anwendung. RMGer. PE. II. Nr. 145. 7) Die Anordnung des Verfahrens ist abweichend von dem in den §§ 156, 250 MStrGO. statuierten Legalitätsprinzip in das Ermessen des Gerichlsherrn gestellt. Das Verfahren darf vorläufig ausgesetzt werden, wenn der Verurteilte einen Antrag um Wiederaufnahme des Verfahrens gestellt hat oder solches beabsichtigt. RMGer. PE. III. Nr. 119. 8) Das Gericht ist nicht befugt, die durch das zivilgerichtliche Urteil entschiedene Schuldfrage nochmals zu prüfen, es ist vielmehr an die tatsächlrche Feststellung und Qualifizierung der Tat, wie sie durch das Zivil­ gericht erfolgt ist, gebunden. Einwendungen, welche der Angeklagte im militärgerichtlichen Verfahren gegen die Feststellungen des zivilgerichtlichen Urteils erhebt, können vom Militärgerichte nicht berücksichtigt werden. RMGer. I. 2. Juni 1902. E. 3,83, I. 4. Nov. 1901. E. 2,45. PE. IV. Nr. 137. Eine Beweisaufnahme in dem militärgerichtlichen Verfahren zum Zwecke der Nachprüfung, ob die Tatbestandserforoernrsse der Straftat, wegen deren der Angeklagte rechtskräftig verurteilt ist, sämtlich vorliegen, ist unzulässig. Dagegen ist eine Beweisaufnahme zu dem Zwecke der Prüfung, ob nach den gegebenen Umständen die Strafe der Degradation angemessen ist oder nicht, zulässig. Die Ablehnung eines solchen Beweis­ antrages kann eine unzulässige Beschränkung der Verteidigung in sich schließen. § 400 Nr. 8 MStrGO. RMGer. I. 25. Mai 1903. E. 5,m. Der Erlaß einer formellen Anklageverfügung mit dem vollen nach § 254

Erster Teil.

Von der Bestrafung im allgemeinen.

§ 43.

51

MStrGO- erforderlichen Inhalte, sowie eine Anklageschrift ist nicht not­ wendig; es genügt die Anordnung des Nachtragsverfahrens aus § 42 MStrGB. und die Bezeichnung des Gerichts. Diese Anordnung hat die Wirkung der Anklageverfügung. 9) Die Vorschrift des § 42 Abs. 2 MStrGB. bezieht sich nur auf Offiziere, Unteroffiziere des Beurlaubtenstandes, auf Dienstentlassung und Degradation (nicht auf Gemeine, auf Versetzung in die 2. Kl. des Soldaten­ standes und auf Entfernung aus dem Heere). Während gegen einen aktiven Offizier wegen der im § 37 Abs. 2 Nr. 2 MStrGB. aufgeführten Delikte als Nebenstrafe auf Entfernung aus dem Heere erkannt werden kann, ist im gleichen Falle gegen einen Offizier des Beurlaubtenstandes nur Dienstentlassung zulässig, welche den Verlust des Diensttitels, der Orden und Ehrenzeichen nicht zur Folge hat. Gegen einen Gefreiten des Beurlaubtenstandes, gegen den gemäß § 42 Abs. 1 MStrGB. die Versetzung in die 2. Kl. des Soldatenstandes von Rechts wegen eingetreten ist, oder der wegen eines der im § 37 Abs. 2 Nr. 2 MStrGB. aufgeführten Delikte verurteilt worden ist, hat der Bezirks­ kommandeur die Entfernung von diesem Dienstgrad zu verfügen. KM. v. 1. Aug. 1894. Dasselbe hat zu erfolgen, wenn bei dem Anlaß zu einer gerichtlichen Verurteilung — abgesehen von den in § 42 Abs. 1 und § 37 Abs. 2 Nr. 2 MStrGB. aufgeführten Fällen — ein Gefreiter des Beur­ laubtenstandes einen besonderen Grad von sittlicher Verkommenheit hat er­ kennen lassen. ACO. v. 4. Jan. 1900. § 6 Nr. 2 MDStO. 10) Die Urteilsformel eines auf Grund des § 42 Abs. 2 MStrGB. er­ gangenen Urteils muß die Angabe der Straftat, wegen welcher die Ver­ urteilung vor dem bürgerlichen Gerichte erfolgt ist und Tag und Ort des ergangenen Urteils enthalten. Es empfiehlt sich folgende Fassung: „Der Angeklagte wird zusätzlich zu der durch Urteil der Strafkammer des Land­ gerichts . . . vom . . . wegen . . . verhängten Strafe von . . . mit Degra­ dation bestraft." KM. v. 28. Febr. 1902. n) § 42 Abs. 2 MStrGB. ist durch § 2 EG. nicht aufgehoben. RMGer. II. 8. April 1903. E. 5,29.

Zweiter Abschnitt?) Strafen

gegen Militärbeamte.2)

§ 43. Auf Amtsverlust^) kann gegen Militärbeamte erkannt werden: 1) neben Freiheitsstrafe^) von mehr als einjähriger Dauer; 2) wenn die Verurtheilung wegen einer strafbaren Handlung der in § 37 Absatz 2 Nr. 2 bezeichneten Art erfolgt. x) Vgl. über die Bestrafung der von Militärbeamten im Felde ver­ übten militärischen Delikte § 153 MStrGB. Vgl. ferner §§ 4, 5, 145, 154 und Anl. B MStrGB. Bezüglich der Disziplinarstrafen gegen Militär­ beamte vgl. § 32 DStO., §§ 36-43 MDStO. und §§71—76 RBG.; gegen richterliche Militärjustizbeamte Gesetz betr. die Dienstvergehen der richterlichen Militärbeamten pp. vom 1. Dez. 1898. 2) Vgl. die Klasseneinteilung der Militärbeamten, Verord. v. 12. Aug. 1901 (RGBl. 283), abgedruckt zu Anlage B z. MStrGB. Die nicht in der Klasseneinteilung aufgeführten Beamten der Militärverwaltung sind Zivil­ beamte und unterstehen dem bürgerlichen Strafrechte und den bürgerlichen Gerichten. Im übrigen unterstehen die Militärbeamten den Bestimmungen des MStrGB. nur im Felde, §§ 153, 154 MStrGB.

52

Militär-Strafgesetzbuch für das Deutsche Reich.

3) Die gegen Militärbeamte wegen bürgerlicher Delikte zulässigen Ehrenstrafen sieht §§ 31-35 RStrGB. vor. Der Abschnitt 2 MStrGB. bestimmt, in welchen Fällen außer diesen Vorschriften weiterhin die Ehren­ strafe des Amtsverlustes (§ 35 RStrGB.) zulässig ist. Bei militärischen Delikten ist Amtsverlust die einzige zulässige militärische Ehrenstrafe. 4) Der Amtsverlust schließt die spätere Wiedererlangung eines Amtes nicht aus und unterscheidet sich hierdurch „von der dauernden oder zeitigen Unfähigkeit zur Bekleidung öffentlicher Ämter im Sinne des RStrGB. Die zum Amtsverlust oder zu einer den Amtsverlust nach sich ziehenden Strafe verurteilten aktiven Militärbeamten haben einen Anspruch auf Pension nicht. §§ 34, 75 RBG. Es kann ihnen aber von der Disziplinar­ behörde ein Teil des Penstonsbetrages auf Lebenszeit oder auf gewisse Jahre belassen werden, § 75 a. E. RBG., 8 3 a. E. des Gesetzes vom 1. Dez. 1898. Vgl. oben A 1. 5) Vorausgesetzt ist, daß Freiheitsstrafe von längerer als einjähriger Dauer — sei es wegen bürgerlicher, sei es wegen militärischer Delikte — tatsächlich erkannt wird. Als Freiheitsstrafe kann nur Gefängnis oder Festungshaft in Betracht kommen, da die „Zuchthausstrafe die dauernde Unfähigkeit zur Bekleidung öffentlicher Ämter nach sich zieht. § 31 RStrGB. Neben einer Gesamtstrafe ist Amtsverlust nur zulässig, wenn eine Einzelstrafe mehr als 1 Jahr Gefängnis oder Festungshaft beträgt. Vgl. auch § 76 RStrGB. und RG. I. 5. Febr. 1880. R. 1,321.

§ 44. Der Arrest findet gegen obere1) Militärbeamte als Stuben­ arrest,3) 3) gegen untere Militärbeamte als gelinder Arrest statt. x) Militärbeamte, die im Offizierrange stehen, sind obere Militär­ beamte ; vgl. Anl. B z. MStrGB. 2) Bei den oberen Militärbeamten der Marine tritt an Bord in Dienst gestellter Schiffe an Stelle des Stubenarrestes Kammerarrest; § 162 MStrGB. und Anlage z. ACO. v. 22. Jan. 1889 (MVBl. S. 11). 3) Da obere Militärbeamte, abgesehen von den höheren Baubeamten für Schiffbau und Maschinenbau und den Zahlmeistern der Marine (vgl. Note 3 zu 8 23 MStrGB.), nicht einen bestimmten, sondern nur den all­ gemeinen Offizierrang haben und nicht Personen des Soldatenstandes sind, so ist geschärfter Stubenarrest, 8 23 a. E. MStrGB. gegen sie nicht zulässig.

§ 45. Die Vorschriften der Militärbeamte Anwendung.

88 14 und

15 finden auch

auf

Dritter Abschnitt. Versuch.1)

§ 46. Wenn neben der Strafe des vollendeten Verbrechens3) oder Vergehens3) militärische Ehrenstrafen (8 30)3) zulässig oder ge­ boten sind, so sind dieselben neben der Versuchsstrase zulässig. 0 Die Vorschriften der 88 43, 44, 46 RStrGB. (siehe daselbst) über den Versuch finden gemäß„8 2 MStrGB. mit den in 88 46 und 17 Abs. 2 MStrGB. vorgesehenen Änderungen entsprechende Anwendung. Ist für den Versuch eines militärischen Delikts eine Zuchthausstrafe unter einem

Erster Teil.

Von der Bestrafung im allgemeinen.

§§ 44—46.

53

Jahre verwirkt, so findet nicht eine Umwandlung dieser Strafe in Ge­ fängnis gemäß § 21 RStrGB. statt, sondern er tritt nach § 17 Abs. 2 MStrGB. an ihre Stelle Gefängnisstrafe von gleicher Dauer. Für den Versuch gemeinstrafrechtlicher Delikte ist § 44 Abs. 4 Satz 2 RStrGB. maß­ gebend. Während neben der Versuchsstrafe für ein bürgerliches Delikt die Ehrenstrafen geboten oder zulässig stno, je nachdem dies für das vollendete Delikt vorgeschrieben ist, sind die militärischen Ehrenstrafen beim Versuch stets nur zulässig, mögen sie bei der vollendeten Straftat geboten oder zu­ lässig sein. Gemäß § 43 Abs. 2 RStrGB. ist der Versuch eines militärischen Ver­ gehens nur in den Fällen der §§ 70, 78, 81, 117 MStrGB., sowie in Verbindung mit §§ 303 Abs. 2, 246 Abs. 2, 246 Abs. 2 RStrGB. in den Fällen der §§ 137 und 138 MStrGB. strafbar. RMGer. PlBeschl. 17. Mai 4901. E. I,i3i; II. 24. Mai 1901. E. 1,im. PE. II. Nr. 165 d. Der Versuch eines mit lebenslänglicher Gefängnisstrafe bedrohten mili­ tärischen Verbrechens (§§ 95 Abs. 2, 97 Abs. 3, 100 Abs. 2, 141 Abs. 2 MStrGB.) ist analog der Bestimmung des § 44 Abs. 3 RStrGB. zu be­ strafen. Bei alternativer Strafandrohung (z. B. Zuchthaus, oder Gefängnis oder Festungshaft) ist zunächst die Straf art, die Anwendung finden soll, ermitteln uno nach dieser Strafart der Strafrahmen des Versuchs, rnnerhalb dessen die erkennende Strafe liegt, festzustellen. Ist die Straf­ androhung bei gleicher Strafart alternativ (z. B. zeitiges Zuchthaus oder lebenslängliches Zuchthaus, zeitige Freiheitsstrafe oder lebenslängliche Frei­ heitsstrafe), so hat der Richter die Wahl zwischen dem nach § 44 Abs. 2 und 3 RStrGB. und dem nach § 44 Abs. 4 cit. gegebenen Strafrahmen RG. III. 24. Nov. 1887. E. 16,MO, IV. 27. Febr. 1900. E. 33,isi. Bei Annahme eines minder schweren Falls ist der für diesen Fall für das voll­ endete Delikt im Gesetz gegebene Strafrahmen maßgebend für die Be­ messung der Versuchsstrafe gemäß § 44 Abs. 2—4 RStrGB., Erk. d. Obertrib. v. 17. Sept. 1873, Rechtspr. des Obertnb. XIV, 538. Ebenso bildet, wenn das Gesetz eine erhöhte Freiheitsstrafe androht, der durch die Erhöhung nach § 53 MStrGB. gegebene Strafrahmen die Grundlage für die Be­ messung der Strafe des Versuchs nach den Grundsätzen des § 44 Abs. 2—4 RStrGB. Ist das vollendete militärische Delikt mit Gefängnis oder Festungshaft ohne. Festsetzung eines Strafminimums bedroht, und ist die Strafe für den Versuch unter 6 Wochen zu ermäßigen, so besteht, da der Arrest der Ausläufer der Gefängnis- und Aestungshaftstrafe ist, die Versucksstrafe in Arrest und nicht in Festungshaft oder Gefängnis; es kann in diesem Falle auf jede nach § 22 MStrGB. gegen den Täter zulässige Arrestart erkannt werden. Die Frage ist für die Beihilfe, deren Strafe nach den für die Bestrafung des Versuchs sich richtet, wichtig; § 49 RStrGB. Die in 88 58 Nr. 8,96,102,106,116,117 (erste Alternative) MStrGB. („Wer es unternimmt" . . , „sucht." . . .) bedrohten Delikte sind Versuchs­ handlungen, die zu selbständigen strafbaren Handlungen durch das Gesetz erhoben sind; auf dieselben finden die Grundsätze über die Strafe des Ver­ suchs und über den Rücktritt vom Versuch (46 RStrGB.) keine Anwendung. Das gleiche gilt bei Delikten, die sich ihrem Inhalte nach als Versuchs­ oder Vorbereitungshandlungen darstellen, wie §§ 83, 112 MStrGB.; ferner bei 88 59, 103 MStrGB. Koppmann, Note 5 zu 8 46 MStrGB. 2) Es kommen sowohl bürgerliche wie militärische Delikte in Betracht. 3) Auf die von Rechts wegen eintretenden militärischen Ehrenstrafen (8 42 Abs. 1; 88 31 Abs. 1 und 2; 35 Abs. 1, Nr. 1, 2; 37 Abs. 1; 40 Abs. 1, Nr. 1—3 MStrGB. 8 31 RStrGB.) bezieht sich 8 46 MStrGB. nicht. Diese Ehrenstrafen treten auch beim Versuch von Rechts wegen ein.

Militär-Strafgesetzbuch für das Deutsche Reich.

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Vierter Abschnitt. Theilnahme. *)

§ 47.

Wird

durch die Ausführung eines Befehls

in Dienst-

sachen2) ein Strafgesetz3) verletzt/) so ist dafür3) der befehlende3) Vor­ gesetztes allein3) verantwortlich.

Es trifft jedoch den gehorchenden

Untergebenen die Strafe des Teilnehmers:3) 1) 10) wenn er den ihm ertheilten Befehl überschritten hat, oder 2) n) wenn ihm bekanntn) gewesen, daß der Befehl des Vorgesetzten

eine Handlung betraf, welche ein bürgerliches oder militärisches Verbrechen oder Vergehen43) bezweckte.13)14)

x) Auf die Teilnahme (Mittäterschaft, Anstiftung, Beihilfe) an mili­ tärischen Delikten finden die Vorschriften der §§ 47—49, 50 RStrGB. (siehe daselbst) mit den in §§ 47, 17 MStrGB. gegebenen Abweichungen Anwendung; § 2 MStrGB. Die Teilnahme einer Person des Soldaten­ standes an einem militärischen Delikt ist ein militärisches, nicht ein gemein­ strafrechtliches Delikt. BMGer. PE. III. Nr. 111. Begünstigung und Hehlerei (§§ 257—262 RStrGB.) zu militärischen Delikten fallen nicht unter die Teilnahme; sie sind als selbständige bürger­ liche Delikte strafbar. RG. II. 1. April 1887. E. 15,396. R. 9,2is. § 257 RStrGB. findet auch unbedenklich auf die durch Nichtmilitärpersonen be­ gangene Begünstigung militärischer Verbrechen und Vergehen statt und ist ein bürgerliches Delikt; es ist auf Haft gegen Nichtmilitärpersonen zu er­ kennen, wo bei Anwendung des § 257 RStrGB. gegen Militärpersonen auf Arrest zu erkennen wäre. RG. cit. Erk. E. 25,396. RMGer. PE. I. Nr. 132. Ist bei der Berechnung der Strafe des Gehilfen nach ben Grundsätzen des § 49 Abs. 2 RStrGB. Zuchthausstrafe unter einem Jahre verwirkt, so tritt bei der Beihilfe zu einem militärischen Verbrechen Gefängnis von gleicher Dauer ein, § 17 MStrGB., während bei der Beihilfe zu einem bürgerlichen Verbrechen die Zuchthausstrafe unter einem Jahre nach Maßgabe des § 21 RStrGB. (im Verhältnis von 2:3) in Gefängnis umznwandeln ist; § 44 Abs. 4 RStrGB. Ist die Strafe des Gehilfen unter Anwendung des § 49 Abs. 2 RStrGB. unter 43 Tage Gefängnis festzusetzen, so ist auf Arrest zu erkennen. Vgl. auch Abs. 3 a. E. zu § 46 MStrGB. Koppmann Note 3 zu Abschnitt IV MStrGB. Zu den im § 50 RStrGB. in bezug genommenen persönlichen Eigen­ schaften und Verhältnissen des Täters, welche die Strafbarkeit einer Hand­ lung erhöhen oder vermindern, gehört der Rückfall, die (Ideal-, Neal-) Konkurrenz, die Verübung der Tat „im Dienst", „unter dem Gewehr", „vor versammelter Mannschaft", „unter Mißbrauch der Dienstgewalt", das Vorliegen „eines minder schweren Falles" und andere Umstände, wie sie u. a. in den §§ 55, 95, 97, 138, 122, 123 usw. MStrGB. aufgeführt sind. Strafmindernde Umstände finden sich ferner in den §§ 98, 75, 88 RStrGB. Der § 50 RStrGB. ist nicht anwendbar auf Handlungen, deren Straf­ barkeit durch das Vorliegen einer persönlichen Eigenschaft oder eines Ver­ hältnisses des Täters überhaupt erst begründet wird, RG. III. 5. April 1894. E. 25,23i; z. B. auf Beihilfe zu § 141 MStrGB. oder Teilnahme von Untergebenen an Handlungen, welche nur von Vorgesetzten begangen werden können. Dem Vorgesetzten, welcher einen Untergebenen zu einem Angriff (§ 97 MStrGB.) auf einen anderen Vorgesetzten anstiftet, kommt § 50 RStrGB. nicht zugute, er ist aus § 97 MStrGB. § 48 RStrGB. straf-

Erster Teil.

Von der Bestrafung im allgemeinen.

§ 47.

55

bar, nicht nur § 223 RStrGB., § 115 MStrGB. RG. cit. Erk. E. 25,234. Koppmann Note 6 zu Abschn. IV. MStrGB. Bezüglich der Teilnahme von Nichtmilitärpersonen an militärischen Delikten gilt folgendes: Die als militärische Verbrechen bedrohten Handlungen sind zugleich Verbrechen im Sinne des RStrGB. und die militärischen Vergehen zugleich Vergehen im Sinne dieses Gesetzes. Die Anstiftung und Beihilfe zu mili­ tärischen Delikten seitens Nichtmilitärpersonen ist daher nach §§ 48, 49 RStrGB. strafbar. Wo bei Anwendung dieser Strafbestimmungen gegen Militärpersonen auf Arrest zu erkennen sein würde, ist bei Nichtmilitär­ personen auf Haft zu erkennen. RMGer. PE. I. Nr. 132. RG. I. 4. April 1887. E. 15,382; II. 1. April 1887. E. 15,396. III. 5. Dez. 1887. E. 16,433. III. 5. April 1894. E. 25,234. I. 8. April 1895. E. 27,158. Dem Anstifter und Gehilfen zu einem militärischen Verbrechen oder Vergehen kann die Vorschrift des § 50 RStrGB. nicht lediglich deshalb zugute kommen, weil er eine Zivilperson ist und deshalb jenes Delikt selbst nicht würde begehen können. Eine Zivilperson, welche einen Soldaten zum Angriff auf einen Vorgesetzten des letzteren anstiftet, wird aus §97 MStrGB., §48 RStrGB. bestraft. RG. zit. Erk. E. 25,234. Dagegen wird eine Zivilperson, welche einen Soldaten zu einem nach § 138 MStrGB. strafbaren Diebstahl anstiftet, aus § 242, § 48 RStrGB. bestraft, gemäß § 50 RStrGB., da § 138 MStrGB. die Strafbarkeit des gemeinen Diebstahls im Hinblick auf die persönliche Eigenschaft des Täters als Soldat erhöht. Umgekehrt ist der Soldat, welcher eine Zivilperson zum Diebstahl gegen einen Kameraden anstiftet, aus § 138 MStrGB., § 48 RStrGB. gemäß § 50 daselbst strafbar. Vgl. auch Olsh. Note 26 zu § 49; Koppmann Note 3 zu Abschn. IV. MStrGB. RG. III. 8. Mai 1880. E. 2,153; I. 25. Okt. 1880. E. 2,383. Mittäterschaft von Nichtmilitärpersonen an rein militärischen Delikten, deren Strafbar­ keit durch die persönlichen Eigenschaften und Verhältnisse des Täters als Militärperson begründet wird, ist ausgeschlossen. RG. III. 5. April 1894. E. 25,234. I. 8. April 1895. E. 27,158. Eine strafbare Beteiligung an solcher Tat kann, sofern es sich nicht um Anstiftung zu derselben handelt, nur als Beihilfe in Betracht kommen. Vgl. auch RG. II. 30. Dez. 1898. E 31,407. 2) Unter „Dienstbefehl" ist ein in dienstlicher Form von einem mili­ tärischen Vorgesetzten gegebener Befehl zu verstehen; Befehl in Dienstsachen ist ein solcher Dienstbefehl, welcher eine Dienstsache betrifft. Vgl. RMGer. I. 28. Nov. 1901. E. 2,70. Unter „Dienstsache" muß der Inbegriff alles dessen verstanden werden, was der militärische Dienst nach seinem innern Wesen erfordert, was im Interesse des militärischen Dienstes begründet erscheint. Was dies im Einzelfalle ist, muß sich aus militärischen Regeln und mili­ tärischen Grundsätzen ergeben. Befehl in Dienstsachen liegt deshalb dann vor, wenn ein zur Befehlsgebung Berechtigter in gebietender Weise von einem seiner Befehlsgewalt Unterworfenen ein Handeln oder Unterlassen fordert, dessen Vornehmen oder Unterbleiben das Wesen des militärischen Dienstes erheischt. Zu einem solchen Fordern ist jeder zuständige Vor­ gesetzte berechtigt und verpflichtet. RMGer. I. 25. April 1901. E. 1,105. I. 28. Nov. 1901. E. 2,70. II. 20. Mai 1903. E. 5,150. RG. II. 8. Nov. 1892. E. 27,406. Der „Befehl in Dienstsachen" kann ein von dem Vorgesetzten dem einzelnen Untergebenen speziell erteilter Dienstbefehl sein; es kann aber ein Befehl in Dienstsachen auch in allgemeinen dienstlichen Anordnungen und Instruktionen, wie sie in den verschiedensten Befehlen der Kommando­ behörden, in Reglements re. niedergelegt sind, enthalten sein, sofern es sich dabei um ein bestimmtes Gebot oder Verbot handelt. RMGer. I. 19. März 1903. E. 5,i; PE. II. Nr, 157; VI. Nr. 99.

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Militär-Strafgesetzbuch für das Deutsche Reich.

Belehrungen in der Jnstruktionsstunde ergänzen die Dienstvorschrift und letztere stellt sich dem Untergebenen als Befehl in Dienstsachen in der Auslegung dar, welche ihr in der Jnstruktionsstunde gegeben ist. RMGer. II. 29. März 1902. E. 2,244. Wird durch die Ausführung eines Dienstbefehls — Befehls in Privat­ sachen — ein Strafgesetz verletzt, so finden lediglich die Vorschriften des RStrGB. Anwendung. (Der Untergebene ist Täter, der befehlende Vor­ gesetzte Anstifter bezw. Täter. Vgl. auch § 115 MStrGB.) Im Sinne des § 47 MStrGB. kommen nur Befehle in Dienstsachen in Betracht. Kommt nur eine Verabredung zwischen Vorgesetzten und Unter­ gebenen zustande, so findet § 47 MStrGB. keine Anwendung. Der Befehl soll klar, kurz, bestimmt sein, er kann mündlich, schriftlich oder durch Zeichen gegeben werden. Wesentlich ist nur, daß die Willens­ äußerung des Vorgesetzten „als Befehl" für den Untergebenen klar ersicht­ lich ist. RMGer. I. 15. Mai 1901 Nr. 49 (nicht publiziert). Unter dieser Voraussetzung ist die befehlende Form nicht von ausschlaggebender Be­ deutung. Vgl. auch Note 4 zu 8 92 MStrGB. Ein Irren des Unter­ gebenen über den Begriff des Befehls in Dienstsachen oder den Begriff der Diensthandlung ist ein Irrtum über einen im Militär strafrecht unter be­ sonderen Schutz gestellten Rechtsbegriff, nicht ein Irrtum über Tatumstände. RMGer. zit. Erk. E. 5,i50. 3) Der Ausdruck „Strafgesetz" umfaßt das gesamte Reichs- und Landesstrafrecht, einschließlich der Übertretungen. Auf Verletzungen der Strafgesetze, welche durch den Kriegszweck geboten sino, bezieht sich § 47 MStrGB. nicht. 4) Auch die fahrlässige Verletzung eines Strafgesetzes gehört hierher. Vgl. auch Note 8. 5) d. h. für die durch die dem Befehle entsprechende Handlung eilltretende Verletzung des Strafgesetzes, nicht nur für die Erteilung des Befehls. 6) Es soll heißen: „der Vorgesetzte, welcher den Befehl erteilt hat". 7) Eine Begriffsbestimmung des „Vorgesetzten ist im MStrGB. nicht gegeben; der Begriff ergibt sich aus dem Ausdruck. Der Begriff „Vor­ gesetzter" im militärischen Sinne erfordert die Befugnis, für den gegebenen Fall Befehle zu erteilen (Motiv 98). Wer Vorgesetzter eines andern und unter welchen Voraussetzungen er demselben Befehle zu erteilen berechtigt ist, kann in jedem einzelnen Falle nur nach den tatsächlichen Verhältnissen nach Maßgabe der bestehenden dienstlichen Vorschriften, der Dienstordnung, der Heeresverfassung beurteilt werden. Vgl. auch die Klasseneinteilung der Militärpersonen Anlage A zum MStrGB. Die Frage unterliegt — so weit die Vorgesetztenqualität nicht auf spezieller Anordnung durch den gemein­ schaftlichen höheren Vorgesetzten beruht — der Nachprüfung durch das Revisionsgericht. §§ 399 Abs. 2, 400 Nr. 9 MStrGO. RMGer. I 3. April 1901. E. 1,72. II. 25. Juni 1901. @.1,200. 1.12. Juli 1901. E. 1,212. 1.5. Mai 1902. E. 3,27. II. 5. Aug. 1903. E. 5,298. PE. II. 161. Zur Verhängung von Disziplinarstrafen berechtigte Vorgesetzte heißen Disziplinarvorgesetzte. §§ 5,33 DStO.; §§ 8,37 MDStO. Die Vorgesetzteneigenschaft beruht entweder auf dem Rangverhältnis, dem Dienstgrad (allgemeines Vorgesetztenverhältnis), oder auf der Dienst­ stellung (direktes Vorgesetztenverhältnis). I. Allgemeines Vorgesetztenverhältnis: Alle Offiziere, Sanitätsoffiziere des Heeres, der Marine, und der Schutztruppen, die Ingenieure des Soldatenstandes (Marine-, TorpedoJngenieurkorps), ferner die Feuerwerks-, Zeug- und Torpederoffiziere (vgl. 9lote 2 §it § 5 MStrGB.) sind Vorgesetzte der Mannschaften oes Heeres und der Marine und der Schutztruppen. KA. 11.

Erster Teil.

Von der Bestrafung im allgemeinen.

§ 47.

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Jeder Unteroffizier des Heeres, der Marine wie der Schutztruppen ist Vorgesetzter jedes Gefreiten und Gemeinen des Heeres, der Marine wie der Schuhtruppen. KA. 11. § 15 Nr. 1 MOrgB. Die Offiziere einer höheren Hauptklasse stehen zu allen Offizieren der darauf folgenden, nachstehenden Hauptklafsen (des Heeres, der Marine) im Verhältnis eines Vorgesetzten. § 13 ACO. v. 30. Okt. 1865. § 3 MOrgB. Die Klassifikation oer Militärpersonen v. 17. Juli 1862 und die In­ struktion über das dienstliche und außerdienstliche Verhältnis des Land­ heeres und der Mariue v. 30. Okt. 1865 (8 13) bestimmen das Vorgesetzten­ verhältnis ohne jede Rücksicht auf dienstliche, außerdienstliche oder gesell­ schaftliche Zustände. Danach befindet sich rn jeder Lage ein Offizier der höheren Hauptklasse in dem Verhältnisse eines militärischen Vorgesetzten zu allen Offizieren einer nachstehenden Hauptklasse und zwar im Dienst wie außer Dienst. RMGer. II. 25. Mai 1901 (nicht publiziert). Innerhalb einer Hauptklasse besteht nur das Respektverhältnis von im Dienstrange Niederen zum im Dienstrange Höheren (nach Dienstgrad, Dienst­ alter, Patent, Ernennungsdatum); jeder Ranghöhere (dies gilt auch für Unteroffiziere gegenüber solchen) ist befugt, in wie außer Dienst in allen Fällen, in welchen der Rangniedere den Standespflichten entgegenhandelt, sich zu ihm in das Verhältnis des Vorgesetzten zu setzen. ACO. v. 30. Okt. 1865 (MWBl. S. 421); §§ 1,15 v. 6. Febr. 1873 (AVBl. S. 103), §§ 3,15,32 MOrgB. DStO. § 7 Abs. 2, vgl. auch RMGer. I. 19. Dez. 1901. E. 2,101 und Note 2 zu ß 87 MStrGB. Dasselbe gilt hinsichtlich der einzelnen Hauptklassen der Sanitätsoffiziere unter sich; im übrigen wird ein Vorgesetztenverhältnis der Offiziere zu Sanitätsoffizieren nur insoweit begründet, als eine unmittelbare dienstliche Unterstellung stattgefunden hat. Sanitätsoffiziere können nicht Vorgesetzte von Offizieren sein. Vgl. auch MOrgB. § 3 Nr. 6. Zwischen den verschiedenen Dienstgraden der Unteroffiziere besteht an sich kern Unterordnungsverhältnis, indessen ist jeder dem im höheren Range Stehenden Respekt zu beweisen schuldig. ACO. v. 17. Nov. 1887 (AVBl. S. 332). 8 15 MOrgB. Sergeanten bilden lediglich eine Klasse der älteren Unteroffiziere und tragen als solche besondere Abzeichen; sie stehen aber nicht in dem durch 8 01 MStrGB. strafrechtlich geschützten Respektsver­ hältnisse zu den übrigen Unteroffizieren; ein Rangunterschied zwischen ihnen und den übrigen Unteroffizieren besteht nicht. RMGer. I. 12. Juli 1902. E. 1,212. II. 18. Okt. 1902. E. 4,3. Im Dienstrang Höhere sind aber diejenigen Unteroffiziere, welche das Offizierseitengewehr tragen (einschließlich der Unterärzte und einjährig­ freiwilligen Ärzte). Sie sind von den übrigen Unteroffizieren zu grüßen. KM. v. 10. Febr. 1885, AVBl. S. 34 und AO. v. 16. Juni 1899, AVBl. S. 268; bei der Marine besteht außer Dienst zwischen Unteroffizieren ein Respektsverhältnis und zwar: a) der Unteroffiziere ohne Portepee gegenüber den Unteroffizieren mit Portepee, b) der Unteroffiziere ohne Offizierssäbel gegenüber den Unteroffizieren mit Offizierssäbel, c) der Unteroffiziere, die nicht Deckoffiziere sind, gegenüber den Deck­ offizieren und Oberdeckoffizieren. Äusgenommen von dem Respektsverhältnis gegenüber den Deck- und Oberdeckoffizieren sind Fähnriche zur See mit Offizierssäbel, Unterärzte, Kondeckoffiziere. Alle Unteroffiziere, welche den Offizierssäbel nicht tragen, haben die Unteroffiziere, welche Offizierssäbel tragen, militärisch zu grüßen. Fähnriche,zur See ohne Offizierssäbel find indes Unter- und einjährig-freiwilligen Ärzten, Apothekern, Roßärzten gegenüber zu einem militärischen Gruße nicht verpflichtet. MOrgB. 8 15 Nr. 9. Sind Unteroffiziere zu

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gleichem, gemeinsamem Dienst herangezogen, bei dem kein Offizier zugegen ist, so ist der im Range höchste oder der dienstälteste Unteroffizier Vor­ gesetzter der zu diesem Dienst herangezogenen jüngeren Unteroffiziere. MOrgB. § 15 Nr. 8». Den Unteroffizieren steht die Befugnis zu, sich gegebenenfalls dem dienstjüngern Unteroffizier gegenüber in das Verhältnis als Vorgesetzter zu setzen. § 7 DStO. Zwischen den zur Kontrollversammlung einberufenen Unteroffizieren und Gemeinen des Beurlaubtenstandes besteht das aus dem Dienstgrade sich ergebende Vorgesetztenverhältnis nicht bloß während der Kontrollversammlung, sondern während der ganzen Dauer des betreffenden Tages. RMGer. I. 5. Mai 1902. E. 3,28. I. 18. Nov. 1901. E. 2,59. I. 28. Nov. 1901. E. 2,?o. Im Dienste befindlichen Landgendarmen gegenüber haben die denselben im militärischen Range übergeordneten Militärpersonen nur insoweit Befehlsbefugnis von Vorgesetzten, als sie die wirklichen Vorgesetzten der Landgendarmen find, d. h. dem Gendarmeriekorps angehören oder stch im Dienste bei demselben befinden. ACO. v. 19. Juli 1893 (AVBl. S. 219). Gendarmen sind in denjenigen Bundesstaaten, in welchen sie zu den Militärpersonen gehören (Preußen, Baden, Hessen, Mecklenburg-Schwerin, Waldeck, Schaumburg-Lippe, Lippe, Elsaß-Lothringen) und im Range von Unteroffizieren stehen, als solche in und außer Dienst Vorgesetzte der im Range ihnen nachstehenden Militärpersonen (Gefreiten und Gemeinen). ACO. v. 19. Juli 1873 (AVBl. S. 219) Ordre - Buch der Gendarmen § 10 Abs. 14. MOrgB. § 15. Militärbeamte sind gegenüber den Personen des Soldatenstandes nicht Vorgesetzte, sondern event, im Dienstrange Höhere. AO. v. 11. April 1903, AVBl. S. 110. Das Erkenntnis des RMGer. v. 8. Sept. 1902 E. 3,224 ist dadurch beseitigt. Ob ein Irrtum über die Eigenschaft eines Andern als Vorgesetzten dem Täter zuzurechnen (§ 59 RStrGB.) ist oder nicht, entscheidet sich da­ nach, ob der vorhandene Irrtum diejenigen Tatsachen betrifft, welche gegebenenfalls die Vorgesetzteneigenschaft begründen. Kennt der Täter die letzteren, zieht er aber aus denselben die irrtümliche Folgerung, daß sie die Eigenschaften als Vorgesetzter nicht begründen, so befindet er sich in einem Irrtum über die strafgesetzliche Norm selbst. Ist ein Unteroffizier ein für allemal beim Vorhandensein gewisser tatsächlicher Voraussetzungen zum Vorgesetzten eines andern Unteroffiziers ernannt, und kennt letzterer sowohl die allgemeine Anordnung wie den Eintritt der tatsächlichen Voraus­ setzungen im einzelne!: Falle, so ist der Irrtum desselben über die Vorgesehteneigenschaften des ersteren Unteroffiziers ein strafrechtlicher Irrtum. RG. I. 5. Mai 1902. E. 3,28. I. 5. Aug. 1903. E. 5,298. Die Vorgesetzten­ eigenschaft wird durch den Umstand nicht berührt, daß der Vorgesetzte sich in Zivilkleidung befindet. RMGer. I. 10. Mär^ 1902. E. 2,210. II. Direktes Vorgesetztenverhältnis: Es beruht auf der Übertragung eines bestimmten Kommandos, einer Dienststellung; das Vorgesetztenverhältnis besteht für die Dauer und den Umfang des betreffenden Dienstes. Der Feldwebel ist zu unverzüglich notwendigen dienstlichen Anordnungen innerhalb der Kompagnie ohne vor­ herige Einholung des Befehls des Kompagniechefs befugt. RMGer. II. 19. Sept. 1901. E. 1,290. Innerhalb derselben Haupklaffe der Offiziere kann dabei ausnahmsweise der Ranghöhere dem ^Rangniederen unterstellt sein (Mot. 98). Vgl. ACO. v. 30. Okt. 1865 § 14 und ACO. v. 17. Nov. 1887. Zwischen den einzelnen Dienstgraden der Unteroffiziere begründet die Dienststellung ein Unterordnungsverhältnis wie folgt: 1. bei den in: mobilen Verhältnisse in Offizierstellen verwendeten Unter­ offizieren (Offizierstellvertreter); sie sind in und außer Dienst Vor-

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gesetzte sämtlicher Unteroffiziere. Mit der Beleihung der Offizier­ stelle ist das Tragen des Portepees, des Offizierseitengemehrs und des Abzeichens für Offizierstellvertreter ohne weiteres verbunden. Feldwebel (Wachtmeister) sind in und außer Dienst Vorgesetzte der Unteroffiziere derselben Kompagnie (Eskadron, Batterie), nicht aber der Offizierstellvertreter (vgl. ad 1), der Stabshoboisten (Stabs­ hornisten, Stabstrompeter) und bei der Marine nicht der Deck­ offiziere; die Stabshoboisten stehen in und außer Dienst zu den Hoboisten :c. des betreffenden Musikkorps in demselben Verhältnis wie der Feldwebel zu den Unteroffizieren derselben Kompagnie. In Registratorstellen befindliche Feldwebel sind in und außer Dienst Vorgesetzte der zu demselben Bureau gehörigen Unteroffiziere. Der „Feldwebeldienfttuer" hat die gesamten Funktionen eines Feldwebels; diese erstrecken sich auch auf außerdienstliche Zeiten und Verhältnisse. Der Feldwebeldienfttuer ist also nicht bloß für die Dauer des Dienstes, sondern auch außer Dienst Vorgesetzter der Unteroffiziere seiner Kompagnie. RMGer. I. 10. Sept. 1901. E. 1,268. Bei der Marine sind die eingeschifften Wachtmeister, sofern sie Portepeeunteroffiziere sind, in und außer Dienst Vorgesetzte aller zu derselben Schiffsbesatzung gehörenden Unteroffiziere ohne Portepee ausschließlich diensttuender Deckoffiziere. MOrgB. § 15 Nr. 7. Bei der Marine sind ferner die eingeschifften Detaildeck­ offiziere bezw. die mit der Wahrnehmung der Funktionen eines Detaildeckoffiziers beauftragten Unteroffiziere ohne Portepee — im Sinne dieser Vorschrift Bootsmann, Steuermann, Signalmeister, Feuerwerker, Meister, Torpedomaschinist, Pumpenmeister, Materialien­ verwalter — in und außer Dienst Vorgesetzte der zu ihrem Dienst­ zweig gehörenden Unteroffiziere ohne Portepee desselben Schiffes. Die Segelmacher rechnen in diesem Sinne zum Bootsmanns- und die Büchsenmacher zum Feuerwerks- und die Maler zum Zimmer­ mannsdetail. MOrgB. § 15 Nr. 6. Innerhalb der übrigen Dienstgrade der Unteroffiziere tritt derjenige, welchem, sei es durch allgemeine Dienstvorschriften, sei es durch be­ sondere Anordnung in bezug auf einen bestimmten Dienst, der Be­ fehl über andere Unteroffiziere übertragen und dies den letzteren bekanntgegeben ist, zu den ihm unterstellten Unteroffizieren (Ser­ geanten) für die Dauer und den Umfang des Dienstes in das Ver­ hältnis eines Vorgesetzten. RMGer. I. 12. Juli 1901. E. 1,212. Vgl. auch MOrgB. § 15 Nr. 8 b. Fähnriche, welche das Ofsizierseitengewehr führen, sind dadurck ohne weiteres mit Wahrnehmung von Offizierdienst beauftragt und ran­ gieren vor den Vizefeldwebeln. Sie sind ebenso wie die mit Offizier­ dienst betrauten Vizefeldwebel (Vizewachtmeister) des Beurlaubtenstanoes (HO. § 46,8) und Vizefeldwebel (Vizewachtmeister), welche vorübergehend Offizierdienst versehen, nur während der Dauer der Diensthandlung Vorgesetzte der anderen Unteroffiziere der Kompagnie (Eskadron, Batterie), bleiben aber stets Untergebene des Feldwebels (Wachtmeisters). Fähnriche ohne Offizierseitengewehr rangieren vor den Sergeanten. ACO. v. 30. Okt. 1865 (Milit.-Wochenbl. S. 241), ACO. v. 17. Nov. 1887 (AVBl. S. 332), § 15 MOrgB., Kriegsartikel 16, § 7 Abs. 2 DStO. Unterärzte, einjährig-freiwillige Ärzte treten zu den Unteroffizieren und Gemeinen in ein Vorgesetztenverhältnis, sobald sie in unmittel­ bare dienstliche Beziehungen zu diesen Personen gesetzt werden lz. B. Revierdienst). ACO. v. 6. Febr. 1873 (AVBl. S. 104) § 15,

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§ 22 HO-, § 5 Friedens-Sanitätsordnung v. 16. Mai 1891. RMGer. II. 25. Juni 1901. E. 1,200. Ein Gefreiter ist nur dann Vorgesetzter eines Gemeinen, wenn und insoweit er zum Vorgesetzten desselben besonders bestimmt ist. Ein allgemeiner militärischer Grundsatz dahin, daß jeder Gefreite in einem gemeinschaftlichen Dienstverhältnisse, so lange kein gemein­ schaftlicher höherer Vorgesetzter zugegen ist, Vorgesetzter des Gemeinen ist (RMGer. I. 3. April 1901. E. 1,72), ist vom RMGer. II. 20. Jan. 1904. E. 6,227 mit Recht reprobiert worden. Die Frage, ob und in welchem Umfange hiernach Gefreite (Obergefreite) als Vorgesetzte gegen­ über Gemeinen anzusehen sino, ist nach den tatsächlichen Verhältnissen, nach Maßgabe der Dienstordnung bezw. des hierüber ergangenen, gehörig bekanntgemachteu Befehls zu beurteilen. RMGer. PE. II. Nr. 161. Unteroffizierdienst tuende Gefreite haben die Befugnisse eines Unteroffiziers nur für die Dauer und den Bereich der ihnen zugewiesenen Unteroffizierdienststellung. Ein speziell nur mit den Funktionen eines Korporalschafts-lBeritt- und Geschütz-)Führers beauftragter Gefreiter ist zwar innerhalb der ihm übertragenen Korporalschaft usw. als Vorgesetzter der derselben angehörenden Leute zu betrachten, es kann ihm aber auf Grund dieser Dienst­ stellung den übrigen Gefreiten und Gemeinen der Kompagnie gegenüber Vorgesetzteneigenschaft nicht beigelegt werden. KM. v. 18. März 1874. Die als Unteroffiziere vom Tagesdienst kommandierten Gefreiten sind nicht als Wachmannschaften anzusehen, sie sind Vorgesetzte der Gemeinen und Gefreiten des betreffenden Kasernements. AKO. v. 20. Dez. 1862. MGS. VII, 57. Zu Stubenältesten (dauernd oder vertretungsweise) ernannte Gefreite und Gemeine sind Vorgesetzte der zur Stube gehörigen Mannschaften, nicht aber auch anoerer Leute, welche sich zufällig in der Stube aufhalten; die Gemeinen ferner auch nur gegenüber den Stubengenossen gleichen Ranges. AO. v. 11. Juni 1874 (AVBl. S. 120) und v. 29. Aug. 1874 (für die Marine) MVBl. S. 189. Der strafrechtliche Schutz des Stuben­ ältesten als Vorgesetzten (§§ 89, 90, 91, 96, 97, 103, 106, 107) tritt nur dann ein, wenn zwischen der Straftat und der dienstlichen Tätigkeit des Stubenältesten als solchen (d. h. der Aufrechterhaltung der Stubenordnung) ein Zusammenhang besteht. Der Stubenälteste kann den Mannschaften der Stube Befehle nur in bezug auf die Stubenordnung erteilen. RMGer. I. 1. Dez. 1902. E. 4,50. PE. II. Nr. 155 a. Das gemeinsame Liegen auf ein und derselben Stube begründet kein Vorgesetztenverhältnis zwischen Gefreiten und Ge­ meinen in bezug auf die Stubenordnung. Hierzu gehört die aus­ drückliche Ernennung des Gefreiten zum Stubenältesten, die in rechtswirksamer Weise grundsätzlich nur durch den Kompagnie(Batterie-, Eskadron-)Chef, in Ausnahmefällen auch durch den Feld­ webel (Wachtmeister) erfolgen kann. Derartige Ausnahmefälle liegen vor, wenn im Interesse der militärischen Disziplin unver­ züglich Anordnungen zu treffen sind, ohne daß es tunlich wäre, vorher den Befehl des Kompagnie- rc. Chefs einzuholen (z. B. im Manöver, bei Mobilmachungen, im Felde); hier ist der Feldwebel (Wachtmeister) berechtigt und verpflichtet, die erforderlichen Maß­ nahmen mit voller rechtlicher Wirkung selbständig,, zu treffen, dem Kompagnie- rc. Chef bleibt eine nachträgliche Änderung des Angeordneten unbenommen. Unter vorstehenden Voraussetzungen ist auch der Feldwebel zur Ernennung von Stubenältesten berechtigt und verpflichtet und beim Vorliegen dieser Voraussetzungen wird

Erster Teil.

Von der Bestrafung im allgemeinen.

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auch durch die vom Feldwebel vorgenommene Ernennung zum Stubenältesten die Vorgesetzteneigenschaft desselben begründet. Er­ fordert wird ferner, daß der Stubenmannschaft von der Bestimmung des Stubenältesten ausdrücklich Kenntnis gegeben wird, AO. v. 11. Juni 1874 (AVBl. S. 120); eine besondere Form für diese Kenntnisgabe, von deren Beobachtung die Gültigkeit der Ernennung abhängig sei, ist nirgends vorgeschrieben; eine Bestimmung, daß die in der Stube aufzuhängende, den Namen des Stubenältesten tragende Tafel von einem Vorgesetzten zu unterschreiben sei, besteht nicht. RMGer. I. 3. April 1901. E. 1,72 und II. 19. Sept. 1901. E. 1,290. Der Quartierälteste ist Vorgesetzter der in demselben Quartier liegender! Mannschaften rücksichtlich der Quartierordnung. Dienstvovschr. f. d. G. K. T. I S. 95. Er ist in jedem Falle zu bestimmen. Die Bestimmung kann durch die Übergabe des die Namen der ein­ quartierten Mannschaften enthaltenen Quartierzettels, auf dem der Quartierälteste als solcher verzeichnet ist (z. B. durch Aufführung an erster Stelle) an den als Quartierältesten zu Ernennenden er­ folgen. Im übrigen gelten für die Stellung des Quartierältesten oieselben Grundsätze wie für die des Stubenältesten. Ein vom Kompagniechef in Gemäßheit bestehender Bestimmung zur Unterstützung des Schießlehrers als Hilfsabrichter aufgestellter Gemeiner bat nur während des betreffenden Dienstes die Eigenschaft eines direkten Vorgesetzten. RMGer. III. 9. Okt. 1901. E. 2,27. Ein zu einer Rekrutenabteilung als Exerziergefreiter kommandierter Gefreiter (Gemeiner) ist nur während des Exerzierdienstes Vorge­ setzter der Rekruten und diesen gegenüber auch nur zu Befehlen mit Bezug auf diesen Dienst befugt. RMGer. zit. Erk. E. 4,50. Für die Marine kommt folgendes in Betracht: Die mit der Führung einer Korporalschaft beauftragten Gemeinen sind in und außer Dienst Vorgesetzte der zu ihrer Korporalschaft gehörenden Leute. Zwischen Gemeinen tritt außerdem ein Vorgesetztenverhältnis in folgenden Fällen ein: a) zu diensttuenden Unteroffizieren ernannte Gemeine sind Vorgesetzte an Land: über alle nicht abkommandierten und nicht eingeschifften Gemeinen derselben Kompagnie in und außer Dienst; an Bord: im Dienst über alle Gemeinen, außer Dienst nur über die zu ihrer Musterungsdivision gehörenden Gemeinen. b) Ist einem Gemeinen durch Dienstvorschriften oder besondere, den Beteiligten bekanntgegebene Anordnung der Befehl über andere Gemeine übertragen, so hat dieser Gemeine den letzteren gegenüber Vorgesetzteneigenschaft für die Dauer und den Umfang des in der Dienstvorschrift oder Anordnung bezeichneten Dienstes. Ernennungen zum diensttuenden Unteroffizier auszusprechen sind nur die mit Diszilinarstrafgewalt versehenen Vorgesetzten. Die Ernennung ist den Be­ teiligten durch Befehl bekanntzumachen. MOrgB. § 15 Nr. 10 u. 11. Ein Unterordnungsverhältnis, wie es der 6. Abschnitt MStrGB. voraussetzt, besteht zwischen Personen des Soldatenstandes und Militärbeamten nicht; so steht der Zahlmeister zu den Zahlmeister­ aspiranten nicht in einem militärischen Vorgesetztenverhältnis; er ist ihr Verwaltungsvorgesetzter und der im Dienstrange Höhere. Über die Vorgesetzteneigenschaft der militärischen Wachen vgl. 8 111 MStrGB. Bei dienstlichen Anlässen, wo kein Gefreiter oder anderer Vor­ gesetzte anwesend ist, führt der im Dienstalter älteste oder hierzu bestimmte Soldat das Kommando.

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Die zu Freiheitsstrafe im Sinne des § 16 MStGB. verurteilten Personen des Soldatenstandes verlieren diese ihre Eigenschaft nicht durch die Strafverbüßung; die Militärgefangenen unterstehen daher nach wie vor all denjenigen Vorgesetzten, die der Soldat überhaupt hat, also auch den Sanitätsoffizieren usw. • Ist eine Person des Soldatenstandes während einer Übung zum Vor­ gesetzten bestellt, z. B. ein Obergefreiter als Geschützführer kommandiert, so wird das Vorgesetztenverhältnis für die daran Beteiligten nicht dadurch eingeschränkt oder aufgehoben, daß ein vorübergehendes Austreten der Mannschaften während der Übung stattfindet. 6) Grundsätzlich ist der Untergebene seinem Vorgesetzten gegenüber zu unbedingtem Gehorsam verpflichtet. Der befehlende Vorgesetzte ist für die Folgen seiner Befehle allein verantwortlich. Für den zum Gehorsam Ver­ pflichteten wirkt der Befehl als persönlicher Strafausschließungsgrund; sein Handeln wird durch den Befehl gedeckt. Dies trifft auch dann zu, wenn der Untergebene in gutem Glauben oder aus entschuldbarem Irrtum die Weisung des Vorgesetzten für einen rechtsverbindlichen Befehl gehalten und durch die Ausführung des Befehls eine Rechtsverletzung begangen hat. Der gehorchende Untergebene ist, wenn er durch den Befehl vollständig ge­ deckt wird, straflos, der befehlende Vorgesetzte ist ausschließlich als Täter anzusehen. Um den § 47 MStrGB. auf den Vorgesetzten anzuwenden, genügt es nicht, daß durch die Ausführung des Befehls objektiv ein Straf­ gesetz verletzt ist, es müssen vielmehr auf feiten des befehlenden Vorgesetzten auch die für die Annahme einer strafbaren Handlung erforderlichen sub­ jektiven Voraussetzungen vorliegen. RMGer. II. 8. April 1903. E. 5,33; es wird dann rechtlich fingiert, daß der Vorgesetzte die Handlung selbst be­ gangen habe. I. 22. Mai 1901. E. 1,146. Bezüglich der Strafbarkeit des Vor­ gesetzten vgl. auch § 115 MStrGB. Ist der Vorgesetzte in Gemäßheit des § 47 MStrGB. als Täter zu erachten, so kann er nicht auch im rechtlichen Zusammenflüsse hiermit wegen Anstiftung des Untergebenen zur Beihilfe bestraft werden. RMGer. PE. VII. Nr. 27. 9) Die in Satz 2 Nr. 1 und 2 § 47 MStrGB. aufgestellten Aus­ nahmen von der Regel des Satz 1 sind nur scheinbare. Überschreitet der Untergebene den ihm erteilten Befehl, so bringt er insoweit fernen eigenen Willen zur Ausführung und wird hierfür strafrechtlich verantwortlich. War ferner dem Untergebenen bekannt, daß der Befehl die Verübung einer Straftat bezweckt, so verliert zwar dadurch — nach einer Entscheidung des III. Senats des RMGer. v. 20. März 1901. E. 1,gi — für ihn der Be­ fehl nicht den Charakter eines Befehls in Dienstsachen, der Untergebene ist aber zur Ausführung eines solchen Befehls nicht verpflichtet, sein Un­ gehorsam ist straflos, und er handelt unter eigener Verantwortung, wenn er den Befehl ausführt. Zu dem gleichen Resultate gelangt man, wenn man einem verbrecherischen Ziele verfolgenden Befehle den Charakter eines Befehls in Dienstsachen abspricht. Falls der Untergebene die gesamten Talbestandsmerkmale in subjektiver und objektiver Hinsicht erfüllt, trifft ihn die Strafe des Täters. RMGer. III. 20. März 1901. „E. l,6i. 10) Es scheidet der Fall aus, daß erst durch die Überschreitung des an sich rechtmäßigen Befehls ein Strafgesetz verletzt wird; hier trifft den Untergebenen selbstverständlich die strafrechtliche Verantwortung allein. In Betracht kommt nur der Fall, daß der gegebene Befehl an sich die Ver­ letzung eines Strafgesetzes zum Inhalte hatte; war dem Untergebenen der unrechtmäßige Zweck des Befehls bekannt und begeht er durch Überschrei­ tung des Befehls das bezweckte Delikt unter straferschwerenden Umständen, so ist hinsichtlich der ganzen Handlung der Untergebene als Täter und der Vorgesetzte hinsichtlich des Teils der Handlung, auf die sich der Befehl bezog, als Anstifter zu bestrafen. War dem Üntergebenen der unrecht-

Erster Teil.

Von der Bestrafung im allgemeinen.

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mäßige Zweck des Befehls nicht bekannt, so ist der Vorgesetzte für die durch seinen Befehl gedeckte Handlung als Täter und der Untergebene für die Handlung, welche er in Überschreitung des Befehls, also aus eigenem Willen verübte, als Täter zu bestrafen; soweit seine Handlung durch den Befehl gedeckt war, ist er nach Satz 1 § 47 MStrGB. straflos. n) Der Untergebene ist als Täter, der Vorgesetzte als Anstifter zu bestrafen. Vorausgesetzt ist jedoch, daß der gehorchende Untergebene die gesamten Tatbestandsmerkmale der betreffenden Straftat in subjektiver und objektiver Beziehung erfüllt. RMGer. III. 20. März 1901. E. 1,gi. Der gute Glaube, der Irrtum über die Tatsache, daß es sich um einen unrecht­ mäßigen Befehl in Dienstsachen handele, schließt die Strafbarkeit des Unter­ gebenen aus; der Untergebene erscheint dann lediglich als unfreies Werk­ zeug in der Hand des Vorgesetzten, er bleibt straflos und der Vorgesetzte ist allein als Täter strafrechtlich verantwortlich. Satz 1 § 47 MStrGB. Vgl. RMGer. I. 22. Mai 1901. E. 1,1«. 12) Ohne Belang ist es, ob das Verbrechen und Vergehen ein bürger­ liches oder militärisches ist. Vorausgesetzt wird nur, daß die Untergebenen die klare Erkenntnis der Strafbarkeit der ihnen befohlenen Handlung haben; nicht erfordert wird, daß der Untergebene wissen müsse, wie das Gesetz,. die Handlung qualifiziert, ob als Verbrechen oder als Vergehen. Auf Übertretungen bezieht sich die Nr. 2 des Satz 2 § 47 MStrGB. über­ haupt nicht. Für diese ist der Vorgesetzte stets allein verantwortlich, falls sie infolge eines Befehls in Dienstsachen begangen sind. Während der nicht gehorchende Untergebene straflos ist, wenn der Befehl des Vorgesetzten in Dienstsachen die Verübung eines bürgerlichen oder militärischen Ver­ brechens oder Vergehens bezweckt, ist anderseits der Ungehorsam des Unter­ gebenen gegen einen eine Übertretung bezweckenden Befehl in Dienstsachen nach § 92 MStrGB. strafbar. 13) Den Vorgesetzten trifft stets die erhöhte Strafe (§§ 53, 115 MStrGB.), mag er als Täter oder als Anstifter in Betracht kommen. 14) § 47 MStrGB. trifft nicht den Fall, daß der Vorgesetzte und der gehorchende Untergebene — ohne vorausgegangenen, den Untergebenen be­ stimmenden Befehl des Vorgesetzten — gemeinsam, sei es gemeinschaftlich als Mittäter, oder im Verhältnis von Täter und Gehilfen die Tat ausführen.

Fünfter Abschnitt. Gründe, welche die Strafe ausschließen, mildern oder erhöhen.4)^) x) Die im Teil I Abschnitt 4 des RStrGB. aufgeführten Strafausschließungs- und Strafmilderungsgründe sowie die Vorschriften der §§ 73 bis 79 RStrGB. finden auf das Militärstrafrecht Anwendung, soweit nicht durch den fünften Abschnitt MStrGB. Ausnahmen festgesetzt find. Die Bestimmungen der §§ 51, 59, 60, 66, 67, 68 (erweitert durch § 10 EG., vgl. Note 6 zu § 52 MStrGB.), 69 (vgl. auch § 316 Abs. 2 MStrGO.), 70, 71, 72, 73, 74 Abs. 1, 2, 3 bis auf den Schlußsatz (welcher bei dem ab­ weichenden Strafsystem des MStrGB. nur zum Teil anwendbar ist) §§ 76, 77, 78, 79 RStrGB. finden auf das Militärstrafrecht unverändert An­ wendung. Ebenso die Bestimmungen über Notwehr § 53 RStrGB. Es läßt sich nach der klaren Vorschrift des § 2 MStrGB. die vielfach ver­ tretene Ansicht, daß gegenüber einem rechtswidrigen Angriffe des Vorge­ setzten dem Üntergebenen nur eine Abwehr, nicht eine Gegenwehr zustehe, nicht rechtfertigen. Kann die Abwendung des gegenwärtigen rechtswidrigen Angriffs nur durch Gegenwehr erfolgen, so fällt auch diese unter den Begriff der rechtmäßigen Verteidigung und ist nicht als eine strafbare Handlung zu erachten. Allerdings darf bei jeder Tätlichkeit eines Untergebenen nicht

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außer acht gelassen werden, daß durch eine solche nicht nur die Person des Vorgesetzten, sondern namentlich die in ihm verkörperte Staatsautorität, die militärische Disziplin in schwerer Weise verletzt wird. Im einzelnen ist folgendes zu beachten: 1. Es wird deshalb mit besonderer Sorgfalt zu prüfen sein, ob ein an­ deres Mittel — Beschwerde pp. — ohne Aufopferung schwerwiegender Interessen nicht gegeben war. Vgl. RG. 13. Mai 1887. R. 9,314. E. 16,69. Denn es muß selbst im Streite gleichstehender Personen, wenn mehrere Verteidigungsmittel gegeben sind, dasjenige gewählt werden, das am wenigsten in die Rechtssphäre tzes Angreifers ein­ schneidet, ihn am wenigsten mit Nachteilen oder Übeln belastet. RG. 20. Okt. 1887. Golt. Arch. 35, 317. Vgl. Golt. Arch. 48, 304. Noch viel schärfer muß die Erfüllung dieser Pflicht aber von dem sich verteidigenden Untergebenen verlangt werden, der sich klar sein muß, daß seine Tat nicht nur den Vorgesetzten trifft, sondern auch die militärische Disziplin auf das schwerste verletzt. Hiernach ist ein strenger Maßstab bei Prüfung der Frage, ob die Tat in ihrer konkreten Gestaltung durch Notwehr geboten, ob die konkrete Verteidigungshandlung zur Abwendung des gegenwärtigen rechts­ widrigen Angriffs erforderlich war, anzulegen. 2. Es wird weiterhin zur Anwendung des § 53 a. a. O. zu erfordern sein, daß die Verteidigung dem Angriff proportional ist. Nicht jede tätliche Bedrohung seitens des Vorgesetzten darf eine Tätlichkeit des Untergebenen auslösen. Nur die Abwehr ernster Gefahr für Leib und Leben kann eine Tätlichkeit des Untergebenen rechtfertigen. Es muß gewissermaßen ein Notstand des Untergebenen vorliegen. Gegen leichte Berührungen, die mehr den Charakter der tätlichen Beleidigung als den der Körperverletzung, der Mißhandlung tragen, genügt das Beschwerderecht; noch mehr gilt dies für die Abwehr von wörtlichen Beleidigungen des Vorgesetzten. Es kann ein Recht des Untergebenen, solche durch Wort oder gar Tat zurückzuweisen, regelmäßig nicht anerkannt werden. 3. Die Erforderlichkeit der Verteidigung ist nach der objektiven Sach­ lage, nicht nach dem subjektiven Ermessen des Handelnden zu beur­ teilen. War der Handelnde irrtümlich der Ansicht, daß die Handlung durch Notwehr geboten und die Art der Verteidigung zur Abwehr erforderlich sei, so ist die Bestrafung nicht wegen Vorliegens der Voraussetzungen der Notwehr, sondern wegen mangelnden dolus aus­ geschlossen. RG. II. 28. Okt. 1879. R. 1, 23. 2. Dez. 1890. E. 21,189. RMGer. I. 7. Okt. 1901. E. 2,21. Ob bei Jnsubordinationshandlungen der dolus auszuschließen ist, wird unter Berücksichtigung der oben aufgestellten Grundsätze zu prüfen sein, des ferneren ist aber in Be­ tracht zu ziehen, daß der Üntergebene dem Vorgesetzten gegenüber Gehorsam schuldig ist, daß er den Anordnungen des Vorgesetzten und selbst dessen Tätlichkeiten in den Fällen des § 124 MStrGB. sich nicht widersetzen darf. Ein Widerstand oder eine Gegenwehr kann also — sobald der Vorgesetzte rechtmäßig handelt — niemals als berechtigt gelten. Wenn der Untergebene berechtigt zu sein glaubt, so ist dies ein strafrechtlicher Irrtum, nicht ein Irrtum über Tatsachen. Putativ-Notwehr ist nicht gegeben. Vgl. RG. II. 26. Jan. 1892. E. 22,300. 4. Notwehr ist nur denkbar gegenüber einem noch nicht zur Vollendung gelangten Angriff. Sie liegt ferner 5. nur dann vor, wenn der Handelnde mit der Tat den gegenwärtigen rechtswidrigen Angriff abzuwehren bezweckte. Deutsch. Jur. VIII, 202 (RG. 9. Jan. 1903)

Erster Teil.

Von der Bestrafung im allgemeinen.

§§ 48, 49.

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6. Durch die §§ 98,124 MStrGB. wird die Vorschrift des § 53 RStrGB. nicht berührt. § 98 setzt voraus, daß die Tat des Vorgesetzten begangen ist. Die Insubordination muß eine Folge der vorange­ gangenen Tat des Vorgesetzten sein. In diesem Falle ist die Annahme von Notwehr ausgeschlossen. Vgl. Z. 4 —. § 124 soll nicht die Person des Vorgesetzten als solche, sondern die schwer bedrohte Disziplin und öffentliche Ordnung schützen. Er findet auch An­ wendung, wenn eine persönliche Gefährdung des Vorgesetzten nicht vorliegt. Andererseits kann aber die Abwendung eines tätlichen Angriffes des Untergebenen mittels Gewalt auf Grund des § 53 RStrGB. straflos sein, wenn § 124 nicht Platz greift, wenn z. B. der Untergebene wahnsinnig und somit eine Verletzung der Disziplin nicht zu befürchten ist. Durch den Vorbehalt des § 149 MStrGB. ist für die ideale Kon­ kurrenz des Vergehens gegen § 149 cit. mit anderen Delikten das Prinzip des § 73 RStrGB. gemäß § 10 RStrGB. außer Geltung gesetzt. RMGer. I. 12. Juli 1901. E. 1,216 und III 9. Okt. 1901. E. 2,24. Vgl. Note 7 zu § 149 MStrGB. Die §§ 52, 54 RStrGB. sind durch § 49 Abs. 1 MStrGB. modifiziert. Die Vorschrift des § 50 MStrGB. schließt bei militärischen Delikten die Bestimmungen der §§ 55—57 RStrGB. aus. Die unterbliebene Ableistung des Fahneneides ist im Sinne des MStrGB. kein Strafausschließungs- oder Strafmilderungsgrund. RMGer. II 12. März 1902. E. 2,222. 2) Läßt sich der Tatbestand eines vom Strafgesetze besonders vorge­ sehenen Umstandes, durch welchen die Strafbarkeit des Täters ausge­ schlossen oder vermindert wird, nicht mit Sicherheit feststellen, so hat das erkennende Gericht den dem Angeklagten günstigsten Sachverhalt seiner Ent­ scheidung zugrunde zu legen. RMGer. II. 23. Dez. 1903. E. 6,193. § 48.

Die Strafbarkeit einer Handlung oder Unterlassung ist

dadurch nicht ausgeschlossen, daß der Thäter nach seinem Gewissen

oder den Vorschriften seiner Religion sein Verhalten für geboten er­ achtet hat.

§ 49. i) Die Verletzung8)

einer Dienstpflicht-)

aus Furcht vor

persönlicher Gefahr ist ebenso zu bestrafen, wie die Verletzung8) der

Dienstpflicht aus Vorsatz. Bei strafbaren Handlungen gegen die Pflichten der militärischen

Unterordnung/)

sowie bei allen in Ausübung

des Dienstes ^) be­

gangenen strafbaren Handlungen8) bildet die selbstverschuldete Trunken­ heit des Thäters8) keinen Strafmilderungsgrund.8)")

1) Abs. 1 des § 49 MStrGB. enthält eine Ausnahme von den in §§ 52, 54 RStrGB. über Nötigung durch Gewalt oder Drohung und den Notstand gegebenen Vorschriften. Befindet sich der Täter in einem Zu­ stande von Bewußtlosigkeit oder krankhafter Störung der Geistestätigkeit, durch welchen seine freie Willensbestimmung ausgeschlossen ist (§ 51 RStrGB.), so findet § 49 Abs. 1 MStrGB. keine Anwendung. 2) Unter „Dienstpflicht" fallen alle Pflichten des Militärdienstes, d. h. Handlungen und Unterlassungen zum Zwecke der Erfüllung militärischer Aufgaben, mögen sie auf Befehlen, Anordnungen, Dienstvorschriften, In­ struktionen beruhen. Die militärische Dienstpflicht kann ihre Quelle auch in einem militärdienstlichen Grundsätze haben. So verletzt z. B. ein VorgeHerz u. Ernst, Strafrecht der Militärpersonen.

5

66

Militär-Strafgesetzbuch für das Deutsche Reich.

setzter seine Dienstpflicht, wenn er einen gegen ihn tätlich gewordenen Unter­ gebenen nicht zur Bestrafung bringt. Ferner hat jeder Vorgesetzte, welcher gegen einen renitenten Untergebenen eingeschritten ist, die Dienstpflicht, seinen Forderungen und Befehlen mit allem Nachdruck Geltung zu ver­ schaffen; es folgt diele Pflicht aus dem militärdienstlichen Grundsätze, daß oer Vorgesetzte für oie Aufrechterhaltung der Disziplin Sorge zu tragen hat. RMGer. II. 12. Febr. 1901. E. 1,30. I. 19. Dez. 1901. E. 2,ioi. Militärischer Dienst ist jede innerhalb der Berufssphäre einer Militär­ person gemäß militärischer Vorschrift oder gemäß besonderen auf solcher Vorschrift beruhenden Befehls auszuführende Verrichtung. Vgl. auch Note 3 zu 8 12 MStrGB. 3) Erfordert wird stets eine Verletzung der Dienstpflicht; wer alle Dienstpflichten erfüllt, um die Gefahr abzuwenden, dessenungeachtet unwider­ stehlichem physischen Zwange weichen muß, ist nicht strafbar. 4) Vgl. auch 88 89—113 MStrGB. Ob die Handlungen im Dienste oder außer Dienst begangen sind, ist unerheblich. 5) Der Begriff „Ausübung des Dienstes" umfaßt alle militärischen Verrichtungen, gleichviel ob sie auf besonderen, für den einzelnen Fall oder aus speziellem Anlaß gegebenen Befehl vorgenommen werden oder ob sie auf allgemeiner Vorschrift über die aus Dienstgrad oder Dienstfunktion entspringenden Obliegenheiten beruhen. RMGer. PE. I. Nr. 118. Der Täter muß sich nicht nur in einem speziellen Dienstverhältnis, sondern in Ausführung der durch jenes Dienstverhältnis ihm auferlegten Dienstver­ richtung befinden. Ein Soldat auf Wache z. B. befindet sich im Dienst, ein Wachposten in Ausübung des Dienstes. Vgl. auch Note 10 zu 8 55 MStrGB. Strafbare Handlungen, die ein Gendarm bei Gelegenheit eines Patrouillenganges begeht, sind in Ausübung des Dienstes begangen, mag er auch, ohne durch die Ausführung der Tat hierzu gezwungen zu sein, während derselben die Betätigung seines Patrouillendienstes vorübergehend tatsächlich unterbrochen haben. Für Gendarmen umfaßt hiernach der Be­ griff „in Ausübung des Dienstes" im Sinne v. 8 188 PMStrGB. auch den Begriff „bei Gelegenheit der Ausübung des Dienstes". RMGer. I. 10. Dez. 1902. E. 2,193. 6) In Betracht kommen nicht nur die militärischen, sondern auch die bürgerlichen Delikte. 7) Selbstverschuldet ist nicht gleichbedeutend mit „vorsätzlich". Selbst­ verschuldet ist auch die Trunkenheit, die durch Umstände verursacht wurde, deren Folgen der Täter beurteilen konnte und mußte. 8) Dasselbe gilt auch von der Trunkenheit des Teilnehmers. 9) Selbstverschuldete Trunkenheit kann nicht zur Begründung eines „minder schweren Falles" oder „mildernder Umstände" oder „eines besonderen leichten Falles" (vgl. 8 57 Nr. 4 RStrGB.), wohl aber innerhalb des ordentlichen Strafrahmens, als Strafzumessungsgrund (erhöhend oder mindernd) berücksichtigt werden. RMGer. PE. II. Nr. 146. Die Vorschrift des 8 49 Abs. 2 MStrGB. bleibt bei allen militärischen Delikten, bei denen in der selbstverschuldeten Trunkenheit als solcher oie strafbare Handlung besteht, sowie bei denen durch die Trunkenheit eine be­ toniere militärische Dienstpflicht verletzt wird, außer Betracht (88 141, 151 MStrGB.). 8 49 Abs. 2 MStrGB. schließt lediglich die Annahme eines minder schweren Falles oder mildernder Umstände wegen selbstverschuldeter Trunken­ heit, nicht aber die sonstigen rechtlichen Wirkungen der letzteren hinsichtlich oer Schuldfrage und der Strafzumessung aus. RMGer. I. 1. Dez. 1902. E. 4,54. Durch Abs. 2 8 49 MStrGB. wird der Strafausschließungsgrund des 8 51 MStrGB., falls die Trunkenheit einen Zustand von Bewußt­ losigkeit herbeiführt, nicht ausgeschlossen. Ob ein solcher Zustand vorliegt.

Erster Teil.

Von der Bestrafung im allgemeinen.

§§ 50, 51.

67

ist Tatfrage. RMGer. II. 14. Dez. 1901. E. 2,92. Die Zurechnungsfähigkeit gehört zu den subjektiven Tatbestandsmerkmalen. RMGer. II. 22. März 1902. E. 2,232. Beschließt ein Zurechnungsfähiger, den Zustand der Trunkenheit absichtlich herbeizuführen, um durch Begehung oder Unterlassung eine straf­ bare Handlung zu verüben, so ist die Tat trotz einer bei dem Täter herrschenden sinnlosen Trunkenheit eine vorsätzliche und dem Täter zuzu­ rechnen. RG. II. 8. März 1892. E. 22,413 und Olsh. Note 11a zu § 51 RStrGB. 10) Vorschriften über die Behandlung trunkener Soldaten enthält AO. v. 21. Febr. 1821 und KM. v. 22. März 1821.

§ 50. Bei Bestrafung militärischer Verbrechen oder Vergehens ist die Erkennung der angedrohten Strafe?) unabhängig von dem Alter des Thäters.2 3) x) § 50 MStrGB. enthält bezüglich der militärischen Delikte eine Ausnahme der §§ 56, 57 RStrGB.; militärische Delikte können erst nach dem 17. Lebensjahre begangen werden; WG. § 10, WO. § 24 Nr. 1. Bei bürgerlichen Delikten finden auch gegen Personen des Soldatenstandes §§ 56, 57 RStrGB. Anwendung. Ferner gilt § 50 MStrGB. auch für Zivilpersonen jugendlichen Alters, welche gemäß Teil 2, Titel 3 MStrGB. den Militärgesetzen in Kriegszeiten unterworfen sind. 2) Auch der Ehrenstrafen. 3) Das gleiche gilt für den Anstifter und Gehülfen.

§ 51. Die Verfolgung eines militärischen Verbrechens oder Ver­ gehens ist unabhängig von dem Anträge des Verletzten oder eineranderen zum Anträge berechtigten Person.?)3)4) x) Die Bestimmung des § 51 MStrGB. greift auch bei den sog. militärisch qualifizierten Delikten (z. B. Kameradendiebstahl, Mißhandlung Untergebener, Beleidigung Untergebener, Beleidigung Vorgesetzter) Platz. Über die Strafverfolgung ohne Antrag von gemeinstrafrechtlichen Antragsdelikten, wenn sie im Felde begangen werden, vgl. § 127 MStrGB. Bei gemeinstrafrechtlichen Antragsdelikten ist auch im Falle des § 55 MStrGB. Strafantrag Voraussetzung der Strafverfolgung, § 51 MStrGB. ist nicht anwendbar. Die gegen Kameraden oder Vorgesetzte verübte Entwendung „ von Nahrungs- oder Genußmitteln (§ 370 Nr. 5 RStrGB.) bleibt eine Über­ tretung des bürgerlichen Strafrechts und ist nur auf Antrag zu verfolgen. Disziplinarbestrafung ist ohne Antrag des Verletzten zulässig. Ein Gendarm, welcher in oder bei Gelegenheit der Ausübung eines Dienstes sich der Beleidigung einer Zivilperson schuldig macht, ist nicht aus §§ 185 ff. RStrGB., sondern aus § 121 MStrGB. — also auch ohne Vor­ handensein eines Strafantrages — zu bestrafen. RMGer. I. 10 Febr. 1902. 2) Die Strafverfolgung von Beleidigungen, Mißhandlungen Vorge­ setzter oder Untergebener im Wege der Privatklage kennt die MStrGO. nicht. 3) Fällt in der Hauptverhandlung die militärische Qualifikation eines gemeinstrafrechtlichen Antragsdelikts fort und ist Strafantrag nicht gestellt, so ist die Einstellung des Verfahrens durch Ürteil auszusprechen; § 314 MStrGO. RMGer. PE. IV. Nr. 58; I. Nr. 94. 4) Vgl. auch Note 2 zu § 61 RStrGB.

68

Militär-Strafgesetzbuch für das Deutsche Reich.

§ 52.i) Bei Berechnung der Verjährungsfrist2) einer Strafver­ folgung oder Strafvollstreckung ist der Arrests) der Haft gleich zu achten.4)3)3) 1) Die Vorschriften über die Verjährung der Strafverfolgung und Strafvollstreckung §§ 66—67 RStrGB. (stehe daselbst) und § 10 des EG. z. MStrGO. gelten für das MStrGB., soweit nicht besondere Aus­ nahmen vorgesehen sind. Eine solche Ausnahme enthält § 76 MStrGB.; die Verjährung der Fahnenflucht beginnt nicht mit dem Tage der Begehung, sondern mit dem 1. April des Jahres, in welchem der Täter 39 Jahre alt wird. Vgl. auch WO. § 5. Durch die Vorschrift des § 52 MStrGB. hat das bezüglich der Ver­ jährung der Strafverfolgung und Strafvollstreckung in §§ 67, 70 RStrGB. aufgestellte Prinzip nickt durchbrochen werden sollen. Die Worte „Straf­ verfolgung oder" sind ourch ein Redaktionsversehen im Gesetze stehen ge­ blieben (vgl. Koppmann Note 3 zu 8 52 MStrGB.). Die Strafverfolgung von militärischen Vergehen, welche mn* mit Arrest (gelinder, mittlerer oder strenger Arrest) bedroht sind, verjährt daher nach § 67 Abs. 2 RStrGB. in drei Jahren, RMGer. PE. II. Nr. 147, die Strafvollstreckung dieser Ver­ gehen nach § 70 Nr. 6 RStrGB. in zwei Jahren. Die Strafverfolgung militärischer Verbrechen, bei welchen lebensläng­ liche Festungshaft oder Gefängnisstrafe angedroht ist, verjährt, da in § 70 Nr. 1 RStrGB. lebenslängliche Festungshaft mit lebenslänglichem Zucht­ haus gleichgewertet ist, bei dem Mangel einer Vorschrift in sinngemäßer Anwendung des § 67 Abs. 1 RStrGB. in 20 Jahren, die Strafvollstreckung einer in dieser Höhe erkannten Strafe in sinngemäßer Anwendung oes § 70 Nr. 1 RStrGB. in 30 Jahren. Ob militärische Vergehen gerichtlich oder disziplinarisch geahndet werden (§ 3 EG. z. MStrGB.), ist für die Frage der Verjährung ohne Belang. § 54 Abs. 3 und 4. MDStO. Wegen der Verjährung reiner Disziplinarvergehen s. § 44 DStO. § 54 MDStO. 2) In den Fällen des § 55 MStrGB. kommt für die Berechnung der Verjährungsfrist der in § 53 MStrGB. angedrohte Strafrahmen in Betracht. 3) Jede der Strafarten des Arrestes steht der Haft gleich. 4) Im Ermittlungsverfahren steht die Entscheidung über die Frage der Verjährung der Strafverfolgung einer Straftat zunächst dem Gerichts­ herrn zu; dem Verletzten steht gegen den die Strafverfolgung ablehnenden Bescheid die Rechtsbeschwerde an den höheren Gerichtsherrn und gegen dessen Ablehnung der Antrag auf gerichtliche Entscheidung an das RMGer. zu; 88 247, 248 MStrGO. In der Hauptverhandlung entscheidet über die Frage das Gericht. 5) Der Verjährung der Strafvollstreckung unterliegen iuit die Haupt­ strafen, nicht die Neben (Ehren-) strafen, weil deren Wirkungen von Rechts wegen eintreten. 6) Einer richterlichen Handlung im Sinne des 8 68 des RStrGB. steht gleich jede Handlung, welche von dem Gerichtsherrn, dem unter­ suchungführenden oder dem die Anklage vertretenden Gerichtsoffizier, Kriegsgerichtsrat oder Oberkriegsgerichtsrat, sowie in den Fällen des 83 des EG. z. MStrGB. vom Disziplinarvorgesetzten wegen der begangenen Tat gegen den Täter gerichtet wird. 8 10 EG.

§ 53. Wo dieses Gesetzt) eine erhöhte-) Freiheitsstrafe3) an­ droht, kann dieselbe das Doppelte der für das betreffende Verbrechen oder Vergehen4) angedrohten^) Freiheitsstrafe erreichen;") sie darf je-

Erster Teil.

Von der Bestrafung im allgemeinen.

§§ 52, 53.

69

doch den gesetzlich zulässigen Höchstbetrag7) der zu verhängenden Straf­ arts nicht übersteigen (§§ 16, 17, 24).9) x) Die Straferhöhung ist nicht eine Anweisung für die richterliche Strafzumessung; sie enthält vielmehr schulderhöhende gesetzliche Tatumstände, die den Richter zwingen, einen strengeren gesetzlichen Strafrahmen zur Anwendung zu bringen. Mayer, Strafschärfungsgründe, S. 4. Leipzig 1903. Die Straferhöhung kommt bei militärischen wie bürgerlichen Verbrechen und Vergehen (auch fahrlässigen) in Betracht, nicht aber bei Übertretungen. RMGer. II. 19. Sept. 1901. E. 1,290. Bürgerliche Delikte nehmen durch die Straferhöhung nicht den Charakter militärischer Delikte an. Vgl. auch Koppmann Note 11 zu § 53 MStrGB. A. A. Mayer a. a. O- S. 8. 2) Erhöhte Freiheitsstrafe ist angedroht in §§ 55 Nr. 1—3, 103 Abs. 2, 115, 136 MStrGB. Zu unterscheiden von der Straferhöhung des § 53 MStrGB. sind die Fälle, in denen es sich um eine Erhöhung der ver­ wirkten Strafe handelt; §§ 72, 81 Abs. 2, 103 Abs. 1 MStrGB. Wo auf erhöhte Strafe zu erkennen ist, darf nicht auf den Mindest­ betrag der als ordentliche Strafe für das Delikt angedrohten Freiheitsstrafe erkannt werden; bei Gefängnis, Festungshaft, Arrest muß dieser Mindest­ betrag wenigstens um einen Tag (Gefängnis, Festungshaft oder gleich­ artiger Arrest), bei Zuchthaus um einen Monat überschritten werden. A. A. Mayer a. a. O. S. 7, 9ff. Die gleichen Grundsätze, wie bei dem Mindestbetrag für das vollendete Verbrechen und Vergehen gelten auch für den beim Versuch oder der Beihilfe gemäß §§ 44, 49 RStrGB. oder bei einem „minder schweren Fall" oder „mildernden Umständen" gegebenen Mindestbetrag. So auch Mayer a. a. O. S. 10. Der Vorschrift der Straferhöhung des § 53 MStrGB. ist nicht schon dadurch genügt, daß bei wahlweise angedrohtem Gefängnis oder Festungs­ haft, oder bei wahlweise angedrohten Arrestarten auf die schärfere Straf­ art erkannt wird. 3) Freiheitsstrafe ist nicht im Sinne des § 16 Abs. 1 MStrGB. zu verstehen; es fällt hier unter den Begriff der Freiheitsstrafe jede Art von zeitiger Freiheitsstrafe des MStrGB. wie des RStrGB. einschließlich des Arrestes. 4) Durch die infolge der Straferhöhung sich ergebende Erweiterung des ordentlichen Strafrahmens kann ein militärisches Vergehen — auch ein fahrlässiges, vgl. §§ 62, 142, 148 MStrGB. — zu einem militärischen Verbrechen werden. — § 338 MStrGB. Verteidiger erforderlich — RMGer. II. 19. Sept. 1901. E. 1,290. PE. III. Nr. 110. Mayer a. a. O. S. 24 (auch bezüglich bürgerlicher Straftaten); es werden daher u. a. §§ 43, 49 a, 67 Abs. 1 RStrGB. anwendbar. 5) Der Strafrahmen der angedrohten ordentlichen Strafe ist zu verdoppeln; die Strafrahmen für die Straferhöhung darf nicht etwa ourch Verdoppelung der an sich verwirkten Strafe gebildet werden. 6) Es kann auf das Doppelte erkannt werden. 7) Es darf bei zeitigem Zuchthaus wegen militärischer oder bürgerlicher Delikte nicht über 15 Jahre, bei Gefängnis wegen bürgerlicher Delikte nicht über fünf Jahre, wegen militärischer Delikte nicht über 15 Jahre, bei Festungs­ haft wegen bürgerlicher oder militärischer Delikte nicht über 15 Jahre, bei gelindem oder mittlerem Arrest nicht über sechs Wochen, bei strengem Arrest nicht über vier Wochen erkannt werden. 8) Ist nur Arrest angedroht, oder Arrest wahlweise mit Gefängnis oder Festungshaft, so hat der Richter zunächst die Straf art zu bestimmen, und bei dieser den Strafrahmen gemäß § 53 MStrGB. zu erhöhen; auf eine andere Strafart darf er zum Zwecke der Straferhöhung nicht erkennen.

Militär-Strafgesetzbuch für das Deutsche Reich.

70

9) Von der Straferhöhung ist dadurch die Zuchthausstrafe sowie die Straferhöhnng bei bürgerlichen Delikten nicht ausgeschlossen. Die Bezug­ nahme auf §§ 16, 17, 24 MSlrGB. soll nur die Begrenzung auf die Höchstbeträge der militärischen Freiheitsstrafen aussprechen. Hinsichtlich der Höchstbeträge der bürgerlichen Freiheitsstrafen vgl. §§ 14 Abs. 2; 16 Abs. 1; 17 Abs. 2; 18 Abs. 1 RStrGB.

§ 54?)

Wenn mehrere zeitiges Freiheitsstrafen Zusammentreffens)

so ist auf eine Gesammtstrafe ^)9) nach den Vorschriften^) des Deutschen

Strafgesetzbuches zu erkennen. setzlich steigen.

zulässigen Höchstbetrag

Dieselbe darf in keinem Falle den ge­

der zu verhängenden Strafart über­

Ist die Gesammtstrafe wegen Zusammentreffens militärischer

Verbrechen und Vergehen mit bürgerlichen Verbrechen und Vergehen zu erkennen, so ist der Höchstbetrag der Strafe wegen letzterer durch

die Vorschriften des Deutschen Strafgesetzbuches bestimmt?)

Bestehen die zusammentreffenden Freiheitsstrafen nur6) in Arrest­ strafen?) so

darf auch die Gesammtstrafe nur in Arrest bestehen.

Sind die Arreststrafen ungleichartige, so gilt Ein Tag strengen Arrestes

gleich zwei Tagen mittleren Arrestes, Ein Tag mittleren Arrestes gleich zwei Tagen gelinden Arrestes?) Die Verurtheilung zu einer

Gesammtstrafe schließt

die

Ver-

urtheilung zu einer Ehrenstrase nicht aus, wenn diese auch nur neben

einer der verwirkten Einzelstrasen zulässig oder geboten ist.9)10)11) x) Nach den im V. Abschnitt des RStrGB. über das Zusammentreffen Sbarer Handlungen gegebenen Vorschriften kann ein solches Zusammenen rechtlich nur als Ideal- oder Realkonkurrenz oder als fortgesetztes Delikt in Betracht kommen. Fallen einer Person mehrere strafbare Handlungen gegen die Pflichten der militärischen Unterordnung zur Last, so können sie nur unter einen dieser Begriffe gebracht werden und erscheint es nicht angängig, die minder strafbaren Verfehlungen in dem höchsten Grade des Verschuldens aufgehen )u lassen und lediglich die Verurteilung wegen der schwersten Straftat m die Urteilsformel aufzunehmen. Werden ourch einen und denselben Tätigkeitsakt mehrere Strafgesetze oder dasselbe Strafgesetz mehrmals verletzt, so liegt Jdealkonkurrenz vor (z. B. Beleidigung mehrerer Personen durch eine Äußerung) § 73 RStrGB. Die Anwendung dieser Vorschrift auf mehrere Tätigkeitsakte verlangt im Urteil die Begründung, daß der Vorsatz des Täters von vornherein auf Begehung dieser Mehrheit von Handlungen gerichtet gewesen war. RMGer. PE. II. 174 und § 73 RStrGB. und Not. das. Lassen sich nicht sämtliche Einzelfälle feststellen, so muß sich der Richter auf die Feststellung einer Mindestzahl beschränken; die Feststellung „zahlreicher" oder „mehrerer" Fälle ist nicht zulässig. RMGer. PE. II. Nr. 174. § 54 MStrGB. be­ handelt den Fall der sog. Realkonkurrenz, §§ 74—79 RStrGB., vgl. die Noten daselbst; für die Jdealkonkurrenz sind die Vorschriften des § 73 RStrGB. maßgebend; § 2 MStrGB. Von der Realkonkurrenz mehrerer Delikte zu unterscheiden ist das sogen, fortgesetzte Delikt; bei letzterem ist eine Mehrheit selbständiger Handlungen rechtlich nur als eine Hand­ lung anzusehen. Erfordert wiro für das fortgesetzte Delikt Einheit des Rechtsgutes, welches durch die Handlung verletzt wird, Einheitlichkeit des

Erster Teil.

Von der Bestrafung im allgemeinen.

§ 54.

71

Vorsatzes, Gleichartigkeit und äußerer Zusammenhang der einzelnen Aus­ führungshandlungen. Ob ein solcher Zusammenhang vorliegt, ist Tatfrage, er ist tatsächlich festzustellen. Einheitlichkeit des Vorsatzes liegt nicht vor, wenn die einzelnen Straftaten erst im Laufe der Zeit aus Anlässen, die voneinander unabhängig sind, ausgeführt werden. RMGer. PE. VI. Nr. 116. Die gleichartigen Einzelhandlungen müssen sich als Ausflüsse eines die ganze fortgesetzte Tätigkeit beherrschenden Vorsatzes und danach als ein in Wirklichkeit einheitlicher Willensakt darstellen. RMGer. I. 26. Mai 1902. E. 3,62. Mit diesem Vorsatz ist aber nickt der Entschluß zu verwechseln, zeitlich getrennte und rechtlich voneinander verschiedene Handlungen vorzunehmen. Ein solcher Entschluß ist nichts anderes als die Absicht, einen Plan auszuführen, der alle diese Handlungen umfaßt. Die Ausführung dieses Planes ist nicht anders möglich, als daß sich der Wille bei der Ausführung jeder einzelnen Handlung in einem besonderen Vorsatze bestimmt, und erst diese Willensbestimmung ist der subjektive Tat­ bestand der Einzelhandlung. Ein solcher allgemeiner Entschluß, planmäßig alle möglichen Handlungen zu verüben, kann die Selbständigkeit der Einzel­ handlungen nicht aufheben. RMGer. I. 18. Mai 1903. E. 5,129. Vgl. auch Note 2a zu § 73 RStrGB. Wegen Gesetzeskonkurrenz vgl. Note 3 zu ß 97 MStrGB. 2) Mehrere zeitige Freiheitsstrafen müssen Zusammentreffen. Der Ausdruck Freiheitsstrafe ist allgemein zu verstehen, nicht in dem engen Sinne des § 16 MStrGB. In Betracht kommen jedoch nur gerichtlich aus­ zusprechende Freiheitsstrafen. Disziplinär-Freiheitsstrafen können in eine Gesamtstrafe nicht einbezogen werden. Von der Gesamtstrafe bleiben aus­ geschlossen die lebenslängliche Zuchthaus-, Gefängnis-, Festungshaftstrafe, Todesstrafe, Geldstrafe und Haft. § 77 RStrGB. RMGer. PE. III. Nr. 147. (Wegen der Festungsstrafe vgl. Note 4.) Auf diese Strafen ist stets gesondert zu erkennen. 2a) § 54 MStrGB. behandelt das Zusammentreffen mehrerer zeitiger Freiheitsstrafen im Sinne der §§ 74, 79 RStrGB. Maßgebender Zeitpunkt der früheren Verurteilung (§ 79 RStrGB.) ist die Verkündigung des Urteils, nicht dessen Rechtskraft. Wenn das frühere verurteilende Urteil in der höheren Instanz aufgehoben ist und demnächst in erster oder höherer Instanz ein neues verurteilendes Urteil ergeht, so ist auf eine zwischen dem ersten und dem zweiten Urteile begangene Straftat der § 79 RStrGB. nur dann anwendbar, wenn zu einer Verurteilung durch den zweiten Richter auch die prozessualen Vorbedindgungen einer gleichzeitigen Verurteilung vor­ lagen. RMGer. I. 7. April 1902. E. 2,261. I. 5. Mai 1902. E. 3,26; PE. II. Nr. 175; III. Nr. 150. § 79 RStrGB. ist nicht anwendbar, wenn zwar in erster Instanz die Verurteilung vor Verbüßung der früher erkannten Strafe erfolgt, zur Zeit der Entscheidung der höheren Instanz über das Urteil aber inzwischen die Verbüßung rc. der Strafe vollendet worden ist. RG. VI. 28. Nov. 1879. R. 1,102. II. 3. Febr. 1899. E. 32,7. Vgl. im übrigen die Noten zu § 79 RStrGB. Wird trotz Vorliegens realer Konkurrenz aus § 79 RStrGB. nicht auf eine Gesamtstrafe erkannt, so läßt sich hierauf die Revision nicht stützen, da die Normierung der Gesamtstrafe nachgeholt werden kann. § 461 MStrGO. 3) Im Falle der Konkurrenz sind die zusammentreffenden Delikte einzeln im Urteilstenor aufzuführen; die Urteilsformel muß erkennen lassen, ob die mehreren Handlungen im realen oder idealen Zusammenflüsse stehen; bei der Realkonkurrenz ist in den Gründen des Urteils auszuführen, welche Strafe (Einzelstrafe) für jedes Delikt arbitriert ist und welche von diesen Strafen als Einsatzstrafe (d. h. als schwerste) in Betracht kommt. 4) Vgl. §§ 74—79 RStrGB. Auch die Einschränkungen des § 75 und des § 77 RStrGB. finden nach der Entstehungsgeschichte des § 54 MStrGB.

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Militär-Strafgesetzbuch für das Deutsche Reich.

Anwendung. Auf Haft ist stets gesondert (und zwar in ihrem Gesamt­ betrag bis zu 3 Monaten) zu erkennen, wenn sie mit anderen bürgerlichen oder militärischen Freiheitsstrafen zusammentrifft; (RMGer. PE. I. Nr. 134, III. Pr. 147); auf Festungshaft dann, wenn sie nur mit Gefängnis zu­ sammentrifft. Trifft Festungshaft mit Arrest zusammen, so ist eine Gesamt­ strafe aus beiden zu bilden (RMGer. PE. III. Nr. 120). Ist die Gesamtstrafe nur aus zwei Einzelstrafen zu bilden, von denen die eine oder beide nur in einem Tage Freiheitsstrafe bestehen, so muß von der Vorschrift der Erhöhung der schwersten Einzelstrafe abgesehen werden. Das im Abs. 3 § 74 RStrGB. ausgesprochene Verbot der Straf­ kumulation ist undurchbrechbar. RG. IV. 4. Juni 1897. E. 30,ui. 1.10. Nov. 1887. E. 16,282; RMGer. PE. II. Nr. 174 f. V. Nr. 99. III. Nr. 101 und Nr. 146. Das Geltungsverhältnis des Arrestes zu anderen Freiheitsstrafen ist im MStrGB. nicht ausdrücklich normiert. Das RMGer. hat Arreststrase (ohne unter den Arrestarten zu unterscheiden) und Gefängnisstrafe als gleichwertige Strafarten erachtet. Treffen Arreststrafen mit Gefängnis­ strafen zusammen und sind diese Arrest- und Gefängnisstrafen ihrer Dauer nach verschieden, so ist die ihrer Dauer nach schwerste Strafe die Einsatz­ strafe, uno nach § 74 RStrGB. zu erhöhen. RMGer. I. 21. Juli 1902. E. 3,154. PE. I. Nr. 117. Beträgt die Gefängnisstrafe mehr als sechs Wochen, so ist die Gefängnisstrafe die Einsatzstrafe; beträgt die Gefängnisstrafe sechs Wochen oder weniger, was nur bei gemeinstrafrechtlichen Realen der Fall fein kann, so ist die Arreststrafe, falls sie ihrer Dauer nach schwerer ist als die konkurrierende Gefängnisstrafe, die Einsatzstrafe und diese, da Gefängnis­ strafe und Arrest gleichwertige Strafarten sino, zu erhöhen; die Dauer der Gesamtstrafe ist in diefem Falle durch den gesetzlich zulässigen Höchstbetrag dieser Arreststrafart begrenzt. RMGer. I. 21. Juli 1902. E. 3,154. Ist die Gefängnisstrafe ihrer Dauer nach schwerer als die Arreststrafe, so ist sie die Einsatzstrafe, bei welcher die Erhöhung stattfindet. Treffen Arreststrafen und Gefängnisstrafen von gleicher Dauer zusammen, so ist dem Richter unbenommen, nach Würdigung der strafrechtlichen Schwere der einzelnen Handlungen die Straferhöhung bei der Arreststrafe oder der Gefängnis­ strafe eintreten zu lassen und somit als Gesamtstrafe auf Arrest ooer Ge­ fängnis zu erkennen. RMGer. I. 21. Juli 1902. E. 3,154. Das gleiche gilt für das Zusammentreffen von Arrest und Festungs­ haftstrafe. RMGer. PE. III. Nr. 129. Da Arrest der Gefängnisstrafe gleichwertig ist, so ist bei dem Zu­ sammentreffen von Arrest mit der Zuchthausstrafe drei Tage Arrest einer zweitägigen Zuchthausstrafe gleich. Ist eine Freiheitsstrafe (vgl. Note 2; der Grundsatz gilt auch für die Arreststrafe) als Zusatzstrafe oder bei Bildung einer Gesamtstrafe in Zuchthaus umzuwandeln, so kann auch die Zucht­ hausstrafe nach Tagen bemessen werden. RG. III. 13. April 1881. E. 4,161. RMGer. PE. IV. Nr. 138. Bei einer Gesamtstrafe sind die neben einer in Gefängnis, Festungs­ haft oder Zuchthaus bestehenden Einsatzstrafe konkurrierenden mehrfachen Arreststrafen nicht etwa zu dem im §§ 17, 24, 54 MStrGB. gesetzlich zu­ lässigen Höchstbetrage des Arrestes von sechs bezw. vier Wochen, sondern in ihrem darüber hinausgehenden vollen Gesamtbeträge, wie er sich aus den Einzelstrafen ergibt, in Rechnung zu bringen. — Gerland in KV. erkennt mit RMGer. E. 3,154 an, daß Arrest eine besondere, spezifisch militärische Strafe sei, behauptet aber, daß sie mit Gefängnis (und Festungshaft) nicht gleichwertig, sondern eine mildere Strafart sei. 5) Der dritte Satz Abs. 1 § 54 MStrGB. besagt nur, daß im Falle des Zusammentreffens militärischer Delikte mit mehreren gemeinstrafrechtlichen Vergehen, die wegen dieser bürgerlichen Delikte verwirkten Einzelstrafen

Erster Teil.

Von der Bestrafung im allgemeinen.

§ 55.

73

zusammen zehn Jahre Gefängnis (§ 74 Abs. 2 RStrGB.) nicht übersteigen dürfen. Nicht ausgeschlossen ist durch diese Vorschrift, daß die wegen der militärischen und bürgerlichen Delikte zu bildende Gesamtstrafe diesen Höchstbetrag gegebenenfalls überschreitet; vgl. auch § 16 Abs. 2 Satz 2 MStrGB. 6) Das in Abs. 2 § 54 MStrGB. festgesetzte Geltungsverhältnis be­ zieht sich nur auf die Fälle, wo ausschließlich Arrestsachen miteinander zusammentreffen. RMGer. PE. I. Nr. 117, III. Nr. 120. Im Falle des Abs. 2 des § 54 MStrGB. darf das nach §§ 17, 24 MStrGB. zulässige Höchstmaß der betreffenden Arrestarten bei Bildung der Gesamtstrafe nicht überschritten werden. 7) Unerheblich ist, ob die zusammentreffenden militärischen Vergehen im Gesetz ausschließlich mit Arrest bedroht sind oder ob die Zulässigkeit anderer Strafen im Gesetz vorgesehen, tatsächlich aber nur Arreststrafen als Einzelstrafen verhängt sind. 8) Drei Tage mittlerer Arrest sind zwar nicht zwei vollen Tagen, immer­ hin aber mehr als einem Tage strengem Arrest gleichzuachten. Der Vor­ schrift ist daher Genüge geschehen, wenn unter Weglassung des über­ schießenden Bruchteils die in strengem Arrest bestehende Einsatzstrafe um einen Tag erhöht wird. Trifft strenger Arrest lediglich mit zwei Tagen mittlerem Arrest oder mit lediglich drei bis vier Tagen gelindem Arrest zusammen, so tritt eine Erhöhung der Ersatzstrafe nicht ein. Vgl. auch Note 4 oben. 9) Die Verurteilung zu einer Gesamtstrafe darf in der Urteilsformel auch eine Ehrenstrafe nur neben der Gesamtstrafe erkannt werden. Die Verhängung der Ehrenstrafe ist jedoch davon abhängig, daß letztere neben einer der verwirkten Einzelstrafen zulässig oder geboten ist. RMGer. I. 5. März 1903. E. 4,218. PE. II. Nr. 121; V. Nr. 100. Auf Entfernung aus dem Heere kann daher bei Verurteilung zu Gefängnisstrafe auch im Falle einer Gesamtstrafe nnr dann erkannt werden, wenn eine Einzelstrafe von längerer als fünfjähriger Dauer verhängt ist. RMGer. III. 3. April 1903. E. 5,19. Wird neben einer Gesamtstrafe auf Verlust der bürgerlichen Ehren­ rechte erkannt und ist die Zuerkennung dieser Nebenstrafe neben mehreren der Gesamtstrafe zugrunde liegenden Einzelstrafen zulässig, so ist die Zeit­ dauer der Nebenstrafe in der Urteilsformel immer nur einheitlich zu be­ stimmen. RMGer. PE. V. Nr. 100. Sind beim Zusammentreffen mehrerer Einzelstrafen Ehrenstrafen zulässig, so ist in den Urteilsgründen anzugeben, neben welchen Einzelstrafen die Ehrenstrafe als verwirkt erachtet worden ist. Vgl. RMGer. PE. II. Nr. 121. V. Nr. 100; VI. Nr. 86. 10) Stellt sich in der Hauptverhandlung eins der konkurrierenden militärischen Delikte als ein reines Disziplinarvergehen heraus, so ist auf Einstellung des Verfahrens wegen dieser Straftat zu erkennen. Vgl. § 316 Note 3 MStrGO. n) Über das Zusammentreffen mehrerer verwirkter Geldstrafen vgl. § 78 RStrGB.

§ 55.1) Auf erhöhte Strafe (§ 53) ist,2) sofern in diesem Gesetze2») nicht besondere Bestimmungen getroffen sind,9) zu erkennend) 1) gegen Vorgesetzte/) welche gemeinschaftlich mit Untergebenen eine strafbare Handlung ausführen8) oder sich sonst an einer strafbaren Handlung Untergebener betheiligen;7) 2) wenn strafbare Handlungen unter Mißbrauch der Waffen9) oder der dienstlichen Befugnisse9) oder während der Ausübung des Dienstes 10) ausgeführt werden;ii)

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Militär-Strafgesetzbuch für das Deutsche Reich.

3) wenn mehrere 12) unter Zusammenrottung *3) oder vor einer Menschenmenge^) strafbare Handlungen gemeinschaftlich15) aus­ führen. 16)17) *) Die Bestimmung des § 55 MStrGB. findet auch bei bürgerlichen Verbrechen und Vergehen (RMGer. II. 19. Sept. 1901 E. 1,290), nicht aber bei Übertretungen, ferner nur bei Freiheitsstrafen, nicht bei Geldstrafen Anwendung. Vgl. Note 1 und 3 zu Z 53 MStrGB. Unerheblich ist, ob das Delikt durch Begehung oder Unterlassung, ob es vorsätzlich oder fahr­ lässig begangen ist (vgl. das zit. Erk. d. RMGer.). So auch Gerland, KV. 1904. A. A. Mayer, Strafschärfungsgründe, Leipzig 1903, S. 13 ff., der auch bei Verübung einer strafbaren Handlung während der Ausübung des Dienstes zur Anwendbarkeit des § 55 MStrGB. vorsätzliche Begehung fordert. Bürgerliche Verbrechen oder Vergehen, welche unter einer der Vor­ aussetzungen des § 55 MStrGB. begangen sind, werden dadurch nicht zu militärischen Verbrechen oder Vergehen; es bedarf daher auch in diesen Fällen zur Strafverfolgung der- nach dem bürgerlichen Strafrechte etwa nötigen Strafanträge, vgl. Weiffenbach, Militärrechtliche Erörterungen, Band I S. 50. Durch die Straferhöhungsgründe des § 55 MStrGB. können mili­ tärische Vergehen (auch fahrlässige) zu militärischen Verbrechen werden. RMGer. zit. Erk. E. 1,290. PE. III. 110. § 55 MStrGB. ist auch bei Disziplinarbestrafungen i. S. d. § 3 Abs. 2 EG. zum MStrGB. anwendbar. 2) Es muß stets auf eine den zulässigen Mindestbetrag überschreitende Strafe erkannt werden. Vgl. Note 2 zu 8 53 MStrGB. 2a) Daß § 55 MStrGB. seinen Vorbehalt aus das MStrGB. be­ schränkt, ist bedeutungslos; auch in anderen Gesetzen enthaltene Bestimmungen (§§ 115, 124, 125 RStrGB.), die sich gegenüber dem § 55 eit. als besondere kennzeichnen, haben vor § 55 cit. unbestrittenen Vorrang. Mayer a. a. O. S. 18. 3) Wenn bei einem speziellen Delikt des II. Teils des MStrGB. oder bei einem bürgerlichen Delikt infolge Vorliegens eines der in Nr. 1—3 § 55 MStrGB. aufgeführten erschwerenden Momente eine höhere Straf­ androhung vorgesehen ist (vgl. u. a. §§ 89 Abs. 2, 91 Abs. 1, 95 Abs. 1, 97 Abs. 1 Satz 2 („unter dem Gewehr", „im Dienst") 110 Nr. 3 MStrGB., § 222 Abs. 2, § 223 a, § 330 Abs. 2 RStrGB.), oder wenn eins dieser er­ schwerenden Momente zum gesetzlichen Tatbestand eines militärischen oder bürgerlichen Delikts gehört (vgl. u. a. §§ 89 Abs. 1,106,125,138 Abs. 1 Satz l, 139, 140, 141, 142, 143,144, 145,149, 151 MStrGB.), so tritt eine erhöhte Strafe aus § 55 MStrGB. nicht ein. RMGer. PE. II. Nr. 149 c. IV. Nr. 139. III Nr. 135. Wird z. B. eine Körperverletzung, welche unter „Mißbrauch der Waffe" verübt ist, aus § 223 a RStrGB. gestraft, dann kann wegen des Umstandes, daß die Körperverletzung mittels einer Waffe (auch der Dienstwaffe) begangen ist, eine Erhöhung der Strafe aus § 55 Nr. 2 MStrGB. nicht stattfinden. Vgl. RMGer. I. 14. Juli 1902. E. 3,137, II. 21. Mai 1902. E. 3,40. PE. III. Nr. 149 a, V Nr. 101. A. A. Gerland, in KV. 1904, der im Gegensatz zum RMGer. darauf hinweist, daß hier nicht zweimal ein und derselbe Umstand bei der Strafschärfung berücksichtigt wird, sondern durchaus verschiedene Momente in Betracht kommen, einmal daß eine Waffe gebraucht und dann, daß die Dienstwaffe mißbraucht ist. Vgl. auch Mayer a. a. O. S. 19—. Das Straferhöhungsmoment der Zu­ sammenrottung ist im Tatbestände der gemeinschaftlich verübten Körper­ verletzung enthalten (§ 223 a RStrGB.) und deshalb bei diesem Delikt als

Erster Teil.

Von der Bestrafung im allgemeinen.

§ 55.

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besonderer Straferhöhungsgrund ausgeschlossen. Dasselbe gilt für die Delikte der §§ 115, 123 Abs. 2, 124, 125 RStrGB. Ebenso kann das Vor­ liegen einer der in Nr. 1—3 § 55 MStrGB. gegebenen erschwerenden Momente bei einem militärischen Delikte, für welches unter bestimmten Voraussetzungen eine erhöhte Strafe bereits angedroht ist (vgl. §§ 103 Abs. 2, 115, 125, 136 MStrGB.), wenn letztere Voraussetzungen vor­ liegen, nicht nochmals eine Erhöhung der Strafe auf Grund des § 55 MStrGB. begründen. Es kann ferner in den Fällen des § 138 Abs. 1 Satz 2 MStrGB. das erschwerenoe Moment der Begehung des Delikts „bei Ausübung des Dienstes" (§ 55 Nr. 2 MStrGB.) nicht nochmals eine Straferhöhung begründen, da Satz 1 Abs. 1 zit. bereits dies Moment bei der Strafandrohung berücksichtigt und Satz 2 des Abs. 1 cit. die gleiche Strafe wie Satz 1 cit. verhängt. Die besonderen Strafbestimmungen, die § 55 MStrGB. erhöhen will, stehen mit § 55 cit. in Gesetzeskonkurrenz, nicht etwa in Jdealkonkurrenz. Mayer a. a. O. S. 20. Nicht hierher gehören die Fälle, in denen es sich nicht um Erhöhung des ordentlichen für das Delikt angedrohten Strafrahmens, sondern um Erhöhung einer verwirkten Strafe handelt (§§ 72, 81 Abs. 2,103 Abs. 1 MStrGB.). Liegt in einem solchen Falle eine der Voraussetzungen oer Nr. 1—3 des § 55 MStrGB. vor, so ist zunächst die an sich verwirkte Strafe in Anwendung der §§ 53, 55 MStrGB. festzustellen und diese weiter zu erhöhen. 4) Da die Straferhöhung des § 55 MStrGB. in einer Erweiterung des ordentlichen Strafrahmens besteht, so kann sie beim Zusammen­ treffen mehrerer der im § 55 MStrGB., insbesondere der sub 1 aufge­ führten Straferhöhungsgründe nur einmal eintreten. 5) Über den Begriff „Vorgesetzter" vgl. Note 7 zu § 47 MStrGB. Von mehreren sich an der Handlung beteiligenden Vorgesetzten trifft die Straferhöhung des § 55 MStrGB. nicht nur den im Range höchsten, sondern alle beteiligten Vorgesetzten. 6) Mittäterschaft; es genügt der Versuch einer strafbaren Handlung. 7) Anstiftung, Beihilfe. Auf die Begünstigung strafbarer Handlungen der Untergebenen durch Vorgesetzte bezieht sich der § 55 Nr. 1 MStrGB. nicht, sofern sie nicht vor Begehung der Tat zugesagt und daher nach § 257 Abs. 3 RStrGB. als Beihilfe strafbar ist. Der Vorgesetzte, der als mittelbarer Täter die Handlung eines Untergebenen zu vertreten hat (vgl. insbes. § 47 MStrGB.), hat erhöhte Strafe nicht auf Grund des § 55 Nr. 1, sondern auf Grund des § 115 MStrGB. verwirkt. Mayer a. a. O. S. 32. Von mehreren an der Tat des Untergebenen beteiligten Vorgesetzten wird ein jeder, nicht nur der im Range höchste mit erhöhter Strafe belegt; anders aber im Falle des § 110 Nr. 3 MStrGB., der als besondere Bestimmung den Vorrang vor § 55 Nr. 1 MStrGB. hat. Mayer a. a. O. S. 32. 8) Unter „Waffen" im Sinne des § 55 MStrGB. sind lediglich die „Dienstwaffen", d. h. zu militärischer Verwendung bestimmte Waffen (RMGer. II. 29. März 1902, E. 2,244), von derjenigen Art und Beschaffenheit zu verstehen, welche der Soldat als solcher zu tragen berechtigt ist, einerlei, ob sie ihm eigentümlich gehören oder einem Kameraden, und einerlei, ob sie ihm oder einem Kameraden — irgend welcher Dienstkategorie — zum dienstlichen Gebrauch überlassen sind. RMGer. II. 15. Jan. 1902. E. 2,166. Es kommen daher auch die an Stelle der Dienstwaffe getragenen eigenen Waffen in Betracht. RMGer. II. 4. Sept. 1901. E. 1,264. Die Säbelscheide als solche ist keine Waffe, wohl aber ein gefährliches Werk­ zeug im Sinne des § 223 a RStrGB. Das Zielgewehr ist Waffe im Sinne des § 148 MStrGB. (nicht aber „Dienstwaffe" im Sinne des §149 MStrGB.);

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Militär-Strafgesetzbuch für das Deutsche Reich.

RMGer. II. 29. März 1902. E. 2,244. PC. II, Nr. 168. Im Sinne des § 55 MStrGB. dürfte das Zielgewehr zu den Waffen zu rechnen sein. Der Mißbrauch kann sich gegen Personen oder Sachen richten. Im Gegensatz zum „Gebrauchen" der Waffe (§ 149 MStrGB.), d. h. der der Bestimmung der Waffe und der Unterweisung gemäßen Benutzung der Waffe (RMGer. II. 21. Mai 1902. E. 3,40) ist Mißbrauch der Waffe eine Verwendung derselben, welche der Bestimmung der Waffe, wie sie sich aus ihrer Natur und Art ergibt, widerspricht; z. B. Stoßen mit dem Gewehr, Schlagen mit der Klinge in der Scheide, Flachschlagen mit der Klinge des Seitengewehrs oder Säbels, wie ;ede Verwendung der Waffe in der Art eines stumpfwirkenden Instruments. RG. IV. 8. Mai 1894. E. 25,348. RMGer. II. 21. Mai 1902. E. 3,40. Auch der dem Zweck der Waffe widersprechende Gebrauch ist Mißbrauch der Waffe; Dienstwaffen haben regelmäßig den Zweck, als Angriffs- oder Verteidigungsmittel gegen Menschen zu dienen. Das Erschießen eines Hundes mit dem Dienstgewehr, die Jagdausübung mit demselben enthalten einen Mißbrauch derselben, vorausgesetzt, daß diese Handlungen nicht auf dienstlicher Anordnung be­ ruhen. Mayer a. a. O. S. 35. Im übrigen ist nicht der objektive, sondern der subjektive Sachverhalt entscheidend; es kommt auf die Absicht des Täters an. Wollte er scharf schlagen, so kommt nicht § 55, sondern § 149 MStrGB. zur Anwendung, auch wenn der Hieb flach traf. Umgekehrt kommt § 55 in Betracht, wenn der Täter flach schlagen wollte, aber aus Zufall scharf traf. RMGer. II. 21. Mai 1902. E. 3,40. Für den Mißbrauch der Waffen gegen Sachen ist es unerheblich, ob die Waffe ihrer Bestimmung gemäß oder gegen ihre Bestimmung bei einer strafbaren Handlung verwendet wird. A. A. Mayer a. a. O. S. 34. Zweifelhaft ist, ob die Waffe gebraucht, d. h. mit ihr auf eine Person oder Sache körperlich eingewirkt sein muß, oder ob das Drohen mit der Dienst­ waffe, das Ziehen derselben, das Verfolgen mit blanker Waffe zur event. Annahme ihres Mißbrauchs genügt. Vgl. das Nähere zu § 149 MStrGB. 9) Mißbrauch der dienstlichen Befugnisse besteht in der rechtswidrigen bezw. bestimmungswidrigen Ausübung oder Unterlassung derselben; unter Mißbrauch der dienstlichen Befugnisse fällt auch die Unterlassung einer durch eine Dienstpflicht gebotenen Handlung. Soweit bei bestimmten militärischen Delikten, wie in §§ 114—126, 129 Nr. 2, 141, 143 MStrGB. besondere Vorschriften über den Mißbrauch der dienstlichen Befugnisse (Dienstgewalt) getroffen sind, kann eine Straferhöhung aus § 55 Nr. 2 MStrGB. wegen Mißbrauch der dienstlichen Befugnisse nicht eintreten, vgl. Note 3 oben. 10) Der Begriff „Ausübung des Dienstes" umfaßt alle militärischen Verrichtungen, gleichviel ob sie auf besonderen, für den einzelnen Fall oder aus speziellem Anlaß gegebenen Befehl vorgenommen werden oder ob sie auf allgemeiner Vorschrift über die aus Dienstgrad oder Dienst­ funktion entspringenden Obliegenheiten beruhen. Es kommt also nicht etwa nur ein ausdrücklich angesetzter Dienst oder eine besonders befohlene Dienst­ verrichtung in Betracht. Die Anwendung des § 55 Nr. 2 MStrGB. setzt voraus, daß der Täter sich in Ausübung des Dienstes befindet. Ob die Person, gegen welche die Tat verübt ist, in Ausübung des Dienstes war oder nicht, kommt für die Anwendung dieser Gesetzesbestimmung nicht in Betracht. RMGer. PE. I. Nr. 118. Es wird die Ausübung einer speziellen Dienstverrichtung zur Zeit der Begehung der Tat vorausgesetzt. RMGer. PE. II. Nr. 149 b. Vgl. ferner Note 5 zu 8 49 MStrGB. Hinsichtlich des Begriffes „Dienst" vgl. Note 3 zu § 12 und Note 2 zu § 49 MStrGB.

Erster Teil.

Von der Bestrafung im allgemeinen.

§ 55.

77

Der eine Truppe führende Vorgesetzte befindet sich in Ausübung des Dienstes von der Übernahme bis zur Entlassung der Truppe, also auch während des Heimführens der Truppe nach der Kaserne. Die dienstlich angeordnete und beaufsichtigte Putz- und Flickstunde erfüllt den Begriff „während Ausübung des Dienstes". Die gerichtlichen Zeugenaussagen, Vernehmungen sind nicht als Ausübung des Dienstes anzusehen. Ist eine Korporalschaft nach dem Befehl zum Antreten auf dem Flure zwecks Be­ sichtigung oes Anzuges teilweise angetreten, während ein anderer Teil sich noch auf den Stuben aufhält, so befindet sich der Unteroffizier, wenn er sich mit den Anzügen der auf dem Flure angetretenen Leute beschäftigt, in Ausübung des Dienstes, auch wenn die Leute noch nicht verlesen sind. Eine Befehlsordonnanz eines Schiffes, die im Dienstanzug dienstlich an Land geschickt wird, ist — abgesehen von dem Falle der unerlaubten Ent­ fernung oder Fahnenflucht — bis zur Rückkehr an Bord nicht nur als im Dienst, sondern auch als in Ausübung des Dienstes befindlich zu erachten. RMGer. PE. V. Nr. 101. n) Da der Begriff „in Ausübung des Dienstes" im § 188 PrMStrGB. nicht Tatbestandsmerkmal ist, so ist bei Gendarmen, welche in Ausübung oder bei Gelegenheit der Ausübung des Dienstes sich des Mißbrauchs ihrer Dienstgewalt schuldig machen (§ 188 Pr. MStrGB.) eine Straf­ erhöhung aus § 55 Nr. 2 stets erforderlich, sofern unter gleichen Verhält­ nissen ein militärischer Vorgesetzter aus dem Grunde, weil die strafbare Handlung währeno der Ausübung des Dienstes begangen wurde, mit er­ höhter Strafe zu belegen gewesen wäre. RMGer. I. 10. Februar 1902. E. 2,193. PE. III. Nr. 121, vgl. auch Note 1 zu § 2 EG. z. MStrGB. Ausgeschlossen ist § 55 Nr. 2 bei §§ 892, 95, 138, 141, 143 MStrGB. RMGer. PE. IV. Nr. 139; II. Nr. 149 eit.; III Nr. 135; vgl. auch oben Note 3. 12) Es genügen zwei Personen, es müssen aber Personen des Soldaten­ standes sein. 13) Zusammenrottung setzt ein räumliches Zusammentreten oder Zu­ sammensein von mindestens zwei Personen voraus; es muß nach außen sich erkennen lassen, daß die Teilnehmenden zu gemeinschaftlichem, gleichzeitigem, in seiner Rechtswidrigkeit erkennbarem Zusammenwirken entschlossen sind. RG. III. 29. April 1886. R. 8,322. I 22. Okt. 1885. E. 13,17. R. 7,6og. II. 1. Juni 1880. E. 2,80. III. 25. Sept. 1880. E. 3,i. Eine Zusammenrottung liegt auch dann vor, wenn zwei Personen des Soldatenstandes — gleich­ gültig aus welchem Grunde — bereits vor der Tat zusammen waren und sich nun zu gemeinsamem Handeln, nach außen erkennbar, verbinden. RMGer. II. 2. Juli 1902. E. 3,128. Daß die Zusammengerotteten etwa die Absicht haben, ihre Gewalt zu rechtswidrigen Handlungen zu gebrauchen, ist nicht nötig. Mayer a. a. O. S. 50. 14) Ob eine größere Zahl von Personen eine Menge von Menschen bildet, ist Sache tatsächlicher Feststellung und hängt von den Umständen des konkreten Falles, insbesondere von den Verhältnissen des Ortes, der Zeit, den zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Ruhe und Ordnung vor­ handenen Kräften der Obrigkeit ab. Auf eine ungezählte Menge oder eine ungemeffene Vielheit von Menschen ist der Begriff der „Menschenmenge" nicht beschränkt. RG. II. 23. Ort. 1883. E. 9,143. Zwei Personen genügen für den Begriff der Menschenmenge nicht. Daß die Menschenmenge aus­ schließlich aus Personen des Soldatenstandes besteht, ist nicht erforderlich, ebensowenig die Öffentlichkeit der Handlung. Ölsh. Note 7 zu § 110 und Mayer a. a. O. S. 53 erfordern ferner mit Recht für den Begriff der Menschenmenge eine ungeordnete Mehrzahl von Menschen. 15) d. h. in bewußtem und gewolltem Zusammenwirken. Eine vor­ ausgegangene Abrede ist nicht erforderlich; der einzelne muß sich nur

78

Militär-Strafgesetzbuch für das Deutsche Reich.

bewußt sein, daß mehrere zusammenwirkend tätig sind. RG. III. 8. Mai 1880. R. 1,742. II. 26. Sept. 1882. R. 4,715. RMGer. PE. III. Nr. 141. Vgl. auch die Noten zu § 47 RStrGB. 16) § 55 MStrGB. enthält straferhöhende Umstände i. S. der §§ 318, 323, 326 MStrGO.; vgl. auch RMGer. PE. IV. Nr. 63. 17) Die Straferhöhungsgründe des § 55 MStrGB. enthalten gesetz­ liche Strafzumessungsgründe; sie sind daher nicht in der Urteilsformel, sondern nur in den Gründen zum Ausdruck zu bringen. Vgl. auch RMGer. PE. IV. Nr. 66 d.

Zweiter Theil. Von den einzelnen Verbrechen und Vergehen und deren Bestrafung. Erster Titel.

Militärische Verbrechen und Vergehen der Personen des Soldatenstandes.

Erster Abschnitt?)?)

Hochverrath, Landesverrath, Kriegsverrath.

§ 56.3) (KG. §§ 621, 45 MStrGO.) Auf eine Person des Soldatenstandes, welche sich eines Hochverraths oder eines Landesverraths schuldig macht, finden die Vorschriften des Deutschen Straf­ gesetzbuches (§§ 80—93) Anwendung. 4) 1) Die Vorschriften des ersten Abschnitts finden im Felde auch auf Militärbeamte Anwendung; § 153 MStrGB. 2) In Untersuchungen wegen Landesverraths sind militärische Gut­ achten stets durch Vermittelung des Kriegsministeriums einzuholen. AB. zu § 218 MStrGO. 3) Die Vorschrift des § 56 MStrGB. enthält lediglich ein gemein­ strafrechtliches Reat. 4) Vgl. bezüglich der neuen Fassung des §§ 89 und 90 RStrGB. § 11 des Reichsges. betreffend den Verrat militärischer Geheimnisse v. 3. Juli 1893. Bezügl. minder schwerer Fälle vgl. § 90 Abs. 2 RStrGB. Fahnenflüchtige, in fremde Kriegsdienste getretene Personen des Soldatenstandes, welche nach Ausbruch eines Krieges zwischen dem Staate, in dem sie Kriegsdienste genommen haben, und dem Deutschen Reiche in diesem Kriegsdienste verbleiben, begehen einen Landesverrat rm Sinne des § 88 RStrGB. § 52 RStrGB. findet Anwendung. Das Verbrechen des Hochverrats oder Landesverrats, von einer Militär­ person begangen, enthält eine Verletzung besonders heiliger militärischer Pflichten, welche hinsichtlich der bei der Straffestsetzung zwischen Zuchthaus und Festungshaft gelassenen Wahl im Hinblick aus § 20 RStrGB. zu be­ rücksichtigen sein werden. 5) In prozessualer Hinsicht ist auf §§ 158, 252 MStrGO. zu ver­ weisen.

§ 57. (KG. §§ 62i, 45 MStrGO.) Wer im Feldei) einen Landesverraths begeht, wird wegen KriegsverrathZb) mit Zuchthalls

Zweiter Teil. Einzelne Verbrechen und Vergehen usw. §§ 56—58. 79 nicht unter zehn Jahren oder mit lebenslänglichem Zuchthaus be­ straft. !) Vgl. §§ 9 und 10 MStrGB. 2) §§ 87—92 RStrGB.; der im Felde begangene Hochverrat ist ein bürgerliches Verbrechen und nach § 56 MStrGB., §§ 80—86 RStrGB. strafbar. Auch Ausländer, welche im deutschen Heere stehen (Kriegsfrei­ willige), können Landesverrat im Sinne der §§ 87 und 89 RStrGB. be­ gehen. Olsh. Note 2 zu 8 87 RStrGB. Kriegsverrat im Sinne des § 57 MStrGB. und § 88 RStrGB. kann von Ausländern nicht begangen werden. 3) Kriegsverrat ist ein militärisches Verbrechen; als Täter kommen außer Militärpersonen das sog. Gefolge der Armee, sowie Ausländer und Deutsche in Betracht, sofern sie die Handlung auf dem Kriegsschauplatz be­ gehen. §§ 155—157, 160 MStrGB.

§ 58. (KG. §§ 621, 45 MStrGO.) Wegen Kriegsverräthst (§ 57) wird mit dem Tode bestraft, roet2) mit dem Vorsatzes) einer feindlichen Macht4) Vorschub 511 leisten5) oder den deutschen oder ver­ bündeten Truppen6) Nachtheil zuzufügen, 1) eine der im § 90 des Deutschen Strafgesetzbuches bezeichneten strafbaren Handlungen begeht/) 2) Wege oder Telegraphenanstalten zerstört oder unbrauchbar macht, 3) das Geheimniß3) des Postens, das Feldgeschrei oder die Losung3) verräth/3) 4) vor dem Feinde") Meldungen^) oder dienstliche Mittheilungen falsch macht, oder richtige zu machen unterläßt, 5) dem Feinde als Wegweiser zu einer militärischen Unternehmung gegen deutsche oder verbündete Truppen dient, oder als Weg­ weiser kriegführende deutsche oder verbündete Truppen irre leitet, "b)

6) vor dem Feinde,n) in einer Weise, welche geeignet*2) ist, die Truppen zu beunruhigen oder irre zu leiten, militärische Signale oder andere Zeichen gibt,13) zur Flucht auffordert oder das Sammeln zerstreuter Mannschaften verhindert, 7) einen Dienstbefehl ganz oder theilweise unausgeführt läßt oder eigenmächtig abändert, 8) es unternimmt/4) mit Personen im feindlichen Heer, in der feind­ lichen Marine oder im feindlichen Lande über Dinge, welche die Kriegführung betreffen/5) mündlich oder schriftlich Verkehr zu pflegen oder einen solchen Verkehr zu vermitteln, 9) feindliche Aufrufe oder Bekanntmachungen im Heer verbreitet/3) 10) die pflichtmäßige *^) Fürsorge für die Verpflegung der Truppen unterläßt, 11) feindliche Kriegsgefangene freiläßt/?) oder

80

Militär-Strafgesetzbuch für das Deutsche Reich.

12) dem Feinde

ein Signalbuch 18)

oder einen Auszug

aus

einem

solchen mittheilt. In minder schweren Fällen^) tritt Zuchthaus nicht unter zehn

Jahren oder lebenslängliches Zuchthaus ein. x) Durch den Hinweis auf § 57 MStrGB. ergibt sich, daß die Tat unter einer der Voraussetzungen der §§ 9,10 MStrGB., also „im Felde" begangen sein muß. 2) Vgl. Note 3 zu § 57 MStrGB. 3) Der Täter muß die Handlung gewollt haben; er muß sich ferner bei Vornahme der Handlung bewußt sein, daß dieselbe geeignet ist, einer feindlichen Macht Vorschub zu leisten oder den deutschen oder verbündeten Truppen Nachteil zuzufügen; eine dahin gehende Absicht wird nicht er­ fordert, auch nicht der Eintritt eines derartigen Erfolges. 4) Unter feindlicher Macht ist nicht nur die Kriegsmacht des Feindes zu verstehen; unter den Begriff fällt jede Kraft, welche im Kriege gegen das Deutsche Reich zur Verwendung kommen kann; auch staatlich nicht an­ erkannte Freischaren gehören zur feindlichen Macht. Vgl. Olsh. Note 1 und Oppenhf. Note 3 zu 8 89 RStrGB. 5) Vorschubleisten ist jede Förderung, günstigere Gestaltung der (mili­ tärischen, politischen oder materiellen) Verhältnisse der feindlichen Macht. 6) Zu den Truppen gehören auch die militärischen Behörden und An­ gehörige der Deutschen oder verbündeten Kriegsmacht; in der engen Be­ deutung einer Anzahl organisierter Militärpersonen ist der Begriff der Truppe hier nicht aufzufassen. 7) 8 90 RStrGB. lautet: Lebenslängliche Zuchthausstrafe tritt im Falle des 8 69 ein, wenn der Täter 1) Festungen, Pässe, besetzte Plätze oder andere Verteidigungsposten, ingleichen Teile oder Angehörige der deutschen oder einer verbündeten Kriegsmacht in feindliche Gewalt bringt; 2) Festungswerke, Schiffe oder Fahrzeuge der Kriegsmarine, öffentliche Gelder, Vorräte von Waffen, Schießbedarf oder anderen Kriegsbe­ dürfnissen, sowie Brücken, Eisenbahnen, Telegraphen und Transport­ mittel in feindliche Gewalt bringt oder zum Vorteile des Feindes zerstört oder unbrauchbar macht; 3) dem Feinde Mannschaften zuführt oder Angehörige der deutschen oder einer verbündeten Kriegsmacht verleitet, zum Feinde über­ zugehen; 4) Operationspläne oder Pläne von Festungen oder festen Stellungen dem Feinde mitteilt; 5) dem Feinde als Spion dient oder feindliche Spione aufnimmt, ver­ birgt oder ihnen Beistand leistet, oder 6) einen Aufstand unter Angehörigen der deutschen oder einer ver­ bündeten Kriegsmacht erregt. In minder schweren Fällen kann auf Zuchthaus nicht unter zehn Jahren erkannt werden. Sind mildernde Umstände vorhanden, so tritt Festungshaft nicht unter fünf Jahren ein. „ Neben der Festungshaft kann auf Verlust der bekleideten öffentlichen Ämter, sowie der aus öffentlichen Wahlen hervorgegangenen Rechte er­ kannt werden. Zu 1: Festung ist ein für längere Dauer künstlich verstärkter Platz, wenn er auch nur sturmfrei, Waffen- oder Sammelplatz ist. Auch feind­ liche von deutschen oder verbündeten Truppen besetzte Festungen gehören

Zweiter Teil.

Einzelne Verbrechen und Vergehen.

§ 58.

81

hierher. Pässe sind Wegeengen in sonst ungangbarem Gelände. Verteidigungsposten find zur Abwehr des Feindes besetzte Geländepunkte, Örtlich­ keiten. (Vorübergehende Feldbefestigungen, Verschanzungen.) Zu 1, 3, 6: Die Zugehörigkeit zur Kriegsmacht beurteilt sich nach den militärischen Einrichtungen des Deutschen Reichs, nicht nach denen des Feindes. Zu 2: Festungswerke sind Teile von Festungen (z. B. Forts). Zu den Schiffen gehören auch Kauffahrteischiffe. Unter Vorrat ist eine erhebliche Menge zu verstehen, welche zur Versorgung des Heeres (Marine) für den Bedürfnisfall zusammengebracht ist. Als Eisenbahnen im Sinne des § 90 Nr. 2 RStrGB. kommen alle Eisenbahnen ohne Rücksicht auf die Art der Betriebskraft in Betracht (auch Pferdebahnen). Kriegsbedürfnisse sind Gegenstände aller Art, welcher das Heer (Marine) bedarf (Lebensmittel, Fourage, Munition usw.). Die Zerstörung und Unbrauchbarmachung muß zum Vorteile des Feindes geschehen; die Zerstörung usw. dieser Gegenstände ist nicht strafbar, wenn durch sie ver­ hütet werden soll, daß die Gegenstände in die Hand des Feindes fallen. Zu 3: Mannschaften sind eine Mehrheit von Militär- oder Zivil­ personen, welche entweder schon diszipliniert und bewaffnet sind oder es werden sollen. Auch Mannschaften des Feindes kommen in Betracht. Die Verleitung muß oas wirkliche Übergehen zum Feinde zur Folge haben. RG. I. 10. Nov. 1881. E. 5,125. Andernfalls kommt nur Versuch in Frage. Der Begriff „Angehörige" umfaßt auch die einzelne Person. Zu 4: Operationspläne sind alle allgemeinen oder speziellen Anord­ nungen für die Leitung des kriegführenden Heeres. Zu 5: Als Spion ist zu erachten, wer zur Begünstigung des Feindes heimlich (bei einer Militärperson unter Verbergung dieser Eigenschaft) militärisch wichtige Umstände (z. B. den Zustand des Heeres, des Lagers, der Befestigungen, der Magazine, ferner die Stärke, Stellungen, Bewe­ gungen des deutschen oder des verbündeten Heeres (Marine) oder den An­ griff oder die Verteidigung betreffende Umstande) zu erspähen sucht. RS. des Pr. Gen.-Audit. v. 25. Juli 1870. Nach der Brüsseler Deklaration v. Jahre 1874 ist als Spion zu betrachten, wer heimlich oder unter unrich­ tigen Vorwänden in feindlicherseits besetzten Örtlichkeiten Informationen in der Absicht, sie zur Kenntnis der Gegenseite zu bringen, emzieht oder einzuziehen sucht. Das entscheidende Moment besteht in der Heimlichkeit oder Täuschung. Erkunden in dieser Weise (z. B. verkleidet) Kombattanten, so fallen sie unter den Begriff Spion; vgl. Kriegsgebrauch im Landkriege (Heft 31 der vom Großen Generalstabe herausgegebenen Einzelschriften), S. 30, 31. Abkommen der Haager Friedenskonferenz. Abschn. 2, Kap. 2, Art. 29 v. 27. Juli 1899 RGBl. S. 436. Nr. 5 des § 90 RStrGB. enthält eine Spezialbestimmung, welche § 257 Abs. 2 RStrGB. ausschließt. Vgl. Note 3 zu § 90 RStrGB. Die Pflege des verwundeten Spions fällt nicht unter § 90 Nr. 5 cit. Zu 6: Fehlt es an dem Vorsatz, einer feindlichen Macht Vorschub zu leisten usw., so ist § 100 MStrGB. anwendbar. 8) D. i. die besondere geheime Instruktion über Zwecke und Aufgabe des Postens (auch Doppelpostens, der Vorposten, Unteroffizier- und Offizier­ posten). Unter oen Begriff „Posten" fällt jede Postierung, d. h. auch ge­ gebenenfalls ein Detachement. 9) Losung, Feldgeschrei sind insgeheim ausgegebene Erkennungsworte (Worte — Gegenworte), durch deren Kenntnis die Zugehörigkeit zur deutschen oder verbündeten Streitmacht dargetan wird. 10) Der Verrat wird begangen durch Kenntnisgabe der geheim zu haltenden Tatsachen nicht nur an den Feind, sondern an jede Person, Herz u. Ernst, Strafrecht der Militärpersonen.

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Militär-Strafgesetzbuch für das Deutsche Reich.

welche von der Kenntnisnahme ausgeschlossen ist. Die fahrlässige Kund­ gabe der erwähnten Tatsachen fällt unter die Vorschrift der §§ 62, 141 MStrGB. 11) Vgl. § 11 MStrGB. Fehlt bei Ziffer 4 dies Tatbestandsmerkmal, so ist § 57 MStrGB., § 89 RStrGB. anwendbar. ii») Mündliche oder schriftliche, immer aber dienstliche Meldungen. Erfordert wird eine vorsätzliche Handlung. nb) Das Abkommen der Haager Friedenskonferenz v. 29. Juli 1899 verbietet in Absch. 3 Art. 44 dre Bevölkerung eines besetzten Gebiets zur Teilnahme an den Kriegsunternehmungen gegen ihr eigenes Land zu zwingen. Lueder, Landkriegsrecht (Band IV, S. 478 des v. Holtzendorffschen Völkerrechts): „Auch hier ist gestattet, was notwendig sein muß. Für ine Heeresleitung ist es notwendig, und keine wird sich, wenn sie sich wirk­ lich in der Notlage der Unkenntnis des Weges, den sie kennen muß, be­ findet, abhalten lassen, die Aufzeigung desselben durch die Landesbewohner zu erzwingen." Der den Weg angebende Landesbewohner kann sich ge­ gebenenfalls in einem Notstände befinden, welcher die Strafe des Landes­ verrats ausschließt. Vgl. auch § 54 RStrGB. Das Jrreführen muß ein vorsätzliches sein. Der Soldat kann sich mit „Notstand" nicht entschuldigen. § 49 Abs. 1 MStrGB. 12) Der Eintritt einer Beunruhigung oder eine tatsächlich erfolgte Irreleitung wird nicht erfordert. 13) Militärische Signale: durch Hörner, Trommel, Trompete, Flaggen usw. Andere Zeichen: Fanale, Raketen, Feuerzeichen usw. 14) Unternehmen umfaßt jede Handlung, die zur Erreichung des in § 58 MStrGB. bezeichneten Vorhabens vorgenommen wird; es genügt jede vorbereitende Handlung, eine Versuchshandlung, d. h. eine Handlung, welche den Anfang der Ausführung jenes Vorhabens enthält, ist nicht er­ forderlich. Versuch und Vollendung des bezeichneten Vorhabens fallen selbstverständlich auch unter den Begriff des Unternehmens. Rücktritt vom Versuche (§ 46 RStrGB.) findet nicht Anwendung. 15) Z. B. Mitteilungen über Stärke, Stellung, Bewegungen der Truppen, Beschaffung des Proviants, Ersatz der Munition usw. 16) Unter Verbreiten ist das Zugänglichmachen an eine größere An­ zahl von wenn auch der Zahl und Individualität nach bestimmten Per­ sonen zu verstehen. RG. F.S. 10. Sept. 1897. E. 30,224. Die Übersendung des Aufrufs usw. an eine einzelne Person ist als Verbreitung anzusehen, wenn sie mit der Absicht erfolgt, daß die Schrift einem größeren Personen­ kreise zugänglich gemacht werden soll. RG. II. 28. Sept. 1880. E. 2,270. II. 28. Sept. 1883. E. 9,71. II. 5. Okt. 1882. E. 7,113. III. 10. Okt. 1887. E. 16,245. Gefordert wird aber ein Mitteilen von Hand zu Hand, bloßes Verlesen des Inhalts der Schrift allein genügt mcht. RG. III. 24. Nov. 1884. E. 11,382. i6a) D. h. dienstlich obliegende. 17) Es genügt die Freilassung eines Kriegsgefangenen. 16) Signalbücher sind in der Kais. Marine eingeführt. 19) Hinsichtlich der Voraussetzungen eines „minder schweren Falles" im Sinne des MStrGB. ist die Straftat nicht ausschließlich nach ihrer objektiven Seite, sondern in allen ihren Beziehungen, also auch nach ihrer subjektiven Seite einer Prüfung zu unterziehen. Es sind demnach auch die in der Person des Täters liegenden, eine mildere Auffassung rechtfertigen­ den Umstände nicht außer acht zu lassen. RMGer. I. 14. Febr. 1901. E. 1,35. A. M. Gerland in K.V. 1904, der unter minder schwerem Fall nur einen objektiv leichteren Fall verstanden wissen will und u. a. darauf hinweist, daß das MStrGB. und das RStrGB. sich ergänzende Gesetze sind und

Zweiter Teil.

Einzelne Verbrechen und Vergehen.

§§ 59, 60.

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es für nicht angängig hält, in beiden Gesetzen gleich benannte Begriffe in verschiedenem Sinne aufzufassen und in doppelter Bedeutung zu verwenden. — Ist die Berufung wegen zu geringer Strafe oder wegen Annahme des Vor­ liegens eines minder schweren Falles eingelegt, so ist dadurch die Schuld­ frage nicht angefochten. RMGer. I. 25. Juli 1901. E. l,24i; die Frage, ob mildernde Umstände oder ein minder schwerer Fall vorliegt, fällt ins Ge­ biet der Strafzumessung. RMGer. I. 12. Juli 1901. E. 1,220.

§ 59. (KG. §§ 62S 45 MStrGO.) Kriegsverrath verabredet, ?) ohne daß es

Haben Mehrerei) einen zur Ausführung oder zu

einem strafbaren Versuche desselben gekommen ist, so tritt Zuchthaus

nicht unter fünf Jahren ein. 1) Es genügen zwei Personen. RG. I. 4./11. Juli 1887. E. 16,173. Als Täter kommen auch Zivilpersonen in Betracht, die Kriegsverrat begehen können. Vgl. Note 3 zu 8 57 MStrGB. 2) Die an sich eine strafbare Vorbereitungshandlung darstellende Ver­ abredung des Kriegsverrats (§§ 57, 58 MStrGB.) ist als selbständiges Delikt mit Strafe bedroht. Einen strafbaren Versuch dieses Verbrechens gibt es nicht. Vgl. Olsh. Note 2 a zu 8 83 RStrGB. Auf den Rücktritt von der Verabredung des Kriegsverrats finden, abgesehen von der Bestim­ mung des 8 69 MStrGB., die Strafbefreiungsgründe für den Rücktritt vom Versuche (8 46 RStrGB.) keine Anwendung. RG. II. 29. April 1884. E. 10,324. Eine Verabredung liegt erst vor, wenn es durch Einigung der Be­ ratenden zu einem Entschlüsse, und zwar zu dem Entschlüsse, einen be­ stimmten konkreten Kriegsverrat zu begehen, gekommen ist. Daß Art, Ort, Zeit der Ausführung der Tat bestimmt sind, wird nicht erfordert. Welche Rolle die Verabredenden bei der Tat spielen sollen, ob alle Täter, oder ob der eine Täter, der andere Gehilfe sein soll, ist unerheblich. Wird der Kriegsverrat verübt, so finden 88 57, 58 MStrGB. Anwendung. Die Beihilfe zum Verbrechen der Verabredung eines Kriegsverrats ist aus 8 49, die Anstiftung aus 8 48 RStrGB., 8 2 MStrGB. strafbar.

§ 60. (KG. 88 62r, 45 MStrGO.) äßet1) von dem Vorhaben2) eines Kriegsverraths (8§ 57 bis 59) zu einer Zeit, in welcher die Verhütung des Verbrechens möglich ist,3) glaubhafte Kenntnis^) er-

hältö) und es unterläßt/') hiervon3) rechtzeitig?) Anzeige3) zu machen, ist, wenn das Verbrechen oder ein strafbarer Versuch desselben be­ gangen worden,3) mit der Strafe des Mitthäters zu belegen?3)

2) Als Täter kommt jede Person des Soldatenstandes in Betracht, gleichgültig, ob sie im Felde steht oder nicht. Militärbeamte und das Ge­ folge des Heeres sind zur Anzeige nur verpflichtet, wenn sie sich „in: Felde" befinden; 88 153, 155 MStrGB. Voraussetzung für die Täterschaft ist die Nichtbeteiligung (Täterschaft, Mittäterschaft, Beihilfe, Anstiftung) an dem Vorhaben des Kriegsverrats. Vgl. 8 61 MStrGB. RG. III. 25. Sept. 1880. E. 3,i. R. 2,257. Dagegen begründet eine Begünstigung (8 257 RStrGB.) des Kriegsverrats durch einen Anzeigepflichtigen für diesen eine Straflosigkeit der unterlassenen Anzeige nicht. Die Anzeigepflicht besteht auch für denjenigen, welcher von der Zeugnispflicht befreit ist. RG. III. 15. Mai 1880. E. 2,57. R. 1,758.

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Militär-Strafgesetzbuch für das Deutsche Reich.

2) Ein „Vorhaben" des Kriegsverrats liegt vor, so lange die Absicht besteht, einen solchen zu verüben, mag sich die Absicht auch bereits in Vorbereitungs- oder Versuchshandlungen betätigt haben. RG. I. 7. Juni 1886. E. 14,214. R. 8,425. Auch nach Begehung des Kriegsverrats besteht ein Vorhaben desselben noch weiter, so lange die Fortsetzung der verräterischen Tätigkeit durch ein und dieselbe Handlung beabsichtigt wird. § 73 RStrGB. RG. I. 7. Juni 1886. E. 14,214. Olsh. Note 2 zu 8 139 RStrGB. 3) Es ist dies nach den vorliegenden gesamten Umständen zu beur­ teilen, die subjektive Meinung des Täters ist nicht maßgebend. 4) Der Täter muß mindestens selbst an die Wirklichkeit und Ernstlich­ keit des Vorhabens geglaubt haben. RG. II. 13. Nov. 1894. GA. 42,394. Ob der Täter gewußt hat, daß in dem zu seiner Kenntnis gekommenen Tatbestand die Kriterien des Kriegsverrats zu erblicken sind, ist unerheblich. 5) Nicht nur die vorsätzliche, auch die fahrlässige Unterlassung erfüllt den Tatbestand des § 60 MStrGB. Olsh. Note 12 zu § 139 RStrGB. Daß die Anzeigeerstattung mit persönlicher Gefahr für den Anzeigenden verbunden ist, schützt den Täter nicht. § 49 MStrGB. 6) D. h. von dem Vorhaben des Kriegsverrats. Die Weigerung, die Namen der Beteiligten zu nennen, ist nur dann nach § 60 strafbar, wenn diese Angabe zur Verhütung der Tat erforderlich ist. 7) D. h. zu einer Zeit, in welcher die Verhütung der Tat noch mög­ lich ist; insofern trägt der Täter die Verantwortung für eine Verzögerung der Anzeige. 8) Es genügt die Anzeige bei dem dienstlich Vorgesetzten oder einer auch nichtmilitärischen Behörde (Polizei usw.). Die Kenntnis, daß der Vorgesetzte usw. bereits um das Vorhaben weiß, hebt die Anzeigepflicht nicht auf. Vgl. Olsh. Note 7 zu 8 139 RStrGB. 9) Verhindert der Anzeigepflichtige die Ausführung der Tat, so ent­ fällt eine Anzeigepflicht. Ev. wird § 147 MStrGB. anwendbar, vgl. Koppmann Note 10 zu § 60 MStrGB. In der Begehung des Kriegsverrats liegt nicht ein Tatbestandsmoment, sondern lediglich eine Bedingung der Strafbarkeit der nach § 60 MStrGB. strafbaren Handlung. Ob der Kriegsverrat bestraft wird oder aus irgend einem Grunde straflos bleibt (§ 46 RStrGB., § 61 MStrGB.), ist für die Strafbarkeit der Unterlassung der Anzeige ohne Einfluß. 10) Vollendet ist die Tat mit der Unterlassung der Anzeige. Eine spätere Anzeige bewirkt Straflosigkeit, sofern sie noch eine rechtzeitige ist. Die Strafe des Mittäters ist die des Täters; § 47 RStrGB.

§ 61. Straflosigkeit tritt für den an dem Vorhaben i) eines Kriegsverraths Beteiligten2), ein,3) wenn er von demselben zu einer Zeit, wo die Dienstbehörde4) nicht schon anderweit davon unterrichtet ist, in einer Weise Anzeige macht/) daß die Verhütung des Ver­ brechens möglich ist.6)7) 1) Vgl. Note 2 zu 8 60 MStrGB. und 88 57—59 das. 2) Beteiligte sind Täter, Mittäter, Anstifter, Gehilfen. Vgl. 88 47—49 RStrGB. 3) Der im 8 61 MStrGB. anerkannte Strafausschließungsgrund der tätigen Reue tritt nur für den Anzeigenden ein. 4) Es kommt hier jede zum Einschreiten zuständige Dienststelle in Betracht. 5) Vgl. Note 8 zu 8 60 MStrGB. Es genügt die Anzeige des Vor-

Zweiter Teil.

Einzelne Verbrechen und Vergehen.

§§ 61, 62.

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Habens des Kriegsverrats. Nennung der Namen ist nur erforderlich, wenn von derselben die Möglichkeit der Verhütung des Verbrechens abhängt. 6) Vgl. Note 3 zu 8 60 MStrGB. Die tatsächlich erfolgte Verhütung des Verbrechens wird zur Anwendbarkeit des § 61 MStrGB. nicht voraus­ gesetzt. Die Anwendbarkeit des § 61 MStrGB. entfällt mit der Aus­ führung des Kriegsverrats oder dem Versuche desselben. 7) § 61 MStrGB. enthält einen gesetzlichen Strafausschließungsgrund im Sinne der §§ 323, 326 MStrGO.

Zweiter Abschnitt. Gefährdung der Kriegsmacht im Felde. § 62. (KG. §§ 621, 45 MStrGO.) Wer*) im Felde2) eine Dienstpflicht3) vorsätzlich4) verletzt und dadurch bewirkt/) daß die Unternehmungen des Feindes befördert?) werden oder den kriegführen­ den deutschen oder verbündeten Truppen Gefahr7) oder Nachtheil bereitet wird, ist mit Zuchthaus8) bis zu zehn Jahren oder mit Gefängniß oder Festungshaft bis zu zehn Jahren zu bestrafen?) In minder schweren Fällen, ^) ingleichen wenn die Verletzung der Dienstpflicht nicht vorsätzlich geschehen ist,11) tritt Freiheitsstrafe1?) bis zu drei Jahren ein. Auch kann neben Gefängniß aus Versetzung in die zweite Klasse des Soldatenstandes erkannt werden.13) *) Der Bestimmung des § 62 MStrGB. find nicht nur deutsche Militär­ personen, sondern auch das Gefolge des kriegführenden Heeres unterworfen, §§ 153, 155—157 MStrGB. 2) „Im Felde" (§§ 9, 10 MStrGB.) muß die Dienstpflicht verletzt sein; steht der Täter nicht im Felde, so ist § 62 MStrGB. nicht anwend­ bar, auch wenn die nicht im Felde verübte Dienstpflichtverletzung die im § 62 eit. aufgeführten Wirkungen gehabt hat. 3) Vgl. Note 2 zu § 49 und Nr. 3 zu § 12 MStrGB. 4) Der Täter muß mit dem Bewußtsein der Rechtswidrigkeit seines Handelns (das in einem Tun oder Unterlassen bestehen kann) die Verletzung der Dienstpflicht gewollt haben. Bezüglich fahrlässiger Verletzung der Dienstpflicht vgl. Note 12. 5) Vorausgesetzt ist nur ein ursächlicher Zusammenhang zwischen der Verletzung der Dienstpflicht und der Beförderung der Unternehmungen des Feindes usw.; die eingetretene Beförderung usw. muß die notwendige, wenn auch nicht direkte Folge der Verletzung der Dienstpflicht sein. Hat sich der Vorsatz des Täters auf die Beförderung der Unternehmungen des Feindes usw. erstreckt, so kann der Tatbestand des 8 58 MStrGB. in Frage kommen. 6) Unternehmungen sind Handlungen des Feindes, welche die militäri­ schen, politischen und materiellen Zwecke des Feindes fördern sollen. Es kommen nicht bloß militärische Unternehmungen in Betracht. Vgl. auch Note 5 zu 8 58 MStrGB. 7) Es muß eine Gefährdung der Truppen herbeigeführt worden sein, d. h. die Möglichkeit und begründete Besorgnis des Eintritts eines Nach­ teils für die deutschen oder verbündeten kriegführenden Truppen; der Nach­ teil kann auch ein moralischer, mittelbarer sein. 8) Die Verhängung der Zuchthausstrafe setzt die Feststellung voraus, daß die Tat einer ehrlosen Gesinnung entsprungen ist; 8 20 RStrGB.

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Militär-Strafgesetzbuch für das Deutsche Reich.

9) Der Mindestbetrag der Strafe ist ein Jahr Zuchthaus, oder 43 Tage Gefängnis, oder 43 Tage Festungshaft. 10) Vgl. Note 19 zu § 58 und Note 5 zu 8 1 MStrGB. n) Die fahrlässige Verletzung der Dienstpflicht ist ein Vergehen. Fahr­ lässigkeit liegt vor, wenn der Täter bei Aufwendung gehöriger Aufmerksam­ keit und Umsicht die Verletzung der Dienstpflicht, die er als mögliche Folge seines Handelns voraussehen konnte, vermieden hätte. Vgl. auch Note 3 zu § 142 MStrGB. 12) Freiheitsstrafe: Arrest von einem Tag bis sechs bezw. vier Wochen oder Gefängnis oder Festungshaft von je 43 Tagen bis drei Jahren. 13) Gegen Offiziere ist Entfernung aus dem Heere zulässig. § 31 Abs. 3 MStrGB. Wegen Dienstentlassung und Degradation vgl. §§ 34, 40 MStrGB.

8 63.i) (kg. §§ 62i, 45 MStrGO.) Mit dem Tode wird bestraft 1) der Kommandant eines festen Platzes/) welcher denselben dem Feinde übergibt,3) ohne zuvor alle Mittel zur Vertheidigung des Platzes erschöpft zu haben; 2) der Befehlshaber/) welcher im Felde mit Vernachlässigung der ihm zu Gebote stehenden Vertheidigungsmittel den ihm anver­ trauten Posten3) verläßt3) oder dem Feinde übergibt; 3) der Befehlshaber/) welcher aus freiem Feldes kapitulirt, wenn dies das Strecken3) der Waffen für die ihm untergebenen Truppen zur Folge gehabt und er nicht zuvor Alles gethan hat, was die Pflicht9) von ihm erfordert; 4) der Befehlshaber eines Schiffes io) der Marine, welcher dasselbe oder dessen Bemannung dem Feinde übergibt, ohne zuvor zur Vermeidung dieser Uebergabe Alles gethan hat, was die Pflicht von ihm erfordert. In minder schweren Fällen n) der Nummern 2 und 3 tritt Festungs­ haft nicht unter fünf Jahren oder lebenslängliche Festungshaft ein.12) 1) Vorausgesetzt wird, daß die strafbaren Handlungen des § 63 MStrGB. „im Felde" begangen sind. 2) „Fester Platz" ist ein für längere Dauer künstlich verstärkter Platz (z. B. Festung, Festungswerk, Fort, Brückenkopf usw.). 3) Die Übergabe muß erfolgt sein, andernfalls kann nur ein Versuch in Frage kommen. Ob der Kommandant vorsätzlich oder fahrlässigerweise nicht alle Verteidigungsmittel erschöpft hat, ist für den Tatbestand des § 63 cit. unerheblich. Ob ferner alle Verteidigungsmittel erschöpft worden sind, ist Tatfrage, welche mit Hilfe militärischer Gutachten festzustellen ist. 4) d. h. der in der fraglichen Stellung Höchstkommandierende. 5) Als „Posten" kommt eine jede Stellung in Betracht; anvertraut ist der Posten, wenn derselbe auf Befehl eingenommen und zu halten ist. Selbstgewählte Stellungen sind nicht anvertraute Posten im Sinne dieser Vorschrift. 6) Vorausgesetzt wird ein Verlassen mit den Truppen. 7) „Freies Feld" ist jedes nicht befestigte Gelände. 8) d. h. Ablrefern der Waffen mit ober ohne Gefangenschaft.

Zweiter Teil.

Einzelne Verbrechen und Vergehen.

§§ 63, 64.

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9) d. h. militärische Dienstpflicht. Vgl. Note 2 zu 8 49 und Note 3 zu § 12 MStrGB. 10) Vgl. § 163 MStrGB. n) Vgl. Note 19 zu § 58 und Note 5 zu § 1 MStrGB. 12) Es kann auf Dienstentlassung erkannt werden. § 34 Abs. 2 Nr. 1 MStrGB.

Dritter Abschnitt. Unerlaubte Entfernung und Fahnenflucht.^x) § 64. (KG. bezw. StG.

§§ 16 \ 62

45 MStrGO.)

Wer2) von

seiner Truppe oder von seiner Dienststellung^) sich eigenmächtig^) ent­

fernt ^) oder vorsätzlich fern bleibt/) oder wer den ihm ertheilten Urlaubs

eigenmächtig überschreitet, wird wegen unerlaubter Entfernung«) mit

Freiheitsstrafe bis zu sechs Monaten bestraft?) 1) Gemeinsam ist der unerlaubten Entfernung und der Fahnenflucht der verbrecherische Wille, sich der Machtsphäre der militärischen Vorgesetzten zu entziehen; das Unterscheidende zwischen beiden Delikten ist, daß bei der Fahnenflucht dieser Wille darauf gerichtet ist, sich dauerns dem Dienste zu entziehen. RMGer. II. 23. Sept. 1901. E. 2,3. II. 2. Aug. 1902. E. 3,167. 2) Den Strafvorschriften dieses Abschnittes unterliegen — abgesehen von den zum aktiven Heer (Marine) gehörigen Personen des Soldatenstandes (vgl. Note 4 A. 1—3, ö. zu § 4 MStrGB.), zu welchen auch die zum Dienst einberufenen Personen des Beurlaubtenstandes gehören, — von den nicht zum Dienst einberufenen Personen des Beurlaubtenstandes a) die vorläufig in die Heimat beurlaubten Rekruten und Freiwilligen, b) die bis zur Entscheidung über ihr ferneres Militärverhältnis zur Disposition der Ersatzbehörden entlassenen Mannschaften, c) die vor erfüllter aktiver Dienstpflicht zur Disposition der Truppen­ teile beurlaubten Mannschaften. §§ 56 Nr. 2—4, 60 RMG. Die Anwendbarkeit der Strafbestimmung der §§ 64 ff. MStrGB. auf diese Personen ist von einer vorhergegangenen Einberufung zum Dienste nicht abhängig; die genannten Personen haben ihre Dienststellung bei dem sie kontrollierenden Bezirkskommando. RMGer. III. 8. Jan. 1902. E. 2,ii9. I. 5. Jan. 1903. E. 4,i3o. II. 29. April 1903. E. 5,76; I. 6. Juli 1903. E. 5,240. Die vorläufig in die Heimat beurlaubten Rekruten haben zwar die Befugnis, ihren Aufenthaltsort zu wechseln, jedoch nur unter der Voraussetzung, daß sie ihre Kontrollvorschriften beobachten. Verläßt ein ausgehobener Rekrut ohne Abmeldung seinen Kontrollbezirk, oder meldet er sich im neuen Kontroll­ bezirk nicht an, so macht er sich, falls zeitweilige Dienstentziehung beab­ sichtigt ist und nicht bloße Nachlässigkeit vorliegt, der unerlaubten Entfernung, bei beabsichtigter dauernder Dienstentziehung der Fahnenflucht schuldig. Ob diese Willensrichtung anzunehmen ist, ist Tatfrage; es genügt dolus event. RMGer. I. 6. Juli 1903. E. 5,240. II. 29. April 1903. E. 5,76; zit. Erk. E. 2,119; RG. I. 15. Dez. 1894. E. 26,314. Mit dem Zeitpunkte, mit welchem ein beurlaubter Rekrut seinen Aufenthaltsort, bezw. seine Wohnung verläßt, um hierdurch seine Einberufung zum Dienste unmöglich zu machen, ist die unerlaubte Entfernung begangen und sind §§ 64 ff. anwendbar. RMGer. PE. II. Nr. 150. Ob der örtliche Bereich des Bezirkskommandos verlassen wird oder nicht, ist unerheblich. RMGer. zit. Erk. E. 2,ii9. Die vorläufig in die Heimat beurlaubten Rekruten gehören nicht schon von dem Tage ab, zu welchem sie einberufen sind, sondern erst von dem Tage ab, mit welchem ihre Verpflegung durch die Militärverwaltrmg beginnt, dem

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Militär-Strafgesetzbuch für das Deutsche Reich.

aktiven Heere an. Erst mit dem letztgenannten Tage tritt die Zuständigkeit des Gerichtsherrn des betreffenden Truppenteils ein. Demgemäß sind die vorläuffg in die Heimat beurlaubten Rekruten, wenn sie auf einen bestimmten Tag ernberufen, aber nicht eingerückt sind, auch nach diesem Zeitpunkte noch als dem Beurlaubtenstande, nicht dem aktiven Heere angehörig, zu betrachten. RMGer. III. 29. Dez. 1900. E. 1,9. Zur Disposition der Ersatzbehörden entlassene Mannschaften haben bei dem sie kontrollierenden Bezirkskommando ihre Dienststellung. Unter­ lassen sie die vorgeschriebenen Meldungen mit dem Bewußtsein, der Befehls­ befugnis der vorgesetzten Behörde entrückt zu sein, so machen sie sich der unerlaubten Entfernung schuldig. RMGer. zit. Erk. E. 4,i3o. Auf Mannschaften der Reserve und Landwehr, welche nicht zum Dienst einberufen sind, finden die Vorschriften des III. Abschnitts über unerlaubte Entfernung, Fahnenflucht nicht Anwendung. RMG. § 60 Nr. 3. RMGer. I. 29. Juni 1903. E. 5,220. Im Auslande befindliche Militärpflichtige ohne vorherige persönliche Gestellung vor den Ersatzbehörden für einen Truppenteil auszuheben, wider­ spricht den Bestimmungen des § 42 Nr. 1, § 26 Nr. 1 WO. und des Art. 11 § 10 des Gesetzes vom 6. Mai 1880. Auch wenn solchen tauglichen Militär­ pflichtigen ein Rekrutenurlaubspaß oder ein Gestellungsbefehl zugestellt worden war, ist eine Verurteilung wegen unerlaubter Entfernung oder Fahnenflucht gesetzlich nicht zulässig (vgl. KM. v. 21. März 1900). Personen des Beurlaubtenstandes können während der Zeit ihrer Ein­ berufung zum militärischen Dienst unabhängig davon, ob sie der Einberufung Folge geleistet haben ooer nicht, sich der unerlaubten Entfernung bezw. der Fahnenflucht schuldig machen. § 38 B. Nr. 1 RMG. RG. I. 21. April 1892. E. 23,81. „Personen des Beurlaubtenstandes können, wenn sie der Einberufung zu einer Übung vorsätzlich nicht Folge leisten, nicht wegen Ungehorsams, sondern nur wegen unerlaubter Entfernung bestraft werden; sie sind straf­ rechtlich so anzusehen, als wenn sie tatsächlich in den Dienst getreten wären. § 92 MStrGB., dem gegenüber der § 64 das. das speziellere Gesetz ist, kommt nicht zur Anwendung. RMGer. II. 27. Mai 1903. E. 5,267; PE IV. Nr. 92, vgl. auch Note 2 a. E. zu § 6 MStrGB. Dauert die versäumte Übung länger als sieben Tage, so ist § 66 MStrGB. anwendbar. RMGer. III. 30. Jan. 1901. E. l,is' Den Bestimmungen dieses Abschnitts unterstehen ferner die Angestellten eines Schiffes, § 166 MStrGB., un Felde die Militärbeamten (§ 153 MStrGB.), sowie das Gefolge des kriegführenden Heeres (§ 155 MStrGB.). Bezüglich der Offiziere ä la suite der Armee oder eines Kontingents vgl. Note 4 II. 1 zu § 4 MStrGB. Kriegsgefangene können sich der uner­ laubten Entfernung, nicht aber der Fahnenflucht schuldig machen (§ 158 MStrGB.). 3) Dienststellung bezeichnet das militärische Verhältnis, in dem nicht regimentierte Personen des Soldatenstandes und Mrlitärbeamte zu mili­ tärischen Dienststellen und Behörden stehen, also das Verhältnis, in dem die subjektive, konkrete Dienstpflicht einer solchen Person ihre Erfüllung findet, vgl. auch RMGer. II. 11/Febr. 1903. E. 4,195. Bezüglich der Dienst­ stellung der im § 56 Nr. 2—4 RMG. bezeichneten Personen des Beurlaubten­ standes vgl. Note 2 d. §. 4) Die unerlaubte Entfernung verlangt objektiv ein eigenmächtiges Sichtrennen des militärischen Dienste Verpflichteten von seinem Truppen­ teil pp. und subjektiv den Vorsatz des Täters, diese Trennung in die Tat umzusetzen. RMGer. II. 2. Aug. 1902. E. 3,167. II. 23. Sept. 1901. E. 2,3. Eigenmächtig ist jede vorsätzliche, bewußt rechtswidrige, d. h. ohne Erlaubnis der Vorgesetzten erfolgende Entfernung von der Truppe oder der Dienst­ stellung. Daß der Täter seinen Garnisonort (Ortsunterkunft re.) verläßt.

Zweiter Teil.

Einzelne Verbrechen und Vergehen.

§ 64.

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ist für den Begriff der unerlaubten Entfernung unwesentlich. Wer sich jedoch so weit von seiner Garnison rc. entfernt, daß er ein Allarmsignal nicht hören und durch etwaige Dienstbefehle nicht erreicht werden kann, entzieht sich objektiv der Verfügung seiner Vorgesetzten und somit auch dem Dienst. Gleichgültig ist ferner, ob die Entfernung heimlich erfolgte. 5) Die Pflichtverletzung, die Entziehung vom Dienst setzt sich nach der Entfernung von der Truppe durch das demnächstige vorsätzliche Fernbleiben fort und bildet mit der Entfernung nur ein militärisches Delikt. RMGer. PE. III. Nr. 122; die unerlaubte Entfernung und Fahnenflucht ist ein Dauerdelikt; der Tatbestand ist erfüllt, sobald der rechtswidrige Zustand infolge des Tuns oder Unterlassens des Täters eingetreten ist. Das Delikt dauert aber so lange fort, als der rechtswidrige Zustand fortdauert. Für die Beendigung der unerlaubten Entfernung (Fahnenflucht) ist die Rück­ verbringung zum Truppenteil das Entscheidende. Die zit. Entsch. d. RMGer. E. 2,3 und E. 3,167 nehmen mit Unrecht an, daß schon bei der Rückkehr in die Machtsphäre der Vorgesetzten die unerlaubte Entfernung beendet sei. Mit dem Aufhören des rechtswidrigen Zustandes beginnt der Lauf der Verjährung. Bei dem Wehrmanne, welcher vorsätzlich dem Gestellungsbefehl zur Ab­ leistung einer Landwehrübung nicht Folge leistet und sich dadurch der unerlaubten Entfernung schuldig,, macht, beginnt die Verjährung dieses Dauerdelikts mit dem Ablauf der Übungszeit, während welcher er verpflichtet war, beim aktiven Heere Dienste zu tun. RMGer. zit. Erk. E. 5,220. I. 16. Juni 1904 (396/04) PE. VII. Nr. 29, vgl. auch § 76 MStrGB. und die Motive zu § 90 des Entwurfs d. MStrGB. und Olsh. Note 3 zu 8 141. Ein Versuch der unerlaubten Entfernung ist rechtlich möglich, aber nicht Hbar. (Ein Gefangener bricht aus der Zelle aus, wird aber noch innerdes Gefängnisses ergriffen.) RMGer. II. 19. Juli 1901 Nr. 78 (nicht publiziert); II. 23. Sept. 1901. E. 2,3. 6) Das Fernbleiben setzt — als selbständige Straftat s. Note 5 — eine vorhergegangene berechtigte Entfernung (z. B. Urlaub, Kommando rc.) voraus; das Fernbleiben muß ein vorsätzliches und bewußt rechtswidriges sein; die Rechtswidrigkeit wird durch unabhängig von dem Willen des Täters eintretende Umstände (z. B. Erkrankung, Verkehrsstockungen rc.) ausgeschlossen. RMGer. I. 14. Okt. 1901 Nr. 96 (nicht publiziert). 7) Urlaub ist die für eine bestimmte Zeit erfolgende Entbindung einer Militärperson von dem aktiven Dienst oder der Dienststellung, verbunden mit der Erlaubnis, sich von der Dienststelle zu entfernen; erfolgt die Über­ schreitung des Urlaubs rechtswidrig, d. h. ohne Erlaubnis des Vorgesetzten, und vorsätzlich, so ist sie eine eigenmächtige; die Rechtswidrigkeit wird auch hier durch vom Willen des Täters unabhängige Umstände (vgl. Note 6) ausgeschlossen. Der Tatbestand der eigenmächtigen Urlaubsüberschreitung ist erfüllt, wenn der Beurlaubte die ihm für den Urlaub bewilligte Frist nicht einhält, die Entfernung von seinem Truppenteil vielmehr länger ausdehnt. Das strafbare Tun setzt sich so lange fort, als die Überschreitung des Urlaubs schuldhafterweise aufrecht erhalten wird und wird erst beendigt, wenn der Täter in seine Truppe wieder eintritt. So lange begeht er das Delikt in fortdauernder Ausübung. Eine Hilfeleistung zu Demselben ist daher so lange möglich, als die Urlaubsüberschreitung fortdauert. RG. I. 8. April 1895. E. 27,158. Bezüglich der Bestrafung der Urlaubsüberschreitung stellt sich der § 64 MStrGB. als die speziellere Vorschrift gegenüber der allgemeineren des § 92 a. a. O. dar. Läßt sich der Vorsatz der Überschreitung des erteilten Urlaubs feststellen, so muß Bestrafung aus § 64 a. a. O. eintreten, ohne Rücksicht darauf, ob der Angeklagte durch sein Fernbleiben Dienst versäumt oder sich dem Dienste entzogen hat, bezw. ob seine Absicht darauf gerichtet

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Militär-Strafgesetzbuch für das Deutsche Reich.

war oder nicht. Für die fahrlässige Urlaubsüberschreitung kommt § 92 MStrGB. in Betracht; Verspätungen von wenigen Minuten können unter Umständen nicht als fahrlässiger Ungehorsam, sondern als Unpünktlichkeit bezw. Ordnungswidrigkeit aufgefaßt und nach 8 1 Nr. 1 DStrO. geahndet werden. RMGer. II. 21. Juli 1903. E. 5,267 Diese Grundsätze gelten auch für das Ausbleiben über Zapfenstreich. VE. V. Nr. 102. Ein Soldat, der entgegen einem ausdrücklichen Verbote vorsätzlich die Kaserne verlassen hat und erst am Abend zurückkehrt, ist aus § 64 MStrGB. zu bestrafen, ohne Rücksicht darauf, ob er durch diese eigenmächtige Ent­ fernung von seiner Truppe Dienst versäumt hat oder nicht. Die Annahme zweier selbständiger Handlungen und Verurteilung aus § 92 und § 64 MStrGB. ist nicht richtig. Es liegt Gesetzeskonkurrenz vor. RMGer. VE. VI. Nr. 97. Ein Mann der Wache, der mit Erlaubnis des Wach­ habenden die Wache verlassen hat und demnächst vorsätzlich länger fortbleibt, als es der Zweck, zu dem er die Erlaubnis erhalten hat, erfordert, macht sich eines Vergehens nach § 64 MStrGB. schuldig. Handelt er fahrlässig, so ist er aus § 92 das. bezw. aus § 1 DStO. strafbar. RMGer. PE. VI. Nr. 110. 8) Der Tatbestand der unerlaubten Entfernung wird durch Dienst­ untauglichkeit zur Zeit der Entfernung nicht ausgeschlossen. RMGer. I. 13. Juni 1901. E. 1,184. 9) Bei Freiheitsstrafe von mehr als sechs Wochen ist auf Gefängnis oder Festungshaft zu erkennen; Gefängnis unter 43 Tagen kann nicht verhängt werden. §§ 17, 21 MStrGB. Strenger Arrest kann nur unter der Vor­ aussetzung des § 22 MStrGB. erkannt werden. In wiederholtem Rückfall, sowie im Rückfall im weiteren Sinne kann auf Versetzung in die 2. Kl. des Soldatenstandes erkannt werden. §§ 13,37 Abs. 2 Nr. 1 und 38 MStrGB. Vorgängige Bestrafungen wegen Fahnen­ flucht begründen für die unerlaubte Entfernung einen Rückfall. Vgl. Note 6 zu § 13 MStrGB. Disziplinarbestrafung leichterer Fälle ist zulässig. § 3 EG. z. MStrGB. Ist gerichtliche Bestrafung erfolgt, so bleibt die Zeit der unerlaubten Entfernung ohne Rücksicht auf ihre Dauer von der Anrechnung auf die Dienstzeit ausgeschlossen. § 13 Nr. 1 Anm. 2a HO.

8 65. (KG. bezw. StG. §§ 16 b 62l, 45 MStrGO.) Der un­ erlaubten Entfernung wird es gleich geachtet, wenn eine Person des Soldatenstandes im Feldes es unterläßt,2)

1) der Truppe, von welcher sie abgekommen ist,3) oder der nächstens Truppe sich wieder anzuschließen, oder

2) nach beendigter Kriegsgefangenschaft sich unverzüglich3) bei einem

Truppentheile zu melden.3) Dasselbe gilt, wenn eine Person der Marine, welche außerhalb der heimischen Gewässers von einem Schiffe abgekommen ist, es unter­

läßt, sich bei demselben oder einem anderen Deutschen Kriegsschiffe oder dem nächsten Deutschen Konsulate unverzüglich zu melden.3)

x) Vgl. §§ 9, 10 MStrGB. 2) Das Unterlassen kann vorsätzlich oder fahrlässig geschehen. 3) Es wird im Gegensatz zu § 64 MStrGB. ein unfreiwilliges Ab­ kommen (Versprengen, Verirren, Erkrankung) vorausgesetzt. 4) Das Anschließen hat, sobald der Täter nach Lage der Sache dazu imstande ist, an oie nächstbefinoliche Truppe zu erfolgen. Die Truppe kaun auch einer verbündeten Macht angehören.

Zweiter Teil.

Einzelne Verbrechen und Vergehen.

§§ 65—68.

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5) d. h. sobald nach den obwaltenden Umständen der Täter eine Meldung erstatten kann. 6) Es genügt, wenn ein Truppenteil nicht gleich nach beendigter Kriegs­ gefangenschaft zu erreichen ist, die Meldung bei einer Zivilbehörde. 7) Unter heimischen Gewässern ist das Gebiet der Ost- und Nordsee — die letztere im Norden durch 60° N. B., im Westen nördlich von Schottland durch den Meridian von 3° SB. Lg. von Greenwich und südlich von England von oer Linie Dover-Calais begrenzt — zu verstehen. Ausf.-Best. v. 13. Mai 1902 zur AO. v. 3. Mai 1902 (MVBl. S. 157). 8) Dauert die ungerechtfertigte Abwesenheit nicht länger als drei Tage, so ist Disziplinarbestrafung zulässig. § 3 EG. z. MStrGB., §§ 64, 66 MStrGB.

§ 66. (KG. §§ 621, 45 MStrGO.) Dauert) durch Verschulden2) des Abwesenden die Abwesenheit länger als sieben Tage, im Feldes länger als drei Tage/) so tritt Gefängniß oder Festungshaft^) bis zu zwei Jahren ein.6) 1) Die Dauer der Abwesenheit ist nicht a momento ad momentum, sondern nach vollen Kalendertagen von Mitternacht zu Mitternacht derart zu berechnen, daß derjenige Tag, an welchem die Abwesenheit (bezw. im Falle des § 65 MStrGB. das Unterlassen) beginnt, in die Frist nicht ein­ gerechnet wird. RMGer. III. 23. Sept. 1902. E. 3,263; PE. II. Nr. 151. Für die Beendigung der unerlaubten Entfernung bezw. Fahnenflucht ist die Rückverbringung zum Truppenteil das Entscheidende; vgl. Note 4 und 5 zu § 64 MStrGB. 2) Vgl. Note 6 und 7 zu § 64 MStrGB. Verschulden umfaßt Vorsatz und Fahrlässigkeit. Von dem Willen des Täters unabhängige Umstände (Verkehrsstockungen, Erkrankung rc.) schließen die Verschuldung aus. 3) Vgl. S§ 9, 10 MStrGB. 4) Jedoch nicht mehr als sieben Tage, vgl. § 67 MStrGB. 5) Der Mindestbetrag ist 43 Tage. § 17 MStrGB. wegen Dienstent­ lassung, Degradation vgl. §§ 34, 40 MStrGB. 6) § 66 enthält einen vom Gesetze besonders vorgesehenen strafer­ höhenden Umstand zu §§ 64, 65 MStrGB. i. S. der §§ 318, 323, 326 MStrGO.

§ 67. (KG. §§ 621, 45 MStrGO.) Freiheitsstrafei) von sechs Monaten bis zu /ünf Jahren tritt ein, wenn die Abwesenheit im Feldes länger als sieben Tage dauert.3)4) 1) Gefängnis oder Festungshaft. §§ 17, 21 MStrGB. 2) 88 9,10 MStrGO. 3) Wegen Dienstentlassung, Degradation vgl. 88 34, 40 MStrGB. 4) 8 67 MStrGB. enthält einen straferhöhenden Umstand zu 88 64, 65 MStrGB. i. S. der 88 318, 323, 326 MStrGO.

8 68. (KG. 88 62i, 45 MStrGO.) Gleiche Strafe (8 67) trifft eine Person des Beurlaubtenstandes,!) welche nach bekannt gemachter Kriegsbereitschaft oder nach angeordneter Mobilmachung ihrer Einbe­ rufung^) zum Dienste oder einer öffentlichen Aufforderung zur Stellung nicht binnen drei Tagen3) nach Ablauf der bestimmten Frist Folge leistet.4)5)

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Militär-Strafgesetzbuch für das Deutsche Reich.

Über die Zugehörigkeit zum Beurlaubtenstande vgl. Note 1 zu § 6 MStrGB. Bezüglich der Unterstellung der Personen des Beurlaubtenstandes unter Militärstrafgerichtsbarkeit vgl. 8 5 Nr. 1 MStrGO. 2) Aus dem Wortlaut des § 68 folgt, daß die stattgehabte Einbe­ rufung zum Kriegsdienst nach angeordneter Mobilmachung rc., d. h. die Behändigung der Einberufungsorder oder die öffentliche Aufforderung zur Stellung zu einem bestimmten Tage die unbedingte notwendige Voraus­ setzung zur Anwendung der Strafvorschrift des § 67 MStrGB. auf eine Person des Beurlaubtenstandes ist. (Beschluß d. fr. Pr. Generalauditoriats v. 28. März 1873; vgl. auch § 111 Nr. 1 WO.; Motive S. 92). 3) Die Frist von drei Tagen beginnt mit Ablauf des in der Einbe­ rufungsorder oder in der öffentlichen Aufforderung zur Stellung bestimmten Tages, vgl. Note 1 zu § 66. 4) Jedes schuldhafte, gleichgültig ob vorsätzliche oder fahrlässige Nicht­ folgeleisten fällt unter die Strafvorschrift des § 68 MStrGB. Ein fahr­ lässiges Nichtfolgeleisten liegt auch vor, wenn der Täter es schuldhaft ver­ absäumt hat, sich rechtzeitig Kenntnis von der öffentlichen Aufforderung zu verschaffen. Der Einberufung usw. ist Folge geleistet, wenn die Person des Be­ urlaubtenstandes in der Absicht, zu ihrem Truppenteile befördert zu werden, sich bei einer Deutschen Militär- oder Zivilbehörde (auch im Auslande) meldet. Motive S. 92. ’ b) Gestellen sich im Frieden Personen des Beurlaubtenstandes vorsätzlich nicht rechtzeitig oder überhaupt nicht zu Übungen, so sind die Strafvorschriften der §§ 64, 66 event, auch 69 ff. MStrGB., nicht aber § 92 das. anwendbar. Vgl. auch Note 2. zu § 64, § 6 MStrGB., § 38 B. RMG. und § 25 DStO., § 28 MDStO.; RMGer. III. 30. Jan. 1901. E. 1,19, II. 27. Mai 1903. E. 5,267.

§ 69. (KG. §§ 621), 45 MStrGO.) SffieT1) sich einer uner­ laubten Entfernung2) (§§ 64, 65, 68) in der Absicht,^) sich seiner ge­ setzlichen oder von ihm übernommenenen Verpflichtung zum Dienste3) dauernd zu entziehen, schuldig macht, ist wegen Fahnenflucht (Desertion)4)

zu bestrafen?)3). *) Vgl. Note 2 und 3 zu § 64 und § 68 MStrGB. Die zum aktiven Heer (Marine) gehörigen Personen des Soldatenstandes, sowie die in § 56 Nr. 2—4 RMG. und § 68 MStrGB. aufgeführten Personen des Beurlaubten­ standes machen sich durch unerlaubte Auswanderung der Fahnenflucht schuldig. Die übrigen Personen des Beurlaubtenstandes, welche ohne Erlaubnis auswandern, fallen und zwar: a) die Offiziere und Sanitätsoffiziere des Beurlaubtenstandes unter die Strafvorschrift des § 140 Nr. 2 RStrGB. (vgl. auch § 60 Nr. 2 RMG.: § 15 des Ges. v. 1. Juni 1870), b) die Mannschaften der Reserve, Marinereserve, Landwehr, Seewehr, Ersatzreserve, Marineersatzreserve, ferner die nach Anruf des Land­ sturms davon betroffenen Landsturmpflichtigen, sowie die nach frei­ williger Meldung in die Listen des Landsturms eingetragenen Personen unter die Strafvorschrift des § 360 Nr. 3 RStrGB., vgl. auch §§ 26, 30 des Ges. v. 11. Febr. 1888. Wehrmänner des zweiten Aufgebots und die er­ wähnten Landsturmpflichtigen haben nur von der vorstehenden Auswanderung der Militärbehörde Anzeige zu machen. Zuständig sind die Zivilgerichte. KM. 18. Juni 1873 und Pr. Justiz­ ministerium v. 1. Febr. 1875.

Zweiter Teil.

Einzelne Verbrechen und Vergehen.

§ 69.

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2) Die ein Tatbestandsmerkmal der Fahnenflucht bildende unerlaubte Entfernung verlangt objektiv ein eigenmächtiges Sichtrennen des zum militärischen Dienste Verpflichteten von seinem Truppenteil pp. und sub­ jektiv den Willen des Täters, diese Trennung in die Tat umzusetzen. Vgl. Note 4 zu § 64 MStrGB. Beendet ist die Fahnenflucht erst mit der Rückkehr des Flüchtigen zu seinem Truppenteile pp. Note 5 zu § 64 zit. Der Eintritt in die „Machtsphäre der Vorgesetzten" ist nur hinsichtlich des § 75 von Bedeutung. Vgl. § 75 Note 1 MStrGB. 2a) Unter „Absicht" ist nicht der bloße Vorsatz, sondern der auf den Erfolg gerichtete Wille zu verstehen; neben dieser Absicht kann eine andere Absicht (z. B. die einer Gefängnisstrafe zu entgehen) bestehen. RG. IV. 1. Nov. 1884. R. 6,680. IV. 1. Nov. 1884. E. ll,38o; I. 15. Okt. 1900. E. 33,399. Die Absicht, sich der Dienstpflicht dauernd zu entziehen, kann auch nach Vollendung der unerlaubten Entfernung (§§ 64, 66, 68 MStrGB.) ein­ treten (dolus superveniens). Für den subjektiven Tatbestand des § 69 cit. genügt es auch, wenn sich der Täter von der Truppe oder Dienststellung entfernt oder fernhält in der bewußten oder gewollten Möglichkeit, sich dauernd hierdurch seiner Verpflichtung zum Dienst zu entziehen (dolus eventualis). Die Absicht, der Verpflichtung zum Dienst sich dauernd zu entziehen, enthält zugleich die Absicht, zum Dienst nicht zurückzukehren. Aus einer beabsichtigten Auswanderung ins Ausland oder dem Eintreten in fremden Heeresdienst kann die Absicht, sich dauernd der Dienstpflicht zu entziehen, mit Recht gefolgert werden. Ob die unerlaubte Entfernung in dieser Absicht erfolgte und mit welchen Handlungen diese Absicht zur äußern Erscheinung kam, ist eine von den Umständen des einzelnen Falles beein­ flußte und der Nachprüfung in der Revisionsinstanz entzogene Tatfrage. RG. I. 13. Febr. 1881. R. 3,3. 3) Die gesetzliche Verpflichtung zum Dienst entspringt aus der Wehr­ pflicht (88 5ff. WO.); gleichgültig ist, ob derselben infolge der Aushebung oder des freiwilligen Eintritts genügt wird. Die übernommene Dienst­ pflicht beruht aus Vertrag (Kapitulation, Anstellung als Beamter 8 153 MStrGB.). Hinsichtlich bereits eingestellter Soldaten ist unter Verpflichtung zum Dienst im Sinne des 8 69 MStrGB. die den Fahnenflüchtigen obliegende konkrete Dienstpflicht zu verstehen, d. h. die Verpflichtung, bei demjenigen Truppenteil zu verbleiben, dem sie durch den Befehl der vorgesetzten Be­ hörde zugeteilt wurden. Es muß der volle Mannschaftsbestand jedes Truppen- bezw. Marineteils stchergestellt werden. RMGer. I. 9. Jan. 1902. E. 2,126. II. 11. Febr. 1903. E. 4,195. Die konkrete Dienstpflicht der Mann­ schaften der Marine ist eine wechselnde, je nach ihrem Kommandoverhältnis an Land' oder an Bord. Mit der Kommandierung an Bord beginnt die konkrete Dienstpflicht bei dem gegebenen Schiffe, einerlei ob die Einschiffung bereits erfolgt ist oder noch nicht. Der dem Ablösungstransporte Zugeteilte hat für die Dauer desselben seine konkrete Dienstpflicht bei dem Transport­ kommando. Diese Dienstpflicht wird auch verletzt durch eine in der Absicht, bei einem anderen deutschen Truppenteil (z. B. Ostasiatischer Besatzungs­ brigade, Schutztruppen Ersatztruppen rc.) einzutreten oder — falls es sich um einen an Bord Kommandierten handelt — um die Ausreise mit dem Schiffe zu vermeiden, oder sich dem Ablösungstransport zu entziehen, unternommene Entfernung von der Truppe rc. Beschl. d. f. Pr. Generalaudit, v. 12. Sept. 1900. RMGer. PE. III. Nr. 43. RMGer. zit. Erk. E. 4,195. Eingestellte Dienstuntaugliche sind so lange zum Heeresdienst verpflichtet, bis ihre ordnungsmäßige Entlassung erfolgt; vor dieser Entlassung machen sie sich der Fahnenflucht schuldig, wenn sie in der vom 8 69 cit. geforderten Absicht eine unerlaubte Entfernung begehen. RMGer. I. 13. Juni 1901.

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Militär-Strafgesetzbuch für das Deutsche Reich.

E. 1,i84. Das gleiche gilt für in das Heer eingestellte Rekruten, welche später dienstuntauglich werden. RMGer. II. 12. März 1902. E. 2,222. Ern irrtümlich, unter Annahme seiner Reichsangehörigkeit zur Erfüllung der vermeintlichen gesetzlichen Dienstpflicht eingestellter Ausländer kann keine Fahnenflucht begehen. RMGer. II. 17. Okt. 1903. E. 6,78. II. 9. Nov. 1901. E. 2,53. Die unterbliebene Ableistung des Fahneneides ist im Sinne des MStrGB. kein Strafausschließungs- oder Strafmilderungsgrund. RMGer. zit. Erk. E. 2,222. Das Delikt der Fahnenflucht hebt die Eigenschaft als Militärperson nicht auf. RG. IV. 5. April 1895. E. 27,144. 4) Ob die Fahnenflucht vollendet ist, hängt zunächst davon ab, ob die objektiven Tatbestandsmerkmale der Entfernung, des Fernbleibens, der Urlaubsüberschreitung usw. bereits gegeben oder noch in der Ausführung begriffen sind. Die Frage ist tatsächlicher Natur. Das Verlassen der Garnison ist kein notwendiges Erfordernis des Tatbestandes der Fahnen­ flucht; die Vollendung der Fahnenflucht kann ferner erst mit der Entfernung ins Ausland ohne Rechtsirrtum angenommen werden. RG. III. 31. März 1880. R. 1,511. E. 6,7. Begeht der Täter Handlungen, welche sich als An­ fang der Entfernung von dem ihm dienstlich angewiesenen Aufenthaltsorte oarstellen, so liegt darin — die subjektiven Strafmerkmale vorausgesetzt — eine Willensbetätigung, die den vom Gesetzgeber im allgemeinen bedrohten Tatbestand der Fahnenflucht verwirklichen soll, d. h. ein strafbarer Versuch. RMGer. II. 19. April 1903. E. 2,287. Hat ein Militärgefangener seine Zelle erbrochen und sich aus derselben — wenn auch nicht aus dem Gefängnis — in der Absicht dauernder Dienstpflichtentziehung entfernt, so hat mit dieser Entfernung schon die Ausführung der Fahnenflucht begonnen. RMGer. II. 23. Sept. 1901. E. 2,3. Zur Vollendung der Fahnenflucht muß zu dem objektiven Tatbestandsmoment der unerlaubten Entfernung noch das sub­ jektive Moment der Absicht dauernder Dienstpflichtentziehung hinzutreten. Es ist nicht notwendig, daß diese Absicht bereits vorhanden war zur Zeit des unerlaubten Sichentfernens des Täters von seiner Truppe oder seiner Dienststellung. Da die unerlaubte Entfernung bis zu dem Zeitpunkt dauert, in welchem das Sichentfernen bezw. Fernbleiben in körperlicher und geistiger Hinsicht aufgehört hat, so genügt zur Vollendung der Fahnenflucht, daß der Täter in irgend einem Zeitpunkte des Fernseins die Absicht faßt, diesen Zustand zu einem dauernden zu machen. In welchem Zeitpunkte während des unerlaubten Fernbleibens diese Absicht zu letzterer Tatsache hinzutritt, ist unwesentlich. RMGer. VI. 29. April 1903. E. 5,76. Für die Annahme der Willensrichtung, sich der Verpflichtung zmn Dienst dauernd zu entziehen, genügt Eventualdolus. RMGer. I. 6. Juli 1903. E. 5,240. 5) Die Dauer einer Fahnenflucht ist auf die Dienstzeit nicht anzurechnen. § 13 Nr. 1 Anm. 2a HO. Bezüglich der Beendigung einer Fahnenflucht vgl. Note 1 zu tz 66 und Note 5 a. E. zu § 64 MStrGB. 6) Sobald gegen einen Offizier, Sanitätsoffizier, Fahnenjunker der Verdacht der Fahnenflucht vorliegt, oder eine solche Person durch Gerichts­ beschluß (§ 360 MStrGO.) für fahnenflüchtig erklärt wird, ist seitens des Gerichtsherrn auf dem Dienstwege Seiner Majestät Meldung zu erstatten. KM. Nr. 399/6. ACB. 21. Juni 1901.

§ 70. (KG. §§ 62 \ 45 MStrGO.) Die Fahnenflucht wirb mit Gefängniß *) von sechs Monaten bis zu zwei Jahren, im ersten Rück­ falles mit Gefängniß von Einem Jahre bis zu fünf Jahren, im wieder­ holten Rückfalles mit Zuchthaus von fünf bis zu zehn Jahren bestraft. Der Versuch ist strafbar.3)

Zweiter Teil.

Einzelne Verbrechen und Vergehen.

§§ 70—72.

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!) Neben der Gefängnisstrafe ist auf Versetzung in die zweite Klasse des Soldatenstandes zu erkennen. § 74 MStrGB. 2) Bezüglich des ersten und wiederholten Rückfalls vgl. § 13 MStrGB. In Friedenszeiten verübte Fahnenflucht nn ersten Rückfalle ist ein militärisches Vergehen, im wiederholten Rückfalle ein militärisches Verbrechen. Eme Vorbestrafung wegen unerlaubter Entfernung oder wegen Vergehens, Ver­ brechens gegen § 78 MStrGB. begründet für eine spätere Fahnenflucht, da nicht militärische Delikte gleicher Art vorliegen, keinen Rückfall. Bei Beurteilung der Rückfälligkeit der Tat steht der Bestrafung als Täter die Bestrafung wegen Versuchs oder Teilnahme (Anstiftung, Beihilfe) an der Fahnenflucht gleich. Vgl. Note 1 a zu H 13 MStrGB. 3) Neben der Versuchsstrafe ist die Versetzung in die zweite Klasse des Soldatenstandes zulässig. §§ 74, 75 MStrGB.

§ 71. (KG. §§ 621, 45 MStrGO.) Die Fahnenflucht im Feldes wird mit Gefängniß?) von fünf bis zu zehn Jahren bestraft; im Rück­ falles tritt, wenn die frühere Fahnenflucht*) nicht im Felde begangen ist, Zuchthaus nicht unter fünf Jahren und, wenn die frühere Fahnen­ flucht im Felde begangen ist, Todesstrafe ein.5) x) Vgl. §§ 9, 10 MStrGB. Wer in Friedenszeiten fahnenflüchtig ge­ worden ist, unterliegt auch bei einem bis zu seiner Bestrafung ausgebrochenen Kriege der Strafvorschrift des § 71 MStrGB. Da der Fahnenflüchtige Person des aktiven Dienststandes im Sinne des § 10 Abs. 1 MStrGB. bleibt und die Fahnenflucht ein Dauerdelikt ist, begeht der Fahnenflüchtige, falls er nach der Mobilmachung nicht zurückkehrt, Fahnenflucht im Felde. Vgl. jedoch auch § 52 RStrÄB. 2) Neben oer Gefängnisstrafe ist auf Versetzung in die zweite Klasse des Soldatenstandes zu erkennen. 3) Sowohl der erste wie der wiederholte Rückfall kommt in Betracht. 4) Liegt Fahnenflucht im Felde im wiederholten Rückfall vor, so trrtt Todesstrafe ein, wenn auch nur eins der früheren Fahnenfluchtsdelikte im Felde begangen ist. 5) Die Strafbestimmung des § 71 MStrGB. tritt im Falle des § 68 in Verbindung mit dem Falle des § 69 MStrGB. ein.

§ 72. (KG. §§ 62l, 45 MStrGO.) Haben Mehrere*) eine Fahnen­ flucht verabredet^) und5) gemeinschaftlich ausgeführt, so wird die an sich verwirktes Zuchthausstrafe oder Gefängnißstrafe um die Dauer von Einem Jahre bis zu fünf Jahren erhöht.5) Ist die Handlung im Felde5) begangen, so tritt statt des Gefängnisses?) Zuchthaus von gleicher Dauer, gegen den Rädelsführer3) und gegen den Anstifter5) Todesstrafe ein. *) Es genügen zwei Personen. 2) „Verabredung" setzt voraus, daß durch die schließliche Einigung der Beratenden es zu dem Entschluß, die Fahnenflucht auszuführen, gekommen ist. Eine mündliche Aussprache ist nicht notwendig, die Verabredung kann auch durch Zeichen,' konkludente Handlungen erfolgen. RMGer. PE. II. Nr. 153. Mittel, Art, Ort und Zeit der Ausführung brauchen nicht be­ stimmt zu sein. 3) Zur Verabredung der Fahnenflucht muß noch die gemeinschaftliche Ausführung der Tat hinzutreten, um den Tatbestand des § 72 MStrGB. zu erfüllen; jeder der an der Verabredung beteiligten Komplottanten (auch

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Militär-Strafgesetzbuch für das Deutsche Reich.

der Anstifter und Rädelsführer) müssen fahnenflüchtig werden. Liegt Ver­ abredung mehrerer zur Fahnenflucht eines einzelnen vor, so greift event. § 78 MStrGB. Platz. Die Tat muß gemeinschaftlich ausgeführt sein, d. h. in bewußtem und gewolltem Zusammenwirken; jeder einzelne muß sich bewußt sein, daß mehrere zusammenwirkend tätig sind und tätig sein wollen. RG. III. 8. Mai 1880. R. 1,742. II. 26. Sept. 1882. R. 4,718. RMGer. PE. III. Nr. 141. Gleichzeitigkeit der Ausführung, oder Ausführung der Tat an demselben Orte wird nicht erfordert. 4) Die an sich verwirkte Strafe ist die für den einzelnen Fall unter Be­ rücksichtigung der strafmindernden und straferhöhenden Momente (§§ 70, 71, 72 MStrGB., §§ 318, 323, 326 MStrGO.) ausgemessene Strafe. Befindet sich unter den Tätern ein Vorgesetzter, so ist bei der für diesen an sich ver­ wirkten Strafe zunächst die Straferhöhung aus 8 55 Nr. 1 event. § 115 MStrGB. zu berücksichtigen. In den Urteilsgründen ist zunächst die an sich verwirkte Strafe festzustellen. 5) Das Vergehen der Fahnenflucht wird durch die Straferhöhung zum Verbrechen. RMGer. II. 19. Sept. 1901. E. l,29o; PE. III. Nr. 110. 6) Vgl. auch 88 9 und 10 MStrGB. Absatz 2 enthält einen straferschwerenden Umstand, vgl. auch 88 318, 323 Abs. 2, 326 MStrGO. 7) Abs. 1 8 72 MStrGB. setzt allgemein für die verabredete und ge­ meinschaftlich verübte Fahnenflucht, gleichgiltig, ob das Delikt im Felde oder nicht im Felde begangen ist, eine Straferhöhung fest. Abs. 2 8 72 eit. normiert keine Erhöhung dieser Strafe, sondern verhängt an Stelle der nach 8 71 MStrGB. an sich verwirkten Gefängnisstrafe eine schärfere Strafart, Zuchthaus. Verabredete, gemeinschaftlich ausgeführte Fahnen­ flucht im Felde im ersten Begehungsfall ist sonach mit 5—15 Jahren Zucht­ haus bedroht. Ist dies Delikt im Rückfall begangen und die den Rückfall begründende Bestrafung wegen in Friedenszeiten verübter Fahnenflucht er­ folgt, so erhöht sich der Strafrahmen gemäß 8 72 Abs. 1 MStrGB. auf 6—15 Jahre Zuchthaus. Vgl. auch 8 14 RStrGB. 8) Rädelsführer ist derjenige, welcher die Führung der die Fahnen­ flucht verabredenden und ausführenden Personen hat; diese Führung kann sich in dem Zusammenbringen, Zusammenhalten der Täter, in der Be­ stimmung der Ausführung des Delikts, der geistigen Leitung dessen usw. betätigen. 9) Der Begriff der Anstiftung im Sinne des 8 48 RStrGB. erfordert die vorsätzliche Bestimmung eines anderen zu dem von demselben be­ gangenen Delikt durch Geschenke, Drohung rc. Im Falle des 8 72 Abs. 2 MStrGB. wird der andere zur Teilnahme (Mittäterschaft) an der eigenen, gemeinschaftlich mit dem Angestifteten zu begehenden Tat des Anstifters be­ stimmt, es fehlt mithin zur Anwendung des 8 48 RStrGB. und zur Straf­ barkeit des Anstifters das Tatbestandsmerkmal der von einem anderen be­ gangenen Tat. RG. IV. 31. Mai 1895. E. 27,273. Abs. 2 8 72 eit. sieht daher für die außerhalb der Täterschaft des Anstifters liegende Tätigkeit der An­ stiftung zu dem im Felde begangenen Delikt gegen 8 72 eit. eine besondere Strafe, die Todesstrafe, vor.

§ 73. (KG. 88 62 r, 45 MStrGO.) Die Fahnenflucht vom Postens vor dem Feinde^) oder aus einer belagerten?) Festung8) wird mit dem Tode bestraft. Dieselbe Strafe trifft den Fahnenflüchtigen,4) welcher zum Feinde übergeht, b)

Zweiter Teil.

Einzelne Verbrechen und Vergehen.

§§ 73—75.

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Im militärischen Sinne bezeichnet „Posten" sowohl einen Ort, welcher zu halten ist, wie die diesen Ort haltenden Mannschaften; unter den Be­ griff „Posten vor dem Feinde" fallen alle in Gewärtigung eines Zusammen­ treffens mit dem Feinde zum Sicherheitsdienst erfolgten Postierungen. Z. B. Patrouillen, Feldwachen, Vorposten, Gros der Vorposten, vgl. auch § 165 MStrGB. la) Vgl. §§ 11 und 165 MStrGB. 2) Die Erklärung einer Festung in Belagerungszustand genügt nicht, die Festung muß ganz oder teilweise vom Feinde umschlossen sein. 3) Erfordert ist nur, daß die Fahnenflucht aus einer belagerten Festung, nicht auch, daß sie vom Posten aus einer belagerten Festung erfolgte. 4) Die Fahnenflucht muß im Felde verübt sein. Auf vor dem Kriege fahnenflüchtig gewordene, in feindliche Militärdienste eingetretene Personen, welche nach Ausbruch des Krieges in diesen Diensten verbleiben, findet die Strafvorschrift des § 73 Abs. 2 MStrGB. Anwendung. Vgl. Note 1 zu § 71 MStrGB. Daß die Fahnenflucht vor dem Feinde begangen wurde und der Fahnenflüchtige unmittelbar zum Feinde übergeht, ist nickt not­ wendig; ebensowenig erfordert der Begriff des Übergehens zum Feinoe den Eintritt in feindliche Militärdienste. 5) § 73 MStrGB. findet auch auf Militärbeamte, welche aus einer belagerten Festung desertieren oder zum Feinde übergehen, Anwendung; § 153 MStrGB. § 74.

Neben dem wegen Fahnenflucht verwirkten4) Gefängniß

ist2) auf Versetzung in die zweite Klasse des Soldatenstandes zu er­ kennen.3) 4) d. h. erkannten Gefängnisstrafe. Unerheblich ist, ob die erkannte Strafe durch die Untersuchungshaft für verbüßt erachtet wird. 2) Auf die Ehrenstrafe muß, abgesehen von der im 8 75 MStrGB. gegebenen Ausnahme erkannt werden, und zwar auch dann, wenn gleich­ zeitig wegen eines konkurrierenden Verbrechens Zuchthaus und Entfernung aus dem Heere verhängt wird. RMGer. PE. II. Nr. 154. Beim Versuch der Fahnenflucht ist die Ehrenstrafe nicht geboten, nur zulässig; § 46 MStrGB. Befindet sich der Täter bereits in die 2. Kl. des Soldatenslandes, so ist auf erneute Versetzung in die 2. Kl. des Soldatenstandes zu erkennen. 3) Gegen Offiziere ist statt der Versetzung in die 2. Kl. des Soldaten­ standes Entfernung aus dem Heere (§ 31 Abs. 1 Nr. 2 MStrGB.), gegen Unteroffiziere neben der Versetzung in die 2. Kl. des Soldatenstandes De­ gradation (§ 40 Abs. 1 Nr. 2 MStrGB.), gegen Militärbeamte Amtsverlust (§ 153 MStrGB.) auszusprechen. § 75.

(KG. §§ 624, 45 MStrGO.)

Stellt4) sich ein Fahnen­

flüchtiger^) innerhalb sechs Wochen^) nach erfolgter Fahnenflucht4), so

kann, wenn dieselbe nicht im Felde begangen ist, die an sich verwirkte3) Zuchthausstrafe oder Gefängnißstrafe bis auf die Hälfte ermäßigt, auch kann, wenn kein Rückfall vorliegt, von der Versetzung in die zweite

Klasse des Soldatenstandes

abgesehen werden.

Gegen Unteroffiziere

muß jedoch auf Degradation erkannt werden. 6) 4) Die Absicht, zum Truppenteil zurückzukehren, muß dadurch erfüllt sein, daß der Fahnenflüchtige sich in den Machtbereich des Truppenteils oder einer sonstigen zuständigen Behörde (z. B. militärische Wache, Polizeibe­ hörde, Konsulat) begibt und sich unter Meldung des Sachverhalts zur Herzu. Ernst, Strafrecht der Militärpersonen.

7

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Militär-Strafgesetzbuch für das Deutsche Reich.

Verfügung stellt. Es kann im Einzelfalle zweifelhaft sein, wann diese Ge­ stellung als vollendet angesehen werden kann. Dies namentlich dann, wenn nach Eintritt in den Machtbereich der zuständigen Behörde der Fahnenflüchtige überraschend verhaftet wird, bevor er die beabsichtigte Meldung zu erklären in der Lage war. In solchen Fällen wird unter Umständen die Gestellung als vor der Verhaftung zur Ausführung gebracht erachtet werden können. RMGer. II. 7. Mai 1901. E. 1,123. Im Auslande kann die Gestellung eines Fahnenflüchtigen im Sinne des § 75 MStrGB. nicht nur bet einer deutschen Gesandtschaft oder Konsularbehörde, sondern auch bei einer Behörde des betreffenden ausländischen Staates erfolgen, wenn diese Behörde auf Grund besonderer Staatsverträge zur umgehenden Zu­ rückführung des Fahnenflüchtigen verpflichtet ist (wie z. B. in Dänemark, Österreich). RMGer. I. 3. April 1902. E. 2,255 und zit. Erk. 1,123. PE. 140. Durch diesen Eintritt in den Machtbereich einer staatlichen Behörde ist aber die Fahnenflucht noch nicht beendet. Vgl. § 69 Note 2 MStrGB. Die Gestellung muß eine persönliche und freiwillige sein; eine solche liegt auch vor, wenn der Fahnenflüchtige mit seinem Willen von dritten Personen (Verwandten, Vormund) seiner Truppe zugeführt wird. 2) Auf die unerlaubte Entfernung (§§ 64—68 MStrGB.) findet § 75 cit. nicht Anwendung. 3) Der Lauf der Frist beginnt mit Ablauf des Tages, an welchem die Entfernung rc. erfolgte. Vgl. auch RMGer. PE. II. Nr. 151. Vgl. auch Note 1 zu § 66 und Note 3 zu § 68 MStrGB. 4) Die Vorschrift gilt auch für die erste im Komplott verübte Fahnen­ flucht im Frieden. Abs. 1 § 72 MStrGB. 5) Vgl. Note 4 zu § 72 MStrGB. In den Urteilsgründen ist zunächst die an sich verwirkte Strafe auszusprechen und sodann die Ermäßigung zu bestimmen. RMGer. PE. III. Nr. 123. Die an sich verwirkte Strafe im Sinne des § 75 MStrGB. ist bei der im Komplotte in Friedenszeiten begangenen Fahnenflucht nicht nur die nach § 70 das. zu verhängende Strafe, sondern diese Strafe einschließlich der nach § 72 das. verwirkten Straferhöhung. Hiernach ist die niedrigste gesetzlich zulässige Strafe für das erwähnte Delikt in den Fällen des § 75 MStrGB. neun Monate Gefängnis. RMGer. I. 13. Juli 1903. E. 5,256. PE. II. Nr. 152. Ist die an sich verwirkte Zuchthaus­ strafe auf weniger als ein Jahr zu ermäßigen, so tritt an die Stelle derselben Gefängnis von gleicher Dauer; § 17 MStrGB. 6) Gegen einen Offizier muß im gleichen Falle auf Dienstentlassung erkannt werden; § 34 Abs. 1 Nr. 2 MStrGB.

§ 76. Die Verjährung der Strafverfolgung *) wegen Fahnenflucht beginnt mit2) dem Tage, an welchem der Fahnenflüchtige, wenn er die Handlung nicht begangen hätte, seine gesetzliches oder von ihm übernommene Verpflichtung zum Dienste erfüllt haben würde. x) Es kommt nicht darauf an, daß der Täter auch noch zur Zeit der Strafverfolgung deutscher Reichsangehöriger ist oder ob er die Staatsan­ gehörigkeit durch zehn- bezw. fünfjährigen Aufenthalt im Auslande in­ zwischen verloren hat. RG. III. 20. Jan. 1896. E. 28,127. Eine Ausnahme enthält der Vertrag zwischen dem Norddeutschen Bund und den Vereinigten Staaten von Nordamerika v. 22. Febr. 1868, Art. 112 (Bancroft-Vertrag), sowie die diesem nachgebildeten Verträge der Vereinigten Staaten mit Bayern, Württemberg, Baden, Hessen. Nach demselben kann ein naturali­ sierter amerikanischer Staatsbürger, welcher sich ununterbrochen fünf Jahre in den Vereinigten Staaten aufgehalten hat, wegen einer durch (nicht auch vor) Auswanderung verübten Straftat nach seiner Rückkehr und selbst

Zweiter Teil.

Einzelne Verbrechen und Vergehen.

§ 76.

99

nach Verlust der amerikanischen Staatsangehörigkeit nicht mehr bestraft werden. RG. I. 18. Febr. 1897. E. 29,391 und III. 20. Jan. 1896. E. 28,127, vgl. auch § 21 Abs. 3 des Jndigenatsgesetzes v. 21. Juni 1870, Olshausen Note 10 zu § 140. Wegen der Verjährungsfristen vgl. § 67 RStrGB. Die Verjährung der Strafvollstreckung regeln §§ 70, 72 RStrGB. 2) Die Fahnenflucht ist ein Dauerdelikt; bei diesem beginnt die Ver­ jährung erst dann, wenn die Tätigkeit (Unterlassung) aufgehört hat. RG. II. 2. Nov. 1883. E. 9,152. Der Lauf der Verjährungsfrist beginnt mit Beginn des Tages, an welchem die Verpflichtung zum Dienst erfüllt ist. Der ganze Tag, an welchem der Täter seine Verpflichtung zum Dienst erfüllt haben würde, bildet den ersten Tag der Verjährungsfrist und letztere erreicht dem­ gemäß mit dem Beginn des dem Anfänge der Verjährung entsprechenden Kalendertages ihr Ende. RG. IV. 25. Juni 1886. R. 8,493, RG. III. 16. Nov. 1881. R. 3,716. Bei der gesetzlichen Verpflichtung zum Dienst beginnt die Verjährungsfrist mit dem 31. März desjenigen Kalenderjahres, in welchem der Täter das 39.Lebensjahr vollendet. §3 des Gesetzes v. 11. Febr. 1888 Z 5 Nr. 2 WO. Für Dienstpflichtige, die vor dem vollendeten 20. Lebensjahre eingetreten sind, ist der 31. März desjenigen Jahres maßgebend, in dem sie sechs Jahre der Landwehr zweiten Aufgebots angehört haben. § 3 Abs. 2 und 3 des Gesetzes v. 11. Febr. 1888. Hinsichtlich der Offiziere und Fähnriche des aktiven Dienststandes ver­ jährt das Verbrechen der Fahnenflucht nicht, so lange nicht die freiwillig übernommene Dienstpflicht eines solchen Offiziers durch Dienstentlassung oder Verabschiedung ihr Ende erreicht hat. Für den Beginn der Ver­ jährung ist es in diesem Falle gleichgültig, ob eine daneben etwa bestehende gesetzliche Dienstpflicht des Fahnenflüchtigen erfüllt ist oder nicht. Die Streichung des Offiziers aus der Armeeliste und aus dem Etat der Truppe ist mit Entlassung aus dem Dienst nicht gleichbedeutend, zieht auch eine solche Maßregel nicht nach sich. Bei Kapitulanten, welche ihrer gesetzlichen Dienstpflicht noch nicht genügt haben, beginnt die Verjährung der Fahnenflucht mit dem Ablauf ihrer gesetzlichen Verpflichtung zum Dienst. (Vgl. oben.) Hat der Kapitulant die gesetzliche, nicht aber die übernommene Dienstpflicht erfüllt, so beginnt die Verjährung mit dem Tage, an welchem die eingegangene Kapitulation abläuft. 3) Unter die gesetzliche Verpflichtung zum Dienst im Sinne dieser Vor­ schrift fällt nicht die Pflicht zum Dienst im Landsturm. Die „Verpflichtung zum Dienst" ist stets nur die dem Fahnenflüchtigen obliegende konkrete Dienstpflicht. Ist ein Fahnenflüchtiger zu einer Zeit entwichen, zu welcher eine längere Gesamtdienstpflicht bestand, so kommt ihm eine vor dem Zeit­ punkte, an welchem er oie längere Dienstpflicht erfüllt haben würde, er­ folgte Herabsetzung jener Dienstpflicht nur in dem Maße zugute, in welchem sie für die Mannschaften seiner Altersklasse bestand. War vor dem Inkrafttreten des Gesetzes v. 11. Febr. 1888 die Verjährung mit Rücksicht auf die frühere Dauer der gesetzlichen Dienstpflicht bereits voll­ endet, so ist eine Strafverfolgung auf Grund der durch das zit. Gesetz ver­ längerten Dienstzeit ausgeschlossen. Hatte die Verjährung vor dem Inkraft­ treten des besagten Gesetzes noch nicht begonnen, so ist für den Beginn derselben die durch das Gesetz v. 11. Febr. 1888 festgesetzte Dauer der ge­ setzlichen Dienstpflicht maßgebend. Das gleiche gilt auch dann, wenn unter der Herrschaft des früheren Gesetzes zwar die gesetzliche Voraussetzung des Beginns der Verjährung erfüllt, die gesetzliche Verjährungsfrist aber bei dem Inkrafttreten des Gesetzes v. 11. Febr. 1888 noch nicht abgelaufen war. Rundsch. d. fr. Pr. Sen. Auditoriats v. 25. Mai 1889. § 3 Abs. 2 des Gesetzes v. 11. Febr. 1888.

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MilitLr-Strafgesetzbuch für das Deutsche Reich.

§ 77. (KG. bezw. i. F. StG. §§ 621, 45, 161 MStrGO.) Wer von dem Vorhabens einer Fahnenflucht2) zu einer Zeit, in welcher deren Verhütung möglich ist,3) glaubhafte Kenntniß4) erhält und es unterläßt/) hiervor/) seinem Vorgesetzten rechtzeitig?) Anzeige zu machen, ist, wenn die Fahnenflucht begangen worden/) mit Freiheitsstrafe9) bis zu sechs Monaten und, wenn die Fahnenflucht im Felde begangen worden, mit Freiheitsstrafe 10) von Einem Jahre bis zu drei

Jahren zu bestrafen.u) 1) Vgl. Note 2 zu 8 60 MStrGB. 2) Vgl. 88 70-73 das. 3) Vgl. Note 3 8 60 das. 4) Vgl. Note 4 8 60 das. b) Vgl. Note 5 8 60 das. 6) Vgl. Note 6 8 60 das. 7) Vgl. Note 7 8 60 das. 8) Vgl. Note 9 8 60 das. Es muß vollendete Fahnenflucht vorliegen; Fahnenfluchtversuch genügt nicht. 9) Arrest ein Tag bis sechs bezw. vier Wochen Gefängnis, Festungs­ haft 43 Tage bis sechs Monate. Bezüglich des strengen Arrestes vgl. 8 22 Abs. 3 MStrGB. 10) Gefängnis oder Festungshaft. Wegen Degradation und Dienst­ entlassung vgl. auch 88 34, 40 MStrGB. 11) Der Strafvorschrift des 8 77 MStrGB. unterstehen auch die in 8 56 Nr. 2—4 benannten Personen des Beurlaubtenstandes. 8 60 Nr. 3 RMG., im Felde auch die Militärbeamten. 8 153 MStrGB. Vgl. auch Note 2 zu 8 64 MStrGB.

§ 78. (KG. 88 62i, 45 MStrGO.) Weri) einen Anderen3) zur Fahnenflucht3) vorsätzlich4) verleite/) oder die Fahnenflucht desselben vorsätzlich befördert/) wird, wenn die Fahnenflucht erfolgt ist/) mit Gefängniß von sechs Monaten bis zu zwei Jahren, im Felde mit Gefängniß von fünf bis zu zehn Jahren bestraft/^) zugleich kann auf Versetzung in die zweite Klasse des Soldatenstandes erkannt werden. Der Versucht) ist strafbar/)9) 1) 8 6 MStrGB. ist durch 8 60 Nr. 3 RMG. ergänzt, so daß auf die in 8 56 Nr. 2—4 RMG. genannten Personen des Beurlaubtenstandes auch 8 78 MStrGB. (und nicht 8 141 RStrGB.) Anwendung findet. Vgl. Note 3 und 1 zu 8 6 MStrGB. 2) Während 8 72 MStrGB. Platz greift, wenn eine Anstiftung zu einer verabredeten und gemeinschaftlich und zwar auch vom Anstifter aus­ geführten Fahnenflucht, stattgefunden hat, bedroht 8 78 MStrGB. die An­ stiftung und Beförderung zur Fahnenflucht eines anderen, d. h. einer Militärperson des deutschen oder verbündeten Heeres. Begeht der An­ stifter für sich und unabhängig von der Tat, zu der er angestiftet hat, Fahnenflucht, so liegt Realkonkurrenz zwischen 8 69 und 8 78 MStrGB. vor. Auch die Anstiftung mehrerer fällt unter die Strafvorschrift des 8 78 MStrGB. 3) Bei Verleitung und Beförderung der unerlaubten Entfernung wird 8 48, 8 49 RStrGB. in Verbindung mit 88 64 ff. MStrGB. anwendbar.

Zweiter Teil.

Einzelne Verbrechen und Vergehen. §§ 77—79.

101

4) Der Wille des Täters muß auf Verleitung bezw. Beförderung der Fahnenflucht gerichtet sein; es genügt nicht, daß der andere durch den äter ohne dessen Willen zur Fahnenflucht bestimmt ist. RMGer. PE. VI. 141. 5) Unter Verleitung ist Anstiftung im Sinne des § 48 RStrGB. unter Befördern Beihilfe im Sinne des § 49 RStrGB. zu verstehen (Ver­ schaffen von Zivilkleidern, Geldmitteln, Fahrgelegenheit rc., Koppmann, Note 9 zu § 78 MStrGB.). Im § 78 MStrGB. sind die Anstiftung und Bei­ hilfe zu selbständigen Delikten erhoben. Daß auf feiten des zu Ver­ leitenden schon eine gewisse Geneigtheit zur Begehung der Tat vorhanden ist, schließt den Begriff der „Verleitung" nicht aus. Die Beförderung be­ zieht sich wie die Beihilfe nur auf die Begehung der Fahnenflucht, im Gegensatz zu der nach der Begehung der Fahnenflucht geleisteten Be­ günstigung (§ 257 RStrGB.). Aus der Natur der Fahnenflucht als eines Dauerdelikts ergibt sich, daß die nach Vollendung der Fahnenflucht, so lange der Zustand der letzteren besteht, geleistete Beförderung (als Bei­ hilfe) aus § 78 MStrGB. und nicht etwa als Begünstigung strafbar ist. 6) Die Fahnenflucht muß die Folge der Verleitung sein; hat der Fahnenflüchtige aus eigenem selbständigen Entschluß gehandelt, so kann nur ein Versuch des Delikts des § 78 MStrGB. in Frage kommen. 6a) Anstiftung und Beihilfe von Nichtmilitärpersonen sind nach §§ 48, 49, 257 RStrGB. strafbar. Vgl. § 47 Note 1 MStrGB. 7) Versuch der Verleitung bezw. Beförderung der Fahnenflucht liegt in der Anstiftung und Beihilfe zum Versuch der Fahnenflucht. RG. I. 10. Nov. 1881. R. 3,701. E. 5,125. Versuchte Verleitung zur Fahnenflucht ist ferner gegeben, wenn die Anstiftung erfolglos geblieben ist. 8) Ist der Verleitende ein Vorgesetzter, so liegt ideale Konkurrenz mit §§ 115 und 116 MStrGB. vor. 9) Gegen Offiziere ist Entfernung aus dem Heere (§ 31 Abs. 2 MStrGB.), gegen Unteroffiziere Degradation zulässig. (§ 40 Abs. 1 Nr. 2 MStrGB.)

§ 79?a) (KG. i. F. StG. §§ 62 S 45, 161 MStrGO.) Ein Ge­ fangener, welcher sich selbst befreit,2) wird, wenn nicht die härtere Strafe der Fahnenflucht verwirkt ist,3) mit Freiheitsstrafe4) bis zu sechs Monaten bestraft?) 1 a) Als Täter kommen unter den Voraussetzungen des § 6 MStrGB. auch Personen des Beurlaubtenstandes in Betracht. Auf Militärbeamte und das Gefolge des Heeres findet § 79 cit. nur im Felde Anwendung. §§ 153, 155-157 MStrGB. 4) Gefangener ist jede rechtmäßig in militärischen Gewahrsam ge­ nommene Person; dieser Zustand ist unabhängig davon, ob eine besondere Einsperrung erfolgt oder eine besondere Bewachung angeordnet ist. Ge­ fangene im Sinne des § 79 MStrGB. sind auch vorläufig Festgenommene (§ 7 DStO-, § 180 MStrGO-, vgl. auch RMGer. I. 20. Jan. 1902. E. 2,i?o), auf Grund eines Vorführungsbefehls (§§ 172, 278, 389 MStrGO.) Fest­ genommene (RG. IV. 1. Mai 1885. E. 12,162), Untersuchungsgefangene (§§ 175ff. MStrGO.), Strafgefangene, gleichgültig ob die Strafe gerichtlich oder disziplinarisch verhängt ist; dadurch, daß sich der Gefangene auf dem Transport befindet oder in ein Garnisonlazarett Aufnahme findet, wird an der Gefangeneneigenschaft nichts geändert; § 36 MStrVV., §460 MStrGO. Als durch eine Wache, Posten festgenommen gilt eine Person erst dann, wenn ihr unter Handauflegen oder Berühren mit der Waffe ausdrücklich eröffnet ist, daß sie festgenommen sei. Der bloße Zuruf „Halt" oder „Sie

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Militär-Strafgesetzbuch für das Deutsche Reich.

sind verhaftet, festgenommen rc." genügt nicht; Nr. 112 GV. Geschärften Stubenarrest verbüßende Offiziere sind Gefangene im Sinne dieser Vor­ schrift, dagegen nicht im Quartier- oder Kasernenarrest befindliche Soldaten. Von einer Zivilbehörde oder einem Gendarmen in Gewahrsam ge­ nommene Personen sind nur dann als in militärischer Haft befindlich an­ zusehen, wenn die Inhaftierung auf Ersuchen der Militärbehörde erfolgte, oder sonst militärdienstlichen Interessen dient. So befindet sich in militärischer Haft im Sinne des § 79 MStrGB. eine Militärperson, welche von einem Gendarmen im militärdienstlichen Interesse in Polizeigewahrsam gebracht worden ist. RMGer. PE. V. Nr. 103. Der Ausbruch eines Fahnenflüchtigen aus einem Zivilgefängnis fällt somit unter den Tatbestand des § 79 MStrGB. Die Vollstreckung einer Strafe ist auch dann als durch die Militärbehörde geschehen zu betrachten, wenn sie seitens einer Zivilbehörde auf Ersuchen des Gerichtsherrn stattgefunden hat. RMGer. PE. III. 113. 2) Vollendet ist die Tat erst, wenn eine auch nur vorübergehende Ent­ fernung aus dem Gewaltbereich der militärischen Vorgesetzten stattgefunden hat. Ein solcher Gewaltbereich liegt schon vor, wenn eine Verhaftung in Ausführung militärischer Anordnungen von Zivilpersonen stattgefunden hat, letztere also als Organe der militärischen Obrigkeit anzusehen sind. 3) Zwischen dem Vergehen des § 79 MStrGB. und der unerlaubten Entfernung bezw. der Fahnenflucht §§ 64, 69 daselbst besteht Gesetzes­ konkurrenz. RMGer. PE. IV. Nr. 98. Ist die härtere Strafe oer Fahnen­ flucht verwirkt, so kann der Gefangene nicht auch wegen Selbstbefreiung bestraft werden. RMGer. PE. III. Nr. 124. Zwischen §§ 66, 67 und § 79 MStrGB. besteht ideale Konkurrenz. 4) Arrest bis sechs bezw. vier Wochen, Gefängnis, Festungshaft von 43 Tagen bis sechs Monate; neben Gefängnis ist gegen Offiziere Dienst­ entlassung, gegen Unteroffiziere Degradation zulässig; § 43 Abs. 2 Nr. 2, § 40 Abs. 2 Nr. 1 MStrGB. 5) Versuch der Selbstbefreiung ist an sich straflos, ein Handeln zum Zwecke der Selbstbefreiung bleibt jedoch nur dann straflos, wenn das zu diesem Zwecke angewendete Mittel nicht selbst eine strafbare Handlung in sich schließt. RMGer. I. 20. Jan. 1902. E. 2,i?o.

§ 80. (KG. §§ 62, 45 MStrGO.) Ein Offizier, welcher während der Verbüßung des Stubenarrestes x) eigenmächtig?) feine Wohnung3) verläßt, wird mit Freiheitsstrafe4) bis zu sechs Monaten bestraft; zugleich ist auf Dienstentlassung zu erkennen. Ein Offizier, welcher während der Verbüßung des Stubenarrestes dem Verbot des § 23 zuwider Besuches annimmt, wird mit Freiheits­ strafe bis zu sechs Monaten bestraft; in schweren Fällen«) ist zugleich auf Dienstentlassung zu erkennen. 7) T) Bei der Marine: Kammerarrest. Geschärfter Stubenarrest wird in besonderen Offizier-Arrestzimmern vollstreckt (§ 17 MStrVV.) und kommt hier nicht in Betracht. Eine Selbstbefreiung aus demselben fällt unter § 79 MStrGB. 2) d. h. vorsätzliche, ohne Erlaubnis des zuständigen Vorgesetzten. §§ 52—54 RStrGB. finden Anwendung (Erkrankung, Feuersgefahr rc.). 3) Vgl. Note 2 zu § 23 MStrGB. 4) Stubenarrest, geschärfter Stubenarrest bis sechs Wochen, Gefängnis, Festungshaft von 43 Tagen bis sechs Monaten. 5) Aufgedrängte Besuche sind nicht „angenommene" und erfüllen den Tatbestand des § 80 MStrGB. nicht.

Zweiter Teil.

Einzelne Verbrechen und Vergehen.

§§ 80, 81.

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6) Mit schweren Fällen ist der Gegensatz zu minder schweren Fällen bezeichnet. Vgl. Note 19 zu § 58 MStrGB. 7) Die Vorschrift des § 80 MStrGB. findet auf obere Militärbeamte im Felde Anwendung; die Ehrenstrafe der Dienstentlassung entfällt; auf Amtsverlust darf an Stelle derselben nicht erkannt werden. § 153 MStrGB. Gegen obere Mrlitärbeamte der Marine ist an Bord als Disziplinarstrafe einfacher Kammerarrest, am Lande Stubenarrest zulässig; letzterer ist gegen diejenigen oberen Militärbeamten, die in einem doppelten Unteroronungsverhältnisse stehen, aber nur zulässig für die Zeit, während welcher sie unter den Kriegsgesetzen stehen. MStrGB. § 9 MDStO. §§ 39, 41.

Vierter Abschnitt. Selbstbeschädigung und Vorschützung von Gebrechen.

§ 81. (KG. §§ 621, 45 MStrGO.) Weri) sich vorsätzlich2) durch Selbstverstümmelung oder auf andere Weises zur Erfüllung seiner gesetzlichen oder von ihm übernommenen Verpflichtung^) zum Dienste untauglich macht^) oder durch einen Anderen untauglich machen läßt/) wird mit Gefängniß von Einem Jahre bis zu fünf Jahren bestraft; zugleich ist auf Versetzung in die zweite Klasse des Soldaten­ standes zu erkennen.7)8) Wird durch die Handlung die Unfähigkeit zu Arbeiten für mili­ tärische Zwecke verursacht,^) so ist die an sich verwirkte3) Gefängniß­ strafe um die Dauer von drei Monaten bis zu Einem Jahre zu er­ höhen; zugleich ist auf Entfernung aus dem Heer oder der Marine zu erkennen. ^) Der Versuch ist strafbar.") x) Als Täter kommen nur Personen des Soldatenstandes in Betracht und zwar außer den Personen des aktiven Dienststandes auch die in § 56 Nr. 2—4 RMG. aufgeführten Personen des Beurlaubtenstandes. Vgl. Note 1 sub b—d zu § 6 MStrGB. Andere Mannschaften des Beurlaubtenstandes, sowie Offiziere, Arzte des Beurlaubtenstandes unterliegen der Strafbestimmung des § 81 MStrGB. nur im Falle des § 6 MStrGB.; sind diese Voraussetzungen nicht gegeben, so finden auf diese Personen §§ 142, 143 RStrGB. Anwendung. Auf Militärbeamte erstreckt sich § 81 cit. nicht. Unerheblich ist, ob der Täter an sich diensttauglich oder dienstuntauglich ist, da auch der dienstuntaugliche eingestellte Mann so lange zum Dienst im Heere verpflichtet ist, bis seine ordnungsmäßige Entlassung erfolgt. RMGer. I. 13. Juni 1901. E. I,i84. 2) Die Selbstbeschädigung erfordert, wie die Fahnenflucht, die Absicht, sich der Erfüllung der Dienstpflicht dauernd zu entziehen; beide Delikte unterscheiden sich durch die Art der zur Erreichung der Absicht gewählten Mittel; durch oie Worte „zur Erfüllung" soll auch der Fall unter das Delikt furniert werden, daß der Täter in der Absicht handelt, sich bestimmten Dienstleistungen zu entziehen. Der Vorsatz ist darauf gerichtet, sich zur Er­ füllung oer Dienstpflicht untauglich zu machen. RG. IV. 15. Mai 1900. 33,280 u. FS. 26. Juli 1883. E. 9,88. Dolus eventualis genügt. 3) Jede Beschädigung des Körpers, welche die Untauglichkeit zum militärischen Dienste zur Folge hat, kommt in Betracht, gleichviel ob sie äußerlicher oder innerlicher Art ist.

104

Militär-Strafgesetzbuch für das Deutsche Reich.

4) Vgl. Note 3 zu Z 69 MStrGB. 5) Die Herbeiführung einer absoluten Dienstuntauglichkeit bei einer vorher absolut diensttauglichen Person wird nicht erfordert; es genügt die Herbeiführung des Erfolges, daß eine Person nicht mehr in derjenigen Art und in demjenigen Umfange zum Dienst tauglich ist, in welchem sie es vorher war, also nicht mehr demjenigen Dienst genügen kann, welkem sie vorher gewachsen war. RG. III. 5. April 1883. E. 8,214. Selbstverstümmelung liegt daher vor, wenn die Selbstbeschädigung auch nur oie Untauglichkeit zum Felddienst (RMGer. PE. III. Nr. 125) oder zum Dienst einer bestimmten Waffengattung oder zum Waffendienst über­ haupt zur Folge hat. Die Untauglichkeit braucht keine derartig für das Leben andauernde zu sein, wie sie regelmäßig die Verstümmelung nach sich zieht. Anderseits begründet die Unfähigkeit, Dienst zu tun, nicht ohne weiteres die Untaug­ lichkeit, die Dienstpflicht zu erfüllen. Nicht schon jede ganz geringfügige uno vorübergehende Gesundheitsstörung, die ohne weiteres erkennen läßt, daß sie in kurzer Zeit, ohne bleibenden Nachteil zu hinterlassen, zur Heilung gelangt, fällt unter den Begriff der Untauglichkeit, die Dienstpflicht zu er­ füllen; gegebenenfalls wird in solchen Fällen § 83 MStrGB. anwendbar. Vgl. auch RG. zit. Erk. E. 33,280. Das Delikt kann so lange begangen werden, bis die gesetzliche oder übernommene Verpflichtung zum Dienst noch nicht völlig erfüllt ist, also auch von demjenigen, der einem Teil der gesetzlichen Dienstpflicht, z. B. dem Dienst bei der Fahne, bereits Genüge geleistet hat, sich der weiteren Er­ füllung der Dienstpflicht durch Untauglichkeit entzieht. RG. zit. Erk. E. 33,280. 6) Daß der andere schuldhaft handle, ist nicht notwendig. Ist der andere eine Zivilperson, so finoet gegebenenfalls § 142 Abs. 2 RStrGB. auf ihn Anwendung ; zuständig ist das Zivilgericht. 7) Die zu Arbeiten für militärische Zwecke fähig gebliebenen Soldaten genügen ihrer Dienstpflicht in Arbeiterabteilungen. Vgl. § 3 Nr. 2 der Dienstvorschrift für Arbeiterabteilungen v. 31. Aug. 1881. 8) Gegen Offiziere muß auf Entfernung aus dem Heere § 31 Abs. 1 Nr. 2, gegen Unteroffiziere auf Degradation § 40 Abs. 1 Nr. 2 MStrGB. erkannt werden. 8a) Erfordert wird nur der ursächliche Zusammenhang zwischen der Handlung und der Unfähigkeit zu militärischen Arbeiten; dieser Erfolg braucht vom Täter nicht beabsichtigt zu sein. 9) Die an sich verwirkte Strafe ist die für den einzelnen Fall unter Berücksichtigung der strafmildernden und strafschärfenden Umstände ausge­ messene Strafe; sie ist zum Zwecke der Straferhöhung im Urteil festzustellen. 10) Die Strafvollstreckung geht auf die bürgerlichen Behörden über; § 15 Abs. 3 MStrGB., §§ 5, 45 MStrVV. n) Die Vorschrift bezieht sich nur auf den Abs. 1 des § 81 eit; Abs. 2 des § 81 setzt eine vollendete Handlung voraus. Uber den Versuch vgl. 88 43 ff. RStrGB. Beim Versuch ist die Versetzung in die zweite Klasse des Soldatenstandes zulässig, nicht geboten; 8 46 MStrGB.

§ 82.1)

(KG. 88 621, 45 MStrGB.) Dieselben Freiheitsstrafen2)

(8 81) treffen denjenigen?) welcher einen Anderen4) auf dessen Ver­ langen^) zur Erfüllungb) seiner gesetzlichen oder von ihm übernommenen Verpflichtung?) zum Dienste untauglich macht; zugleich kann auf Ver­

setzung in die zweite Klasse des Soldatenstandes erkannt werden.8)9)

x) Nur insoweit in der Handlung des 8 82 MStrGB. eine Bei­ hilfe im Sinne des 8 49 RStrGB. liegt, wird die Anwendung dieser

Zweiter Teil.

Einzelne Verbrechen und Vergehen.

§§ 82, 83.

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letzteren Vorschrift durch die Spezialvorschrift des § 82 cit. ausgeschlossen, andere Fälle der Beihilfe bleiben nach §49 RStrGB. in Verbindung mit § 81 MStrGB. strafbar. 2) Und zwar, gegebenen Falles, auch die in §81 Abs. 2 angedrohte Strafe, wenn die Handlung die Unfähigkeit zu Arbeiten zu militärischen Zwecken verursacht hat. 3) Vgl. Note 1 zu § 81 MStrGB. Zivilpersonen unterstehen der Vor­ schrift des § 142 Abs. 2 RStrGB. 4) Der andere muß eine Person des Soldatenstandes sein; die an einer wehrpflichtigen Zivilperson von einem Soldaten begangene Untauglichmachung zur Erfüllung der Wehrpflicht ist nach § 142 Abs. 2 RStrGB. strafbar. 4) Es genügt das stillschweigende Verlangen, d. h. die Zustimmung, Einwilligung. Fehlt die Zustimmung des untauglich Gemachten, so sind §§ 223 ff. RStrGB. anwendbar. 6) Die Handlung muß vorsätzlich begangen sein; der Täter muß wissen und wollen, oaß ein anderer zur Erfüllung der Dienstpflicht untauglich ge­ macht werden soll. 7) Vgl. Note 3 zu § 69 MStrGB. 8) Der Versuch ist nicht strafbar; mit Rücksicht auf die im § 81 Abs. 2 MStrGB. angedrohte Strafe an sich denkbar, da oie dort angedrohte Strafe fünf Jahr Gefängnis übersteigt (§§ 1 Abs. 1 MStrGB., 43 Abs. 1 RStxGB.), ist diese Vorschrift auf den Versuch nicht anwendbar, da sie voraussetzt, daß die Selbstverstümmelung, also die Vollendung der Tat ein­ getreten ist. 9) Gegen Offiziere ist Entfernung aus dem Heere (§ 31 Abs. 3 MStrGB.) zulässig, gegen Unteroffiziere muß neben Versetzung in die zweite Klasse des Soldatenstandes Degradation (§ 40 Abs. 1 Nr. 2 MStrGB.) erkannt werden.

§ 83. (KG. i. F. StG. §§ 621, 45, 161 MStrGO.) Wer*) in der Absicht, ?) sich der Erfüllung seiner gesetzlichen oder von ihm über­

nommenen Verpflichtung zum Dienste3) ganz oder theilweise?) zu ent­ ziehen, ein aus Täuschung berechnetes Mittel4) anwendet/) wird mit Freiheitsstrafe8) bis zu fünf Jahren bestraft; zugleich kann auf Ver­ setzung in die zweite Klasse des Soldatenstandes erkannt werden.7) Dieselbe Strafvorschrift findet auf den Teilnehmer8) Anwendung. 1) Vgl. Note 1 zu § 83 MStrGB. 2) Die Absicht kann auf eine andere, etwa spätere Dienstzeit (z. B. sich während eines Krieges, Manövers, einer Landwehrübung oder einer Seereise rc. dem Dienste zu entziehen) oder auf eine andere, dem Täter an­ genehmere oder bequemere Art des Dienstes gerichtet sein. RG. FS. 26. Juli 1883. E. 9,83. Erfordert wird jedoch stets die Absicht, sich der Verpflichtung zum Dienst zu entziehen. Handelte der Täter nur in der Absicht, sich vorübergehend von einer oder mehreren einzelnen, befohlenen Dienstverrichtungen zu entziehen, so findet nicht § 83, sondern gegebenen­ falls §§ 90 bezw. 139 MStrGB. Anwendung. Dagegen genügt die Ab­ sicht, sich auf gewisse Zeit einer Reihe bestimmter Dienstverrichtungen (Schwimmunterricht rc.) zu entziehen zur Anwendung der § 83 MStrGB. Koppmann Note 2 zu § 83 MStrGB. RG. IV. 15. Mai 1900. E. 33,280. 3) Vgl. Note 3 zu § 69 MStrGB. § 83 MStrGB. setzt als Tat­ bestandsmerkmal nur die Verpflichtung zum Dienst voraus. Die Dienst­ brauchbarkeit ist für den Tatbestand unerheblich und § 83 daselbst findet

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Militär-Strafgesetzbuch für das Deutsche Reich.

auch Anwendung, wenn anderweit wirkliche Befreiungsgründe bestehen. RMGer. II. 21. Mai 1901. E. 1,142. 4) Vgl. RMGer. II. 30. Nov. 1901. E. 2,74 und 21. Mai 1901 Nr. 41. E. 1,142. Hiernach gelten bloße Lügen, allgemeine Angaben ohne Hinzutritt besonderer Handlungen, die zur Herbeiführung einer Täuschung geeignet smd, nicht als Mittel im Sinne dieser Vorschrift. Als zur Täuschung ge­ eignete Handlung stellt sich jedoch das unrichtige Behaupten von Krankheits­ symptomen dar. (Vgl. auch RG. IV. 4. Dez. 1896. E. 29,218.) Unter das Gesetz fallen nicht allein solche unerlaubten Mittel, durch welche angebliche Leiden in die äußere Erscheinung gebracht werden, sondern die Geltendmachung un­ richtiger Tatsachen über vorhandene oder angebliche Leiden bezw. befreiende Verhältnisse genügt, sobald durch diese falschen Angaben Behörden, Sachver­ ständige, Vorgesetzte über den wahren Zustand in die persönlichen Verhältnisse des Dienstpflichtigen irregeführt werden sollen. Ob diese unrichtigen Behaupt­ ungen sich auf die Vorspiegelung eines überhaupt nicht vorhandenen Leidens oder aufdieÜbertreibung eines tatsächlich vorhandenen Leidens beziehen, ist unerheblich. Geschah die Übertreibung in der Absicht, sich der Dienst­ verpflichtung zu entziehen, so ist der Tatbestand des § 83 MStrGB. gegeben. Zum Ünterschiede von § 81 MStrGB., welcher objektiv eine wirkliche Untauglichkeit des Militärpflichtigen zum Dienen voraussetzt, erfordert § 83 daselbst wie § 143 RStrGB. nicht die Hervorrufung eines krankhaften Zustandes; zur Erfüllung des Tatbestandes des § 83 MStrGB. genügt vielmehr die Anwendung irgend eines Mittels, welches geeignet ist, den Behauptungen über das Bestehen einer Krankheit oder eines die Entlassung im aktiven Dienste befindlicher Mannschaften begründenden Verhältnisses (vgl. §§ 83, 32 WO.) den Scyein der Wahrheit zu geben und eine Täuschung der Behörden, Sachverständigen und Vorgesetzten herbeizuführen. Welches Mittel zur Herbeiführung der Täuschung angewandt wird, insbesondere ob ein betrügerisches Mittel im Sinne des § 263 RStrGB. vorliegt, ist gleichgültig. Das Mittel muß nur auf eine Jrrtumserregung über tat­ sächliche, vergangene oder gegenwärtige Verhältnisse berechnet sein. Be­ rechnet auf Täuschung sind Mittel, wenn sie unter Umständen und je nach Lage des Falles dahin führen können, eine Täuschung herbeizuführen; nicht erforderlich ist ein Mittel, welches notwendig unter allen Umständen zur Täuschung in der Richtung seiner Anwendung führen muß. Rechtlich gleichgültig ist, ob die Militärbehörde rc. genau in der beabsichtigten Weise oder ob sie auch nach einer anderen Richtung hin durch die gegen sie an­ gewandten Täuschungsmittel irregeleitet werden kann, endlich ob der Erfolg der Täuschung eingetreten ist. RG. I. 3. Nov. 1884. R. 6,682. Die Dienst­ tauglichkeit des Täters ist für die Anwendbarkeit des § 83 MStrGB. ohne rechtliche Bedeutung; es genügt die gesetzliche Verpflichtung zum Dienst. Haben die Militärbehörden durch Einstellung des Rekruten von ihrem ge­ setzlichen Anspruch auf dessen Dienstleistung im Heere Gebrauch gemacht, so besteht die gesetzliche Verpflichtung zur Leistung des Heeresdienstes bis zur ordnungsmäßigen Entlassung fort, der Verpflichtete ist den Militär­ gesetzen bis zur Entlassung unterworfen; auch der Dienstuntaugliche ist Person des Soldatenstandes mit allen an diese Eigenschaft sich knüpfenden Pflichten. RMGer. II. 12. März 1902. E. 2,222. 5) Eine Anwendung des Mittels liegt erst vor, wenn von demselben gegenüber einer Behörde, Sachverständigen oder Vorgesetzten, welche mit der Frage der Dienstfähigkeit des Täters befaßt sind, Gebrauch gemacht worden ist. RMGer. II. 30. Nov. 1901. E. 2,74. RG. FS. 26. Juli 1883. E. 9,97. FS. 10. Sept. 1886. R. 8,533. 6) Arrest bis sechs bezw. vier Wochen (strenger Arrest nur unter der Voraussetzung des § 22 Abs. 3 MStrGB.), Gefängnis oder Festungshaft von 43 Tagen bis fünf Jahren §§ 17, 21 MStrGB.

Zweiter Teil.

Einzelne Verbrechen und Vergehen. §§ 84, 85.

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7) Gegen Offiziere ist Entfernung aus dem Heere, § 31 Abs. 3 MStrGB., zulässig, gegen Unteroffiziere muß neben der Versetzung in die zweite Klasse des Soldatenstandes auf Degradation erkannt werden; § 40 Abs. 1 Nr. 2 daselbst. 8) Teilnehmer sind der Mittäter, Anstifter, Gehilfe. §§ 47 ff. RStrGB. Die Vorschrift enthält eine Ausnahme des § 49 RStrGB. Ist der Teil­ nehmer eine Zivilperson, so findet § 143 Abs. 2 RStrGB. Anwendung; zu­ ständig ist das Zivilgericht.

Fünfter Abschnitt/)

Feigheit.

§ 84. (KG. §§ 62 *, 45 MStrGO.) Wer während des Gefechts2) aus Feigheit8) die Flucht ergreift4) unb5) die Kameraden8) durch Worte oder Zeichens zur Flucht verleitet,8) wird mit dem Tode bestraft. *) Der Abschnitt findet nur auf Personen des Soldatenstandes An­ wendung; bezüglich der Offiziere ä la suite vgl. § 2 Abs. 3 EG. z. MStrGB. §§ 84—86 behandeln die Feigheit vor dem Feinde, § 87 die im Felde wie in Friedenszeiten begangene Feigheit. 2) Daß der Täter selbst sich im Gefecht befindet, ist nicht erforderlich, er muß nur dienstlich zum Gefecht in Beziehung stehen; es muß seine Truppe bestimmt sein, eventuell in das Gefecht einzugreifen. 3) Feigheit ist Furcht vor persönlicher Gefahr. Das Motiv zur Tat muß Feigheit sein; es bedarf dies tatsächlicher Feststellung. Vgl. auch § 49 MStrGB. 4) Fluchtergreifen erfordert ein eigenmächtiges Verlassen des Gefechts­ feldes, d. h. ein Verlassen ohne Befehl oder Erlaubnis; ein momentanes Zurückweichen auf dem Gefechtsfelde erfüllt das Tatbestandsmerkmal der Flucht nicht. 5) Zum Tatbestände des § 84 MStrGB. gehört außer dem Ergreifen der Flucht die Verleitung von Kameraden zur Flucht; beide Merkmale müssen kopulativ vorliegen. 6) Unter Kameraden sind nicht etwa lediglich die Angehörigen des gleichen Dienstgrades im Heere oder einzelner Truppenteile zu verstehen; dieser Begriff umfaßt vielmehr die gesamte Kameradschaft, wie sie für die Personen des Soldatenstandes durch den militärischen Dienst im Heere und durch die Zugehörigkeit zur bewaffneten Macht bedingt ist. RMGer. I. 19. Dez. 1901. E. 2,ioi. 7) Dahin gehören auch Signale. 8) Es genügt die Verleitung eines Kameraden; die erfolglose Ver­ leitung stellt, wenn der Täter selbst die Flucht ergreift, einen Versuch des Verbrechens gegen § 84 MStrGB. dar.

§ 85. (KG. §§ 62i, 45 MStrGO.) Mit Zuchthaus*) bis zu fünf Jahren wird bestraft, wer aus Feigheit2) 1) bei dem Vormärsche zum Gefecht,3) während des Gefechts4) oder auf dem Rückzuges von seinem Truppenteile heimlich zurückbleibt,8) von demselben sich wegschleicht8) oder sich versteckt hält,8) die Flucht ergreift7) seine Waffen8) oder Munition weg-

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wirst oder im Stiche läßt,3) oder sein Pferd oder seine Waffen unbrauchbar macht, oder 2) durch Vorschützung^) einer Verwundung oder eines Leidens, oder durch absichtlichu) veranlaßte Trunkenheit sich dem Ge­ fechte oder vor dem Feinde12) einer sonstigen, mit Gefahr für seine Person^) verbundenen Dienstleistung zu entziehen sucht. 14) In minder schweren Fällen^) tritt Gefängniß von Einem Jahre bis zu fünf Jahren und Versetzung in die zweite Klasse des Soldaten­ standes ein.16) 1) Bezüglich der Zuchthausstrafe vgl. §§ 14,19,31,32,34—36 RStrGB. § 31 Abs. 1 und 2 MStrGB. 2) Vgl. Note 3 zu § 84 MStrGB. 3) Auf dem Vormärsche zum Gefecht ist eine Truppe, wenn sie in Gefechtsbereitschaft eine taktische Bewegung gegen den Feind zum Zwecke des Gefechts macht. 4) Vgl. Note 2 zu ß 84 MStrGB. 5) Darunter fällt jede Bewegung, durch die sich die Truppe vom Feinde entfernt; aus welchem Grunde und zu welchem Zwecke die Be­ wegung erfolgt, — ob z. B. zur Täuschung des Feindes oder infolge feind­ licher Bewegungen — ist unerheblich. 6) Es ist ein eigenmächtiges, d. h. ohne Befehl oder ohne Erlaubnis erfolgendes Handeln vorausgesetzt. Wer beim Ruckzuge von seiner Truppe abgekommen, aus Feigheit sich der nächsten Truppe nicht anschließt, bleibt heimlich zurück und verfällt der Strafbestimmung des 8 85 MStrGB. 7) Vgl. Note 4 zu 8 84 MStrGB. 8) Zu den Waffen gehören nicht die Ausrüstungsgegenstände, z. B. Helm, Tornister rc. Es kommen nur die Waffen des Täters in Betracht, zu diesen gehört beim Artilleristen auch das Geschütz mit Bespannung. 9) Jmstichelassen der Bagage, Vorräte rc. seitens des Trains fällt unter 8 87 MStrGB., soweit nicht Kriegsverrat 8 58 daselbst vorliegt. 10) d. h. unwahre Behauptung. n) Die Trunkenheit muß in der Absicht veranlaßt sein, sich zur Ver­ wendung für das Gefecht oder für eine Dienstleistung vor dem Feinde un­ tauglich zu machen. 12) Vgl. 88 11, 165 MStrGB. 13) Es genügt, daß bei der Dienstleistung ein Zusammentreffen mit dem Feinde zu vermuten ist. 14) Der Versuch ist durch diese Vorschrift zum selbständigen Delikt er­ hoben, auf welches 88 43 ff. RStrGB. keine Anwendung finden. Ob eine Entziehung gelungen ist, bleibt für den Tatbestand des 8 85 MStrGB. gleichgültig, kann aber für die Strafzumessung erheblich sein. 15) Vgl. Note 19 zu 8 58 MStrGB. 16) Bei Offizieren tritt Entfernung aus dem Heere 8 31 Abs. 2 Nr. 2 MStrGB., bei Unteroffizieren Degradation 8 40 Abs. 1 Nr. 2 ein.

§ 86.0 (KG. 88 62i, 45 MStrGB.) Ist in den Fällen des 8 85 durch die Feigheit ein erheblicher Nachtheil2) verursacht worden, so tritt Zuchthaus3) nicht unter fünf Jahren, und wenn der Tod eines Menschen verursacht worden, Zuchthaus nicht unter zehn Jahren oder lebenslängliches Zuchthaus ein.

Zweiter Teil.

Einzelne Verbrechen und Vergehen.

§§ 86—88. 109

1) § 86 MStrGB. enthält einen straferschwerenden Umstand zu § 85 MStrGB., vgl. auch §§ 318, 323 Abs. 2, 326 Abs. 2 MStrGO. 2) Es muß eine Schädigung der deutschen oder verbündeten Truppen vorliegen, dieselbe muß durch die Feigheit (§ 85 MStrGB.) verursacht und eine erhebliche (Aufgeben einer Stellung, Verlust von Waffen, Munition :c.) sein; letzteres ist Tatfrage und eventuell auf Grund sachverständiger Gut­ achten festzustellen. 3) Vgl. §§ 14, 19, 31, 32, 34-36 RStrGB., § 31 Abs. 1 u. 2 MStrGB.

§ 87.i) (KG.; i. F. StG. §§ 621, 45, 161 MStrGO.) Wer in anderen, als den in den §§ 84 und 85 benannten Fällen aus Besorgniß vor persönlicher Gefahr eine militärische Dienstpflicht?) verletzt, wird mit Freiheitsstrafeb) bis zu drei Jahren bestraft; zugleich kann auf Versetzung in die zweite Klasse des Soldatenstandes erkannt werden.4) 1) Vgl. Note 1 zu 8 84 MStrGB.; § 87 daselbst kann mit anderen im MStrGB. unter Strafe gestellten Verletzungen der Dienstpflicht (z. B. 88 60, 62, 63, 77,104 und X. Abschnitt MStrGB.) ideal konkurrieren. 2) Unter militärischen Dienstpflichten im Sinne des 8 87 MStrGB. sind nicht nur solche zu verstehen, welche auf bestimmten, schriftlich oder mündlich gegebenen Befehlen oder Anordnungen beruhen, sonoern auch solche, welche aus militärdienstlichen Grundsätzen sich ergeben. RMGer. I. 19. Dez. 1901. E. 2,ioi und II. 12. Febr. 1901. E. 1,30. Vgl. Note 2 zu 8 49 MStrGB. Der 8 7 Abs. 2 DStO. hat auch nach Einführung der MStrGO. seine Geltung behalten. Ein Offizier oder Unteroffizier, welcher auf Grund oer Berechtigung des 8 7 Abs. 2 DStO. eingeschritten ist, hat die dienstliche Pflicht, feine« Forderungen und Befehlen mit allem Nachdruck Geltung zu verschaffen. RMGer. I. 19. Dez. 1901. E. 2,101. 3) Arrest von einen Tag bis sechs bezw. vier Wochen (strenger Arrest nur im Falle des 8 22 MStrGB.) Gefängnis, Festungshaft von 43 Tagen bis zu 3 Jahren, 88 16,17, 24 RStrGB. 4) Gegen Offiziere Entfernung aus dem Heere zulässig; 8 31 Abs. 3 MStrGB. Wegen Dienstentlassung und Degradation vgl. 88 34, 40 MStrGB.

§ 88. Hat der Thäter in den Fällen der §§ 85 und 86 nach der Thati) hervorragende Beweises von Muth abgelegt, so kann die Strafe unter den Mindestbetrag^) der angedrohten Freiheitsstrafe4) ermäßigt und in den Fällen der §§ 85 und 87 von der Bestrafung gänzlich abgesehen werden.5) 1) Für das Gericht kommen naturgemäß nur die vor rechtskräftiger Feststellung der Tatfrage abgelegten Beweise von Mut in Betracht. Dem Gerichtsherrn steht aber ein eventuelles Milderungsrecht zu. Vgl. AB. Nr. 5 zu 8 480 MStrGB. 2) Erfordert sind hervorragende Beweise von Mut; die Gelegenheit, diese zu erbringen, kann der Vorgesetzte freiwillig oder auf Bitten des Täters diesem gewähren. 3) An die angedrohte Strafart ist die Ermäßigung nicht gebunden; es kann statt der angedrohten Zuchthaus- bezw. Gefängnisstrafe die Strafe bis auf einen Tag Arrest ermäßigt werden. 4) Der Ausdruck Freiheitsstrafe ist im weiteren Sinne zu verstehen und begreift die Zuchthausstrafe in sich.

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Militär-Strafgesetzbuch für das Deutsche Reich.

5) Wird die Strafe unter den Mindestbetrag der angedrohten Strafe ermäßigt, so ist Versetzung in die 2. Kl. des Soldatenstandes zulässig. Vgl. auch 8 87 MStrGB. Im Tenor des Urteils ist im Falle des § 88 cit. letzter Satz auszu­ sprechen, daß der Angeklagte rc. schuldig, von Bestrafung aber abzu­ sehen sei.

Sechster Abschnitt. Strafbare Handlungen gegen die Pflichten der militärischen Unterordnung. § 89. (StG. bezw. KG. §§ 14, 15 Nr. 1 Abs. 2 und 3 MStrGO.) Wer4) im2) Dienste ^) oder in Beziehung auf eine Diensthandlung4) die dem Vorgesetzten^) schuldige Achtung^) verletzt/) insbesondere laut Beschwerde^) oder gegen einen Verweis Widerrede^) führt, wird

mit Arrests) bestraft. (KG. bezw. StG. §§ 164, 624, 45 MStrGO.) Wird die Achtungs­ verletzung unter dem Gewehr") oder vor versammelter Mannschaft") begangen, oder stellt sich dieselbe als eine Drohung42) dar,") so ist aus strengen Arrests) nicht unter vierzehn Tagen, oder auf Gefängniß") oder Festungshaft") bis zu drei Jahren zu erkennen. x) Personen des Beurlaubtenstandes unterstehen den Vorschriften dieses Abschnitts, sofern sie sich nicht im Dienst befinden (§ 6 MStrGB.), nur unter den im § 113 MStrGB. angegebenen Voraussetzungen, Militärbe­ amte nur im Felde, § 153 MStrGB. Die Vorschriften dieses Abschnitts finden ferner Anwendung auf Kriegsgefangene, § 158 MStrGB., uno das Gefolge des kriegführenden Heeres, §§ 155, 157 MStrGB. 2) Achtungsverletzungen außer Dienst ohne Beziehung auf eine Dienst­ handlung sind reine Disziplinarvergehen und ausschließlich disziplinarisch zu bestrafen. 8 1 Nr. 1 DStO. 3) Vgl. Note 3 zu 8 12, Note 2 zu 8 49 und Note 10 zu 8 55 MStrGB. Erfordert wird nur, daß der Täter im Dienst war; erforderlich ist nur, daß der Täter sich in einem bestimmten Dienstverhältnis befindet; nicht ver­ langt ist, daß er tn Ausübung einer hierdurch gebotenen Dienstverrichtung begriffen ist; unerheblich ist, ob der Vorgesetzte im Dienst sich befand oder überhaupt anwesend war. Bei der Achtungsverletzung im Dienst kann der Erschwerungsgrund: „während der Ausübung des Dienstes" (8 55 Nr. 2 MStrGB.) nicht Platz greifen. RMGer. PE. II. Nr. 155b. Vgl. auch Note 3 zu 8 55 MStrGB. 4) Diensthandlung ist jede Art von Tätigkeit, die aus dienstlichen Gründen, dienstlicher Veranlassung recht- und pflichtgemäß erfolgt. Befehle in Dienstsachen und Dienstbefehle sind stets Dienstbandlungen. RMGer. II. 20. Mai 1903. E. 5,i50. Reine private Handlungen des Vorgesetzten kommen nicht in Betracht; als eine solche ist die Ansprache des Kompagniechefs zu Kaisers Geburtstag nicht anzusehen. Vgl. 8 47 Note 2 MStrGB. In Betracht kommen nicht nur den engeren militärischen Dienst betreffende Handlungen, sondern auch solche Handlungen des Vorgesetzten, welche sich auf das außer­ dienstliche Verhalten des Untergebenen beziehen und der Pflicht des Vor­ gesetzten, dieses zu überwachen, entspringen. Der Befehl des Vorgesetzten an einen Untergebenen, das Fenster im Abteil eines Eisenbahnwagens zu schließen, um den Untergebenen vor Schaden zu bewahren, ist ein Dienst-

Zweiter Teil.

Einzelne Verbrechen und Vergehen.

A 89.

m

befehl und Achtungsverletzung in bezug auf diese Diensthandlung strafbar. RMGer. I. 25. April 1901. E. 1,105. Daß die Diensthandlung des Vorge­ setzten zum Täter in Beziehung steht, ist nicht erforderlich; auch eine gegen einen andern sich richtende Diensthandlung des Vorgesetzten kann durch die Achtungsverletzung betroffen werden. RMGer. zit. Erk. E. l,ios. Ob die Diensthandlung bereits geschehen ist oder erst künftig erfolgen soll, ob sie der Art und der Zeit nach oder sonst eine schon bestimmte ist oder nicht, ist rechtlich unerheblich. RMGer. I. 13. Juni 1901. E. 1,185. Immer setzt aber die Achtungsverletzung „in Beziehung auf eine Diensthandlung" eine Diensthandlung des Vorgesetzten, also eine kraft seiner dienstlichen Befugnisse vorgenommene, und innerhalb der Grenzen oieser Befugnisse liegende Handlung voraus. RMGer. PE. III. Nr. 126. Achtungsverletzung außer Dienst oder ohne Beziehung auf eine Dienst­ handlung ist reines Disziplinarvergehen. § 1 DStrO. Nr. 1. Ein Irren des Untergebenen über den Begriff der Diensthandlung ist ein Irrtum über einen im Militärstrafrecht unter besonderen Schutz gestellten Rechtsbegriff, nicht ein Irrtum über Tatumstände. RMGer. VI. 20. Mai 1903. E. 5,i50. Unerheblich ist, ob der Vorgesetzte von der achtungverletzenden Kund­ gebung Kenntnis erhält RMGer. PE. II. Nr. 155c; es genügt ein Handeln hinter dem Rücken des Vorgesetzten. Nicht erfordert wird die Absicht des Täters, daß der Vorgesetzte Kenntnis von der Kundgebung erhalte, nötig ist nur das Bewußtsein des Täters, daß die Kundgebung von anderen wahrgenommen werden kann. Vgl. unten Note 12. 5) Der Begriff „Vorgesetzter" int militärischen Sinne erfordert die Be­ fugnis, für den gegebenen Fall Befehle zn erteilen. Die Frage, wer Vor­ gesetzter eines andern ist, ist im einzelnen zwar Sache der tatsächlichen Feststellung, unterliegt aber nach Maßgabe der Heeresverfassung und der auf derselben beruhenden Dienstordnungen der Nachprüfung des Revisions­ gerichts; §§ 399 Abs. 2, 400 Nr. 9 MStrGO. Vgl. auch die Klassenein­ teilung der Militärpersonen Anl. A zu MStrGB. und RMGer. II. 25. Juni 1901. E. l,2oo und PE. II. 161; vgl. im einzelnen Note 7 zu 8 47 MStrGB. Hinsichtlich des Irrtums des Täters über die Vorgesetzteneigenschaft vgl. Note 7 zu § 47 MStrGB. 6) Die Achtungsverletzung besteht in der Verletzung der durch die mili­ tärische Disziplin gebotenen Pflicht der Achtung und Ehrerbietung gegen den Vorgesetzten. Objektiv muß die Handlung geeignet sein, die dem Vor­ gesetzten schuldige Achtung zu verletzen. RMGer. I. 25. Mai 1903. E. 5,157; die Achtungsverletzung kann auch durch Unterlassung begangen werden. Der in der Achtungsverletzung zutage getretene Mangel an Achtung verstärkt sich bei der Beleidigung (§ 91 MStrGB.) zum Ausdruck der Geringschätzung und Mißachtung. Welche Achtung dem Vorgesetzten geschuldet wird, bestimmt sich nach den Dienstvorschriften, militärischen Grundsätzen. Vgl. auch § 399 Abs. 2 MStrGO. Auch der Wachthabende und der Posten ist allen Personen des Soldatenstandes gegenüber, die außerhalb des Wachtdienstes ihre Vorge­ setzten sind, zur Achtung verpflichtet. Verstöße gegen diese Pflicht sind aber nicht mit den im § 89, sondern mit der erhöhten Strafe des § 125 MStrGB. zu ahnden. 7) Das Vergehen der Achtungsverletzung kann nur vorsätzlich begangen werden. RMGer. I. 25. April 1901. E. 1,ios. Es genügt das Bewußtsein des Täters, daß die Handlung objektiv geeignet ist, die schuldige Achtung £ii verletzen. RMGer. zit. Erk. E. 5,157. Ob die als Achtungsverletzung sich darstellende Handlung direkt gegen den Vorgesetzten gerichtet war oder nicht, ob der Vorgesetzte von der Achtungsverletzung Kenntnis erhält, ist rechtlich unerheblich. Nach der Entscheidung des RMGer. v. 25. April 1901, E. l,ios muß

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bei der Achtungsverletzung in Beziehung auf eine Diensthandlung der Unter­ gebene wissen oder aus der Sachlage erkannt haben, daß eine Diensthandlung des Vorgesetzten vorliegt, mit Bezug auf welche er die demselben schuldige Achtung' verletzt. Inwieweit diese Entscheidung aus dem GesichtspunÜe des auch für die militärischen Delikte in Betracht kommenden Eventualdolus haltbar ist, dürfte nicht unzweifelhaft sein. Jede Handlung eines Vorgesetzten muß als Diensthandlung erachtet werden, wenn sie aus dienstlicher Veran­ lassung erfolgt; ob dies der Fall ist, wird der Untergebene in vielen Fällen nicht zu beurteilen vermögen, da ihm die inneren Gründe, welche den Vor­ gesetzten bei seiner Handlung leiten, nicht immer erkennbar sind und eine Eröffnung der Gründe der Aufrechterhaltung der militärischen Autorität widersprechen würde. Wenn der Untergebene nunmehr in einem solchen Falle in bezug auf diese Handlung die dem Vorgesetzten schuldige Achtung verletzt, so muß er immer mit der Möglichkeit rechnen, daß sie auf dienst­ licher Veranlassung beruht, d. h. eine Diensthandlung ist. Er nimmt also diese Eventualität in seinen Willen mit auf und muß, falls sich demnächst die Heilung objektiv als eine Diensthandlung herausstellt, die strafrechtlichen Folgen seines Verhaltens tragen. Wenn auch das Vorliegen des subjektiven Tatbestandes vom Richter von Amts wegen zu prüfen ist, so ist doch eine Feststellung in den Urteilsgründen nur dann unerläßlich, wenn das Gesetz selbst eine bestimmte Absicht des Täters zum Tatbestände verlangt, oder ein dem subjektiven Tatbestände angehörendes Merkmal von dem Angeklagten bestritten oder sonst zweifel­ haft war. RMGer. I. 25. April 1901. E. I,io5. II. 21. Mai 1902. E. 3,so. PE. III. 143. Vgl. Anm. 7 zu § 326 MStrGO. § 193 RStrGB. findet auf § 89 MStrGB. keine Anwendung. RMGer.II. 7. Okt. 1903. E. 6,69. 8) Laut Beschwerdeführen, Widerredeführen (d. h. sich verantworten) sind nur besondere Beispiele der Achtungsverletzung; Widerrede gegen einen erhaltenen Verweis ist nur dann ideell konkurrierend mit Gehorsamsver­ weigerung gegenüber dem vorangegangenen Befehle, zu schweigen, strafbar, wenn mit der Widerrede die Absicht, den Ungehorsam gegen diesen Befehl zu erkennen zu geben, verbunden war. RMGer. II. 21. Mai 1902. E. 3,so. PE. VI. Nr. 101. Zurredestellen über einen Verweis fällt unter § 94 MStrGB. 9) (Gelinder, mittlerer, strenger) Arrest von 1 Tag bis 6 bezw. 4 Wochen; strenger Arrest nur unter der Voraussetzung des § 22 Abs. 3 MStrGB. In „leichteren Fällen" ist Disziplinarbestrafung zulässig; § 3 Abs. 2 des EG. zum MStrGB. 10) „Unter Gewehr" befindet sich der Soldat, sobald er, dienstmäßig bewaffnet, unter das Kommando eines Vorgesetzten zum Dienst angetreten ist. „Unter Gewehr" befindet sich auch der nur mit dem Seitengewehr be­ waffnete Soldat, sofern zu dem betreffenden Dienst nur das Seitengewehr getragen werden sollte. Erfordert wird aber immer neben der Ausrüstung mit der Waffe die Ausübung des Dienstes unter dem Kommando eines Vorgesetzten. Der Angehörige einer Wache befindet sich nur dann „unter Gewehr", wenn er sich in Ausübung des Wachtdienstes in der für den betreffenden Wachtdienst vorgeschriebenen Ausrüstung befindet (GV. Nr. 89; also nicht „der Wachtmann in der Wachtstube!). RMGer. I. 18. Mai 1903. E. 5,129. Über den Begriff der Waffe vgl. Note 8 zu § 55 MStrGB. Das Zielgewehr, der Zielkarabiner find Waffen in diesem Sinne. Vgl. auch RMGer. PE. II. Nr. 168. n) Vgl. § 12 MStrGB. und Noten dazu. Die „vor versammelter Mannschaft" in bezug auf eine Diensthandlung des Vorgesetzten begangene Achtungsverletzung setzt nicht voraus, daß der Täter sich im Dienst be­ findet. RMGer. PE. V. Nr. 104.

Zweiter Teil.

Einzelne Verbrechen und Vergehen.

8 90.

HZ

12) Unter.Drohung im Sinne des MStrGB. ist jede Inaussichtstellung irgend eines Übels, auch wenn die Zufügung desselben sich als ein berech­ tigtes Handeln darstellt, zu verstehen. Unter den Begriff der Drohung fällt daher auch das Jnaussichtstellen einer Beschwerde, selbst wenn der Drohende ein Recht zu der Beschwerde hat, sofern die in Aussicht gestellte Beschwerde als ein Übel angesehen werden kann, dem Bedrohten es also nicht erwünscht ist, daß der Vorfall, welcher den Gegenstand der Beschwerde bildet, klargestellt und sein Verhalten gerechtfertigt wird. RMGer. II. 19. Okt. 1901. E. 2,37. I. 26. Mai 1902. E. 3,62. II. 15. Febr. 1902. E. 2,197. Subjektiv wird der auf die Drohung gerichtete Wille erfordert; in dem bloßen „in den Weg treten", ohne daß dieser Wille vorliegt, kann eine Drohung im Sinne des Abs. 2 § 89 MStrGB. nicht gefunden werden. RMGer. PE. IV. Nr. 142. Der Begriff der Drohung im Sinne des MStrGB. erfordert nicht, daß der Bedrohte Kenntnis von der Kundgebung erhält oder daß der Dro­ hende mit der Absicht handelt, daß die Kundgebung zur Kenntnis des Be­ drohten gelangt. Erforderlich aber ist der Wille des Täters, daß die Drohung von anderen wahrgenommen wird oder wenigstens das Bewußtsein, daß sie von anderen wahrgenommen werden kann. RMGer. I. 26. Mai 1902. E. 3,62. PE. II. Nr. 155 c, I. Nr. 119. 13) Der Abs. 2 des § 89 MStiGB- enthält die Strafbarkeit erhöhende Umstände im Sinne der §§ 318, 323 Abs. 2, 326 MStrGO. 14) 14 bis 28 Tage. RMGer. PE. IV. Nr. 142. 15) Von 43 Tagen bis zu 3 Jahren; nach § 98 MStrGB. ist Straf­ ermäßigung zulässig. Wegen Dienstentlassung und Degradation vgl. § 34, 40 MStrGB.

§ 90. (StG. bezw. KG. §§ 14, 151 u. Abs. 2 u. 3 MStrGO.) Sßer1) auf Befrckgen?) in dienstlichen Angelegenheiten dem Vorgesetzten^) wissentlich die Unwahrheit4) sagt4*), wird mit Arrests) bestraft. 4) Vgl. Note 1 zu ß 89 MStrGB. 2) Das Befragen kann in wie außer Dienst geschehen; vorausgesetzt wird aber, daß eine Frage seitens eines Vorgesetzten ergangen ist und daß diese Frage eine dienstliche Angelegenheit betrifft. Zu den dienstlichen An­ gelegenheiten gehören auch die Privatangelegenheiten des Untergebenen, mit denen sich der Vorgesetzte dienstlich zu befassen hat. Gibt eine Militär­ person auf dienstliches Befragen eines ihr militärisch vorgesetzten Land­ gendarmen einen falschen Namen an, so ist der Tatbestand des § 90 (nicht etwa des § 139) MStrGB. erfüllt. RMGer. PE. III. Nr. 127. Unwahre Angaben eines nicht befragten Üntergebenen sind nicht aus § 90 MStrGB., sondern gegebenenfalls aus § 139 MStrGB. strafbar, wenn zu der Angabe eine spezielle dienstliche Verpflichtung bestand und sich der Täter dessen be­ wußt war. RMGer. I. 8. Sept. 1902. E. 3,219. PE. IV. Nr. 149. Beim Mangel einer solchen dienstlichen (auf Befehl, Grundsatz oder Vorschrift beruhenden) Verpflichtung ist die Begründung eines Ürlaubsgesuchs mit wissentlich falschen Tatsachen nur disziplinarisch strafbar. § 1 Nr. 1 DStrO. Auf unwahre Angaben in Privatangelegenheiten findet § 90 MStrGB. nicht Anwendung, es ist auch hier nur Disziplinarbestrafung zulässig. § 1 Nr. 1 DStrO. Vgl. aber oben Satz 2. 3) Vgl. Note 5 zu § 89 MStrGB. Das Belügen einer Wache ist, soweit nicht Achtungsverletzung vorliegt, nur disziplinarisch strafbar. Ern „Belügen eines Vorgesetzten" liegt nicht vor, wenn ein Mann in einer nicht zur Zuständigkeit des als Stubenältesten bestellten Gefreiten gehörigen An­ gelegenheit auf eine Frage desselben wissentlich die Unwahrheit sagt. RMGer. PE. III. Nr. 127. Herz u. Ernst, Strafrecht der Militärpersonen.

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Militär-Strafgesetzbuch für das Deutsche Reich.

4) Wer einem Vorgesetzten gegenüber auf dessen Befragen eine von ihm begangene, gerichtlich strafbare, aber noch nicht rechtskräftig abgeurteilte Handlung ableugnet, macht sich des Vergehens gegen § 90 MStrGB. nicht schuldig. RMGer. PE. II. Nr. 156. Wird ein Untergebener von einem Vor­ gesetzten nach dem Grunde einer von ihm vorgenommenen Handlung befragt, so macht sich der Untergebene durch eine wahrheitsgemäße Antwort, auch wenn letztere für einen Vorgesetzten beleidigend ist, nicht strafbar. RMGer. II. 23. Dez. 1903. E. 6,102. 4») Dies kann auch durch Zeichen usw. geschehen. Dem Sagen der Unwahrheit steht Verschweigen der Wahrheit gleich. 5) Vgl. Note 9 zu § 89 MStrGB. Nach § 98 ist Strafermäßigung zulässig.

§ 9Lla) (KG. bezw. StG. §§ 161, 621, 45 MStrGO.) 203er1) einen Vorgesetzten?) oder im Dienstrange Höheren3) beleidigt,4) wird mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren und, wenn die Beleidigung im Dienstes oder in Beziehung auf eine Diensthandlunge) begangen, mit Freiheitsstrafe?) bis zu drei Jahren bestraft. (KG. §§ 621, 46 MStrGO.) Ist die Beleidigung3) durch Ver­ breitungb) von Schriften, Darstellungen oder Abbildungen begangen,10) so ist auf Gefängniß oder Festungshaft11) bis zu fünf Jahren zu er­ kennen. (KG. §§ 62i, 45 MStrGO.) Ist die Beleidigung eine verleum­ derische,^) so tritt Gefängniß bis zu fünf Jahren ein. 13)u) ia) Wegen der Zuständigkeit des Militärgerichts vgl. § 11 MStrGO. 1) Vgl. Note 1 zu 8 89 MStrGB. 2) Vgl. Note 7 zu 8 47 MStrGB. Hinsichtlich der Vorgesetzteneigen­ schaft der Wachen: vgl. 8 Hl MStrGB. Beleidigungen, welche seitens eines Postens gegen Vorgesetzte in ihrer Allgemeinheit ausgesprochen werden, sind nach 8 91 MStrGB. nicht nach 8 121 das. zu ahnden. RMGer. PE. I. Nr. 120. Beleidigungen unter Militärpersonen, zwischen denen ein Vorgesetzten­ verhältnis oder eine Verschiedenheit des Dienstranges nicht besteht, werden auf Antrag nach 88 185 ff. RStrGB. bestraft; sie sind keine militärischen Delikte. 3) Im Dienstrange höher als ein anderer ist derjenige, welcher bei gleichem Dienstgrade einen höheren Rang einnimmt. Vgl. Anlage A zu MStrGB. Zwischen den Angehörigen einer jeden der dort bezeichneten Hauptklassen besteht, sofern nicht der eine dauernd oder vorübergehend unter den Befehl des anderen gestellt ist, nicht ein Vorgesetzten-, sondern nur ein Respektsverhältnis. Vgl. auch Note 7 zu 8 47. Unteroffiziere, welche das Seitengewehr tragen, gelten als im Dienst­ range Höhere. ACO. v. 16. Juni 1899 (AVBl. S. 268). Sergeanten stehen an sich zu den übrigen Unteroffizieren als solchen nicht in dem Ver­ hältnis als Höhere im Dienstrange und bekleiden keinen höheren Dienst­ grad als sie. RMGer. I. 12. Juli 1901. E. 1,212. II. 18. Okt. 1902. E. 4,3. Gendarmen, welche das Portepee tragen, sind im Dienstrange Höhere. ACO. v. 27. Sept. 1899 (AVBl. S. 443). Hinsichtlich der Sanitätsoffiziere vgl. Note 7 zu 8 47 MStrGB. Militärbeamte — auch mit bestimmtem Offizierrang — sind Unteroffizieren und Gemeinen gegenüber als im Dienstrang Höhere im Sinne des 8 91 MStrGB. anzusehen. KM. v. 25. Juni 1902.

Zweiter Teil.

Einzelne Verbrechen und Vergehen.

§ 91.

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4) Die im § 91 MStrGB. vorgesehene Beleidigung des Vorgesetzten ist gesteigerte Achtungsverletzung; RMGer. I. 14. Okt. 1901. E. 2,34; sie ist ein besonderes Delikt und verletzt danach ein Rechtsgut, das aus Gründen der staatlichen Wohlfahrt einen besonderen Schutz gegen Angriffe in An­ spruch nehmen muß. Das Delikt teilt die allgemeinen Voraussetzungen der Strafbarkeit mit den gemeinstrafrechtlichen Beleidigungen nach §§ 185 bis 187 RStrGB. RMGer. Plenarbeschl. v. 17. Mai 1901. E. 1,134. Formell kommen für das MStrGB. diese Strafvorschriften nicht in Anwendung; die in ihnen enthaltenen Vergehen sind in § 91 MStrGB. als eigene Deliktsform zusammengefaßt. RMGer. I. 14. Mai 1902. E. 3,36. Beleidigung im Sinne des § 91 MStrGB. ist jede vorsätzliche und rechtswidrige, gegen die Ehre eines anderen gerichtete Kundgebung der Geringschätzung oder Mißachtung, mag dieselbe in einer mündlichen oder schriftlichen Erklärung oder in einer Handlung bestehen. RG. III. 16. März 1881. E. 3,433. RMGer. I. 14. Mai 1902. E. 3,36. Eine ausdrückliche Be­ zeichnung des Beleidigten ist nicht erforderlich, es genügt ein ausreichend verständlicher Hinweis auf die gemeinte Person. RMGer. II. 14. März März 1903. P. 4,260. Eine besondere „Absicht zu beleidigen" ist nicht er­ forderlich; es genügt Vorsätzlichkeit der Kundgebung mit dem Bewußtsein von ihrem ehrverletzenden Charakter. RG. II. ö. Dez. 1879. R. I,ii5. II. 16. Dez. 1881. E. 5,239. Hat der Täter nicht die ausdrückliche Absicht ge­ habt, zu beleidigen (z. B. im Scherz gehandelt), so., muß doch eine Be­ strafung wegen Beleidigung eintreten, wenn die Äußerung eine ehren­ kränkende war und der Täter sich dieses Umstandes bewußt war. RG. III. 13. April 1885. E. 12,140. Die tätliche Beleidigung wird durch eine Hand­ lung begangen, welche rechtswidrig auf den Körper eines anderen einwirkt; an einem Vorgesetzten begangen, stellt sie sich immer als militärisches Ver­ brechen gegen § 97 MStrGB. dar; unter die Vorschrift des § 91 daselbst fällt nur die an einem im Dienstrange Höheren verübte tätliche Beleidigung. Die Beleidigung kann sich auf dienstliche Vorgänge oder auf das Privatleben des Vorgesetzten rc. beziehen; die Anwesenheit des Beleidigten bei der Tat ist nicht erforderlich. Vollendet ist die Beleidigung, sobald die ehrverletzende Kundgebung, der Ausdruck der Nichtachtung zur Kenntnis eines anderen gekommen ist; die Kenntnisnahme der Kundgebung seitens des Beleidigten ist nicht erforderlich. Unter die Beleidigung im Sinne des § 91 Abs. 1 und 2 MStrGB. fällt auch der Tatbestand der sog. üblen Nachrede (§ 186 RStrGB.).*) Der Untergebene, welcher in Beziehung auf einen Vorgesetzten oder im Dienst-

*) RStrGB.: 8 186. Wer in Beziehung auf einen Anderen») eine Thatsached) be­ hauptet,«) oder verbreitet4), welche denselben verächtlich zu machen oder in der öffentlichen Meinung herabzuwürdigen geeignet ist, wird, wenn nicht diese Thatsache erweislich wahr«) ist, wegen Beleidigung!) mit Geldstrafe bis zu sechshundert Mark oder mit Haft oder mit Gefängniß bis zu Einem Jahre uno, wenn die Beleidigung öffentlich oder durch Verbreitung von Schriften, Äbbildungen oder Darstellungen begangen ist, mit Geldstrafe bis zu eintausendfünfhundert Mark oder mit Gefängniß bis zu zwei Jahren bestraft. ») Der Beleidigte ist dabei als dritte Person gedacht, und die Be­ hauptung ehrenrühriger Tatsachen muß, wenn auch nicht notwendig hinter seinem Rücken, vielmehr möglicherweise auch in seiner Gegenwart, doch notwendig so geschehen, daß irgend welche andere Personen, außer dem Beleidigten selbst, unmittelbar davon Kenntnis erhalten. RG. III. 29. Juni 1881. E. 4,401. II. 24. Okt. 1879. R. l,u.

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ränge Höheren eine beleidigende Tatsache behauptet oder verbreitet, ver­ stößt gegen § 91 MStrGB. Ist die Tatsache erweislich wahr, so liegt hierin ein Strafausschließungsgrund. Der Beweis der Wahrheit braucht nicht in allen Einzelheiten und Nebenpunkten geführt zu sein; es genügt, wenn die behauptete Tatsache ihrem wesentlichen Inhalte nach erwiesen ist. RMGer. zit. Erk. E. 4,260. Der Beweis der Wahrheit der behaupteten oder verbreiteten Tatsache schließt die Bestrafung aus § 91 MStrGB. indes nicht aus, wenn die Behauptung oder Verbreitung in der Absicht der Beleidigung erfolgt ist und diese Absicht aus der Form der Beleidigung oder aus den begleitenden Umstänoen hervorgeht. RMGer. zit. Erk. E. 3,36. II. 7. Okt. 1903. E. 6,69; PE. V. Nr. 105. Beim Mangel des Beweises der Wahrheit der behaupteten oder ver­ breiteten Tatsache wird die Bestrafung aus § 91 MStrGB. weder durch das mangelnde Bewußtsein der Unwahrheit, noch durch den Glauben an ihre Wahrheit ausgeschlossen. RMGer. zit. Erk. E. 3,36. Nach den Motiven zum Entwurf des MStrGB. ist das MStrGB. nur soweit dem RStrGB. zu assimilieren, als die Rücksicht auf die Er­ haltung der Disziplin im Heer damit vereinbar erscheint. Alle Be­ stimmungen, welche dieser Anforderung nicht entsprechen, sind von der An­ wendbarkeit des § 2 MStrGB. ausgeschieden. Die seitens einer Person des Soldatenstandes verübte Verletzung der Ehre und Achtung, welche der militärische Vorgesetzte und der im Dienstrange Höhere vermöge seiner Stellung zu beanspruchen hat, bedeutet eine Beeinträchtigung der Disziplin. Mit Rücksicht hierauf müssen die Ausnahmevorschriften des § 193 RStrGB. bei Vergehen gegen § 91 MStrGB. der Form und dem Inhalte nach außer Betracht bleiben. RMGer. I. 14. Okt. 1901. E. 2,34 und Plen.-Beschl. v. 15. Mai 1901. E. I,i34. PE. VII Nr. 30. II. zit. Erk. E. 4,260. A. M. Die bloße Möglichkeit der Kenntnisnahme von Seiten dritter Personen außer dem Beleidigten genügt nicht. RG. I. 29. Okt. 1885. R. 7,626. „ b) Zu den „Tatsachen" im Sinne des § 186 cit. gehören auch Äuße­ rungen und Urteile, welche die Behauptung eines konkreten Vorganges enthalten; allgemeine Urteile und Reflexionen trifft § 185 RStrGB. RG. II. 29. Okt. 1886, R. 8,649 und II. 9. Okt. 1880. E. 1,52. c) Es genügt die Form der Denunziation. RG. I. 8. Dez. 1879. E. 1,233. d) Vgl. Note 9 zu 8 91 MStrGB. e) Der Beweis der Wahrheit ist Strafausschließungsgrund. RG. III. 23. Sept. 1889. E. 19,386, 1. 2. Nov. 1882. R. 4,782. RMGer. zit. Erk. E. 3,36. PE. V. 105. Der Beweis der Wahrheit darf nicht abgeschnitten werden, weil doch immer noch eine Bestrafung aus § 185 RStrGB. gerechtfertigt sei. RG. III. 11. Febr. 1880. R. 1,339 und E. 1,260. Festgestellt werden muß, daß die üble Nachrede objektiv nicht erweislich wahr ist, auch wenn der Angeklagte keinen Versuch des Beweises macht. RG. III. 8. Dez. 1884. R. 6,788. Eine materiell wahre Tatsache steht im Sinne des § 186 RStrGB. der „erweislich wahren" Tatsache mindestens gleich und das Bewußtsein der Wahrheit enthält zugleich das Bewußtsein der Erweislichkeit. RG. III. 23. Sept. 1889. E. 19,386. i) Die Absicht der Beleidigung wird für die Anwendung des § 186 RStrGB. ebensowenig vorausgesetzt, wie die Kenntnis der Unwahrheit oder Nichtbeweisbarkeil der behaupteten Tatsachen, vielmehr genügen zur Fest­ stellung des subjektiven Tatbestandes, abgesehen von der Rechtswidrigkeit, die Vorsätzlichkeit der Handlung und das Bewußtsein des ehrenkränkenden Charakters der ausgestellten Behauptungen. RG. I. 27. April 1894. E. 25,355, ebenso R. 8,68i. E. 5,211. E. 9,150.

Zweiter Teil.

Einzelne Verbrechen und Vergehen.

§ 91.

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Beling in Z. 1904, S. 250, nach welchem sich eine Beiseitestellung des § 193 RStrGB. puristisch nicht rechtfertigen läßt. A. M. ferner Gerland in Pr. Vierteljahrsschr. f. Gesetzgebung und Rechtswissensch. Vgl. das Nähere in Note 9 zu 8 193 RStrGB. An Stelle des § 193 RStrGB. sind — soweit er positiver Natur ist — die Bestimmungen der Beschwerdeordnung I und II v. 30. März 1895 bezw. 14. Juni 1894, sowie etwa sonst bestehende positive militärdienstliche Vor­ schriften und andererseits allgemeine Grundsätze militärdienstlicher Art getreten. Danach ist der Untergebene berechtigt, strafbare Handlungen Vor­ gesetzter zum Zwecke der Untersuchung und Strafverfolgung zur Anzeige zu bringen (vgl. §§ 151 Abs. 1; 153 Abs. 2; 156; 247 MStrGO.), auch wenn er selbst durch dieselben unmittelbar nicht verletzt ist. Stellt sich die Unrichtigkeit der Anzeige heraus, so macht sich der Untergebene indes trotz seines guten Glaubens strafbar, wenn er die Anzeige leichtfertig erstattet hat. Die Annahme einer Leichtfertigkeit des Untergebenen kann nicht „bloß mit der Behauptung begründet werden, daß derselbe bei ruhiger Über­ legung und sachgemäßer Prüfung der Angelegenheit zu der Überzeugung von der Unwahrheit seiner Behauptung hätte gelangen müssen. Das Urteil muß vielmehr näher darlegen, aus welchen Gründen dies anzunehmen sei und zu diesem Zwecke auf die Verhältnisse des zur Entscheidung stehen­ den Falles, insbesondere die etwaige eigene Kenntnis des Untergebenen, Glaubwürdigkeit der Mitteilungen Dritter sowie tatsächliche Möglichkeit weiterer Aufklärung eingehen. Jeder Soldat ist seinem Vorgesetzten sowohl in wie außer Dienst Achtung und Ehrerbietung schuldig. Jede unbe­ rechtigte Verletzung der dienstlichen Autorität des Vorgesetzten enthält eine Schädigung oder mindestens eine Gefährdung der Disziplin. Daher ist jeder Soldat, bevor er eine strafbare Handlung des Vorgesetzten zur An­ zeige bringt und damit eine denselben objektiv beleidigende Tatsache be­ hauptet, zu einer sorgfältigen Prüfung der Richtigkeit der beabsichtigten Anzeige verpflichtet. Die objektive Unrichtigkeit der Anzeige begründet indes nicht schon die Annahme einer Leichtfertigkeit. Es ist vielmehr in jedem Falle zu prüfen, welche Tatsachen dem Anzeigenden bekannt waren, welche Mittel ihm zur etwaigen weiteren Aufklärung zu Gebote standen, inwieweit er zur Benutzung derselben verpflichtet war, und ob er hiernach nach dem Maße seiner Intelligenz und Erfahrung die Anzeige erstatten konnte. Bei Mitteilungen dritter Personen wird der Anzeigende zu einer vorsichtigen Prüfung der Mitteilung und ihrer Urheber verpflichtet sein. Die Annahme einer Leichtfertigkeit auf feiten des. Anzeigenden setzt grund­ sätzlich voraus, daß die entscheidende Stelle die Überzeugung von der Un­ wahrheit der Anzeige gewonnen hat. Eine frivolerweise, ohne den Glauben an ihre Begründetheit erstattete Anzeige wird die Annahme leichtfertiger Erstattung rechtfertigen. Grundsätzlich kann ferner dem Üntergebenen nur das Recht zur Behauptung von Tatsachen im Sinne des § 186 RStrGB. zugestanden werden, nicht aber zu Äußerungen, die sich als in der Form beleidigend oder allgemein ein Urteil enthaltend darstellen. (§ 185 RStrGB.). Ausgeschlossen sind vom Begriff der Tatsache allgemeine Urteile und Reflexionen, Ergebnisse abstrakter Schlußfolgerungen. Der militärdienstliche Grundsatz, daß ein Untergebener durch die Be­ hauptung einer objektiv unwahren, für einen Vorgesetzten beleidigenden Tatsache trotz seines guten Glaubens an die Wahrheit sich dann strafbar macht, wenn die Behauptung leichtfertigerweise aufgestellt ist, gilt auch bei der Ausübung des Rechtes der Verteidigung und finoet grundsätzlich auch bei Erfüllung einer Verpflichtung, insbesondere bei der Beantwortung einer von einem Vorgesetzten in einer dienstlichen Angelegenheit an den Untergebenen gerichteten Frage Anwendung. In letzterem Falle ist jedoch bei Prüfung der Frage nach dem Vorhandensein einer Leichtfertigkeit zu

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berücksichtigen, daß der Untergebene die Beantwortung der Frage eines Vorgesetzten in einer dienstlichen Angelegenheit nicht ablehnen darf, viel­ mehr zur wahrheitsgemäßen Beantwortung derselben nach seinem besten Wissen und Gewissen verpflichtet ist. Auch ist es von wesentlicher Be­ deutung, ob der Untergebene die Stellung der Frage gewußt oder erwartet hat oder nicht. Hinsichtlich der Form der Anzeige usw. greift der militärdienstliche Grundsatz oer dem Untergebenen obliegenden Pflicht zur Ehrerbietung vor dem Vorgesetzten und zur besonderen Achtung vor dessen dienstlicher Autorität Platz. Ein Recht zu gemeinschaftlichen Strafanzeigen mehrerer Personen kann nicht anerkannt werden, es verstößt dies gegen den in BO.I. A. 6. Abschn. 1. AO. II. Abschn. 1,5; § 101 MStrGB. enthaltenen allgemeinen militärdienstlichen Grundsatz. In allen denjenigen Fällen, in denen ein Recht zu Erstattung der Strafanzeige besteht, genügt zum Beweise der Ab­ sicht der Beleidigung nicht das Bewußtsein derselben; ebensowenig kann in solchen Fällen die Absicht aus dem — an sich ja straflosen — Inhalte der Anzeige gefolgert werden. Die auf Beleidigung gerichtete Absicht des Täters kann in solchen Fällen nur aus Umständen geschlossen werden, die außerhalb des Inhalts der Anzeige liegen; also insbesondere aus der Form und den begleitenden Umständen. Absicht der Beleidigung ist mit dem Motive der Anzeige nicht identisch. RMGer. II. 14. März 1903. E. 4,260; II. 23. Dez. 1903. E. 6,192. Die im § 91 MStrGB. unter Strafe gestellten Handlungen sind als eine eigene Deliktsform den Verfehlungen gegen die Pflicht der militärischen Unterordnung beigezählt und als selbständige militärische Vergehen quali­ fiziert; daher ist die Heranziehung der Vorschrift über Straffreierklärung bei einer auf der Stelle erwiderten Beleidigung nach § 199 RStrGB. und ebenso der Vorschrift über Zuerkennung oder Publikationsbefugnis bei öffentlicher Beleidigung nach §200 RStrGB. für das militärische Vergehen der Beleidigung unbedingt ausgeschlossen. RMGer. Plen.-Beschl. v. 17. Mai 1901. E. 1,140, I. 14. Okt. 1901. E. 2,34. Aus gleichem Grunde ist ferner die Erkennung einer Geldbuße (§ 188 RStrGB.) für die militärischen Delikte nach § 91 MStrGB. ausgeschlossen. Die Verfolgung des Vergehens gegen § 91 MStrGB. ist unabhängig von einem Strafantrage des Verletzten oder einer anderen zum Anträge berechtigten Person; § 51 MStrGB. RMGer. zit. Erk. E. l,uo. Ein Privat­ klageverfahren (§§ 414ff. RStrPO.) kennt die MStrGO. nicht. Eine Äußerung, in welcher die Beleidigung mehrerer Vorgesetzten enthalten ist, kann nur ein ideales, nicht ein reales Zusammentreffen mehrerer Beleidi­ gungen begründen. RG. I. 14. Juli 1881 R. 3,485. Die Tatsache, daß in einem und demselben Schriftstücke mehrere beleidigende Äußerungen ent­ halten sind, reicht zur Annahme mehrerer selbständiger strafbarer Hand­ lungen (§ 74 RStrGB.) für sich allein nicht aus. RMGer. II. 14. März 1903. E. 4,260. 5) Vgl. Note 9 zu § 12, Note 2 zu § 49, Note 10 zu § 55, Note 3 zu §89 MStrGB. Der Täter muß im Dienst sein, nicht auch der Vorgesetzte, dessen Anwesenheit sogar rechtlich unerheblich ist. Bei Beleidigung im Dienst (auch im Falle der Abs. 2 und 3 § 21 MStrGB.) kann der Er­ schwerungsgrund: „während der Ausübung des Dienstes" (§ 55 Nr. 2 MStrGB.) nicht Platz greifen. RMGer. PE. II. Nr. 155b, vgl. auch Note 3 zu § 55 MStrGB. 6) Vgl. Note 4 zu § 89 MStrGB. Zwischen der Beleidigung und der Diensthandlung wird ein Zusammenhang erfordert. Ein Irren über den Begriff der Diensthandlung ist ein Irrtum über einen im Militär­ strafrecht unter besonderen Schutz gestellten Rechtsbegriff, nicht ein Irrtum über Tatsachen. RMGer. II. 20. Mai 1903. E. 5,150.

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7) Arrest (gelinder, mittlerer, strenger) von einem Tag bis zu sechs bezw. vier Wochen (strenger Arrest nur unter der Voraussetzung des § 22 Abs. 3 MStrGB.). Gefängnis, Festungshaft von 43 Tagen mit bis zu zwei bezw. drei, vier bezw. fünf Jahren. Wegen Dienstentlassung und Degradation vgl. §§ 34, 40 MStrGB. In den leichteren Fällen des § 91 Abs. 1 MStrGB. ist Disziplinar­ bestrafung zulässig. 8 3 Nr. 1 EG. z. MStrGB. 8) Sowohl im Sinne des § 185 wie des § 186 RStrGB. 9) Verbreitung ist ein „In Verkehr setzen" der Schrift usw., d. h. eine Handlung, durch welche die Schrift einem größeren Personenkreis — mögen dabei auch bestimmte Personen ins Auge gefaßt sein — zugänglich gemacht wird; eine Verbreitung liegt nicht vor, wenn der Täter die Schrift nur einer, oder wenigen einzelnen Personen vertraulich mitteilte, d. h. mit der Absicht, die Mitteilung auf diese Personen zu beschränken und die Schrift nicht in den Verkehr zu bringen. RG. II., III. 5. Okt. 1882. E. 7,ii3, III. 27. Sept. 1882. R. 4,716. Die Versendung einer Schrift durch die Post erfüllt den Begriff der Verbreitung, wenn nach dem Willen des Absenders das Schriftstück einem größeren Personenkreise — etwa durch Weitergabe seitens des Adressaten — zugänglich gemacht werden soll und die Absicht ausgeschlossen ist, daß nur der Adressat die Schrift lese, und es kommt als­ dann nicht darauf an, ob die Schrift wirklich in die Hände des Adressaten gelangt ist. RG. II., III. 10. Okt. 1887. E. 16,215. R. 9,190. 10) Unerheblich ist für den Tatbestand, ob die Tat im Dienst oder außer Dienst, oder in Beziehung auf eine Diensthandlung begangen wurde, diese Umstände können bei der Strafausmessung berücksichtigt werden. n) Äefängnis oder Festungshaft von 43 Tagen bis zu fünf Jahren. 12) Vgl. § 187 RStrGB.*), dieser Paragraph ist in der Anklagever­ fügung und in den Urteilsgründen besonders anzuführen. RMGer. PE. VI. Nr. 30. 13) Strafermäßigung ist zulässig; § 98 MStrGB. 14) Es ist weder einer Behörde im Interesse des Dienstes noch einem beleidigten Beamten gestattet, aus einer Jmmediatvorstellung eine Rüge einer Beleidigung im Wege der Untersuchung oder des Strafantrags in Antrag zu bringen, ohne dazu zuvor die Allerhöchste Genehmigung eingeholt zu haben. AO. v. 18. Dez. 1841.

§ 92?) (StG. bezw. KG. §§ 15, 14 MStrGO.) Ungehorsam2-") 2) gegen einen Befehl3) in Dienstsachen4) durch Nichtbefolgung^) oder durch eigenmächtige Abänderung^) oder Überschreitung 5) desselben wird mit Arrest9) bestraft.7)

*) § 187. Wer wider besseres Wissens in Beziehung auf einen Anderen eine unwahre Thatsache behauptet oder verbreitet, welche denselben verächtlich zu machen oder in der öffentlichen Meinung herabzuwürdigen oder dessen Kredit zu gefährden geeignet ist, wird wegen verleumderischer Beleidigung mit Gefängniß bis zu zwei Jahren und, wenn die Verleumdung öffentlich oder durch Verbreitung von Schriften, Abbildungen oder Dar­ stellungen begangen ist, mit Gefängniß nicht unter Einem Monat bestraft. Sind mildernde Umstände vorhanden, so kann die Strafe bis auf Einen Tag Gefängniß ermäßigt, oder auf Geldstrafe bis zu neunhundert Mark erkannt werden. a) Der Täter muß wissen, daß die von ihm behaupteten Tatsachen unwahr sind, diese Kenntnis muß ihm bewiesen werden. Vgl. Note a, b, c, d zu § 186 RStrGB. und Note 4 zu 8 91 MStrGB.

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*) Die Strafvorschriften der §§ 92—95 MStrGB. finden Anwendung auf die zum aktiven Heer (Marine) gehörigen Personen des Soldatenstandes, auf Kriegsgefangene (§ 158 MStrGB.); auf Militärbeamte nur im Felde (8 153 MStrGB.); auf Personen des Beurlaubtenstandes außerhalb der Zeit, in welcher sie sich xxn Dienste befinden (vgl. Note 2 zu § 6 MStrGB.) nur unter den in § 113 MStrGB. aufgestellten Voraussetzungen; ferner auf das Gefolge des Heeres (§ 155 MStrGB.). 2a) Dem Untergebenen steht nicht die Befugnis zu, sich vor Ausführung des Befehls zu erkundigen, ob und aus welchen Gründen der Befehl ein berechtigter sei. Die erste Pflicht des Soldaten ist unbedingter Gehorsam gegen die Dienstbefehle seiner Vorgesetzten; ein Urteil über die Recht­ mäßigkeit der Befehle oder ihre Folgen ist ihm nicht zu gestatten. ACO. v. 11. Mai 1821 (PrMilitärgesS. S. 179). Diese Vorschrift ist durch die Bestimmung des § 47 Ziff. 2 MStrGB. durchbrochen, vgl. das. Die Eigenschaft eines Befehls als eines Befehls in Dienstsachen und seine Rechtmäßigkeit ist vom Gesetz nicht als ein von dem strafrechtlichen Vorsatz des Untergebenen zu umfassendes Tatbestandsmerkmal des Vergehens oes Ungehorsams gedacht; sein Vorhandensein kann vielmehr nur als eine außerhalb des Vorsatzes liegende Voraussetzung der Strafbarkeit aufgefaßt werden. Die Unkenntnis des Untergebenen von der Eigenschaft des Befehls als eines Befehls in Dienstsachen oder die irrige Annahme desselben, daß der Befehl in keiner Beziehung zum militärischen Dienste stehe, vielmehr eine rein private Angelegenheit betreffe, ist für die Anwendung des § 92 MStrGB. bedeutungslos. Ihr Vorhandensein rechtfertigt nicht die An­ wendung des § 59 RStrGB. RMGer. II. 20. Mai 1903. E. 5,150. 2) Vorsätzlichkeit der Handlung wird nicht erfordert, der militärische Ungehorsam im Sinne des § 92 MStrGB. kann auch fahrlässig begangen werden. RMGer. II. 19. Sept. 1901. E. 1,290 u. II. 15. Febr. 1902. E. 2,200. 3) Es ist militärdienstlicher Grundsatz, daß bei sich widersprechender Befehle mehrerer Vorgesetzten stets der letzte Befehl zu befolgen ist. Der Untergebene hat in einem solchen Falle dem Vorgesetzten zu melden, daß er vorher einen abweichenden Befehl erhalten hat. Unterläßt er dies oder besteht der Vorgesetzte trotz der iym erstatteten Meldung auf seinem Befehl, so ist der ungehorsame Untergebene aus §§ 92 ff. MStrGB. strafbar. RMGer. II. 11. Nov. 1903. E. 6,99. Bestehen bei dem Untergebenen Zweifel, welchen der sich widersprechenden Befehle er auszuführen habe, so ist es nicht rechtsirrtümlich, wenn nicht schon m der Verzögerung der Ausführung des letzten Befehls, soweit sie durch einen solchen Zweifel bedingt war, der Tatbestand des Ungehorsams gefunden wird. RMGer. I. 19. März 1903. E. 4,277. Der Befehl soll so erteilt werden, daß das Auftreten als Vorgesetzter und die Eigenschaft der Willensäußerung desselben als Befehl, d. h. als einer dienstlichen Anordnung, welcher unverzüglich Folge geleistet werden muß, dem Untergebenen klar ersichtlich ist; der Untergebene muß von dem Vorhandensein des Befehls, d. h. dem Willen des Vorgesetzten, ihm einen Befehl zu geben oder ein Verbot zu erteilen, Kenntnis gehabt oder mindestens Kenntnis gehabt haben können. RMGer. I. 15. Mai 1901 (nicht publiziert). RMGer. II. 16. Sept. 1901. E. 1,286. Mahnungen sind keine Befehle. Der Befehl braucht nicht ausdrücklich erteilt zu sein, er kann vielmehr auch durch konkludente Handlungen erteilt werden. In subjektiver Hinsicht ist aber immer erforderlich, daß derjenige, dem ein Befehl erteilt wird, ihn als solchen erkennt. RMGer. I. 3. Sept. 1903. E. 6,is. 4) Vgl. bezügl. des „Befehls in Dienstsachen" Note 2 zu § 47 und bezügl. des „Vorgesetzten" Note 7 zu § 47 MStrGB. Unter „Dienstsache" ist der Inbegriff alles dessen zu verstehen, was der militärische Dienst nach seinem innern Wesen erfordert, was im Interesse des militärischen Dienstes

Zweiter Teil.

Einzelne Verbrechen und Vergehen.

§ 92.

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begründet erscheint- im Einzelfall muß sich dies aus militärischen Regeln und militärischen Grundsätzen ergeben. RMGer. II. 20. Mai 1903. E. 5,i5o. Als Befehle in Dienstsachen sind nicht nur die von dem Vorgesetzten schriftlich oder mündlich (oder durch Zeichen, Signale rc.) etwa einem einzelnen Untergebenen speziell erteilten Dienstbefehle, sondern auch allgemeine dienstliche Anordnungen und Instruktionen verstanden, also alle diejenigen ein bestrmmtes Gebot oder Verbot in sich schließenden allgemeinen An­ ordnungen, wie sie in den verschiedensten Befehlen der Kommandobehörden, in Reglements und Instruktionen niedergelegt sind. RMGer. I. 19. März 1903. E. 5,3. PE. VI. Nr. 99. Ein erteilter Heimatsurlaub ist nicht als Befehl in Dienstsachen in dem Sinne zu verstehen, daß durch denselben dem Beurlaubten eine unbedingte Verpflichtung zur Benutzung des Urlaubs bei Vermeidung der Begehung des Delikts des Ungehorsams auferlegt wird. Wenn auch dem Beurlaubten nicht das Recht zusteht, den ihm in die Heimat erteilten Urlaub zu einem anderen Zwecke zu benutzen, so ist er doch zu einem Verzichte auf den Urlaub unter Meldung von der Nichtbenutzung desselben berechtigt. Das Spielen seitens der Mitglieder einer Musikkapelle in Privat­ konzerten ist an sich eine reine Privatangelegenheit. Eine dienstliche Ver­ pflichtung zu einer derartigen Mitwirkung besteht infolgedessen nicht ohne weiteres; sie ist nur dann anzunehmen, wenn eine dahingehende Verpflichtung entweder im Kapitulationsvertrage übernommen ist, oder militärisch ge­ nehmigte Statuten bestehen, die den Mtgliedern der Kapelle eine solche Verpflichtung auferlegen und die Mitglieder sich diesen Statuten unter­ worfen haben. Jeder Angehörige der bewaffneten Macht muß, insbesondere vor der Öffentlichkeit, im vorschriftsmäßigen und anständigen Anzuge erscheinen. Dies bezweckende Befehle sind Befehle in Dienstsachen. Die Bestrafung aus § 92 MStrGB. setzt die Erteilung eines dienst­ lichen Befehls oder Verbots seitens eines zuständigen Befehlshabers voraus. Dieser Befehl kann auch in allgemeinen Dienstvorschriften enthalten sein, er muß aber ein bestimmtes Tun oder Unterlassen vorschreiben. RMGer. PE. II. Nr. 157 a. Belehrungen in der Instruktiv nsstunde ergänzen die Dienstvorschrift und dem Untergebenen gegenüber stellt sich die letztere als Befehl in Dienstsachen in der Auslegung dar, welche ihr in der Jnstruktionsstunde gegeben wurde. RMGer. II. 29. März 1902. E. 2,244. Ein gerichtliches Urteil ersetzt ein dienstliches Verbot nicht; das unbefugte Tragen der Nationalkokarde ist durch § 25 Nr. 1 der MStrVV. verboten und daher auf Grund des § 92 MStrGB. gerichtlich oder disziplinarisch zu bestrafen (§ 3 Nr. 1 EG. z. MStrGB.), wenn auf Grund der erwähnten Vorschrift ein besonderes Verbot vorausgegangen ist; im übrigen ifit§ 1 Nr. 1 DMO. anwendbar. Betreten der Kaserne auf „ver­ botenem Wege" ist nur dann auf Grund des § 92 MStrGB. strafbar, wenn ein diesbezügliches ausdrückliches Verbot ergangen ist. RMGer. PE. IV. Nr. 143. Trunkenheit außer Dienst, Schuldenmachen (abges. vom Fall des § 114 MStrGB.) ist ausschließlich nach § 1 Nr. 1 DStO., MDStO. strafbar, RMGer. PE. II. Nr. 157 a, es müßte denn bereits ein ausdrückliches Verbot (z. B. Branntwein zu trinken, Schänkstätten zu besuchen) ergangen sein, in welchem Falle § 92 MStrGB. anwendbar wird. Nach den Bestimmungen für den Dienst an Bord, Berlin 1903, Reichs­ marineamt, darf a) ohne Genehmigung des ersten Offiziers in keinem Teile des Schiffs — außer in der Maschine, in den Wohnräumen der Offiziere, Deck­ offiziere, Fähnriche, Seekadetten und bei besonderen Schiffsarbeiten — offenes Licht gebrannt werden, b) bei Arbeiten im Doppelboden und an sonst nicht leicht zugänglichen

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und lüftbaren Stellen nur offenes Licht gebrannt werden, nachdem man sich vorher von der guten Beschaffenheit der Luft überzeugt hat, c) muß bei Schiffsarbeiten, welche durch Zivilarbeiter ausgeführt wer­ den, die Arbeitsstätte nach jedesmaliger Beendigung der Arbeitszeit auf etwaiges Brennen offener Lichter nachgesehen werden, d) ist das Licht in den Messen zu den vorgeschriebenen Zeiten zu löschen. Der wachhabende Offizier hat dies in geeigneter Weise durch die Wachhabenden überwachen zu lassen. e) darf niemand in der Kammer oder in den Messen offenes Licht während der Zeit brennen lassen, wo er sie verlassen hat oder schläft. Diese Bestimmungen enthalten Befehle in Dienstsachen. Vgl. auch RMGer. PE. VI. Nr. 100. Nichtgrüßen eines Unteroffiziers seitens eines Gemeinen stellt sich als Ungehorsam nach § 92 MStrGB. dar. RMGer. PE. V. Nr. 107. Die Verfügung des Kriegsministers v. 24. Jan. 1894 erteilt an die Kommandobehörden nur die Ermächtigung, die Betätigung revolutionärer oder sozialdemokratischer Gesinnung zu verbieten. Der Erlaß hat daher nicht selbst die Bedeutung eines Befehls (Verbots) in Dienstsachen und eine Bestrafung aus § 92 MStrGB. ist nur zulässig, wenn auf Grund jener Ermächtigung ein besonderer bezüglicher Befehl (Verbot) ergangen ist. Die Kriegsartikel enthalten einen solchen Befehl an sich noch nicht. Eine Zuwiderhandlung gegen die Kriegsartikel gehört an sich zu den in § 1 Nr. 1 DStO. bezeichneten Handlungen, unterliegt lediglich der Diszi­ plinarbestrafung und ist nur dann als Ungehorsam aus ß 92 MStrGB. strafbar, wenn in Anwendung der in den Kriegsartikeln enthaltenen all­ gemeinen militärischen Pflichtenlehre auf konkrete Verhältnisse seitens der zuständigen Befehlshaber besondere Befehle gegeben und Diese nicht be­ achtet worden sind. RMGer. II. 16. Sept. 1901. E. 1,286. Trunkenheit außer Dienst kann nur auf Grund des § 1 DStO. — nie gerichtlich — bestraft werden. RMGer. PE. II. Nr. 157 a. Der Vorgesetzte hat die Pflicht gegen­ über der Ungehörigkeit des Untergebenen seine Autorität zu wahren; ein zu diesem Zweck gegebener Befehl, den Mund zu halten, betrifft daher eine Dienstangelegenheit und ist ein Befehl in Dienstsachen. RMGer. I. 25. April 1901. E. 1,105. Der von der ein Heiratsgesuch bearbeitenden Dienststelle an den Gesucksteller erlassene Befehl schriftlicher Aufklärung über mangel­ hafte Punkte oes Vermögensnachweises usw. ist ein Befehl in Dienstsachen. RMGer. III. 1. Juli 1902. E. 8,123. Die in Ausführung der Dienstpflicht eines Vorgesetzten, seinen Befehlen Geltung zu verschaffen, ergangenen Befehle sind Befehle in Dienstsachen. RMGer. II. 12. Febr. 1901. E. I,i3o; I. 19. Dez. 1901. E. 2,ioi. Ein nicht zu den Personen des Soldatenstandes des aktiven Heeres (Marine) gehöriger Angeklagter, welcher zur Hauptverhandlung entgegen der Vorschrift des § 267 MStrGO. nicht schriftlich geladen ist, sondern nach § 266 das. einen Gestellungsbefehl erhalten hat, macht sich durch sein Nichterscheinen in der Hauptverhandlung des Vergehens des § 92 MStrGB. nicht schuldig. RMGer. PE. II. 157 c. Die Besorgung einer Angelegenheit, welche an sich lediglich privater Natur ist, kann durch die Art der Besorgung einen dienstlichen Charakter annehmen. Es ist dies der Fall, wenn der Täter sich mit Genehmigung seines Vorgesetzten der Besorgung der Angelegenheit in seiner dienstlichen Eigenschaft aus Fürsorge für die Mannschaften unterzogen hat, oder wenn behufs Besorgung einer solchen Angelegenheit Beiträge von Mannschaften an einen Vorgesetzten in seiner dienstlichen Eigenschaft gezahlt und von diesem in gleicher Eigenschaft in Empfang genommen werden. Sind für die Behandlung einer solchen dienstlichen Angelegenheit von einem Vorgesetzten besondere Anordnungen getroffen, so stellt sich ein

Zweiter Teil.

Einzelne Verbrechen und Vergehen.

§ 92.

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schuldhaftes Zuwiderhandeln gegen diese Anordnungen als Unge­ horsam gegen einen Befehl in Dienstsachen dar. RMGer. I. 19. Nov. 1903. E. 6,103. Der Dienst des Burschen eines Offiziers begreift auch die Besorgung von Privatangelegenheiten des Offiziers in sich. Erhält ein als Bursche kommandierter Soldat periodisch einen Vorschuß mit dem Befehle zur Be­ zahlung gewisser Posten, so kann er wegen Nichtbezahlung eines Postens auf Grund des § 92 MStrGB. nur bestraft werden, wenn festgestellt ist, daß der erhaltene, noch nicht verbrauchte Vorschuß zur Bezahlung des Postens ausgereicht haben würde. Zu Vorschüssen aus eigenen Mitteln ist kein Bursche verpflichtet. RMGer. III. Nr. 128. Befehle, die am Tage der Kontrollversammlung außerhalb der letzteren von Gendarmen an Kon­ trollpflichtige zur Aufrechterhaltung der Ruhe und Ordnung erteilt werden, stellen sich als Befehle in Dienstsachen dar. RMGer. I. 28. Nov. 1901. E. 2,70. Ungehorsam gegen militärische Wachen fällt unter § 92 MStrGB., vgl. § 111 MStrGB. Ungehorsam gegen einen Dienstbefehl ist ein reines Disziplinarvergehen und nur disziplinarisch strafbar. RMGer. PE. II. Nr. 157 a. Die Frage, ob ein den Voraussetzungen des § 92 MStrGB. ent­ sprechender Befehl vorliegt, ist zwar tatsächlicher Natur, unterliegt aber, wo es sich um Verletzung einer militärischen Dienstvorschrift oder eines militärischen Grundsatzes handelt, der Nachprüfung durch das Reichs­ militärgericht. § 399 Abs. 2 MStrGO. RMGer. I. 10. März 1902. E. 2,217. 5) Nach feststehenden militärischen Grundsätzen ist jede Diensthandlung so auszuführen, wie es den bezüglichen allgemeinen oder für den besonderen Fall gegebenen Befehlen entspricht, und jede eigenmächtige Änderung in der Ausführung von feiten des Untergebenen ist grundsätzlich als Ungehorsam anzusehen. RMGer. I. 10. März 1902. E. 2,217. Langsame, lässige Aus­ führung eines Befehls in Dienstsachen charakterisiert sich als Ungehorsam, wenn der Befehl ausdrücklich auf schnelle militärisch prompte Ausführung lautet. RMGer. II. 13. Sept. 1902. E. 3,236. Zwischen dem Vergehen eines Ungehorsams gegen einen Befehl in Dienstsachen durch Nichtbefolgung und dem Vergehen der eigenmächtigen Entfernung ist sowohl Gesetzeskonkurrenz, als auch ideale oder reale Konkurrenz rechtlich möglich. RMGer. PE. II. Nr. 157 b. Die Nichtbe­ folgung des Einberufungsbefehls zu einer Kontrollversammlung ist, wenn festgestellt wird, daß der Ungehorsam begangen wurde mit dem Willen und dem Bewußtsein, sich der Befehlsgewalt des Kontrollvorgesetzten zu ent­ ziehen, aus § 64, nicht aus § 92 MStrGB. zu bestrafen. RMGer. PE. IV. Nr. 144. III. 30. Jan. 1901. E. l,io. Eine,Person des Beurlaubtenstandes ist, wenn sie der Einberufung zu einer Übung vorsätzlich keine Folge leistet, wegen unerlaubter Entfernung zu bestrafen. Der § 92 MStrGB., dem gegenüber der § 64 a. a. O. das speziellere Gesetz ist, kommt nicht in Anwendung. RMGer. II. 27. Mai 1900. E. 5,167. Das gleiche gilt bezüglich der Bestrafung der Urlaubsüberschreitung, auch hier ist § 64 a. a. O. die besondere Vorschrift, gegenüber der allgemeinen des § 92 MStrGB. Läßt sich der Vorsatz der Überschreitung des erteilten Urlaubs feststellen, so muß Bestrafung aus § 64 a. a. O. eintreten, ohne Rücksicht auf die Dauer der Urlaubsüberschreitung und ohne Rücksicht, ob der Täter durch sein Fern­ bleiben Dienst versäumt oder sich dem Dienste entzogen hat, bezw. ob seine Absicht darauf gerichtet war oder nicht. Für die fahrlässige Urlaubs­ überschreitung kommt § 92 a. a. O. in Betracht. Verspätungen von wenigen Minuten können unter Umständen nicht als eigentlicher fahrlässiger Unge­ horsam, sondern als Unpünktlichkeit bezw. Ordnungswiorigkeit aufgefaßt

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und auf Grund des § 1 Nr. 1 DStO. bestraft werden. RMGer. II. 21. Juli 1903. E. 5,267. Ein Mann der Kompagnie, welcher entgegen dem Kompagniebefehle, überzählige scharfe Patronen alsbald abzuliefern, solche sich rechtswidrig zueignet, ist nicht bloß wegen Unterschlagung, sondern auch wegen Ungehorsam in idealer Konkurrenz zu bestrafen. § 92, § 138 MStrGB. RMGer. III. PE. III. Nr. 128. 6) Von einen Tag bis vier bezw. sechs Wochen, strenger Arrest nur unter den Voraussetzungen des § 22 MStrGB. 7) Leichtere Fälle können im Disziplinarwege geahndet werden; § 3 Nr. 1 EG. z. MStrGB., vgl. auch § 23 DStO. ®) Wegen Aufforderung zum Ungehorsam einer Person des Soldaten­ standes seitens einer Zivilperson vgl. § 112 RStrGB.

§ 93. (KG. bezw. StG. § 161 MStrGO.) Wird durch den Unge­ horsams ein erheblicher Nachtheil2) verursacht, so tritt strenger Arrest3) nicht unter vierzehn Tagen oder Gefängniß4) oder Festungshaft^) bis zu zehn Jahren (KG. 88 62*, 45 MStrGO.), im Feldes Freiheits­ strafeb) nicht unter Einem Jahre oder lebenslängliche Freiheits­ strafe ein. (KG. bezw. StG. 8 161 MStrGO.) Wird durch den Ungehorsam die Gefahr7) eines erheblichen Nachtheils herbeigeführt, so tritt Freiheits­ strafe 8) bis zu zwei Jahren (KG. 8 621, 45 MStrGO.) im Felde Frei­ heitsstrafe8) von drei Monaten bis zu drei Jahren ein.10) 1) 8 93 MStrGB. setzt einen Ungehorsam gegen einen „Befehl in Dienstsachen" voraus (RMGer. I. 25. April 1901. E. l,ios) und enthält straf­ erhöhende Umstände im Sinne der 88 318, 323, 326 MStrGO. zu dem Ungehorsam aus 88 92, 94, 95 MStrGB. Auch ein fahrlässiger Un­ gehorsam aus 8 92 daselbst genügt zur Anwendung des 8 93 daselbst. RMGer. II. 15. Febr. 1902. E. 2,200. 2) Unter Nachteil im Sinne des 8 93 MStrGB. ist nicht bloß ein vermögensrechtlicher Nachteil, sondern jeder Nachteil, mithin auch die Be­ einträchtigung irgend eines Rechtsguts, also auch die Schädigung der mili­ tärischen Autorität zu verstehen. Der Nachteil muß ein erheblicher sein; dies ist Tatfrage. RMGer. I. 29. Okt. 1903. E. 6,94. Der Nachteil muß ferner durch den Ungehorsam verursacht sein. Daß ein Nachteil „für den Dienst" eingetreten ist, wird nicht erfordert, es genügt der Eintritt eines jeden Nachteiles, sofern er nur ein erheblicher ist. Als erheblicher Nach­ teil kann auch die Gefährdung und Herabsetzung des Rufes eines Truppen­ teils, sei es den Vorgesetzten oder Zivilbehörden bezw. dem Publikum gegenüber in Betracht kommen. 3) Die Voraussetzungen des 8 22 Abs. 3 MStrGB. greifen nicht Platz. 4) Von 43 Tagen ab. 5) Vgl. 88 9 u. 10 MStrGB.; weiterer straferhöhender Umstand im Sinne der 88 318, 323, 326 MStrGO. 6) Gefängnis, Festungshaft von 1 bis zu 15 Jahren. 7) „Gefahr" bedeutet die größere oder geringere Wahrscheinlichkeit eines nach menschlicher Erfahrung und den Gesetzen der Kausalität zu er­ wartenden schädlichen Ereignisses. RG. III. 14. Juni 1882. E. 6,397. 8) Arrest (gelinder, mittlerer, strenger Arrest, letzterer nur unter den Voraussetzungen des 8 22 Abs. 3 MStrGB.) von 1 Tag bis 6 bezw. 4 Wochen, Gefängnis, Festungshaft von 43 Tagen bis zu 2 Jahren. 9) Gefängnis, Festungshaft.

Zweiter Teil.

Einzelne Verbrechen und Vergehen.

§§ 93, 94.

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10) Wegen Strafermäßigung bei Reizung vgl. § 98 RStrGB. Wegen Entfernung aus dem Heere vgl. § 31 Abs. 3, wegen Dienstentlassung, Degra­ dation §§ 34, 40 MStrGB.

§ 94. (KG. bezw. StG. 88 16', 621, 45 MStrGO.) Wer1) den Gehorsam ausdrücklich verweigert2) oder seinen Ungehorsam sonst durch Worte, Geberden oder andere Handlungen zu erkennen gibt,2a) ingleichen wer den Vorgesetzten9) über einen von ihm erhaltenen Dienstbefehl^) oder Verweis ^) zur Rede stellt/) oder auf wiederholt erhaltenen Befehl in Dienstsachen im Ungehorsam beharrt/)9) wird mit strengem Arrest nicht unter vierzehn Tagen oder mit Gefängniß oder Festungshaft bis zu drei Jahren bestraft9)10) !) Vgl. Note 1 zu 8 92 MStrGB. 2) Die ausdrückliche Gehorsamsverweigerung, das Erkennengeben des Ungehorsams durch Worte usw. begreift jede Äußerung des Willens, dem Befehle nicht zu gehorchen, in sich; es wird eine vorsätzliche Handlung er­ fordert; RMGer. PE. VII. Nr. 32, nicht nötig ist, daß die ausdrückliche Ge­ horsamsverweigerung dem befehlenden Vorgesetzten unmittelbar gegenüber erfolgt, sie kann auch gegenüber dem Stellvertreter oder dem den Befehl Übermittelnden gegenüber erfolgen; immer aber wird das Bewußtsein des Täters, daß ein Vorgesetzter davon Kenntnis erhält, vorliegen müssen. Darin, daß der Untergebene einem ausdrücklichen Befehle (Verbote) zuwiderhandelt, liegt an sich nur ein einfacher, nach 8 92 strafbarer Unge­ horsam. RMGer. PE. VII. Nr. 31. Nicht wesentlich ist, daß der Befehl ein ausdrücklich erteilter ist. Nur die Gehorsamsverweigerung muß eine ausdrückliche sein; in dieser Hinsicht ist nicht sowohl der Umstand entscheidend, daß der Befehl unter allen Um­ ständen dem Ungehorsam unmittelbar vorhergeht, sondern die Art und Weise, in welcher der Untergebene seinen Vorsatz, den Gehorsam zu ver­ weigern, zu erkennen gibt. RMGer. PE. III. Nr. 129. Stellt sich nach Lage der Sache eine vom Vorgesetzten an den Unter­ gebenen gerichtete Frage als ein Befehl dar, und ist dieselbe auch als solcher vom Untergebenen aufgefaßt, so ist die Entgegnung des Gefragten: „Das sage ich nicht" eine ausdrückliche Gehorsamsverweigerung. RMGer. PE. I. Nr. 121. Die ausdrückliche Gehorsamsverweigerung, das Erkennengeben des Ungehorsams durch Worte usw., das Beharren im Ungehorsam setzen die Nichtbefolgung eines „Befehls in Dienstsachen" voraus. Unter Befehl in Dienstsachen vgl. Note 3 u. 4 zu 8 92; Note 2 zu 8 47 MStrGB. Die auf einen Befehl in Dienstsachen gegebene Antwort des Untergebenen: „Wenn ich mag, schon" bildet, wenn der Befehl nicht ausgesührt wird, ein Zuerkennengeben des Ungehorsams durch Worte und erfüllt den Tatbestand des 8 94 MStrGB., wird zugleich der Befehl sofort ausgeführt, den der Achtungsverletzung nach 8 89 MStrGB. RMGer. I. 25. April 1901. E. I,io5; I. 28. Nov. 1901. E. 2,70; II. 21. Mai 1902. E. 3,50. PE. I. Str. 121. Vollendet wird die Gehorsamsverweigerung dadurch, daß der Untergebene seinem Willen, einem nicht unverzüglich auszuführenden Befehle keine Folge leisten zu wollen, unzweideutig nach außen hin zum Ausdruck bringt. Durch die spätere, zu der befohlenen Zeit erfolgende Ausführung des Be­ fehles wird die Erklärung des Untergebenen und die in ihr liegende Weige­ rung des Gehorsams nicht ungeschehen gemacht. Der Auffassung, daß eine als Gehorsamsverweigerung sich darstellende Kundgebung dann, wenn die befohlene Handlung zu der Zeit, zu welcher dieselbe vorzunehmen war.

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trotz jener früheren Erklärung vorgenommen wird, lediglich als Achtungs­ verletzung zu bestrafen ist, kann nicht zugestimmt werden. 2a) Der bloße passive Ungehorsam allein erfüllt den Begriff der aus­ drücklichen Gehorsamsverweigerung oder des Zuerkennengebens des Unge­ horsams noch nicht; es muß noch eine Kundgebung hinzutreten (z. B. durch Mienen, Gebärden usw.), die dem Ungehorsam einen demonstrativen Charakter gibt, und die Geflissentlichkeit und damit die Respektswidrigkeit erkennen läßt. Wolf-Weiffenbach S. 70. Zum Tatbestände des Erkennen­ gebens des Ungehorsams durch Worte usw. gehört in subjektiver Beziehung die Absicht des Täters, den Ungehorsam durch Worte usw. erkennen zu geben. RMGer. zit. Erk. E. 3,5o; I. 3. Sept. 1903. E. 6,18. Sofern aus der festgestellten Äußerung des Täters die Absicht, seinen Ungehorsam zu er­ kennen zu geben, nicht zweifelsfrei hervorgeht, bedarf es zur Verurteilung aus § 94 MStrGB. der ausdrücklichen Feststellung, daß der Täter diese Absicht gehabt hat. RMGer. I. 29. Okt. 1903. E. 6,90. h Vgl. Note 7 zu § 47 MStrGB. 4) „Befehl in Dienstsachen" ist nicht erforderlich; der Dienstbefehl muß den Täter wenigstens mittelbar berühren. Das Zurredestellen über einen einem Dritten erteilten Befehl fällt nicht unter § 94 MStrGB. 5) Der Begriff des Verweises ist nicht auf den Verweis im Sinne des § 3 der DStO. beschränkt, es genügt jede Rüge, Tadel usw. Zurrede­ stellen über eine andere Disziplinarstrafe als den Verweis fällt unter Zurredestellen über einen Dienstbefehl. Koppmann, Note 8 zu § 94 MStrGB. 6) Erfordert wird eine vorsätzliche Handlung. „Sich verantworten", „Räsonnieren" oder eine „Widerrede" erfüllen den Begriff des Zurrede­ stellens nicht; sie sind aus § 89 MStrGB. strafbar. Widerrede gegen er­ haltenen Verweis ist nur dann ideal konkurrierend als Gehorsamsverweige­ rung gegenüber dem erhaltenen Befehle, zu schweigen, strafbar, wenn mit der Widerrede die Absicht, den Ungehorsam gegen diesen Befehl zu erkennen zu geben, verbunden war. Daß die Widerrede objektiv eine Gehorsams­ verweigerung enthielt, die Feststellung, daß der Täter „auf den Schweige­ befehl in demonstrativer Weise seinen Ungehorsam ausdrücklich betätigte", erfüllt den Tatbestand des § 94 in objektiver Richtung noch nicht. Es muß vielmehr festgestellt werden, daß der Täter die Absicht hatte, mit seiner Antwort seinen Ungehorsam gegen den Schweigebefehl zu erkennen zu geben. RMGer. II. 24. Mai 1902. E. 3,50. 7) Der Tatbestand des Beharrens im Ungehorsam verlangt einen wiederholt gegebenen Befehl in Dienstsachen; der Befehl muß die Aus­ führung ein und derselben Handlung betreffen, er braucht aber nicht von Demselben Vorgesetzten gegeben zu sein. Dabei wird selbstverständlich vor­ ausgesetzt, daß die Wiederholung des Befehls erst dann erfolgt, wenn fest­ steht, daß der vorhergehende Befehl unbefolgt geblieben ist. RMGer. II. 30. Sept. 1901. E. 2,15. Das bloße passive Verhalten nach dem wiederholt erteilten Befehl in Dienstsachen genügt. Die dauernde Gegenwart des be­ fehlenden Vorgesetzten bei der Tat ist ebensowenig erforderlich, wie daß die Befehle von demselben Vorgesetzten erteilt worden sind. 8) Ist ein wiederholt erteilter Befehl nicht befolgt worden, so ist das Vergehen des Beharrens im Ungehorsam vollendet und kann durch nach­ trägliche Befolgung nicht rückgängig und straflos gemacht werden. RMGer. II. 13. Sept. 1902. E. 3,237; die auf weitere Wiederholung stattfindende Be­ folgung des Befehls ist nur als Strafausmeffungsgrund zu berücksichtigen. RMGer. PE. II. Nr. 158b. Wenn ein Untergebener einen Befehl in Dienstsachen nicht befolgt und diesen Befehl auch nach Wiederholung unter ausdrücklicher Verweigerung des Gehorsams unbefolgt läßt, so liegt nur ein Vergehen des erschwerten

Zweiter Teil.

Einzelne Verbrechen und Vergehen.

§ 95.

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Ungehorsams durch Beharren im Ungehorsam und durch ausdrückliche Ver­ weigerung des Gehorsams vor. RMGer. II. PE. Nr. 158 c. 9) Wenn festgestellt ist, daß sich der Angeklagte in mehreren verschie­ denen Fällen des Ungehorsams aus § 92 MStrGB. schuldig gemacht hat, kann die Strafe nicht aus § 94 MStrGB. bemessen werden. RMGer. PE. II. Nr. 158 a. 10) Die Strafe ist (auch im Felde) 14 bis 28 Tage strenger Arrest (§ 22 Abs. 3 MStrGB. findet nicht Anwendung), oder Gefängnis oder Festungshaft von 43 Tagen bis zu 3 Jahren. Wegen Dienstentlassung bezw. Degradation vgl. §§ 34, 40 MStrGB. Wegen Strafermäßigung im Falle der Reizung vgl. § 98 MStrGB.

§ 95.i) (kg. §§ 62i), 4ß MStrGO.) Wird eine der in dem § 94 bezeichneten Handlungen vor versammelter Mannschaft?) oder gegen den Befehl, unter das Gewehr zu treten,3) oder unter dem Gewehr4) begangen, so tritt Gefängniß- oder Festungshaft bis zu fünf Jahren,b) im Feldes Gefängniß oder Festungshaft nicht unter Einem Jahre ein. Ist eine solches Handlung vor dem Feindes begangen, so tritt Freiheitsstrafe nicht unter zehn Jahren ein. Besteht die Handlung darin, daß der Gehorsam gegen einen vor dem Feinde ertheilten Befehls durch Wort oder Thatio) ausdrücklich verweigertio*) wird, so tritt Todesstrafe, in minder schweren FällenH) Freiheitsstrafe^) nicht unter zehn Jahren oder lebenslängliche Freiheitsstrafe ein. i3)u) 1) § 95 Abs. 1 und 2 MStrGB. enthält straferhöhende Umstände (§§ 318, 323, 326 MStrGO.) zu § 94 MStrGB. 2) Vgl. Note 1—7 zu § 12 MStrGB. 3) „Unter das Gewehr treten" bezeichnet das Antreten zum Dienst mit der Waffe: ein Antreten in Reih und Glied ist nicht erforderlich, der straferhöhende Umstand d. u. d. G. T. ist auch gegeben, wenn nur ein ein­ zelner dem Befehle nicht gehorcht. Ein Befehl „unter das Gewehr zu treten" im Sinne des § 95 MStrGB. liegt nur da vor, wo der Untergebene sofort unter das Gewehr treten soll. 4) Der Täter befindet sich nicht schon dann „unter dem Gewehr", wenn er bewaffnet ist, er muß vielmehr in vorschriftsmäßiger Bewaffnung unter dem Kommando eines Vorgesetzten stehen, die Truppe oder der ein­ zelne muß zum Dienst mit der Waffe angetreten sein. RMGer. PE. VI. Nr. 101. Vgl. Note 10 zu § 89 MStrGB. Eine Straferhöhung auf Grund des § 55 Nr. 2 MStrGB., weil die Tat während des Dienstes ausgeführt wurde, ist ausgeschlossen. Vgl. Note 3 zu § 55 MStrGB. 5) Von 43 Tagen bis zu 5 Jahren. In der Publikation des MStrGB. v. 25. Juni 1872 RGBl. Nr. 18, sind infolge eines Druckversehens die Worte „bis zu fünf Jahren, im Felde Gefängnis oder Festungshaft" zwischen „Festungshaft" und „nicht" fortgelassen worden. Das Versehen ist im RGBl. v. 19. Juni 1873 berichtigt worden. 6) Vgl. §§ 9 und 10 MStrGB. 7) Unter „solche Handlung" ist jede im §94 MStrGB. bezeichnete Handlung zu verstehen, zu welcher ein straferhöhender Umstand des § 95 MStrGB. getreten ist. 8) Vgl. §§ 11, 165 MStrGB.

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Militär-Strafgesetzbuch für das Deutsche Reich.

9) Es muß ein Befehl in Dienstsachen vorliegen; vgl. § 94 MStrGB. 10) Es genügt auch ein Unterlassen; das Beharren im Ungehorsam auf wiederholt vor dem Feinde erhaltenen Befehl in Dienstsachen ist daher auch eine ausdrückliche Gehorsamsverweigerung „durch Tat" im Sinne des Abs. 2 Z 95 MStrGB. 10 a) Vgl. Note 2 zu 8 94 MStrGB. 11) Vgl. Note 19 zu 8 58 MStrGB. 12) Gefängnis, Festungshaft von 10 bis zu 15 Jahren, bezw. lebens­ längliches Gefängnis oder Festungshaft. 13) Zu Abs. 1 und 2 8 95 MStrGB. vgl. wegen Entfernung aus dem Heere 8 31 Abs. 3, wegen Dienstentlassung bezw. Degradation 88 34, 40 MStrGB.; wegen Strafermäßigung vgl. 8 98 das. 14) Die straferhöhenden Umstände des 8 95 MStrGB. gehören zur Schuldfrage. RMGer. I. 9. Jan. 1902. E. 2,136; sie können dem Täter nicht zugerechnet werden, wenn derselbe deren Vorhandensein bei Begehung der strafbaren Handlung nicht kannte; 8 59 RStrGB., 8 2 MStrGB. Eventualdolus genügt. § 96.

(KG. §§ 621, 45 MStrGO.)

Weri) es

unternimmt, ?)

einen Vorgesetzten3) mittels Gewalt4) oder Drohung3) an der Aus­ führung eines Dienstbefehls 6) zü hindern oder zur Vornahme oder Unterlassung einer Diensthandlung?) zu nöthigen,3) wird wegen Wider­

setzung mit Freiheitsstrafe9) von sechs Monaten bis zu zehn Jahren, im Felde 10) mit Gefängniß nicht unter zwei Jahren bestraft.u)

Dieselbe Strafe tritt

ein, wenn die Handlung

gegen die zur

Unterstützungi2) des Vorgesetzten befehligten oder zugezogenen 13) Mann-

schafteni4) begangen wird. 1) 8 96 MStrGB. findet Anwendung auf die zum aktiven Heere (Marine) gehörigen Personen des Soldatenstanoes, im Felde auch auf Militärbeamte (8 153 MStrGB.), ferner auf Kriegsgefangene (8 158 das.), auf das Gefolge des Heeres (88 155 ff. das.), auf Personen des Beur­ laubtenstandes außer der Zeit, während welcher sie sich im Dienste befinden (8 6 das.), nur unter der Voraussetzung des 8 113 MStrGB. 2) Durch 8 96 soll die Autorität der Diensthandlung des Vorgesetzten geschützt weroen; er richtet sich gegen Gewalthandlungen bezw. Drohungen, welche einer Diensthandlung des Vorgesetzten entgegentreten sollen und den Vorgesetzten nötigen, seinerseits entweder durch Gewalt das Hindernis zu beseitigen, oder von der Diensthandlung einstweilen abzusehen. Der Ausdruck „Unternehmen" umfaßt alle Handlungen, welche auf Erreichung des in 8 96 MStrGB. bezeichneten Erfolges gerichtet sind, auch die sog. Vorbereitungshandlungen, also Handlungen, welche im Hin­ blick auf das Hindern oder Nötigen als vorbereitende sich darstellen; vgl. Note 3 zu 8 159 RStrGB.; die Handlung muß die Hinderung oder Nötigung bezwecken; ob der Erfolg des Vorhabens erreicht wird, ob durch die Handlung das Vorhaben unmittelbar zur Ausführung gebracht werden soll, ist unerheblich. RG. II. 9. Nov. 1880. E. 3,26. III. 4. Juni 1884. E. 8,354. Ein Versuch des Verbrechens gegen 8 96 MStrGB. gibt es nicht; die Bestimmung des 8 46 RStrGB. (Rücktritt vom Versuch) ist nicht anwendbar. Vgl. Note 1 a. E. zu 8 46 MStrGB. In subjektiver Hinsicht genügt es, wenn dem Angeklagten bewußt war, daß der Vorgesetzte die Vornahme einer Diensthandlung beabsichtige und daß der Untergebene dem mit Gewalt usw. entgegenwirken will. Ob die

Zweiter Teil.

Einzelne Verbrechen und Vergehen.

§ 96.

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Annahme des Untergebenen, daß der Vorgesetzte eine bestimmte Dienst­ handlung vornehmen würde, sich mit dessen wirklicher Absicht deckte, ist un­ erheblich. RMGer. II. 11. Juni 1902. E. 3,97. Dolus eventualis genügt. RMGer. II. 2. Aug. 1902. E. 3,i?i. 3) Vgl. Note 7 zu § 47 MStrGB. Hat der Täter den Vorgesetzten als solchen erkannt, so ist es unerheblich, ob der Vorgesetzte in Uniform war oder nicht. RMGer. I. 10. März 1902. E. 2,210. Der Irrtum des Täters über die Vorgesetzteneigenschaft einer Person des Soldatenstandes ist tatsächlicher Natur, soweit Tatsachen in Frage stehen, aus denen sich die Vorgesetzteneigenschaft nach den gesetzlichen Vorschriften ergibt; Irrtum hinsichtlich der letzteren ist Irrtum im Gebiete des Strafrechts. RMGer. III. I. März 1904. E. 6,207. Wachen haben nur dann Vorgesetzteneigenschaft, wenn sie als solche äußerlich erkennbar sind; § 111 MStrGB. 4) Der Begriff „Gewalt" erfordert notwendig die Anwendung physi­ scher Kraft (RMGer. PE. V Nr. 108), (z. B. Gegenstemmen der Füße gegen oen Boden, Anklammern an Gegenstände, Entreißen des Seitengewehrs, das der Vorgesetzte festhält usw.) und zwar in dem Maße, daß dadurch die Ausführung des Dienstbefehls seitens des Vorgesetzten erschwert oder auf­ gehoben wird, und der Vorgesetzte, wenn auch nicht zur Abstandnahme von der Ausführung des Befehls, so doch seinerseits zu einer erhöhten Kraft­ aufwendung genötigt wird. Die körperlichen Kraftanwendungen können sich unmittelbar oder mittelbar gegen die Ausführung des Befehls durch den Vorgesetzten richten. Unerheblich ist, ob der Täter die physische Kraft persönlich anwendete oder ob er sich dazu eines leblosen oder willenlosen Gegenstandes als Werkzeug (z. B. Einschließen des Vorgesetzten) bedient. Vgl. auch RG. III. 5. Febr. 1881. R. 3,12. III. 11. Jan. 1883. R. 5,24. III. 7. Mai 1885. N. 7,280. IV. 5. Nov. 1895. E. 27,405. Ein bloß passiver Widerstand reicht zum Begriff der Gewalt nicht aus; es müssen vielmehr zu demselben Handlungen hinzutreten, in denen die Gewalt zum Ausdruck kommt. Eine solche Handlung liegt aber bereits dann vor, wenn der passive Widerstand in einen gewaltsamen übergeht; wenn der zu Verhaftende z. B. nicht bloß passiv in seiner Position liegen bezw. stehen bleibt und so der Fortführung nur durch die Schwere des eigenen Körpergewichts entgegenwirkt, sondern unter Entfaltung einer ge­ wissen Kraft, durch Entgegenstemmen der Füße, durch Gegendruck des Körpers, durch Sichsteismachen sich auf dem Boden zu halten sucht. RMGer. II. 23. Sept. 1903. E. 6,48. Bloßer passiver Widerstand (bloßes passives Verhalten, z. B. Weige­ rung, eine verschlossene Tür zu öffnen), RG. III. 5. Febr. 1884, R. 7,85) kann aber als Ungehorsam (§§92 ff. MStrGB.) sich qualifizieren. Besteht die Gewalt in einer direkten Einwirkung auf den Körper des Vorgesetzten, so liegt ideale Konkurrenz des § 96 Abs. 1 mit § 97 MStrGB. vor. Vgl. § 97 Note 3 a. E. 5) Drohung mit Gewalt ist nicht erforderlich, es genügt jede Drohung in dem Sinne, daß der Ankündigende den Eintritt irgend eines Übels be­ wirken oder doch befördern werde, und zwar auch dann, wenn die Zu­ fügung desselben als ein berechtigtes Handeln sich darstellt. (Drohung mit dienstlicher Beschwerde oder Drohung: „Wenn Sie mich melden, kommt noch verschiedenes anderes heraus"). RMGer. II. 19. Okt. 1901. E. 2,37. II. 15. Febr. 1902. E. 2,197. I. 26. Mai 1902. E. 3,62. II. 5. Dez. 1903. E. 6,145. Vgl. auch Note 12 zu § 89 MStrGB. Die Drohung braucht nicht gegen den Vorgesetzten direkt gerichtet zu sein; es genügt, wenn die Drohung einen Zwang auf den Willen des Vorgesetzten durch Ein­ schüchterung ausüben sollte; es ist ausreichend, wenn durch die Drohung auf den Willen des Vorgesetzten bezüglich des Dienstbetriebes im allge­ meinen eingewirkt werden sollte und bedarf es nicht einer Spezialisierung Herzu. Ernst, Strafrecht der Militärpersonen.

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Militär-Strafgesetzbuch für das Deutsche Reich.

in Richtung eines bestimmten Dienstes bezw. bestimmter, den Mannschaften zu gewährenden Vergünstigungen. RMGer. II. 5. Dez. 1903. E. 6,146. Es kann die Drohung dahin gehen, gegen einen Dritten etwas zu verüben. Nicht nötig ist, daß die Drohung eine ernstlich gemeinte war, es reicht aus, wenn sie auf den Vorgesetzten den Eindruck einer ernstlich gemeinten machen sollte. RG. III. 21. Mar 1884. R. 3,317. Die Drohung braucht an sich nicht geeignet zu sein, einen Zwang gegen den Vorgesetzten auszuüben, es genügt jede Drohung; vgl. auch RG. VStrS. 24. Mai 1880. E. 1,439. Die An­ wendung des § 96 wird nicht dadurch ausgeschlossen, daß der Vorgesetzte sich nach den Intentionen des Täters nicht von einem Untergebenen genötigt fühlen sollte; es kommt vielmehr lediglich darauf an, ob der Unter­ gebene die Absicht hatte, durch die Drohung den Vorgesetzten im Sinne des § 96 zu beeinflussen. Auch durch anonyme Drohung kann letzteres geschehen. RMGer. zit. Erk. E. 6,146. 6) Auf den Befehl in Dienstsachen ist § 96 MStrGB. nicht beschränkt. Ob der Dienstbefehl sich auf den Täter oder auf eine andere Person bezog, ob er ein sachlich gerechtfertigter, innerhalb der Zuständigkeit des Vorge­ setzten liegender war, ist belanglos. 7) Vgl. Note 2 a. E. und Note 4 zu § 89 MStrGB. Unerheblich ist, ob durch die Dienst Handlung eine Dienstpflicht verletzt werden sollte. Der Transport eines vorläufig Festgenommenen durch einen Wirtshauspatrouilleur zu dem nächsten Wachtgebäude ist eine „Diensthandlung", mag die vor­ läufige Festnahme gerechtfertigt gewesen sein oder nicht. RMGer. I. 20. Jan. 1902. E. 2,170. 8) d. h. einen Zwang ausüben (durch Gewalt oder Drohung) auf den Willen des Vorgesetzten, eine Diensthandlung vorzunehmen oder zu unter­ lassen. Erfolgt die Anwendung von Gewalt oder Drohung nicht in dieser Absicht, so liegt Widersetzung nicht vor. 9) Gefängnis oder Festungshaft. 10) 88 9 und 10 MStrGB. Gefängnis von 2 bis 15 Jahren. n) Wegen Straferhöhung vgl. § 55 Nr. 2 und wegen Strafermäßigung § 98 MStrGB. Wegen Entfernung aus dem Heere vgl. § 31 Abs. 3, wegen Dienstentlassung und Degradation §§ 34, 40 MStrGB. 12) §96 MStrGB. schützt nur die zur Unterstützung des Vorge­ setzten zugezogenen oder befehligten Mannschaften, nicht aber Mannschaften, Denen der Vorgesetzte von vornherein die selbständige Ausführung des Dienstbefehls übertragen hat, noch auch solche, welche freiwillig den Vor­ gesetzten unterstützen. Fortwährende Anwesenheit des Vorgesetzten ist nicht notwendig, der Täter muß nur wissen oder als möglich in seinen Willen mit aufnehmen, daß die Mannschaften auf Befehl des Vorgesetzten zur Unterstützung desselben zugezogen sind. RG. IV. 23. März 1899. E. 32,246. 13) Damit sollen die im Range mit dem zuziehenden Vorgesetzten gleich­ gestellten Personen des Soldatenstandes gemeint sein. 14) d. s. Unteroffiziere und Gemeine. Wiedersetzung gegen militärische Wachen bezw. im Dienste befindliche Wachmannschaften steht der Wider­ setzung gegen Vorgesetzte gleich; § 111 MStrGB.

§ 97. (KG. §§ 62 S 45 MStrGO.) SBer1) sich an einem Vor­ gesetzten2) thätlich vergreift3) oder einen thätlichen Angriff4) gegen denselben unternimmt4) wird mit Freiheitsstrafe^) nicht unter drei Jahren, in minder schweren Fällen mit Freiheitsstrafe3) nicht unter Einem Jahre bestraft. Wird die Handlung unter dem Gewehr7) oder sonst im Dienste,3) oder vor versammelter Mannschaft,9) oder mit

Zweiter Teil.

Einzelne Verbrechen und Vergehen.

§ 97.

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einer Waffe") oder einem anderen gefährlichen Werkzeuge") ausgeführt, so tritt ^reiEjeit^ftrafe12)13) nicht unter fünf Jahren, in minder schweren Fällen") Freiheitsstrafe nicht unter zwei Jahren ein. Statt") auf Gefängniß oder Festungshaft ist auf Zuchthaus von gleicher Dauer zu erkennen, wenn die Thätlichkeit eine schwere Körper­ verletzung") oder den Tod des Vorgesetzten verursacht hat??) Ist die Thätlichkeit im Felde") begangen, so tritt Todesstrafe, in minder schweren Fällen") oder wenn die Thätlichkeit außer dem Dienste begangen ist, Freiheitsstrafe^) nicht unter zehn Jahren oder lebens­ längliche Freiheitsstrafe ein. Neben Gefängniß und neben Festungshaft ist auf Dienstentlassung zu erkennen, ^l) 22) 1) Vgl. Note 1 zu 8 96 MStrGB. 2) Vgl. Note 7 zu 8 47 MStrGB. Zu den Vorgesetzten gehören auch die militärischen Wachen; 8 m MStrGB. Im Dienstrange Höhere schützt 8 97 MStrGB. nicht gegen Tätlich­ keiten; letztere sind aus 8 91 MStrGB. und auch 88 223, 223 a, 224 RStrGB. strafbar. 3) Durch 8 97 MStrGB. soll die Unantastbarkeit der Person des Vor­ gesetzten geschützt werden. Als tätliches Vergreifen stellt sich jede vorsätz­ liche, unberechtigte Einwirkung auf den Körper des Vorgesetzten oder einer dem Vorgesetzten gesetzlich gleichgestellten Person dar, wobei es gleichgültig ist, ob dadurch eine Verletzung, ein Schmerzgefühl, ein Mißbehagen oder eine Störung des körperlichen Wohlbefindens, wie es 8 223 RStrGB. voraus­ setzt, herbeigeführt wird. RMGer. 1. 20. Juni 1902. E. 3,ioe. Eine un­ mittelbare Berührung des Körpers des Vorgesetzten ist nicht unbedingt er­ forderlich; der absichtliche Schlag oder Stoß auf den durch Ausrüstungsbezw. Kleidungsstücke geschützten Körper des Vorgesetzten (z. B. Schlag auf den Helm) erfüllt objektiv den Tatbestand des 8 97 MStrGB. RMGer. I. 8. Sept. 1902. E. 3,229. Eine besondere Anwendung von Gewalt oder eine Widerstandsleistung seitens des Vorgesetzten ist nicht erforderlich; es genügt das unberechtigte Handanlegen an den Vorgesetzten. Für den Tatbestand des „tätlichen" Sichvergreifens ist somit eine feindselige Absicht nicht erforderlich; es genügt vielmehr in subjektiver Beziehung ein vorsätzliches Handeln mit dem Bewußtsein der Rechtswidrig­ keit und des Antastens des dienstlichen Ansehens des Vorgesetzten. RMGer. I. 20. Juni 1902. E. 3,iog; vgl. Note 4. Ob die Tätlichkeit des Untergebenen den erforderlichen aggressiven Charakter an sich trägt, wird regelmäßig aus der bei Vornahme der Handlung auf feiten des Untergebenen bestehenden Absicht zu entnehmen sein. Vgl. RMGer. I. 8. Sept. 1902. E. 3,229, I. 20. Juni 1902. E. 3,iog. Die nach 8 97 MStrGB. erforderliche aggressive Absicht des Täters wird aber durch den mit der Tat verbundenen Endzweck, den Vorgesetzten mittels Gewalt zur Unterlassung einer Diensthandlung zu nötigen (8 96 a. a. O.) nicht ausgeschlossen. Handelt es sich lediglich um ein äußer­ liches, wenn auch vorsätzliches und unberechtigtes Berühren des Körpers eines Vorgesetzten, so liegt ein tätliches „Sichvergreifen" nicht vor, wenn diese Handlung ohne aggressive Absicht erfolgt. Es wird dann der Gesichts­ punkt der Achtungsverletzung, der Beleidigung in Frage kommen. RMGer. II. 29. Okt. 1902. E. 4,14; II. 2. Aug. 1902. E. 3,rzi. Es genügt dolus eventualis.

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Militär-Strafgesetzbuch für das Deutsche Reich.

Gegen die zur Unterstützung herangezogenen Mannschaften als solche kann ein tätlicher Angriff im Sinne des § 97 MStrGB. nicht begangen werden. Zum Dolus gehört ferner neben der Vorsätzlichkeit der Handlung das Bewußtsein des Untergebenen, daß sich seine Tätigkeit gegen einen Vor­ gesetzten richtet. Befindet sich der Vorgesetzte in Zivilkleidung oder ist er sonst äußerlich als solcher nicht kenntlich, so macht der Untergebene sich doch des Verbrechens gegen § 97 MStrGB. schuldig, wenn er in Kenntnis der Tatsache, daß es ein Vorgesetzter ist, an diesem sich tätlich vergreift oder einen tätlichen Angriff unternimmt. RMGer. 1.10. März 1902. E. 2,210. Vgl. auch Note 3 zu § 96 MStrGB. Kann diese Kenntnis nicht festgestellt werden, so wird §§ 185, 223 ff. RStrGB. anwendbar. Der Irrtum des Täters über die Vorgesetzteneigenschaft einer Person des Soldatenstandes ist, sofern ihm die Tatsachen bekannt gewesen sind, aus denen nach den gesetzlichen und Dienstvorschriften die Vorgesetzteneigenschaft folgt, ein Irr­ tum im Gebiete des Strafrechts. RMGer. I. 5. Mai 1902. 6. 3,27; III. 1. März 1904. E. 6,267. A. A. Gerland, in der kritischen Vierteljahrsschrist für Gesetzgebung und Rechtswissenschaft 1904, der es nicht für angängig erklärt, Rechtsbegriffe, die die Strafgesetze aus anderen Gebieten herüber­ nehmen und verwenden, als Ergänzungen dieser Strafgesetze anzusehen und der ferner darauf hinweist, daß ein Irrtum über solche vom Strafgesetz in seine Normen aus anderen Gebieten ausgenommene Rechtsbegriffe nicht strafrechtlicher Natur sei; namentlich gehöre die Frage, wer Vorgesetzter einer Militärperson sei, dem Militärverwaltungsrecht an. Ein Irrtum über eine solche nicht strafrechtliche Norm entschuldige also. Diese Aus­ führungen treffen nicht zu. Die Vorschriften über die Voraussetzungen, unter welchen eine Person des Soldatenstandes in der militärischen Hierarchie anderen Personen des Soldatenstandes unterstellt sind, haben nicht nur einen verwaltungsrechtlichen, sondern auch einen direkt militär­ strafrechtlichen Charakter. 4) Während das tätliche Vergreifen die erfolgte Einwirkung auf den Körper des Vorgesetzten erfordert, fällt unter den Begriff des Unternehmens des tätlichen Angriffs gegen einen Vorgesetzten schon das bloße angriffs­ weise Vorgehen gegen den Vorgesetzten. Über den Begriff des Unternehmens vgl. Note 2 zu § 96 MStrGB. Objektiv genügt auch für den Begriff des tätlichen Angriffs jede unberechtigte Einwirkung auf den Körper eines Vor­ gesetzten, bezw. das Unternehmen einer solchen. Die Einwirkung kann direkt (z. B. durch Schlagen, Stoßen und vergleichen), oder indirekt (z. B. Reißen an der Waffe oder der Bekleidung des Vorgesetzten usw.) erfolgen. (Das in aggressiver Absicht erfolgte gewaltsame Ausderhandreißen einer vom Vorgesetzten festgehaltenen Waffe durch einen Untergebenen fällt unter § 97, nicht 96 MStrGB. RMGer. PE. V. Nr. 109.) Ob die Einwirkung Schmerz oder Unbehagen bei dem davon Betroffenen hervorgerufen hat, ist unerheblich. Insbesondere ist es denkbar, daß die Einwirkung objektiv durch unberechtigte, die Möglichkeit einer Einwirkung auf die Person des Vor­ gesetzten ergebende Abwehr von Gewalthandlungen eines dienstlich einschrei­ tenden Vorgesetzten oder durch Gegenwehr erfolgt. Subjektiv verlangt der Tatbestand des tätlichen Angriffs oder des Unternehmens eines solchen stets die aggressive Absicht. Dolus eventualis genügt. RMGer. II. 29. Okt. 1902. E. 4,14. Zit. Erk. E. 3,ioe. PE. VII. Nr. 33. Wenn das Urteil des RMGer. I. 20. Juni 1902. E. 3,io6 bei dem tätlichen Sichvergreifen nur eine aggressive Absicht, bei dem Unternehmen des tätlichen Angriffs dagegen eine feindliche Absicht erfordert, so kann dem nicht zugestimmt werden; es sinket sich für diese verschiedenartige Nor­ mierung des subjektiven Tatbestandes für die beiden Eventualitäten des § 97 weder in dem Wortlaute, noch in der Entstehungsgeschichte des Ge-

Zweiter Teil.

Einzelne Verbrechen und Vergehen.

§ 97.

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setzes einen zwingenden Anhalt; es würde auch d. E. dem Willen des § 97, die Unantastbarkeit der Person des Vorgesetzten und die in ihr verkörperte Disziplin vor jeder auch nur unternommenen vorsätzlichen Tätlichkeit zu schützen, nicht entsprechen, wenn das „Unternehmen" einer solchen Tät­ lichkeit lediglich bei dem Nachweis einer feindseligen Absicht des Täters gegen die Person des Vorgesetzten aus § 97 zu ahnden wäre. Auch dann, wenn dem Täter die Person des Vorgesetzten gleichgültig ist, wenn er keine Feindschaft gegen ihn hegt, sondern z. B. aus Ärger über den von einem anderen höheren Vorgesetzten erhaltenen Befehl oder als Demon­ stration gegen die militärische Disziplin als solche eine Tätlichkeit auf den nächststehenden Unteroffizier unternimmt, ist die Disziplin auf das schwerste verletzt und verlangt die ernste Sühne aus § 97. Anderseits ist sowohl bei der tätlichen Berührung eines Vorgesetzten, als auch bei dem „Unternehmen" einer solchen die Verneinung des subjektiven Tatbestandes, also der aggressiven Absicht, wohl möglich, wenn diese Handlungen im Scherz oder im freundschaft­ lichen Spiel erfolgt sind. (Zwei nahe Freunde, von denen der eine Vor­ gesetzter des anderen ist, ringen oder fechten miteinander.) Der Regel nach ist Voraussetzung einer solchen Negierung des subjektiven Tatbestandes, daß auch der Vorgesetzte mit der Tat des Untergebenen einverstanden ist; immer­ hin würde aber auch — wenn der Untergebene mit Grund eines solchen Ein­ verständnisses sicher zu sein glaubt — bei besonderer Lage des Falles die Verneinung der aggressiven Absicht denkbar sein. Es fehlt in solchen Fällen das Bewußtsein der Rechtswidrigkeit. Unmittelbare Gefahr begründende tätliche Drohungen (Anschlägen der Schußwaffe, Anziehen des Säbels zum Hieb oder Stich usw., wie über­ haupt eine direkte feindselige Richtung gegen den Vorgesetzten enthaltende Bewegungen, Koppmann, Note 6 zu § 97 MStrGB.) können sich als Unter­ nehmen des tätlichen Angriffs darstellen. Zum Dolus gehört auch hier neben der Vorsätzlichkeit der Handlung die Kenntnis des Täters der Tat­ umstände, aus denen sich die Vorgesetztenqualität des Angegriffenen ergibt. Vgl. Note 3 a. E. Wird der tätliche Angriff auf den Vorgesetzten im Sinne des § 97 MStrGB. vorgenommen, um den letzteren an der Durchführung eines Dienstbefehls zu hindern oder ihn zur Vornahme einer Diensthandlung usw. zu nötigen, also zu dem im § 96 Äbs. 1 MStrGB. unter Strafe gestellten Endzweck, so liegt ideale Konkurrenz, nicht Gesetzeskonkurrenz vor. Die Strafe ist nach § 73 RStrGB. aus § 97 MStrGB. zu entnehmen. Gesetzes­ konkurrenz liegt nur dann vor, wenn die in Betracht kommenden Straf­ gesetze sich in den begrifflichen Merkmalen der ihren Gegenstand bildenden Straftaten vollständig decken, so daß das eine Delikt sich nur als das speziellere, das andere sich als das allgemeinere darstellt. RG. Urteile v. 16. April 1889. E. 19,252. 26. Juni 1896. E. 29,u. 27. April 1894. E. 25,321. 1. Nov. 1895. Goltd. Archiv 43,392. Diese Voraussetzungen liegen bei den §§ 96 Abs. 1, 97 MStrGB. nicht vor: § 97 a. a. O. stellt lediglich die in aggressiver Absicht gegen die Person des Vorgesetzten gerichtete aktive Gewalt unter Strafe. Das durch ihn geschützte Rechtsgut ist die in der Person des Vorgesetzten sich verkörpernde dienstliche Autorität und die aus ihr entspringende Unantastbarkeit der Person des Vorgesetzten. § 96 Abs. 1 MStrGB. hat in erster Linie nur die passive, jeder Aggressive entbehrende Gewaltanwendung im Auge und auch diese Ge­ walt nur insofern, als mittels derselben die Hinderung des Vorgesetzten (oder der zur Unterstützung herangezogenen Mannschaften) an der Ausführung eines Dienstbefehls oder die Nötigung des Vorgesetzten zur Vornahme oder Unterlassung einer Diensthandlung bezweckt wird.

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Das geschützte Rechtsgut ist hier die Freiheit des Vorgesetzten, seinem eigenen pflichtgemäßen Ermessen entsprechend, dienstliche Entschlüsse zu fassen und für deren Durchführung zu sorgen (Autorität der Dienst­ handlung). Hiernach ist der kriminalpolitische Zweck der Gesetzesbestimmungen ein durchaus verschiedener. Es ist ferner die aggressive Absicht der aktiven Gewalt bei § 97 unentbehrlich, bei § 96 Abs. 1 mindestens unnötig, anderseits der verbrecherische Zweck der Hinderung oder Nötigung des Vorgesetzten bei § 96 unbedingt erforderlich, bei § 97 ohne recht­ liche Bedeutung. Unter diesen Umständen kann von einem Ausschlüsse der einen Gesetzesvor­ schrift durch die andere, d. h. von einer Gesetzeskonkurrenz, nicht die Rede sein. Es liegt vielmehr, da durch dieselbe Handlung mehrere Strafgesetze, die sich nicht decken, verletzt sind, ein rechtlicher Zusammenfluß im Sinne des § 73 RStrGB. vor. Vgl. RG. I. 3. Dez. 1883. E. 9,261. R. 5,749. 5) Gefängnis oder Festungshaft von 3 bis 15 Jahren. 6) Gefängnis oder Festungshaft von 1 bis 15 Jahren. 7) Vgl. Note 10 zu § 89 und Note 4 zu § 95 MStrGB. 8) Unerheblich ist, ob der Täter sich allein oder mit anderen im Dienste befindet; daß auch der Vorgesetzte sich im Dienst befindet, wird nicht er­ fordert. Eine Straferhöhung aus § 55 Nr. 2 MStrGB. kann bei dem erschwerenden Umstande „im Dienste" und „unter dem Gewehr" nicht ein­ treten. Vgl. Note 3 zu § 55 MStrGB. 9) Vgl. § 12 MStrGB. 10) Der Begriff der Waffe im Sinne des § 97 MStrGB. ist auf die Dienstwaffe (vgl. Note 8 zu § 55 MStrGB.) nicht beschränkt RMGer. I. 6. Dez. 1900 (nicht publiziert), umfaßt solche aber. Es kann daher, auch wenn die Handlung mit einer Dienstwaffe ausgeführt ist, Straferhöhung aus § 55 Nr. 2 MStrGB. nicht eintreten. Eine ideale Konkurrenz mit § 149 MStrGB. ist ausgeschlossen, weil § 97 MStrGB. den Tatbestand des § 149 in sich ausgenommen und somit außer Anwendung gestellt hat. n) Der Begriff des gefährlichen Werkzeugs ist derselbe wie im § 223» RStrGB. RG. III. 5. April 1894. E. 25,234; gefährliches Werkzeug ist ein Gegenstand, welcher nach seiner Beschaffenheit oder der Art seiner Be­ nutzung geeignet ist, erheblichere Verletzungen herbeizuführen; die Art der Verwendung im konkreten Falle kommt nicht in Betracht. RG. II. 12. Nov. 1880. R. 2,496, III. 10. März 1880. R. 1,442, II. 8. Juli 1881. E. 4,397. Das gefährliche Werkzeug muß ein beweglicher Gegenstand sein. RG. I. 2. Nov. 1893. E. 24,372. Ein auf einen Menschen gehetzter Hund ist kein gefähr­ liches Werkzeug. RG. II. l.Juni 1883. R. 5,393. Ein Zielgewehr ist eine Waffe. 12) Gefängnis oder Festungshaft von 5 bis 15 Jahren. 13) Dem Zusammentreffen mehrerer der angeführten erschwerenden Momente ist bei der Strafausmessung Rechnung zu tragen; ideale Kon­ kurrenz liegt nicht vor; § 73 RStrGB. ' 14) Vgl. Note 19 zu § 58 MStrGB. und RMGer. I. 14. Febr. 1901. E. 1,35. Ein minder schwerer Fall kann auch im Falle des Abs. 2 an­ genommen werden. Auch im Falle eines „minder schweren Falles" bei einer Straftat im Sinne des § 97 ist die Anwendung des § 98 MStrGB. nicht ausgeschlossen. RMGer. PE. VII. Nr. 34. 15) Es ist nicht etwa zunächst auf Gefängnis oder Festungshaft zu er­ kennen und die Strafe nach § 21 RStrGB. in Zuchthaus zu verwandeln, es ist vielmehr lediglich Zuchthaus in den Strafrahmen des Abs. 1 an­ gedroht. 16) Der Deliktsbegriff ist aus dem RStrGB. zu unternehmen. RMGer. Plen.-Beschl. v. 17. Mai 1901. E. 1,134. § 224 RStrGB.: „Hat die Körper-

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Einzelne Verbrechen und Vergehen.

§ 98.

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Verletzung zur Folge, daß der Verletzte ein wichtiges Glied des Körpers, das Sehvermögen auf einem oder beiden Augen, das Gehör, die Sprache oder die Zeugungsfähigkeit verliert, oder in erheblicher Weise dauernd ent­ stellt wird, oder in Siechtum, Lähmung oder Geisteskrankheit verfällt, so ist auf Zuchthaus bis zu fünf Jahren oder Gefängnis nicht unter einem Jahre zu erkennen." Vgl. auch Note 2 zu 8 123 MStrGB. 17) Es wird nur erfordert, daß die schwere Körperverletzung oder der Tod in ursächlichem Zusammenhang mit der Tätlichkeit steht. War der Tod beabsichtigt, so kommt in idealer Konkurrenz mit § 97 MStrGB. §§ 211, 212 RStrGB. zur Anwendung. 18) Vgl. §§ 9, 10 MStrGB. 19) Vgl. Note 4. 2°) Bei einer im Felde entweder außer Dienst oder in minder schwerem Falle begangenen Tätlichkeit, welche die in Abs. 2 des § 97 MStrGB. be­ zeichneten Folgen gehabt hat, ist auf Zuchthaus von 10 bis 15 Jabren oder auf lebenslängliches Zuchthaus zu erkennen. 21) Wegen Strafermäßigung vgl. § 98.MStrGB. Wegen Entfernung aus dem Heere ogl. § 31 Abs. 1, 2, 3, wegen Degradation § 40 MStrGB. 22) Die Ansnftung einer Militärperson zu dem Verbrechen des § 97 MStrGB. durch eine Nichtmilitärperson ist nach § 48 RStrGB., § 97 MStrGB. strafbar, weil § 97 MStrGB. ein rein militärisches Verbrechen ist, dessen Strafbarkeit durch die persönlichen Eigenschaften und Verhältnisse des Täters als Militärperson und Untergebener des Verletzten begründet wird und es sich nicht um eine Tat handelt, deren Strafbarkeit nach den persönlichen Eigenschaften oder Verhältnissen des Täters sich erhöht oder vermindert, so daß die Anwendbarkeit des § 50 RStrGB. ausgeschlossen ist. RG. III. 5. April 1894. E. 25,234.

§ 98.la) Ist ein Untergebener dadurch, daß der Vorgesetztei) ihn vorschriftswidrig behandelt2) oder die Grenzen seiner Dienstgewalt9) überschritten hat, gereizt^) utib4) aus der Stelle4) zu einer der in den §§ 89 bis 97 bezeichneten strafbaren Handlungen hingerissen worden, so ist,5) wenn die Handlung mit dem Tode oder mit lebenslänglicher Freiheitsstrafe8) bedroht ist, auf Freiheitsstrafe8) nicht unter drei Jahren zu erkennen; ist zeitige Freiheitsstrafe8)7) angedroht, so kann die Strafe^2») bis zur Hälfte des Mindestbetrages9) der angedrohten Freiheitsstrafe, und wenn diese Hälfte mehr als Ein Jahr beträgt, bis auf die Dauer Eines Jahres ermäßigt, gegen Offiziere auch von der Dienstentlassung9) abgesehen werden. Stellt sich die Handlungsweise des Vorgesetzten als eine Mißhandlung^) oder sonst als herabwürdigende Behandlung^) des Unter­ gebenen dar, so kann die Strafe,49) wo die Hälfte des Mindestbetrages der angedrohten Strafe mehr als sechs Monate beträgt, auf die Dauer von sechs Monaten ermäßigt werden; die Strafe bars nicht bett britten Theil bes Höchstbetrages ber angebrohten Strafe übet> steigen.13)14)15)16)17)18) la) § 98 MStrGB. enthält strafmindernde Umstände i. S. der §§ 323, 326 MStrGO.

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*) Vgl. Note 7 zu § 47 MStrGO. § 98 a. a. O. kommt nur in Be­ tracht, wenn der Untergebene von demjenigen Vorgesetzten, gegen welchen er sich in Gemäßheit der §§ 89—97 a. a. O. vergangen hat, vorschrifts­ widrig behandelt ist. RMGer. I. 18. Mai 1903. E. 5,129. 2) Vgl. §§ 121, 122 MStrGB. Zum Tatbestände der vorschrifts­ widrigen Behandlung eines Untergebenen wird die Verletzung einer positiven dienstlichen Vorschrift nicht erfordert. Es ist in vielen, viel­ leicht den meisten Fällen nicht möglich, die Behandlung des Unter­ gebenen seitens des Vorgesetzten durch positive Vorschriften zu regeln. Mangels spezieller Vorschrift ist aus der Stellung und den Aufgaben des Vorgesetzten, den Zwecken des militärischen Dienstes im allgemeinen und im besonderen Falle, den zur Erreichung dieser Zwecke zulässigen Mitteln, den an die Untergebenen berechtigterweise zu stellenden An­ forderungen, aus der Leistungsfähigkeit der Untergebenen und ähnlichen, der Natur des militärischen Berufs zu entnehmenden Gesichtspunkten zu beurteilen, ob eine Behandlung eine vorschriftswidrige ist. Die vorschrifts­ widrige Behandlung kann auch .fahrlässiger Weise begangen werden. RMGer. I. 29. Mai 1901. E. 1,167. Vorschriftswidrig ist eine Behandlung auch dann, wenn sie gegen einen militärischen Grundsatz verstößt. Sie wirkt ferner auch dann strafmindernd, wenn der Untergebene nur objektiv vorschriftswidrig behandelt worden ist, ohne daß der Vorgesetzte sich bewußter- oder fahrlässigerweise gegen § 121 MStrGB. vergangen hat. RMGer. 1.1. Dez. 1902. E. 4,53, I. 10. Juni 1901. E. 1,178. Eine vorschriftswidrige Behandlung kann vorliegen, ohne daß der Vorgesetzte die Grenzen seiner Dienstgewalt überschreitet. Die vorschriftswidrige Behandlung kann auch durch Unterlassung begangen werden. Eine solche liegt z. B. vor, wenn der Vorgesetzte seiner Pflicht, einen unter seinem Kommando stehenden Untergebenen, gegen welchen in seiner Gegenwart strafbare Handlungen begangen werden, zu schützen, nicht nachkommt; erfüllt der Vorgesetzte diese Pflicht nicht, so ist ein etwa außer ihm noch anwesender dienstälterer Vorgesetzter — sofern seine eigene Macht­ vollkommenheit nicht ausreicht, um den Untergebenen zu schützen — ver­ pflichtet, darauf hinzuwirken, daß der dienstjüngere Vorgesetzte der ihm ob­ liegenden Pflicht nachkommt. RMGer. I. 17. Febr. 1902. E. 2,202. Eine vorschriftswidrige Behandlung liegt objektiv in der Anwendung von Mitteln, welche das persönliche Ehrgefühl des Untergebenen zu kränken geeignet sind und ihn der persönlichen Freiheit in einer seine Person gefährdenden Weise beraubten. RMGer. II. 13. Sept. 1902. E. 3,211. Ein an sich berechtigtermaßen und sachgemäß erteilter Befehl kann auch einem betrunkenen Untergebenen gegenüber niemals eine vorschrifts­ widrige Behandlung im Sinne des § 98 MStrGB. in sich schließen. Durch die Königlich Preußische Allerhöchste Kabinettsorder vom 21. Febr. 1821 ist es dem pflichtmäßigen Ermessen des Vorgesetzten anheimgegeben, welche Maßnahmen er dem betrimkenen Untergebenen gegenüber zu treffen hat. Der betrunkene Untergebene kann einen Anspruch auf ein beSmmtes Verhalten des Vorgesetzten ihm gegenüber aus der vorgedachten llerhöchsten Kabinettsorder niemals herleiten. RMGer. I. 4. Febr. 1904. E. 6,260. 3) Vgl. auch §§114 ff. MStrGB. Eine Überschreitung der Grenzen der Dienstgewalt liegt in jeder Verletzung der Rechte, welche dem Vor­ gesetzten zur Handhabung des Dienstes und Aufrechterhaltung der mili­ tärischen Zucht und Ordnung gegeben sind. Eine Überschreitung der Grenzen der Dienstgewalt oder eine vorschriftswidrige Behandlung seitens des Vor­ gesetzten ist nicht vorhanden, wenn die Handlung geboten war, um den Untergebenen zur vorschriftsmäßigen Ausübung des Dienstes zu veranlassen. RMGer. I. 29. Juni 1903. E. 5,213.

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3a) Die Reizung durch vorschriftswidrige Behandlung usw. muß der nach 88 89—97 MStrGB. strafbaren Handlung voraufgegangen sein. Eine innerhalb eines Deliktes liegende Handlung des Vorgesetzten kann niemals die Anwendung des 8 98 MStrGB. begründen. RMGer. I. 26. Mai 1902. E. 3,62. Die Anwendung des 8 98 a. a. O. ist daher bei einem fortgesetzten Delikt nur dann möglich, wenn die vorschriftswidrige Behandlung vor dem Beginne der einheitlichen (fortgesetzten) Handlung liegt. RMGer. I. 18. Mai 1903. E. 0,129. Denn wurde der Untergebene -durch eine in der Mitte von mehreren Jnsubordinationsakten gelegene vorschriftswidrige Handlung des Vorgesetzten gereizt und hierdurch zur Tat hingerissen, 8 98 MStrGB., so liegt ein neuer Vorsatz vor und es kann deshalb ein fortgesetztes Delikt in Sachen des 8 73 MStrGB. nicht als vorliegend erachtet werden. RMGer. PE. IV. Nr. 146. Stellt sich die durch die vorschriftswidrige Behandlung des Vorgesetzten hervorgerufene Straftat als ein fortgesetztes Delikt dar, so kann die Strafmilderung des 898 MStrGB. nie für einen Teil der Tat, sondern nur bezüglich der Gesamt­ handlung zugebilligt werden. RMGer. I. 18. Dez. 1902. E. 4,97. 4) 8 98 MStrGB. erfordert, daß der Untergebene gereizt und durch die Reizung zur Tat hingerissen wurde; zwischen beiden Erfordernissen muß nicht nur ursächlicher, sondern auch ein zeitlicher Zusammenhang bestehen. Ob im konkreten Falle der Begriff „auf der Stelle" als gegeben er­ achtet werden kann, ist Tatfrage. Eine unmittelbare Kontinuität derart, daß die vorschriftswidrige Behandlung der Tat unmittelbar vorhergegangen, ist, wird nicht erfordert. Es genügt, daß die Tat in der geistigen Aufregung unter dem psychischen Eindruck verübt worden ist, welcher die Folge der Reizung war, und daß der Anreiz in der dem Untergebenen durch den Vorgesetzten gewordenen Behandlung seinen Grund hat. RMGer. PE. IV. Nr. 102. 5) Die Strafermäßigung muß eintreten, wenn die Handlung mit dem Tode oder lebenslänglicher Freiheitsstrafe bedroht ist. 6) Darunter fällt bei 8 97 Abs. 2 und 3 auch Zuchthausstrafe. Vgl. Note 20 zu 8 97 MStrGB. 7) Vorausgesetzt ist die Androhung zeitiger Freiheitsstrafe; zu letzterer gehört im Falle des 8 97 Abs. 2 MStrGB. auch die Zuchthausstrafe. Wegen der unter die Vorschriften der 88 94, 95 MStrGB. fallenden Un­ gehorsamshandlungen kann unter den Voraussetzungen des 8 98 MStrGB., wenn gegen Gemeine auf Arrest zu erkennen ist, nur auf strengen, nicht auf mittleren Arrest erkannt werden. 8) Ermäßigt wird der Strafrahmen der angedrohten Strafe, nicht die im konkreten Falle verwirkte Freiheitsstrafe. Ermäßigt sich die angedrohte Zuchthausstrafe unter ein Jahr, so ist statt auf Zuchthaus auf Gefängnis von gleicher Dauer zu erkennen; 8 17 Abs. 2 MStrGB. Die Hälfte des Mindestbetrages der Gefängnisstrafe (43 Tage) ist drei Wochen Arrest, der Bruchteil von einen halben Tag Arrest kommt zu gunsten des Angeklagten in Wegfall; 8 16 Abs. 2 MStrGB., 8 16 RStrGB. 9) Bei Androhung zeitiger Freiheitsstrafe tritt an Stelle der nach 6 34 Abs. 1 MStrGB. obligatorischen Androhung der Dienstentlassung nach 8 98 Satz 2 die fakultative, auch wenn die erkannte Gefängnisstrafe mehr als ein Jahr betragen würde. 10) Vgl. 8 122 MStrGB. Unter Mißhandlung ist jede unberechtigte Einwirkung auf den Körper eines anderen zu verstehen, durch welche in diesem eine Störung des körperlichen Wohlbefindens hervorgerufen wird; nicht erforderlich ist die Absicht des Täters, den anderen zu verletzen, zu beschädigen, ihm Schmerz zuzufügen; es genügt neben der Vorsätzlichkeit der Handlung das Bewußtsein, daß der Schlag usw. eine Störung des körperlichen Wohlbefindens hervorrufen könne. RMGer. II. 25. Jan. 1902.

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E. 2,179, I. 29. Jan. 1904. E. 6,230, II. 30. Jan. 1904. E. 6,243. Vgl. § 122 Note 3 MStrGB. n) Herabwürdigende Behandlung bezeichnet jedes Verhalten des Vor­ gesetzten, durch welches nach allgemeiner Anschauung das militärische oder persönliche Ehrgefühl des Untergebenen verletzt wird, z. B. durch Beschimpfen, geringere Tätlichkeiten. Die Heranziehung eines Unteroffiziers zu körper­ licher Arbeitsleistung gemeinschaftlich mit seinen Untergebenen kann eine herabwürdigende Behandlung enthalten, z. B. dann, wenn die Arbeit nach Zählen der einzelnen Arbeitsakte unter dem Befehl eines Gefreiten erfolgt. RMGer. II. 30. Nov. 1901. E. 2,82. 12) In bezug genommen ist nur der Fall des Abs. 1 § 98 MStrGB., also wenn zeitige Freiheitsstrafe angedroht ist. 12 a) Die Bestimmung des § 98 MStrGB. ist ein milderes Gesetz, welches den Tatbestand der §§ 89—97 MStrGB. erweitert; wird die von dem erkennenden Gericht aus §§ 89—97 cit. entnommene. Strafe infolge der Anwendung des § 98 MStrGB. herabgesetzt, so liegt nicht eine Änderung der Strafe innerhalb des durch dasselbe Gesetz bestimmten Strafmaßes, sondern eine Änderung auf Grund eines anderen Strafgesetzes vor. Dem Anträge auf Wiederaufnahme des Verfahrens steht die Bestimmung des § 439 MStrGB. nicht entgegen. RMGer. I. 18. Dez. 1902. E. 4,95. 13) Gegen Offiziere kann selbstverständlich auch im Falle des Abs. 2 des § 98 MStrGB. von der Dienstentlassung abgesehen werden. 14) Bei Annahme eines minder schweren Falles wird die für diesen angedrohte Strafe beim Vorliegen des § 98 MStrGB. nach Maßgabe dieser Vorschrift ermäßigt. Die Reizung im Sinne des § 98 MStrGB. kann bei Änwendung dieser Vorschrift nicht auch noch zur Begründung eines minder schweren Falles herangezogen werden. 15) Sobald ein Angeklagter mehrere selbständige Straftaten der in den §§ 89—97 bezeichneten Art verübt hat, ist der § 98 MStrGB. nicht bei Abmessung der Gesamtstrafe in Betracht zu ziehen; er darf vielmehr nur bei der Festsetzung der betreffenden Einzelstrafe Berücksichtigung finden, welche für das Vergehen eingesetzt ist, das der Angeklagte, gereizt durch das Verhalten des Vorgesetzten, verübt hat. RMGer. PE. I. Nr. 122. 16) Ergeben sich in der Hauptverhandlung Tatumstände, welche die Anwendung des § 98 MStrGB. als gegeben erscheinen lassen, so ist, auch wenn ein bezüglicher Äntrag seitens der Prozeßbeteiligten nicht gestellt wird, von Ämts wegen zu prüfen, ob die Voraussetzungen des § 97 a. a. O. vorliegen. RMGer. PE. IV. Nr. 60. Behauptet der An­ geklagte Umstände, welche die Strafbarkeit vermindern (§ 98 MStrGB.), oder ergeben sich sonstige Zweifel nach dieser Richtung, so müssen sich die Urteilsgründe darüber aussprechen, ob die Voraussetzungen des § 98 MStrGB. für festgestellt erachtet wurden oder nicht. RMGer. II. 30. Nov. 1901. E. 2,82. 17) Die Frage der Anwendung des § 98 MStrGB. gehört zur Schuld­ frage; es kann die Frage ob ein qualifizierendes Moment der Tat vorliegt, nur zugleich mit der Entscheidung über die Hauptfrage entschieden werden. Ist die Schuldfrage in der Berufungsinstanz unangefochten geblieben, so ist auch die Prüfung der Anwendung des § 98 MStrGB. dem Revisions­ gericht entzogen. RMGer. I. 25. Juli 1901. E. 1,241, I. 18. Mai 1903. E. 5,130. Ist der materielle Inhalt einer Entscheidung in seiner Gesamtheit angegriffen, so unterliegt dem Revisionsgericht auch die Prüfung, ob das Berufungsgericht die Anwendbarkeit des § 98 MStrGB. mit Recht aus­ geschlossen hat. RMGer. I. 26. Mai 1903. E. 3,62. Eine Anfechtung des Urteils wegen Verletzung des § 98 MStrGB. verpflichtet den Jnstanzrichter zur Prüfung der ganzen Schuldfrage. RMGer. PE. IV. Nr. 92.

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Einzelne Verbrechen und Vergehen.

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18) Ein Irrtum des Angeklagten in bezug auf Tatumstände, welche wenn sie wirklich vorlägen, die Anwendung des § 98 a. a. O- rechtfertigen würden, ist ein tatsächlicher Irrtum. Deshalb ist in einem solchen Falle die Handlungsweise des Angeklagten in Anwendung des im § 59 RStrGB. enthaltenen Grundsatzes rechtlich so zu beurteilen, als ob die Voraussetzungen des § 98 a. a. O. vorlägen. RMGer. I. 18. Dez. 1902. E. 4,97, I. 10. März 1902. E. 2,212. Nicht hierher gehört der Fall, daß der Untergebene lediglich die subjektive Überzeugung hat, vorschriftswidrig behandelt zu sein. Hier liegt ein nichtbeachtlicher Rechtsirrtum vor. RMGer. PE. V. Nr. 110. 19) Die Bestimmung des § 98 MStrGB. steht der Anwendung des § 53 RStrGB. (Strafausschließung infolge Notwehr) nicht entgegen. Vgl. auch Note 1 zu Abschnitt V MStrGB.

8 99.i) (kg. bezw. StG. §§ 62i, 45, 16 MStrGO.) Wer?) eine Person des Soldatenstandes3) zur Verweigerung des Gehorsams, 4)3)8) zur Widersetzung6)8) oder zu einer Thätlichkeit?)3) gegen den Vor­ gesetzten3) auffordert io) oder anreizt, n) ist gleicht) dem Anstifter zu bestrafen, wenn die Aufforderung oder Anreizung die strafbare Handlung oder einen strafbaren Versuch derselben zur Folge ge­ habt hat. 13) (KG. bezw i. F. StG. §§ 621, 45, 16 Abs. 2 MStrGO.) Ist die Aufforderung oder Anreizung ohne Erfolgsi3a) geblieben, so ist auf Freiheitsstrafe^) bis zu zwei Jahren, im Feldes auf mittleren oder strengen Arrests) oder auf Gefängniß oder Festungshaft bis zu fünf Jahren zu erkennen. Die Strafe darf jedoch, der Art oder dem Maße nach, keine schwerere sein, als die auf die Handlung selbst an­ gedrohte. io) 1) § 99 MStrGB. stellt die Aufforderung oder Anreizung einer Person des Soldatenstandes zur Verweigerung des Gehorsams usw. unter Strafe, § 100 das. trifft für den Fall Bestimmung, daß der Täter mehrere Personen des Soldatenstandes zur gemeinschaftlichen Verübung der gleichen Delikte auffordert. 2) Vgl. Note 1 zu tz 96. 3) Eine an einen Militärbeamten im Felde ergehende Aufforderung oder Anreizung erfüllt den Tatbestand des § 99 MStrGB. nicht; das gleiche gilt — abgesehen von den Fällen des § 113 MStrGB. — für eine Auf­ forderung usw. an eine Person des Beurlaubtenstandes, die sich nicht Int Dienst befindet. Im letzten Falle kommt event. § 112 RStrGB. zur An­ wendung. 4) Die Strafbarkeit einer Aufforderung zu anderen, als den hier ge­ nannten Delikten bestimmt sich nach den Bestimmungen über die Anstiftung (§ 48 RStrGB.), soweit nicht Sondervorschriften (vgl. § 107 MStrGB.) bestehen. 5) § 99 MStrGB. umfaßt nicht nur die ausdrückliche Verweigerung des Gehorsams, sondern auch den passiven Ungehorsam auf erhaltenen Dienstbefehl im Sinne des § 92 das. Auch die Aufforderung zum Unge­ horsam gegen Dienstbefehle wird von § 99 MStrGB. getroffen. RG. II. 8. Nov. 1895. E. 27,406. Voraussetzung ist jedoch, daß zu einem Ungehorsam

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angereizt wird, dessen Spitze sich gegen die Autorität des Vorgesetzten richtet, also demonstrativer Natur ist. 6) Vgl. § 96 MStrGB. 7) Vgl. § 97 MStrGB. 8) Vorausgesetzt ist ein in seiner Gestaltung bestimmtes, gegen die Bestimmungen der §§ 92, 94, 96, 97 MStrGB. gerichtetes Tun oder Unterlassen. 9) Vgl. Note 7 zu Z 47 MStrGB. Zu den Vorgesetzten gehören auch die militärischen Wachen; § 111 MStrGB. 10) Erfordert wird ein vorsätzliches Tun. Eine „Aufforderung" ist in jeder Kundgebung enthalten, welche eine Einwirkung auf den Willen anderer bezweckt. RG. II. 13. April 1881. E. 4,iog. Neben der Spezial­ vorschrift des § 99 MStrGB. ist § 49 a RStrGB. nicht anwendbar, soweit er die Aufforderung zu Verbrechen bedroht. n) Bei der Anreizung wird die Bestimmung des Willens eines anderen zu einem Handeln mittelbar durch eine Einwirkung auf die Sinne und Leidenschaften desselben versucht. Auch hier wird, wie bei der Auf­ forderung, der Vorsatz erfordert, den andern zur Begehung des Unge­ horsams usw. zu veranlassen. 12) d. h. nach demjenigen Gesetze, welches auf die Handlung An­ wendung findet, zu welcher wissentlich angestiftet worden ist; § 48 RStrGB. 13) Es ist die begangene strafbare Handlung (gegen §§ 92, 94, 96, 97, MStrGB.) im Urteile als Folge der Aufforderung oder Anreizung tat­ sächlich festzustellen. 13 a) Ist die Aufforderung rc. ohne Erfolg geblieben, so ist es uner­ heblich, ob die Aufgeforderten die Aufforderung gehört haben; es genügt, daß sie dieselbe hören konnten. 14) Arrest bis sechs bezw. vier Wochen, Gefängnis oder Festungshaft von 43 Tagen bis zu 2 Jahren. 15) Vgl. §§ 9, 10 MStrGB., ein straferhöhender Umstand im Sinne der §§ 318, 323, 326 MStrGO. 15a) § 22 Abs. 3 MStrGB. findet keine Anwendung. 16) Im Falle des Abs. 1 § 99 MStrGB. sind alle Ehrenstrafen zu­ lässig bezw. geboten, welche nach dem für die Handlung, zu welcher auf­ gefordert wurde, gegebenen Gesetze zulässig oder geboten sind. Im Falle des Abs. 2 des § 89 MStrGB. sind lediglich die nach den allgemeinen Be­ stimmungen der §§ 30—42 MStrGB. gebotenen oder zulässigen Ehren­ strafen anwendbar.

§ 100.i) (KG. §§ 62i, 45 MStrGO.) Wer mehrere2) Personen des Soldatenstandes auffordert oder anreizt, gemeinschaftlich entweder dem Vorgesetzten^) den Gehorsam zu verweigern oder sich ihm zu widersetzen oder eine Thätlichkeit gegen denselben zu begehen, wird ohne Rücksicht daraus, ob ein Erfolg3) eingetreten ist, wegen Auf­ wiegelung mit Gefängniß5) nicht unter fünf Jahren bestraft.4) Ist durch die Handlung ein erheblicher Nachtheil3) für den Dienst verursacht worden, so tritt Gefängniß5) nicht unter zehn Jahren ein; im Felde7) kann auf lebenslängliches9) Gefängniß erkannt werden. i) Vgl. zu diesem Paragraphen die Noten 2—11 zu § 99 MStrGB. Der Vorsatz des Täters muß im Falle des § 100 MStrGB. darauf ge­ richtet sein, daß die Straftat, zu der aufgefordert, angereizt wird, von mehreren Personen gemeinschaftlich verübt werden soll. In subjektiver

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§§ 100,101. 141

Hinsicht wird ferner vorausgesetzt, daß der Täter mit dem verbrecherischen Willen gehandelt hat, das dienstliche Ansehen des Vorgesetzten dessen Untergebenen gegenüber herabzusetzen. RMGer. I. 14. April 1902. E. 2,280. 2) Es genügen zwei Personen. Werden mehrere zeitlich unabhängig voneinander, ein jeder für sich zur Gehorsamsverweigerung aufgefordert, ohne daß eine gemeinschaftliche Gehorsamsverweigerung erfolgen soll, so kommt lediglich § 99 MStrGB. zur Anwendung, sei es, daß eine fortgesetzte Handlung vorliegt, sei es, daß mehrere selbständige Delikte gegen § 99 MStrGB. realiter konkurrieren und zwar so viele, als Personen des Soldatenstandes aufgefordert wurden. 2a) Es ist nicht erforderlich, daß derjenige, gegen dessen Befehle ge­ handelt werden soll, auch der Vorgesetzte dessen ist, der zur Gehorsams­ verweigerung auffordert. RMGer. I. 14. April 1902. E. 2,280. 3) Ist die Aufforderung usw. von Erfolg begleitet, so wird dies für die Strafzumessung erheblich. 4) Wegen Erhöhung vgl. §§ 53, 55' (bei Verübung der Tat während Ausübung des Dienstes) und § 115 MStrGB. Jdealkonkurrenz des § 115, wie § 116 MStrGB. mit § 100 das. oder mit § 223 a RStrGB. kann vor­ liegen. RMGer. I. 14. April 1902. E. 2,2so; I. 10. März 1902. E. 2,212. Vgl. auch Note 9 zu § 115 MStrGB. 5) Gefängnis von 5 bis 15 Jahren, im Falle des Abs. 2 Gefängnis von 10 bis 15 Jahren. 6) Vgl. Note 2 zu § 86 MStrGB. Die Verursachung der Gefahr eines Nachteils genügt nicht. Abs. 2 Satz 1 enthält einen straferhöhenden Umstand zu Abs. 1 § 100 MStrGB. im Sinne der §§ 318, 323, 326 MStrGB. 7) Vgl. §§ 9, 10 MStrGB. Die Begehung im Felde enthält einen weiteren straferhöhenden Umstand. Vgl. Note 6 zu 8 100 MStrGB. 8) Wegen Verjährung in diesem Falle vgl. Note 1 zu 8 52 MStrGB. 9) Wegen Entfernung aus dem Heere vgl. 8 31, wegen Dienstentlassung, Degradation 88 34, 40 MStrGB.

§ 101. (KG. bezw. i. F. StG. §§ 621, 45, 161 Abs. 2 MStrGO.) Wer4) unbefugt2) eine Versammlung3) von Personen des Soldaten­ standes4) behufs Berathung3) über militärische Angelegenheiten oder Einrichtungen veranstaltet/) oder zu einer gemeinsamen^) Vorstellung oder Beschwerde über solche Angelegenheiten oder Einrichtungen Unter­ schriften sammelt,7) wird mit Freiheitsstrafe8) bis zu drei Jahren be­ straft; zugleich kann auf Dienstentlassung3) erkannt werden. Die an einer solchen Versammlung, Vorstellung oder Beschwerde Betheiligten43) werden mit Freiheitsstrafen bis zu sechs Monaten bestraft. 4) Als Täter kommen in Betracht Personen des Soldatenstandes, Personen des Beurlaubtenstandes, auch wenn sie sich nicht im Dienst be­ finden (88 6, 113 MStrGB.), Militärbeamte nur im Felde, Kriegsgefangene und das Gefolge des Heeres (88 158, 155 ff. MStrGB.). 2) d. h. ohne Erlaubnis des zuständigen, militärischen Vorgesetzten oder entgegen den bestehenden Dienstvorschriften; ob die Veranstaltung (Ver­ sammlung) eine unbefugte ist, gehört zur Tatfrage. Der Täter muß Kenntnis von dem Mangel der Erlaubnis haben; ihm steht 8 59 RStrGB. zur Seite, wenn er, gleichviel aus welchem Grunde und welchem Mißver-

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Militär-Strafgesetzbuch für das Deutsche Reich.

ständnisse, sich in dem Irrtum, die Erlaubnis sei erteilt, befunden hat. RG. IV. 20. März 1903. E. 36,158. 3) Eine Versammlung im Sinne § 101 MStrGB. liegt vor bei dem Zusammentritt von mindestens drei Personen des Soldatenstandes (dem Veranstalter und zwei anderen, welche der Einberufung gefolgt sind) zu dem Zwecke der Beratung über militärische Angelegenheiten und Ein­ richtungen. Findet eine solche Beratung gelegentlich einer zu einem anderen Zwecke veranstalteten Versammlung statt, so ist § 101 MStrGB. nicht an­ wendbar. 4) Es muß sich um Versammlungen von Personen des Soldaten­ standes handeln. Die Teilnahme einer Person des Soldatenstandes an einer Versammlung von Nichtmilitärpersonen, in welcher militärische An­ gelegenheiten usw. beraten werden, fällt nicht unter § 101 MStrGB.; sie ist vielmehr, da nach § 49 des RMG. die Teilnahme an politischen Ver­ sammlungen und Vereinen den zum aktiven Heere gehörenden Personen oes Soldatenstandes untersagt ist/event, aus § 92 MStrGB., vgl. Note 4 zu § 92 das., oder disziplinär strafbar. 5) Es genügt die Beratung; eine Beschlußfassung wird nicht erfordert. 6) Die Versammlung muß stattgefunden haben, Zusammenrufung als solche reicht zum Tatbestände des § 101 MStrGB. nicht aus. Ein Versuch oes Vorgehens des § 101 MStrGB. ist nicht strafbar. 6a) Es muß erstrebt sein, durch die Gemeinsamkeit der Vorstellung usw. bei dem militärischen Vorgesetzten besser durchzudringen. Koppmann Note 9 zu § 101 MStrGB. 7) Das Sammeln von Unterschriften muß ein unbefugtes sein, vgl. Note 2 zu § 101 MStrGB. Die die Unterschrift Leistenden sind Beteiligte im Sinne des Abs. 2 zu 8 101 MStrGB. 8) Arrest von einen Tag bis sechs bezw. vier Wochen, strenger Arrest nur im Falle des § 22 Abs. 3 MStrGB. oder Gefängnis oder Festungshaft von 43 Tagen bis zu drei Jahren. 9) d. h. wenn gegen einen Offizier auf Festungshaft bis zu einem Jahre oder auf Stubenarrest erkannt wird, bei anderen Strafen treten die allgemeinen Bestimmungen des § 34 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 Nr. 1, § 40 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 ein. 10) In Betracht kommt nur eine Beteiligung, die sich nicht als Teil­ nahme im Sinne der §§ 47—49 RStrGB. darstellt und dann als solche strafbar ist. n) Arrest von einen Tag bis sechs bezw. vier Wochen (strenger Arrest nur im Falle des § 22 Abs. 3 MStrGB.), oder Gefängnis oder FestungsSt von 43 Tagen bis sechs Monaten. Bei Offizieren ist Dienstentlassung en Gefängnis zulässig. § 34 Abs. 2 Nr. 2 MStrGB. Bei Vorgesetzten, welche gemeinschaftlich mit Untergebenen gegen § 101 MStrGB. verstoßen, ist auf erhöhte Strafe zu erkennen; §§ 53, 55 MStrGB.

§ 102. (KG. bezw. StG. §§ 45, 621, 161 MStrGO.) Wer*) es unternimmt,2) Mißvergnügen3) in Beziehung auf den Dienst3a) unter seinen Kameraden4) zu erregen, wird, wenn dies durch münd­ liche Aeußerungen geschieht, mit Freiheitsstrafe3) bis zu drei Jahren bestraft. Ist3) die Handlung durch Verbreitung7) von Schriften, Dar­ stellungen oder Abbildungen oder ist sie im Felde3) begangen, so ist auf mittleren oder strengen Arrest9) nicht unter vierzehn Tagen

Zweiter Teil. Einzelne Verbrechen und Vergehen. §§ 102,103. oder auf Gefängniß oder Festungshaft bis zu

143

fünf Jahren zu er­

kennen.^) n)

1) § 102 MStrGB. findet Anwendung auf Personen des Soldaten­ standes; auf Personen des Beurlaubtenstandes, während sie sich nicht im Dienst befinden, nur unter den Voraussetzungen des § 113 MStrGB., auf Militärbeamte im Felde (§ 153 MStrGB.), auf Kriegsgefangene (§ 158 MStrGB.), auf das Gefolge des Heeres (§§ 155ff. das.). 2) Der Ausdruck „Unternehmen" umfaßt alle Handlungen, welche auf Erreichung des in § 102 bezeichneten Erfolges gerichtet und geeignet sind, diesen Erfolg herbeizuführen (RMGer. PE. I. Nr. 123), ohne Rücksicht darauf, ob der Erfolg des Vorhabens erreicht wird oder nicht und ob durch die Handlung das Vorhaben unmittelbar zur Ausführung gebracht werden soll. KG. II. 9. Nov. 1880. E. 3,26, III. 4. Juni 1883. E. 8,354. Das Delikt ist mit dieser Handlung vollendet; die Grundsätze über den Versuch bleiben ausgeschlossen, da der Versuch der Vollendung gleichgestellt ist. Der Täter muß mit oem Vorsatz handeln, Mißvergnügen bezügl. des Dienstes zu ererregen. RMGer. PE. I. Nr. 123. 3) Mißvergnügen ist gleichbedeutend mit Unzufriedenheit. 3 a) Der Ausdruck „Dienst" umfaßt das gesamte militärische Dienst­ verhältnis des Soldaten, alle Beziehungen, wie sie sich aus der gesetzlichen oder übernommenen Dienstpflicht ergeben. 4) Unter Kameraden sind nicht etwa lediglich die Angehörigen des gleichen Dienstgrads im Heere usw. zu verstehen. Der Begriff „Kameraden" umfaßt vielmehr die gesamte Kameradschaft, wie sie für die Person des Soldatenstandes durch den militärischen Dienst im Heere und durch die Zu­ gehörigkeit zur betreffenden Macht bedingt ist. RMGer. I. 19. Dez. 1901. E. 2,101. Es genügt oie Einwirkung auf einen Kameraden. Personen des Beurlaubtenstandes find nur dann Kameraden, wenn sie, aus Veranlassung eines Dienstverhältnisses, z, B. bei Einberufungen zu Übungen, Kontroll­ versammlungen zusammengeführt sind. Koppmann, Note 6 zu 8 102 MStrGB. ö) Arrest von 1 Tag bis 6 bezw. 4 Wochen (strenger Arrest nur im Falle des § 22 Abs. 3 MStrGB.) oder Gefängnis oder Festungshaft von 43 Tagen bis zu drei Jahren. 6) Abs. 2 § 102 MStrGB. enthält straferhöhende Umstände im Sinne der §§ 318, 323, 326 MStrGB. zu Abs. 1 des § 102 MStrGB. 7) Vgl. Note 9 zu 8 91 MStrGB. 8) 88 9, 10 MStrGB. 9) Mittlerer oder strenger Arrest von 14 Tagen bis 6 bezw. 4 Wochen oder Gefängnis oder Festungshaft von 43 Tagen bis zu fünf Jahren. Strenger Arrest kann ohne Rücksicht auf 8 22 Abs. 3 MStrÄB. verhängt werden. 10) Erhöhte Strafe tritt ein, wenn das Vergehen gegen 8 102 unter dem Gewehr oder sonst in Ausübung des Dienstes oder von einem Vor­ gesetzten gemeinschaftlich mit Untergebenen ausgeübt ist; 88 53, 55 MStrGB. n) Zu Abs. 1 und 2 8 102 MStrGB. vgl. wegen Dienstentlassung bezw. Degradation 88 34, 40 MStrGB.

§ 103.

(KG. 88 62i, 45 MStrGO.)

Verabredens Mehreres

eine gemeinschaftliche3) Verweigerung des Gehorsams4) oder eine ge­

meinschaftliche Widersetzung oder Thätlichkeit^) gegen den Vorgesetzten, so werden dieselben wegen Meuterei bestraft.

Die Strafe6) ist nach

144

Militär-Strafgesetzbuch für das Deutsche Reich.

demjenigen Gesetze festzusetzen, welches auf die Handlung Anwendung findet, deren Begehung verabredet worden ist, und zugleich um die Dauer von drei Monaten bis zu zwei Jahren zu erhöhen?a) Ist in Folget der Verabredung die strafbare Handlung begangen^) worden, so ist die Strafe, mit welcher die Handlung bedroht ist, nach § 53 zu erhöhen?) wenn die hiernach zulässige Strafe E)öl>er9a) ist, als die nach den Bestimmungen des ersten Absatzes verwirkte") Strafe. x) „Verabredung" besteht in der Herstellung einer geistigen Überein­ stimmung der Täter, wodurch der Entschluß, eines der aufgezählten Delikte gemeinschaftlich zu begehen, endgültig gefaßt worden ist. Bloßes Besprechen, Beraten, erfüllt das, Merkmal der Verabredung nicht. Andererseits braucht ein genaues Übereinkommen über Mittel, Zeit und Ort der Ausführung noch nicht erzielt zu sein. Vgl. Note 2 zu § 59 und Note 2 zu § 72 MStrGB. Mit der Verabredung ist das Delikt vollendet. Sind die Täter oder einer von ihnen von der Verabredung zurückgetreten, ohne der Vorschrift des § 105 MStrGB. zu genügen, so ist dessenungeachtet die Strafe des § 103 Abs. 1 MStrGB. verwirkt. 2) Bezüglich der als Täter in Betracht kommenden Personen vgl. Note 1 zu § 102 MStrGB. Für den Begriff „mehrere" genügen zwei Personen. RMGer. II. 11. Jan. 1902. E. 2,153. 3) Die Abrede muß dahin gehen, gemeinschaftlich die Verweige­ rung des Gehorsams usw. auszuführen. Gemeinschaftlich, d. h. in bewußtem und gewolltem Zusammenwirken; jeder einzelne muß sich bewußt sein, daß mehrere zusammenwirkend tätig sein sollen und wollen. RG. III. 8. Mai 1880. R. 1,742. II. 26 Sept. 1882. R. 4,718. Vgl. auch Note 3 a, E. z. 8 72 MStrGB. RMGer. PE. III. Nr. 141. 4) Der Tatbestand der Meuterei kann zwar unter Umständen auch dann vorliegen, wenn es sich um einen einfachen Ungehorsam im Sinne des § 92 MStrGB. handelt; derselbe muß jedoch, wie sich aus dem im § 103 ge­ brauchten Ausdrucke „gemeinschaftliche Verweigerung des Gehorsams" ergibt, in demonstrativer Absicht verübt werden sollen. Vgl. auch Note 5 zu § 99 MStrGB. 5) Auch die Verabredung mehrerer zur gemeinschaftlichen Begehung eines militärischen Aufruhrs (§ 106 MStrGB.) einschließlich der Ausfüh­ rung dieses Aufruhrs ist Meuterei und fällt unter § 103 MStrGB. RMGer. II. 30. Jan. 1904. E. 6,236; bei Verabredung anderer, als der in §§ 92 bis 97 MStrGB. vorgesehenen Subordinationsdelikte (z. B. der in §§ 89 bis 91 eit. unter Strafe gestellten Delikte) ist § 103 cit. nicht anwendbar. 6) Dazu gehören auch die Ehrenstrafen. 6a) Es ist zunächst innerhalb des Strafrahmens des Gesetzes, welches auf die verabredete Handlung, falls sie ausgeführt worden wäre, anzu­ wenden gewesen wäre, die Strafe festzusetzen und diese zusätzlich um drei Monate bis zu zwei Jahren zu erhöhen. Über Festsetzung der Strafe gegen Vorgesetzte, welcke mit Unter­ gebenen an einer Meuterei teilnehmen, vgl. Note 3 uno 2 zu 8 55 MStrGB. Ist die Handlung, deren Begehung verabredet wurde, nur mit Arrest bedroht, so besteht die um die Dauer von drei Monaten erhöhte Strafe in Festungshaft oder Gefängnis. 7) Ist die Begehung der verabredeten Gehorsamsverweigerung usw. nicht infolge der Verabredung erfolgt, sondern durch andere Umstände ver­ anlaßt worden, so ist Abs. 1 8 103 MStrGB. in realer Konkurrenz mit der Strafbestimmung, unter welche die ausgesührte Tat fällt, anzuwenden.

Zweiter Teil. Einzelne Verbrechen und Vergehen.

§§ 104,105. 145

8) In den Fällen der §§ 92—95 ist der Versuch nicht denkbar; in den Fällen der §§ 97ff. ist schon das „Unternehmen" als konsumierte Straftat zu ahnden. Ein „Versuch" der hier in Frage stehenden Delikte kann also nicht in Betracht kommen. Auch das Delikt aus § 103 Abs. 2 MStrGB. fällt unter den Begriff der Meuterei. 9) Vgl. aber Note 3 zu § 55 MStrGB. Die erhöhte Strafe darf den gesetzlich zulässigen Höchstbetrag der zu verhängenden Strafart nicht über­ steigen (88 16, 17, 24 MStrGB.). 9a) Zu vergleichen ist die nach Abs. 1 zulässige Höchststrafe mit dem nach 8 53 MStrGB. zulässigen Höchstbetrag der erhöhten Strafe. Läßt 8 53 bei höherem Höchstbetrag ein geringeres Strafmindestmaß zu, als dies nach Abs. 1 der Fall wäre, so kann unter das Mindestmaß, wie es sich nach Abs. 1 ergibt, nicht herabgegangen werden. Bei gleichem Höchstbetrag ist die Strafe aus dem das höhere Strafmindestmaß androhenden Gesetz zu entnehmen. 10) D- h. der gemäß Abs. 1 8 103 MStrGB. angedrohten Strafe.

§ 104. (KG. bezw. i. F. StG. §§ 621, 45, 161 MStrGO.) Wer*) von einer Meuterei3) zu einer Zeit, in welcher die Verhütung der verabredeten strafbaren Handlung möglich ist,3) glaubhafte Kenntniß4)

erhält

und

es

unterläßt,5)

hiervon3)

rechtzeitig?)

Anzeige8)

zu

machen, wird, wenn die verabredete strafbare Handlung begangen3)*3)

worden ist, mit Freiheitsstrafe") bis zu drei Jahren bestraft.*3) 1) Vgl. Note 2 zu 8 103 und Note 1 zu 8 60 MStrGB. 8 104 MStrGB. findet nur Anwendung auf Personen des Soldatenstandes, welche an der Meuterei nicht beteiligt sind; für an der Meuterei Beteiligte gilt 8 105 a. a. O. 2) Es muß mindestens eine Verabredung zu gemeinschaftlicher Ver­ weigerung des Gehorsams usw. (8 103 MStrGB.) vorliegen. Vgl. ferner Note 5 zu 8 103 MStrGB. 3) Vgl. Note 3 zu 8 60 MStrGB. 4) Vgl. Note 4 zu 8 60 MStrGB. 5) Vgl. Note 5 zu 8 60 MStrGB. 6) Vgl. Note 6 zu 8 60 MStrGB. 7) Vgl. Note 7 zu 8 60 MStrGB. 8) Vgl. Note 8 zu 8 60 MStrGB. 9) Vgl. Note 9 zu 8 60 MStrGB. 10) Vgl. Note 8 zu 8 103 MStrGBn) Arrest bis sechs bezw. vier Wochen (strenger Arrest nur im Falle des Abs. 3 8 22 MStrGB.), Gefängnis, Festungshaft von 43 Tagen bis zu drei Jahren. Wegen Degradation und Dienstentlassung vgl. 88 34, 40 MStrGB. 12) Vgl. Note 10 zu 8 60 MStrGB.

§ 105. Straflosigkeit tritt für den an der Meuterei Betheiligten4) ein,3) welcher von der Meuterei3) zu einer Zeit, wo die Dienstbehörde4) nicht schon anderweit davon unterrichtet ist, in einer Weise Anzeige

macht,5) daß die Verhütung der verabredeten Handlung möglich3) ist.

*) Beteiligte sind Täter, Mittäter, Anstifter, Gehilfen, vgl. 88 47—49 RStrGB. 2) Vgl. Note 2 zu 8 104 MStrGB. Herz u. Ernst, Strafrecht der Militärpersonen.

10

146

Militär-Strafgesetzbuch für das Deutsche Reich.

3) Der im § 105 MStrGB. anerkannte Strafausschließungsgrund tritt nur für den Anzeigenden ein. 4) Vgl. Note 4 zu § 61 MStrGB. 5) Vgl. Note 5 zu 8 61 MStrGB. 6) Vgl. Note 6 zu 8 61 MStrGB.

§ 106. (KG. 88 62*, 45 MStrGO.) Wenn Mehrerei) sich zufammenrotten^) und mit vereinten Kräften?) es unternehmen, 4)5) dem Vorgesetzten3) den Gehorsam zu verweigern, sich ihm zu wider­ setzen oder eine Thätlichkeit?) gegen denselben zu begehen, so wird jeder,

welcher an der Zusammenrottung theilnimmt,3) wegen militärischen Aufruhrs mit Gefängniß nicht unter fünf Jahren, im Felde mit Ge­

fängniß nicht unter zehn Jahren^) bestraft; zugleich ist auf Versetzung

in die zweite Klasse des Soldatenstandes zu erkennen.") 1) Vgl. Note 1 zu 8 102 und Note 2 zu 8 103 MStrGB. 2) Zusammenrotten setzt ein vorsätzliches räumliches Zusammentreten oder Zusammensein von mindestens zwei Personen voraus und zwar zu einem gemeinschaftlichen unerlaubten Zwecke; die Zusammengerotteten müssen das gemeinschaftliche Bewußtsein besitzen, daß es zu Subordinationsdeluten kommen werde oder kommen könne, dessenungeachtet aber auf die Möglichkeit solchen Erfolges hin zusammenhalten und es muß sich nach außen erkennen lassen, daß die Teilnehmenden zu gemeinsamem, in seiner Rechtswidrigkeit erkennbaren Zusammenwirken entschlossen sind. RG. II. 1. Juni 1880, E. 2,80, III. 25. Sept. 1880, E. 3,i, III. 3. Febr. 1882. E. 5,377. RMGer. I. 18. Dez. 1902. E. 4,102. RG. III. 29. April 1886. R. 8,322, I. 22. Okt. 1885. E. 13,17, R. 7,606. Eine Zusammenrottung mehrerer im Sinne des 8 106 MStrGB. liegt auch dann vor, wenn mindestens zwei Personen des Soldatenstandes — gleichgültig aus welchem Grunde — bereits vor der Tat zusammen waren und sich nun zu gemeinsamem, in der Richtung des 8 106 MStrGB. bewegenden Handeln, nach außen er­ kennbar, verbinden. RMGer. II. 2. Juli 1902. E. 3,128. Beruht die Zusammenrottung aus Verabredung, so liegt nicht mili­ tärischer Aufruhr, sondern nach 8 103 Abs. 2 MStrGB. strafbare Meuterei vor. 3) Der Begriff „mit vereinten Kräften" setzt nicht voraus, daß alle Teilnehmenden bei oem Unternehmen der Gehorsamsverweigerung usw. tätig, geworden sind, oder daß der Teilnehmende nachweisbar selbst eine Tätlich­ keit begangen hat, sondern nur, daß die Teilnehmenden als Einheit aus­ getreten sind; wird dem Teilnehmenden eine Tätlichkeit nachgewiesen, so tritt Verurteilung nach 8107 MStrGB. ein. In subjektiver Beziehung genügt die Feststellung, daß jedem der Täter bereits vor Beginn der Tät­ lichkeiten das gleichzeitige Handeln des anderen Teiles klar geworden ist uno er dieses gleichzeitige Handeln gebilligt hat, dasselbe also in seinem Willen lag. Erfordert wird somit nur die Teilnahme an der Zusammen­ rottung, nicht an dem eigentlichen Subordinationsdelikt; die einzelne straf­ bare Tätigkeit eines einzelnen Teilnehmers an der Zusammenrottung er­ scheint vielmehr als die Tat der zusammengerotteten Menge, wenn im übrigen die Begehung einer solchen in den Kreis ihrer Vorstellungen von dem Verlaufe der Sache mit ausgenommen und durch ihre Beteiligung bewußtermaßen zur Ausführung gebracht haben. RMGer. II. 2. Juli 1902. E. 3,128. RG. III. 18. Dez. 1886. R. 8,764. E. 15,217, II. 2. Jan. 1888. E. 17,47, R. 10,47, I. 6. März 1890. E. 20,303, I. 29. Nov. E. 30,391.

Zweiter Teil.

Einzelne Verbrechen und Vergehen.

§ 106.

147

Handelt es sich um passiven Ungehorsam, so liegt das Tatbestands­ merkmal „mit vereinten Kräften" nur dann vor, wenn irgendwie aus konkludenten Handlungen zu folgern ist, daß die Täter in dem Bewußtsein der gegenseitigen Unterstützung gegen den Vorgesetzten gemeinsame Sache machen und ihren Ungehorsam durch gemeinschaftliches Zusammenwirken durchsetzen wollen. 4) Der Begriff des „Unternehmens" erfordert, daß der gemeinschaftliche verbrecherische Wille, den Gehorsam zu verweigern usw. durch irgeno ein Handeln in die Außenwelt getreten ist. Zur Zusammenrottung müssen, um den Tatbestand des § 106 MStrGB. zu erfüllen, noch aus der ver­ einigten Mehrheit heraus unternommene Handlungen hinzutreten, welche die Absicht, sich mit vereinten Kräften zu widersetzen usw., erkennen lassen. RMGer. zit. Erk. E. 4,102. Der Ausdruck „Unternehmen" umfaßt alle Sandlungen, welche auf Erreichung des in § 106 MStrGB. bezeichneten rfolges gerichtet und geeignet sind, den Erfolg herbeizuführen ohne Rück­ sicht daraus, ob der Erfolg des Vorhabens erreicht wiro oder nicht, und ob durch die Handlung die Gehorsamsverweigerung usw. unmittelbar zur Aus­ führung gebracht werden soll. RG. II. 9. Nov. 1880. E. 3,26, III. 4. Juni 1883. E. 8,354. Das Delikt ist mit dieser Handlung vollendet; die Grund­ sätze über den Versuch bleiben ausgeschlossen, da der Versuch der Voll­ endung gleichgestellt ist. b) Als dolus des § 106 MStrGB. genügt das Bewußtsein, sich in einer zusammengerotteten Mehrheit zu befinden, welche die in § 106 ver­ zeichneten Subordinationsdelikte begeht oder begehen will, verbunden mit dem Willen, in dieser Mehrheit, als ein Teil derselben und zur Mitwirkung bereit zu bleiben; RMGer. zit. Erk. E. 4,102. Die Absicht, selbst Wider­ setzungshandlungen zu begehen, ist nicht nötig. Da Teilnehmer an einem militärischen Aufruhr nur jemand sein kann, der auch, rein äußerlich betrachtet, ein Teil dieser mehreren bildet, da ferner der Teilnehmer Kenntnis davon haben muß, daß die Zusammengerotteten mit vereinten Kräften es unternehmen, eine der drei im § 106 a. a. O. gedachten strafbaren Handlungen zu begehen, da endlich der Teilnehmer in Kenntnis dieser Tatsache vorsätzlich ein Teil dieser mehreren bleiben muß und bleiben will, so nimmt derjenige, der sich unter die Zusammen­ gerotteten mischt, ohne daß er von dem rechtswidrigen Zwecke derselben Kenntnis hat, vielleicht nur aus Neugierde zu den Zusammengerotteten tritt, an der Zusammenwirkung noch nicht Teil. Er wird erst dann Teil­ nehmer des militärischen Aufruhrs, wenn er, nachdem er den rechtswidrigen Zweck der Zusammenrottung erkannt, mit dem Willen, auch seinerseits zur Erreichung dieses Zweckes mitzuwirken, bei den Zusammengerotteten ver­ bleibt. RMGer. zit. Erk. E. 4,102; so ist § 106 eit. nicht schon dann ohne weiteres anwendbar, wenn zwei Untergebene, die unter einem Vorgesetzten exerzieren, einen für beide gegebenen Befehl nicht ausführen. RMGer. EP. II. Nr. 160. 6) Vgl. Note 7 zu 8 47 MStrGB. Die zugezogenen Mannschaften — § 96 Abs. 2 — sind als solche nicht Vorgesetzte im Sinne des § 106. Eine gegen diese Mannschaften gerichtete Gehorsamsverweigerung, Wider­ setzung, unterfällt also nicht ohne weiteres der Strafbestimmung des § 106. Es kann sich aber in einer gegen sie gerichteten Tat das Unter­ nehmen einer gegen den Befehl des Vorgesetzten gerichteten Aufruhr­ handlung zeigen; dies ist namentlich dann der Fall, wenn die Täter den Befehl des Vorgesetzten kennen, wenn sie ferner wissen, daß die qu. Mannschaften zur Durchführung dieses Befehls herangezogen oder befehligt sind und wenn sie endlich trotz Kenntnis dieser Tatsachen gegen die Durch­ führung des Befehls durch Widersetzung usw. sich wehren. 7) Zusammenrottungen zum Zwecke der Begehung anderer als der in § 106 MStrGB. aufgeführten Subordinationsdelikte fallen nicht unter § 106 eit. 10*

148

Militär-Strafgesetzbuch für das Deutsche Reich.

8) Teilnehmer im Sinne des § 106 MStrGB. sind alle Personen, welche sich mit der erforderlichen Absicht der Zusammenrottung angeschlossen haben. Daß der Teilnehmer selbst eine der rm § 106 cit. aufgeführten Straftaten begeht ist nicht nötig. RMGer. Erk. E. 3,128. Der Anstifter unterfällt dem § 107 MStrGB., falls er persönlich am Aufruhr teilnimmt, sonst kommt § 48 RStrGB., eventuell § 115 MStrGB., zur Anwendung. 9) 5 bis 15 Jahre Gefängnis, im Felde (§§ 9 und 10 MStrGB.) 10 bis 15 Jahre Gefängnis. Straferhöhung aus § 55 Nr. 3 MStrGB. tritt bei §§ 106 bis 110 MStrGB. nicht ein, da diesen Sonderbestimmungen gegenüber der Straferhöhungsgründ des § 55 Nr. 3 MStrGB. zurücktritt. 10) Gegen Offiziere muß auf Entfernung aus dem Heere (§ 31 Abs. 2 MStrGB.), gegen Unteroffiziere auf Degradation erkannt werden (§ 40 Abs. 2 MStrGB.).

§ 107. (KG. §§ 62, 45 MStrGO.) Die Rädelsführers und Anstifters eines militärischen Aufruhrs, sowie diejenigen Aufrührer, ^) welche eine Gewaltthätigkeit4) gegen den Vorgesetzten^) begehen, werden mit Zuchthaus nicht unter fünf Jahren^ oder mit lebenslänglichem Zuchthaus, und wenn der Aufruhr im Feldes begangen wird, mit dem Tode bestraft. *) Rädelsführer ist derjenige, welcher die Führung der Aufrührer hat; diese Führung kann sich in dem Zusammenrufen, Zusammenhalten der Aufrührer, in der Bestimmung der Ausführung der Tat, der geistigen Leitung derselben usw. betätigen. 2) Den Begriff des Anstifters im Sinne des § 107 MStrGB. erfüllt jede Einwirkung, um die anderen Täter zum gemeinsamen Handeln zu be­ stimmen; der Anstifter muß Mittäter des militärischen Aufruhrs sein. Vgl. auch Note 9 zu § 72 und Note 8 zu 8 108 MStrGB. 3) d. h. jeder am Aufruhr Beteiligte; bei dem Rädelsführer und An­ stifter Strafzumessungsgrund. 4) Unter Gewalttätigkeit ist jede Kraftaufwendung, die sich gegen die Person des Vorgesetzten richtet, zu verstehen. Gewalt „gegen" eine Person erfordert nur, daß die Vergewaltigung der Person bezielt worden ist, es ist nicht nötig, daß die Gewaltshandlung die Person selbst betroffen hat, daß also aus letztere eine Einwirkung geschehen ist; letzteres wird nur er­ fordert für oie Gewalt „an" einer Person. RG. II. 28. Juni 1887. E. 16,172. 5) Vgl. Note 7 zu 8 47 MStrGB. und hinsichtlich der Wachen 8 m ebenda. Dem „Vorgesetzten" stehen die zur Unterstützung zugezogenen Mannschaften an sich nicht gleich. Wird die Gewalttätigkeit lediglich gegen solche Mannschaften begangen, richtet sie sich also nicht gegen die Person oes Vorgesetzten, so kommt 8 107 nicht in Betracht; vgl. Note 4. Wohl aber muß dann die Gewalttätigkeit — obwohl sie nur den Körper eines „zu­ gezogenen Mannes" getroffen hat — als gegen den Vorgesetzten begangen an­ gesehen werden, wenn der Wille des Täters dahin ging, mit dieser Ge­ walttätigkeit eine Einwirkung auf die Person des Vorgesetzten vorzunehmen. Beispiel: Eine zusammengerottete Menge stürmt mit vereinten Kräften auf den Vorgesetzten zu, um ihn gemeinschaftlich zu schlagen; die nach dem Vorgesetzten gerichteten Schläge treffen aber die vor ihm stehenden zu­ gezogenen Mannschaften; die Anwesenheit des Vorgesetzten ist also immer notwendig. Vgl. § 96 Abs. 2, Note 6 zu 8 106 MStrGB. 6) 5 bis 15 Jahre Zuchthaus, daneben ist auf Entfernung aus dem Heere zu erkennen, 8 31 MStrGB. 7) Im Felde 88 9 und 10 MStrGB.

Zweiter Teil. Einzelne Verbrechen und Vergehen. §§ 107—110.

149

§ 108. (KG. §§ 62 r, 45 MStrGO.) Wird der militärische Aufruhr vor dem Feindes begangen, so tritt gegen sämmtliche Be­ theiligte die Todesstrafe ein. i) Vgl. § 11 MStrGB.

§ 109. (KG. §§ 62i, 45 MStrGO.) Die an einem militärischen Aufruhri) Betheiligten?) welche zur Ordnung8) zurückkehren, bevor es zu einer Gewaltthätigkeit4) gegen den Vorgesetzten8) gekommen, werden mit Gefängniß oder Festungshaft bis zu zwei Jahren8) bestraft, wenn sie nicht Anstifters oder Rädelsführers sind. Ist in einem solchen Falle die Rückkehr zur Ordnung von allen an dem Aufruhr Betheiligten erfolgt, so ist gegen Anstifter7) und Rädelsführers auf Gefängniß oder Festungshaft von zwei bis zu fünf Jahren zu erkennen?) 1) § 109 MStrGB. bezieht sich auch auf den im Felde und vor dem Feinde verübten Aufruhr. 2) Am Aufruhr beteiligt ist jeder, der mit der im § 106 MStrGB. vorausgesetzten Absicht unter den Zusammengerotteten sich befindet. Vgl. auch Note 8 zu § 106 MStrGB. Zu den Beteiligten i. S. d. Abs. 1 d. § 109 a. a. O. gehören nach Abs. 2 das. nicht der Rädelsführer und Anstifter. 3) Die Rückkehr zur Ordnung muß äußerlich erkennbar sein, z. B. durch Entfernung vom Tatorte, Unterstützung des Vorgesetzten, Verhinderung der anderen Aufrührer an der Tat usw. Daß die Rückkehr zur Ordnung lediglich dem freien Entschlüsse des Aufrührers entspricht, ist nicht erforderlich; sie kann auch durch einen Befehl des Vorgesetzten oder eine Drohung desselben mit Gewaltmaßregeln ver­ anlaßt sein. 4) Vgl. Note 4 zu 8 107 MStrGB. Es darf überhaupt noch nicht zu Gewalttätigkeiten gekommen sein, auch nicht von feiten der nicht zur Ordnung zurückkehrenden Aufrührer. 5) Vgl. Note 7 zu § 47 MStrGB. 6) Gefängnis von 43 Tagen bis zu 2 Jahren. 7) Vgl. Note 1 und 2 zu 8 107 MStrGB. Abs. 2 8 109 a. a. O. findet nicht Anwendung, wenn nur der Rädelsführer oder Anstifter zur Ordnung zurückkehren, die übrigen Teilnehmer aber nicht. 8) Wegen Dienstentlassung und Degradation vgl. 88 34, 40 MStrGB.

§ 110. (KG. 88 62i, 45 MStrGB.) Dem Anstifteri) eines militärischen Aufruhrs gleich zu bestrafen ist derjenige an dem Aufruhr Betheiligte?) welcher 1) persönlich8) von dem Vorgesetzten4) zum Gehorsam aufgefordert, diesen durch Wort oder That ausdrücklich8) verweigert, 2) durch Mißbrauchb) militärischer Signale7) oder durch Aufruhr­ zeichen8) den Aufruhr befördert?) oder 3) unter den Aufrührern den höchsten Dienstrang10) einnimmt. 1) Vgl. Note 2 zu 8 107 MStrGB. 2) Vgl. Note 2 zu 8 109 MStrGB.

150

Militär-Strafgesetzbuch für das Deutsche Reich.

3) Namentliche Bezeichnung des zum Gehorsam Aufgeforderten ist nicht erforderlich; es genügt, daß der Aufrührer die Aufforderung als an seine Person gerichtet erkannt hat. 4) Vgl. Note 7 zu § 47 MStrGB. b) Vgl. Note 10 zu § 95 MStrGB. Passives Nichtfolgeleisten durch Beharren im Ungehorsam gehört auch hierher, vgl. Koppmann, Note 3 zu § 110 MStrGB. 6) Mißbrauch ist eigenmächtiger Gebrauch in rechtswidriger Absicht. 7) Vgl. Note 13 zu § 58 MStrGB. 8) Daß die Zeichen unter den Aufrührern verabredet sind, ist nicht nötig; erfordert wird nur, daß sie an sich geeignet sind, den Aufruhr zu fördern. 9) Werden Signale usw. gegeben, um den Aufruhr hervorzurufen, so sind die die Signale Mißbrauchenden ohnehin Anstifter des Aufruhrs. Vgl. Note 2 zu 8 107 MStrGB. 10) Haben sich mehrere Vorgesetzte von gleichem Range an dem Auf­ ruhr beteiligt, so fällt unter die Vorschrift der Nr. 3 nur der dienstälteste Vorgesetzte, die übrigen Vorgesetzten trifft die Strafe der 88 106, ev. 107, 109 und 55 Nr. 1 MStrGB.

§ 111. 208er1) gegen eine militärische Waches die ihr schuldige Achtung^) verletzt oder sich einer Beleidigung/) eines Ungehorsams/) einer Widersetzung9) oder einer Thätlichkeit7) schuldig macht, wird ebenso bestraft, als wenn er die Handlung gegen einen Vorgesetzten begangen hätte?) Als militärische Wache/») im Sinne dieses Gesetzes, sind anzusehen alle zum Wacht- oder militärischen Sicherheitsdienste befehligten Personen des Soldatenstandes, mit Einschluß der Feldgendarmen9) und des Personals der Stabswache der Marine?9) welche in Ausübung dieses Dienstes begriffen und als solche äußerlich erkennbar sink11) 1) Als Täter kommen alle Personen des Soldatenstandes, die Personen des Beurlaubtenstandes nur unter den Voraussetzungen des 8113 MStrGB., ohne Unterschied des Dienstgrades in Betracht, mit Ausnahme der besonderen Vorgesetzten der militärischen Wache; den Wachen gegenüber haben nur die Wachtvorgesetzten Befehlsfugnis, vgl. aber 8 125 Note 4 MStrGB. Vor­ gesetzte, welche nicht Wachtvorgesetzte sind, machen sich nach 8 120 MStrGB. strafbar, wenn sie einem Mitglied einer Wache in Kenntnis dieser Eigenschaft einen Befehl geben. RMGer. I. 18. Mai 1903. E. 5,128. Zwischen den Wacht­ vorgesetzten und der Wache ist auch hinsichtlich begangener strafbarer Handlungen nur das Verhältnis von Vorgesetzten zu Untergebenen maßgebend. Die mili­ tärische Wache steht unter dem besonderen Befehl des kommandierenden Generals des Armeekorps, des Gouverneurs usw., des Offiziers vom Ortsdienst, der Rondeoffiziere und der Wachthabenden. Der Platzmajor zählt nicht mit zu den Vorgesetzten der Wache; er ist nur berechtigt, im Auftrage des Gouverneurs usw. Befehle an Wachen und Posten zu erteilen. Die mit Disziplinarstrafgewalt beliehenen Offiziere des wachthabenden Truppenteils treten während der Erteilung einer Belehrung oder Rüge zu den zu ihrem Truppenteil gehörigen, in Ausübung des Wachtdienstes befindlichen Mann­ schaften in das Verhältnis eines Vorgesetzten; im übrigen ruht während oer Ausübung des Wachtdienstes die Befehlsfugnis auch dieser Offiziere. Nr. 31, 32, 41 und Note dazu GV. An Bord sind Vorgesetzte der Wache: der Kommandant und dessen direkte Vorgesetzte, der erste Offizier, der

Zweiter Teil.

Einzelne Verbrechen und Vergehen.

§ 111.

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wachthabende Offizier und die die Nachtronden gehenden Seekadetten und Unteroffiziere wahrend der Ausübung dieses ihres Dienstes; ferner für die Mannschaften der Sicherheitswache der Wachthabende der Sicherheitswache; für die Wachthabenden in der Batterie bezw. Kasematte der Feuerwerker und der Leutnant der Batterie bezw. Kasematte; für den Wachthabenden in den übrigen Räumen der Wachtmeister und der Leutnant des betr. Decks; für den Stabswächter am Oberdeck der Wachtmeister. Kap. II. §§ 53, 72, 75 oer Bestimmungen f. d. Dienst an Bord. § 111 MStrGB. findet auch auf Kriegsgefangene Anwendung, § 158 MStrGB.; auf Militärbeamte nur im Felde, § 153 das. 2) Hinsichtlich der Befugnis der Wachen zur vorläufigen Festnahme vgl. § 180 Abs. 1 MSttGO. und Nr. 118 ff. GV. § 7 DStO. und hin­ sichtlich der Befugnis zum Waffengebrauch Nr. 134,135 GV. 3) Vgl. § 89 MStrGB. § 111 MStrGB. hat das Belügen einer Wache nicht unter die in seinem Tatbestände aufgezählten Insubordinationen ausgenommen; diese Handlung kann daher aus § 111 das. nur bestraft werden, soweit fich das Belügen als eine Achtungsverletzung darstellt. 4) Vgl. § 91 MStrGB. 5) Vgl. §§ 92-95, 103 MStrGB. 6) Vgl. 88 96, 103,106 MStrGB. 7) Vgl. 88 97,103,106 MStrGB. 8) 8 111 MStrGB. stellt nur eine Rechtsfiktion dahin auf, daß die gegen militärische Wachen begangenen Achtungsverletzungen usw. als gegen einen Vorgesetzten begangen zu erachten sind; damit sind jedoch den militärischen Wachen die Befugnisse eines Vorgesetzten an sich nicht bei­ gelegt. 8&) Die militärischen Wachen (Posten) zerfallen in Sicherheits- und Ehrenwachen (Posten). Posten sind diejenigen Mannschaften, die un Garnison­ wachtanzuge mit der Verpflichtung, die Waffe nicht aus der Hand zu legen, auf einen begrenzten Raum angewiesen sind. GV. Ziff. 2 u. 89. Zu den militärischen Wachen gehören die Patrouillen, Ronden, Lagerwachen, die Feld­ wachen und Posten, die Kasernenwachen, die Arrestantenwachen, Gefangenen­ wachen, Begleitkommandos bei Militärtransporten, Schießstandwachen, Babnhofwachen usw. Vgl. das Nähere in GV.; Felddienstordnung, Feldgenoarmenordnung und Kap. II der Bestimmungen für den Dienst an Bord v. 30. Juli 1894. Die zur Beaufsichtigung der Ställe bestimmten Stallwachen sind nicht als militärische Wachen im Sinne dieser Vorschrift anzusehen. Die Stall­ wachthabenden sind daher als solche nur Vorgesetzte der zur Stallwache kommandierten Mannschaften; diese haben nicht dre Eigenschaft von Posten. GV. 85. Anm. Unteroffiziere vom Tagesdienst sind bei Revision der Kompagnie- usw. Reviere nicht als Wachmannschaften anzusehen. ACO. v. 20. Dez. 1862 (MGS. VII,57). Unteroffiziere und Mannschaften, die als Patrouillen zum Überwachen von Wirtshäusern kommandiert werden, haben in Ausübung dieses Dienstes dieselben Befugnisse wie militärische Wachen. Nr. 116 GV. Eine Wirts­ hauspatrouille, die unbefugt den ihr zugewiesenen Bezirk verläßt und ein verbotenes Lokal betritt, ist der zuständigen Patrouille gegenüber zum Ge­ horsam verpflichtet. RMGer. PE. III. Nr. 130. Die Eigenschaft einer militärischen Wache als solche tritt mit dem Augenblick ein, in welchem Vergatterung geschlagen wird. Nr. 44 GB. Der Wachtdienst endigt mit dem Abschlagen. Ziff. 51 GV. Die Auf­ führenden sind auf dem Wege zum und vom Ablösen Vorgesetzte der von rhnen geführten Mannschaften. Ziff. 108 GV.

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Hinsichtlich der Pflichten des Wachthabenden und der Wachen vgl. § 141 MStrGB.; Ziff.52, 90ff. GV.; Ziff. 166ff., 231 ff. Felddienstordnung; 22 KA. und MKA.; Kap. II §§12 ff., 52, 62 ff., 73 ff. oer Bestimmungen für den Dienst an Bord v. 30. Juli 1894. Die Frage, ob ein Posten seine Posteneigenschaft durch das Verlassen seines Postenbereichs bezw. durch das Fehlen der äußeren Erkennungszeichen verloren hat, ist nach den konkreten Umständen des Falles zu beantworten. Daß ein Posten seinen Postenbereich verlassen hat und stch vorübergehend nicht im vollständigen Garnisonwachtanzuge befindet, führt an sich nicht in jedem Falle den Verlust der Posteneigenschaft herbei, so wenn der Posten von einer anderen Person d. S. gewaltsam aus seinem Postenbereich ent­ fernt, oder bei einem ihm gegenüber unternommenen Angriff Helm usw. eingebüßt hat. Die im § 111 Abfi 1 MStrGB. gedachten Delikte sind auch in solchen Fällen als gegen einen Posten verübt anzusehen, wenn den Tätern die Posteneigenschaft des Postens bekannt war. Von Bedeutung für die vorstehend behandelte Frage ist ferner, ob für den Posten nach den tat­ sächlichen Umständen noch die Möglichkeit vorlag, den Postendienst, an dessen Ausübung er vorübergehend gehindert wurde, weiter ordnungsmäßig auszu­ üben. Es ist dies Tatfrage. Wesentlich ist ferner die Willensrichtung des Postens; hat ein Posten seinen Postenbereich verlassen bezw. die Erkennungs­ zeichen als Posten abgelegt mit dem Willen, die Posteneigenschaft aufzu­ geben, so kann er ohne Rücksicht darauf, ob dieser Wille von einer dritten Person beeinflußt fern mag oder nicht, für sich nicht mehr die Eigenschaft eines fingierten Vorgesetzten im Sinne oes § 111 MStrGB. in Anspruch nehmen. RMGer. I. 18. Mai 1903. E. 5,128. Wird ein Posten durch einen körperlichen oder geistigen Zustand (Erkrankung, Trunkenheit, Schlaf usw.) unfähig, seinen Postendienst ordnungsmäßig zu versehen, so verliert er da­ durch nicht ohne weiteres seine Posteneigenschast. RMGer. zit. Erk. E. 5,128. Ist eine Subordinationsverletzung, deren Begehung vor „versammelter Mannschaft" das Gesetz mit erhöhter Strafe bedroht (§ 89 Abs. 2, §§ 95, 97 MStrGB.), einer aus mehreren Leuten bestehenden, in Ausübung des Dienstes befindlichen Patrouille gegenüber begangen, so gilt im Sinne des § 12 a. a. O. jeder einzelne Mann der Patrouille als Vorgesetzter, während die übrigen Leute derselben zur versammelten Mannschaft zu zählen sind. RMGer. I. 25. Mai 1903. E. 5,158. 9) Die Feldgendarmen gelten, solange sie in Ausübung des Dienstes begriffen und in dieser Eigenschaft durch ihren Dienstanzug äußerlich er­ kennbar sind (Ringkragen über Waffenrock oder Mantel), als militärische Wachen im Sinne des MStrGB. § 17 Abs. 1. Feldgendarmerieordnung v. 10. Juni 1890 und Nr. 529 Felddienstordnung v. 1. Jan. 1900. Sie sind unter diesen Voraussetzungen auch Offizieren gegenüber Vorgesetzte. Die Anordnung von Verhaftungen und Festnahmen der Feldgendarmen im Dienst bei Vernachlässigung ihres Dienstes oder Überschreitung ihrer Amtsbefug­ nisse steht nur den Vorgesetzten der Feldgendarmen sowie in Ausnahmefällen sämtlichen Generalen zu. Ziffer 535 Felddienstordnung; §17 Nr. 7 Feld­ gendarmerieordnung. Die Landgendarmen sind den Feldgendarmen nicht gleichgestellt, sie find nur auf Grund ihres militärischen Ranges gegebenen­ falls Vorgesetzte. Vgl. Note 7 zu § 47 MStrGB. Zur Unterstützung der Landgendarmen bei den Manövern kommandierte Unteroffiziere und Ge­ freite der Kavallerie (Dienstanzug mit Ringkragen) haben in Ausübung Dieses Dienstes gegenüber Militärpersonen die Befugnisse von Wackthabenden. Vgl. auch über den Zweck und die Befugnisse dieser Kommanoos: Feld­ gendarmerieordnung, Anhang, §§ 1, 3, 4. 10) Die Stabswache der Marine ist durch ACO. v. 24. Mai 1881 (MVBl. S. 101) aufgelöst. Bezüglich des wachthabenden Offiziers an Bord vgl. Note 1 § 162 MStrGB.

Zweiter Teil.

Einzelne Verbrechen und Vergehen.

§ 112.

15Z

n) Die Wache muß in Ausübung des Wachtdienstes begriffen und äußerlich als solche erkennbar sein. Die im Wachtlokale zum Zwecke späterer Ausübung des Dienstes auf Wache versammelte Wachtmannschaft, ferner die von Wache ausgetretenen Wachtmannschaften befinden fich nicht in Ausübung des Wachtdienstes mit Ausnahme des Wachthabenden, welcher während der Dauer der Wache ununterbrochen in Ausübung des Dienstes ist. Macht ein Angehöriger einer Wache sich einer Subordinationsverletzung schuldig, deren Begehung „unter dem Gewehr" das Gesetz mit erhöhter Strafe bedroht (§ 89 Abs. 2, §§ 95, 97 MStrGB.), so ist dieser gesetzliche Straserhöhungsgrund nur dann gegeben, wenn der Täter sich in Ausübung des Dienstes (nicht nur im Dienst, wie der Wachtmann auf der Wachtstube) und in derjenigen Ausrüstung befunden hat, welche für den betreffenden Wachtdienst vorgeschrieben ist. RMGer. I. 18. Mai 1903. E. 5,128. Ein Mann der Wache, der auf Befehl des Wachthabenden eine zu den Obliegen­ heiten der Wache gehörende Handlung vornimmt, ist, falls die sonstigen Voraussetzungen des § 111 Abs. 2 MStrGB. vorliegen, bei Ausführilng der Handlung militärische Wache. RMGer. PE. VII. Nr. 35. Über den Garnisonwachtanzug vgl. Nr. 22 ff. GV. Kap. II. § 55 der Bestimmungen für den Dienst an Bord v. 30. Juli 1894 und hinsichtlich des Anzugs der Wirtshauspatrouillen Nr. 116 GV. Der Täter muß die mili­ tärische Wache als solche erkannt haben: andernfalls ist ihm der Umstand, daß die Tat gegen eine militärische Wache verübt wurde, nicht zuzurechnen; § 59 RStrGB. RMGer. zit. Erk. E. 5,128.

§ 112. (KG. §§ 62i, 45 MStrGO.) Wer*) einen Vorgesetzten-) oder einen im Dienstrange Höheren^) aus dienstlicher Veranlassung4) zum Zweikampfes herausfordert/) wird mit Freiheitsstrafe?) nicht unter Einem Jahre, und, wenn der Zweikamps vollzogen wird, mit Freiheitsstrafe?) nicht unter drei Jahren bestraft; zugleich ist auf Dienst­ entlassung ^) zu erkennen. Gleiche Strafen treffen den Vorgesetzten 2)9), welcher die Heraus­ forderung annimmt oder den Zweikampf vollzieht. 1) § 112 MStrGB. findet Anwendung auf die zum aktiven Heere (Marine) gehörigen Personen des Soldatenstandes (wegen der Zuständigkeit des Militärgerichts innerhalb eines Jahres nach Beendigung der Zuge­ hörigkeit zum aktiven Heere vgl. § 11 MStrGO.), im Felde auch auf Militär­ beamte (§ 153 MStrGB.), auf Kriegsgefangene (§ 158 das.), auf das Gefolge des Heeres (§§ 155 ff. das.), auf Personen des Beurlaubtenstandes außer der Zeit, während welcher sie sich im Dienst befinden (§ 6 das.) nur unter der Voraussetzung des § 113 MStrGB. 2) Vgl. Note 7 zu § 47 MStrGB. 3) Vgl. Note 3 zu ß 91 MStrGB. 4) Es muß eine Diensthandlung des Herausgeforderten Veranlassung zur Herausforderung gegeben haben; Form und Zweck der Diensthandlung find belanglos, ebenso, ob die Diensthandlung sich gegen die Person des Herausforderers richtete. Bezüglich der Diensthandlung vgl. Note 4 zu 8 89; Note 7 zu 8 96 MStrGB. Erfolgt die Herausforderung zum Zweikampfe nicht aus dienstlicher Veranlassung, so kommen die Vorschriften der §§ 201 ff. RStrGB. zur Anwendung. 5) Eine Herausforderung zum Zweikampf mit tödlichen Waffen (8 201 RStrGB.) wird nicht erfordert. 6) Kartellträger, d. h. diejenigen, welche den Auftrag zu einer Herausforderrmg übernehmen und überbringen (8 203 RStrGB.) sind als Gehilfen

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Militär-Strafgesetzbuch für das Deutsche Reich.

(§ 49 RStrGB.) zu dem militärischen Delikte des § 112 MStrGB. zu beKtn, wobei es gleichgültig ist, in welchem militärischen Verhältnisse sie em Herausgeforderten stehen. Ist der Kartellträger ein Vorgesetzter des Herausfordernden, so ist gegen ihn auf erhöhte Strafe zu erkennen; §§ 55!, 53 MStrGB. §§ 201—206, 208 RStrGB. finden neben § 112 MStrGB. keine Anwendung, wohl aber § 207 RStrGB. Die Vorschrift des § 209 RStrGB. greift gemäß § 59 RStrGB. nur Platz, wenn Zeugen, Sekundanten, Ärzte nicht wissen, daß die Herausforderung aus dienstlicher Veranlassung erfolgt ist. Auch unter dieser Voraussetzung tritt Straflosigkeit des Kartellträgers nach § 209 RStrGB. nur dann ein, wenn er nach Aus­ richtung der Herausforderung ernstlich bemüht gewesen ist, den Zwerkampf zu verhindern. Lehnt der Geforderte von vornherein die Herausforderung ab, so ist die Anwendung des § 209 RStrGB. ausgeschlossen. RMGer. L 28. Jan. 1901. E. 1,22. 7) Gefängnis, Festungshaft von 1 bezw. 3 bis zu 15 Jahren. 8) Die Dienstentlassung ist auch für den Fall vorgeschrieben, daß der Zweikampf nicht vollzogen wird. Gegen Unteroffiziere und Gemeine sind Ehrenstrafen nach Vorschrift der §§ 30—42 MStrGB. zu erkennen. 9) Nicht aber den im „Dienstrange Höheren"; gegen diesen sind nur die Vorschriften des RStrGB. anwendbar. Hat der Vorgesetzte keine Kenntnis, daß die Herausforderung aus dienstlicher Veranlassung erfolgt, so ist nach § 59 RStrGB. nicht § 112 MStrGB., sondern §§ 201 ff. RStrGB. gegen ihn anzuwenden.

§ 113. Eine Person des Beurlaubtenstandes *) wird, auch während sie sich nicht im Dienste befindet?) nach den Vorschriften dieses Ab­ schnitts bestraft, wenn sie dem § 101 zuwiderhandelt, oder eine andere

der in diesem Abschnitte vorgesehenen strafbaren Handlungen im dienst­ lichen Verkehr8) mit dem Vorgesetzten^) oder in der Militärunisorm^) begeht, oder wenn sie sich des Ungehorsams^) oder der Widersetzung

gegen einen rechtmäßigen^) Befehl in dienstlichen Angelegenheiten schuldig macht.8)

0 Vgl. Note 1 zu §6 MStrGB. 2) Bezügl. der Frage, wann sich Personen des Beurlaubtenstandes im Dienste befinden und somit unbeschränkt dem MStrGB. unterliegen, vgl. Note 2 zu 8 6 MStrGB' Personen des Beurlaubtenstandes befinden sich „im Dienste" i. S. d. 8 2 MStrGB. nur dann, wenn sie zu einem „mili­ tärischen Dienste" einberufen sind. 8 386 Nr. 1 RMG. Die Einberufung zu einer militärgerichtlichen Vernehmung oder zur Verbüßung einer Frei­ heitsstrafe oder die Abführung in die Untersuchungshaft behufs Durch­ führung eines militärgerichtlichen Verfahrens kann als Einberufung zu einem „militärischen Dienste" nicht angesehen werden. RMGer. II. 28. März 1903. E. 4,284. VE. II. Nr. 157. II. 2. Juni 1902. E. 3,72. Weroen Mannschaften nach Ablauf ihrer aktiven Dienstpflicht nicht entlassen, sondern zur Vollstreckung von Disziplinarstrafen usw. zurückbehalten, so zählen sie trotzdem zu den Personen d. B. Das gleiche gilt, wenn die Zurückhaltung wegen Abwartens der Entscheidung auf Versorgungsansprüche oder wegen Erkrankung geschieht. KM. 7. Febr. 1903. Eine Person des Beurlaubtenstandes, welche — ohne zum Dienst einberufen zu sein — behufs Erfüllung der ihr obliegenden Verpflichtungen Handlungen vornimmt, die militärische Zwecke verfolgen, z. B. eine (falsche) Meldung erstattet, (8 139 MStrGB.), tritt dadurch nicht in den Dienst. RMGer. II. 9. Nov. 1901. E. 2,52.

Zweiter Teil. Einzelne Verbrechen und Vergehen. §§ 113,114.

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3) Der dienstliche Verkehr mit dem Vorgesetzten muß eine dienstliche Angelegenheit, Diensthandlung (vgl. Note 4 zu § 89; Note 7 zu § 96 MStrGB.), z. B. Gesuch, Anmeldung, Abmeldung usw.) betreffen; ob er schriftlich oder mündlich stattfindet, ist unerheblich. Die Annahme eines dienstlichen Verkehrs im Sinne des § 113 MStrGB. ist auch bei freiwilligem Erscheinen vor dem Vorgesetzten nicht ausgeschlossen. Die irrige Annahme des Untergebenen, sich nicht im dienstlichen Verkehre mit dem Vorgesetzten zu befinden, ist als Rechtsirrtum nicht zu berücksichtigen. RMGer. I. 20. Juni 1901. E. 1,199. Werden nach Beendigung des dienstlichen Verkehrs in Beziehung auf eine Diensthandlung des Vorgesetzten strafbare Handlungen gegen diesen Abschnitt begangen (z. B. Beleidigung, Tätlichkeit gegen den Vorgesetzten, Herausforderung desselben), so kommen die Vorschriften des RStrGB. zur Anwendung, sofern die in Rede stehende Handlung sich nicht als Ungehorsam oder Widersetzung gegen einen rechtmäßigen Befehl in dienstlichen Angelegenheiten (§§ 92, 94, 96 MStrGB.) darstellt. Vgl. auch § 11 MStrGO. 3a) Vorgesetzte der Mannschaften des Beurlaubtenstandes sind der Feldwebel des Kompagniebezirks, die Feldwebel des Hauptmeldeamts oder Meldeamts, der Bezirksoffizier, der Kontrolloffizier, der Bezirkskommandeur, Sowie deren Stellvertreter. Die Offiziere d. B. usw. sind dem Bezirkskommandeur ürekt unterstellt; bei Kontrollversammlungen auch dem die Kontrolle ab­ haltenden Offizier. § 24 Muster 6 I. Nr. 3. HO. §24. DStO.; §34 MDStO. Ein Vorgesetzter, welcher im dienstlichen Verkehr mit Personen des Beurlaubtenstandes gegen letztere sich eines Mißbrauchs der Dienstge­ walt oder einer sonstigen Handlung gegen die militärische Ordnung schuldig macht, ist nach bett Vorschriften des MStrGB. zu bestrafen. RMGer. II. 28. März 1903. E. 4,284. 4) Es genügt, daß die Person des Beurlaubtenstandes Uniformrock und Diensthose trägt; das Tragen einer Waffe (Seitengewehrs) ist nicht erforderlich. 4a) Die Nichtbefolgung des Einberufungsbefehls zu einer Kontrollver­ sammlung ist, wenn oer Ungehorsam mit dem Bewußtsein begangen wurde, sich der Befehlsbefugnis der Kontrollvorgesetzten zu entziehen, aus §64, nicht aus § 92 MStrGB. zu bestrafen. RMGer. PE. IV Nr. 144. 5) D. h. Befehl in Dienstsachen. Rechtmäßig ist der Befehl, wenn der Vorgesetzte vermöge seiner dienstlichen Stellung zum Erlaß eines solchen befugt ist. 6) Wegen der nach § 3 Abs. 2 EG. z. MStrGB. zulässigen Disziplinarbestrasung solcher Delikte vgl. §§ 23—27 DStO-, §§27 ff. MDStO. und § 6 oes Reichsges. v. 15. Febr. 1875.

Siebenter Abschnitt. Mißbrauch der Dienstgewalt.

8 114. (KG. §§ 621, 45 MStrGO.) Wer/) seine Dienstgewalt2) über einen Untergebenen3) zu Befehlen4) oder Forderungen/) die in keiner Beziehung zum Dienste stehen, oder zu Privatzwecken5) miß­ braucht/) ingleichen wer von dem Untergebenen Geschenkes fordert, (KG. bezw. StG. §§ 162, 621, 45 MStrGO.) von ihm, ohne Vor­ wissen b) des gemeinschaftlichen Vorgesetzen3) Geld borgt10) oder Ge­ schenke annimmt, oder (KG. §§ 621, 45 MStrGO.) den Untergebenen sonst durch seine dienstliche Stellung veranlaßt,") gegen ihn Verbind-

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Militär-Strafgesetzbuch für das Deutsche Reich.

lichkeiten einzugehen, die demselben nachtheilig12) sind oder auf das gegenseitige Dienstverhältniß13) von nachtheiligem Einflüsse sein können, wird mit Gefängniß^) oder Festungshaft bis zu zwei Jahren, in minder schweren Fällen^) mit Arrests) bestraft.") In schwereren Fällen,^) insbesondere im Rückfalle,") kann zu­ gleich auf Dienstentlassung oder Degradation erkannt werden.2") x) Als Täter kommen nur zu den Personen des Soldatenstandes ge­ hörige Vorgesetzte, und zwar im Beurlaubtenstande nur unter den Voraus­ setzungen des § 126 MStrGB. in Betracht; den Vorgesetzten gleichgestellt sind die militärischen Wachen. §§ 111 Abs. 2 und 125 MStrGB. Sind Kriegsgefangene durch die zuständige deutsche Kommandobehörde anderen Kriegsgefangenen als Vorgesetzte bestellt, so findet in diesem Verhältnis der VII. Abschn. MStrGB. auf sie Anwendung. Pflichtverletzungen enthaltende Verstöße der Militärbeamten gegen § 114 eit. unterliegen den Strafbestimmungen des 28. Abschn. d. RStrGB. 2) Dienstgewalt ist die in der Stellung des Vorgesetzten begründete Berechtigung, Befehle zu erteilen. 3) Untergebene find alle Personen des Soldatenstandes, welche gegen­ über dem in Betracht kommenden Vorgesetzten zum Gehorsam verpflichtet sind. Eine Zivilperson, gegen die ein preuß. Gendarm in oder bei Ge­ legenheit der Ausübung des Dienstes sich des Mißbrauchs der Dienstgewalt schuldig macht, tritt in kein — auch nicht fiktives — Untergebenenverhältnis zu dem Gendarmen. Es wird vielmehr für letzteren die Strafe nur so bestimmt, wie sie den Vorgesetzten trifft, der sich des Mißbrauchs der Dienstgewalt gegen einen Untergebenen schuldig macht. RMGer. I. 3. Aug. 1903. E. 5,284. 4) Befehle und Forderungen, die auch nur indirekt, mit Rücksicht auf die allgemeinen Dienstverhältnisse des Untergebenen, zum Dienst Beziehung haben (z. B. Führung des Soldaten außer Dienst), erfüllen den Tatbestand des § 114 MStrGB. nicht. Vgl. auch RMGer. I. 8. Sept. 1902. E. 3,219. Wohl aber gehört eine von einem preuß. Gendarmen während der Dienst­ ausübung an eine Frauensperson gestellte, auf Befriedigung der Geschlechts­ lust gerichtete Forderung hierher. RMGer. zit. Erk. E. 5,284. Desgl. die Forderung eines Vorgesetzten an einen Untergebenen, bei einer uneidlichen gerichtlichen Vernehmung günstig für ihn auszusagen. RMGer. PE. VII. Nr. 36. Die in Mißbrauch der Dienstgewalt ergehenden Befehle sind keine Dienstbefehle, Ungehorsam gegen sie unterliegt weder der gerichtlichen noch der Disziplinarbestrafung. 5) Das sind rein persönliche, mit dem Dienstverhältnis nicht zusammen­ hängende Zwecke. Die Besorgung einer Angelegenheit, welche an sich ledig­ lich privater Natur ist, kann durch die Art der Besorgung einen dienstlichen Charakter annehmen. Dies ist z. B. der Fall, wenn der Täter sich mit Genehmigung seines Vorgesetzten der Besorgung der Angelegenheit in seiner dienstlichen Eigenschaft aus Fürsorge für die Mannschaften unterzogen hat, oder wenn behufs Besorgung einer solchen Angelegenheit Beiträge von Mannschaften an einen Vorgesetzten in seiner dienstlichen Eigenschaft gezahlt und von diesem in gleicher Eigenschaft in Empfang genommen werden. RMGer. I. 19. Nov. 1903. E. 6,103. 6) Vgl. Note 9 zu § 55 MStrGB. Mißbrauch der Dienstgewalt setzt den Mangel einer Berechtigung des Vorgesetzten zu den gegebenen Befehlen oder gestellten Forderungen voraus; es scheiden daher z. B. die Leistungen aus, die der Offizier von seinem Burschen zu fordern berechtigt ist.

Zweiter Teil.

Einzelne Verbrechen und Vergehen.

§ 115.

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7) Eine Zuwendung, durch die jemand aus seinem Vermögen einen andern bereichert, ist Schenkung, wenn beide Teile darüber einig sind, daß die Zuwendung unentgeltlich erfolgt. Vgl. § 516 BGB. Im übrigen sind die Vorschriften des BGB. für den Begriff Schenkung in seiner strafrecht­ lichen Bedeutung im Sinne oes § 114 MStrGB. nicht anwendbar. Vgl. §§ 517 ff. BGB. Werden Geschenke für eine Handlung, welche eine Verletzung einer Dienstpflicht enthält, gefordert oder angenommen, so wird § 140 MStrGB. (Bestechung) anwendbar. 8) D. h. Zustimmung des gemeinschaftlichen Vorgesetzten schließt die Strafbarkeit nicht aus. 9) Bezüglich des Begriffs „Vorgesetzter" vgl. Note 7 zu 8 47 MStrGB. 10) Nicht erforderlich ist, daß das Borgen unter einem zu ihm noch hinzugekommenen Mißbrauche der Dienstgewalt geschehen sei; das Gesetz sieht vielmehr in einem solchen Borgen oder Annehmen von Geschenken an sich schon einen Mißbrauch der Dienstgewalt; das Wort „sonst" drückt aus, daß nach der Meinung des Gesetzgebers Geschenke oder Gelddarlehn des Untergebenen an den Vorgesetzten immer durch die dienstliche Stellung des letzteren veranlaßt worden sind, wenn nicht der gemeinschaftliche Vorgesetzte darum gewußt hat. RMGer. I. 7. Mai 1903. E. 5,103. RG. III. 5. Dez. 1887. E. 16,433. n) Zum Dolus genügt das Bewußtsein des Täters, daß die Verbind­ lichkeiten in Ansehung der dienstlichen Stellung des Täters eingegangen worden sind. 12) Die Verbindlichkeit muß vom Untergebenen eingegangen und dem­ selben ein Nachteil erwachsen sein. 13) Es muß die Möglichkeit vorliegen, daß die Dienststellung des Vor­ gesetzten gegenüber dem in Betracht kommenden Untergebenen erschüttert wird, d. h. daß das dienstliche Ansehen des Vorgesetzten leidet, oder der Erfolg seiner dienstlichen Tätigkeit in Frage gestellt ist. 14) Von 43 Tagen bis zu 2 Jahren. 15) Vgl. Note 19 zu § 58 MStrGB. 16) Strenger Arrest nur unter den Voraussetzungen des § 22 Abs. 3 MStrGB. 17) Disziplinarbestrafung ist zu gelassen, wenn die strafbare Handlung nur in dem Borgen von Geld oder in oer Annahme von Geschenken ohne Vorwissen des gemeinschaftlichen Vorgesetzten besteht; § 3 Abs. 2 Nr. 2 EG. z. MStrGB. 16) Unter „schwereren" Fällen sind solche zu verstehen, bei denen in der Person des Täters oder in der Tat selbst erschwerende Umstände vorliegen. 19) Von den ün § 114 MStrGB. vorgesehenen Tatbeständen begründet ein jeder für den anderen den Rückfall, da ein jeder dieser Tatbestände einen Mißbrauch der Dienstgewalt darstellt. Bezüglich des „Rückfalls" vgl. § 13 MStrGB. • 2°) Dienstentlassung bezw. Degradation muß erkannt werden neben Gefängnis von mehr als einem Jahre, auf diese Ehrenstrafen kann erkannt werden neben Gefängnis bis zu einem Jahre, auf Dienstentlassung außer­ dem neben Festungshaft von mehr als einem Jahre. § 34 Abs. 1 Nr. 1 u. 2, Abs. 2 Nr. 2, § 40 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 Nr. 1 MStrGB. Auf Grund des Abs. 2 § 114 das. ist Dienstentlassung bezw. Degradation auch bei Festungshaft bis zu einem Jahre zulässig.

§ 115. (LG.bezw.8lG.8Z62i,45,15,16MStrGO.) Weri)durch2) Mißbrauch3) seiner Dienstgewalt oder seiner dienstlichen Stellung9) einen Untergebenen zu einet:4) von demselben begangenen/) mit Strafe be-

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Militär-Strafgesetzbuch für das Deutsche Reich.

drohten6) Handlung vorsätzlich7) bestimmt hat, wird als Thäters oder als Anstifter3) mit erhöhter Strafe") belegt. *) Als Täter kommen lediglich Personen des Soldatenstandes, welche Vorgesetzte sind, in Betracht; dem Beurlaubtenstande angehörige Vorgesetzte nur nach Maßgabe der §§ 6, 126 MStrGB. Bezüglich der Militärbeamten vgl. Note 1 zu § 114 MStrGB. !») Der Mißbrauch der Dienstgewalt oder der dienstlichen Stellung, durch den der Vorgesetzte den Untergebenen bestimmt hat (§ 115 MStrGB.) oder bestimmen wollte (§ 116 das.) ist aus dem Rahmen der Anstiftungs­ mittel des § 48 MStrGB. herausgehoben und im militärischen Interesse als selbständiges Delikt aufgestellt. 2) Der Entschluß des Täters, die Tat zu begehen, muß von dem Vor­ gesetzten durch Mißbrauch seiner Dienstgewalt oder seiner dienstlichen Stellung hervorgerufen sein. Wie bei der Anstiftung, so muß auch hier zwischen der Tat, der Bestimmung, ihrem Mittel und der demnächst begangenen Straftat des Untergebenen ein ursächlicher Zusammenhang bestehen. RG. II. 14. Mai 1901. E. 34,327 und die dort zit. Entsch. War der Untergebene bereits zu der Tat entschlossen, sei es auf Grund eigenen Entschlusses oder infolge der Anstiftung eines anderen, so kann er nicht nochmals zur Tat bestimmt werden. Die selbständige, vollendete Anstiftung durch mehrere, unabhängig voneinander handelnde Personen nacheinander zu der nämlichen Tat, ist nicht denkbar. RG. I. 7. Dez. 1885. E. 13,121, II. 16. April 1886. E. 14,92. Vgl. auch die Noten zu § 48 RStrGB. 3) Vgl. Note 2 und 6 zu § 114 MStrGB. Es kommen sowohl die direkten, wie die allgemeinen Vorgesetzten (Mißbrauch der dienstlichen Stellung) in Betracht. 3a) Der im Wachtdienst befindliche Untergebene verliert die Eigenschaft als Untergebener im Sinne des § 115 MStrGB. nicht. Vgl. Koppmann, Note 4 zu § 115 das. 4) Die Handlung, zu der der Vorgesetzte den Untergebenen bestimmt, muß eine konkret bestimmte sein; Aufforderungen allgemeiner Art genügen nicht. RG. III. 29. Nov. 1879. E. 1,110. RG. zit. Erk., E. 34,32? RMGer. III. 30. Juni 1903. E. 5,229. Die Beifügung einer Bedingung beseitigt nicht die Strafbarkeit der Aufforderung des Vorgesetzten. 5) Während § 116 MStrGB die Fälle der erfolglosen Anstiftung be­ handelt, bezieht sich § 115 das. auf die Fälle der gelungenen Anstiftung und setzt voraus, daß oer Untergebene die Handlung, zu welcher ihn der Vor­ gesetzte bestimmt hat, auch begangen hat; begangen ist aber eine strafbare Handlung nur dann, wenn alle Tatbestandsmerkmale, die objektiven wie die subjektiven, in der Person des Täters (Untergebenen) erfüllt sind. Wo gegen den Untergebenen nur der objektive, nicht aber der subjektive Tat­ bestand der strafbaren Handlung nachgewiesen ist, kann eine Verurteilung wegen Anstiftung aus § 115 MStrGB. nicht eintreten. In diesem Falle ist der Vorgesetzte rechtlich als Täter zu betrachten. RMGer. I. 22. Mai 1901. E. 1,147. Im übrigen genügt das Vorliegen eines strafbaren Versuches. RG. III. 15. März 1886. E. 14,19. Gleichgültig ist, ob die begangene strafbare Hand­ lung aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen (z. B. Tod, Abwesenheit des Untergebenen, Verjährung, Mangel des erforderlichen Strafantrags, Rück­ tritt vom Versuch usw.) nicht bestraft wird. 6) In Betracht kommen alle nach Militärstrafrecht oder sonstigem Reichs- und Landesstrafrecht strafbaren Handlungen, soweit sie sich nicht als Übertretungen darstellen. Es folgt dies daraus, daß die im § 115 MStrGB. vorgesehenen Delikte militärische Verbrechen und Vergehen sind, und sich unter den für letztere nach § 1 MStrGB. zulässigen Strafen, tbie Strasen

Zweiter Teil.

Einzelne Verbrechen und Vergehen.

§ 115.

159

für Übertretungen nicht befinden (Geldstrafe, Haftstrafe), ferner auch eine Erhöhung im Sinne des § 53 MStrGB. nur bei für Verbrechen und Ver­ gehen angedrohten Freiheitsstrafen eintreten kann. Anstiftung Untergebener zu Übertretungen durch Vorgesetzte ist daher lediglich nach § 48 RStrGB. strafbar. 7) Der dolus des Anstifters besteht in dem Willen, den Untergebenen zur Begehung einer konkreten Handlung zu bestimmen, und zwar in Kenntnis von deren Strafbarkeit; der dolus muß sich aus die Tat des Untergebenen in ihrem ganzen Umfange erstrecken. RG. II. 14. Juni 1881. E. 4,252, I. 17. Febr. 1887. E. 15,315, III. 9. Juli 1881. E. 4,367. Daß der Vorgesetzte die zu begehende Tat allen Einzelheiten ihrer konkreten Ausführung nach in sein Bewußtsein ausgenommen hat, ist nicht nötig; es greifen auch hier die Grundsätze des dolus eventualis Platz. RG. II. 8. Jan. 1895. E. 26,361. Der Vorgesetzte muß ferner das Bewußtsein des unbefugten Gebrauchs der Dienstgewalt oder der dienstlichen Stellung haben; 8 115-MStrGB. ist nicht anwendbar, wenn der Vorgesetzte sich zur Erteilung des Befehls für berechtigt hielt. RMGer. II. 8. April 1903. E. 5,33. 8) Durch die Vorschrift, daß der Vorgesetzte „als Täter oder Anstifter" zu bestrafen sei, hat das Gesetz die Möglichkeit ins Auge gefaßt, daß der Untergebene, der infolge der Einwirkung des Vorgesetzten dem Willen des­ selben entsprechend gehandelt hat, wegen Mangel des rechtswidrigen Vor­ satzes straflos bleibt, so daß der Vorgesetzte als Anstifter nicht angesehen werden kann. Vgl. oben Note 5. In diesen Fällen soll der Vorgesetzte die strafrechtliche Verantwortung so tragen, als ob er selbst der Täter sei; er ist zwar nicht physischer, aber doch mittelbarer — fingierter — Täter, der die Rechtswidrigkeit des Handelns für den dafür nicht verantwortlich zu machenden Untergebenen zu vertreten hat, und zwar auch in solchen Fällen, wo er selbst als unmittelbarer Täter die strafbare Handlung nicht hätte begehen können. RMGer. I. v. 22. Mai 1901. E. 1,Ü7. I. 14. April 1902. E. 2,284. 9) Vgl. § 48 RStrGB. und Note 5 oben. Während nach den Be­ stimmungen des § 48 RStrGB. eine Bestrafung des Mittäters wegen An­ stiftung zu der gemeinschaftlich begangenen Tat grundsätzlich ausgeschlossen ist (RG. IV. 31. Mai 1895. E. 27,273), hat § 115 MStrGB. den Mißbrauch der Dienstgewalt oder der dienstlichen Stellung des Vorgesetzten gegenüber dem Untergebenen aus dem Rahmen der im § 48 RStrGB. gegebenen Mittel der Anstiftung herausgehoben und mit Rücksicht auf militärische Verhältnisse und Interessen gegenüber den anderweiten Mitteln der An­ stiftung eines Untergebenen durch den Vorgesetzten gerade dieses Mittel nicht zu einem allgemeinen Straferhöhungsgrund, sondern zu einem selbst­ ständigen militärischen Delikte gestaltet, dessen Begehung auch neben der Bestrafung wegen der dem anstiftenden Vorgesetzten zur Last fallenden Teil­ nahmehandlung besonders geahndet werden soll. Es ist daher u. a. zwischen § 223 a RStrGB. und § 115 MStrGB., und zwischen § 100 MStrGB. und § 115 in Verbindung mit § 94 das. ideale Konkurrenz möglich. RMGer. I. 10. März 1902. E. 2,212,1.14. April 1902. E. 2,280. PE. III. Nr. 131. (Gerland, in KV. 1904 erblickt in § 115 MStrGB. nur einen allgemeinen, in den allgemeinen Teil des MStrGB. gehörenden Strafschärfungsgrund, bei dessen Vorliegen aus der Menge der Einzelfälle der § 100 bezw. 223 a eit. ein Sondersall als qualifizierter Tatbestand hervorgehoben wird; ein qualifizierter Fall könne aber mit dem einfachen Fall idealiter nicht konkurrieren.) 10) Erhöht wird die im Gesetz — sei es im MStrGB., sei es im sonstigen Reichs- oder Landesstrafrecht — für die Straftat, welche der Untergebene begangen hat, vorgesehene Strafe; beim Versuch ist dies die Strafe des Versuchs. Ist im Gesetz nach den persönlichen Eigenschaften oder Verhältnissen des Täters die Strafbarkeit einer Handlung erhöht und

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Militär-Strafgesetzbuch für das Deutsche Reich.

liegen diese besonderen Tatumstände bei dem Anstifter vor, sind sie demselben mithin gemäß § 50 RStrGB. zuzurechnen, so ist die beim Vorliegen dieser Tatumstände vorgesehene Strafe zu erhöhen; läßt ein Vorgesetzter einen Untergebenen durch einen Untergebenen mißhandeln, so trifft ihn, falls er als Täter zu bestrafen (vgl. Note 9 und 10 zu § 47 und Note 8 zu 8 115 MStrGB.) ist, die erhöhte Strafe wegen Mißhandlung eines Untergebenen, und wenn er als „Anstifter" zu erachten ist, die erhöhte Strafe des § 122 MStrGB. wegen Anstiftung zur Mißhandlung eines Untergebenen (§ 115 MStrGB.), unabhängig davon, ob der verletzte Untergebene gegen den als Täter in Betracht kommenden und aus §§ 223ff. RStrGB. zu beurteilenden Untergebenen Strafantrag gestellt hat oder nicht. Dasselbe gilt auch für die Fälle, in denen mehrere Untergebene durch den Vorgesetzten angestiftet werden, in gewolltem und bewußtem Zusammenwirken ihren Kameraden zu mißhandeln. Auch hier kommt für den Vorgesetzten § 115 in Verbindung mit § 122 MStrGB. in Betracht, nicht § 115 in Verbindung mit § 223 a RStrGB. Daran kann auch oer Umstand nichts ändern, daß § 223a RStrGB. mit seiner Maximalstrafe von fünf Jahren eine schwerere Strafe androht, als § 122 MStrGB. — drei Jahre —; denn infolge der durch § 115 vorgeschriebenen Straferhöhung beträgt die Maximalstrafe bei Heranziehung des § 122 a. a. O. sechs Jahre, während die erhöhte Strafe aus § 223a RStrGB. höchstens fünf Jahre betragen kann. Vgl. § 53 MStrGB. Es ist deshalb auch hier die Vorgesetztenqualität des zur Mißhandlung An­ stiftenden ein straferhöhender Umstand.

§ 116?*) (KG. bezw. i. F. StG. 88 62? 45, 16i MStrGO.) Weri) es unternimmt?) durch Mißbrauch feiner Dienstgewalt3) oder seiner dienstlichen Stellung einen Untergebenen zur Begehung einer mit Strafe bedrohten Handlung4) zu bestimmen, wird mit Freiheits­ strafe^) bis zu Einem Jahre bestraft. Vgl. Note la zu 8 115 MStrGB. 8 116 MStrGB. setzt voraus, daß die Anstiftung durch den Vorgesetzten erfolglos geblieben oder miß­ lungen ist; anderenfalls ist 8 115 a. a. O. anwendbar. 1) Vgl. Note 1 zu 8 115 MStrGB. 2) Vgl. über den Begriff des Unternehmens Note 2 zu 8 102 MStrGB. Das Unternehmen muß sich auf die Bestimmung zu einer konkreten straf­ baren Handlung richten: es kann auch in einer Aufforderung in bedingter Form bestehen, wenn lediglich die Ausführung (in bezug auf den Zeit­ punkt des Eintritts ihrer Voraussetzung) bedingt wird, der Wille selbst aber als unbedingt und in einer dem Tatbestände des 8 116 MStrGB. entsprechenden Weise geäußert ist. RMGer. zit. Erk. E. 5,229. Die Be­ stimmungen der 88 43 ff. RStrGB. finden auf 8 116 MStrGB. nicht An­ wendung. RMGer. III. 30. Juni 1903. E. 5,229. 3) Vgl. Note 2 und 6 zu 8 114 MStrGB. 4) Es kommen alle nach Militär- oder sonstigem Reichs- oder Land­ strafrecht strafbaren „Handlungen in Betracht, im Gegensatz zu 8 '115 MStrGB. auch die Übertretungen. Die Bestimmung muß eine konkrete Handlung zum Gegenstände haben. RMGer. zit. Erk. E. 5,229. 4a) Der dolus des anstiftenden Vorgesetzten muß sich auf die Tat des Untergebenen in ihrem ganzen Umfange erstrecken, insbesondere auch die subjektiven Momente mit umfassen; vgl. auch Note 7 zu 8 115 MStrGB. 5) Arrest von 1 Tag bis 6 bezw. 4 Wochen, strenger Arrest nur unter der Voraussetzung des Abs. 3 8 22 MStrGB., Gefängnis oder Festungs­ haft von 43 Tagen bis zu 1 Jahr. Wegen Dienstentlassung und Degra­ dation vgl. 8 34 Abs. 2 Nr. 2 und 8 40 Abs. 2 Nr. 1 MStrGB.

8 117.

Einzelne Verbrechen und Vergehen.

§§ 116,117.

161

(KG. bezw. i. F. StG. §§ 621, 45, 161 MStrGO.)

Ein

Zweiter Teil.

Vorgesetzter,4) welcher einen oder mehrere Untergebene mit Androhung?)

nachtheiliger Folgen oder durch andere widerrechtliche?) Mittel von dem Führens oder Verfolgen8) von Beschwerden4) abzuhalten8) sucht/)

oder eine an ihn vorschriftsmäßig 6) gelangte Beschwerde, zu Weiterbeförderung

oder

Untersuchung

er

verpflichtet8)

ist,

deren

unter­

drückt ^)^) oder zu unterdrücken versucht,8) wird mit Freiheitsstrafe") bis zu fünf Jahren bestraft; zugleich kann auf Dienstentlassung oder

Degradation erkannt werden. 1) Vgl. Note 7 zu § 47 und Note 1 zu § 115 MStrGB. 2) „Androhung nachteiliger Folgen" bedeutet jede Inaussichtstellung eines Übels. RMGer. I. 15. Febr. 1902. E. 2,in und II. 19. Okt. 1901. E. 2,37. Die Drohung muß wie jedes andere Mittel eine widerrechtliche sein, d. h. das Beschwerderecht in rechtswidriger Weise beschränken; bloßer Hinweis auf die Folgen einer unbegründeten Beschwerde (§ 152 MStrGB.) erfüllt dieses Tatbestandsmerkmal nicht, BO. 1. B.; II. 3; dagegen stellt die seitens eines Vorgesetzten erfolgende, bewußt rechtswidrige Zurück­ weisung einer Beschwerde, deren Entscheidung oder Weitergabe ihm ob­ liegt, ein rechtswidriges Mittel im Sinne des § 117 MStrGB. dar. Ein widerrechtliches Mittel „zum Abhalten von der Beschwerdeführung" kann auch die vom Vorgesetzten angewandte Überredung der Untergegebenen sein, wenn sie im Widerspruch zu militärischen Grundsätzen und Pflichten erfolgt; unter dieser Voraussetzung genügt auch vermöge des dienstlichen Ansehens des Vor­ gesetzten schon ein ausgesprochener Wunsch; dahin ist RMGer. II. 13. Sept. 1902. E. 3,245 zu beschränken. Solche Mittel können auch in der Zusicherung von Vermögensvorteilen oder Vorteilen anderer Art erblickt werden. RMGer. I. 4. Febr. 1904. E. 6,253. 3) In welcher Weise Beschwerde zu führen und zu verfolgen, bezw. Anzeige zu erstatten ist, bestimmen die Beschwerde-Ordnungen I und II v. 30. März 1895 und 14. Juni 1894 und § 151 MStrGO. 4) Beschwerde ist jede dienstliche Meldung eines, durch einen Vorgesetzten oder Kameraden erlittenen Unrechts; Nr. 1 der Beschwerde-Ordnungenlund II. Im weiteren Sinne gehört zur Beschwerde im Sinne des § 117 ferner jede Anzeige einer strafbaren Handlung eines Vorgesetzten oder Kameraden behufs strafrechtlicher Verfolgungen. RMGer. II. 13. Sept. 1902. E. 3,245. 5) Schon der erfolglose Versuch, den Untergebenen zu bestimmen, von der Anbringung seiner Beschwerde Abstand zu nehmen, erfüllt objektiv den Tatbestand des § 117 MStrGB. RMGer. II. 13. Sept. 1902. E. 3,245. Der Ausdruck „sucht" ist aber noch weitergehend, er ist gleichbedeutend mit unternimmt; über diesen Begriff vgl. Note 2 zu § 102 MStrGB. 6) Daß die Beschwerde den Vorschriften entsprechend an den Vorge­ setzten gelangt ist, wird nicht erfordert; vgl. Beschwerde-Ordnung IB Nr. 1 und II Nr. 3. Es genügt, daß der Vorgesetzte in irgend einer dienstlichen Form von der Beschwerde Kenntnis erhält und daß er zur Entgegennahme oer Beschwerde zuständig ist. Auch eine verfrühte Beschwerde kann für den Tatbestand des § 117 MStrGB. ausreichen, wenn z. B. der Vorgesetzte, den Irrtum des Beschwerdeführers über die richtige Zeit benutzend, die Wiederholung der Beschwerde vorsätzlich verkümmert. RG. I. 4. April 1887. E. 15,382. Unerheblich ist, ob der Vorgesetzte auch zur Entscheidung über die Beschwerde berufen ist. 7) Für den Begriff des Unterdrückens genügt jede Handlung, durch welche eine Beschwerde oer weiteren dienstlichen Behandlung entzogen wird. Herz u. Ernst, Strafrecht der Militärpersonen.

H

162

Militär-Strafgesetzbuch für das Deutsche Reich.

RG. I. 4. April 1887. E. 15,382. § 147 MStrGB. betrifft den Fall der dem Vorgesetzten obliegenden Meldung oder Verfolgung strafbarer Hand­ lungen, soweit sie nicht im Wege einer Beschwerde oder Anzeige, sondern in Anlaß der dem Vorgesetzten obliegenden Beaufsichtigung der Unter­ gebenen zur Kenntnis kommen. RG. I. 4. April 1887. E. 15,382. 8) Es müssen die Merkmale des Versuchs im Sinne des § 43 RStrGB. gegeben sein, es müssen also Handlungen vorliegen, welche den Anfang der Ausführung der Unterdrückung enthalten. Die Bestimmungen über den Rücktritt vom Versuch des § 46 RStrGB. greifen Platz; der Versuch ist im § 117 MStrGB. mit der Strafe der vollendeten Tat bedroht. 9) Subjektiv gehört zum Tatbestand: Vorsätzlichkeit der Handlung, der Wille, den Untergebenen von dem Führen oder Verfolgen der Beschwerde abzuhalten und das Bewußtsein von der Widerrechtlichkeit des Mittels. Dahin ist die Entscheidung des RMGer. II. 13. Sept. 1902. E. 3,245 zu be­ schränken. Fehlt es am Dolus, so kann ev. disziplinäre Ahndung eintreten. 10) Arrest von 1 Tag bis 6 bezw. 4 Wochen, strenger Arrest nur unter der Voraussetzung des Abs. 3 § 22 MStrGB., oder Gefängnis oder Festungshaft von 43 Tagen bis 5 Jahren. Dienstentlassung und Degraoation sind auch neben der Arreststrafe zulässig.

§ 118. (KG. §§ 62i, 45 MStrGO.) Wer*) vorsätzlich2) seine Strafbefugnisse3) überschreitet/) insbesondere wer wissentliche) unver­ diente oder unerlaubte Strafen4») verhängt/) wird mit Gefängniß8) bis zu fünf Jahren bestraft; zugleich kann auf Dienstentlassung er­ kannt werden. 1) § 118 MStrGB. findet nur aus Offiziere, denen Strafbefugnisse zustehen, Anwendung. Verstöße der Militärbeamten gegen § 118 MStrGB. sind nach den Strafvorschriften des 28. Abschn. des RStrGB. zu beur­ teilen. Auf Personen des Beurlaubtenstandes kommen §§ 6,126 MStrGB. zur Anwendung. 2) Ein Überschreiten der Strafbefugnisse setzt voraus, daß dem Strafenden eine Strafgewalt über den Bestraften überhaupt zusteht; ist letzteres nicht der Fall, so liegt der Tatbestand des § 120 MStrGB. vor. Das Überschreiten der Strafbefugnisse muß vorsätzlich erfolgen, d. h. der Vorgesetzte muß die Strafe verfügen mit dem Bewußtsein, daß er zur Ver­ hängung derselben in der ausgesprochenen Art oder Dauer nicht berechtigt ist. Eventualdolus genügt. Eine fahrlässige Überschreitung der Strafbefugnisse usw. ist nach § 118 MStrGB. nicht strafbar, wohl aber im Disziplinarwege. 3) In Betracht kommen nur die aus der Disziplinarstrafgewalt her­ vorgehenden Strafbefugnisse. Welche Strafbefugnisse dem. einzelnen mili­ tärischen Vorgesetzten zustehen, bestimmt DStO. und § 3 EG. z. MStrGB. 4) Der Vorgesetzte muß wissen, daß die Strafe unverdient (d. h. daß der Untergebene unschuldig oder minder schuldig), oder unerlaubt (d. h. daß die Strafe ihrer Art und Dauer nach — sei es überhaupt, sei es unter Berücksichtigung seiner Strafbefugnis — unzulässig) ist. 4a) Es handelt sich lediglich um solche Strafen, die in den Diszipli­ narstrafordnungen als solche aufgeführt sind, einschließlich der „kleineren Disziplinarstrafen". § 3 DStrO. Nicht dahin gehören Disziplinarmaß­ nahmen, welche im Interesse der Ausbildung oder Erziehung der Mannschaften usw. angewendet werden. Es fehlt diesen Maßnahmen der Charakter der Strafe, d. h. der Zufügung eines Übels. Vgl. Filitz, DStrO. für die Kaiser! Marine 1903. S. 6. Koppmann, Note 8 zu § 118.

Zweiter Teil. Einzelne Verbrechen und Vergehen.

§§ 118—120. 163

5) Vollendet ist das Delikt schon mit der Verhängung der Strafe und Bekanntgabe derselben an die Truppe, nicht erst mit der Voll­ streckung der Strafe. 6) Von 43 Tagen bis zu 5 Jahren. Die Dienstentlassung ist allge­ mein nach §§ 34 Abs. 2 Nr. 2 und 40 Abs. 2 Nr. 1 MStrGB. zulässig.

§ 119. (KG. §§ 62b 45 MStrGO.) Wer4) vorsätzlich2) einen gesetzwidrigen?) Einfluß3) auf die Rechtspflege4) ausübt/) wird mit Gefängniß b) bis zu fünf Jahren bestraft; zugleich kann auf Dienst­ entlassung oder Degradation erkannt werden. In minder schweren Fällens ist auf Festungshaft^) bis zu fünf Jahren zu erkennen. x) § 119 MStrGB. ist nur auf Personen des Soldatenstandes, und zwar auf Personen des Beurlaubtenstandes nur unter den Voraussetzungen des § 126 MStrGB. anwendbar. Bezüglich der Militärbeamten vgl. § 154 MStrGB. und Abschn. 28 RStrGB. 2) Die Handlung muß eine gesetzwidrige und vorsätzliche sein; gesetz­ widrig ist jeder Einfluß, der nicht durch das Gesetz oder sonstige Vorschriften dem Täter eingeräumt ist. Der Täter muß ferner vorsätzlich und nicht bloß fahrlässig handeln und sich der Unrechtmäßigkeit seines Handelns bewußt sein. Vorausgesetzt wird immer eine widerrechtliche Einwirkung auf die zur Ausübung der Rechtspflege berufenen Organe. Ern Vorgesetzter, der unter Mißbrauch seiner Drenstgewalt Untergebene zu bestimmen versucht, bei einer uneidlichen gerichtlichen Vernehmung günstig für ihn auszusagen, ist, sofern nicht weitere Tatbestandsmomente hinzutreten, aus § 114 und nicht aus § 119 MStrGB. zu bestrafen. RMGer. PE. VII. Nr. 36. 3) Der Einfluß kann auch von Personen ausgeübt werden, welche an der Rechtspflege beteiligt sind; stellt sich die Handlung als ein Verbrechen oder Vergehen im Amte dar, so werden die Bestimmungen des RStrGB. (vgl. insbes. §§ 341, 343, 344 das.) anwendbar; § 145 MStrGB. 4) In Betracht kommt nicht nur das militärgerichtliche Verfahren, sondern jede von Militärpersonen ausgeübte Rechtspflege, auch bei Mate­ rien des bürgerlichen Rechts. Beeinflussungen des ehrengerichtlichen Ver­ fahrens gegen Offiziere usw. gehören nicht hierher. 5) Ob der ausgeübte Einfluß den beabsichtigten Erfolg gehabt hat, ist für den Tatbestand des § 119 MStrGB. unerheblich. 6) Von 43 Tagen bis zu 5 Jahren. 7) Vgl. Note 19 zu § 58 MStrGB. 8) Von 43 Tagen bis zu 5 Jahren; neben Festungshaft von mehr als einem Jahre ist Dienstentlassung, Degradation nur im wiederholten Rückfall zulässig. §§ 34 Abs. 2 Nr. 1, § 40 Abs. 2 Nr. 2 MStrGB.

8 120. (KG. i. F. StG. §§ 624, 45, 161 MStrGO.) Wer*) unbefugt2) eine Handlung vornimmt, die nur kraft einer Befehlsbefugniß3) oder Strafgewalt4) vorgenommen werden darf, wird mit Freiheitsstrafe5) bis zu Einem Jahre bestraft. 1) Vgl. Note 1 zu § 119 MStrGB. 2) Vorausgesetzt ist, daß dem Täter eine Befugnis zur Befehlserteilung oder eine Strafgewalt im gegebenen Falle nicht zusteht und daß derselbe das Bewußtsein von der Unrechtmäßigkeit seines Handelns hat. Ein Irrtum des Täters über seine Befugnisse schließt den für den Tatbestand des Vergehens gegen § 120 MStrGB. erforderlichen Vorsatz aus. RMGer. I.

11*

164

Militär-Strafgesetzbuch für das Deutsche Reich.

19. Nov. 1903. E. 6,103. Fahrlässige Anmaßung einer Befehlsbefugnis oder Strafgewalt ist nach § 120 MStrGB. nicht strafbar, kann aber disziplinarisch geahndet werden. 3) Die Bestimmung des § 120 MStrGB. gewährt einen Rechtsschutz sowohl gegen Übergriffe Vorgesetzter in die Befehlsbefugnisse anderer Vor­ gesetzter, als auch gegen solche Personen des Soldatenstandes, die, ohne im Besitz einer Befehlsbefugnis zu sein, sich eine solche unter dem Scheine der Berechtigung beilegen. § 120 MStrGB. ist nur dann anwendbar, wenn an sich die in Frage stehende Handlung von einer mit der erforder­ lichen Befehlsbefugnis oder Strafgewalt ausgestatteten Person vorgenommen werden durfte. RMGer. I. 10. Sept. 1901. E. 1,273. I. 3. Aug. 1903. E. 5,284. Andernfalls kann § 121 MStrGB. in Frage kommen. Der Stubenälteste kann den Mannschaften der Stube nur Befehle in bezug auf die Stuben­ ordnung erteilen. Ein zu einer Rekruten-Abteilung als Exerziergefreiter kommandierter Gefreiter (Gemeiner) ist nur während des Exerzierdienstes Vorgesetzter der Rekruten und diesen gegenüber auch nur zu Befehlen mit Bezug auf diesen Dienst befugt. Erteilt ein Stubenältester oder Exerzier­ gefreiter außerhalb des Rahmens der ihm zustehenden Befehlsbefugnis den Mannschaften der Stube oder den Rekruten der Abteilung Befehle, die zwar an sich von einer mit der erforderlichen Befehlsbefugnis ausgestatteten Person erteilt werden könnten, so macht er sich der Anmaßung einer Befehls­ befugnis schuldig. RMGer. I. 1. Dez. 1902. E. 4,50. Die Befehlsbefugnis umfaßt an sich auch (z. B. beim Turnen) die Anordnung von Schemelstrecken. RMGer. zit. Erk. E. 4,50, PE. VI. Nr. 103. Die Anmaßung einer solchen Befugnis unterfällt somit dem § 120 MStrGB. Den Wachen gegenüber haben nur die Wachtvorgesetzten (vgl. § 111 MStrGB.) Befehlsbefugnis. Vorgesetzte, welche nicht Wachtvorgesetzte sind, machen sich nach § 120 MStrGB. strafbar, wenn sie einem Mitglied einer Wache in Kenntnis dieser Eigenschaft einen Befehl geben. RMGer. I. 18. Mai 1903. E. 5,129. Die Besorgung einer Angelegenheit, welche an sich lediglich privater Natur ist, kann durch die Art der Besorgung einen dienstlichen Charakter annehmen. Es ist dies der Fall, wenn.der Täter sich mit Genehmigung seines Vor­ gesetzten der Besorgung der Angelegenheit in seiner dienstlichen Eigenschaft aus Fürsorge für die Mannschaften unterzogen hat, oder wenn behufs Besorgung einer solchen Angelegenheit Beiträge von Mannschaften an einen Vorgesetzten in seiner dienstlichen Eigenschaft gezahlt und von diesem in gleicher Eigenschaft in Empfang genommen werden. Erteilt der Täter ohne Befugnis bezüglich einer solchen Angelegenheit Befehle, so kommt § 120 MStrGB. in Frage. RMGer. I. 13. Nov. 1903. E. 6,103. 4) Zum Begriff der Strafgewalt genügt es nicht, daß der Täter vor­ sätzlich eine Anordnung trifft, durch welche er einem Dritten ein Übel zufügt, so daß rein tatsächlich der Dritte eine Strafe erleidet; ebensowenig genügt die auf Bestrafung des Dritten gerichtete Absicht. § 120 erfordert die Vornahme einer Maßregel, welche ein objektiv zulässiges Strafmittel i. S. der Disziplinarstrafordnung ist, welches überhaupt von einem zu­ ständigen Vorgesetzten zulässigerweise an sich als Disziplinarstrafe verhängt werden darf. Nur dann übt er unbefugterweise ein derartiges, ihm nicht zustehendes Recht aus. Trifft der Täter andere Maßnahmen, so kommt nicht § 120 MStrGB., sondern nur § 121 das. in Frage, und zwar auch dann, wenn der Täter die Absicht der Bestrafung hatte und die getroffene Maßregel für den Dritten tatsächlich ein Übel enthielt. Es gehört hierher sowohl der Fall, daß der Täter überhaupt eine Disziplinarstrafgewalt nicht hat, als auch der Fall, daß dem Täter zwar eine solche Strafgewalt zusteht, jedoch nicht gegenüber demjenigen, gegen den er sie ausübt. 5) Arrest von 1 Tag bis 6 bezw. 4 Wochen, strenger Arrest nur im Falle des Aos. 3 § 22 MStrGB., Gefängnis, Festungshaft von 43 Tagen

Zweiter Teil.

Einzelne Verbrechen und Vergehen.

§ 121.

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bis zu einem Jahre. Hinsichtlich der Dienstentlassung und Degradation vgl. §§ 34, 40 MStrGB.

§ 121. (KG. bezrv. StG. §§ 62/ 45/ 161 MStrGO.) Weri) einen Untergebenen beleidigt?) oder einer vorschriftswidrigen Behand­ lung 3) desselben sich schuldig macht, wird mit Freiheitsstrafe^) bis zu zwei Jahren bestraft?) Ist die Beleidigung eine verleumderische, so tritt Gefängniß 6) bis zu fünf Jahren ein. 1) Vgl. Note 1 zu § 114 MStrGB. und über den Begriff des Vor­ gesetzten Note 7 zu § 47 MStrGB. Den Vorgesetzten stehen gleich die Wachen § 125 MStrGB. Auf Militärbeamte ist § 121 MStrGB. selbst im Felde nicht anwendbar. § 153 MStrGB. 2) Vgl. Note 4 zu 8 91 MStrGB. Die im § 121 MStrGB. vor­ gesehene Beleidigung teilt die allgemeinen Voraussetzungen der Strafbar­ keit mit den gemeinstrafrechtlichen Beleidigungen. §§ 185 ff. RStrGB. RMGer. I. 14. Mai 1902. E. 3,36. Die Anwendbarkeit der §§ 199, 200, 233 RStrGB. ist ausgeschlossen. RMGer. Plen.-Beschl. v. 17. Mai 1901. E. 1,134. A. A. Gerland vgl. Note 9 zu § 193 RStrGB. Die im § 121 MStrGB. vorgesehene Beleidigung des Untergebenen durch den Vorgesetzten ist stets als ein Mißbrauch der Dienstgewalt auf­ zufassen; so lange ein Mißbrauch der Dienstgewalt nicht vorliegt, kann auch von keiner Beleidigung die Rede sein. Ob ein Mißbrauch der Dienstgewalt vorliegt, ist nicht bloß Tat-, sondern auch Rechtsfrage, die nach militär­ dienstlichen Grundsätzen zu beantworten ist. Als militärdienstlicher Grund­ satz ist es anzusehen, daß seitens der Vorgesetzten ihren Untergebenen gegen­ über in allen Fällen, wo durch das Verhalten des Untergebenen die mili­ tärische Disziplin gefährdet erscheint und wo es sich darum handelt, die soldatische Ehre zu wecken und zu stärken, die nachdrücklichsten, schärfsten Rügen und Vorhaltungen am Platze sind, daß dieselben aber niemals in rohe Schimpfreden ausarten dürfen, sowie ferner, daß der Vorgesetzte bei solchen Rügen und Vorhaltungen die Ehre des Untergebenen nicht in einer Art und Weise angreifen darf, durch welche der Untergebene ohne Not in den Augen anderer kompromittiert werden muß. RMGer. I. 2. Juni 1902. E. 3,84. Auf § 121 MStrGB. findet § 193 RStrGB. keine Anwendung. Zum Tatbestände der Beleidigung im Sinne des § 121 MStrGB. genügt in subjektiver Beziehung das Bewußtsein des Täters, daß die Kundgebung geeignet ist, die Ehre des anderen zu kränken. Der gute Glaube des Täters, seine Dienstgewalt nicht zu überschreiten, kann ihn nicht schützen. RMGer. I. 2. Juni 1902. E. 3,84. (Vgl. auch I. 10. Juni 1901. E. 1,i?8.) Den Aus­ führungen dieses Urteils kann im wesentlichen zugestimmt werden, nament­ lich auch dahin, daß § 193 RStrGB. keine Anwendung findet, wohl aber der Grundsatz, daß eine objektiv beleidigende Äußerung nicht rechtswidrig und damit nicht strafbar ist, wenn sie kraft des dem Vorgesetzten zustehen­ den Rechts (oder seiner Aufsichts- und Rügepflicht) erfolgt. Vgl. Note 4 zu § 91 MStrGB. Überschreitet hierbei der Vorgesetzte die Grenzen seiner Dienstgewalt, so wird er aus § 121 MStrGB. strafbar. Über diese Grenzen der Dienstgewalt lassen sich feste, für alle Fälle ausreichende Regeln nicht aufstellen. Immerhin muß sich der Vorgesetzte stets vor Augen halten, daß auch die an sich zulässigen, schärfsten Rügen und Vorhaltungen nicht in rohe Schimpfreden ausarten und nicht ohne Not die Ehre des Üntergebenen in einer den letzteren kompromittierenden Art und Weise angreifen dürfen.

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Soweit hierbei militärdienstliche Vorschriften oder militärische Grundsätze in Frage kommen, unterliegen sie der Nachprüfung durch das Revisionsgericht; § 403 MStrGO. Beleidigungen, welche seitens eines Postens gegen Vorgesetzte in ihrer Allgemeinheit ausgesprochen werden, sind nach §91, nicht nach §121 MStrGB. zu ahnden. RMGer. PE. I. Nr. 120. Ein Gendarm, welcher in oder bei Gelegenheit der Ausübung eines Dienstes sich der Beleidigung einer Zivilperson schuldig macht, ist nicht auf Grund der §§ 185 ff. NStrGB., sondern auf Grund des § 121 MStrGB. zu bestrafen. Die Verfolgung einer nach § 121 MStrGB. strafbaren Be­ leidigung ist unabhängig von dem Strafantrage des Verletzten. RMGer. I. 10. Febr. 1902. E. 2,193. § 51 MStrGB. § 121 MStrGB. bezweckt nicht nur den Schutz der Untergebenen, sondern auch die Wahrung der Autorität des Vorgesetzten; für die Strafbarkeit, des letzteren ist das etwaige Einver­ ständnis des Untergebenen mit dem Übergriffe bedeutungslos. RMGer. VI. 29. März 1902. E. 2,239. 3) Eine vorschriftswidrige Behandlung im Sinne des § 121 MStrGB. ist zunächst jede den Dienstvorschriften zuwiderlaufende Behandlung. Unter Dienstvorschrift ist hier nicht nur eine schriftliche oder mündlich ausdrücklich gegebene, allgemeine oder spezielle Dienstvorschrift zu verstehen, sondern auch eine solche, welche aus einem miltärdienstlichen Grundsätze zu entnehmen ist. RMGer. I. 10. Juni 1901. E. l,i?8. Die vorschriftswidrige Behandlung setzt demnach das Bestehen dienst­ licher Vorschriften nicht voraus. Es ist in vielen Fällen überhaupt nicht möglich, die Behandlung des Untergebenen seitens des Vorgesetzten durch positive Vorschriften zu regeln. In Ermangelung einer speziellen Vorschrift muß daher die Frage nach dem Vorliegen einer vorschriftswidrigen Be­ handlung im einzelnen Falle aus der Stellung und den Aufgaben des Vor­ gesetzten, den Zwecken oes militärischen Dienstes im allgemeinen, speziell der Aufrechterhaltung der Disziplin, und des im konkreten Falle in Frage kommenden im besonderen, den zur Erreichung dieser Zwecke zulässigen Mitteln, den an die Untergebenen in berechtigter Weise zu stellenden An­ forderungen, deren Leistungsfähigkeit und ähnlichen, der Natur des mili­ tärischen Berufs zu entnehmenden Gesichtspunkten beantwortet werden. Die Aufrechterhaltung der Disziplin kann, auch abgesehen von dem § 124 MStrGB., ein Handanlegen an den Untergebenen rechtfertigen. RMGer. II. 30. Sept. 1903. E. 6,55, I. 29. Mai 1901. E. 1,16? u. II. 25. Jan. 1902. E. 2,179. Objektiv liegt eine vorschriftswidrige Behandlung ferner in der Anwendung von Mitteln, welche das persönliche Ehrgefühl des Untergebenen zu kränken geeignet sind und ihn in der persönlichen Freiheit in einer seine Person gefährdenden Weise beraubten; z. B. Anbinden eines Rekruten auf das Pferd. RMGer. II. 13. Sept. 1902. E. 3,241. Nicht jeder lediglich ungeeignete Ausdruck aber stellt sich als vor­ schriftswidrige Behandlung, und nicht jede unerhebliche tätliche Berührung als Beleidigung dar; bei der Beurteilung solcher Fälle ist der Erhaltung des Geistes militärischer Zucht und Ordnung Rechnung zu tragen. ACO. v. 31. Juli 1877. Die Order will lediglich der Berücksichtigung einer über­ triebenen Empfindlichkeit auf feiten des Untergebenen entgegentreten, be­ zweckt aber nicht, den Rechtsbegriff der Beleidigung für die Fälle des § 121 MStrGB. irgendwie einzuschränken. Nach einem allgemeinen militärischen Grundsätze darf der Untergebene nicht beschränkt werden in seinem persönlichen Verkehr mit seinem Vor­ gesetzten, vorausgesetzt, daß diejenige militärische Form gewahrt werde, welche als unerläßlich für diesen Verkehr vorgeschrieben ist. Der Versuch, diesen Verkehr zu beschränken (z. B. durch Drohung) ist eine vorschrifts­ widrige Behandlung rm Sinne des § 121 MStrGB.

Zweiter Teil.

Einzelne Verbrechen und Vergehen.

§ 121.

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Im übrigen bilden in Ermangelung besonderer Vorschriften oder all­ gemeiner militärischer Grundsätze für die vorschriftsmäßige Behandlung in letzter Linie die Bestimmungen der Strafgesetze die Grenze, innerhalb welcher der Vorgesetzte zur Erreichung des vorgeschriebenen Zweckes dem Untergebenen gegenüber vorgehen darf. RMGer. I. 12. Dez. 1901. E. 2,90. Die Heranziehung eines Unteroffiziers zu körperlicher Arbeitsleistung gemeinschaftlich mit seinen Untergebenen kann eine vorschriftswidrige Be­ handlung enthalten, sofern nicht durch die „begleitenden Umstände (Be­ schleunigung der Arbeit, Gefahr im Verzüge, Üblichkeit der Beteiligung der Unteroffiziere an solcher Arbeit in der Truppe) das Verletzende einer solchen Maßnahme beseitigt wird. RMGer. II. 30. Nov. 1901. E. 2,82. Anfassen des Untergebenen entgegen einem ausdrücklichen dienst­ lichen Verbot enthält den Tatbestand der vorschriftswidrigen Behandlung. RMGer. II. 12. Aug. 1901. E. 1,257. § 121 MStrGB. bezweckt, auch be­ züglich der vorschriftswidrigen Behandlung nicht nur den Schutz der Unter­ gebenen, sondern auch die Wahrung der Autorität des Vorgesetzten. Für die Strafbarkeit des letzteren ist somit das etwaige Einverständnis des Untergebenen mit dem Übergriffe bedeutunglos. RMGer. II. 29. März 1902. E. 2,240. Eine vorschriftswidrige Behandlung kann auch durch eine Unterlassung begangen werden; eine solche liegt z. B. vor, wenn der Vorgesetzte seiner Pflicht, einen unter seinem Kommando stehenden Untergebenen, gegen welchen in seiner Gegenwart strafbare Handlungen begangen werden, zu schützen nicht nachkommt; erfüllt der Vorgesetzte diese Pflicht nicht, so ist ein etwa außer ihm noch anwesender dienstälterer Vorgesetzter — sofern seine eigene Machtvollkommenheit nicht ausreicht, um den Untergebenen zu schützen — verpflichtet, darauf hinzuwirken, daß der dienstjüngere Vorgesetzte dieser ihm obliegenden Pflicht nachkommt. RMGer. I. 17. Febr. 1902. E. 2,212. Für den subjektiven Tatbestand wird das Bewußtsein, den Unter­ gebenen vorschriftswidrig zu behandeln, nicht erfordert. Es genügt, wenn die vom Beschuldigten vorgenommene Handlung oder Unterlassung eine Nicht­ anwendung der nach den konkreten Umständen gebotenen Sorgfalt und Um­ sicht, eine Nichterfüllung desjenigen Maßes von Aufmerksamkeit und von Beobachtung der ihm obliegenden Pflichten in sich schließt, deren Leistung von dem Vorgesetzten billigerweise verlangt werden kann, so daß er, wenn er nach Maßgabe seiner Intelligenz und Erfahrung diese pflichtmäßige Sorgfalt angewandt hätte, er den eingetretenen rechtswidrigen Erfolg als Wirkung seiner Handlung oder Unterlassung hätte voraussehen können. Die vorschriftswidrige Behandlung kann also auch fahrlässig begangen werden. RMGer. I. 29. Mai 1901. E. 1,167, II. 25. Jan. 1902. E. 2,179, II. 13. Sept. 1902. E. 3,241, PE. III. Nr. 132. Immer ist aber eine vorschriftswidrige Behandlung nur dann strafbar, wenn den Täter ein strafbares Verschulden trifft, wenn er also entweder vorsätzlich oder doch fahrlässig gehandelt hat. RMGer. I. 10. Juni 1901. E. 1,i?8. Handelt es sich um eine lediglich gegen ein ausdrückliches dienstliches Verbot begangene vorschriftswidrige Be­ handlung, so gehört zum objektiven Tatbestände der Nachweis, daß der Täter dies Verbot gekannt hat. RMGer. II. 12. Aug. 1901. E. 1,257, oder die Unkenntnis selbst durch Fahrlässigkeit verschuldet hat; § 59 Abs. 2 RStrGB. 4) Arrest von einem Tage bis sechs Wochen bezw. vier Wochen, strenger Arrest nur im Falle des Abs. 3 § 22 MStrGB., Gefängnis oder Festungs­ haft von 43 Tagen bis zu zwei Jahren. Wegen Dienstentlassung und Degradation vgl. §§ 34, 40 MStrGB. 5) Im Falle des Abs. 1 des § 121 MStrGB. ist in leichteren Fällen Disziplinarbestrafung zulässig; § 3 Abs. 2 EG. z. MStrGB. 6) Von 43 Tagen bis zu fünf Jahren.

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§ 122. (KG. § 62? 45 MStrGO.) SEer1) vorsätzlich-) einen Untergebenen-») stößt oder schlägt?) oder auf andere Weise körperlich mißhandelt3) oder an der Gesundheit beschädigt?) wird mit Ge­ fängniß3) oder Festungshaft3) bis zu drei Jahren bestraft?) in minder schweren Fällens kann die Strafe bis auf Eine Woche3) Arrest er­ mäßigt werden. Auch kann?) im wiederholten Rückfälle^) muß neben Gefängniß oder Festungshaft, auf Dienstentlassung oder Degradation erkannt werden. 1) Vgl. Note 1 zu §114; Note 7 zu § 47 MStrGB. 2) Erfordert wird Vorsätzlichkeit der Handlung, verbunden mit dem Bewußtsein, daß durch die Handlung das körperliche Wohlbefinden gestört werden könne. RMGer. II. 25. Jan. 1902. @. 2,179; RG. I. 9. Nov. 1893. E. 24,369; vgl. Note 3. Dolus eventualis, d. h. das Wissen des Täters, daß der Erfolg, von dem das Gesetz die Strafbarkeit abhängig macht, durch seine Handlung herbeigeführt werden könne, vorausgesetzt, daß er mit diesem Erfolge einverstanden ist, genügt; einer Absicht zu verletzen usw. bedarf es nicht. RMGer. II. 25. Jan. 1902. E. 2,179; II. 28. Juni 1902. E. 3,119. Der Mangel des Bewußtseins, daß die Handlung das körperliche Wohlbefinden stören könne, schließt den Dolus aus. RMGer. zit. Erk. E. 2,179. 2a) Die gegen Zivilpersonen, sowie gegen Kameraden verübten Miß­ handlungen unterfallen — vorbehaltlich der §§ 29, 55, 127, 133, 136, 148, 149 MStrGB. — den Strafbestimmungen des RStrGB. 3) Das MStrGB. hat den Begriff der Mißhandlung nicht abweichend von dem durch das RStrGB. aufgestellten Begriff der Körperverletzung bestimmen wollen. RMGer. PlB. 19. Mai 1901. E. 1,134. „Mißhandeln" besagt nichts anderes, als ein „Behandeln, wie es nicht sein sollte", ein unangemessenes, schlimmes, übles Behandeln; aus dem Worte „körperlich" geht hervor, daß das Objekt einer solchen Behandlung der Körper eines Menschen sein muß. Körperliche Mißhandlung ist jede Vorsätzliche und unberechtigte Einwirkung auf den Körper eines anderen von nicht ganz unerheblicher Art, durch welche objektiv eine nicht unwesent­ liche Störung des körperlichen Wohlbefindens hervorgerufen wird. RG. II. 18. Mai 1888. R. 10,40?; II. 16. April 1889. E. 19,36; IV. 11. April 1889. E. 32,113; I. 2. Juli 1896. E. 29,58. RMGer. II. 25. Jan. 1902. E. 2,179; I. 29. Jan. 1904. E. 6,230. PE. II. Nr. 163. Die Störung muß von einer gewissen Erheblichkeit sein; Störung des Geruchs- oder Geschmack­ sinns genügt nicht. Daß die objektiv als eine Störung des Wohl­ befindens sich darstellende Einwirkung dem Betroffenen zum Bewußtsein kommt, daß sie einen Eindruck auf das Empfindungsvermögen des Objekts macht, Schmerz verursacht, ist nicht nötig. RG. II. 16. April 1889. E. 19,136; RMGer. I. 29. Jan. 1904. E. 6,230; II. 30. Jan. 1904. E. 6,243. Das im Gesetz erwähnte „Stoßen" und „Schlagen" sind nur Exempli­ fikationen der Mißhandlung; der Sinn des Gesetzes ist: Wer vorsätzlich einen Untergebenen durch Stoßen oder Schlagen oder auf andere Weise körperlich mißhandelt usw. Stoßen und Schlagen ist nach § 222 MStrGB. nur dann strafbar, wenn es sich als eine körperliche Mißhandlung im obigen Sinne oarstellt; nicht jede, wenn auch unerhebliche Berührung des Körpers, welche äußerlich in der Form eines Stoßes oder Schlages erfolgt, ist etwa schon aus diesem Grunde als eine Mißhandlung im Sinne des § 122 MStrGB. anzusehen. Erforderlich ist vielmehr, daß das Schlagen

Zweiter Teil.

Einzelne Verbrechen und Vergehen.

§ 122.

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und Stoßen in Wahrheit als ein unangemessenes, übles Behandeln des Untergebenen sich darstellt. Vgl. ACO. v. 31. Juli 1877. RMGer. zit. Erk. E. 6,243. Liegt eine Mißhandlung im Sinne des § 122 cit. nicht vor, so stellt das Stoßen und Schlagen nur eine vorschriftswidrige Behandlung oder eine Beleidigung dar. RMGer. PE. II. Nr. 163. Ob eine körperliche Mißhandlung zugleich eine Beleidigung enthält, hängt beim Vorliegen der objektiven Voraussetzungen beider Tatbestände von der inneren Willensrichtung des Täters ab. RMGer. zit. Erk. E. 6,243. Die Bajonettiervorschrift für die Infanterie v. 10. Jan./24. April 1901 AVBl. S. 161 ff. gibt dem Fechtlehrer das Recht, zum Zwecke der Aus­ übung seiner Lehrtätigkeit gegen den Fechtschüler Stöße zu führen und den­ selben Damit zu treffen. Tritt hierbei eine körperliche Verletzung des untergebenen Fechtschülers durch den vorgesetzten Fechtlehrer ein, so erscheint der Fechtlehrer nur dann strafbar aus § 122 MStrGB., wenn festgestellt wird, daß er bei der Unter­ weisung des Untergebenen in bewußter Weise die Grenzen eines maßvollen und vernünftigen Stoßens und Treffens des Schülers überschritten hat. RMGer. II. 21. Nov. 1903. E. 6,113. Die Einwirkung auf den Körper eines anderen kann auch eine mittel­ bare sein; die Mißhandlung kann z. B. dadurch verübt weroen, daß der Untergebene durch rechtswidrigen Befehl veranlaßt wird, selbst etwas sich zuzusügen, was oie Störung seines Wohlbefindens zur Folge hat, z. B. Stehenlassen eines Untergebenen in der Kniebeuge längere Zeit hindurch. RMGer. II. 28. Juni 1902. E. 3,119. Unberechtigt aber ist jede Einwirkung, welche nicht durch das Gesetz (§ 124 MStrGB., §§ 53, 54 RStrGB., Ge­ setz über den Waffengebrauch des Militärs) oder durch einen militär­ dienstlichen Grundsatz zugelassen ist. Einen militärdienstlichen Grundsatz, der dem Vorgesetzten gestattet, die Aufmerksamkeit des Untergebenen durch Schläge zu erwecken, gibt es nicht. RMGer. II. 25. Jaw. 1902. E. 2,179. § 122 MStrGB. umfaßt den Tatbestand der §§ 223, 223 a RStrGB. (Gesetzes-Konkurrenz); es ist daher Jdealkonkurrenz zwischen beiden Vor­ schriften ausgeschlossen und es finden gegen Vorgesetzte, zu denen auch Gendarmen bei Ausübung ihres Dienstes gegenüber Zivilpersonen zu rechnen sind, die §§ 122, 123 MStrGB. unter Ausschluß der Strafvor­ schriften des RStrGB., insbesondere des § 228 RStrGB. Anwendung; vgl. § 10 MStrGB., RMGer. I. 26. Nov. 1903. E. 6,125. PE. IV. Nr. 147; VI. Nr. 104; PlB. 17. Mai 1902. E. 1,134, welcher §§ 231, 233 MStrGB. neben § 122 MStrGB. für unanwendbar erklärt. A. M. Gerland und Beling a. a. O. vgl. Note 1 zu 8 188 RStrGB. Wird im Falle des § 122 MStrGB. die Mißhandlung mittels eines rechtswidrigen Gebrauchs einer Dienstwaffe (vgl. Note 8 zu 8 55 und 8149 MStrGB.) begangen, so liegt ideale Konkurrenz des 8 122 mit 8 149 MStrGB. vor; bei Annahme eines minder schweren Falles darf aber das Strafminimum des 8 149 das. — 43 Tage Gefängnis oder Festungshaft — nicht überschritten werden. RMGer. I. 12. Juli 1901. E. 1,126. III. 9. Okt. 1902. E. 2,24. Ist in diesem Falle die Tat in Ausübung des Dienstes ver­ übt, so ist 44 Tage Gefängnis oder Festungshaft der Mindestbetrag der Strafe. Bei Mißhandlung verschiedener Personen durch verschiedene Einzel­ akte liegt kein sog. fortgesetztes Delikt vor. Ebenso genügt der „einheit­ liche" Entschluß, die sämtlichen Rekruten zu schlagen, nicht. RMGer. PE. IV. Nr. 156. Vgl. 8 73 MStrGB. 4) Als Beschädigung der Gesundheit stellt sich nur diejenige Störung bezw. Verschlechterung des körperlichen oder geistigen Befindens dar, welche in einer Krankheit oder in einer Verschlimmerung einer Krankheit besteht. RGer. I. 26. Mai 1889. E. 19,226.

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Militär-Strafgesetzbuch für das Deutsche Reich.

5) Von 43 Tagen bis zu drei Jahren. 6) Die Strafverfolgung der im § 122 MStrGB. vorgesehenen straf­ baren Handlung ist von einem Strafantrag nicht abhängig; § 51 MStrGB. 7) Für die Voraussetzung eines minder schweren Falles kommen nicht bloß die objektiven, sondern auch die subjektiven Momente der Straftat in Betracht. RMGer. I. 14. Febr. 1901. E. 1,53, vgl. auch Note 19 zu § 58 MStrGB. 8) Bei Annahme eines minder schweren Falles ist der Strafrahmen eine Woche bis sechs bezw. vier Wochen Arrest (strenger Arrest nur im Falle des Abs. 3 § 22 MStrGB.) oder Gefängnis oder Festungshaft von 43 Tagen bis zu drei Jahren. Eine Woche sind sieben Tage; § 19 RStrGB. Bei Anwendung des § 55 MStrGB. ist auf acht Tage Arrest zu erkennen. 9) Die Ehrenstrafen des Abs. 2 des § 122 MStrGB. können nicht nur neben Gefängnis oder Festungshaft erkannt werden, sondern auch, wenn unter Annahme eines minder schweren Falles auf Arrest erkannt wurde. RMGer. PE. VI. Nr. 148. 10) Vgl. § 13 MStrGB.

§123. (KG. §§62i, 45 MStrGO.) Ist durch die Handlung i) eine schwere Körperverletzung2) des Untergebenen verursacht3) worden, so tritt Zuchthaus ^) bis zu fünf Jahren, in minder schweren Fällen^) Gefängniß oder Festungshaft von sechs Monaten bis zu fünf Jahren ein. War die schwere Körperverletzung beabsichtigt und eingetreten, so ist aus Zuchthaus von zwei bis zu zehn Jahren zu erkennen. Ist durch die Körperverletzung (§ 122) der Tod des Untergebenen verursacht0) worden, so tritt Zuchthaus7) nicht unter drei Jahren, in minder schweren Fällen Gefängniß oder Festungshaft7) nicht unter Einem Jahre ein.8)9) 1) Vgl. § 122 MStrGB. 2) Der Deliktsbegriff ist dem RStrGB. zu entnehmen. RMGer. Plen.Beschl. 17. Mai 1901. E. 1,134. Vgl. § 224 RStrGB. Eine schwere Körper­ verletzung liegt vor, wenn die Körperverletzung zur Folge hat, daß der Verletzte ein wichtiges Glieds des Körpers, das Sehvermögend) auf einem oder beiden Augen, das Gehöre), die Sprache oder die Zeugungsfähigkeit verliert, oder in erheblicher Weise dauernd entstelltd) wiro, oder in Siech­ tum«), Lähmungk) oder Geisteskrankheit§) verfällt^). 3) Ein Verschulden des Vorgesetzten ist nicht erforderlich, es kommt

a) Als Glied kommt nur ein solcher Teil des Körpers in Betracht, der eine in sich abgeschlossene Existenz mit besonderer Funktion im Gesamt­ organismus hat. RG. I. 7. März 1881. R. 3,126. Ob ein Glied wichtig ist, entscheidet das Wertverhältnis, in welchem dasselbe zu dem Gesamtorganismus steht, ohne Rücksicht auf die im kon­ kreten Falle durch den Verlust verursachten Folgen. RG. II. 9. Juni 1882. R. 4,551. E. 6,346. III. 19. Sept. 1902. E. 35,2. Der Verlust zweier Glieder des rechten Zeigefingers ist nicht als Verlust eines wichtigen Gliedes des Körpers zu betrachten. RG. III. 4. Juni 1883. R. 5,403. Die Annahme, daß die beiden äußersten Glieder des Daumens ein wichtiges Glied des Körpers sind, ist nicht rechtsirrtümlich. RG. III. 19. Sept. 1902. E. 35,?. Es muß wirklicher Verlust des Gliedes, nicht nur Unbrauchbarkeit eingetreten sein. RG. I. 15. Nov. 1880. E. 3,33.

Zweiter Teil.

Einzelne Verbrechen und Vergehen.

§ 123.

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lediglich auf den kausalen Zusammenhang der Tat mit dem eingetretenen Erfolg an. RG. III. 28. Sept. 1881. R. 3,546. E. 5,29. Daß der Eintritt des Erfolges vom Täter vorausgesehen werden konnte, wird nicht erfordert. RG. III. 19. Sept. 1902. E. 35,2. 4) Zuchthaus von einem bis zu fünf Jahren. 5) Vgl. Note 7 zu § 122, Note 19 zu § 58 MStrGB. 6) Auch hier kommt es lediglich auf den Erfolg an. Vgl. das zit. Erk. des RG. zu Note 3. 7) Gefängnis, Festungshaft von 1 Jahre bis zu 15 Jahren, Zuchthaus von 3 bis zu 15 Jahren. 8) Alle drei Absätze des § 123 MStrGB. enthalten straferhöhende Umstände zu § 122 MStrGB. im Sinne der §§ 318, 323, 326 MStrGO. b) Der Begriff des Sehvermögens ist wesentlich tatsächlich. Die Un­ tauglichkeit des Auges zu praktischer Arbeit bei auch noch so schwacher Funktion des Sehens, stellt einen Verlust des Sehvermögens nicht dar. RG. IV. 4. Mai 1886. R. 8,342. E. 14,ii8. Auch eine erst in Aussicht stehende Erblindung genügt nicht. RG. I. 25. März 1886. E. 14,4. Verlust des Sehvermögens liegt auch dann vor, wenn die Möglichkeit offen gelassen ist, die Sehkraft des Auges durch Operation wiederherzustellen. RG. II. 6. März 1895. E. 27,so. 0) Es muß der Verlust des Gehörs auf beiden Ohren vorliegen, falls der Verletzte nicht schon auf einem Ohr taub war. d) Für den Begriff der Entstellung wie der Lähmung wird erfordert, daß dieselbe die Gesamterscheinung des Menschen, bezw. die Bewegungs­ fähigkeit im ganzen beeinträchtigt; Lähmung oder Entstellung eines Gliedes genügt allein nicht. RG. III. 1. Febr. 1882. R. 4,102. Die erhebliche Ent­ stellung verliert diese Eigenschaft nicht durch die Möglichkeit, sie durch künst­ liche Mittel zu verdecken. RG. II. 1. Okt. 1886. R. 8,573. E. 14,344. e) Der Begriff des Verfallens in Siechtum erfordert einen chronischen Krankheitszustand, welcher, den gesamten Organismus des Verletzten er­ greifend, eine erhebliche Beeinträchtigung des Allgemeinbefindens, ein Schwinden der Körperkräfte, Hinfälligkeit zur Folge hat, und dessen Heilung — wenn er auch nicht unheilbar zu sein braucht — überhaupt oder doch der Zeit nach sich nicht bestimmen läßt. RG. II. 13. Jan. 1888. R. 10,32. III. 9. April 1885. R. 7,221. E. 12,127. k) Vgl. das unter d Gesagte. „Verfallen in Lähmung" erfordert, daß die Lähmung eingreifende Bewegungsstörungen für den Gesamtorganismus zur Folge hat. Die Beschränkung oder völlige Aufhebung der Gebrauchs­ fähigkeit irgend eines Gliedes genügt nicht. RG. I. 25. Sept. 1884. R. 6,565. I. 23. Febr. 1882. R. 4,189. Lähmung erfordert die Unfähigkeit, einen be­ stimmten Bewegungsapparat des Körpers zu denjenigen Bewegungen zu gebrauchen, für welche er von Natur eingerichtet ist; aber nicht jede der­ artige Unfähigkeit reicht zur Annahme einer Lähmung im Sinne des § 224 RStrGB. aus; es muß vielmehr die Störung einer wichtigen Funktion in dem Bewegungsapparate des Körpers, eine wesentliche, erhebliche Beein­ trächtigung der Bewegungsfähigkeit vorliegen. Nicht erforderlich ist, daß die Krankheit unheilbar, es genügt ein lange andauernder Krankheitszustand, dessen Beseitigung sich entweder gar nicht oder doch der Zeit nach nicht bestimmen läßt. RG. I. 8. Dez. 1890. E. 21,223. k?) Daß die Geisteskrankheit eine unheilbare sei, wird nicht erfordert. RG. I. 29. Okt. 1883. R. 5,649. h) In dem Ausdruck „verfallen" liegt, daß es sich um zur Zeit des Urteils noch nicht abgeschlossene, d. h. um solche Krankheitszustände handelt, bezüglich deren nicht mit Sicherheit feststeht, ob sie überhaupt jemals be­ seitigt werden können und in welcher Frist das geschehen wird.

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Militär-Strafgesetzbuch für das Deutsche Reich.

9) Wegen Entfernung aus dem Heere, Dienstentlassung und Degrada­ tion vgl. §§ 31, 34, 40 MStrGB.

§ 124. Diejenigen Handlungen*), welche der Vorgesetztes begeht^), um einen thätlichen Angriffs) des Untergebenen abzuwehren^), oder um seinen Befehlen im Fall der äußersten Noth und dringendsten Gefahr Gehorsam zu verschaffen8), sind nicht als Mißbrauch der Dienstgewalt anzusehen. Dies gilt namentlich auch für den Fall, wenn ein Offizier in Ermangelung anderer Mittel, den durchaus nothwendigen Gehorsam zu erhalten, sich in der Lage befunden hat, gegen den thätlich sich ihm widersetzenden Untergebenen von der Waffe Gebrauch zu machen.7)8) Es sind nur die in §§ 121—123 MStrGB. nutet Strafe gestellten Handlungen in bezug genommen. Persönliches Handeln des Vorgesetzten ist nicht erforderlich, es kann die Handlung auch auf Befehl des Vorgesetzten durch einen Untergebenen ausgeübt sein, der wie der Vorgesetzte als Werk­ zeug desselben straflos bleibt. 2) Bezüglich der subjektiven Anwendbarkeit des § 124 MStrGB. vgl. Note 1 zu 8 114 und § 125 MStrGB. Über den Begriff des Vorgesetzten vgl. Note 7 zu 8 47 MStrGB. 8 124 MStrGB. findet auch Gendarmen gegenüber Anwendung. RMGer. PE. III. Nr. 133. Desgleichenmilitärischen Wachen. 8 125 Abs. 2 MStrGB. Auf Militärbeamte bezieht sich 8 124 MStrGB. nicht; auf Personen des Beurlaubtenstandes nur unter den Vor­ aussetzungen der 88 6, 126 MStrGB. 3) Vgl. Note 4 zu 8 97 MStrGB. Der Angriff muß ein rechtswidriger und gegenwärtiger sein; 8 53 RStrGB. Unter den Begriff des tätlichen Angriffs fallen auch eine unmittelbare Gefahr begründende Drohungen; Koppmann Note 5 zu 8 124 MStrGB. Hur Anwendung letzterer Vorschrift genügt auch ein putativer tätlicher Angriff; auch hier muß der Täter sich auf diejenige Verteidigung beschränken,„welche objektiv zur Abwehr des ver­ meintlichen Angriffs erforderlich ist. Überschreitet der Täter dieses Maß, so ist er nur dann straflos, wenn er infolge eines tatsächlichen Irrtums Die gewählte Art der Verteidigung für geboten erachtete. RMGer. I. 7. Okt. 1901. E. 2,21. 4) Überschreitet der Vorgesetzte vorsätzlich die Grenzen der Abwehr, so liegt Mißbrauch der Dienstgewalt vor. 5) Die Feststellung, daß der Vorgesetzte sich zur Begehung der Tat (Gebrauch der Waffe) für berechtigt und verpflichtet gehalten hat, schließt den strafrechtlichen dolus und damit die Strafbarkeit selbst aus. RMGer. II. 20. April 1901. E. l,9i. Vgl. auch Note 6 z. d. 86) Vorausgesetzt für die zweite Alternative des Abs. 1 des 8 124 MStrGB. wird das Vorliegen eines Befehls in Dienstsachen (bei einem Dienstbefehl kann ein Fall äußerster Not usw. nicht in Frage kommen), diesem Befehle muß der Untergebene den Gehorsam (passiv oder ausdrücklich) hartnäckig verweigert haben und es muß ein Fall der äußersten Not und (kopulativ) der dringendsten Gefahr vorliegen. Erst dann kann von einem außerordentlichen Notstände gesprochen werden, welcher es im Interesse der Aufrechterhaltung der Ordnung und der Beseitigung drohender Gefahr für die Disziplin dem Vorgesetzten zur Pflicht macht, die Befolgung seines Befehls um jeden Preis durchzusetzen. Die Tatsachen, aus denen auf die äußerste Not und dringendste Gefahr geschlossen wird, sind festzustellen. RMGer. II. 20. April 1901. E. 1,91. I. 19. Jan. 1903. E. 4,137. „Äußerste

Zweiter Teil. Einzelne Verbrechen und Vergehen. §§ 124,125.

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Not" bezieht sich auf die dem Vorgesetzten gegebenen Mittel, sich Gehorsam zu verschaffen. Unter dringendster Gefahr ist nicht eine nur „drohende", sondern vielmehr eine solche zu verstehen, durch welche, sei es die Disziplin, sei es die Person des Vorgesetzten, unmittelbar gefährdet erscheint. RMGer. zit. Erk. E. 4,137. Liegt ein Fall äußerster Not und dringendster Gefahr objektiv nicht vor, so kann der Glaube des Vorgesetzten, trotzdem zum Gebrauche der Waffe berechtigt zu sein, demselben nicht zugute kommen, wenn der Vorgesetzte den Rechtsbegriff der äußersten Not und dringend­ sten Gefahr verkennt, wenn derselbe also unter diesem Begriffe etwas anderes versteht, als was das Gesetz damit gemeint hat. Der Glaube, zum Ge­ brauche der Waffe berechtigt zu sein, kann dem Vorgesetzten nur dann zu­ gute kommen, wenn derselbe irrtümlicherweise das Vorliegen derjenigen tatsächlichen Voraussetzungen annimmt, welche, lägen ste in Wirklichkeit vor, einen Fall der äußersten Not und dringendsten Gefahr im Sinne des Ge­ setzes begründen würden. Der Glaube des Vorgesetzten, daß auch solche anderen Tatsachen ihn zum Gebrauche der Waffe berechtigen, welche den Begriff eines Falles äußerster Not uno dringendster Gefahr rechtlich nicht erfüllen, schützt den Vorgesetzten nicht, einerlei, ob solche Tatsachen objektiv vorliegen oder nur irrtümlicherweise als vorliegend angenommen werden. RMGer. PE. VI. Nr. 105. Abs. 1 des § 124 MStrGB. gibt jedem Vor­ gesetzten (auch Unteroffizier, Wachen, Feldgendarmen usw.) unter den vor­ stehenden Voraussetzungen das Recht des Gebrauchs der Waffe. 7) Abs. 2 des § 124 MStrGB. enthält eine spezielle Vorschrift für Offiziere; zur Anwendbarkeit des Abs. 2 des § 124 das. gehört, daß oie Erhaltung des Gehorsams durchaus notwendig war, daß andere Mittel, als eine der in §§ 121—123 MStrGB. vorgesehenen Handlungen, um den Gehorsam zu erzwingen, nicht vorhanden stnd und daß oer Untergebene sich tätlich dem Vorgesetzten widersetzt; § 97 MStrGB. Bloßer Ungehorsam oder Gehorsamsverweigerung genügt nicht. Daß äußerste Not und drin­ gendste Gefahr besteht, braucht im Falle des Abs. 2 des § 124 MStrGB. nicht besonders festgestellt zu werden. Beide Tatumstände liegen nach ge­ setzlicher „Präsumtion vor, wenn der Tatbestand des Abs. 2 gegeben ist. «) Über das Notwehrrecht der Militärpersonen vgl. Note 1 zu Abschn.V MStrGB.

§ 125. Eine militärische Wache/) welche eine der in den §§ 114 bis 116, 118 bis 123 bezeichneten Handlungen?) begeht, wird ebenso bestraft, als wenn ein Vorgesetzter?) diese Handlung begangen hätte. Ist die Handlung gegen eine solche Person begangen, die außer dem

Dienstverhältnisse der Wache deren Vorgesetzter?) ist, so tritt erhöhtes Strafe ein. Die in dem § 124 enthaltene Vorschrift findet

auch hier An­

wendung?) x) Vgl. Abs. 2 § 111 MStrGB. Vorausgesetzt wird auch hier, daß die militärische Wache in Ausübung des Dienstes begriffen und als militärische Wache äußerlich erkennbar ist. Vgl. auch Note 11 zu § 111 MStrGB. 2) § 125 MStrGB. begreift auch die Fälle in sich, in denen eine der bezeichneten Handlungen gegen eine Zivilperson begangen wird; letztere wird als Untergebener aufgefaßt. Die dienstliche Stellung der Wachen als Vor­ gesetzter hat allen Militärpersonen gegenüber Geltung, unabhängig von dem Range derselben, soweit diese Personen nicht Wachtvorgesetzte der Wache find.

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Militär-Strafgesetzbuch für das Deutsche Reich.

3) Vgl. Note 7 zuZ 47 und Note 5 zu § 89 MStrGB. 4) Gegen solche Vorgesetzte ist auch die Wache zur Leistung der militärischen Achtung verpflichtet; verstößt sie gegen diese Pflicht, so ist sie mit erhöhter Strafe — die aus § 122 MStrGB. zu entnehmen ist — zu belegen. 5) Vgl. § 53 MStrGB. Wird die Handlung von der Wache gegen einen Wachtvorgesetzten begangen, so finden die Vorschriften des VI. Ab­ schnitts MStrGB. betreffend die Handlungen gegen die Pflichten der mili­ tärischen Unterordnung Anwendung. v) Das Recht, im Falle des Abs. 2 § 124 MStrGB. von der Waffe Gebrauch zu machen oder machen zu lassen, steht nur dem die Wache kommandierenden Offizier zu.

§ 126. Eine Person des Beurlaubtenstandes *) wird, auch während sie sich nicht im Dienste?) befindet, nach den Vorschriften dieses Abschnitts bestraft, wenn sie eine der in demselben vorgesehenen strafbaren Hand­ lungen im dienstlichen Verkehre3) mit dem Untergebenen oder in der Militäruniform4) begeht/) 1) Vgl. Note 1 zu Z 6 MStrGB. 2) Bezüglich der Frage, wann sich eine Person des Beurlaubtenstandes im Dienste befindet, vgl. Note 2 zu 8 6 MStrGB. Ist dies der Fall, so kommen die Vorschriften des VII. Abschnitt ohne Einschränkung zur An­ wendung. 3) Vgl. Note 3 zu 8 113 MStrGB. 4) Vgl. Note 4 zu 8 113 MStrGB. 5) Ob der Untergebene dem aktiven Heer (Marine) oder dem Be­ urlaubtenstande angehört, ist unerheblich.

Achter Abschnitt.

Widerrechtliche Handlungen im Felde gegen Personen oder Eigenthum. § 127. Begehti) eine Person des Soldatenstandes?) im Felde3) einen Diebstahl,4) eine Unterschlagung/) eine Körperverletzung3) oder ein Verbrechen oder Vergehen wider die Sittlichkeit/) so ist die Ver­ folgung der strafbaren Handlung unabhängig von dem Anträge des Verletzten oder einer anderen zum Anträge berechtigten Person/) x) 8 127 MStrGB. findet ferner Anwendung auf Militärbeamte (8 153 MStrGB.), das Gefolge des kriegführenden Heeres (§§ 155, 157 das.) und auf Kriegsgefangene, die unter den Kriegsgesetzen stehen (88 158, 159 Nr. 4 MStrGB.). 2) Vgl. Note 2 zu 84 MStrGB. 3) Vgl. 8 9 und 10 MStrGB. Strafantrag ist auch dann nicht er­ forderlich, wenn die Bestrafung nicht mehr „im Felde" erfolgt. 4) Die Deliktsbegriffe des Diebstahls, der Körperverletzung usw. sind dem RStrGB. zu entnehmen. RG. III. 27. März 1884. E. 10,330 und RMGer. Plen.-Beschl. 17. Mai 1901. E. 1,134. Vgl. 8 242 RStrGB. Bei Übertretungen gegen 8 370 Nr. 5 RStrGB. ist Strafantrag erforderlich. b) Vgl. 8 246 RStrGB.

Zweiter Teil. Einzelne Verbrechen und Vergehen.

§§ 126—128. 175

6) Vgl. §§ 223, 230 RStrGB. 7) Vgl. §§ 172, 179, 182 RStrGB. 8) Vgl. 88 60, 61 RStrGB.

§ 128. (KG. i. F. StG. 88 62i, 45/ i6i MStrGO.) Wer i) im Feldes um Beute8) zu machen/) sich von der Truppe eigenmächtig entfernt/) oder Sachen, welche an sich dem Beuterecht unterworfen sind/) eigenmächtig?) zur Beute macht, wird mit Freiheitsstrafe8) bis zu drei Jahren bestraft; zugleich kann auf Versetzung in die zweite Klasse des Soldatenstandes8) erkannt werden. Gleiche Strafe trifft denjenigen, welcher rechtmäßig von ihm erbeutetes Gut/o) das er abzuliefern verpflichtet ist,11) sich rechtswidrig zueignet. ^) 1) Auch Militärbeamte und das Gefolge des Heeres (88 153, 155, 157 MStrGB.) können sich des unerlaubten Beutemachens schuldig machen. 2) Vgl. 88 9, 10 MStrGB. 3) Das gegenwärtige Kriegsvölkerrecht kennt ein Beuterecht, d. h. ein Recht auf Aneignung feindlichen Eigentums, soweit nicht eine Aneignung durch die Kriegsnotwendigkeit und die Kriegführung begründet ist, nicht mehr. Aneignungen feindlichen Vermögens sind durch oie Kriegführung und die Kriegsnotwenoigkeit, um den Gegner dadurch zu schwächen, kriegs­ rechtlich zulässig, aber lediglich als Kriegsführungsmittel, nicht als Ausfluß des mit der unserigen Zeit nicht mehr vereinbaren Raubrechts der Beute. Im vorstehenden Sinne ist der Begriff des Beuterechts im 8 128 MStrGB. zu verstehen. Unbewegliches Staatseigentum verfällt nicht mehr als Beute, es kann jedoch benutzt, wenn es den Kriegsinteressen entspricht, zerstört im übrigen verwertet werden. Bewegliches Staatseigentum kann sich der Sieger ohne weiteres aneignen; kann er es nicht in Sicherheit bringen, ist er zur Zerstörung und Vernichtung berechtigt. Hierher gehören öffentliche Kassen, Waffen, Munitionsvorräte, Magazine, Transportmittel, der Krieg­ führung dienende Lebensmittel usw. Ausgenommen sind alle Gegenstände, oie der Kultur, dem Unterricht, den Wissenschaften und den Künsten, der Wohltätigkeit und der Krankenpflege dienen. Das Eigentum der Kirchen, Schulen, Bibliotheken, Museen, Armen- und Krankenhäuser ist daher zu schützen. Unbewegliches Privateigentum ist nicht Gegenstand der Beute. Bewegliches Privateigentum des besiegten Gegners ist, soweit es in Waffen, Pferden und militärischen Ausrüstungsgegenständen besteht, der Aneignung durch den siegenden Kämpfer unterworfen. Beutepferde sind gegen Prämien an die Pferdedepots abzugeben. Im übrigen ist das Privat­ eigentum des Feindes als unverletzlich anerkannt. Dies schließt aber nicht die Beschlagnahme und Wegnahme solcher Gegenstände aus, die unbeweg­ liches Privateigentum, doch zugleich als Kriegsmittel anzusehen sind; z. B. Magazine von Lebensmitteln, Waffenvorräte in Fabriken, Depots von Pferden, Wagen, Verkehrsmitteln, Fahrrädern, Automobilen, Fern­ gläsern usw. Vgl. Lueder, Landkriegsrecyt, 8 116 (Band IV des Völker­ rechts von v. Holtzendorff) und Kriegsgebrauch, S. 57 ff. (31. Heft der kriegsgesch. Einzelschriften, herausgegeben vom Gr. Generalstab). Im Seekriege unterliegt das Privateigentum feindlicher Untertanen auf feindlichen Schiffen unbeschränkt dem Seebeuterecht. Vgl. Perels, Internat. Seerecht 1902. 8 36.

Militär-Strafgesetzbuch für das Deutsche Reich.

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Das Recht der Beute, d. h. die Befugnis feindliches Staats- und Privateigentum durch Aneignung zu erwerben, ist dem Staate vorbe­ halten. Strafrechtlich maßgebend sind lediglich die von dem kriegführenden Staate gegebenen Vorschriften. Der Staat wird durch den obersten Kriegs­ herrn vertreten. Gibt dieser keine besonderen Vorschriften, so richtet sich die Befugnis zum Erlaß von entsprechenden Befehlen nach der dem ein­ zelnen Truppenführer erteilten Vollmacht. Abstrakte Regeln lassen sich hierbei nicht aufstellen. Jeder Befehlshaber wird im einzelnen Falle zu prüfen haben, wie weit seine Vollmacht reicht. Jedenfalls ist ein Beute­ machen zu persönlichen Zwecken ausgeschlossen. Mangels besonderer Vorschriften kommen event, die rechtlichen Be­ stimmungen der Landesgesetze in Betracht, z. B. Abschnitt 5 ALN. I. 9. Danach sind als Beute zu betrachten das bewegliche feindliche Staats­ eigentum, namentlich Waffen, Kriegs- und Mundvorräte. Das Eigentum feindlicher Untertanen, die weder zur feindlichen Armee gehören, noch der­ selben folgen, kann nur auf Grund ausdrücklicher Erlaubnis des Befehls­ habers der Truppen zur Beute gemacht werden. 4) Daß Beute gemacht wurde, ist nicht erforderlich. 5) Eigenmächtig ist ;ede bewußt rechtswidrige, d. h. ohne Erlaubnis des Vorgesetzten erfolgende Entfernung von der Truppe; gleichgültig ist, ob an sich der Truppe ein Beuterecht gewährt war und ob der Täter be­ absichtigte, lediglich dem Beuterecht unterworfene Objekte zu erbeuten. 6) Vgl. Note 3 oben. Rechtswidrige Zueignung von Sachen, auf die das Beuterecht nicht ausgedehnt ist, fällt nicht unter § 128 MStrGB. Vgl. aber § 129 MStrGB., §§ 242 ff., 249 ff., 253 RStrGB. „ 7) Eigenmächtig ist jedes ohne Erlaubnis oder in Überschreitung einer erteilten Erlaubnis des Vorgesetzten erfolgende Beutemachen an dem Beuterecht unterworfenen Sachen. 8) Arrest von einen Tag bis sechs bezw. vier Wochen, strenger Arrest nur nach Maßgabe des Abs. 3 § 22 MStrGB., Gefängnis oder Festungs­ haft von 43 Tagen bis zu drei Jahren. 9) Versetzung in die 2. Kl. des Soldatenstandes ist auch neben Arrest und Festungshaft zulässig. Gegen Offiziere kann auch auf Entfernung aus dem Heere erkannt werden; § 31 Abs. 3 MStrGB. Wegen Dienstentlassung und Degradation vgl. §§ 34, 40 MStrGB. 10) Rechtmäßig erbeutet ist ein Gut, das dem Beuterecht unterworfen und das — nach erteilter Erlaubnis des zuständigen Vorgesetzten zum Beutemachen — erbeutet ist. n) Völkerrechtlich wird alle Beute dem Staat erworben; dieser kann in besonderen Befehlen durch seine Vertreter (vgl. Note 3 oben) bestimmen, welche Beutegegenstände dem Erbeutenden eigentümlich verbleiben. 12) Über die gesetzlichen Merkmale der Unterschlagung an sich vgl. § 246 RStrGB., § 138 MStrGB.

§ 129.

Der Plünderung *) macht sich schuldig, wer2) im Felde9)

unter Benutzung des Kriegsschreckens4) oder unter Mißbrauch seiner militärischen Ueberlegenheit4)

1) in der Absicht rechtswidriger Zueignung9) eine Sache der Landes­

einwohner9) offen7) wegnimmt9)9) oder denselben abnöthigt/)9) oder 2) unbefugt ^) Kriegsschatzungen") oder Zwangslieferungen *2) erhebt oder das Maß der von ihm vorzunehmenden Requisitionen^)

Zweiter Teil.

Einzelne Verbrechen und Vergehen.

§ 129.

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überschreitet, wenn dies des eigenen Vortheils wegen ge­ schieht.^)^15)16) x) Während beim eigenmächtigen Beutemachen der Regel nach den aum feindlichen Heere oder dessen Gefolge gehörenden Personen oder dem im Felde getöteten Feinde bewegliche Sachen abgenommen werden, bilden bei der gemeinstrafrechtlich als Diebstahl, Raub oder Erpressung sich darstellenden Plünderung alle anderen Personen in Feindes- oder Freundes­ land das Objekt der Tat. (Mot. 107). 2) Vgl. Rote 1 zu § 128 MStrGB. 3) Vgl. §§ 9 und 10 MStrGB. Unter den Voraussetzungen dieser Bestimmung kann die Plünderung auch in Deutschland oder in einem ver­ bündeten Staate begangen werden. Vgl. auch 8 136 MStrGB. 4) Es sind dies stets festzustellende Tatbestandsmerkmale. Soweit der Kriegsschrecken oder der Mißbrauch der militärischen Überlegenheit die Landesemwohner zum Verlassen ihrer Wohnungen veranlaßt hat, kann die Tat auch in verlassenen Wohnungen usw. begangen werden. 5) Der Wille des Täters muß darauf gerichtet sein, an den fremden, weggenommenen Sachen mit Ausschluß des Berechtigten die gesamten Be­ fugnisse auszuüben, wie sie der Eigentümer kraft seines Eigentumsrechts ausübt. Vgl. auch RG. IV. 10. März 1885. E. 12,88; er muß die Absicht haben, den Berechtigten dauernd von der Jnnehabung und dem Gebrauche der Sache auszuschließen und sie ihrer Substanz nach in die eigene Ver­ fügungsgewalt zu überführen. Wegnahme zum vorübergehenden Gebrauch erfüllt nicht die Absicht rechtswidriger Zueignung. Diese Absicht muß bei der Wegnahme bestehen; tritt sie erst nach der Wegnahme hinzu, so liegt ev. Unterschlagung vor. 6) In Betracht kommen nur bewegliche Sachen. Erfordert wird, daß die Sache im fremden Eigentum steht; herrenlose Sachen (88 958ff. BGB.; eine bewegliche Sache wird herrenlos, wenn der Eigentümer in der Absicht, auf das Eigentum zu verzichten, den Besitz der Sache aufgibt) sind nicht Gegenstand der Plünderung; daß die Sachen im Eigentum der Landes­ einwohner stehen, denen sie fortgenommen wurden, ist nicht nötig. Die Sache kann auch Staatseigentum oder Eigentum eines Dritten sein, der Landeseinwohner muß sie nur im Besitz — tatsächlicher Gewalt — haben. 7) Die Handlung — und zwar die Wegnahme wie die Abnötigung — muß „offen" geschehen, d. h. der Täter darf die Tat nicht absichtlich der Wahrnehmung ourch andere entziehen oder zu entziehen suchen. Erfolgt die Wegnahme usw. offen, so liegt ein rein militärisches Delikt vor uno es sind lediglich 88 129—131 MStrGB. anwendbar; auch beim Vorliegen des mit schwererer Strafe bedrohten Tatbestandes der 88 243, 244, 249 ff., 253 ff. RStrGB. ist die Anwendung dieser Strafbestimmungen, soweit nicht 8 136 MStrGB. sie vorschreibt, ausgeschlossen. (Gesetzeskonkurrenz.) Fehlt das Tatbestandsmerkmal „offen", so greifen, soweit nicht 8 138 MStrGB. Anwendung findet, die Bestimmungen des RStrGB. (88 242ff., 249 ff., 253) Platz. 8) Unter Wegnahme ist die Aufhebung der tatsächlichen Gewalt (Ge­ wahrsam) eines anderen über eine Sache (vgl. 88 864ff. BGB.) unter gleich­ zeitiger eigener Erwerbung dieser Gewalt zu verstehen. Bei der Abnötigung wird diese Gewalt mit dem Willen des Inhabers der tatsächlichen Gewalt übertragen, der Wille desselben ist aber durch Kriegsschrecken, Mißbrauch der militärischen Überlegenheit, Drohung mit Gewalt usw. erzwungen. Er­ folgt die Abnötigung durch Gewalt an der Person, so wird 8133 MStrGB. anwendbar. Herz u. Ernst, Strafrecht der MUitärpersonen.

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Militär-Strafgesetzbuch für das Deutsche Reich.

9) Der Dolus besteht in dem Wissen und Wollen der gesamten Tat­ bestandsmerkmale ; dazu gehört vor allem das Bewußtsein der Rechtswidrig­ keit der Zueignung. 10) Unbefugt, d. h. bewußt rechtswidrig, ohne Ermächtigung des hier­ zu berechtigten Vorgesetzten. n) Kriegssckatzungen sind zwangsweise Erhebungen von Geldbeträgen von Gemeinden des besetzten Landes. Sie sind völkerrechtlich nur gestattet als Ersatz von Steuern, als Ersatz für die von der Bevölkerung zu ge­ währenden Naturalleistungen durch Zwangslieferungen und als Strafe. Vgl. Kriegsbrauch S. 63. Sie können nur von höheren Offizieren verhängt und sollen unter Mitwirkung der Landesbehörden erhoben werden. 12) Unter Zwangslieferung versteht man die Zwangsaneignung ge­ wisser für das kriegführende jpeet nötiger Gegenstände; z. B. von Aus­ rüstungsstücken, Fourage, Proviant, Waffen usw. 13) Requisitionen sind Beitreibungen von Bedürfnissen jeder Art für einzelne Truppenteile im Wege der Zwangsenteignung durch die Kriegs­ gewalt. 14) Das Tatbestandsmerkmal der gewinnsüchtigen Absicht bezieht sich auch auf unbefugte Kriegsschatzungen usw. Fehlt die gewinnsüchtige Ab­ ficht, so ist nur Disziplinarbestrafung zulässtg. Daß eine Bereicherung des Täters tatsächlich stattgefunden hat, ist nicht erforderlich. 15) Androhung oder Anwendung von Gewalt ist zum Tatbestand des § 129 Nr. 2 MStrGB. nicht nötig. Liegt Anwendung von Gewalt gegen die Person vor, so greift § 133 MStrGB. Platz. 16) Der Versuch der Plünderung im Sinne der §§ 129,131 MStrGB. ist nicht strafbar.

§ 130. Als eine Plünderung ist es nicht anzusehen, wenn die Aneignung4) nur auf2) Lebensmittels) Heilmittel, Bekleidungsgegen­ stände, Feuerungsmittel, Fourage oder Transportmittel sich erstreckt und nicht außer Verhältniß zu dem vorhandenen Bedürfnisse4) steht.3)

4) Unter Aneignung ist jede der im § 129 MStrGB. vorgesehenen Arten des Erwerbes zu verstehen. Ob die Aneignung unter Bedrohung mit Gewalt oder mit Gewalt gegen eine Person erfolgte, ist unerheblich und macht die Aneignung nicht strafbar. Im Falle des Abs. 1 des § 129 cit. muß die Aneignung „offen" geschehen (vgl. Note 7 zu § 129 MStrGB.) andernfalls kommt § 138 MSlrGB. bezw. §§ 242, 249 ff., 360 Nr. 5 RStrGB. (vgl. auch § 51 MStrGB.) zur Anwendung. Das Vorliegen eines Notstandes (§ 54 RStrGB.) schließt auch im letzteren Falle das Vor­ handensein einer strafbaren Handlung aus. 2) Die Aufführung der folgenden Sachen ist erschöpfend nicht beispiels­ weise; die Wegnahme anderer Sachen ist als Plünderung bezw. Diebstahl, Raub usw. strafbar. 3) Nach den Motiven gehören dazu auch Genußmittel, wie Tabak, Wein, welche nur bei einzelnen Lebensbedürfnisse bilden. 4) Der Täter ist nicht auf die Befriedigung seines eigenen Bedürfnisses beschränkt; er darf auch, sofern er nicht gewinnsüchtig handelt, dem Be­ dürfnisse seiner Truppe und Kameraden Rechnung tragen. 5) § 130 MStrGB. bezieht sich nur auf Fälle der Plünderung im Sinne der §§ 129, 131, 133, nicht auf die Delikte der §§ 132, 134, 135 MStrGB. § 131. (KG. §§ 62 4, 45 MStrGO.) Die Plünderung wird mit Gefängniß4) bis zu fünf Jahren und mit Versetzung in die zweite

Klasse des Soldatenstandes bestraft.2)

Zweiter Teil. Einzelne Verbrechen und Vergehen.

§§ 130—133.

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4) Gefängnis von 43 Tagen bis zu fünf Jahren. 2) Wegen Dienstentlassung und Degradation vgl. §§ 34 und 40 MStrGB. Wegen Strafschärfung § 136 MStrGB. § 132. (KG. i. F. StG. §§ 62 \ 45, 161 MStrGO.) Boshaftes oder muthwillige^) Verheerung2) oder Verwüstung?) fremder8) Sachen im ^elbe4)5) wird mit Freiheitsstrafe8) bis zu zwei Jahren (KG. §§62i, 65 MStrGO.) in schweren Fällens der Plünderung gleich8) bestraft.

1) Dadurch wird auch zum Ausdruck gebracht, daß die Handlung eine vorsätzliche, rechtswidrige sein muß; die Rechtswidrigkeit wird dadurch aus­ geschlossen, daß der militärische Zweck — die Kriegsraison — die Handlung erfordert. Es gilt die Regel: „Es darf kein Schaden, auch nicht der kleinste, angerichtet werden, der nicht aus militärischen Gründen angerichtet werden mußte; es darf jeder, auch der größte Schaden zugefügt werden, den die Kriegführung verlangt oder in naturgemäßem Verlauf mit sich bringt." Kriegsbrauch S. 53. 2) Verheerung und Verwüstung ist die Beschädigung oder Zerstörung im größeren Umfange. Die körperliche Unversehrtheit der Sachen muß aufgehoben sein. Unbedeutende Beschädigung einer Sache erfüllt den Tat­ bestand nicht. 3) Erfordert werden fremde, d. h. im (Staats- oder Privat-) Eigen­ tum eines anderen stehende bewegliche oder unbewegliche Sachen. Stehen solche im Eigentum eines Deutschen oder des Angehörigen eines verbündeten Staates, so ist § 136 MStrGB. anwendbar. 4) Vgl. §§ 9 und 10 MStrGB. 5) Als Täter kommen außer den Personen des Soldatenstandes, auch Militärbeamte, das Gefolge des kriegführenden Heeres und Kriegsgefangene in Betracht; §§ 153, 155—158 MStrGB. 6) Einen Tag bis sechs bezw. vier Wochen Arrest, strenger Arrest nur unter der Voraussetzung des Abs. 3 § 22 MStrGB., Gefängnis oder Festungshaft von 43 Tagen bis zu zwei Jahren. Wegen Degradation und Dienstentlassung vgl. §§ 34, 40 MStrGB. 7) Vgl. Note 19 zu § 58 MStrGB. Ist beim Vorliegen eines schweren Falles Gewalt gegen die Person verübt worden, so kommt § 133 und § 136 MStrGB. zur Anwendung. Ist ein schwererer Fall des § 132 MStrGB. ohne Gewalt gegen die Person verübt, so ist die Strafe, falls nicht § 136 MStrGB. gegeben ist, nur aus § 131 MStrGB. (43 Tage bis fünf Jahre Gefängnis) zu entnehmen. 8) Der Strafausschließungsgrund des § 130 MStrGB. findet auf § 132 daselbst keine Anwendung, da beim Vorliegen eines schweren Falles lediglich die Strafe der Strafbestimmung für die Plünderung zu entnehmen ist, die rechtliche Qualifikation oer Tat sich aber dadurch nicht ändert. § 133. (KG. §§ 62 \ 45 MStrGO.) Wird die Plünderung oder eine ihr gleich zu bestrafende!) Handlung unters Gewaltthätigkeit8) gegen eine Person4) begangen, so ist aus Zuchthaus ^) bis zu zehn Jahren zu erkennen. Ist durch die Gewaltthätigkeit eine schwere Körperverletzung8) verursacht7) worden, so tritt Zuchthaus8) nicht unter zehn Jahren und, wenn der Tod eines Menschen verursacht8) worden ist, Todesstrafe, in minder schweren Fällen^) lebenslängliches Zucht­ haus ein. n)

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Militär-Strafgesetzbuch für das Deutsche Reich.

In gleicher Weise werden die Rädelsführer^) bestraft, wenn die That von Mehreren16) begangen wirb.14) Diejenigen, welche sich an einer solchen That16) beteiligen,16) ohne selbst eine Gewaltthätigkeit gegen eine Person zu begehen, trifft Gefängniß17) bis zu zehn Jahren; zugleich ist auf Versetzung in die zweite Klaffe des Soldatenstandes zu erkennen.16)19)^6) !) Vgl. Note 7 zu § 132 MStrGB. 3) Die Plünderung (Wegnahme, Abnötigung) muß mittels einer Gewalttätigkeit gegen die Verson begangen, die Gewalttätigkeit also das Mittel gewesen sein, um oie Wegnahme usw. auszuführen. 3) Unter Gewalttätigkeit ist die Anwendung besonoerer physischer Kraft zu verstehen. Für Gewalt „gegen" eine Person ist im Gegensatze zu der Gewalt „an" einer Person ausreichend, daß die Vergewaltigung der Person bezielt worden ist; daß die Gewaltshandlung die Person selbst getroffen hat, daß also auf letztere eine Einwirkung geschehen ist, wird für die Gewalt „gegen" eine Person nicht erfordert (wohl aber für die Gewalt „an" einer Person). RG. II. 28. Juni 1887. E. 16,172. Vgl. anch Note 4 zu § 107 MStrGB. 4) Gegen Sachen begangene Gewalt erfüllt das straferhöhende Moment des § 133 MStrGB. nicht. Die Gewalt braucht sich nicht gegen den In­ haber der Sache zu richten, es genügt auch Gewalt gegen eine andere Person, sobald sie geeignet ist uno zu dem Zwecke verübt wird, auf den Inhaber der Sache einzuwirken. 5) Von 1 bis zu 10 Jahren; auf Entfernung aus dem Heere muß er­ kannt werden. Abs. 1 § 31 MStrGB. Wegen Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte vgl. § 32 RStrGB. 6) Vgl. Note 2 zu § 123 MStrGB. 7) Vgl. Note 3 zu 8 123 MStrGB. 8) Von 10 bis zu 15 Jahren, vgl. im übrigen Note 5 oben. 9) Vgl. Note 3 und 6 zu 8 123 MStrGB. rv) Vgl. Note 19 zu 8 58 MStrGB. und Note 7 zu 8.122 das. n) Der Versuch ist strafbar, 8 43 Abs. 1 RStrGB. Über die Strafe des Versuchs und Zulässigkeit von Polizeiaufsicht vgl. 8 44 RStrGB. !2) Vgl. Note 8 zu 8 72 und Note 1 zu 8 107 MStrGB. 13) Die Tat muß gemeinschaftlich ausgeführt sein, d. h. in bewußtem und gewolltem Zusammenwirken; jeder einzelne muß sich bewußt sein, daß mehrere zusammenwirkend tätig sind. RG. III. 8. Mai 1880. R. 1,742, II. 26. Sept. 1882. R. 4,715. RMGer. PE. III. Nr. 141. Für den Begriff „mehrere" genügen zwei Personen. RG. I. 4./11. Juli 1887. E. 16,173. Eine vorhergehende Verabredung ist nicht erforderlich. 14) Bei einer von mehreren mittels Gewalttätigkeit gegen eine Person verübten Plünderung oder Verheerung usw. trifft diejenigen Teilnehmer, welche sich an der Gewalttätigkeit selbst beteiligen, die Strafe des Abs. 1 8 133 MStrGB., diejenigen, welche an der Plünderung usw. teilnehmen, ohne Gewalt gegen eine Person zu verüben, die Strafe des Abs. 2 des 8 133 MStGB. Die Rädelsführer trifft stets, also auch wenn sie sich an den Gewalttätigkeiten selbst nicht beteiligen, die Strafe des Abs. 1 des 8 133 das. 15) D. h. an einer mittels Gewalttätigkeit gegen eine Person verübten Plünderung, Verheerung oder Verwüstung. 16) Darunter fällt jede Form der Teilnahme (Mittäterschaft, An­ stiftung, Beihilfe). 17) Von 43 Tagen bis zu 10 Jahren. Gegen Offiziere muß auf Ent­ fernung aus dem Heere, Abs. 2 Nr. 2 8 31 MStrGB., gegen Unteroffiziere

Zweiter Teil.

Einzelne Verbrechen und Vergehen.

§ 134.

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auf Degradation, Abs. 1 Nr. 2 § 40 das., erkannt werden. Gegen Unter­ offiziere und Gemeine kann auf Entfernung aus dem Heere, neben Ge­ fängnis von mehr als 5 Jahren erkannt werden; Abs. 3 § 31 MStrGB. 18) § 133 MStrGB. enthält straferhöhende Umstände zu §§ 129, 131, 132 MStrGB. im Sinne der §§ 318, 323, 326 MStrGO. 19) Vgl. Note 5 zu tz 130 MStrGB. Wenn auch im Falle des § 130 eit. eine strafbare Plünderung nicht vorhanden ist, so sönnen doch die bei einer solchen Aneignung verübten Gewalttätigkeiten den Tatbestand einer Körperverletzung, Tötung (§§ 223, 223 a, 224, 226, 211, 212 RStrGB.) enthalten. Ein Strafantrag ist zur Strafverfolgung nicht nötig; § 127 MStrGB. 20) Wegen Strafschärfung, falls die Tat gegen Deutsche usw. verübt wurde, vgl. § 136 MStrGB.

§ 134. KG. §§ 621, 45 MStrGO.) Wer*) im Feldes in der Absicht rechtswidriger Zueignung ^) einen auf dem Kampfplatze ge­ bliebenen Angehörigen4) der deutschen oder verbündeten Truppen4) eine Sache abnimmt/) oder einem Krankens oder Verwundeten6) auf dem Kampfplatze, auf dem Marsche, auf dem Transporte oder im Lazareth, oder einem seinem Schutze anvertrauten Kriegsgefangenen7) eine Sache wegnimmt^)9) oder abnöthigt,^)9) wird mit Zuchthaus") bis zu zehn Jahren, in minder schweren Fällen") mit Gefängniß42) bis zu fünf Jahren und Versetzung in die zweite Klasse des Soldaten­ standes bestraft;") zugleich kann auf Verlust der bürgerlichen Ehren­ rechte^) erkannt werden.") *) Vgl. Note 5 zu tz 132 MStrGB. Als Täter kommen ferner in Betracht Ausländer und Deutsche auf dem Kriegsschauplatz wahrend eines gegen das Deutsche Reich ansgebrochenen Krieges; 8 160 MStrGB. 2) Vgl. 88 9 und 10 und Note 3 zu 8 129 MStrGB. Ob die Hand­ lung in Feindes- oder Freundesland verübt wurde, ist gleichgültig. 3) Vgl. Note 5 zu 8 129 MStrGB. Die Absicht der rechtswidrigen Zueignung ist ausgeschlossen, wenn die Wegnahme usw. behufs Sicherung der Sachen durch Ablieferung an die Truppe erfolgt. 4) Auf dem Kampfplatz geblieben im Sinne des 8 134 MStrGB. ist der Angehörige der deutschen Truppe, wenn er tot oder verwundet sich dort befindet. Die Abnahme oer Sachen eines gebliebenen Feindes ist, falls 8 128 MStrGB. nicht Platz greift, nicht strafbar. Zu den Angehörigen gehören auch die Nichtkombattanten, z. B. Militärbeamte, das Gefolge des deutschen oder verbündeten Heeres. 5) D. h. den Gewahrsam (tats. Gewalt) der Sache ergreift in der Absicht rechtswidriger Zueignung; die Tat muß auf dem Kampfplatz er­ folgen, andernfalls liegt unter Umständen Diebstahl, 8 138 MStrGB., 88 242 ff. RStrGB. vor. 6) Der Schutz dieser Strafvorschrift ist Kranken und Verwundeten nur solange gewährt, als sie sich auf dem Kampfplatze, dem Marsche, dem Transporte oder im Lazarett befinden, wird aber unter dieser Voraus­ setzung auch den Kranken und Verwundeten des Feindes, Kombattanten wie Nichtkombattanten zuteil. 7) Als Täter kommen nur diejenigen der in Note 1 gedachten Per­ sonen in Betracht, denen infolge dienstlicher Anordnung Kriegsgefangene anvertraut sind. Im übrigen ist das Eigentum des Kriegsgefangenen stets.

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Militär-Strafgesetzbuch für das Deutsche Reich.

nicht nur auf dem Kampfplatz, dem Marsche usw., durch §§ 134, 138 MStrGB., §§ 242, 246, 252 ff. RStrGB. geschützt. 8) Vgl. Note 8 und 9 zu § 129 MStrGB. 9) Geschieht die Wegnahme unter Anwendung von Drohungen, unter gegenwärtiger Gefahr für Leib und Leben oder mit Gewalt gegen die Person, erfolgt die Abnötigung durch Gewalt oder Drohung, so liegt ideale Konkurrenz des § 134 MStrGB. mit Raub oder Erpressung, §§249 ff., §§ 253 ff. RStrGB., vor. 10) Vgl. Note 5 und 11 zu § 133 MStrGB. 11) Vgl. Note 19 zu § 58 und Note 7 zu § 122 MStrGB. 12) Von 43 Tagen bis zu 5 Jahren. 13) Gegen Offiziere muß Entfernung aus dem Heere, Abs. 2 Nr. 2 §31 MStrGB., gegen Unteroffiziere auf Degradation erkannt werden; Abs. 1 Nr. 2 8 40 MStrGB. 14) Vorausgesetzt ist, daß die Dauer der erkannten Gefängnisstrafe 3 Monate erreicht. § 2 MStrGB., § 32 RStrGB. Der Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte ist ferner zulässig neben Zuchthausstrafe (§ 32 RStrGB.), sowie, wenn beim Versuch des Delikts gegen § 134 MStrGB. auf Gefängnis von mindestens 3 Monaten erkannt wird. §§ 32, 43, 44, 45 RStrGB., § 17 Abs. 2 MStrGB. Wegen Entfernung aus dem Heere in diesen Fällen vgl. § 31 Abs. 1 und Abs. 2 Nr. 1 MStrGB. und wegen der Dauer des Verlustes der bürgerlichen Ehrenrechte vgl. § 32 RStrGB. 15) Die Strafschärfung des § 136 MStrGB. findet auf § 134 das. nicht Anwendung.

§135. (KG. §§ 62,i 45 MStrGO.) Weri) im Feldes als Nachzügler3) Bedrückungen4) gegen die Landeseinwohner^) begeht, wird wegen Marodirens mit Gefängniß von sechs Monaten bis zu fünf Jahren bestraft; zugleich kann auf Versetzung in die zweite Klasse des Soldatenstandes erkannt werden.3) Wird die Handlung von Mehreren?) begangen, die sich zur fort­ gesetzten Bedrückung der >Landeseinwohner verbunden haben,3) oder artet9) dieselbe in eine Plünderung oder in eine derselben gleich zu bestrafende Handlung49) aus, so tritt gegen jeden Betheiligtenn) Zucht­ haus bis zu zehn Jahren ein. 12) 1) Vgl. Note 1 zu § 128 MStrGB. 2) Vgl. 88 9 und 10 MStrGB. und Note 3 zu 8 129 das. 3) Nachzügler sind nur solche Personen (Note 1 oben), welche in der Absicht, gegen die Landesbewohner Bedrückungen zu begehen, sich rechts­ widrig von der Truppe entfernt haben (vgl. auch Note 4 zu 8 64 MStrGB.) oder welche von der Truppe abgekommen, in dieser Absicht es unterlassen, sich der nächsten Truppe wieder anzuschließen. 4) Es genügt jede Belästigung durch Stellung unberechtigter Anfor­ derungen. Vollendet ist die Tat mit der Stellung der Forderung; ob der letzteren genügt wird, ist unerheblich. 5) Landesbewohner sind alle Einwohner des Landes, in dem die Tat begangen wird; die Staatsangehörigkeit kommt nicht in Betracht. Wenn die Tat gegen Deutsche oder Angehörige eines Deutschland verbündeten Staates begangen wird, so tritt Bestrafung aus 8 136 MStrGB. ein. 6) Gegen Offiziere ist Entfernung aus dem Heere zulässig; Abs. 2 8 31 MStrGB. Wegen Dienstentlassung und Degradation vgl. 88 34, 40 MStrGB.

Zweiter Teil. Einzelne Verbrechen und Vergehen.

§§ 135f 136.

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7) Vgl. Note 13 zu § 133 MStrGB. Mitglieder der Bande, welche an der konkreten Handlung nicht beteiligt sind, werden von § 135 MStrGB. nicht betroffen. 8) Der Ausdruck des Gesetzes gibt die Definition der „Bande"; die Verbindung zur Ausführung einer Tat, mag dieselbe auch in mehreren Akten verübt werden, genügt nicht; es muß vor Ausführung der Tat be­ reits bei der Verbindung die Absicht auf Verübung mehrfachen Marodierens gerichtet gewesen sein. Daß die einzelnen Fälle des Marodierens hierbei schon individuell nach Ort und Zeit bestimmt sind, ist nicht erforderlich. RG. II. 4.-11. Juli 1887. E. 16,173. II. 20. März 1894. E. 25,421. 9) In Plünderung artet die Tat aus, wenn von der Bande Plünde­ rungen im Sinne des § 129 Nr. 1 und 2 MStrGB. vorgenommen werden oder ein schwererer Fall der Verheerung oder Verwüstung (§ 132 MStrGB.) verübt wird. Die Ausnahmebestimmung des § 130 MStrGB. kommt auch den Marodeuren zugute, so daß sie in diesem Falle nur wegen Marodierens nach Abs. 1 des § 135 MStrGB. zu bestrafen sind. Artet das Marodieren in eine nach Satz 2 Abs. 1 § 133 MStrGB. strafbare Plünderung aus, so tritt die Strafe dieser Bestimmung ein; gegen die Rädelsführer findet die Vorschrift des Satz 1 Abs. 2 § 133 MStrGB. Anwendung. Artet die Handlung in eine nach Satz 1 Abs. 1 § 133 MStrGB. strafbare Handlung aus, wird also das zur Plünderung ausgeartete Marodieren unter Gewalttätigkeit gegen die Person begangen, ohne daß eine schwere Körperverletzung oder der Tod eines Menschen ver­ ursacht wird, so konkurrieren mit der Strafbestimmung des Abs. 2 des § 135 MStrGB. die Bestimmungen über Körperverletzung, gleichviel ob die Gewalttätigkeit zum Zwecke der Bedrückungs-(Plünderungs-)Handlung begangen ist oder nicht. Koppmann, Note 10 zu § 135 MStrGB. Banden­ weises Marodieren, oas nicht in Plünderung usw. ausartet, kann, auch wenn dabei Gewalttätigkeiten begangen werden, nur nach § 135 Abs. 2 MStrGB., nicht nach § 133 das. bestraft werden. Die Mitglieder der marodierenden Bande machen sich in idealer oder realer Konkurrenz der Körperverletzung, Tötung usw. schuldig. Vgl. Koppmann, Note 11 a. a. O. 10) Vgl. Note 16 zu § 133 MStrGB. 11) Vgl. § 132 MStrGB. 12) Der Versuch des Delikts des Abs. 2 § 135 MStrGB. ist strafbar; §§ 43, 44, 45 RStrGB. Vgl. ferner §§ 32—34, 36 RStrGB. und § 31 MStrGB.

§ 136. Wird eine nach den §§ 129 bis 133 und 135 strafbare Handlung gegen einen Deutschen i) oder einen Angehörigen eines ver­ bündeten Staats begangen, so ist auf erhöhte2) Strafe, und, wenn in den allgemeinen Strafgesetzen9) eine härtere4) Strafe angedroht ist, auf diese letztere zu erkennen.

1) Vgl. Gesetz über den Erwerb und Verlust der Bundes- und Staats­ angehörigkeit v. 1. Juni 1870 und Gesetz betreffend Einführung dieses Ge­ setzes in Elsaß-Lothringen v. 8. Jan. 1873, sowie § 9 Schutzgebietsgesetz v. 25. Juli 1900. 2) Vgl. § 53 MStrGB., insbes. Note 3 das. 3) Vgl. §§ 243 ff., 249 ff., 253 ff. RStrGB. 4) Die in den gemeinstrafrechtlichen Vorschriften (Note 3) angedrohten Strafbestimmungen kommen nur dann zur Anwendung, wenn sie eine der Art und dem Maße nach härtere Strafe als die erhöhte Strafe zu­ lassen. An der militärischen Eigenschaft des Deliktes wird dadurch nichts geändert.

Militär-Strafgesetzbuch für das Deutsche Reich.

184

Neunter Abschnitt. Andere widerrechtliche Handlungen gegen das Eigenthum. §137.

(KG. bezw. StG. §§ 62? 45,

16* MStrGO.)

Wer^)

vorsätzlich 2) und rechtswidrig3) einen Dienstgegenstand4) beschädigt?)

zerstört3)7) oder preisgibt?) wird mit Freiheitsstrafe3) bis zu zwei Jahren bestraft?3) in besonders schweren Fällen ") kann zugleich auf

Versetzung in die zweite Klasse des Soldatenstandes erkannt werden. *) § 137 MStrGB. findet Anwendung, außer auf Personen des Sol­ datenstandes (Personen des Beurlaubtenstandes nur, wenn sie sich im Dienste befinden, § 6 MStrGB.), auf das Gefolge des kriegführenden Heeres, auf Kriegsgefangene §§ 155—158 MStrGB., nicht aber auf Mili­ tärbeamte. 2) Das Gesetz erfordert vorsätzliches Handeln, d. h. ein solches, durch welches der Täter mit Bewußtsein alle Deliktsmomente verwirklicht; eine auf Beschädigung gerichtete Absicht wird nicht vorausgesetzt. RG. IV. 29. Okt. 1886. E. 15,12. Vgl. auch Note 4 u. 5 z. d. §. Motiv, Zweck des Handelns ist rechtlich ohne Belang. Fahrlässiges Handeln begründet nur Disziplinarbestrafung, 8 1 Nr. 1 DStO. 3) Die Handlung muß objektiv eine rechtswidrige sein, d. h. den be­ stehenden Gesetzen, Vorschriften, oder militärdienstlichen Grundsätzen wider­ sprechen und der Täter muß auch das Bewußtsein der Rechtswidrigkeit haben. Fehlt dem Täter dies Bewußtsein, so ist nach § 59 Abs. 1 RStrGB. Die Strafbarkeit aus § 137 ausgeschlossen. RG. II. 12. März 1889. E. 19,87 und IV. 26. März 1889. E. 19,209. 4) Dienstgegenstand ist jeder dem Militärfiskus gehörige, bewegliche oder unbewegliche (RG. IV, 4. März 1887. R. 9,i?i) Gegenstand, welcher unmittelbar oder mittelbar zum dienstlichen Gebrauch bestimmt ist. Ob derselbe dem Täter oder einem anderen oder allgemein zum Gebrauch dient, sowie ob er überhaupt in Gebrauch genommen ist, bleibt rechtlich ohne Belang. Die Wertlosigkeit des Objekts kann das Bewußtsein der Rechtswidrigkeit ausschließen. RG. III. 21. April 1880. R. l,64o; III. 14. Febr. 1884. E. 10,120. 5) Unter Beschädigung ist nur eine solche Einwirkung auf die Sache zu verstehen, durch welche die Substanz der Sache alteriert, die Unversehrt­ heit der Sache aufgehoben wird; erfordert wird aber ferner, daß durch die Einwirkung auch oie Brauchbarkeit der Sache für die ihr gegebene konkrete Zweckbestimmung herabgemindert oder sonst das Interesse des Militär­ fiskus an ihrer Unversehrtheit beeinträchtigt wird; der „Vorsatz" im Sinne des § 137 setzt demgemäß das Bewußtsein voraus, daß die Einwirkung diesen Erfolg herbeiführen wird oder kann. RG. III. 19. Okt. 1885. E. 13,27 und IV. 27. Febr. 1900. E. 33,177. Der Versuch der Beschädigung ist strafbar. § 2 MStrGB. § 303 Abs. 2 RStrGB. RMGer. Plen.-Beschl. 17. Mai 1901. E. 1,134. 6) Zerstörung einer Sache ist eine so weitgehende Beschädigung der­ selben, daß sie dadurch für ihren Zweck völlig unbrauchbar, also ihrem Wesen nach aufgehoben wird. RG. II. 9. Febr. 1883. E. 8,33. III. 4. Mai 1885. R. 7,274. III. 26. Juni 1884. R. 6,477. Der Versuch ist strafbar, vgl. Note 5 oben. 7) Strafantrag ist nicht erforderlich; § 51 MStrGB. 8) Preisgeben ist die rechtswidrige Ausgabe des Gewahrsams (der tat­ sächlichen Gewalt, §§ 854ff. BGB.) über einen Dienstgegenstand ohne gleich­ zeitige Übertragung dieser Gewalt auf einen andern; es genügt, wenn die

Zweiter Teil. Einzelne Verbrechen und Vergehen.

§§ 137,138.

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Aufgabe in einer Art nnd Weise geschieht, daß die Gefahr eines Verlustes des Dienstgegenstandes für den Militärfiskus gegeben ist. Wird die tat­ sächliche Gewalt (Gewahrsam) auf einen andern übertragen (z. B. durch Verkauf, Tausch, Schenkung, Verpfändung), so liegt Unterschlagung, § 138 MStrGB., vor. Wer einem andern (auch dem Fiskus) einen Dienstgegen­ stand fortnimmt in der Absicht, diesen Gegenstand zunächst zu gebrauchen und ihn später preiszugeben, verfügt über den Gegenstand in einer Weise, wie sie nur dem Eigentümer zusteht; er eignet sich damit den Dienstgegen­ stand zu und begeht einen Diebstahl. Eine Gesetzeskonkurrenz des Dieb­ stahls und des Vergehens gegen § 137 MStrGB. liegt nicht vor. RMGer. I. 2. Aug. 1901 (nicht publiziert). Nicht vorausgesetzt wird, daß der Täter einen ihm selbst zu dienstlichem Zwecke übergebenen Dienstgegenstand preis­ gibt; der Tatbestand des Preisgebens wird auch erfüllt durch Preisgeben eines jeden beliebigen Dienstgegenstandes, über den der Täter momentan die tatsächliche Gewalt (Besitz) ausübt. RMGer. I. 19. Sept. 1900 (nicht publiziert). Soweit sich die Preisgabe in der Beschädigung oder Zer­ störung von Dienstgegenständen zeigt, ist ein Versuch nicht unmöglich. RMGer. PE. V. Nr. 111. 9) Arrest von 1 Tag bis zu 6 bezw. 4 Wochen (strenger Arrest nur unter Voraussetzung des § 22 Abs. 3 MStrGB.) Gefängnis oder Festungs­ haft von 43 Tagen bis 2 Jahren. Wegen Dienstentlassung und Degrada­ tion vgl. 88 34, 40 MStrGB. 10) In leichten Fällen ist die Disziplinarbestrafung zulässig; § 3 Abs. 2 Nr. 1 EG. z. MStrGB. n) Unter besonders schweren Fällen sind solche zu verstehen, bei denen bei der Person des Täters oder bei der Tat selbst besonders erschwerende Umstände vorliegen. Vgl. auch Note 19 z. § 58 MStrGB. Gegen Offiziere ist Entfernung aus dem Heere zulässig; § 31 Abs. 2 Nr. 2 MStrGB.

8 138. (KG. bezw. i. F. StG. §§ 621, 45, 161, 632 MStrGO.) Wer*) fiel Ausübung des Dienstes2) oder unter Verletzung eines mili­ tärischen Dienstverhältnisses9) sich eines Diebstahls^) oder einer Unter­ schlagung^) an Sachen^) schuldig macht, welche ihm vermöge9) des Dienstes oder jenes Verhältnisses zugänglich7) oder anvertraut9) sind,9 &) wird mit mittlerem oder strengem Arrest9) nicht unter vierzehn Tagen oder mit Gefängniß ^) bis zu fünf Jahren bestraft; zugleich kann auf Verlusts) der bürgerlichen Ehrenrechte erkannt werden. Gleiche") Strafe trifft denjenigen, welcher einen Diebstahl*2) oder eine Unter­ schlagung gegen einen Vorgesetzten*9) oder einen Kameraden,") gegen seinen Quartierwirth15) oder eine zu dessen Hausstand gehörige Person

begeht.*9)*7) (KG. 88 62*, 45 MStrGO.) Ist die Handlung ein Verbrechen*9) im Sinne der allgemeinen Strafgesetze, so ist auf die in diesen Ge­ setzen angedrohte Strafe zu erkennen. 19) i) Vgl. Note 1 zu 8137 MStrGB. Die militärisch qualifizierten Delikte des Diebstahls und der Unterschlagung des Satz 1 Abs. 1 8 138 MStrGB. können nur von Personen des Soldatenstandes (von Personen des Beur­ laubtenstandes nur wenn sie sich im Dienst befinden) begangen werden. Ist das Delikt vor der Einstellung begangen, so kann 8 138 MStrGB.

186

Militär-Strafgesetzbuch für das Deutsche Reich.

nicht in Frage kommen. RMGer. PE. I. Nr. 124 Abs. 4. Kriegsgefangene und das Gefolge des Heeres kommen als Täter in Betracht, sobald zwischen letzterem und dem Bestohlenen usw. ein kameradschaftliches, oder ein Vorgesetzten-Verhältnis Platz greift, oder die Tat gegen den Quartierwirt usw. verübt wird. Auf Militärbeamte findet § 138 eit. nicht Anwendung, § 154 MStrGB. (vgl. auch § 350 RStrGB.). 2) Vgl. Note 5 zu § 49 und Note 10 zu § 55 MStrGB. Der Begriff Ausübung des Dienstes umfaßtallemilitärischen Verrichtungen, gleichviel ob sie auf besonderen, für den einzelnen Fall oder aus speziellem Anlaß gegebenen Befehl vorgenommen werden, oder ob sie aus allgemeiner Vor­ schrift über die aus Dienstgrad oder Dienstfunktion entspringenden Obliegen­ heiten beruhen. RMGer. PE. I. Nr. 118. Hinsichtlich der preuß. Gendarmen umfaßt der Begriff: „in Ausübung des Dienstes" i. S. d. § 188 d. Preuß. MStrGB. auch den Begriff: „bei Gelegenheit" der Ausübung des Dienstes. Unerheblich ist, ob die Betätigung des Dienstes tatsächlich wenigstens vor­ übergehend (z. B. bei Begehung der Tat) unterbrochen wird. RMGer. I. 10. Febr. 1902. E. 2,193. Es wird die Ausübung einer speziellen Dienst­ verrichtung zur Zeit der Begehung der Tat vorausgesetzt. RMGer. PE. II. Nr. 149 b. I. Nr. 124. Da die Begehung „während der Ausübung des Dienstes" unter die Tatbestandsmerkmale des militärisch qualifizierten Diebstahls usw. aus­ genommen ist, so kann bezüglich dieses Umstandes nicht noch § 55 Nr. 2 MStrGB. Anwendung finden. RMGer. PE. II. Nr. 149 «. 3) Die Verletzung eines militärischen Dienstverhältnisses erfordert nicht notwendig die Verletzung eines besonderen, dem Täter durch seine Dienst­ stellung und seinen dienstlichen Wirkungskreis auferlegten Verhältnisses zu der gestohlenen oder unterschlagenen Sache. Es genügt vielmehr unter Um­ ständen auch die Verletzung der allgemeinen, durch die bloße Eigenschaft als Person des Soldatenstandes bedingten Dienstverhältnisses. RMGer. I. 21. April 1902. E. 2,291. PE. III. 134. Zur Annahme eines militärischen Dienstverhältnisses genügt nicht, daß die militärische Eigenschaft des Täters ihm Anlaß gegeben hat, sich mit einer, an sich rein privaten Angelegenheit zu befassen. Wohl aber kann der dienstliche Charakter einer solchen Sache dadurch entstehen, daß der Täter, auch ohne Befehl, in seiner dienstlichen Eigenschaft aus Fürsorge für die Mannschaften sich der Behandlung der Sache unterzogen hat. Auch durch Übergabe einer Sache an eine Militärperson in dienstlicher Eigenschaft und Annahme der Sache in gleicher Absicht des Em­ pfängers kann unter Umständen ein militärisches Dienstverhältnis begründet werden. RMGer. II. 14. März 1903. E. 4,254. Jede rechtswidrige Zu­ eignung fiskalischen Gutes seitens eines an Bord Kommandierten enthält die Verletzung eines militärischen Dienstverhältnisses. RMGer. PE. II. Nr. 165». Der als Bursche zu einem Offizier kommandierte Soldat, welchem die Ehefrau des Offiziers ihr gehöriges Geld zur Bezahlung von Wirtschaftsschulden gegeben hat, begeht, wenn er das Geld sich rechts­ widrig zueignet, eine Unterschlagung unter Verletzung des militärischen Dienstverhältnisses. RMGer. I. 12. Aug. 1902. E. 3,isi. PlE. VI. Nr. 106. A. A. Beling, S. 251 in Z. 1904, der in solchen Handlungen nur rein private Angelegenheiten erblickt, ihren militärischen Charakter bestreitet, und bezweifelt, daß ein militärisches Dienstverhältnis solche Handlungen zum Inhalt haben kann. 4) Die Begriffe des „Diebstahls" und der „Unterschlagung" sind aus dem gemeinen Strafrecht (§§ 242, 246 RStrGB.) zu entnehmen; §§ 2, 10 MStrGB. RG. III. 27. März 1884. E. 10,300, R. 6,242. RMGer. Plen.-Beschl. v. 17. Mai 1901. E. 1,134 II. 24. Mai 1901. E. 1,155. § 242: Wer eine fremde») beweglicheb) Sachen) einem Anderen6) in der Ab-

Zweiter Teil.

Einzelne Verbrechen und Vergehen.

§ 138.

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sicht wegnimmt,ä) dieselbe sich rechtswidrig zuzueignen,«) wird wegen Dieb­ stahls mit Gefängniß bestraft. Der Versuch ist strafbar.

§ 246 f): Wer eine fremde a) bewegliche^) Sache,«) die er in Besitz?) oder Ge­ wahrsame) hat, sich rechtswidrig zueignet,b) wird wegen Unterschlagung mit Gefängniß bis zu drei Jahren und, wenn die Sache ihm anvertraut *) ist, mit Gefängniß bis zu fünf Jahren bestraft. Sind mildernde Umstände vorhanden, so kann auf Geldstrafe bis zu neunhundert Mark erkannt werden. Der Versuch ist strafbar. a) Die Sache muß zur Zeit der Tat im Eigentum und im Gewahrsam (tatsächliche Gewalt über die Sache §§ 854 ff. BGB.) eines anderen stehen; Eigentümer und Gewahrsamsinhaber brauchen nicht dieselbe Person zu sein. Der Gewahrsam besteht lediglich in der physischen Möglichkeit, über die Sache mit Ausschluß anderer zu verfügen. Den Gewahrsam einer Sache kann daher stets nur eine physische Person, niemals einen Truppenteil haben. RMGer. I. 19. Dez. 1901. E. 2,96. Durch die Einzahlung von Geld auf Grund einer Postanweisung wird der Postfiskus Eigentümer des ein­ gezahlten Geldes. Bei Auszahlung des Geldes durch die Post ist als deren Wille, auf wen das Eigentum übertragen werden soll, der der Einzahlung erkennbar zugrunde liegende Wille des Absenders anzusehen. RMGer. I. 9. Januar 1902. E. 2,130. Ob die Sache eine fremde ooer Eigentum des Täters ist, entscheidet sich nach dem zur Zeit und am Orte der Tat geltenden Zivilrecht. RG. II. 18. Dez. 1883. R. 5,792, RMGer. I. 19. Dez. 1901. E. 2,96. Bei der Übertragung einer Sache zu Eigentum an einen Dritten kann der Empfänger an der empfangenen Sache eine Unterschlagung nur dann be­ gehen, wenn die übertragene Sache nicht in sein Eigentum übergegangen ist. Ob letzteres der Fall ist oder nicht, ist privatrechtlicher Natur und hängt, der Regel nach — § 929 BGB. — lediglich von der Einigung des Übertragenden und des Empfängers in betreff des Eigentumüberganges, nicht von etwaigen der Übergabe zugrunde liegenden Vertragsverhältnissen ab. RMGer. II. 14. März 1903. E. 4,254. An herrenlosen Sachen kann ein Diebstahl nicht begangen werden. Um eine Sache herrenlos zu machen, ist die Absicht des Eigentümers erforderlich, das Eigentum schlechthin, nicht nur zugunsten einer bestimmten Person aufzugeben. Auch im ersten Falle muß der auf Aufgabe des Eigentums gerichteten Willenserklärung die tat­ sächliche Lossagung von der Sache hinzutreten. Zur Aufgabe des Besitzes einer beweglichen Sache genügt regelmäßig die Erklärung des Besitzers, daß er die tatsächliche Gewalt nicht mehr haben wolle, nicht. Dies ist viel­ mehr nur ausnahmsweise dann der Fall, wenn der Besitz nur dadurch aus­ geübt wird, daß der Besitzer in der Lage ist, die tatsächliche Gewalt aus­ zuüben und den Willen, die Gewalt zu haben, besitzt. § 959 BGB. RMGer. I. 19. Dez. 1901. E. 2,96, I. 28. April 1902. E. 3,io. RG. II. 29. März 1881. R. 3,174. Der Miteigentümer, welcher die im Miteigentum stehende Sache aus dem Gewahrsam eines andern wegnimmt, ist wegen Diebstahls strafbar. RG. III. 27. März 1884. R. 6,239. b) Die Vorschriften des Zivilrechts über Unbeweglichkeit sind nicht maßgebend. Unbeweglich ist der Grund und Boden, abgesonderte Teile desselben (Torf z. B.) können Gegenstand des Diebstahls werden. RG. III. 7. Juli 1880. R. 2,166. 0) Objekt des Diebstahls kann jeder körperliche Gegenstand sein, ohne daß derselbe einen bestimmten Wert zu haben braucht; Leuchtgas RG. II. 8. Febr. 1881. R. 3,14. (Bezüglich des elektrischen Stromes vgl. RGes. v. 9. April 1900, RGBl. S. 228.) Die Entwendung von Nahrungs- oder

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Genußmitteln von unbedeutendem Werte oder in geringer Menge zum als­ baldigen Verbrauche ist als Übertretung strafbar. § 370 Nr. 5 RStrGB. Fehlt der erforderliche Strafantrag, so kann Disziplinarbestrafung erfolgen. Zu den Nahrungsmitteln gehören auch lebende Tiere. RG. II. 1. Juli 1884. R. 6,488. Zu den Genußmitteln gehört der Tabak, RG. III. 31. Dez. 1881. R. 3,848, nicht aber Blumen, Brennmaterialien. RG. III. 9. April 1881. R. 3,220, I. 12. Juli 1883. R. 514. Die Frage, ob der entwendete Gegen­ stand von „unbedeutendem Wert" oder eine „geringe Menge" ist, liegt lediglich auf tatsächlichem Gebiet; RMGer. I. 14. Juli 1902. E. 3,135. Maß­ gebend ist der gemeine Wert zur Zeit der Entwendung; ein alsbaldiger Verbrauch wird nicht durch ein sofortiges und unmittelbares Verzehren bedingt und nicht dadurch ausgeschlossen, daß das entwendete Nahrungs­ mittel erst durch Zubereitung genießbar wird. Die Absicht des alsbaldigen Verbrauchs erfordert immer die Absicht, gerade nur dasjenige Bedürfnis bezw. Gelüste zu befriedigen, welches die Tat hervorgerufen hat. Die An­ wendung des § 370 Nr. 5 RStrGB. ist daher ausgeschlossen, wenn der Täter mit der Absicht gehandelt hat, Nahrungs- und Genußmittel zur Be­ friedigung eines etwaigen künftigen Bedürfnisses zu entwenden und als Vorrat für sich aufzubewahren. RMGer. I. 14. Juli 1902. E. 3,135. RG. II. 24. Febr. 1880. R. 1,386, II. 25. April 1884. R. 6,303. RMGer. II. 4. Nov. 1901. E. 2,50. Liegen alle Voraussetzungen des Diebstahls (schweren oder einfachen, versuchten oder vollendeten) vor, so ist das Gericht zur Prüfung der Frage, ob mit Ausschluß des Tatbestandes des Diebstahls die den Munoraub betreffende Spezialvorschrift — § 370 Nr. 5 RStrGB. — an­ zuwenden sei, nur dann verpflichtet, wenn die mündliche Verhandlung hierzu einen Anlaß bietet. RMGer. VI. 21. Jan. 1903. E. 4,145. d) Vgl. Note 8 zu 8 129 MStrGB. Die Sache muß aus dem Ge­ wahrsam eines anderen weggenommen sein; die fremde Sache muß sich zur Zeit der Wegnahme durch den Täter rn dem Gewahrsam eines anderen befinden. Unkenntnis dieser Tatsache kann dem Täter nicht zugerechnet werden. RMGer. I. 25. Sept. 1902. E. 3,270. Der Gewahrsam besteht leoiglich in der tatsächlichen Gewalt über die Sache, der physischen Möglichkeit, über die Sache mit Ausschluß anderer zu verfügen, verbunden mit dem Willen, diese Herrschaft auszuüben; den Gewahrsam kann daher nur eine physische Person, niemals ein Truppenteil haben. RMGer. 1.19. Dez. 1901. E. 2,96. Ob der Kompagnie-Chef den Gewahrsam an den zu den Kom­ pagniebeständen gehörigen Sachen hat, ist Talfrage. In der Regel ist der Kompagniechef allein Inhaber und verantwortlicher Verwalter der Bestände der Kompagnie vom Zeitpunkt ihrer Übernahme (vgl. Koppmann Note 8 zu § 138 MStrGB.). Er behält den Gewahrsam an den ihm überwiesenen Beständen und ebenso an den instruktionsmäßig bei ihm eingegangenen Postsachen seiner Kompagnieangehörigen, solange sich die Sachen noch inner­ halb der Kaserne (Kammer) befinden bezw. den Adressaten noch nicht aus­ geliefert sind. RMGer. II. 6. Mai 1903. E. 5,98; er verliert den Gewahrsam nicht schon dadurch, daß er die Beaufsichtigung oder die Verwendung der Sachen Untergebenen, z. B. dem Schieß- oder dem Kammerunteroffizier überträgt, noch auch dadurch, daß ihm zurzeit das Vorhandensein oder der Aufenthaltsort einer Sache nicht bekannt oder nicht erinnerlich ist. Der un­ befugte Verkauf solcher Sachen durch den Schieß- oder Kammerunteroffizier usw. ist daher als Diebstahl, nicht als Unterschlagung anzusehen. RMGer. I. 25. April 1901. E. 1,101. PE. I. Nr. 124. Gleiches gilt für den Küchenunter­ offizier bezüglich der in der Mannschaftsküche aufbewahrten Lebensmittel. Die rechtswidrige Zueignung einer Sache, welche sich im Gewahrsam sowohl des Täters als des Beschädigten befindet, stellt sich als Vergehen gegen § 242 RStrGB. nicht gegen § 246 das. dar. RMGer. PE. III. Nr. 156.

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Einzelne Verbrechen und Vergehen.

§ 138.

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Durch die Entfernung des Inhabers einer Sache von dem Orte, wo sich letztere befindet, geht der Gewahrsam nicht verloren, derselbe dauert vielmehr so lange fort, als der Inhaber den Willen hat und zugleich in der Lage ist, zu der Sache zurückzukehren, um seine tats. Gewalt über dieselbe auszuüben. Der Inhaber behält den Gewahrsam, wenn er das physische Vermögen hat, selbst oder durch andere die tatsächliche Gewalt über die Sache auszuüben, auch dann, wenn er zeitweilig keine Kenntnis davon hat, daß sich die Sache noch in demselben Raum befindet, wo er sie zurückgelassen hat. RMGer. I. 10. Sept. 1901. 1,267. Der Gewahrsam wird auch dadurch nicht aufgehoben, daß außer dem Inhaber noch andere Personen zu der Sache Zutritt haben und sich dadurch in der Lage befinden, physisch auf die Sache einzuwirken. RG. I. 24. Mai 1880. R. l,8is. An verlorenen, also nicht im Gewahrsam eines Menschen stehenden Sachen kann nicht Diebstahl, sondern nur Unterschlagung begangen werden. An fremdem Orte liegen gelassene Gegenstände befinden sich' noch im Gewahrsam des Eigentümers, wenn der Verbleib noch nicht völlig aus dessen Gedächtnis entschwunden ist und auch keine äußeren Hindernisse der Wiedererlangung entgegenstehen. RMGer. I. 14. April 1902. E. 2,278. Eine Wegnahme — aber nicht immer eine „Zueignung" — liegt auch dann vor, wenn der Dieb die Sache am Orte der Tat versteckt. RG. III. 9. Juli 1885. R. 7,479. Ob die durch die Weg­ nahme erlangte Herrschaft eine gesicherte ist oder nicht, ist unwesentlich. RMGer. II. 24. Juni 1903. E. 0,207. Ein Dienstbote (Ofsiziersbursche), welcher die ihm zum zeitweiligen Gebrauche innerhalb der eigenen Räume der Dienst­ herrschaft (Offiziers) von dieser gegebenen Gegenstände sich rechtswidrig zu­ eignet, begeht Diebstahl, keine Unterschlagung. RG. II. 11. Nov. 1881. R. 3,711. I. 5. April 1880. R. 1,540. Ebenso der Verkäufer an den im Laden befind­ lichen Waren. RG. IV. 20. Juni 1890. E. 21,16, der Gefangene an Anstalts­ kleidern, die er rechtswidrig mitnimmt. RG. IV. 17. Juni 1884. R. 6,443. e) Der Zueignungswille erfordert in negativer Beziehung die Absicht, den Berechtigten von der Sache auszuschließen, ihm Besitz und Gebrauch zu entziehen, und ferner in positiver Beziehung die Absicht, die Sachen ihrer Substanz nach in das eigene Vermögen zu bringen, über sie wirt­ schaftlich zu verfügen. RMGer II. 4. Okt. 1902. E. 3,284. Die Wegnahme aus dem Gewahrsam des anderen muß von vornherein in der Absicht rechts­ widriger Zueignung erfolgen. Tritt diese Absicht erst ein, nachdem der Täter sich bereits in dem Gewahrsam befindet, so kann in der rechtswidrigen Zueignung nur eine Unterschlagung liegen. RMGer. I. 25. Sept. 1902. E. 3,270. Die Absicht rechtswidriger Zueignung liegt — unter anderem — vor, wenn — abgesehen von Geld (siehe unten) — die Sache mit dem Be­ wußtsein der Rechtswidrigkeit zur Deckung einer Forderung weggenommen wird. RG. I. 9. Febr. 1880. E. 1,193. Eine gewinnsüchtige Absicht wird nicht erfordert. RG. III. 26. Febr., 5. März 1894. E. 25,182. In dem bloßen Nichtabliefern einer fremden Sache, zu deren Ablieferung der Täter verpflichtet ist, liegt noch keine Zueignung der Sache, selbst wenn der Täter die Ablieferung in der Absicht der rechtswidrigen Zueignung unter­ läßt. Eine Zueignung liegt vielmehr erst dann vor, wenn der auf dieselbe gerichtete Wille des Täters in einer äußerlich erkennbaren Weise sich mani­ festiert hat; es muß ein bestimmtes äußeres Verhalten des Täters hinzu­ kommen, welches den auf Zueignung der fremden Sache gerichteten Willen äußerlich erkennbar zum Ausdruck bringt. Dieses äußere Verhalten braucht nicht notwendig in einem positiven Tun zu bestehen, es genügt auch ein passives Verhalten jedenfalls dann, wenn zu dem entsprechenden positiven Tun eine be­ sondere Rechtspflicht des Täters bestand. RMGer. II. 14. März 1903. E. 4,254. Ausgeschlossen ist die Absicht der rechtswidrigen Zueignung, wenn die rechtswidrige Wegnahme lediglich in der Absicht erfolgt, die Sache zu

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vernichten, RG. III. 7. Juni 1882. N. 4,537. I. 11. Nov. 1884. R. 6,727, oder wenn der Täter die Sache wegnimmt, um sich sofort als Dieb selbst an­ zuzeigen und im Gefängnis Aufnahme zu finden, RG. II. 11. Juli 1884. R. 6,536, ferner bei eigenmächtiger Pfändung fremder Sachen für eine Forderung. RG. II. 1. Juli 1881. N. 8,453. RMGer. PE. II. Nr. 181. Die Absicht rechtswidrigerLueignung liegt nicht vor, wenn die Wegnahme von Geld lediglich erfolgt, um für eine Geldforderung Zahlung zu erhalten. RG. I. 17. Juni 1880. R. 2,73, E. 2,184, ferner, wenn es sich bei der Weg­ nahme nur um Zwecke des Gebrauchs handelt und nicht die Absicht vor­ liegt, dem Eigentümer die Verfügung über die Sache dauernd zu entziehen. RMGer. I. 12. Aug. 1902. E. 3,181. RG. III. 23. Febr. 1893. E. 24,22. Ferner, wenn bei der widerrechtlichen Wegnahme eines zum Dienstgebräuche bestimmten, in fiskalischem Eigentume stehenden Gegenstandes seitens eines Soldaten dieser nur die Absicht hatte, den Gegenstand seiner Bestimmung gemäß zum militärischen Gebrauche zu verwenden, also nicht die Absicht hatte, über diesen Gegenstand mit Ausschluß des Berechtigten als Eigentümer zu ver­ fügen. RMGer. PE. I Nr. 124 Abs. 3. In dem Verbrauch (z. B. Veraus­ gabung von Geld) liegt eine Zueignung. RMGer. I. 12. Aug. 1902. E. 3,181. f) Vgl. oben Note a, b, c. g) Vgl. § 854 BGB. Gewahrsam ist die tatsächliche Gewalt über eine Sache. Die Unterschlagung setzt voraus, daß der Täter den Besitz oder Gewahrsam der fremden Sache nicht erst durch die rechtswidrige Zu­ eignung erwirbt, sondern zur Zeit derselben bereits hat. RMGer. I. 20. Jan. 1902. E. 2,172. I. 7. Mai 1903. E. 5,103. h) Der Wille des Täters muß darauf gerichtet sein, an der fremden, angeeigneten Sache mit Ausschluß des Berechtigten die gesamten Befugnisse auszuüben, wie sie der Eigentümer kraft seines Eigentumsrechts ausübt. Besteht die Zueignung der fremden Sache in ihrem Verkaufe, so muß diese Absicht bereits zur Zeit des Verkaufes vorhanden sein. RMGer. II. 30. April 1902. E. 3,17, vgl. auch RMGer. II. 4. Okt. 1902. E. 3,285. RG. IV. 10. März 1885. E. 12,88. Diese Absicht muß in einer äußeren Handlung oder einer Unterlassung zum Ausdruck gelangen. RG. II. 13. Juli 1881. E. 4,404. Eine solche Unterlassung kann in dem Vorenthalten einer abzu­ liefernden Sache gefunden werden, wenn das fremde Eigentumsrecht nicht mehr anerkannt und die Sache der eigenen Herrschaft unterworfen werden soll. RG. IV. 22. Juni 1886. E. 8,481. In der Vermischung fremoen Geldes mit eigenem kann nur dann eine Unterschlagung liegen, wenn der Täter bereits bei Vornahme der Vermischung das Bewußtsein hatte, durch die­ selbe in einer den Zueignungsbegriff erfüllenden Weise verletzend in die Rechte des Eigentümers einzugreifen und wenn er zugleich in der Absicht handelte, durch die Vermischung sich die fremden Gelder rechtswidrig anzu­ eignen. RMGer. I. 9. Jan. 1902. E. 2,130. RG. IV. 8. Febr. 1895. E. 26,437. In dem Ableugnen des Besitzes einer Sache gegenüber dem Eigentümer kann der Akt der Zueignung liegen, wenn in dem Ableugnen der Wille, das Recht des Eigentümers nicht mehr anzuerkennen und die Sache der eigenen Herrschaft zu unterwerfen, zum Ausdruck gelangt. RMGer. I. 10. April 1902. E. 2,275. „Verheimlichung" einer fremden, im Besitz oder Gewahrsam des Täters befindlichen Sache stellt dann einen Akt der Zu­ eignung dar, wenn gerade in der Verheimlichung der den Umständen des konkreten Falles zu entnehmende, auf rechtswidrige Zueignung gerichtete Wille des Täters sich ausspricht. RMGer. I. 4. Nov. 1901. E. 2,47. Die Absicht der rechtswidrigen Zueignung wird durch die Ersatzabsicht des Täters in Verbindung mit der durch bereite Mittel gewährleisteten Aus­ führbarkeit derselben dann ausgeschlossen, wenn hierdurch in dem Täter oas Bewußtsein begründet werden kann und begründet wird, der Eigen-

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Einzelne Verbrechen und Vergehen.

§ 138.

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b) Es sind darunter alle körperlichen Sachen, nicht bloß Dienstgegen­ stände, zu verstehen. Wegen der Übertretung gegen § 370 Nr. 5 MStrGB. (Nahrungsmittel, Genußmittel) vgl. oben Note c. Aneignung verschossener Munition ist nicht nach § 138 MStrGB., sondern aus § 291 RStrGB. strafbar. 6) Es muß die Zugänglichkeit der Sache mit dem Dienst oder Dienst­ verhältnis in ursächlichem Zusammenhänge stehen. Zugänglichkeit ge­ legentlich der Ausübung des Dienstes erfüllt den Begriff nicht. 7) Das Wort „zugänglich" bezieht sich nicht nur auf „Diebstahl", sondern auch auf „Unterschlagung". RMGer. PE. II. Nr. 165 a. 8) Der Täter muß vermöge des Dienstes oder eines militärischen Dienstverhältnisses den Gewahrsam der Sache erhalten haben; ob hierbei gegen Dienstvorschriften verstoßen wurde, ist rechtlich unerheblich. 8a) Es muß dieser Tatbestandsmoment, daß der qu. Gegenstand vermöge des Dienstes oder des militärischen Dienstverhältnisses anvertraut ist, im Augenblick der Vollendung der Tat gegeben,,fein; nicht genügt die bloße Feststellung, daß der Gegenstand bei der Übergabe an den Täter anvertraut war. Dies ist von Wichtigkeit für den Fall, daß die unterschlagene Sache dem Vorgesetzten von dem Untergebenen während der aktiven Dienstzeit vermöge des Dienstverhältnisses anvertraut war, daß aber die Zueignung erst nach Entlassung des Untergebenen erfolgte; denn in einem solchen Falle läßt sich nicht behaupten, daß auch nach der Ent­ lassung der qu. Gegenstand, präsumtiv vermöge des Dienstes oder des — zwischen dem Täter und Verletzten nicht mehr bestehenden — Dienst­ verhältnisses noch anvertraut ist; ob dies der Fall, muß vielmehr geprüft und ausdrücklich festgestellt werden. 9) Auf strengen Arrest kann erkannt werden, auch wenn die Voraus­ setzungen des § 22 Abs. 3 MStrGB. fehlen. 10) Von 43 Tagen bis zu fünf Jahren. Der Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte kann nicht neben Arrest, sondern nur neben Gefängnis und auch nur dann ausgesprochen werden, wenn die Gefängnisstrafe die Dauer von drei Monaten erreicht; § 32 NStrGB., § 2 MStrGB. Wird auf mehr als drei Jahre Ehrverlust erkannt, so muß gegen Unteroffiziere und Gemeine Entfernung aus dem Heere ausgesprochen werden; § 31 Abs. 1 MStrGB. Übersteigt die Dauer des Ehrverlusts drei Jahre nicht, so muß neben dem­ selben Versetzung in die 2. Kl. des Soldatenstandes erkannt werden; § 37 Abs. 1 MStrGB. Neben Ehrverlust ist gegen Offiziere stets auf Ent­ fernung aus dem Heere zu erkennen; § 31 Abs. 2 MStrGB. Wird nicht auf Ehrverlust erkannt, so ist die Versetzung in die 2. Kl. des Soldaten­ standes zulässig; § 37 Abs. 2 Nr. 2 MStrGB. Gegen Unteroffiziere ist, auch wenn nicht auf Versetzung in die 2. Kl. des Soldatenstandes erkannt wird. tümer oder sonst Berechtigte werde bei Kenntnis dieser Verhältnisse mit der Zueignung der Sache einverstanden sein. Ein derartiges Einverständnis des Berechtigten wird nur unter der Voraussetzung anzunehmen sein, daß der Täter zur Zeit der Zueignung sich in einer Vermögenslage befindet, nach welcher er jederzeit den gleichwertigen Betrag bereit hat und in der Lage ist, die bestimmungsgemäße Verwendung eintreten zu lassen. RMGer. 1.12. Aug. 1902. E. 3,179; PE. IV. Nr. 169. I. 20. Jan. 1902. E. 2,172. Vgl. im übrigen auch oben Note e. Ein Fahnenflüchtiger, welcher während der Fahnenflucht seine Dienststiefel aufträgt, eignet sich dieselben dadurch nicht rechtswidrig zu. Der dolus besteht in der Absicht der rechtswidrigen Zueignung mit dem Bewußtsein, daß die Sache eine fremde und die Zueignung eine rechts­ widrige ist. RG. II. 11. Jan. 1881. E. 3,184. y Anvertraut sind alle Sachen, deren Besitz oder Gewahrsam jemand kraft eines Rechtsgeschäfts mit der Verpflichtung erlangt, sie zurückzugeben oder einem Dritten abzuliefern. RG. II. 12. Juli 1881. R. 3,473. E. 4,386.

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Degradation, § 40 Abs. 2 Nr. 3 MStrGB., und gegen Offiziere, wenn von Ehrverlust abgesehen wird, Dienstentlassung zulässig; § 34 Abs. 2 Nr. 2 MStrGB. Vgl. ferner auch Note 9 zu § 37 MStrGB. n) Dazu gehört auch der Ehrverlust. 12) Der Täter muß das Bewußtsein haben, daß die Sache einem Kameraden (Vorgesetzten, Quartierwirt) gehört. Eine Feststellung dahin, der Täter habe sich dessen bewußt sein müssen, reicht nicht aus. RMGer. PE. IV. Nr. 66. Objekte des an einem Kameraden, Vorgesetzten verübten Diebstahls können auch Gegenstände sein, welche im Eigentum des Fiskus sich befinden, aber im Besitz oder dem Gewahrsam eines Kameraden usw. sind. Ist der Diebstahl usw. gegen Vorgesetzte, Kameraden usw. in Aus­ übung des Dienstes verübt, so ist Straferhöhung gemäß §§ 53, 55 Abs. 2 MStrGB. ausgeschlossen. RMGer. PE. II. Nr. 149 c., IV. Nr. 138. 13) Vgl. Note 7 zu Z 49 MStrGB. 14) Vgl. Note 4 zu § 102 MStrGB. Unteroffiziere sind nicht nur im Verhältnisse unter sich, sondern auch im Verhältnisse zu den Gemeinen Kameraden. Koppmann Note 17 zu § 138 MStrGB. Zu den „Kameraden" gehören auch die Landgendarmen, soweit sie Personen des Soldatenstandes sind. Personen des Beurlaubtenstandes sind zueinander und zu Personen des aktiven Heeres (Marine) nur Kameraden, wenn sie sich im Dienst be­ finden. Vgl. Note 2 zu § 6 MStrGB. Hinsichtlich der Kriegsgefangenen vgl. Note 1 zu 8 138 MStrGB. Der Soldat, welcher von einer Zivil­ person eine Sache zur Ablieferung an einen Kameraden erhält und diese Sache unterschlägt, macht sich nicht nach 8 246 RStrGB., sowie nach 8 138 MStrGB. strafbar. Koppmann Note 21 zu 8 138 MStrGB. 15) Auch auf Quartierwirte usw. in Feindesland findet 8138 MStrGB. Anwendung. 16) Der Versuch des militärisch qualifizierten Diebstahls und Unter­ schlagung (8138 MStrGB.) ist strafbar; 88 242 Abs. 2, 246 Abs. 3 RStrGB. und 8 2 MStrGB. Die Strafe des Versuchs ist aus 8 138 MStrGB. und 88 43, 44, 45 RStrGB. zu entnehmen. Drei Tage bis sechs bezw. vier Wochen mittleren oder strengen Arrests, oder Gefängnis von 43 Tagen bis zu vier Jahren elf Monaten 29 Tagen. RMGer. Plen.-Beschl. 17. Mai 1901. E. 1,i34. 24. Mai 1901. E. 1,154. Zu demselben Resultat — aber aus anderen Gründen — gelangt Beling S. 250 d. Zeitschr. f. ges. Straf­ rechtswissenschaft 1903/1904, der daraus, daß bei 8 138 MStrGB. sich eine Bezugnahme auf den Diebstahl des bürgerlichen Strafrechts findet, folgert, daß alle Eigentümlichkeiten des bürgerlich-strafrechtlichen Diebstahls auf den militärischen Diebstahl zu übertragen sind, soweit nicht das MStrGB. das Gegenteil bestimmt, somit auch die Strafbarkeit des Versuchs des Diebstahls; die Ansicht des RMGer., daß in diesem Falle der Strafrahmen nach 88 242, 44 RStrGB. gebildet werden müsse, trifft nach Beling nicht zu; gerade wegen 8 44 cit. müsse der Strafrahmen nach 8 138 MStrGB. gebildet werden. 17) Eine auf Grund des 8138 MStrGB. ausgesprochene Verurteilung wegen Diebstahls stellt eine zur Begründung des Rückfallstrafe geeignete Vorbestrasung dar. RG. III. 27. März 1884. E. 10,330. Wegen Begünstigung und Hehlerei zu 8 138 MStrGB. vgl. 88 257, 258, 259 RStrGB. *8) Schwerer Diebstahl (8 243 RStrGB.), Diebstahl im Rückfall (88 244, 245 das.). Die Vorschrift des Abs. 2 8 138 MStrGB. nimmt der Tat das Ge­ präge einer militärischen Straftat nicht (vgl. Weiffenbach, Militärische Erörterungen Heft 1 S. 55), sie oroht nur für das Delikt, falls es ein Ver­ brechen ist, die Strafe des gemeinen Strafrechts an; es kann daher bei Ausführung des Verbrechens während der Ausübung des Dienstes der Straferhöhungsgrund der 88 53, 55 Nr. 2 MStrGB., da einerseits das

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Einzelne Verbrechen und Vergehen.

§ 139.

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gemeine Strafrecht solchen nicht kennt, und andererseits dieser Umstand nur bei der Strafzumessung berücksichtigt wird, RMGer. PE. I. Nr. 124 V. Nr. 107 nicht zur Anwendung kommen; RMGer. Plen.-Beschl. 12. Mai 1903. E. 5,iio. es stellt aber die Bestrafung aus Abs. 2 § 138 MStrGB. eine Vorbestrafung wegen eines militärischen Verbrechens dar im Sinne des § 22 Abs. 3 und des § 38 MStrGB. Vgl. auch Note 2 zu § 38 das. 19) Für § 138 MStrGB. besteht das in § 247 RStrGB. vorgesehene Erfordernis des Strafantrags nicht. § 51 MStrGB.

Zehnter Abschnitt. Verletzung von Dienstpflichten bei Ausführung besonderer Dienstverrichtungen. §139. (KG. §§ 62S 45 MStrGO.) Wer4) vorsätzlich2) un­ richtige Dienstatteste3) ausstellt oder Rapporte/) dienstliche Mel­ dungen oder dienstliche Berichtes unrichtig abstattet/) oder solche wissentlich b) weiter befördert, wird mit Gefängniß von sechs Monaten bis zu drei Jahren und mit Versetzung in die zweite Klasse des Soldatenstandes bestraft.9) In minder schweren Fällen^) tritt mittlerer11) oder strenger") Arrest oder Gefängniß44) oder Festungshaft") bis zu sechs Monaten ein.12) 4) Der 10. Abschn. findet nur auf Personen des Soldatenstandes An­ wendung; nicht auf Militärbeamte (§ 153 MStrGB.) oder das Gefolge des kriegführenden Heeres, Kriegsgefangene. Auf vorsätzliche Abstattung wissentlich falscher Meldungen seitens der Personen des Beurlaubten­ standes, welche nicht seitens der zuständigen Behörde zum Dienst einbe­ rufen sind, bezieht sich § 139 MStrGB. nicht. RMGer. II. 9. Nov. 1901. E. 2,51, vgl. auch Note 2 zu § 6 MStrGB. 2) Auch das Abstatten und Weiterbefördern von Meldungen usw. muß vorsätzlich sein; vorsätzlich ist die Handlung, wenn der Täter sich bewußt ist, daß der materielle Inhalt der Meldung usw. ein unrichtiger ist, und den Willen hat, eine unrichtige Meldung usw. zu erstatten oder weiter zu befördern. Fahrlässiges Handeln (KA. 20) unterliegt nur der Disziplinar­ bestrafung; § 1 Nr. 1 DStO. 3) Darunter fällt jede schriftliche Beurkundung, welche auszustellen eine Person des Soldatenstandes zuständig ist, auch die militärischen Atteste, Zeugnisse usw. § 139 MStrGB. schließt die Anwendung von § 278 RStrGB. aus. Der materielle Inhalt des Attestes muß ein un­ richtiger sein. Dies kann nicht nur im Hinblick auf die Bezeugung un­ mittelbar wahrnehmbarer Tatsachen, sondern auch bezüglich der sachver­ ständigen Würdigung dieser Tatsachen in ihren Folgen, z. B. für die Gesundheit, der Fall sein. RG. II. 18. Mai 1900. E. 33,293. 4) Rapporte sind regelmäßig nach einer bestimmten Zeit zu erstattende dienstliche Meldungen. 5) Die Auffassung, daß es im dienstlichen Verkehr zwischen Unter­ gebenen und Vorgesetzten nur Bitten und Meldungen gibt, so daß also dasjenige, was erlaubterweise von dem Untergebenen einem Vorgesetzten gegenüber geäußert wird, falls es sich nicht als eine Bitte darstellt, eine Meldung sein müsse, ist nicht richtig. Nach dem Sprachgebrauch in der Armee und Marine werden viele Willensäußerungen eines Untergebenen einem Vorgesetzten gegenüber Meldungen genannt, die im Rechtssinn keine Herz u. Ernst, Strafrecht der Mtlitärpersonen.

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Meldungen sind. Die Abgabe einer für einen anderen ausgestellten Urlaubskarte an den kontrollierenden Vorgesetzten ist keine Meldung, es liegt ein reines Disziplinarvergehen vor. RMGer. PC. VII. Nr. 38. Dienst­ lich sind Meldungen, Atteste usw., deren Erstattung bezw. Weiterbeförderung auf einer dienstlichen Obliegenheit oder Verpflichtung des Täters beruht. RMGer. II. 28. April 1902. E. 2,294 und I. 8. Sept. 1902. E. 3,219. Die dienstliche Obliegenheit des zur Meldung Verpflichteten kann beruhen auf allgemeinen militärdienstlichen Grundsätzen, auf einer allgemeinen Dienst­ vorschrift oder einem speziell ergangenen Befehle des zuständigen Vorge­ setzten, daß der Untergebene über eine Angelegenheit eine dienstliche Meldung erstatten soll. Ein weitergehendes dienstliches Interesse an der Meldung, ihrem Zweck und Inhalte nach, als dasjenige, welches die Dis­ ziplin an der Richtigkeit einer befohlenen Meldung des Untergebenen an den Vorgesetzten hat, wird von dem Gesetze nicht erfordert. RMGer. II. 18. Febr. 1903. E. 4,221. Hat der Kompagniechef seinem Untergebenen be­ fohlen, eine vom letzteren gemachte Schuld zu ordnen und, daß dies ge­ schehen, unter Vorlage der Quittung zu melden, und der Untergebene erstattet, zuwider der Wahrheit, diese Meldung unter Vorlage einer ge­ fälschten Quittung, so liegt neben § 267 RStrGB. das Vergehen des § 139 MStrGB. vor. RMGer. zit. Erk. E. 4,221. PE. V. Nr. 113. Wer einer dienstlichen Verpflichtung entsprechend eine dienstliche Meldung abstattet, muß die Wahrheit melden, auch wenn er sich durch die richtige Meldung der Gefahr strafgerichtlicher Verfolgung aussetzt. RMGer. PE. VI. Nr. 108. Schießlisten charakterisieren sich als „Meldungen" über die stattgehabte Ausführung und „die Ergebnisse der in Gemäßheit der Schießvorschriften vorzunehmenden Übungen und sind bestimmt, den Vorgesetzten die Mög­ lichkeit einer Kontrolle über die Handhabung des Schießdienstes bei den Kompagnien, über den Gang der Ausbildung des einzelnen Mannes im Schießen, über das Verfahren der Kompagnien beim Vorschreiten in der Übung und über den von einer Kompagnie erreichten Grad der Schuß­ fertigkeit zu gewähren. Sie sind Meldungen im Sinne des § 139 MStrGB. und haben als solche zwar die Bestimmung, in den vorstehend erwähnten Beziehungen Beweis zu erbringen, sind aber nicht bestimmt, „rechtlich er­ hebliche Tatsachen, d. h. die Entstehung, Aufhebung oder Änderung von Rechten oder Rechtsverhältnissen bewirkende Tatsachen zu beweisen. Den Charakter von Urkunden im Sinne des § 267 RStrGB. gewinnen Schieß­ listen nur in den Fällen, wo es sich, entsprechend den in Nr. 123 bis 140 der Schießvorschriften enthaltenen Bestimmungen, um die Erzielung be­ sonderer Vorteile, insbesondere von Ehrenpreisen und Schießpreisen für oen Schützen handelt. In diesen Fällen erbringt die Liste den Beweis von rechtlich erheblichen Tatsachen. RMGer. I. 3. Aug. 1901 (nicht veröffentlicht). Der eine Schießübung leitende Offizier ist dafür verantwortlich, daß die Schießkladde richtig geführt wird. Derjenige, der dienstlich mit der Führung der Schießkladde beauftragt ist, ist in erster Linie seinerseits für die richtige Führung derselben verantwortlich und meldet schon durch oie Übergabe der Kladde an den die Übung leitenden Offizier diesem, daß die Schießresultate derartig gewesen, wie sie in der Kladde verzeichnet sind. Wird der Führer der Kladde zeitweise, z. B. während er selbst schießt, ver­ treten, dann ist der vertretende Führer der Kladde für die von ihm be­ wirkten Eintragungen verantwortlich und meldet durch die Übergabe der Kladde an den die Übung leitenden Offizier auch seinerseits die Schieß­ resultate, die er eingetragen hat. Insoweit der Führer der Kladde von den Eintragungen seines Vertreters Kenntnis erhält, meldet er durch die Übergabe der Kladde an den leitenden Offizier nicht nur die von ihm selbst, sondern auch die von seinem Vertreter eingetragenen Schießversuche

Zweiter Teil.

Einzelne Verbrechen und Vergehen.

§ 139.

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und ist auch für die Richtigkeit der letzteren Eintragungen mit verant­ wortlich. Wird mit seinem Wissen und Wollen oder von ihm selbst eine von seinem Vertreter richtig bewirkte Eintragung in eine unrichtige abge­ ändert, so ist der Führer der Kladde, als der Meldepflichtige, auch ver­ pflichtet, diese Abänderung zu melden. Unterläßt er dies, so erstattet er durch die Übergabe der Kladde an den leitenden Offizier diesem eine un­ richtige dienstliche Meldung, indem er in dem Offizier, dem die Kladde übergeben wird, den Glauben erweckt, daß die abgeänderte Eintragung dem Schießresultate entspricht. Ob der Führer der Kladde die gefälschte Schießkladde persönlich dem leitenden Offizier übergab oder ob er es wissentlich geschehen ließ, daß die Weiterbeförderung der Kladde zu jenem Zwecke durch einen Dritten geschah, ist gleichgültig. RMGer. I. 12. Juli 1901. E. 1,209. I. 28. April 1902. E. 2,294. Es bilden, alle in der Kladde vom Täter bis zur Vorlage der­ selben an den die Übung leitenden Offizier vorgenommenen Fälschungen unselbständige Tätigkeitsakte derselben unter Anklage gestellten unrichtigen Abstattung einer dienstlichen Meldung. Die Einheitlichkeit der Tat bleibt bestehen, wenn auch in der Anklageverfügung die einzelnen oder einzelne der in der Kladde vorgenommenen Fälschungen nicht aufgeführt sind. RMGer. I. 8. Juni 1903. E. 5,177. Ein Kompagnie-Feldwebel, welcher beim Schießdienste — wenn auch nur unter stillschweigender Genehmigung des Vorgesetzten — das Gesamtergebnis der abgegebenen Schüsse berechnet, nimmt eine dienstliche Obliegenheit vor, und ist daher für die Richtigkeit der von ihm aufgestellten Gesamtberechnung verantwortlich. Die Meldung des mit Vorsatz unrichtig verrechneten Resultats an den Vorgesetzten unterfällt dem § 139 MStrGB. RMGer. II. 6. Sept. 1902. E. 3,213. Die bloße Niederschrift einer falschen Meldung, z. B. die bloße Ver­ änderung einer richtigen Eintragung in der Schießkladde seitens des Kladdenführers genügt nicht für den Tatbestand des § 139 MStrGB. Die falsche Meldung muß dem Vorgesetzten vorsätzlich erstattet, d. h. mit Wissen und Willen des Täters zum Zwecke der Täuschung des Vorgesetzten zur Kenntnis desselben gebracht sein. RMGer. II. 2. Juni 1902. E. 3,79. Eine Person des Soldatenstandes, welche beim Schießdienste die Schießliste kontrolliert, mag sie dies auf Befehl tun oder mag sie, ohne hierzu befehligt zu sein, eine ihrer Dienststellung an sich entsprechende Kontrolle ausüben, ist für die Richtigkeit der eingetragenen Schießergebnisse verantwortlich. Über­ gibt sie eine von ihr selbst gefälschte oder wissentlich eine von einem andern gefälschte Schieß liste an die zur Empfangnahme zuständige Stelle, so wird dadurch vorsätzlich eine unrichtige Meldung erstattet. RMGer. I. 28. April 1902. E. 2,294. Wird die Eintragung in das Revierkrankenbuch eines Truppenteils vorsätzlich unterlassen, obgleich sich jemand krank gemeldet hatte, so ist die demnächstige Vorlegung des Revierkrankenbuchs in Kenntnis dieser Nichteintragung durch den Meldepflichtigen an den Kompagnie- usw. Chef eine vorsätzliche unrichtige Meldungserstattung. RMGer. I. 19. Nov. 1903. E. 6,103. Dienstlich sind auch die Meldungen, die ein Untergebener auf Grund dienstlicher Verpflichtung in solchen persönlichen Angelegenheiten abstattet, mit denen der Vorgesetzte bestimmungsgemäß sich dienstlich zu befassen hat. So sind Meldungen, welche in Verehelichungssachen auf Anordnung der instruierenden Behörde zwecks Klarstellung des Vermögensstandes zu erstatten sind, dienstliche. RMGer. III. 1. Juli 1902. E. 3,123. Das Anbringen eines mit wissentlich unwahren Tatsachen begründeten Urlaubsgesuchs kann nur dann aus § 139 MStrGB. bestraft werden, wenn zur Begründung eine spezielle dienstliche, auf besonderem oder allgemeinem Befehl beruhende Verpflichtung bestand. RMGer. I. 8. Sept. 1902. E. 3,219. PE. IV. Nr. 149.

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Über den Unterschied zwischen § 139 und § 90 MStrGB. gilt folgendes: § 90 a. a. O. bedroht das Belügen des Vorgesetzten auf dessen Befragen aus dem Gesichtspunkt der Verletzung der allgemeinen Pflicht der mili­ tärischen Unterordnung als eine strafrechtlich minder erhebliche Handlung nur mit Arrest; das Vergehen gegen § 139 a. a. O. stellt sich als die wissentliche Verletzung der besonderen Dienstverpflichtung zur Meldung einer Tatsache und deshalb als ein schwereres Delikt dar. Liegt eine Dienstpflicht zur Meldung vor, dann ist es unerheblich, ob der Untergebene die Meldung aus freien Stücken oder auf Befragen des Vorgesetzten erstattet. RMGer. I. 26. Febr. 1903. E. 4,241. 6) Dienstliche Berichte an Zivilbehörden (z. B. Berichte der Gendarmen an die Staatsanwaltschaft) gehören nicht hierher. 7) Mündlich, schriftlich oder durch Zeichen (z. B. Anzeigen auf dem Scheibenstand); oie Abstattung der Meldung muß zu den dienstlichen Ob­ liegenheiten des Meldenden gehören. RMGer. PE. IV. Nr. 149; soweit eine schriftliche Meldung in Betracht kommt, erfordert der Begriff „ab­ statten", daß von der falschen Meldung zum Zwecke der Täuschung des Vorgesetzten Gebrauch gemacht wird. (Vgl. § 267 RStrGB.) Es genügt ein Gebahren mit der falschen Meldung, welches darauf gerichtet ist, einen Vorgesetzten in dem Irrtum, daß die Meldung unverfälscht sei, zu versetzen. Eine besondere Veranstaltung, wie die direkte Aushändigung, Vorlegung der Meldung an den Vorgesetzten, ist nicht erforderlich: es genügt, daß die Meldung sich an einem Orte befindet oder dorthin gebracht wird, von dem der Täter weiß, daß dort die Meldung dem Vorgesetzten zugänglich ist und von ihm eingesehen werden wird; vorausgesetzt ist aber die Absicht des Täters, daß dies geschehe. RMGer. II. 2. Juni 1902. E. 3,79. Wer dienstlich verpflichtet ist, eine Schießliste so, wie er sie erhalten hat, seinem Vorgesetzten zu übergeben, erstattet mit der Vorlage, wenn sie auch von besonderer mündlicher oder schriftlicher Meldung nicht begleitet ist, die dienstliche Meldung, daß die vorgelegte Liste der erhaltenen entspreche. RMGer. I. 3. Aug. 1901. Vorsätzliche und rechtswidrige Änderung einer Verleseliste, welche zur Beorderung von Übungspflichtigen und demnächstigen Verlesung durch den Vorgesetzten dient, fällt unter § 139 MStrGB., sobald dem Vorgesetzten mit dem Willen des Taters diese Liste dienstlich zugänglich gemacht ist. Voraussetzung ist aber, daß der Ändernde dienstlich mit der Abfassung oder Vorlage der Verleseliste beauftragt oder bestellt war. Das­ selbe gilt bei Fälschung von Schießergebnissen in Schießlisten oder An­ schußbogen. RMGer. VII. PE. Nr. 37. Unter § 139 MStrGB. kann auch die Fälschung richtig erhaltener Meldung seitens des Weiterbefördernden fallen. RMGer. I. 3. Aug. 1901. Voraussetzung der gemeinschaftlichen Abstattung einer unrichtigen dienstlichen Meldung seitens mehrerer Personen des Soldatenstandes ist, daß jeder der Meldenden zur Erstattung der Meldung verpflichtet ist, die Meldung an die zur Entgegennahme derselben zuständige Stelle abgegeben wird, und der Inhalt und die Abgabe der Meldung dem Willen jedes zur Meldung Verpflichteten entspricht. RMGer. I. 24. Nov. 1902. E. 4,45. 8) Der Vorgesetzte muß die Unrichtigkeit des materiellen Inhalts der Meldung, Attestes usw. gekannt und dessenungeachtet die Weiterbeförderung veranlaßt haben. 9) Eine Straferhöhung aus § 55 Nr. 2 MStrGB. ist ausgeschlossen, da die Ausstellung von Dienstattesten, das Abstatten der Meldung eine Ausübung des Dienstes ist. RMGer. PE. II. Nr. 166. Vgl. Note 3 zu § 55 MStrGB. 10) Vgl. Note 19 zu § 58 MStrGB. n) Mittelarrest von 1 bis 42, strenger Arrest von 1 bis 28 Tagen, oder Gefängnis oder Festungshaft von 43 Tagen ooer 6 Monaten.

Zweiter Teil.

Einzelne Verbrechen und Vergehen.

§ 140,

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Strenger Arrest kann auch ohne die Voraussetzung des § 22 Abs. 3 MStrGB. erkannt werden. Dienstentlassung, Degradation, ist neben der Gefängnisstrafe zulässtg, § 34 Abs. 2 Nr. 2, § 40 Abs. 1 Nr. 1 MStrGB.; wegen Versetzung in die 2. Kl. oes Soldatenstandes vgl. §§ 37 und 38 MStrGB. 12) Hat die vorsätzlich unrichtig erstattete Meldung usw. die in § 62 MStrGB. vorgesehenen Folgen, so wird diese Bestimmung anwendbar. Eine unrichtige, vor dem Feinde mit dem Vorsatz gemachte Meldung, einer feindlichen Macht Vorschub zu leisten oder den Deutschen usw. Truppen Nachteil zuzufügen, ist Kriegsverrat; § 58 Nr. 4 MStrGB. Für die Unter­ drückung einer richtig erstatteten Meldung — soweit die letztere sich als Beschwerde darstellt, ist der Tatbestand des § 117 MStrGB. gegeben — hat § 139 MStrGB. keine Bestimmung getroffen; es greift Disziplinar­ bestrafung Platz; § 1 Nr. 1 DStrO-, § 1 MDStrO. Die Fälschung von richtig erstatteten Meldungen usw. bei der Weitergabe enthält seitens des Weitergebenden die Erstattung einer wissentlich unrichtigen Meldung usw. RMGer. I. 3. Aug. 1901.

§140. (KG. §§ 62i, 45 MStrGO.) Wer^) für2) eine Hand­ lung,^ die eine Verletzung^) einer Dienstpflicht^)5a) enthält, Geschenkes oder andere Vortheiles annimmt,7) fordert^) oder sich versprechen2) läßt,io)n) roirb wegen Bestechung mit Zuchthaus^) bis zu fünf Jahren bestraft.i4)i5) In minder schweren Fällen^) tritt Freiheitsstrafe") bis zu drei Jahren ein; auch kann neben dem Gefängniß auf Versetzung in die zweite Klasse des Soldatenstandes ^) erkannt werden. 1) Vgl. Note 1 zu 8 139 MStrGB. 2) Nicht jeder aus Anlaß oder bei Gelegenheit einer die Dienstpflicht verletzenden Handlung angenommene usw. Vorteil kann als für die Hand­ lung gegeben angesehen werden; es muß vielmehr ein Zusammenhang zwischen Annahme des Vorteils und der die Dienstpflicht verletzenden Handlung fest­ gestellt werden, welcher erkennen läßt, daß der Vorteil als Gegenleistung für die besagte Handlung erscheint. RG. I. 25. Febr. 1889. E. 19,19. RMGer. I. 8. Juni 1903. E. 5,iso. 3) 8 140 MStrGB. unterscheidet nicht, ob die Handlung bereits ge­ schehen ist, oder erst künftig geschehen soll; erfolgt die Annahme des Ge­ schenkes usw. erst nach der Handlung, so muß erstere in ursächlichem Zu­ sammenhangzuletztererstehen. RG. III. 5. Nov. 1883. R. 5,670. Die Handlung kann auch eine Unterlassung sein. Derjenige, der die Zuwendung macht, muß die Abficht verfolgen, einen anderen zu einer bestimmten, die Ver­ letzung einer Dienstpflicht enthaltenden Handlung zu bestimmen. Diese Handlung braucht aber nicht in ihren einzelnen Akten genau bezeichnet zu werden; es genügt vielmehr, wenn derjenige, der die Zuwendung macht oder verspricht, den anderen bestimmen wollte, seine dienstliche Tätigkeit in einer konkret bezeichneten Richtung in pflichtwidriger Weise auszuüben bezw. zu mißbrauchen. RG. I. 22. Jan. 1885. R. 7,424; IV. 14. Mai 1886. R. 8,360; II. 7. Nov. 1884. E. 11,221. 4) Die Verletzung einer Dienstpflicht bildet eine objektive Voraussetzung des 8 140 MStrGB.; daß der Täter in dem Dritten den irrtümlichen Glauben erweckt, er fordere das Geschenk usw. für eine pflichtwidrige Hand­ lung, genügt nicht. Vgl. das zu Note 3 zit. Erk. des RG. 5) Die Dienstpflicht muß auf bestimmten schriftlich oder mündlich ge­ gebenen Befehlen oder Anordnungen (Dienstvorschriften) beruhen oder fich aus einem militärischen Grundsätze ergeben. Das Annehmen von Geschenken,

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Geldboraen seitens eines Vorgesetzten von einem Untergebenen für an sich nicht pflichtwidrige Handlungen fällt unter § 114 MStrGB. 5a) Unter der Voraussetzung des § 145 MStrGB. kann auch § 332 RStrGB. in Frage kommen. 6) Schenbrng ist die unentgeltliche Zuwendung, durch die jemand aus seinem Vermögen einen anderen bereichert; vgl. § 516 BGB. Nicht nur Vermögensvorteile, sondern auch vorübergehende materielle Genüsse (Bewirtung, Gestattung des Beischlafs) fallen unter den Begriff des Vorteils im Sinne dieser Vorschrift. RG. 5. Nov. 1883. R. 5,g?o. E. 9,166. Das Geschenk oder der Vorteil braucht nach Maß oder Art nicht fest be­ stimmt zu sein. RG. IV. 20. Mai 1892. E. 23,141. Es muß sich aber immer um Leistungen handeln, welche sich als freiwillige darstellen, und der Geber muß das Bewußtsein haben, daß er keine rechtliche Verpflichtung zur Gewährung der Leistung habe. RG. IV. 13. März 1885. R. 7,175. II. 16. Dez. 1898. E. 31,389. 7) Die Annahme kann auch durch eine Mittelsperson erfolgen, z. B. Zuwendung an Angehörige des Täters, wenn sie sich als Vorteil für den Täter selbst darstellt. 8) Für die Entscheidung, ob ein den Tatbestand des § 140 MStrGB. erfüllendes Fordern stattgefunden hat, ist nicht von der Auffassung desjenigen, welcher das Geforderte leisten soll, sondern von dem Standpunkte des for­ dernden Täters auszugehen. RG. II. 16. Dez. 1898. E. 31,389. 9) Ein „sich versprechen lassen" von Geschenken usw. kann in dem Verhalten des Täters, woraus auf die Geneigtheit zur Annahme des in Aussicht gestellten Geschenkes geschlossen werden muß, gefunden werden. RG. II. 8. Mai 1885. R. 7,285. 10) Die Tat ist vollendet mit der Annahme, dem Fordern usw. von Geschenken usw.; daß die die Dienstpflicht verletzende Handlung begangen ist, wird zur Vollendung des Delikts nicht erfordert. RMGer. I. 8. Juni 1903. E. 5,180. n) Der dolus besteht in dem Bewußtsein der Annahme usw. eines Vorteils für eine Handlung, die an sich die Verletzung einer Dienstpflicht enthält. Hält der Täter die Handlung für eine der Dienstpflicht ent­ sprechende, so ist der dolus des § 140 MStrGB. ausgeschlossen, auch wenn oer Täter in dem Geber den irrtümlichen Glauben erweckt hat, es handle sich um eine pflichtwidrige Handlung. RG. III. 5. Nov. 1883. R. 5,6?o. 12) Erfüllt die infolge der Bestechung begangene, die Dienstpflicht verletzende Handlung den Tatbestand einer strafbaren Handlung, so liegt stets Realkonkurrenz mit § 140 MStrGB. vor. RMGer. I. 8. Juni 1903. 5,180. 13) Wegen Entfernung aus dem Heere vgl. § 31 MStrGB. und wegen Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte §§ 32—34 MStrGB. Über die An­ wendbarkeit des § 55 Nr. 2 MStrGB. vgl. das. Note 3. 14) Der Versuch ist strafbar; 88 43 ff. RStrGB., 8 2 MStrGB. Das Empfangene oder oer Wert desselben, falls das Empfangene nicht mehr vorhanden ist, ist im Urteil für den Staat verfallen zu erklären; 8 335 RStrGB., 8 2 MStrGB. RMGer. Plen.-Beschl. 17. Mai 1901. E. I,i3i. 15) Der Geber des Geschenks usw. unterliegt der Strafbestimmung des 8 333 RStrGB. 16) Vgl. Note 19 zu 8 58 MStrGB. 17) Arrest von 1 Tag bis 6 bezw. 4 Wochen (strenger nur gemäß Abs. 3 8 22 MStrGB.), Gefängnis oder Festungshaft von 43 Tagen bis zu 3 Jahren. Wegen Dienstentlassung und Degradation vgl. 88 34,40 MStrGB. 18) Gegen Offiziere ist Entfernung aus dem Heere zulässig; 8 31 Abs. 3 MStrGB.

Zweiter Teil.

Einzelne Verbrechen und Vergehen.

§ 141.

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§ 141. (StG. bezw. KG. § 151 MStrGO.) Wer*) als Befehls­ haber^) einer militärischen Wache/) eines Kommandos4)5 oder einer Abtheilung/) oder wer als Schildwache6)* *oder als Poster/) in schuld­ hafter ^) Weise sich außer Stand setzt/) den ihm obliegenden Dienst zu versehen, oder eigenmächtig9) seinen Posten verläßt9)9*) oder sonst den ihm in Bezug aus jenen Dienst ertheilten Vorschriften^) entgegen­ handelt, wird mit mittlerem oder strengem Arrests) nicht unter vier­ zehn Tagen, (KG. bezw. i. F. StG. §§ 621, 45, 161 MStrGO.) im Feldes mit mittlerem oder strengem Arrests) nicht unter drei Wochen oder mit Gefängniß 14) oder Festungshaft44) bis zu zwei Jahren bestraft. (KG. §§ 62 r, 45 MStrGO.) Wird durch H) die Pflichtverletzung ein Nachtheil^) verursacht, so tritt Gefängniß") oder Festungshaft") bis zu drei Jahren, im Feldes Gefängniß oder Festungshaft nicht unter drei Jahren/8) und wenn dieselbe vor dem Feinde49) begangen ist, Todesstrafe, in minder schweren Fällen29) Freiheitsstrafe 21) nicht unter zehn Jahren oder lebenslängliche Freiheitsstrafe22) ein. (KG. §§ 62 2, 45 MStrGO.) Wird durch die Pflichtverletzung im Feldes die Gefahr24) eines erheblichen^) Nachtheils48) herbeige­ führt, so tritt Freiheitsstrafe28) nicht unter Einem Jahre, und wenn die Pflichtverletzung vor dem Feinde49) begangen ist, Freiheitsstrafe2?) nicht unter zehn Jahren ein.28)29) 4) Vgl. Nr. 1 zu tz 139 MStrGB. 2) In Betracht kommt nur derjenige Befehlshaber einer Wache, welcher als Kommandierender der Wache (Wachthabender) für den vorge­ schriebenen Dienstbetrieb verantwortlich ist. 3) Vgl. § 111 Abs. 2 MStrGB. Zu den Wachen im weiteren Sinne gehören auch die Ronden, Patrouillen. 4) Kommando ist eine zur Ausführung eines „bestimmten militärischen Auftrags entsendete Truppenabteilung. Eine zu Übungszwecken entsandte Patrouille ist als Wache im Sinne des § 141 MStrGB. nicht anzusehen; sie kommt dagegen als Kommando oder Abteilung in Betracht; ein Patrouillenführer ist Befehlshaber eines militärischen Kommandos im Sinne oes § 141 cit. Desgl. der Führer einer Ablösung auf dem Wege zum und vom Ablösen. GV. Nr. 108. 5) Dahin gehört jede taktische Unterabteilung (z. B. Halbzug, Zug, Kompagnie usw.), sofern sie sich in Ausübung einer bestimmten Dienstvor­ richtung befindet. 6) Als Posten sind nur die Mannschaften anzusehen, die in dem, den Vorschriften entsprechenden Anzuge, mit der Verpflichtung, die Waffe nicht aus der Hand zu legen, auf einen begrenzten Raum angewiesen sind. Posten sind Ehren- oder Sicherheitsposten. Den Ausdruck Schildwache, der identisch mit Posten ist, kennt die GV. v. 15. März 1902 nicht. Bezüglich der Stallwachen vgl. Note 11 zu § 111 MStrGB. Sind einem als Posten (Schildwacke) kommandierten Soldaten die Tatsachen, aus denen seine Eigenschaft als Posten (Schildwache) folgt, be-

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kannt, so ist ein etwaiger Glaube desselben, nicht Posten zu sein, ein Irr­ tum im Gebiete des Strafrechts. RMGer. II. 21. Julr 1903. E. 5,270. 7) Es genügt jede Fahrlässigkeit. 8) Es muß zum mindesten die Gefahr gegeben sein, daß der Täter den Dienst nicht mehr in der Weise verrichten kann, wie es der Dienst erfordert. 9) D. h. vorsätzlich ohne Erlaubnis seinen Platz verläßt; das Ver­ lassen des Postens bezieht sich nicht nur auf Schildwachen und Posten, sondern auch auf die Satz 1 § 141 MStrGB. aufgefübrlen Befehlshaber. Ein Wachthabender, der eigenmächtig seine Wache verläßt, macht sich ledig­ lich nach § 141 MStGO. strafbar. RMGer. PE. IV. Nr. 141. 9a) Bei Jdealkonkurrenz zwischen einem Vergehen nach § 141 MStrGB. und einem solchen nach § 151 a. a. O. darf eine geringere Strafe als die im § 141 festgesetzte Mindeststrafe nicht ausgesprochen werden. RMGer. Plen.-Beschl. v. 17. Mai 1901. E. 1,im. PE. VI. Nr. 109. 10) Vgl. auch GV. In Betracht kommen nur Verstöße gegen die das Wesen des Wachtdienstes betreffenden Vorschriften; nicht Verstöße gegen die vorgeschriebenen Formen dieses Dienstes; letztere sind nur disziplinarisch strafbar; § 1 Nr. 1 DStrD., 8 1 Nr. 1 MStrGO. Die Wachtvorschriften, deren Verletzung im § 141 MStrGB. unter Strafe gestellt ist, sind als Tatsachen im Sinne des § 59 RStrGB. anzusehen; eine vorsätzliche Zuwiderhandlung gegen § 141 a. a. O. ist ausgeschlossen, wenn der Täter die von ihm übertretene Wachtvorschrift nicht gekannt hat, gleichgültig, ob diese Unkenntnis eine entschuldbare ist oder nicht; die Unkenntnis schützt aber den Täter dann nicht, wenn dieselbe durch Fahrlässigkeit verschuldet ist, und die Zuwiderhandlung selbst aus Fahrlässigkeit begangen werden konnte (was bei einer Übertretung der Wachtvorschriften unbedenklich an­ zunehmen ist) und sie auch tatsächlich aus Fahrlässigkeit begangen wurde. RMGer. II. 8. April 1903. E. 5,33. Es ist ein militärischer Grundsatz, daß eine Militärperson, welche von einer anderen Militärperson dieser dienstlich aut Bewachung oder Aufbewahrung übergebene Personen oder Sachen dienstlich zur weiteren Bewachung oder Aufbewahrung übernimmt, festzu­ stellen hat, daß die Sicherungsmaßregeln getroffen sind, für deren Inne­ haltung sie selbst haftbar ist. Eine Ausnahme von diesem militärdienst­ lichen Grundsätze findet nur in den Fällen statt, wo die eigene Sinnes­ wahrnehmung durch eine Meldung des Untergebenen ersetzt werden kann. Die Vorschrift für einen Arrestaufseher, die Zellen und Korridore ver­ schlossen zu halten, schließt von selbst die Verpflichtung in sich, daß der Arrestaufseher oder dessen Stellvertreter sich bei Übernahme des Dienstes von der Person, die vor ihm den Dienst versehen hat, noch in deren Gegen­ wart von dem ordnungsmäßigen Verschlüsse der Zellen und Korridore überzeugt. Vertritt ein Wachthabender als solcher bestimmungsgemäß zu gewissen Zeilen den Arrestaufseher und handelt er als oessen Stellvertreter den für den Arrestaufseher gegebenen Vorschriften schuldhafter Weise zu­ wider, so ist der Tatbestand des Vergehens gegen § 141 MStrGB. gegeben. RMGer. I. 21. Dez. 1903. E. 6,185. Der bei Ablösung eines Postens Auf­ führende, der beim Vorbeigehen von Zivilpersonen (Mädchen) den Aufge­ führten das Kommando: „Augen rechts" erteilt, ist in erster Linie aus § 141 MStrGB. zu bestrafen. RMGer. PE. VII. Nr. 39. Die Vorschriften, gegen welche verstoßen ist, sind in den Urteilsgründen anzuführen. RMGer. PE. I. Nr. 166. Ideale Konkurrenz des § 141 MStrGB. mit §§ 92, 93 MStrGB. ist ausgeschlossen; es besteht zwischen diesen Bestimmungen Gesetzeskonkurrenz. n) Mittlerer, strenger Arrest von 14 Tagen bis zu 6 bezw. 3 Wochen (strenger Arrest auch ohne die Voraussetzungen des Abs. 3 §§ 22 MStrGB. zulässig).

Zweiter Teil.

Einzelne Verbrechen und Vergehen.

§ 142.

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12) Vgl. § 9 und 10 MStrGB. 13) Mittlerer, strenger Arrest von 3 Wochen bis zu 6 bezw. 4 Wochen. Vgl. auch Note 11 oben. 14) Gefängnis oder Festungshaft von 43 Tagen bis zu zwei Jahren. Dienstentlassung und Degradation ist zulässig; 88 34, 40 MStrGO. In leichteren Fällen des Abs. 1 des 8 141 MStrGB. ist Disziplinarbestrafung zulässig; 8 3 d. EG. z. MStrGB. Letztere schließt gerichtliche Bestrafung nach dem Grundsätze ne bis in idem aus. Dieser Grundsatz ist materiell­ rechtlicher Natur; er kann also auch dann in der Revisionsinstanz berück­ sichtigt werden, wenn lediglich im allgemeinen die Verletzung materieller Gesetzesvorschriften gerügt ist. 15) Der Nachteil muß die Wirkung der Pflichtverletzung sein. Ob der Nachteil ein erheblicher ist, ist gleichgültig. 16) Vgl. Note 7 zu 8 72 MStrGB. 17) Gefängnis oder Festungshaft von 43 Tagen bis zu 3 Jahren. 18) Gefängnis oder Festungshaft von 3 bis zu 15 Jahren. 19) Vgl. 88 11, 165 MStrGB. 2°) Vgl. Note 19 zu 8 58 MStrGB. 21) Gefängnis oder Festungshaft von 10 bis zu 15 Jahren. 22) Gefängnis oder Festungshaft. 23) Vgl. 8 9 und 10 MStrGB. Liegt dieses Straferhöhungsmoment nicht vor, so ist lediglich Abs. 1 8 141 MStrGB. anwendbar. 24) Vgl. Note 7 zu 8 93 MStrGB. 25) Die Erheblichkeit des Nachteils (Verlust an Waffen, Munition, Aufgabe der Stellung usw. ist Tatfrage und ev. auf Grund sachverständiger Gutachten festzustellen. 2") Gefängnis oder Festungshaft von 1 bis zu 15 Jahren. 2?) Gefängnis oder Festungshaft von 10 bis zu 15 Jahren. 28) Ein im Felde oder vor dem Feinde begangener Versuch des Ver­ brechens aus Abs. 2 oder 3 8 141 MStrGB. ist strafbar, 88 43ff. RStrGB. sofern die Pflichtverletzung auf Vorsatz beruht. 29) Straferhöhung aus 88 53, 55 Nr. 2 MStrGB. ist, soweit die Aus­ führung während der Ausübung des Dienstes in Betracht kommt, bei 8 141 das. ausgeschlossen. Vgl. Note 3 zu 8 55 MStrGB. RMGer. PE. III. Nr. 135.

§ 142. (KG. bezw. i. F. StG. 88 621, 45, 16 MStrGO.) WerO durch Fahrlässigkeit2) in der Wahrnehmung seines Dienstes3) eine er­ hebliche Beschädigung^) eines Schiffes3) oder dessen Zubehörs herbei­ führt, wird mit Freiheitsstrafe3) bis zu drei Jahren bestraft; in

schwereren Fällen7) kann zugleich auf Dienstentlassung3) erkannt werden. 0 Vgl. Note 1 zu 8139 und 8 166 Abs. 1 und 2 MStrGB. Anwesen­ heit des Täters an Bord ist nicht erforderlich. 2) Vgl. Note 11 zu 8 62 MStrGB. Zwischen dem gewollten konkreten Handeln und dem eingetretenen rechtswidrigen Erfolge muß ein ursächlicher Zusammenhang bestehen. Nicht jede Fahrlässigkeit, nicht jede Unvorsichtig­ keit kommt in Betracht, sondern nur eine solche, welche zwischen dem ver­ antwortlichen Tun oder Lassen einerseits und dem Erfolge — Beschädi­ gung — andrerseits einen ursächlichen Zusammenhang erkennen läßt, und zwar derart, daß an der geschlossenen Einheit der Kette sich kausal be­ dingender Ereignisse nicht zu zweifeln ist. Konkurrierendes Verschulden eines Dritten — auch eines Untergebenen — entlastet den Täter nicht. Er bleibt für sein Verschulden haftbar, soweit durch sein, wenn auch nur teil-

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weises, Mitwirken der Schaden entstanden ist. RMGer. II. 4. Juli 1903. E. 5,231. Das Wesen der Fahrlässigkeit besteht darin, daß durch Nichtanwendung der nack den gegebenen Umständen und den für bestimmte Verhältnisse etwa bestehenden dienstlichen Anordnungen und militärischen (marinetechnischen) Grundsätzen gebotenen Sorgfalt und Umsicht von dem Handelnden ein vom Recht reprobierter Erfolg seines Handelns oder Unterlassens herbeigeführt wird; RG. III. 15. Febr. 1882. R. 4,165, IV. 23. März 1897. E. 30,25. Das Maß der dem Täter obliegenden Vorsicht und Sorgfalt richtet sich nach den Umständen des Falles, namentlich nach der Diensterfahrung und der verantwortlichen Stellung des Täters. Der an Bord befind­ liche Kommandant — auch eines „Spezialschiffes" — behält immer die Verantwortlichkeit für sein Schiff. Diese Verantwortlichkeit enthält die Verpflichtung, mit Aufbietung aller geistigen und körperlichen Kräfte unter „sorgfältiger Beobachtung aller militärisch und seemännisch gebotenen Grund­ sätze und Regeln" für die Ehre der Flagge und Erhaltung des Schiffes, oer Besatzung, der Artillerie und alles an Bord befindlichen kaiserlichen Gutes Sorge zu tragen. Zur Wahrung der dem Kommandanten obliegen­ den Vorsicht gehört in erster Linie die fortlaufende Oberaufsicht über die Untergebenen. In allen Fällen, in denen diese ohne Preisgabe höherer Interessen geschehen kann, ist der Kommandant verpflichtet, die Tätigkeit seiner Untergebenen zu kontrollieren und sich zu diesem Behufe durch eigene Beobachtung ein Bild von der Sachlage zu machen. Ein manövrierendes Schiff darf niemals der Leitung eines verantwortlichen Führers entbehren. Wird die Aufmerksamkeit des Führers durch einen Vorgesetzten abgelenkt, so machen sich beide für den etwa eintretenden Schaden verantwortlich. Wenn auch die Vorschrift, daß jedes Gespräch mit dem wachthabenden Offizier untersagt ist, als solche für den Kommandanten nicht bindend ist, so muß er doch genau prüfen, ob die Umstände die Anknüpfung eines Ge­ spräches gestatten. RMGer. II. 4. Juli 1903. E. 5,231. Für den Begriff der Fahrlässigkeit wird ferner erfordert, daß der Täter durch Anwendung solcher Sorgfalt und Vorsicht den eingetretenen Erfolg als eine mögliche Folge seiner Handlung hätte voraussehen können. RG. I. 2. Dez. 1880. E. 3,206, II. 2. Mai 1882. E. 6,249, II. 30. Juni 1885. E. 12,317, III. 22. Febr. 1883. E. 8,66. RMGer. zit. Erk. E. 3,231. Voraus­ sehbarkeit der konkreten Art und Weise, in der tatsächlich der Erfolg herbei­ geführt wurde, ist nicht erforderlich. RG. III. 14. Febr. 1887. E. 15,345. Alle Einzelheiten des Verlaufs brauchen also dem Täter nicht erkennbar gewesen sein. RG. IV. 11. Jan. 1901. E. 34,91; die unbekannten Einzelheiten des konkreten Kausalverlaufs müssen nur innerhalb des Rahmens der gewöhn­ lichen Erfahrung liegen. RG. I. 16. Nov. 1896. E. 29,218. Fahrlässigkeit einer bestimmten Handlung oder Unterlassung wird nicht dadurch ausgeschlossen, daß ein bezügliches Verbot oder Gebot nicht besteht. RMGer. II. 30. Sept. 1901. E. 2,16. In Betracht kommt nur die in Wahrnehmung (Ausübung) des Dienstes betätigte Fahrlässigkeit. Der wachthabende Offizier ist für die­ jenige Tätigkeit, welche ihm dienstlich bei der Navigierung des Schiffes obliegt — § 16 des Kapitel II der Bestimmungen über den Dienst an Bord — verantwortlich. Diese Verantwortlichkeit erstreckt sich bezüglich der Folgen seiner Tätigkeit über die Wachzeit hinaus. RMGer. II. 12. März 1902. E. 2,224. Wegen vorsätzlicher Zerstörung eines Schiffes vgl. § 305 NStrGB. 3) Die Straferhöhung aus §§ 53, 55 Nr. 2 MStrGB. ist bei § 142 das. ausgeschlossen. Vgl. Note 3 zu § 55 MStrGB. 4) Vgl. Note 5, 7 zu 8 137 und Note 25 zu § 141 MStrGB. Es muß objektiv eine erhebliche Beschädigung vorliegen. Aus dem größeren oder geringeren Maße des subjektiven Verschuldens darf nicht auf die Erheblich-

Zweiter Teil.

Einzelne Verbrechen und Vergehen.

§ 143.

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keit der Beschädigung und umgekehrt, aus der Schwere des eingetretenen Erfolges darf nicht auf die Größe der Fahrlässigkeit geschlossen werden. Zu den Beschädigungen im Sinne des § 142 MStrGB. gehört jede ganze oder teilweise Zerstörung des Schiffes oder seines Zubehörs, ferner alle Fälle, die das Wesen des Schiffes als solchen aufheben oder wichtige Teile desselben (z. B. Steuer, Maschinen) vernichten, die das Schiff seiner Zweck­ bestimmung ganz oder für gewisse Zeit entziehen; die Erheblichkeit der Be­ schädigung bemißt sich nach deren Einfluß auf die Gebrauchsfähigkeit und Sicherheit des Schiffes und nicht nach der Höhe der aufzuwenden Re­ paraturkosten. 5) Vgl. § 163 MStrGB. Zum Zubehör des Schiffes gehören u. a. die Maschinen, Steuer, Schrauben, Boote, Geschütze usw. MKA. 19. 6) Arrest von 1 Tag bis 6 bezw. 4 Wochen (strenger Arrest nur unter Voraussetzung des Abs. 3 § 22 MStrGB.), Gefängnis oder Festungshaft von 43 Tagen bis zu 3 Jahren. Vgl. wegen Dienstentlassung und Degra­ dation §§ 34, 40 MStrGB. 7) Vgl. Note 6 zu 8 80 MStrGB. 8) Soweit solche nicht schon gemäß § 34 Abs. 2 und §40 Abs. 2 Nr. 1 neben Gefängnis und Festungshaft zulässig ist.

§ 143.la) Wer*) als Befehlshabers einer militärischen Waches) eines Kommandos4) oder einer Abtheilung?) oder wer als Schildwache8) oder als Postens eine strafbare Handlung?) wissentlich8) begehen9) lässt,10) welche er verhindern konnte und zu verhindern dienstlich verpflichtet") war, wird ebenso bestraft, als ob die Handlung von ihm selbst begangen wäre?-) la) Der § 143 MStrGB. enthält gegenüber den allgemeinen Vor­ schriften des Reichsstrafgesetzbuchs über Teilnahme eine die verschiedenen Formen der Teilnahme umfassende Sonderbestimmung. RMGer. PE. VII Nr. 40. 1) Vgl. Note 1 zu § 139 MStrGB. 2) Vgl. Note2 zu § 141 MStrGB. 3) Vgl. § 111 Abs. 2 u. Note 3 zu § 141 MStrGB. 4) Vgl. Note4 zu § 141 MStrGB. 5) Vgl. Note5 zu § 141 MStrGB. 6) Vgl. Note6 zu § 141 MStrGB. 7) Vgl. Note 6 zu § 115 MStrGB. Es genügt, daß objektiv der Tatbestand einer strafbaren Handlung vorliegt; Strafausschließungs- und Milderungsgründe, die in der Person des die Handlung mit Wissen des Befehlshabers ausführenden Täters liegen, bleiben für den als Täter zu bestrafenden Befehlshaber usw. außer Betracht. Vgl. auch § 51 MStrGB. Läßt ein Wachbefehlshaber wissentlich die unerlaubte Entfernung eines Kameraden dadurch geschehen, daß er dem Täter nächtlicherweise das Kasernentor öffnet, so macht er sich eines Vergehens gegen § 141 MStrGB. im rechtlichen Zusammenflüsse mit einem Vergehen nach § 143 u. 64 MStrGB. schuldig. RMGer. PE. VII Nr. 40. 8) Der Befehlshaber usw. muß wissen, daß die fragliche Handlung strafbar war. 9) Es genügt ein an sich strafbarer Versuch der fraglichen Handlung; in diesem Falle trifft den Befehlshaber usw. auch nur die Strafe des Ver­ suchs; §8 43 ff. RStrGB., §46 MStrGB. — §143 ist ein militärisches Delikt. 10) D. h. nicht verhindert.

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Militär-Strafgesetzbuch für das Deutsche Reich.

n) Es muß eine dienstliche Verpflichtung zur Verhinderung nach all­ gemeinen oder besonderen Dienstvorschriften oder militärischen Grundsätzen vorliegen. Die militärischen Befugnisse der Posten richten sich regelmäßig gegen solche Personen, welche ihnen nicht gleichgestellt sind. Begeht bei einem Doppelposten der eine Posten eine strafbare Handlung, so ist der andere Posten nur dann verpflichtet, sie zu verhindern, wenn ihm entweder die Verpflichtung durch seine Posteninstruktion ausdrücklich auferlegt ist, oder wenn die strafbare Handlung zu denjenigen Handlungen gehört, die der Posten kraft seiner speziellen Instruktion zu hindern verpflichtet ist. RMGer. II. 14. Dez. 1901. E. 2,94. 12) Es wird fingiert, daß der Befehlshaber usw. die Tat in seiner dienstlichen Eigenschaft als Befehlshaber usw. in Ausübung dieses Dienstes begangen hat. Wegen dieses Momentes ist Straferhöhung aus §§ 53, 55 Nr. 2 MStrGB., bei § 143 MStrGB. ausgeschlossen. RMGer. PE. III. Nr. 135.

§ 144. (KG. bezw. i. F StG. §§ 621, 45, 161 MStrGO). 20er1) einen Gefangenen/) dessen Beaufsichtigung/) Begleitung oder Bewachung ihm anvertraut4) ist, vorsätzlich5) entweichen läßt/) oder dessen Befrei­ ungb) vorsätzlich bewirkt?) oder befördert/)«) ingleichen wer eine von seinem Vorgesetzten5) ihm befohlene oder eine ihm dienstlich obliegende15) Verhaftung vorsätzlich nicht zur Ausführung bringt, wird mit mittlerem oder strengem Arrest nicht unter vierzehn Tagen oder mit Gefängniß oder Festungshaft bis zu fünf Jahren bestraft;u)12) auch kann neben Gefängniß auf Versetzung in die zweite Klasse des Soldatenstandes erkannt werden.13) Ist die Entweichung14) des Gefangenen nut15) durch Fahrlässig­ keit^) befördert oder erleichtert worden, oder ist die Verhaftung nur aus Fahrlässigkeit15) unterblieben, so tritt Freiheitsstrafe15) bis zu sechs Monaten ein. !) Vgl. Note 1 zu § 139 MStrGB. § 144 MStrGB. findet auch auf Landgendarmen, welche Personen des Soldatenstandes sind, Anwendung. Hinsichtlich der Militärbeamten vgl. § 154 MStrGB. und § 347 NStrGB. Die Befreiung eines Gefangenen durch Personen des Soldatenstandes, denen die Beaufsichtigung usw. desselben nicht anvertraut ist, fällt unter § 120 RStrGB. vgl. ferner Note 3 zu § 145 MStrGB. 2) Vgl. Note 1 zu § 79 MStrGB. Ob der Gefangene Militärge­ fangener oder Zivilgefangener ist, ist unerheblich. Zu oen Gefangenen im Sinne des' § 144 gehören auch die Kriegsgefangenen. Kriegsgefangene Offiziere, die auf Ehrenwort zum Aufenthalt in einem bestimmten Orte oder Bezirk verpflichtet sind, gelten als Gefangene i. S. v. § 144 MStrGB., da sie tatsächlich durch die erfolgte Beschränkung ihres Aufenthaltsortes in der Gewalt der Obrrgkeit sind (vgl. v. Liszt Lehrbuch d. deutsch. Straf­ rechts § 173; Koppmann Note 4 zu § 144 MStrGB.). 3) Eine „Beaufsichtigung erfordert", daß über die Person des Ge­ fangenen mittelbar oder unmittelbar eine Aufsicht zu führen ist. RG. IV. 7. Mai 1895. E. 27,209. 4) „Anvertraut" ist gleichbedeutend mit „Übertragen". Vorausgesetzt ist, daß dem Täter eine besondere Dienstpflicht in bezug auf die Bewachung usw. obliegt. RG. IV. 7. Mai 1895. E. 27,209. Eine besondere Übergabe der Übernahme zur Beaufsichtigung usw. ist nicht erforderlich. RG. II.

Zweiter Teil.

Einzelne Verbrechen und Vergehen. • §§ 144, 145.

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29. Mai 1883. E. 8,313. III. 19. April 1882. R. 4,356; vielmehr ist der Begriff des Anvertrauens gegeben, sobald für den Täter eine Pflicht zur Beaufsichtigung usw. besteht. Vgl. oas zit. Erk. E. 27,209. 5) Der Wille des Täters muß auf Aufhebung der Gefangenschaft ge­ richtet sein; Eventualdolus genügt. Der Vorsatz kann aber nicht schon darin gefunden werden, daß der Täter sich habe bewußt sein „müssen", daß sein Tun zur Befreiung des Gefangenen führe. RG. IV. 18. Dez. 1894. E. 26,334. Geht die Absicht des Täters dahin, die Fahnenflucht des Gefangenen zu befördern, so liegt ideale Konkurrenz mit § 78 MStrGÄ. vor. 6) „Befreiung" ist mit „Entweichen" identisch. Das Entweichenlaffen hat das unterlassene Verhindern der Selbstbefreiung des Gefundenen, oie Beförderung der Befreiung, die Unterstützung dieser Selbstbefremng oder Befreiung durch Dritte mittels positiver Tätigkeit zur Voraussetzung. RG. I. 2. Jan. 1882. E. 5,324. 7) Eine Befreiung des Gefangenen ist noch nicht bewirkt, solange dieser von der ihm gebotenen Möglichkeit des Entweichens keinen gebrauch macht und auch sonst in dem Zustande der Gefangenschaft keine Änderung ein­ getreten ist. RG. IV. 18. Dez. 1894. E. 26,334 8) Vollendet ist die Tat mit der eingetretenen tatsächlichen Aufhebung der Gefangenschaft, d. h. der Gewalt der Behörde über den Gefangenen. Der Versuch oes Delikts aus § 144 ist nicht strafbar, wohl aber event, aus § 257 RStrGB. oder disziplinarisch. 9) Vgl. Note 7 zu § 47 MStrGB. 10) Dies ist eine nach den Dienstvorschriften zu beurteilende, der Revi­ sion unterliegende Frage. n) Mittlerer oder strenger Arrest von 14 Tagen bis zu 6 bezw. 4 Wochen (strenger Arrest auch ohne die Voraussetzung des § 22 Abs. 3 MStrGB.), Gefängniß oder Festungshaft von 43 Tagen bis zu 5 Jahren. Wegen Dienstentlassung und Degradation vgl. §§ 34, 40 MStrGB. 12) Straferhöhung aus §§ 53, 55 Nr. 2 MStrGB. ist bei § 144 MStrGB. ausgeschlossen. 13) Gegen Offiziere ist neben Gefängnis Entfernung a. d. H. zulässig; § 31 Abs. 3 MStrGB. 14) Die Entweichung des Gefangenen kann hier sowohl durch fahr­ lässig unterlassene Verhinderung derselben, als auch durch fahrlässige posi­ tive Tätigkeit befördert oder erleichtert werden (fahrlässige Befreiung). RG. I. 2. Jan. 1882. E. 5,324. R. 4,3. 15) Vgl. Note 11 zu § 62 und Note 2 zu 8 142 MStrGB. Das Wort „nur" setzt den Inhalt des Abs. 2 lediglich in Gegensatz zu der in Abs. 1 behandelten vorsätzlichen Handlung. Eine Mitwirkung des Mittäters, Ge­ hilfen sowie des Gefangenen selbst schließt die Anwendbarkeit des Abs. 2 nicht aus. Eine Militärperson, welche von einer anderen Militärperson dieser dienstlich zur Bewachung bezw. Aufbewahrung übergebene Personen dienstlich zur weiteren Bewachung bezw. Aufbewahrung übernimmt, hat festzustellen, daß die Sicherungsmaßregeln getroffen sind, für deren Inne­ haltung sie selbst haftbar ist. 16) Arrest von 1 Tag bis zu 6 bezw. 4 Wochen (strenger Arrest nur unter der Voraussetzung des Abs. 3 8 22 MStrGB.), Gefängnis oder Festungshaft von 43 Tagen bis zu 6 Monaten.

8 145. (LG. 88 621, 45 MStrGO.) Eine Person des Soldaten­ standes,

welche bei einem ihr übertragenen Geschäfte!) der Heeres­

oder Marineverwaltung eine Handlung?) begeht, welche im Sinne3) der allgemeinen Strafgesetze ein Verbrechen oder Vergehen im Amte

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Militär-Strafgesetzbuch für das Deutsche Reich.

darstellt, ist nach den in jenen Gesetzen für Beamte gegebenen Be­

stimmungen zu bestrafen.4) x) Unter Geschäften der Heeres- oder Marineverwaltung im Sinne des § 145 MStrGB. sind nur solche Geschäfte zu verstehen, welche einer Person des Soldatenstandes mit persönlicher Verantwortlichkeit über­ tragen sind. Die Friedens-Sanitätsordnung vom 16. Mai 1891 legt den LazarettRechnungführern bei der Wahrnehmung ihrer Dienstgeschäfte eine persön­ liche Verantwortung nicht auf, so daß auf sie § 145 MStrGB. nicht anwendbar ist. 2) Ist dem Soldaten ein solches Geschäft dienstlich übertragen, so ver­ letzt er durch sein Handeln zugleich eine militärische Dienstpflicht; die von ihm begangenen Handlungen, welche sich als Delikte im Amte darstellen, sind militärische Straftaten; es schließen die speziellen Vorschriften des 28. Abschnittes RStrGB. (vgl. insbes. §§ 332, 347, 350 das.), durch § 145 MStrGB. zu militärischen Delikten erhoben, die Anwendung der allge­ meinen Bestimmungen des MStrGB. (vgl. §§ 138,140,144 das.) aus. Für die Fälle des § 145 MStrGB. kommen die wahlweisen Strafandrohungen der Geldstrafe in Wegfall, § 29 MStrGB.; vgl. Weiffenbach, Militärrechtl. Erörterungen, Heft 1, S. 59 ff. 3) Es muß — abgesehen davon, daß der Täter eine Person des Sol­ datenstandes ist und nicht ein Beamter, — der volle Tatbestand eines der im 28. Abschnitte RStrGB. unter Strafe gestellten Delikte vorliegen. 4) Erhöhung der Strafe aus §§ 53, 55 Nr. 2 MStrGB. ist bei § 145 MStrGB. ausgeschlossen. Vgl. Note 3 zu § 55 das.

Elfter Abschnitt. Sonstige Handlungen gegen die militärische Ordnung.

§ 146. (StG. bezw. KG. §§ 15,14 MStrGO.) SBer1) ohne Er­ laubniß ?) die Waches oder bei einem Kommando3) oder auf dem Marsche seinen Platzt verläßt/) wird mit Arrests bestraft; (KG. bezw. i. F. StG. §§ 62\ 45, 161 MStrGO.) im Feldes tritt mittlerer

oder strenger Arrest3) oder Gefängniß oder Festungshaft3) bis zu sechs

Monaten ein10). 1) Als Täter kommen nur Personen des Soldatenstandes in Betracht; Personen des Beurlaubtenstandes lediglich in der Zeit, in welcher sie sich im Dienst befinden; § 6 MStrGB. 2) D. h. vorsätzlich und widerrechtlich. Verläßt ein — nicht auf Posten befindlicher — Mann der Wache in Gemeinschaft mit dem eigenmächtig seinen Posten verlassenden Befehlshaber derselben und in Kenntnis von der bezüglichen Pflichtverletzung des letzteren die Wache, so handelt er wider­ rechtlich und macht sich eines Vergehens des § 146 MStrGB. schuldig. RMGer. PE. II. Nr. 167. 3) Vgl. § 111 Abs. 2 MStrGB. und Note 11 das. 4) Ein Wachthabender, der eigenmächtig seine Wache verläßt, macht sich lediglich nach § 141 MStrGB. strafbar. RMGer. PE. IV. Nr. 150. 5) Vgl. Note 4 zu 8 141 MStrGB. Vorausgesetzt ist ein vom Truppen­ teil räumlich getrenntes Kommando. 6) D. h. Reih und Glied.

Zweiter Teil. Einzelne Verbrechen und Vergehen.

§§ 146,147.

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7) Arrest von 1 Tag bis 6 bezw. 4 Wochen (strenger Arrest nur unter der Voraussetzung des Abs. 3 § 22 MStrGB.). 8) Vgl. §§ 9 und 10 MStrGB. 9) Mittlerer oder strenger Arrest von 1 Tag bis 6 bezw. 4 Wochen (strenger Arrest nur unter der Voraussetzung des Abs. 3 § 22 MStrGB.), Gefängnis oder Festungshaft von 43 Tagen bis zu 6 Monaten. Wegen Dienstentlassung und Degradation vgl. §§ 34, 40 MStrGB. 10) In leichteren Fällen des § 146 MStrGB. ist Disziplinarbestrafung zulässig; § 3 Abs. 2 EG. z. MStrGB. Straferhöhung auf Grund des § 55 Nr. 2 MStrGB. tritt bei § 146 MStrGB. nicht ein.

§ 147. (KG. bezw. i. F. StG. § 621, 45, 161 MStrGO.) Wer*) die ihm obliegendes Beaufsichtigung seiner Untergebenen7) in schuld­ hafter Weises verabsäumt, oder wer die ihm obliegendes Meldung4) oder Verfolgung^) strafbarer Handlungen9) seiner Untergebenen7) vor­ sätzlich9) unterläßt, wird mit Freiheitsstrafe9) bis zu sechs Monaten bestraft; gegen Offiziere kann zugleich auf Dienstentlassung^) erkannt werden.u) 1) Vgl. Note 1 zu § 146 MStrGB. „Täter" können nur direkte mili­ tärische Vorgesetzte sein. RMGer. II. 15. Juli 1901. E. 1,232. Über den Be­ griff „Vorgesetzter" vgl. Note 7 zu § 47 MStrGB. 2) Die Pflicht zur Beaufsichtigung gründet sich auf allgemeine Dienst­ vorschriften, spezielle Instruktionen, Befehle, Anordnungen und militärische Grundsätze; oie Tatsachen, aus denen zusammen mit den Dienstvorschriften usw. die Aufsichtspflicht gefolgert wird, sind festzustellen. 3) Das Delikt kann vorsätzlich oder fahrlässig begangen werden; immer wird aber eine Verschuldung vorausgesetzt. Über den Begriff der Fahr­ lässigkeit vgl. Note 2 zu § 142 MStrGB. Mit dem Vorsatz muß das Bewußtsein der Pflicht zur Beaufsichtigung verbunden sein. 4) Eine Meldepflicht kann auch in einem militärischen Grundsätze be­ gründet sein. Der Kompagniefeldwebel (Wachtmeister) ist zur Weitermeldung einer ihm dienstlich gemeldeten Straftat eines der Kompagnie angehörigen Untergebenen als dessen direkter Vorgesetzter verpflichtet, und zwar auch dann, wenn eine wegen der Straftat erhobene Beschwerde zurückgenommen worden ist. RMGer. II. 15. Juli 1901. E. 1,232. Vorausgesetzt wird, daß der Vorgesetzte dienstlich Kenntnis von der strafbaren Handlung des Üntergebenen erhalten hat. Hat der Untergebene über eine strafbare Handlung Beschwerde geführt, so fällt die Unterlassung der Meldung der strafbaren Handlung unter § 117 MStrGB. Vgl. Koppmann Note 9 zu § 147 MStrGB. Die Meldepflicht erstreckt sich auch auf die Person des Untergebenen, welcher die strafbare Handlung verübt hat. Eine Rechtspflicht zur Anzeige der eigenen strafbaren Handlung besteht nicht, abgesehen von dem Falle, daß die Nichtanzeige mit einer Meldepflicht kollidiert. Wird z. B. einem Vorgesetzten von einem Untergebenen wahrheitswidrig vorgeworfen, von ihm geschlagen worden zu sein, so ist durch die Nichtmeldung dieses Vorfalls unter Umständen der Tatbestand des § 147 MStrGB. gegeben, da sich der Untergebene durch die unwahre Behauptung des Vergehens der Beleidigung schuldig gemacht hat. RMGer. I. 19. Nov. 1903. E. 6,103. RG. III. 6. Juni 1898. E. 31,196. Bei der beschränkten Vorgesetzteneigenschaft des Stuben­ ältesten erstreckt sich die Pflicht zur Meldung nur auf.die auf der Stube selbst begangenen Straftaten seiner Stubengenossen. Über die Pflicht zur Verfolgung strafbarer Handlungen vgl. auch § 153 MStrGO.

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Militär-Strafgesetzbuch für das Deutsche Reich.

5) Zur Verfolgung im Sinne des § 147 MStrGB. gehört auch die Strafvollstreckung. 6) In Betracht kommen alle nach Militärstrafrecht, sonstigem Reichs­ oder Landesstrafrecht strafbaren begangenen Handlungen, auch Über­ tretungen; ferner reine Disziplinarvergehen (§ 1 Nr. 1 DStO.). Die Handlung muß objektiv strafbar sein; in der Person oder sonst gegebene Strafaus­ schließungsgründe kommen nicht in Betracht; es genügt aber nicht, daß der Vorgesetzte sie für strafbar hielt. RG. IV. 13. März 1885. R. 7,i?6. 7) In erster Linie handelt es sich um direkte Untergebene des als Täter in Betracht kommenden Vorgesetzten; d. h. der Vorgesetzte muß durch seine dienstliche Stellung zur Überwachung und Beaufsichtigung solcher Untergebenen in besonderer Funktion berufen und verpflichtet sein; es kommen ferner auch Untergebene in Betracht, die nicht zu den direkten Untergebenen des Vorgesetzten gehören, zu denen sich aber der Vorgesetzte in spezielle dienstliche Beziehungen gesetzt hat. Vgl. Spezialfall. RMGer. II. 12. Febr. 1901. E. 1,30. 8) Die Handlung muß eine vorsätzliche sein und der Täter das Bewußt­ sein der ihm obliegenden Melde- bezw. Verfolgungspflicht haben. So auch RMGer. II. 15. Juli 1901. E. 1,232. Ein Irrtum über diese Pflicht begründet Straflosigkeit; § 59 RStrGB. Fahrlässige Unterlassung der Meldung genügt nicht. 9) Arrest von 1 Tag bis 6 bezw. 4 Wochen (strenger Arrest nur unter der Voraussetzung des Abs. 3 § 22 MStrGB.), Gefängnis oder Festungs­ haft von 43 Tagen bis zu 6 Monaten. Wegen Degradation vgl. § 40 Abs. 2 Nr. 1 und 2 MStrGB. 10) Auch neben Stubenarrest und Festungshaft. n) Straferhöhung aus §§ 53, 55 Abs. 2 MStrGB. ist zulässig auch bei fahrlässiger Verabsäumung der Beaufsichtigung. RMGer. II. 19. Sept. 1901. E. 1,290. Die Strafverfolgung verjährt in 5 Jahren. RMGer. PE. IV. Nr. 151.

§ 148. (KG. i. F. StG. §§ 621, 45, 16* MStrGO.) SBer1)2) durch unvorsichtige Behandlung9) von Waffen*) oder Munition3) einen Menschen körperlich verletzt,8) wird mit Freiheitsstrafe7) bis zu drei Jahren und, (KG. §§ 61 \ 45 MStrGO.) wenn der Tod eines Men­ schen verursacht8) worden ist, mit Gefängniß9) oder Festungshaft9) bis zu fünf Jahren bestraft. 10). § 148 MStrGB. ist ein militärisches Vergehen. §§ 222, 230 RStrGB. sind ausgeschlossen. RMGer. II. 29. März 1902. E. 2,243. 2) Vgl. Note 1 zu § 146 MStrGB. Auf Militärbeamte finden auch im Felde §§ 222, 230 RStrGB. Anwendung. 3) Behandlung umfaßt nicht nur den Gebrauch, sondern jedes Umgehen, Einwirken auf die Waffe oder Munition. Unvorsichtige Behandlung ist gleichbedeutend mit Fahrlässigkeit. Über den Begriff der Fahrlässigkeit vgl. Note 2 zu § 142 MStrGB. Das Wesen der Fahrlässigkeit besteht darin, daß durch Nichtanwendung der nach den gegebenen Ümständen gebotenen Sorgfalt und Umsicht von dem Handelnden ein voraussehbarer aber vermeidlrcher, rechtswidriger Erfolg seines Handelns herbergeführt ist. Jede Fahrlässigkeit setzt also ein Außerachtlassen der pflichtmäßigen Sorgfalt voraus und eine Nichterfüllung dessen, was nach der konkreten Sachlage von dem Täter nach Maßgabe seiner Individualität vernünftigerweise ge­ fordert werden kann. Das Gesetz verlangt von dem Handelnden nach Maßgabe seiner Individualität eine sorgfältige Überlegung der im einzelnen Falle vorhersehbaren Gefahren und ein entsprechendes Verhalten, um diesen

Zweiter Teil.

Einzelne Verbrechen und Vergehen.

§ 148.

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Gefahren vorzubeugen. Dafür, ob ein eingetretener schädlicher Erfolg vorhersehbar war, kommt daher das Maß der persönlichen Einsicht und Er­ fahrung als entscheidendes Moment in Betracht. Der Begriff der Unvorsichtigkeit verlangt nicht ein Zuwiderhandeln gegen reglementare Bestimmungen. Die Fahrlässigkeit einer bestimmten Handlung oder Unterlassung wird nicht dadurch ausgeschlossen, daß ein bezügliches Verbot oder Gebot nicht besteht. RMGer. II. 30. Sept. 1901. E. 2,16. Nach Nr. 118 des Exerzier - Reglements für die Feldartillerie ist der Geschützführer für die gesamte Bedienung seines Geschützes verantwortlich. Die Verantwortlichkeit ist eine alles umfassende und findet nur in der im einzelnen Falle aus den.tatsächlichen Verhältnissen sich ergebenden Unmög­ lichkeit ihre Grenze. Übernimmt der Geschützführer vorübergehend die Funktion als Zugführer, so gehen nicht im vollen Umfange seine Funktionen als Geschützführer von selbst auf Kanonier Nr. 2 über. Er hat namentlich auch fernerhin die Pflicht, das Geschütz nach dem Einrücken zu untersuchen. Auch der Zugführer ist für die gesamte Bedienung der ihm unterstellten Geschütze verantwortlich. RMGer. II. 11. Mai 1901. E. 1,129 Der die Schießübungen bei der Infanterie beaufsichtigende Offizier ist für den ge­ samten Betrieb des Schießens, für die Ordnung auf dem Schießplatz und die Innehaltung der Sicherheitsmaßregeln verantwortlich; ein konkurrierendes Verschulden des Schützen oder der sonstigen Untergebenen, entlastet ihn von seiner eigenen Verantwortlichkeit nicht. RMGer. II. 28. März 1900. E. 4,289. 4) Waffe im Sinne des § 148 MStrGB. ist ein Werkzeug, welches bestimmungsgemäß Militärpersonen zum Angriff oder Verteidigung dient und geeignet ist, bei bestimmungsgemäßer Verwendung durch äußere Ein­ wirkungen Menschen körperlich zu verletzen oder Sachen zu beschädigen; sowie dasjenige, der Art und Form nach ähnliche Werkzeug, welches zur Ausbildung einer Militärperson im Gebrauche dieser Waffe an deren Stelle zu treten, bestimmt und ähnliche Verletzungen bezw. Beschädigungen hervorzurufen geeignet ist. RMGer. 14./21. Jan. 1905. In Betracht kommen aber immer nur Dienstwaffen, d. b. zu militärischer Verwendung bestimmte Waffen. Zu welchem Zwecke die Waffe benutzt worden ist, bleibt rechtlich unerheblich. RMGer. PE. III. Nr. 136. Zu den Waffen im Sinne des § 148 cit. gehört auch das Zielgewehr. RMGer. II. 29. März 1902. E. 2,244. Die an Stelle der Dienstwaffe getragene eigene, der dienst­ lichen gleiche Waffe ist, da sie zu militärischer Verwendung bestimmt ist, Waffe im Sinne des § 148 MStrGB., vgl. auch RMGer. II. 4. Sept. 1901. E. 1,264. PE. II. Nr. 168. Waffe als solche ist, soweit ein Seitengewehr in Frage steht, nur das blanke Gewehr, nicht die Scheide, auch wenn sich das Seitengewehr in derselben befindet. Eine von einer Mrlitärperson mittels einer Privatwaffe (d. h. nicht zu militärischer Verwendung be­ stimmten Waffe) verübte fahrlässige Körperverletzung oder Tötung erfüllt nicht den Tatbestand des § 148 MStrGB., sondern ist aus §§ 222, 230 RStrGB. strafbar. Einen „Beruf" im Sinne der §§ 222, 230 Abs. 2 RStrGB. übt der die ihm obliegende gesetzliche Dienstpflicht erfüllende Soldat nicht aus. RMGer. II. 29. März 1902. E. 2,244. 5) d. h. die dienstliche Munition; zu derselben gehört auch die Ziel­ munition; die unvorsichtige Behandlung eines mit dienstlicher Munition geladenen Privatgewehrs, sofern das Geschoß einen Menschen tötet oder verletzt, ist als Verstoß gegen § 148 MStrGB. zu erachten. RMGer. II. 29. März 1902. E. 2,244. 6) Vgl. Note 3 zu § 122 MStrGB. 7) Arrest von 1 Tage bis 6 bezw. 4 Wochen (strenger Arrest nur im Falle des Abs. 3 § 22 MStrGB.), oder Gefängnis oder Festungshaft von 43 Tagen bis zu 3 Jahren. Wegen Dienstentlassung und Degradation vgl. §§ 34, 40 MStrGB. Herz u. Ernst, Strafrecht der Militärpersonen.

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MilitLr-Strafgesetzbuch für das Deutsche Reich.

8) Vgl. Note 3 zu 123 MStrGB. 9) Gefängnis oder Festungshaft von 43 Tagen bis zu 5 Jahren, wegen Dienstentlassung uno Degradation vgl. §§ 34, 40 MStrGB. 10) Straferhöhung aus § 55 Nr. 2 RStrGB. ist zulässig. RMGer. II. 19. Sept. 1901. E. 1,290.

§ 149. (KG. §§ 62 \ 45 MStrGO.) Wer4) rechtswidrig2) von seiner Waffe3) Gebrauch4) macht/) odereinen Untergebenen zum rechts­ widrigen Waffengebrauche auffordert/) wird vorbehaltlich der ver­ wirkten höheren Strafe?) mit Gefängniß3) oder Festungshaft3) bis zu Einem Jahre bestraft. 1) Vgl. Note 1 zu § 146 MStrGB. Auf Militürbeamte findet § 149 MStrGB. auch im Felde nicht Anwendung. 2) Rechtswidrig ist derjenige Gebrauch, zu dem der Täter weder durch seine Dienstpflicht, noch durch die Gesetze berechtigt ist. RMGer. II. 15. Jan. 1902. E. 2,166; II. 31. Dez. 1902. E. 4,123. Vgl. Pr. Gesetz über den Waffen­ gebrauch des Militärs v. 7. Aug. 1835, Vorschrift über den Waffengebrauch v. 23. März 1899 und Nr. 134, 135 GV. Ein den Vorschriften, entsprechen­ der Gebrauch der Waffe ist nur insoweit gestattet, als er zur Überwindung des Widerstands erforderlich ist. Wird nach Überwindung des Widerstands von der Waffe Gebrauch gemacht, so liegt insoweit ein rechtswidriges Ge­ brauchmachen vor. Liegt Notwehr vor (vgl. auch Note 1 zu Absch. V MStrGB.), so ist der Gebrauch der Waffe gegen den rechtswidrigen An­ griff nur insoweit ein rechtswidriger, als der Täter über die Grenzen der Verteidigung hinausgeht, ohne durch Bestürzung, Furcht oder Schrecken hierzu veranlaßt zu sein. Überschreitet bei der sog. Putativ-Notwehr der Täter das zur Abwehr des vermeintlichen Angriffs objektiv erforderliche Maß, so ist er nur dann straflos, wenn er infolge eines tatsächlichen Irr­ tums die gewählte Art der Verteidigung für geboten erachtete; denn auch bei der Putativ-Notwehr muß sich der Täter auf diejenige Verteidigung beschränken, welche objektiv zur Abwehr des vermeintlichen Angriffs er­ forderlich ist. RMGer. I. 7. Okt. 1901. E. 2,21. 3) Unter Waffen im Sinne des § 149 MStrGB. sind lediglich die „Dienstwaffen", d. h. zu militärischer Verwendung bestimmte Waffen (RMGer. II. 29. März 1902. E. 2,244) von derjenigen Art nnd Beschaffenheit zu verstehen, welche der Soldat als solcher zu tragen berechtigt ist, einerlei ob sie ihm eigentümlich gehören oder einem Kameraden, und einerlei, ob sie ihm oder einem Kameraden — irgendwelcher Dienstkategorie — zum dienstlichen Gebrauche überlassen find, RMGer. II. 15. Jan. 1902. E. 2,166; es kommen daher auch die an Stelle der fiskalischen Dienstwaffen getragenen eigenen Waffen in Betracht. RMGer. II. 4. Sept. 1901. E. 1,264. Das Zrelgewehr ist nicht Waffe im Sinne des § 149 MStrGB. Vgl. auch Note 4 zu § 148 MStrGB. Die Säbelscheide ist keine Waffe im Sinne dieser Vorschrift, wohl aber ein gefährliches Werkzeug bezw. Waffe im Sinne des § 223 a RStrGB. und des § 55 Abs. 2 MStrGB. 4) „Gebrauch" ist die den Vorschriften bezw. der Bestimmung der Waffe und der Unterweisung gemäße Benutzung der Waffe (z. B. des Ge­ wehres zum Schießen, der Lanze zum Stechen, der Klinge zum Scharf­ schlagen); RMGer. I. 14. Juli 1902. E. 3,137 zit. Erk. E. 4,123. Das Seiten­ gewehr ist bestimmungsgemäß sowohl zum Schlagen als auch zum Stoßen oder Stechen zu verwenden. RMGer. I. 23. April 1903. PE. V. Nr. 114. Ein „Gebrauch" der Waffe richtet sich stets gegen Personen. RMGer. II. 21. Mai 1902. E. 3,40. Wird die Waffe in anderer Art und Weise benutzt

Zweiter Teil.

Einzelne Verbrechen und Vergehen.

§ 149.

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(z. B. Stoßen mit dem Gewehrkolben, Flachschlagen mit der Klinge oder Verwendung der Waffen gegen Sachen) so liegt Mißbrauch der Waffe vor. Vgl. Note 8 zu § 55 Nr. 2 MStrGB. RG. IV. 8. Mai 1894. E. 25,348. Im übrigen ist für die Anwendbarkeit des § 149 MStrGB. nicht der Er­ folg des Waffengebrauchs, sondern lediglich die Absicht des Täters ent­ scheidend. Wollte der Täter scharf schlagen, stechen usw., so kommt nicht § 55, sondern der § 149 MStrGB. zur Anwendung, auch wenn der Hieb flach traf; umgekehrt kommt § 55 MStrGB. in Betracht, wenn der Täter flach schlagen wollte, aber nur durch Zufall scharf traf. RMGer. II. 21. Mai 1902. E. 3,40, I. 14. Juli 1902. E. 3,13?; I. 6. Okt. 1902. E. 3,296; PE. III. Nr. 137. V. Nr. 117. Das Werfen mit dem gezogenen Seitengewehr nach einem Menschen kann nicht als ein Gebrauchmachen von der Waffe an­ gesehen werden. RMGer. PE. V. Nr. 114. 5) Der Begriff des Gebrauchmachens erfordert, daß es tatsächlich zu einer Benutzung der Waffe gekommen ist, gleichviel, ob sie von Erfolg war oder nicht, z. B. der Hieb nicht traf; das Drohen mit der Dienstwaffe, z. B. das Ziehen derselben, das Laden des Gewehrs usw. genügt zur An­ wendung des § 149 MStrGB. nicht; das Ausholen zum Schlage mit der Dienstwaffe ist, falls nicht die Absicht des Scharfschlagens vorliegt, noch kein rechtswidriges Gebrauchmachen von derselben. RMGer. PE. III. Nr. 137. Der Begriff des „Gebrauchmachens" erfordert nicht, daß der Schuß, der Hieb mit dem Säbel getroffen hat. Der Versuch des § 149 MStrGB. ist nicht strafbar; dagegen kann § 149 MStrGB. in idealer Konkurrenz auch Anwendung finden, wenn bezüglich des durch den Waffen­ gebrauch begangenen Delikts nur ein Versuch vorliegt. Das Vergehen des „rechtswidrigen Waffengebrauchs" verlangt in seinem Tatbestände nicht nur den Vorsatz, daß eine Körperverletzung verübt, sondern auch die Absicht, daß diese Körperverletzung durch einen bestimmungs­ mäßigen Gebrauch der Waffe herbeigeführt wird. RMGer. II. 21. Mai 1902. E. 3,40. I. 14. Juli 1902. E. 3,137. Es bedarf also in subjektiver Hinsicht der Feststellung des Vorsatzes, scharf zu schlagen usw. RMGer. PE. VI. Nr. 111; V. Nr. 114. Das Delikt des rechtswidrigen Waffengebrauchs kann daher mit einer fahrlässigen Körperverletzung (§§ 230,232 NStrGB.) nicht ideal konkurrieren. RMGer. PE. III. Nr. 137. Der Täter muß ferner das Bewußtsein der Rechtswidrigkeit seines Handelns, d. h. das Bewußtsein haben, daß der Gebrauch der Waffe weder in der Dienstpflicht noch in oen Gesetzen begründet ist. Der Absicht, die Waffe bestimmungsgemäß zu gebrauchen, steht der Eventualdolus gleich, d. h. der Täter rechnet mit der Möglichkeit, daß der Hieb scharf treffen werde und ist mit diesem Erfolge, falls er eintritt, im voraus einverstanden, billigt ihn (z. B. Losschlagen des Täters auf einen anderen mit der blanken Klinge, gleichviel, ob er mit der flachen Klinge schlägt oder ob er scharf zuschlägt). RMGer. I. 14. Juli 1902. E. 3,137; 6. Ort. 1902. E. 3,296. Auch der Eventualdolus verlangt, daß der durch die Handlung des Täters herbeigeführte Erfolg auf dem Willen desselben beruht. Der Eventualdolus setzt zwar nicht voraus, daß der Täter den Erfolg seiner Handlung direkt beabsichtigt hat, wohl aber, daß der Täter sich der Möglichkeit des Eintritts desselben von vornherein bewußt ist, trotzdem sich jedoch von der Ausführung seiner Handlung deshalb nicht abhalten läßt, weil er mit diesem als möglich erkannten Erfolge für den Fall des Eintritts im voraus einverstanden ist, denselben also von vorn­ herein billigt und in seinen Willen aufnimmt. RMGer. I. 6. Okt. 1902. E. 3,296. 6) Auch die erfolglose Aufforderung genügt; der Auffordernde muß das in Note 5 erwähnte Bewußtsein haben. Daß die aufgeforderte Person

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Militär-Strafgesetzbuch für das Deutsche Reich.

die Aufforderung als solche erkannt und aufgefaßt hat, ist nicht nötig. RG. IV. 4. Juni 1897. E. 30,142. 7) Durch die Worte: „vorbehaltlich der verwirkten höheren Strafe" soll für den Fall der idealen Konkurrenz eine Strafvorschrift und zwar eine von § 73 RStrGB. abweichende gegeben werden, indem §149 MStrGB. bestimmt, daß, wenn mit rechtswidrigem Waffengebrauch ein hierdurch ver­ übtes Delikt zusammentrifft und für das letztere keine höhere Strafe ver­ wirkt ist, stets auf Gefängnis oder Festungshaft von 43 Tagen bis zu einem Jahre erkannt werden muß. Ist daher eine gefährliche Körperver­ letzung unter rechtswidrigem Waffengebrauch begangen, so darf bei An­ nahme mildernder Umstände der Strafmindestbetrag des § 149 MStrGB. (43 Tage Gefängnis oder Festungshaft) nicht unterschritten werden. RMGer. III. 9. Sept. 1901. E. 2,24 und I. 12. Juli 1901. E. 1,216. PE. II. Nr. 169. A. A. Gerland. KV. 1904. Mayer, Strafschärfungs­ gründe. Leipzig 1903. S. 33 ff., 41, 43. 8) Gefängnis oder Festungshaft von 43 Tagen bis zu einem Jahre; wegen Dienstentlassung und Degradation vgl. §§ 34, 40 MStrGB. Wegen Straferhöhung aus §§ 53, 55 MStrGB. vgl. Note 3 zu § 55 das.

§ 150. (KG. §§ 62i, 45 MStrGO.) Weri) ohne die erforder­ liche dienstliche Genehmigung^) sich verheirathet,^) wird mit Festungs­ haft^) bis zu drei Monaten bestraft; zugleich kann auf Dienstentlassung erkannt werdend) Auf die Rechtsgültigkeit der geschlossenen Ehe ist der Mangel der dienstlichen Genehmigung ohne Einfluß. §) 1) § 150 MStrGB. findet nur auf Personen des Soldatenstandes An­ wendung, welche zu ihrer Verheiratung dienstlicher Genehmigung bedürfen. Vgl. Note 2. Wegen der Personen des Beurlaubtenstandes vgl. Note 2. 2) Preußische Offiziere und Sanitätsoffiziere des Friedensstandes, sowie die in etatsmäßigen Stellen des Heeres verwendeten Offiziere und Sanitätsoffiziere z. D. bedürfen zu ihrer Verheiratung der Erlaubnis Seiner Majestät des Kaisers und Königs. Einer gleichen Erlaubnis bedürfen die im Heere behufs vorüber­ gehender Dienstleistung angestellten, in den preußischen Staatsverband nicht aufgenommenen Angehörigen fremder Staaten. Der Erlaubnis zur Verheiratung bedürfen hiernach nicht: a) fürstliche Personen, die Chefs von Truppenteilen sind oder ä la suite solcher stehen, als Offiziere des Friedensstandes aber nicht anzu­ sehen sind, b) Offiziere ä la suite der Armee, sofern sie sich nicht in etatsmäßigen militärischen Stellen besinden; c) die nicht zum aktiven Dienststande gehörenden Sanitätsoffiziere ä la suite des Sanitätskorps; d) Offiziere und Sanitätsoffiziere des Beurlaubtenstandes; e) die nicht in etatsmäßigen Stellen des Heeres verwendeten Offiziere und Sanitätsoffiziere zur Disposition. Die vorstehend aufgeführten Offiziere und Sanitätsoffiziere bedürfen der Heiratserlaubnis auch dann nicht, wenn sie vorübergehend zum Dienste berufen oder zugelaffen sind. Vgl. A Nr. I ff. der Verordnung über das Heiraten der Militärpersonen des Preuß. Heeres und der Preuß. Land­ gendarmerie v. 25. Mai 1902. Hinsichtlich der Kais. Marine gelten folgende Bestimmungen: Aktive Seeoffiziere, Offiziere der Marineinfanterie und Sanitäts­ offiziere bedürfen zu ihrer Verheiratung der Genehmigung Seiner

Zweiter Teil.

Einzelne Verbrechen und Vergehen.

§ 150.

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Majestät des Kaisers. Dasselbe gilt von den zur Allerhöchsten Dis­ position stehenden und in etatsmäßigen Stellen wieder angestellten Offizieren. Marine-Ingenieure bedürfen zu ihrer Verheiratung der Genehmigung des Stationskommandos, Torpedo-Ingenieure, Feuerwerks-, Zeug- und Torpederoffiziere der des Staatssekretärs des Reichs-Marineamts. Die verabschiedeten, die zur Allerhöchsten Disposition gestellten Offiziere, soweit sie nicht in etatsmäßigen Stellen wieder angestellt sind, und die Offiziere des Beurlaubtenstandes bedürfen einer Genehmigung zu ihrer Verheiratung nicht, selbst wenn dieselbe während der Dauer ihrer Ein­ berufung zum aktiven Dienst erfolgt. Die zur Disposition stehenden Offiziere haben von ihrer etwaigen Verheiratung dem Stationskommando, welchem sie zuletzt aktiv angehört haben, Anzeige zu erstatten. Offiziere des Beurlaubtenstandes haben ihre erfolgte Verheiratung dem Bezirkskommando zu melden. Vgl. § 8 Organis.-Bestimmungen der Marine. Die Unteroffiziere und Gemeinen des Friedensstandes des Preuß. Heeres müssen die Erlaubnis zur Verheiratung auf dem Dienstwege nach­ suchen. Die Erlaubnis zur Verheiratung erteilt, insoweit nicht besondere Festsetzungen getroffen sind, der Regimentskommandeur oder der Vorgesetzte, oem die Disziplinarstrafbefugnis eines solchen verliehen ist. Im besonderen wird die Erlaubnis erteilt: a) den Zeugfeldwebeln, den Oberfeuerwerkern, den Feuerwerkern, welche die Beförderung zum Zeug- oder Feuerwerksoffizier erstreben: von dem Feldzeugmeister; b) den Wallmeistern, welche die Beförderung zum Festungsbauoffizier erstreben: von dem General-Inspektor der Festungen; c) den übrigen Zeugfeldwebeln und Wallmeistern und den Zeugserganten: von dem nächsten Vorgesetzten im Range des Regiments- oder Brigadekommandeur, bei den technischen Instituten stets von dem Inspekteur; d) den nicht unter a fallenden Oberfeuerwerkern und Feuerwerkern: von dem zuständigen Artilleriedepot-Direktor; e) den Invaliden in den Jnvalidenhäusern: von dem Gouverneur oder Kommandanten des Jnvalidenhauses; f) den Gendarmen: von dem Brigadier; g) den Unterärzten und einjährig-freiwilligen Ärzten: von dem General­ stabsarzt der Armee; h) oen einjährig - freiwilligen Militärapothekern: von dem KorpsGeneralarzt; i) den Militärkrankenwärtern: von dem Chefarzt des Lazaretts. Vgl. im übrigen die zit. Heiratsverordnung Nr. 7, 8 ff. Hinsichtlich der Mannschaften der Marine gelten folgende Vorschriften. Die Genehmigung zur Verheiratung der Deckoffiziere, oie nicht auf die Be­ förderung zum Offizier verzichtet haben, sowie der Zahlmeisteraspiranten rst bei den Stationskommandos zu beantragen. Die Genehmigung zur Ver­ heiratung der übrigen Deckosfiziere und der Unteroffiziere wird durch die Kommandeure der Marineterle am Lande, an das Torpedo-Mechanikerpersonal, das Feuerwerks-, Zeug- und Torpederpersonal durch den Inspekteur des Torpedowesens, den Inspekteur der Marineartillerie oder den Marinedepot-Jnspekteur erteilt. Für die Deckoffiziere des Vermessungswesens erteilt die Erlaubnis zur Verheiratung der Staatssekretär des Reichsmarineamts. Vgl. § 20 d. Organis.-Bestimmungen für die Marine. Militärbeamte des Preußischen Heeres — nicht aber Zivilbeamte der Militärverwaltung — bedürfen zur Verheiratung der Erlaubnis der Vor­ gesetzten. Die Erlaubnis erteilt:

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Militär-Strafgesetzbuch für das Deutsche Reich.

a) der Kriegsminister für die Intendanten, den Oberintendanturrat, die Räte, Assessoren und Referendare bei den Militärintendanturen, für die Oberkriegsgerichtsräte und Kriegsgerichtsräte; der Kriegsminister im Verein mit dem Minister der geistlichen usw. Angelegenheiten: für den evangelischen Feldprobst der Armee; b) oer Direktor des Allgemeinen Kriegsdepartements im Kriegsministerium für den Armee-Musikinspizienten; c) oer kommandierende General: für den Korpsroßarzt; d) der Chef des Generalstabes der Armee: für den Bureauvorsteher beim Chef des Generalstabes; e) der Gerichtsherr: für die Militärgerichtsschreiber; f) der Kommandeur eines Regiments oder selbständigen Bataillons usw. oder den Vorstand (Direktor usw.) einer Dienstbehörde: für Ober­ zahlmeister, Zahlmeister, Oberroßärzte, Roßärzte, Regimentssattler, Büchsenmacher, Waffenmeister; g) der Generalinspekteur der Festungen: für die Festungs-Oberbauwarte und Bauwarte; h) der Generalstabsarzt der Armee: für die Korps-Stabsapotheker und Stabsapotheker; i) der dienstälteste Oberkriegsgerichtsrat oder Kriegsgerichtsrat eines Gerichts: für die Militärgerichtsboten; k) der Militärintendant: für die Sekretariats- und Registraturbeamten der Korps- und Divisionsintendanturen; l) der Oberintendanturrat der Intendantur der militärischen Institute: für die ihm unterstellten Sekretariats- und Registraturbeamten; m) der evangelische Feldprobst der Armee: für die evangelischen Militär­ geistlichen : n) der Militärpfarrer für den ihm zugeteilten Militärküster. Personen des Beurlaubtenstandes sind Beschränkungen rücksichtlich ihrer Verheiratung nicht unterworfen, mit Ausnahme der vorläufig in die Heimat beurlaubten Rekruten und Freiwilligen (vgl. Note 1 zu 8 6 MStrGB.), welche zur Verheiratung die Erlaubnis des Bezirkskommandeurs bedürfen. §§ 61, 69 Nr. 4 RMG., §§ 80 Nr. 3, 85 Nr. 5, 111 Nr. 11 WO. Da aber Abschnitt 11 MStrGB. auf nicht im Dienst befindlichen Personen des Beurlaubtenstandes nicht Anwendung findet und die vorläufig in die Heimat beurlaubten Rekruten usw. erst mit dem Zeitpunkt ihrer aktiven Verpflegung durch die Militärbehörde dem aktiven Heere angehören, so kann auf sie § 150 MStrGB. nicht Anwendung finden und sie sind in dieser Beziehung lediglich disziplinarisch strafbar. 3) Ob die Ehe im Jnlande oder Auslande geschlossen wird, ist uner­ heblich. So auch RMGer. PE. V. Nr. 115. 4) Festungshaft von 43 Tagen bis zu drei Monaten. 5) Die Verjährung beginnt mit dem Tage der Eheschließung, § 57 Abs. 4 RStrGB. Ein Dauerdelikt liegt nicht vor. 6) Das Fehlen der vorgeschriebenen Erlaubnis hat lediglich auf­ schiebende Wirkung §§ 1315, 1323, 1330 BGB.

§ 151. (KG. bezw. StG. §§ 621, 45, 161 MStrGO.) Wer*) im Dienstes oder, nachdem^) er zum Dienste befehligt worden,4) sich durch Trunkenheit zur Ausführung feiner Dienstverrichtung untauglich macht,5)6) wird mit mittlerem oder strengem Arrests oder mit Gefängniß?) oder Festungshaft?) bis zu Einem Jahre bestraft; zu­ gleich kann auf Dienstentlassung8) erkannt werden?)

Zweiter Teil.

Einzelne Verbrechen und Vergehen.

§§ 151,152.

215

1) Vgl. Note 1 zu § 146 MStrGB. 2) Vgl. Note 2 zu § 6, Note 2 zu § 113, Note 3 zu 8 12, Note 5 zu 8 49 MStrGB. Im „Dienst" befindet sich der Soldat, sobald er infolge allgemeiner Vorschriften oder besonderen Befehls in ein spezielles Dienst­ verhältnis getreten ist; führt er die ihm durch jenes Dienstverhältnis auf­ erlegte Verrichtung aus, so befindet er sich in „Ausübung des Dienstes". 3) Eine schon vor der Kommandierung bestehende Trunkenheit bleibt für das Vergehen des 8 151 MStrGB. außer Betracht, auch wenn sich rhre Wirkungen auf die Ausübung des Dienstes erstrecken. 4) Vorausgesetzt ist, daß der Täter wußte oder selbst durch Fahrlässig­ keit in Unkenntnis davon blieb, daß er zum Dienst befehligt war; andern­ falls kann ihm das Vorhandensein dieses Tatumstandes nicht zugerechnet werden und er bleibt gerichtlich nicht strafbar; 8 59 RStrGB. 5) Eine absolute Untauglrchkeit wird nicht erfordert; es genügt ein Zustand der Trunkenheit, welche eine zuverlässige Verrichtung des Dienstes nicht mehr erwarten läßt. Vgl. auch Note 8 zu 8 141 MStrGB. 6) Auch die fahrlässige Begehung der Tat ist strafbar. 7) Mittlerer oder strenger Arrest von 1 Tag bis 6 bezw. 4 Wochen (strenger Arrest auch ohne die Voraussetzung des Abs. 3 8 22 MStrGB.), Gefängnis, Festungshaft von 43 Tagen bis zu einem Jahre. Wegen der Ehrenstrafen vgl. auch 8 40 Abs. 2 Nr. 1 und 2, 8 37 Abs. 2 Nr. 1 MStrGB. 8) Auch neben Stubenarrest oder Festungshaft. 9) In leichteren Fällen ist Disziplinarbestrafung zulässig; 8 3 des EG. z. MStrGB. Ob ein leichterer Fall von Trunkenheit im Dienste vorliegt, hat der nächste zuständige Disziplinarvorgesetzte zu entscheiden. Die Ahn­ dung durch diesen führt, wenn die Trunkenheit nicht gemeldet und zum Gegenstände der gerichtlichen Untersuchung nicht gemacht worden ist, die endgültige Erledigung der Sache, die Konsumtion des staatlichen Strafanfpruchs, herbei und zwar auch dann, wenn sie im Laufe der gerichtlichen Untersuchung wegen einer andern selbständigen Straftat erfolgt. RMGer. II. 20. Dez. 1902. E. 4,107. Vgl. auch Note 4 zu 8 157 MStrGO.

§ 152. (KG. i. F. StG. §§ 621, 45, 161 MStrGO.) Wer4) wider besseres Wissen2) eine auf unwahre3) Behauptungen^) gestützte3) Be­ schwerde3) anbringt, wird mit Freiheitsstrafe7) bis zu Einem Jahre bestraft. (StG. 8 15 MStrO.) Wer wiederholt8) und leichtfertig8) auf unwahre Behauptungen gestützte Beschwerden oder wer eine Be­ schwerde unter Abweichung von dem vorgeschriebenen Dienstweges einbringt, wird mit Arrest bestraft. 10) 4) Vgl. Note 1 zu 8 146 MStrGB. 2) Der Beschwerdeführer muß von der Unwahrheit der Behauptungen, auf die sich die Beschwerde stützt, überzeugt sein; dolus eventualis reicht zur Verurteilung nicht aus. Der Mangel der Überzeugung von der Wahrjeit jener Behauptungen oder die Vermutung der Richtigkeit derselben er­ setzt jenes Bewußtsein nickt. RG. II. 18. Sept. 1888. E. 16,88. Eine Festtellung im Urteil dahin, oaß der Angeklagte eine unwahre Behauptung in einer Beschwerde nur wider besseres Wissen ausgestellt haben kann, reicht zur Bestrafung aus 8 152 MStrGB. nicht aus. RMGer. PE. VI. Nr. 112. „Wider besseres Wissen" liegt auch dann nicht vor, wenn die Beschwerde ohne den Glauben an ihre Begrünoetheit und ohne die Möglichkeit, solche zu beweisen, erhoben ist. RG. II. 16. Jan. 1880. E. l,8o.

Militär-Strafgesetzbuch für das Deutsche Reich.

216

3) Die Unwahrheit der Behauptungen muß dem Angeklagten bewiesen werden; es genügt nicht, daß diese Behauptungen nicht erweislich wahre sind. 4) „Behauptungen" sind solche Erklärungen, welche als Ausdruck eigenen Wissens kundgegeben werden. RG. FS. 10. Sept. 1897. E. 30,224 und II. 8. März 1898. E. 31,63. 5) Eine Beschwerde „stützt" sich auf solche Behauptungen, welche die Sache selbst betreffen, also den Grund enthalten, weshalb der Beschwerde­ führer sich angeblich verletzt fühlt. RMGer. PE. III. Nr. 138. Die Un­ wahrheit von Behauptungen, auf welche sich die Beschwerde nicht gründet, kommt für den Tatbestand des § 152 MStrGB. nicht in Betracht. 6) Vgl. Bestimmungen über die Beschwerdeführung der Offiziere, Sanitätsoffiziere und Beamten des Heeres v. 30. März 1895 (Beschwerde­ ordnung I) und Bestimmungen über die Beschwerdeführung der Personen des Soldatenstandes des Heeres vom Feldwebel abwärts v. 14. Juni 1894 (Beschwerdeordnung II). Für die Anbringung von Anzeigen strafbarer Hand­ lungen (§ 151 MStrGO.), von Strafanträgen der Personen des Soldaten­ standes vom Feldwebel abwärts finden die Vorschriften der Beschwerde­ ordnung II v. 14. Juni 1894 Anwendung. AKO. v. 29. April 1903 (AVBl. S. 131). Solche Strafanzeigen usw. sind nicht Beschwerden im Sinne des § 152 MStrGB., diese Vorschrift bezieht sich bloß auf die militärische Be­ schwerdeführung. Werden solche Anzeigen wissentlich falsch erstattet, so ist nur § 164 RStrGB. anwendbar. 7) Arrest (einfacher, mittlerer, strenger, letzterer nur unter der Vor­ aussetzung des Abs. 3 § 22 MStrGB.) von 1 Tag bis zu 6 bezw. 4 Wochen, oder Gefängnis oder Festungshaft von 43 Tagen bis zu einem Jahre. Wegen Dienstentlassung und Degradation vgl. §§ 34, 40 MStrGB. 8) Vorausgesetzt wird, daß der Täter bereits einmal eine auf un­ wahre Behauptungen gestützte Beschwerde angebracht hat und daß er bei der zweiten vorliegenden, auf unwahre Behauptungen gestützten Beschwerde leichtfertig gehandelt hat; daß auch die erste Beschwerde leichtfertig ange­ bracht ist, wird nicht erfordert; sie kann aber eine solche, ja auch eine „wider besseres Wissen" erhobene Beschwerde sein. Leichtfertig erstattet ist eine auf unwahre Behauptungen gestützte Beschwerde, wenn der Beschwerde­ führer zwar die Unwahrheit der Behauptungen nicht gekannt, die Beschwerde aber angebracht hat, ohne vorher in eine nähere Prüfung der Wahrheit seiner Behauptungen einzutreten. 9) Vgl. Beschwerdeordnung I und II Note 6 oben. Nicht im Dienst befindliche Personen des Beurlaubtenstandes unterliegen wegen Einbringung von Beschwerden unter Abweichung von dem vorgeschriebenen Dienstwege nur der Disziplinarbestrafung; § 152 Abs. 2 MStrGB. findet auf sie nicht Anwendung. 10) Einfacher, mittlerer, strenger Arrest von 1 Tag bis 6 bezw. 4 Wochen, strenger Arrest nur im Falle des Abs. 3 § 22 MStrGB.

Zweiter Titel.

Militärische Verbrechen und Vergehen der Militärbeamten. § 153.

Ein Militärbeamter,4) welcher sich int Felde?) einer der

in dem ersten bis dritten, dem sechsten und achten Abschnitt des ersten Titels bezeichneten strafbaren Handlungen schuldig macht, wird nach den daselbst für Personen des Soldatenstandes gegebenen Bestimmungen

Zweiter Teil. Einzelne Verbrechen und Vergehen.

§§ 154—156. 217

bestraft; statt auf Versetzung in die zweite Klasse des Soldatenstandes ist auf Amtsverlust4) zu erkennen. x) Vgl. Note 6 zutz 4 MStrGB. B des Verzeichnisses der zum deutschen Heere und der Marine gehörigen Militärpersonen. Auf Zivilbeamte der Militärverwaltung findet § 153 MStrGB. nur dann Anwendung, sofern fie nach der Mobilmachung den Militärbeamten ausdrücklich zugezählt werden. 2) Vgl. §§ 9 und 10 MStrGB. 3) In Betracht kommen nur diejenigen auf Militärbeamte anwend­ baren Strafbestimmungen des II. Teils MStrGB., neben denen Versetzung in die 2. Kl. des Soldatenstandes zulässig oder geboten ist; neben diesen soll an Stelle der Versetzung in die 2. Kl. des Soldatenstandes Amtsverlust zu­ lässig oder geboten sein. 4) An Stelle einer angedrohten Dienstentlassung kann nicht auf Amts­ verlust erkannt werden

§ 154. Andere Pflichtverletzungen der Militärbeamten sind nach den allgemeinen, für Beamte geltenden zu beurtheilen. 1) Vgl. insbes. 88 331—359 RStrGB., 88 32—37 DStO.; Reichs­ beamtengesetz v. 31 März 1873 und Gesetz v. 1. Dez. 1898 betreffend die Dienstvergehen der richterl. Militärjustizbeamten.

Dritter Titel. Strafbestimmungen für Personen, welche den Militärgesehen nur in Kriegszeiten unterworfen find.

§ 155. Während eines gegen das Deutsche Reich ausgebrochenen *) Krieges sind alle Personen, welche sich in irgend einem Dienst- oder Vertragsverhältnisse?) bei dem kriegführenden Heere befinden, oder sonst sich bei demselben aufhalten3) oder ihm folgen?) den Strafvorschriften dieses Gesetzes,4) insbesondere den Kriegshetzer?) unterworfen?)?) 4) Der Zustand der Mobilmachung (vgl. 88 9, 10 MStrGB. „im Felde") genügt nicht, es muß der Krieg tatsächlich ausgebrochen sein (z. B. infolge oer Kriegserklärung oder einer Invasion usw.); daß bereits kriegerische Unternehmungen stattfinden oder der Einmarsch in Feindesland erfolgt ist, wird nicht erfordert. 2) Z. B. von den Truppen angenommene Marketender, Fuhrpark­ knechte, Kolonnenführer usw. 3) Z. B. Vertreter der Presse, Kriegskorrespondenten, freiwillige Krankenpfleger, Händler, nicht vom Truppenteil angenommene Marke­ tender usw. Im Falle einer Bestrafung ist Wegweisung einer solchen Person vom Heere zulässig. 8 156 MStrGB. 4) Die Militärgerichtsbarkeit ist auch wegen gemeinstrafrechtlicher Reate solcher Personen begründet; 8 3 MStrGB., 8 1 Nr. 8 MStrGO. 5) Vgl. 88 9, 10 MStrGB. 6) Vgl. auch 8 157 Abs. 2 MStrGB. 7) Wegen Disziplinarbestrafung der im 8 155 MStrGB. aufgeführten Personen vgl. 8 2 Nr. 3, 8 38 DStrO., 8 3 EG. z. MStrGB.

§ 156. Neben einer jeden Freiheitsstrafe?) welche gegen eine Person verhängt wird, die sich zu den Truppen in einem Dienst- oder

218

MilitLr-Strafgesetzbuch für das Deutsche Reich.

Vertragsverhältnisse befindet, kann zugleich auf Aufhebung dieses Ver­ hältnisses erkannt werden?) 4) Freiheitsstrafe ist allgemein, nicht im Sinne des § 16 MStrGB. gebraucht. 2) Vgl. § 15 Abs. 3 MStrGB. Die Strafvollstreckung geht in diesem Falle auf die bürgerlichen Behörden über.

§ 157. Ausländische Offiziere, welche zu dem kriegführenden Heere zugelassen sind, werden, wenn der Kaiser nicht etwa besondere Bestimmungen getroffen hat, nach den für Deutsche Offiziere geltenden Vorschriften4) beurtheilt?)^4) Auf das Gefolge solcher Offiziere findet die Vorschrift des § 155 Anwendung. 4) Zu diesem gehört das gesamte Reichsstrafrecht. 2) Die Ehrenstrafen kommen in Wegfall. 3) Das Recht der Exterritorialität ist durch § 157 MStrGB. nicht berührt. Sind die ausländischen Offiziere zugleich diplomatische Vertreter ihres Staates (z. B. Militärattaches), so sind sie auch beim kriegführenden Heere exterritorial. 4) Der Disziplinarbestrafung und den Ehrengerichten unterstehen diese Offiziere nicht.

§ 158. Auf strafbare Handlungen eines Kriegsgefangenen4) finden nach Maßgabe seines Militärranges die Vorschriften?) dieses Gesetzes entsprechende Anwendung?) 4) Das Abkommen der Haager Friedenskonferenz betr. die Gesetze und Gebräuche des Landkriegsrechts v. 29. Juli 1899 RGBl. S. 436 bestimmt in Kap. 1, Art. 3 des Absch. I: „Die bewaffnete Macht der kriegführenden Parteien kann sich zu­ sammensetzen aus Kombattanten und Nichtkombattanten. Im Falle der Gefangennahme durch den Feind haben die einen, wie die anderen Anspruch auf Behandlung als Kriegsgefangene." Kap. 2, Art. 13: „Personen, die einem Heere folgen, ohne ihm unmittelbar anzugehören, wie Kriegskorre­ spondenten, Zeitungsberichterstatter, Marketender und Lieferanten haben, wenn sie in Feindeshand geraten und ihre Festhaltung zweckmäßig er­ scheint, das Recht auf Behandlung als Kriegsgefangene, vorausgesetzt, daß sie sich im Besitz eines Ausweises der Militärbehörde des Heeres befinden, oem sie angehören." Bei der Kriegsgefangenschaft handelt es sich um die Unschädlich­ machung der für den Krieg tätigen und wichtigen Personen; es unterliegen daher der Kriegsgefangenschaft auch alle mit der Kriegführung an sich nicht in Verbindung stehenden Personen, welche, wenn sie auf freiem Fuße verbleiben, eine Gefahr für die Kriegspartei darstellen, und deren Festhaltung daher militärisch notwendig ist. Vgl. Lueder, Landkriegsrecht. § 106 in von Holtzendorffs Handbuch des Völkerrechts. B. IV. Es unterliegen hiernach der Kriegsgefangenschaft: Der Souverän mit den waffentragenden oder waffenfähigen Gliedern seiner Familie, das feindliche Staatsoberhaupt überhaupt und die dre Politik des feindlichen Staates leitenden Minister usw., auch wenn sie der aktiven Armee nicht angehören; alle der bewaffneten feindlichen Macht angehörigen Personen;

Zweiter Teil. Einzelne Verbrechen und Vergehen.

§§ 157—159. 219

alle dem feindlichen Heere beigegebenen Diplomaten und Zivil­ beamten; alle mit Bewilligung der Heeresleitung bei der Armee sich auf­ haltenden Zivilpersonen, wie Fuhrleute, Marketender, Lieferanten, Zeitungsberichterstatter, Kriegskorrespondenten usw.; alle in bezug auf den Krieg wirksam handelnden Personen, wie höhere Beamte, Diplomaten, Kuriere usw., sowie alle diejenigen Personen, deren Freiheit eine Gefahr für oie Kriegspartei des anderen Staates sein kann, z. B. feindlich gesinnte Journalisten, Parteiführer, die Bevölkerung aufhetzende Geistliche u. dergl.; die Masse der Bevölkerung einer Provinz oder Gegend, wenn sie sich zur Verteidigung ihres Landes erhebt. Vgl. Kriegsgebrauch im Landkriege, Heft 31 der vom Großen Generalstab herausgegebenen Einzelschriften. S. 12 u. 13. Kriegsgefangene sind nur Sicherheits- nicht auch Strafgefangene. Vgl. Abschn. I, Kap. 2, Art. 4 des obenerwähnten Abkommens der Haager Friedens­ konferenz und Lueder a. a. O. S. 433. 2) Dahin gehört auch das RStrGB. vgl. § 3 MStrGB. 3) Die militärischen Ehrenstrafen kommen in Wegfall, nicht aber die bürgerlichen; vgl. § 3 MStrGB. Das frühere Vorgesetztenverhältnis zwischen Kriegsgefangenen findet keine Anerkennung mehr, die Kriegsge­ fangenen stehen sich untereinander ohne Rücksicht auf ihren Militärrang gleich, insoweit nicht von der zuständigen deutschen Militärbehörde ein Kriegsgefangener zum Vorgesetzten anderer Kriegsgefangenen bestellt ist. Der frühere Militärrang eines Kriegsgefangenen ist von Bedeutung für die Frage, auf welche Arreststrafe erkannt werden muß oder kann. Vgl. ferner Note 1 zu § 138 MStrGB. Fahnenflucht, Feigheit, Selbstbe­ schädigung und Vorschützung von Gebrechen kann von Kriegsgefangenen nicht begangen werden.

§ 159. (KG. §§ 62i, 45 MStrGO.) Ein Kriegsgefangener/) welcher unter Bruch des gegebenen Ehrenwortesla) entweicht/) oder, auf Ehrenwort entlassen, die gegebene Zusage3) bricht/) wird mit dem Tode bestraft.

Dieselbe

Strafe

trifft denjenigen,

welcher den Bedingungen/)

unter denen er aus der Kriegsgefangenschaft entlassen, vor Beendigung des Krieges entgegenhandelt.3)?)

Vgl. § 3 EG., sowie Herz, MStrGO. Note 4 zu §§ 16, 57, 69. 1) Es werden in der Regel nur kriegsgefangene Offiziere in Betracht kommen, da nur diesen Versprechen auf Ehrenwort abgenommen werden. ia) Zur Erteilung des Ehrenwortes kann kein Kriegsgefangener ge­ zwungen werden. Absch. I Kap. 2 Art. 11 der in Note 6 bez. Bestimmungen der Haager Friedenskonferenz. 2) Erfordert wird die Absicht, sich der Kriegsgefangenschaft durch die Entweichung zu entziehen; liegt diese Absicht nicht vor, so sind 88 64 ff. MStrGB. anwendbar. Vollendet ist das Delikt mit dem Verlassen des zur Internierung bestimmten Gebiets. 3) Es muß ein ausdrückliches Versprechen vorliegen; es wird dies der Regel nach in schriftlicher Form unter Unterschrift des Zusagenden er­ folgen. 4) Das Entweichen von kriegsgefangenen Offizieren, die durch Ehren­ wort nicht gebunden sind, fällt unter 88 64ff., 79 MStrGB.

220

Militär-Strafgesetzbuch für das Deutsche Reich.

5) Abs. 2 § 159 MStrGB. bezieht sich auf alle Kriegsgefangenen ohne Unterschied des Militärranges. Ein besonderes Versprechen, die Bedingungen innezuhalten, wird nicht vorausgesetzt. 6) Vgl. zu § 159 MStrGB. das Abkommen der Haager Friedens­ konferenz, betr. die Gesetze und Gebräuche des Landkriegsrechts v. 29. Juli 1899, RGBl. S. 436. Absch. I Kap. 2 Art. 8: Die Kriegsgefangenen unterstehen den Gesetzen, Vorschriften und Befehlen, die in dem Heere des Staates gelten, in dessen Gewalt sie sich befinden. Jede Unbotmäßigkeit kann mit der erforderlichen Strenge geahndet werden. Entwichene Kriegs­ gefangene, die wieder ergriffen werden, bevor es ihnen gelungen ist, ihr Heer zu erreichen, oder das von den Truppen, die sie gefangen genommen haben, besetzte Gebiet zu verlassen, unterliegen disziplinarischer oder kriegs­ gerichtlicher Bestrafung. Kriegsgefangene, die nach gelungener Flucht wieder gefangen genommen werden, können für die frühere Flucht nicht bestraft werden. Art. 10: Kriegsgefangene können aus Ehrenwort freige­ lassen werden, wenn die Gesetze ihres Landes dies gestatten; sie sind alsdann bei ihrer persönlichen Ehre verbunden, die übernommenen Verpflichtungen sowohl ihrer eigenen Regierung als auch dem Staate gegenüber, der sie zu Kriegsgefangenen gemacht hat, gewissenhaft zu erfüllen. Ihre Regierung ist ebenfalls verpflichtet, keinerlei Dienste zu verlangen oder anzunehmen, die dem gegebenen Ehrenworte widersprechen. Art. 12: Jeder auf Ehren­ wort entlassene Kriegsgefangene, der gegen den Staat, der ihn entlassen hat oder gegen dessen Verbündete die Waffen trägt, verliert, wenn er wieder ergriffen wird, das Recht der Behandlung als Kriegsgefangener und kann den Gerichten überliefert werden. 7) Die Kriegsgefangenschaft erlischt durch tatsächliche Umstände, welche sie aufheben, wie gelungene Flucht, Aufhören des Krieges, Unterwerfung unter den feindlichen Staat als Untertan, Entlassung, Auswechselung. Vgl. Kriegsgebrauch (s. Note 1 zu § 158 MStrGB.) S. 16,17.

§ 160. (KG. §§ 62', 45 MStrGO.) Ein Ausländer') oder Deutscher, welcher während eines gegen das Deutsche Reich ausge­ brochenen Krieges2) auf dem Kriegsschauplatzes sich einer der in den §§ 57 bis 59 und 134 vorgesehenen Handlungen schuldig macht, ist

nach den in diesen Paragraphen

gegebenen

Bestimmungen

zu

be­

strafen.^) 5) ') Ausländer ist jeder Nichtdeutsche, gleichviel ob Militär- oder Zivil­ person, ob Anhänger des feindlichen oder eines anderen Staates. Unter § 160 MStrGB. in Verbindung mit § 58 Nr. 1 das. fällt auch der Aus­ länder (auch der Untertan des feindlichen Staates), oer dem Feinde als Spion dient. 2) Vgl. Note 1 zu § 155 MStrGB. 3) Kriegsschauplatz ist 'der ganze Flächenraum, auf welchem kriegerische Operationen stattfinden. 4) Militärische Ehrenstrafen können nicht verhängt werden, wohl aber bürgerliche. 5) Die Unterstellung unter die Militärstrafgerichtsbarkeit verordnet § 5 Nr. 4 MStrGO.; sie tritt ohne weitere Bekanntmachung ein.

Z161. Ein Ausländer') oder Deutscher, welcher in einem von Deutschen Truppen besetzten2) ausländischen Gebiete gegen Deutsche Truppen oder Angehörige3) derselben oder gegen eine auf Anordnung

des Kaisers eingesetzte Behörde eine nach den Gesetzen des Deutschen

Zweiter Teil. Einzelne Verbrechen und Vergehen.

§§ 160—162. 221

Reichs strafbare Handlung begeht, ist ebenso zu bestrafen, als wenn diese Handlung von ihm im Bundesgebiete begangen roäte.4)

r) Vgl. Note 1 und 5 zu 8 160 MStrGB. 2) Ein Gebiet gilt als besetzt, wenn es tatsächlich in der Gewalt des feindlichen Heeres steht: die Besetzung erstreckt stet) nur auf Gebiete, wo diese Gewalt hergestellt ist und ausgeübt werden kann. Abschn. 3 Art. 42 des Abkommens der Haager Friedenskonferenz v. 26. Juli 1899. Zum be­ setzten Gebiete im Sinne des § 161 MStrGB. gehören auch diejenigen aus­ ländischen Gebiete, welche nach Beendigung des Krieges etwa noch von deutschen Truppen besetzt bleiben. 3) Zu den Angehörigen der deutschen Truppen gehören die in § 155 MStrGB. in bezug genommenen Personen, ferner die Familien und Dienst­ boten der zur Besatzung gehörigen deutschen Militärpersonen. 4) Ausländer und Deutsche unterstehen der Militärgerichtsbarkeit. § 5 Nr. 4 MStrGO. Vierter Titel.

Zusahbestirnmungen für die Marine.

§ 162. Von den in diesem Gesetze den Verhältnissen des Heeres entlehnten Ausdrücken sind für die Marine als gleichbedeutend zu be­ trachten : Heer als gleichbedeutend mit Marine oder FlottesTruppe als gleichbedeutend mit SchiffsBefehlshaber einer militärischen Wache als gleichbedeutend mit

Offizier der Waches) Militärische Kokarde als gleichbedeutend mit dem entsprechenden

Abzeichen in der Marine;2)

Stubenarrest als gleichbedeutend mit Kammerarrest;3) Wohnung als gleichbedeutend mit Kammer.

*) Vgl. § 3 der „Bestimmungen für den Dienst an Bord". § 9 des II. Kap. ebendas.*) („Offizier der Wache" = Wachhabender Offizier). 2) Vgl. ACO. v. 28. Jan. 1873. MVBl. S. 17 und ACO. v. 15. April 1884. MVBl. S. 73, durch welche die letztere aufgehoben ist. Mannschaften der Marine, die sich in der 2. Kl. des Soldatenstandes befinden, tragen weder die „Mützenkokarde" noch das Mützenband. Landeskokarden werden in der Marine nicht getragen. 3) Vgl. Verordnung, betr. die Vollstreckungsweise der Freiheitsstrafen an Bord §§ 2 ff.

*) Bestimmungen für den Dienst an Bord vom 30. Juli 1894. Her­ ausgegeben von dem kommandierenden Admiral. Kap. II. Wach- und Sicherheitsdienst. 8 9. Der wachhabende Offizier hat die Rechte und Pflichten jeder Wache. Er ist nur dem Kommandanten und dem ersten Offizier, sowie deren direkten Vorgesetzten unterstellt und kann für seine Anordnungen unmittelbaren Gehorsam von allen übrigen Per­ sonen an Bord fordern. Vgl. 88 Hl, 141, 143, 146 MStrGB.

222

Militär-Strafgesetzbuch für das Deutsche Reich.

§ 163.

Unter Schiff im Sinne dieses Gesetzes ist jedes Fahr­

zeug der Marines zu verstehen, auf welchem ein militärischer Befehls­ haber nebst Besatzung eingeschifft ist.

i) Vgl. ACO. v. 8. Nov. 1892 bett. Führung der Reichsflagge. MVBl. S. 13 ff. Es ist nicht erforderlich, daß das Schiff in dem Eigentum der Marine steht. Auch gecharterte Schiffe können in Frage kommen. § 164.

Als mobiler Zustand]) gilt in der Marine der Kriegs­

zustand eines Schiffes.

Als im Kriegszustände befindlich

Schiff der Marine zu betrachten, welches außerhalb

ist jedes

der heimischen

Gewässer allein fährt.2) Für die am Lande befindlichen Militärpersonen der Marine tritt im Sinne dieses Gesetzes^die Mobilmachung unter denselben Voraus­

setzungen ein, wie für die Militärpersonen des Heeres?)

1) §§ 9, 10 MStrGB., §§ 419 ff. MStrGO. und §§ 5, 6 EG. 2) AO. v. 3. Mai 1902 (MVBl. S. 157): 1. Als „allein fahrend" ist jedes Schiff zu betrachten, so lange es nicht diese Eigenschaft infolge der Bestimmungen ad 2 verliert. 2. Es verliert diese Ergenschaft, a) sobald und solange es sich mit einem anderen deutschen Kriegsschiffe im Hafen oder in See zusammen befindet; b) sobald es in einen Verband eingetreten ist, vom Tage des Eintritts bis zum Tage des Austritts; c) sobald es die Station, „auf welche es verwiesen ist, erreicht hat, für die Zeit, während welcher es sich auf dieser Station befindet". 3. Der Zeitpunkt, mit dem ein Schiff beginnt oder aufhört, als „allein fahrend" zu gelten, ist im Logbuch zu vermerken, der Besatzung (bei der nächsten Musterung) bekannt zu machen und in dem nächsten Reise­ berichte zu melden. Ebenso ist im Logbuch anzugeben, daß dieser Zeit­ punkt der Besatzung bekannt gemacht ist. Nach den Ausführungsbestimmungen zu der AO. v. 13. Mai 1902 ist unter heimischen Gewässern das Gebiet der Ost- und Nordsee — die letztere im Norden durch 60° n. Br., im Westen nördlich von Schott­ land durch den Meridian von 3° ro. Lg. von Greenwich und südlich von England von der Linie Dover-Calais begrenzt — zu verstehen. Ein Schiff ist auch dann als „nicht allein fahrend" zu betrachten, wenn es auf der Station, auf die es verwiesen ist, etwa allein an­ wesend sein sollte. Vgl. auch AB. f. d. M. zu § 6 EG. 3) Vgl. § 9 MStrGB.

§ 165.

Schiff, so

Als vor dem Feindes befindlich zu betrachten ist ein lange in Gewärtigung eines Zusammentreffens mit dem

Feinde ein oder mehrere Geschütze des Schiffes scharf geladen sind.

i) § 11 MStrGB. § 166.

Außer den Militärpersonen sind

Schiffes den Militärstrafgesetzen unterworfen?)

die Angestellten des

Zweiter Teil. Einzelne Verbrechen und Vergehen.

§§ 163—165. 223

Andere am Borde des Schiffes dienstlich eingeschiffte Personen2) unterliegen den Kriegsgesetzen, so lange das Schiff sich im Kriegs­ zustände befindet. Urkundlich unter Unserer Höchsteigenhändigen Unterschrift und beigedrucktem Kaiserlichen Jnsiegel.

Gegeben Schloß Babelsberg, den 20. Juni 1872. (L. S.)

Wilhelm. Fürst v. Bismarck.

*) Diese Vorschrift hat ihre Bedeutung im wesentlichen verloren, da die Angestellten des Schiffes — Köche, Kellner und Barbiere — als Personen des Soldatenstandes (Unteroffiziere ohne Vorgesetztenqualität) gellen. Vgl. MO. § 37, 37 a, sowie § 1 Nr. 8 MStrGO. 2) Dienstlich eingeschiffte Passagiere, die dem mobilen Bureau des Admiralstabes der Marine zugeteilten oberen und unteren etatsmäßigen Zivilbeamten der Marine, sowie die zur Verrichtung dienstlicher Funktionen eingeschifften oberen und unteren Zivilbeamten; vgl. Klasseneinteilung der Militärbeamten v. 12. Aug. 1901 (Anhang). Die Militärbeamten der Marine unterfallen den §§ 153 ff. MStrGB.

Anlage.

Verzrichnitz der

sUM Deutschen Heer und zur Kaiserlichen Marine

gehörenden Militärpersonen. Die zum Deutschen Heer und zur Kaiserlichen Marine gehörenden Militärpersonen bestehen aus Personen des Soldatenstandes und aus Militärbeamten.

A. Personen des Soldatenstandes sind: I. Die Offiziere.

Die Offiziere zerfallen in vier Hauptklassen:

1) 2) 3) 4)

im Heere: Generalität,!) Stabsoffiziere,?) Hauptleute und Rittmeister, Subalternoffiziere (Ober- und Leutnants);

in der Marine: 1) 2) 3) 4)

Flaggoffiziere oder Admirale,3) Stabsoffiziere, 4) Kapitänleutnants, Subalternosfiziere (Oberleutnants zur See, Leutnants zur See). n. Die Unteroffiziere

sind eingetheilt im Heer und in der Marine: in 1) solche, welche das Offizier-Portepee tragen (Unteroffiziere mit Portepee)/) 2) solche, welche das Offizier-Portepee nicht tragen (Unteroffiziere ohne Portepee)/)

III. Die Gemeinen mit Einschluß der Obergefreiten und Gefreiten.')

Verzeichnis der MilitLrpersonen.

225

IV. Die Mitglieder des Sanitätsoffizierkorps, sowie V. Die Mitglieder des Marine-Jngenieurkorps, des TorpedoJngenieurkorps sowie die Feuerwerks-, Zeug- und Torpeder­ offiziere gehören nach Maßgabe ihres Militärranges zu den unter Nr. I, II und III aufgeführten Kategorien.8) x) Generalfeldmarsckall, Generaloberst, General der Infanterie (Kavallerie, Artillerie), Generalleutnant, Generalmajor. 2) Oberst, Oberstleutnant, Major. 3) Großadmiral, Admiral, Vizeadmiral, Kontreadmiral. 4) Kapitän zur See, Fregattenkapitän, Korvettenkapitän, 5) Heer: Feldwebel (Wachtmeister), Vizefeldwebel (Vizewachtmeister), Fähnriche, Stabshoboisten. Marine: außerdem Oberdeckoffiziere, Deck­ offiziere, Vizedeckoffiziere, Stückmeister, Signalmeister. 6) Heer: Sergeanten und Unteroffiziere; Marine: Obermaate und Maate. 7) Marine: auch Obermatrosen und Seekadetten. 8) Vgl. § 5 Note 1 und 2 MStrGB.

B. Militärbeamte

sind alle im Heer und in der Marine für das Bedürfniß des Heeres oder der Marine dauernd oder auf Zeit angestellten, nicht zum Soldaten­ stande gehörenden und unter dem Kriegsminister oder Staatssekretär des Reichs-Marine-Amts als Verwaltungschef stehenden Beamten, welche einen Militärrang haben. Es macht dabei keinen Unterschied, ob sie einen Diensteid geleistet haben oder nicht. Militärbeamte, die im Offizierrange stehen, sind obere Militär­ beamte, alle anderen Militärbeamten sind untere Militärbeamte?) *) Gleichgültig ist, ob der Militärrang ein „bestimmter" oder nickt „bestimmter" ist; welche Militärbeamten „obere", welche „untere" fino, regelt nachstehende Verordnung v. 12. Aug. 1901 (RGBl. 383). Beamte der Militärverwaltung, die keinen „Militärrang" haben, find Zivilbeamte der Militärverwaltung.

Herz u. Ernst, Strafrecht der Militärpersonen.

15

Verordnung betreffend

die Klasseneintheilung der Milttärbeamten des Keichsheeres und der Marine. Vom 12. August 1901 (RGBl. S. 283).

Wir Wilhelm, von Gottes Gnaden Deutscher Kaiser, König von Preußen re. verordnen im Anschluß an die Vorschrift unter B der Anlage zu Z 5 des Militär-Strafgesetzbuchs für das Deutsche Reich vom 20. Juni 1872 (Reichs-Gesetzbl. S. 174) im Namen des Reichs, nach erfolgter Zu­ stimmung des Bundesraths, was folgt: Die in der Anlage enthaltene Klasseneintheilung der Militär­ beamten des Reichsheeres und der Marine tritt an die Stelle der durch Verordnung vom 13. August 1895 (Reichs-Gesetzbl. S. 431) festgestellten Klasseneintheilung. Urkundlich unter Unserer Höchsteigenhändigen Unterschrift und beigedrucktem Kaiserlichen Jnsiegel.

Gegeben Neues Palais, den 12. August 1901. (L. 8.)

Wilhelm. Graf von Bülow.

Rlassrneinlheilung der

Militärbeamten des Keichsheeres und der Marine. Keim Aeichsheere. I.

Der der Wanne.

I

Militärbeamte, welche nur den ihnen vorgesetzten Militär­ befehlshabern untergeordnet sind. A. Obere Militärbeamte (im Offizierrange).

1. Der Büreauvorsteher bei dem Chef des preußischen General­ stabs der Armee. 2. Die Festungsoberbauwarte und Festungs b auw arte. 3. Die Oberzahlmeister und Zahl­ meister. 4. Die Korpsroßärzte, die Oberroß­ ärzte und Roßärzte.

Bayern: die Korpsstabsveterinäre, die Stabsveterinäre und die Vete­ rinäre. 5. Die Oberapotheker. 6. Der Armeemusikinspizient.

1. Der zur Dienstleistung beim Gou­ vernement von Kiautschou kommandirte höhere Marine-Jntendanturbeamte. 2. Der Lootsenkommandeur der Ma­ rine und dessen Vertreter. 3. Die Geschwadersekretäre während ihrer Dienstleistung als solche. 4. Die zu den Marine-Stations­ kommandos zur Dienstleistung kommandirten Marine-Jntendantursekretäre. 5. Der Roßarzt bei der MarineFeldbatterie.

Außerdem im Kriege und während des mobilen Zustandes. 7. Der Büreauvorsteher und die Geheimen Kanzleisekretäre beim Chef des Generalstabs des Feld­ heeres. 8. Die Topographen und Trigonometer. 9. Der höhere Civilverwaltungsbeamte bei den Etappeninspek­ tionen. 10. Die in Beamtenstellen des Mili­ täreis enbahnwes ens befindlichen oberen Beamten, als:

6. Die dem mobilen Büreau des Ad­ miralstabs der Marine zugetheilten etatsmäßigen oberen Civilbeamten der Marine. 7. Die Civilmitglieder der Küsten­ bezirksämter I in Neufahrwasser, II in Stettin, III in Kiel, IV in Husum, V in Bremerhaven, VI in Wilhelmshaven.

228

Klasseneinteilung der Militärbeamten

Keim Reichsheere. a) die höheren Eisenbahnbeamten und deren Gehülfen beim Chef des Feldeisenbahnwesens, beim stellvertretenden Generalstabe der Armee und den immobilen Linienkommandanturen, b) die Telegrapheninspektoren, die Telegraphenaufseher und die Rendanten bei den Militär­ eis enbahndirektionen, c) die Assistenten bei den immo­ bilen Linienkommandanturen, d) die Büreaubeamten bei den unter a genannten Behörden, e) die Kanzlisten bei den immo­ bilen Linienkommandanturen. 11. Die nicht zu den Personen des Soldatenstandes gehörigen, bei dem Militäreisenbahnwesen zur Anstellung kommenden oberen Beamten, als: a) die höheren Beamten und Se­ kretäre bei den Baudirektionen, b) die Eisenbahnbauin­ spektoren und Eisenbahnbetriebsinspektoren, £ § c) die EisenbahnbauZ meister, Maschinenmeister, Maschineningenieure*), Tele- 5^.2 grapheningenieure, 2 .5) Stationsvorsteher, g g g. Bahn- und Betriebs-l-g-Z L kontra leure, d) die Eisenbahnbau- S sichrer, Maschinen- S meisterasststenten, Stationsassistenten, Expe- S.g ditionsbeamten, GeoMeter, £ K> e) die Eisenbahn- und die Betriebssekretäre, f) die Eisenbahnverwaltungsbe­ amten bei den Eisenbahn­ arbeiterkompagnien (Güter­ expeditionsvorsteherund Güter­ expedienten), ♦) Anmerkung. Als Maschineninge­ nieure können der Militäretsenbahnverwaltung auch solche Beamte mit höherer tech­ nischer Vorbildung überwiesen werden, welche in ihrem Civildienstverhaltnisse vor­ übergehend als Werkmeister thätig sind.

Dei der Marine.

des Reichsheeres und der Marine.

Deim Keichsheere.

229

Kei der Marine.

g) die Materialienverwalter, Bahnmeister und Telegraphen­ aufseher. Die unter 10 und 11 aufgeführten Beamten sind nach Maßgabe der 4 bestehenden Ressortverhältnisse auch > 4 denjenigen Beamten untergeordnet,' welche 'an Stelle von Militärbe­ fehlshabern zur Anstellung kommen. 12. Die Elektrotechniker für Panzer­ batterien. 13. Die Feldzahlmeister. 14. Die Bekleidungsamtsbeamten und die Festungsgefängnißrendanten in Festungen, welche in Belage­ rungszustand erklärt sind.

B. Untere Militärbeamte (im Range der Mannschaften vom Feldwebel abwärts). 1. Die Zeughausbüchsenmacher. k.Die Büchsenmacher bei den Ma2. Die Büchsenmacher und Sattler rinetheilen. bei den Truppen. 3. Die Waffenmeister. |

Außerdem im Kriege und während des mobilen Zustandes. 4. Die Obersetzer, Oberdrucker und Drucker beim Chef des General­ stabs des Feldheeres und bei einem Armeeoberkommando. 5. Die nicht zu den Personen des Soldatenstandes gehörigen, bei dem Militäreisenbahnwesen zur Anstellung kommenden unteren Beamten, als: a) die Werkmeister*), Wagen­ meister und Magazinaufseher, b) die Lokomotivführer, Zug­ führer, Packmeister, Tele­ graphisten, c) die Zimmermeister und die Maurermeister. d) die Zeichner, Kanzlisten und Drucker, e) die Schaffner, Telegraphen­ vorarbeiter , Oberbauvorar*) Anmerkung. Als Maschineninge­ nieure können der Mtlitäreisenbahnverwaltung auch solche Beamte mit höherer tech­ nischer Vorbildung überwiesen werden, welche in ihrem Civildienstverhältnisse vor­ übergehend als Werkmeister thätig sind.

2. Die dem mobilen Büreau des Ad­ miralstabs der Marine zugetheilten etatsmähigen Civilunterbeamten der Marine. 3. Die Beobachter (bei den Küsten­ beobachtungsstationen).

230

Klasseneinteilung der Militärbeamten

Kei der Marine.

Keim Keichsheere. beiter, Güterbodenvorarbeiter, Heizer, Maschinenwärter, f) die Rangirer, Weichensteller, Bahnwärter, Bremser, Ober­ bauarbeiter, Werkstattarbeiter, Güterbodenarbeiter, Maschinenputzer und Wagenschmierer. Die unter Nr. 5 aufgeführten Beamten sind nach Maßgabe der bestehenden Ressortverhältnisse auch denjenigen Beamten untergeordnet, ’ welche an Stelle von Mrlitärbefehlshabern zur Anstellung kommen. 6. Die Maschinenwärter für Panzer­ batterien. 7. Die Meister und Arbeiter bei den Reparaturwerkstätten des Be­ lagerungstrains. 8. Die Unterbeamten bei den Be­ kleidungsämtern und denFestungsgefängnissen in Festungen, welche in Belagerungszustand erklärt sind.

II. Militärbeamte, welche in einem doppelten Unterordnungs­ verhältnisse stehen, und zwar einerseits zu den ihnen vorgesetzten Militärbefehlshabern, andererseits zu den ihnen vorgesetzten höheren Beamten oder Behörden.

A. Obere Militärbeamte (im Offizierrange).

1. Die Korpsintendanten, die Vor­ stände der Divistonsintendanturen und der Intendantur der Ver­ kehrstruppen sowie deren Ver­ treter. 2. Die Kriegs- und Oberkriegs­ gerichtsräthe. 3. Die Militärgerichtsschreiber. 4. Preußen und Sachsen: die Mi­ litäroberpfarrer, die Divisions-, Garnison-, Kadetten- und An­ staltspfarrer. Bayern und Württemberg: siehe II A 17. 5. Die Korpsstabsapotheker und die Garnisonapotheker.

1. Die Marine-Intendanten und deren Vertreter. 2. Die Marine - Oberkriegsgerichts­ räthe und Kriegsgerichtsräthe. 3. Die Marinegerichtsschreiber. 4. Die Marine - Oberpfarrer und -Pfarrer. 5. Die Marinesoweit sie nicht Stabszahl­ lediglich als Gemeister, Ober­ > schwadersekretäre zahlmeister, fungiren; siehe und Zahl­ I A3. meister, _ 6. Die auf Schiffen der Marine zur Verrichtung dienstlicher Funktionen eingeschifften oberen Civilbeamten sowie die unter III A 7 bis 17 ge­ nannten eingeschifften Militär­ beamten der Marine.

des Reichsheeres und der Marine.

Keim Keichsheere.

231

Kei -ek Marine.

Außerdem im Kriege und während des mobilen Zustandes.

6. Bei den Feldintendanturen: a) die Armee-, Etappen-, Feldund Divistonsintendanten so­ wie sämmtliche Feldintendan­ turräthe und die mit der Stelle eines etatsmäßigen Feldinten­ danturraths beliehenen Be­ amten, b) die Sekretäre, c) die Assistenten. 7. Die stellvertretenden Intendanten, der Vorstand der Intendantur des stellvertretenden Generalstabs sowie deren Vertreter. 8. Die oberen Beamten bei den Feldkriegskassen, als: a) die Kriegszahlmeister, b) die Kassirer, c) die Kassirer und Buchhalter, d) die Buchhalter, e) die Kassenassistenten, f) die Buchhalter bei den Betriebs­ abtheilungen der Militäreisen­ bahndirektionen, falls sie nicht zu den Personen des Soldaten­ standes gehören. 9. Die oberen Beamten bei denFeldund Etappenmagazinanstalten, einschließlich der Feldbäckerei­ ämter und der Magazine auf den Sammelstationen, als: a) die Feldproviantmeister, b) die Feldmagazinrendanten, c) die Feldmagazinkontroleure, d) die Feldmagazinassistenten. 10. Die oberen Beamten bei denFeldund Etappenlazarethanstalten, den Güterdepots der Sammelstationen und den Sanitätszügen, als: a) die Lazarethpfarrer, b) die Feldlazarethinspektoren, c) die Feldlazarethrendanten, d) die Feldapotherer. 11. Die den stellvertretenden Korps­ generalärzten beigegebenen stell­ vertretenden Korpsstabsapotheker und die Feldstabsapotheker. 12. Die oberen Beamten bei den Feld- und Etappentelegraphenoehörden, als: a) die Telegraphendirektoren,

7. Die Telegraphensekretäre und Asststenten bei den Kriegsküsten­ telegraphenstationen, welche von der Oberpostdirektion gestellt werden.

232

Klasseneinteilung der Militärbeamten

Keim Ketchsheere.

Kei -er Marine.

b) die Telegrapheninspektoren, c) die Telegraphensekretäre, d) die Telegraphenassistenten. 13. Bei dem Chef der Militärtelegraphie: die Telegraphensekretäre. 14. Die oberen Beamten bei den Feldpostanstalten, als: a) der Feldoberpostmeister, b) die Feldoberpostinspektoren, c) die Armeepostdirektoren, d) die Armeepostinspektoren, e) die Feldpostmeister, f) die Feldoberpostsekretäre, g) die Feldpostsekretäre, h) die Roßärzte (Bayern: Ve­ terinäre) der Postpferde­ depots. 15. Der Feldpolizeidirektor und die Feldpolizeikommissare im großen Hauptquartiere. 16. Die Intendantur- und oberen Proviantamtsbeamten sowie die der gleichen Beamtengattung an­ gehörigen Beamten der Kon­ servenfabriken, die Beamten der Garnisonbauverwaltung, die Garnisonverwaltungs- und Lazarethbeamten in Festungen, welche in Belagerungszustand er­ klärt sind; ferner: 17. Bayern und Württemberg: die Feldgeistlichen.

B. Untere Militärbeamte (im Range der Mannschaften vom Feldwebel abwärts).

1. Die Unterapotheker und Militär­ apotheker einschließlich der ein­ jährig-freiwilligen Militärapo­ theker. 2. Preußen und Sachsen: die Divisions-, Garnison- und Anstaltsküster, die Militärgerichtsboten. Bayern: die Militärgerichtsboten. Württemberg: die Militärgerichtsboten, weiter siehe II B 11.

1. Die Marineküster. 2. Die Marinegerichtsboten. 3. Die auf Schiffen der Marine zur Verrichtung dienstlicher Funktio­ nen eingeschifften unteren Civilbeamten sowie die unter IIIB 9 genannten eingeschifften Militär­ beamten der Marine.

des Reichsheeres und der Marine.

Keim Keichsheere.

233

Kei der Marine.

I

Außerdem im Kriege und während des mobilen Zustandes.

3. Die Kassendiener bei den Feld- i kriegskassen. 4. Die Felobackmeister und die Feld­ magazinaufseher bei den Feldund Etappenmagazinanstalten so­ wie bei den Magazinen auf den Sammelstationen. 5. Die Feldpostschaffner bei den Feldpostanstalten. 6. Die Polizeibeamten im großen Hauptquartier und bei den Etap­ peninspektionen. 7. Die chirurgischen Instrumenten­ macher und dre Apothekenhand­ arbeiter bei den Feld- und Etappenlazarethanstalten. 8. Die Telegraphenvorarbeiter und Arbeiter bei derFeld- undEtappentelegraphie. 9. Die Feldpostillone bei den Feld­ postanstalten. 10. Die Unterbeamten der Proviant­ ämter und Konservenfabriken, der Garnison- und Lazarethverwaltungen in Festungen, welche in Belagerungszustand erklärt sind; ferner: 11. Württemberg: die Feldküster.

III. Militärbeamte, welche nur den ihnen vorgesetzten höheren Beamten und Behörden untergeordnet sind. A. Obere Militärbeamte (im Offizierrange).

1. Deutsches Reich: beim Reichsmilitärgerichte: die Senatspräsidenten, die Reichsmilitärgerichtsräthe, der Obermilitäranwalt, die Militäranwalte, die Obersekretäre (Militärge­ richtsschreiber). 2. Preußen: bei den Militärintendanturen: a) der Intendant der militärischen Institute,

1. Die Marine-Jntendanturräthe, 2. die Marine-Jntendanturassessoren, 3. die Marine-Jntendanturreferendare, _______ 4. Die Marine - Jntendäntursekretäre, soweit sie nicht unter die Kategorie IA4 fallen. 5. Die Marine-Jntendanturregistratoren. 6. Die Oberlootsen der Marine, so-

Klasseneinteilung der Militärbeamten

234

Keim Keichsheere. b) die Intendanturrathe und Asses-soren, c) die Referendare, d) die Sekretäre, «2-*£lo « e) die Registratoren; ferner:

Bayern: a) der Oberintendanturrath und Vorstand der Intendantur der militärischen Institute, b) die Intendanturg £ rathe und Asseseforen, gtg'o g

Kei -er Warme. weit sie nicht unter die Kategorie IA2 fallen. 7. Die Ressortdirek­ -O toren, rr n -r 8. dieBetriebsdirekti n >0 toren, a so rr 9. die Bauinspek­ >n=.5 toren,

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12. die Ressort­ direktoren,

x c) die Sekretäre, «£-*£ Io « d) die Registratoren.

Sachsen: a) beim Kriegsministerium: die vortragenden Räthe ein­ schließlich des vortragenden Bauraths, die Expedienten, die Kalkulatoren, die Registratoren, der Kanzleivorsteher; b) beim Kriegszahlamte: die Sekretäre; c) bei den Militärintendanturen: die Intendanturh «h Ehe u. Assesrsoren, dre Referendare, e o> *g £ die Sekretäre, £-*pIo die Registratoren; d) der Expedient bei dem Militär­ bevollmächtigten in Berlin.

Württemberg: a) beim Kriegsministerium: die vortragenden Räthe, die Expedienten, die Registratoren; b) beim Kriegszahlamte: der Kriegszahlmeister, der Kassierer, die Buchhalter; c) bei den Militärintendanturen: dieJntendanturräthe und Assessoren, soweit sie nicht unter die Kategorie IIA 1 fallen, der Intendantur- und Baurath, die Sekretäre, soweit sie nicht unter die Kategorie IIA 1 fallen,

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10. die Baumeister, 11. die Bauführer,

13. die Bauinspek­ toren,

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s geklagten, welcher vor der früheren Verurteilung eine strafbare Handlung begangen hat (z. B. Ehebruch) nicht zu versagen, weil äußere Umstände (z. B. Fortbestehen der Ehe), der Erstreckung jenes früheren Urteils auf die damals schon verübte weitere Tat Hindernisse bereiteten. RG. I. 6. Nov. 1882. E. 7,298. R. 4,787. Kommen mehrere selbständige strafbare Handlungen zur Aburteilung, von denen einige vor der früheren, auf eine Gesamtstrafe erkennenden Ver­ urteilung fallen, so ist für alle diese vorgängigen, zum Teil schon ab­ geurteilten strafbaren Handlungen die Gesamtstrafe nach den Grundsätzen des § 74 RStrGB. gesondert festzustellen und sodann, selbständig hiervon auf eine weitere Gesamtstrafe wegen der, nachgängig der früheren Ver­ urteilung, verübten Delikte zu erkennen. RG. I. 24. April 1884. R. 6,292.

Zweiter Theil.

Von den einzelnen Verbrechen, Vergehen und Uebertretungen und deren Bestrafung. Erster Abschnitt. Hochverrath und Landesverrath.*)

§ 80.

Der Mord und der Versucht) des Mordes, welche an

dem Kaiser, an dem eigenen Landesherrn/) oder während des Aufent-

326

Strafgesetzbuch für das Deutsche Reich.

Halts in einem Bundesstaate an dem Landesherr:: dieses Staats verübt worden sind, werden als Hochverrath mit dem Tode bestraft.4)5) x) Wegen des im Auslande begangenen Hoch- und Landesverrats vgl. ß 4 Nr. 1 und 2 RStrGB. — § 56 MStrGB. dehnt die Vorschriften der §§ 80—93 RStrGB, auf die Personen des Soldatenstandes aus. 2) Die Heraushebung des im § 80 RStrGB. vorgesehenen Verbrechens aus dem allgemeinen Tatbestände des Hochverrates, wie ihn § 81 RStrGB. bestimmt, hat ihren Grund lediglich in der Absicht der Gesetzgebung, für einige der schwersten Fälle des Hochverrats die Todesstrafe beizubehalten. Materiell enthält der § 80 nur eine Qualifikation des im § 81 Nr. 1 RStrGB. vorgesehenen hochverräterischen Unternehmens, einen Bundes­ fürsten zu töten. RG. II. III. 5. Dez. 1881. E. 5,215. § 46 RStrGB. findet Anwendung. 3) Der Kaiser ist in Elsaß-Lothringen nicht „Landesherr". RG. I. 17. April 1884. E. 10,312. 4) Dem Gehilfen zu dem Mordversuche im Sinne des § 80 RStrGB. kommt die Strafmilderung des § 49 Abs. 2, § 44 Abs. 2 RStrGB zustatten. (Zuchthausstrafe nicht unter drei Jahren). RG. II. III. 15./12. Dez. 1884. E. 12,64. R. 6,840. 5) Verjährung tritt in 20 Jahren ein. § 67 Abs. 1 RStrGB.

§ 81. Wer außer den Fällen des § 80 es unternimmt, 1) einen Bundessürsten zu todten, gefangen zu nehmen, in Feindes Gewalt zu liefern oder zur Regierung unfähig zu machen, 2) die Verfassung*) des Deutschen Reichs oder eines Bundesstaats oder die in demselben bestehende Thronfolge gewaltsam?) zu ändern, 3) das Bundesgebiet ganz oder theilweise einem fremden Staate gewaltsam einzuverleiben oder einen Theil desselben vom Ganzen loszureißen,3) oder 4) das Gebiet eines Bundesstaats ganz oder theilweise einem anderen Bundesstaate gewaltsam einzuverleiben oder einen Theil desselben vom Ganzen loszureißen, wird wegen Hochverraths mit lebenslänglichem Zuchthaus oder4) lebens­ länglicher Festungshaft bestraft.5)3) Sind mildernde Umstände vorhanden, so tritt Festungshaft nicht unter fünf Jahren ein. Neben der Festungshaft kann auf Verlust der bekleideten öffent­ lichen Aemter, sowie der aus öffentlichen Wahlen hervorgegangenen Rechte erkannt werden. *) D. h. die Fundamentaleinrichlungen des Deutschen Reichs oder eines Bundesstaates, mögen sie in der Verfassung sich finden, oder sonst ver­ ordnet sein. Vgl. Olsh. Note 6 zu ß 81 RStrGB. 2) Das Unternehmen muß „eine, wenigstens im letzten Augenblicke der Entscheidung durch physische Gewalt zu bewirkende Umwälzung der Staatsverfassung" bezwecken. Beseler, Komment, z. Preuß. Strafgesetzbuch. Vgl. Olsh. Note 6 zu 8 82 RStrGB.

Zweiter Teil.

Einzelne Verbrechen, Vergehen usw.

§§ 81—84.

327

3) Beispiel: Die von der Patriotenliga erstrebte, durch Waffengewalt herbeizuführende Losreißung von Elsaß-Lothringen von Deutschland. RG. II., III. 13./18. Juni 1887, R. 9,423. E. 16,165. 4) Zur Verhängung der Zuchthausstrafe bedarf es der Feststellung der ehrlosen Gesinnung. § 20 RStrGB. 5) Todesstrafe tritt ein, wenn die Handlung in einem Teile des Bundesgebiets, welchen der Kaiser in Kriegszustand erklärt hat (§ 68 der Verfassung des Deutschen Reichs) begangen wird. § 4 des EinfGes. z. RStrGB. 6) Das vollendete Verbrechen verjährt in 20, das versuchte in 15 Jahren. § 67 Abs. 1 und Note 1 zu tz 67 RStrGB.

§ 82.9 Als ein Unternehmen, durch welches das Verbrechen des Hochverraths vollendet wird, ist jede Handlung anzusehen, durch welche das Vorhaben unmittelbar zur Ausführung gebracht werden foU.2)

§ 82 RStrGB. enthält nicht eine generelle Definition des Begriffs des Unternehmens; eine analoge Anwendung des Begriffs des Unter­ nehmens im Sinne des § 82 RStrGB., z. B. auf das Unternehmen im Sinne des § 159 RStrGB. ist unzulässig. RG. II. 9. Nov. 1880. R. 2,481. E. 3,26. 2) Handlungen, durch welche das Vorhaben des Hochverrats nur mittelbar zur Ausführung gebracht werden soll, können einen Versuch des Verbrechens gegen § 81 RStrGB. darstellen. Soweit solche Hand­ lungen in Betracht kommen, ist auch rechtlich die Möglichkeit eines nach § 46 straflosen Rücktritts vom Versuch gegeben, vgl. Olsh. Note 3 zu § 82 RStrGB.

§ 83?) Haben Mehrere die Ausführung eines hochverrätherischen Unternehmens2) verabredet, ohne daß es zum Beginn einer nach § 82 strafbaren Handlung gekommen ist, so werden dieselben mit Zuchthaus nicht unter fünf Jahren odei?) mit Festungshaft von gleicher Dauer

bestraft?) Sind mildernde Umstände vorhanden, so tritt Festungshaft nicht

unter zwei Jahren ein. Neben der Festungshaft kann auf Verlust der bekleideten öffent­ lichen Aemter, sowie der aus öffentlichen Wahlen hervorgegangenen

Rechte erkannt werden. *) Durch die §§ 83, 84, 86 RStrGB. werden Vorbereitungshandlungen zum Hochverrat mit Strafe bedroht. Ein Versuch des Verbrechens gegen §§ 83, 84, 86 RStrGB. ist rechtlich ausgeschlossen. 2) Auch § 80 RStrGB. enthält den Tatbestand eines hochverräteri­ schen Unternehmens, die Vorschrift des § 83 RStrGB. bezieht sich aber sowohl auf § 81 wie auf § 80 RStrGB. Die Verabredung muß die Ausführung eines bestimmten hochverräterischen Unternehmens zum Gegen­ stände haben. 3) Bei Verhängung der Zuchthausstrafe muß ehrlose Gesinnung fest­ gestellt sein. § 20 RStrGB. 4) Die Strafverfolgung verjährt in 15 Jahren. § 67 Abs. 1 RStrGB.

§ 84. Die Strafvorschriften des § 83 finden auch gegen den­ jenigen Anwendung, welcher zur Vorbereitung eines Hochverraths ent-

328

Strafgesetzbuch für das Deutsche Reich.

weder sich mit einer auswärtigen*) Regierung einläjgt2) oder die ihm

von dem Reich oder einem Bundesstaate anvertraute Macht3) miß­ braucht oder Mannschaften anwirbt oder in den Waffen einübt.4)

*) Während Olsh. u. a. „auswärtige" Regierung mit „ausländischer" für identisch erklären, fällt nach der gemeinen Meinung unter den Begriff „auswärtige Regierung" auch eine andere Bundesregierung. 2) Zu einer Verabredung braucht es nicht zu kommen; es genügt ein Verhandeln mit einer auswärtigen Regierung verbunden mit dem Ein­ gehen der letzteren auf die Unterhandlungen. Es wird ferner erfordert, daß es sich um ein bestimmtes Unternehmen des Hochverrats handelt, all­ gemeine hochverräterische Bestrebungen gehören nicht hierher. 3) Es kommt nicht nur anvertraute Macht über Personen (militärische, dienstliche, amtliche Gewalt), sondern auch über Sachen (Gelder, Staats­ dokumente, Depeschen usw.) in Frage. 4) Die Verjährung der Strafverfolgung tritt nach 15 Jahren ein. § 67 Abs. 1 RStrGB.

§ 85. Wer öffentlich*) vor2) einer Menschenmenge3) oder wer durch Verbreitung4) oder öffentlichen Anschlag oder öffentliche Aus­ stellung

von Schriften oder

anderen Darstellungen zur Ausführung

einer nach § 82 strafbaren Handlung3) auffordert,3) wird mit Zucht-

haus bis zu zehn Jahren obet7) Festungshaft von gleicher Dauer

bestraft. Sind mildernde Umstände vorhanden, so tritt Festungshaft von

Einem bis zu fünf Jahren em.8)9) *) Eine Handlung ist öffentlich, wenn sie unbestimmt welchen und wie vielen Personen wahrnehmbar ist; auf den Ort der Verübung kommt es nicht,xm. RG. II. 22. Febr. 1881. E. 8,3gi, III. 13./15. März 1884. E. 10,290. Die Öffentlichkeit der Handlung ist ausgeschlossen, wenn die Handlung tat­ sächlich oder nach dem Willen des Täters beschränkt war oder beschränkt bleiben sollte auf die Wahrnehmung einer einzelnen Person oder eines engeren, vermöge der besonderen Umstände des Falles als in sich ver­ bunden und bestimmt abgeschlossen anzusehenden Kreises von Personen. RG. III. 5. Jan. 1891. E. 21,254.,, Erfordert wird aber hierbei, daß die mehreren Personen, welche die Äußerung gehört haben bezw. hätte hören können, dergestalt mit dem Täter in inneren vertrauten Beziehungen stehen, daß sie als eine Einheit gedacht werden können; als solche Einheit ist die Gemeinschaft der Arbeiter einer Fabrik nicht anzusehen. RG. I. 23. Nov. 1891. E. 22,241. 2) Es genügt das Ergehen der Aufforderung vor einer Menschen­ menge; es ist nicht erforderlich, daß die Aufforderung an dieselbe gerichtet ist. RG. VI. 25. Jan. 1887. R. 9,92; II u. III. 10./21. Okt. 1881. E. 5,71. 3) Ob eine größere Zahl von Personen eine Menge von Menschen bildet, ist Sache tatsächlicher Feststellung und hängt von den Umständen des konkreten Falles, insbesondere z. B. von den Verhältnissen des Ortes, der Zeit, den zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Ruhe und Ordnung vorhandenen Kräften der Obrigkeit ab. Auf eine ungezählte Menge oder eine ungemessene Vielheit von Menschen ist der Begriff der Menschenmenge nicht beschränkt. RG. II. 23. Okt. 1883. E. 9,143, R. 5,632. 4) Verbreitung ist ein Jnverkehrsetzen der Schrift usw., d. h. eine Handlung, durch welche dieselbe dem Publikum — mögen dabei auch be-

Zweiter Teil.

Einzelne Verbrechen, Vergehen usw.

§§ 85, 86.

329

stimmte Personen ins Auge gefaßt sein — zugänglich gemacht wird; eine Verbreitung liegt nicht vor, wenn der Täter die Schrift nur einer oder wenigen einzelnen Personen vertraulich mitteilte, d. h. mit der Absicht, die Mitteilung auf diese Personen zu beschränken und die Schrift nicht in den Verkehr zu bringen. RG. II. III. 5. Okt. 1882. E. 7,na. Eine Verbreitung liegt vor, wenn das Unternehmen, eine Schrift dem Publikum zugänglich zu machen, in der Weise erfolgt, daß die Schrift usw. nur in einem Exem­ plare mit dem Auftrage fortgegeben wird, von dem Inhalte Kenntnis zu nehmen und die vervielfältigte Schrift an eine nicht begrenzte Zahl von Personen weiterzugeben, der Empfänger aber dieselbe durch Abschrift ver­ vielfältigt und die Abschrift verteilt; desgleichen liegt eine Verbreitung vor, wenn der Empfänger nur eine Abschrift fortgibt, der jedesmalige weitere Empfänger aber wieder eine Abschrift fertigt und diese anderen Personen mitteilt. Vollendet ist die Verbreitung mit der Mitteilung der Schrift unter der erwähnten Aufforderung an den ersten Empfänger. RG. II. 28. Sept. 1883. E. 9,71, II, III, 10. Okt. 1887. E. 16,245, R. 9,490, III. 6. Nov. 1884. R. 6,703. Die Versendung einer Druckschrift durch die Post erfüllt den Begriff der Verbreitung, wenn die Absicht ausgeschlossen ist, daß nur der Adressat die Schrift lese, und es kommt alsdann nicht darauf an, ob die Schrift wirklich in die Hände des Adressaten gelangt ist. RG. II, III. 10. Okt. 1887. E. 16,245, R. 9,490. 5) Der § 82 RStrGB. umfaßt den § 81; § 81 Nr. 1 umfaßt den § 80 RStrGB. Die öffentliche usw. Aufforderung zu einer nach § 80 RStrGB. strafbaren Handlung fällt daher unter § 85 RStrGB. RG. II, III. 5. Dez. 1881. E. 5,215. 6) Zum Auffordern genügt jede Kundgebung, welche eine Einwirkung auf den Willen anderer bezweckt. Über Form der Mittel der Aufforderung bestimmt das Gesetz nichts; die Aufforderung kann ausdrücklich oder durch konkludente Handlungen erfolgen. RG. II. 19. April 1881. E. 4,ioc. Ob die Aufforderung zur Kenntnis des anderen, an den sie gerichtet ist, ge­ langt, ist unerheblich. Dagegen muß die Aufforderung sich auf eine Hand­ lung beziehen, durch welche ein bestimmtes hochverräterisches Ünternehmen unmittelbar zur Ausführung gebracht werden soll. Daß alle Modalitäten, der Ausführung des Unternehmens nach Ort, Zeit und Mitteln schon be­ schlossen seien, ist nicht erforderlich. RG. II, III. 10./21. Okt. 1881. E. 5,60. 7) Zuchthaus kann nur verhängt werden, wenn ehrlose Gesinnung fest­ gestellt ist. § 20 RStrGB. 8) Ideale Konkurrenz des § 49 a mit § 85 RStrGB. ist ausgeschlossen. RG. I. 3. Dez. 1883. E. 9,261. R. 5,749. 9) Die Strafverfolgung verjährt in zehn Jahren § 67 Abs. 1 RStrGB.; falls § 22 des Preßgesetzes v. 7. Mai 1874 anwendbar ist, in 6 Monaten.

§ 86. Jede andere, ein hochverrätherisches Unternehmens vor­ bereitende Handlung2) wird mit Zuchthaus bis zu drei Jahren oder9) Festungshaft von gleicher Dauer bestraft. Sind mildernde Umstände vorhanden, so tritt Festungshaft von sechs Monaten bis zu drei Jahren ein.4) *) Es muß sich um ein bestimmtes hochverräterisches Unternehmen handeln. 2) Der Begriff einer ein hochverräterisches Unternehmen vorbereitenden Handlung ist nicht ausgeschlossen, wenn durch die Handlung die Vorberei­ tung nicht zum Abschlüsse gelangen sollte, sondern zunächst die Förderung

330

Strafgesetzbuch für das Deutsche Reich.

einer weiteren Vorbereitungshandlung bezweckt war. RG. II, III. 10. 21. Okt. 1881. E. 5,60. Die in der Absicht der.Verbreitung erfolgte Herstellung eines die Auf­ forderung zur gewaltsamen Änderung der Verfassung des Deutschen Reiches und der Bundesstaaten enthaltenden Plakats stellt sich als eine ein hochverrä­ terisches Unternehmen vorbereitende Handlung im Sinne des § 86 RStrGB. dar. RG. II, III. 30. Okt. 1886. R. 8~653. Desgl. das Zahlen und Sammeln von Beiträgen für die Zwecke der Patriotenliga. RG. II, III. 13./18. Juni 1887. E. 16,165. R. 9,423. 3) Die Verhängung von Zuchthaus setzt Feststellung ehrloser Gesinnung voraus. § 20 RStrGB. 4) Die Strafverfolgung verjährt in zehn Jahren. § 67 Abs. 1 RStrGB.

§ 87. Ein Deutscher, welcher sich mit einer ausländischen Re­ gierung einläßt/) um dieselbe zu einem Kriege gegen das Deutsche Reich zu veranlassen, wird wegen Landesverrates?) mit Zuchthaus nicht unter fünf Jahren und, wenn der Krieg ausgebrochen ist3) mit lebens­ länglichem Zuchthaus bestraft. Sind mildernde Umstände vorhanden, so tritt Festungshaft von sechs Monaten bis zu fünf Jahren und, wenn der Krieg ausgebrochen ist, Festungshaft nicht unter fünf Jahren ein. Neben der Festungshaft kann auf Verlust der bekleideten öffent­ lichen Aemter, sowie der aus öffentlichen Wahlen hervorgegangenen Rechte erkannt werden.4) *) Über den Begriff des Einlassens vgl. Note 2 zu § 84 RStrGB. 2) Kriegsverrat ist der im Felde aus den §§ 86—92 RStrGB. ver­ übte Landesverrat, §§ 57—59 MStrGB. Er wird an Personen des Sol­ datenstandes sowie an andere Personen, welche während eines gegen das Deutsche Reich ausgebrochenen Krieges sich einer der in §§ 57—59 MStrGB. vorgesehenen Handlungen schuldig machen, nach den Bestimmungen der §§ 57—59 MStrGB. geahndet. § 161 MStrGB. 3) Der Ausbruch des Krieges ist ein straferhöhender Umstand im Sinne der §§ 318, 323, 326 MStrGO. 4) Die Strafverfolgung des einfachen Verbrechens verjährt in 15, die­ jenige des qualifizierten Verbrechens in 20 Jahren; bei letzterem beginnt sie erst nach Ausbruch des Krieges. § 67 Abs. 1 und 4 RStrGB.

§ 88. *) Ein Deutscher, welcher während eines gegen das Deutsche Reich ausgebrochenen Krieges2) in der feindlichen Kriegsmacht3) Dienste nimmt oder die Waffen gegen das Deutsche Reich oder dessen Bundes­ genossen trägt,4) wird wegen Landesverraths mit lebenslänglichem Zuchthaus ödere) lebenslänglicher Festungshaft bestraft. Sind mildernde Umstände vorhanden, so tritt Festungshaft nicht unter fünf Jahren ein. Ein Deutscher, welcher schon früher in fremden Kriegsdiensten stand/) wird, wenn er nach Ausbruch des Krieges in der feindlichen Kriegsmacht verbleibt oder die Waffen gegen das Deutsche Reich oder dessen Bundesgenossen trägt, wegen Landesverraths mit Zuchthaus

Zweiter Teil. Einzelne Verbrechen, Vergehen usw. §§ 87—89.

331

von zwei bis zu zehn Jahren ober6) mit Festungshaft von gleicher Dauer bestraft. Sind mildernde Umstände vorhanden, so tritt Festungs­ haft bis zu zehn Jahren ein. Neben der Festungshaft kann auf Verlust der bekleideten öffent­ lichen Aemter, sowie der aus öffentlichen Wahlen hervorgegangenen Rechte erkannt roerben.7)8) !) Vgl. § 4 Nr. 2 RStrGB. und §§ 57—61, 160 MStrGB. uud Note 2 zu § 87 RStrGB. 2) Der Ausbruch des Krieges gehört hier, wie bei den §§ 89 und 90 RStrGB. zum Tatbestände des Delikts. 3) d. h. im Heer oder der Marine, als Kombattant oder Nichtkombat­ tant. Vgl. Olsh., Note 3 zu § 88 RStrGB. 4) Es wird Teilnahme an den kriegerischen Operationen des Feindes erfordert; ein wirklicher Gebrauch der Waffe ist nicht nötig. S. Oppenhoff, Note 4 zu § 88 RStrGB. 5) Ist ein Deutscher ohne Erlaubnis seiner Regierung in fremde Staats­ dienste getreten, so kann er durch Beschluß der Zentralbehörde seines Heimats­ staates seiner Staatsangehörigkeit verlustig erklärt werden, wenn er einer ausdrücklichen Aufforderung zum Austritte binnen der darin bestimmten Frist keine Folge leistet. Dient ein Deutscher mit Erlaubnis seiner Re­ gierung bei einer fremden Macht, so verbleibt ihm seine Staatsangehörigkeit. 88 22, 23 des Jnoigenatsgesetzes v. 1. Juni 1870. 6) Zuchthaus kann nur verhängt werden, wenn ehrlose Gesinnung fest­ gestellt ist. tz 20 RStrGB. 7) Todesstrafe in den Fällen des Abs. 1 und 3 des § 88 RStrGB. tritt ein, wenn die Tat in einem Teile des Bundesgebietes, welchen der Kaiser in Kriegszustand erklärt hat, begangen wird. § 4 des EinfGes. z. RStrGB. 8) Die Strafverfolgung des vollendeten Verbrechens aus Abs. 1 des § 88 RStrGB. verjährt in 20 Jahren, die des versuchten Verbrechens aus Abs. 1 § 88 RStrGB. in 15 Jahren, die des Verbrechens aus Abs. 3 § 88 RStrGB. in 10 Jahren. § 67 Abs. 1 RStrGB.

§ 89.1)2) Ein Deutscher, welcher vorsätzlich während eines gegen das Deutsche Reich ausgebrochenen Krieges einer feindlichen Macht Vorschub leistet3) oder der Kriegsmacht des Deutschen Reichs oder der Bundesgenossen desselben Nachtheil zufügt, wird wegen Landesverraths mit Zuchthaus bis zu zehn Jahren oder mit Festungshaft von gleicher Dauer bestraft. Sind mildernde Umstände vorhanden, so tritt Festungs­ haft bis zu zehn Jahren ein. Neben der Festungshaft kann auf Verlust der bekleideten öffent­ lichen Aemter, sowie der aus öffentlichen Wahlen hervorgegangenen Rechte erkannt werden.4) 4) Vgl. 88 91 und 93 RStrGB., 88 57—61,160 MStrGB. und Note 2 zu 8 87 RStrGB. 2) Die jetzige Fassung des 8 beruht auf 8 H des Gesetzes gegen den Verrat militärischer Geheimnisse v. 3. Juli 1893. 3) z. B. durch Beteiligung an einer feindlichen Kriegsanleihe, durch freiwillige Lieferungen, durch Dienste als Wegweiser. 4) Die Strafverfolgung verjährt in zehn Jahren. 8 67 Abs. 1 RStrGB.

332

Strafgesetzbuch für das Deutsche Reich.

§ OO.i)?) Lebenslängliche Zuchthausstrafe tritt im Falle des § 89 ein, wenn der Thäter31)2 4)* 1) Festungen, Pässe, besetzte Plätze oder andere Vertheidigungsposten, ungleichen Theile oder Angehörige der deutschen oder einer ver­ bündeten Kriegsmacht in feindliche Gewalt bringt; 2) Festungswerke, Schiffe oder Fahrzeuge der Kriegsmarine, öffent­ liche Gelder, Vorräthe von Waffen, Schießbedarf oder anderen Kriegsbedürfnissen, sowie Brücken, Eisenbahnen, Telegraphen und Transportmittel in feindliche Gewalt bringt oder zum Vortheile des Feindes zerstört oder unbrauchbar macht; 3) dem Feinde Mannschaften zusührt oder Angehörige der deut­ schen oder einer verbündeten Kriegsmacht verleitet/) zum Feinde überzugehen; 4) Operationspläne oder Pläne von Festungen oder festen Stellungen dem Feinde mittheilt; 5) dem Feinde als Spion bient6) oder feindliche Spione aufnimmt/) verbirgt7) oder ihnen Beistand leistet/) oder 6) einen Aufstand unter Angehörigen der deutschen oder einer ver­ bündeten Kriegsmacht erregt. In minder schweren Fällen8) kann auf Zuchthaus nicht unter zehn Jahren erkannt werden. Sind mildernde Umstände vorhanden, so tritt Festungshaft nicht unter fünf Jahren ein. Neben der Festungshaft kann auf Verlust der bekleideten öffent­ lichen Aemter, sowie der aus öffentlichen Wahlen hervorgegangenen Rechte erkannt roetben.9)10)11) 1) Vgl. §§ 91, 93 RStrGB.; §§ 57-61, 160 MStrGB. 2) Die jetzige Fassung des § 90 RStrGB. beruht auf § 11 des Gesetzes gegen den Verrat militärischer Geheimnisse v. 3. Juli 1893. Vgl. Note 11 zu § 92 RStrGB. 3) Die Delikte der §§ 89, 90 RStrGB. können nur von Deutschen, von diesen aber im Inlands wie im Auslande verübt werden (§ 4 Äbs. 2 Ziff. 2 RStrGB.). 4) Der Vorsatz erfordert nur das Bewußtsein der Vorschubleistung für die feindliche Macht oder der Benachteiligung der deutschen oder verbündeten Kriegsmacht, nicht eine hierauf gerichtete Absicht. 5) Für das vollendete Verbrechen wird erfordert, daß die Desertion zum Feinde selbst vollendet worden ist. RG. 1. 10. Nov. 1881. E. 5,125. 6) Das Dienen als Spion setzt nur das ernstliche Eingehen eines Dienstverhältnisses als Spion voraus, nicht etwa noch eine Handlung, die darauf abzielt. Besitz oder Kenntnis zu verratender Gegenstände zu erhalten. 7) Für den subjektiven Tatbestand genügt das Bewußtsein, daß der Aufgenommene, Verborgene oder Unterstützte ein feindlicher Spion sei. Ab­ sicht der Förderung der Spionage ist nicht erfordert. 8) Vgl. Note 4 zu 8 94 RStrGB.

Zweiter Teil. Einzelne Verbrechen, Vergehen usw. §§90—92.

333

9) Todesstrafe tritt ein, wenn die Tat in einem Teile des Bundes­ gebiets, welcher vom Kaiser in Kriegszustand erklärt ist, begangen wird. § 4 d. EinfGes. z. RStrGB. 10) § 90 RStrGB. stellt im Verhältnis zu § 89 RStrGB. nur einen straferhöhenden Umstand im Sinne der §§ 318, 323, 326 MStrGO- dar. n) Die Strafverfolgung des vollendeten Verbrechens verjährt in 20, die des versuchten Verbrechens in 15 Jahren. § 67 Abs. 1 RStrGB. § 91?)

Gegen Ausländer ist wegen der in den §§ 87, 89, 90 be­

zeichneten Handlungen nach dem Kriegsgebrauche zu verfahren.

Begehen sie aber solche Handlungen?) während sie unter dem Schutzes des Deutschen Reichs oder eines Bundesstaats sich innerhalb des Bundesgebietes4) aufhalten, so kommen die in den §§ 87, 89 und 90 bestimmten Strafen zur Anwendung?) 1) Vgl. § 93 RStrGB., §§ 56—61, 160 MStrGB. 2) Zu den in den §§ 87, 89, 90 bezeichneten Handlungen gehören auch die Deliktsformen des Versuchs dieser strafbaren Handlungen und Teilnahme an denselben. Vgl. Olsh. Note 3 zu § 91 RStrGB. 3) Unter dem Schutz des Deutschen Reiches oder eines Bundesstaates befindet sich, wer, ohne der Kriegsmacht des mit dem Deutschen Reiche Krieg führenden Staates anzugehören, sich int Jnlande aufhält und dadurch des allgemeinen Schutzes der inländischen Gesetze teilhaftig ist. Plenarentsch. des Preuß. Obertribunals v. 3. April 1871. Rechtsprechung des Obertribunals v. Oppenhof, Bd. XU S. 194. Den besagten Schutz genießen auch durchreisende Ausländer und Kriegsgefangene. Vgl. Olsh. Note 1 zu § 91 RStrGB.; vgl. auch §§ 158, 159 MStrGB. 4) Zum Bundesgebiete gehören auch die deutschen Schutzgebiete. § 3 des Schutzgebietsges. v. 25. Juli 1900 RG. F.-S. 25. Juli 1894. E. 26,97. 5) Die in §§ 87, 89, 90 RStrGB. bezeichneten Handlungen sind straf­ los, wenn sie von Ausländern iin Auslande während des Friedens begangen werden. § 4 Abs. 2 RStrGB. Werden sie von Ausländern während des Krieges im Auslande be­ gangen, so sind sie nach Kriegsgebrauch zu bestrafen. Abs. 1 § 91 RStrGB. Erfolgt die Begehung solcher Handlungen von einem Ausländer während des Krieges im Jnlande, so tritt Bestrafung nach Kriegsgebrauch ein, so­ fern der Ausländer zur feindlichen Kriegsmacht gehört; ist letzteres nicht der Fall, so kommen die Strafvorschriften der §§ 87, 89, 90 RStrGB. zur An­ wendung. Vgl. Olsh. Note 2 zu § 91 RStrGB. 8 92.

Wer4) vorsätzlich2)

l)3) Staatsgeheimnisse oder Festungspläne, oder solche Urkunden,4) Aktenstücke oder Nachrichten, von denen er weiß, daß ihre Geheim­ haltung^) einer anderen Regierung3) gegenüber für das Wohl des Deutschen Reichs oder eines Bundesstaates erforderlich ist, dieser Regierung mittheilt?) oder öffentlich bekannt macht; 2) zur Gefährdung3) der Rechte des Deutschen Reichs oder eines Bundesstaats im Verhältniß zu einer anderen Regierung die über solche Rechte sprechenden Urkunden oder Beweismittel ver­ nichtet?) verfälscht3) oder unterdrückt?) oder

334

Strafgesetzbuch für das Deutsche Reich.

3) ein ihm von Seiten des Deutschen Reichs oder von einem Bundesstaate aufgetragenes Staatsgeschäft mit einer andern Regierung zum Nachteil9) dessen führt, der ihm den Auftrag er­ theilt hat, wird mit Zuchthaus nicht unter zwei Jahren bestraft. Sind mildernde Umstände vorhanden, so tritt Festungshaft nicht unter sechs Monaten ein.10)11) !) Vgl. §§ 56-61,160 MStrGB. Der im § 92 NStrGB. unter Strafe gestellte, sogenannte diplomatische Landesverrat kann sowohl von einem Deutschen wie von einem Ausländer begangen werden. Der im Auslande begangene diplomatische Landesverrat ist nur strafbar, wenn der Täter ein Inländer ist. § 4 Abs. 2 NStrGB. Das Delikt kann sich sowohl gegen das Deutsche Reich, als auch gegen einen Bundesstaat richten. Vgl. Olsh. Note 1, 2, 3 zu § 92 NStrGB. 2) Die Mitteilung usw. muß eine vorsätzliche sein; der Täter muß sich bewußt sein, daß die Geheimhaltung einer anderen Regierung gegen­ über für das Wohl des Deutschen Reichs oder eines Bundesstaats erforder­ lich ist. Eine auf Schädigung oder Gefährdung des Reichs oder Bundes­ staats gerichtete Absicht wird nicht vorausgesetzt. RG. II., III. 12./19. Mai 1884. E. 10,420. 3) Als im deutschen Reiche begangen muß das Delikt des § 92 Nr. 1 NStrGB. überall dann gelten, wenn diejenige strafbare Mitteilungstätigkeit, in welcher das Delikt sich verkörpert, sich, sei es ganz, sei es teilweise, auf deutschem Boden vollzogen und inländische Bewegungskräfte zu ihrer Ver­ wirklichung benutzt hat. RG. II., III. 11. Febr. 1886. E. 13,337. R. 8,113. 4) Daß die Erfordernisse einer Urkunde im Sinne des § 267 NStrGB. vorliegen, ist nicht nötig; es fallen unter den Begriff der Urkunden im Sinne des § 92 NStrGB. auch Urkunden im weiteren Sinne, deren Inhalt lediglich in einem Zeugnis besteht, ohne zum Beweise von Rechten und Rechtsverhältnissen geeignet zu sein. RG. I. 8. Nov. 1880. E. 2,425. 5) Unerheblich ist, ob die betreffende Nachricht usw. eine solche ist, welche der fremden Regierung gegenüber, die von ihr keine Kenntnis hat, geheim gehalten werden kann und muß; noch weniger wird erfordert, daß die Geheimhaltung an eine formelle Sekretur, d. h. an einen auf besonderer Vorschrift der zuständigen Behörde beruhenden und die Notwendigkeit der Geheimhaltung nach außen kenntlich machenden äußeren Akt gebunden sei. Es kommt ausschließlich darauf an, daß eine Nachricht usw. vorliegt, welche der fremden Regierung nicht bekannt und daher ihr gegenüber der Geheim­ haltung fähig ist. So lange letzteres der Fall, ist es für den Tatbestand gleichgültig, ob die betreffende Nachricht usw. im Jnlande nicht geheim, sondern, sei es allgemein, sei es innerhalb bestimmter Kreise berufener Personen, bekannt, und ob oer Kreis dieser Personen von größerem oder geringerem Umfange ist. RG. II., III. 12./19. Mai 1884. E. 10,420. 6) Die „andere Regierung" kann eine ausländische oder inländische sein und letzterenfalls das Deutsche Reich oder eine Landesregierung. Vgl. Olsh. Note 3 zu 8 92 NStrGB. 7) Nicht nötig ist, daß die Mitteilung an die fragliche Regierung durch den Täter unmittelbar erfolgt. RG. II., III. 12./19. Mai 1884. E. 10,420. 8) Vgl. Note 2. 9) Über den Begriff „Vernichten" vgl. § 125, „Verfälschen" § 267, „Unterdrücken" § 169 NStrGB. 10) Die Strafverfolgung verjährt in 15 Jahren. § 67 Abs. 1 NStrGB.

Zweiter Teil.

Einzelne Verbrechen, Vergehen usw.

§ 92.

335

n) Vgl. hierzu Reichsgesetz gegen den Verrat militärischer Geheim­ nisse vom 3. Juli 1893 (RGBl. S. 205).*) *) Gesetz gegen den Verrath militärischer Geheimnisse. § 1. Wer*) vorsätzlich2) Schriften,3) Zeichnungen3) oder andere Gegenstände,4) deren Geheimhaltung im Interesse der Landesvertheidigung erforderlich ist,5) in den Besitz6) oder zur Kenntniß7) eines Anderen8) ge­ langen läßt, wird, wenn er weiß,3) daß dadurch die Sicherheit des Deutschen Reichs gefährdet*3) wird, mit Zuchthaus n) nicht unter zwei Jahren be­ straft, neben welchem auf Geldstrafe bis zu fünfzehntausend Mark erkannt werden kann. Sind mildernde Umstände vorhanden, so tritt Festungshaft nicht unter sechs Monaten ein, neben welcher auf Geldstrafe bis zu zehntausend Mark erkannt werden kann.

1) Nichtdentsche sind nur strafbar, wenn sie die Tat im Jnlande ver­ üben. Für die Strafbarkeit Deutscher ist es unerheblich, ob sie die Tat in Deutschland oder im Auslande verübt haben. Vgl. § 10 d. Ges. 2) Erfordert wird ein vorsätzliches Handeln des Täters verbunden mit dem Bewußtsein, daß er einem anderen Besitz oder Kenntnis verschafft von einem Geheimnis, dessen Geheimhaltung im Interesse der Landesverteidi­ gung erforderlich ist. Ist die Geheimhaltung eines Gegenstandes im Interesse der Landesverteidigung nur nach bestimmten Richtungen erfor­ derlich, so müssen die hierdurch gesetzten Schranken des Geheimnisses „nicht nur objektiv überschritten, sondern der Täter muß sich auch dieser Über­ schreitung bewußt gewesen sein. Harmlose Ermittelungen und Mitteilungen fallen nicht unter die Strafbestimmungen der §§ 1—4 des Gesetzes. RG. II, III. 16. Dez. 1893. E. 25,45. Die Absicht, die Landesverteidigung zu schädigen, ist nicht erforderlich. RG. II, III. 12./19. Mai 1884. E. 10,420. Eventualdolus genügt. 3) Urkunden, d. h. Schriftstücke, welche bestimmt oder geeignet sind. Beweis zu erbringen, werden nicht erfordert. Gleichgültig ist es, ob der Täter die Originale der geheimzuhaltenden Schriften und Zeichnungen oder voir ihm selbst oder durch andere angefertigte Kopien derselben sich verschafft oder anderen mitterlt, auch an den von dem Täter selbst ge­ fertigten Gegenständen (Modellen, Photographien) kann die Tat verübt werden; in dem einen wie in dem anderen Falle werden im Sinne des Gesetzes geheimzuhaltende Schriften und Zeichnungen mitgeteilt. Eben­ sowenig unterscheidet das Gesetz, ob die geheimzuhaltenden Schriften und Zeichnungen vollständig oder miT teilweise mitgeteilt werden. RG. zit. Erk. E. 25,45. 4) In Betracht kommen nicht nur Gegenstände, hinsichtlich deren eine Besitzergreifung möglich ist, sondern auch Gegenstände, welche zwar im Sinne des Gesetzes nicht in Besitz genommen, aber zur Kenntnis anderer gebracht werden können, also unbewegliche Sachen so gut wie bewegliche. Ob die Gegenstände unmittelbar oder durch Schrift, Zeichnung, Photo­ graphie, Modell, mündliche Mitteilung oder durch andere Mittel, ob sie vollständig oder unvollständig, hinsichtlich aller ihrer Eigenschaften oder nur hinsichtlich einzelner derselben zur Kenntnis gelangen, macht rechtlich keinen Unterschied. Vorausgesetzt ist jedoch immer ein zur Zeit der Tat vorhandener Gegenstand (Schriftstück, Zeichnung), die Mitteilung bloßer Nachrichten, auch wenn sie ein militärisches Geheimnis enthalten, fällt nicht unter § 1

336

Strafgesetzbuch für das Deutsche Reich.

des Ges., ist auch, da die Anwendbarkeit des § 92 Nr. 1 RStrGB., wo es sich um eine Geheimhaltung im Interesse der Landesverteidigung handelt, ausgeschlossen ist, nicht nach § 92 Nr. 1 RStrGB. strafbar. RG. zit. Erk. E. 20,45. 5) Geheimhalten setzt Geheimsein der Gegenstände (Schriften und Zeichnungen) voraus; offenkundige Dinge können der Kenntnis anderer nicht mehr entzogen werden. Im übrigen ist das im Gesetz v. 3. Juli 1893 vorausgesetzte Geheimsein ein relatives. Die Begrenzung des Kreises, welchem das Geheimnis nicht zugänglich gemacht werden darf, hängt von der Beschaffenheit des einzelnen Falles ab. Nur soweit, wie das Erfor­ dernis der Geheimhaltung des Gegenstandes reicht, ist das Verschaffen der Kenntnis desselben und die Mitteilung an andere strafbar. RG. zit. Erk. E. 25,45. Die Geheimhaltung bedarf keiner Anordnung der Militär- oder einer anderen Behörde, es ist nur objektiv zu prüfen, ob die Sache ganz oder teilweise dergestalt in den Bereich der Landesverteidigung gezogen wird, daß in deren Interesse ihre Geheimhaltung geboten ist. Das ist möglich nicht nur bei künstlich hergestellten Werken, Brücken, gewissen Eisenbahnen, Geschützeinschnitten usw., sondern auch bei Werken der Natur, so daß auch Wege, Wasserläufe, Tiefenverhältnisse von Wasserstraßen usw. die Eigen­ schaft haben können, daß sie im Interesse der Landesverteidigung gänzlich oder hinsichtlich, einer bestimmten Beschaffenheit geheimzuhalten sind. RG. zit. Erk. E. 10,420. E. 25,45. 6) d. h. den Gewahrsam, die tatsächliche Gewalt über die Sache. 7) Körperliche Übergabe ist nicht nötig, die Kenntnis kann auch durch Verlesen oder Beschreiben verschafft werden, so daß der Kenntnis Erhaltende ein Urteil über die militärische Wichtigkeit des Gegenstandes gewinnen kann. 8) Es genügt, daß der Besitz oder die Kenntnis an eine Person ge­ langt ist, von der der Täter annimmt, daß sie weitere Mitteilung (eventl. durch weitere Personen) an die fremde Macht vermitteln werde. 0) Eine Absicht, die Sicherheit des Deutschen Reichs zu gefährden, ist nicht erforderlich. 10) Zur Gefährdung ist nicht miT der in Aussicht stehende Eintritt einer nahen Gefahr zu verstehen; es genügt das Bewußtsein des Täters, daß die Mitteilung einen Nachteil für das Deutsche Reich für den Fall eines Krieges herbeiführen kann. 11) Der Versuch ist strafbar; ein Anfang der Ausführung der Tat liegt bereits in der Fixierung des Mitzuteilenden durch Schrift oder Zeich­ nung. RG. zit. Erk. E. 25,45. i2) Die Strafverfolgung verjährt in 15 Jahren.

§ 2. Weri) außer dem Falle des § 1 vorsätzlich 2) und rechtswidrig3} Gegenstände der daselbst bezeichneten Art^) in den Besitz3) oder zur Kennt­ niß 6) eines Anderen7) gelangen läßt, wird mit Gefängniß oder mit Festungshaft bis zu fünf Jahren bestraft. Neben der Freiheitsstrafe kann auf Geldstrafe bis zu fünftausend Mark erkannt werden. Der Versuch ist strafbar.

1) § 4 Abs. 2 RStrGB. findet auf die im 8 2 d. Ges. bezeichnete Tat keine Anwendung. 2) Vgl. Note 2 zu 8 1 d. Ges. 3) Die Rechtswidrigkeit im Sinne des 8 2 ist überall da anzunehmen, wo eine Berechtigung, den Gegenstand in den Besitz oder zur Kenntnis.

Zweiter Teil.

Einzelne Verbrechen, Vergehen usw.

§ 92.

337

eines anderen gelangen zu lassen, weder in persönlichen Eigenschaften des Täters, noch in sonstigen Umständen des besonderen Falles gegründet und der Täter sich dessen bewußt war. Ein Recht zur Mitteilung kann nicht lediglich aus einem privatrechtlichen Titel hergeleitet werden, bedarf viel­ mehr der ausdrücklichen oder stillschweigenden Zustimmung der Staatsgewalt. RG. II, III. 9. März 1896. E. 28,266. 4) Vgl. Note 3, 4 und 5 zu H 1 d. Ges. 5) Vgl. Note 6 zu tz 1 d. Ges. 6) Vgl. Note 7 zu 8 1 d. Ges. 7) Vgl. Note 8 zu 8 1 d. Ges. § 3.la) Wer vorsätzlich i) den Besitzt) oder die Kenntniß3) von Gegen­ ständen der im 8 1 bezeichneten Art4) in der Absicht3) sich verschafft, da­ von zu einer die Sicherheit des Deutschen Reichs gefährdenden6) Mittheilung an Andere7) Gebrauch zu machen, wird mit Zuchthaus bis zu zehn Jahren bestraft, neben welchem auf Geldstrafe bis zu zehntausend Mark erkannt werden kann.8)

la) 8 3 behandelt die Spionage im engeren Sinne, d. h. das Sichverschaffen des Besitzes oder der Kenntnis in verräterischer Absicht, aber ohne den verräterischen Erfolg. 1) Vgl. Note 2 zu 8 1 d. Ges. und Note 5. 2) Vgl. Note 6 zu 8 1 d. Ges. 3) Vgl. Note 7 zu 8 1 d. Ges. 4) Vgl. Note 3, 4, 5 zu 8 1 d. Ges. 3) Mit dem Vorsatz muß die Absicht, der Zweck verbunden sein, eine verräterische Mitteilung an andere eintreten zu lassen. Kenntnisnahme aus Neugierde genügt nicht. 6) Vgl. Note 9 und 10 zu 8 1 d. Ges. 7) Vgl. Note 8 zu 8 1 d. Ges. 8) 8 3 umfaßt in Beziehung auf 81b. Ges. eine Versuchshandlung, welche 8 3 als selbständige Straftat behandelt.

8 4.*a) Weri) ohne die vorbezeichnete Absicht vorsätzlich2) und rechts­ widrig3) den Besitz4) oder die Kenntniß3) von Gegenständen der im 8 1 be­ zeichneten Art8) sich verschafft, wird mit Gefängniß bis zu drei Jahren oder mit Festungshaft von gleicher Dauer bestraft. Neben der Freiheitsstrafe kann auf Geldstrafe bis zu fünftausend Mark erkannt werden. Sind mildernde Umstände vorhanden, so kann ausschließlich auf die Geldstrafe erkannt werden. Der Versuch ist strafbar. la) 8 4 behandelt das unbefugte Eindringen in militärische Geheim­ nisse, welches die Sicherheit des Deutschen Reichs gefährdet. 1) Vgl. 8 2, Note 5; 8 10 d. Ges. 2) Vgl. Note 2 zu 8 1 d. Ges. 3) d. h. ohne daß der Täter ein Recht aufBesitz oderKenntnis hat. 4) Vgl. Note 6 311 8 1 d. Ges. 3) Vgl. Note 7 zu 8 1 d. Ges. 6) Vgl. Note 3, 4, 5 zu 8 1 d. Ges. § 5. Haben Mehrerei) ein Verbrechen der in den 88 1,3 bezeichneten Art verabredet, 2) ohne daß es zur Ausführung oder zu einem strafbaren Versuch desselben gekommen ist, so tritt Gefängniß nicht unter drei Monaten ein.

Herz u. Ernst, Strafrecht der Mtlitärpersonen.

22

338

Strafgesetzbuch für das Deutsche Reich.

Neben der Freiheitsstrafe kann auf Geldstrafe bis zu fünftausend Mark erkannt werden. Straflos bleibt der an einer Verabredung der vorbezeichneten Art Betheiligte,2) wenn er von derselben zu einer Zeit, wo die Behörde4) nicht schon anderweit davon unterrichtet ist, in einer Weise Anzeige macht,5) daß die Verhütung des Verbrechens möglich ist6) Es genügen zwei Personen. 2) Vgl. Note 2 zu § 59 MStrGB. 3) Beteiligte sind Täter, Mittäter, Anstifter, Gehilfen, vgl. §§ 47—49 RStrGB. 4) Polizei, Staatsanwaltschaft, Amtsrichter, Untersuchungsrichter, vgl. auch Note 4 zu § Gl MStrGB. 5) Vgl. Note 8 zu § 60 und Note 5 zu § 61 MStrGB. 6) Vgl. Note 3 zu § 60 und Note 6 zu 8 61 MStrGB.

§ 6. In den Fällen der 88 1, 3, 5 kann neben Gefängniß auf Ver­ lust der bekleideten öffentlichen Aemter und der aus öffentlichen Wahlen hervorgegangenen Rechte, neben jeder Freiheitsstrafe auf Zulässigkeit von Polizeiaufsicht erkannt werden. § 7. Wer*) aus Fahrlässigkeit2) Gegenstände der im 8 1 bezeichneten Art,3) die ihm amtlich anvertraut4) oder kraft seines Amtes oder eines von amtlicher Seite ertheilten Auftrages zugänglich4) sind, in einer die Sicherheit des Deutschen Reichs gefährdenden 5) in den Besitz6) oder zur Kenntniß7) eines Anderen gelangen läßt,3) wird mit Gefängniß oder Festungshaft bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bis zu dreitausend Mark bestraft. Neben der Freiheitsstrafe kann auf Geldstrafe bis zu dreitausend Mark erkannt werden. 1) Vgl. 8 2 Note 5; 8 10 d. Ges. 2) Vgl. Note 11 zu 8 62 und Note 2 zu 8 142 MStrGB.; Note 10 zu 8 59 RStrGB. Daß die Geheimhaltung im Interesse der Landesver­ teidigung liegt, muß dem Täter bewußt gewesen oder schuldhaft ent­ gangen sein. 3) Vgl. Note 3, 4, 5 zu 8 1 d. Ges. 4) Vgl. Note 11 zu 8 348 RStrGB. 5) Vgl. Note 9 und 10 zu 8 1 d. Ges. 6) Vgl. Note 6 zu 8 1 d. Ges. ?) Vgl. Note 7 zu 8 1 d. Ges. 8) Die Strafbarkeit tritt ein mit dem Erfolg der Gefährdung für das Deutsche Reich. § 8. Wer den von der Militärbehörde erlassenen, an Ort und Stelle erkennbar gemachten Anordnungen zuwider Befestigungsanlagen, Anstalten des Heeres oder der Marine, Kriegsschiffe, Kriegsfahrzeuge oder mili­ tärische Versuchs- oder Uebungsplätze betritt,1) wird mit Geldstrafe bis zu einhundertfünfzig Mark oder mit Haft bestraft.

T) Vorausgesetzt ist nur ein Verschulden nicht aber das Bewußtsein, Anordnungen der Militärbehörde zuwiderzuhandeln. § 9. Wer von dem Vorhabens eines der in den 88 1 und 3 vor­ gesehenen Verbrechen zu einer Zeit, in welcher die Verhütung des Ver­ brechens möglich ist,2) glaubhafte22) Kenntniß erhält3) und es unterläßt,4)

Zweiter Teil.

§ 93.

Einzelne Verbrechen, Vergehen usw. §§ 93, 94.

339

Wenn in den Fällen der §§ 80, 81, 83, 84, 87 bis 92

die Untersuchung eröffnet4) wird, so kann bis zu deren rechtskräftigen

Beendigung das Vermögen, welches der Angeschuldigte besitzt, oder welches ihm später anfällt, mit Beschlags) belegt werden.

0 Durch Anordnung des Ermittelungsverfahrens seitens des Gerichts­ herrn. § 156 MStrGO. 2) Vgl. § 360 MStrGO.

Zweiter Abschnitt. Beleidigung des Landesherrn.

§ 94.

Wer7) einer Thätlichkeit gegen den Kaiser, gegen seinen

Landesherrn 4) oder während seines Aufenthalts in einem Bundesstaate

einer Thätlichkeit?) gegen den Landesherrn dieses Staats sich schuldig macht?) wird mit lebenslänglichem Zuchthaus oder lebenslänglicher

hiervon^) der Behörde 5a) zur rechten Zeit Anzeige zu machen,6) ist, wenn das Verbrechen oder ein strafbarer Versuch desselben begangen worden ist,7) mit Gefängniß zu bestrafen.

4) Vgl. Note 2 zu § 60 MStrBG. 2) Vgl. Note 3 zu 8 60 MStrGB. 2a) Nur die Kenntnis von einem ernstlichen Vorhaben begründet die Anzeigepflicht. 3) Vgl. Note 4 zu ß 60 MStrGB. 4) Vgl. Note 5 zu 8 60 MStrGB. Die Anzeigepflicht besteht so lange, als die Ausführung droht, auch während eines Versuchs, so lange der Er­ folg noch verhindert werden kann. RG. I. 7. Juni 1886. E. 14,214. R. 8,425. Die Anzeigepflicht besteht auch für denjenigen, welcher von der Zeugnis­ pflicht befreit ist. RG. III. 15. Mai 1880. E. 2,57. R. 1,578. Befreit von der Anzeigepflicht ist der Teilnehmer an der Verabredung, auch wenn er keine Teilnahmehandlung verübt hat. RG. III. 25. Sept. 1880. E. 3,i. R. 2,257; nicht aber der Begünstiger. Die Verhinderung der Tat ersetzt die Anzeige. Das Unterlassen der Anzeige muß mit dem Bewußtsein begangen sein, daß die Sicherheit des Deutschen Reichs durch die Ausführung des Vorhabens gefährdet werden könne. 5) Vgl. Note 6 zu 8 60 MStrGB. 5a) Die Anzeige kann bei jeder Behörde erfolgen, welche in der Lage ist, das Vorhaben zu verhindern; Polizeibehörde, Staatsanwaltschaft, Militärbehörde usw. 6) Vgl. Note 7 zu 8 139 RStrGB. und Note 8 zu 8 60 MStrGB. 7) Für Versuchshandlungen, welche vor der Möglichkeit der Anzeige begangen wurden, ist der Anzeigepflichtige nicht verantwortlich.

§ 10. Die Bestimmungen im 8 4 Absatz 2 Nr. 2 des Strafgesetz­ buchs für das Deutsche Reich finden auch auf die in den 88 1, 3, 5 dieses Gesetzes vorgesehenen Verbrechen und Vergehen Anwendung.

§ 11. Die 88 89, 90 des Strafgesetzbuchs erhalten folgende Fassung:4) 4) Die Fassung ist in den 88 89, 90 RStrGB. zum Abdruck gekommen.

§ 12. Für die Untersuchung und Entscheidung in erster und letzter Instanz in den Fällen der in den 88 1, 3 vorgesehenen Verbrechen ist das Reichs­ gericht zuständig. Die Militärgerichtsbarkeit wird hierdurch nicht berührt. 22 *

340

Strafgesetzbuch für das Deutsche Reich.

Festungshaft, in minder schweren Fällens mit Zuchthaus nicht unter fünf Jahren ob et5) mit Festungshaft von gleicher Dauer bestraft. Neben der Festungshaft kann auf Verlust der bekleideten öffentlichen Aemter, sowie der aus öffentlichen Wahlen hervorgegangenen Rechte erkannt werden. Sind mildernde Umstände vorhanden, so tritt Festungshaft nicht unter fünf Jahren ein.6) Im Reichslande Elsaß-Lothringen ist der Kaiser nicht Landesherr im Sinne des § 94 RStrGB. RG. I. 17. April 1884. E. 10,312. R. 6,202, I. 26. April 1888. R. 10,335, E. 17,334. 2) Tätlichkeit ist jede vorsätzliche, rechtswidrige körperliche Einwirkung auf die Person eines anderen. Daß die Tätlichkeit in beleidigender Absicht verübt wird, ist nicht erforderlich. Vgl. Olsh. Note 2 zu § 94 RStrGB., siehe auch §§ 96, 98, 167, 185, 113, 116, 117 RStrGB. 3) Wenn der Täter bei Begehung der Tat nicht wußte, daß die Person, gegen welche die Tat sich richtet, der Kaiser oder sein Landesherr oder der Landesherr des Bundesstaats seines Aufenthaltsortes ist, so findet § 59 Abs. 1 RStrGB. Anwendung. Jdealkonkurrenz des § 94 mit § 81 Nr. 1 RStrGB. ist möglich. 4) Während der Ausdruck „mildernde Umstände" die Verminderung der subjektiven Schuld trifft, sollen durch den Ausdruck „in minder schweren Fällen" im RStrGB. die objektiv geringeren Fälle bezeichnet werden. Im MStrGB. umfaßt der Begriff des „minder schweren Falles" sowohl die Fälle der verminderten subjektiven Schuld wie die objektiv geringeren Fälle des Delikts. RMGer. I. 14. Febr. 1901. E. 1,37. Der Ausdruck „minder schwerer Fall" enthält lediglich einen Strafzumessungsgrund. RG. II. 10. Febr. 1882. E. 6,25. 5) Auf Zuchthaus kann nur bei Feststellung ehrloser Gesinnung erkannt werden. § 20 RStrGB. 6) Die Strafverfolgung des vollendeten Verbrechens des § 94 RStrGB. verjährt in 20 Jahren, die des versuchten Verbrechens des § 94 RStrGB. in 15 Jahren. § 67 Abs. 1 RStrGB. 7) Vgl. § 4 Nr. 2 RStrGB.

§ 95.i)2) Wer den Kaiser, seinen Landesherrn oder während seines Aufenthalts in einem Bundesstaate dessen Landesherrn beleidigt/) wird mit Gefängniß nicht unter zwei Monaten oder mit Festungshaft von zwei Monaten bis zu fünf Jahren bestraft. Neben der Gefängnißstrafe kann auf Verlust der bekleideten öffent­ lichen Aemter, sowie der aus öffentlichen Wahlen hervorgegangenen Rechte erkannt werden.4) 1) Vgl. 88 4 Nr. 2, 185ff. RStrGB., 8 23 Nr. 3 des Preßgesetzes v. 7. Mai 1874. 2) Vgl. Note 1 zu 8 94 RStrGB. Der verstorbene Landesherr kann nicht Objekt des Delikts sein. Vgl. auch 8 189 RStrGB. 3) Auch bei der Majestätsbeleidigung wird der Tatbestand der Be­ leidigung gefordert: vorsätzliche mit dem Bewußtsein der Ehrenkränkung vorgenommene Kundgebung der Mißachtung einer anderen Person. Eine bloße Verletzung der Ehrfurcht erfüllt,oen Tatbestand nicht. In dem Be­ griff der Kundgebung liegt, daß die Äußerung anderen zur Kenntnis ge­ langen muß. RG. IV. 12. Okt. 1897. E. 30,270, I. 15. Juni 1899. E. 32,236. I. 15. Dez. 1892. E. 23,347.

Zweiter Teil.

Einzelne Verbrechen, Vergehen usw.

§§ 95, 96.

341

Ob die ehrenkränkende Kundgebung Regierungshandlungen des Staats­ oberhaupts oder Handlungen seines Privatlebens zum Inhalte hat, ob die Kundgebung Handlungen betrifft, die vor dem Regierungsantritte und außerhalb der' landesherrlichen Stellung des Beleidigten geschehen sind, endlich ob die Kundgebung sich auf Regierungshandlungen des Kaisers oder Landesherrn bezieht, welche unter Verantwortlichkeit des Kanzlers oder eines Ministers erfolgt sind, ist für den Tatbestand des § 95 RStrGB. unerheblich. RG. III. 23. Juni 1880. E. 2,213, III. 21. Mai 1883, E. 8,338, I. 15. Juni 1899. E. 30,236. Die Kundgebung kann auch durch Unterlassung geschehen. (Sitzen­ bleiben bei einem Hoch auf den Kaiser usw.) RG. III. 9. Juni 1898. Goltdammers Archiv 46,335. Hinsichtlich des subjektiven Tatbestandes wird erfordert, daß die Kund­ gebung dem Willen des Täters entsprach, daß sich der Täter des ehrver­ letzenden Charakters der Kundgebung für den Kaiser usw. bewußt war, RG. III. 23. Juni 1880. E. 2,213, III. 21. Mai 1883. E. 8,333, endlich, daß dem Täter das Bewußtsein innewohnte, daß die Beziehung der Äußerung auf den Kaiser usw. von anderen, denen die Worte zur Kenntnis gelangen, erkannt werden müsse und könne; die Feststellung des dolus eventualis ge­ nügt. RG. IV. 12. Okt. 1897. E. 30,270. In Angriffen, die sich dem Wortlaute nach gegen Vorfahren des Monarchen und deren Verhalten richten, kann eine Majestätsbeleidigung gefunden werden, wenn aus den Umständen sich ergibt, daß durch solche Äußerungen eine Mißachtung des regierenden Monarchen kundgegeben und die Person desselben als mit einem Makel behaftet hingestellt werden soll. RG. IV. 7. Febr. 1896. E. 28,171. § 193 RStrlÄB. findet auf Beleidigungen der in §§ 95, 97 gedachten Art keine Anwendung. RG. III. 21. Mai 1883. E. 8,333, II. 4. Okt. 1881, E. 5,46, III. 17. Dez. 1888. R. 10,724. Die Strafbarkeit der Majestätsbeleidigung wird durch den Wahrheits­ beweis nicht ausgeschlossen. RG. III. 22. Juni 1880. E. 2,213. Jdealkonkurrenz des § 95 mit §§ 186, 187 RStrGB. ist denkbar, die Bestrafung erfolgt aus § 95 RStrGB.; aus Publikationsbefugnis darf nicht erkannt werden. RG. I. 7. April 1881. R. 3,203. E. 4,213. VS. 17. Äpril 1882. E. 6,iso. R. 4,333. In der einer Vertragspflicht entsprechenden Weitergabe einer eine Majestätsbeleidigung enthaltenden Druckschrift liegt eine Majestätsbeleidi­ gung, wenn nachgewiesen ist, daß der Weitergebenoe den Inhalt der Schrift kannte, ihn guthieß und das Blatt weitergab, um anderen den Inhalt desselben kundzugeben. RG. III. 17. März 1880. E. 1,321, R. 1,435, IV. 13. Febr. 1885. R. 7,107. In dem Zeitungsberichte über eine öffentlich verhandelte Majestäts­ beleidigung kann eine abermalige Majestätsbeleidigung gefunden werden, wenn ohne jeden sonst ersichtlichen rechtfertigenden Zweck die Beleidigung selbst ihrem schwer verletzenden Wortinhalte nach in die Publikation mit ausgenommen wird. RG. II. 4. Okt. 1881. R. 3,5so. E. 5,46. 4) Die Strafverfolgung verjährt in fünf Jahren, § 67 Abs. 2 RStrGB. und wenn die Handlung durch Verbreitung von Druckschriften verübt ist, in sechs Monaten. § 22 des Preßgesetzes v. 7. Mai 1874.

§ 96.

Wer einer Thätlichkeit *) gegen ein Mitglied des landes­

herrlichen Hauses seines Staats?)

oder

gegen den Regenten seines

Staats oder während seines Aufenthalts in einem Bundesstaate einer

Thätlichkeit

gegen ein Mitglied des landesherrlichen Hauses dieses

Staats oder gegen den Regenten dieses Staats sich schuldig, macht.

Strafgesetzbuch für das Deutsche Reich.

342

wird mit Zuchthaus nicht unter fünf Jahren obet3) mit Festungshaft von gleicher Dauer, in minder schweren Fällens mit Zuchthaus bis

zu fünf Jahren oder3) mit Festungshaft von gleicher Dauer bestraft. Sind mildernde Umstände vorhanden, so tritt Festungshaft von Einem bis zu fünf Jahren ein.5)

1) Vgl. Note 2 zu § 94 RStrGB. 2) Als Mitglieder eines landesherrlichen Hauses im Sinne dieser Vorschrift sind nur diejenigen Angehörigen anzusehen, welche der haus­ herrlichen Familiengewalt des Souveräns als caput familiae tatsächlich und unmittelbar unterworfen sind; der Begriff umfaßt nicht solche Ange­ hörige, welche außerhalb des Bereichs jener nach deutschem Fürstenrecht dem Souverän zustehenden Haus- und Familiengewalt stehend nur mit gewissen Erb-Sukzessions- oder sonstigen agnatischen Rechten ausgestattet sind. RG. III. 28. Sept. 1891. E. 22,141. Durch Übernahme der Regent­ schaft in einem anderen deutschen Bundesstaate geht die Eigenschaft als Mitglied des landesherrlichen Hauses nicht verloren. RG. IV. 16. Sept. 1892. E. 23,239. Ein in Unkenntnis oder Mißverständnis staatsrechtlicher oder privatfürstenrechtlicher Normen wurzelnder Irrtum des Täters über das Vorhandensein der Eigenschaft des Beleidigten als Mitglied des landes­ herrlichen Hauses ist geeignet, schuldausschließend zu wirken. § 59 RStrGB^ RG. III. 28. Sept. 1891. E. 22,ui. Vgl. auch Note 5 zu § 59 RStrGB. Mitglieder des Preußischen Königshauses sind nur in Vreußen, nicht auch im Reichsland Elsaß-Lothringen oder in anderen Bundesstaaten als Mitglieder des landesherrlichen Hauses anzusehen. RG. I. 17. April 1884. E. 10,312. R. 6,282. I. 26. April 1888. E. 17,334. R. 10,335. 3) Auf Zuchthaus darf nur bei Feststellung ehrloser Gesinnung er­ kannt werden. § 20 RStrGB. Straferhöhender Umstand im Sinne der §§ 323 Abs. 2, 326 Abs. 2 MStrGO. 4) Vgl. Note 4 zu § 94 RStrGB. 5) Dre Strafverfolgung verjährt in 15 Jahren. 8 67 Abs. 1 RStrGB. § 97.

Wer ein Mitglied des

landesherrlichen Hauses

seines

Staats i) oder den Regenten seines Staats oder während seines Auf­

enthalts in

einem Bundesstaate

ein Mitglied

des

landesherrlichen

Hauses dieses Staats oder den Regenten dieses Staats beleidigt,2)

wird mit Gefängniß von Einem Monat bis zu drei Jahren oder mit Festungshaft von gleicher Dauer bestraft.3)

1) Vgl. Note 2 zu 8 96 RStrGB. 2) Vgl. Note 3 zu 8 95 RStrGB. 3) Die Strafverfolgung verjährt in 5 Jahren. 8 67 Abs. 2 RStrGB., im Falle des 8 22 des Preßgesetzes v. 7. Mai 1874 in 6 Monaten.

Dritter Abschnitt. Beleidigung von Bundesfürsten.

§ 98.

Wer*) außer dem Falle des 8 94 sich einer Thätlichkeit2)

gegen einen Bundesfürsten3) schuldig macht, wird mit Zuchthaus von zwei bis zu zehn Jahren oder4) mit Festungshaft von gleicher Dauer bestraft.

Zweiter Teil. Einzelne Verbrechen, Vergehen usw.

§§ 97—101. 343

Sind mildernde Umstände vorhanden, so tritt Festungshaft von sechs Monaten bis zu zehn Jahren ein.5) 4) Vgl. § 4 Abs. 2 RStrGB. 2) Vgl. Note 2 zu § 94 RStrGB. 3) Bundesfürsten sind die Landesherrn, denen die Staatsgewalt in den einzelnen Bundesstaaten und in ihrer Gesamtheit in Verbindung mit den freien Städten auch die Reichsgewalt zusteht. RG. I. 17. April 1884. R. 6,282. 4) Auf Zuchthaus kann nur bei Feststellung ehrloser Gesinnnng er­ kannt werden. § 20 RStrGB. Vgl. § 96 Note 3. 5) Die Strafverfolgung verjährt in zehn Jahren. § 67 Abs. 1 RStrGB.

§ 99. Wer*) außer dem Falle des § 95 einen Bundesfürsten?) beleidigt^) wird mit Gefängniß von Einem Monat bis zu drei Jahren oder mit Festungshaft von gleicher Dauer bestraft. Die Verfolgung tritt nur mit Ermächtigung4) des Beleidigten ein.5) 1) Vgl. § 4 Abs. 2 RStrGB. 2) Vgl. Note 3 zu 8 98 RStrGB. 3) Vgl. Note 3 zu 8 95 RStrGB. Auch auf die Beleidigung eines Bundesfürsten findet 8 193 RStrGB. keine Anwendung. RG. II. 25. Jan. 1889. E. 18,382. 4) Die Ermächtigung bedarf keiner Form; Zurücknahme der Er­ mächtigung ist nicht zulässig. RG. II. 25. Jan. 1889. E. 18,382. III. 14. Dez. 1882. E. 7,382. I. 15. Jan. 1900. E. 33,66. 5) Die Strafverfolgung verjährt in 5 Jahren, 8 67 Abs. 2 RStrGB. Im Falle des 8 22 des Preßgesetzes v. 7. Mai 1874 in 6 Monaten.

§ 100. Wer außer dem Falle des § 96 sich einer Thätlichkeit4) gegen ein Mitglied?) eines bundesfürstlichen Hauses oder den Regenten eines Bundesstaats schuldig macht, wird mit Zuchthaus bis zu fünf Jahren oder^) mit Festungshaft von gleicher Dauer bestraft. Sind mildernde Umstände vorhanden, fo tritt Festungshaft von Einem Monat bis zu drei Jahren ein.4) 4) 2) 3) kennen. 4)

Vgl. Note 2 zu 8 94 RStrGB. Vgl. Note 2 zu 8 96 RStrGB. Auf Zuchthaus ist nur bei Feststellung ehrloser Gesinnung zu er­ 8 20 RStrGB., vgl. 8 96 RStrGB. Note 3. Die Strafverfolgung verjährt in 10 Jahren. 8 67 Abs. 1 RStrGB.

§ 101. Wer außer dem Falle des § 97 den Regenten eines Bundesstaats beleidigt,4) wird mit Gefängniß von Einer Woche bis zu zwei Jahren oder mit Festungshaft von gleicher Dauer bestraft. Die Verfolgung tritt nur mit Ermächtigung2) des Beleidigten ein. 4) Vgl. Note 3 zu 8 95 RStrGB. 2) Vgl. Note 4 zu 8 99 RStrGB.

344

Strafgesetzbuch für das Deutsche Reich.

Vierter Abschnitt. Feindliche Handlungen gegen befreundete Staaten.

§ 102. Ein Deutscher, welcher int Jnlande oder Auslande, oder ein Ausländer, welcher während feines Aufenthalts im Jnlande gegen einen nicht zum Deutschen Reich gehörenden Staat oder dessen Landes­ herrn eine Handlung vornimmt, die, wenn er sie gegen einen Bundes­ staat oder einen Bundesfürsten begangen hätte, nach Vorschrift der §§ 81 bis 86 zu bestrafen sein würde, wird in den Fällen der §§ 81 bis 84 mit Festungshaft von Einem bis zu zehn Jahren oder, wenn mildernde Umstände vorhanden sind, mit Festungshaft von sechs Monaten bis zu zehn Jahren, in den Fällen der §§ 85 und 86 mit Festungs­ haft von Einem Monat bis zu drei Jahren bestraft, sofern in dem anderen Staate dem Deutschen Reich die Gegenseitigkeit verbürgt ist.1) Die Verfolgung tritt nur aus Antrag der auswärtigen Regierung ein. Die Zurücknahme des Antrages ist zulässig.2)3) x) Ob die Gegenseitigkeit dem Deutschen Reiche in dem anderen Staate verbürgt ist, muß der Richter ausdrücklich feststellen. RG. III. 2. Juli 1881. R. 3,457. Vgl. § 326 Abs. 1 MStrGO. 2) Wegen des Strafantrages und der Zurücknahme desselben vgl. § 61 und § 64 RStrGB. 3) Die Strafverfolgung des Verbrechens verjährt in zehn, diejenige des Vergehens in fünf Jahren. § 67 Abs. 1 und 2 RStrGB.

§ 103. Wer sich gegen den Landesherrn oder den Regenten eines nicht zum Deutschen Reich gehörenden Staats einer Beleidigung2) schuldig macht, wird mit Gefängniß von Einer Woche bis zu zwei Jahren oder mit Festungshaft von gleicher Dauer bestraft, sofern in diesem Staate dem Deutschen Reich die Gegenseitigkeit verbürgt ist.3)

ein.

Die Verfolgung tritt nur auf Antrag der auswärtigen Regierung Die Zurücknahme des Antrages ist zulässig.4)^

*) Sobald der Landesherr oder Regent eines nicht zum Deutschen Reiche gehörenden Staates in Frage kommt, ist nicht § 97 RStrGB., sondern § 103 eit. ausschließlich anzuwenden. RG. III. 28. Sept. 1891. E. 22,ui. 2) Vgl. Note 3 zu 8 95 RStrGB. 3) Vgl. Note 1 zu 8 102 RStrGB. 4) Wegen des Strafantrages und Zurücknahme desselben vgl. 88 61, 64 RStrGB. 5) Die Strafverfolgung verjährt in fünf Jahren. 8 67 Abs. 2 RStrGB.; im Falle des 8 22 des Preßgesetzes v. 7. Mai 1874 in sechs Monaten.

§ 103 a.1) Wer ein öffentliches Zeichen der Autorität2) eines nicht zum Deutschen Reich gehörenden Staats oder ein Hoheitszeichen eines solchen Staats böswillig wegnimmt, zerstört oder beschädigt oder beschimpfenden Unfug daran verübt, wird mit Geldstrafe bis zu sechshundert Mark oder mit Gefängniß bis zu zwei Jahren bestraft.3)

Zweiter Teil. Einzelne Verbrechen, Vergehen usw. §§ 102—105.

345

1) Vgl. § 135 RStrGB. 2) Das Zeichen muß bestimmt sein, die Regierungsgewalt des Staates zum Ausdruck zu bringen. RG. II. 19. Mai 1898. E. 31,143. 3) Die Strafverfolgung verjährt in fünf Jahren. § 67 Abs. 2 RStrGB.

§ 104. Wer sich gegen einen bei dem Reich, einem bundesfürst­ lichen Hofe oder bei dem Senate einer der freien Hansestädte be­ glaubigten Gesandten4) oder Geschäftsträgers einer Beleidigung2) schuldig macht, wird mit Gefängniß bis zu Einem Jahre oder mit Festungshaft von gleicher Dauer bestraft. Die Verfolgung tritt nur aus Antrag des Beleidigten ein. Die Zurücknahme des Antrages ist zulässig.3)4) 4) Die Kreditive des Gesandten wird dem Souverän, die Kreditive des Geschäftsträgers dem Minister des Auswärtigen überreicht. 2) Vgl. Note 3 zu § 95 RStrGB. Bei idealer Konkurrenz mit tätlicher Beleidigung (§ 185) oder Vergehen gegen § 186 RStrGB., oder § 187 RStrGB. ist aus den §§ 185 oder 186 bezw. 187 RStrGB. zu strafen. 3) Wegen des Strafantrages und der Zurücknahme desselben vgl. §§ 61, 64 RStrGB. 4) Die Strafverfolgung verjährt in fünf Jahren. § 67 Abs.2 RStrGB.; im Falle des § 22 Preßgesetzes v. 7. Mai 1874 in sechs Monaten.

Fünfter Abschnitt. Berbrechen und Vergehen in Beziehung auf die Ausübung staatsbürgerlicher Rechte.

§ 105. Wer es unternimmt4), den Senat oder die Bürgerschaft einer der freien Hansestädte, eine gesetzgebende Versammlung2) des Reichs oder eines Bundesstaats auseinander zu sprengen, zur Fassung oder Unterlassung von Beschlüssen zu nöthigen3) oder Mitglieder aus ihnen gewaltsam zu entfernen, wird mit Zuchthaus nicht unter fünf Jahren oder4) mit Festungshaft von gleicher Dauer bestraft. Sind mildernde Umstände vorhanden, so tritt Festungshaft nicht unter Einem Jahre ein.5) 4) Der Ausdruck „Unternehmen" umfaßt hier im Gegensatz zum § 82 RStrGB. nach seinem Wortverstande und der Absicht des Gesetzgebers alle Handlungen, welche auf Erreichung des bestimmten, vom Gesetze bezeichneten Erfolges gerichtet sind; ob der Erfolg des Vorhabens erreicht wird, ob durch die Handlung das Vorhaben unmittelbar zur Ausführung gebracht werden soll, ist unerheblich. RG. II. 9. Nov. 1880. E. 3,26. III. 4. Juni 1883. E. 8,354. 2) Eine gesetzgebende Versammlung des Deutschen Reiches ist auch der Bundesrat. RG. III. 14. Dez. 1882. E. 7,382. 3) Durch Gewalt oder Drohung. 4) Auf Zuchthaus kann nur bei Feststellung ehrloser Gesinnung erkannt werden. § 20 RStrGB. Vgl. § 96 RStrGB. Note 3. 5) Die Strafverfolgung verjährt in 15 Jahren. § 67 Abs. 1 RStrGB.

346

Strafgesetzbuch für das Deutsche Reich.

§ 106. Wer ein Mitglied einer der vorbezeichneten Versamm­ lungen durch Gewalt oder durch Bedrohung mit einer strafbaren Handlung verhindert, sich an den Ort der Versammlung zu begeben oder zu stimmen, wird mit Zuchthaus bis zu fünf Jahren oder*) mit Festunghaft von gleicher Dauer bestraft. Sind mildernde Umstände vorhanden, so tritt Festungshaft bis zu zwei Jahren ein.2) 1) Auf Zuchthaus darf nur bei Feststellung ehrloser Gesinnung erkannt werden. Vgl. § 96 RStrGB. Note 3. 2) Die Strafverfolgung verjährt in zehn Jahren § 67 Abs. 1 RStrGB.

§ 107. Wer einen Deutschen durch Gewalt oder durch Be­ drohung mit einer strafbaren Handlung verhindert, in Ausübung seiner staatsbürgerlichen Rechtes zu wählen?) oder zu stimmen, wird mit Gefängniß nicht unter sechs Monaten oder mit Festungshaft bis zu fünf Jahren bestraft. Der Versuch ist strafbar.3) x) Unter die Ausübung der staatsbürgerlichen Rechte fällt auch die Ausübung des Gemeindewahlrechts, gleichviel, ob nach den Sonderbestim­ mungen der einzelnen deutschen Bundesstaaten die Vornahme von Gemeinde­ wahlen auf die Ausübung staatsbürgerlicher Rechte im Sinne der betreffenden Verfassungsgesetze zurückzuführen ist oder nicht. RG. I. 9. Nov. 1882. R. 4,792. E. 7,223. 2) Da das Wahlrecht ein freies ist, so wird die Ausübung des Rechts nicht bloß gehindert, wenn jemand abgehalten wird, überhaupt zu wählen, sondern auch dann, wenn er bestimmt wird, eine bestimmte Person zu wählen oder nicht zu wählen. RG. II. 21. März 1882. R. 4,266.

3) Die Strafverfolgung verjährt in fünf Jahren, § 67 Abs. 2 RStrGB.

§ 108. Wer in einer öffentlichen Angelegenheit*) mit der Samm­ lung von Wahl- oder Stimm-Zetteln oder -Zeichen oder mit der Führung der Beurkundungsverhandlung beauftragt,2) ein unrichtiges Ergebniß^) der Wahlhandlung^) vorsätzlich herbeiführt^) oder das Er­ gebniß verfälscht/) wird mit Gefängniß von Einer Woche bis zu drei Jahren bestraft. Wird die Handlung von Jemand begangen, welcher nicht mit der Sammlung der Zettel oder Zeichen oder einer anderen Verrichtung bei dem Wahlgefchäfte beauftragt ist, so tritt Gefängnißstrafe bis zu zwei Jahren ein.7) Auch kann auf Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte erkannt werden. x) D. h. in einer öffentlichen Angelegenheit des Staates, oder einer Korporation bezw. Stiftung. Vgl. Olsh. Note 1 zu 8 108. 2) Abs. 2 enthält den einfachen, Abs. 1 den qualifizierten Tatbestand des Delikts; der Umstand, daß der Täter mit der Sammlung von Wahl­ oder Stimmzetteln oder -zeichen oder mit der Führung der Beurkundungs-

Zweiter Teil. Einzelne Verbrechen, Vergehen usw. §§ 106—109.

347

Verhandlung beauftragt war, ist ein straferhöhender im Sinne der §§ 318, 326, 323 MStrGO. Nicht erforderlich ist, daß der Beauftragte den Auf­ trag zu erfüllen verpflichtet war; es genügt die tatsächlich erfolgte Erfüllung des Auftrags. Vgl. Olsh. Note 5 zu 8 108 RStrGB. 3) Unter Wahlhandlung ist nur der eigentliche durch Ausübung des Wahlrechts von feiten der Wähler sich vollziehende Wahlakt zu verstehen. RG. II. 2. Juni 1890. E. 20,420. Eine Wahlhandlung verliert ihren Charakter als solche nicht dadurch, daß Verstöße gegen das Wahlreglement vor­ gekommen sind, welche möglichenfalls die Ungültigkeitserklärung der Wahl­ handlung herbeiführen können. RG. II. 23. Juni 1882, E. 6,351. R. 4,gio. 4) Ergebnis einer Wahlhandlung ist nicht gleichbedeutend mit dem Ergebnis der Wahl. Ein Ergebnis der Wahlhandlung liegt schon vor, sobald der einzelne konkrete Wahlakt, in welchem sich die Wahlhandlung durch Vornahme der Wahl seitens der Wähler vollzieht, abgeschlossen ist und als solcher festgestellt werden kann. Dieses Ergebnis ist richtig, wenn durch die vollzogene Wahl der in gesetzmäßiger Weise erklärte Wille der Wähler ungetrübt überall zum wahren Ausdruck gelangt ist. RG. III. 6. April 1891. E. 21,414. Ein unrichtiges Ergebnis der Wahlhandlung ist herbeigeführt, wenn unter der Form der gesetzmäßig vollzogenen Wahl tatsächlich die Wahlausübung in ungesetzlicher Weise stattgefunden hat und das dadurch tatsächlich herbeigeführte Stimmenverhältnis ein anderes ge­ worden ist, als es bei ordnungsmäßigem Vollzug der Wahlhandlung ge­ wesen wäre. Ob im Endresultat der Wahl durch die Handlung des An­ geklagten etwas geändert worden ist, ob insbesondere eine Änderung in der Person des Gewählten herbeigeführt wurde, ist gleichgültig. RG. III. 2. Juni 1890. E. 20,420, II. 20. Okt. 1882. E. 7,144, I. 6. Okt. 1881. R. 3,gqi. E. 5,49. 5) Jede vorsätzliche Handlung, welche mit einem unrichtigen Ergebnisse der Wahlhandlung in erweislichem Kausalzusammenhänge steht, durch welche also das unrichtige Ergebnis als gewollter Erfolg herbeigeführt wird, be­ gründet den Tatbestand des § 108 RStrGB.; z. B. eine zur Wählerliste abgegebene falsche Erklärung, auf Grund welcher der Erklärende zur Wahl zugelassen wurde und das ihm nicht zustehende Wahlrecht ausgeübt hat, RG. I. 31. Jan. 1884. R. 6,70. E. 10,go, oder die Abgabe eines Stimmzettels für einen anderen unter Mißbrauch des Namens des letzteren, ohne daß es darauf ankommt, daß der Unberechtigte denselben Kandidaten die Stimme gab, dem der Berechtigte sie gegeben haben würde. RG. III. 12. März 1885. R. 7,168. Dadurch, daß ein versehentlich in die Wahllisten eingetragener, an sich unberechtigter Wähler bei der Wahl vom Stimmrechte Gebrauch macht, wird der Tatbestand strafbarer Wahlfälschung nicht erfüllt. RG. III. 6. April 1891. E. 21,414. 6) Die Verfälschung des Ergebnisses einer Wahlhandlung hat ein durch Vollzug der Wahlhandlung bereits gewonnenes, wenn auch noch nicht festgestelltes Ergebnis zum Gegenstände; dieses wird verfälscht, wenn seine Ermittlung und Feststellung in einer der tatsächlich geschehenen Ausübung des Wahlrechts nicht entsprechenden Weise dergestalt geschieht, daß an Stelle des in Wirklichkeit vorliegenden richtigen Ergebnisses ein anderes unter dem Scheine, daß es das richtige sei, zur Darstellung gelangt; z. B. die tatsächlich abgegebenen Wahlstimmen werden bei Ermittlung des Wahl­ ergebnisses falsch gezählt, oder an Stelle der Namen der Personen, auf welche die ordnungsmäßig abgegebenen Wahlzettel lauten, werden andere Namen als gewählt verkündet. RG. III. 2. Juni 1890. E. 20,420. 7) Die Strafverfolgung verjährt in fünf Jahren, § 67 Abs. 2 RStrGB.

§ 109. Wer in einer öffentlichen Angelegenheit*) eine Wahl­ stimme kauft oder verkauft, ?) wird mit Gefängniß von Einem Monat

348

Strafgesetzbuch für das Deutsche Reich.

bis zu zwei Jahren bestraft; auch kann auf Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte erkannt werden. x) Bez. des Begriffs „öffentliche Angelegenheit" vgl. Note 1 zu 8 108 RStrGB. 2) Für den Stimmenkauf des § 109 RStrGB. sind nicht die zivil­ rechtlichen Grundsätze, sondern die Anschauung des gemeinen Lebens, des volkstümlichen Sprachgebrauchs maßgebend. Es genügt die dem Wähler gegebene und von diesem angenommene Zusage eines materiellen Vorteils (Entgelt). Ein Vermögensvorteil braucht nicht versprochen zu sein. RG. I. 9. April 1888. R. 10,289. E. 17,296. Zur Vollendung des Vergehens ist die wirkliche Stimmabgabe oder die Gewährung des Vorteils (Entgelts) seitens des Versprechenden nicht wesentlich. Bloß einseitiges Versprechen des Käufers oder Anerbieten des Verkäufers begreift nur einen straflosen Versuch des Delikts in sich. RG. I. 3. April 1882. E. 6,194. Erforderlich ist viel­ mehr, daß zwischen Käufer und Verkäufer ein Abkommen, eine Willens­ einigung vorliegt. RG. I. 15. Nov. 1883. E. 9,197. I. 9. April 1888. E. 17,296. Das Abkommen hat zum Inhalt, gegen Entgelt in einem gewissen Sinne sein Wahlrecht auszuüben; unerheblich ist, ob der Wähler in diesem Sinne von vornherein wählen wollte, oder ob er sich zur Ausübung seines Wahl­ rechts gegen seine Überzeugung verpflichtete. RG. I. 15. Nov. 1883. E. 9,197. Die zivilrechtlich nach § 138 BGB. unbedingt vorliegende Nichtigkeit des Abkommens ist für den Tatbestand des Delikts ohne Bedeutung. Vgl. RG. I. 3. April 1882. RG. 6,194.

Sechster Abschnitt. Widerstand gegen die Staatsgewalt.

§ 110. Wer öffentlichi) vor2) einer Menschenmenge,^ oder wer durch Verbreitung4) oder öffentlichen Anschlags) oder öffentliche Aus­ stellung von Schriften^) oder anderen Darstellungen^) zum Ungehorsams gegen Gesetzes oder rechtsgültige Verordnungen oder gegen die von der Obrigkeit^) innerhalb ihrer Zuständigkeit getroffenen Anordnungen^9) auffordert, 10) wird mit Geldstrafe bis zu sechshundert Mark oder mit Gefängniß bis zu zwei Jahren 6efhxift.11)12) 1) Vgl. Note 1 zu 8 65 RStrGB. 2) Es genügt das Ergehen der Aufforderung vor einer Menschen­ menge; daß die Aufforderung an die Menge in ihrer Gesamtheit oder an einzelne Anwesende gerichtet ist, wird nicht gefordert. Ob oie Aufforderung Erfolg hatte oder nicht, ist unerheblich. RG. II/III. 10./21. Okt. 1881. E. 5,71 und RG. II. 25. Jan. 1887. R. 9,92. 3) Vgl. Note 3 zu 8 65 RStrGB. 4) Eine öffentliche Verbreitung in dem Sinne, daß die Schrift anderen Personen, und zwar unbestimmt welchen und wie vielen, zugänglich gemacht wird, ist nicht erforderlich. Im Gegensatz zur Hingabe an eine oder einige wenige individuell bestimmte Personen stellt sich Verbreitung im Sinne dieser Vorschrift als die Auslieferung der Schrift an eine größere Anzahl von Personen, welche der Zahl und der Individualität nach bestimmt sein können, dar. Bei oer Frage, ob eine Verbreitung im Sinne des 8 HO RStrGB. vorliegt, kommt die Absicht des Täters wesentlich in Betracht; ist dieselbe darauf gerichtet, die Schrift in Umlauf zu setzen und nicht darauf, die Mitteilung auf wenige einzelne Personen zu beschränken und

Zweiter Teil.

Einzelne Verbrechen, Vergehen usw.

§ 110.

349

die Schrift vom Verkehr im Publikum auszuschließen, dann ist es nicht von Belang, wie vielen Personen die Schrift wirklich zugänglich gemacht wird. RG. II/III. 5. Okt. 1882. E. 7,ii3. III. 22. Okt. 1883. E. 9,292 und F.-S. 10. Sept. 1897. E. 30,221. Die Versendung, Zustellung oder Mitteilung an eine einzige Person stellt eine Verbreitung dar (RG. II. 10. Jan. 1882. R. 4,29), wenn dabei die Absicht des Übersendenden vorgelegen hat, daß der Empfänger die Druckschrift durch Wiedergabe auch im größeren Personenkreise zugänglich mache. RG. II. 28. Sept. 1880. E. 2,270. II/III. 10. Okt. 1887. E. 16,215. 5. Okt. 1882. E. 7,113. II. 28. Sept. 1883. E. 9,71 und III. 22. Okt. 1883. E. 9,292. III. 27. Sept. 1882. R. 4,716. III. 6. Nov. 1884. R. 6,703. Vgl. auch Note 4 zu 8 85 NStrGB. 5) Der Ausdruck „Anschlägen" begreift das Anheften, Ankleben und überhaupt jede mechanische Tätigkeit in sich, durch welche eine Schrift oder Abbildung mit einem festen Gegenstände, als Träger derselben derart in Verbindung gebracht wird, daß die Abbildung oder Schrift auf jenem Gegenstände sichtbar wird. Ausstellen umfaßt auch das Auslegen und Aushängen. RG. III. 24. Nov. 1884. E. 11,282. 6) Eine Mehrheit von Schriften oder Darstellungen wird nicht er­ fordert. RG. III. 24. Nov. 1884. E. 11,282. 7) Die Strafnorm des § 110 RStrGB. hat mit dem Gehorsam gegen Beamte und Behörden, bezw. deren konkrete Amtshandlungen nichts zu tun; die in „Gesetzen", „Verordnungen" und „Anordnungen der Obrigkeit" ruhenden unpersönlichen Grundlagen der bestehenden Rechtsordnung sind es, deren Autorität nicht durch öffentliche Provokation zur Mißachtung er­ schüttert werden sollen. RG. III. 13./15. März 1884. E. 10,296. III. 4. Dez. 1890. E. 21,192. IV. 3. Dez. 1889. E. 20,63. I. 1. Juni 1893. E. 24,189. Der Begriff des Ungehorsams gegen Gesetze usw. im Sinne des § 110 RStrGB. wird nicht schon durch jedes konkrete gesetzwidrige Verhalten, sondern erst dann erfüllt, wenn die Art des Handelns und die Ümstände, unter denen es erfolgt, ergeben, daß das Gesetz schlechthin und überhaupt, seine Auto­ rität und bindende Kraft mißachtet und verneint wird. Ungehorsam setzt eine durch Handeln betätigte Mißachtung des Gesetzes voraus, aber nicht jede konkrete, gegen das Gesetz verstoßende Handlung ist ein Ungehorsam im Sinne dieses Paragraphen, d. h. eine äußerlich betätigte Weigerung, die Autorität des Gesetzes überhaupt anzuerkennen. RG. IV. 27. Okt. 1891. E. 22,185. 8) Gleichgültig ist es, ob das Gesetz bürgerliche oder strafrechtliche Normen zum Inhalt hat. RG. IV. 3. Dez. 1889. E. 20,63 und I. 3./15. Jan. 1891. E. 21,304. Ein Irrtum des Angeklagten, Gesetze im Sinne des § 110 RStrGB. seien nur solche, die nicht bloß verbindlich, sondern auch rechtsgültig zu­ stande gekommen seien, ist ein unerheblicher Irrtum über das Strafgesetz. RG. II. 6. Nov. 1903. E. 36,417. 8a) Die Verordnung muß von der zuständigen Stelle in vorgeschriebener Form verkündet, formell verbindlich, inhaltlich dem geltenden Rechte ent­ sprechend, materiell gültig sein. Das Verbot des Streikpostenstehens ver­ stößt gegen § 152 GewO, und ist ungültig. RG. III. 4. Febr. 1901. E. 34,121. 9) Unter „Obrigkeit" im Sinne des § 110 RStrGB. sind nur solche Organe der Staatsgewalt zu verstehen, welche in einem gewissen Umfange die Staatsgewalt selbständig auszuüben haben und zum Erlasse allgemein verpflichtender Vorschriften innerhalb ihrer sachlichen und örtlichen Zu­ ständigkeit berufen sind. Amtshandlungen und Aufforderungen bloßer Vollzugsorgane in einem konkreten Falle sind nicht obrigkeitliche Anord-

350

Strafgesetzbuch für das Deutsche Reich.

nungen im Sinne dieser Vorschrift. Obrigkeitliche Anordnungen müssen begrifflich eine weitergehende Bedeutung haben, als sie einer vereinzelten Exekutivmaßregel im Sinne des § 113 RStrGB. beiwohnt; sie müssen nicht auf einen Fall oder ein Moment beschränkt sein, sondern eine das allge­ meine Verhalten regelnde behördliche Maßnahme darstellen. RG. III. 4. Dez. 1890. E. 21,192. II. 29. Mai 1883. R. 5,390. E. 8,321. 10) Eine Aufforderung enthält jede Kundgebung, welche eine Ein­ wirkung auf den Willen anderer bezweckt. RG. II. 19. April 1881. E. 4,ioe. 11) Neben §§ 110 und 111 RStrGB. ist 8 49 a RStrGB. nicht anwendbar. RG. I. 3. Dez. 1883. R. 5,749. E. 9,261. 12) Die Strafverfolgung verjährt in fünf Jahren § 67 Abs. 1 RStrGB., falls § 22 des Preßgesetzes anwendbar ist, in sechs Monaten.

§ lll.1) Wer auf die vorbezeichnete Weise zur Begehung einer strafbaren Handlung?) auffordert,?) ist gleich dem Anstifters zu be­ strafen, wenn die Aufforderung die strafbare Handlung oder einen strafbaren Versuch derselben zur Folge gehabt hat.4) Ist die Aufforderung ohne Erfolg geblieben, so tritt Geldstrafe bis zu sechshundert Mark oder Gefängnißstrafe bis zu Einem Jahre ein. Die Strafe darf jedoch, der Art oder dem Maße nach, keine schwerere sein, als die auf die Handlung selbst an gedrohte.5)6) 4) Die Vorschrift des § 111 enthält gegenüber dem § 110 RStrGB. einen spezielleren Tatbestand, indem sie eine Aufforderung zu einer konkret bestimmten und zugleich strafbaren Handlung erfordert. Danach ist die Anwendung des § 110 eit. ausgeschlossen, insoweit der speziellere Straffall des § 111 RStrGB. vorliegt, ohne Unterschied, ob sich nach Lage des Falles bei Anwendung des § 111 eine härtere oder gelindere Strafe her­ ausstellt, als bei Anwendung des § 110 RStrGB. RG. II. 19. April 1881. R. 3,235. E. 4,106. III. 2. Febr. 1891. E. 21,355. III. 13./15. März 1884. E. 10,296. III. 4. Dez. 1890. E. 21,192. 2) Die strafbare Handlung, zu der aufgefordert wird, muß an sich und unabhängig von der Aufforderung einen strafbaren Tatbestand voll aus­ füllen und muß ferner bestimmt festgestellt werden, da von der für sie an­ gedrohten Strafe die Straffestsetzung gegen den Auffordernden abhängig ist. RG. I. 2./20. Juni 1892. E. 23,192. Zu den strafbaren Handlungen gehören auch Unterlassungen. RG. II. 19. April 1881. E. 4,ioe. R. 3,235. Der Ausdruck „strafbare Handlung" ist nicht beschränkt auf die Straftaten des RStrGB., er begreift neben den letzteren — Verbrechen, Vergehen, wie Übertretungen — auch die Strafbestimmungen in Nebengesetzen, sei es Reichs- oder Landesgesetzen, wie überhaupt alle nach § 3 des Einführungs­ gesetzes und § 152 Abs. 2 StrPO. gerichtlich verfolgbaren insbesondere auch nach dem MStrGB. strafbaren Handlungen in sich. RG. II. 1. April 1887. E. 15,396. RG. I. 30. April 1885. E. 12,iei. Die strafbare Handlung, zu welcher in der im § 110 RStrGB. be­ zeichneten Weise aufgefordert wird, kann auch für sich wieder in einer Auf­ forderung zu einer strafbaren Handlung bestehen. RG. I. 2./20. Juni 1892. E. 23,172. 3) Vgl. Note 10 zu § 110 RStrGB. Der Täter muß das Bewußt­ sein von der Strafbarkeit der Handlung, zu welcher er auffordert, haben. RG. II. 8. Nov. 1895. E. 27,407. 4) Der § 111 RStrGB. bildet keinen Fall der Anstiftung im tech­ nischen Sinne, zu welcher stets die vorsätzliche Bestimmung einer oder mehrerer bestimmter Personen zur Begehung einer bestimmten vorsätz-

Zweiter Teil.

Einzelne Verbrechen, Vergehen usw. §§

111,112.

351

lichen Straftat gehört; er konstruiert vielmehr ein eigenes, selbständiges Delikt, dessen Urheber als Täter dieses Deliktes, nicht als Teilnehmer der infolge der Aufforderung von anderen begangenen strafbaren Handlung bestraft wird. Werden infolge der Aufforderung mehrere strafbare Hand­ lungen begangen, so liegt dennoch nur ein Vergehen aus § 111 RStrGB. vor. RG. II. 21. Dez. 1880. R. 2,656. Ist zur Begehung einer nur mit Arrest bedrohten, militärisch strafbaren Handlung aufgefordert worden, so tritt Haftstrafe ein. RG. III. 1. April 1887. E. 15,396. 5) Neben § 111 RStrGB. ist die Anwendbarkeit des § 49 a RStrGB. ausgeschlossen. RG. I. 3. Dez. 1883. R. 0,749. E. 9,261. 6) Die Strafverfolgung verjährt im Falle der Anwendung des Satzes 2 des Abs. 2 in fünf oder in drei Jahren oder in drei Monaten § 67 Abs. 2 u. 3 RStrGB. Ist die Handlung durch Verbreitung von Druckschriften begangen (§ 22 des Preßgesetzes), so tritt Verjährung der Strafverfolgung längstens in sechs Monaten ein.

§ 112.

Wer eine Person

des

Soldatenstandes?)

es

sei des

Deutschen Heeres oder der Kaiserlichen Marine, auffordert2) oder an­ reizt, dem Befehle des Oberen3) nicht Gehorsam zu leisten, wer ins­

besondere eine Person, welche zum Beurlaubtenstande 4) gehört, auf­ fordert oder anreizt, der Einberufung

zum Dienste nicht zu folgen,

wird mit Gefängniß bis zu zwei Jahren bestraft.5)6) Zu den Personen des Soldatenstandes gehören die Offiziere, Unter­ offiziere, Gemeinen des Heeres und der Marine, die Sanitätsoffiziere, das Sanitätsunterpersonal, die Feuerwerks-, Zeug-, Torpederoffiziere, das Feuer­ werks-, Zeug-, Torpederpersonal. Das Torpedoingenieurkorps, das Torpedo­ mechanikerpersonal, das Marineingenieurkorps (vgl. Lit. A der Anlage zum MStrGB.), und zwar nicht bloß', sofern sie zum aktiven Heere oder der aktiven Marine gehören, sondern auch sofern sie Personen des Beurlaubten­ standes sind; RG. I. 15. Dez. 1894. E. 26,au; desgleichen die Angehörigen der Kaiserlichen Schuhtruppen und des Ostasiatischen Expeditionskorps. 2) Über den Begriff der Aufforderung vgl. Note 10 zu § 110 RStrGB. Eine ganz allgemein an Militärpersonen gerichtete Aufforderung genügt nicht zum Tatbestand des § 112 RStrGB.; die Aufforderung muß, wenn auch nicht an individuell bezeichnete, so doch an erkennbar bestimmte (z. B. nach Truppenteil) Personen des Soldatenstandes gerichtet sein. RG. I. 8. Jan. 1880. R. 1,201. 3) Der Begriff des „Befehls des Oberen" umfaßt sowohl den Dienst­ befehl (d. h. jeden Befehl eines militärischen Vorgesetzten) wie den Befehl in Dienstsachen (d. h. den Befehl eines dienstlich Vorgesetzten, welcher eine Dienstangelegenheit betrifft). RG. II. 8. Nov. 1895. E. 27,406. Der Befehl muß sich auf eine konkret bestimmte Handlung beziehen, allgemeine Gebote oder Verbote, welche ein für allemal das militärische Verhalten des Sol­ daten zu regeln bestimmt sind und auf allgemein verbindlichen gesetzlichen Normen beruhen, lassen sich als militärische „Befehle" im Sinne des § 112 des RStrGB. rechtlich nicht qualifizieren. RG. III. 24. Juni 1882. R. 4,616. II. 8. Nov. 1895. E. 27,406. RMGer. II. 16. Sept. 1901. E. 1,286; wohl aber spezielle Befehle an spezielle Truppenkörper, die auf Allerh. Anordnung oder auf Befehl des Korpskommandeurs erlassen sind; z. B. Verbot der Beteiligung an sozialdemokratischen Bestrebungen usw. „ 4) Zum Beurlaubtenstande gehören: die Offiziere, Ärzte, Beamten und Mannschaften der Reserve, Marinereserve, Landwehr, Seewehr, sowie die Mannschaften der Ersatzreserve und Marineersatzreserve, die vorläufig in

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die Heimat beurlaubten Rekruten und Freiwilligen, die bis zur Entschei­ dung über ihr ferneres Militärverhältnis zur Disposition der Ersatzbehörden entlassenen Mannschaften, die vor erfüllter aktiver Dienstpflicht zur Dis­ position der Truppenteile (Marineteile) beurlaubten Mannschaften. § 15 des Wehrgesetzes v. 9. Nov. 1867, § 56 des Reichsmilitärgesetzes v. 2. Mai 1874, § 11 Art. II des Gesetzes betreffend die Wehrpflicht v. 11. Febr. 1888, WO. § 109 Nr. 4. Gleichgestellt sind den Personen des Beurlaubtenstandes nach Aufruf des Landsturms die davon betroffenen Landsturmpflichtigen, sowie die nach freiwilliger Meldung in die Listen des Landsturms eingetragenen Personen bis zu dem Tage, zu dem sie einberufen sind oder an dem sie freiwillig eintreten. §§ 26, 30, Art. II d. zit. Ges. v. 11. Febr. 1888, § 38 B 2 Ges. v. 2. Mai 1874. 5) Neben § 112 ist die Anwendbarkeit des § 49 a RStrGB. ausge­ schlossen. RG. I. 3. Dez. 1883. E. 9,261. R. 5,749. 6) Verjährung der Strafverfolgung tritt nach § 67 Abs. 2 RStrGB. in fünf Jahren ein.

§ 113. Wer einem Beamten/) welcher zur Vollstreckung von Gesetzen, von Befehlen und Anordnungen der Verwaltungsbehörden oder von Urtheilen und Verfügungen der Gerichte berufen ist, in der rechtmäßigen Ausübung seines Amtes^) durch Gewalt^) oder durch Bedrohung mit Gewalt Widerstand leistet/) oder wer einen solchen Beamten während der rechtmäßigen Ausübung seines Amtes thätlich angreist/) wird mit Gefängniß von vierzehn Tagen bis zu zwei Jahren bestraft. Sind mildernde Umstände vorhanden, so tritt Gefängnißstrafe bis zu Einem Jahre oder Geldstrafe bis zu eintausend Mark ein. Dieselben Strafvorschriften treten ein, wenn die Handlung gegen Personen, welche zur Unterstützung des Beamten zugezogen7) waren, oder gegen Mannschaften der bewaffneten Macht/) oder gegen Mannschaften einer Gemeinde-, Schutz- oder Bürgerwehr in Ausübung des Dienstes^) begangen ronb.10)11) Nach der ständigen Rechtsprechung des Reichsgerichts wird die strengere Vorschrift des § 114 RStrGB. durch die mildere des § 113 da­ selbst ausgeschlossen, wenn die Handlung, zu deren Unterlassung der Voll­ streckungsbeamte genötigt werden soll, bereits begonnen ist oder unmittelbar bevorsteht. RG. IV. 8. Nov. 1889. E. 20,35. III. 23. Febr. 1888. R. 10,179. Jdealkonkurrenz der §§ 113 oder 114 RStrGB. mit § 240 daselbst ist ausgeschlossen. RG. II. 18. Jan. 1898. E. 31,3. III. 31. Jan. 1901. E. 34,ii3. 2) Der Schutz des § 113 RStrGB. beschränkt sich nicht auf die eigent­ lichen Exekutiv- oder Vollstreckungsbeamten; § 113 eit. findet überall da Anwendung, wo ein Beamter innerhalb der durch sein Amt begründeten Zuständigkeit eine Vollstreckungshandlung, sei es auch nur im einzelnen konkreten Falle, vornimmt. RG. III. 14. Nov. 1895. E. 28,19. Im einzelnen sind als Vollstreckungsbeamte anzusehen: Die von Privatwaldeigentümern angestellten Forstschutzbeamten. RG. II. 1. Okt. 1880. E. 2,306. R. 2,288. Feldhüter, RG. II. 27. Mai 1881. R. 3,341. Die Bürger­ meister in den sechs östlichen Provinzen Preußens, RG. II. 26. Nov. 1880. R. 2,575. Nachtwächter (in Preußen städtische Nachtwächter nur, wenn

Zweiter Teil.

Einzelne Verbrechen, Vergehen usw.

§ 113.

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deren Anstellung seitens des Regierungspräsidenten genehmigt ist, RMGer. II. 5. März 1904. E. 6,274), Gemeindediener, Chausseegelderheber, im Geltungs­ bereich der preußischen Kreisordnung die dem Amtsvorsteher untergeord­ neten Amtsdiener, RG. II. 29. April 1902. E. 35,210, vom Regierungs­ präsidenten ernannte Fischereiaufseher, RG. IV. 13. Febr. 1894. E. 25,112. Volksschullehrer, RG. I. 22. Jan. 1894. E. 25,89. Gerichtsvollzieher, die zu Hilfsbeamten der Staatsanwaltschaft ernannten Beamten. Gendarmen sind in Preußen nicht Hilfsbeamte der Staatsanwaltschaft, sie befinden sich bei von ihnen selbst veranlaßten, den Vorschriften der 88 94 ff. RStrPO-, 88 229 ff. MStrGO. unterliegenden Durchsuchungen und Beschlagnahmen nicht in rechtmäßiger Ausübung ihres Amtes. RG. II. 24. Okt. 1884. E. 11,175. Der Richter, welcher eine in Ausübung der Sitzungspolizei angeord­ nete Maßregel vollstreckt, genießt den Schutz des 8 113 RStrGB. RG. III. /17. 10. Jan. 1887,. E. 15,227. Das gleiche gilt von dem Vorsitzenden, der nach 8 289 MStrGO. die Sitzungspolizei auszuüben hat. Der in einer Strafsache um Vernehmung von Zeugen außerhalb des Gerichtssihes er­ suchte Richter ist als Beamter im Sinne dieser Vorschrift nicht anzusehen. RG. I. 24. Juni 1886. E. 14,259. Es muß sich stets um Beamte handeln, welche die Exekutivgewalt des Staates direkt zur Anwendung zu bringen berufen sind. Die Kommissarien der Generalkommission sind keine Vollstreckungsbeamte. RG. I. 10. März 1884. R. 6,178. Städtische Beamte, welche lediglich Besitzhandlungen für den Magistrat vornehmen, genießen den Schutz des 8 113 RStrGB. nicht. RG. II. 24. April 1883. R. 5,278. 3) Rechtmäßige Ausübung des Amtes erfordert, daß der Beamte zu­ ständig, d. h. sachlich und örtlich zur Ausübung des betreffenden Amtes berufen ist, und daß er die für die Vollstreckungshandlung erforderlichen wesentlichen Voraussetzungen und Förmlichkeiten beobachtet. Die Ver­ letzung unwesentlicher (instruktioneller, reglementarischer) Formenvorschristen von feiten der Vollstreckungsbeamten übt auf die Rechtmäßigkeit ferner Amtsausübung keinen Einfluß aus. RG. I. 6. Sept. 1888. E. 17,122. R. 10,97. RG. I. 20. Sept. 1886. R. 8,546. Die Vorschrift, daß eine Vollstreckungshandlung nur in Gegenwart anderer Personen vorgenommen werden darf, ist eine wesentliche; die Nichtbeachtung derselben entzieht der Amtsübung den Charakter der Rechtmäßigkeit. RG. II. 2. Jan. 1883. E. 7,370. R. 5,4. 11. 5. Dez. 1879. E. 1,26. R. l,iie. I. 15. Juni 1885. E. 12,261. Es kommt lediglich darauf an, daß der Vollstreckungsbeamte bei seinem Vorgehen sein Amt rechtmäßig ausübt; unerheblich ist, ob der ihm von einer im allgemeinen zu solchem Befehl zuständigen Behörde gegebene Befehl (z. B. Verhaftung, Festnahme) gesetzlich gerechtfertigt war oder nicht. RG. I. 1. Nov. 1880. R. 2,424. E. 2,411. II. 23. Nov. 1880. R. 2,559. III. 7. Mai 1885. R. 7,280. Liegt die Amtshandlung an sich innerhalb der Zuständigkeit des sie vor­ nehmenden Beamten und ist ihre Vornahme durch das Gesetz an das Vor­ handensein bestimmter tatsächlicher Voraussetzungen dergestalt geknüpft, daß die Prüfung, ob diese Bedingungen im konkreten Falle zutreffen, in das pflichtgemäße Ermessen des tätig werdenden Beamten gestellt ist, so ist die betreffende Amtshandlung so lange und insoweit eine rechtmäßige, als der Beamte sich in den Grenzen des ihm eingeräumtcn und pflicht­ mäßig ausgeübten Ermessens bewegt; ein Irrtum des Beamten über die tatsächlichen Voraussetzungen der Rechtmäßigkeit seines Einschreitens ist dabei unerheblich. RG. IV. 23. Juni 1893. E. 24,218. RMGer. II. 27. Sept. 1901. E. 2,6. Für die Frage der Rechtmäßigkeit der Amtsausübung im Sinne des 8 113 RStrGB. kommt es nicht darauf an, ob nach Ansicht des über eine Anklage aus diesem Strafgesetze urteilenden Gerichts die Herz u. Ernst, Strafrecht der Mitttärpersonen.

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Amtshandlung, gegen welche der Angriff oder der Widerstand sich richtete, durch die Umstände geboten gewesen ist, sondern nur darauf, ob der zu Amtshandlungen solcher Art zustänoige Beamte die Voraussetzungen seines Einschreitens nach pflichtmäßigem Ermessen, nach der von ihm damals be­ hufs des einzuschlagenden Verhaltens angestellten Beurteilung der Sachlage für gegeben gehalten hat. RG. II. 29. April 1902. E. 35,211. Irrt der Beamte sich über bestehende gesetzliche Bestimmungen, so befindet er sich nicht in rechtmäßiger Ausübung seines Amtes. RG. IV. 17. Jan. 1888. R. 10,40. Im einzelnen sind folgende Entscheidungen zu erwähnen: Die Be­ amten des Polizeidienstes sind befugt, die Persönlichkeit eines Zeugen, nötigenfalls durch zwangsweise Sistierung auf das Polizeibureau, festzu­ stellen. RG. II. 25. Mai 1886. R. 8,390 und II. 19. März 1886. R. 8,204. Polizeibeamte, welche eine Person, sei es infolge besonderen Auftrags oder gemäß genereller Instruktion, sistieren sollen und zu diesem Zwecke die Wohnung eines anderen betreten, befinden sich in rechtmäßiger Ausübung ihres Amtes. RG. II. 24. Sept. 1880. E. 2,203. R. 2,248. II. 11. Jan. 1881. E. 3,185. Ein polizeilicher Exekutivbeamter ist nicht berechtigt, zur Wahr­ nehmung präventiver Funktionen (z. B. Erhaltung der öffentlichen Sicherheit) ohne weiteres in das befriedete Besitztum eines Dritten einzudringen. RG. III. 7. Nov. 1898. E. 31,307. Ebensowenig liegt eine rechtmäßige Amtsausübung eines Polizei­ beamten vor, wenn letzterer den ihm zur Durchführung eines privatrecht­ lichen Anspruchs von seiner vorgesetzten Behörde erteilten Befehl vollstreckt. RG. IV. 27. Nov. 1896. E. 29,199. Ein Schutzmann, welcher zum Zwecke der Strafverfolgung gegen eine bei Erregung ruhestörenden Lärms betroffene und der Flucht nicht ver­ dächtige Person einschreitet, jedgch die Prüfung der angebotenen Legitimation ablehnt und die Person zur Verfügung oes Weiteren der Polizeibehörde zuführt, befindet sich nicht in rechtmäßiger Ausübung seines Amtes. RG. IV. 5. April 1895. E. 27,153. Kann sich der auf frischer Tat Betroffene, welcher Namen und Wohnung richtig angibt, nicht weiter legitimieren, so ist der Polizeibeamte zur Fest­ nahme berechtigt. RG. I. 2. Mai 1895. E. 27,198. Ein Gemeindediener befindet sich nicht in rechtmäßiger Ausübung seines Amtes, wenn er im Auftrage des Amts- oder Gemeindevorstehers Ortsarme in eine zum Zwecke der Unterbringung solcher seitens der Ge­ meinde gemietete Wohnung einsetzt. RG. II. 27. Nov. 1894. E. 26,291. Die rechtmäßige Amtsausübung des mit der Zwangsvollstreckung beauftragten Gerichtsvollziehers wird von der Gültigkeit oder Rechtsbeständigkeit der von dem zuständigen Beamten erteilten Vollstreckungsklausel nicht berührt. RG. 1. Mai 1882. R. 4,418. Zu den Behältnissen, deren Durchsuchung dem Vollstreckungsbeamten zusteht, gehören die Taschen der auf dem Leibe des Täters befindlichen Kleider. RG. II. 15. Okt. 1887. R. 9,503. E. 16,218. Der Gerichtsvollzieher befindet sich in rechtmäßiger Ausübung seines Amtes, wenn er zwar prozessuale Normen der Zwangsvollstreckung (z. B. Pfändung von Sachen, welche der Pfändung nicht unterliegen) nicht ein­ hielt, jedoch nach dem ihm zustehenden Ermessen annahm und nach den Umständen des Falles sich überzeugt halten durfte, dem Gesetze gemäß zu verfahren. RG. III. 5. Nov. 1881. E. 5,296. IV. 16. April 1889. E. 19,164. Eine rechtmäßige Ausübung des Amtes liegt nicht vor, wenn ein Gerichts­ vollzieher auf Grund einer einstweiligen Verfügung, durch welche die Rück­ bringung von Sachen des Gegners des Antragstellers in die Wohnung des letzteren angeordnet ist, demjenigen wider dessen Willen mit Gewalt fort­ nehmen will, zu dem sie geschafft waren. RG. I. 19. Nov. 1894. E. 26,249.

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§ 113.

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Nach Preußischem Verwaltungsrecht handelt der Gendarm, welcher von der zuständigen Ortspolizeibehörde beauftragt ist, eine polizeiliche Anordnung durch Anwendung von Zwangsmitteln durchzusetzen, in der rechtmäßigen Ausübung seines Amtes, wenn er die zu erzwingende Handlung an Stelle des sich weigernden Verpflichteten durch einen Dritten ausführen läßt und dann behufs Zahlung der erwachsenen Kosten den Verpflichteten der Orts­ polizeibehörde zuführt. RG. II. 17. Sept. 1892. E. 23,226. 4) Gewalt im Sinne dieser Vorschrift ist Gewalt gegen die Person des Beamten. Ein gewaltsamer Widerstand kann nicht schon in einem lediglich passiven Verhalten, in dem bloßen Ungehorsam, ebensowenig aber auch in dem Bereiten von Hindernissen gegen die Ausführung der Amts­ handlung gefunden werden; es müssen vielmehr persönliche, gegen den Be­ amten gerichtete körperliche Kraftäußerungen vorliegen, welche dessen Hand­ lungsfreiheit erschweren, beschränken oder aufheben. RG. III. 5. Febr. 1881. R. 3,12. III. 11. Jan. 1883. R. 5,24. III. 7. Mai 1885. R. 7,280. Daß die Handlung direkt gegen die Person des Beamten gerichtet ist, wird nicht erfordert; es genügt, wenn sie seine Person mittelbar be­ rührt. Einschließen des Beamten stellt eine solche Handlung dar, da zu ihrer Beseitigung der Beamte eine erhöhte Körperkraft anwenden muß. RG. IV. 5. Nov. 1895. E. 27,405. Auch .der nur passiv geleistete Wider­ stand wird zum gewalttätigen, wenn die Überwindung desselben eine größere Kraftäußerung des Vollstreckungsbeamten erforderlich macht. RG. I. 1. Nov. 1880. R. 2,424, E. 2,411. III. 5. Febr. 1885. R. 7,85. 5) Zum dolus genügt das Bewußtsein des Täters, daß seine Handlung gegen einen in der Ausübung seines Amtes befindlichen Beamten gerichtet ist. Daß der Täter auch das Bewußtsein von der Rechtmäßigkeit der Amtsausübung gehabt hat, ist nicht erforderlich. RG. III. 30. Okt. 1880. E. 3,14. I. 2. Febr. 1880. R. 1,305. IV. 27. Juni 1884. R. 6,478. II. 5. Nov. 1880. R. 2,453. Ein Irrtum des Widerstand Leistenden über die Rechtmäßigkeit der Amtsausübung schließt die Anwendung des § 113 RStrGB. nicht aus. RG. II. 7. Febr. 1882. N. 4,132. Selbsthilfe ist einem in rechtmäßiger Ausübung seines Amtes handeln­ den Beamten gegenüber nicht gestattet. RG. II. 26. Jan. 1892. E. 22,300. II. 27. Febr. 1894. E. 25,iso. Es greifen die Grundsätze über den dolus eventualis Platz, so daß, wer im Zweifel an die Rechtmäßigkeit der Amts­ ausübung auf die Gefahr hin Widerstand leistet, daß der Beamte sich in rechtmäßiger Ausübung seines Amtes befindet, und diese Eventualität nicht innerlich ablehnt, sondern in seinen Willen mit aufnimmt, gegen § 113 RStrGB. verstößt. Vgl. Note 6 zu § 59 RStrGB. 6) Tätlicher Angriff ist jede in feindseliger Willensrichtung unmittelbar auf den Körper eines anderen zielende Einwirkung (z. B. Ausholen zum Schlage) ohne Rücksicht auf den Erfolg derselben. RG. I. 18. Nov. 1882. R. 4,818, E. 7,30?; vgl. auch RMGer. I. 20. Juni 1902 und 8. Sept. 1902. E. 3,107 und E. 3,229. Der tätliche Angriff braucht nicht in einer bestimmten Beziehung zur Amtshandlung zu stehen; so fällt der tätliche Angriff gegen eine zur Übung ausrückende Truppe unter § 113 RStrGB. Ob der Angriff erfolgte, um Widerstand zu leisten, ist ohne Belang. RG. I. 20. Nov. 1885. R. 7,632. 7) In der Zahl und der Wahl zu seiner Unterstützung beizuziehenden Personen ist der Vollstreckungsbeamte gesetzlich nicht beschränkt. RG. I. 10. Juli 1893. E. 25,253. 8) Siehe auch Note 6. Verabschiedete Offiziere sind nicht Mitglieder der bewaffneten Macht. RG. III. 2. Mai 1895. E. 27,193. 9) Die Ausübung des Dienstes muß eine rechtmäßige sein. RG. II. 24. Okt. 1884. E. 11,175.

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10) § 113 Abs. 3 RStrGB. ist auch anwendbar, wenn die Hilfspersonen von einen Forstbeamten, der unter dem Schutz des § 117 RStrGB. steht, zugezogen waren. RG. II. 15. Jan. 1697. E. 29,3io. n) Die Strafverfolgung verjährt in fünf Jahren, § 67 Abs. 2 RStrGB.

§ 114?) Wer es unternimmt?), durch Gewalt oder Drohung^) eine Behörde4) oder einen Beamten5) zur Vornahme oder Unterlassung einer Amtshandlung §) zu nöthigen?) wird mit Gefängniß nicht unter drei Monaten bestraft.

Sind mildernde Umstände vorhanden, so tritt Gefängnißstrafe bis zu zwei Jahren ein?) *) Der § 114 RStrGB. kaun bei Vollstreckungsbeamten nur in Frage kommen, wenn die Vollstreckungshandlung noch nicht begonnen oder wenn sie bereits vollendet war, als auf dieselbe mit Gewalt oder Drohung ein­ gewirkt wurde. War die Amtshandlung in der Vollstreckung begriffen, so kann nur § 113 RStrGB. in Frage kommen. RG. II. 4. Febr. 1881. R. 3,io. VI. 21. Okt. 1887. R. 9,525. IV. 8. Nov. 1889. E. 20,35. III. 31. Jan. 1901. E. 34,113,. Vgl. auch Note 1 zu 8 113 RStrGB. -) Uber den Begriff des Unternehmens vgl. Note 1 zu 8 105 RStrGB. 3) Zum Tatbestände gehört jede ein Übel in Aussicht stellende Drohung; Inhalt der Drohung kann auch eine nicht strafbare, ja sogar eine berech­ tigte Handlung (z. B. der öffentlichen Presse die Handlungen des Beamten zu unterbreiten) sein, sofern der Beamte durch die Drohung in eine seine Willensfreiheit beschränkende Furcht gesetzt wird, das Übel erdulden zu sollen. RG. IV. 8. Nov. 1889. E. 20,35. IV. 6. Mai 1884. N. 6,358. Vgl. RMGer. 2,3?; 2,197; 3,62. Die Drohung braucht nicht unmittelbar gegen die Behörde oder den Beamten gerichtet zu sein, erfordert wird nur, daß sie einen Zwang auf die Willensfreiheit des zu Nötigenden ausübt. RG. III. 21. Mai 1881. R. 3,318. 4) Behörde ist jedes (mittelbare oder unmittelbare) Organ des Staates, welches berufen ist, unter öffentlicher Autorität für die Herbeiführung der Zwecke des Staates tätig zu sein. RG. II. 23. Dez. 1879. R. I,i7o. I. 13. Mai 1880. R. 1,770. 5) Vgl. Note zu 8 359 RStrGB. 6) Als eine Amtshandlung stellt sich nur diejenige Handlung eines Beamten oder einer Behörde dar, welche innerhalb der örtlichen und sach­ lichen Zuständigkeit desselben gelegen und vermöge derselben vorzunehmen ist. Die Zeugnisablegung eines Beamten über amtliche Wahrnehmungen vor der zuständigen Behörde ist eine staatsbürgerliche Pflicht und keine Amtshandlung. RG. I. 24. Sept. 1888. E. 18,350. Auf die Rechtmäßigkeit der Amtshandlung kommt es nicht an. RG. I. 13. Mai 1880. N. 1,770. 7) Wegen des Dolus vgl. Note 5 zu 8 113 RStrGB. Zur Annahme eines nach 8 114 RStrGB. strafbaren Unternehmens der Nötigung durch Drohung genügt es nicht, wenn sich der Dolus des Drohenden auf das Bewußtsein von der abstrakten Möglichkeit der Vornahme einer gewissen Amtshandlung seitens des Bedrohten beschränkt. Es muß wenigstens nach der Vorstellung des Drohenden eine Amtsausübung seitens des Bedrohten in bestimmter Richtung tatsächlich zu erwarten stehn, deren Verhinderung eben oas Ziel der Drohung bildet. RG. IV. 5. März 1901. E. 34,206. 8) Die Strafverfolgung verjährt in fünf Jahren. 8 67 Abs. 2 RStrGB.

§ 115?) Wer an einer öffentlicher?) Zusammenrottung?) bei welcher eine der in den §§ 113 und 114 bezeichneten Handlungen mit

Zweiter Teil.

Einzelne Verbrechen, Vergehen usw. §§ 114—116.

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vereinten Kräften4) begangen wird, Theil nimmt/) wird wegen Auf­ ruhrs mit Gefängniß nicht unter sechs Monaten bestraft. Die Rädelsführer/») sowie diejenigen Ausriihrer, welche eine der in den §§ 113 und 114 bezeichneten Handlungen begehen, werden mit Zuchthaus bis zu zehn Jahren bestraft; auch kann auf Zulässigkeit von Polizei-Aufsicht erkannt werden. Sind mildernde Umstände vor­ handen, so tritt Gefängnißstrafe nicht unter sechs Monaten ein.6) J) Die nach §§ 115 und 125 RStGB strafbaren Vergehen stehen in Jdealkonkurrenz, nicht in Gesetzeskonkurrenz. RG. IV. 26. Jan. 1896. E. 29,n. 2) Für den Begriff der Öffentlichkeit einer Zusammenrottung genügt nicht, daß dieselbe an einem öffentlichen Orte stattfindet, sondern es muß eine unbestimmte Anzahl welcher und wievieler Personen tatsächlich in einer derartigen Nähe sein, daß eine beliebige Vermehrung der Zusammenrottung durch dieselben auch wirklich möglich ist. RMGer. II. 18. April 1902. E. 5,57. RG. IV. 14. März 1890. E. 20,298 und III. 19. Febr. 1891. E. 21,370. 3) Der Begriff der Zusammenrottung erfordert das räumliche Zu­ sammentreten oder Zusammenhalten einer Mehrheit von (mindestens zwei) Personen zu einem gemeinschaftlichen bedrohlichen bezw. gewalttätigen und in seiner Rechtswidrigkeit äußerlich erkennbaren Handeln. Teilnehmer an einer Zusammenrottung kann daher nur derjenige sein, der bewußterweise auch räumlich ein Teil der Zusammenrottung ist und sein will. RMGer. II. 18. April 1903 E. 5,57. RG. II. 1. Juni 1880. E. 2,so. III. 25. Sept. 1880. E. 3,i. III. 29. April 1886. R. 8,322. I. 22. Okt. 1885. E. 13,17. R. 7,eoc. Vgl. auch RMGer. II. 2. Juli 1902. E. 3,128. 4) Der Begriff „mit vereinten Kräften" setzt nicht voraus, daß alle Teilnehmenden bei der gegen §§ 113, 114 verstoßenden Handlung Hand angelegt haben, sondern nur, daß dieselben als Einheit aufgetreten sind, die strafbaren Handlungen im Willen Aller lagen und sie zur Mitwirkung bereit standen. RG. III. 18. Dez. 1886 R. 8,764. E. 15,217. II. 20. Jan. 1888. E. 17,47. R. 10,47. I. 6. März 1890. E. 20,303. Vgl. auch RMGer. zit. Erk. 3,128. 5) Die Teilnahme ist nicht im Sinne der §§ 47 ff. RStrGB., sondern in der mit diesem Begriffe im gemeinen Leben verbundenen Bedeutung zu verstehen. Teilnehmer an der Zusammenrottung ist ein jeder, der sich vorund mit Kenntnis von dem strafbaren Zwecke der Zusammenrottung v sammengerotteten Menge anschließt; es genügt für den strafbaren Vorsatz der Teilnehmer das Bewußtsein, daß er sich in einer zusammen­ gerotteten Menge befinde, welche strafbare Handlungen begeht, verbunden mit dem Willen, in dieser Menge und als ein Teil derselben zu bleiben. Der Beweggrund der Neugierde steht der Annahme des strafbaren Vor­ satzes der Teilnahme dann entgegen, wenn der Angeklagte sich ohne Kenntnis von dem strafbaren Zwecke der Zusammenrottung angeschlossen hat, um Zweck und Ziel derselben zu erfahren. RG. I. 1. Juli 1880. R. 2,150. IV. 16. Mai 1890. E. 20,403. IV. 20. Mai 1890. E. 20,405. 5a) Rädelsführer ist derjenige, welcher die Führung der die Tat aus­ führenden Täter hat; diese Führung kann sich in dem Zusammenbringen, Zusammenhalten der Täter, in der Bestimmung der Ausführung des Delikts, in der geistigen Leitung desselben usw. betätigen. 6) Die Strafverfolgung des Vergehens verjährt in fünf, diejenige des Verbrechens in zehn Jahren. § 67 Abs. 2 und 1 RStGB.

K

§ 116. Wird eine auf öffentlichenx) Wegen, Straßen oder Plätzen versammelte Menschenmenge^) von dem zuständigen Beamten3) oder

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Befehlshaber4) der bewaffneten Macht aufgefordert/) sich zu entfernen, so wird jeder der Versammelten, welcher nach der dritten Aufforderung6) sich nicht entfernt/) wegen Auflaufs mit Gefängniß bis zu drei Monaten oder mit Geldstrafe bis zu eintausendfünfhundert Mark bestraft. Ist bei einem Auflaufe gegen die Beamten oder die bewaffnete Macht mit vereinten Kräften thätlicher Widerstand geleistet oder Ge­ walt verübt worden, so treten gegen diejenigen, welche an diesen Hand­ lungen Theil genommen haben, die Strafen des Aufruhrs ein.8) Für den Begriff der Öffentlichkeit im Sinne dieser Vorschrift ge­ nügt es, daß die Plätze, Wege, Straßen dem allgemeinen Verkehr, dem Publikum als solchem, ohne Beschränkung auf individuell beschränkte Per­ sonenkreise zum freien Zutritte und Gebrauche überlassen sind; ob oem Orte nach den Bestimmungen des öffentlichen oder Privatrechtes die recht­ liche Natur eines öffentlichen zukommt, ist gleichgültig. RG. IV. 17. Juni 1890. E. 21,13 ii. III. 19. Febr. 1891. E. 21,370. 2) Die Aufforderung muß hier (im Gegensatz zu § 110 RStrGB.) an die versammelte Menge gerichtet sein, nicht an die einzelnen Ungehorsamen allein. RG. I. 12. Okt. 1885. E. 12,426, IV. 21. Növ. 1885. E. 13,66. 3) Niedere Polizeibeamte sind als zuständige Beamte im Sinne des § 116 RStrGB. zu erachten, wenn sie die zur Aufrechterhaltung der Ruhe und Ordnung erforderlichen Maßregeln selbständig anordnen können. In Preußen sind Gendarmen, Schutzleute, Polizeisergeanten selbständig zu solchen Aufforderungen befugt. RG. III. 15. März 1882. R. 4,248 u. 1.12. Ökt. 1885. E. 12,426. 4) An eine Charge ist die Befehlshabereigenschaft nicht geknüpft. 5) Rechtmäßigkeit der Aufforderung ist nicht vorausgesetzt. 6) Daß der Täter die von dem zuständigen Beamten erlassene drei­ malige Aufforderung selbst gehört hat, ist nicht erforderlich; es genügt die auf andere Weise erlangte Kenntnis der Tatsache, daß die Aufforderung, sich zu entfernen, dreimal erlassen ist. RG. III. 6. Nov. 1890. E. 21,m. 7) Zur Zeit der dritten Aufforderung muß noch eine Menschenmenge versammelt gewesen sein; nicht erforderlich ist, daß auch nach der dritten Aufforderung noch eine Menge zurückgeblieben ist; auch wenn die allmählich sich zerstreuende Menge mit der dritten Auffordernng bis auf die Ange­ klagten verschwunden war, bleiben letztere strafbar, wenn sie, die zu den Versammelten gehörten, sich nicht entfernten. RG. 12. Okt. 1885. E. 12,416. 8) Die Strafverfolgung verjährt im Falle des Abs. 1 in drei Jahren. § 67 Abs. 2. RStrGB.

§ 117?) Wer einem Forst-?) oder Jagdbeamten, einem Wald­ eigenthümer, Forst- oder Jagdberechtigten,3) oder einem von diesen be­ stellten Aufseher4) in der rechtmäßigen Ausübung seines Amtes oder Rechtes^)3) durch Gewalt oder durch Bedrohung mit Gewalt Wider­

stand leistet,7) oder wer eine dieser Personen während der Ausübung ihres Amtes oder Rechtes thätlich angreift,8) wird mit Gefängniß von vierzehn Tagen bis zu drei Jahren bestraft. Ist der Widerstand oder der Angriff unter Drohung mit Schieß­ gewehr,3) Aexten, oder anderen gefährlichen Werkzeugen erfolgt, oder

Zweiter Teil.

Einzelne Verbrechen, Vergehen usw.

§ 117.

Zog

mit Gewalt^) an der Person begangen worden, so tritt Gefängniß­ strafe nicht unter drei Monaten ein. Sind mildernde Umstände vorhanden, so tritt in den Fällen des Absatz 1 Gefängnißstrafe bis zu Einem Jahre, in den Fällen des Ab­ satz 2 Gefängnißstrafe nicht unter Einem Monat em.11) x) Vgl. § 113 RStrGB. und die Noten daselbst, insbesondere wegen des Dolus, des Begriffs der Gewalt und des tätlichen Angriffs. Der § 114 RStrGB. als allgemeines Gesetz ist unanwendbar, soweit sein allgemeiner Tatbestand in dem besonderen Gesetze des § 117 a. a. O. eine engere Begrenzung erfahren hat, soweit also das Unternehmen der Nötigung darin besteht, daß ein Forst- oder Jagdbeamter genötigt werden soll, eine begonnene rechtmäßige Amtshandlung zu unterlassen. Ideale Konkurrenz zwischen §§ 114 u. 117 RStrGB. ist ausgeschlossen. RG. III. 31. Jan. 1901 E. 34,113. 2) Die Beamteneigenschaft ist nach § 359 RStrGB. zu beurteilen. Oberförster, Forstassessoren und Forstreferendare sind in Preußen auch zur Wahrnehmung des Forstschutzes verpflichtet; bayrische Forstpraktikanten sind als solche nicht Forst- oder Jagdschutzbeamte. RG. I. 15. Nov. 1897. E. 30,343. 3) Nur der bei Ausübung des Forst- und Jagdschutzes einem Forst­ oder Jagdberechtigten geleistete Widerstand fällt unter § 117 RStrGB., nicht aber der bei Ausübung des Forst- oder Jagd rechts geleistete Wider­ stand, um die Ausübung dieses Rechtes zu verhindern. RG. III. 29. Mai 1880. R. 1,835. 4) Die Bestellung kann nur von dem Waldeigentümer, dem Forst- oder Jagdberechtigten erfolgen. Forstbeamte können Funktionen ihres Amtes einem Nichtbeamten nicht übertragen. Für die Gültigkeit der Bestellung des Aufsehers sind Formen nicht vorgeschrieben; die Bestellung kann münd­ lich, durch eine Mittelsperson oder einen dazu ermächtigten Vertreter, sie kann auch für eine kurz begrenzte Zeit, und selbst für einen konkreten Vor­ gang erfolgen. RG. II. 15. Jan. 1897. E. 29,3io, II. 25. April 1884. E. 10,333, III. 19. Nov. 1900. E. 34,io, I. 28. Sept./12. Okt. 1903. E. 36,393. Der Um­ stand, daß der dem bestellten Aufseher in der rechtmäßigen Ausübung seines Rechtes Widerstand Leistende nicht weiß, daß der Aufseher als solcher für denjenigen Bezirk, in welchem er sein Recht ausübte, bestellt ist, schließt oie Anwendung des § 117 RStrGB. aus. RG. IV. 27. Sept. 1887. R. 9,473. 5) Es muß sich immer um eine amtliche Tätigkeit handeln, welche auf den Schutz der Waloungen oder der Jagd abzielt. Der einem Forstbeamten bei Leitung und Beaufsichtigung von Forstkulturen, sowie der einem Wald­ aufseher, welcher sich in Ausübung des Fischereischutzes, nicht aber des Forst­ oder Jagdschutzes befindet, geleistete Widerstand fällt unter § 113, nicht unter § 117 RStrGB. RG. I. 25. Okt. 1888. R. 10,590. I. 1. Nov. 1881 E. 5,413. R. II. 7. Febr. 1882. R. 4,132. Der in einem Forstorte geleistete Wider­ stand gegen einen Forstbeamten, welcher ohne allen Zusammenhang mit seiner forstamtlichen Tätigkeit einschreitet, z. B. einen steckbrieflich verfolgten Verbrecher festnimmt, ist nach § 113, nicht nach § 117 RStrGB. zu beur­ teilen. RG. II. 13. Dez. 1892. E. 23,357. Ein Forstbeamter handelt in recht­ mäßiger Ausübung des Amtes, sofern er nur bei pflichtgemäß vorgenom­ mener Prüfung eine genügende tatsächliche Veranlassung zum Einschreiten nach den Umständen des Falles annehmen kann. RG. II. 4. Okt. 1881. R. 3,582, I. 13. Okt. 1881. R. 3,624. In Preußen sind die zum Forstschutze berechtigten Personen, soweit sie Hilfsbeamte der Staatsanwaltschaft sind, zu Durchsuchungen und Beschlagnahmen berechtigt; sind sie nicht Hilfs-

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Strafgesetzbuch für das Deutsche Reich.

beamte der Staatsanwaltschaft, so steht ihnen in den Grenzen des § 16 des Forstdiebstahlsgesetzes v. 15. April 1878 das Recht der Beschlagnahme, nicht aber die Befugnis zu, Durchsuchungen anzuordnen. RG. III. 20. Nov. 1884. E. 11,321, IV. 29. Jan. 1886. E. 13,270. Preußische Jagdbeamte (Hilfs­ jäger) sind berechtigt, den verdächtigen Jagdfrevler anzuhalten, nach ver­ steckten Jagdwerkzeugen zu durchsuchen und ihm dieselben im Falle des Widerstandes mit Gewalt abzunehmen. RG. I. 26. April 1880 R. l,6?o. Ein Förster, welcher in dem ihm unterstellten Jagdreviere außerhalb des öffentlichen Weges einen des unberechtigten Jagens verdächtigen Menschen mit Jagdgewehr wahrnimmt, ist zur Pfändung des Gewehrs berechtigt, sollte auch durch die strafbare Handlung die Einziehung des Gewehres nicht verwirkt sein. RG. II. 31. Mai 1881. R. 3,352. Das Recht, eine Person vorläufig festzunehmen, schließt das Recht in sich, auch die Sachen, welche der Festzunehmende bei sich führt, mit der Person, oder, wenn sich dieseloe der Festnahme entzieht, auch allein in Verwahrung zu nehmen. Der hier­ bei einem Oberförster geleistete gewaltsame Widerstand ist strafbar aus § 117 RStrGB. RG. II. 20. März 1883. R. 5,194. Der Jagdpolizeibeamte ist außer den Fällen der Beschlagnahme, der Befugnis zur vorläufigen Fest­ nahme und der Privatpfändung zur Wegnahme des.Gewehres auch dann berechtigt, wenn er nur hierdurch die Fortsetzung der Übertretung des § 368 Ziffer 10 RStrGB. verhindern kann. RG. II. 4. Nov. 1887. R. 9,556. In Preußen befindet sich ein nicht beeidigter angestellter Privatjagdaufseher in rechtmäßiger Ausübung seines Rechtes, wenn er bei den bei einem Jagd­ vergehen Betroffenen das Gewehr in Beschlag nimmt. RG. I. 21. Jan. 1892, E. 22,302. Der auf das Preuß. Forstdiebstahlsgesetz v. 15. April 1878 ver­ eidigte, im Privatdienste angestellte Förster ist zum Eindringen in eine Wohnung berechtigt, um die Persönlichkeit eines verfolgten Jagdfrevlers festzustellen. RG. IV. 5. Okt. 1886. R. 8,598. Der Jagdberechligte befindet sich in der rechtmäßigen Ausübung seines Rechts, wenn er einem auf frischer Tat betroffenen, ihm bekannten Jagdfrevler das Gewehr oder Jagd­ gerät abpfändet. RG. III. 16. Okt. 1890. E. 21,203. Der Jagdberechtigte, der einen anderen bei unberechtigter Jagdausübung auf seinem Jagdgebiete antrifft, ist auf Grund des § 227 BGB. befugt, ihm das Gewehr wegzu­ nehmen. RG. IV. 14. Okt. 1902. E. 35,403. 6) Ein bestellter Aufseher handelt nur in Ausübung eines Rechtes, nicht eines Amtes. RG. III. 20. Nov. 1884. E. 11,321. 7) § 117 umfaßt alle Fälle des Widerstandes oder tätlichen Angriffs gegen Forst- und Jagdbeamte, Waldeigentümer, Forst- und Jagdberechtigte und von ihnen bestellte Aufseher in Ausübung des Forst- und Jagdschutzes. Daß die Handlung, gegen welche Widerstand geleistet wird, gerade inner­ halb des Forstes oder des Jagdbezirks vorgenommen wird, oder im un­ mittelbaren Zusammenhänge mit der Verfolgung eines im Forste oder Jagdbezirke auf frischer Tat entdeckten Frevels steht, ist nicht erforderlich. RG. IV. 15. Mai 1880. E. 2,167. I. 20. Mai 1886. R. 8,367. II. 5. April 1889. E. 19,ioi. I. 19. Juni 1890. E. 21,10. II. 13. Dez. 1892. E. 23,358. Im Geltungsbereich des Preuß. Jagdpolizeiges. v. 7. März 1850 ist ein obrig­ keitlich beeideter Forstschutzbeamter auch ohne allgemeine oder spezielle An­ weisungen der Lokalpolizeibehörden zu jagdpolizeilichen Funktionen außer­ halb seines Schutzgebietes befugt. RG. II. 19. Febr. 1884. E. 1O,iog. II. 1. Okt. 1880. E. 2,306. II. 8. Dez. 1882. E. 7,272. 8) Auch bei tätlichem Angriff wird die rechtmäßige Ausübung des Amtes oder Rechtes seitens des Angegriffenen erfordert. RG. II. 30. Okt. 1880. E. 3,14. In dem Unternehmen der Einsperrung eines Forstbeamten während der rechtmäßigen Amtsausübung desselben liegt ein gegen diesen gerichteter tätlicher Angriff. RG. II. 29. Nov. 1895. E. 28,32.

Zweiter Teil.

Einzelne Verbrechen, Vergehen usw. §§ 118—120.

361

9) Daß das Schießgewehr geladen war, ist nicht erforderlich. RG. III. 25. Okt. 1883. R. 5,M3. E. 9,176. Als Drohung mit Schießgewehr kann nur ein solches bedrohliches Gebühren, zu dessen Betätigung ein dem Drohenden zur Hand befindliches Schießgewehr in irgend einer Weise in wahrnehm­ bare Beziehung tritt, nicht aber auch jedes sonstige Androhen einer — sei es bald, fet es in weiterer Zukunft — mittels Schießgewehr zu vollführen­ den Handlung bezeichnet werden. RG. II. 17. April 1896. E. 28,314. i°) Gewalt „an der Person" ist nicht gleichbedeutend mit Gewalt „gegen die Person". Während für die Gewalt gegen die Person aus­ reichend ist, daß die Vergewaltigung der letzteren bezielt worden ist, erfordert die Gewalt an der Person daß die Gewalthandlung die Person selbst ge­ troffen hat, daß also auf letztere eine Einwirkung geschehen ist. RG. II. 28. Juni 1887. E. 16,172. n) Die Strafverfolgung verjährt im Falle des Abs. 1 wie des Abs. 2 in fünf Jahren. § 67 Abs. 2 RStrGB. § 118.i)

Ist durch den Widerstand oder den Angriff eine Körper­

verletzung 2) dessen, gegen welchen die Handlung begangen ist, verursacht

worden, so ist auf Zuchthaus bis zu zehn Jahren zu erkennen.

Sind mildernde Umstände vorhanden, so tritt Gefängnißstrafe nicht

unter drei Monaten ein.3) 1) Der § 118 RStrGB. bezieht sich ausschließlich auf § 117 RStrGB.; er enthält einen straferhöhenden Umstand im Sinne der §§ 262, 264, 266 StPO.< §§ 318, 323, 326 MStrGO. zu dem Tatbestand des § 117 Abs. 2 RStrGB. RG. I. 13. April 1892. E. 23,69. 2) Das Wort Körperverletzung im § 118 RStrGB. umfaßt sowohl die körperlichen Mißhandlungen als auch die Gesundheitsbeschädigung im Sinne des §223 RStrGB. Vorsätzlichkeit der Körperverletzung ist nicht erforderlich, nur ursächlicher Zusammenhang zwischen Widerstand und Körperverletzung. RG. II. 1. Juli 1884. E. 11,24. R. 6,489. 3) Die Strafverfolgung verjährt in zehn Jahren. § 67 Abs. 1 RStrGB.

§ 119. Wenn eine der in den §§ 117 und 118 bezeichneten Handlungen von Mehreren gemeinschaftlich x) begangen worden ist, so kann die Strafe bis um die Hälfte des angedrohten Höchstbetrages, die Gefängnißstrafe jedoch nicht über fünf Jahre erhöht werden.2) 1) Die Gemeinschaftlichkeit ist nach den allgemeinen Grundsätzen der Mittäterschaft (§ 49 RStrGB.) zu beurteilen. RG. III. 8. Jan. 1896. E. 28,98. 2) Die Strafverfolgung verjährt im Falle des § 118 RStrGB. in 15 Jahren. § 67 Abs. 1 RStrGB.

§120. Wer einen Gefangenen i) aus der Gefangenanstalt2) oder aus der Gewalt der bewaffneten Macht des Beamten oder desjenigen, unter dessen Beaufsichtigung, Begleitung oder Bewachung er sich be­ findet, vorsätzlich befreit oder ihm zur Selbstbefreiung vorsätzliche) behülflich3) ist, wird mit Gefängniß bis zu drei Jahren bestraft.

Der Versuch ist strafbar.^)3) i) Gefangene sind Personen, welchen in formell gesetzlich gebilligter Weise aus Gründen des öffentlichen Interesses die persönliche Freiheit

362

Strafgesetzbuch für das Deutsche Reich.

entzogen ist und die sich zufolge dieser Freiheitsentziehung in der Gewalt der zustänoigen Behörde befinden. RG. III. 19. April 1882. R. 4,356. Unter den Begriff der Gefangenen fallen Personen, welche infolge eines gericht­ lichen Vorführungsbefehls zu einem Termine transportiert werden. RG. IV. 1. Mai 1885. E. 12,162. R. 7,273. Ferner die von der Polizeimannschaft zur Ermittelung ihres Namens usw. vorläufig Sistierten. RG. I. 12. Okt. 1885. R. 7,571. E. 12,426. Desgl. die im Sinne des § 180 MStrGO. vorläufig Festgenommenen. In Untersuchungshaft befindliche Personen sind auch während ihres Aufenthaltes in einer Krankenanstalt Gefangene, wenn sie dem Kranken­ hause als solche übergeben wurden. Der Krankenwärter gilt als mit der Beaufsichtigung solcher Kranken als Gefangenen beauftragt; gleichgültig ist, ob der Krankenwärter zur Übernahme solcher Aufsicht nach seinem Ver­ trage verpflichtet war, wenn er sich stillschweigend der Aufsicht unterzogen hat, und ebenso ist es unerheblich, ob die Verwaltung des Krankenhauses die Verantwortung für die Sicherheit des Gefangenen abgelehnt hat, wenn sie gleichwohl solche zur Bewahrung annahm. RG. I. 20. Juni 1889. E. 19,330. Der auf frischer Tat von einer Privatperson Festgenommene wird nicht durch die Festnahme, sondern erst dadurch zum Gefangenen, daß er von dem zuständigen Polizeibeamten als Gefangener übernommen wird. Der Polizeibeamte macht sich durch die pflichtwidrige Freilassung des Vor­ geführten des Vergehens aus §347 RStrGB. dann nicht schuldig, wenn er den Vorgeführten zur ferneren Beaufsichtigung und Bewachung nicht übernommen hat. RG. IV. 19. Jan. 1886. R. 8,64. E. 13,254. In ein Arbeits­ haus gemäß § 362 RStrGB. untergebrachte Personen sind Gefangene im Sinne der §§ 120-122 RStrGB. RG. III. 18. Dez. 1886. E. 15,217. 2) Jugendliche in Zwangserziehung, Fürsorgeerziehung befindliche Personen sind als Gefangene und die Besserungsanstalt ist als Gefangenen­ anstalt anzusehen, wenn die Erziehungsanstalt die Freiheit der Bewegung des Zöglings in einem das Maß der gewöhnlichen Schulzucht überschreiten­ den Umfange beschränkt und den Zögling einer schärferen, als derjenigen Aufsicht unterwirft, welcher die der Anstalt freiwillig zur Erziehung über­ wiesenen Kinder unterworfen sind. RG. I. 8. Nov. 1886. E. 15,39, R. 8,667. 2a) Vorausgesetzt wird eine Willensbetätigung, die darauf abzielt, den Gefangenen der Gewalt des Beamten durch eine unberechtigte Gegen­ wirkung gegen dessen Amtsausübung zu entziehen, sei es, daß zu diesem Zwecke körperlicher Zwang angewendet wird, sei es, daß auf den Beamten psychisch durch Bedrohung eingewirkt, oder daß er durch Täuschung zur Aufgabe der Gewalt über den Gefangenen veranlaßt werden soll; es genügt nicht, daß dem Beamten gegenüber lediglich das Verlangen kundgegeben wird, daß der Gefangene freigelassen werde. RG. IV. 16. Nov. 1900. E. 34,8. 3) Selbstbefreiung ist straflos; anders im MStrGB.; vgl. § 79 das. Der Gefangene, welcher eine andere Person dazu anstiftet, ihn zu befreien oder ihm zur Selbstbefreiung behilflich zu sein, oder welcher die mit seiner Beaufsichtigung oder Begleitung beauftragte Person anstiftet, ihn entweichen zu lassen, ist strafbar. RG. I. 29. Nov. 1880. E. 3,i40. R. 2,580. III. 13. Nov. 1882. R. 4,812. Die Hilfeleistung kann auch wie die Beihilfe des § 49 RStrGB. durch „Rat" geleistet werden. RG. II. 16. Jan. 1894. E. 25,65. 4) Auch der Versuch der Beihilfe zur Selbstbefreiung ist strafbar. Ein solcher liegt in der Hingabe von Geld-zur Anschaffung von Werk­ zeugen, welche zur Ausführung der Befreiung eines Gefangenen bestimmt sind. Unerheblich ist, daß der Geber später erklärt, seinen Willen geändert zu haben. RG. IV. 13. Sept. 1887. N. 9,724. 5) Die Strafverfolgung verjährt in fünf Jahren. § 67 Abs. 2 RStrGB.

Zweiter Teil. Einzelne Verbrechen, Vergehen usw. §§ 121,122.

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§ 121. Wer vorsätzlich einen Gefangenen/) mit dessen Beauf­ sichtigung oder Begleitung er beauftragt ist/) entweichen3) läßt oder dessen Befreiung befördert, wird mit Gefängniß bis zu drei Jahren bestraft. Ist die Entweichung durch Fahrlässigkeit4) befördert worden, so tritt Gefängnißstrafe bis zu drei Monate:: oder Geldstrafe bis zu dreihundert Mark ein?) 1) Vgl. Note 1 zu § 120 RStrGB. 2) Als beauftragt gilt auch die Privatperson, welche zur Aushilfe des ursprünglich beauftragten und momentan verhinderten Polizeibeamten die Beaufsichtigung des Gefangenen übernimmt. RG. I. 25. Sept. 1882. R, 4,?io. E. 7,103. Als beauftragt gilt auch ein Krankenwärter bezüglich der in das Krankenhaus aufgenommenen Gefangenen. Vgl. Note 1 zu 8 120 u. RG. I. 20. Juni 1889. E. 19,330. 3) Das Entweichenlassen besteht in dem unterlassenen Verhindern der Selbstbefreiung des Gefangenen, d. h. der Entziehung aus der Haft kraft eigenen Willens, die Beförderung der Befreiung in der Unterstützung der­ selben mittels positiver Tätigkeit; die Befreiung besteht in der Herbei­ führung des tatsächlichen Zustandes des Freiseins, Selbstbefreiung ist nicht erforderlich; es kann ein solcher Zustand auch ohne Wissen und Willen des Gefangenen eintreten. RG. II. 17. Nov. 1903. E. 36,402. RG. I. 2. Jan. 1882. E. 5,324. 4) Vgl. Note 10 zu § 59 NStrGB. 5) Die Strafverfolgung verjährt im Falle des Abs. 1 des § 121 in fünf, im Falle des Abs. 2 in drei Jahren. § 67 Abs. 2 RStrGB.

§ 122. Gefangene/) welche sich zusammenrotten2) und mit ver­ einten Kräften^) die Anstaltsbeamten oder die mit der Beaufsichtigung Beauftragten angreisen, denselben Widerstand leisten oder es unter­ nehmen, sie zu Handlungen oder Unterlassungen zu nöthigen, werden wegen Meuterei mit Gefängniß nicht unter sechs Monaten bestraft. Gleiche Strafe tritt ein, wenn Gefangene sich zusammenrotten und mit vereinten Kräften einen gewaltsamen Ausbruch4) unternehmen?) Diejenigen Meuterer, welche Gewaltthätigkeiten gegen die An­ staltsbeamten oder die mit der Beaufsichtigung Beauftragten verüben, werden mit Zuchthaus bis zu zehn Jahren bestraft; auch kann auf Zulässigkeit von Polizei-Aufsicht erkannt werden?) Vgl. Note 1 zu § 120 RStrGB. 2) Über den Begriff der Zusammenrottung vgl. § 115 RStrGB. Note 3. „ 3) Über den Begriff: „mit vereinten Kräften" vgl. § 115 RStrGB. Note 4. 4) Zum Begriff des Ausbruchs gehört, daß der Zusammenhang der äußeren Umschließung gewaltsam aufgehoben wird. RG. I. 22. Okt. 1895. E. 27,397. In der Benutzung eines falschen Schlüssels liegt keine Gewalt­ anwendung. RG. II. 20. Jan. 1888. R. 10,48. 5) Vgl. im übrigen über den Tatbestand des gewaltsamen Ausbruchs RG. III. 29. April 1886. R. 8,322. III. 18. Dez. 1886. R. 8,7&i. E. 15,217. II. 20. Jan. 1888. E. 17,47.

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Strafgesetzbuch für das Deutsche Reich.

6) Die Strafverfolgung verjährt im Falle des Abs. 1 und 2 in fünf Jahren, im Falle des Abs. 3 in zehn Jahren. § 67 Abs. 2 und Abs. 1 RStrGB.

Siebenter Abschnitt. Berbrechen und Vergehen wider die öffentliche Ordnung. § 123. 2Berla) in die Wohnung,1) in die Geschäftsräume?) oder in das befriedete Besitztum3) eines Anderer/) oder in abgeschlossene3) Räume, welche zum öffentlichen Dienst bestimmt sind/) widerrechtlich7) eindringt/) oder wer, wenn er ohne Befugniß9) darin verweilt,10) auf die Aufforderung11) des Berechtigten1?) sich nicht entfernt,13) wird wegen Hausfriedensbruches mit Gefängniß bis zu drei Monaten oder mit Geldstrafe bis zu dreihundert Mark bestraft. Die Verfolgung tritt nur auf Antrags) ein. Ist13) die Handlung von einer mit Waffen versehenen13) Person oder von Mehreren17) gemeinschaftlich13) begangen worden, so tritt Gefängnißstrafe von Einer Woche bis zu Einem Jahre ein.19) la) Begeht ein Gendarm während der Ausübung seines Amtes einen Hausfriedensbruch, so kommt auch Vergehen gegen § 342 RStrGB. als ioeal konkurrierendes Vergehen in Frage. RMGer. PE. III. Nr. 151. x) Unter Wohnung versteht das Gesetz den Inbegriff derjenigen Räum­ lichkeiten, welche einer Einzelperson oder einer zusammengehörenden Mehr­ heit von Personen, einer Familie, zum ständigen Aufenthalt dienen oder zur Benutzung freistehen. RG. I. 16. April 1885. E. 12,132. Leerstehende Wohnungen sind rechtlich nicht Wohnungen im Sinne des § 123 RStrGB. In der Bestimmung zur Nachtruhe liegt kein unerläßliches Merkmal für den Begriff der Wohnung, wohl aber bilden Schlafeinrichtungen ein be­ sonderes wichtiges Kennzeichen, um Räumlichkeiten die Eigenschaft von Wohnräumen zu gewähren. Ein Schäferkarren ist keine Wohnung, weil er nur zum Nächtigen dient. Auch eine bewegliche Sache kann eine Woh­ nung sein, z. B. ein zum Wohnen eingerichtetes Schiff, ein Künstlerwagen. RG. II. 22. Jan. 1886. E. 13,312. R. 8,83. Auch durch widerrechtliches Ver­ weilen auf Flur und Treppe usw. einer Wohnung ohne Betreten der letzteren kann Hausfriedensbruch begangen werden. RG. III. 10. Dez. 1879. E. 1,121. 2) Vorausgesetzt ist eine Räumlichkeit, die durch einen maßgebenden Willen wesentlich, hauptsächlich und auch für eine gewisse zeitliche Dauer zur Betreibung gewerblicher, wissenschaftlicher, künstlerischer oder ähnlicher Geschäfte bestimmt worden ist und dieser Bestimmung gemäß auch ver­ wendet wird. Der Betrieb solcher Geschäfte kann auch in Räumen statt­ finden, welche beweglich sind (z. B. in der Kajüte, dem Kassenzimmer, Buffetraum eines Schiffes, im Nestaurationswagen eines Eisenbahnzuges, im Wagen eines Landmannes, von welchem aus derselbe seine Waren auf dem Markte verkauft. RG. II. 22. Jan. 1886. E. 13,312. R. 8,82. Ein Straßenbahnwagen ist lediglich Transportmittel und nicht Geschäftsraum. RG. III. 13. Nov. 1899. E. 32,371 und zit. Erk. 13,312. 3) Unter befriedetes Besitztum kann nur unbewegliches Gut verstanden werden. Vgl. das zu Note 2 zit. Erk. d. RG. Befriedet ist das Besitztum, wenn es in äußerlich erkennbarer Weise mittels zusammenhängender Schutz­ wehren gegen das beliebige Betreten durch andere gesichert ist. RG. II. 12. Dez. 1884. E. 11,293. Daß die Schutzwehr oder Einfriedigung Lücken

Zweiter Teil.

Einzelne Verbrechen, Vergehen usw.

§ 123.

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hat, ist unerheblich. RG. III. 16. März 1881. N. 3,143. Einer besonderen Einhegung bedarf es nicht, wenn eine jedermann erkennbare Zugehörigkeit eines Grundstücks zu den in § 123 RStrGB. als Gegenstand des Schutzes bezeichneten Wohnungen, Geschäftsräumen — wie z. B. bei Hausgärten, Hofplätzen — vorliegt; dann ist oas Besitztum als Teil der Wohnung usw. ein befriedetes. RG. III. 16. März 1881. R. 3,143. IV. 28. Nov. 1889. E. 20,150. Unter diesen Voraussetzungen kann ein Neubau oder ein Teil eines Hauses, eine leer stehende Wohnung ein befriedetes Besitztum sein. RG. III. 12. Nov. 1888. R. 10,638. Ein räumlicher oder wirtschaftlicher Zusammenhang des befriedeten Besitztums mit einem Gebäude ist nicht erforderlich. RG. II. 12. Dez. 1884. E. 11,293. III. 12. Nov. 1888. R. 10,368. IV. 33. Nov./3. Dez. 1889. E. 20,i50. II. 30. Okt. 1903. E. 36,395. 4) Der „Andere" braucht nicht der Eigentümer zu sein, er muß nur ein an den Räumen Berechtigter oder näher Berechtigter sein, als der Täter; der Mieter ist, selbst wenn an ihn mit Grund die Kündigung der Wohnung und Aufforderung zur Räumung ergangen ist, bis er die Woh­ nung gutwillig oder infolge Zwanges auf dem Rechtswege räumt, gegen den Hausfriedensbruch des Vermieters geschützt. RG. II. 24. Febr. 1880. E. 1,222. IV. 16. Juni 1903. E. 36,322. 5) D. h. baulich begrenzt. 6) D. h. Räume, die zur Vornahme einer amtlichen oder unter amtlicher Aufsicht stehenden Tätigkeit bestimmt sind; sie können beweglich sein (z. B. Dienstabteil, Gepäckwagen). Die einzelnen, wenn auch räumlich von ein­ ander abgeschlossenen Lokalitäten, Zellen eines Gefängnisses, sind unter sich je als „abgeschlossene, zu öffentlichen! Dienst bestimmte Räume" nicht an­ zusehen. RG. IV. 18. Febr. 1896. E. 28,192. 7) Widerrechtlich ist das Eindringen, wenn ein entsprechendes, event, dem Eindringenden zustehendes stärkeres Recht zum Betreten der fremden Woh­ nung usw. nicht besteht, das Eindringen gegen das objektive Recht verstößt; ein widerrechtlicher Zweck, zu dessen Erreichung die fremde Wohnung be­ treten werden soll, macht für sich allein das Eindringen noch nicht zu einem widerrechtlichen, er wird jeooch regelmäßig die Zustimmung des Berechtigten zu diesem Betreten ausschließen/darum auch dem Täter zum Bewußtsein bringen, daß er die Wohnung nur gegen den Willen des Berechtigten be­ treten kann und deshalb zur Begründung der Widerrechtlichkeit objektiv und subjektiv geeignet sein. RG. I. 16. April 1885. E. 12,132. IV. 17. März 1896. E. 28,269. Die objektive Widerrechtlichkeit bedarf der ausdrücklichen Feststellung gemäß § 326 MStrGO. 8) Ein Eindringen liegt nicht nur vor, wenn dem Eintritte entgegenstehende Hindernisse überwunden werden, sondern auch dann, wenn der Eintritt gegen den bekannten oder auch nur vermuteten oder zu vermutenden Willen des Berechtigten oder seines Stellvertreters geschieht. RG. I. 16. April 1885. E. 12,132. Der Dolus besteht in dem Wissen und Wollen des gesamten Deliktsbestandes; neben der Vorsätzlichkeit der Handlung wird das Bewußt­ sein des Eindringenden erfordert, daß sein Eintritt gegen den Willen des Berechtigten erfolge. RG. II. 30. Sept. 1881. E. 5,109. Daß dem wider­ rechtlichen Eindringen eine diebische Absicht zugrunde lag, schließt den Tatbestand des Hausfriedensbruches nicht aus. RG. I. 1. Mai 1884. E. 11,166. Vgl. auch Note 13 d. § am Ende. Ist zugleich der Tatbestand des versuchten oder vollendeten Diebstahls gegeben, so liegt Gesetzeskonkurrenz vor: 242 ff. RStrGB. sind allein an­ wendbar. 9) „Ohne Befugnis" hat im Sinne des § 123 RStrGB. dieselbe Be­ deutung wie rechtswidrig. RG. IV. 22. Dez. 1885. E. 13,189, vgl. oben Note 7. Das Verweilen eines Dienstboten in der Herrschaftswohnung wird unbefugt, wenn der Aufforderung, sich zu entfernen, die sofortige Dienst-

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Strafgesetzbuch für das Deutsche Reich.

entlassung, soweit letztere ohne Aufkündigung gesetzlich zulässig ist, un­ mittelbar vorherging. RG. VI. 3. Nov. 1879. R. 1,33; ebenso das Verweilen eines Gesellen, selbst wenn der Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis unge­ rechtfertigt löst, da der Geselle nach §§ 121 ff. GewO, auch in einem solchen Falle zum weiteren Verweilen in den Räumen des Arbeitgebers nicht be­ rechtigt ist. Dagegen kann das bestehende Recht eines Dritten in den Räumen eines anderen nicht lediglich durch die Aufforderung des letzteren, sich zu entfernen, gelöst werden. RG. III. 12. Nov. 1881. E. 5,235. Das Verweilen des Vermieters, der sich den freien Eintritt in das vermietete Besitztum vorbehalten hat, wird nach Aufforderung des Mieters, sich zu entfernen, ein unbefugtes, wenn er zum Zwecke der Begehung einer das Vertragsrecht des Mieters verletzenden Handlung in das vermietete Besitztum eingetreten ist. RG. II. 6. Mai 1881. E. 4,124. Das Recht des Gastes zum Verweilen in einer Gastwirtschaft usw. dauert nicht länger, als nach billigem Ermessen und vernünftiger Auslegung des beiderseitigen Vertragswillen zur Erfüllung des vereinbarten Zwecks (Verzehrung der gelieferten Speisen usw.) notwendig ist; nachher ist der Inhaber des Lokals berechtigt, das längere Verweilen zu untersagen. RG. III. 18. Juni 1881. E. 4,323. 10) Derjenige, welcher nicht unbefugt in eine Wohnung usw. einge­ treten ist, macht sich erst dann eines Hausfriedensbruches schuldig, wenn er nach der ersten Aufforderung des Berechtigten, sich zu entfernen, nach einer zweiten Aufforderung noch länger verweilt. RG. II. 30. Sept. 1881. E. 5,109. Der durch widerrechtliches Eindringen begangene Hausfriedensbruch etzt sich durch Verweilen fort, auch ohne daß eine Aufforderung zur Ent­ fernung ergeht. RG. II. 4. Mai 1885. E. 12,188. Weitere strafbare Hand­ ungen des Täters im Hause konkurrieren daher stets ideal mit Haus­ friedensbruch. n) Es bedarf, abgesehen von der Aufforderung, die das Verweilen eines Berechtigten zum unberechtigten macht, nur einer Aufforderung. RG. II. 30. Sept. 1881. E. 5,109. 12) Berechtigt ist zunächst jeder, dessen Rechtsbefugnisse an der Wohnung, dessen Hausrecht (Besitz) verletzt wird. RG. 3. Nov. 1879. R. II. 1,33. Es steht dem Mieter gegenüber dem Vermieter zu, auch wenn der Mieter über die Mietszeit in der Wohnung verweilt. RG. II. 6. Mai 1881. E. 4,121. III. 6. Juni 1889. E. 19,298. Bei einer Wohnung ist das Familienhaupt der Träger des Hausrechts; insofern aber bestimmte Räume ausschließend oder zu bestimmten Zwecken einzelnen Personen aus dem Hausstande des Wohnungsinhabers zur Benutzung angewiesen sind, gelten diese Personen während der Dauer der Benutzung als die natürlichen Stellvertreter des Wohnungsinhabers und sind berechtigt, während sie solche Räume inne haben, das Hausrecht auszuüben. RG. I. 16. April 1885. E. 12,132. Berechtigt ist auch der Mitberechtigte, z. B. der Mieter mit Bezug auf die ihm zur Mitbenutzung gestellten Räume (Treppen, Flure usw.). RG. II. 3. Nov. 1879. R. 1,33. III. 10. Dez. 1879. E. 1,121. Wer vom Wirt die Erlaubnis zur Abhaltung einer Versammlung eine Räumlichkeit zur Verfügung gestellt erhalten hat, ist zur Ausübung des Hausrechts in dieser Räumlichkeit befugt. RG. II. 19. Mai 1893. E. 24,194. Dem Pächter einer Bahnhofswirtschaft steht das Recht des Hausrechts in Warteräumen, in welchen die Bahnhofswirtschaft sich befindet, nicht zu. RG. I. 23. März 1903. E. 36,188. Eine natürliche Stellvertretung in der Ausübung des Hausrechts ist zulässig, z. B. für den Fall der Abwesenheit des eigentlichen Trägers des Hausrechts, durch die Ehefrau desselben, die Kinder, Pro­ kuristen usw. 13) Es wird das Bewußtsein des Täters von der mangelnden Be­ fugnis des längeren Verweilens erfordert. RG. II. 3. Nov. 1879. R. 1,33,

Zweiter Teil.

Einzelne Verbrechen, Vergehen usw.

§ 123.

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sowie das Bewußtsein non der vorhandenen Berechtigung des Auffordernden. RG. II. 27. April 1880. E. 1,398. Wenn der Täter sich auf Aufforderung des Berechtigten nicht sofort, sondern nach kurzem Zögern entfernt, so ist es Sache tatsächlicher Ent­ scheidung, ob er sich mit der Aufforderung in Widerspruch setzt und Haus­ friedensbruch begeht. RG. III. 28. April 1880. R. 1,689. Die einzelnen Momente des Dolus sind nur dann ausdrücklich festzustellen, wenn sie aus­ drücklich bestritten werden, oder sonst zweifelhaft erscheinen. RG. III. 18. Jan. 1883. E. 8,44 und Note 11 zu § 59 NStrGB. 14) Antragsberechtigt ist der Verletzte, d. h. der Träger des Haus(Besitz-)rechts, also der zur Verfügung über die Räumlichkeiten Berechtigte oder Mitberechtigte; bei mehreren Mitinhabern einer Wohnung ist jeder berechtigte Mitinhaber zur Aufforderung und zur Stellung des Straf­ antrags befugt. Antragsberechtigt ist der Mieter auch hinsichtlich des ge­ meinschaftlichen Hausflures usw. RG. II. 3. Nov. 1879. R. 1,33; dagegen nicht der Richter hinsichtlich oes Terminszimmers, der Lehrer hinsichtlich des Klassenzimmers, sondern nur der Vorstand des Gerichts bezw. der Schule. Vgl. Olsh., Note 22 zu § 123 RStrGB. 15) Abs. 3 enthält straferschwerende Momente im Sinne der §§ 323, 326 MStrGO. 1G) Waffe ist nicht im technischen Sinne zu nehmen, sondern darunter jedes gefährliche Werkzeug zu verstehen. RG. III. 18. Jan. 1883. E. 8,44. I. 22. Nov. 1888. R. 10,683. Das bloße tatsächliche Beisichtragen einer Waffe genügt nicht, der Täter muß sich dieses Umstandes bewußt sein. RG. eit. 8,44. IV. 17. März 1896. E. 28,269. RMGer. PE. IV. Nr. 158. Rechtlich belanglos ist der Zweck, zu welchem der Täter die Waffe trägt; ob er z. B. die Waffe zufällig bei sich führt oder vermöge seines Amtes oder Berufes zum Tragen dienstlich verpflichtet ist. RG. III. 23. Nov. 1899. E. 32,402. RMGer. PE. III, Nr. 151. Die Handlung ist auch dann von einer mit Waffen versehenen Person begangen, wenn der Täter, nachdem er eingedrungen ist, eine Waffe er­ greift, um sich in dem durch das Eindringen ermöglichten, unberechtigten Verweilen zu erhalten, RG. III. 4. Mai 1885. E. 12,183, oder der Täter zur Erzwingung des Eintritts sich der Waffe bedient, diese aber in die Räumlichkeit nicht mit hinein nimmt. Mit Waffen versehen ist nicht nur, wer sie offen und sichtbar trägt, sondern auch wer sie verborgen mit sich führt. RG. III. 18. März 1897. E. 30,78. Vgl. übrigens auch RMGer. PE. V. Nr. 121. 17) Unter „Mehreren" ist lediglich „mehr als eine Person" zu verstehen. RG. I. 11. Juli 1887. E. 16,173. 18) Erfordert wird gemeinschaftliche Begehung der Tat von „Mehreren" in Mittäterschaft, vgl. Note 3 a—8 zu § 47 RStrGB.; bloße gleichzeitige Be­ gehung genügt nicht. RG. III. 16. Okt. 1880. E. 3,7. RMGer. PE. II. Nr. 176. Die gemeinschaftliche Ausführung erfordert neben dem Täterdolus eines jeden Mittäters ein bewußtes und gewolltes Zusammenwirken der Täter, mag dasselbe nun aus ausdrücklicher Verabredung oder auf still­ schweigendem Einverständnis beruhen. RG. III. 17. Dez. 1881. E. 5,3og, I. 30. Juni 1892. E. 23,197. Ob diese Verständigung kürzere oder längere Zeit (Komplott) oder erst unmittelbar während der Ausführung der Tat stattgefunden hat, ist für die Frage der Mittäterschaft unerheblich. RG. III. 1. Juli 1883. R. 7,453. Die bloße Kenntnis des einen der Täter, daß der andere ebenfalls Täterakte vornimmt, genügt nickt zur Annahme der Mit­ täterschaft, schließt vielmehr die Möglichkeit, daß jeder einzelne dieser Täter für sich und unabhängig von dem andern handelt, nicht aus. RMGer. PE. III. Nr. 141; vgl. ferner Note 7 zu 8 47 RStrGB.

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Strafgesetzbuch für das Deutsche Reich.

19) Die Strafverfolgung verjährt im Falle des Abs. 1 in drei, im Falle des Abs. 3 in fünf Jahren, § 67 Abs. 2 RStrGB.

§ 124. Wenn sich eine Menschenmenge4) öffentlich'^) zusammenrottet3) und in der Absicht, Gewaltthätigkeiten gegen Personen4) oder Sachen mit vereinten Kräften3) zu begehen, in die Wohnung/) in die Geschäftsräume7) oder in das befriedete Besitzthum3) eines Anderen oder in abgeschlossene Räume, welche zum öffentlichen Dienst bestimmt sind/) widerrechtlich eindringt/o) so wird Jeder, welcher an diesen Handlungen Theil nimmt/9 *) mit Gefängniß von Einem Monat bis zu zwei Jahren bestraft.41)

4) Vgl. Note 3 zu Z 85 RStrGB. 2) Vgl. Note 2 zu 8115 RStrGB. 3) Vgl. Note 3 zu 8 115 RStrGB. 4) Vgl. Note 4 zu 8 H3 RStrGB. 5) Vgl. Note 4 zu 8 115 RStrGB. 6) Vgl. Note 1 zu 8 123 RStrGB. 7) Vgl. Note 2 zu 8 123 RStrGB. 8) Vgl. Note 3 zu 8 123 RStrGB. 9) Vgl. Note 5 und 6 zu 8 123 RStrGB10) Vgl. Note 7 und 8 zu 8 123 RStrGB. Zum subjektiven Tat­ bestand des 8 124 RStrGB. gehört außer dem Bewußtsein des widerrecht­ lichen Eindringens in die bezeichneten Räume: a) das Bewußtsein, an der öffentlichen Zusammenrottung einer Menschenmenge teilzunehmen, b) die Absicht, Gewalttätigkeiten gegen Personen oder Sachen mit vereinten Kräften zu begehen. Diese letztere über den objektiv begangenen Haus­ friedensbruch hinaus auf Landfriedensbruch gerichtete Absicht bildet ein die Strafbarkeit erhöhendes (8§ 323, 326 MStrGO.), für den Hausfriedens­ bruch lediglich subjektiv in Betracht kommendes Tatbestandsmerkmal und deckt sich nicht mit dem den einfachen objektiven Tatbestand umfassenden Vorsatze des widerrechtlichen Eindringens. RG. IV. 12. März 1889. E. 19,72. 10») Keine Teilnahme im Sinne des 8 47 RStrGB.; vgl. Note 5 zu 8 115 und Note 9 zu 8 125 RStrGB. n) Die Strafverfolgung verjährt in fünf Jahren, 8 67 Abs. 2 RStrGB. § 125. Wenn sich eine Menschenmenge4) öffentlich2) zusammen­ rottet3) und mit vereinten Kräften4) gegen Personen3) oder Sachen Gewaltthätigkeiten3) begeht/) so wird Jeder, welcher an dieser Zu­ sammenrottung3) Theil nimmt/) wegen Landfriedensbruches mit Ge­ fängniß nicht unter drei Monaten bestraft. Die 10) Rädelsführer,44) sowie diejenigen, welche Gewaltthätigkeiten gegen Personen begangen oder Sachen geplündert,4?) vernichtet43) oder zerstört44) haben, werden mit Zuchthaus bis zu zehn Jahren bestraft; auch kann auf Zulässigkeit von Polizei-Aufsicht erkannt werden. Sind mildernde Umstände vorhanden, so tritt Gefängnißstrafe nicht unter sechs Monaten ein.43)43) 4) Vgl. Note 3 zu 8 85 RStrGB. 2) Vgl. Note 2 zu 8 115 RStrGB.

Zweiter Teil.

Einzelne Verbrechen, Vergehen usw.

§§ 124,125.

369

3) Vgl. Note 3 zu § 115 RStrGB. 4) Vgl. Note4 zu § 115 RStrGB. 5) Vgl. Note 4 zu 8 113 RStrGB. 6) Auf den Erfolg und Umfang der Gewalttätigkeiten kommt es nicht an. RG. III. 3. Febr. 1882. E. 5,377. I. 29. Nov. 1897. E. 30,391. 7) Die Gewalttätigkeiten müssen rechtswidrige sein. Daß die ge­ samte Menschenmenge ihre Absicht mit vereinten Kräften betätigt, ist nicht erforderlich; es genügt, wenn einzelne von dieser Menschenmenge die zur Erreichung des gemeinschaftlichen Zwecks erforderlichen Handlungen vor­ nehmen; es erscheint die einzelne Gewalttätigkeit des einzelnen Teilnehmers als die Tat der zusammengerotteten Menge. RG. I. 29. Nov. 1897. E. 30,391. I. 6. März 1890. E. 20,303. 8) Die räumlich vereinigte Menschenmenge muß das gemeinschaftliche Bewußtsein besitzen, daß es zu Gewalttätigkeiten kommen werde oder kommen könne, dem ungeachtet aber auf die Möglichkeit solchen Erfolges hin zusammenhalten. RG. III. 3. Febr. 1882. E. 5,377. I. 29. Nov. 1897. E. 30,391. 9) Vgl. Note 5 zu § 115 RStrGB. Einer Verabredung bedarf es zur Teilnahme an einer Zusammenrottung nicht; wichtig ist erstere als Indiz für die Absicht einer Teilnahme. Teilnahme ist nicht im Sinne des 8 47 RStrGB., sondern in der mit diesem Begriff im gemeinen Leben ver­ bundenen Bedeutung zu verstehen. Teilnehmer ist jeder, der sich vorsätzlich und mit Kenntnis von dem strafbaren Zwecke der Zusammenrottung der zusammengerotteten Menge anschließt; nicht erforderlich ist, daß auch eine Beteiligung an der Begehung der Gewalttätigkeiten stattgehabt hat. Wie lange die Teilnehmer sich in der Menge befunden haben, insbesondere, ob sie gerade in dem Augenblicke an der Zusammenrottung teil genommen haben, als zu Gewalttätigkeiten übergegangen wurde, ist nicht von ent­ scheidender Bedeutung. Für den Vorsatz genügt das Bewußtsein, sich in einer zusammengerotteten Menge zu befinden, welche gegen Personen oder Sachen Gewalttätigkeiten begeht oder begehen wird oder kann, verbunden mit dem Willen, in dieser Menge und als ein Teil derselben zu bleiben. Beweggrund der Neugierde entschuldigt nicht. RG. IV. 16. Mai 1890. E. 20,403. IV. 20. Mai 1890. E. 20,405. III. 16. März 1903. E. 36,174. I. 29. Nov. 1897. 6.30,391. Die bloße Teilnahme an einer Zusammenrottung schließt das Vorhandensein von Notwehr auf feiten eines Teilnehmers an sich nicht aus. RMGer. II. 18. April 1903. E. 5,57. lü) Abs. 2 enthält straferhöhende Umstände im Sinne der 88 323, 326 MStrGO. n) Vgl. Note 5a zu 8 115 RStrGB. 12) D. h. unter Benutzung des infolge des Landfriedensbruchs ent­ standenen Schreckens in der Absicht der rechtswidrigen Zueignung weg­ genommene oder abgenötigte Sachen derjenigen Personen, gegen welche sich der Landfriedensbruch richtet. Vgl. auch 8 129 Note 5—9 MStrGB. 13) D. h. völlig beseitigt, so daß sie zu existieren aufhören. RG. II. 4. März 1881. E. 3,370. I. 3. Juli 1882. R. 4,670. 14) D. h. die Sache soweit beschädigt, daß sie dadurch für ihren Zweck völlig unbrauchbar, also ihrem Wesen nach aufgehoben wird. RG. II. 9. Febr. 1883. E. 8,33. III. 26. Juni 1884. R. 6,477. Die Zerstörung kann auch eine teilweise sein, wenn einzelne Bestandteile der Sache, denen eine selbständige Gebrauchsbestimmung innewohnt, hierfür / unbrauchbar gemacht sind, oder wenn die Sache für einzelne ihrer Zweckbestimmung bezw. für eine gewisse ursprünglich mit ihr verbundene Äebrauchsart unmöglich ge­ macht ist. RG. III. 4. Mai 1885. R. 7,274. 15) Wegen Jdealkonkurrenz mit 8 115 RStrGB.; vgl. RG. IV. 26. Juni 1896. E. 29,n.

Herz u. Ernst, Strafrecht der Militärpersonen.

24

370

Strafgesetzbuch für das Deutsche Reich.

16) Es verjährt die Strafverfolgung aus Abs. 1 § 125 RStrGB. in fünf, aus Abs. 2 in zehn Jahren, § 67 RStrGB.

§126?) Wer durch Androhung^) eines gemeingefährlichen Verbrechens^) den öffentlichen Friedens stört?) wird mit Gefängniß bis zu Einem Jahre bestraft?) 1) Vergehen des sogenannten Landzwangs. 2) Vgl. Note 6 zu § 48 RStrGB. Die Androhung ist nur strafbar, wenn durch sie der öffentliche Frieden gestört wird. RG/I. 22. Dez. 1886. E. 15,iig. I. 7. Febr. 1889. E. 18,406. 3) D. h. eines der im Abschn. 27 vorgesehenen Delikte. 4) Der öffentliche Friede besteht in dem Zustande des beruhigenden Bewußtseins der Staatsangehörigen, in ihren durch die Rechtsordnung gewährleisteten, berechtigten Interessen geschützt zu sein und zu bleiben. RG. I. 22. Dez. 1886. E. 15,ii6. I. 24. Okt. 1881. R. 3,632. I. 7. Febr. 1889. E. 18,406. 5) Es muß in einer Mehrheit von Personen — nicht nur in einer einzelnen — durch die Drohung die Besorgnis erregt sein, daß die ihm durch die Rechtsordnung gewährleisteten Interessen nicht genügend geschützt sind, bezw. bleiben. Eine wirkliche Störung dieses Sicherheitsbewußtseins kann aber nur dann eingetreten sein, wenn in oer Drohung eine naheliegende Gefahr, daß sie verwirklicht werde, zu erkennen ist. RG. I. 22. Dez. 1886. E. 15,116. I. 2. Okt. 1882. E. 7,393. Eine Androhung stört nur den öffent­ lichen Frieden, wenn sie unter einem Teile der Bevölkerung Verbreitung gefunden hat, mag sie auch nur gegenüber einem einzelnen ausgesprochen worden sein. Der Dolus besteht in dem Wissen und Willen sämtlicher Deliktsmerkmale; der Täter muß das Bewußtsein haben, daß die Drohung geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören. RG. I. 2. Okt. 1882. E. 7,393. Daß der Täter sich bewußt ist, daß die Drohung ein gemeingefährliches Verbrechen des Abschn. 27 RStrGB. enthält, ist nicht nötig. 6) Die Strafverfolgung verjährt in fünf Jahren, § 67 Abs. 2 RStrGB. Vgl. auch § 22 des Preßgesetzes v. 7. Mai 1874.

§ 127. Wer unbesugterweis?) einen bewaffneten2) Haufens bildet oder befehligt, oder eine Mannschaft?) von der er weiß, daß sie ohne gesetzliche Besugniß gesammelt^) ist, mit Waffen?) oder 6) Kriegsbedürfnisser?) versieht, wird mit Gefängniß bis zu zwei Jahren be­ straft.^) Wer sich einem solchen bewaffneten Haufens anschließt?) wird mit Gefängniß bis zu Einem Jahre Bestraft.10). 1) D. h. gegen ein gesetzliches oder obrigkeitliches Verbot. 2) Erfordert werden Waffen im technischen Sinne, d. h. zum Angriff bestimmte Schuß-, Hieb-, Stichwaffen. Eine „Bewaffnung" liegt nicht vor, wenn es sich nur um einen Transport handelt, dessen Gegenstand zufällig eine Waffe ist. RG. I. 22. Nov. 1888. R. 10,683. 3) D. h. eine eng aneinanderschließende Menschenmenge. 4) D. h. eine Mehrheit von Militär- oder Zivilpersonen, welche ent­ weder schon diszipliniert sind, oder es werden sollen. 5) Eine örtliche Versammlung ist nicht erforderlich, es genügt die Heranziehung einzelner behufs gemeinsamen Handelns. 6) Strafbar ist auch das Versehen einer bereits bewaffneten Mann­ schaft mit Kriegsbedürfnissen.

Zweiter Teil.

Einzelne Verbrechen, Vergehen usw.

§§ 126—128.

371

7) Vgl. Note 7 zu § 58 MStrGB. 8) Im Sinne des Abs. 2 des § 127 RStrGB. gehört dazu auch die gesammelte Mannschaft. 0) Anschließen setzt die gleiche Willensrichtung mit den den Haufen bildenden Personen voraus. Ein Anschließen liegt auch vor, wenn der Haufen erst durch das Zusammentreten Mehrerer gebildet wird. Der sich Anschließende braucht nicht bewaffnet zu sein. RG. I. 3. Jan. 1898. E. 30,393. 10) Die Strafverfolgung verjährt in fünf Jahren. § 67 Abs. 2 RStrGB.

§ 128. Die Theilnahmean einer Verbindung?) deren Dasein, Verfassung oder Zwecks vor der Staatsregierung geheim gehalten werden soll?) oder in welcher gegen unbekannte Obere Gehorsam oder gegen bekannte Obere unbedingter Gehorsam versprochen wird, ist an den Mitgliedern mit Gefängniß bis zu sechs Monaten, an den (Stiftern5) und Vorstehern der Verbindung mit Gefängniß von Einem Monat bis zu Einem Jahre zu bestrafen.6)7) Gegen Beamte kann aus Verlust der Fähigkeit zur Bekleidung öffentlicher Aemter auf die Dauer von Einem bis zu fünf Jahren er­ kannt werden. x) Das Gesetz hat nur für Mitglieder, Stifter, Vorsteher Strafen festgesetzt, damit sind alle Arten der Teilnahme erschöpft. Für den Begriff der Mitgliedschaft ist die Unterordnung unter einen Gesamtwillen und eine gewisse Dauer erforderlich; als Mitglied einer Verbindung kann nur an­ gesehen werden, wer mit Unterordnung seines Willens unter denjenigen der Verbindung und in fortdauernder Weise, nicht bloß vorübergehend einmal oder vereinzelte Male für die Zwecke der Verbindung tätig wird. Von einer ausdrücklichen Beitritts- oder Aufnahmeerklärung, von einer besonderen statutenmäßigen Ordnung der Voraussetzungen für Erwerb und Verlust der Mitgliedschaft ist letztere nicht bedingt. RG. IV. 17. Okt. 1893. E. 24,328. 2) Verbindung bezeichnet jede organisierte Vereinigung von einer ge­ wissen Dauer, welche die Unterordnung ihrer Mitglieder unter den Ge­ samtwillen für die Dauer der Mitgliedschaft voraussetzt, wobei jedoch der Beitritt und die Unterordnungserklärung zusammenfallen und durch kon­ kludente Handlungen ausgedrückt und zugleich die Gründung der Ver­ bindung vollzogen werden kann. RG. III. 21./23. Dez. 1885. R. 7,762. E. 13,273. § 128 RStrGB. setzt eine Verbindung voraus, welche eine Ein­ wirkung auf öffentliche Angelegenheiten bezweckt. RG. IV. 15. April 1902. E. 35,195. Hat eine Verbindung, deren Zentralorganisation im Auslande besteht (Patriotenliga), Mitglieder im Jnlande, so hat sie auch im Jnlande Bestand und Dasein. RG. II und III. 13./18. Juni 1887. R. 9,423. E. 16,165. Ist jemand im Auslande Mitglied einer solchen Verbindung geworden, so ist zu prüfen, ob sein späteres Verhalten im Jnlande diese Mitgliedschaft als wieder aufgehoben erscheinen läßt. RG. I. 20. Mai 1886. R. 8,363. 3) Daß die Verbindung auf einen strafbaren Zweck gerichtet ist, wird nicht erfordert. RG. II. 4. April 1902. E. 35,177. IV. 15. April 1902. E. 35,195. 4) Die Absicht der Geheimhaltung bedarf keiner ausdrücklichen Ver­ abredung, sondern kann sich von selbst und stillschweigend ergeben; zit. RG. III. 7,362.

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Strafgesetzbuch für das Deutsche Reich.

5) Die Strafbarkeit des Stifters einer geheimen Verbindung ist da­ durch nicht bedingt, daß er Mitglied derselben wird. RG. I. 1. Mai 1882. E. 6,215. R. 4,422. 6) Die Vergehen aus 88 128, 129 RStrGB. können untereinander, sowie mit Verbrechen aus 8 86 RStrGB. ideal konkurrieren. RG. II. 21. Okt. 1881. E. 5,60. III. 18. Juni 1887. E. 16,165. 7) Die Strafverfolgung verjährt in fünf Jahren. 8 67 Abs. 2 RStrGB.

§ 129. Die Theilnahme*) an einer Verbindung,2) zu deren Zwecken^) oder Beschäftigungen gehört, Maßregeln der Verwaltung oder die Vollziehung von Gesetzen4) durch ungesetzliche Mittels zu verhindern oder zu entkräften, ist an den Mitgliedern mit Gefängniß bis zu Einem Jahre, an den Stiftern b) und Vorstehern der Ver­ bindung mit Gefängniß von drei Monaten bis zu zwei Jahren zu bestrafen.7) Gegen Beamte kann auf Verlust der Fähigkeit zur Bekleidung öffentlicher Aemter auf die Dauer von Einem bis zu fünf Jahren er­ kannt werden. 1) Vgl. Note 1 zu 8 128 RStrGB. 2) Vgl. Note 2 zu 8 128 RStrGB. 3) Es wird nicht erfordert, daß es auch zur Ausführung des gesetz­ widrigen Zweckes gekommen ist. RG. III. 21./23. Dez. 1885. R. 7,762. E. 13,273. In der Geheimhaltung der Verbindung kann ein Mittel zur Verhinderung obrigkeitlicher Maßregeln, nicht aber ein dem 8129 RStrGB. entsprechender Zweck gefunden werden. RG. II. 8. Nov. 1887. R. 9,567. 4) Die Vollziehung eines Gesetzes geschieht im Sinne des 8 129 cit. nicht bloß durch Beamte, sondern durch alle die Maßregeln, welche das Gesetz zur Erreichung seiner Zwecke anordnet. RG. IV. 2. Jan. 1885. E. 11,350. II/III. 21. Okt. 1881. E. 5,60. 5) Ungesetzlich sind alle Mittel, welche gegen gesetzliche Bestimmungen verstoßen, auch wenn diese Bestimmungen nicht mit einer Strafbestimmung verbunden sino. RG. I. 28. März 1889. E. 19,98. Ein ungesetzliches Mittel kann in der Nichtanmeldung von Versammlungen eines Wahlvereins ge­ funden werden. RG. II. 8. Nov. 1887. R. 9,567. 6) Vgl. Note 5 zu 8 128 RStrGB. 7) Die Strafverfolgung verjährt in fünf Jahren. 8 67 Abs. 2 RStrGB.

§ 130. Wer in einer den öffentlichen Weise2) verschiedene Klaffen3) der Bevölkerung gegen einander öffentlich5) anreizt/)3) wird sechshundert Mark oder mit Gefängniß bis zu

Frieden*) gefährdenden zu Gewaltthätigkeiten4) mit Geldstrafe bis zu zwei Jahren bestraft.7)

1) Vgl. Note 4 zu 8 126 RStrGB. 2) Die wirkliche Störung des öffentlichen Friedens wird nicht erfordert. RG. III. 10. Nov. 1880. E. 2,431. II. 17. April 1888. E. 17,309. I. 7. Febr. 1889. E. 18,406. I. 16. Febr. 1885. R. 7,ios. IV. 11. Dez. 1885. R. 7,740. II. 31. Mai 1901. E. 34,269. Es genügt, wenn die Anreizung in solcher Weise geschieht, daß berechtigte Gründe zu der Befürchtung vorliegen, jenes Gefühl der öffentlichen Rechtssicherheit (vgl. Note 4 zu 8 126 RStrGB.)

Zweiter Teil.

Einzelne Verbrechen, Vergehen usw.

§§ 129,130.

373

werde erschüttert werden. RG. II. 31. Mai 1901. E. 34,269. II. 17. April 1888. E. 17,309. I. 24. Okt. 1881. R. 3,362. IV. 11. Dez. 1885. R. 7,?4o. Der Begriff der Friedensgefährdung setzt nicht voraus, daß bei der gesamten Bevölkerung die Befürchtung entsteht, die öffentliche Rechts­ sicherheit werde eine Beeinträchtigung erfahren; es kommt auch nicht einzig und allein auf die Empfindungen der an gereizten Bevölkerungsklasse an. Es genügt, daß die Klasse, die das Opfer der Gewalttätigkeit werden soll, sich in den Empfindungen geschützten Zusammenlebens beunruhigt fühlt und dies kann auch dann der Fall sein, wenn die Anreizung bei derjenigen Klasse, an die sie gerichtet ist, auf unfruchtbaren Boden fällt. RG. II. 31. Mai 1901. E. 34,269. Jede aktuelle Anreizung verschiedener Bevölkerungs­ klassen zu gegenseitiger Vergewaltigung wird stets auch eine die Unver­ sehrtheit des öffentlichen Friedens bedrohende Gefahr in sich schließen. Vgl. das zit. Erk. E. 26,269 und RG. 111. 7. Jan. 1895. E. 26,349. Die Fest­ stellung, durch einen Zeitungsartikel werde die Anreizung zu Gewaltätigkeiten gegeben, welche von allen betroffenen Staatsangehörigen befürchtet werden müssen, genügt zur Feststellung des Tatbestandsmerkmals der Friedensgefährdung. RG. IV. 9. Febr. 1886. R. 8,109. Gefährdet und be­ droht ist der öffentliche Frieden nicht nur durch alle die äußere Existenz des Gemeinwesens uno die äußere Rechtsordnung gewaltsam erschütternden Angriffe, sondern ebenso auch durch alle das Vertrauen in den Bestand dieser Ordnungen innerlich in den Gemütern untergrabenden Aufreizungen. RG. III. 17. Dez. 1888. 18,314. 3) § 130 RStrGB. setzt voraus, daß nicht lediglich einzelne, welche verschiedenen Bevölkerungsklassen angehören, sondern die Klasse selbst zu Gewalttätigkeiten der einen gegen die andere Klasse angereizt werden. RG. III. 23. Sept. 1887. R. 9,458. Bevölkerungsklassen sind Personenkreise, die sich infolge der gesellschaftlichen Gliederung voneinander abgegrenzt haben, Gliederung des Volksorganismus, wie sie auf dem Boden der Ge­ sellschaft nach Verschiedenheit der Religion, Abstammung, Besitz, Beruf, Beschäftigung, Gewerbe, Bildung oder Herkommen voneinander geschieden, emporgewachsen sind. RG. III. 4. Jan. 1892. E. 22,293. II. 29. Juni 1894. E. 26,63. II. 10. Rov. 1899. E. 32,352. Beispiele: Deutsche und Polen, RG. II. 23. Sept. 1887. R. 9,458. II. 17. April 1888. R. 10,302. IV. 14. Juni 1898. E. 31,185. Sozialdemokratische Partei, RG. III. 4. Jan. 1892. E. 22,293. Die unter sich verbundenen Mehrheiten und die Unterschiede müssen zur Zeit der Tat schon vorhanden sein und nicht erst vom Täter aufgestellt werden. RG. II. 29. Juni 1894. E. 26,63. Das Tatbestandsmerkmal „Klassen der Bevölkerung" wird nicht durch die Feststellung erfüllt, es sei zu Gewalttätigkeiten gegen die „Regierenden" oder „die Regierung" angereizt worden. RG. III. 4. Jan. 1892. E. 22,293. Für den Begriff „Klassen der Bevölkerung" wird aber eine auf einer dauernden Gleichheit beruhende Übereinstimmung der Lebens- und sozialen Verhältnisse erfordert. RG. I. 30. Jan. 1902. E. 35,96. 4) Das Gesetz erfordert nicht den Anreiz zu bestimmten Gewalttätig­ keiten, RG. IV. 9. Febr. 1886. R. 8,109, erheischt aber die nach den konkreten Umständen nahe liegende Möglichkeit einer Störung des öffentlichen Friedens. RG. II. 17. April 1888. R. 10,302. 5) Vgl. Note 1 zu § 85 RStrGB. Die Anreizung muß objektiv zur Gefährdung des öffentlichen Friedens geeignet gewesen sein; ob die Anreizung auch in einem andern eine Wirkung hervorgebracht hat, ob sie überhaupt zur Kenntnis einer Person gelangt ist, bei der sie möglicherweise die beabsichtigte Wirkung hätte hervorrufen können, ist unerheblich. Erfordert wird nur, daß die die Anreizung ent­ haltende Kundgebung der Allgemeinheit — dem Publikum — zugänglich gemacht ist. RG. II. 22. Mai 1896. E. 28,337. IV. 6. März 1903. E. 36,145.

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Strafgesetzbuch für das Deutsche Reich.

6) Das Anreizen muß vorsätzlich geschehen, eine auf die Gefährdung gerichtete Absicht wird nicht erfordert. RG. II. 8. Jan. 1884. E. 9,417. Zum Dolus genügt das Bewußtsein, daß die bezügliche Äußerung geeignet sei, den öffentlichen Frieden zu gefährden. Dolus eventualis RG. I. 16. Febr. 1885. R. 7,108. Vgl. auch I. 21. Okt. 1895. E. 27,429 und zit. Erk. E. 9,417. 7) Die Strafverfolgung verjährt in fünf Jahren § 67 Abs. 2 RStrGB. im Falle des § 22 des Preßges. in sechs Monaten.

§ 130 a.1) Ein Geistlicher oder anderer Religionsdiener, welcher in Ausübung oder in Veranlassung der Ausübung seines Berufes öffentlich vor einer Menschenmenge?) oder welcher in einer Kirche oder an einem anderen zu religiösen Versammlungen bestimmten Orte vor Mehreren Angelegenheiten des Staats^) in einer den öffentlichen Frieden gefährdenden Weises zum Gegenstände einer Verkündigung oder Er­ örterung macht/) wird mit Gefängniß oder Festungshaft bis zu zwei Jahren bestraft. Gleiche Strafe trifft denjenigen Geistlichen oder anderen Religions­ diener, welcher in Ausübung oder Veranlassung der Ausübung seines Berufes Schriftstücke ausgibt oder verbreitet, in welchen Angelegen­ heiten des Staats in einer den öffentlichen Frieden gefährdenden Weise zum Gegenstände einer Verkündigung oder Erörterung gemacht sind.6) 4) § 130 a durch Ges. v. 10. Dez. 1871 (RGBl. S. 442) eingeschaltet; in Elsaß-Lothringen durch Gesetz v. 15. Juli 1872 eingeführt. 2) Vgl. Note 1—3 zu § 10 und Note 1 und 3 zu 8 85 RStrGB. 3) Unter Angelegenheiten des Staates sind nicht nur die Gesetze, Ein­ richtungen des Staates und Anordnungen der Obrigkeit zu verstehen, sondern alle Saatsangelegenheiten, welche durch Gesetze, Institutionen, Verträge des öffentlichen oder privaten Rechts geordnet und gestaltet werden; auch die durch die Verfassung oder Gesetze geregelten Wahlen. RG. IV. 11. Dez. 1885. R. 7,740. E. 13,169. 4) Vgl. Note 1 und 2 zu 8 130 RStrGB. 5) Vgl. Note 6 zu 8 130 RStrGB. 6) Vgl. Note 7 zu 8 130 RStrGB.

§ 131. Wer erdichtete oder entstellte Thatsachen,1) wissend, daß sie erdichtet oder entstellt sind, öffentlich?) behauptet^) oder verbreitet,3)4) um7) dadurch Staatseinrichtungen^) oder Anordnungen^) der Obrigkeit verächtlich zu machen,7) wird mit Geldstrafe bis zu sechshundert Mark oder mit Gefängniß bis zu zwei Jahren bestraft?) 4) Unter Tatsache ist nur eine Begebenheit, ein konkreter Vorgang zu verstehen, welcher in der Vergangenheit oder Gegenwart in die Erscheinung getreten und dadurch Gegenstand der Wahrnehmung geworden ist. Innere Vorgänge (Motive, Ziele, Absicht eines Handelns), deren Dasein und Art dargetan und damit wahrnehmbar gemacht werden kann, sind daher aus dem Kreise der Tatsachen nicht ausgeschlossen, wohl aber alle Ergebnisse abstrakter Schlußfolgerungen. RG. IV. 13. Okt. 1891. E. 22,158. I. 9. Okt. 1893. E. 24,300. Den Gegensatz zu „Tatsachen" im Sinne des 8 131 bilden allgemein gehaltene Kritiken, Urteile, Meinungen und Ansichten über politische, soziale, legislative Verhältnisse und Zustände, die sich nicht auf

Zweiter Teil. Einzelne Verbrechen, Vergehen usw. §§ 130a, 131.

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konkrete Vorkommnisse, sondern auf Beobachtungen und Schätzungen gründen. RG. III. 8. März 1882. R. 4,232. IV. 14. Nov. 1893. E. 24,387. 2) Vgl. Note 1 zu 8 85 RStrGB. 3) Unter Behauptung ist die Hinstellung einer Tatsache als Gegenstand eignen Wissens, unter Verbreitung dagegen zwar ebenfalls die Hinstellung einer Tatsache als wahr, aber als fremde Mitteilung zu verstehen. RG. F.-S. 10. Sept. 1897. E. 30,224. II. 8. März 1898. E. 31,63. 4) Vgl. Note 4 zu 8 85 und Note 4 zu 8 HO RStrGB. 5) Unter Staatseinrichtungen sind zu verstehen die bleibenden, dauern­ den Bestandteile der Verfassung und Verwaltung, mit welcher der spezielle Staat sich einrichtet, jene auf Erfüllung des Staatszweckes hinzielenden, für die Dauer bestimmten organischen Schöpfungen auf irgend einem Ge­ biete der staatlichen Tätigkeit. Die allgemeinen Rechtsinstitute der Ehe, Familie des Eigentums werden dadurch, daß der Staat sie schützt, noch nicht zu Einrichtungen des Staates. Nur insofern, als der Staat diese Institute zur Grundlage besonderer organischer Schöpfungen macht, sie unter Anpassung an die bestehenden Verhältnisse besonders gestaltet, z. B. als Grundbuch- und Hypothekenwesen, als Zivilehe, als natürliche Gewalt, stellen sich diese allgemeinen Rechtsinstitute als besondere „Staatseinrich­ tungen" dar. RG. III. 5. Okt. 1891. E. 22,253. Staatseinrichtungen oder Anordnungen der Obrigkeit, welche der Geschichte angehören oder von der bestehenden Regierung beseitigt worden sind, genießen nicht den Schutz des 8 131 RStrGB. RG. II. 29. Nov. 1887. E. 16,368. Angriffe gegen den Reichstag sind aus § 131 eit. nur strafbar, sofern sie den Reichstag in seiner Eigenschaft als Staatseinrichtung treffen, nicht aber, soweit sie sich nur gegen einzelne Beschlüsse oder Maßnahmen des Reichstags wenden. RG. II. 5. Jan. 1897. E. 29,318. 6) Unter Anordnungen der Obrigkeit sind auch konkrete, selbst für einen bestimmten Fall oder eine bestimmte Person erlassene Verwaltungsakte zu verstehen. RG. IV. 9. Febr. 1886. R. 8,110 und I. 29. Nov. 1887. R. 9,674. E. 16,368. Sie müssen aber einen in das öffentliche Leben hinausgreifenden autoritativen Charakter, irgendwelche das öffentliche Recht bezw. die öffent­ liche Ordnung berührende Seite haben. Sich lediglich auf den inneren dienstlichen Geschäftsverkehr beziehende Anweisungen sind nicht Anordnungen im Sinne dieses 8- RG. III. 2. Juni 1892. E. 23,151. Bloße Unterlassungen stellen obrigkeitliche Anordnungen nicht dar. RG. IV. 5. Okt. 1897. E. 30,263. Ob die Staatseinrichtungen und Anordnungen der Obrigkeit dem gesamten Deutschen Reiche oder dem Bundesstaat, in dem die Tat verübt ist, oder an­ deren Bundesstaaten angehören, ist unerheblich. RG. III. 2. März 1891. E. 21,394. 7) D. h. als aus sittlich verwerflichen Motiven hervorgegangen oder zu sittlich verwerflichen Zwecken geschehen hinstellen. RG. II. 23. Jan. 1880. E. I,i6i. Der Täter muß die Verächtlichmachung beabsichtigt haben, es genügt nicht, daß der Täter sich des verächtlichmachenden Charakters der Äußerung nur bewußt war. Dolus eventualis ist insoweit ausgeschlossen. Ob der Täter neben dieser Ansicht noch etwas anderes beabsichtigt, oder welchen Zweck er erstrebt und ob der beabsichtigte Erfolg eingetreten ist, ist gleichgültig. RG. II. 21. März 1881. R. 3,147. Die Absicht muß ferner daraus gerichtet sein, bestimmte (konkrete) Staatseinrichtungen oder wirklich existent gewordene Anordnungen verächtlich zu machen; daß hierzu die be­ haupteten usw. Tatsachen objektiv geeignet sind, ist nicht nötig. RG. III. 8. März 1882. R. 4,232. II. 5. Jan. 1897. E. 29,318. Wo der Erlaß oder das Bestehen einer erdichteten Einrichtung oder Anordnung mit dem Be­ wußtsein der Unwahrheit behauptet wird, um damit die obrigkeitliche Stelle verächtlich zu machen, von der sie angeblich ausgegangen sind, greift 8 131 RStrGB. nicht Platz. RG. IV. 5. Okt. 1897. E. 30,263. 8) Vgl. Note 7 zu 8 130 RStrGB.

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Strafgesetzbuch für das Deutsche Reich.

§ 132. Wer*) unbefugt sich mit Ausübung eines öffentlichen Amtes2) befaßt^) oder eine Handlung vornimmt/) welche nur kraft eines öffentlichen Amtes vorgenommen werden darf/) wird mit Gefängniß bis zu Einem Jahre oder mit Geldstrafe bis zu dreihundert Mark bestraft.5) 1) Subjekt des Delikts kann auch ein Beamter sein, wenn er eine Handlung vornimmt, die nur kraft eines anderen öffentlichen Amtes vor­ genommen werden darf. RG. IV. 19. Febr. 1889. E. 18,430. 2) Als öffentliches Amt — d. h. ein durch das öffentliche Recht be­ grenzter Kreis von staatlichen Geschäften — gilt an sich diejenige Stellung, vermöge deren jemand dazu berufen ist, im Dienste des Reichs oder im mittelbaren oder unmittelbaren Dienste eines Bundesstaates als Organ der Staatsgewalt für die Durchführung der Zwecke des Staates tätig zu sein. Militärbehörden haben die Eigenschaft öffentlicher Behörden, das Kommando einer Truppe, eines Kriegsschiffes fällt unter den Begriff eines öffentlichen Amtes. RMGer. III. 9. Okt. 1901. E. 2,32. Durch § 31 Abs. 2 RStrGB. ist dieser Begriff auf die Advokatur, die Anwaltschaft, das Notariat, sowie den Geschworenen- und Schöffendienst ausgedehnt worden. Die von An­ stalten und Korporationen öffentlichrechtlicher Natur verliehenen Ämter, ins­ besondere die kirchlichen Ämter, sind nicht öffentliche Ämter im Sinne des RStrGB. RG. I. 13. März 1884. E. 10,199. IV. 27. Nov. 1903. E. 36,434. § 132 RStrGB. findet aber in Preußen auf solche geistlichen Amtshandlungen Änwendung, welche gleichzeitig staatliche Funktionen darstellen, z. B. auf Ausstellung von Zeugnissen mit amtlichem Charakter aus früheren Kirchen­ büchern. RG. III. 22. Jan. 1883. R. 5,56. Durch die Rechtsanwaltsordnung sind die Rechte und Pflichten der Rechtsanwälte ausschließlich für den Umfang der nach den Reichsjustiz­ gesetzen vorkommenden Geschäfte geregelt worden. Soweit die Landes­ gesetzgebung Rechtsanwälte zur Besorgung von außerhalb der Reichsjustiz­ gesetze liegenden sachwalterischen Geschäften ausschließlich für befugt erklärt, kann die Vornahme eines solchen Geschäfts durch einen Nichtanwalt nach § 132 RStrGB. bestraft werden. RG. III. 21. Febr. 1880. R. 1,407. Die unrichtige Bezeichnung oes angemaßten Amtes ist gleichgültig, ebenso ob die Handlung in der Zuständigkeit des angemaßten Amtes gelegen hätte oder möglicherweise auch von einer Privatperson als solcher hätte vorge­ nommen werden können. RG. III. 7. Juli 1880. R. 2,167. E. 2,292. III. 12. Jan. 1881. R. 2,716. Das Amt des Fleischbeschauers ist ein öffentliches, im Sinne des § 132 RStrGB. RG. II. 20. Sept. 1881. E. 4,421. R. 3,506. Uber unbefugte Ausstellung standesamtlicher Urkunden vgl. RG. II. 4. Dez. 1883. R. 5,755. In der Anstellung eines Auktionators zur Versteigerung von Immobilien ist nicht die Berufung zu einem öffentlichen Amte enthalten. RG. I. 28. März 1888. E. 17,291. R. 10,274. Die Einhändigung eines amtlich zuzustellenden Schriftstücks durch einen zur Zustellung nicht Befugten ist nur dann eine unbefugte Ausübung eines öffentlichen Amtes, wenn der Übergeber sich als Zustellungsbeamter geriert. RG. III. 29. Nov. 1883. R. 5,738. Das Amt der gemäß § 131 Abs. 2 GewO, gebildeten Prüfungs­ ausschüsse ist als ein öffentliches Amt im Sinne des § 132 RStrGB. nicht anzusehen. RG. IV. 27. Nov. 1903. E. 36,434. 3) Erfordert wird vorsätzliches Handeln; der Täter muß sich daher bewußt sein, daß seine Handlung eine unbefugte, und daß sie eine solche sei, welche nur kraft eines öffentlichen Amtes wahrgenommen werden darf. RG. IV. 29. Nov. 1895. E. 27,419. 4) Die vorgenommene Handlung muß eine solche sein, zu deren Vor­ nahme einem Nichtbeamten die Befugnis fehlt. Ob die konkreten Umstände

Zweiter Teil.

Einzelne Verbrechen, Vergehen usw.

§§ 132,133.

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des Falles die Handlung, wenn von einem Beamten vorgenommen, gerecht­ fertigt haben würden, ist gleichgültig. RG. IV. 4. Jan. 1887. R. 9,6. Gleich­ gültig ist es, ob bei der vorgenommen Amtshandlung alle Formvorschriften erfüllt sind (Zusendung eines nicht mit der Namensunterschrift des Richters gezeichneten Zahlungsbefehls). RG. IV. 17. Juni 1892. E. 23,205. Darin, daß eine Privatperson als solche einer anderen im Einverständnisse mit derselben außergerichtlich zur Bekräftigung der Wahrheit einer von dieser behaupteten Tatsache den Eid in der Form des § 61 StrPO. abnimmt, liegt nicht die Vornahme einer Amtshandlung. RG. III. 13. Juni 1901. E. 34,289. Zu den Handlungen, die nur kraft eines Amtes vorgenommen werden können, gehören alle in Ausübung verliehener Befugnisse liegende Akte der Kommandogewalt. 5) Die Strafverfolgung verjährt in fünf Jahren. § 67 Abs. 2 RStrGB. § 133.

Wer eine Urkunde?) ein Register?) Sitten3) oder einen

sonstigen Gegenstand?) welche sich zur amtlichen Aufbewahrung an einem dazu bestimmten Orte^) befinden, oder welche einem Beamten

oder einem ®ritten6) amtlich übergeben worden sind?) vorsätzlich8) vernichtet?) bei Seite schafft^) oder beschädigt,u) wird mit Gefängniß

bestraft.^)

Ist die Handlung in gewinnsüchtiger Absicht begangen?8) so tritt

Gefängnißstrafe nicht unter drei Monaten ein; auch kann auf Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte erkannt werden?4)

T) In Betracht kommt jede Urkunde, die eine erhebliche Tatsache fest­ stellt. Beweiserheblichkeit im Sinne des § 267 RStrGB. wird nicht er­ fordert. RG. I. 8. Nov. 1880. E. 2,425. R. 2,474; RMGer. I. 27. Aug. 1903. E. 6,9. Das noch nicht vollzogene Formular eines Postbehändigungsscheins ist keine Urkunde im Sinne des § 133 RStrGB. RG. III. 21. April 1880. N. 1,610. 2) Das Register braucht keine Urkunde zu sein. RG. II. 25. Nov. 1882. E. 7,253. 3) Der Entwurf eines Protokolls über eine Vollstreckungshandlung, welchen der Vollstreckungsbeamte dem Schuldner zur Einsicht und Unter­ zeichnung übergibt, ist ein einem Dritten amtlich übergebener Gegenstand. RG. II. 20. Nov. 1888. R. 10,679. 4) Vorausgesetzt sind Gegenstände, welche auch nach der Übergabe als solche weiterer amtlicher Verfügung unterworfen bleiben sollen bezw. als solche weiterer amtlicher Behandlung unterliegen können. RG. III. 21. April 1880. R. 1,640. § 133 setzt Gewahrsam auf Grund amtlicher Anordnung voraus. RG. II. 13. Febr. 1885. E. 12,67. Gegenstände, welche amtlich ver­ braucht werden sollen, gehören nicht hierher (z. B. Schreib-, Brenn-, Be­ leuchtungsmaterial). RG. I. 13. Nov. 1893. E. 24,385. Eine Beweiskraft in amtlicher Beziehung braucht dem Gegenstände nicht beizuwohnen. RG. IV. 3. Okt. 1884. R. 6,593. II. 10. Okt. 1884. R. 6,613. Es fallen daher auch alle Postsendungen in den Schutzbereich des § 133 RStrGB. RG II. 13. Nov. 1891. E. 22,204. 5) Ein Gegenstand befindet sich „zur amtlichen Aufbewahrung an einem dazu bestimmten Orte", wenn der Gegenstand bestimmungsgemäß so lange in amtlicher Aufbewahrung einer Behörde bleibt, bis über den­ selben anderweit amtliche Verfügung getroffen wird. RMGer. I. 27. Aug. 1903. E. 6,9. Der Aufbewahrungsort kann auch ein beweglicher sein

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Strafgesetzbuch für das Deutsche Reich,

(z. B. Aktenwagen, Eisenbahnwagen, Mappen usw. RG. II. 13. Nov. 1891. E. 22,204. 6) Die Worte: „einem Beamten oder einem Dritten" sind nicht im Gegensatz zum Täter gebraucht. Der Dritte, dem der Gegenstand amtlich übergeben war, kann auch zugleich derjenige sein, der den Gegenstand vor­ sätzlich vernichtet usw. hat. RG. II. 20. Nov. 1888. R. 10,679. II. 9. Juni 1885. E. 12,247. R. 7,361. RMGer. I. 27. Aug. 1903. E. 6,9. 7) Die „Übergabe braucht keine förmliche sein und nicht von Hand zu Hand geschehen. Eine Übergabe ist auch dann als erfolgt anzusehen, wenn der Gegenstand in eine solche Lage gebracht wird, daß der Täter sie be­ stimmungsgemäß an sich nimmt. RMGer. I. 27. Aug. 1903. E. 6,9. Daß die Aufbewahrung oder die Übergabe von einem Beamten oder kraft eines öffentlichen Amtes geschehe, erfordert das Gesetz nicht. RG. IV. 12. Jan. 1897. E. 29,321. Eine „amtliche" und im Sinne des § 133 RStrGB. ge­ nügende Übergabe ist jede Übergabe, welche einerseits den Gegenstand in die Verfügungsgewalt „eines Dritten" bringt und andererseits erkennen läßt, daß die Eigenschaft des Gegenstandes als eines der Verfügung öffent­ licher Organe vorbehaltenen fortzudauern habe. Es scheioen diejenigen Fälle aus, in welchen eine von Amts wegen zugestellte Urkunde dem Be­ teiligten zu seiner ausschließlichen Verfügung überlassen, ein Gewahrsam der zustellenden Behörde in keiner Weise vorbehalten und darum lediglich dem Ermessen des Inhabers anheimgegeben ist, ob er die Aufbewahrung und Erhaltung der Urkunde als in seinem Interesse gelegen erachtet. RG. I. 15. Mai 1884. E. 10,387. RMGer. I. 27. Aug. 1903. E. 6,9; vgl. auch oben Note 3. Die für den Adressaten bestimmte Abschrift einer Zustellungs­ urkunde gehört, so lange sie in den Händen des zustellenden Postboten sich befindet, zu den amtlich übergebenen Gegenständen im Sinne des § 133 RStrGB. RG. II. 19. Okt. 1900. E. 33,413. Die amtliche Aufbewahrung eines Gegenstandes hört dadurch nicht auf, daß die amtliche Eigenschaft des Beamten, in dessen Aufbewahrung der Gegenstand gekommen ist, er­ lischt. RG. IV. 10. Jan. 1896. E. 28,107. 8) Das Delikt ist ein vorsätzliches. Der Dolus muß das Bewußtsein des Täters von der amtlichen Aufbewahrung des Gegenstandes in sich schließen; die Absicht oder das Bewußtsein, sich mit der amtlichen Autorität oder der öffentlichen Ordnung in Widerspruch zu setzen, ist nicht erforderlich. RG. I. 10. Nov. 1891. E. 23,283. 9) Vgl. Note 13 zu § 125 RStrGB. 10) Der Begriff der „Beiseiteschaffung" setzt lediglich voraus, daß eine Sache durch Entfernung von ihrem seitherigen Aufbewahrungsort der Dis­ position des Berechtigten wirklich entzogen worden ist, mag die Entziehung auch nur eine vorübergehende sein. RG. I. 8. Nov. 1880. R. 2,474. E. 2,425. I. 28. Febr. 1884. E. 10,189. II. 13. Nov. 1891. E. 22,204. Entfernung aus den amtlichen Geschäftsräumen ist nicht notwendig. RG. I. 31. Jan. 1895. E. 26,413. Wer den berechtigten Inhaber einer amtlichen Urkunde zur frei­ willigen Herausgabe derselben durch Täuschung veranlaßt, kann sich hier­ durch der Beiseiteschaffung der Urkunde im Sinne des § 133 RStGB. schuldig machen. RG. II. 13. Febr. 1885. R. 7,100. § 133 RStrGB. ist gegen denjenigen anwendbar, der eine Postkarte aus der Sammeltasche der Postboten vorsätzlich beiseite schafft. RG. II. 13. Nov. 1891. E. 22,204. Ein positives Handeln ist nicht erforderlich, es genügt Unterlassung einer durch die Pflicht gebotenen Handlung (Nichtübergeben amtlicher Schrift­ stücke an den Amtsnachfolger). RG. II. 9. Juni 1885. E. 12,247. n) Beschädigung einer Sache ist eine solche Einwirkung auf dieselbe, durch welche die Substanz der Sache alteriert, die Unversehrtheit derselben aufgehoben wird. Erfordert wird aber ferner, daß durch die Einwirkung die Brauchbarkeit der Sache für die ihr gegebene Zweckbestimmung herab-

Zweiter Teil. Einzelne Verbrechen, Vergehen usw. §§ 134—136.

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gemindert oder sonst des Interesses des Eigentümers an ihrer Unversehrtheit beeinträchtigt wird. RG. III. 19. Okt. 1885. E. 13,27. IV. 27. Febr. 1900. E. 33,177. Eine Durchstreichung von Worten auf einer Urkunde kann eine Beschädigung der Urkunde im Sinne des § 133 eit. enthalten. RG. II. 18. Juni 1889. E. 19,319. 12) Wird das Delikt von dem aufbewahrenden Beamten begangen, so ist § 348 Abs. 2 RStrGB. anwendbar. Ideale Konkurrenz zwischen § 133 und § 348 Abs. 2 RStrGB. ist ausgeschlossen. RG. I. 8. Nov. 1880. R. 2,474. E. 2,425. § 133 und § 137 RStrGB. können ideal konkurrieren. RG. II. 13. Juni 1884. R- 6,426. 13) Straferhöhende Umstände im Sinne der §§ 318, 323, 326 MStrGO. Für den Begriff der „gewinnsüchtigen Absicht" im Sinne des § 133 Abs. 2 RStrGB. genügt die Absicht, irgendeinen vermögensrechtlichen Vorteil zu erreichen. RMGer. zit. Erk. E. 6,9. Gewinnsüchtige Absicht liegt auch vor, wenn die Akten nicht um ihres Inhalts wegen, sondern um dieselben als Makulatur zu verkaufen und dadurch Gewinn zu erzielen, beseitigt werden. RG. IV. 12. Febr. 1892. E. 22,331. Die irrige Annahme des Täters, die Akten seien schon zum Einstampfen bestimmt, macht nicht straffrei. RG. II. 10. Nov. 1892. E. 23,283. 14) Die Strafverfolgung verjährt in fünf Jahren. § 67 Abs. 2 RStrGB.

§ 134. Wer öffentlich angeschlagene Bekanntmachungen, Verord­ nungen, Befehle oder Anzeigen von Behörden oder Beamten bös­ willig4) abreißt, beschädigt oder verunstaltet, wird mit Geldstrafe bis zu dreihundert Mark oder mit Gefängniß bis zu sechs Monaten bestraft. 2)3) 4) Für den Begriff des öffentlichen Anschlagens genügt, daß das be­ treffende Schriftstück überhaupt an einem Orte in einer Weise befestigt wird, daß es nicht ohne eine besondere Tätigkeit beseitigt werden, die Weg­ nahme nicht ohne vorherige Lösung der Verbindung erfolgen kann. Das Begriffsmerkmal des Abreißens erfordert keine Gewaltanwendung, aus­ reichend ist jede die Vereitelung des Aushangs bezweckende Beseitigung der Befestigung. RG. IV. 4. April 1903. E. 36,183. 2) Mutwilliges Handeln genügt nicht. Vgl. Olshausen Note 3 zu § 134 RStrGB. 3) Die Strafverfolgung verjährt in fünf Jahren. § 67 Abs. 2 RStrGB.

§ 135. Wer ein öffentliches Zeichen der Autorität4) des Reichs oder eines Bundesfürsten oder ein Hoheitszeichen eines Bundesstaats böswillig wegnimmt, zerstört oder beschädigt oder beschimpfenden Unfug daran verübt, wird mit Geldstrafe bis zu sechshundert Mark oder mit Gefängniß bis zu zwei Jahren bestraft.2) 4) Vgl. Note 2 zu § 103 a RStrGB. Als Merkzeichen gesetzte Steine zur Feststellung des Wasserstandes sind nicht Zeichen der Autorität des Reichs usw. RG. II. 10. Mai 1898. E. 31,143. 2) Die Strafverfolgung verjährt in fünf Jahren. § 67 Abs. 2 RStrGB.

§ 136. Wer unbefugt2)6) ein amtliches Siegel,4) welches von einer Behörde oder einem Beamten angelegt ist,2) um Sachen^) zu

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Strafgesetzbuch für das Deutsche Reich.

verschließen, zu bezeichnen oder in Beschlag zu nehmen, vorsätzlich er­ bricht/)^ ablöst4)6) oder beschädigt?)6) oder den durch ein solches Siegel bewirkten amtlichen Verschluß aufhebt, wird mit Gefängniß bis zu sechs Monaten bestraft?) 1) Eine Siegelmarke wird durch die Anlegung durch den betreffenden Beamten zu einem amtlichen Siegel. Wer den durch einen mit Siegel­ marken befestigten Papierstreifen gebildeten Verschluß eines Zimmers be­ seitigt, verletzt den § 136 RStrGB. RG. III. 22. Dez. 1880. R. 2,663. E. 3,286. Dem Siegel gleichgestellt ist die sog. Pfändungsanzeige, in welcher die gepfändeten Gegenstände bezeichnet sind und welche, mit dem Dienstsiegel des Gerichtsvollziehers versehen, am Verwahrungsorte der Pfandobjekte angebracht ist. RG. I. 24. Jan. 1889. E, 18,388. 2) Der Beamte muß das Siegel in Ausübung seines Amtes, d. l). in Ausübung der durch sein Amt begründeten Befugnisse, nicht unter Über­ schreitung derselben angelegt haben. Erfordert wird nur, daß der Beamte zu der Maßnahme im allgemeinen — abstrakt — durch sein Amt ermächtigt und örtlich zuständig war. Sind diese Voraussetzungen gegeben, so wird die Strafbarkeit dadurch nicht ausgeschlossen, daß der Beschlagnahme selbst wegen Nichtbeachtung einer Vorschrift, von deren Befolgung ihre Wirksam­ keit abhängig ist, ein Mangel anhaftet. RG. IV. 18. Okt. 1901. E. 34,398, IV. 13. März 1903. E. 36,155, II. 13. Febr. 1883. R. 5,ioi. E. 8,35. 3) Bewegliche oder unbewegliche. 4) Erbrechen ist das gewaltsame Entfernen, Ablösen, das Entfernen des Siegels unter Schonung desselben. 5) Vgl. Note 11 zu 8 133 RStrGB. 6) Erfordert wird ein vorsätzliches Handeln. Der Vorsatz muß den ganzen Tatbestand dieser Strafvorschrift umfassen, der Täter sich also be­ wußt sein, daß er unbefugt ein amtliches Siegel erbricht usw. Bestraft soll werden die Betätigung einer Mißachtung der in der Siegelanlegung ausgedrückten obrigkeitlichen Anordnung; glaubt der Täter ein Recht zu haben, das Siegel zu erbrechen, so fehlt ihm das Bewußtsein, daß er durch seine Handlung der staatlichen Autorität entgegentrete und er macht sich nicht strafbar. RG. II. 11. Dez. 1894. E. 26,308. 7) Die Strafverfolgung verjährt in fünf Jahren. § 67 Abs. 2 RStrGB.

§ 137. Wer Sachen?) welche durch die zuständigen2) Behörden oder Beamten gepfändet6) oder in Beschlag4) genommen worden sind, vorsätzlich^) bei Seite schafft,6) zerstört7) oder in anderer Weise der Verstrickung ganz oder theilweise entzieht,6) wird mit Gefängniß bis zu Einem Jahre bestraft.6) *6) x) Nur „körperliche" Sachen, nicht auch Forderungen kommen in Be­ tracht. RG. Pl.Besckl. v. 8. März 1893. E. 24,40. Wohl aber unbewegliche Sachen. Bezüglich oer Zwangsvollstreckung in das bewegliche Vermögen vgl. §§ 803ff., 808ff. ZPO., in das unbewegliche Vermögen 8§ 864ff. das. sowie das Gesetz über die Zwangsversteigerung und die Zwangsverwaltung in der Fassung v. 20. Mai 1898 (RGBl. S. 713). 2) Zuständig sind die Behörden oder Beamten, wenn sie im allge­ meinen — abstrakt — zur Vornahme der Pfändung oder Beschlagnahme ermächtigt und örtlich zuständig sind. Daneben ist nur erforderlich, daß bei der Pfändung (Beschlagnahme) die wesentlichen Förmlichkeiten beob­ achtet wuroen und daß es ander vom Gesetze für notwendig erklärten

Zweiter Teil.

Einzelne Verbrechen, Vergehen usw.

§ 137.

381

Voraussetzung, z. B. einem vollstreckbaren Titel der Besitzergreifung, nicht fehlt. Die Nichtbeobachtung unerheblicher, bloß instruktioneller Vor­ schriften macht die Pfändung nicht ungültig. Im übrigen ist die Recht­ mäßigkeit der die Pfändung usw. zur Ausführung bringenden Amts­ handlung nicht Voraussetzung fnr die Anwendbarkeit des § 137 RStrGB. Wer sich durch die Pfändung oder die Beschlagnahme für verletzt hält, darf den Arrest nicht eigenmächtig brechen, sondern hat die von der Obrigkeit oder deren Organ getroffene Maßregel in dem gesetzlich geordneten Ver­ fahren anzufechten. RG. IV. 14. Dez. 1894. E. 26,287, 1. 3. Han. 1884. E. 9,403. II. 13. Juni 1884. E. 10,425, IV. 25. Mai 1886. E. 14,151, IV. 19. Mai 1896. E. 28,379, IV. 16. April 1889. E. 19,164. 3) Die Pfändung der im Gewahrsam des Schuldners befindlichen körperlichen Sachen wird dadurch bewirkt, daß der Gerichtsvollzieher die­ selben in Besitz nimmt. Andere Sachen als Geld, Kostbarkeiten und Wert­ papiere sind im Gewahrsam des Schuldners zu belassen, sofern nicht hier­ durch die Befriedigung des Gläubigers gefährdet wird. Werden die Sachen im Gewahrsam des Schuldners belassen, so ist die Wirksamkeit der Pfän­ dung dadurch bedingt, daß durch Anlegung von Siegeln oder auf sonstige Weise die Pfändung ersichtlich gemacht ist. § 808 ZPO. Erfordert wird also die wirkliche Besitznahme der zu pfändenden oder zu beschlagnehmenden Sache; der Beamte muß durch eine zivilrechtlich wirksame Handlung von den Pfandobjekten Besitz ergreifen und seinen Besitzergreifungswillen kennt­ lich machen. RG. III. 12. Okt. 1885. R. 5,572, III. 28. Sept. 1881. E. 5,35, III. 17. Okt. 1887. E. 16,273, I. 11. Okt. 1883. R. 5,588. Die Siegelung kann durch jede andere Form ersetzt werden, wenn sie nur den Zweck, die Pfän­ dung ersichtlich zu machen, ebenso gut erfüllt, d. h. ebenso deutlich er­ kennen läßt, daß der Gerichtsvollzieher die Sachen in Pfandbesttz genommen hat (z. B. Anheftung eines Zettels, auf dem die Gegenstände verzeichnet sind, an einer in die Augen fallenden Stelle des Raumes, in dem die Sachen sich befinden). RG. I. 23. März 1903. E. 36,165, RMGer. I. 23 April 1903. E. 5,67. Bloße Erklärungen des Beamten, daß die betreffende Sache gepfändet bezw. beschlagnahmt und die Verfügung über dieselbe untersagt werde, sind rechtlich ohne Wirkung. RG. III. 28. Sept. 1881, R. 3,552, II. 21. April 1882. E. 6,227. IV. 22. Juni 1886. R. 8,479. Hat der Gerichts­ vollzieher die Pfändung ausgeführt, so ist er zur eigenmächtigen Aufhebung derselben nicht befugt, selbst wenn er nachträglich die Überzeugung von der Unrechtmäßigkeit des Psändungsaktes erlangt hat. RG. Entsch. in Zivils. 18,392. 4) Eine Sache wird in Beschlag genommen, wenn sie durch einen Amts­ akt der Verfügung der sonst berechtigten Person entzogen und der Ver­ fügung der Beamten und Behörden, von denen die Maßregel ausgegangen ist, unterworfen (verstrickt) wird, sei es zum Zwecke der Sicherung von Privatinteressen Dritter (z. B. beim Arrest) oder im öffentlichen Interesse (§ 94 StrPO. § 229 ff. MStrGO.). RG. III. 1. Mai 1880 R. 1,705, II. 6. Juli 1886. E. 14,286. IV. 19. Juni 1888. E. 18,71. Ob und unter welchen Voraussetzungen bezw. von welchem Zeitpunkte ab eine solche Verstrickung im vorliegenden Falle anzunehmen ist, richtet sich nach den besonderen für die Vornahme des betreffenden amtlichen Be­ schlagnahmeaktes bestehenden gesetzlichen Vorschriften. Im Falle der Be­ schlagnahme auf Grund der §§ 94ff. StrPO. §§ 229ff. MStrGO. bedarf es außer der Anordnung der Beschlagnahme seitens der verfügenden Be­ hörde noch eines, an besondere Formalitäten nicht gebundenen Ausführungs­ aktes der Beschlagnahme. Der Ausführungsakt braucht nicht in der Besitz­ ergreifung der Sache oder der Entziehung derselben aus dem Gewahrsam des Inhabers zu bestehen, es genügt ein bloßes amtliches Verbot der Ver­ fügung oder Veränderung der Sache an den Inhaber, soweit dasselbe den

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Strafgesetzbuch für das Deutsche Reich.

Auftrag enthält, daß der Inhaber die Sache für die weiteren Bestimmungen der Behörde zu bewahren habe. RG. IV. 19. Juni 1888. E. 18,71. 5) Maßgebend sind die allgemeinen Grundsätze über den Dolus; er muß alle Tatbestandsmerkmale umfassen: rechtswirksame Pfändung bezw. Beschlagnahme (RG. II. 16. April 1880. E. 1,368, 25. Jan. 1881. R. 2,755, IV. 25: Mai 1886. E. 14,151, I. 27. Mai 1889. E. 19,287), Fortdauern der Beschlagnahme (RG. II. 11. Dez. 1894. E. 26,308), Bewußtsein von der Zu­ ständigkeit der Behörde (RG. II. 13. Juni 1884. E. 10,425), Absicht, die Sache der Verstrickung zu entziehen, bezw. das Bewußtsein, daß die Entziehung der Erfolg seines Handelns ist. (RG. II. 12. Febr. 1889. E. 18,410). Dolus eventualis genügt. RG. II. 13. Juni 1884. E. 10,425. RMGer. I. 23. April 1903. E. 5,67. Der gute Glaube des Täters, daß die Verstrickung durch die Be­ friedigung des Gläubigers aufgehoben und eine weitere obrigkeitliche An­ ordnung nicht mehr notwendig sei, kann die Straffreiheit bewirken. RG. II. 11. Dez. 1894. E. 26,308. Die Strafbarkeit der Tat liegt in der Auf­ lehnung gegen die amtliche Autorität. Strafbar ist deshalb selbst derjenige (z. B. ein Gläubiger), welcher eine zu seinen Gunsten vom Gericht beschlag­ nahmte oder gepfändete Sache ohne Erlaubnis der Beschlagnahme entzieht. RG. IV. 17. Febr. 1893. E. 24,10. 6) Vgl. Note 10 zu § 133 RStrGB. 7) Vgl. Note 14 zu § 125 RStrGB. 8) Der Verstrickung entzogen wird die beschlagnahmte oder gepfändete Sacke, wenn die durch die Pfändung oder Beschlagnahme begründete Ver­ fügungsgewalt der Behörde über die Sache dauernd oder auch nur zeit­ weise ausgehoben wird. RG. II. 18. Jan. 1881. E. 3,255, IV. 14. Jan. 1887. E. 15,205. Eine Entziehung aus der Verstrickung ist erblickt worden in der von einem Dritten eigenmächtig bewirkten Fortschaffung eines dem Schuldner belassenen Pfandgegenstandes aus dem für die Aufbewahrung des letzteren bestimmten Raume in einen anderen, der Verfügungsgewalt des Schuldners entzogenen Raum. RMGer. I. 23. April 1903. E. 5,67. Welches Mittel (z. B. Täuschung vgl. E. 15,205) dazu angewendet wird, ist gleichgültig. Eine Aneignung der Sache durch den Täter ist nicht erforderlich. 9) Ideale Konkurrenz zwischen § 137 u. § 133 RStrGB., RG. II. 13. Juni 1884. R. 6,426, zwischen § 137 u. § 288 RStrGB. RG. II. 10. Jan. 1888. E. 17,42. Zwischen § 137 u. § 136 RStrGB. Gesetzeskonkurrenz. 10) Die Strafverfolgung verjährt in fünf Jahren. § 67 Abs. 2 RStrGB.

8 138. Wer als Zeuge, Geschworener oder Schöffe berufen, 1) eine unwahres Thatsache als Entschuldigung vorschützt,3) wird mit

Gefängniß bis zu zwei Monaten bestraft. Dasselbe gilt von einem Sachverständigen, welcher zum Erscheinen gesetzlich verpflichtet^) ist. Die auf das Nichterscheinen gesetzten Ordnungsstrafen5) werden durch vorstehende Strafbestimmung nicht ausgeschlossen.8) x) Die Berufung kann nicht nur in einem reichsgesetzlich geregelten Prozeßverfahren (z. B. MStrGO.), sondern auch in einem ehrengericht­ lichen oder Disziplinar- oder Verwaltungsgerichtsverfahren erfolgt sein. 2) d. h. eine, sei es ganz oder teilweise, der Wirklichkeit nicht ent­ sprechende Tatsache. 3) Erfordert wird das Bewußsein des Täters von der Unwahrheit der zur Entschuldigung vorgeschützten Tatsache. § 138 RStrGB. betrifft auch

Zweiter Teil. Einzelne Verbrechen, Vergehen usw.

§§ 138—140.

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den Fall, wenn ein Zeuge usw. nach dem Termin, zu dem er berufen war, unwahre Tatsachen als Entschuldigung vorschützt, um die Wiederaufhebung einer verhängten Ordnungsstrafe zu bewirken. RG. IV. 19. Jan. 1897. E. 29,316. I. 21. Febr. 1889. E. 18,442. Ob das Vorschützen Erfolg hatte oder nicht, ist unerheblich. 4) Vgl. § 407 ZPO., § 75 StPO., § 211 MStrGB. 5) Wegen der Ordnungsstrafen gegen Zeugen und Sachverständige vgl. §§ 380, 409 ZPO., §§ 50, 77 StPO-, §§ 186, 202, 208, 213 MStrGO. 6) Die Strafverfolgung verjährt in drei Jahren. § 67 Abs. 2 RStrGB.

§ 139. Wer von dem Vorhabens eines Hochverraths, Landesverraths, Münzverbrechens, Mordes, Raubes, Menschenraubes oder eines gemeingefährlichen?) Verbrechens zu einer Zeit, in welcher die Verhütung des Verbrechens möglich ist,3) glaubhafte Kenntniß erhält4) ilnd es unterläßt,3) hiervon8) der Behörde oder der durch das Ver­

brechen bedrohten Person zier rechten Zeit Anzeige?) zu machen, ist,

wenn das Verbrechen oder ein strafbarer Versuch desselben begangen worden ist, mit Gefängniß zu bestrafen.8)

1) Vgl. Note 2 zu 8 60 MStrGB. 2) Vgl. §§ 306, 307, 311—313, 321—324 RStrGB. § 13 des Spreng­ stoffgesetzes v. 9. Juni 1884. Bei gemeingefährlichen Verbrechen besteht die Anzeigepflicht, so lange der durch die Begehung des Verbrechens herbei­ geführte Zustand der Gefahr andauert. Durch das Vorliegen eines straf­ baren Versuchs ist deshalb die Anwendbarkeit des § 139 RStrGB. nicht beseitigt. RG. I. 7. Juni 1886. R. 8,425. E. 14,215. 3) Vgl. Note 3 zu § 60 MStrGB. 4) Vgl. Note4 zu § 60 MStrGB. 5) Vgl. Note5 zu § 60 MStrGB. 6) Vgl. Note 6 zu § 60 MStrGB. 7) Bei Münzverbrechen, Hochverrat, Landesverrat, Inbrandsetzung eines zu gottesdienstlichen Versammlungen bestimmten Gebäudes muß die Anzeige stets bei der Behörde geschehen. RG. II. 4. Jan. 1884. E. 9,3^. Die Anzeigepflicht trifft nur dritte Personen, nicht die Teilnehmer selbst am Verbrechen, auch nicht denjenigen, welcher ein Verbrechen mit anderen verabredet hat, ohne an der Ausführung sich zu beteiligen; eine Pflicht zur Selbstanzeige kennt das Strafgesetz nicht. RG. III. 25. Sept. 1880. E. 3,i. Anzeigepflichtig sind auch solche Personen, welche wegen ihres Verhältnisses zum Täter berechtigt sind, ihr Zeugnis zu verweigern. RG. III. 15. Mai 1880. R. 1,785. E. 2,57. 8) Die Strafverfolgung verjährt in fünf Jahren. 8 67 Abs. 2 RStrGB.

§ 140?) Wegen Verletzung der Wehrpflicht?) wird bestraft: 1) ein Wehrpflichtiger,3) welcher in der Absicht,4) sich dem Eintritte in

den Dienst des stehenden Heeres

oder der Flotte zu ent­

ziehen, ohne Erlaubniß entweder das Bundesgebiet verläßt oder nach

erreichtem militärpflichtigen^)

Alter

sich

außerhalb

des

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Strafgesetzbuch für das Deutsche Reich.

Bundesgebietes aufhält: mit Geldstrafe von einhundertfunfzig bis zu dreitausend Mark oder mit Gefängniß von Einem Monat bis zu Einem Jahre; 2) ein Offizier oder im Offizierrange stehender Arzt des Beurlaubten­ standes, welcher ohne Erlaubniß auswandert/) mit Geldstrafe bis zu dreitausend Mark oder mit Haft oder mit Gefängniß bis zu sechs Monaten; 3) ein jeder Wehrpflichtige, welcher nach öffentlicher Bekannt­ machung einer vom Kaiser für die Zeit eines Krieges oder einer Kriegsgefahr erlassenen besonderen Anordnung in Widerspruch mit derselben auswandert:6)7) mit Gefängniß bis zu zwei Jahren, neben welchem auf Geldstrafe bis zu dreitausend Mark erkannt werden kann. Der Versuch ist strafbar.8) Das Vermögen des Angeschuldigten kann, insoweit als es nach dem Ermessen des Richters zur Deckung der den Angeschuldigten mög­ licherweise treffenden höchsten Geldstrafe und der Kosten des Ver­ fahrens erforderlich ist, mit Beschlag belegt roeicben.9)10) 1) Vgl. Art. 3, 57, 59 RV., §§ 64ff., 81-83 MStrGB., §§10—12, 56, 60, 69 Nr. 5 RMG., §§ 1, 3, 6, 15 Ges. über die Verpfl. zum Kriegsdienst v. 9. Nov. 1867. Ges. über den Erwerb und Verlust der Reichsstaatsangehörigkeit v. 1. Juni 1870. Ges. betr. Änderungen d. Wehr­ pflicht v. 11. Febr. 1888. Staatsverträge mit Nordamerika u. Nordd. Bund v. 22. Febr. 1868, Bayern v. 26. Mai 1868, Württemberg v. 27. Juli 1868, Baden 19. Juli 1868, Hessen v. 1. Aug. 1868. 2) Wehrpflicht ist die Pflicht zur Dienstleistung in der bewaffneten Macht, Militärpflicht ist die Pflicht, sich der Aushebung für das Heer und die Marine zu unterwerfen. Art. 57 RV., § 24 Wehrges. v. 11. Febr. 1888. Das Vergehen des § 140 RStrGB. kann nur von einem Deutschen be­ gangen werden; Personen, welche das Reichsgebiet verlassen, die Reichs­ angehörigkeit verloren, eine andere Staatsangehörigkeit nicht erworben haben, unterfallen der Strafvorschrift nicht. Aber auch sie sind, wenn sie ihren dauernden Aufenthalt nehmen (d. h. sich in Deutschland niederlassen, ihren ordentlichen Wohnsitz dort nehmen und nur in Deutschland, nirgends anderswo den wirtschaftlichen Mittelpunkt ihres Geschäfts- und Erwerbs­ lebens haben, RG. III. 4. Febr. 1889. E. 18,38t), gestellungspflichtig, können nachträglich ausgehoben und — jedoch nicht über das 31. Lebensjahr hin­ aus — im Dienst zurückgehalten werden. § 11 RMG. RG. I. 21. Okt. 1901. E. 34,468. Ausnahme: Bancroftvertrag cfr. unten. § 140 RStrGB. findet gegen denjenigen, welcher die Reichsangehörig­ keit verloren hat, wegen einer nach dem Verlust dieser Eigenschaft ver­ übten Tat nicht Anwendung. RG. IV. 22. Nov. 1887. R. 9,628. Der Ver­ lust der Reichs- uud Staatsangehörigkeit ist nach § 21 des Ges. v. 1. Juni 1870 der Regel nach an den zehnjährigen ununterbrochenen Aufent­ halt im Auslande geknüpft. Dies trifft auch willens- und handlungsun­ fähigen Minderjährigen gegenüber zu. RG. III. 4. Febr. 1895. E. 26,427. I. 28. Nov. 1895. E. 28,24. IV. 16. Nov. 1897. E. 30,326. Ist die Tat vor dem Verlust des Jndiginats verübt, so kommt es nicht darauf an, daß der Täter auch noch zur Zeit der Strafverfolgung deutscher Reichsangehöriger

Zweiter Teil.

Einzelne Verbrechen, Vergehen usw.

§ 140.

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ist, oder ob er die Staatsangehörigkeit durch zehn-(bezw.fünf-)jährigen Auf­ enthalt verloren hat. RG. III. 20. Jan. 1896. E. 28,127. Eine Ausnahme enthält der Vertrag zwischen dem Nordd. Bund (Bayern usw. vgl. Note 1) und den Vereinigten Staaten von Nordamerika v. 22. Febr. 1868. Art. II. (Bancroftvertrag). Nach demselben kann ein naturalisierter amerikanischer Staatsbürger, welcher sich ununterbrochen fünf Jahre in den Vereinigten Staaten aufgehalten hat, wegen einer durch die Auswauderung verübten Straftat nach seiner Rückkehr und selbst nach Verlust der amerikanischen Staatsangehörigkeit nicht mehr bestraft werden. RG. I. 18. Febr. 1897. E. 29,391 und III. 20. Jan. 1896. E. 28,127. § 21 Abs. 3 des Ges. v. 1. Juni 1870. Olsh., Note 10 zu § 140 RStrGB. 3) Wehrpflichtig ist jeder Deutsche und zwar vom vollendeten 17. bis zum vollendeten 45. Lebensjahre. Art. 57 RV. § 1 des Ges. v. 9. Nov. 1867. § 24 des Ges. v. 11. Febr. 1888. 4) Mit dem Erfordern der Absicht, sich dem Eintritte in den Dienst zu entziehen, soll nicht der bloße Vorsatz, sondern der auf den Erfolg ge­ richtete Wille, der Endzweck als Tatbestandsmerkmal aufgestellt werden. Neben dieser Absicht kann eine andere Absicht (z. B. die einer Strafe zu entgehen) bestehen. RG. IV. 1. Nov. 1884. R. 6,680. E. 11,380.1. 15. Okt. 1900. E. 33,399. 5) Die Militärpflicht beginnt mit dem 1. Jahre desjenigen Kalender­ jahres, in welchem der Wehrpflichtige das 20. Lebensjahr vollendet und dauert so lange, bis über die Dienstverpflichtung des Wehrpflichtigen end­ gültig entschieden ist. § 10 RMG., §§ 22, 28 Nr. 4 WO. 6) Zum Auswandern ist außer dem Verlassen des Bundesgebiets die Absicht erforderlich, den Wohnsitz im Jnlande und die Angehörigkeit zum Deutschen Reich bezw. zum Heimatstaate dauernd aufzugeben; ein Ver­ weilen im Auslande steht dem Verlassen des Inlandes gleich, wenn ihm diese Absicht zugrunde liegt. Mit dieser Absicht ist es vereinbar, wenn der Täter keineswegs darauf verzichten will, je wieder in die Heimat zurück­ zukehren, sei es, daß er an einen sväteren, vorübergehenden Aufenthalt in Deutschland oder daran denkt, einmal Wohnsitz und Staatsangehörigkeit in Deutschland von neuem zu erwerben. RG. II. 1. Mai 1903. E. 36,241. 7) Vgl. auch 8 4 Nr. 3 d. Ges. v. 11. Febr. 1888. 8) In der Handlungsweise emes Wehrpflichtigen, welcher in der in § 140 RStrGB. erforderten Absicht die Heimat verlassen, im Hafenorte mit einer Fahrkarte zur Überfahrt nach oem Ausland sich versehen hat und welcher an der Überfahrt durch seine Verhaftung verhindert wird, kann ein Versuch des Vergehens gegen § 140 Nr. 1 RStrGB. gefunden werden. RG. III. 20. Nov. 1880. E. 3,136. 9) Über das Verfahren vgl. §§ 480, 325, 326 StPD. 10) Die Strafverfolgung verjährt in fünf Jahren, § 67 Abs. 2 RStrGB. Die im § 140 RStrGB. bedrohten Handlungen sind Dauervergehen; sie werden so lange verübt, als die Verletzung der Wehr- bezw. Militärpflicht durch fortdauernde Abwesenheit des Täters ohne Erlaubnis im Auslande oder im Widerspruch mit der Kais. Anordnung fortbesteht und kommen zum Abschluß dadurch, daß der gesetzwidrige Zustand aufhört. RG. I. 16. Sept. 1880. R. 2,212. I. 28. Sept. 1891. E. 22,161. II. 25. März 1881. E. 3,437. Die Verjährung der Strafverfolgung beginnt daher mit der Beendigung der Wehrpflicht (des vollendeten 45. Lebensjahres, im Falle des 8 11 RMG. [f. Note 2] des 31. Lebensjahres) oder im Falle der Nr. 3 mit der Auf­ hebung der Kaiserlichen Anordnung. Sie beginnt ferner mit dem Tage der Rückkehr in das Reichsgebiet, gleichviel in welcher Absicht oder für welche Dauer diese erfolgt. RG. III. 21. Jan. 1882. R. 4,595 und ferner mit dem Tage des Verlustes der Reichsangehörigkeit. III. 6. Febr. 1896. E. 23,407. Herz u. Ernst, Strafrecht der Militärpersonen.

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Strafgesetzbuch für das Deutsche Reich.

§ 141. Wer einen Deutschen zum Militärdienste einer ausländi­ schen Macht anwirbt oder den Werbern der letzteren zuführt, in­ gleichen wer einen Deutschen Soldaten *) vorsätzlich zum Desertierens verleitet3) oder die Desertion desselben vorsätzlich befördert,3) wird mit Gefängniß von drei Monaten bis zu drei Jahren bestraft.4) Der Versuch ist strafbar.3) *) Zu den Soldaten gehören auch die zur Disposition des Truppen­ teils beurlaubten Mannschaften. RG. II. 9. Juni 1882. R. 4,553. Ferner die zu einer militärischen Übung einberufenen Personen des Beurlaubten­ standes, auch wenn ihre persönliche Einstellung in den Truppenteil nicht erfolgt ist. 8 386 1 RMG.; RG. I. 21. April 1892. E. 23,si, und die vor­ läufig in die Heimat beurlaubten Rekruten. RG. 1. 15. Dez. 1894. E. 26,314. § 56 Nr. 2 RMG. Irrtum hierüber schützt nicht; zit. E. 26,314. 2) Vgl. § 69 Note 2—4 MStrGB. Die Desertion ist ein Dauerdelikt und besteht bis zur Rückkehr des Täters zur Truppe. Die vom RMGer. ver­ tretene Ansicht, daß der Eintritt des Täters in die Machtsphäre der Vor­ gesetzten die Fahnenflucht beendet, dürfte nicht aufrecht erhalten werden. Vgl. RMGer. II. 2. Aug. 1902. E. 3,166. A. M. RG. III. I. Febr. 1882. E. 6,7, nach demselben ist die Fahnenflucht mit der Entfernung von der Truppe vollendet und hört auf begangen zu werden; die unerlaubte Entfernung liege erst dann als vollendet vor, wenn der Täter an einen Ort gelangt sei, an dem er wenigstens vorläufig gegen Verfolgung gesichert sei; diese Ansicht ist im Gesetz nicht begründet. 3) Unter Verleitung ist Anstiftung und unter Beförderung Beihilfe zu verstehen. RG. I. 10. Nov. 1881. E. 5,125. III. 11. Okt. 1883. R. 5,592. Die Desertion muß erfolgt sein. Durch die Natur der Desertion als eines Dauervergehens wird bewirkt, daß die Beförderung der Desertion aus § 141 RStrGB. strafbar ist, so lange die Desertion begangen wird. Eine nach Abschluß der Desertion begangene Beförderung ist aus § 257 RStrGB. strafbar. Erfordert wird ein vorsätzliches Handeln. Durch eine reine Unterlassung kann eine Beförderung nicht begangen werden. 4) Die Strafverfolgung verjährt in fünf Jahren. § 67 Abs. 2 RStrGB. 5) Ein Versuch der vorsätzlichen Beförderung der Desertion kann dann vorliegen, wenn die Desertion selbst bloß versucht ist. RG. I. 10. Nov. 1881. E. 5,125. Auf das selbständige Delikt der vorsätzlichen Beförderung der Desertion kommen die Grundsätze des § 43 Abs. 1 RStrGB. zur An­ wendung, so daß auch, wenn seitens desjenigen, dessen Desertion befördert werden sollte, nicht einmal ein Versuch der Desertion vorhanden ist, ein Versuch der vorsätzlichen Beförderung der Desertion vorliegen kann. RG. I. 13. April 1882. E. 6,167.

§ 142. Wer sich vorsätzlich2) durch Selbstverstümmelung 1) oder auf andere Weise zur Erfüllung der Wehrpflicht untauglich macht3) oder durch einen Anderen untauglich machen läßt,4) wird mit Ge­ fängniß nicht unter Einem Jahre bestraft; auch kann auf Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte erkannt werden. Dieselbe Strafe trifft denjenigen, welcher einen Anderen auf dessen Verlangens zur Erfüllung der Wehrpflicht untauglich macht.3)

Zweiter Teil. Einzelne Verbrechen, Vergehen usw.

§§ 141—145.

387

4) Selbstverstümmelung liegt schon vor, wenn die Selbstbeschädigung auch nur die Untauglichkeit zum Felddienst zur Folge hat. RMGer. PE. III. Nr. 125. 2) Vgl. Note 2 zu § 81 MStrGB. 3) Vgl. Note 5 zu 8 81 MStrGB. 4) Vgl. Note 6 zu 8 81 MStrGB. 5) Vgl. Note 5 zu 8 82 MStrGB. 6) Die Strafverfolgung verjährt in fünf Jahren. 8 67 Abs. 2 RStrGB.

§ 143. Wer in der Absicht,4) sich der Erfüllung der Wehrpflicht ganz oder theilweis?) zu entziehen, auf Täuschung berechnete Mittels anwendet/) wird mit Gefängniß bestraft; auch kann auf Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte erkannt werden. Dieselbe Strafvorschrift findet auf den Theilnehmer Anwendung?) 4) Vgl. Note 2 zu 8 83 MStrGB. 2) Das Wort „teilweise" ist sowohl in bezug auf die Zeit wie auf die Art gemeint. Die Absicht des Täters kann auch auf eine andere, etwa spätere Dienstzeit, oder auf eine andere, ihm angenehmere oder bequemere Art des Dienstes gerichtet sein. RG. FS. 26. Juli 1883. E. 9,88, vgl. auch Note 2 zu 8 83 MStrGB. 3) Vgl. Note 4 zu 8 83 MStrGB. Die Hervorrufung eines krank­ haften Zustandes ist nicht erforderlich. RMGer. II. 30. Nov. 1901. E. 2,74. 4) Vgl. Note 5 zu 8 83 MStrGB. ' 5) Die Strafverfolgung verjährt in fünf Jahren. 8 67 Abs. 2 RStrGB.

§ 144?) Wer es sich zum Geschäfte macht?) Deutsche unter Vor­ spiegelung falscher Thatsachen oder wissentlich mit unbegründeten An­ gaben oder durch andere aus Täuschung berechnete Mittel zur Aus­ wanderung zu verleiten, wird mit Gefängniß von Einem Monat bis zu zwei Jahren bestraft?) 4) Vgl. Art. 4 Nr. 1, 59. RV. 8 16 Ges. v. 9. Nov. 1867. 8 6 GewO. 2) Gewerbs- oder Gewohnheitsmäßigkeit ist nicht erforderlich. 3) Die Strafverfolgung verjährt in fünf Jahren. 8 67 Abs. 2 RStrGB.

§ 145. Wer die vom Kaiser zur Verhütung des Zusammenstoßens der Schiffe auf See, über das Verhalten der Schiffer nach einem Zusammenstöße von Schiffen auf See, oder in Betreff der Noth- und Lootsensignale für Schiffe auf See und aus den Küstengewässern erlassenen Verordnungen4) übertritt?) wird mit Geldstrafe bis zu ein­ tausendfünfhundert Mark bestraft?)4) 4) Vgl. Kaiserl. Verordnung zur Verhütung des Zusammenstoßens der Schiffe auf See v. 9. Mai 1897 (RGBl. S. 203); hierdurch die Verordnung v. 7. Jan. 1880 sowie 88 1—3 der Not- und Lotsenordnung v. 14. Aug. 1876 aufgehoben; in Kraft geblieben sind Art. 19 des internationalen Vertrages, 25*

Strafgesetzbuch für das Deutsche Reich.

388

betr. die poliz. Regelung der Fischerei in der Nordsee außerhalb der Küstengewässer, v. 6. Mai 1882 (RGBl. 1884 S. 25) und Art. 5 und 6 des internationalen Vertrages zum Schutze der unterseeischen Telegraphenkabel v. 14. März 1884 (RGBl. 1888 S. 151). Vgl. ferner die Kaiserl. Verordnung über Lichter- und Signalführung der Fischerfahrzeuge und der LotsenDampffahrzeuge v. 10. Mai 1897 (RGBl. S. 215) und Kaiserl. Verordnung über das Verhalten der Schiffer nach einem Zusammenstöße von Schiffen auf See v. 15. Aug. 1876 (RGBl. S. 189) und Ergänzungsverordnung v. 29. Juli 1889 (RGBl. S. 171). Gesetz, betr. die Untersuchung von See­ unfällen, v. 27. Juli 1877 (RGBl. S. 549) und Gesetz, betr. den Gewerbe­ betrieb der Maschinisten auf Seedampfschiffen, v. 11. Juni 1878 (RGBl. S. 109). 2) D. h. verletzt oder zuwiderhandelt. 3) Die Strafverfolgung verjährt in drei Jahren. § 67 Abs. 2 RStrGB. 4) § 2 MStrGO. findet keine Anwendung, vgl. § 2 das. Note 3.

§ 145 a.1)

Wer im Inlande Schuldverschreibungen auf den In­

haber, in denen die Zahlung einer bestimmten Geldsumme versprochen

wird, ohne die erforderliche staatliche Genehmigung ausstellt und in den Verkehr bringt, wird mit einer Geldstrafe bestraft, die dem fünften

Theil des Nennwerths der ausgegebenen Schuldverschreibungen gleich­ kommen kann, mindestens aber dreihundert Mark beträgt?)

9 Durch Art. 34 IV. s. EG. z. BGB. eingeführt. 17. Juni 1833 (GS. S. 33) ist dadurch aufgehoben. 2) Die Strafverfolgung verjährt in drei Jahren. RStrGB.

Das § 67

Gesetz v.

Abs. 2.

Achter Abschnitt. Münzverbrechen und Münzvergehen.

§ 146.1)

Wer inländisches oder ausländisches Metallgeld oder

Papiergeld nachmacht?) um das nachgemachte Geld als echtes zu ge­ brauchen^) oder sonst in Verkehr zu bringen, oder wer in gleicher Absicht echtem Gelde durch Veränderung an demselben den Schein

eines höheren Werthes oder verrufenem Gelde4) durch Veränderung

an demselben das Ansehen eines noch geltenden gibt, wird mit Zucht­

haus nicht unter zwei Jahren bestraft; auch ist Polizei-Aufsicht zulässig.»)

Sind mildernde Umstände vorhanden, so tritt Gefängnißstrafe ein?)

0 Vgl. Gesetz über die Ausgabe von Papiergeld v. 16. Juni 1870 (RGBl. S. 507); Gesetz betr. Ausgabe von Reichskassenscheinen v. 30. April 1874 (RGBl. S. 40); Bundesratsbeschluß betr. Behandlung gefälschter Reichs­ kassenscheine v. 24. März 1876 und Bekanntmachung des Reichskanzlers betr. Behandlung der bei Reichs- und Landeskassen eingehenden falschen Reichsmünzen v. 9. Mai 1876 (RGBl. S. 260) und Gesetz betr. Schutz des zur Anfertigung von Reichskaffenscheinen verwendeten Papiers gegen Nach­ ahmung v. 26. Mai 1885 (RGBl. S. 165).

Zweiter Teil. Einzelne Verbrechen und Vergehen. §§ 145 a—149, 389

2) Es genügt die Herstellung einer solchen Beschaffenheit der fal­ schen Münze usw., daß sie im gewöhnlichen Verkehr den Arglosen zu täuschen imstande ist. Dem Falsifikat muß der Schein geltender echter Geld­ münze usw. innewohnen. RG. I. 27. März 1882. E. 6,102. 3) Ein Gebrauch im Sinne des § 146 RStrGB. liegt auch vor, wenn das Falsifikat behufs Erlangung von Kredit oder sonst behufs Täuschung im Rechtsverkehr vorgewiesen werden soll. RG. II. 28. Mai 1886. R. 8,400. E. 14,161. 4) D. h. nicht mehr geltendes Geld. 5) Ob die Tat im Ausland oder Inland, vom Aus- oder Inländer an in- oder ausländischem Gelde verübt wird, ist gleichgültig. § 4 Nr. 1 RStrGB. 6) Die Strafverfolgung verjährt in 15 Jahren. § 67 Abs. 1 RStrGB. § 147.

Dieselben Strafbestimmungen finden auf denjenigen An­

wendung, welcher das von ihm auch ohne die vorbezeichnete Absicht

nachgemachte oder verfälschte Geld als echtes in Verkehr bringt, sowie

auf denjenigen, welcher nachgemachtes oder verfälschtes Geld sich verschafft*) und solches entweder in Verkehr bringt oder zum Zwecke der

Verbreitung?) aus dem Auslande einführt. 3)4)5) ') Der Täter muß in den Besitz des Falsifikats mit der Kenntnis der Unechtheit desselben gekommen sein. RG. I. 27. März 1882. E. 6,142. Eine weitergehende Absicht, etwa auf Einführen des Geldes in das Inland oder auf Inverkehrbringen ist nicht erforderlich. Die Strafbarkeit desjenigen, welcher nachgemachtes oder verfälschtes Geld sich verschafft und solches in Verkehr bringt, ist nicht davon abhängig, daß derselbe das Geld als echtes in Verkehr bringt, wenn auch als Dolus die Absicht vorausgesetzt wird, daß das nachgemachte Geld als echtes in den Verkehr gelange. RG. II. 30. April 1880. E. 1,408. 2) Wo die Verbreitung stattfinden soll, ob im In- oder Auslande, ist gleichgültig. RG. II. 11. Juli 1882. E. 6,441. R. 4,685. 3) Einführen bezeichnet die Handlung, mit der eine im Auslande be­ findliche Sache über die Grenze des Deutschen Reiches gebracht wird. RG. II. 11. Juli 1882. E. 6,441. R. 4,685. 4) Der strafbare Versuch des § 147 RStrGB. erfordert den Entschluß des Täters, nachgemachtes Geld sich zu verschaffen und in Verkehr zu bringen, in der Absicht, daß es als echtes in den Verkehr gelange und daß er in Verwirklichung dieses Entschlusses eine sich als Ausführungshandlung darstellende Handlung vornimmt. RG. IV. 20. Mai 1887. E. 16,111. 5) Die Strafverfolgung verjährt in 15 Jahren. § 67 Abs. 1 RStrGB.

§ 148.

Wer nachgemachtes oder verfälschtes Geld als echtes emp­

fängt und nach erkannter*) Unechtheit als echtes in Verkehr bringt, wird

mit Gefängniß bis zu drei Monaten oder mit Geldstrafe bis

zu dreihundert Mark bestraft.

Der Versuch ist strafbar.-) *) Der Täter muß die Unechtheit erkannt haben, Zweifel an der Echt­ heit genügen nicht. 2) Die Strafverfolgung verjährt in drei Jahren. § 67 Abs. 2 RStrGB. § 149.

Dem Papiergelde werden gleich geachtet die auf den In­

haber lautenden Schuldverschreibungen, Banknoten, Aktien oder deren

390

Strafgesetzbuch für das Deutsche Reich.

Stelle vertretende Jnterimsscheine oder Quittungen, sowie die zu diesen Papieren gehörenden Zins-, Gewinnantheils- oder Erneuerungs­ scheine, welche von dem Reiche, dem Norddeutschen Bunde, einem Bundesstaate oder fremden Staates oder von einer zur Ausgabe solcher Papiere berechtigten Gemeinde, Korporation, Gesellschaft oder Privat­ person ausgestellt sind.

*) Ausländische Prämienpapiere mit falschem Stempel (Ges. v. 8. Juni 1871) werden durch diese unrichtige Stempelung nicht dem verrufenen mit dem Schein der Gültigkeit versehenen Gelde gleich und unterliegen nicht der Einziehung. RG. I. 11. April 1892. E. 23,so.

§ 150. Wer echte, zum Umlauf bestimmte Metallgeldstücke durch Beschneiden, Abfeilen oder auf andere Art verringert und als voll­ gültig in Verkehr bringt, oder wer solche verringerte Münzen gewohn­ heitsmäßig oder im Einverständnisse mit dem, welcher sie verringert hat, als vollgültig in Verkehr bringt, wird mit Gefängniß bestraft, neben welchem auf Geldstrafe bis zu dreitausend Mark, sowie auf Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte erkannt werden kann. Der Versuch ist strafbar?) *) Die Strafverfolgung verjährt in fünf Jahren. § 67 Abs. 2 RStrGB.

§ 151. Wer Stempel, Siegel, Stiche, Platten 0 oder andere zur Anfertigung von Metallgeld, Papiergeld oder dem letzteren gleich ge­ achteten Papieren dienliche Formen zum Zwecke eines Münzverbrechens angeschafft oder angefertigt hat,2) wird mit Gefängniß bis zu zwei Jahren bestraft. 3) *) D. h. Werkzeuge, mittels deren der Abdruck der Geldzeichen zu be­ wirken ist. RG. III. 22. Dez. 1880. E. 3,286. 2) Die Anfertigung muß vollendet sein, andernfalls liegt nur ein straf­ loser Versuch vor. 3) Die Strafverfolgung verjährt in fünf Jahren. § 67 Abs. 2 RStrGB.

§ 152.*) Auf die Einziehung des nachgemachten oder verfälschten Geldes, sowie der im § 151 bezeichneten Gegenstände ist zu erkennen, auch wenn die Verfolgung oder Verurtheilung einer bestimmten Person nicht stattfindet?) 1) Vgl. §§ 40-42 RStrGB. und über das Verfahren § 477 StPO. 2) Nach § 152 RStrGB. ist alles nachgemachte oder verfälschte Geld einzuziehen, nicht nur solches Geld, welches (Gegenstand eines der in §§ 146, 147 RStrGB. bezeichneten Verbrechens war. Im sog. objektiven Verfahren darf auf Einziehung der Falsifikate auch erkannt werden, wenn die Person des Fälschers ermittelt, dieser aber in einem vorausgegangenen Verfahren rechtskräftig freigesprochen ist. RG. II. 28. Mai 1886. E. 14,igi u. R. 8,400. Willigt der Inhaber des Falschstückes in die Herausgabe und Einziehung, so bedarf es eines gerichtlichen Verfahrens zur Einziehung nicht, letztere erfolgt im Verwaltungswege. Reskr. des Justizministers v. 17. Juni 1887.

Zweiter Teil. Einzelne Verbrechen, Vergehen usw. §§ 150—154.

391

Neunter Abschnitt. Meineid.

§ 153.

Wer*) einen ihm zugeschobenen, zurückgeschobenen oder

auferlegten @ib2) wissentlich 3) falsch schwört/) wird mit Zuchthaus bis zu zehn Jahren bestraft?)

1) Vgl. auch § 154 Note 4 RStrGB. 2) Ob ein „zugeschobener, zurückgeschobener, auferlegter" Eid vorliegt, ist in bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten nach der Reichszivilprozeßordnung zu beurteilen. RG. III. 8. Okt. 1881. E. 5,94. Unter auferlegtem Eid ist jeder Eid zu verstehen, denn die Behörde (als solche kommt nicht allein das Gericht in Betracht, RG. II. 26. Nov. 1880. E. 3,?o), kraft Gesetzes fordert oder abschwören läßt, sofern er sich nicht als ein zugeschobener oder zurück­ geschobener Parteieid, oder als Zeugen- oder Sachverständigeneid darstellt. RG. III. 29. April 1889. E. 19,128. 8. Okt. 1881, E. 5,94. Für die Straf­ barkeit eines wissentlich falsch geschworenen Parteieides ist es unerheblich, ob derselbe nach den Bestimmungen des Verfahrens in bürgerlichen Rechts­ streitigkeiten als zulässig und rechtswirksam geleistet in Betracht zu kommen hat und ferner, ob die Verweigerung des Eides für den Schwurpflichtigen die Möglichkeit einer strafrechtlichen Verfolgung, wegen eines Vergehens oder Verbrechens nach sich zu ziehen geeignet war. RG. I. 1. Nov. 1881. E. 5,124. R. 3,676. Ohne Belang ist ferner, ob der Täter zur Eidesleistung nach prozessualen Vorschriften verpflichtet, berechtigt oder befähigt war. RG. I. 30. Jan. 1882. R. 4,95. 3) Es genügt dolus eventualis. Vgl. Olsh. Note 5 zu § 153 RStrGB. 4) Vorausgesetzt ist nicht die konkrete Zuständigkeit der betreffenden Behörde zur Abnahme des auferlegten Eides; es genügt die Mitwirkung einer im allgemeinen zuständigen Behörde bei der Eidesabnahme. RG. II. 19. Jan. 1897. E. 25,338. FS. 9. Sept. 1887. E. 16,186. Als im Jnlande geleistet ist strafbar der von einem Ausländer vor dem bei der inländischen Regierung beglaubigten Gesandten seines Heimatstaates geleistete falsche Eid. RG. II. 26. Nov. 1880. E. 3,?o. Die Frage, ob ein Eid richtig oder geleistet wurde, ist tatsächlicher Natur und der Prüfung des ronsgerichtes entzogen. RG. III. 30. Juni 1880. R. 2,i4i. 5) Die Strafverfolgung verjährt in zehn Jahren, § 67 Abs. 1 RStrGB.

«

§ 154.

Gleiche Strafe trifft denjenigen, welcher vor einer zur

Abnahme von Eiden zuständigen

Zeugniß2) oder ein falsches

Behördex) wissentlich ein

falsches

Gutachten3) mit einem Eide bekräftigt

oder den vor seiner Vernehmung geleisteten Eid wissentlich durch ein

falsches Zeugniß oder ein falsches Gutachten verletzt.4)

Ist das falsche Zeugniß oder Gutachten in einer Strafsache zum Nachtheile eines Angeschuldigten abgegeben und dieser zum Tode, zu

Zuchthaus oder zu einer anderen mehr als fünf Jahre betragenden Freiheitsstrafe verurtheilt worden, so tritt Zuchthausstrafe nicht unter drei Jahren ein?)

x) Erfordert wird nur, daß der Eid vor einer Behörde geleistet ist, welche überhaupt (in abstracto) zur Abnahme von Eiden zuständig ist. RG. III. 24. Nov. 1885. R. 7,696. I. 13. Nov. 1882. E. 7,275. II. 19. Jan. 1897. E. 29,339.

392

Strafgesetzbuch für das Deutsche Reich.

2) Ob die Zeugenaussage in wesentlichen oder unwesentlichen Punkten von der Wahrheit abweicht, ist für den objektiven Tatbestand des wissent­ lichen oder fahrlässigen Falscheides ohne Bedeutung. RG. II. 29. April 1884. E. 10,338. R. 6,317. In subjektiver Beziehung ist für die Frage, welches Maß von Bedeutsamkeit der Inhalt einer Aussage hat, nicht die Zeit der Würdigung des Gesamtergebnisses der Beweiserhebung ins Gewicht fallend; es kommt lediglich darauf an, welche Bedeutsamkeit der Inhalt einer Aus­ sage zur Zeit, als letztere geschah, hatte. Der Zeuge hat alles, worüber er ausdrücklich befragt wird, als erheblich und wesentlich zu erachten. RG. I. 14. Febr. 1884. R. 6,ni. Der Zeuge oder Sachverständige, welcher einen Teil seiner Wissenschaft absichtlich verschweigt, macht sich deshalb auch dann eines Meineides schuldig, wenn er diesen Umstand für unerheblich hält. Vorausgesetzt wird dabei aber, daß er danach besonders befragt ist, oder daß er sich wenigstens der Möglichkeit, daß der Umstand als erheblich an­ gesehen werden könne, bewußt war und diese Eventualität in seinen Willen mit aufnahm (dolus eventualis). RG. IV. 8. Jan. 1886. R. 8,23. III. 23. Nov. 1882. E. 7,321. Zum Zeugnis gehört auch die Angabe des Zeugen über seine Vorstrafen. RG. III. 5. Mai 1880. R. 1,732. E. 2,45. Der Eid des Sachverständigen umfaßt dagegen die richtige Beantwortung der Personal­ fragen nicht. RG. 1.17. Febr. 1890. E. 20,235. Der nach Beantwortung der Generalfragen geleistete promissorische Zeugeneid bezieht sich nur auf die der Eidesleistung folgende Vernehmung zur Sache. RG. III. 9. Okt. 1880. R. 2,307. 3) Die durch den Zeugeneid übernommene Verpflichtung, die reine Wahrheit zu sagen, umfaßt auch die Pflicht, ein gewissenhaftes Gutachten ab­ zugeben. Hat ein Sachverständiger nur den Zeugeneio, nicht aber den Sach­ verständigeneid geleistet, so kann dieser Umstand nicht zur Aufhebung des Ur­ teils in der Revisionsinstanz führen. (RG. II. 26. Febr. 1884. R. 6,154. Die als Zeugnis erscheinenden und als solche im Urteil ausdrücklich qualifizierten Teile eines Gutachtens sind von dem Sachverständigen zeugeneidlich zu be­ kräftigen. RG. I. 23. Dez. 1880. R. 2,665. II. 17. Febr. 1885. R. 7,ns. 4) Ob dem Schwörenden die Fähigkeit, als Zeuge eidlich vernommen zu werden, aberkannt war, ist unerheblich; der Umstand, daß der falsch geleistete Eid hätte verweigert werden können, daß die vorgeschriebene Be­ lehrung der Berechtigung zur Verweigerung des Zeugnisses bezw. zur Ver­ weigerung der Beeidigung desselben unterblieben ist, oder daß Beeidigung nach den Prozeßgesetzen nicht erfolgen durfte, ist nur für das Strafmaß entscheidend. (§ 157 RStrGB.) RG. I. 23. Febr. 1880. E. 1,217. I. 30. Jan. 1882. R. 4,95. II. 14. Nov. 1893. E. 25,30. RMGer. II. 17. Dez. 1902. E. 4,83. III. 30. Jan. 1903. E. 4,17. Personen, welche zur Zeit der Vernehmung das 16. Lebensjahr noch nicht vollendet, oder wegen mangelnder Verstandesreife, oder wegen Ver­ standesschwäche von dem Wesen und der Bedeutung des Eides keine ge­ nügende Vorstellung haben, sind im Falle einer gleichwohl stattgehabten Eidesleistung den Strafen des Meineids nach §§ 153 ff. RStrGB. unter­ worfen. RG. VS. 23. Mai 1903. E. 36,278. Vorausgesetzt wird ferner, daß bei der Eidesleistung die vom Gesetze für dieselbe vorgeschriebenen wesentlichen Formen beobachtet werden. RG. II. 14. Nov. 1893. E. 25,30. Ob die mehrfache Verletzung der Eidespflicht innerhalb desselben Prozeßverfahrens als ein einheitliches oder als ein wiederholtes Delikt sich oarstellt, ist wesentlich Sache der tatsächlichen Feststellung. RG. IV. 4. Jan. 1887. R. 9,7. Vollendet ist das Delikt des Meineids, sobald die Aus­ sagen des Zeugen derart zum Abschluß gekommen sind, daß er selbst, das Gericht, dessen Vorsitzender und die Prozeßparteien sie als eine eidlich be­ kräftigte zeugenschaftliche Bekundung und als Ausgangspunkt für demnächstige weitere Entschließungen, Verfügungen und Anträge ansehen müssen. Ob eine solche, als einheitliches Äanze zu betrachtende Zeugenaussage

Zweiter Teil.

Einzelne Verbrechen, Vergehen usw.

§ 155.

Z9Z

vorliegt, ist stets nach Lage des Einzelfalles zu untersuchen. RG. I. 21. April 1892. E. 23,86. II. 15. März 1886. E. 14,9. Von dem für den Begriff des Versuches erforderlichen Anfang der Ausführung des Meineids kann — soweit es sich um einen promissorischen Eio handelt — erst die Rede sein, wenn mit der Ablegung des falschen Zeugnisses begonnen ist. RG. IV. 15. Jan. 1892. E. 22,363. Die von einem Zeugen auf Eid gemachte falsche Aussage enthält den Versuch des Meineids auch dann, wenn der Zeuge noch innerhalb derselben Vernehmung auf Vorhalt des Vorsitzenden seine Aussage richtig stellt; die Anstiftung zu diesem Versuch ist aus § 48, nicht aus § 159 RStrGB. strafbar. RG. IV. 9. Okt. 1888. R. 10,555. Ein be­ eideter Zeuge, der anfänglich die Unwahrheit sagt, dann aber — noch während der Vernehmung — ohne durch von seinem Willen unabhängige Umstände gezwungen zu sein, die Wahrheit sagt, begeht hierdurch einen straflosen Versuch des Meineids (§ 46 Nr. 21 RStrGB.). Die Anstiftung zu diesem Versuch ist aus § 48, nicht § 159 RStrGB. strafbar. RG. III. 15. März 1886. R. 8,i7i. E. 14,19. Beim Versuche des Meineids kann § 46 Nr. 2 RStrGB. überhaupt nicht Platz greifen. RG. IV. 15. Jan. 1892. E. 22,363. 5) Die Strafverfolgung verjährt in zehn Jahren, im Falle des Abs. 2 des § 154 RStrGB in 15 Jahren, § 67 Abs. 1 RStrGB. Auch in letzterem Falle beginnt die Verjährung schon mit der Vollendung der Tat, nicht erst mit der Verurteilung eines Angeschuldigten.

§ 155. Der Ableistung eines Eides wird gleich geachtet, wenn 1) ein Mitglied einer Religionsgesellschaft, welcher das Gesetz den Gebrauch gewisser Betheuerungsformeln an Stelle des Eides gestattet, eine Erklärung unter der Betheuerungsformel seiner Religionsgesellschaft abgibt; 2) derjenige, welcher als Partei, Zeuge oder Sachverständiger einen Eid geleistet hat, in gleicher Eigenschaft eine Versicherung unter Berufung auf den bereits fri'cher in derselben Angelegenheit*) geleisteten Eid abgibt,-) oder ein Sachverständiger, welcher als solcher ein- für allemal vereidet ist, eine Versicherung auf den von ihm geleisteten Eid abgibt;2) 3) ein Beamterb) eine amtliche Versicherung unter Berufung auf seinen Diensteid abgibt. 4) Der Vorgang muß derselbe sein. Das Verfahren, in dem die frühere Eidesleistung erfolgte, und das Verfahren, in welchem die Ver­ sicherung gemäß § 155 Nr. 2 RStrGB. erfolgt, brauchen sich prozeßrechtlich nicht als dasselbe Hauptverfahren oder Strafsache i. S. des § 66 StrPO. § 201 MStrGO. darzustellen. RG. III. 3. Mai 1897. E. 3O,iso. 2) Die Versicherung ist auch dann der Eidesleistung gleich zu achten und bezw. als Meineid zu bestrafen, wenn sie in einem Falle gefordert oder angenommen worden ist, in welchem nach prozessualer Vorschrift die förmliche Eidesleistung hätte stattfinden sollen. RG. IV. 15. Mai 1888. E. 17,409. R. 10,393. III. 3. Mai 1897. E. 30,130. III. 24. Mai 1886. E. 14,170. Daß die Versicherung mit den Worten des § 66 StrPO. § 201 MStrGO. erfolgt, ist nicht nötig; es genügt jede Versicherung der Wahrheit mit Bezug auf den geleisteten Eid. RG. III. 8. Jan. 1881. R. 2,704. Andererseits genügt nicht die Hinweisung eines Sachverständigen auf einen im allgemeinen geleisteten Eid von feiten des Vorsitzenden oder des Gerichts, erfordert

394

Strafgesetzbuch für das Deutsche Reich.

wird immer eine Versicherung auf jenen Eid. RG. III. 18. Sept. 1880. R. 2,216. III. 16. April 1883. R. 5,250. II. 10. Dez. 1880. E. 3,100. 3) Vgl. § 359 RStrGB. Advokaten, Anwälte, Schöffen, Geschworene sind nicht Beamte. 4) Die Bestimmung des Abs. 3 greift nur Platz, wo ein gesetzlich anerkanntes Verfahren besteht, in welchem Beamte, die als Zeugen über amtliche Angelegenheiten vernommen werden, ihre Aussagen auf den von ihnen geleisteten Diensteid zu versichern haben. Die Landesdisziplinar­ gesetze, welche ein solches Verfahren vorschreiben, sind in Kraft geblieben (§ 3 d. EinfGes. z. StrPO., ZPO.); zu ihnen gehört aber nicht das Preuß. Gesetz v. 21. Juli 1852, wo es lediglich auf die jeweilig geltenden allge­ meinen strafprozessualen Bestimmungen bezug nimmt. Eine Bestrafung aus § 155 RStrGB. findet nicht statt, wenn ein Beamter in einer Disziplinar­ sache gegen preuß. nichtrichterliche Beamte ein solches Zeugnis unter Berufung auf seinen Diensteid abgelegt hat. RG. IV. 24. Jan. 1894. E. 25,96. Vgl. auch Note 4 zu 8 196 MStrGO.

§ 156. Eidesstatt?) lich^) falsch wissentlich?) bis zu drei

Wer vor*) einer zur Abnahme einer Versicherung an zuständigen4) Behörde?) eine solche Versicherung wissent­ abgibt oder unter Berufung auf eine solche Versicherung falsch aussagt, wird mit Gefängniß von Einem Monat Jahren bestraft?)

]) Eine sogenannte „körperliche" Abgabe wird nicht erfordert, die Versicherung kann auch schriftlich abgegeben werden, RG. VS. 14. Nov. 1888. E. 18,246. II. 5. Dez. 1890. E. 21,198, selbst durch einen Dritten mit Wissen und Willen des Erklärenden. RG. IV. 29. Sept. 1891. E. 22,267. Wird oie in einem Schriftstücke niedergelegte eidesstattliche Versickerung von einem Bevollmächtigten des Versichernden der Behörde münolich vorgetragen, sodann aber, ohne daß eine Überreichung an die Behörde stattgefunden hätte, wieder an den Auftraggeber zurückbefördert, so kann dies weder als mündliche noch als schriftliche Versicherung an Eidesstatt aufgefaßt werden. RG. III. 4. Dez. 1899. E. 32,436. 2) Die Worte „an Eidesstatt" sind nicht sakramental; eine Versicherung an Eidesstatt ist objektiv nur dann vorhanden, wenn sie sich äußerlich (z. B. auch „an Stelle des Eides") und ihrem Inhalte nach als solche darstellt; die Versicherung muß wirklich an Eidesstatt ausgestellt oder ab­ gegeben sein. Die bloße Absicht, eine solche Versicherung abzugeben, kann einer Schrift obne eidesstattliche Versicherung die Eigenschaft einer Ver­ sicherung an Eioesstatt nicht verleihen. Der objektive Mangel wird durch den subjektiven Dolus nicht behoben. RG. II. 28. Dez. 1886. E. 15,126. Unerheblich ist, ob nach den gesetzlichen Vorschriften die Abgabe einer eidesstattlichen Versicherung notwendig war. RG. II. 10. Juni 1892. E. 23,170. Zum Tatbestand des Delikts gehört nicht, daß die eidesstattliche Versiche­ rung durch die Behörde erfordert war. RG. III. 29. Mai 1886. E. 14,170. § 156 RStrGB. ist auch anwendbar, wenn die Versicherung freiwillig ent­ gegengebracht wurde, RG. II. 7. Dez. 1886. R. 8,730, oder wenn die Ver­ sicherung dem Wortlaute nach nicht vorgeschrieben war. RG. 1.17. April 1882. E. 6,196. II. 19. Febr. 1889. E. 18,414. Die eidesstattliche Versicherung muß sich auf einen Gegenstand er­ strecken, über welchen sei es nach gesetzlichen Vorschriften, nach Gewohn­ heitsrecht, Gerichtsgebrauch oder sonstigen Normen ungesetzten Rechts, oder sei es auch nur nach Sinn und Zusammenhang der den Gegenstand des Verfahrens regelnden Bestimmungen, die Abgabe einer solchen Versicherung überhaupt zulässig ist. Rechtlich absolut indifferente oder schlechthin'un-

Zweiter Teil.

Einzelne Verbrechen, Vergehen usw.

§ 156.

395

statthafte eidesstattliche Versicherungen fallen, auch wenn sie vor einer Behörde abgegeben sind, nicht unter § 156 RStrGB. Wohl aber wird diese Bestimmung anwendbar, sobald nach dem Gegenstände bezw. dem Verfahren und nach den sich hieraus ergebenden, für die Behörde maß­ gebenden Zuständigkeitsnormen gesetzlich nicht ausgeschlossen ist, daß die fragliche Versicherung Rechtswirkungen auszuüben vermag. RG. II. 11. Dez. 1885. E. 13,161. VS. 23. Okt. 1889. E. 19,414. So kann der Tatbestand des § 156 eit. dadurch begründet werden, daß dem Prozeßrichter behufs Ver­ haltung an eine schwurpflichtige Partei eine wissentlich falsche eidesstattliche Versicherung überreicht wird. RG. IV. 29. Sept. 1891. E. 22,260. Die eides­ stattliche Versicherung ist ein zulässiges Beweismittel, um eine tatsächliche Behauptung glaubhaft zu machen, RG. VS. 23. Okt., 1889. E. 19,414 (im äivilprozeß), II. 29. Okt. 1895. E. 28,8 (im Strafprozeß), II. 10. Juni 1892. . 23,170 (im Vollstreckungsverfahren). Ein zulässiges Beweismittel für die Glaubhaftmachung einer tatsäch­ lichen Behauptung bei den Gerichten ist auch die eidesstattliche Versicherung eines Dritten. RG. II. 1./5. Dez. 1882. E. 7,287. IV. 16. Febr. 1885. R. 7,107. 3) Um einem Einzelbeamten den Charakter der Behörde zuzusprechen, genügt es nicht, daß derselbe zu einer selbständigen Wirksamkeit behufs Förderung der Zwecke des Staates berufen ist, sondern es ist überdies noch nötig, daß sein Amt als solches durch den ausdrücklich oder stillschweigend erkennbar gemachten Staatswillen als dauerndes Subjekt staatlicher Hoheits­ rechte und Pflichten anerkannt und organisiert ist. Den Notaren ist durch BGB. § 2356 Abs. 2 (früher § 3 Abs. 2 Pr. Ges. v. 12. März 1869), inso­ weit eine behördliche Funktion übertragen, als sie befugt sind, die eides­ stattliche Versicherung auf Grund deren der Erbschein ausgestellt wird, ab­ zunehmen. RG. VS. 14. Nov. 1888. E. 18,246. Die abstrakte Ermächtigung, daß die Behörde an sich befugt ist, eides­ stattliche Versicherungen abzunehmen, genügt nicht; es muß die Behörde auch zuständig sein, über den Gegenstand, auf welchen sich die eidesstattliche Versicherung bezieht, eine solche zu erfordern, bezw. entgegenzunehmen. RG. I. 13. Nov. 1882. E. 7,275. III. 25. Febr. 1884. R. 6,151. II. Dez. 1885. E.13,i6i. II. 2. Dez. 1887. E. 16,372. II. 6. März 1888. E. 17,185. II. 9. März 1888. E. 17,208. II. 28. Dez. 1888. E. 18,309. II. 10. Juni 1892. E. 23,i?o. II. 7. Nov. 1893. E. 24,377. II. 29. Okt. 1895. E. 28,8. 4) Zuständige Behörden sind u. a.: die Gerichte (vgl. die zit. Erk E. 7,287. R. 7,106. E. 19,414. RG. IV. 21. Febr. 1890. E. 20,241), hinsichtlich der eidesstatt­ lichen Versicherung der Partei als zulässigen Beweismittels zur Glaubhaft­ machung einer tatsächlichen Behauptung, vgl. auch zit. Erk. E. 22,267; die Standesbeamten hinsichtlich der eidesstattlichen Versicherungen von Tat­ sachen, die für die zur Eheschließung gesetzlich notwendigen Erfordernisse von Bedeutung sind. § 45 des Personenstandsgesetzes, zit. Erk. E. 13,ieo. In dem die Beurkundung der Geburt bezweckenden Verfahren sind die Standesbeamten nicht zur Abnahme von eidesstattlichen Versicherungen zu­ ständig. RG. II. 28. Dez. 1888. E. 18,309. Die Erbschaftssteuerämter; § 39 oes Preuß. Erbschaftssteuergesetzes v. 19./24. Mai 1891. RG. IV. 11. Dez. 1896. E. 29,247. 5) Dolus eventualis genügt. RG. II. 1. März 1892. Goltd. Archiv 40,33. Durch mangelnde Einsicht in das Wesen und die Bedeutung der eidesstattlichen Versicherung, soweit dieser Mangel auf Verstandes­ unreife oder Verstandesschwäche beruht, wird die Strafbarkeit der fal­ schen Versicherung an Eioesstatt ausgeschlossen. RG. III. 18. Nov. 1895. E. 28,88. 6) Die Strafverfolgung verjährt in fünf Jahren. § 67 Abs. 2 RStrGB.

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Strafgesetzbuch für das Deutsche Reich.

§ 157. Hat ein Zeuges oder Sachverständiger sich eines Mein­ eides (§§ 154, 155) oder einer falschen Versicherung an Eidesstatt schuldig gemacht, so ist die an sich verwirkte Strafe?) auf die Hälfte bis ein Viertheil zu ermäßigen, wenn 1) die Angabe der Wahrheit gegen ihn selbst eine Verfolgung wegen eines Verbrechens oder Vergehens nach sich ziehen konnte,3) oder 2) der Aussagende die falsche Aussage zu Gunsten einer Person, rücksichtlich welcher er die Aussage ablehnen durfte, erstattet hat, ohne über sein Recht, die Aussage ablehnen zu dürfen, belehrt4) worden zu sein. Ist hiernach Zuchthausstrafe unter Einem Jahre verwirkt, so ist dieselbe nach Maßgabe des § 21 in Gefängnißstrafe zu ver­ wandeln. 5) 1) Nicht aber etwa eine Partei. RG. I. 1. Nov. 1881. E. 5,124. II. 23. Dez. 1903. E. 36,49. 2) Die „an sich verwirkte Strafe", ist diejenige Strafe, welche ohne die Milderungsgründe des § 157 Nr. 1 oder 2 RStrGB., oder beider vereint, bzw. ohne die Milderungsgründe des § 158 eit. zuzumessen gewesen wäre. Auch bei dem Zusammentreffen mehrerer in den §§ 157, 158 cit. aufgeführten Straf­ ermäßigungsgründe findet doch nur einmalige Reduktion statt. RG. II. 12. Okt. 1883. R. 5,603. In den Urteilsgründen wird anzugeben sein, wie hoch die an sich verwirkte Strafe bemessen worden ist, und in welcher Weise die Ermäßigung bewirkt ist. Ein unbedingtes Erfordernis ist dies jedoch nicht. RG. FS. 28. Juli 1884. E. 11,42. Treffen mehrere Fälle des Mein­ eids in Realkonkurrenz zusammen, so ist für jeden Meineid, bei dem die Ermäßigungsgründe des § 157 oder § 158 cit. vorliegen, zunächst die an sich verwirkte Strafe zu finden, diese zu ermäßigen bezw., wenn für den Einzel­ fall Zuchthausstrafe unter einem Jahre verwirkt ist, in Gefängnisstrafe gemäß § 21 RStrGB. umzuwandeln. Aus diesen so gefundenen Einzel­ strafen ist die Gesamtstrafe zu bilden. RG. II. 15. April 1898. E. 31,iog. 3) Die Strafermäßigung des § 157 Nr. 1 RStrGB. kommt nur dem „Täter", d. h. demjenigen, der sich eines Meineids bezw. einer falschen Ver­ sicherung an Eidesstatt schuldig gemacht hat, nicht auch dem Anstifter zu­ statten. Vgl. auch 88 482, 50 RStrGB. RG. FS. 29. Juli 1891. E. 22,106 und 10. Aug. 1881. E. 4,377. RMGer. PE. IV. Nr. 160. Ob der Schwörende den Strafmilderungsgrund kannte oder nicht, ist unerheblich. RG. II. 3. Juni 1892. E. 23,149. Die Strafermäßigung muß auch dann erfolgen, wenn sich der wissentlich falsch aussagende Zeuge durch eigenes Verschulden in die Lage gebracht hatte, mit Angabe der Wahrheit sich der Möglichkeit der Strafverfolgung wegen Verbrechens oder Vergehens auszusetzen. RMGer. III. 8. Jan. 1902. E. 2,123. Hat der Angeklagte eine wissentlich falsche Anschul­ digung begangen und solche alsdann durch einen Eid bekräftigt, so findet die Strafermäßigung nur dann statt, wenn das falsche Zeugnis mit der falschen Anschuldigung im sachlichen Zusammenflüsse steht. RMGer. zit. Erk. 2,123. 4) Bei den in einem bürgerlichen Rechtsstreite vernommenen, gemäß § 383 Ziff. 1 bis 3 ZPO. zur Zeugnisverweigerung berechtigten Personen genügt zum Ausschlüsse der Strafermäßigung des § 157 Nr. 2 RStrGB., daß sie vor ihrer Vernehmung über ihr Zeugnisverweigerungsrecht be­ lehrt worden sind. Einer neuerlichen Belehrung vor der nachträglichen Beeidigung der früheren Aussage (§ 57 Abs. 2 StrPO. § 200 Abs. 2

Zweiter Teil.

Einzelne Verbrechen, Vergehen usw. §§ 157, 158.

397

MStrGO.) bedarf es bei solchen Personen nicht. RMGer. III. 27. Nov. 1901. E. 2,67. 5) Die Strafe, auf die der Richter in einem solchen Falle zu erkennen hat, ist nicht Zuchthaus-, sondern Gefängnisstrafe. Der Mindestbetrag be­ trägt 4 ^2 Monate Gefängnis. § 14 Abs. 2, § 19 Abs. 2 RStrGB. RG. I. 30. Mai 1881. E. 4,267. III. 21. Mai 1883. R. 5,372. Bei Strafunmündigen ist die Strafmilderung des § 57 RStrGB. nicht auf die „an sich verwirkte Strafe", sondern erst nach Vornahme der Ermäßigung dieser verwirkten Strafe anzuwenden; im Falle des § 157 Abs. 2, § 158 RStrGB. kann bis auf 1 Tag Gefängnis herabgegangen werden. RG. I. 22. Nov. 1883. E. 9,245. Im übrigen darf auch beim Zusammentreffen aller der in §§ 157, 158 RStrGB. angeführten Milderungsgründe die ermäßigte Strafe nicht unter ein Viertel der an sich verwirkten Strafe herabgehen. RG. II. 12. Okt. 1883. E. 9,74. § 158.

Gleiche Strafermäßigung tritt ein, wenn derjenige, welcher

sich eines Meineides *) oder einer falschen Versicherung an Eidesstatt?)

schuldig gemacht hat, bevor eine Anzeige^) gegen ihn erfolgt oder eine

Untersuchung gegen ihn eingeleitet4) und bevor ein Rechtsnachtheil^) für einen Anderen aus der falschen Aussage entstanden ist, diese bei derjenigen Behörde, bei welcher er sie abgegeben hat/) widerruft/)

’) Der § 158 RStrGB. bezieht sich and) auf den Parteieid. RG. I. 25. April 1887. E. 16,29. 2) Vgl. Note 2 zu § 156 RStrGB. 3) Vorausgesetzt ist eine Strafanzeige. Vgl. RG. III. 5. Okt. 1881. E. 5,92. 4) Eine Untersuchung ist als eingeleitet zu erachten, sobald das amt­ liche Einschreiten einer zur Verfolgung strafbarer Handlungen zuständigen Behörde erfolgt. RG. II. 17. Juni 1890. E. 21,8. Die wörtliche Aufnahme sich widersprechender Auslassungen eines vereideten Zeugen in das Protokoll über die Hauptverhandlung ist nicht notwendig gleichbedeutend mit der Ein­ leitung einer Untersuchung; RG. II. 7. Nov. 1882. E. 7,154, desgl. nicht die erneute Befragung eines Zeugen durä) den Vorsitzenden auf Vorhalt des Angeklagten, der Zeuge habe etwas Unwahres gesagt. RG. zit. Erk. 5,92. 5) Nicht der in der falschen Eidesleistung selbst begrifflich enthaltene Rechtsnachteil kommt in Frage, sondern nur derjenige Rechtsnachteil, welcher als eine materielle üble Folge der falschen Eidesleistung bereits erwachsen ist. RG. 25. April 1887. E. 16,29. IV. 15. Jan. 1897. E. 29,303. Daß allein eine nachteilige Änderung der Rechtslage zwar angebahnt, aber noch nicht vollzogen ist, genügt nicht. RG. IV. 12. Mai 1903. E. 36,240. Der Begriff des Rechtsnachteils ist nicht auf Vermögensrechtsnachteile beschränkt, er umfaßt jede Beeinträchtigung, welche der Andere in einem ihm zustehenden Rechte oder in seiner Rechtsstellung erfährt. RG. II. 30. Jan. 1883. R. 5,74. III. 5. Juli 1883. R. 5,505. 6) Erfordert wird nur die Identität der Behörde, nicht die Identität des bei dieser Behörde fungierenden Beamten. RG. zit. Erk. 5,505. Im Sinne des § 158 RStrGB. sind ein vom Untersuchungsrichter im Wege der Rechtshülfe beauftragtes Amtsgericht, vor welchem die Zeugen­ aussage abgegeben wurde, und die Strafkammer, vor welcher später die Aussage widerrufen wurde, als dieselbe Behörde aufzufassen. RG.1.15. Nov. 1883. E. 9,333. Ist in demselben Ermittelungsverfahren von der Staats­ anwaltschaft die Mitwirkung zweier Amtsgerichte in Anspruch genommen worden, so kann die vor dem einen Amtsgericht abgegebene falsche Zeugen-

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Strafgesetzbuch für das Deutsche Reich.

aussage bei einer späteren Vernehmung vor dem anderen Amtsgerichte wirksam widerrufen werden. RG. II. 5. April 1895. E. 27,148. Überhaupt genügt es, daß der Widerruf vor einem anderen Gliede der in ihrer Ge­ samtheit einheitlich gegliederten Behörde erfolgt. Innerhalb eines staats­ anwaltlichen Ernnttelungsverfahrens kann die vor einem Amtsgericht ab­ gegebene falsche eidliche Zeugenaussage wirksam durch Erklärung gegenüber einem von der Staatsanwaltschaft beauftragten Gendarmen widerrufen werden. RG. I. 7. Nov. 1901. E. 34,422. Die Strafkammer als Berufungs­ gericht ist eine andere Behörde als das erstinstanzliche Schöffengericht. RG. IV. 15. Jan. 1897. E. 29,303. Die Anbringung des Widerrufs bei der Staatsanwaltschaft genügt nicht, wenn die falsche Aussage in einer Straf­ sache vor Gericht abgegeben worden ist. RG. II. 17. Jan. 1890. E. 21,8. 7) Eine bestimmte Form für den Widerruf ist nicht vorgeschrieben. Jede Erklärung, durch welche der Erklärende den Inhalt einer von ihm früher abgegebenen eidlichen Erklärung als unrichtig anerkennt, ist ein Widerruf im Sinne des § 158 RStrGB. RG. II. 4. Juli 1893. E. 24,259. II. 7. Nov. 1882. E. 7,154. IV. 24. Febr. 1888. E. 17,341. Ein lediglich sach­ licher Widerspruch, in dem eine spätere Erklärung mit einer früheren steht, ist noch kein Widerruf. RG. II. 6. Dez. 1887. R. 9,697. Vorausgesetzt ist, daß der Widerruf zur Kenntnis derjenigen amtlichen Stelle gebracht wird, bei welcher die falsche Aussage, wenn sie nicht wider­ rufen wäre, ihre rechtlichen Wirkungen äußern würde. RG. zit. Erk. 27,148. Es genügt, wenn der Widerruf nur mittelbar an die mit Entgegennahme der falschen Aussage befaßte Behörde gelangt. RG. I. 7. Nov. 1901. E. 34,422.

§ 159?) Wer es unternimmt?) einen Anderen^ zur Begehung eines Meineides^) zu verleiten/) wird mit Zuchthaus bis zu fünf Jahren, und wer es unternimmt?) einen Anderer/) zur wissentlichen Abgabe einer falschen Versicherung an Eidesstatt zu verleiten?) mit Gefängniß bis zu Einern Jahre bestraft?) § 159 RStrGB. stellt das erfolglose Unternehmen, einen andern zur Begehung eines Meineids zu verleiten, welches nach den allgemeinen strafrechtlichen Grundsätzenstraflos wäre, als ein selbständiges, vollendetes Delikt auf. Leistet der Verleitete den Meineid, so ist nicht § 159 eit, sondern §§ 48, 153 ff. eit. anwendbar. RG. III. 12. Nov. 1879. E. 2,283. 11. 4. Juni 1883. E. 8,354. VI. 14. Dez. 1886. E. 15,148. Will der Täter eine Person zum Meineid verleiten, der Verleitete schwört aber keinen Meineid sondern einen fahrlässigen Falscheid, so ist das aus Meineid ge­ richtete Unternehmen erfolglos und der Tatbestand des § 159 RStrGB. gegeben. RG. I. 14. Nov. 1901. E. 34,431 Die Strafbefreiungsgründe für den Rücktritt vom Versuch (§ 46 RStrGB.) finden auf § 159 RStrGB. nicht Anwendung. RG. II. 29. April 1884. E. 10,324. Ideale Konkurrenz zwischen § 159 und § 49» RStrGB. ist ausgeschlossen. Vgl. Note 1 zu § 49a eit.; RG. I. 3. Dez. 1883. E. 9,261. § 49»usw. kommt aber zur An­ wendung bei erfolgloser Aufforderung zur Begehung des Delikts des § 159 RStrGB. 2) Das Unternehmen muß darauf abzielen, einen andern zu einer Handlung zu verleiten, welche in subjektiver und objektiver Beziehung alle Talbestandsmerkmale des Meineids i. S. der §§ 153—155, 156 RStrGB. enthalten und erfüllen werde. RG. IV. 4. Febr. 1887. E. 15,259. III. 12. Nov. 1879. E. 2,283. In subjektiver Hinsicht erfordert § 169 RStrGB. daß der Täter weiß, daß die von dem zu Verleitenden zu bestätigende Tatsache falsch ist; daß

Zweiter Teil.

Einzelne Verbrechen, Vergehen usw.

§ 155.

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der Täter auch weiß, daß dem zu Verleitenden die Falschheit der Tatsache bekannt ist, ist nicht erforderlich, es genügt vielmehr, daß er dies letztere annimmt. Der Wille des Täters muß darauf gerichtet sein, daß der zu Verleitende wissentlich etwas Unwahres beschwört. RG. II. 20. April 1886. R. 8,302. Irr objektiver Hinsicht umfaßt der Begriff des Unternehmens alle Handlungen, welche zur Erreichung des Vorhabens der Verleitung zum Meineide vorgenommen werden. Diese können sich im Hinblick auf den zu ver­ anlassenden Meineid als Vorbereitungshandlungen darstellen, immer müssen sie aoer einen Anfang der Ausführung des auf die Verleitung gerichteten Entschlusses enthalten. RG. II. 9. Nov. 1880. E. 3,26. IVI. 4. Juni 1883. E. 8,354. III. 11. Okt. 1883. R. 5,592. IV. 4. Febr. 1887. E. 15,259. II. 25. Febr. 1902. E. 35,136. Der Rechtsbegriff des Unternehmens beschränkt sich im Gegensatz zu der besonderen einschränkenden Bestimmung des § 82 RStrGB. nicht auf Handlungen, durch welche das Vorhaben unmittelbar zur Ausführung gebracht werden soll, er umfaßt vielmehr alle Handlungen, welche zur Erreichung des im § 159 a. a. O. bezeichneten Vorhabens vorgenommen werden; § 159 RStrGB. liegt auch vor, wenn der Täter ohne Erfolg einen anderen zu bestimmen sucht, daß dieser einen Dritten zur Begehung eines Meineids verleite. RG. II. 9. Nov. 1880. E. 3,26. RMGer. I. 17. Nov. 1902. E. 4,28. Der zu verleitende Dritte muß aber eine bestimmte bereits vor­ handene und bekannte Person sein, sonst liegt nur eine hinsichtlich des Delikts des § 159 RStrGB. straflose Vorbereitungshandlung vor (evtl, kommt 8 49* RStrGB. in Betracht); es genügt ferner, daß die Einwirkung auf den Dritten in Aussicht genommen war. RG. I. 22. Mai 1882. R. 4,504. Durch die Absendung eines die Meineidsverleitung eines Dritten be­ zweckenden Briefes an die Mittelsperson wird das Unternehmen des § 159 RStrGB. vollendet. RG. I. 4. Dez. 1884. R. 6,777. Die Ursache, aus welcher der Eintritt des gewollten Erfolges unter­ blieben ist oder unterbleiben mußte, kommt nicht in Betracht. Erk. d. RG. 24. Mai 1880. E. 1,439 u. 10. Juni 1880. E. 1,451. RG. II. 21. März 1882. R. 4,267. § 159 RStrGB. ist anwendbar, wenn das Unternehmen, einen andern zum wissentlich Beschwören einer Unwahrheit zu verleiten, deshalb ohne Erfolg blieb, weil der zu Verleitende nicht wissentlich, sondern gut­ gläubig — fahrlässig oder nicht fahrlässig — einen falschen Eid geleistet hat. RG. II. 20. April 1886. R. 8,302; ferner, wenn sich der eidlichen Ver­ nehmung des zu Verleitenden Hindernisse in den Weg stellen, RG. II. 21. März 1882. R. 4,267, oder wenn der zu Verleitende überhaupt keine dem Täter nachteiligen Tatsachen wußte, die er wahrheitswidrig hätte ver­ schweigen können, wenn nur der Täter dies annahm, RG. IV. 4. Febr. 1887. E. 15,259. Auch wenn der zum Meineid zu Verleitende schon vorher ent­ schlossen war, den Eid zu verletzen, kann der Tatbestand des § 159 RStrGB. vorliegen. RG. 25. Aug. 1892. E. 23,223. Das Unternehmen, einen Eides­ unmündigen zur Begehung eines Meineides zu verleiten, ist strafbar. RG. III. 10. Juni 1882. R. 4,559. I. 10. Juli 1882. R. 4,684. VS. 23. Mai 1903. E. 36,278. 3) Der zu Verleitende muß eine bestimmte, vorhandene und dem Täter bekannte Persönlichkeit sein. RG. I. 22. Mai 1882. R. 4,504. 4) Meineid i. S. die §§ 153—155, 156 RStrGB.; dazu gehört auch der Parteieid. RG. IV. 1. März 1882. E. 19,96. Ob die Eidesleistung gesetzlich zulässig oder mit größerer oder geringerer Wahrscheinlichkeit zu er­ warten ist, kann tatsächlich insofern erheblich sein, als daraus unter Um­ ständen Schlüsse gezogen werden können, ob die Absicht des Täters in Wahrheit auf eine Eidesleistung gerichtet gewesen und ein ernstlicher Glaube an die Möglichkeit einer eidlichen Vernehmung vorhanden gewesen ist.

400

Strafgesetzbuch für das Deutsche Reich.

5) Verleiten ist identisch mit Anstiften, d. h. den Willen eines andern bestimmen. RG. III. 11. Oktober 1883. R. 5,592. Daß der Täter dem zu Verleitenden bestimmte konkrete Tatsachen angibt, hinsichtlich deren Letzterer die Eidespflicht verletzen soll, ist nicht erforderlich. RG. III. 15./16. Nov. 1883. E. 9,281. Es genügt, daß der Täter nur überhaupt die Richtung, in welcher der zu Verleitende die Eidespflicht verletzen soll, bezeichnet und es dem Letzteren sonst überläßt, die falsche Aussage innerhalb dieser Richtung nach seinem Ermessen einzurichten. Zit. Erk. d. RG. E. 9,281 u. IV. 4. Febr. 1887. E. 15,259. Das Delikt des § 159 RStrGB. liegt auch vor, wenn der Zeuge verleitet werden sollte, eine Tatsache zu verschweigen, und er bei seiner Vernehmung nach dieser Tatsache nicht ausdrücklich gefragt wurde. RG. III. 23. Nov. 1882. E. 7,32. 6) Wegen des Verlustes der bürgerlichen Ehrenrechte vgl. § 161 Abs. 2 RStrGB. Auf Unfähigkeit zur eidlichen Vernehmung als Zeuge oder Sach­ verständiger darf nicht erkannt werden. RG. I. 10. Juni 1880. E. 2,93. Die Strafverfolgung des Verbrechens verjährt in zehn, des Vergehens in fünf Jahren. § 67 RStrGB.

§ 160.0 Wer einen Anderen zur Ableistung eines falschen Eides verleitet, wird mit Gefängniß bis zu zwei Jahren bestraft, neben welchem auf Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte erkannt werden kann, und wer einen Anderen zur Ableistung einer falschen Ver­ sicherung an Eidesstatt?) verleitet, wird mit Gefängniß bis zu sechs Monaten bestraft?) Der Versuch ist strafbar?) 0 § 160 RStrGB. setzt voraus, daß es sich um einen Eid im Sinne der Ztz 153, 154 RStrGB. handelt, RG. II. 8. Okt. 1892. E. 23,251, daß dem Schwörenden bezw. Versichernden das Bewußtsein der Wahrheits­ widrigkeit fehlt und daß der Verleitende das Fehlen dieses Bewußtseins kennt oder annimmt. Im übrigen erfüllt nicht allein die lediglich objektiv falsche Eidesleistung, sondern auch die fahrlässige falsche Eidesleistung den Tatbestand des 8 160 cit. RG. I. 2. April 1894. E. 25,213. Zur Voll­ endung des Delikts wird aber erfordert, daß der Verleitete den objektiv unrichtigen Eid geleistet hat. RG. IV. 5. Juni 1885. E. 12,254. IV. 14. Dez. 1886. E. 15,148. II. 20. April 1886. R. 8,302. I. 10. Nov. 1881. R. 3,704. Bei erfolglos gebliebener Verleitung kommt Versuch des Delikts des 8160 RStrGB. in Frage; erfolglos geblieben ist die Verleitung auch dann, wenn nicht ein (nur objektiv) falscher Eid, sondern ein Meineid geschworen ist, sei es, daß der Schwörende den letzteren aus eigener Entschließung oder infolge Anstiftung eines Dritten geleistet hat. RG. I. 29. Jan. 1885. E. 11,418. 2) Zum Begriff der Verleitung im Sinne der 8 160 RStrGB. genügt es, daß der Täter den Willen des anderen dazu bestimmt, eine Handlung vorzunehmen, welche objektiv die Merkmale der Aoleistung einer falschen Versicherung an Eidesstatt an sich trägt. Zum Tatbestände gehört seitens des Verleiteten weder irgend ein Vorsatz betreffs der Herbeiführung des Erfolgs noch irgend ein Bewußtsein von der Möglichkeit solcher. Der Unterzeichner eines eine Versicherung an Eidesstatt enthaltenden Schrift­ stücks, der davon, daß das Schriftstück eine solche Versicherung enthält, keine Kenntnis hat, macht sich der 88 156, 163 RStrGB. schuldig und der­ jenige, der die Unterzeichnung der Täuschung über den Inhalt vorsätzlich

Zweiter Teil.

Einzelne Verbrechen, Vergehen usw. §§ 160—162.

herbeiführt wird uns § 160 RStrGB. strafbar.

401

RG. IV. 18. Juni 1901.

E. 34,298.

3) Versuch liegt u. a. vor, wenn bei objektiver Unzuständigkeit der Behörde zur Entgegennahme eidesstaatlicher Versicherungen sowohl der Ver­ leitende, wie der Verleitete die Zuständigkeit unrichtigerweise annahmen. RG. IV. 15. Okt. 1895. G. 43,388. 4) Die Strafverfolgung verjährt in fünf Jahren. § 67 Abs. 2 RStrGB.

§ 161. Bei jeder Verurteilung wegen Meineides/) mit Ausnahme der Fälle in den §§ 157 und 158, ist auf Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte und außerdem auf die dauernde Unfähigkeit des Ver­ urteilten als Zeuges oder Sachverständiger?) eidlich vernommen zu werden, zu erkennen. ^) In den Fällen der §§ 156 bis 159 kann4) neben der Gefängniß­ strafe auf Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte erkannt werden. !) Aber nicht im Falle des § 159 RStrGB. RG. I. 10. Juni 1880. E. 2,93; des versuchten Meineides und der Beihilfe zum Meineid. RG. III. 12. Nov. 1885. E. 13,76. I. 6. Febr. 1888. R. 10,100. Dagegen findet § 161 Abs. 1 RStrGB. auf den Anstifter zum Meineid Anwendung. RG. F.-S. 10. Aug. 1881. E. 4,377. 2) Zum richterlichen Eid (§ 475 ZPO.) bleibt der Verurteilte fähig. 3) Vgl. auch 8 2237 Abs. 3 BGB. Gegen einen Angeschuldigten, welcher zur Zeit der Tat das 18. Lebensjahr noch nicht vollendet hatte, kann Ehr­ verlust nicht verhängt werden. § 57 Nr. 5 RStrGB. Wohl aber kann gegen einen solchen Angeklagten auf dauernde Unfähigkeit, als Zeuge usw. eidlich vernommen zu werden, erkannt werden. RG. I. 29. Juni 1882. E. 6,416. Die Nebenstrafe der Eidesunfähigkeit tritt nicht von Rechts wegen ein, es muß auf sie erkannt werden. Personen, gegen welche dies verabsäumt ist, bleiben eidesfähig. RG. III. 24. Jan. 1880. R. 1,269. 4) Unter der Voraussetzung des § 31 Abs. 1 RStrGB.

§ 162. Wer vorsätzlich 0 einer durch eidliches Angelöbniß vor Gericht bestellten Sicherheit2) oder dem in einem Offenbarungseide gegebenen Versprechen3) zuwiderhandelt, wird mit Gefängniß bis zu zwei Jahren bestraft.4) 4) Fahrlässigkeit genügt nicht. 2) Vgl. § 108 ZPO. 3) Die wissentliche Verletzung des assertorischen Inhalts des Offen­ barungseides fällt unter § 153 RStrGB. Die Reichsgesetzgebung kennt den Offenbarungseid nur in assertorischer Form. Unter einem in einem Offenbarungseide gegebenen Versprechen versteht das Gesetz ein innerlich und sachlich mit dem Zwecke des Manifestationsverfahrens und des Offen­ barungseides in Verbindung stehendes Versprechen, nicht aber jedes be­ liebige, diesem Zwecke fremde Gelöbnis, welches bei Gelegenheit der Leistung eines Offenbarungseioes demselben angefügt oder in demselben ausge­ nommen ist. Ein in einem Offenbarungseid abgegebenes Versprechen kann nicht als gebrochen angesehen werden, wenn stillschweigend oder selbst über­ einkunftsgemäß dem Versprechen ein anderer Inhalt gegeben und gegen diesen vom Versprechenden gehandelt werden soll, ohne daß das veränderte Versprechen beschworen war. RG. III. 20. Mai 1882. R. 4,503. Wird ein Offenbarungseid sowohl nach der assertorischen, wie nach der promissoriHerz u. Ernst, Strafrecht der Militärpersonen.

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scheu Seite verletzt, so liegen zwei selbständige strafbare Handlungen vor. RG. II. 12. April 1881. E. 4,77. 4) Die Strafverfolgung verjährt in fünf Jahren. § 67 Abs. 2 RStrGB.

§ 163. Wenn eine der in den §§ 153 bis 156 bezeichneten Hand­ lungen^ aus Fahrlässigkeit?) begangen worden ist, so tritt Gefängniß­ strafe bis zu Einem Jahre eilt.3) Straflosigkeit4) tritt ein, wenn der Thäter, bevor eine Anzeige^) gegen ihn erfolgt oder eine Untersuchung gegen ihn eingeleitet3) und bevor ein Rechtsnachtheil?) für einen Anderen aus der falschen Aus­ sage entstanden ist, diese bei derjenigen Behörde, bei welcher er sie abgegeben hat,3) widerruft.3) x) Auch ein Offenbarungseid kann aus Fahrlässigkeit falsch geschworen werden. RG. II. 21. April 1882. E. 6,205. IV. 7. Juni 1885. R. 7,20. IV. 8. Okt. 1901. E. 34,400. Desgl. ein Überzeugungseid (§ 459 ZPO.). RG. II. 27. Febr. 1885. E. 12,58. 2) Nicht in dem Akt des Schwörens, durch welchen der Schwörende der Regel nach nur einer Rechtspflicht genügt, liegt das verpönte fahr­ lässige Handeln, sondern unmittelbar in der Unwissenheit, mittelbar in dem Verhalten, welches die Unwissenheit hervorgerufen hat, liegt das verant­ wortliche fahrlässige Tun bei dem Falscheide. RG. III. 11. Juni 1881. E. 4,314. III. 16. Febr. 1883. E. 8,ios. II. 2. April 1897. E. 30,53. Die Fahrlässigkeit besteht in einer Vernachlässigung des innerhalb des Bereiches einer vernünftigen Überlegung, Voraussicht und Berechnung liegenden. Grade der Verschuldung im Sinne des Zivilrechts kennt das RStrGB. nicht. Das Maß der vom Täter zu beanspruchenden Aufmerk­ samkeit unterliegt daher der Beurteilung des Talrichters, welcher dabei auch den Grad der Urteilsfähigkeit und Einsicht des Täters in Betracht zu ziehen hat, aber auch nach den Umständen des Falles bald eine größere, bald eine geringere Anspannung der Geisteskraft für geboten erachten darf. RG. II. 30. Juni 1885. E. 12,317. Die fahrlässige Verschuldung bei dem Zeugeneide kann darin bestehen, daß ein Zeuge, der vor der Vernehmung von dem Gegenstände derselben Kenntnis erhalten hat, es unterläßt, trotz der ihm gebotenen Gelegenheit durch Benutzung eigenhändiger Aufzeich­ nungen, Erkundigungen bei Dritten oder ähnliche Hilfsmittel sein Ge­ dächtnis aufzufrischen oder die Zuverlässigkeit seiner Erinnerungen über spezielle Vorgänge zu sichern. RG. III. 16. Febr. 1883. P. 8,103. Ein Zeuge ist verpflichtet, Gewissenhaftigkeit und Vorsicht zu beobachten und keinerlei Überlegung, Handhaben oder Hilfsmittel außer acht zu lassen, welche sein Gedächtnis zu unterstützen und sein Erinnerungsvermögen vor Irrtümern zu schützen geeignet sind. RG. 2. Okt. 1894. E. 26,133. Vgl. auch RG. IV. 8. Jan. 1892. E. 22,297. II. 5. Dez. 1890. E. 21,158. IV. 16. Febr. 1894. E. 25,122. II. 2. April 1897. E. 30,53. Wer ein Schriftstück ohne Kenntnis davon, daß dasselbe eine Ver­ sicherung an Eidesstatt enthält, unterzeichnet, macht sich aus § 163, § 156 RStrGB. strafbar. RG. IV. 18. Juni 1901. E. 34,298. Rechtsunkenntnis kann nicht ohne weiteres dem Angeklagten als Fahrlässigkeit angerechnet werden, es muß im konkreten Falle eine bestehende Verpflichtung, die richtige Kenntnis sich zu verschaffen, festgestellt werden. RG. I. 21. Juni 1880. R. 2,89. IV. 28. Mai 1895. E. 27,267. Das Gesetz schließt eine Einteilung des Meineides in wissentlichen und fahrlässigen aus; den Gegensatz zum Meineid, dem wissentlichen Falscheid, bildet oer fahrlässige Falscheid. Ein

Zweiter Teil. Einzelne Verbrechen, Vergehen usw. §§ 163,164.

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wegen fahrlässigen Falscheides vorbestrafter Zeuge, welcher die Frage des Richters, ob er wegen Meineides bestraft ist, eidlich verneint, ist nur dann wegen fahrlässigen Falscheides strafbar, wenn zu einer Rückfrage an den vernehmenden Richter, bei welchem der Gebrauch des Wortes „Meineid" im eigentlichen Sinne des Gesetzes vorauszusetzen war, besondere Um­ stände, insbesondere eigene Zweifel den Zeugen verpflichteten. RG. II. 14. April 1899. E. 32,118. Die Fahrlässigkeit bedarf der ausdrücklichen Begründung im Urteil. RG. I. 24. Juni 1880. R. 2,io4. 3) Die Strafverfolgung verjährt in fünf Jahren. § 67 Abs. 2 RStrGB. 4) Die Bestimmung bezieht sich auch auf fahrlässig falsch geschworene Parteieide. RG. I. 25. April 1887. E. 16,29. 5) Vgl. Note 3 zu § 158 MStrGB. 6) Vgl. Note4 zu 8 158 MStrGB. 7) Vgl. Note 5 zu 8 158 MStrGB. 8) Vgl. Note 6 zu 8 158 MStrGB. 9) Vgl. Note 7 zu 8 158 MStrGB.

Zehnter Abschnitt. Falsche Anschuldigung.

§ 164. Wer bei einer Behörde *) eine Anzeige2) macht, durch welche er Jemand3) wider besseres Wissen4) der Begehung einer straf­ baren Handlung ^) oder der Verletzung einer Amtspflicht3) beschuldigt,7)8)9) wird mit Gefängniß nicht unter Einem Monat bestraft; auch kann gegen denselben auf Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte erkannt werden?9) So lange ein in Folge der gemachten Anzeige eingeleitetes Ver­ fahren n) anhängig^) ist, soll mit dem Verfahren und mit der Ent­ scheidung über die fasche Anschuldigung inne gehalten werden?8) x) Vgl. Note 3 zu 8 156 RStrGB. Der Begriff der Behörde erfordert eine solche Organisalion des Amtes der Amtsstelle, welche dieselbe in den allgemeinen Organismus der Behörden in der Art einfügt, daß der Be­ stand der Amtsstelle oder des Amtes unabhängig ist von der Existenz, dem Wegfalle, dem Wechsel des Beamten als der physischen Person, welcher die Besorgung der in den Kreis des Amtes fallenden Geschäfte anvertraut ist. RG. V.S. 14. Nov. 1888. E. 18,246. Die rein exekutiven Organe des Polizei­ dienstes, Gendarmen, Polizeidiener, Schutzleute sind keine Behörden, nur Bedienstete der Behörden, vertreten diese aber nicht. RG. III. 8. Jan. 1883. E. 8,5. Der Kommandant einer braunschw. Gendarmeriestation ist keine Behörde im Sinne des 8 164 RStrGB. RG. IV. 28. Sept. 1900. E. 33,883. Solche Bedienstete sind aber sehr wohl geeignet, zur Vermittelung von An­ zeigen an die ihnen vorgesetzten Behörden zu dienen; eine bei ihnen ge­ machte falsche Anzeige erfüllt den Tatbestand des 8 164 RStrGB., wenn der Anzeigende dabei beabsichtigte, die Anzeige solle an die Behörde selbst gelangen, und wenn der Beamte die empfangene Anzeige der Behörde selbst mitgeteilt hat. RG. zit. Erk. E. 8,5, 33,383, I. 24. März 1901. E. 34,203. IV. 22. Febr. 1895 E. 27,51. Nicht erforderlich ist, daß die Anzeige unmittel­ bar bei einer Behörde gemacht wird; sie kann auch rechtswirksam durch einen Vermittler an eine solche eingereicht werden, wenn nur der Täter die Anzeige mit dem Bewußtsein an den Vermittler gelangen läßt, daß sie 26*

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Strafgesetzbuch für das Deutsche Reich.

von demselben der Behörde mitgeteilt werde. Vgl. Oppenhof Note 3, Olsh. Note 10 zu § 164 RStrGB. RG. I. 5. Juni 1894. G. 24,236. Eine Bezirkspolizeiwache ist eine Behörde i. S. d. § 164 RStrGB. RG. IV. 24. März 1899. E. 32,95; desgl. der Amtsvorsteher. RG. II. 23. Dez. 1879. R. 1,170. Daß die Behörde an sich zuständig ist zur Empfangnahme von Anzeigen kriminell- oder disziplinarstrafbarer Handlungen, ist nicht er­ forderlich. RG. IV. 1. Nov. 1889. G. 37,425. Hinsichtlich der von Personen des Soldatenstandes gegen solche Personen auf dem Dienstwege erstatteten Anzeige vgl. § 151 MStrGO. u. Ausfbest. dazu. Der als Stubenältester bestellte Gefreite ist keine Behörde im Sinne des § 164 RStrGB. RMGer. PE. III. Nr. 152. 2) Anzeige ist die einseitige, nicht auf Anfrage einer zuständigen Stelle erfolgende Mitteilung an die Behörde; sie liegt nicht vor, wo die Behörde es ist, welche aus ihrer behördlichen Initiative handelnd, Auskunft von einem Dritten erfordert, wo dieser Dritte, wie z. B. bei Vernehmungen, durch seine Mitteilungen nur dem Verlangen der Behörde genügt. RG. III. 15. März 1883. E. 8,162, R. 5,172, IV. 21. Okt. 1884. R. 6,641. Eine Anzeige kann aber bei Gelegenheit einer Vernehmung des Täters seitens einer Behörde erfolgen, wenn die mitgeteilten angezeigten Tatsachen in keiner Verbindung zu dem Gegenstände der Vernehmung und zu der An­ gelegenheit stehen, um welche es sich bei der Vernehmung handelt, die Ver­ nehmung keinen Anlaß zur Erhebung der Anschuldigung gab, dieselbe viel­ mehr in der Absicht erhoben ist, eine Verfolgung des Beschuldigten herbei­ führen. RG. II. 11. Jan. 1887. R. 9,31. Die Einreichung einer Privat­ klage ist eine Anzeige im Sinne des § 164 RStrGB. RG. II. 7. Nov. 1879. R. 1,44. I. 22. Okt. 1883. R. 5,620. Die Anzeige kann sich auch in die Form eines bei der Staatsanwaltschaft (oder dem Gerichtsherrn) einge­ reichten fälschlich angefertigten Geständnisses des fälschlich Beschuldigten kleiden. RG. II. 22. Sept. 1882. E. 7,47. 3) Der Beschuldigte muß individuell erkennbar bezeichnet sein; es ge­ nügt, daß seine Ermittelung möglich ist. RG. IV. 24. April 1900. G. 47,287. 4) Der Anzeigende muß zur Zeit der Anzeige das Bewußtsein von der Unrichtigkeit der Beschuldigung haben. Mala fides superveniens, sowie dolus eventualis genügt nicht. Em solches Bewußtsein liegt daher nicht vor, wenn der Anzeigende von der Vermutung ausgeht, seine Anzeige sei richtig, wenn schon bei ihm bezüglich der Richtigkeit Zweifel obwalten. RG. II. 18. Sept. 1888. E. 18,88. IV. 10. Okt. 1899. E. 32,302. In objektiver Beziehung genügt es, daß die Anzeige teilweise falsch ist. RG. III. 2. Juli 1881. R. 3,457. Ideale Konkurrenz der §§ 164 uno 187 RStrGB. kann vorliegen. Eine nicht wider besseres Wissen erhobene falsche Anschuldigung kann als Beleidigung aus § 186 RStrGB. bestraft werden. RG. I. 29. Juni 1896. E. 29,54. I. 8. Dez. 1879. E. 1,233. I. 22. Dez. 1886. R. 8,785. II. 4. Nov. 1881. R. 3,685. II. 25. Okt. 1881. R. 3,639. Bezüglich einer wissentlich falschen Beschwerde vgl. § 152 MStrGB. 5) Das bloße Vorhaben einer strafbaren Handlung genügt nicht, es muß letztere mindestens bis zum Versuch gediehen sein. RG. II. 8. Febr. 1898. G. 46,128. Erfordert wird eine kriminell oder disziplinarisch strafbare Handlung, Handlungen, die außerhalb des Kriminalrechts liegen und nur mit Ordnungsstrafe bedroht sind (z. B. des § 143 RGes. v. 22. Juni 1889 betr. die Jnvaliditäts- und Altersversicherung) kommen nicht in Betracht. RG. IV. 7. März 1899. E. 32,77. Wie die Handlung in der Anzeige rechtlich qualifiziert wird, ist uner­ heblich. RG. III. 16. Okt. 1880. E. 3,228. Die Handlung muß nach dem Inhalte der Anzeige als eine zur Strafverfolgung gegendenBeschuldigten geeignete sich darstellen, so daß z. B. wenn in der Anzeige eines Dieb­ stahls der Ehegatte des Anzeigenden als Täter angegeben wird, eine straf-

Zweiter Teil.

Einzelne Verbrechen, Vergehen usw.

§ 164.

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bare Handlung im Sinne des § 164 RStrGB. nicht vorliegt. RG. III. 27. April 1890. E. 21,ioi. 6) Der Begriff der Verletzung einer Amtspflicht ist nicht auf die Ver­ letzung der durch das Amt direkt auferlegten Pflichten beschränkt, auch das unwürdige Verhalten eines Beamten außer dem Amte fällt darunter. RG. IV. 22. Dez. 1899. E. 33,29. II. 9. Okt. 1888. R. 10,554. Die Verletzung der Dienstpflicht des Offiziers ist Verletzung einer Amtspflicht. RG. II. 21. Febr. 1890. E. 20,268. Der mit Pension und der Erlaubnis zum Tragen der Uniform verabschiedete Offizier ist nicht mehr Beamter im weiteren Sinne, hat keine Amtspflicht mehr; er kann durch ein ehrenrühriges Ver­ halten sich einer Verletzung der Standesehre, nicht aber der einer Amts­ pflicht schuldig machen. RG. IV. 31. Jan. 1902. E. 35,99. 7) Das Verschweigen von Tatsachen bei Erstattung einer Anzeige ist nur dann eine Entstellung des Sachverhalts und eine „falsche" Anschuldi­ gung, wenn durch das Hinzutreten der verheimlichten Tatsachen der zur Sprache gebrachte Hergang rechtlich einen wesentlich anderen Charakter annimmt, wenn also insbesondere die Tat sich dann nicht als eine strafbare darstellen oder der Täter straflos sein würde. RG. JV. 29. März 1887. E. 15,391. I. 2. Nov. 1882. E. 7,207. So insbesondere, wenn vorhandene Strafausschließungs- oder Strafaufhebungsgründe wider besseres Wissen verschwiegen werden. RG. IV. 23. Dez. 1892. E. 23,371. III. 23. Sept. 1889. E. 19,386. Der Tatbestand des § 164 RStrGB. ist dagegen nicht gegeben, wenn der Anzeigende den Sachverhalt lediglich übertrieben dargestellt und dem Angezeigten ein größeres Maß der Schuld angedichtet hat. RG. II. 14. Mai 1895. E. 27,229. III. 30. Mai 1896. E. 28,390. III. 9. März 1896. E. 28,253, so z. B. die Zahl oder den Wert der gestohlenen Sachen zu hoch angegeben hat. RG. II. 16. Okt. 1885. E. 13,12. 8) Für den Dolus genügt das Bewußtsein, die Anzeige sei geeignet, eine strafrechtliche oder disziplinarische Verfolgung gegen den Beschuldigten herbeizuführen. RG. III. 15. März 1883. R. 4,522. Ob der Täter auch die Absicht hatte, eine Bestrafung des Angezeigten herbeizuführen, ist unerheb­ lich, zit. Erk. R. 4,522. E. 5,229; 8,62. Der subjektive Tatbestand des § 164 RStrGB. wird durch das Bewußtsein des Täters, daß eine Verurteilung des Beschuldigten nicht erfolgen werde, nicht ausgeschlossen. RG. II. 22. Sept. 1882. E. 7,147. 9) Vollendet ist das Delikt der falschen Anschuldigung mit der Er­ stattung der Anzeige, die spätere Zurücknahme der Anzeige (der Privat­ klage, des Strafantrags) ist belanglos für die Strafbarkeit des Vergehens. RG. I. 19. Jan. 1880. R. 1,245. Ist die Anzeige bei einem Bediensteten einer Behörde (vgl. Note 1) in der Absicht der Weitergabe an die Behörde durch den Bediensteten erfolgt, so ist die falsche Anschuldigung mit der Vorlage der Anzeige an die Behörde vollendet. Siehe die Note 1 zit. Erk. 34,203; 33,383. 10) Die Strafverfolgung verjährt in fünf Jahren. § 67 Abs. 2 RStrGB. n) Ein solches ist auch das von der Staatsanwaltschaft oder dem Gerichtsherrn (§ 156 MStrGO.) eingeleitete Ermittelungsverfahren oder ein Disziplinarverfahren. Die Einstellung des Ermittelungsverfahrens kann auch stillschweigend geschehen, z. B. wenn die Staatsanwaltschaft die verantwortliche Vernehmung des Anzeigenden wegen falscher Anschuldigung anordnet. RG. II. 17. April 1883. E. 8,185. II. 9. Mai 1884. E. 10,381. Immer kommt aber nur ein Verfahren in Betracht, in welchem es sich noch um die Feststellung der Schuld handelt. Auf das Verfahren und die Entscheidung in der Revisionsinstanz findet § 164 Abs. 2 wie auch § 191 RStrGB. nicht Anwendung. RG. IV. 11. Jan. 1895. E. 26,365. 12) Vgl. RG. II. 5. Juli 1898. E. 31,231.

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Strafgesetzbuch für das Deutsche Reich.

13) Vgl. § 152 MStrGB. Beschuldigt ein Soldat seinen militärischen Vorgesetzten oder Kameraden einer strafbaren Handlung wider besseres Wissen, so kommt § 164 RStrGB. — nicht § 152 MStrGB. — dann allein zur Anwendung, wenn dem Anzeigenden kein persönliches Unrecht — seiner Behauptung nach — zugefügt ist; denn dann liegt eine Beschwerde im Sinne des § 1 der beiden Beschwerdeordnungen nicht vor. Ist der Anzeigende dagegen in diesem Sinne persönlich interessiert, so ist seine Willensrichtung entscheidend. Will er lediglich die Bestrafung des Angezeigten, so kommt § 164 RStrGB. in Frage; will er lediglich Remedur — Aufhebung des geschehenen Unrechts und Mitteilung der Entscheidung — so tritt § 152 MStrGB. ein. Will er Bestrafung und Remedur, so liegt Jdealkonkurrenz von § 164 RStrGB. und § 152 MStrGB. vor, nicht Gesetzeskonkurrenz. Die Strafe würde also aus § 164 RStrGB. zu entnehmen sein. § 73 RStrGB.

§ 165. Wird wegen falscher Anschuldigung auf Strafe erkannt, so ist zugleich dem Verletzten die Befugniß*) zuzusprechen, die Verurtheilung auf Kosten des Schuldigen öffentlich bekannt zu machen. Die Art der Bekanntmachung, sowie die Frist zu derselben, ist in dem Urtheile zu bestimmen.2)3) Dem Verletzten ist auf Kosten des Schuldigen eine Ausfertigung des Urtheils zu ertheilen. 1) Auf die Erben geht die Befugnis nicht über. RG. II. 17. Mai 1887. E. 16,73. 2) Die dem Verletzten ohne Fristbestimmung beigelegte Bekannt­ machungsbefugnis geht über die Grenzen hinaus, welche im Urteil zu setzen waren; das Urteil unterliegt in der Revisionsinstanz der Aufhebung. RG. II. 12. Okt. 1888. R. 10,564. 3) Die Veröffentlichung hat einen pönalen Charakter. RG. VS. 17. April 1882. E. 6,isi.

Elster Abschnitt.

Vergehen, welche sich auf die Religion beziehen. 8166. Wer dadurch, daß er öffentlich *) in beschimpfenden2) Aeußerungen Gott3) lästert/) ein Aergerniß gibt/) oder wer öffentlick/) eine der christlichen Kirchen3) oder eine andere mit Korporations­ rechten innerhalb des Bundesgebietes bestehende Religionsgesellschaft?) oder ihre Einrichtungen3) oder Gebräuche3) beschimpft,") ingleichen wer in einer Kirche oder in einem anderen zu religiösen Versamm­ lungen bestimmten Ode11) beschimpfenden Unfug verübt/2) wird mit Gefängniß bis zu drei Jahren bestraft/3)^) x) Es ist erforderlich und genügend die Wahrnehmbarkeit der Äuße­ rung von unbestimmt welchen und „wie vielen Personen. RG. III. 5. Jan. 1891. E. 21,254. Der Begriff der Öffentlichkeit ist angenommen worden bei Äußerungen im Wirtshaus. RG. III. 13. Dez. 1879. R. 1,144; die Öffent­ lichkeit ist aber ausgeschlossen, wenn sie zwar in einer öffentlichen Wirt­ schaft getan wird, aber einerseits innerhalb eines geschlossenen Kreises, den mehrere Personen auf Grund besonderer Einladung durch persönliche

Zweiter Teil. Einzelne Verbrechen, Vergehen usw. §§ 165,166.

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Beziehungen zueinander bilden, andererseits derart, daß andere Personen die Äußerung nicht hören konnten. RG. I. 17. März 1902. E. 35,159. Die Öffentlichkeit ist ferner angenommen bei Äußerungen in einem öffentlichen Omnibus. RG. III. 26. März 1881. R. 3,167; in einer jedermann zugäng­ lichen kirchlichen Versammlung. RG. III.,,8. 9Zod. 1883. E. 9,158. Bei Ver­ einsversammlungen wird die Frage der Öffentlichkeit sich nach Art, Zweck und Organisation des Vereins bestimmen. RG. III. 5. Jan. 1891. E. 21,254. Die Öffentlichkeit einer Handlung ist nicht notwendig deshalb ausge­ schlossen, weil sie innerhalb eines bestimmten Personenkreises stattgefunden hat. RG. I. 23. Nov. 1891. E. 22,au. Das Merkmal der öffentlichen Be­ schimpfung kirchlicher Einrichtungen durch die Presse kann schon in der vom Verleger an einen Abnehmer erfolgten Überlassung von Exemplaren einer Druckschrift gefunden werden. RG. III. 23. Dez. 1881. E. 5,354. Eine in einer Schule ausgesprochene Gotteslästerung ist nicht öffentlich verübt, wenn die Schule nur von Schülern und Schulbeamten betreten wird. RG. III. 24. Febr. 1887. R. 9,151. IV. 23. Sept. 1887. R. 9,464. 2) Die Gotteslästerung erfordert nicht eigentliche Schimpfreden, es ist die zu ihrem Tatbestände gehörige Rohheit der Äusdrucksweise überall anzunehmen, wo das freche Bestreben, zu Verehrendes herabzuwürdigen, einen offenkundigen Ausdruck gefunden hat. RG. III. 17. Juni 1897. E. 30,194. Eine Gotteslästerung kann auch durch Behauptung ehrenrühriger Tatsachen verübt werden. Der Glaube an die Wahrheit der ehrenrührigen Tatsache seitens des Behauptenden nimmt der Behauptung nicht den Charakter der Beschimpfung. RG. II. 2. Juni 1896. E. 28,403. 3) Unter „Gott" ist der Gottesbegriff zu verstehen, wie er in den konkreten Bekenntnissen der christlichen Kirchen und der anderen mit Korporationsrechten innerhalb des Deutschen Reiches bestehenden Religions­ gesellschaften niedergelegt ist. RG. II. 3. März 1882. E. 6,77. Eine Gottes­ lästerung liegt auch in einer Lästerung Christi. RG. III. 13. Dez. 1879. R. 1,145. II/III. 10. Okt. 1887. R. 9,490. E. 16,245. 4) Strafbar sind nur Lästerungen durch beschimpfende Äußerungen. ,,5) Vgl. § 183 RStrGB. Daß die öffentliche Lästerung objektiv geeignet ist, Ärgernis zu erregen, genügt nicht, es muß ein Ärgernis mindestens einer Person wirklich gegeben worden sein. RG. II./III. 10. Okt. 1887. E. 16,245. R. 9,490. III. 17. Juni 1897. E. 30,194. Die Handlung muß eine vorsätzliche sein; es genügt jedoch der auf die Kundgebung gerichtete Wille verbunden mit dem Bewußtsein von dem beschimpfenden Charakter der Äußerung und von der Möglichkeit der Ärgerniserregung. RG. III. 8. Nov. 1885. E. 9,158. III. 17. Juni 1897. E. 30,194. 6) Die christlichen Kirchen kommen nur insoweit in Betracht, als sie mit Korporationsrechten innerhalb des Bundesgebiets bestehen; es sind dies die römisch-katholische und evangelische oder protestantische Kirche, nicht aber die anglikanische und die griechisch-katholische Kirche. Eine staatlich geschlossene, ihre besondere Organisation besitzende partikulare christliche Landeskirche gehört zu den „christlichen" Kirchen im Sinne des § 166. RG. III. 3. Dez. 1881. E. 5,188. 7) In Preußen bildet das Judentum eine Religionsgesellschaft im Sinne des § 166. RG. II. 3. März 1882. E. 6,77. 8) In Betracht kommen nicht die kirchlichen Lehren und Lehrsätze, deren Kritik zulässig ist, svndern nur die äußerlichen sich auf die Religion be­ ziehenden Einrichtungen, diese aber auch wenn sie auf kirchlicher Lehre beruhen (Marienkultus, Christusverehrung). RG. I. 8. Nov. 1880. E. 2,428. R. 2,477. III. 3. Dez. 1881. E. 5,188. Das Dogma der Unfehlbarkeit des Papstes, die zehn Gebote sind keine Einrichtungen im Sinne § 166 RStrGB. Eine Beschimpfung der Lehre oder einzelner Sätze derselben fällt unter § 166 cit. nur, wenn der Täter durch diesen Angriff die betreffende Kirche

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Strafgesetzbuch für das Deutsche Reich.

der Religionsgesellschaft selbst beschimpfen wollte. RG. III. 4. Febr. 1895. E. 26,435. I. 1. Dez. 1894. E. 26,294. Eine Beschimpfung der Mutter Christi an sich, wenn darin nicht zugleich eine Beschimpfung einer kirchlichen Ein­ richtung, wie des Marienkultus, oder eine Beschimpfung der christlichen Kirche selbst festgestellt wird, fällt nicht unter §166 eit. RG. I. 5. Juli 1886. R. 8,5ii. Einrichtungen christlicher Kirchen sind: das Abendmahl, das Predigt­ amt, RG. III. 23. Dez. 1881. E. 5,354. III. 8. Nov. 1883. E. iss; das Priester­ tum der römisch-katholischen Kirche, RG. IV. 8. Juni 1895. E. 27,284, das Institut der kirchlich approbierten Orden (Mönchswesen, nicht aber jeder einzelne approbierte Orden sJesuitenj). RG. II. 27. März 1900. E. 33,222; das apostolische Glaubensbekenntnis, RG. III. 30. Nov. 1881. R. 3,755; die Konzile, RG. III. 31. März 1880. R. 1,521; die Sonntagsheiligung, das geist­ liche Lehramt, RG. II. 9. Nov. 1886. R. 8,692; das Meßopfer, die Beichte, RG. II. 27. März 1900. E. 33,222. 9) Es genügt nicht, daß der Gebrauch eine im Verhältnis zur Gesamt­ heit völlig vereinzelte Erscheinung einer „einzelnen Kirchengemeinde darstellt, er muß auf einer gewissen allgemeinen Übung christlichen Kirchenwesens be­ ruhen. RG. III. 3. Dez. 1881. E. 5,188. Als christliche Gebräuche erachtet stno: die geistliche Amtstracht, RG. III. 11. März 1882. E. 6,88; eine von den kirchlichen Behörden zu Zwecken der Kirche angeordnete Hauskollekte, RG. II. 30. Nov. 1880. R. 2,581; die bei katholischen Beerdigungen üblichen Formen und Gebete. RG. I. 28. April 1898. E. 31,133; die allgemeine Übung der Katholiken sich zum Zeichen der Verehrung und zum Andenken Christi zu bekreuzigen. RG. II. 27. März 1900. E. 33,222; der Kultus der Reliquien­ verehrung (heiliger Rock in Trier). RG. V. 4. Nov. 1891. E. 22,238. 10) Die bloße Herabwürdigung,.welche nur einen Mangel an Achtung betätigt, die bloße Frivolität der Äußerung genügt nicht, erfordert wird vielmehr, daß in der Äußerung die Verachtung des Heiligen, dessen, was Verehrung und Achtung fordert, in besonders verletzender, roher Form ausgedrückt wird. RG. IV. 8. Juni 1895. E. 27,284. I. 21. Febr. 1884. E. 10,146. III. 13. Dez. 1879. R. 1,144 der Gebrauch sog. Schimpfworte ist nicht erforderlich. RG. II. 2. Juni 1896. E. 28,403. I. 5. Nov. 1898. E. 31,305. Die Grenzen zwischen Beschimpfung, Beleidigung und erlaubter scharfer Kritik zu finden, ist Sache des Tatrichters. RG. III. 5. Febr. 1885. R. 7,84. n) Geschützt soll werden jeder zu religiösen Versammlungen bestimmte Ort, wobei es unerheblich ist, ob es sich um eine Versammlung einer inner­ halb des Bundesgebiets oder im Auslande bestehenden, mit Korporations­ rechten ausgestatteten oder solcher entbehrenden Religionsgesellschaft oder einer sonstigen Vereinigung zu religiösen Zwecken handelt. RG. II. 2. Juni 1899. E. 32,212. Es muß aber die Verwendung zu religiösen Versammlungen die wesentliche Bestimmung des Ortes sein; öffentliche Straßen, durch die sich kirchliche Prozessionen bewegen, sind nicht zu kirchlichen Versammlungen bestimmte Orte. RG. I. 9. April 1896. E. 28,303; vgl. aber bei Beerdigungs­ feierlichkeiten ein Kirchhof. RG. III. 3. März 1887. E. 9,169. II. 14. Juni 1895. E. 17,296. 12) Nicht jeder grobe Unfug, sondern nur der beschimpfende Unfug ist strafbar; dazu gehört neben den allgemeinen Merkmalen des Unfugs der Ausdruck der Verachtung in besonders roher Form und dessen erkennbare Richtung gegen die Heiligkeit des Ortes oder gegen die religiösen Gefühle anderer. Subjektiv genügt das Bewußtsein, daß die Handlung, an diesem Orte vorgenommen, geeignet sei, das religiöse Gefühl anderer zu verletzen. Eine auf Beschimpfung der Kirche gerichtete Absicht wird nicht erfordert. RG. I. 9. Jan. 1899. E. 31,410. I. 9. Mai 1892. E. 23,103. In der ehebreche­ rischen Beischlafsvollziehung auf einem Kirchhof, aus welchem herkömmlich bei Beerdigungen religiöse Handlungen vorgenommen werden, kann die

Zweiter Teil.

Einzelne Verbrechen, Vergehen usw.

§ 167.

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Verübung beschimpfenden Unfugs gefunden werden. RG. II. 27. März 1885. R. 7,196. 13) Als Dolus des § 166 RStrGB. genügt der Wille, verbunden mit dem „Bewußtsein von dem lästernden, beschimpfenden Charakter und von der Öffentlichkeit der Handlung. Eine Absicht zu lästern, zu beschimpfen usw. wird nicht erfordert. RG. III. 17. Juni 1897. E. 30,194. II. 27. März 1885. R. 7,196. I. 9. Mai 1892. E. 23,io3. Die Berechtigung zu der den Gottesdienst an sich störenden Handlung schließt die Strafbarkeit aus. RG. IV. 5. April 1887. E. 16,15. I. 24. Nov. 1890. E. 21,168. 14) Die Strafverfolgung verjährt in fünf Jahren. § 67 Abs. 2 RStrGB.; bei Anwendbarkeit des § 22 des Preßgesetzes in sechs Monaten.

§ 167. Wer durch eine Thätlichkeit oder Drohung Jemand hindert, den Gottesdienst einer im Staate bestehenden Religionsgesellschaft4) auszuüben, ingleichen wer in einer Kirche oder in einem anderen zu religiösen Versammlungen bestimmten Drte2) durch Erregung von Lärm3) oder Unordnung4) den Gottesdienst^) oder einzelne gottesdienstliche Verrichtungen3) einer im Staate bestehenden Religionsgesellschaft vor­ sätzlich verhindert7)8) oder stört,9) wird mit Gefängniß bis zu drei Jahren bestraft.49) 4) Der Schutz des Gottesdienstes wird auch den im Staate bestehenden Religionsgesellschaften gewährt, welche keine Korporationsrechte haben. RG. III. 11. Juli 1898. E. 31,237. 2) Vgl. Note 11 zu § 166 RStrGB. 3) Daß die störende Handlung innerhalb der Kirche oder des zu reli­ giösen Handlungen bestimmten Ortes vorgenommen wird, ist nicht erforderlich. RG. III. 23. Febr. 1881. E. 3,397. I. 8. Dez. 1881. E. 5,258. Es genügt, wenn nur die auch außerhalb dieser Orte vorgenommene Handlung ihre störende Wirkung auf die in dem Orte stattfindende gottesdienstliche Verrichtung ausgeübt hat und hat ausüben sollen. RG. IV. 27. Jan. 1885. R. 7,55. 4) Das begriffliche Wesen der Unordnung ist tatsächlicher Natur, ist gänzlich bedingt von oer tatsächlichen Würdigung der konkreten Umstünde und Verhältnisse, deren Ordnung in Frage steht. RG. III. 6. Mai 1882. R. 4,436. 5) Gottesdienst im Sinne des § 167 RStrGB. ist die Vereinigung der Mitglieder einer der christlichen Konfessionen oder einer anderen im Staate bestehenden Religionsgesellschaft zur religiösen Erbauung durch Verehrung und Anbetung Gottes in dem dazu bestimmten Raume nach den Vorschriften und den Gebräuchen und in den Formen ihrer Gesellschaft. RG. IV. 9. Juni 1885. R. 7,363. 6) Das sind auf dem Ritus beruhende Akte der Religionsübung, welche neben dem eigentlichen Gottesdienst einem besonderen religiösen Bedürfnisse zu dienen, sowie eine Gottesverehrung zu betätigen bestimmt sind (z. B. Bestattungszeremonie). RG. II. 28. Juni 1892. E. 23,199. II. 14. Juni 1895. E. 27,296. III. 27. Nov. 1882. N. 4,847. IV. 14. Mai 1901. E. 35,265. 7) Zum Vorsatz genügt das Bewußtsein der Verhinderung oder Störung; eine dahingehende Absicht braucht nicht vorzuliegen. RG. I. 19. April 1888. E. 17,316. II. 28. Juni 1892. E. 23,199. 8) Eine Verhinderung im Sinne des § 167 RStrGB. liegt auch dann vor, wenn durch Erregung von Lärm oder Unordnung der ordnungsmäßige Beginn der gottesdienstlichen Verrichtung, sei es auch nur während kurzer Zeitdauer, unmöglich gemacht worden ist. RG. III. 3. März 1887. R. 9,169.

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9) Es genügt die Störung einzelner, nicht aber einer einzigen Person in ihrer Gottesverehrung; die Störung muß einen allgemeinen Charakter haben. RG. I. 19. April 1888. E. 17,316. Daß im Augenblicke der Erregung von Lärm usw. gerade ein Akt des Geistlichen stattfindet, oder daß der Akt des Geistlichen sich in dem regelmäßigen Rahmen der von ihm vorzuneh­ menden Funktion hält, ist nicht erforderlich. RG. I. 17. Jan. 1884. E. 10,42. III. 3. März 1887. R. 9,169. Durch eine Berechtigung zur Vornahme der störenden Handlung wird die Strafbarkeit ausgeschlossen. RG. IV. 5. April 1887. E. 16,15. 10) Die Strafverfolgung verjährt in fünf Jahren. § 67 Abs. 2 RStrGB.

§ 168. Wer unbefugt eine Leiches aus dem Gewahrsam der dazu berechtigten Person^) wegnimmt, ingleichen wer unbefugt ein Gral//) zerstört oder beschädigt/) oder wer an einem Grabe beschimpfen­ den Unfug9) verübt, wird mit Gefängniß bis zu zwei Jahren bestraft; auch kann auf Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte erkannt werden/) 1) Vgl. auch § 367 Nr. 1 RStrGB. 2) Z. B. der Angehörigen, oder der Polizeiverwaltung, welche die Leiche beschlagnamt hat. Den Gewahrsam einer bestatteten Leiche hat der­ jenige, dem der Friedhof mit seinem Grund und Boden gehört. RG. IV. 28. Jan. 1896. E. 28,139. 3) Grab im Sinne des § 168 RStrGB. ist die der Ruhe und dem Andenken des Verstorbenen dienende Stätte mit allem, was dazu gehört. RG. II. 1. Juli 1887. R. 9,399. Ob die Gruft vom Totengräber bereits zu­ geworfen ist, ist unerheblich. RG. IV. 28. Jan. 1896. E. 28,139. Hum Grabe gehört: der in die Erde versenkte Sarg mit dem Toten; dadurch wird der ausgeworsene Schacht erst zum Grabe. RG. III. 12. März 1885. E. 12,168; der Grabhügel; die Blumenpflanzungen auf dem Grabe; mit Töpfen auf das Grab eingegrabene Topfgewächse; nicht aber auf dem Grabe liegende lose Blumen oder Kränze; zit. Erk. R. 9,399; das Grabmal; Beschädigungen desselben fallen unter § 304 RStrGB. 4) Vgl. § 303 RStrGB. 5) Das Grab muß das körperliche Angriffsobjekt der Handlung sein; das Entfernen loser Kränze fällt nicht unter § 168 RStrGB. RG. II. 28. Nov. 1890. E. 21,178, auch nicht das Abpflücken äußeren Blumenschmuckes von einem Grabe; RG. I. 26. Okt. 1882. E. 7,190; wohl aber das Heraus­ reißen von Topfgewächsen aus einem Grabe. RG. II. 1. Juli 1887. R. 9,399. Die Beseitigung des Sarges mit der Leiche schließt eine Zerstörung des Grabes in sich. RG. IV. 28. Juli 1896. E. 28,139. Die Entfernung des Sargdeckels aus dem Grabe ist eine Beschädigung desselben. RG. III. 12. März 1885. E. 12,168. 6) Vgl. Note 12 zu § 166 RStrGB. 7) Die Strafverfolgung verjährt in fünf Jahren. § 67 Abs. 2 RStrGB.

Zwölfter Abschnitt. Verbrechen und Vergehen in Beziehung auf den Personenstand.

§ 169. Wer ein Kind*) unterschiebt?) oder vorsätzlich ver­ wechselt/)4) oder wer auf andere Weise den Personenstands eines Anderen vorsätzlich verändert9) oder unterdrückt,7) wird mit Gefängniß

Zweiter Teil. Einzelne Verbrechen, Vergehen usw. §§ 168,169.

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bis zu drei Jahren und, wenn die Handlung in gewinnsüchtiger Ab­ sicht begangen wurde, mit Zuchthaus bis zu zehn Jahren bestraft.«) Der Versuch ist strafbar?)

x) Vorausgesetzt wird eine Person, die noch nicht doli capax ist. Vgl. Olsh. Note 9. 2) D. h. ein fremdes Kind erfolgreich als das eigene einer Frau hinstellt. 3) D. h. dem Kinde einen Personenstand zuwendet, dessen Subjekt ein anderes Kind ist. Vgl. Olsh. Note 9. 4) Unterschiebung und Verwechselung eines Kindes sind nur Spezial­ fälle des Haupttatbestandes der Veränderung des Personenstandes. 5) Personenstand ist das familienrechtliche Verhältnis einer Person zu anderen Personen. RG. IV. 6./16. März 1894. E. 25,188. «) Die Veränderung des Personenstandes besteht in der erfolgreichen Herbeiführung eines tatsächlichen Zustandes, vermöge dessen das familien­ rechtliche Verhältnis einer Person zu anderen Personen als ein anderes erscheint, als es wirklich rechtlich ist. Es kommt nicht darauf an, daß der Erfolg ein dauernder ist, wenn nur der Vorsatz auf eine dauernde Ver­ dunkelung des Personenstandes gerichtet ist. RG. III. 17. Jan. 1884. R. 6,38. I. 7. Febr. 1884. E. 10,86. IV. 27. Sept. 1889. E. 19,405.1. 19. Febr. 1902. E. 36,137. Die Veränderung des Personenstandes eines anderen kann erfolgen durch Anerkennung der Vaterschaft eines unehelich geborenen, im Geburtsregister eingetragenen Kindes seitens des späteren Ehemannes der Mutter, welcher nicht der Erzeuger jenes Kindes war. RG. I. 10. Nov. 2879. E. l,o; vgl. auch § 1720 Abs. 2 BGB.; ferner durch Bewirkung der Eintragung eines unehelichen Kindes in das Geburtsregister als ehelichen, unter richtiger Angabe der Eltern. RG. III. 8. Mai 1880. R. 1,746. II. 1. Okt. 1880. E. 2,303; desgleichen wenn bei der Anmeldung eines unehe­ lichen Kindes zum standesamtlichen Geburtsregister die ebenfalls außerehelich geborene Mutter nicht nach dem ihr hiernach zukommenden Geschlechts­ namen, sondern nach demjenigen des Ehemannes ihrer Mutter bezeichnet wird und dementsprechend die Eintragung erfolgt. RG. IV. 27. Sept. 1889. E. 19,405. 7) Unterdrückung, d. h. die Herbeiführung eines tatsächlichen Zustandes, vermöge dessen verhindert oder erschwert wird, daß das wirklich vorhandene familienrechtliche Verhältnis einer Person zur praktischen Geltung gelangt, ohne daß der betrestenden Person gleichzeitig ein anderer Personenstand bei­ gelegt wird. Heimlichkeit des Tuns ist nicht erfordert, bildet aber gegebenen­ falls ein Indiz für die Unterdrückung. RG. I. 7. Febr. 1884. E. 10,86. III. 17. Jan. 1884. R. 6,38. II. 29. Dez. 1891. E. 22,283. 8) Die Strafverfolgung des Vergehens verjährt in fünf, die des Ver­ brechens in zehn Jahren, § 67 RStrGB. Die Verjährung beginnt mit der Herbeiführung des Zustandes, durch welchen der Personenstand der Außenwelt gegenüber unterdrückt oder verändert ist. Ob dieser Zustand vorübergeht oder dauert, ist unerheblich. § 169 ist kein Dauerdelikt. In der bloßen Fortdauer des Fälschungserfolges liegt nicht eine den Anfang der Verjährung hindernde Fortsetzung des Delikts; nur wenn diejenige Tätigkeit, durch welche die bewirkte Unterdrückung oder Veränderung des Personenstandes mit einem dem § 169 eit. entsprechenden Vorsatze aufrecht erhalten bleibt, weil diese Tätigkeit, für sich allein betrachtet, zur ersten Herbeiführung des Fälschungserfolges nicht genügt haben würde, liegt eine strafbare Fortsetzung oes Delikts vor, von deren Beendigung die Ver­ jährung „beginnt. RG. IV. 1. Dez. 1900. E. 34,24. 9) Uber den Versuch des Delikts vgl. RG. I. 7. Febr. 1884. E. 10,86.

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Strafgesetzbuch für das Deutsche Reich.

§ 170. Wer bei Eingehung einer Ehe dem anderen Theile ein gesetzliches Ehehinderniß *) arglistig verschweigt, oder wer den anderen Theil zur Eheschließung arglistig mittels einer solchen Täuschung ver­ leitet, welche den Getäuschten berechtigt, die Gültigkeit der Ehe anzu­ fechten, wird, wenn aus einem dieser Gründe die Ehe aufgelöst worden ist, mit Gefängniß nicht unter drei Monaten bestraft. Die Verfolgung tritt nur auf Antrag des getäuschten Theils ein. i) Vgl. § 1303 ff. BGB.

Dreizehnter Abschnitt. Verbrechen und Vergehen wider die Sittlichkeit.

§ 171.1) Ein Ehegatte, welcher eine neue Ehe eingeht, bevor seine Ehe aufgelöst oder für nichtig erklärt worden ist,2) ingleichen eine un­ verheiratete Person, welche mit einem Ehegatten, wissend?) daß er verheirathet ist, eine Ehe eingeht, wird mit Zuchthaus bis zu fünf Jahren

bestraft?) Sind mildernde Umstände vorhanden, so tritt Gefängnißstrafe nicht unter sechs Monaten ein. Die Verjährung der Strafverfolgung beginnt mit dem Tage, an welchem eine der beiden Ehen aufgelöst oder für nichtig erklärt worden ist.5) 1) Vgl. Art. 34. V. EG. z. BGB. v. 18. Aug. 1896; wegen Auflösung bezw. Nichtigkeitserklärung der Ehe vgl. §§ 1564ff., 1323 ff. BGB. §§ 34, 41, 42, Personenstandsges. v. 6. Febr. 1875. Hinsichtlich der Strafe des Standes­ beamten vgl. § 338 RStrGB. 2) Die Strafbarkeit ist ausgeschlossen durch die Überzeugung von der formellen Nichtigkeit der ersten oder zweiten Ehe oder durch den Irrtum, oaß die Ehe bereits aufgelöst oder für nichtig erklärt worden sei. RG. I. 31. März 1881. E. 4,38. III. 15. Okt. 1883. E. 9,84. 3) Irrtum über das Bestehen der Ehe schließt die Strafbarkeit aus. Vgl. d. Erk. d. RG. Note 2. 4) Zum Dolus reicht das Bewußtsein von dem Fortbestehen der ersten Ehe aus. RG. I. 31. März 1881. E. 4,38. N. 3,iso; es genügt Dolus eventualis. 5) Die Strafverfolgung verjährt in zehn Jahren § 67 RStrGB. Der Versuch der Bigamie erfordert, daß mit der Vornahme des Eheschließungs­ aktes begonnen ist. Die bloße Aufforderung an den Standesbeamten, die Eheschließung vorzunehmen, genügt nicht. RG. III. 15. Okt. 1883. E. 9,84.

8 172. Der Ehebruchs wird, wenn wegen desselben?) die Ehe5) geschieden^) ist,5) an dem schuldigen Ehegatten, sowie dessen Mit­ schuldigen5) mit Gefängniß bis zu sechs Monaten bestraft?) Die Verfolgung tritt nur auf Antrag5) ein. x) Der Ehebruch ist der zwischen zwei Personen verschiedenen Geschlechts, von denen wenigstens die eine verheiratet ist, stattgefundene außereheliche Beischlaf, RG. II. 8. Okt.,1886. E. 14,352, nicht aber ein anders gearteter geschlechtlicher Verkehr. Über Beischlaf vgl. Note 1 zu § 173 RStrGB.

Zweiter Teil. Einzelne Verbrechen, Vergehen usw.

§§ 170—173. 413

2) D. h. wegen derselben ehebrecherischentzandlung, welche den Gegen­ stand der Strafverfolgung bildet; RG. 1. 2. März 1894. E. 25,199. 3) Vorausgesetzt wird nicht eine absolut gültige, gegen jede Anfechtung, namentlich wegen formeller Mängel bei Eingehung derselben, sicher gestellte Ehe. Ausgeschlossen ist der Ehebruch nur bei einer formell nichtigen Ehe. RG. I. 12. April 1886. E. 8,277. 4) Erfordert wird nur die Tatsache, daß die Ehe wegen Ehebruchs geschieden ist; vorausgegangene Einwilligung, nachträgliche Verzeihung, Kompensation mit dem von dem anderen Ehegatten begangenen Ehebruch, sofern sie im Scheidungsprozeß nicht oder ohne Erfolg geltend gemacht wurden, sind für den Tatbestand des Delikts des Ehebruchs ohne Bedeutung. RG. III. 7. Juni 1886. E. 14,202. 5) Der Satz: „wenn wegen desselben die Ehe geschieden ist", enthält nicht ein zum Tatbestand des Vergehens gehöriges gesetzliches Merkmal, eine Bedingung für die Strafbarkeit der Handlung, sondern lediglich eine prozessuale Voraussetzung für das Einschreiten der Staatsgewalt. RG. III. 17. Juni 1886. E. 14,202, vgl. auch E. 7,298, E. 15,122, E. 15,261 u. E. 22,135. 6) Nichtkenntnis von dem Bestehen der Ehe macht den unverheirateten Mitschuldigen straflos. § 59 RStrGB. Olsh. Note 4. 7) Die Strafverfolgung verjährt in fünf Jahren. § 67 Abs. 2 RStrGB. Die Verjährung beginnt mit dem Tage der Rechtskraft des Scheidungs­ urteils. RG. IV. 8. Febr. 1887. E. 15,261. 8) Antragsberechtigt ist der andere Ehegatte. Die vorherige Zu­ stimmung des anderen Ehegatten oder die nachträgliche Verzeibung desselben entzieht demselben nicht das Recht zur Stellung des Strafantrags, ebenso­ wenig ein von ihm erklärter Verzicht auf Stellung des Strafantrages, gleichviel ob die Verzeihung oder der Verzicht auf Stellung des Straf­ antrages vor oder nach Beginn der Antragsfrist erfolgt ist. RG. III. 7. Juni 1886. E. 14,202. II. 1. April 1881. R. 3,221. I. 13. Jan. 1881. E. 3,221. Selbst der Ehegatte, der den anderen zum Ehebruch angestiftet hat, ist antrags­ berechtigt. RG. II. 6. Febr. 1894. E. 25,119. Die Frist zur Stellung des Strafantrags wegen Ehebruchs beginnt nicht schon mit der Kenntnisnahme des Antragsberechtigten von der Tat­ sache oes vollzogenen Ehebruchs, sondern erst mit dem Zeitpunkte, wo dem Antragsberechtigten der Eintritt der Rechtskraft des Scheidungsurteils zum Bewußtsein gekommen ist. Ein vor diesem Zeitpunkte gestellter Strafantrag ist rechtsunwirksam. RG. III. 3. Jan. 1880. E. l,w. IV. 9. Okt. 1894. E. 26,iie. § 173.la)

Der Beischlaf') zwischen Verwandten?) auf- und ab­

steigender Linie wird an den ersteren mit Zuchthaus bis

zu fünf

Jahren, an den letzteren mit Gefängniß bis zu zwei Jahren bestraft.

Der Beischlafs zwischen Verschwägerten3) auf- und absteigender Linie, sowie zwischen Geschwistern wird mit Gefängniß bis zu zwei Jahren bestraft. Neben der Gefängnißstrafe

kann

aus Verlust der bürgerlichen

Ehrenrechte erkannt werden.

Verwandte und Verschwägerte absteigender Linie bleiben straflos,

wenn sie das achtzehnte Lebensjahr4) nicht vollendet haben?)

la) Vgl. § 52 RStrGB. und § 33 des Personenstandsgesetzes v. 6. Febr. 1875. x) D. h. die Vereinigung der Geschlechtsteile zweier Personen ver­ schiedenen Geschlechts; erfordert wird der Anfang des Eindringens in den

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Strafgesetzbuch für das Deutsche Reich.

weiblichen Teil, ein Versuch dazu — bloße äußere Berührung — genügt nicht. Emissio oder Immissio seminis wird nicht erfordert. RG. II, 11. März 1892. G. 40,39. I. 17. März 1881. E. 4,23. R. 3,144. Ob der Bei­ schlaf ein ehelicher oder unehelicher ist, ist unerheblich. Ist der Beischlaf zwischen Verwandten usw. nach erfolgter Eheschließung vollzogen, so schließt ein Irrtum über das Eheverbot die Bestrafung aus § 173 RStrGB. nicht aus. RG. I. 10. Nov. 1881. R. 3,709. 2) Für den Begriff der Verwandten bezw. Verschwägerten im Sinne des § 173 RStrGB. ist nur die Blutsgemeinschaft, ohne Unterschied der ehelichen oder unehelichen Abstammung, maßgebend. RG. I. 17. Ort. 1883. R. 5,613. I. 19. Febr. 1885. R. 7,no. II. 8. Juni 1886. R. 8,439. IV. 31. Jan. 1890. E. 20,239. Die irrige Meinung des Täters, es setze der Begriff der Verwandtschaft, Schwägerschaft ein durch eheliche Geburt begründetes Verhältnis voraus, ist ein strafrechtlicher Irrtum, auf den § 59 RStrGB. nicht Anwendung findet. RG. I. 19. Febr. 1885. E. 12,275. 3) Vgl. Note 2. Zu den Verschwägerten gehört auch die von der Ehefrau in die Ehe gebrachte Stieftochter. RG. I. 19. Jan. 1880. R. 1,246. Unerheblich ist, ob die Ehe, welche die Schwägerschaft begründet hat, nicht mehr besteht oder aufgelöst ist. RG. III. 7. April 1880. R. 1,548. II. 22. April 1884. E. 10,302. I. 5. Mai 1894. E. 25,337. Ein Irrtum darüber, daß die Schwägerschaft nach Auflösung der sie begründenden Ehe fortdauert, ist ein strafrechtlicher Irrtum. RG. IV. 8. Nov. 1901. E. 34,418. Der Stiefund Adoptivvater, welcher mit seiner Stief- und Adoptivtochter den Bei­ schlaf ausübt, macht sich in ideeller Konkurrenz der Blutschande und des Verbrechens gegen § 174 Nr. 1 RStrGB. schuldig ; RG. I. 22. Juni 1885. R. 7,422. Desgl. der Pflegevater, welcher mit seiner Stief- und Pflege­ tochter den Beischlaf vollzieht. RG. I. 23. Dez. 1885. R. 7,759. 4) Das vollendete 18. Lebensjahr ist positives Tatbestandsmerkmal des Delikts; Personen unter 18 Jahren handeln gesetzlich ohne jedes Ver­ schulden, sie sind nicht Teilnehmer, sondern Objekte des Delikts, ihre Nicht­ beeidigung aus § 56 Nr. 3 StrPO., § 199 Nr. 3 MStrGO. ist nicht ge­ rechtfertigt. RG. III. 23. Sept. 1889. E. 19,391. Vollendet ist das 18. Lebens­ jahr mit dem Beginn des 18. Jahrestages der Geburt. § 187 Abs. 2 BGB. RG. III. 16. Dez. 1901. E. 35,37. 5) Die Strafverfolgung des Verbrechens verjährt in zehn, des Vergehens in fünf Jahren. § 67 RStrGB.

§ 174. Mit Zuchthaus bis zu fünf Jahren werden bestraft: 1) Vormünder?) welche mit ihren Pflegebefohlenen, Adoptiv-?) und Pflegeeltern,3) welche mit ihren Kindern, Geistliche,4) Lehrers und Erzieher,3) welche mit ihren minderjährigen Schülern oder Zöglingen unzüchtige Handlungen?) vornehmen; 2) Beamte?) die mit Personen, gegen welche sie eine Untersuchung zu führen haben oder welche ihrer Obhut3) anvertraut sind, un­ züchtige Handlungen?) vornehmen; 3) Beamte, Aerzte oder andere Medizinalpersonen?3) welche in Ge­

fängnissen oder in öffentlichen, zur Pflege von Kranken, Armen oder anderen Hülflosen bestimmten Anstalten^) beschäftigt oder angestellt sind, wenn sie mit den in das Gefängniß oder in die Anstalt aufgenommenen Personen unzüchtige Handlungen?) vor­ nehmen.

Zweiter Teil.

Einzelne Verbrechen, Vergehen usw.

§ 174.

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Sind mildernde Umstände vorhanden, so tritt Gefängnißstrafe nicht unter sechs Monaten em.12) 1) „ Vormund im Sinne des § 174 RStrGB. ist nur derjenige, welchem durch Übertragung einer Pflicht zur Beaufsichtigung der Person, der per­ sönlichen Pflege und Fürsorge für dieselbe ein Autoritätsverhältnis über oen Pflegebefohlenen eingeräumt ist, nicht derjenige, der nur für eine be­ stimmte Rechtshandlung oder zur Aufsicht über das Vermögen bestellt ist; RG. III. 9. Dez. 1886. R. 8,737. E. 15,72. 2) Vgl. 88 1741 ff. BGB. 3) Tatsächliche Pflege allein genügt nicht; erfordert wird ein Ver­ hältnis, welches sich nach der Auffassung der Sitte und des Lebens als eine Nachbildung des natürlichen Elternverhältnisses, ein dem letzteren ähnliches familienrechtliches Abhängigkeils- und Schutzverhältnis darstellt. RG. IV. 29. März 1895. E. 27,130. III. 28. Okt. 1882. R. 4,773. V. 10. April 1890. E. 20,357. IV. 15. Febr. 1901. E. 34,161. 4) Der Pfarrer, welcher Christenlehre erteilt, steht zu seinen Schülern im Verhältnis eines Geistlichen i. S. des 8 174 RStrGB. RG. 1.17. Nov. 1884. E. 11,271. 5) Erfordert wird die Erteilung von fortdauerndem Unterricht an einen anderen in irgend einem Wissenszweig (auch in künstlerischen oder gewerblichen Fertigkeiten) bei geistiger und sittlicher Unterordnung des Schülers. Ein solches Verhältnis ist nicht nur innerhalb des öffentlichen Schulwesens anzunehmen, sondern auch im Falle des Privatunterrichtes, der nicht einmal auf Grund eines Vertragsverhältnisses und nicht einmal von einem Berufslehrer erteilt wird. RG. III. 31. Mär§ 1884. E. 10,315, R. 6,258, II. 2. Nov. 1900. E. 33,423. Auch der gewerbliche Lehrherr kann gegenüber dem Lehrling als Lehrer i. S. des 8 174 RStrGB. erachtet werden, RG. IV. 29. März 1895. E. 27,130, ebenso der Gastwirt gegenüber dem Kellnerlehrling. RG. I. 2. März 1899. E. 32,59, der Kaufmann gegen­ über dem Handlungslehrling. RG. IV. 2. Juli 1901. E. 34,311. 6) Als Erzieher ist anzusehen, wer berufsmäßig eine Stellung gegen­ über einer minderjährigen Person ähnlich der eines Vaters oder Vormundes einnimmt und auf Grund der ihm zustehenden Autorität die Lebensführung des Kindes, namentlich in sittlicher Beziehung zu überwachen und zu lenken hat. RG. IV. 10. Juli 1896. E. 29,49, IV. 26. Nov. 1901. E. 35,10. Lehrer, die nur in einem Fache unterweisen, sind nicht Erzieher i. S. des 8 174, zit. RG. I 27. April 1882. E. 6,233, vgl. zit. Erk. E. 27,130 u. E. 32,59. Schiffs­ jungen sind militärische Zöglinge, d. h. minderjährige junge Leute, die zur Erlangung der sittlichen, geistigen und körperlichen Reife für den Eintritt in die Unteroffizier-Laufbahn in den hierzu bestimmten Marineteil, die Schiffsjungen-Division, eingetreten sind und dort „erzogen" werden. In der Anordnung der sorgfältigen Überwachung des moralischen Verhaltens der Jungen liegt die für den Begriff des „Erziehers" notwendige Vor­ aussetzung, daß derselbe in regelmäßiger Fortsetzung die moralische Ent­ wickelung des Zöglinges zu leiten hat. Der Stubenälteste einer mit Schiffs­ jungen belegten Stube ist als Erzieher der Schiffsjungen anzusehen, ohne Rücksicht darauf, ob er gleichzeitig auch deren Korporalschaftsführer ist. RMGer. II. 17. Okt. 1903. E. 6,81. 7) Erfordert wird, daß durch die Handlung der Körper der jugend­ lichen Person berührt und in Mitleidenschaft gezogen wird. Es genügt nicht, daß angesichts der jugendlichen Person unzüchtige, d. h. das Schamund Sittlichkeitsgefühl in geschlechtlicher Beziehung verletzende Handlungen vorgenommen oder unzüchtige Äußerungen oder Aufforderungen derselben zu Gehör gebracht wird. RG. III. 7. Mai 1881. R. 3,287, II. 17. März 1882. E. 0,ii6, II. 20. April 1894. E. 25,287. Die Handlung braucht nicht an dem

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Strafgesetzbuch für das Deutsche Reich.

entblößten Körper vorgenommen zu sein. RG. II. 12. Okt. 1900. E. 33,430. Subjektiv wird das Motiv der Geilheit erfordert. RG. II. 13. Dez. 1895. E. 28,77. 8) Für den Begriff „Beamte" ist § 359 RStrGB. maßgebend. Die von der Polizeiverwaltung mit einem jeweiligen Gefangenentransport be­ auftragten Privatpersonen — sog. Transporteure — sind nicht ohne weiteres Beamte. RG. I. 22. Dez. 1881. R. 3,821. E. 5,448. Die von einer unter staatlicher Obhut stehenden Heil- oder Irrenanstalt vertragsmäßig ange­ nommenen Krankenwärter sind nicht Beamte. RG. III. 6./13. Nov. 1884. R. 6,711. 9) Obhut ist die mit der Pflicht der Aufsicht verbundene Fürsorge, vermöge deren ein Schutzverhältnis entsteht zwischen dem, der die Obhut ausübt und dem, dem sie zuteil wird. RG. II. 4. Juni 1889. E. 19,255. 10) Medizinalpersonen sind die mit der Ausübung der Heilkunde be­ faßten Personen; das sog. unter- oder niederärztliche Personal (Heildiener, Heilgehilfen, Bader) nicht aber das Dienst- oder Wartepersonal (Kranken­ wärter, Krankenpfleger, barmh. Schwestern). RG. F.-S. 24. Aug. 1888. E. 31,246. n) Der Hausvater einer kommunalen Armenanstalt, der neben dem Wirtschaftsbetrieb die Pfleglinge zu überwachen hat, ist Beamter i. S. des 8 174 RStrGB. RG. III. 20. März 1893. E. 24,83. 12) Strafverfolgung verjährt in zehn Jahren. § 67 Abs. 1 RStrGB.

§ 175.

Die widernatürliche Unzucht, welche zwischen Personen

männlichen Geschlechts*) oder von Menschen mit Thieren2) begangen wird, ist mit Gefängniß zu bestrafen;8) auch kann aus Verlust der

bürgerlichen Ehrenrechte erkannt werden.

1) Erfordert wird zur Vollendung des Delikts eine zum Zwecke der naturwidrigen Befriedigung des Geschlechtstriebs mindestens des einen Teils vorgenommene, dem natürlichen Beischlaf ähnliche Handlung an dem Körper eines anderen Mannes. Darin, daß ein Mann das männliche Glied eines anderen in den Mund nimmt und daran saugt, liegt eine bei­ schlafsähnliche Handlung. Auf die Fälle der Päderastie oder der immiscio seminis in einen Körperteil eines anderen Mannes ist die widernatürliche Unzucht nicht beschränkt. Erreichung des Geschlechtsgenusses durch Samen­ erguß gehört nicht zum Tatbestand des § 175 RStrGB. RG. II. 23. April 1880. E. 1,395, III. 24. April 1880 R. 1,622, 1.13. Jan. 1881. E. 3,200, 1.17. März 1881. E. 4,23, RG. II. 29. März 1901. E. 34,245. Erfordert wird aber eine Berüh­ rung des männlichen Gliedes mit dem Körper einer anderen männlichen Person. Daß dieser Körper an der berührten Stelle entblößt ist, ist nicht nötig, wohl aber eine Entblößung des männlichen Gliedes auf seilen des aktiven Teils. RG. IV. 19. Dez. 1902. E. 36,33, I. 20. Sept. 1880. E. 2,237 u. II. 8. Jan. 1898. G. 46,112. Wechselseitige Onanie fällt nicht unter § 175 RStrGB. RG. II. 25. April 1882. E. 2,211, III. 17. Mai 1882. R. 4,493. Ein Verhält­ nis strafbarer Teilnahme Zweier braucht nicht vorzuliegen; auch an einem Schlafenden kann widernatürliche Unzucht verübt werden. RG. III. 28. Mai 1888. R. 10,416. In subjektiver Hinsicht genügt das Wollen einer sich als beischlafs­ ähnliche Handlung darstellenden Tat, verbunden mit der mindestens bei einem Teil vorliegenden wollüstigen Absicht; die sich zur Unzucht nur hin­ gebende Mannsperson muß Kenntnis haben, daß der andere in der Ab­ sicht der Erregung oder Befriedigung seines geschlechtlichen Triebs handelt, sie braucht aber nicht zur Erregung oder Befriedigung ihres eigenen Ge-

Zweiter Teil. Einzelne Verbrechen, Vergehen usw.

§§ 175,176.

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schlechtstriebes zu handeln. Er handelt als Täter, nicht als Gehilfe. RG. II. 29. März 1901. E. 34,245. 2) Vereinigung der Geschlechtsteile, Verschiedenheit des Geschlechts, Erreichung des Geschlechtsgenusses durch Samenerguß ist nicht nötig; er­ forderlich ist aber die auf Herbeiführung des Geschlechtsgenusses gerichtete beischlafsähnliche Berührung des Körpers des Tieres mit dem Geschlechts­ teil des Täters. RG. I. 13. Jan. 1881. E. 3,200, I. 30. Okt. 1882. R. 4,775. III. 5. März 1881. R. 3,113, II. 15. Nov. 1892. E. 23,289. RMGer. II. 19. Okt. 1901. E. 2,36. 3) Die Strafverfolgung verjährt in fünf Jahren. § 67 RStrGB.

§ 176. Mit Zuchthaus bis zu zehn Jahren wird bestraft, wer 1) mit Gewalt1) unzüchtige Handlungen2) an3) einer Frauensperson vornimmt oder dieselbe durch Drohung4) mit gegenwärtiger Gefahr4) für Leib oder Leben3) zur Duldung unzüchtiger Hand­ lungen nöthigt/) 2) eine in einem willenlosen oder bewußtlosen Zustande befindliche oder eine geisteskrankes Frauensperson zum außerehelichen Beifchlafe3) mißbraucht/) oder 3) mit Personen unter vierzehn Jahren3) unzüchtige Handlungen vornimmtio) oder dieselben zur Verübung oder Duldung1') un­ züchtiger Handlungen11) verleitet. 12)13) Sind mildernde Umstände vorhanden, so tritt Gefängnißstrafe nicht unter sechs Monaten ein.14)15) 4) Vis absoluta und vis compulsiva, soweit sie sich als physischer Zwang äußert, vgl. Olsh. Note 4. Die Gewalt muß sich gegen die Person richten, deren Willen durch die Gewalt behufs Vornahme unzüchtiger Handlungen überwunden sein muß. Ist die angewendete Gewalt für die Frauensperson eine vis haud ingrata, so fehlt es an der Überwindung eines ernstlichen Gegenwillens, wie ihn der Tatbestand des § 176 Nr. 1 er­ fordert. Der Täter muß selbst die Gewalt in Bewegung setzen, sei es auch unter tätiger Beihilfe Dritter. Benutzt der Täter nur die von dritten Personen ohne jede eigene Verschuldung des Täters gegen eine Frauens­ person verübte Vergewaltigung, um an der augenblicklich Wehrlosen un­ züchtige Handlungen vorzunehmen, so liegt der Tatbestand des § 176 Nr. 1 nicht vor. RG. III. 11. Nov. 1895. E. 27,422. 2) Vgl. Note 7 zu § 174 RStrGB. 3) Oder „mit" einer Frauensperson. RG. III. 7. Mai 1881. R. 3,28?; eine Mitwirkung der gemißbrauchten Person ist nicht erforderlich. RG. I. 10. Okt. 1881. R. 3,621. 4) Vgl. Note 4 zu § 52 RStrGB. Bezüglich des Begriffes der Drohung vgl. Note 6 zu 8 48 RStrGB. 5) Vgl. Note 7 zu 8 52 RStrGB. 6) Unter der Nötigung einer Frauensperson „zur Duldung unzüchtiger Handlungen" ist eine solche Nötigung zu verstehen, welche dazu führt, daß die Frauensperson an ihrem eigenen Körper unzüchtige Handlungen erlitten, d. h. erduldet, hat. RG. II. 4. Dez. 1894. E. 26,278. Ein Nötigen durch Drohung liegt nicht vor, wenn von dritter Seite ohne Wissen und Willen des Täters ausgestoßene Drohungen eine Frauensperson bestimmt haben, Unzucht an sich zu dulden. RG. III. 11. Nov. 1895. E. 27,422. Ein freiHerz u. Ernst, Strafrecht der Militärpersonen.

27

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Strafgesetzbuch für das Deutsche Reich.

willig aufgegebener Notzuchtsversuch kann als Verbrechen aus § 176 Nr. 1 RStrGB. aufgefaßt werden. RG. FS. 25. Aug. 1892. E. 23,225. 7) Jede Art von Geisteskrankheit kommt in Betracht. Die Einwilli­ gung des Geisteskranken ist unerheblich. 8) Mißbrauch einer willenlosen usw. Frauensperson zur Vornahme unzüchtiger Handlungen ist nicht aus § 176 Nr. 2 RStrGB., sondern ev. nur aus §§ 185, 223 das. strafbar. RG. III. 11. Nov. 1895. E. 27,422. 8) Einwilligung der geisteskranken Frauensperson schließt den Miß­ brauch nicht aus. RG. zit. Erk. 7,425. 9) Männlichen oder weiblichen Geschlechts. RG. III. 14. Febr. 1884. R. 6,112. Vgl. auch Note 4 a. E. zu § 173 RStrGB. 10) Vgl. Note 7 zu 8 174 RStrGB. Gleichgültig ist, ob durch die Tat nur die sinnlichen Gelüste der erwachsenen Personen oder etwa nur diejenigen der Kinder befriedigt werden sollen. Der Begriff der „Vornahme unzüchtiger Handlungen" umfaßt auch die Duldung der Beischlafsvollziehung durch eine männliche Person unter 14 Jahren von feiten einer Frauens­ person. RG. III. 14. Febr. 1889. E. 10,158. Erfordert wird die Berührung des Körpers der Person unter 14 Jahren, nicht aber des entblößten Körpers oder der Geschlechtsteile derselben. RG. II. 29. Dez. 1882. R. 4,899. I. 17. März 1882. E. 6,hg. Die Mitwirkung der gemißbrauchten Person ist nicht erforderlich. RG. I. 10. Okt. 1881. R. 3,621, ebensowenig, daß die Handlungen seitens der verleiteten Kinder als solche erkannt werden. RG. II. 26. Mai 1891. E. 22,33. Zeugungsfähigkeit des Täters wird nicht vorausgesetzt. RG. I. 23. Jan. 1890. E. 20,181. Subjektiv wird die wollüstige Absicht (Motiv der Geil­ heit) des Täters erfordert. RG. II. 23. Dez. 1895. E. 28,77. n) Vgl. Note 6 a. E. zu § 176 RStrGB. Nicht erforderlich ist, daß ein Zurschaustellen der Geschlechtsteile oder auch nur des entblößten Körpers in Frage steht, es kann vielmehr unter Umständen schon eine auf geschlechtliche Sinnenlust abzielende, schamlose Entkleidung, wenngleich sie den nackten Körper nicht zum Vorschein kommen läßt, als eine unzüchtige Handlung sich darstellen. RG. II. 12. Okt. 1900. E. 33,429. 12) Unter Verleiten ist jede Einwirkung auf den Willen des Kindes, ein Geneigtmachen desselben zur Duldung des Mißbrauchs durch Zureden, Geschenke, Vorspiegelungen usw. zu verstehen. RG. IV. 20. Sept. 1898. E. 31,251. § 176 Nr. 3 trifft auch den Fall, daß der Täter das Kind ver­ leitet, Unzüchtigkeiten eines Dritten zu dulden. RG. III. 21. Okt. 1889. E. 20,30. Versuch der Verleitung ist gegeben, wenn mit der Einwirkung auf den Willen des Kindes, es zur Duldung unzüchtiger Handlungen zu bestimmen, begonnen ist, vgl. RG. zit. Erk. 31,251. 13) Eventualdolus genügt. RG. I. 28. April 1884. E. 10,337. RG. IV. 20. Dez. 1887. R. 9,742. Bloße Zweifel an dem Alter des Kindes fallen rechtlich mit dem dolus eventualis nicht zusammen. RG. I. 13. April 1891. E. 21,420. Einer ausdrücklichen Feststellung, daß der Täter das Alter der Person unter 14 Jahren gekannt hat, bedarf es nur, wenn der Täter in dieser Richtung Einwendungen erhebt. RG. III. 4. Jan. 1882. R. 4,9. 14) Auch Personen unter 14 Jahren können das Verbrechen gegen § 176 Nr. 3 RStrGB. begehen. RG. III. 18. Dez. 1882. E. 7,352. 15) Die Strafverfolgung verjährt in zehn Jahren. § 671 RStrGB.

8 177. Mit Zuchthaus wird bestraft, wer durch Gewalt4) oder durch Drohung?) mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben2) eine Frauensperson zur Duldung des außerehelichen Beischlafs4) nöthigt/) oder wer eine Frauensperson zum außerehelichen Beischlafe4) miß-

Zweiter Teil. Einzelne Verbrechen, Vergehen usw. §§ 177—180.

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braucht, nachdem er sie zu diesem Zwecke in einen willenlosen oder bewußtlosen Zustand verseht hat.^) Sind mildernde Umstände vorhanden, so tritt Gefängnißstrafe nicht unter Einem Jahre ein?) !) Vgl. Note 1 zu § 176 RStrGB. 2) Vgl. Note 4 und 5 511 § 176 RStrGB. 3) Vgl. Note 6 zu § 176 RStrGB. 4) Vgl. Note 1 a. A. zu § 173 RStrGB. Für den Begriff des Bei­ schlafs ist die immissio seminis bedeutungslos. Auch an einem vierjährigen Kinde kann Notzucht verübt werden. RG. 1. 17. März 1881. R. 3,744. E. 4,23. 5) Über Mittäterschaft, Beihilfe zur Notzucht vgl. Note 5 zu 8 47 RStrGB. und RG. I. 7. Jan. 1881. E. 3,isi. Ein freiwillig aufgegebener Notzuchtsversuch kann als Beleidigung, Körperverletzung oder aus 8 176 Nr. 1 RStrGB. strafbar sein. 6) Die Strafverfolgung verjährt in 15 Jahren. 8 67 Abs. 1 RStrGB.

§ 178.i) Ist durch eine der in den 88 176 und 177 bezeichneten Handlungen der Tod der verletzten Person verursacht worden,2) so tritt Zuchthausstrafe nicht unter zehn Jahren oder lebenslängliche Zuchthausstrafe ein.3) 1) 8 178 RStrGB. einen straferhöhenden Umstand der in 88 176, 177 bezeichneten strafbaren Handlungen im Sinne der 88 262, 264, 266, 295 RStrPO., 88 318, 323, 326 MStrGO. 2) Maßgebend ist der objektive Erfolg; unerheblich ist, ob er vom Täter vorausgesehen werden konnte. 3) Die Strafverfolgung verjährt beim vollendeten Verbrechen in zwanzig, beim versuchten Verbrechen in 15 Jahren. 8 67 Abs. 1 RStrGB. Wegen Beginn der Verjährung vgl. 8 64 Abs. 4 das.

§ 179. Wer eine Frauensperson zur Gestattung des Beischlafs dadurch verleitet, daß er eine Trauung vorspiegelt, oder einen anderen Irrthums in ihr erregt oder benutzt, in welchem sie den Beischlaf für einen ehelichen hielt, wird mit Zuchthaus bis zu fünf Jahren bestraft. Sind mildernde Umstände vorhanden, so tritt Gefängnißstrafe nicht unter sechs Monaten ein. Die Verfolgung tritt nur aus Antrag ein.2)3) 1) Z. B. den der Abschließung der Ehe vor dem Standesamt. 2) Antragsberechtigt ist allein die getäuschte Frauensperson, nicht auch ihr Ehemann. RG. IV. 16. April 1889. E. 19,250. 3) Die Strafverfolgung verjährt in zehn Jahren. 8 67 Abs. 1 RStrGB.

§ 18O.i) Wer gewohnheitsmäßig2) oder aus Eigennutz3) durch seine Vermittelung4) oder durch Gewährung oder Verschaffung von Gelegenheit^) der Unzucht3) Vorschub leistet,7)8) wird wegen Kuppelei mit Gefängniß nicht unter Einem Monate bestraft; auch kann zugleich auf Geldstrafe von einhundertfünszig bis zu sechstausend Mark, auf 27*

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Strafgesetzbuch für das Deutsche Reich.

Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte sowie auf Zulässigkeit von PolizeiAufsicht erkannt werden. Sind mildernde Umstände vorhanden, so kann die Gesängnißstrase bis aus Einen Tag ermäßigt werden?) *) Die jetzige Fassung beruht auf dem Gesetz v. 25. Juni 1900, betr. Änderung und Ergänzung des StrGB. (RGBl. S. 301). 2) Unter Gewohnheitsmäßigkeit ist eine dauernde Eigenschaft, durch welche der Wille in eurer bestimmten Richtung stetig beeinflußt wird, zu verstehen. Als subjektives Erfordernis der Gewohnheitsmäßigkeit kann nicht jeder, vielleicht vorübergehende, Hang, nicht eine bloße Geneigtheit, welche der Täter vermöge der Veranlagung seines Charakters oder unter dem Einflüsse äußerer Verhältnisse der sich darbietenden Gelegenheit oder dem sonstigen im Einzelfalle wirksamen Anreize entgegenbringt, gelten, sondern nur ein durch Übung ausgebildeter, selbsttätig fortwirkender Hang, ein Hang, dessen Befriedigung dem Täter bewußt oder unbewußt zur Ge­ wohnheit geworden ist. RG. IV. 1. Dez. 1899. E. 32,394. Das Begriffsmerkmal der Gewohnheitsmäßigkeit liegt auch vor, wenn einer und derselben Person zum wiederholten Betriebe der Unzucht Vor­ schub geleistet wurde. Die Gewohnheitsmäßigkeit ist Talbestandsmerkmal; die Einzelhandlungen, welche als gewohnheitsmäßig begangen erscheinen, können nur als Elemente des Kollektivvergehens gewohnheitsmäßig be­ triebener Kuppelei, nicht zugleich als selbständige, im Verhältnis realer Konkurrenz zueinander stehende Vergehen in Betracht gezogen werden. RG. III. 1. März 1882. E. 6,132. Ist gewohnheitsmäßige Kuppelei Gegen­ stand der Anklageverfügung, so unterliegen der ganze angegebene Zeitraum und alle in denselben fallenden Einzelhandlungen der richterlichen Prüfung und das Urteil konsumiert sämtliche bis zum Urteil vorgekommenen Einzel­ fälle ohne Rücksicht auf den Ort, an welchem sie begangen wurden. Ihre erneute strafrechtliche Verfolgung ist selbst dann ausgeschlossen, wenn sie, z. B. weil dem Richter nicht bekannt, bei jener Entscheidung nicht berück­ sichtigt wurden oder werden konnten. RG. IV. 4. Juli 1893. E. 24,243. Ein gewohnheitsmäßiges Delikt kann durch eine fortgesetzte Handlung verübt werden. RG. IV. 2. Juli 1901. E. 34,3io. Gewohnheitsmäßigkeit beim fortgesetzten Delikt kann auch da angenommen werden, wo diese den Täter nicht schon beim Beginne der strafbaren Handlung, sondern erst in einem späteren Stadium der Fortsetzung beeinflußt hat. RG. IV. 13. Nov. 1900. E. 34,7. Ist wegen gewohnheitsmäßiger Kuppelei die Anklage ver­ fügt, so können aus dem hiernach zur Aburteilung stehenden Kollektivver­ gehen gewohnheitsmäßiger Kuppelei durch eine spätere Anklageverfügung eine Einzelhandlung unter Qualifizierung derselben als aus Eigennutz ver­ übte Kuppelei nicht mehr ausgeschieden und zum Gegenstände eines be­ sonderen Verfahrens und Urteils gemacht werden. RG. II. 8. Dez. 1899. E. 33,n. 3) Eigennutz ist dasjenige auf eigenen Nutzen gerichtete Streben, welches zugleich den Geboten der Moral zuwider, nicht die gebührenden Rücksichten auf die Interessen anderer nimmt. RG. 1.17. Okt. 1884. R. 6,35. I. 27. Okt. 1883. E. 9,129. IV. 3. Mai 1887. E. 16,56. Der Nutzen muß ein materieller sein, z. B. Befriedigung der Genußsucht durch geistige Ge­ tränke, durch Geschlechtsgenuß, braucht aber kein Vermögensvorteil zu sein. RG. III. 13. Nov. 1882. N. 4,sio. IV. 3. Mai 1887. E. 16,56. Ein das ge­ wöhnliche Maß übersteigender Nutzen oder Vorteil ist nicht erforderlich. RG. IV. 10. Juli 1894. E. 26,40. II. 28. Mai 1880. R. 1,828. Gleichgültig ist, ob der Nutzen in der Erlangung eines künftigen Vermögensvorteils oder in der Erhaltung einer bereits fließenden Einnahmequelle, oder der Vermeidung eines künftigen Vermögensnachteils bestehen soll. RG. 1.17. Jan.

Zweiter Teil.

Einzelne Verbrechen, Vergehen usw.

§ 180.

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1884. R. 6,35. Es genügt die Aussicht auf einen künftigen, noch von un­ gewissen Voraussetzungen abhängigen Vermögensvorteil. RG. I. 27. Okt. 1883. E. 9,129. In dem bloßen Vermieten einer Wohnung an Prostituierte kann Kuppelei aus Eigennutz gefunden werden, wenn die Erlangung eines Miet­ ertrages für den der Kuppelei Beschuldigten der Beweggrund ist, weshalb er gerade an der Unzucht ergebene Personen wissentlich vermietet oder dies Mietverhältnis aufrecht erhält. Dies ist der Fall, wenn von Prostituierten ein höherer Mietzins gewährt wird, als von anderen Personen, oder wenn eine Wohnung schwer oder gar nicht vermietbar ist und an Prostituierte vermietet wird, um sie dennoch zu verwerten. RG. III. 15. Febr. 1894. E. 25,143. Kuppelei aus Eigennutz liegt in dem Verkaufe eines Hauses an eine Prostituierte selbst dann nicht, wenn dem Verkäufer bewußt war, daß die Käuferin das Haus zum Betriebe gewerbsmäßiger Unzucht benutzen und durch solchen den Kaufpreis aufbringen wolle. RG. I. 8. Mai 1893. E. 24,165. In mehreren Handlungen des Vorschubleistens zur Unzucht können mehrere real konkurrierende Vergehen der Kuppelei aus Eigennutz in idealer Konkurrenz mit einem Vergehen der gewohnheitsmäßigen Kuppelei erblickt werden. RG. II. 10. Nov. 1882. E. 7,229. I. 21. Dez. 1883. E. 10,22. I. 1. März 1882. E. 6,132. „Aus" Eigennutz muß die Kuppelei betrieben sein, d. h. Eigennutz muß das Motiv der Handlung gewesen sein. RG. I. 27. Okt. 1883. E. 9,129. 4) Erfordert wird eine Tätigkeit, die auf das Zusammenbringen von Personen zur Unzucht gerichtet ist, die die persönliche Annäherung der be­ treffenden Personen zum Zwecke der Ausübung der Unzucht ermöglicht, mag auch hiermit die Überlassung einer Örtlichkeit zum Zwecke der Aus­ übung der Unzucht nicht verbunden werden. RG. 1.19. Okt. 1896. E. 29,109. I. 1. Febr. 1890. E. 20,201. Die Vermittelung kann auch eine mittelbare sein (z. B. Überführung von Frauen in ein Bordell); eine Vermittelung liegt ferner schon vor, wenn Zustände und Verhältnisse herbeigeführt werden, durch welche für die Aus­ führung von Unzuchtshandlungen objektiv günstigere Voraussetzungen als bisher bestanden, geschaffen werden. RG. I. 23. Sept. 1880. E. 2,258. Zu­ hälter, welche Prostituierte auf Männer, an welche sie sich heran machen können, aufmerksam machen, vermitteln im Sinne des § 180 RStrGB. RG. II. 17. Okt. 1884. E. 11,149. 5) In Betracht kommt eine Tätigkeit, durch die der Unzucht günstigere Voraussetzungen geschaffen werden, und zwar bei der Gewährung durch Darbietung, bei dem Verschaffen durch Nachweis der Gelegenheit (z. B. der Ortes). Daß es im einzelnen Falle zum wirklichen Betriebe der Unzucht ge­ kommen ist, erfordert § 180 RStrGB. nicht. RG. II. 17. Okt. 1884. E. 11,149. II. 13. Mai 1882. E. 6,286. Die für Beförderung der Unzucht aufgewendete Tätigkeit muß in der Richtung auf den Willen des andern wirksam gewesen sein. Dem Anbieten von Gelegenheit, der nur subjektiv sich äußernden vermittelnden Tätigkeit muß wenigstens eine Annahme, eine Erklärung der Bereitwilligkeit und Geneigt­ heit, die angebotene Gelegenheit, die Vermittelung benutzen zu wollen, von feiten des anderen gefolgt sein. RG. III. 15. Mai 1880. E. 2,164. I. 23. Sept. 1880. E. 2,259. I. 8. Mai 1893. E. 24,165. 6) Unter Unzucht im Sinne des § 180 RStrGB. ist nicht bloß die Vollziehung des außerehelichen Beischlafs zu verstehen, sondern jedes gegen Zucht und Sitte verstoßende Handeln im Bereiche des geschlechtlichen Um­ gangs zwischen mehreren Personen, gleichviel ob diese Personen männlichen oder weiblichen Geschlechts sind. RG. I. 29. Mai 1884. E. 11,4. III. Jan. 1884. R. 6,33. II. 29. Okt. 1897. E. 30,321. Z. B. das den Zwecken der

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Strafgesetzbuch für das Deutsche Reich.

Geschlechtslust dienende Verhalten der Kellnerinnen, welche sich von den Gästen auf den Schoß nehmen und über und unter den Kleidern sich be­ tasten lassen, zit. Erk. 11,4; die gemeinsame Benutzung desselben Bettes durch unverheiratete Personen verschiedenen Geschlechts, zumal unter Umständen, welche die Vollziehung des Beischlafs mit großer Wahrscheinlichkeit voraus­ sehen lassen. RG. II. 16. Jan. 1885. R. 7,34; der Beischlaf zwischen Ver­ lobten. RG. I. 2.Nov. 1882. E. 8,172. II. 29. m 1886. N. 8,649. III. 21. Mai 1885. R. 7,317. IV. 10. Febr. 1888. R. 10,139. 7) Unter Vorschubleistung ist eine solche Tätigkeit zu verstehen, welche nicht nur die Absicht der Vorschubleistung durch persönliche Bemühungen ausprägt, vielmehr Zustände oder Verhältnisse herbeiführt, wodurch für die Ausführung von Unzuchtshandlungen objektiv günstigere Voraussetzungen, als bisher bestanden, geschaffen sind. RG. I. 23. Sept. 1880. E. 2,258. III. 15. Mai 1880. E. 2,i&4. Ein die Unzucht ermöglichendes Verhalten wird nicht notwendig gefordert, es genügt schon ein die Unzucht förderndes und erleichterndes Handeln, welches in der Form der Gewährung oder Verschaffung von Gelegenheit oder der Vermittelung zutage tritt. RG. I. 17. Okt. 1884. E. 11,149. Ob das Vorschubleisten tatsächlich den Betrieb der Unzucht zur Folge hatte, ist gleichgültig. RG. I. 19. April 1886. R. 8,296. IV. 25. März 1887. E. 15,361. Vorschub geleistet kann der Unzucht auch dann sein, wenn nur einer der Beteiligten zur Unzucht bereit ist, die Bereitwilligkeit der anderen Personen aber erst durch die getroffenen Ver­ anstaltungen herbeigeführt werden soll; ob es sich dabei um eine männliche oder weibliche Person handelt, ist gleichgültig. RG. II. 29. Okt. 1897. E. 30,321. Vorschubleisten durch Gewährung von Gelegenheit kann auch durch eine Unterlassung begangen werden; eine solche erfüllt aber ein Dulden von Vorgängen nicht, welche aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen nicht verhindert werden können. RG. III. 18. Okt. 1882. E. 7,iis. II. 16. Jan. 1885. R. 7,34. I. 15. Jan. 1885. R. 7,33. I. 29. Nov. 1888. R. 10,763. II. 6. Mai 1887. E. 16,49. II. 9. Febr. 1892. E. 22,232. (Unter­ lassen des Ehemanns, seine Ehefrau vom Betriebe der Gewerbsunzucht abzuhalten.) Vorschubleisten des Hausherrn liegt in dem pflichtwidrigen Dulden eines unsittlichen Verkehrs im eigenen Hause, RG. III. 12. Nov. 1879. R. 1,6i, ferner der Hausfrau in dem Dulden der Unzucht der eigenen Tochter, RG. III. 11. Mai 1895. G. 43,124, ferner des Vermieters im Unter­ lassen einer zulässigen Kündigung, RG. III. 28.Febr. 1880. R. 1,402. II. 27. April 1880. R. 1,689. II. 6. Okt. 1885. R. 7,552. 8) Der Dolus erfordert das Bewußtsein, daß durch die geübte Tätig­ keit objektiv die Unzucht befördert werde. RG. 111. 18. Mai 1882. E. 7,iis. III. 21. Mai 1885. R. 7,317. I. 19. Okt. 1896. E. 29,ios. Bei Inhabern von Bordellen wird der Dolus durch Erteilung einer polizeilichen Konzession niemals ausgeschlossen. RG. I. 29. Jan. 1880. E. 1,88. I. 9. Juni 1887. R. 9,363. 9) Die Strafverfolgung verjährt in fünf Jahren, § 67 Abs. 2 RStrGB. Bei der gewohnheitsmäßigen Kuppelei beginnt die Verjährung erst mit dem letzten Akte der gewohnheitsmäßigen Tätigkeit. RG. I. 4. Juni 1883. E. 8,390.

§ 181?) Die Kuppelei2) ist, selbst wenn sie weder gewohnheits­ mäßig b) noch aus Eigennutz ^) betrieben wird, mit Zuchthaus bis zu fünf Jahren zu bestrafen, wenn 1) um der Unzucht Vorschub zu leisten5) hinterlistige Kunstgriffe8) angewendet werden, oder

Zweiter Teil.

Einzelne Verbrechen, Vergehen usw.

§ 181.

423

2) der Schuldige zu der verkuppelten $erfon6a) in dem Verhält­ nisse des Ehemanns zur Ehefrau, von Eltern7) zu Kindern,8) von Vormündern9) zu Pflegebefohlenen, von Geistlichen,9) Lehrern9) oder Erziehern9) zu den von ihnen zu unterrichtenden oder, zu erziehenden Personen steht. Neben der Zuchthausstrafe ist der Verlust der bürgerlichen Ehren­ rechte auszusprechen; auch kann zugleich auf Geldstrafe von einhundert­ fünfzig bis zu sechstausend Mark, sowie auf Zulässigkeit von PolizeiAufsicht erkannt werden. Sind im Falle des Abs. 1 Nr. 2 mildernde Umstände vorhanden, so tritt Gefängnißstrafe ein, neben welcher auf Geldstrafe bis zu drei­ tausend Mark erkannt werden sann.10)11) T) Die Fassung beruht auf dem Gesetz v. 25. Juni 1900, betr. Änderung und Ergänzung des StrGB. (RGBl. S. 301). 2) Vgl. § 180 RStrGB. 3) Vgl. Note 2 zu 8 180 RStrGB. 4) Vgl. Note 3 zu 8 180 RStrGB. 5) Vgl. Note 7 und 8 zu 8 180 RStrGB. 6) Zum Begriff „Hinterlist" gehört, daß der Täter mit Vorbedacht und unter Verdeckung seiner wahren Absicht verfährt, um den unvor­ bereiteten Zustand eines anderen zur Verwirklichung seines Planes zu be­ nutzen. Kunstgriff bedeutet eine mit besonderer Geschicklichkeit ausgeführte Manipulation, im übertragenen Sinne auch geschickt getroffene Vorkehrungen oder schlaue Benutzung gegebener Verhältnisse. RG. IV. 26. Jan. 1892. E. 22,311, vgl. auch RG. E. 2,74. (Betrunkenmachung einer Frauensperson.) 6a) Für die Anwendbarkeit des 8 181 Nr. 2 RStrGB. kommt es nach der Begründung der Regierungsvorlage (Drucks. 1898/1900 Nr. 112) bei der jetzigen Fassung nicht mehr in Betracht, ob die verkuppelten Personen (Kinder usw.) mit anderen oder andere mit ihnen Unzucht getrieben haben. 7) Die Verkuppelung der Stiefkinder durch den Stiefvater oder die Stiefmutter fällt unter 8 181 Nr. 2 RStrGB. RG. III. 6. Mai 1882. E. 6,338. Als Stiefvater ist auch der Ehemann der Mutter eines unehe­ lichen Kindes anzusehen. 88 1705ff., 8 1590 BGB. RG. II. 7. Jan. 1891. E. 21,257. Die Strafandrohung des 8 181 Nr. 2 RStrGB. umfaßt jedoch nicht das Verhältnis von Schwiegereltern zu Schwiegerkindern. RG. I. 6. April 1903. E. 36,184. 8) Zwischen Töchtern und Söhnen und bei diesen zwischen Knaben und Erwachsenen und Selbständigen wird nicht unterschieden. RG. zit. Erk. E. 16,49. 9) Bezüglich der Vormünder, Geistlichen, Lehrer, Erzieher vgl. Note 1, 4, 5, 6 zu 8 174 RStrGB. 10) Durch die Gewohnheitsmäßigkeit der Begehung der nach 8 181 RStrGB. strafbaren Kuppelei wird hier die Zusammenfassung der Mehrheit der gewohnheitsmäßig begangenen Handlungen zu einer gesetzlichen Einheit (8 73 RStrGB.) nicht bewirkt. Es liegt Realkonkurrenz vor, falls nicht aus einem anderen Grunde das Vorliegen ein und derselben Handlung (8 73 RStrGB.) anzunehmen ist. Mehrere nach 8 181 RStrGB. zu strafende Handlungen können durch dabei vorliegenden gewohnheitsmäßigen Betrieb der Kuppelei nicht zu einem Kollektivdelikt gegen 8 181 RStrGB. zusammen-

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Strafgesetzbuch für das Deutsche Reich.

gefaßt werden; die unter § 181 RStrGB. zu subsumierenden Einzelhand­ lungen konkurrieren unter sich real und zu einem nach § 180 RStrGB. zu strafenden Kollektivdelikt. RG. III. 1. März 1881. E. 6,132. — Derjenige, der selbst die unzüchtige Handlung ausüben will und demnächst auch aus­ geübt hat, kann wegen Anstiftung zur Kuppelei bestraft werden, wenn er einen anderen, der dem § 181 Nr. 2 RStrGB. zuwider die von jenem ver­ übte Unzucht gefördert hat, zu dieser Tat durch Überredung bestimmt hat. RG. IV. 22. Mat 1894. E. 25,369. Für den Versuch der Kuppelei im Sinne des § 181 Nr. 2 RStrGB. genügt es, wenn der Kuppler seinerseits durch sein Handeln die von Dritten zu betreibende Ünzucht soweit fördert, daß darin eine Betätigung seines strafbaren Entschlusses zur Erscheinung kommt, auch wenn es sodann aktuell nicht zur Unzucht selbst gekommen ist. RG. III. 18. Okt. 1882. E. 7,119. n) Die Strafverfolgung verjährt in 10 Jahren. § 671 RStrGB.

§ 181a.1) Eine männliche Person, welche von einer Frauens­ person, die gewerbsmäßig Unzucht treibt,2) unter Ausbeutung8) ihres unsittlichen Erwerbes ganz oder theilweise den Lebensunterhalts be­ zieht, oder welche einer solchen Frauensperson gewohnheitsmäßig^) oder aus Eigennutz 6) in Bezug auf die Ausübung?) des unzüchtigen Ge­ werbes Schutz gewährt oder sonst förderlich ist8) (Zuhälter)9), wird mit Gefängniß nicht unter Einem Monate bestraft. Ist der Zuhälter der Ehemann der Frauensperson, oder hat der Zuhälter die Frauensperson unter Anwendung von Gewalt^) oder Drohungen^) zur Ausübung des unzüchtigen Gewerbes angehalten, so tritt Gefängnißstrafe nicht unter Einem Jahre ein. Neben der Gefängnißstrase kann auf Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte, auf Zulässigkeit von Polizei-Aussicht sowie auf Ueberweisung an die Landespolizeibehörde mit den im § 362 Abs. 3 und 4 vorgesehenen Folgen erkannt werden.11) T) § 181a RStrGB. ist durch Gesetz vom 25. Juni 1900, betr. Ände­ rung und Ergänzung des StrGB. (RGBl. S. 301) eingeschaltet. 2) Vgl. § 361 Nr. 6 RStrGB. Unter Unzucht ist hier „Beischlafs­ vollziehung" mit Inbegriff der widernatürlichen zu verstehen. Frank Note 6 und Olsh. Note 6 zu § 361 RStrGB.; der Begriff der Gewerbs­ mäßigkeit erfordert, daß die Preisgebung an individuell nicht bestimmte Personen ins Auge gefaßt ist. RG. IV. 29. Okt. 1900. G. 47,441. 3) Nicht schon jede Annahme von Geldmitteln aus Hurenerwerb ist Ausbeutung; für letzteren Begriff genügt die bewußte Ausnutzung der Prostituierten als einer Erwerbsquelle für den Lebensunterhalt; RG. IV. 4. Jan. 1901. E. 34,74. Unerheblich für den Begriff der Ausbeutung ist, ob das Verhältnis, welches § 181 a als unsittlich und die öffentliche Ord­ nung gefährdend mit Strafe bedroht, auf die Initiative der Mannes- oder Frauensperson zurückzuführen ist. RG. IV. 8. März 1901. E. 34,212. 4) Zur Auslegung des Begriffes „Lebensunterhalt" find die Vor­ schriften der §§ 1610, 1611 BGB. nicht heranzuziehen. Ünter Lebens­ unterhalt ist die Gesamtheit der Aufwendungen zu verstehen, die im allge­ meinen von einer männlichen Person zur Bestreitung ihrer gewöhnlichen Lebensbedürfnisse gemacht werden. Zu diesen Aufwendungen ist jedenfalls

Zweiter Teil. Einzelne Verbrechen, Vergehen usw. §§ 181a, 182.

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zu rechnen, was zur Erhaltung des Lebens objektiv unerläßlich ist; es ge­ hören aber auch Aufwendungen hierher, die über das zum Lebensunter­ halte Notwendige hinausgehen. Es genügt zur Anwendung des § 181a RStrGB., wenn der Täter die Aufwendungen der bezeichneten Art nicht samt und sonders aus Mitteln bestreitet, die ihm die Dirne aus ihrem Erwerbe zukommen läßt. Unerläßlich für den Begriff des Lebensunter­ haltes ist, daß es sich um ein auf Dauer, wenngleich nur auf kurze, be­ rechnetes Verhältnis handeln muß, dergestalt, daß einzelne Zuwendungen regelmäßig nicht werden in Betracht kommen können. RG. II. 28. Jan. 1902. E. 35,92. 5) Vgl. Note 2 zu tz 180 RStrGB. 6) Vgl. Note 3 zu 8 180 RStrGB. 7) Da 8 181 a RStrGB. voraussetzt, daß die Frauensperson Gewerbs­ unzucht betreibt, und daß die Förderung ihr in bezug auf die Ausübung dieses Gewerbes zuteil wird, so genügt es hier nicht schon, wie im 8 180 eit, wenn der Täter Zustände oder Verhältnisse herbeigeführt hat, durch die für die Ausführung von Unzuchtshandlungen objektiv günstigere Vor­ aussetzungen geschaffen sind (vgl. E. 11,149), sondern er muß der Frauensperson bewußt gerade hinsichtlich der Ausübung ihres unzüchtigen Gewerbes — gewohnheitsmäßig oder aus Eigennutz — förderlich gewesen sein, und zwar durch Gewährung von Schutz oder durch anderweite Tätigkeit, die dem Betriebe des Gewerbes zugute kommt. RG. II. 10. Jan. 1902. E. 35,56. 8) 8 181a will das Verhältnis des Zuhälters zu seiner Dirne treffen; in erster Linie die Ausbeutung der Dirne zum eigenen Lebensunterhalt des Zuhälters, daneben auch derartige Dienstleistungen, wie sie der Zu­ hälter als solcher der Dirne zu gewähren pflegt (Beschützung derselben bei Streitigkeiten, Beobachtung auf ihren Gewerbswegen, Bemühung, sie der Festnahme zu entziehen, usw.). Für die zweite Alternative des 8 181a folgt daraus, daß eine persönliche Beziehung des Mannes zu einer bestimmten Frauensperson vorliegen muß, aus der erkennbar wird, daß er im Hinblick auf ihr unzüchtiges Gewerbe — sei es auch weder dauernd noch ausschließlich — zu ihr hält. RG. II. 10. Jan. 1902. E. 35,56. Wenn auch diejenigen Schutz- und Forderungshandlungen, von denen 8 181a RStrGB. spricht, sich zum Teil mit solchen decken, die schon 8 180 das. trifft, so kommt 8 181 a RStrGB. nur da zur Anwendung, wo die kupplerischen Handlungen den Täter als Zuhälter erscheinen lassen; es wird ein unsittliches Verhalten erfordert. RG. II. 10. Jan. 1902. E. 35,56. IV. 4. Jan. 1901. E. 34,74. Macht sich der Zuhälter im Sinne des 8 181a RStrGB. durch solche Handlungen strafbar, die an sich die Merkmale des 8 180 RStrGB. aufweisen, so liegt Gesetzeskonkurrenz vor; 8 181 a RStrGB. ist als speziellere Vorschrift allein anwendbar. RG. II. 10. Jan. 1902. E. 35,56; vgl. auch E. 34,79. 9) Mit dem Wort „Zuhälter" ist nicht ein Merkmal der strafbaren Handlung aufgestellt; es charakterisiert das Delikt nur mit einer gemein­ verständlichen Bezeichnung. RG. IV. 4. Jan. 1901. E. 34,12. 10) Vgl. Note 1 und 2 zu 8 177 RStrGB. n) Die Strafverfolgung verjährt in fünf Jahren. 8 672 RStrGB.

§ 182.

Wer ein unbescholtenesx) Mädchen, welches das sechszehnte

Lebensjahr nicht vollendet hat/) zum Beischlafe9) verführt/) wird mit

Gefängniß bis zu Einem Jahre bestraft.

Die Verfolgung tritt nur auf Antrag der Eltern^) oder des Vor­ mundes der Verführten ein.6)

Strafgesetzbuch für das Deutsche Reich.

426

!) Unbescholten ist jedes Mädchen, gegen dessen Nus in geschlechtlicher Beziehung nichts vorliegt. RG. III. 26. März 1881. R. 3,168. Vorausge­ gangene Defloration schließt die Unbescholtenheit nicht unbedingt aus. Nur freiwillige Beischlafsvollziehung oder ein sonstiges in der sittenlosen Ge­ sinnung des Mädchens wurzelndes unzüchtiges Treiben wird in der Regel tatsächlich dazu angetan sein, „Bescholtenheit" zu begründen. RG. III. 10. Mai 1882. R. 4,468. Gelingt die Verführung dem Täter erst nach längerer Zeit, und tritt innerhalb dieser eine allmähliche Verminderung der bisher tadellosen sittlichen Eigenschaften des Mädchens ein, so kann der Verführer zu seiner Entlastung sich nicht darauf berufen, daß das Mädchen in dem Zeit­ punkt, wo es der Verführung vollends erlag, nicht mehr von der gleichen Unversehrtheit war, wie vor dem Beginne der Verführung. RG. II. 5. Dez. 1899. E. 32,437. Der Regel nach, und wenn nicht etwa ganz besondere Umstände die Unbescholtenheit, ungeachtet vorausgegangener Beischlafsvoll­ ziehung noch fortbestehen lassen, kann bei mehreren Beischlafsvollziehungen das Vergehen des § 182 RStrGB. weder in Realkonkurrenz noch als fort­ gesetztes Delikt begangen werden. RG. I. 23. Dez. 1901. E. 35,45. 2) Vgl. Note 4 a. E. zu § 173 RStrGB. und Note 13 zu § 176 RStrGB. 3) Vgl. Note 1 a. A. zu § 173 RStrGB. 4) Verführen im Sinne des § 182 RStrGB. bedeutet nur, daß der Mann zur Befriedigung seiner sinnlichen Begierde den Beischlaf gewollt, daß ex den Willen des Mädchens seinen Gelüsten dienstbar gemacht hat. Es kommt nicht darauf an, daß die Verführte dem Akt der Beischlafsvoll­ ziehung noch körperlichen Widerstand entgegengesetzt hat; es wird auch nicht verlangt, daß das Mädchen wisse, um was es sich handle. RG. III. 23. März 1882. E. 6,135. R. 4,269. I. 11. Febr. 1884. E. 10,95. II. 13. März 1885. R. 7,172. III. 26. März 1881. R. 3,168. 5) Vater oder Mutter; RG. IV. 25. Sept. 1888. E. 18,ioi. Der natür­ liche Vater ist nicht antragsberechtigt, wohl aber die uneheliche Mutter. RG. II. 7. Dez. 1880. E. 3,89. Vgl. auch §§ 61 ff. RStrGB. 6) Die Strafverfolgung verjährt in fünf Jayren. § 67 Abs. 2 RStrGB.

§ 183.

Wer durch

eine unzüchtige Handlung*) öffentlich 2)

ein

Aergerniß3) gibt, wird mit Gefängniß bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe bis zu fünfhundert Mark bestraft. Neben der Gängnißstrafe kann auf Verlust der bürgerlichen Ehren­ rechte erkannt werden.4) *) Zum Begriff der unzüchtigen Handlung wird neben der gegen Sitte und Anstand, gegen das Scham- und Sittlichkeitsgefühl gröblich verstoßen­ den Eigenschaft der Handlung nur die geschlechtliche Beziehung derselben erfordert; es bedarf weder des direkten noch indirekten Abzielens auf Be­ friedigung des Geschlechtstriebes, noch ist eine lokale Anschauung auf den Tatbestand von Einfluß, nach welcher eine objektiv unzüchtige Handlung als solche nicht betrachtet zu werden pflegt. RG. III. 28. Febr. 1880. R. 1,404. 11. 30. Okt. 1882. E. 7,168. Ausgeschlossen sind danach Handlungen, welche, wenn auch objektiv unzüchtig, wie z. B. das Entblößen der Geschlechtsteile, lediglich zum Zwecke der Ausübung sonstiger physischer Funktionen (z. B. Urinieren) erfolgen und der geschlechtlichen Beziehung entbehren. Vgl. zit. Erk. 7,168. Die am eigenen Körper vorgenommene unzüchtige Handlung braucht nicht an dem entblößten Körper vorgenommen zu sein. Über­ haupt genügt unter Umständen eine auf geschlechtliche Sinnenlust abzielende schamlose Entkleidung, ohne daß der nackte Körper zum Vorschein kommt. RMGer. I. 23. Juni 1902. E. 3,ii7. RG. II. 12. Okt. 1900. E. 33,430. Sub-

Zweiter Teil. Einzelne Verbrechen, Vergehen usw.

§§ 183,184.

427

jektiv wird erfordert, daß der Täter weiß, daß durch die Handlung ein geschlechtlicher Reiz erregt werden kann. Zu den Handlungen gehören auch Äußerungen. RG. I. 3. März 1884. 01.6,164. II. 6. Mai 1881. E. 4,130. 2) Vgl. auch Note 1 zu § 85 RStrGB. Es genügt, daß die Handlung von unbestimmt welchen und wie vielen Personen wahrgenommen wurde oder hätte wahrgenommen werden können, wenn sie ihre Aufmerksamkeit darauf richteten. Daß der Ort der Verübung ein öffentlicher ist, wird nicht erfordert. Der Täter muß das Bewußtsein der Öffentlichkeit der Verübung haben. RG. II. 22. Nov. 1887. E. 16,345. II. 22. Febr. 1881. E. 3,361. I. 12. Juli 1880. E. 2,196. Daß die Handlung in einem an einer öffentlichen Straße belegenen Wohnhause, dessen Tür nicht verschlossen ist, vorgenommen wird und infolgedessen die abstrakte Möglichkeit des Eintritts einer dritten Person gegeben ist, genügt nicht. Es muß vielmehr die faktische Möglich­ keit des Zutritts einer tatsächlich vorhandenen Anzahl, unbestimmt welcher und wievieler Personen, vorliegen. RMGer. PE. V. Nr. 122. 3) Daß eine Person vermöge ihrer individuellen Empfindung Ärgernis genommen hat, genügt nicht; die Handlung muß so geartet sein, daß sie das allgemeine sittliche Gefühl verletzt. RG. I. 12. Juli 1880. E. 2,196. Das Ärgernis besteht in oer Verletzung des allgemeinen sittlichen Gefühls, her­ vorgerufen durch das Erkennen des Charakters der Handlung als einer unzüchtigen. RMGer. PE. V. Nr. 122. Daß die Handlung geeignet ist, Ärgernis zu geben, genügt nicht; Ärgernis ist erst dann gegeben, wenn jemand — es genügt eine Person — Ärgernis genommen hat. RG. I. 12. Juli 1880. E. 2,196. I. 4. Nov. 1880. R. 2,449. III. 29. Sept. 1880. R. 2,273. III. 17. Sept. 1881. R. 3,499. Der.Täter muß das Bewußtsein haben, daß die Handlung geeignet ist, ein Ärgernis zu erregen. RMGer. PE. II- Nr. 177. RG. II. 22. Febr. 1881. E. 3,361. RMGer. I. 23. Juni 1902. E. 3,ii7. 4) Die Strafverfolgung verjährt in fünf Jahren. § 67 Abs. 2 RStrGB.

§ 184.i) Mit Gefängniß bis zu Einem Jahre und mit Geld­ strafe bis zu eintausend Mark oder mit einer dieser Strafen wird bestraft, wer 1) unzüchtige Schriften,2) Abbildungen3) oder Darstellungen3) seil­ hält,4) verkauft,3) vertheilt/') an Orten/) welche dem Publikum3) zugänglich sind, ausstellt3) oder anschlägt,3.) oder sonst10) ver­ breitet,11) sie zum Zwecke der Verbreitung herstellt oder zu demselben Zwecke vorräthig hält, ankündigt11*) oder anpreist;12) 2) unzüchtige Schriften, Abbildungen oder Darstellungen einer Person unter sechzehn Jahren13) gegen Entgelt überläßt oder anbietet; 3) Gegenstände, die zu unzüchtigem Gebrauche bestimmt13a) sind, an Orten, welche dem Publikum zugänglich sind, ausstellt oder solche Gegenstände dem Publikum ankündigt oder anpreist;14) 4) öffentliche Ankündigungen14*) erläßt, welche dazu bestimmt sind, unzüchtigen Verkehr herbeizuführen. Neben der Gefängnißstrafe kann auf Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte sowie auf Zulässigkeit von Polizei-Aufsicht erkannt wer­ den.13)10)

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Strafgesetzbuch für das Deutsche Reich.

x) Die vorliegende Fassung des § 184 RStrGB. beruht auf dem Ges. v. 25. Juni 1900 (RGBl. S. 301). 2) Unzüchtig sind Schriften, wenn sie das Scham- und Sittlichkeits­ gefühl, die allgemein im Volke herrschenden Empfindungen und Anschau­ ungen dessen, was gegen Scham und Sitte in geschlechtlichen Dingen verstößt, verletzen. In Betracht kommt hierbei auch der Kreis der Leser, für den die Schrift bestimmt ist Eine gröbliche Verletzung des Schamund Sittlichkeitsgefühls ist nicht erforderlich. RG. II. 24. Nov. 1899. E. 32,418 und die daselbst zit. Erk. RG. IV. 22. März 1895. E. 27,ii4. Die Schrift muß objektiv geeignet sein, das Scham- und Sittlichkeitsgefühl in geschlechtlicher Beziehung zu verletzen, RG. I. 15. Dez. 1879. R. 1,149. I. 15. Jan. 1891. E. 21,306. Daß die Schrift bestimmt und geeignet ist, ge­ schlechtliche Lüsternheit zu erregen, ist nicht erfordert. RG. II. 20. Sept. 1898. E. 31,260. Entscheidend für den Begriff des Unzüchtigen ist stets die Wirkung der Darstellung (Schrift usw.) auf das sittliche Gefühl. RG. II. 10. Dez. 1897. E. 30,387. I. 7./18. Dez. 1899. E. 33,17. Dem § 184 RStrGB. ist der Begriff des sog. relativ Unzüchtigen eigentümlich; hier, wo nicht un­ züchtige Handlungen, sondern Gegenstände in Frage stehen, hängt es oft allein von den begleitenden Umständen ab, ob derselbe Gegenstand unzüchtigen Charakter hat oder nicht. Dinge und Handlungen, die un­ bedingt und unter allen Umständen unzüchtig sind, gehören zu den Aus­ nahmen. Regelmäßig ist die Entscheidung, ob etwas unzüchtig ist oder nicht, nicht nur bedingt durch die äußere Gestaltung des Gegenstandes und den Inhalt, sondern ebensosehr durch die sonstigen Umstände, unter denen die Handlung erfolgt, insbesondere den Ort, den Zweck, die Art der Ver­ wendung, den Kreis der Leser usw. Diese begleitenden Umstände müssen aber stets objektiv sein und mit dem Gegenstände unmittelbar und äußerlich Zusammenhängen; bloße Zwecke im Sinne rein subjektiver, zufällig und willkürlich mit dem Gegenstand verknüpfter Absichten und Vorstellungen einzelner gehören nicht zu solchen Umständen. RG. I. 15. Jan. 1891. E. 21,306. III. 6. Nov. 1893. E. 24,365. II. 10. Dez. 1897. E. 30,378. I. 18. Dez. 1899. E. 33,17. 3) Die Unzüchtigkeit von Abbildungen und Darstellungen bestimmt sich nach den Note 2 erwähnten Grundsätzen. Der objektive Inhalt unzüchtiger Abbildungen ist nicht nur in dem zu finden, was sie zur unmittelbaren Anschauung bringen, es gehört ihm auch der gemeinte Sinn an, sofern er erkennbaren Ausdruck gefunden hat. Wo die Grenze zwischen solchem Sinn und dem erst mittelbar greifbaren Nebensinn zu ziehen ist, kann nur im einzelnen Fall entschieden werden. RG. II. 21. Febr. 1902. E. 35,133. 4) D. h. für das Publikum zum Verkauf bereithält. RG. III. 4. Juni 1881. E. 4,274. HL 8. Febr. 1882. R. 4,137. 5) Es muß Übergabe stattgefunden haben, Abschluß eines Kaufvertrags ohne hinzutretende Übergabe (§ 433 BGB.) reicht nicht aus. RG. III. 22. Okt. 1883. E. 9,292. In den Handlungen des „Verkaufens" und „Ver­ teilens" liegt nur dann der Tatbestand des § 184 Nr. 1 RStrGB., wenn sie sich als ein „Verbreiten" darstellen; sie sind lediglich Arten der Verbreitung. Ein Verkaufen im Sinne des § 184 Nr. 1 RStrGB. liegt nicht vor, wenn lediglich an eine individuell bestimmte Person und zwar auf die vertrauliche Zusicherung verkauft ist, das unzüchtige Werk nicht weitergeben zu wollen. RG. III. 2. Juli 1903. E. 36,330. 6) Verteilen kann nur an eine Mehrheit von Personen geschehen, setzt also eine Mehrheit von Personen voraus. RG. III. 6. Nov. 1884. R. 6,703. III. 22. Okt. 1883. E. 9,292. 7) Es genügt die Ausstellung usw. an einem solchen Orte. Vgl. zit. Erk. E. 9,292. Öffentlichkeit des Ortes wird nicht erfordert.

Zweiter Teil.

Einzelne Verbrechen, Vergehen usw.

§ 184 a»

429

8) D. h. einem nach Individualität der Mitglieder und nach Umfang nicht bestimmten Personenkreise. 9) Vgl. Note 5 zu tz 110 RStrGB. Daß nur der unanstößige Titel, nicht aber der unzüchtige Inhalt einer Schrift der Wahrnehmung zugänglich ist, genügt nicht. RG. 111. 12./18. Okt. 1886. E. 14,397. 10) Verkaufen, Verteilen, Ausstellen, Anschlägen sind lediglich Arten der Verbreitung. Vgl. Note 5. 11) Vgl. Note 4 zu § 110 RStrGB. ii a) Unter Ankündigung zum Zwecke der Verbreitung ist im Sinne des Gesetzes jede Kundgebung zu verstehen, durch welche auf die Gelegen­ heit zum Bezüge unzüchtiger Schriften aufmerksam gemacht wird. Es kann dies z. B. durch öffentliches Anbieten der Versendung eines Kataloges der­ artiger Schriften geschehen. RG. IV. 9. Juli 1901. E. 34,317. 12) Der Dolus besteht im Wissen und Wollen sämtlicher Tatbestands­ merkmale; der Täter muß auch das Bewußtsein von dem unzüchtigen Inhalt der Schrift usw. haben. RG. IV. 22. März 1895. E. 27,114. 13) Vgl. Note 2 zu § 182 RStrGB. i3a) Zu unzüchtigem Gebrauch bestimmt sind Gegenstände, welche zu einem unzüchtigen Gebrauch einerseits sich vermöge ihrer besonderen Be­ schaffenheit eignen und andererseits erfahrungsgemäß Verwendung zu finden pflegen. RG. I. 23. Sept. 1901. E. 34,365. Es ist nicht nötig, daß schon „der Gebrauch selbst" als eine unzüchtige Handlung sich dar­ stellen muß, ein Gegenstand ist auch dann zu unzüchtigem Gebrauche be­ stimmt, wenn seine Verwendung der Ausübung unzüchtiger Handlungen in irgendeiner Weise förderlich sein soll. RG. II. 19. Juni 1903. E. 36,312. ii) Unter „Anpreisung an das Publikum" ist eine solche an eine Mehr­ zahl unbestimmt welcher und wie vieler Personen zu verstehen, im Gegen­ satz zu einem individuell bestimmten abgeschlossenen Personenkreise. RG. I. 23. Dez. 1900, 3. Jan. 1901. E. 34,81. Die schriftliche Ankündigung, An­ preisung einer Sache setzt die Erkennbarkeit der Sache aus der Schrift durch den Leser voraus. RG. II. 6. März 1903. E. 36,139. iia) Im Sinne der Nr. 4 des 8 184 RStrGB. kommen nicht in Be­ tracht Ankündigungen, die ihrer Beschaffenheit nach nicht geeignet sind, irgend jemand zur Aufsuchung der ankündigenden Person behufs Anknüpfung unzüchtigen Verkehrs zu veranlassen. Daß der Ankündigende hofft, es werde zu einem unzüchtigen Verkehr der einen oder anderen derjenigen Personen kommen, die ihn aus Anlaß des in der Ankündigung angegebenen Zweckes aufsuchen, verleiht der Ankündigung keine andere Wirkung auf die öffentliche Sittlichkeit, als sie ohne das hat. RG. 11. 6. Okt. 1903. E. 36,388. 15) Der Ausspruch eines Strafurteils, daß eine bestimmte Schrift nicht unzüchtigen Inhalts sei, ist nicht in dem Sinne der Rechtskraft fähig, daß der Freigesprochene wegen späteren Verbreitens derselben Schrift nicht mehr verurteilt werden kann. Es kann im Falle des sog. objektiven Ver­ fahrens auf die Unbrauchbarmachung auch solcher Exemplare einer Schrift erkannt werden, welche bei einem Buchhändler vorgefunden sind, der früher wegen der Verbreitung dieser Schrift unter Anklage gestellt, aber rechts­ kräftig freigesprochen ist. RG. II. 30. Sept. 1881. E. 5,ioi. iß) Die Strafverfolgung verjährt in fünf Jahren, 8 67 Abs. 2 RStrGB.; bei Anwendbarkeit des 8 22 des Preßgesetzes in sechs Monaten.

§ 184a»i) Wer Schriften, Abbildungen oder Darstellungen, welche, ohne unzüchtig zu sein/) das Schamgefühls gröblich verletzen, einer Person unter sechzehn Jahren*) gegen Entgelt überläßt oder an-

430

Strafgesetzbuch für das Deutsche Reich.

bietet, wird mit Gefängniß bis zu sechs Monaten oder mit Geldstrafe bis zu sechshundert Mark bestraft.3) !) Vgl. Ges. v. 25. Juni 1900 (RGBl. S. 301). 2) In Betracht kommt das allgemeine Schamgefühl, nicht dasjenige irgend eines einzelnen. 3) z. B. Abbildungen eines anatomischen Atlasses, Präparate mensch­ licher Körperteile in Wachs usw. 4) Vgl. Note 2 zu § 182 RStrGB. 5) Die Strafverfolgung verjährt in fünf Jahren, § 67 Abs. 2 RStrGB., im Falle der Anwendbarkeit des § 22 des Preßges. in sechs Monaten.

§ 184b.1) Mit Geldstrafe bis zu dreihundert Mark oder mit Gefängniß bis zu sechs Monaten wird bestraft, wer aus Gerichtsverhand­ lungen, für welche wegen Gefährdung der Sittlichkeit die Oeffentlichkeit ausgeschlossen war,2) oder aus den diesen Verhandlungen zu Grunde liegenden amtlichen Schriftstücken öffentlich3) Mittheilungen4) macht, welche geeignet sind, Aergerniß5) zu erregen.6)7) !) Vgl. Ges. v. 25. Juni 1900 (RGBl. S. 101). 2) Vgl...88 173ff. RStrPO., 88 283ff. MStrGO., 8 184b RStrGB. ist, wenn die Öffentlichkeit nur für einen Teil der Verhandlung ausgeschlossen war, auf diesen Teil beschränkt, so daß die öffentliche Mitteilung aus anderen Teilen der Verhandlung nicht strafbar ist, selbst wenn sie geeignet ist, Ärgernis zu erregen. RG. IV. 28. Ökt. 1890. E. 21,135. 3) Vgl. Note 1 zu 8 85 RStrGB. 4) Aus welcher Quelle der Täter die Mitteilung erfahren hat, ist gleichgültig. RG. IV. 5. Juli 1889. G. 37,299. „Unzüchtige" Mitteilungen sind nicht vorausgesetzt. RG. I. 12. März 1891. E. 21,396. 5) Die Ärgerniserregung besteht in der Verletzung des allgemeinen Sittlichkeitsgefühls. RG. zit. Erk. G. 37,299. 6) Zum Dolus gehört das Bewußtsein des Täters, daß die Öffentlich­ keit der Verhandlung ausgeschlossen war und daß die Mitteilung geeignet war, Ärgernis zu erregen. RG. IV. 14. Febr. 1893. E. 23,4. 7) Wegen der Verjährung der Strafverfolgung vgl. Note 5 zu 8 184 a RStrGB.

Vierzehnter Abschnitt. Beleidigung.

§ 185. Die Beleidigung1) wird mit Geldstrafe bis zu sechs­ hundert Mark oder mit Haft oder mit Gefängniß bis zu Einem Jahre und, wenn die Beleidigung mittels einer Thätlichkeit2) begangen wird, mit Geldstrafe bis zu eintausendfünfhundert Mark oder mit Gefängniß bis zu zwei Jahren bestraft.3) 1) Beleidigung ist jede vorsätzliche und rechtswidrige, gegen die Ehre eines anderen gerichtete Kundgebung der Geringschätzung oder Nichtachtung, mag dieselbe in einer mündlichen oder schriftlichen Erklärung oder in einer Handlung bestehen; es kommt nicht darauf an, daß die Kundgebung eine verletzende Wirkung in der Tat hervorgebracht hat, der Beleidigte sich also der ihm widerfahrenen Ehrenkränkung bewußt geworden ist; RG. III. 16. März 1881. E. 3,433, IV. 8. Nov. 1887. R. 9,572. RMGer. I. 14. Mai

Zweiter Teil. Einzelne Verbrechen, Vergehen usw. §§ 184b,

185.

431

1902. E. 3,36. PE. V. Nr. 123. Selbst das Bewußtsein der Ehre überhaupt auf feiten des Beleidigten wird nicht vorausgesetzt; RG. II. 2. Mai 1884. E. 10,372 (Beleidigung von Kindern), II. 19. Febr. 1897. E. 29,398 (Be­ leidigung von Abwesenden), I. 3. Okt. 1895 E. 27,366 (Beleidigung von Geisteskranken). Ein objektiv zur Verletzung der Ehre geeignete Handlung wird nicht erfordert; eine Beleidigung kann auch in einer an sich nicht ehrverletzenden Äußerung oder Handlung gefunden werden, wenn dieselbe in der Absicht, die Verachtung, Verhöhnung oder Geringschätzung eines anderen zu erkennen zn geben in einer Weise oder unter Verhältnissen vorgenommen würde, daß dem anderen jener Zweck ihrer Vornahme verständlich würde. RG. I. 22. April 1880. E. 1,390. Eine Ehrenkränkung kann auch in bezug auf eine bevorstehende Hand­ lung des Beleidigten erfolgen, insbesondere, wenn mit Wahrscheinlichkeit vorauszusehen ist, daß die Handlung werde vorgenommen werden. RG. IV. 22. Juni 1886. R. 8,479. III. 15. Nov. 1879. R. 1,76. Die Beleidigung kann sich auch gegen eine Mehrheit von Personen richten, welche durch einen Kollektivbegriff bezeichnet sind (z. B. Offizierkorps einer Garnison), wenn der Täter diese Kollektivbezeichnung wählt, um damit die sämtlichen Personen zu treffen, welche unter den Begriff fallen. Daß der Täter an die einzelnen unter die Gesamtbezeichnung fallenden Personen „speziell gedacht" hat, daß er die unter die Bezeichnung Fallenden der Person, der Zahl oder dem Namen nach kannte, ist ohne Belang. RG. II. 7. Jan. 1881. E. 3,246. II. 3. Nov. 1882. E. 7,169. II. 3. Juli 1883. E. 9,11. IV. 26. Okt. 1888. E. 18,167. Im übrigen muß sich die Beleidigung stets gegen eine bestimmte, erkennbar bezeichnete Person richten. RG. I. 6. Okt. 1881. R. 3,606. RMGer. II. 14. März 1903. E. 4,260. Eine kaufmännische Firma kann weder beleidigt werden, noch Strafantrag stellen. RG. III. 31. Jan. 1880, R. 1,302. E. I,i78. Vgl. § 194 Note 1. Ein Verstorbener kann (vorbehaltlich der Vorschrift des § 189 RStrGB.) nicht beleidigt werden; die Beleidigung einer Person, die der Täter irrtümlich für gestorben hält, ist nicht strafbar. RG. I. 5. Juli 1894. E. 26,33. Vollendet ist die Beleidigung, sobald die Kundgebung zur Kenntnis eines anderen gelangt, gleichviel, ob sie für diesen bestimmt war oder nicht; die Kenntnisnahme der Kundgebung seitens des Beleidigten wird nicht erfordert. RG. II. 13. Nov. 1894. E. 26,202. Zum Dolus der Beleidigung gehört das Wissen und Wollen aller Deliktsmerkmale; die Vorsätzlichkeit der Kundgebung mit dem Bewußtsein der Rechtswidrigkeit und des beleidigenden Charakters derselben (animus injuriandi). Eine von diesem Bewußtsein verschiedene „Absicht" zu beleidigen wird nur im Falle des § 193 RStrGB. erfordert. RG. II. 5. Dez. 1879. R. l,iie. II. 16. Dez. 1881. E. 5,239. II. 3. Nov. 1882. E. 7,169. Die Kundgebung bleibt auch dann eine gewollte, wenn der Urheber diejenige Art und Weise, in welcher die Kenntnisnahme seitens eines Dritten sich demnächst tatsächlich vollzog, nicht in den Kreis seiner Vorstellungen ausgenommen, sondern nur eine Kenntnis­ nahme seitens derjenigen Person beabsichtigt hat, an welche die Kundgebung gerichtet war. RG. II. 13. Nov. 1894. E. 25,202. Wird von dem der Beleidigung Angeklagten der Einwand des Scherzes erhoben, so ist zu prüfen, ob der Täter darauf rechnen konnte, daß der andere, mit dem er sich „den Scherz" machte, den Vorgang als einen Scherz auffassen werde. Nur bei dieser Feststellung wird das Bewußtsein der Widerrechtlichkeit beim Täter fehlen. RG. III. 13. April 1885. E. 14,140. 2) Straferhöhender Umstand im Sinne der §§ 262, 264, 266, 295 RStrPO. §§ 318, 323, 326 MStrGO. Tätlichkeit ist jede vorsätzliche und rechtswidrige Einwirkung auf den Körper eines anderen. 3) Die Strafverfolgung verjährt in fünf Jahren, § 67 Abs. 2 RStrGB., bei Anwendbarkeit des § 22 des Preßges. in sechs Monaten.

432

Strafgesetzbuch für das Deutsche Reich.

§ 186. Wer in Beziehung auf einen Anderen*) eine Thatsache?) behauptet3) oder verbreitet,3)4) welche denselben verächtlich^) zu machen oder in der öffentlichen9) Meinung

herabzuwürdigenb)

geeignet ist

wird, wenn nicht diese Thatsache erweislich wahr ist7) wegen Beleidi­ gung mit Geldstrafe bis zu sechshundert Mark oder mit Haft oder mit

Gefängniß bis

zu

Einem Jahre und, wenn die Beleidigung

öffentlich9) oder durch Verbreitung9) von Schriften,9) Abbildungen9)

oder Darstellungen9) begangen ist, mit Geldstrafe bis zu eintausend­

fünfhundert Mark oder mit Gefängniß bis zu zwei Jahren bestraft?9) ") *) Der Beleidigte ist dabei als dritte Person gedacht und die ehrver­ letzende Kundgebung muß, gleichviel ob in Gegenwart oder in Abwesenheit des Beleidigten, notwendig so geschehen, daß irgend welche andere Per­ sonen außer dem Beleidigten selbst unmittelbar davon Kenntnis erhalten. Die bloße Möglichkeit der Kenntnisnahme durch Dritte genügt nicht (z. B. bei Absendung einer Postkarte); wohl aber Eventualdolus. Für auf Beleidiger und Beleidigten beschränkt gebliebene Jnkriminationen ist nur § 185 RStrGB. anwendbar. RG. III. 29. Juni 1881. E. 4,■ 2. Strafwachen bis zu drei, wenn der zu Bestrafende in drei oder mehr Wachen geht und er die strafbare Handlung nicht als Offiziersdienstthuer begangen hat. Das Höchstmaß einer Straf- . wache beträgt zwei Stunden. ! 3. Arreststrafen, und zwar: Einfacher oder geschärfter i Quartier- oder gelinder Arrest Kammer- oder gelinder Arrest | bis zu vier Wochen, bis zu vier Wochen. I b) Die übrigen Unteroffiziere mit Portepee: 1. Wie zu a 1. 2. Die Auferlegung gewisser Dienstverrichtungen außer der Reihe mit angemessener Zeitbestimmung, wie Strafwachen bis zu drei, wenn der zu Bestrafende in drei oder mehr Wachen geht und er die strafbare Handlung nicht als Offiziersdienstthuer begangen hat, Kommandirung zur Beaufsichtigung oder zur Ausübung besonderer Dienstverrichtungen bis zu zehn Stunden, an Bord jedoch nicht über zwei Stunden an einem Tage. Das Höchstmaß einer Straf- I wache beträgt zwei Stunden. |

*) Zu den „Offizieren" im Sinne dieser DStrO. gehören: die Seeoffiziere, die Offiziere der Marineinfanterie, die Marine-Ingenieure, die Torpedo-Ingenieure, die Feuerwerks-, Zeug- und Torpederoffiziere, die Sanitätsoffiziere, die Offiziere des Reichsheeres und der Schutztruppen.

986

Disziplinar-Strafordnung für die Kaiserliche Marine.

An Bord.

Am Lande.

3. Arreststrafen, und zwar: Gelinder Arrest bis zu vier ■ Kasernen-, Quartier- oder geWochen. ! linder Arrest bis zu vier Wochen, für Unteroffiziere ohne Portepee,

§ 5. Strafen für Unteroffiziere ohne Portepee: 1. Verweis:

SS'}(*-§«!)■ 2. Die Auferlegung gewisser Dienstverrichtungen außer der Reihe mit angemessener Zeitbestimmung, wie Strafwachen bis zu drei, wenn der zu Bestrafende in drei oder mehr Wachen geht, Kommandirung zur Beaufsichtigung oder zur Ausübung besonderer Dienstverrichtungen bis zu zehn Stunden, an Bord jedoch nicht über zwei Stunden an einem Tage. Das Höchstmaß einer Straf- i wache beträgt zwei Stunden. ; 3. Arreststrafen. i Kasernen- oder Quartierarrest ! bis zu vier Wochen, gelinder Arrest bis zu vier Wochen, mittlerer Arrest bis zu drei Wochen. 4. Versetzung in die nächst niedere Löhnungsklasse bis zur Dauer von drei Monaten. für Gemeine.

§ 6. Strafen für Gemeine: 1. Kleine Strafen: a) Die Auferlegung gewisser Dienstverrichtungen außer der Reihe mit angemessener Zeitbestimmung, wie Strafexerzieren bis zu sechs Stunden, jedoch nicht über zwei Stunden an einem Tage, Strafrapporte bis zu sechs, Strafwachen oder -posten bis zu drei, wenn der zu Bestrafende in drei oder mehr Wachen geht, Strafarbeitsdienst bis zu zehn Stunden, an Bord jedoch nicht über zwei Stunden an einem Tage. Das Höchstmaß einer ' Strafwache beträgt zwei ; Stunden. i b) Die Entziehung der freien Verfügung über die Löhnung und deren Überweisung an einen Unteroffizier zur Auszahlung in Tagesbeträgen bis aus die Dauer von dreißig Tagen. c) Stehen an Deck mit oder e) Die Auferlegung der Ver­ ohne Hängematte bis zu pflichtung, zu einer bestimmten Zeit vor dem Zapfenstreich in sechs Stunden, jedoch nicht die Kaserne zurückzukehren, bis über zwei Stunden an einem Tage. auf die Dauer von vier Wochen. d) Entern über den Topp bis zu drei Mal in angemesse­ nen Zeiträumen, je nach der Höhe des Mastes.

88 5-8. An Bord. 2. Arreststrafen.

|

987 Am Lande.

I Kasernen- oder Quartierarrest i bis zu vier Wochen, gelinder Arrest bis zu vier Wochen, mittlerer Arrest bis zu drei Wochen, strenger Arrest bis zu vierzehn Tagen. Strenger Arrest ist nur zulässig: a) gegen Denjenigen, welcher bereits wegen militärischer Ver­ brechen, Vergehen oder, falls es sich um Disziplinarvergehen des § 1 Nr. 1 handelt, wegen Handlungen gegen die militärische Disziplin mit einer Freiheitsstrafe bestraft ist. b) In den Fällen militärischer Vergehen, die nach § 3 des Ein­ führungsgesetzes zum Militär-Strafgesetzbuch disziplinarisch mit strengem Arrest bestraft werden dürfen (vergl. § 1 Nr. 2). 3. Entfernung aus dem Dienstgrade eines Obermatrosen :c. *) 4. Einstellung in eine Arbeiterabtheilung (vergl. § 19). Sie ist zulässig: I. gegen Gemeine der zweiten Klasse des Soldatenstandes nach fruchtloser Anwendung mehrerer strenger Arrest- oder Gefängniß­ strafen; II. gegen Gemeine, welche sich nicht in der zweiten Klasse des Soldatenstandes befinden, wenn sie von unzweifelhaft ehrlosem Charakter sind und entweder a) auf Grund des § 95 des Strafgesetzbuchs für das Deutsche Reich (Beleidigung Seiner Majestät des Kaisers oder des eigenen Landesherrn) verurtheilt sind, oder b) aus andere Weise in Handlungen oder Worten eine ehrlose und die Manneszucht gefährdende Gesinnung bethätigt haben, oder c) vor ihrer Einstellung wegen Diebstahls, Bettelei, Land­ streicherei oder ähnlicher Vergehen oder Uebertretungen wiederholte Bestrafungen erlitten haben und ungebessert ge­ blieben sind. Besondere Bestimmungen für Seekadetten, Jngenieuranrvärter und Zahl­ meistereleven.

§ 7. Gegen Seekadetten, Jngenieuranrvärter und Zahlmeister­ eleven ist Strafarbeit und Stehen an Deck nicht zu verhängen.

II. Zuständigkeit. Allgemeine Bestimmungen.

§ 8. Die Disziplinarstrafgewalt wird durch Disziplinarvorgesetzte ausgeübt. Jeder Disziplinarvorgesetzte hat Strafgewalt nur über die zu seinem Befehlsbereich gehörenden Personen. *) Personen der Obermatrosen- rc. Klasse, welche mit Entfernung aus diesem Dienstgrade bestraft sind, dürfen bei fortgesetzt guter Führung frühestens nach drei Monaten wieder zu ihrem früheren Dienstgrad er­ nannt werden.

Disziplinar-Strafordnung für die Kaiserliche Marine.

988

An Bord.

|

Am Lande.

Disziplinarvorgesetzte können nur sein: Seeoffiziere, Offiziere der Marineinfanterie, des Reichsheeres und der Schutztruppen und Sanitätsoffiziere. Die Strafgewalt ist nicht an den Dienstgrad, sondern an die Dienst­ stellung gebunden und geht im Behinderungsfalle von selbst auf den Stellvertreter in der Dienststellung über, sofern er Disziplinarvorge­ setzter sein kann (vergl. Abs. 3); andernfalls geht die Disziplinarstrafgewalt aus den nächsthöheren Disziplinarvorgesetzten und von dem Kommandanten eines Torpedobootes, welches zu einer von einem See­ offizier geführten Rotte gehört, aus den Rottenführer über. Die Uebernahme der Stellvertretung soll den Untergebenen be­ kannt gegeben werden.

8 9.

L

I. Strasgewalt des Gruppenführers eines Transports zur See (Subaltern­ offiziers).

Der Gruppenführer eines Trans- ! Ports zur See, wenn er Subaltern­ offizier ist, ist berechtigt, zu ver­ hängen: a) gegen Unteroffiziere ohne Portepee 1. Verweise, S 2. Auferlegung ge­ P= "OT* wisser Dienstver­ COD richtungen außer CH der Reihe b) gegen Gemeine kleine Stra­ fen gemäß § 6.

II. II. Strafgewalt des Gruppenführers eines Transports zur See (Kapitän­ leutnants), Kompagnieführer rc.

Der Gruppenführer eines Trans­ ports zur See, wenn er Kapitänleutnannt oder Hauptmann ist, der Chefarzt eines Marinelazarethschiffs, wenn er Kapitänleutnants­ rang hat (siehe unten).

Der Führer einer Kompagnie, der Führer einer Zweigkompagnie, der Führer einer zu anderen als lediglich zu Uebungszwecken aus­ geschifften Landungskompagnie, die mit der Führung der nach Berlin kommandrrten Mannschaften be­ auftragten Offiziere, die Fähn­ richsoffiziere der Marineschule, der als Führer der Marine-Abtheilung zur Oberfeuerwerkerschule kommandirte Offizier, der mit der Aufrechterhaltung der Ordnung in einem Marinelazareth beauftragte Offizier, der Chefarzt eines Feldlazareths, wenn er Kapitänleut­ nantsrang hat.

989

8 9. An Bord.

Am Lande.

|

sind berechtigt zu verhängen: a. gegen Offiziere: | Verweise gemäß § 3, b. gegen Unteroffiziere mit Portepee und zwar: gegen Deckoffiziere (einschl. der Ingenieur- und Zahlmeisteraspiranten) und Unterärzte:

gegen die übrigen Unteroffiziere mit Portepee:

1. Verweise 2. Auferlegung gewisser Dienstverrich­ gemäß §4b, tungen außer der Reihe 3. Arreststrafen, und zwar: gelinden Arrest bis zu acht Tagen. Kasernen-, Quartier- oder gelinI den Arrest bis zu acht Tagen.

c. gegen Unteroffiziere ohne Portepee: 1. Verweise gemäß § 5, 2. Auferlegung gewisser Dienstverrich­ tungen außer der Reihe 3. Arreststrafen, und zwar: i Kasernen- oder Quartierarrest bis | zu acht Tagen, gelinden Arrest bis zu acht Tagen, mittleren Arrest bis zu fünf Tagen.

d. gegen Gemeine: 1. kleine Strafen gemäß § 6, 2. Arreststrasen, und zwar: I Kasernen- oder Quartierarrest bis j zu acht Tagen, gelinden Arrest bis zu acht Tagen, mittleren Arrest bis zu fünf Tagen, strengen Arrest bis zu drei Tagen. Der Chefarzt eines Marinelazarethschiffes darf außerdem Sanitätsoffizieren Verweise er­ theilen.

III. III. Strasgewalt des Gruppenführers eines Transports zur See (Stabs­ offiziers) des Abtheilungskommandeurs rc.

Der Gruppenführer eines Trans­ ports zur See, wenn er Stabs­ offizier ist, der Gruppenführer und der De­ tachementsführer auf Beischiffen,

Der Kommandeur einer nicht selbständigen Abtheilung, der Kom­ mandeur eines nicht selbständigen Bataillons, der Kommandeur einer nicht selbständigen, zu anderen als

990

Disziplinar-Strafordnung für die Kaiserliche Marine. An Bord.

Am Lande.

der Chefarzt eines Marinelazarethschiffs, wenn er Stabsoffizier­ rang hat (siehe unten)

lediglich Uebungszwecken ausge­ schifften Landungsabtheilung, die Ressortdirektoren der Wersten, wenn sie Offiziere sind, der Garnisonarzt als Vorstand des Sanitätsdepots, der Chefarzt eines Marinelazareths, sowie des GouvernementsLazareths in Kiautschou, der Chefarzt eines Feldlazareths, wenn er Stabsosfizierrang hat, der Führer eines detachirten Kommandos (siehe unten), der Direktor der Marinetele­ graphenschule, der Direktor der Deckoffizier­ schule, der Vorstand eines Artillerie­ depots, eines Minendepots, einer Fortifikation, eines Bekleidungs­ amts, der Jngenieuroffizier vom Platz in Kiautschou, die Vorstände der Artilleriever­ waltung in Helgoland und Kiaut­ schou, der Küstenbezirksinspektor, der Hafenkapitän, der Vorstand eines Abwicke­ lunasbureaus, der Präses der Schiffsbesichti­ gungskommission sind berechtigt zu verhängen:

a. gegen Offiziere: 1. Verweise gemäß § 3, 2. Stubenarrest bis zu drei Tagen. — Von jeder gegen Offiziere verhängten Arreststrafe ist dem nächsthöheren Disziplinarvorge­ setzten Meldung zu erstatten. — b. gegen Unteroffiziere mit Portepee: und zwar: gegen Deckoffiziere (einschl. der Ingenieur- und Zahlmeisteraspiranten) und Unterärzte:

=:Äm}«-«6 8 4a. 3. Arreststrafen, und zwar:

810. An Bord.

991 Am Lande.

Kammer- oder gelinden Arrest j Quartier- oder gelinden Arrest bis zu vierzehn Tagen | bis zu vierzehn Tagen

gegen die übrigen Unteroffiziere mit Portepee: . gemäß § 4 2. Auferlegung gewisser Dienstverrichhingen außer der Reihe 3. Arreststrafen, und zwar: gelinden Arrest bis zu vierzehn | Kasernen-, Quartier- oder geTagen. | linden Arrest bis zu vierzehn Tagen.

1. Verweise

c. gegen Unteroffiziere ohne Portepee:

1. Verweise i 2. Aufererlegung gewisser Dienstverrichtungen > gemäß § 5, außer der Reihe J 3. Arreststrafen, und zwar: i Kasernen- oder Quartierarrest I bis zu vierzehn Tagen, gelinden Arrest bis zu vierzehn Tagen, mittleren Arrest bis zu zehn Tagen;

d. gegen Gemeine: 1. kleine Strafen gemäß § 6, 2. Arreststrafen, und zwar: Kasernen- oder Quartierarrest j bis zu vierzehn Tagen, gelinden Arrest bis zu vierzehn Tagen, mittleren Arrest bis zu zehn Tagen, strengen Arrest bis zu sieben Tagen. Der Chefarzt eines Marine Wenn der Führer eines detachirten Kommandos Subaltern­ lazarethschiffs darf außerdem Sa­ nitätsoffiziere mit Verweisen ge­ offizier ist, darf er Offiziere nur mäß §3 und Kammerarrest bis mit Verweisen bestrafen. zu 3 Tagen bestrafen. Als detachirt gilt ein Kommando, das räumlich so weit von seinem Marinetheil entfernt ist, daß es die täglichen Befehle des Kommandeurs oder Kommandanten dieses Marinetheils nicht am Tage der Ausgabe empfangen kann und welches nicht ausdrücklich einem anderen Befehlshaber unterstellt worden ist (siehe auch § 13 letzter Absatz).

8 io. Strasgewalt des Ersten Offiziers.

Der erste Offizier ist berechtigt, zu verhängen: I. wenn er nach dem Besatzungs­ etat ein Oberleutnant zur See ist, gegen Gemeine

Disziplinar-Strafordnung für die Kaiserliche Marine.

992

An Bord.

Am Lande.

kleine Strafen gemäß § 6 ; II. wenn er nach dem Besatzungs­ etat ein Kapitänleutnant ist, a) gegen Unteroffiziere ohne Portepee: 1. Verweise 2. Auferlegung gewisser Dienstverrichtungen außer der Reihe cn b) gegen Gemeine: 1. kleine Strafen gemäß § 6, 2. Arreststrafen: gelinden Arrest bis zu fünf Tagen, mittleren Arrest bis zu drei Tagen; III. wenn er nach dem Besatzungs­ etat ein Stabsoffizier ist, die im § 9, II unter „an Bord" aufgeführten Strafen.

§11. Strasgewalt des Chefs einer Division von Torpedobooten rc.

Der Chef einer Division von Torpedobooten oder sonstigen Fahr­ zeugen ist berechtigt zu verhängen a) gegen Offiziere: 1. Verweise gemäß § 3, 2. einfachen Kammerarrest bis zu drei Tagen; b) gegen Unteroffiziere mit Port­ epee, und zwar gegen Deck­ offiziere (einschl. der Jngenieurund Zahlmeisteraspiranten) und Unterärzte:

3. Kammer- oder gelinden Ar­ rest bis zu vierzehn Tagen; gegen die übrigen Unteroffiziere mit Portepee: 1. Verweise g 2. Auferlegung gewisser Z.Dienstverrichtungen COD außer der Reihe £ 3. gelinden Arrest bis zu vier­ zehn Tagen; c) gegen Unteroffiziere ohne Port­ epee:

993

811An Bord.

Am Lande.

1. Verweise 3 2. Auferlegung gewisser O: W Dienstverrichtungen

außer der Reihe 3. Arreststrafen: gelinden Arrest bis zu vier­ zehn Tagen, mittleren Arrest bis zu zehn Tagen, 4. Versetzung in die nächst nie­ dere Löhnungsklasse bis zur Dauer von zwei Monaten; d) gegen Gemeine: 1. kleine Strafen gemäß § 6, 2. Arreststrafen: gelinden Arrest bis zu vier­ zehn Tagen, mittleren Arrest bis zu zehn Tagen, strengen Arrest bis zu sieben Tagen; 3. Entfernung aus dem Dienst­ grade eines Obermatrosenrc. Außerhalb der heimischen Ge­ wässer kann er unter den Voraus­ setzungen des § 13, abgesehen von den vorstehend genannten Strafen, verhängen: a) gegen Offiziere einfachen Kammerarrest bis zu sechs Tagen; b) gegen Unteroffiziere mit Port­ epee, und zwar: gegen Deckoffiziere (einschl. der Ingenieur- und Zahlmeister­ aspiranten) und Unterärzte Kammer- oder gelinden Ar­ rest bis zu drei Wochen; gegen die übrigen Unteroffiziere mit Portepee gelinden Arrest bis zu drei Wochen; c) gegen Unteroffiziere ohne Port­ epee: gelinden Arrest bis zu drei Wochen, Herz u. Ernst, Strafrecht der Militärpersonen.

63

994

Disziplinar-Strafordnung für die Kaiserliche Marine. An Bord.

mittleren Arrest zehn Tagen; d) gegen Gemeine: gelinden Arrest Wochen, mittleren Arrest zehn Tagen, strengen Arrest Tagen.

Am Lande.

bis zu vier­

bis

zu

drei

bis zu vier­ bis

zu zehn

§ 12.

Strasgewalt des Kommandanten (nicht Stabsoffiziers) rc.

Der Kommandant, sofern er nach dem Besatzungsetat nicht Stabsoffizier ist, der Führer eines Transports zur See, wenn er nicht Stabsoffizier ist, der Segeloffizier sind berechtigt zu verhängen: a) gegen Offiziere Verweise gemäß § 3; b) gegen Unteroffiziere mit Port­ epee, und zwar: gegen Deckoffiziere (einschl. der Ingenieur- und Zahlmeister­ aspiranten) und Unterärzte:

3. Kammer- oder gelinden Ar­ rest bis zu acht Tagen; gegen die übrigen Unteroffiziere mit Portepee: 1. Verweise 2. Auferlegung gewisser Dienstverrichtungen außer der Reihe 3. gelinden Arrest bis zu acht Tagen; c)

gegen Unteroffiziere ohne Portepee: 1. Verweise 2. Auferlegung gewisser Dienstverrichtungen außer der Reihe 3. Arreststrasen: gelinden Arrest bis zu acht Tagen,

§12. An Bord. mittleren Arrest bis zu fünf Tagen; 4. Versetzung in die nächst nie­ dere Löhnungsklasse bis zur Dauer von einem Monat; d) gegen Gemeine: 1. kleine Strafen gemäß § 6, 2. Arreststrafen: gelinden Arrest bis zu acht Tagen, mittleren Arrest bis zu fünf Tagen, strengen Arrest bis zu drei Tagen; 3. Entfernung aus dem Dienst­ grade eines Obermatrosen re. Außerhalb der heimischen Ge­ wässer können diese Disziplinär­ vorgesetzten unter den Voraus­ setzungen des § 13, abgesehen von vorstehend genannten Strafen, ver­ hängen: a) gegen Offiziere einfachen Kammerarrest bis zu drei Tagen; b) gegen Unteroffiziere m i t Port­ epee, und zwar gegen Deck­ offiziere (einschl. der Jngenieurund Zahlmeisteraspiranten) und der Unterärzte Kammer- oder gelinden Arrest bis zu vierzehn Tagen; gegen die übrigen Unteroffiziere mit Portepee gelinden Arrest bis zu vierzehn Tagen; c) gegen Unteroffiziere ohne Port­ epee: gelinden Arrest bis zu vierzehn Tagen, mittleren Arrest bis zu zehn Tagen, und Versetzung in die nächst niedere Löhnungsklasse bis zur Dauer von zwei Monaten; d) gegen Gemeine: gelinden Arrest bis zu vierzehn Tagen,

995

Am Lande.

Disziplinär-Strafordnung für die Kaiserliche Marine.

996

An Bord, mittleren Arrest bis zn vierzehn Tagen, strengen Arrest bis zu sieben Tagen.

Am Lande.

813. Strasgewalt des Kommandanten (Stabsoffiziers), des Divisionskomman­ deurs rc.

Der Kommandant, der Chef einer Flottille (einschl. Torpeoobootsflottille), der Ches einer Panzerkanonenbootsdwision, sofern sie nach dem Besatzungs­ etat Stabsoffiziere sind, der Führer eines Transports zur See, wenn er Stabsoffizier ist, der älteste Kommandant der Ar­ tillerieschulschiffe über die ihm unterstellten Schiffe und Tender,

Sämmtliche Befehlshaber, wel­ chen die niedere Gerichtsbarkeit zusteht, ferner der Präses der Schiffsprüfungs­ kommission, der Präses des Torpedoversuchs­ kommandos, der Direktor der Torpedowerk­ statt, der Präses des Artillerieversuchs­ kommandos, der Präses der Minenversuchs­ kommission, der mit der Aufsicht über das militärische Personal des Marinelazareths zu Aokohama und über die in demselben ausge­ nommenen Militärpersonen be­ traute Befehlshaber, der Stationsarzt, der Generalarzt der Inspektion des Bildungswesens, der Kommissar für den Kaiser Wilhelm-Kanal

sind berechtigt zu verhängen: a. gegen Offiziere: 1. Verweise gemäß § 3, 2. Arreststrafen, und zwar: einfachen Kammerarrest bis zu i Stubenarrest bis zu sechs Tagen, sechs Tagen, | b. gegen Unteroffiziere und Gemeine die höchsten zulässigen Disziplinarstrafen, mit Ausnahme der Ein­ stellung in eine Arbeiterabtheilung. Gehörtdas Schiff einem Flotten-, Geschwader- oder Divisionsverbande nicht an, oder ist es detachirt, so ist der Kommandant außerhalb der heimischen Gewässer befugt, auch gegen Offiziere die

88 13-15. An Bord, höchste zulässige Strafe zu ver­ hängen. Das Gleiche gilt von dem Führer eines Transports zur See und von dem Chef einer Flottille, der dem Chef eines anderen Verbandes nicht untersteht oder detachirt ist. Als detachirt gilt ein Schiff (Transport zur See, Flottille, Torpedobootsdivision), das selb­ ständige Segelordre hat.

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Am Lande.

8 14. Strafgewalt des Chefs des Stabes rc.

Der Chef des Stabes bei Flottenund Geschwaderkommandos

Der Chef des Stabes bei Kom­ mandobehörden am Lande, der Vorstand der Centralabthei­ lung im Reichs-Marine-Amt und im Admiralstab der Marine

haben die Disziplinarstrafgewalt eines Kommandanten, wenn er eines Befehlshabers mit niederer nach dem Besatzungsetat Stabs­ Gerichtsbarkeit (§ 13) offizier ist (§ 13). Bei Stäben, für welche kein Chef des Stabes etatsmäßig ist, hat der älteste bezw. der Admiral­ stabsoffizier Strafgewalt gemäß § 10 über das Stabsunter­ personal über alle ihnen unterstellten Unteroffiziere und Gemeine.

§15. Strafgewalt und Zuständigkeit des Garnisonältesten rc.

Der Garnisonälteste, der Allerhöchst mit Wahrnehmung der Geschäfte beauftragte Kom­ mandant von Kiel, der Etappen-, Lager-, Orts- oder Biwakskommandant, der Abschnittskommandeur (V A Ziffer 64), haben als solche die ihnen in ihrer sonstigen Stellung zustehende Straf­ gewalt über alle am Orte an Land befindlichen Offiziere und Mannschaften, 1. sofern deren eigene Disziplinar­ vorgesetzte nicht am Orte oder

998

Disziplinar-Strafordnung für die Kaiserliche Marine. Am Lande.

An Bord.

in erreichbarer Nähe sind, wegen aller Disziplinarvergehen, 2. sofern sie am Orte oder in er­ reichbarer Nähe sind, nur wegen derjenigen Disziplinarvergehen, welche a) gegen eine von ihnen er­ lassene polizeiliche Vorschrift oder sonst gegen ihre Autori­ tät, oder b) im Wach- oder sonstigen Dienste des Platzes begangen sind. Der Etappen-, Lager-, Orts- und Biwakskommandant übt im Kriege die Strasgewalt auch in den Fällen des § 16, 1 aus.

8 16. Zuständigkeit des Hafenkapitäns.

I

DerHafenkapitän ist Disziplinar­ vorgesetzter der ihm unterstellten Personen. Außerdem hat er Straf­ gewalt über alle in seinem Be­ fehlsbereiche befindlichen Militärpersonen, soweit es sich um ein Vergehen handelt 1. gegen die allgemeine Sicherheit, Ruhe und Ordnung, oder 2. gegen eine für seinen Befehls­ bereich erlassene polizeiliche Vor­ schrift oder sonst gegen seine Autorität. Seine Zuständigkeit erstreckt sich nicht gegen die Personen, welche die strafbare Handlung unter den Augen oder unter dem unmittel­ baren Kommando ihres eigenen Disziplinarvorgesetzten begehen.

8 17. Strasgewalt des Zweiten Admirals, des Marineinspekteurs rc.

Der Zweite Admiral hat Strafgewalt 1. über die zu seinem Stabe ge­ hörenden PersonendesSoldatenstandes; 2. über die Besatzung des Schiffes, auf dem er eingeschifft ist;

Der Marineinspekteur, der Inspekteur der Marineartil­ lerie, der Inspekteur des Torpedo­ wesens, der Inspekteur der Marineinfan­ terie,

88 16-18. An Bord. 3. im Gerichtsdienst, falls er Ge­ richtsherr ist; 4. über die Besatzungen eines Ver­ bandes von Schiffen, der unter feinem Befehl detachirt ist (siehe § 13). Der Chef einer selbständigen Division von Linienschiffen oder Kreuzern und der Befehlshaber der Aufklärungsschiffe haben Straf­ gewalt über alle zu ihrem Ver­ bände gehörenden Personen. Die Höhe der Strafgewalt ist dieselbe wie die eines Komman­ danten, wenn er nach dem Be­ satzungsetat Stabsoffizier ist (§13). Jedoch können sie gegen Offiziere bis zu acht Tagen einfachen Kammerarrest, im Auslande, wenn sie mit einem Schiff oder einem Verbände von Schiffen detachirt sind, die höchste zulässige Strafe verhängen.

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Am Lande, der Marinedepotinspekteur, der Direktor der Marineakademie, der Oberwerftdirektor, der Kommandant eines offenen Ortes und einer Festung, so­ wie der im Frieden mit Wahr­ nehmung der Geschäfte eines Kommandanten in Friedrichs­ ort und die im Frieden mit Wahrnehmung der Geschäfte eines Kommandanten für die Befestigungen der Wesermün­ dung bei Geestemünde und für die Befestigungen bei Cuxhaven beauftragten Offiziere nach Maßgabe des § 21 sind berechtigt zu verhängen: a) gegen Offiziere: 1. Verweise gemäß § 3, 2. Stubenarrest bis zu acht Tagen; b) gegen Unteroffiziere und Ge­ meine die höchsten zulässigen Disziplinarstrafen mit Aus­ nahme der Einstellung in eine Arbeiterabtheilung.

8 18. Strafgewalt des Geschwaderchefs rc.

Der Ches einer Flotte oder eines Geschwaders hat tm Jnlande und im Auslande

Der Staatssekretär des ReichsMarine-Amts, der Ches des Admiralstabes der Marine, der Chef des Marinekabinets, der Marine-Stationschef, der Inspekteur des Bildungs­ wesens der Marine, der Gouverneur von Kiautschou, der Gouverneur einer großen Festung (Kiel, Wilhelmshaven) nach Maßgabe des § 21, der Kommandeur eines zu anderen als lediglich zu Uebungszwecken ausgeschifften Landungskorps, der Generalstabsarzt der Marine haben die höchste zulässige Disziplinarstrafgewalt gegen sämmtliche Unter­ gebene.

1000

Disziplinar-Strafordnung für die Kaiserliche Marine.

An Bord.

Am Lande.

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Die Einstellung in eine Arbeiterabtheilung kann jedoch nur von den im § 19 genannten Disziplinarvorgesetzten verfügt werden.

§ 19. Zuständigkeit zur Einstellung in eine Arbeiterabtheilung.

Der Chef einer Flotte, der Chef des Kreuzergeschwaders

Der Marine-Stationschef, der Inspekteur des Bildungs­ wesens der Marine, der Gouverneur von Kiautschou können die Einstellung in eine Arbeiterabtheilung verfügen. Zuständigkeit der höheren Disziplinarvorgesetzten.

§ 20. Zur Ahndung eines Disziplinarvergehens ist grundsätzlich der nächste mit Disziplinarstrafgewalt versehene Disziplinarvorgesetzte zuständig, unbeschadet der Bestimmungen der §§ 15, 16, 21 (siehe auch § 8). Die Zuständigkeit der höheren Disziplinarvorgesetzten tritt ein, wenn das Disziplinarvergehen 1. unter ihren Augen, 2. gegen ihre Autorität, 3. von Militärpersonen begangen ist, die verschiedenen Disziplinar­ vorgesetzten ihres Befehlsbereichs angehören, 4. ihnen zur Entscheidung oder zur Bestimmung der Strafe ge­ meldet, oder 5. von dem niederen Befehlshaber unbestraft gelassen ist.

8 21. Strafgewalt und Zuständtgkeit des Gouverneurs rc.

Der Gouverneur und der Kom­ mandant einer Festung, sowie die im § 17 aufgeführten/mit Wahr­ nehmung der Geschäfte eines Kom­ mandanten beauftragten Offiziere üben die ihnen zustehende Straf­ gewalt über alle am Orte an Land befindlichen Offiziere und Mann­ schaften 1. sofern deren eigene Disziplinar­ vorgesetzte nicht am Orte oder in erreichbarer Nähe sind, we­ gen aller Disziplinarvergehen, 2. sofern sie am Orte oder in er­ reichbarer Nähe sind, nur we­ gen derjenigen Disziplinarver­ gehen, welche a) gegen die allgemeine Sicher­ heit, Ruhe und Ordnung des Ortes,

88 19-24. An Bord.

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1001 Am Lande.

b) gegen eine besondere, in Beziehung auf die Festungswerke und Vertherdigungsmittel bestehende Anordnung, c) gegen eine von ihnen er­ lassene polizeiliche Vorschrift oder sonst gegen ihre Autorii tät gerichtet, oder ; d) im Wach- oder sonstigen Dienste des Platzes ! begangen sind.

I I I

Zuständigkeit, falls mehrere Disziplinarvorgesetzte in Frage kommen.

§ 22.

Wenn außer den Fällen der §§ 15, 16, 21 von mehreren der Strafgewalt verschiedener Befehlshaber unterworfenen Offizieren oder Mannschaften gemeinschaftlich ein Disziplinarvergehen begangen ist, so steht die Bestimmung der Strafe gegen alle Betheiligte dem nächsten gemeinschaftlichen Disziplinarvorgesetzten, oder wenn ein solcher in dienstlicher Eigenschaft nicht am Orte ist, dem Gouverneur, Kom­ mandanten, Garnisonältesten, Etappen-, Orts-, Lager- oder Biwaks­ kommandanten zu.

8 23. Zuständigkeit über die zu einem Stabe gehörenden Militärpersonen.

Die zu einem Stabe gehörenden I Offiziere und Mannschaften unter- I stehen ausschließlich der Straf- ‘ gemalt der zum Stabe gehörenden | Disziplinarvorgesetzten. i Sind die zu einem Stabe gehörenden Offiziere und Mannschaften detachirt (siehe § 9 letzter Absatz), so unterstehen sie der Disziplinarstrafgewalt desjenigen Befehlshabers, in dessen Verband re. sie sich zur Zeit befinden, falls dieser dem Dienstalter nach älter ist, als sie, mit der Maßgabe, daß eine Bestrafung nur in zwingenden Fällen statt­ findet und.dem eigentlichen Disziplinarvorgesetzten sofort gemeldet wird.

8 24. Zuständigkeit der Sanitätsoffiziere.

Die Sanitätsoffiziere am Lande, denen nach den §§ 9, II und III, 13 und 18 Disziplinarstrafbefug­ nisse verliehen sind, haben Strasgewalt 1. über die ihnen unterstellten Sanitätsoffiziere, Unterärzte, einjährig­ freiwilligen Aerzte, Sanitätsmannschaften und Marinekrankenwärter wegen derjenigen strafbaren Handlungen, welche a) gegen ihre Autorität begangen sind, oder b) sich als Verstöße gegen die Vorschriften über Krankenpflege dar­ stellen.

Der Chefarzt eines Lazarethschiffs

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Disziplinar-Strafordnung für die Kaiserliche Marine.

An Bord.

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Am Lande.

Außerdem haben Strafgewalt der Chefarzt eines Lazarethschiffs der Chefarzt eines Feldlazareths, der Chefarzt des Marinelazareths zu Yokohama 2. über die zum Lazareth gehörenden Mannschaften und über die Kranken vom Deckoffizier einschließlich an abwärts, 3. über die übrigen Mannschaften vom Deckoffizier einschließlich an abwärts des aus dem Lazarethschiff eingeschifften De­ tachements, falls kein besonderer Offizier als Detachementsführer kommandirt ist. Zuständigkeit bei Kommandirungen bezw. Ueberweisungen mit Löhnung.

§ 25. Von ihrem Marinetheile zu einem anderen Marinetheil oder zu einer Marinebehörde oder Anstalt oder umgekehrt kommandirte Offiziere und mit Löhnung überwiesene Mannschaften stehen nach Maßgabe der Bestimmungen der §§ 8—24 unter der Disziplinarstrafgewalt der Vorgesetzten der Marinetheile rc., zu denen sie komman­ dirt, bezw. denen sie überwiesen sind. Zuständigkeit bei Kommandirungen ohne Löhnungsüberweisung.

§ 26. I. Mannschaften vom Deckoffizier einschließlich an abwärts, welche zu einem anderen Marinetheil (Behörde oder Anstalt) ohne Löhnungsüberweisung kommandirt sind, sind für die Dauer dieses Kommandos wegen derjenigen strafbaren Handlungen, welche sie a) im Dienste jenes Marinetheils rc. oder b) gegen die Autorität eines jenem Marinetheil rc. angehörenden Vorgesetzten verüben, der Strafgewalt des Disziplinarvorgesetzten jenes Marinetheils rc. unter­ worfen. II. Wegen aller übrigen strafbaren Handlungen unterstehen sie der Strafgewalt des Disziplinarvorgesetzten des Marinetheils, zu welchem sie gehören, oder welchem sie mit Löhnung überwiesen sind. Befindet sich dieser Marinetheil nicht am Orte, so unterstehen sie wegen aller strafbaren Handlungen dem Disziplinarvorgesetzten des Marinetheils, zu welchem sie kommandirt sind. Aus die Mannschaften, welche lediglich zum Dienst einem anderen Marinetheil rc. gestellt sind, kommen die Bestimmungen unter Nr. 1 nicht in Anwendung; diese Mannschaften unterstehen allein der Straf­ gewalt ihres eigentlichen Disziplinarvorgesetzten. B. Bestrafung der Militärpersonen des Beurlaubtenstandes. Zulässigkeit der Disziplinarbestrafung.

§ 27. Auf die Personen des Beurlaubtenstandes kommen die Strafvorschriften dieser Verordnung nur in der Zeit zur Anwendung, während welcher sie sich im Dienste befinden. Außerhalb dieser Zeit tritt Bestrafung nur ein:

88 25-30.

An Bord.

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1003 Am Lande.

a) wegen Zuwiderhandlungen gegen die zum Zwecke der Aufrecht­ erhaltung der militärischen Kontrolle ertheilten Dienstvorschriften, sowie b) wegen derjenigen militärischen Vergehen, deren Bestrafung im Disziplinarwege in leichteren Fällen auch bei Personen des Be­ urlaubtenstandes durch das Milrtärstrafgesetzbuch für das Deutsche Reich vom 20. Juni 1872 und den § 3 des Einführungsgesetzes zu demselben ausdrücklich gestattet ist. Dies ist der Fall: 1. wenn Personen des Beurlaubtenstandes des Ungehorsams gegen einen rechtmäßig ertheilten Befehl in Dienstsachen durch Nicht­ befolgung oder durch eigenmächtige Abänderung desselben sich schuldig machen; 2. wenn Personen des Beurlaubtenstandes im dienstlichen Verkehr mit dem Vorgesetzten oder in der Marine- oder Militäruniform: a) die dem Vorgesetzten schuldige Achtung verletzen, insbesondere laut Beschwerde oder gegen einen Verweis Widerrede führen; b) auf Befragen in dienstlichen Angelegenheiten dem Vorgesetzten wissentlich die Unwahrheit sagen; c) einen Vorgesetzten oder einem im Dienstrange Höheren be­ leidigen; 3. wenn Personen des Beurlaubtenstandes im dienstlichen Verkehr mit den Untergebenen oder in der Marine- oder Militäruniform: a) einen Untergebenen beleidigen oder einer vorschriftswidrigen Behandlung desselben sich schuldig machen; b) von dem Untergebenen ohne Vorwissen des gemeinschaftlichen Vorgesetzten Geld borgen oder Geschenke annehmen.

§ 28. Besteht der Ungehorsam (§ 27 Abs. 3 Nr. 1) in der Nicht­ befolgung des Gestellungsbefehls oder der öffentlichen Aufforderung zu einer Uebung, so darf nur dann die Bestrafung im Disziplinar­ wege erfolgen, wenn entweder der Einberufene nur zu spät sich an dem ihm bestimmten Orte gestellt hat, oder wenn die Umstände sonst eine milde Beurtheilung zulassen. Strafen für Vergehen im Dienst.

§ 29. Ist eine Strashandlung von im Dienst befindlichen Mann­ schaften des Beurlaubtenstandes während der Dauer einer Kontroll­ versammlung oder während eines anderen Dienstes, für welchen die Verpflegungsgebührnisse nicht gewährt werden, begangen, so ist die höchste zulässige Disziplinarstrafe drei Tage gelinder oder mittlerer Arrest. Wird diese Strafe nicht für ausreichend erachtet, so hat gericht­ liche Strafverfolgung einzutreten. Strafen für Vergehen außer Dienst.

§ 30. Werden Mannschaften des Beurlaubtenstandes wegen der in dem § 27 aufgesührten, außer dem Dienst von ihnen begangenen militärischen Vergehen im Disziplinarwege bestraft, so ist die höchste zulässige Strafe drei Tage gelinder oder mittlerer Arrest: 1. wenn der Ungehorsam (§ 27 Abs. 3 Nr. 1) sich darstellt:

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Disziplinar-Strafordnung für die Kaiserliche Marine. An Bord.

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Am Lande.

a) als Nichtbefolgung der Berufung zur Kontrollversammlung oder zu einem anderen Dienst, für welchen die Verpflegungs­ gebührnisse nicht gewährt werden; b) als Nichtbeachtung des vorgeschriebenen Dienstweges bei An­ bringung von Gesuchen in militärischen Dienstangelegenheiten; 2. wenn der Beurlaubte bei Verübung eines der im § 27 Abs. 3 Nr. 2 genannten Vergehen sich nicht in der Marine- oder Militär­ uniform befunden hat. Wird diese Strafe nicht für ausreichend erachtet, so hat gericht­ liche Strafverfolgung einzutreten.

§31. Strafen für Vergehen gegen Kontrollvorschriften.

1. Zuwiderhandlungen gegen die zum Zwecke der Aufrechterhaltung der militärischen Kontrolle ertheilten Dienstvorschriften über Meldung des Aufenthaltsorts und der Wohnung in diesem Orte, sowie über Meldung einer jeden Veränderung des Aufenthalts­ orts und der Wohnung werden an Mannschaften des Beur­ laubtenstandes wahlweise mit Geldstrafe von einer bis zu sechzig Mark oder mit Haft von einem bis zu acht Tagen geahndet. 2. Die Festsetzung dieser Strafen geschieht durch den Bezirks­ kommandeur, die Vollstreckung auf sein Ersuchen durch die Zivil­ behörde des Aufenthaltsortes des Bestraften.

§32. Offiziere des Beurlaubtenstandes.

1. Auf die zum Beurlaubtenstande gehörenden Offiziere finden die Bestimmungen der §§ 30, 31 mit der Maßgabe Anwendung, daß die über sie zu verhängende Strafe, insofern sie in Arrest besteht, das Maß von sechs Tagen Stubenarrest nicht über­ steigen darf. 2. In den Fällen des § 31 ist gegen Offiziere keine andere Strafe als Stubenarrest bis zu dieser Dauer zulässig. Die Vollstreckung der Strafe liegt dem Bezirkskommandeur ob. Offiziere zur Disposition.

§ 33. Die in diesem Abschnitt über Bestrafung der Offiziere des Beurlaubtenstandes ertheilten Vorschriften finden auf die Offiziere An­ wendung, welche mit Pension zur Disposition gestellt, sowie auf die­ jenigen, welche mit dem Vorbehalt der gesetzlichen Dienstverpflichtung aus dem aktiven Dienste entlassen sind. Stabsoffiziere zur Disposition unterstehen jedoch lediglich der Strafgewalt der dem Bezirkskommandeur übergeordneten Disziplinar­ vorgesetzten.

§34. Zuständigkeit zur Bestrafung.

1. Die Befugniß, über Personen des Beurlaubtenstandes nach Maß­ gabe der Bestimmungen dieser Verordnung Strafen zu verhängen, steht den Bezirkskommandeuren sowie den diesen vorgesetzten

§§ 31-38.

An Bord.

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Am Lande.

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höheren Befehlshabern zu. Ist der Stellvertreter des Bezirks­ kommandeurs Subalternoffizier, so hat er nur die in § 9, II angegebenen Strafbefugnisse mit der Einschränkung, daß er gegen Offiziere Strafen nicht verhängen darf. 2. Die Gouverneure, Kommandanten, die mit Wahrnehmung der Geschäfte beauftragten Kommandanten, die Garnisonältesten und Hafenkapitäne dürfen die ihnen nach den §§ 9, III, 15, 16, 17, 18, 21 zustehende Strafgewalt nur dann gegen Personen des Beurlaubtenstandes ausüben, wenn die letzteren in der Marine­ oder Militäruniform einer der im § 30 bezeichneten strafbaren Handlungen sich schuldig machen, oder wenn dieselben als Kranke oder Arrestanten einer Garnisonanstalt überwiesen sind. Beamte des Beurlaubtenstandes.

§ 35. Wegen der zum Beurlaubtenstande gehörenden Militär­ beamten der Marine siehe § 43.

Dritter Abschnitt. Bestrafung der Militärbeamten der Marine. Der Disziplinarstrafgewalt unterworfene Militärbeamte der Marine.

§ 36. Der Disziplinarstrafgewalt der Marinebefehlshaber unter­ stehen nur diejenigen Militärbeamten der Marine, die 1. nur den ihnen vorgesetzten Marinebefehlshabern untergeordnet sind, oder 2. in einem doppelten Unterordnungsverhältnisse stehen, und zwar einerseits zu den ihnen vorgesetzten Marinebefehlshabern, anderer­ seits zu den ihnen vorgesetzten höheren Beamten oder Behörden der Marine. Bergl. Verordnung vom 12. August 1901 — MVBl. Seite 362 ff. Disziplinarvorgesetzte.

§ 37. Militärbeamte der Marine, die in einem doppelten Unter­ ordnungsverhältnisse stehen, sind, falls sie Dienstvorschriften, welche die Grundlage ihrer Amtswirksamkeit bilden, verletzen, ausschließlich der Disziplinarstrafgewalt der ihnen vorgesetzten höheren Beamten oder Behörden unterworfen. In allen anderen Fällen unterstehen sie der Disziplinarstrafgewalt der vorgesetzten Marinebefehlshaber, wodurch jedoch die Mitaufsicht der vorgesetzten höheren Beamten oder Behörden, über ihre sittliche Führung und deren Befugniß auch ihrerseits einzuschreiten, nicht aus­ geschlossen wird. Bestehen Zweifel darüber, welcher von den beiden vorerwähnten Fällen vorliegt, so sind die einschlägigen Dienstvorschriften maßgebend. § 23 findet aus die Militärbeamten der Marine entsprechende Anwendung. Richterliche Marinejustizbeamte.

§ 38. Die richterlichen Marinejustizbeamten unterstehen der Dis­ ziplinarstrafgewalt ihres Gerichtsherrn und des Gerichtsherrn der höheren Instanz nach Maßgabe des § 20.

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Disziplinar-Strafordnung für die Kaiserliche Marine. An Bord.

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Am Lande.

Der Disziplinargewalt des Kommandanten des Schiffes, auf dem sie eingeschifft sind, unterstehen sie nur, falls: 1. das Schiff einem Verbände nicht angehört oder detachirt ist, und 2. einer der im ersten Absatz dieses Paragraphen aufgeführten Dis­ ziplinarvorgesetzten sich nicht an Bord dieses Schiffes oder in erreichbarer Nähe befindet, und 3. es sich um ein Disziplinarvergehen handelt, dessen Ahndung nicht aufgeschoben werden kann, und 4. der Kommandant im Dienstrange mindestens gleichstehend und dem Dienstalter nach älter ist, als der zu Bestrafende. Die Disziplinarstrafgewalt über die richterlichen Marinejustiz­ beamten wird, unbeschadet der gesetzlichen Bestimmungen, durch diesen Paragraphen ausschließlich geregelt. Strafen für obere Beamte.

§ 39. Disziplinarstrafen für ob ere Militärbeamte der Marine sind: 1. Warnung; 2. Verweis; 3. Geldstrafe bis zu dreißig Mark; 4. Arreststrafen bis zu vierzehn Tagen, und zwar einfacher Kammerarrest. j Stubenarrest. Strafen für untere Beamte.

§40.

Disziplinarstrafen für untere Militärbeamteder Marine sind: 1. Warnung; 2. Verweis; 3. Arrest bis zu vier Wochen und zwar Kammer- oder gelinder Arrest. ’ Stuben- oder gelinder Arrest.

§ 41. Zulässigkeit von Arreststrafen.

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Stubenarrest darf an Land über diejenigen oberen Militärbeamten der Marine, welche in einem doppelten UnterordnungsVerhältnisse stehen, nur in der Zeit verhängt werden, während welcher sie unter den Kriegsgesetzen stehen. (§ 9 MStrGB.)

Umfang der Strafgewalt.

§ 42. Sämmtliche in den §§ 9 bis 24 aufgeführten Disziplinär­ vorgesetzten haben Disziplinarstrafgewalt über die ihnen unterstellten Militärbeamten der Marine unter Berücksichtigung der §§ 36 bis 41, sowie folgender Bestimmungen: 1. Alle Disziplinarvorgesetzten, die mit Disziplinarstrafgewalt über Offiziere versehen sind, sind berechtigt, gegen obere Militär­ beamte der Marine: a) Warnung; b) Verweis; c) Arrest zu verhängen.

88 39-44. An Bord.

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1007 Am Lande.

Bei der Bestrafung sind sie an diejenigen Vorschriften ge­ bunden, die für sie bei der Bestrafung von Offizieren maß­ gebend sind. Außerdem dürfen obere Militärbeamte der Marine bestraft werden: a) von den im § 9, III unter „am Lande" und den im § 13 aufgeführten Disziplinarvorgesetzten mit Geldstrafe bis zu 9 Mark. Der Direktor der Marineschule, der Präses der Schiffsprüfungskommission, der Stationsarzt und der General­ arzt der Inspektion des Bildungswesens sind jedoch berechtigt, Geldstrafen bis zu 30 Mark zu verhängen, b) von den in den §§ 17 und 18 aufgeführten Disziplinarvor­ gesetzten mit Geldstrafe bis zu 30 Mark. Der Staatssekretär des Reichs-Marine-Amts verhängt Geldstrafen bis zu der im § 74 des Reichs-Beamten-Gesetzes festgesetzten Höhe. 2. Alle Disziplinarvorgesetzten, die mit Disziplinarstrafgewalt über Deckoffiziere versehen sind, sind berechtigt, gegen untere Marine­ beamte: a) Warnung; b) Verweis; c) Arrest zu verhängen. Die Vorschrift der Nr. 1 Abs. 2 über Zulässigkeit und Dauer der Strafe findet entsprechende Anwendung. 3. Die in den §§ 15, 16, 21 genannten Disziplinarvorgesetzten haben unter den dort aufgeführten Voraussetzungen Disziplinar­ strafgewalt auch über Militärbeamte der Marine. Zum Beurlaubtenstande gehörige Militärbeamte der Marine.

§ 43. Auf die zum Beurlaubtenstande gehörenden Militärbeamten der Marine kommen die in den §§ 27 bis 34 enthaltenen Bestimmungen unter Berücksichtigung ihres Ranges zur Anwendung.

Vierter Abschnitt. Bestrafung der im § 2 unter den Ziffern 2 (an Bord) 3 und 4 aufgeführten und der vertragsmäßig angestellten Personen sowie der Kriegsgefangenen. Disziplinarstrafen.

§ 44. Auf die im § 2 unter den Ziffern 2 (an Bord), 3 und 4 genannten Personen, wenn sie zum Soldatenstande gehören, sowie auf die Kriegsgefangenen finden die für Personen des Soldatenstandes er­ theilten Vorschriften nach Maßgabe ihres Ranges Anwendung. Gehören sie nicht zum Soldatenstande, so ist bei der Bestrafung die Bildungsstufe, auf welcher sie stehen, und ihre Stellung im bürger­ lichen Leben zu berücksichtigen. Vertragsmäßig verpflichtete Köche, Kellner, Barbiere re. werden wie Unteroffiziere ohne Portepee bestraft. An Stelle der Versetzung

1008

Disziplinar-Strafordnung für die Kaiserliche Marine.

An Bord.

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Am Lande.

in die nächst niedere Löhnungsklasse tritt für Köche, Kellner re. Lohn­ abzug bis zu einem Viertel des Lohnes von einem Tage bis zu drei Mo­ naten. Barbiere tritt an Stelle des Lohnabzugs entsprechende Geld­ strafe ein; jedoch muß diese Strasart in dem Vertrage vorgesehen sein.

Fünfter Abschnitt. Bestrafung der Schiffsjungen. Strafen.

§ 45. Disziplinarstrafen für Schiffsjungen sind: 1. öffentlicher Tadel durch einmaliges Verlesen bei der Haupt­ musterung und Aushängen des Namens des Getadelten — letzteres bis zur Dauer von drei Tagen. 2. Essen an einem gesonderten Platze — bis zu acht Tagen, 3. Strafexerziren, Strafunterricht und Strafposten bis zu vier Stunden, jedoch nicht über eine Stunde an. einem Tage, 4. Anbinden hinter einem Vorhänge dergestalt, daß der Bestrafte zwar aufrecht stehen, nicht aber sich setzen oder niederlegen kann, jedoch nur täglich eine Stunde und höchstens drei Tage hinter­ einander, und nur im ersten Dienstjahre (siehe § 46 Abs. 6). 5. Arreststrafen (siehe § 46 Abs. 5 und 6): mittlerer Arrest bis zu fünf Tagen, strenger Arrest bis zu drei Tagen, und außerdem: 6. Stehen an Deck während der Freizeit bis zu vier Tagen, täglrch nicht länger als eine Stunde; 7. körperliche Züchtigung bis zu zehn Hieben im Beisein des Divisions- bezw. Zugoffiziers, des Divisionsfeldwebels und der Korporalschaftsführer des Zuges, jedoch ohne weitere Zeugen (siehe auch § 46 Abs. 1, 2 und 4). Zulässigkett der körperlichen Züchtigung und der Arreststrasen.

§ 46. Körperliche Züchtigung darf im Allgemeinen nur im ersten Dienstjahre und nur für grobe Vergehen und auch nur dann verhängt werden, wenn zuvor die übrigen Strafen ohne Erfolg angewendet worden sind. Liegt Diebstahl, Entlaufen oder Versuch des Entlausens vor, so ist die körperliche Züchtigung auch ohne die letztgenannte Ein­ schränkung zulässig. Die Entwendung oder Veruntreuung von Eßwaaren, Getränken, Tabak, sowie von Reinigungs- und Ausbesserungsgegenständen dürfen nicht mit körperlicher Züchtigung geahndet werden. Liegt eine gerichtlich zu ahndende Handlung vor, so wird die Handlung durch die Disziplinarbestrafung als solche nicht gesühnt und muß außerdem die gerichtliche Erledigung erfolgen.

88 45-50.

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An Bord.

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Am Lande.

Die Schiffsjungen, welche sich im zweiten Jahre an Bord befinden, sind nur noch ausnahmsweise für grobe Vergehen, welche einen schlechten Charakter bezeugen, mit Prügelstrafe zu belegen. Arreststrafen sind nur gegen Schiffsjungen, welche im zweiten Jahre dienen, und nur für grobe Verstöße gegen die militärische Zucht und Ordnung zulässig. Diejenigen Schiffsjungen, welche wegen Minderjährigkeit ein zweites Jahr an Bord bleiben müssen, unterstehen den für Schiffsjungen des ersten Jahrgangs gegebenen Vorschriften. § 47. Strasgewalt des Ersten Offiziers und des Kompagniesührers.

Der Erste Offizier eines in Dienst gestellten Schulschiffes ist berechtigt, über eingeschiffte Schiffsjungen 1. öffentlichen Tadel, 2. Essen an gesondertem Platze, 3. Strafexerzieren, 4. Stehen an Deck zu verhängen.

Der Führer einer Schiffs­ jungen-Kompagnie ist berechtigt, über die am Lande befindlichen, ihm unterstellten Schiffsjungen 1. öffentlichen Tadel, 2. Essen an gesondertem Platze, 3. Strafexerzieren zu verhängen.

§ 48. Strasgewalt des Kommandanten und des Kommandeurs.

Der Kommandant eines in Dienst gestellten Schulschiffes und die ihm vorgesetzten Diszipli­ narvorgesetzten sind berechtigt, über Schiffsjungen alle im § 45 aufgesührten Strafen zu verhängen.

Der Kommandeur der Schiffsjungen-Division und die ihm vor­ gesetzten Disziplinarvorgesetzten sind berechtigt, über die am Lande befindlichen, ihnen unterstellten Schiffsjungen die im § 45 Nr. 1 bis 5 aufgeführten Strafen zu ver­ hängen.

Sechster Abschnitt. Ausübung der Strafgewalt. Allgemeines.

§ 49. Jeder mit Strafgewalt versehene Disziplinarvorgesetzte muß mit strenger Unparteilichkeit verfahren. Erforderlichenfalls ist der Her­ gang der Sache durch mündliche oder schriftliche Verhandlung auf­ zuklären. Bei Ausübung der Disziplinarstrafgewalt ist lediglich die Schaffung und Aufrechterhaltung einer gesunden Mannszucht im Auge zu be­ halten. Jedwede Rücksicht anderer Art sowie Bedenken persönlicher Natur sind unbedingt sernzuhalten. Abmessung der Strafe.

§ 50. Die Art und das Maß der Strafe hat der Disziplinar­ vorgesetzte unter möglichster Schonung des Ehrgefühls des zu Bestra­ fenden zu bestimmen. Hierbei ist ferner die Eigenart, und die bisherige Führung des zu Bestrafenden sowie die Natur des Vergehens und die Gefährdung des Dienstinteresses zu berücksichtigen. Herz u. Ernst, Strafrecht der Mtlitärpersonen.

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Disziplinar-Strafordnung für die Kaiserliche Marine.

An Bord.

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Am Lande.

Wenn Militärpersonen mit einer Dienststellung betraut sind, die über ihren Dienstgrad hinausgeht, so ist bei der Wahl der Strafart auf diese Dienststellung Rücksicht zu nehmen. Verbindung mehrerer Strafen.

§ 51. Ein und dieselbe strafbare Handlung darf nur von einem Vorgesetzten und nur mit einer Disziplinarstrafe geahndet werden. Dies schließt jedoch die Befugniß nicht aus, mit einer Arreststrafe 1. gegen Unteroffiziere ohne Portepee die Versetzung in die nächst niedere Löhnungsklasse, 2. gegen Personen der Obermatrosen- rc. Klasse die Entfernung aus ihrem Dienstgrade, 3. gegen Gemeine: a) die Entziehung der freien Verfügung über die Löhnung und deren Ueberweisung an einen Unteroffizier zu Auszahlung in Tagesbeträgen, b) die Einstellung in eine Arbeiterabtheilung zu verbinden. Gegen Personen der Obermatrosen- rc. Klasse, gegen welche gericht­ lich auf Arrest oder Gefängniß erkannt ist, kann auch unmittelbar nach Bestätigung des Urtheils noch die Entfernung aus dem Dienstgrade der Obermatrosen rc. von dem zuständigen Vorgesetzten verfügt werden. Rückfall.

§ 52. Wird nach erfolgter Bestrafung dasselbe Vergehen oder eine gleichartige strafbare Handlung von dem Bestraften wieder verübt, so ist eine härtere Strafe als bei der Vorbestrafung zu verhängen, sofern nicht Gründe für eine mildere Beurtheilung vorhanden sind. Unzulänglichkeit der Strafgewalt.

§ 53. Wenn ein nicht mit der höchsten Strafbesugniß versehener Disziplinarvorgesetzter zwar eine Strafe für zulässig, oie ihm zustehende Strafbesugniß aber nicht für ausreichend erachtet, so hat er dem nächst­ höheren Vorgesetzten von dem Straffalle Meldung zu machen. Verjährung.

§54. Vergehen, welche nur der Disziplinarbestrafung unterliegen (§ 1 Nr. 1), dürfen drei Monate nach der Verübung nicht mehr mit Strafe belegt werden. Der Disziplinarvorgesetzte kann jedoch, falls gegen den zu Bestrafenden ein gerichtliches Ermittelungsverfahren schwebt oder beantragt ist, auch noch nach Ablauf der Frist eine Disziplinar­ strafe verhängen, wenn er innerhalb der Frist die Entscheidung über die Disziplinarbestrafung sich vorbehalten hat und seit Beendigung des gerichtlichen Verfahrens vier Wochen noch nicht verflossen sind. In außerheimischen Gewässern begangene Disziplinarvergehen, die als solche erst im Jnlande festgestellt werden, und die im § 31 unter Strafe gestellten Handlungen verjähren erst sechs Monate, nachdem der zuständige DiszipUnarvorgesetzte dienstlich davon Kenntniß erhalten hat. Disziplinarvergehen des § 1 Nr. 2 verjähren erst drei bezw. fünf Jahre nach Verübung der That (§ 67 RStrGB.).

1011

88 51-60. An Bord.

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Am Lande. Gerichtlich zu bestrafende Handlungen.

§ 55. Ist eine strafbare Handlung, welche gerichtlich hätte be­ straft werden müssen, mit einer Disziplinarstrafe geahndet worden, so ist dennoch, wenn inzwischen nicht nach den Vorschriften der Straf­ gesetze die Verjährung eingetreten ist, die gerichtliche Untersuchung einzuleiten. Wird der Bestrafte wegen desselben Vergehens rechtskräftig zu einer Strafe verurtheilt, so ist die Disziplinarstrafe nachträglich nach Maßgabe des § 74 von dem höheren Disziplinarvorgesetzten aufzuheben.

Siebenter Abschnitt. Meldung und Mittheilung von einer Bestrafung. Seiner Majestät dem Kaiser zu meldende Bestrafungen.

§ 56. Wird gegen einen Kapitän zur See oder einen im gleichen oder höheren Range stehenden Offizier im Disziplinarwege Arrest ver­ hängt, so ist dies Seiner Majestät dem Kaiser sogleich auf dem Dienstwege zu melden. Siehe auch § 9, III a, Abs. 2. Bestrafung von Personen in doppeltem Unterordnungsverhältniß.

§ 57. Bestrafungen von Militärpersonen, welche in einem doppel­ ten Unterordnungsverhältnisse stehen, hat der die Strafe verfügende Disziplinarvorgesetzte dem anderen Vorgesetzten unter Angabe des Grundes mitzutheilen. Bestrafung von Civilbeamten.

§ 58. Wird eine Militärperson des Beurlaubtenstandes, welche in ihren Civilverhältnissen zu den Reichs- oder Staatsbeamten gehört, disziplinarisch mit Arrest bestraft, so ist ihrer nächst vorgesetzten Dienstbehörde sogleich nach Verhängung der Strafe davon Nachricht zu geben. Achter Abschnitt.

Vollstreckung der Strafen. Sofortige Strafvollstreckung, Aussetzung.

8 59. Die Vollstreckung der Strafen muß, sofern die Umstände es gestatten, gleich nach der Verhängung erfolgen. Eine Aussetzung der Strafvollstreckung darf nur aus dringenden Gründen von dem Disziplinarvorgesetzten angeordnet werden. Vollstreckung der durch die höheren Disziplinarvorgesetzten verhängten Strafen.

§ 60. Ist die Strafe von einem höheren oder einem der in § 26 Abs. 1 ausgeführten Disziplinarvorgesetzten verhängt, so bleibt es seinem Ermessen überlassen, ihre Vollstreckung entweder selbst an­ zuordnen oder dem sonstigen Vorgesetzten des zu Bestrafenden zu übertragen. Ist die Strafe von einem der in den §§ 15, 16, 21 aufgeführten Offiziere verhängt, so ist die Vollstreckung dem sonstigen Disziplinar­ vorgesetzten des zu Bestrafenden zu überlassen.

1012

Disziplinar-Strafordnung für die Kaiserliche Marine. An Bord.

Am Lande.

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Die im § 26 Abs. II ausgeführten Disziplinarvorgesetzten haben eine von ihnen verhängte Strafe erst zu vollstrecken, wenn der im § 26 Abs. 1 ausgeführte Disziplinarvorgesetzte den Bestraften dienst­ lich für abkömmlich erklärt hat oder der Bestrafte von seinem Kom­ mando abgelöst ist. Verweis.

§ 61. Der einfache Verweis ist ohne Zeugen oder im Beisein eines Vorgesetzten dem Bestraften bekannt zu geben. Der strenge Verweis ist: a) einem Offizier vor versammeltem^ Offizierkorps, I von dem Dienstgrade des b) einem Unteroffizier vor versamBestraften an aufwärts weitem Unteroffizierkorps bekannt zu geben. Kleine Strafen.

§ 62. Die kleinen Strafen, wie Strafarbeitsdienst, Strafexerziren, Auferlegung gewisser Dienstverrichtungen, Stehen an Deck rc. werden während der Freizeit vollstreckt, in der Regel jedoch nicht an Sonnund Festtagen. Die an Bord verhängten kleinen Strafen, wie Entern über den Topp rc. sind bei Abkommandirung oder Ausschiffung in die ent­ sprechenden kleinen Strafen an Land umzuwandeln. Versetzung in die nächst niedere Löhnungsklasse.

§ 63. Die Versetzung in die nächst niedere Löhnungsklaffe wird in der Art vollstreckt, daß während der Dauer der Strafe Ober­ maate re. die Löhnung der Maate rc. und Maate rc. die Löhnung der Obermatrosen rc. erhalten. Die Einbehaltung der Löhnung darf, falls ein entsprechendes Löhnungsguthaben nicht vorhanden ist, nur bis zu einem solchen Betrage erfolgen, daß eine Kürzung der bereits ange­ meldeten Familienzahlungen nicht eintritt. Die von vertragsmäßig angestellten Personen eingezogenen Lohn­ abzüge werden dem „Unterstützungsfonds für hülfsbedürftige Familien der Mannschaften vom Feldwebel abwärts" überwiesen. 8 64. Arreststrafen.

Gelinde, mittlere und strenge Arreststrafen werden in den hei­ mathlichen Kriegshäfen wenn an­ gängig am Lande verbüßt. Ueber die Vollstreckung der Ar­ reststrafen an Bord siehe Anlage 1. Kammerarrest, welchen ein Deck­ offizier bei seiner Zurücküberwei­ sung an seinen Marinetheil am Lande noch nicht verbüßt hat, ist

Bei Kasernen- oder Quartier­ arrest kann der zu Bestrafende zwar zum Dienst herangezogen werden, er darf aber außerdem die Kaserne oder das Gebäude, in welchem er sein Quartier hat, mit den dazu gehörenden Hof­ räumen nicht verlassen. Die Vollstreckung der anderen Arreststrafen erfolgt am Lande

88 61-67. An Bord. von ihm am Lande als Stuben­ arrest zu verbüßen.

§ 65.

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Am Lande, nach den Bestimmungen über die Vollstreckung gerichtlich erkannter Arreststrafen. (MStrVV. § 16 folg.) Arrest im Felde.

Wenn im Felde der über Unter­ offiziere und Gemeine verhängte gelinde, mittlere oder strenge Arrest den örtlichen Verhältnissen nach in einem hierzu geeigneten Raume nicht verbüßt und die Strafvoll­ streckung aus dienstlichen Gründen nicht ausgeschoben werden kann, so ist für die Dauer der Strafe dem Verurtheilten während seiner dienstfreien Jgeit der Aufenthalt auf einer Wache als Arrestat, ohne Entziehung seiner Gebührnisse, an­ zuweisen. Hiermit wird verbunden: a) wenn die Strafe in mittlerem Arrest besteht, die Heranzie­ hung zu beschwerlichen Dienst­ verrichtungen außer der Reihe, b) wenn die Strafe tu strengem Arrest besteht, Anbinden bis zu zwei Stunden täglich. Am vierten, achten und demnächst an jedem dritten Tage fällt das Anbinden fort. Vollstreckung von Arreststrafen an Mannschaften des Beurlaubtenstandes.

§ 66. Arreststrafen, welche zur Uebung eingezogene Mannschaften des Beurlaubtenstandes während der Uebung oder vorher verwirkt haben, sind erst nach Ablauf der Uebungszeit zu vollstrecken, falls die Auf­ rechterhaltung der Disziplin dies zuläßt. An den nicht im Dienst befindlichen Mannschaften des Beur­ laubtenstandes sind Arreststrafen unter Aufnahme in die Militär­ verpflegung des betreffenden Landwehrbezirkskommandos in einer Militärarrestanstalt zu vollstrecken. Die militärische Einkleidung des Bestraften ist hierbei in der Regel nicht erforderlich. Ist innerhalb zwanzig Kilometer vom Aufenthaltsorte des Be­ straften eine Militärarrestanstalt nicht vorhanden, so können Arrest­ strafen unter acht Tagen auf Ersuchen des Bezirkskommandeurs durch die Ortspolizeibehörden vollstreckt werden. Zusammentreffen mehrerer Arreststrasen.

§ 67.

Wenn mehrere Arreststrasen zusammentreffen, so darf die Strafe nicht über die Dauer des zulässigen Höchstmaßes der Strafart

1014

Disziplinar-Strafordnung für die Kaiserliche Marine. An Bord.

[

Am Lande.

(4 Wochen strenger, 6 Wochen mittlerer, 6 Wochen gelinder Arrest) ununterbrochen vollstreckt werden. Ueber die Dauer der dann ein­ tretenden Unterbrechung, die jedoch mindestens drei Tage betragen muß, entscheidet der zuständige Disziplinarvorgesetzte.

Neunter Abschnitt. Beschwerdeführung. Art der Beschwerdeführung.

§ 68. Beschwerden über eine Disziplinarstrafe dürfen von dem Bestraften erst nachdem die Strafe vollstreckt ist, in der für dienstliche Beschwerden vorgeschriebenen Form und auf dem Dienstwege angebracht werden. Erledigung von Beschwerden.

§ 69. Für die Erledigung von Beschwerden sind die Bestimmungen der Beschwerde-Ordnung maßgebend. Wird die Beschwerde für begründet erachtet und die verhängte Strafe aufgehoben oder abgeändert, so ist dies in das Führungsbuch des Bestraften und in das Strafbuch einzutragen und dem Beschwerde­ führer mitzutheilen. Zehnter Abschnitt.

Führung der Strafbücher. Führung der Strafbücher.

§ 70. Es sind drei Strafbücher zu führen: 1. Ein Buch für Offiziere und obere Marinebeamte sowie für die Fähnriche zur See*) und Unterärzte. Dieses Buch ist als „Persönliches" zu behandeln. 2. Ein Buch für die im § 6 Nr. 1 ausgeführten kleinen Strafen der Gemeinen einschließlich Seekadetten (Kleines Strafbuch). 3. Ein Buch für alle übrigen Strafen der Gemeinen einschließlich Seekadetten und für alle Strafen der Unteroffiziere einschließ­ lich der Deckosfiziere, Ingenieur- und Zahlmeister-Aspiranten (Großes Strafbuch). § 71. Strafbücher über Offiziere (§ 70 Nr. 1) haben die Dis­ ziplinarvorgesetzten zu führen, welche Offiziere mit Arrest bestrafen können. Ihnen haben die untergebenen Befehlshaber die über Offiziere verhängten Disziplinarstrafen zur Aufnahme in die Strafbücher sofort schriftlich zu melden. Die Strafbücher über Unteroffiziere und Gemeine hat der nächste Disziplinarvorgesetzte zu führen. *) Die Strafbücher der Fähnriche zur See der Marineschule werden von den Fähnrichsoffizieren jeder Kompagnie geführt.

88 68-75.

An Bord.

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Am Lande.

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In die Strafbücher sind auch die von höheren Vorgesetzten ver­ hängten Disziplinarstrafen und die gerichtlichen Strafen einzutragen. Die höheren Vorgesetzten haben den Befehlshabern, die die Strafbücher zu führen haben, schriftlich die erforderlichen Mittheilungen zu machen. Die von den in den §§ 15, 16, 21 aufgeführten Disziplinarvor­ gesetzten verfügten Strafen sind nur in die Strafbücher aufzunehmen, welche von diesen Disziplinarvorgesetzten geführt werden. § 72. Ueber die Führung der Strafbücher trifft die Anlage 2 die näheren Bestimmungen. Weitere Ausführungsbestimmungen über die Führung der Straf­ bücher dürfen nicht erlassen werden.

Elfter Abschnitt. Beaufsichtigung der Ausübung der Strafgewalt. Beaufsichtigung der Ausübung der Strafgeivalt.

§ 73. Jeder Disziplinarvorgesetzte hat die gerechte und zweck­ entsprechende Anwendung der seinen Untergebenen zustehenden Straf­ befugnisse und die vorschriftsmäßige Strafvollstreckung sorgfältig zu überwachen und zu dem Zwecke die Eintragungen in den Strafbüchern von Zeit zu Zeit zu prüfen. Straf-Prüfungsheste.

Die Ausstellungen sind in einem Prüsungsheft niederzulegen, das als „Persönliches" zu behandeln ist. Die Straf-Prüfungshefte sind mit den Strafbüchern einzureichen, und mit diesen, mit einem Prüfungsvermerk versehen, zurückzugeben. Aufhebung und Abänderung von Strafen.

§ 74. Findet ein Disziplinarvorgesetzter, daß 1. eine von seinen Untergebenen verhängte Strafe ihrer Art oder Dauer nach unzulässig, oder 2. daß der Untergebene zur Verhängung der Strafe nicht zuständig gewesen ist, so hat er die Strafe abzuändern oder aufzuheben. Muß eine Strafe aufgehoben oder abgeändert werden, die über eine inzwischen zu einem anderen Marinetheil oder zu einer anderen Marinebehörde kommandirte oder überwiesene Person (§ 25) verhängt war, so ist die Aufhebung durch den früheren zuständigen Disziplinar­ vorgesetzten zu verfügen. Die etwa erforderliche neue Strafe wird durch den nunmehrigen Disziplinarvorgesetzten verhängt. Die Bestimmung des § 69 Abs. 2 findet entsprechende Anwendung.

Zwölfter Abschnitt. Bestrafung von Angehörigen des Reichsheeres und der Schutztruppen.

§ 75. Die Disziplinarvorgesetzten der Kaiserlichen Marine sind auch befugt, Disziplinarstrafen in Gemäßheit dieser Disziplinarstraf-

1016 Bestimmungen über die Vollstreckung der Freiheitsstrafen an Bord, ordnung gegen die ihnen unterstellten Angehörigen des Reichsheeres und der Kaiserlichen Schutztruppen zu verhängen.

Anlage 1 zu § 64.

Auszug aus den Hestimmungen über die Vollstreckung der Freiheitsstrafen an Hord.

(M.Str.V.D.)

Allgemeine Vorschriften.

§ 1. 1. und 2. re. 3. Während der Verbüßung einer Freiheitsstrafe an Bord darf der Bestrafte nicht beurlaubt und nicht zu einem Dienste am Lande verwendet werden. Eine Heranziehung zum Bootsdienste ist nur dann zulässig, wenn die Besorgniß einer Entweichung nicht vorliegt. 4. und 5. rc. 6. Hat eine Strafvollstreckung an Bord begonnen, und ist die­ selbe zur Zeit der Ankunft des Schiffes in einem heimathlichen Kriegs­ hafen oder zur Zeit der Abkommandirung des Bestraften von Bord noch nicht vollenoet, so ist derselbe mit dem Rest der Strafe, welcher genau anzugeben ist, zur Fortsetzung der Strafe dem zuständigen Marinetheil zu überweisen. Einfacher Kammerarrest.

§ 2. 1. Der einfache Kammerarrest wird in der Kammer des Bestraften, oder, wenn derselbe eine Kammer nicht besitzt und eine solche auch nicht disponibel gemacht werden kann, in den die Stelle derselben vertretenden Räumen vollstreckt. 2. Dem Arrestaten ist der Aufenthalt in der Messe von der Morgenflaggenparade bis zur Hauptronde gestattet. Jedoch darf er an den gemeinschaftlichen Mahlzeiten und Unterhaltungen nicht theilnehmen, auch hat er im Falle des Besuches von nicht zum Schiffe gehörigen Personen die Messe zu verlassen. 3. Der Arrestat ist in der Regel zu dem gewöhnlichen Dienste heranzuziehen. Erachtet dies der Kommandant aus besonderen Gründen nicht für angemessen, so ist ihm der Aufenthalt an Deck oder in der Batterie bis zu zwei Stunden täglich zu gestatten, während welcher Zeit ein Verkehr mit Anderen zu vermeiden ist. 4. Im Uebrigen findet der § 7,2 und der § 16 der MilitärStrafvollstreckungsvorschrift sinngemäße Anwendung. Geschärfter Kammerarrest.

§ 3. 1. Der geschärfte Kammerarrest wird in einer Kammer ver­ büßt, welche unter Verschluß gehalten wird. 2. Der Arrestat steht während des ihm täglich für zwei Stunden zu gestattenden Aufenthalts an Deck oder in der Batterie unter Auf­ sicht des Offiziers der Wache. 3. Der Verkehr mit Anderen ist auch während dieses Aufenthalts zu vermeiden.

881-6.

1017

4. Im Uebrigen findet § 17 der Militär-Strafvollstreckungsvor­ schrift sinngemäße Anwendung. Gelinder Arrest.

§ 4.

1. Der gelinde Arrest wird von den Deckoffizieren in ihrer Kammer verbüßt. Der Aufenthalt in der Messe ist ihnen untersagt. Die Bestraften sind nach Maßgabe des § 2 zum Dienste heranzuziehen. Im Falle der Verurtheilte keine eigene Kammer hat, ist demselben vom Kommandanten ein entsprechender Aufenthaltsort anzuweisen. 2. An den übrigen Unteroffizieren und an den Gemeinen wird der gelinde Arrest in der Weise vollstreckt, daß der Bestrafte seine dienstfreie Zeit an einem abgesonderten Platze, woselbst er auch seine Mahlzeiten einzunehmen hat, zubringt. Der Genuß von Tabak ist ihm untersagt. Im Uebrigen wird der Bestrafte zum gewöhnlichen Dienste herangezogen. Mittlerer Arrest.

§ 5. 1. Der mittlere Arrest wird in den festen Schiffsarrest­ lokalen verbüßt. Soweit solche nicht oder nicht in ausreichender Zahl vorhanden sind, darf der Bestrafte in einem dazu geeigneten Raume, in welchem er von oer übrigen Schiffsbesatzung gänzlich getrennt ist, z. B. in der Last, oder in einem aus Segeltuchwänden herzustellenden, unter Aufsicht eines Postens befindlichen Raum an Deck oder in der Batterie untergebracht werden. Welche Räumlichkeiten hierzu mit Rücksicht daraus, daß der Auf­ enthalt darin die Gesundheit nicht schädigen darf, zu verwenden sind, bestimmt der Kommandant nach Anhörung des Arztes. e Soweit die Arresträume nicht durch Tageslicht erhellt sind, werden dieselben den Tag über durch eine Laterne erleuchtet, welche, außer­ halb des Lokales angebracht, ihr Licht durch ein starkes Glas hin­ einwirft. 2. Dem Arrestaten sind täglich im Ganzen zwei Stunden Be­ wegung in freier Luft unter Aufsicht eines Postens zu gestatten. Der Arrestat erhält des Nachts keine Hängematte und als Nahrung Wasser und Brot (650 g Hartbrot bezw. 1000 g Weichbrot pro Tag), mit Ausnahme des 4., 8., 12. und demnächst jeden 3. Tages, an welchen die volle Schiffsportion und Nachts die Hängematte für ihn verausgabt wird. Der Genuß von Tabak ist auch an diesen sogenannten „guten" Tagen untersagt. 3. Läßt der körperliche Zustand des Verurtheilten die Verbüßung des mittleren Arrestes nicht zu, so tritt gelinder Arrest von gleicher Dauer ein. Strenger Arrest.

§ 6.

1. Der strenge Arrest wird in einem dunklen Raume, im Uebrigen wie der mittlere Arrest verbüßt mit der Maßgabe, daß die volle Schiffsportion und die Hängematte am 4., 8. und demnächst an jedem 3. Tage gewährt wird. An diesen sogenannten „guten" Tagen findet auch eine Erhellung des Arrestlokals wie beim mittleren Arrest statt. 2. Ist die Einschließung in einem dunklen Raume nicht ausführ­ bar, so wird der strenge Arrest wie der mittlere Arrest verbüßt, jedoch

1018

Strafbuch für Offiziere usw.

mit der Schärfung, daß der Arrestat, außer an den guten Tagen, in dem Arrestraume an einem Fuße angeschlossen wird; die freie Be­ wegung innerhalb des Arrestraumes darf hierbei nicht behindert werden. 3. Läßt der körperliche Zustand des Verurtheilten die Verbüßung des strengen Arrestes nicht zu, so tritt eine gelindere Art des Arrestes (von gleicher Dauer) ein. Umwandlung des mittleren und strengen Arrestes.

§ 7. 1. Wenn eine zur Vollstreckung des mittleren oder strengen Arrestes geeignete Räumlichkeit nicht zur Verfügung zu stellen ist, in­ gleichen wenn nach dem pflichtmäßigen Ermessen des Kommandanten und nach ärztlichem Gutachten eine Vollstreckung nach §§ 5 und 6 in Anbetracht der Witterungs- und klimatischen Verhältnisse oder der Beschaffenheit der Luft in den Arresträumen gesundheitsschädigend er­ scheint, so wird die Strafe unter Heranziehung zum Dienste, wie folgt, vollstreckt: Der Verurtheilte wird während seiner dienstfreien Zeit an einem geeigneten abgesonderten Orte unter Aufsicht eines Postens gestellt. Hiermit ist zu verbinden: a) bei mittlerem Arrest: die Heranziehung zu beschwerlichen Dienst­ verrichtungen außer der Reihe, b) bei strengem Arrest: täglich zweistündiges Anbinden in auf­ rechter Stellung, so daß sich der Bestrafte weder setzen noch legen kann. Das Anbinden wird durch Festbinden der Hand­ gelenke in der Höhe des oberen Theils der Brust bewirkt, und zwar darf die Umschnürung der Handgelenke nicht so fest ge­ schehen, daß hierdurch Blutstockungen oder Anschwellungen an den Händen entstehen können. Ist das Anbinden des Bestraften aus besonderen Gründen nach pflichtmäßigem Ermessen des Disziplinarvorgesetzten nicht angängig, so kann die Verbüßung der Strafe bis zum Freiwerden einer Arrestzelle ausgesetzt werden. 2. Das Anbinden erfolgt an einem geeigneten und durch einen Vorhang von der übrigen Besatzung abgeschlossenen Orte an Deck, in der Batterie oder im Zwischendeck. Anlage 2 zu § 72.

§ 1. Das Strafbuch für Offiziere re. (siehe § 70 Abs. 1) ist nach Muster 1 anzulegen.

8 2. 1. Das große und kleine Strafbuch (siehe § 70 Abs. 2 u. 3) ist nach Muster 2 anzulegen. 2. Die kriegsgerichtlichen Strafen sind mit rother, die stand­ gerichtlichen mit blauer, die Disziplinarstrafen mit schwarzer Tinte einzutragen. Die Namen der Deckoffiziere und Unter­ offiziere sind zu unterstreichen.

881-3.

3.

4. 5. 6.

7.

8. 9.

1019

Die auf Grund des § 349 der M.Str.G.O. von dem Gerichtsherrn der niederen Gerichtsbarkeit zu verhängenden Strafen sind — entsprechend den standgerichtlichen — mit blauer und diejenigen von dem Gerichtsherrn der höheren Gerichtsbar­ keit — entsprechend den kriegsgerichtlichen — mit rother Tinte einzutragen. In die Spalten 2 und 3 sind diejenigen Strafen einzutragen, welche in den letzten 24, der Bestrafung vorhergehenden Mo­ naten verhängt worden sind. Die Vorstrafen sind mit der Farbe einzutragen, welche der Entstehung der Strafen entspricht. Vor dem Diensteintritt sowie als Schiffsjunge erlittene Strafen sind nicht einzutragen. In Spalte 5 ist als Vorname nur der Rufname aufzuführen. Spalte 6 und 7 sind auf Monate genau auszufüllen, z. B. 216.05. In Spalte 8 ist der Thatbestand in knapper, jeden Zweifel über die Art des Vergehens ausschließender Form einzutragen, z. B. Achtungsverletzung, unerlaubte Entfernung, Belügen eines Vor­ gesetzten auf Befragen in dienstlichen Angelegenheiten rc. — Be­ zeichnungen allgemeiner Natur, wie Unordentlichkeit, Faulheit, Drücken vom Dienst rc. sind unstatthaft. In solchen Fällen ist die Art des Vergehens näher zu erläutern, z. B.: „Herumliegen­ lassen von Zeug an verbotenem Ort." „Nicht rechtzeitiges An­ treten zum Dienst." „Verlassen der Reinschiffstation ohne Er­ laubniß" rc. Bei Urlaubsüberschreitungen, unerlaubter Entfernung rc. ist die Zeit anzugeben. Sind die Strafen gemäß § 3 des Ein­ führungsgesetzes zum M.Str.G.B. verfügt, so ist der Para­ graph des M.Str.G.B. anzuziehen. Bei gerichtlichen Strafen sind die Paragraphen, auf Grund deren die Bestrafung erfolgte, nicht anzugeben, sondern lediglich das Datum des Urtheils wie der Bestätigung. In Spalte 9 ist nur die Dienststellung, nicht der Name des be­ treffenden Disziplinarvorgesetzten einzutragen. Nur, wenn nicht der eigentliche Disziplinarvorgesetzte, son­ dern dessen Stellvertreter die Strafe verhängt hat, ist der Name des Letzteren hinzuzufügen. In Spalte 10 sind Arreststrafen nach Tagen, nicht nach Stunden emzutragen. Die Spalte 12 ist für Erläuterungen bestimmt, welche in be­ sonderen Fällen nothwendig werden, um z. B. die Gründe dar­ zulegen, welche für Bemessung einer anscheinend sehr hohen bezw. sehr gelinden Strafe maßgebend waren. Ferner sind in Spalte 12 die Gründe für Verzögerungen und Unterbrechungen der Strafvollstreckung einzutragen.

§ 3. Die Eintragungen in die Strafbücher sind, mit jedem Ka­ lenderjahr neu beginnend, fortlaufend zu numeriren. Nothwendige Durchstreichungen in den Eintragungen sind so auszuführen, daß das Durchstrichene noch zu lesen ist.. Die Aenderung ist durch Namens­ chiffre zu bescheinigen. Radirungen sind verboten.

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Strafbuch für Offiziere usw.

§ 4. Die Strafbücher sind, wenn sie Eintragungen enthalten, am Letzten eines jeden Monats von dem betreffenden Disziplinarvorgesetzten abzuschließen (siehe Muster 2). Sind keine Eintragungen enthalten, so ist dies für den betreffenden Monat anzugeben, z. B. „Monat März: Keine Strafen". An Bord erfolgt der Abschluß durch den Kommandanten. Der Erste Offizier hat den Abschluß gegenzuzeichnen. Bei der erstmaligen Gegenzeichnung hat der Erste Offizier seinen Namen in Klammern voll auszuschreiben. Bei eintretendem Wechsel sind die Strafbücher unter Angabe des Datums mit vollem Namen seitens des die Geschäfte abgebenden Offi­ ziers zu unterschreiben. Die Prozentzahl der Strafen ist aus Zehntel genau anzugeben. 8 51. Termin für Einreichung der Strafbücher zur Prüfung durch die höheren Disziplinarvorgesetzten ist der 1. Februar und der 1. August. 2. Die Strafbücher sind auf dem Dienstwege einzureichen. Die Strafbücher der Artillerie- und Minendepots sind in letzter Instanz von der Marinedepotinspektion zu prüfen. 3. Selbständige Schiffskommandos auf außerheimischen Stationen reichen eine vom Kommandanten unterzeichnete Abschrift der Eintragungen ein. 4. Die Ausstellungen, zu welchen alle Disziplinarvorgesetzten, denen die Strafbücher im Instanzenwege zugehen, gegebenenfalls ver­ pflichtet sind, sind in ein „Straf-Prüsungsheft" einzutragen. Dieses Heft ist als „Persönliches" zu behandeln. 5. Die Rückgabe der Strafbücher wie der Prüfungshefte erfolgt auf dem Dienstwege. Die betreffenden Disziplinarvorgesetzten haben die Kenntniß der Prüfungsbemerkungen durch einen schrift­ lichen Vermerk in dem Prüfungsheft zu bestätigen und gestellte Fragen zu beantworten. 6. Außerterminlich sind die Strasbücher von Schiffen bei Außer­ dienststellung sowie von Ablösungstransporten bei ihrer Auf­ lösung einzureichen. § 6. Hat ein bestrafter Kapitulant sich im aktiven Dienst vier Jahre hindurch so geführt, daß er weder gerichtlich mit Freiheitsstrafe noch disziplinarisch mit Arrest bestraft ist, so sind alle vor dieser Zeit erlittenen Disziplinarstrafen gelöscht. Die zu löschenden Strafen sind in den Strafbüchern zu streichen unter entsprechender Erläuterung in Spalte 12.

§ 7. Die unter den §§ 1 bis 6 aufgeführten Bestimmungen sind den Strafbüchern vorzuheften.

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