Die Landgemeindeordnung für die sieben östlichen Provinzen der Monarchie: Mit Einleitung, Anmerkungen und Sachregister [Reprint 2021 ed.] 9783112433409, 9783112433393


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German Pages 133 [142] Year 1892

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Die Landgemeindeordnung für die sieben östlichen Provinzen der Monarchie: Mit Einleitung, Anmerkungen und Sachregister [Reprint 2021 ed.]
 9783112433409, 9783112433393

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Die

MllilgmeinckeorMMg für die

sieben östlichen Provinzen der Monarchie mit

(Rntßifnng, Sbimßiliinißen mut cSntfireßilter. Herausgegeben von

Gustav Düllo, Stadtsyndikus a. D.

Wer-kin, 1891. Z. I. Heines Verlag.

Die neue Landgemeindeordnung wird für Diejenigen,

welche des Verfassers „Preußische Verwaltungsgesetze" besitzen, eine wünschenswerthe Ergänzung bilden.

Der

Verfasser hofft aber, daß die neue Landgemeindeordnung auch Denjenigen eine erwünschte Gabe sein wird, welche

sich für dies wichttge neue Gesetz interessiren und dasselbe in der Praxis anzuwenden Berufen sind. Die neue Landgemeindeordnung bildet den Schlußstein der Kom­

munalreform, welche uns so lange beschäftigt hat, und giebt den Landgemeinden und Gutsbezirken diejenige Selbstverwaltung, deren sich die Stadtgemeinden seit länger als 80 Jahren erfreuen. Sie wird den Land­ gemeinden die Möglichkeit gewähren, ihre Angelegen­ heiten selbst zu fördern, ihre Gerechtsame zu vertreten

und ihre Pflichten namentlich auf dem Gebiete des Schulwesens, der Armensachen und der Wegeverbesserung

zu erfüllen.

Der -Verfasser.

Inhaltsverzeichnis Seite. Einleitung 5—21 Erster Titel. Allgemeine Bestimmungen. §§ 1—4 ...............................................22—31 Zweiter Titel. Landgemeinden. 88 5—121. Erster Abschnitt. Rechtliche Stellung der Landgemeinden. §§ 5—6...................... 31—32 Zwei ter Abschnitt. Gemeindeangehörige­ deren Rechte und Pflichten. 88 7—38. 32—53 Dritter Ach schnitt. Gemeindeglieder, deren Rechte und Pflichten. 88 39—48. 53—63 Vierter Abschnitt. Gemeindevertretung. §§ 49—67 .......................................... 63—75 Fünfter Abschnitt. Gemeindevermögen. §§ 68—73 .......................................... 75—79 Sechster Abschnitt. Verwaltung der Landgemeinden. §§ 74—91..................... 79—90 Siebenter Abschnitt. Aushebung der mit dem Besitze gewisser Grundstücke verbundenen Berechtigung und Ver­ pflichtung zuv Verwaltung des Schulzenamtes. §§ 92—101 .... 90—93 Achter Abschnitt. Geschäfte der Gemeinde­ versammlung und Gemeindevertre­ tung. 88 102—116 .......................... 99—100 Neunter Abschnitt. Besoldete Gemeinde­ beamte, deren Gehälter und Pen­ sionen. 88 117—118........................... 100—101 Zehnter Abschnitt. Gemeindehaushalt. 88 119—131....................................... 101—103 Dritter Titet. Selbständige Gutsbezirke. §§ 122—127 .................................................... 10.3—106 Vierter Titel. Verbindung nachbarlich be­ lesener Gemeinden und selbstän­ diger Gutsbezirke behufs gemein­ samer Wahrnehmung kommunaler Angelegenheiten. 88 128—138 . . . .106—113 Fünfter Titel. Aussicht des Staates. §§ 139—145 .......................................... . . 113—116 Sechster Titel. Aussührungs- und Über­ gangsbestimmungen. 88 146—149. . . 116—119 Register..................................................................... 120—133

Einleitung. Die Reform der Landgemeindeordnung steht seit An­ fang dieses Jahrhunderts auf der Tagesordnung und erst gegen Ende dieses Jahrhunderts soll die lang­ ersehnte Reform ins Leben treten. Der 'Stand des Gemeindeverfassungsrechts in den östlichen Provinzen war seit lange in formaler wie materieller Beziehung ein durchaus unbefriedigender. In jener Hinsicht war fast Alles schwierig und zweifelhaft, in dieser fehlte es ost an den unentbehrlichsten Bestimmungen, es fehlte an leistungsfähigen Gutsbezirken und Gemeinden, es fehlte an einem Stimm- und Wahlrecht, welches den heutigen wirthschaftlichen und sozialen Anforderungen entspricht. Die Mängel der preutzischen Landgemeindeordnung sind im Laufe der Zeit immer empfindlicher geworden. Schon vor 80 Jahren, bald nach Erlaß der Städte­ ordnung, hätten wir eine Landgemeindeordnung erhalten, wenn der Freiherr vom Stein länger Minister des Inneren geblieben wäre. Aber die Reaktion wußte die Reform zu hintertreiben und die Gutsbezirke zu konserviren, wie sie die Patrimonialgerichtsbarkeit bis zum Jahre 1849, die gutsherrliche Polizeigewalt bis 1873 konservirt hat. So ist es gekommen, daß Preußen zur Zeit 15612 Gutsbezirke hat, welche die Reform der Landgemeindeordnung hinderten. Allerdings prätendirt

6

Einleitung.

ein sehr großer Theil dieser Rittergutsbesitzer die Eigen­ schaft von Gutsbezirksinhabern mit Unrecht, da ihre Vorbesitzer niemals Gutsunterthanen gehabt haben. Femer sind 616 Gutsbezirke im Laufe der Zeit so winzig geworden, daß sie weniger als 75 Hektar Um­ fang haben und von einer Leistungsfähigkeit derselben für öffentliche Zwecke kaum die Rede sein kann. Andere Gutsbezirke der preußischen östlichen Provinzen sind zu Kolonien geworden, denn es giebt 1310 solche Bezirke, welche mehr als 300 Einwohner zählen, und es sind einige 40 solche Bezirke vorhanden, welche mehr als je 1000 Einwohner haben. Dagegen existiren in den öst­ lichen Provinzen Preußens 4657 Landgemeinden, welche weniger als 101 Einwohner haben, und es liegt auf der Hand, daß in solchen Zwerggemeinden von der er­ forderlichen Leistungsfähigkeit kaum eine Spur vor­ handen sein kann. Solche Mißstände sollen beseitigt werden, und die Beseitigung solcher Mängel wird in Preußen ebenso ge­ lingen, wie sie in anderen Staaten gelungen ist. In Österreich, in Bayern, in Sachsen-Weimar kennt man keine selbständigen Gutsbezirke, und nach der Landge­ meindeordnung für das Königreich Sachsen erfolgt lange schon die Vereinigung mehrerer Landgemeinden, welche die ihnen obliegenden Pflichten allein nicht zu erfüllen vermögen, durch Anordnung des Kreishauptmanns nach Anhörung des Bezirksausschusses. Es ist aber eine nothwendige Aufgabe, leistungs­ fähige Landgemeinden zu schaffen, in denen sich wahr-

Einleitung.

7

Haftes Gemeindeleben entwickeln kann. Es giebt in Preußen Landgemeinden von zu geringer Einwohner­ zahl, als daß man im wahren Sinne von einer Ge­ meinde sprechen könnte, und es giebt Gutsbezirke von so kleinem Umfange oder Ertrage, daß von einer Leistungs­ fähigkeit derselben nicht die Rede sein tann; es sind Gutsbezirke vorhanden, welche sich thatsächlich bereits in Kolonien verwandelt und dadurch ihren Charakter umgewandelt haben, und wir finden Gutsbezirke und Gemeinden so im Gemenge, daß man nicht sieht, wo die Gemeinde anfängt und wo der Gutsbezirk aufhört. Die Vorlage wollte freilich von den 7817 Landge­ meinden, welche weniger als l£jO Einwohner haben, nur 2374 und von den 1328 Landgemeinden, welche im Gemenge liegen, nur 549 leistungsfähiger gestalten; von den 3430 Gutsbezirken aber, welche weniger als 125 Morgen Flächeninhalt haben oder nur 225 Mark Grund- und Gebäudesteuer zahlen, sollten nur 1030, von den 1310 Gutsbezirken, welche mehr als 300 Ein­ wohner haben, nur 138 und von den 4945 Gutsbe­ zirken, welche im Gemenge liegen, nur 515 mit Land­ gemeinden vereinigt werden. Die Reform betraf also nur 11 pCt. der 24 463 Landgemeinden und nicht ein­ mal 11 PCt. der 15 612 Gutsbezirke. Dazu kommt, daß sich das Verhältniß in einzelnen Provinzen noch viel ungünstiger gestaltet, in Ostpreußen z. B. die Re­ form nur auf 9 PCt. der Landgemeinden und nur auf 5 pCt. der Gutsbezirke angewendet werden sollte. Uns will scheinen, daß in der Regel wenigstens Landge-

8

Einleitung.

meinden und Gutsbezirke, welche im Gemenge liegen, vereinigt werden sollten, daß Gutsbezirke mit mehr als 300 Einwohnern sich zu Landgemeinden eignen, daß sich in Landgemeinden mit weniger als 150 Einwohnern, also mit weniger als 30 Gemeindegliedern kein Gemeinde­ leben entwickeln kann und daß Gutsbezirke mit weniger als 125 ha Flächeninhalt oder weniger als 225 Mk. Grund- und Gebäudesteuer nicht leistungsfähig sind. Es mag sein, daß hin und wieder Ausnahmen Vor­ kommen, aber Ausnahmen befestigen bekanntlich die Regel. Die Zulässigkeit der Verbindung nachbarlicher Gemeinden und Gutsbezirke zur gemeinsamen Wahr­ nehmung kommunaler Angelegenheiten, also namentlich für die Armenpflege, für die Volksschule, für die öffent­ lichen Wege, ändert hierin nichts, denn diese drei An­ gelegenheiten erschöpfen fast die ganze Aufgabe der länd­ lichen Kommunalsachen, und wenn die verbundenen Ge­ meinden diese Angelegenheiten gemeinschaftlich haben, so können sie alle Angelegenheiten gemeinsam behandeln und eine Gemeinde bilden. Die Vorlage beseitigt nebenbei auch die Sage, als ob die Armenlast im Osten so groß sei. Die sieben östlichen Provinzen Preußens hatten bei der vorletzten Volkszählung 16 787 181 Einwohner, wovon auf die Landgemeinden und Gutsbezirke, also auf das platte Land 9 958 188, auf die Städte 6 828 993 Einwohner entfielen- Das platte Land aber verwendete auf die öffentliche Armenpflege nur 7 292 084 Mk., während die Städte zu demselben Zwecke 21616 341 Mk. ausgaben

Einleitung.

9

und die Stadt Berlin mit ihren damals 1 315 287 Ein­ wohnern eine Armenlast von 7 318761 Mk. trug, so daß also die öffentliche Armenpflege für den Kopf der Bevölkerung auf dem Platten Lande 0,73 Mk., in den Städten 3,16 Mk., in Berlin 5,56 Mk. betrug. Trotz­ dem aber klagte man über die große Last der Armen­ pflege im Osten, und behauptete frischweg, daß die Armenpflege in den großen Städten außerordentlich viel schlechter als auf dem Lande sei! Doch wir müssen, um dies Alles klar zu legen, eine Entwickelung über die Landgemeinden und Gutsbezirke der sieben östlichen Provinzen Preußens in kurzen Zügen vorangehen lassen. Die freien Landgemeinden bestanden ursprünglich unabhängig neben den mit Hörigen besetzten Gütem der Grundherren, wurden dann aber durch die schweren Heerbannleistungen bedrückt, und der kleine freie Grund­ besitz begab sich, durch die Noth der Zeit veranlaßt, in den Schutz der Gutsherren, welche die Immunität, die Befreiung von der Amtsgewalt der königlichen Beamten, und obrigkeitliche Gewalt über ihre Hintersassen erlangten, so daß die Landgemeinde auf die Besitzer bäuerlicher Güter beschränkt wurde, die kleineren Besitzer, gegen Übernahme von Diensten und Leistungen, ihr freies Eigenthum den Gutsherren übertrugen und die freie Landgemeinde sich nur noch in einzelnen Gegenden Süd­ deutschlands erhielt. Im Laufe der nächsten Jahr­ hunderte aber entstand sie von Neuem auf dem Ge­ biete eines großen Theils der heutigen östlichen Pro­ vinzen Preußens, indem der deutsche Orden jedem, ihm

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Einleitung.

als Krieger dienende Mann und jedem Kolonisten gegen Kriegsdienstverpflichtung steies Grundeigenthum verlieh, welches nach Kulmischem Recht besessen wurde. So entstanden die freien Kulmischen Höfe und Dörfer; war aber einem freien Manne die Anlegung eines Dorfes nach Schulzenrecht übertragen, so erhielt er das Recht, Kolonisten einzusetzen und von diesen Dorfeingesessenen Dienste und Abgaben zu verlangen; war dagegen die Anlage eines Dorfes zu adligen Rechten verliehen, so hatte der Beliehene die Befugniß, das Dorf mit Hörigen zu besetzen. Diese Lage der preußischen Landgemeinden verschlechterte sich, als nach dem ersten Aufstande der Preußen gegen den Deutschen Orden die Unterworfenen zu Hörigen gemacht wurden. Doch war das Gesammtverhältniß der bäuerlichen Bevölkerung in Deutschland noch am Ende des Mittel­ alters ein verhältnißmäßig günstiges, denn der Bauer hatte vererbliches dingliches Recht an Grund und Boden, und das Recht des Grundherrn an dem bäuerlichen Besitze war beschränkt. Als jedoch mit dem Erlöschen des Ritterthums die Gutsherren sich auf ihre Güter zurückzogen und ihre grundherrlichen Befugnisse aus­ dehnten, als die Grundsätze des römischen Rechts auf die gutsherrlich-bäuerlichen Verhältnisse mißbräuchlich angewendet wurden, als die Unterdrückung der Bauern­ aufstände ihre Rückwirkung auch auf Norddeutschland übte, als der Bauernstand durch den 30 jährigen Krieg fast zu Grunde gerichtet war, bildete sich die Erbunterthänigkeit der hörigen Leute als Grundlage des länd-

Einleitung.

11

lichen Gemeinwesens aus und das herrschaftliche Gut umfaßte die ihm unterthänigen Bauern. Das Erb­ pacht- und Erbzinsverhältniß, welches ein Obereigenthum des Gutsherrn anerkannte, und das der Lassiten entstand, welche nur ein eingeschränktes und ost nicht erbliches Nutzungsrecht hatten; die Gutsunterthanen waren an die Scholle gebunden und die Gutsherren übten die obrigkeitlichen Rechte der Polizei und der Patrimonial­ gerichtsbarkeit aus. Dazu kam das Einverleiben bäuer­ lichen Landes in das herrschaftliche Gut, das Legen der Bauerngüter, wenn dieselben aus Mangel an Erben dem Gutsherrn Heimstelen, von den Bauern verlassen oder im Kriege zu „wüsten Hufen" geworden wären. Hiergegen schritt seit dem Jahre 1714 die Gesetz­ gebung ein und der räumlichen Ausdehnung der Ritter­ güter wurde allmählich eine Grenze gezogen. Damit begann die Reform zur Befreiung des Bauernstandes. Die Aufhebung der Erbunterthänigkeit der Domänenbauern und die Ablösung der Dienste derselben folgte. Aber erst mit dem Anfänge unseres Jahrhunderts wurde durch die Edikte vom 9. Oktober 1807 und vom 14. Sep­ tember 1811 jedem Einwohner die Erwerbung ländlichen Grundeigenthums gestattet, den Bauern freies Eigenthum der Höfe zu Theil und das Eigenthum der Gesammtheit der bäuerlichen Besitzer trat dem Eigenthume der Guts­ herren gegenüber, so daß sich eine bestimmte Abgrenzung des Gemeindebezirks gegen das herrschaftliche Gut voll­ zog. Das unterscheidende Merkmal des letzteren gegen andere Güter ist in dem ftüheren Verhältnisse der mit

12

Einleitung.

Herrschaftsrcchten bekleideten Gutsherren zu den früher untertänigen Besitzern der bäuerlicheil Grundstücke des Gutsbezirks zu suchen. Nachdem dann die Städte am 19. November 1808 Selbstverwaltung erhalten hatten, ward auch die Regelung der ländlichen Gemeindever­ hältnisse angeregt und der Staatsrath Köhler legte 1815 einen Entwurf vor, nach welchem Landgemeinden min­ destens 200 Feuerstellen und 1000 Einwohner, Guts­ bezirke aber eine Bevölkerung von wenigstens 50 Ein­ wohnern enthalten sollten. Gegen diesen Entwurf hegte man jedoch, wenn er anch theoretisch richtig sei, prak­ tische Bedenken, und er blieb unerledigt. Ebenso blieb ein neuer Anlauf, welchen man nach Publikation des Gesetzes vom 5. Juni 1823 wegen Anordnung der Pro­ vinzialstände nahm, ohne Erfolg und die von den Ober­ präsidenten eingereichten provinziellen Landgemeinde­ ordnungen wurden reponirt, weil die Angelegenheit mit „besonderer Vorsicht" behandelt werden müsse. Je mehr Friedrich Wilhelm III. den Rathgebern der Reaktion sein Ohr lieh, desto weniger Aussicht auf Erfolg hatte eine auf Selbstverwaltung gestützte Ordnung der länd­ lichen Gemeindeverhältnisse, und auch eine von dem Oberpräsidenten v. Schön 1835 vorgelegte Landgemeinde­ ordnung für die Provinz Preußen fand keine Billigung. Das Jahr 1848 brachte auch in die ländliche Ge­ meindeverfassungsfrage lebhafte Bewegung. Das Ge­ setz vom 2. Januar 1849 beseitigte die Patrimonial­ gerichtsbarkeit und das Gesetz vom regelte die Verfassung sämmtlicher

11. März 1850 Gemeinden des

Einleitung.

13

Staates. Aber schon der Erlaß vom 19. Juni 1852 sistirte die Durchführung der Gemeindeordnung und das Gesetz vom 14. April 1856 brachte eine überaus dürftige und kümmerliche Regelung der ländlichen Gemeindeverfassungen, indem es die vorhandenen Gemein­ den und Gutsbezirke einfach bestehen ließ und das aus­ schließliche Stimmrecht der Grundbesitzer konservierte. Die Kreisordnung vom 13. Dezember 1872 hat die länd­ lichen Kommunalangelegenheiten nur insoweit beeinflußt, als sie die gutsherrliche Polizeigewalt aufhob, das Auf­ sichtsrecht des Gutsherrn über die Landgemeinden besei­ tigte und diesen die Schulzen- und Schöffenwahl übertrug. Dies ist in großen Zügen der geschichtliche Verlauf, welchen die Entwickelung der Landgemeinden und Guts­ bezirke in den sieben östlichen Provinzen genommen hat, und cs fehlte noch viel, um die Selbstverwaltung auf dem platten Lande zur Durchführung zu bringen. Dazu ist vor allen Dingen die Bildung von Landgemeinden erforderlich, in denen sich, getragen von dem Gemein­ sinn aller Betheiligten, ein kräftiges Gemeindeleben ent­ wickeln kann, also die Beseitigung leistungsfähiger Zwerg­ gemeinden; dazu ist die Ausmerzung aller Gutsbezirke noth­ wendig, welche nichts als Duodezgebilde und historische Ruinen sind oder ihren Charakter durch Umbildung in Kolonien verloren haben; dazu muß die Zusammenlegung der im Gemenge befindlichen Gutsbezirke und Landge­ meinden erfolgen, welche thatsächlich bereits ein Ganzes bilden. Man kann der Vorlage zwar darin beitreten, daß

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Einleitung.

es zweckwidrig ist, eine Gemeinde künstlich zu bilden, wo es an der natürlichen Voraussetzung derselben fehlt. Aber ebenso richtig wird es sein, daß es prinzipwidrig ist, eine Gemeinde nicht zu bilden, wo die natürliche Voraussetzung derselben vorhanden, oder einen Gutsbe­ zirk bestehen zu lassen, dessen Besitzer kein geeigneter Träger zur Erfüllung der staatlichen Aufgaben ist. Wenn in einer Gemeinde die Elemente zur Durch­ führung des Kommunalprinzips nicht existieren, müssen mehrere Gemeinden vereinigt werden, um die erforder­ lichen Elemente zu finden; wenn ein Gutsbezirk leistungs­ unfähig ist, wird seine Angliederung an eine Gemeinde nothwendig, damit beide Gebilde vereinigt einen lebens­ fähigen Gemeindeverband bilden. Alle diese Maßnahmen sind im öffentlichen Interesse erforderlich und müssen vom Staate auch wider den Willen der Betheiligten durch­ geführt werden, denn dem öffentlichen Interesse muß das Belieben des Einzelnen sich unterordnen. Sehen wir nun zu, wie die Vorlage diesen Prinzipien genügte. Unter den 24 453 Landgemeinden der östlichen Provinzen haben 1514 nur bis 50, 3143 nur 51 bis 100, 3160 nur 101 bis 150 Einwohner und 1328 liegen im Gemenge. Es sind also 9145 oder 37 pCt., mithin mehr als ein Drittel aller Landgemeinden vorhanden, welche, mit vereinzelten Ausnahmen, lebens- und leistungs­ unfähig sein dürften. Von diesen 9145 kaum lebens­ fähigen Gemeinden aber hielt die Vorlage die Vereini­ gung von nur 713 mit höchstens 50 Einwohnern, von nur 1021 mit 51 bis 100 Einwohnern, von 640 mit

Einleitung.

15

101 bis 150 Einwohnern, von nur 549 im Gemenge liegenden Gemeinden, im Ganzen also die Vereinigung von nur 2923 oder 32 pCt. für ausführbar und empfehlenswerth. Noch schlimmer steht es mit den 15 612 Guts­ bezirken. Von diesen haben 616 nicht mehr als 75 ha, 824 nicht mehr als 75 bis 125 ha, 1990 zwar über 125 ha, zahlen aber weniger als 225 Mk. Grund- und Gebäudesteuer, 1310 haben mehr als 300 Einwohner und allein 4945 Gutsbezirke liegen im Gemenge. Es existieren hiernach 9685 oder 62 pCt. Gutsbezirke in den östlichen Provinzen, deren Lebensfähigkeit als selbst­ ständige Verwaltungskörper bestritten werden muß. Von diesen leistungsunfähigen Bezirken aber hielt die Vor­ lage nur 288 Gutsbezirke mit nicht mehr als 75 ha, nur 284 mit mehr als 75 bis 125 ha, nur 448 mit zwar über 125 ha, aber mit weniger als 225 Mk. Grund- und Gebäudesteuer, nur 138 mit mehr als 300 Einwohnern, nur 515 im Gemenge liegende Guts­ bezirke, im ganzen also nur 1673 oder 17 pCt. zur Vereinigung geeignet, weil dieselbe nur in diesen wenigen Fällen ausführbar und empfehlenswerth sei. Hierzu kommt, daß die Verhältnisse in den einzelnen Provinzen noch viel schlimmer liegen und in einzelnen Bezirken sehr verschieden sind. Die folgende Tabelle veranschau­ licht diese Verschiedenheit. Zur Erläuterung bemerken wir, daß die unter den fettgedruckten Zahlen befindliche Reihe die Prozentzahlen derjenigen Fälle enthält, in denen die Vereinigung nicht ausführbar oder nicht empfehlenswerth sein soll.

bis 50

51

bis

100

5 «**

im Ge­ 75 bis men­ M 150 ge 101

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8

Königsberg

13 | 19

15 8

20

Gumbinnen

11 I 28

18

2

12 13

Danzig

2

3

11

2

4

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Stettin Köslin

Stralsund Posen Bromberg

Breslau Liegnitz

Oppeln

36 70

62

4

10

50

3

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42

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48

33

11 27

11 5

4

88

69

2

52

3

24

4

10

8

14

9

15

14

4

8

16

10

5

8

14

14

13 20

16

17 24 19

43

27

8

10

24

67

48

55

40

4

10

17

3

61

13

9

29

12 17

14 3

4

16

26

28

13 7

10 15

2

53

3

19

3

100

5 55

3

23

9

33

11 37

6

14

8

11

2

7

13

0.5 3 50

0

6

6

13

13

1

69

2

Merseburg

1

Staat

58

63

Magdeburg

Erfurt

16

6

57

48

4

47 3

18

32

37

0 7

8

20

39 47

8

45

0.2 100

5

14

5

20

66

94

2

67

4

40

4

59

1

25

17 66

6

67

4

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3

32

3

51

gfi® 3 g” 18 8

300

Regierungs­ bezirk.

3

4

7

24 11

5

16

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9

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5

35

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30

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40

14

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27

11

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9

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6

64

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4

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7

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ii

1

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2

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1

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8

2

22

im Ge­ men­ ge

32

2

21

mehr als Einwohner

Gutsbezirke Prozentzahlen

Landgemeinden Einwohner nach Prozenten

6

20

3

40

9

14

13 23

8

18

5

18

1

7

52 2

3 38 8

2

80

13

68

43

0.7 48 0

26

8

32

11

10

Einleitung.

17

Was zunächst die Verschiedenheit betrifft, in welcher die kleinen Landgemeinden in den 17 Regierungsbezirken vorkommen, so ergiebt die vorstehende Tabelle, daß die Durchschnittszahl der ganz kleinen Landgemeinden mit höchstens 50 Einwohnern für den Staat 6 pCt. beträgt, und daß über diesem Durchschnitte die Bezirke Stettin, Stralsund und Posen mit je 8 pCt., Cöslin mit 9 pCt., Gumbinnen mit Il pCt., Königsberg und Bromberg mit je 13pCt. stehen; auch bezüglich der Gemeinden mit 51 bis 100 Einwohnern befinden sich über dem staat­ lichen Durchschnittsprozentsatze von 13pCt. die Bezirke Stettin und Posen mit je 14, Köslin mit 15, Stral­ sund mit 16, Königsberg mit 19, Bromberg mit 20 und Gumbinnen mit 23pCt.; ebenso übertreffen rück­ sichtlich der Landgemeinden mit nur 101 bis 150 Ein­ wohnern den Durchschnittssatz für den Staat, welcher 13pCt. beträgt, die Bezirke (Stettin, Köslin und Posen mit je !4pCt., Königsberg mit 15pCt., Bromberg mit 16pCt. und Gumbinnen mit 18pCt. Hiernach haben also die Provinzen Ostpreußen, Posen und Pommern die kleinsten Landgemeinden, während die Provinzen Westpreußen, Brandenburg, Schlesien und Sachsen, in denen die Acker- und Produktionsverhältnisse günstiger liegen, eine so große Zahl kleiner Landgemeinden nicht aufweisen. Was die Gemengelage betrifft, so weisen die Bezirke Merseburg mit 8, Breslau mit 9, Liegnitz mit 11, Oppeln mit 14pCt. höhere Durchschnittszahlen als der Staat auf, während Gumbinnen, Danzig, Ma­ rienwerder, Frankfurt, Magdeburg nur je 2 PCt. solcher Dullo, Landgemeindeordnung. 2

18

Einleitung.

Gemeinden, Potsdam, Stettin und Bromberg nur je 3 pCt., Königsberg und Köslin nur 4 PCt. haben. Wesentlich anders gestaltet sich die Sache bei den Gutsbezirken. Die Durchschnittszahl der Duodezguts­ bezirke beträgt für den Staat 4pCt. und über dieselbe kommen Königsberg und Oppeln mit je 5, Merseburg mit 9, Erfurt mit 10, Gumbinnen mit 12 pCt. Bei der folgenden Klasse mit 75 bis 125 Mk. beläuft sich der staatliche Satz auf 5 PCt., während der für Danzig 6, Oppeln und Breslau je 7, Königsberg 8, Merseburg 11, Gumbinnen 13 und Erfurt 15 pCt. beträgt, so daß also hier die Differenzen bunt durch einander gehen. Aehnlich steht es betreffs der Gutsbezirke, welche trotz eines Areals von mehr als 125 ha mit 225 Mk. Grundund Gebäudesteuer zahlen. Bei den kolonieenartigen Gutsbezirken stellt sich's so, daß über dem staatlichen Durchschnittsatze von 8 pCt. Stettin und Stralsund mit je 9 PCt., Bromberg und Danzig mit je 11 PCt., Ma­ rienwerder mit !3pCt., Posen mit 11 pCt. und Köslin mit 21 pCt. rangiren, so daß also Westpreußen, Posen und Pommern die kolonieenreichsten Gutsbezirke haben. Von den im Gemenge liegenden Gutsbezirken haben die Provinzen Brandenburg, Schlesien und Sachsen, die Bezirke Köslin und Posen die meisten. Diesen Uebelständen abzuhelfen, ist nach der Vorlage, wie oben bemerkt, gerade bei den Gutsbezirken am wenigsten geschehen, und die „schonende Hand", mit welcher nach der Thronrede die Sache angefaßt worden, ist allerdings recht rücksichtsvoll gewesen.

Einleitung.

19

Diesen Uebelständen ist auch bei der Berathung nicht nur nicht abgeholfen, sondern die Vorlage aus den Beschlüssen des Abgeordneten- und Herrenhauses nichts weniger als verbessert hervorgegaugen. Wir erwähnen hier nur die Bestimmungen über die Vereinigung von Landgemeinden mit Gutsbezirken wider den Willen der 'Betheiligten und über das Wahlrecht. Die Vorlage wollte jene Vereinigung, lediglich nach Anhörung der Betheiligten und des Kreisausschusses, im öffentlichen Interesse durch königliche Genehmigung herbeiführen. Das Abgeordnetenhaus aber änderte die Vorlage, nach sehr lebhaften Kämpfen in der Kommission dahin, daß der Kreisausschuß, obwohl er den betreffenden Verhält­ nissen in sehr bedenklicher Weise nahe steht, über die Vereinigung beschließen, daß zwar gegen diesen Beschluß die Beschwerde an den Bezirksausschuß, demnächst so­ wohl den Betheiligten wie dem Vorsitzenden des Bezirks­ ausschusses die Beschwerde an den Provinzialrath und endlich dem Oberpräsidenten, falls er das öffentliche Interesse durch den Beschluß des Provinzialraths für gefährdet erachtet, die Beschwerde an das Staatsmini­ sterium offen stehen solle. Erwägt man jedoch, welche Stadien danach die Vereinigung von Landgemeinden mit Gutsbezirken wider den Willen der Betheiligten, der leider in sehr vielen Fällen erklärt werden dürste, zu durchlaufen haben und welch ein Aufwand von Arbeit und Energie nothwendig sein wird, um eine solche Ver­ einigung, welche die Vorbedingung zur Reform der Landgemeindeordnung bildet, herbeizuführen, so kann 2*

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Einleitung.

man sich der Besorgnis nicht verschließen, daß solche Vereinigungen noch weit hinter dem in der Vorlage in Aussicht genommenen, sehr bescheidenen Maße zurück­ bleiben werden. Nimmt man dazu, daß das öffentliche Interesse nur in den, unter Nr. 5 des 8 2 aufgeführten Fällen als vorliegend angesehen werden soll, und daß der Kreisausschuß, wie der Bezirksausschuß und der Provinzialrath, in welchem die Gegner einer reformirten Landgemeindeordnung eine dominirende Stellung ein­ nehmen, in vielleicht recht seltenen Fällen finden werden, daß ein öffentliches Interesse zur Vereinigung von Land­ gemeinden mit Gutsbezirken vorliegt, so wird die eben­ erwähnte Besorgniß noch erheblich verstärkt werden. Was das Wahlrecht in den Landgemeinden betrifft, so hatte die Vorlage, wie kaum anders zu erwarten, nicht nur-das Dreiklassenwahlsystem beibehalten, sondern auch die Interessen des Grundbesitzes in recht weit­ gehender Weise gewahrt. Das Abgeordnetenhaus ist aber über die Vorlage noch erheblich hinausgegangen und hat gemeint, den Besitz vor den nichtbesitzenden Klassen noch viel mehr sichern zu müssen. Besonders bemerkenswerth ist dabei, daß man vor der Oeffentlichkeit der Gemeindeversamnllungen eine große Scheu an den Tag gelegt und sie mit besonderen Kautelen umgeben zu sollen für nöthig erachtet hat, obwohl doch bekannt ist, daß die Oeffentlichkeit der Stadtverordnetenversammlnngen thatsächlich fast nur für die Zeitungsreporter besteht, man also noch viel weniger zu fürchten brauchte, die Landgemeindeversammlungen würden für ein großes

Einleitung.

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und recht bedenkliches Publikum interessant genug sein, um sich in Massen dort einzustnden und sie zu beein­ flussen. Das Herrenhaus hat dann der so „verbesserten" Landgemeindeordnung im wesentlichen zugestimmt, nach­ dem es dieselbe auch seinerseits noch dahin „verbessert" hatte, daß der Provinziallandtag befugt sein soll, die Stimmberechtigung der Gemeindemitglieder zu ändern, daß die Wahldaner der Gemeindevorsteher von 6 auf l 2 Jahre erhöht wird und daß nur Gemeindeberechtigte den Sitzungen der Gemeindeversammlungen als Zuhörer beiwohnen dürfen. Das Abgeordnetenhaus beschloß darauf, daß Gemeindevorsteher und Schöffen auf sechs Jahre gewählt werden sollten, nach dreijähriger Amts­ dauer aber auf weitere neun Jahre gewählt werden könnten, und ließ als Zuhörer auch Gemeindeangehörige (§7), so wie Forensen und deren Vertreter zu. Diesen Be­ schlüssen stimmte dann das Herrenhaus bei. Die Landgemeindeordnung kann hiernach nur als eine sehr kleine Abschlagszahlung und nur als ein An­ fang der Reform' angesehen werden, welche seit dem Be­ ginne unseres Jahrhunderts gefordert ist und mannig­ facher Ausgestaltungen bedürfen wird, um auch nur maßvollen Ansprüchen zu genügen. Doch auch die kleinste Abschlagszahlung ist besser, als gar keine Zah­ lung, und auch hier wird die Nothwendigkeit einer Einlösung der vollen Schuld seiner Zeit eintreten.

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Landgemeindeordnung.

Wir Wilhelm, von Gottes Gnaden König von Preußen re. verordnen unter Zustimmung beider Häuser des Landtages für die Provinzen Ostpreußen, West­ preußen, Brandenburg, Pommern, Posen, Schlesien und Sachsen, was folgt:

Erster Titel. Allgemeine Bestimmungen. § 1. Die gegenwärtige Landgemeindeordnung findet in den Provinzen Ostpreußen, Westpreußen, Branden­ burg, Pommern, Posen, Schlesien und Sachsen hinsicht­ lich der Landgemeinden und selbständigen Gntsbezirke Slntoettbiing1)Landgemeinden kann die Annahme der Landgemeindeordnung auf ihren Antrag nach An­ hörung des Kreistages und Provinziallandtages durch königliche Verordnung gestattet2) werden. § 2. Die zur Zeit des Inkrafttretens dieses Ge­ setzes vorhandenen Landgemeinden und Gutsbezirke 1) Den Geltungsbereich der Landgemeindeordnung be­ stimmt das Gesetz in derselben Meise, wie die Städteordnung V0M 30. Mai 1853. 2) Der 2. Absatz folgt, indem er Landgemeinden die An­ nahme der Städreordnung und Städten die der Landgemeinde­ ordnung gestattet, dem § i7 des Gesetzes vom w. April 1856.

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Landgemeindeordnung.

Wir Wilhelm, von Gottes Gnaden König von Preußen re. verordnen unter Zustimmung beider Häuser des Landtages für die Provinzen Ostpreußen, West­ preußen, Brandenburg, Pommern, Posen, Schlesien und Sachsen, was folgt:

Erster Titel. Allgemeine Bestimmungen. § 1. Die gegenwärtige Landgemeindeordnung findet in den Provinzen Ostpreußen, Westpreußen, Branden­ burg, Pommern, Posen, Schlesien und Sachsen hinsicht­ lich der Landgemeinden und selbständigen Gntsbezirke Slntoettbiing1)Landgemeinden kann die Annahme der Landgemeindeordnung auf ihren Antrag nach An­ hörung des Kreistages und Provinziallandtages durch königliche Verordnung gestattet2) werden. § 2. Die zur Zeit des Inkrafttretens dieses Ge­ setzes vorhandenen Landgemeinden und Gutsbezirke 1) Den Geltungsbereich der Landgemeindeordnung be­ stimmt das Gesetz in derselben Meise, wie die Städteordnung V0M 30. Mai 1853. 2) Der 2. Absatz folgt, indem er Landgemeinden die An­ nahme der Städreordnung und Städten die der Landgemeinde­ ordnung gestattet, dem § i7 des Gesetzes vom w. April 1856.

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bleiben in ihrer bisherigen Begrenzung unter den nach­ folgenden Maßgaben bestehen: L Grundstücke, welche noch keinem Gemeinde- oder Gutsbezirke angehören, sind, sofern nicht ihre Eingemeindung in einen Stadtbezirk geeignet er­ scheint, nach Vernehmung der Betheiligten durch Beschluß des Kreisausschusses3)4 mit 5 einer Land­ gemeinde oder einem Gutsbezirke zu vereinigen. Aus solchen Grundstücken kann, soweit dies nach ihrem Umfange und ihrer Leistungsfähigkeit an­ gezeigt erscheint, mit königlicher Genehmigung*) ein besonderer Gemeinde- oder Gutsbezirk ge­ bildet werden. 2. Landgemeinden und Gutsbezirke, welche ihre öffentlich-rechtlichen Verpflichtungen zu erfüllen außer Stande sind, können durch königliche An­ ordnung aufgelöst b) werden. Die Regelung der kommunalen Verhältnisse der Grundstücke der­ selben erfolgt nach Maßgabe der Vorschriften in Nr. 1. 3. Landgemeinden und Gutsbezirke können mit an­ deren Gemeinde- oder Gutsbezirken nach An­ hörung der betheiligten Gemeinden und Guts3) Diese Bestimmung entspricht dem § i des Gesetzes vom 14. April 1856. 4) Auch hier ist bestehendes Recht ausgenommen. 5) Schon nach § 18« tit. 6 Th. II d. A. L. R., war der Staat berechtigt, eine Gemeinde auszuheben, wenn der im Grundvertrage vorgeschriebene Zweck derselben nicht ferner erreicht werden kann.

Landgemeindeordnung.

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besitzer, sowie des Kreisausschusses licher Genehmigung vereinigt werden,

mit könig­ wenn die

Betheiligten hiermit einverstandenG) sind.

Wenn

ein Einverständniß der Betheiligten nichts) zu er­ zielen ist, so ist die Zustimmung derselben, sofern

das öffentliche Interesse dies erheischt, im Be­

schlußverfahren

ersetzen.

durch

den Kreisausschuß v)

zu

Gegen den auf Beschwerde ergehenden

6) Die Betheiligten waren jedoch bisher in seltenen Fällen einverstanden und diese, auch bisher geltende Vorschrift ist daher nicht von durchgreifender Wirkung gewesen. 7) Für die vorlandrechtliche Zeit genügte das thatsäch­ liche Bestehen als bäuerliche Feldmark mit bäuerlichen Be­ sitzern zur Existenz als Dorfgemeinde, für die nachlandrecht­ liche Zeit war landesherrliche Genehmigung zur Konstituirung als Landesgemeinde erforderlich. 8) Der ourch die Reform zu beseitigende Uebelstand zeigt sich darin, daß eine erhebliche Anzahl unverhättnißmäßig kleiner und leistungsunsähiger Landgemeinden und Gutsbe­ zirke vorhanden ist, daß eine erhebliche Anzahl von Gutsbe­ zirken mit einer unverhältnißmäßig großen Einwohnerzahl besteht, daß eine große Zahl von Landgemeinden und Guts­ bezirken mit anderen Kommunalbezirken in engem Zusammen­ hänge steht. Die Nothwendigkeit, leistungsfähige kommunale Körperschaften zu bilden, tritt am schärfsten im Regierungs­ bezirke Gumbinnen hervor; in dem Regierungsbezirke Königsberg liegen die Verhältnisse zwar weniger un­ günstig, doch giebt es auch dort viele Landgemeinden, in welchen ein eigentliches Gemeindeleben nicht besteht; in dem Regierungsbezirke Danzig ist hervorgetreten, daß in den vielen kleinen Gemeinden die erhöhten Anforderungen, welche jetzt an die Gemeindebeamten gestellt werden müssen, selten voll befriedigt werden können; der Regierungsbezirk Marien­ werder bietet für die angemessene Begrenzung der Ge­ meindebezirke außergewöhnliche Schwierigkeiten, weil die frühere Verwaltung alle, einem Gemeindebezirke nicht ange­ hörigen größeren Besitzungen als Gutsbezirke behandelte; im Regierungsbezirk Frankfurt a. O. kommen, namentlich in der Lausitz, mehrfach Gutsbezirke mitten in einer Stadt vor, und in vielen Landgemeinden befinden sich fiskalische Dors-

Landgemeindeordnung.

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Beschluß des Bezirksausschusses o) steht den Be­ theiligten und nach Maßgabe des § 123 des Geauen, deren Fortbestand das Gemeindeinteresse beeinträch­ tigt.- auch in dem Regierungsbezirke Cöslin macht sich die geringe Leistungsfähigkeit eines großen Theiles der Landge­ meinden fühlbar; der Regierungsbezirk Posen weist eine beträchtliche Zahl von kleinen und im Gemenge befindlichen Landgemeinden auf, deren Vereinigung mit anderen Gemein­ den nothwendig ist; ebenso ist im Regierungsbezirke Brom­ berg die Leistungsunfähigkeit zahlreicher ländlicher Gemein­ den sestgeftellt und beispielsweise im Kreise Wongrowitz giebt es 6 Gemeinden, welche weniger als 20 Einwohner haben; im Regierungsbezirke Magdeburg ist die Nothwendigkeit der Bereinigung von Domänen mit benachbarten Land­ oder Stadtgemeinden dargethan; im Regierungsbezirke Merseburg läßt namentlich die Gemengelage Aenderungen des kommunalen Verhältnisses erforderlich scheinen. Alle diese Uebelstände müssen im öffentlichen Interesse beseitigt werden, find aber unter Zustimmung der Betheiligten, welche jeder Reform abhold, oft indolent ihr Interesse über das der Gemeinde setzen, nur selten zu beseitigen. Die Vorlage ver­ langte daher, daß in allen Fällen, in denen die Vereinigung im öffentlichen Interesse liegt, diese, nach Anhörung der Bethetligten und des Kreisausschusses, mit königlicher Genehmi­ gung sollte erfolgen dürfen. Hiergegen erhob sich jedoch in der Kommission des Abgeordnetenhauses lebhafte Opposition. Man erklärte die Vereinigung von Guts- und Gemeindebezirken wider den Willen der Betheiltgten für einen erheb­ lichen Eingriff in die private Rechtssphäre der Betheiltgten, obwohl sichs doch lediglich um öffentliches Recht handelt, und für eine nicht unbedenkliche Erweiterung der Befugnisse der Staatsgewalt, obgleich doch nur die Staatsgewalt so schrei­ ende Mißstände, wie sie die Ausdehnung der Privattnteressen geschaffen, beseitigen kann; daß man eine Einschränkung der gegenwärtigen Machtbefugnisse der Krone anstrebe, wurde in Abrede gestellt, obwohl sie thatsächlich eingetreten ist. Nach langen Verhandlungen kamen im Wege des Kompromisses die im Gesetze befindlichen Bestimmungen zu Stande, welche die Vorlage sicher nicht verbessert haben. Der Kreisausschuß steht den Interessen der Betheiligten viel zu nahe und in demselben überwiegt das der Reform widerstrebende Element viel zu sehr, als daß man von ihm eine geeignete Durch­ führung des Gesetzes erwarten dürfte. 9) Auch in dem Bezirksausschüsse überwiegen die reform-

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setzes über die allgemeine Landcsverwaltung vom 30. Juli 1883 (Gesetz-Samml. S. 195) dem Vor­ sitzenden ^o) des Bezirksausschusses die weitere Beschwerde an den Provinzialrath zu. (Krachtet der Oberpräsidentll * *)12 * *das * 10 öffentliche Interesse durch den Beschluß des Provinzialraths für ge­ fährdet, so steht demselben in der gleichen Weise (§ 123 a. st. O.) die Beschwerde an das