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German Pages 563 [564] Year 1975
Strafrecht Allgemeiner Teil Eine Einführung in programmierter Form
Dr. Diethelm Kienapfel o. Professor der Rechte an der Universität Linz
w DE
1975 Walter de Gruyter • Berlin • New York
Inhaltsverzeichnis Vorwort Hinweise für den Bearbeiter LE 1 Einleitung LE 2 Strafen und Maßregeln der Besserung und Sicherung LE 3 Grundbegriffe 1 LE 4 Grundbegriffe 2 LE 5 Grundbegriffe3 LE 6 Fallpriifungsschema LE 7 Handlungsbegriff LE 8 Tatbestandsmerkmale LE 9 Deliktsgruppen LE 10 Kausalität LE11 Notwehr LE 12 Rechtfertigender Notstand F 1 Fallbearbeitung 1 1. Fall: „Volltreffer!" LE 13 Schuldbegriff der Vorsatzdelikte LE 14 Schuldfähigkeit W 1 Wiederholung 1 1 Wissenstest 2 Verständnistest LE 15 Vorsatz LE 16 Tatbestandsirrtum LE 17 Unrechtsbewußtsein LE 18 Verbotsirrtum LE 19 Irrtum über einen rechtfertigenden Sachverhalt LE 20 Entschuldigender Notstand F 2 Fallbearbeitung 2 , 2. Fall: „Hände h o c h ! " 3. Fall: Bartel und die Dogge LE 21 Stadien des vorsätzlichen Delikts LE 22 Aufbau der Versuchsprüfung LE 23 Rücktritt und tätige Reue L E 24 Untauglicher Versuch F 3 Fallbearbeitung 3 4. Fall: Auf den Hund gekommen 5. Fall: „Noch alles in Ordnung, Doktor? " LE 25 Fahrlässigkeitsdelikte 1 LE 26 Fahrlässigkeitsdelikte 2 LE 27 Fahrlässigkeitsdelikte 3 F 4 Fallbearbeitung 4 6. Fall: Kleine Ursache, große Wirkung 7. Fall: Der Tod eines Handlungsreisenden LE 28 Unterlassungsdelikte 1 LE 29 Unterlassungsdelikte 2 L E 30 Unterlassungsdelikte 3 F 5 Fallbearbeitung 5 8. Fall: Der Moser und die alte Schrammel 9. Fall: Tote klopfen nicht W 2 Wiederholung 2 1 Wissenstest 2 Verständnistest Sachregister
V X 1 15 31 45 60 75 90 105 120 134 147 162 178 178 185 200 217 217 225 232 249 264 278 294 309 327 327 329 333 349 366 382 400 400 404 408 424 441 459 459 462 466 483 499 518 518 521 528 528 537 545
ISBN 3 11 0 0 4 6 0 1 6 © Copyright 1975 by Walter de Gruyter & Co., vormals G. J. Göschen'sche Verlagshandlung, J. Guttentag, Verlagsbuchhandlung Georg Reimer, Karl J. Trübner, Veit & Comp., Berlin 30. — Alle Rechte, auch die des auszugsweisen Nachdrucks, der photomechanischen Wiedergabe, der Herstellung von Mikrofilmen und der Übersetzung, vorbehalten. - Printed in Germany. Satz: IBM-Composer, Jürgen Prill - Druck: Color-Druck, Berlin - Bindearbeiten: Buchbinderei Wübben, Berlin
Vorwort I Dieses Lernprogramm ist gezielt als vorlesungs- und übungsvorbereitender Lernbehelf entwickelt worden. Es richtet sich ausschließlich an Studenten, welche die Vorlesung Strafrecht Allgemeiner Teil noch nicht gehört haben (= Strafrechtsanfänger). Vor allem in ihren dogmatischen Partien stellt die Vorlesung Strafrecht Allgemeiner Teil Anforderungen, denen der durchschnittliche Strafrechtsanfänger kaum gewachsen ist, weil die Sprach- und Verständnisbarrieren des Fachs hoch und nur schwer zu überwinden sind. Aufwand und Mühen des Vortragenden stehen daher oft in keinem Verhältnis zu dem Gewinn, den der Strafrechtsanfänger aus der Vorlesung tatsächlich zieht. Den Strafrechtsanfänger an das in der Vorlesung und den Anfängerübungen vorausgesetzte Sprach- und Verständnisniveau heranzuführen, ist das erklärte Ziel dieses Lernprogramms. Auf Grund mehrjähriger Testungen dieses Lernprogramms an verschiedenen Universitäten steht fest, daß dieses Ziel in vollem Umfang erreicht wird. Das Lernprogramm gewährleistet eine rationelle, didaktisch sorgfältig gelenkte und in ihrer Lernwirksamkeit empirisch überprüfte Aneignung jener Begriffe, Institute und Denkstrukturen, die zum Verständnis der Vorlesung Strafrecht Allgemeiner Teil und der strafrechtlichen Übung für Anfänger unentbehrlich sind (= strafrechtliches Basiswissen). Bei vorlesungsvorbereitender Durcharbeit dieses Lernprogramms ist garantiert, daß der Strafrechts an fänger 1. das strafrechtliche Basiswissen bereits beherrscht und mit ihm operieren kann, wenn er in die Vorlesung kommt; 2. neue strafrechtliche Begriffe und Institute in die ihm bereits bekannten und durchschaubaren Systemzusammenhänge einordnen kann; 3. in der Lage ist, die wissenschaftlichen Kontroversen des Faches zu erfassen und zu gewichten, was ihm sonst mangels hinreichend sicherer Grundkenntnisse nicht möglich ist; 4. weniger, aber gezielter mitschreibt und dafür mehr mitdenkt; 5. eine deutlich höhere Lernmotivation mitbringt, die sich insbesondere in größerer Aktivität und Mitarbeit in Vorlesungen und Übungen niederschlägt; 6. durch die in das Lernprogramm eingebauten schriftlichen Bearbeitungen ausgewählter Fälle bereits mit den für die Anfängerübungen unentbehrlichen Mechanismen (z.B. Auslegung/Definition/Subsumtion) und Techniken (z.B. den verschiedenen Fallprüfungsschemata) vertraut ist. II Eigenart und Effizienz dieses Lernprogramms ergeben sich nicht zuletzt aus der Eigenart und Effizienz der zugrundegelegten multifaktoriellen didaktischen Konzeption. Das bedeutet im einzelnen: 1. Die Darstellung ist gezielt am Vorwissen des Strafrechtsanfängers, nämlich dem Vorwissen „ O " ausgerichtet. 2. Das strafrechtliche Basiswissen wird in kleinen Lernschritten entwickelt. Es finden nur solche Begriffe Verwendung, die zuvor erläutert worden sind. Insoweit ist das Lernprogramm gleichsam als Stufenleiter von jeweils bereits erklärten Begriffen konzipiert. Seine Dynamik und Wirksamkeit erschließen sich daher nur dem, der das Lernprogramm genau in der Reihenfolge seiner didaktischen Elemente durcharbeitet. 3. Der Lernstoff wird reduziert und gewissermaßen „rationiert". Dies geschieht insbesondere dadurch, daß das Lernprogramm nur auf die Erklärung weiterführender und übergreifender Begriffe und Zusammenhänge hinarbeitet. Sonstige wichtige Informationen
V
VI sind in das Lernprogramm nur aufgenommen, wenn und soweit sie das Verständnis der Begriffe der ersten Kategorie fördern. Aus dieser Konzeption erklärt sich die bewußt einkalkulierte „Lückenhaftigkeit" des Lernprogramms. 4. In sachlich-theoretischer Hinsicht verfolgt das Lernprogramm eine mittlere Linie. Der den Strafrechtsanfänger zwangsläufig verwirrende und ohne ausreichendes strafrechtliches Basiswissen gar nicht begreifbare Schulen- und Meinungsstreit ist ganz bewußt ausgeklammert. Den Zugang dazu findet der Student durch die Vorlesung und die ausgewählten Literaturhinweise am Schluß jedes Lernelements. 5. Für jedes Lernelement ist ein begrenztes, für jeden Bearbeiter sicher erreichbares Lernziel festgelegt. 6. Es werden didaktisch sorgfältig konstruierte und in ihrer Lernwirksamkeit empirisch üb erprüfte Lernschritte verwendet. 7. Jedes Fortschreiten im Lernprozeß erfordert vom Bearbeiter schriftliche Antworten. Sie sichern ein Höchstmaß an Konzentration, Aktivität und Engagement. 8. J e d e r Student bearbeitet das Lernprogramm in dem Tempo, das seiner individuellen Lerngeschwindigkeit entspricht. Dies gehört zu den unabdingbaren Voraussetzungen, um einen optimalen Lernerfolg zu erzielen. 9. Der persönliche Lernerfolg wird jedem Bearbeiter häufig und unmittelbar bestätigt. Durch die Rücksichtnahme auf die individuelle Lerngeschwindigkeit, durch den Wechselrhythmus von Stoffvermittlung und Anwendung, verbunden mit ständiger Selbstkontrolle und sofortigem Erfolgserlebnis, wird der in hohem Maße motivationsfördernde Effekt der programmierten Unterweisung voll genutzt^). 10. Der Lernstoff wird didaktisch möglichst abwechslungsreich, anschaulich, facettenreich, assoziierbar, redundant und einprägsam organisiert (Beispiele, Schaubilder, Testfragen, Wiederholungselemente, Zusammenfassungen u.ä.). Aus der begrenzten Zielsetzung dieses Lernprogramms (s. I) ergibt sich, daß es sich weder als Vorlesungs- noch als Lehrbuchersatz versteht. Insbesondere werden die vielfältigen historischen, sozialwissenschaftlichen, philosophischen und rechtsvergleichenden Aspekte des Allgemeinen Teils, die Kontroversen und abweichenden Meinungen, die diffizilen Detailprobleme und die aktuellen Bezüge bewußt nicht dargestellt. Diese Akzentuierungen sind Sache des jeweiligen Vortragenden und bezeichnen die traditionelle Domäne der Vorlesung. Programmierter Unterricht kann diesen ganz unverzichtbaren Funktionen der Vorlesung Strafrecht Allgemeiner Teil weder in adäquater noch in ökonomisch vertretbarer Weise Rechnung tragen2). III Der didaktische Grundgedanke dieses Lernprogramms geht dahin, mit Hilfe eines geeigneten Mediums eine spezifische Einführungsphase in die Strafrechtsdogmatik für Strafrechtsanfänger zu schaffen und optimal zu gestalten. Erganzungsund W r t i e f u n g s p h a s e
Einfiihrungs phase
Lernprogramm
Vorlesungen Übungen Seminare Konversatorien Repetitorien Literaturstudiu Entscheidungs lektüre
1) Zur Methode des programmierten Lernens im Rechtsunterricht vgl. Dilcher, JZ 1970, S. 214 ff; Kienapfel, JR 1972, S. 89 ff. 2) Zum Verhältnis von Lernprogramm und Vorlesung vgl. Kienapfel,
JZ 1971, S. 417 ff (419).
VII Ein s o l c h e r „ E i n s t i e g " trägt n i c h t u n e r h e b l i c h d a z u bei, die E f f i z i e n z d e r b i s h e r i g e n Form e n des s t r a f r e c h t l i c h e n U n t e r r i c h t s z u steigern. Die V o r l e s u n g S t r a f r e c h t A l l g e m e i n e r Teil k a n n w e s e n t l i c h e Ergänzungs-, W i e d e r h o l u n g s - u n d V e r t i e f u n g s f u n k t i o n e n ü b e r n e h m e n u n d vielfach auf Diskussionsbasis g e s t a l t e t w e r d e n 3 ) . Sie w i r d a u c h f ü r d e n V o r t r a g e n d e n selbst i n t e r e s s a n t e r . D e n n , a n d e r s als b i s h e r , b r a u c h t er e i n e n G r o ß t e i l der o h n e h i n k n a p p b e m e s s e n e n V o r l e s u n g s s t u n d e n n i c h t m e h r d a r a u f z u v e r w e n d e n , sich m i t d e r Erklär u n g f ü r i h n längst s e l b s t v e r s t ä n d l i c h g e w o r d e n e r , für d e n S t r a f r e c h t s a n f ä n g e r a b e r d o c h recht komplizierter dogmatischer Begriffe herumzuplagen. IV Das L e r n p r o g r a m m ist speziell für d e n R e c h t s u n t e r r i c h t a n U n i v e r s i t ä t e n e n t w i c k e l t w o r d e n . Es geht auf m e i n 1 9 7 4 im Verlag M a n z p u b l i z i e r t e s L e r n p r o g r a m m „ E i n f ü h r u n g in das ö s t e r r e i c h i s c h e S t r a f r e c h t " z u r ü c k , w e l c h e s seinerseits seit 1 9 7 1 im L e h r b e t r i e b d e r Universität Linz (Burgstaller, Kienapfel) u n d seit 1 9 7 3 im L e h r b e t r i e b d e r Universität Graz (Moos) e r p r o b t w o r d e n u n d d o r t s e i t h e r im s t ä n d i g e n E i n s a t z i s t ^ ) . Die w e i t g e h e n d e Ä h n l i c h k e i t des gleichzeitig m i t d e m n e u e n A l l g e m e i n e n Teil des S t G B a m 1 . 1 . 1 9 7 5 in K r a f t g e t r e t e n e n ö s t e r r e i c h i s c h e n S t G B h a t es e r m ö g l i c h t , G r u n d k o n z e p t i o n , S t r u k t u r u n d die l a n g j ä h r i g e n E r f a h r u n g e n a u c h d i e s e m L e r n p r o g r a m m z u g r u n d e z u l e g e n 5 ) . Dieses L e r n p r o g r a m m ist i m WS 1 9 7 4 / 7 5 a n d e r Universität F r e i b u r g (Behrendt) u n d — in e i n z e l n e n L e r n e l e m e n t e n — a u c h im L e h r b e t r i e b d e r Universität G i e ß e n (Triffterer) eingesetzt u n d erprobt worden. Das L e r n p r o g r a m m b e s t e h t aus i n s g e s a m t 3 7 d i d a k t i s c h e n E l e m e n t e n v o n u n g e f ä h r gleicher B e a r b e i t u n g s d a u e r . Die e i g e n t l i c h e S t o f f v e r m i t t l u n g obliegt 3 0 L e r n e i n h e i t e n ( L E ) , die v o n d e n S t u d e n t e n s c h r i f t l i c h d u r c h g e a r b e i t e t w e r d e n . Z u j e d e r LE g e h ö r t eine T e s t e i n h e i t ( T E ) . In ihr w e r d e n a u s g e w ä h l t e F r a g e n gestellt, d u r c h d e r e n e b e n f a l l s s c h r i f t l i c h e B e a n t w o r t u n g die S t u d e n t e n die in d e r L E e r w o r b e n e n K e n n t n i s s e u n d F ä h i g k e i t e n z u r A n w e n d u n g bringen. H i n z u k o m m e n zwei ü b e r g r e i f e n d e W i e d e r h o l u n g s e i n h e i t e n (W) in d e r M i t t e u n d a m E n d e des P r o g r a m m s , z u m Teil m i t S e l b s t b e n o t u n g s m ö g l i c h k e i t . Schließlich s i n d a n geeign e t e n Stellen i n s g e s a m t 5 F a l l b e a r b e i t u n g s e i n h e i t e n (F) e i n g e s t r e u t . Sie d i e n e n d e r V o r b e r e i t u n g auf die s t r a f r e c h d i c h e Ü b u n g für A n f ä n g e r . V o n d e n w e s e n t l i c h e n d o g m a t i s c h e n P a r t i e n sind n u r die L e h r e n v o n d e r T e i l n a h m e u n d d e n K o n k u r r e n z e n weggelassen — vorn e h m l i c h aus K o s t e n g r ü n d e n . Die E n t w i c k l u n g dieses L e r n p r o g r a m m s h a t fast f ü n f J a h r e b e a n s p r u c h t . In dieser Zeit ist es i m m e r w i e d e r Einzel- u n d G r u p p e n t e s t u n g e n a n S t r a f r e c h t s a n f ä n g e r n u n t e r z o g e n w o r d e n . A u f G r u n d c o m p u t e r u n t e r s t ü t z t e r A u s w e r t u n g e n dieser Testergebnisse w u r d e es m e h r -
3) Behrendt spricht in seinem Erfahrungsbericht über den Einsatz dieses Lernprogramms an der Universität Freiburg von einem spürbaren „Defizit" an mündlicher Kommunikation; vgl. Behrendt, JR 1975, S. 190. Diese Beobachtung ist zutreffend. Sosehr das Bedürfnis nach mündlichem Dialog gerade durch das Lernprogramm geweckt wird, sowenig kann es ihm abhelfen. Jeder Einsatz programmierter Lernhilfen bedarf zur vollen Wirksamkeit stets mündlicher Ergänzung, Problematisierung und Vertiefung. 4) In Österreich hat jüngst eine lebhafte Diskussion zwischen Fachvertretern (Moos, Zipf, Schima), Assistenten und zahlreichen Studenten über Effizienz und Grenzen des strafrechtlichen Lemprogramms eingesetzt; vgl. dazu die jeweiligen Stellungnahmen in ÖHZ 27. Jg. (1975), Heft 4, S.l 1 f und Heft 5, S. 14 (wird fortgesetzt). 5) Die einzelnen Kapitel des deutschen und des österreichischen Lernprogramms stimmen überein. Dies nicht zuletzt auch deshalb, um zumindest auf der Ebene des strafrechtlichen Basiswissens eine rasche rechtsvergleichende Orientierung zwischen dem neuen deutschen und dem neuen österreichischen Strafrecht zu ermöglichen.
VIII fach überarbeitet und verbessert. Zum Druck gelangt nunmehr die achte Programmfassung. Die nach dieser außerordentlich aufwendigen Testungs- und Validierungsphase erreichte hohe Richtigkeitsquote der Antworten trägt entscheidend zum Lehr- und Lernerfolg dieses Programms bei 6). Das Lernprogramm ist während der verschiedenen Phasen seiner Erstellung von den Professoren Dr. Manfred Burgstaller (Linz), Dr. Winfried Platzgummer (Wien) u n d Dr. Joachim Herrmann (Augsburg) eingehend begutachtet worden. Wesentliche Hinweise u n d praktische Erfahrungen mit dem Einsatz des Lernprogramms im Unterrichtsbetrieb haben die Professoren Dr. Reinhard Moos (Graz) und Dr. Otto Triffterer (Gießen) und Akademischer Oberrat Dr. Hans-Joachim Behrendt (Freiburg) einschließlich der zahlreichen am praktischen Einsatz dieses Lernprogramms beteiligten Assistenten beigetragen. V Das Lernprogramm ist sowohl für das häusliche Selbststudium als auch für den unmittelbaren vorlesungsvorbereitenden Einsatz in Kleingruppen konzipiert. Besonders geeignet sind Anfängerarbeitsgemeinschaften und Anfängertutorien. Die Gruppengröße soll 30 Kursteilnehmer nicht übersteigen. Da die Bearbeitung der einzelnen didaktischen Elemente (LE, W, F) nur ausnahmsweise eine ganze Doppelstunde ausfüllt, bleibt in der Regel Zeit für Diskussionen mit dem Veranstaltungsleiter über den Stoff. Die Durcharbeit des gesamten Lernprogramms erfordert gemäß der Zahl seiner didaktischen Elemente 3 7 Doppelstunden. Das gelegentliche Einschieben von zusätzlichen Diskussionsstunden kann zweckmäßig sein. Bisher wurden die folgenden Einsatzmöglichkeiten des Lernprogramms im Rechtsunterricht erprobt: Linz: Anfängerarbeitsgemeinschaft. 6wöchiger Intensivkurs in Blockform zu Semesterbeginn 7 ). Unmittelbar nach diesem Intensivkurs, d.h. erst in der zweiten Semesterhälfte, beginnt die eigentliche Vorlesung Strafrecht Allgemeiner Teil. Graz: Kompletter Programmeinsatz in einer Anfängerarbeitsgemeinschaft über ein ganzes Semester^). Freiburg: Kompletter Programmeinsatz in einer Anfängerarbeitsgemeinschaft über ein ganzes Semester parallel zur Vorlesung Strafrecht Allgemeiner Teil. Um den nötigen „Vorsprung" vor der Vorlesung zu gewinnen, wurden die Lernprogrammstunden in der ersten und zweiten Semesterwoche stark erhöht. Danach wurde der Unterricht mit je zwei Doppelstunden pro Woche weitergeführt 9). Gießen: Einsatz einzelner LE und TE unmittelbar in der in zwei Gruppen aufgeteilten Vorlesung. Lernprogramm- und Vorlesungsstunden wechselten einander ab. Die denkbaren Einsatzmöglichkeiten dieses Lernprogramms sind damit nicht erschöpft. Es sollte allerdings beachtet werden, daß die Effizienz dieses Lernprogramms bei reinen Strafrechtsanfängem (s. I) am größten ist und danach abnimmt. Außerdem sollte die
6) Sie liegt im Durchschnitt für die LE bei über 90%, für die TE bei über 80% und für die W-Einheiten bei über 75%. Die F-Einheiten entziehen sich schematischer Bewertung. Zur Beurteilung der Effizienz dieses Lernprogramms im Freiburger Rechtsunterricht unter Heranziehung weiterer Kriterien
vgl. Behrendt, JR 1975, S. 190.
7) Vgl. dazu Kienapfel,
ÖHZ 27. Jg. (1975), Heft 3, S. 18 f.
8) Vgl. dazu Moos, ÖHZ 27. Jg. (1975), Heft 5, S. 14.
9) Vgl. dazu Behrendt, JR 1975, S. 190.
IX G r u p p e n g r ö ß e v o n 3 0 K u r s t e i l n e h m e r n n i c h t ü b e r s c h r i t t e n w e r d e n , u m d i e b e w u ß t eink a l k u l i e r t e g r u p p e n d y n a m i s c h e K o m p o n e n t e g e m e i n s c h a f t l i c h e r B e a r b e i t u n g u n d Diskussion d e s L e r n p r o g r a m m s z u n u t z e n 10). In einer G r o ß v e r a n s t a l t u n g w u r d e das L e r n p r o g r a m m n o c h n i c h t e i n g e s e t z t . Dies d ü r f t e sich n u r b e i großzügigen R a u m v e r h ä l t n i s s e n (Tische) e m p f e h l e n , d a d u r c h das vorzeitige W e g g e h e n d e r r a s c h e r e n P r o g r a m m b e a r b e i t e r die K o n z e n t r a t i o n d e r übrigen b e e i n t r ä c h t i g t w i r d . VI Ich h a b e in vielfältiger Weise z u d a n k e n : D e n g e n a n n t e n K o l l e g e n u n d i h r e n A s s i s t e n t e n für z a h l r e i c h e u n d w e r t v o l l e A n r e g u n g e n . M e i n e m A s s i s t e n t e n Dr. Herbert Wegscheider für langjährige M i t a r b e i t an d i e s e m Forschungsprojekt u n d die Leitung der EDV-Auswertungen. Für die M ü h e n d e r D u r c h s i c h t d e r M a n u s k r i p t e u n d d e r A n f e r t i g u n g des Registers cand. jur. Herwig Siegl u n d cand. jur. Wolfgang Kronsteiner, d i e zeitweise v o n F r ä u l e i n Ursula Gangibauer u n t e r s t ü t z t w u r d e n . Für die A n f e r t i g u n g d e r M a n u s k r i p t e F r a u Brigitte Steininger.
Schwendinger
und Frau
Marianne
Last n o t least d e n vielen S t u d e n t e n , die in d e n v e r s c h i e d e n e n E n t w i c k l u n g s p h a s e n das L e r n p r o g r a m m b e a r b e i t e t h a b e n . O h n e i h r e M i t a r b e i t w ä r e das L e r n p r o g r a m m n i c h t das g e w o r d e n , was es h e u t e ist.
Aus Thaddäus Troll, D e u t s c h l a n d d e i n e S c h w a b e n , h a b e ich m a n c h e s Vergnügliche entn o m m e n , v o n d e m ich h o f f e , d a ß es die P r o g r a m m b e a r b e i t e r e b e n s o e r h e i t e r t w i e m i c h .
Es h a n d e l t sich u m d a s erste d e u t s c h e s t r a f r e c h t l i c h e L e r n p r o g r a m m . Da es w e i t e r e n t w i c k e l t w e r d e n soll, b i n ich für alle A n r e g u n g e n , K o m m e n t a r e u n d k r i t i s c h e n B e m e r k u n g e n d a n k b a r u n d b e g r ü ß e alle E x p e r i m e n t e , w e l c h e d e n E i n s a t z u n d d i e W i r k s a m k e i t dieses B u c h e s b e t r e f f e n . Ich s t e h e a u c h gerne für e r g ä n z e n d e A u s k ü n f t e z u r V e r f ü g u n g . Linz, 1.5.1975
Diethelm
A n s c h r i f t : I n s t i t u t für S t r a f r e c h t u n d S t r a f p r o z e ß r e c h t , Universität Linz, A - 4 0 4 5 Linz-Auhof
10) Vgl. auch Behrendt, JR 1975, S. 190.
Kienapfel
XI
Hinweise für den Programmbearbeiter
Die Benutzung dieses Lernprogramms setzt das Mitlesen wichtiger Bestimmungen des Strafgesetzbuches (StGB) u n d anderer Gesetze voraus. Sie benötigen unbedingt die entsprechenden Gesetzestexte. Schaffen Sie sich daher einen Schönfelder, Deutsche Gesetze, Sammlung des Zivil-, Strafund Verfahrensrechts, Beck-Verlag, München an, der auf dem neuesten Stand ist. Sie brauchen ihn für Ihr Studium ohnehin. Zur Ergänzung u n d Vertiefung der im Lernprogramm behandelten Fragenkomplexe finden sich am Ende jeder LE (bzw. TE) weiterführende Literaturhinweise. Verwiesen wird insbesondere auf die folgenden Werke: Baumann, Strafrecht, Allgemeiner Teil, 7. Auflage, 1975; Bockelmann, Jescheck,
Strafrecht, Allgemeiner Teil, 1973;
Lehrbuch des Strafrechts, Allgemeiner Teil, 2. Auflage, 1972;
Kienapfel,
Strafrechtsfälle, 3. Auflage, 1975;
Maurach, Deutsches Strafrecht, Allgemeiner Teil, 4. Auflage, 1971; Mezger-Blei,
Strafrecht, I. Allgemeiner Teil, 15. Auflage, 1973;
Schmidhäuser,
Strafrecht, Allgemeiner Teil, 1970;
Stratenwerth,
Strafrecht, Allgemeiner Teil I, 1971;
Wessels, Strafrecht, Allgemeiner Teil, 4. Auflage, 1974. Wenn Sie das L e m p r o g r a m m nicht in einem Programmkurs, sondern im häuslichen Selbststudium bewältigen, wird dringend empfohlen, mit anderen Programmbearbeitern eine private Arbeitsgruppe zu bilden, u m über Fragen zu sprechen, die bei der Durcharbeit der einzelnen Lernelemente u n d der dazu angegebenen Vertiefungsliteratur erfahrungsgemäß a u f t r e t e n . Die ideale Teilnehmerzahl einer solchen Arbeitsgruppe sind 3 bis 4 Personen.
1
EINLEITUNG
LE 1
L e r n z i e 1 : In dieser Lerneinheit (LE) sollen Sie sich zunächst mit der Arbeitsmethode dieses Lernprogramms vertraut machen. Sodann werden Sie sich mit den Begriffen „Sachverhalt", „subsumieren" und „Auslegung" beschäftigen.
Die vom herkömmlichen Lehrbuch abweichende Methode dieses Lernprogramms verlangt von Ihnen eine ungewohnte Arbeitstechnik. Ungewohnt werden für Sie die in den Text eingestreuten Fragen und andere Aufgaben sein. Wenn eine solche Frage auftaucht, müssen Sie das vorher Gelesene noch einmal überdenken. Dann finden Sie sicher schnell die Antwort. Begnügen Sie sich nicht damit, die Antwort nur zu denken. Was man niederschreibt, prägt sich besser ein. Schreiben Sie Ihre Antwort in den bei der Aufgabe dafür vorgesehenen freien Raum, und zwar so vollständig wie möglich. Manche Ihrer Antworten müssen außerdem eine Begründung enthalten, weil Sie so am besten überprüfen können, ob Sie das Gelesene verstanden haben. Wenn Sie Ihre Antwort begründen sollen, werden Sie jeweils dazu ausdrücklich aufgefordert werden. Das sieht dann etwa folgendermaßen aus: Müssen Sie in den Fällen, in denen Sie ausdrücklich dazu aufgefordert werden, Ihre Antwort begründen? X /
Ne
in
Begründung: U ) ^
'M.OltA CU(.{
Diese Darstellung erfaßt nur die Grobstruktur der strafrechtlichen Fallprüfung. J e d e einzelne der hier aufgeführten vier Stufen zerfällt ihrerseits in weitere Unterabschnitte und Teilprüfungen. Dazu später mehr. An die hier angegebene Reihenfolge der Prüfungsabschnitte des Fallprüfungsschemas müssen Sie sich bei jeder Fallprüfung halten!
86
Testfragen zur LE 6
TE 6
1.1
Haben die Begriffe „rechtswidrig" und „Unrecht" denselben Inhalt? J a / Nein
1.2
Definieren Sie „rechtswidrig"!
3.1
Definieren Sie „Unrecht"!
1.3
Nennen Sie in der richtigen Reihenfolge sämtliche Stufen des Fallprüfungsschemas!
1.4
Eine der vier Stufen des Fallprüfungsschemas sollen Sie nur dann ausdrücklich prüfen, wenn besondere Umstände im Sachverhalt dies nahelegen. Welche Stufe ist das?
2.1
Auf der Stufe II, der Stufe der Rechtswidrigkeit, geht es in allen strafrechtlichen Fällen stets um dieselbe Frage. Wie lautet diese Frage?
1.5
Definieren Sie „Tat"!
1.6
Eine tatbestandsmäßige Handlung, die nicht durch einen Rechtfertigungsgrund gerechtfertigt ist, bezeichnet man mit zwei kurzen Worten als
1.7
Definieren Sie „Straftat"! (Bitte sämtliche Merkmale anführen!)
Testfragen
TE 6 2.2
87
Vergleichen Sie die Definition der Straftat mit den Stufen des Fallprüfungsschemas. Was fällt Ihnen daran auf?
2.3
Wodurch unterscheidet sich der Begriff „Straftat" vom Begriff „Tat"?
2.4
A hat B in Notwehr erschlagen. Sie untersuchen die Strafbarkeit des A. 1. Welche Stufe(n) im Fallprüfungsschema werden Sie genauer untersuchen?
2. Welche Stufe(n) werden Sie bei der Fallprüfung allenfalls in Gedanken streifen?
3. Welche Stufe(n) des Fallprüfungsschemas dürfen Sie in unserem Fall gar nicht prüfen?
2.5
Der indische Student Mujibur Rahman (R) läßt sich im Josephskrankenhaus die vereiterten Mandeln herausnehmen. Mit Evipan betäubt, beißt R dem Operateur Dr. Tonsillex (T) heftig in den Finger. T zeigt R wegen Körperverletzung (§ 223 (1)) an. Wird es zu einer diesbezüglichen Verurteilung des R kommen? J a / Nein Begründung:
2.6
Im Falle 2.5 beginnt Ihr Kommilitone bei der strafrechtlichen Prüfung dieses Falls sogleich mit der dritten Stufe, der Schuld. Richtig / Falsch Begründung:
2.7
TE 6
Testfragen
88
Kreuzen Sie jene Stufen des Fallprüfungsschemas an, welche mindestens erfüllt sein müssen, damit verhängt werden kann eine Strafe
eine Maßregel d.B.u.S.
•
Handlungsbegriff
•
Handlungsbegriff
•
Tatbestandsmäßigkeit
•
Tatbestandsmäßigkeit
•
Rechtswidrigkeit
•
Rechtswidrigkeit
•
Schuld
•
Schuld
3.2
Nennen Sie mindestens drei Unterschiede zwischen Strafen und Maßregeln d.B.u.S.!
5.1
Sowohl die Verhängung einer als auch einer setzt mindestens eine rechtswidrige Tat voraus. Warum?
2.8
Die hessische Autobahnpolizei stoppt einen Wagen, der auf der Sauerlandautobahn kilometerlang gegen die Fahrtrichtung gefahren war. Als die zwei Insassen gefragt werden, wer von ihnen denn das Auto gelenkt habe, versichert der „Klügere" treuherzig: ,, Wir saßen beide auf dem Rücksitz ". Es stellt sich alsbald heraus, daß es sich um zwei Geisteskranke aus Schalksmühle handelt.
Unwahrscheinlich? Geschehen! Wenn auch nicht in Hessen. Eine Bestrafung des Fahrers wegen „Gefährdung des Straßenverkehrs" (§ 315 c (1) Z 1 a und Z 2 f) scheitert mangels Tatbestandsmäßigkeit / Rechtswidrigkeit / Schuld. Immerhin liegt eine Straftat / Tat / rechtswidrige Tat vor. Aus diesem Anlaß k o m m t eine Unterbringung des Fahrers in einem in Betracht, wenn die Voraussetzungen des § erfüllt sind.
Literatur: Zum Fallprüfungsschema und seiner Ordnungsfunktion vgl. Baumann aaO. § 15 I; Jescheck aaO. § 2\\Kienapfel aaO. § b\Mezger-Blei aaO. § 16 u. § 17.
TE 6
Antworten
89
1.1
Nein!
1.2
Eine Tat ist rechtswidrig, wenn sie nicht durch Rechtfertigungsgründe gerechtfertigt ist.
3.1
Unrecht ist eine Handlung, die gegen die Rechtsordnung als Ganzes verstößt.
1.3
Handlungsbegriff, Tatbestandsmäßigkeit, Rechtswidrigkeit und Schuld
1.4
Der Handlungsbegriff
2.1
Ist die Tat durch einen Rechtfertigungsgrund gerechtfertigt? (o.ä)
1.5
Tatbestandsmäßige Handlung
1.6
rechtswidrige Tat
1.7
Tatbestandsmäßige, rechtswidrige und schuldhafte Handlung
2.2
Die vier Merkmale der Straftat sind identisch mit den vier Stufen des Fallprüfungsschemas (o.ä.).
2.3
Tat = tatbestandsmäßige Handlung Straftat setzt über die „Tat" hinaus noch „Rechtswidrigkeit" und „Schuld" voraus (o.a.).
2.4
1. Tatbestandsmäßigkeit und Rechtswidrigkeit 2. Den Handlungsbegriff 3. Die Schuld
2.5
Nein! Bezüglich der Körperverletzung (§ 223 (1)) ist nicht einmal der Handlungsbegriff
2.6
Falsch! Erstens darf bei einer Fallpriifung nie „hinten" (oder „in der Mitte") begonnen werden. Zweitens: ist der Handlungsbegriff nicht erfüllt, kommt schon deshalb eine Bestrafung nicht in Betracht. Es ist daher nicht nur unnötig, sondern sogar falsch, die Frage der Schuld überhaupt anzuschneiden.
2.7
Strafe: Handlungsbegriff, Tatbestandsmäßigkeit, Rechtswidrigkeit und Schuld Maßregel d.B.u.S.: Handlungsbegriff, Tatbestandsmäßigkeit und Rechtswidrigkeit. (Die Schuld kann, muß aber nicht erfüllt sein!) Strafen Zweck
Vergeltung + Spezialprävention + Generalprävention
erfüllt (o.ä.).
Maßregeln d.B.u.S. nur Spezialprävention
Voraussetzung
Schuld des Täters
besondere Gefährlichkeit des Täters
Übel
ja (beabsichtigt)
ja (unbeabsichtigt)
Schuld
erforderlich
nicht erforderlich
5.1
Strafe; Maßregel d.B.u.S. Weil der Täter, der eine gerechtfertigte Tat begangen hat, im Einklang mit der Rechtsordnung gehandelt hat. Seine rechtswidrige Tat ist erlaubt (o.a.).
2.8
Schuld; rechtswidrige Tat; psychiatrischen Krankenhaus; § 63 (1)
HANDLUNGSBEGRIFF
90
LE 7
L e r n z i e l : In dieser LE werden Sie sich einerseits mit den beiden Erscheinungsformen der menschlichen Handlung beschäftigen, dem „Tun" und dem „Unterlassen". Andererseits werden Sie den strafrechtlichen Handlungsbegriff und seine Bedeutung für die Fallprüfung näher kennenlernen.
Es gibt nur zwei Erscheinungsformen der Handlung: entweder man tut etwas oder man unterläßt etwas.
Die Stiefmutter Nichtschwimmer
vergiftet ihre kleine Stieftochter; der Bademeister ins Wasser, so daß dieser ertrinkt.
Hoppe stößt
einen
In beiden Fällen wird der Tatbestand des Totschlags (§ 212 (1)) durch ein Tun verwirklicht. Die Stiefmutter läßt ihre kleine Stieftochter verhungern; der Bademeister ruhig zu, wie ein hilferufender Nichtschwimmer ertrinkt.
Hoppe
(1) In beiden Fällen wird derselbe Tatbestand (§ 212 (1)) durch ein licht.
sieht verwirk-
Es ist einsichtig, daß sich eine Strafe an ein bestimmtes Tun knüpfen kann. Aber auch wer etwas unterläßt, kann bestraft werden. „Tun" und „Unterlassen" unterscheiden sich allein darin, wie eine Straftat verwirklicht wird. Für die Frage, ob überhaupt bestraft wird, besteht grundsätzlich kein Unterschied, ob (2) eine Tat durch ein " oder durch ein ,, " verwirklicht wird. Nehmen Sie etwa das Beispiel der Stiefmutter: Für das geschützte Rechtsgut macht es keinen Unterschied, ob sie ihr Kind vergiftet oder verhungern läßt. In beiden Fällen ist das geschützte Rechtsgut beeinträchtigt. Macht es für das Tatobjekt einen Unterschied, ob der Totschlag an der kleinen Stieftochter durch ein Tun oder durch ein Unterlassen verwirklicht wird? (3) J a / Nein Begründung:
LE 7
Handlungsbegriff
91
(1) Unterlassen (2) „Tun" oder durch ein „Unterlassen" (3) Nein! In beiden Fällen wird das Tatobjekt vernichtet, d.h. ein Mensch getötet.
„Tun " und „Unterlassen" sind die beiden Erscheinungsformen der Handlung. „Tun" bedeutet: Der Täter setzt ein Geschehen in Gang oder nimmt in anderer Weise aktiv Einfluß auf seinen Verlauf. Er schlägt zu, er nimmt weg, er sagt vor Gericht falsch aus, er spuckt seinem Gegenüber ins Gesicht etc. „Unterlassen" heißt, wörtlich verstanden, den Dingen ihren Lauf lassen. Der allgemeine Sprachgebrauch identifiziert Unterlassen daher mit „Nichtstun". Der juristische Begriff des Unterlassens ist dagegen enger. Unterlassen im strafrechtlichen Sinne bedeutet: In dieser Situation hätte der Täter etwas Bestimmtes tun müssen. Aber gerade dies hat er nicht getan. So hätte in unserem Unterlassungsbeispiel die Stiefmutter etwas Bestimmtes tun müssen. Aber gerade das hat sie nicht getan. (1) Was hätte die Stiefmutter in concreto tun müssen?
Was der Täter in concreto hätte tun müssen, bezeichnet man als das gebotene Tun.
(2)
Im Bademeisterfall („sieht ruhig zu") hätte das gebotene Tun darin bestanden, daß Hoppe (bitte ergänzen!)
Aber gerade dieses Tun hat der Bademeister nicht vorgenommen. Damit kommen wir zur Definition des strafrechtlichen Begriffes des Unterlassens: Unterlassen = Nichtvornahme eines gebotenen Tuns. Ein Blick auf die Kehrseite dieser Definition: (3)
Ist ein bestimmtes Tun nicht geboten, so liegt ein Unterlassen im strafrechtlichen Sinne folglich nicht vor / dennoch vor.
Beispiel: A sieht, wie in der Ferne ein Sportflugzeug ins Trudeln gerät und Hat A, der fassungslos den Absturz beobachtet, etwas unterlassen? (4) J a / Nein Begründung:
,,abschmiert".
LE 7
Handlungsbegriff
92 (1) (2) (3) (4)
Die Stiefmutter hätte ihre Stieftochter füttern müssen (o.a.). z.B. dem Ertrinkenden nachgesprungen wäre (oder andere Rettungsmaßnahmen ergriffen hätte) o.ä. folglich nicht vor Nein! Es ist kein bestimmtes Tun geboten (hier gar nicht denkbar). Folglich hat A auch nichts unterlassen (o.ä.).
(1) Unterlassen im strafrechtlichen Sinne bedeutet stets
eines
Was der Täter im Einzelfall hätte tun müssen, ergibt sich aus den jeweiligen Umständen. Wenn jemand zu ertrinken droht, ist es geboten, ihm etwa eine Leine oder einen Ring zuzuwerfen. (2) Befindet sich der Ertrinkende bereits unter der Wasseroberfläche, genügt dies nicht mehr / noch immer. Unter solchen Umständen ist etwas anderes geboten. Man müßte dem Ertrinkenden etwa nachspringen oder ihn mit einem Haken an die Wasseroberfläche ziehen. Die Gegenüberstellung von Tun und Unterlassen wirkt sich an vielen Stellen des Strafrechts aus. In diesem Zusammenhang interessiert zunächst allein, daß Tun und Unterlassen im Rahmen des strafrechtlichen Handlungsbegriffs einander gleichgestellt sind. Der strafrechtliche Handlungsbegriff stellt die erste Prüfungsstufe im Fallpriifungsschema dar. (3) Diese Frage lautet: Entspricht ein menschliches Tun oder dem (4) strafrechtlichen Handlungsbegriff? Nur wenn Sie diese Frage verneinen / bejahen, prüfen Sie das Verhalten weiter auf seine Strafbarkeit. Ein menschliches Verhalten mag noch so schwere Folgen nach sich ziehen: Erfüllt es (5) nicht den strafrechtlichen Handlungsbegriff, kann weder eine noch eine verhängt werden.
(6)
Welche allgemeinen Voraussetzungen der Strafbarkeit müssen außer dem Handlungsbegriff erfüllt sein, damit eine Strafe verhängt werden kann?
LE 7
Handlungsbegriff
93
(1) Nichtvornahme eines gebotenen Tuns (2) nicht mehr (3) Unterlassen (4) bejahen (5) Strafe; Maßregel d.B.u.S. (6) Tatbestandsmäßigkeit, Rechtswidrigkeit und Schuld
Der strafrechtliche Handlungsbegriff filtert aus der Vielzahl menschlicher Verhaltensweisen jene heraus, die vom Willen beherrschbar sind. Was vom Willen nicht beherrsch(1) bar ist, ist Handlung / keine Handlung im strafrechtlichen Sinne. Damit kommen wir zur Definition des strafrechtlichen Handlungsbegriffs (bitte wörtlich merken!): Handlung ist jedes menschliche Verhalten, das vom Willen beherrschbar ist. Da aber fast jedes menschliche Verhalten vom Willen beherrschbar ist, muß der Handlungsbegriff bei der Fallprüfung nur in Ausnahmefällen ausdrücklich untersucht werden. Das ist dann der Fall, wenn nach dem Sachverhalt wirklich Zweifel bestehen, ob der Täter (2) ein Verhalten gesetzt hat, das vom beherrschbar war. Maler Klecksel (K) kömmt mit der stromführenden Leitung der Steckdose in Kontakt. Er zuckt zusammen und stößt dabei den Lehrling von der Leiter, so daß sich dieser den Arm bricht. (3) Hier bestehen erhebliche Zweifel / keine Zweifel an der Handlungsqualität des Verhaltens des K. K's Verhalten war nicht vom Willen beherrschbar. Ein Nerv ist gereizt worden und hat ohne Zwischenschaltung des Willens einen Körperreflex bewirkt. (4)
Folglich ist der Handlungsbegriff erfüllt / nicht erfüllt. Dieser Fall macht zugleich die Filterfunktion der einzelnen Stufen des strafrechtlichen Fallprüfungsschemas deutlich.
Prüfen Sie anschließend die Tatbestandsmäßigkeit des Verhaltens des K, wenn Sie festgestellt haben, daß der Handlungsbegriff nicht erfüllt ist? (5) J a / Nein Begründung:
Der Begriff des Körperreflexes wird im allgemeinen Sprachgebrauch ziemlich weit verstanden. Der strafrechtliche Begriff des Körperreflexes ist dagegen enger und deckt sich weitgehend mit dem medizinischen Begriff. Körperreflexe bewirken eine Körperbewegung ohne Zwischenschaltung des Willens. (6)
Körperreflexe sind daher vom Willen beherrschbar / vom Willen nicht beherrschbar und erfüllen den strafrechtlichen Handlungsbegriff.
LE 7
Handlungsbegriff
94
(1) keine Handlung im strafrechtlichen Sinne (2) Willen (3) erhebliche Zweifel (4) nicht erfüllt (5) Nein! Ist der Handlungsbegriff nicht erfüllt, so ist das Verhalten schon deshalb nicht strafbar. Die Frage der Tatbestandsmäßigkeit darf daher gar nicht mehr angeschnitten werden (o.a.). (6) vom Willen nicht beherrschbar; nicht
Von den Körperreflexen streng zu trennen, von ihnen aber nicht immer leicht zu unterscheiden, sind die im täglichen Leben häufig a n z u t r e f f e n d e n automatisierten Handlungen. Die automatisierten Handlungen erfüllen den Handlungsbegriff. Die Körperreflexe dagegen (1)
Beispiel: Sie waren als Autofahrer bisher Lenkradschaltung gewohnt und steigen nunmehr auf ein Modell mit Knüppelschaltung um. Zumindest in den ersten Tagen werden Sie automatisch nach dem Ganghebel am Lenkrad greifen. (2) Es handelt sich um einen typischen Fall eines Körperreflexes / einer automatisierten Handlung. (3) Nennen Sie weitere automatisierte Handlungen beim A u t o f a h r e n !
In ähnlicher Weise gehen alle gleichförmigen Handlungen ,,in Fleisch u n d B l u t " über, m a n c h e mehr, manche weniger. Denken Sie etwa auch an das Heben des Löffels beim Essen, das Gehen, das Schreiben, das Kratzen am K o p f , das Kauen an den Fingernägeln etc. (4) Es handelt sich hierbei um . Bei all diesen mehr oder weniger eintrainierten, gleichsam automatisch ablaufenden (daher „automatisierten") Handlungen hat sich der Willensbildungsprozeß ins U n t e r b e w u ß t e verlagert. Es wird zwar nicht jedesmal der Wille aktualisiert; er k ö n n t e aber jederzeit aktualisiert werden. Im Gegensatz zu den bloßen Körperreflexen sind automatisierte Handlungen daher vom (5)
b
Automatisierte Handlungen sind eintrainierte, gleichförmige Verhaltensweisen, bei denen nicht jedes Mal der Wille aktiv eingeschaltet wird. Dieses Einschalten kann jedoch jederzeit erfolgen. Automatisierte Handlungen sind daher vom Willen beherrschbar u n d erfüllen (6) folglich den Im übrigen sind die Grenzen zwischen Körperreflexen u n d automatisierten Handlungen nicht immer leicht zu ziehen. Dem Motorradfahrer M springt in der Dämmerung M tritt erschrocken auf die Bremse.
(7)
Bloßer Körperreflex? J a / Nein Begründung:
unversehens
ein Reh in die
Fahrbahn.
LE 7
Handlungsbegriff (1) (3) (4) (7)
95
nicht (2) einer automatisierten Handlung Z.B. das Kuppeln, Bremsen, Betätigen des Blinkers, der Hupe etc. automatisierte Handlungen (5) Willen beherrschbar (6) strafrechtlichen Handlungsbegriff Nein! Das Bremsen in überraschender Situation ist eintrainiert, gewissermaßen „vorprogrammiert" und daher vom Willen beherrschbar (sogar vom Willen beherrscht) o.a.
Automatisierte Handlungen werden in dem M o m e n t für das Strafrecht bedeutsam, in dem es zu Fehlreaktionen u n d in deren Folge zur Verletzung strafrechtlicher Verbote k o m m t . Beispiel: Durch den plötzlichen Tritt auf die Bremse überschlägt sich M samt und Sozia. Letztere kommt dabei ums Leben. Gegen M wird Anklage wegen Tötung (§ 222) erhoben.
Motorrad fahrlässiger
Ob M tatsächlich gemäß § 222 b e s t r a f t wird, mag hier offenbleiben. Welche Stufe des Fall(1) prüfungsschemas ist in jedem Fall erfüllt?
Die bloßen Körperreflexe sind nicht nur von den automatisierten Handlungen, sondern auch von den impulsiven Handlungen zu unterscheiden. (2)
Zu den schlußhandlungen.
Handlungen zählen insbesondere A f f e k t h a n d l u n g e n u n d Kurz-
Solche Handlungen k o m m e n zwar unter Umgehung der Tathemmungsmechanismen, nicht aber u n t e r Ausschaltung des Bewußtseins u n d des Willens zustande. Sie sind willensgetragen (3) und erfüllen daher / erfüllen daher nicht den strafrechtlichen Beispiel: Als der Chemiearbeiter Koller vorzeitig von der Frühschicht heimkehrt und seine Gattin in den Armen des Trikotagenvertreters Schäferle überrascht, „dreht er durch" und erschlägt seinen Nebenbuhler. Koller wird wegen Totschlags (§ 212 (1)) angeklagt. Sein Verteidiger beantragt Freispruch, da Koller die Tat in hochgradigem A f f e k t verübt u n d somit den strafrechtlichen Handlungsbegriff gar nicht erfüllt habe. Wird der Verteidiger mit diesem Einwand durchdringen? (4) J a / Nein Begründung:
LE 7
Handlungsbegriff
96
(1) Der strafrechtliche Handlungsbegriff (2) impulsiven (3) erfüllen daher; Handlungsbegriff (4) Nein! Auch Handlungen, die im Affekt vorgenommen werden, sind willensgetragen und erfüllen daher den strafrechtlichen Handlungsbegriff (o.a.).
Ebensowenig wie bloße Körperreflexe erfüllen „Bewegungen" von Schlafenden oder Bewußtlosen den strafrechtlichen Handlungsbegriff. Der Hotelgast H erbricht sich im Schlaf und besudelt den wertvollen Teppichboden. Hotelier beantragt Bestrafung des H wegen Sachbeschädigung (§ 303 (1)).
Der
Wie beurteilen Sie die Aussichten, daß H tatsächlich wegen Sachbeschädigung bestraft wird? (1) Gering / Groß Begründung:
Dasselbe gilt für die Fälle der sog. „vis absoluta". Man spricht von vis absoluta, wenn der ausgeübte Zwang so stark ist, daß der Gezwungene gax nicht in der Lage ist, Widerstand zu leisten. Vis absoluta = willensausschließende Gewalt. (2) Bei vis absoluta erfüllt der Gezwungene den strafrechtlichen Handlungsbegriff / nicht den strafrechtlichen Handlungsbegriff. Beispiel: Am Samstag wird wie üblich im Dorfwirtshaus gerauft. Ein Urlauber tritt ahnend ein und fliegt sofort wieder durch die Glastür nach draußen.
nichts-
Würden Sie den Urlauber wegen Sachbeschädigung (= § 303 (1)) bestrafen? (3) J a / Nein Begründung:
(4) Von der v
ist die „vis compulsiva" zu unterscheiden.
Von vis compulsiva spricht man, wenn der ausgeübte Zwang den Willen des Gezwungenen zwar beugt, aber nicht ausschließt. J e m a n d wird so lange geprügelt, bedroht, eingesperrt etc. bis er sich fügt. Vis compulsiva = willensbeugende Gewalt. (5) Im Gegensatz zur vis absoluta erfüllt bei der vis den
der Gezwungene
LE 7
Handlungsbegriff
97
(1) Gering! Bei Schlafenden und Bewußtlosen ist der Wille ausgeschaltet. Sie können ihr Verhalten nicht durch den Willen steuern. H hat nicht gehandelt. Er kann deshalb nicht wegen § 3 0 3 (1) bestraft werden (o.a.). (2) nicht den strafrechtlichen Handlungsbegriff (3) Wir nicht! Die Sachbeschädigung kam durch vis absoluta zustande. Das Verhalten des Urlaubers war nicht vom Willen beherrschbar. Er hat daher nicht gehandelt. Genauso hätten die Raufenden eine Bierflasche durch die Glastür werfen können. Natürlich macht sich der Werfende strafbar. Er erfüllt den Handlungsbegriff. (4) vis absoluta (5) compulsiva; Handlungsbegriff
Bonn. Poppelsdorf er Allee. Der Gewalttäter Z stößt F, dem Lenker des Taxis BN-D 417, den entsicherten Revolver ins Genick und fordert ihn auf, den Polizisten P niederzufahren. In seiner Todesangst tut F, wie ihm geheißen. P ist sofort tot. (1) Die Tötung des P beruht auf vis absoluta / auf vis compulsiva und erfüllt / erfüllt nicht den strafrechtlichen Handlungsbegriff. Steht damit bereits abschließend fest, daß F wegen eines Tötungsdeliktes bestraft werden kann? (2) J a / Nein Begründung:
Lösen Sie die beiden folgenden Beispiele aus dem Problembereich des strafrechtlichen Handlungsbegriffs! Während der Fahrt mit Ihrem offenen PKW fliegt Ihnen ein Insekt ins Auge. Wegen des brennenden Schmerzes und weil Sie im Augenblick nichts sehen können, bremsen Sie ziemlich abrupt und verursachen dadurch einen Auffahrunfall.
(3)
Körperreflex oder Handlung? Begründung:
Bei der Talfahrt vom Schauinsland nach Freiburg wird dem Buschauffeur B urplötzlich schwarz vor den Augen. Bewußtlos sinkt er auf dem Fahrersitz zusammen. Dadurch kommt der mit vierzig englischen Touristen besetzte Reisebus von der kurvenreichen Straße ab und überschlägt sich mehrmals. Zwölf Tote und zwanzig Verletzte. Kann B bestraft werden? (4) J a / Nein Begründung:
Handlungsbegriff
98
LE 7
(1) auf vis compulsiva; erfüllt (2) Nein! Bevor dieses abschließende Urteil gefällt werden kann, müssen zunächst Tatbestandsmäßigkeit, Rechtswidrigkeit und Schuld untersucht werden. Letztere ist besonders problematisch. Daß der Gewalttäter Z wegen eines Tötungsdeliktes bestraft werden kann, ist sicher, steht aber auf einem anderen Blatt. (3) Kein bloßer Körperreflex, sondern zumindest auch willensgetragenes Verhalten und daher Handlung (Problem der Fehlreaktion innerhalb der sog. „Schrecksekunde"). (4) Nein! Der Handlungsbegriff ist nicht erfüllt. Ein Bewußtloser kann sein Verhalten nicht durch den Willen beherrschen. Daher entfällt die Strafe (o.ä.).
ZUSAMMENFASSUNG A Der strafrechtliche Handlungsbegriff Die erste Stufe der strafrechtlichen Fallprüfung betrifft den strafrechtlichen Handlungsbegriff. Auf dieser Stufe werden im Rahmen der strafrechtlichen Fallprüfung solche Verhaltensweisen ausgeschieden, die nicht den strafrechtlichen Handlungsbegriff erfüllen (und deshalb nicht strafbar sind). Handlung im Sinne des strafrechtlichen Handlungsbegriffs ist ein vom Willen beherrschbares menschliches Verhalten. Im allgemeinen ist menschliches Verhalten vom Willen beherrschbar und erfüllt den strafrechtlichen Handlungsbegriff. Nur bei bloßen Körperreflexen, vis absoluta, für Schlafende und Bewußtlose fehlt die Möglichkeit der Beherrschung des Verhaltens durch den Willen. Anders ausgedrückt: Wenn fremde Rechtsgüter durch bloße Körperreflexe, vis absoluta, durch Bewegungen von Schlafenden oder Bewußtlosen beeinträchtigt werden, scheidet eine Bestrafung des „Täters" aus, da in solchen Fällen der strafrechtliche Handlungsbegriff nicht erfüllt ist. In solchen Fällen bedarf es eines Eingehens auf die weiteren Stufen des strafrechtlichen Fallprüfungsschemas nicht. Beispiel: Unter Vollnarkosebeißt der Patient den Chirurgen in die Hand, zerschlägt medizinisches Gerät, „plaudert" Staatsgeheimnisse aus u.ä. Unproblematisch sind auch die Fälle „bloßer Körperreflexe". Bloße Körperreflexe bewirken eine Körperbewegung ohne Zwischenschaltung des Willens. Solche Bewegungen sind vom Willen nicht beherrschbar. Beispiele: Kniesehnenreflex, Reflex infolge eines Krampfanfalles, eines Stromschlags u.ä.
7
Handlungsbegriff
99
Problematisch aber sind jene Fälle, die auf der Grenze zwischen Körperreflex und Handlung liegen. Beispiele: Ein Kraftfahrer verreißt das Steuer, weil er von einer Biene gestochen wird, weil die Motorhaube oder die Tür bei voller Fahrt aufspringt, weil die Frontscheibe plötzlich zersplittert u.a. Fehlreaktionen eines Kraftfahrers, der von einer plötzlichen Gefahr überrascht wird, sind in den meisten Fällen vom Willen beherrschbar und erfüllen dann den strafrechtlichen Handlungsbegriff. Dies gilt vor allem auch für die Fehlreaktionen (bzw. das Ausbleiben von Abwehrreaktionen) innerhalb der sog. Schrecksekunde. Die bloßen Körperreflexe sind weiterhin von den „automatisierten Handlungen" zu unterscheiden. Automatisierte Handlungen sind eintrainierte, gleichförmige Verhaltensweisen, bei denen der Wille nicht jedes Mal aktiv eingeschaltet wird. Dieses Einschalten kann jedoch jederzeit erfolgen. Im Gegensatz zu den bloßen Körperreflexen erfüllen sie den strafrechtlichen Handlungsbegriff. Beispiele für automatisierte Handlungen: Kuppeln, Bremsen, Betätigen des Blinkers, der Hupe etc. beim Autofahren; auch im Arbeitsprozeß (z.B. Fließbandarbeiten) kommen in großem Umfang automatisierte Handlungen vor. Automatisierte Handlungen werden in dem Moment für das Strafrecht bedeutsam, in dem es zu Fehlreaktionen und in deren Folge zu Beeinträchtigungen fremder Rechtsgüter kommt. Von den bloßen Körperreflexen sind schließlich auch die „impulsiven Handlungen" zu unterscheiden. Impulsive Handlungen kommen zwar unter Umgehung der Gesamtpersönlichkeit, nicht aber unter Ausschaltung des Willens zustande. Impulsive Handlungen erfüllen daher den strafrechtlichen Handlungsbegriff. Beispiele: Affekthandlungen und Kurzschlußhandlungen. Treffend sagt Welzel: „Man sieht nur noch rot, aber man sieht". Verhaltensweisen, die auf vis compulsiva beruhen, verwirklichen den strafrechtlichen Handlungsbegriff. Gehen sie dagegen auf vis absoluta zurück, ist der strafrechtliche Handlungsbegriff nicht erfüllt. „Vis absoluta" bedeutet willensausschließende Gewalt. Bei vis absoluta ist der ausgeübte Zwang so stark, daß der Gezwungene gar nicht in der Lage ist, Widerstand zu leisten. Beispiel: Jemand wird in eine Glasscheibe gestoßen.
100
LE 7
Handlungsbegriff „Vis compulsiva" bedeutet willensbeugende Gewalt.
Bei vis compulsiva ist der ausgeübte Zwang zwar nicht stark genug, um den Willen des Gezwungenen auszuschließen. Er ist aber immerhin stark genug, um den Willen des Gezwungenen zu beugen. Beispiel: Jemand wird so lange geprügelt, bedroht, eingesperrt, bis er sich fügt und eine strafbare Handlung begeht. B Tun und Unterlassen Tun und Unterlassen sind die beiden Erscheinungsformen der Handlung. Beide erfüllen den strafrechtlichen Handlungsbegriff. Nicht nur derjenige „handelt", der etwas „tut", sondern auch derjenige, der etwas „unterläßt". Die Stiefmutter, die ihre Stieftochter vergiftet, erfüllt ebenso den strafrechtlichen Handlungsbegriff wie eine andere, die ihr Stiefkind verhungern oder verdursten läßt. „Unterlassen" ist nicht identisch mit „Nichtstun". Im strafrechtlichen Sinne „unterläßt" nur derjenige etwas, der etwas Bestimmtes, das er hätte tun müssen, nicht tut. Unterlassen ist Nichtvornahme eines gebotenen Tuns. C Übersicht Tun r menschliches Verhalten Unterlassen Handlung
TE 7
Testfragen zur L E 7
101
1.1
Definieren Sie „Handlung"!
1.2
Bei der Prüfung eines Sachverhalts stellen Sie fest, daß das Verhalten des Täters nicht den strafrechtlichen Handlungsbegriff erfüllt. Kann der Täter bestraft werden? J a / Nein Begründung:
1.3
Definieren Sie den strafrechtlichen Begriff des „Unterlassens"!
1.4
Definieren Sie „automatisierte Handlungen"!
1.5
Nennen Sie zwei Beispiele für automatisierte Handlungen!
1.6
Nennen Sie mindestens drei Fallgruppen von Verhaltensweisen, die nicht vom Willen beherrschbar sind!
2.1
„Hätt unser Leckermüffeiche all widder en de Botz jemaht? " Frau Immekeppel (I) beugt sich über ihren 4 Monate alten Sohn und nimmt ihn vorsichtig aus dem Gitterbett. In diesem Augenblick muß sie heftig niesen. Dabei schlägt das Baby mit dem Kopf an eine Gitterstange und zieht sich einen Bluterguß oberhalb des linken Auges zu. Die Verletzung des Kindes beruht auf einer automatisierten Handlung / einer impulsiven Handlung / einem bloßen Körperreflex der I und erfüllt daher / erfüllt daher nicht den strafrechtlichen Handlungsbegriff.
102
Testfragen
TE 7
1.7
Bilden oder nennen Sie ein Beispiel für eine „impulsive Handlung"!
2.2
Schräubling steht tagein tagaus an der großen hydraulischen Presse und drückt alle 15 Sekunden den Hebel nieder. Diese Bewegung ist ihm so zur zweiten Natur geworden, daß er auch, als sein Chef unter die Presse tritt, um ihm etwas mitzuteilen, im gewohnten Rhythmus den Hebel betätigt. Die Presse bleibt intakt, der Chef nicht. 1. Um welches Problem geht es in diesem Fall?
2. Bitte lösen Sie es!
2.3
Der wegen Sachbeschädigung Angeklagte trägt unwiderlegt vor: „Ich hatte die antike Vase in der Hand, als ich plötzlich ohnmächtig wurde und zu Boden stürzte. Dabei zersprang die Vase ". Wird der Angeklagte wegen Sachbeschädigung (§ 303 (1)) bestraft werden? Ja / Nein Begründung:
2.4
Morgenmuffel sitzt am Frühstückstisch und liest die Zeitung. Seine leicht erregbare Gattin fragt ihn etwas; er brummt nur mürrisch. — „Immer das gleiche Theater!" kreischt sie unbeherrscht und wirft ihm die Kaffeekanne an den Kopf. Es kommt das Delikt der Körperverletzung in Betracht (§ 223 (1)). Entspricht das Verhalten der Gattin dem Handlungsbegriff? Ja / Nein Begründung:
TE 7 2.5
103
Testfragen Der Autofahrer A wird vom Wagen des ß in abenteuerlicher Weise „geschnitten". Schreck verreißt A das Lenkrad, gerät auf den Gehweg und fährt einen Fußgänger
Vor zu Tode.
1. Um welches Problem geht es?
2. Bitte lösen Sie es!
3. Würden Sie den Fall — bei sonst gleichen Umständen — prinzipiell anders entscheiden, wenn auslösendes Moment ein plötzlicher Stich einer Wespe in die Wange des A gewesen wäre? J a / Nein 2.6
Mark Spatz steht am Rand des Schwimmbeckens. so daß Mark Spatz auf einen anderen Schwimmer
Faßnicht rempelt ihn aus Versehen stürzt und ihn verletzt.
1. Kann Mark Spatz wegen Körperverletzung bestraft werden? J a / Nein
Begründung:
2. Erfüllt das Verhalten des Faßnicht den strafrechtlichen Handlungsbegriff? J a / Nein
Begründung:
1.8
Den Handlungsbegriff erfüllt nur vis
2.7
Grenzen Sie vis absoluta und vis compulsiva voneinander ab!
Literatur: Zum Handlungsbegriff und seiner FUterfunktion vgl. Baumann aaO. § 16 I 2\] escheck aaO. § 23 lV;Maurach aaO. § 17 II-,Mezger-Blei aaO. § 24. Zur Einführung in die verschiedenen Handlungstheorien vgl. Wessels aaO. § 3 II.
an,
104
Antworten
TE 7
1.1
Handlung ist ein vom Willen beherrschbares menschliches Verhalten.
1.2
Nein! Ist der Handlungsbegriff nicht erfüllt, so entfällt schon deshalb eine Bestrafung des Täters (o.a.).
1.3
Unterlassen = Nichtvornahme eines gebotenen Tuns
1.4
Automatisierte Handlungen sind eintrainierte, gleichförmige Verhaltensweisen, bei denen nicht jedesmal der Wille eingeschaltet wird, die aber gleichwohl vom Willen beherrschbar sind (o.ä.).
1.5
Schalten, Kuppeln, Bremsen beim Autofahren; Kratzen am Kopf; Kauen an den Fingernägeln
1.6
Bloßer Körperreflex vis absoluta Bewegungen im Schlafe Bewegungen im Zustand der Bewußtlosigkeit
2.1
einem bloßen Körperreflex; erfüllt daher nicht
1.7
Jemand ertappt seine ehebrechende Frau in flagranti und erschlägt sie im Zorn; allgemein: Affekthandlungen; Kurzschlußhandlungen (o.ä.)
2.2
1. Ob ein bloßer Körperreflex oder eine automatisierte Handlung vorliegt 2. Es handelt sich um eine automatisierte Handlung. S aktualisiert nicht bei jedem Hebeldruck seinen Willen, kann ihn aber jederzeit einschalten (o.a.).
2.3
Nein! Bewegungen eines Ohnmächtigen sind nicht vom Willen beherrschbar und erfüllen daher nicht einmal den strafrechtlichen Handlungsbegriff (o.ä.).
2.4
J a ! Es handelt sich um eine impulsive Handlung. Die Gattin könnte beherrschen (o.ä.).
2.5
1. Ob der strafrechtliche Handlungsbegriff erfüllt ist. Oder: Um das Problem der „Schrecksekunde". 2. Trotz des Schreckens ist das Verhalten des A (d.h. die Fehlreaktion) vom Willen beherrschbar und daher Handlung im strafrechtlichen Sinne (o.ä.). Es kommt allerdings auf die Intensität des Schreckens und den zeitlich-räumlichen Zusammenhang zwischen der Reaktion des A und dem Uberfahren des Fußgängers an. 3. Prinzipiell: Nein! Aber: Bei ganz besonderer Intensität des Schreckens und bei ganz engem zeitlichräumlichem Zusammenhang zwischen der Reaktion des A und dem Uberfahren des Fußgängers könnte auch anders zu entscheiden sein.
2.6
1. Nein! Für ihn liegt vis absoluta vor. Damit erfüllt sein Verhalten schon nicht den Handlungsbegriff. 2. J a ! Das Anrempeln ist ein vom Willen beherrschbares Verhalten.
1.8
vis compulsiva
2.7
Bei vis absoluta ist der ausgeübte Zwang so stark, daß der Gezwungene gar nicht in der Lage ist, Widerstand zu leisten = willensausschließende Gewalt.
ihr Verhalten mit dem Willen
Bei vis compulsiva führt der ausgeübte Zwang zur Willensbeugung und damit zur willentlichen Vornahme der abgenötigten Handlung = willensbeugende Gewalt (o.ä.).
TATBESTANDSMERKMALE
LE 8
105
L e r n z i e 1 : In dieser LE sollen Sie sich mit den verschiedenen Arten der Tatbestandsmerkmale vertraut machen: mit „objektiven" und „subjektiven", mit „deskriptiven" und „normativen" sowie mit den „ungeschriebenen" Tatbestandsmerkmalen.
Im Rahmen der Fallprüfung geht es unter I um die Frage der Tatbestandsmäßigkeit, d.h. um die Frage, ob sich eine Handlung unter einen bestimmten Tatbestand subsumieren läßt. Zur Erleichterung dieser Subsumtion gliedert man den Tatbestand in seine jeweiligen Tatbestandsmerkmale und untersucht sie einzeln und in logisch geordneter Reihenfolge. Lesen Sie bitte § 242 (1)! (1) Wer / eine fremde / / Sache / wegnimmt / in der Absicht, dieselbe sich rechtswidrig zuzueignen (sog. Zueignungsabsicht). Es fällt auf, daß die einzelnen Tatbestandsmerkmale nicht im gleichen Maße aus sich heraus verständlich sind. „Beweglich" ist eher aus sich heraus verständlich als „ f r e m d " . Besonderer Hervorhebung bedarf, daß sich das komplizierteste der genannten Tatbestands(2) merkmale, die Zueignungsabsicht, auf Umstände bezieht, die im Inneren des Täters / in der Außenwelt liegen.
(3)
Beachten Sie im übrigen, daß wie bei der Zueignungsabsicht häufig mehrere Worte eine Sinneinheit und daher ein einziges Tatbestandsmerkmal / mehrere Tatbestandsmerkmale darstellen. Die einzelnen Tatbestandsmerkmale stehen nicht zusammenhanglos nebeneinander. Sie sind vielmehr aufeinander bezogen. „ F r e m d " und „beweglich" sind daher nicht als isolierte Begriffe, sondern als Eigenschaften der „Sache" i.S.d. § 242 (1) zu verstehen.
(4) Aus logischen Gründen erfolgt die Prüfung der Merkmale „beweglich" und „ f r e m d " vor / nach der Prüfung des Sachbegriffs. Trennen Sie die verschiedenen Tatbestandsmerkmale des im folgenden abgedruckten (5) Betruges (§ 263 (1)) jeweils durch einen Schrägstrich! „Wer in der Absicht, sich oder einem Dritten einen rechtswidrigen Vermögensvorteil zu verschaffen, das Vermögen eines anderen dadurch beschädigt, daß er durch Vorspiegelung falscher oder durch Entstellung oder Unterdrückung wahrer Tatsachen eine Irrtum erregt oder unterhält, ".
106
Tatbestandsmerkmale
LE 8
(1) bewegliche (2) im Inneren des Täters (3) ein einziges Tatbestandsmerkmal (4) nach (5) „Wer / in der Absicht, sich oder einem Dritten einen rechtswidrigen Vermögensvorteil zu verschaffen, / das Vermögen eines anderen dadurch beschädigt, / daß er durch Vorspiegelung falscher oder durch Entstellung oder Unterdrückung wahrer Tatsachen / einen Irrtum erregt oder unterhält, ".
Die verschiedenen Tatbestandsmerkmale sind unter einem bestimmten Aspekt einander ähnlich. Das Tatbestandsmerkmal „ f r e m d " bezieht sich ebenso wie „beweglich" u n d „Sache" auf etwas Objektives, auf das äußere Erscheinungsbild der Handlung. Das gleiche gilt für das „Wegnehmen". Unter jedes dieser Tatbestandsmerkmale kann nur ein Sachverhalt subsumiert werden, (1) der das äußere Erscheinungsbild der Handlung ausmacht / im seelischen Bereich des Täters gelegen ist. Solche Tatbestandsmerkmale heißen „objektive" Tatbestandsmerkmale. Definition: Objektive Tatbestandsmerkmale beziehen sich auf das äußere Erscheinungsbild der Handlung. Alle objektiven Tatbestandsmerkmale zusammen bilden den objektiven oder gesetzlichen Tatbestand. Gesetzlicher Tatbestand (Synonym: objektiver Tatbestand) ist die Summe aller objektiven Tatbestandsmerkmale eines Delikts. Lesen Sie § 242 (1)! Welches seiner Tatbestandsmerkmale gehört nicht zum gesetzlichen (2) Tatbestand, weil es kein objektives Tatbestandsmerkmal ist?
(3) Das Gegenstück zu den " bilden die „subjektiven" Tatbestandsmerkmale. Sie beziehen sich auf Umstände im seelischen Bereich des Täters. Das war auch der Grund, warum Sie bei der Frage (2) die „Zueignungsabsicht" nicht als objektives Tatbestandsmerkmal bezeichnet haben. Das subjektive Tatbestandsmerkmal des § 242 (1) nimmt auf Umstände Bezug, die im seelischen Bereich des Täters gelegen sind. Es handelt sich bei der Zueignungsabsicht des (4) § 242 (1) daher um ein Tatbestandsmerkmal. Definition: Subjektive Tatbestandsmerkmale beziehen sich auf Umstände, die im seelischen Bereich des Täters gelegen sind. (5) Alle subjektiven Tatbestandsmerkmale zusammen bilden den T Bei vielen Delikten besteht der subjektive Tatbestand nur aus einem einzigen subjektiven Tatbestandsmerkmal. (6) Wie lautet das subjektive Tatbestandsmerkmal beim Betrug (§ 263 (1))?
Tatbestandsmerkmale
LE 8 (1) (2) (3) (6)
(1)
107
der das äußere Erscheinungsbild der Handlung ausmacht „Absicht, dieselbe sich rechtswidrig zuzueignen" bzw. Zueignungsabsicht objektiven (4) subjektives (5) subjektiven Tatbestand „Absicht, sich oder einem Dritten einen rechtswidrigen Vermögensvorteil zu verschaffen"
§ 242 (1) bitte lesen und einsetzen!
fremd Zueignungsabsicht
objektive Tatbestandsmerkmale (= gesetzlicher Tatbestand)
s Tatbestand
subjektive Tatbestandsmerkmale (= subjektiver Tatbestand)
Nicht alle subjektiven Tatbestandsmerkmale sind als solche ohne weiteres erkennbar. Lesen Sie bitte § 253 (1)! Die für die Erpressung in gleicher Weise wie für den Betrug typische Bereicherungsabsicht (2) hat das StGB bei diesem Delikt mit den Worten beschrieben (bitte ergänzen!)
(3) Auch der Tatbestand der Urkundenfälschung (§ 267 (1)) enthält ein subjektives . (4)
Welches? Insgesamt finden sich in den Tatbeständen des StGB aber objektive Tatbestandsmerkmale weitaus häufiger als subjektive. Viele Delikte, z.B. Totschlag (§ 212 (1)), Körperverletzung (§ 223 (1)) oder Sachbeschädigung (§ 303 (1)), kommen überhaupt ohne subjektive Tatbestandsmerkmale aus. Subjektive Tatbestandsmerkmale verwendet das Gesetz nur dort, wo sich das typische Unrecht allein durch die objektiven Tatbestandsmerkmale noch nicht hinreichend beschreiben läßt.
(5) Diese Zurückhaltung des Gesetzgebers gegenüber den . merkmalen ist berechtigt:
Tatbestands-
Niemand kann in den Täter hineinsehen, weder die Polizei noch der Staatsanwalt noch das Gericht. Der Nachweis, daß ein subjektives Tatbestandsmerkmal verwirklicht worden (6) ist, bereitet daher in der Praxis viel größere/keine größeren Schwierigkeiten als bei den objektiven Tatbestandsmerkmalen. Oft gibt der Täter die objektiven Tatbestandsmerkmale zu, streitet aber entschieden ab, z.B. in Bereicherungsabsicht (§ 263 (1)) gehandelt zu haben. Hier kann man allenfalls aus bestimmten Indizien (= äußerlichen Anzeichen) mittelbar (7) auf das Vorhandensein der zum des § 263 (1) gehörenden Bereicherungsabsicht schließen.
108
LE 8
Tatbestandsmerkmale (1) Sache; beweglich; Wegnahme (2) um sich oder einen Dritten zu Unrecht zu bereichern (3) Tatbestandsmerkmal (4) zur Täuschung im Rechtsverkehr (= sog. „Täuschungsabsicht") (5) subjektiven (6) viel größere (7) Tatbestand
Schlaumeiers (S) Aktien der Krach & Bums AG sind kaum noch etwas wert. Denn diese Aktiengesellschaft steht kurz vor dem Konkurs. Raffke (R) weiß es nicht. S schwatzt ihm seine Aktien auf. R kauft und geht wenig später prompt bankrott. S wird wegen Betrugs (§ 263 (1)) angeklagt. Er streitet die Bereicherungsabsicht ab. Der Tatbestand des Betrugs ist aber nur dann verwirklicht, wenn neben den objektiven (1) Tatbestandsmerkmalen auch erfüllt ist. Für das Vorhandensein der Bereicherungsabsicht sprechen die folgenden Indizien: S hat selbst Aktien. Er weiß, daß seine Aktien nichts mehr wert sind. Gleichwohl schwatzt er sie dem R auf. R ist ahnungslos. S hat seinen Verlust auf R abgewälzt. (2) Erst nachdem dieser innerseelische Sachverhalt aus den genannten mittelbar erschlossen worden ist, können wir daran denken, ihn unter das subjektive Tatbestandsmerkmal im § 263 (1), die Bereicherungsabsicht, zu subsumieren. (3) Die genannten Indizien legen insgesamt den Schluß nahe / nicht nahe, daß S auf Kosten des R sein eigenes Vermögen vermehren wollte und daher mit gehandelt hat. Das spanische Dienstmädchen Conchita (C) nimmt in einem unbeobachteten Moment ihrer Arbeitgeberin eine Geldnote aus dem Portemonnaie und versteckt sie in ihrer Schlafkammer unter der Matratze. Dieser Sachverhalt läßt mindestens zwei Indizien dafür erkennen, daß C mit der für den Diebstahl erforderlichen Zueignungsabsicht (§ 242 (1)) gehandelt hat. (4) Worin erblicken Sie die beiden Indizien?
(5) Gibt es subjektive Tatbestandsmerkmale im Tatbestand / im gesetzlichen Tatbestand (6) des § 246 (1)? des § 265 a (1)?
J a / Nein J a / Nein
des § 146 (1)? des § 153?
J a / Nein J a / Nein
LE 8
Tatbestandsmerkmale
109
(1) das subjektive Tatbestandsmerkmal bzw. die Bereicherungsabsicht (2) Indizien (3) nahe; Bereicherungsabsicht (4) C handelt „in einem unbeobachteten Moment". Sie „versteckt" das Geld dort, w o es ganz unzugänglich ist, unter ihrer Matratze. Diese Umstände jedenfalls sprechen für die Zueignungsabsicht. Ob letztere dadurch hinreichend dargetan (= bewiesen) ist, ist eine andere Frage. Ich möchte es annehmen. (5) im Tatbestand (6) Ja: § 2 6 5 a (1) und § 146 (1); nein: § 2 4 6 (1) und § 153
Unter dem Aspekt ihrer Auslegungsbedürftigkeit teilt man die Tatbestandsmerkmale ein in „deskriptive" und „normative".
Manche Tatbestandsmerkmale bedürfen mehr der Auslegung, andere weniger. Das Tatbestandsmerkmal „beweglich" im § 242 (1) bedarf kaum einer Auslegung. Noch weniger auslegungsbedürftig ist z.B. das Tatbestandsmerkmal „ F r a u " im § 177 (1). Bedarf das Tatbestandsmerkmal „Mann über 18 J a h r e " (§ 175 (1)) noch weiterer Auslegung? (1) J a / N e i n (2) Die angeführten Tatbestandsmerkmale bedürfen kaum einer weil sie aus sich heraus verständlich sind.
,
Der Sinngehalt eines Begriffes ist aus sich heraus verständlich und bedarf daher keiner weiteren Erklärung, wenn er sich z.B. aus der Lebenserfahrung oder aus feststehenden äußeren Maßstäben (z.B. Geschlecht, Zahlen) ergibt. Am Inhalt solcher Tatbestandsmerkmale gibt es nichts zu rütteln und zu deuteln. Sie sprechen sozusagen für sich selbst. (3) Tatbestandsmerkmale, deren Sinngehalt aus nennt man deskriptive Tatbestandsmerkmale. (4)
Für die praktische Rechtsanwendung bringt die Verwendung von Tatbestandsmerkmalen Vorteile mit sich.
(5) Können Sie sich denken welche?
(6) Definieren Sie „deskriptive Tatbestandsmerkmale"!
verständlich ist,
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LE 8
Tatbestandsmerkmale (1) Nein! (2) Auslegung (3) sich heraus (4) deskriptiven (5) Man braucht sie nicht erst mühsam auszulegen (o.a.). (6) „Deskriptiv" nennt man solche Tatbestandsmerkmale, deren Sinngehalt aus sich heraus verständlich ist.
(1) Das Gegenstück zu den bilden die „normativen" Tatbestandsmerkmale. Der Sinngehalt eines solchen Tatbestandsmerkmals ist nicht aus sich heraus verständlich. Er bedarf vielmehr einer näheren Erklärung. Dies geschieht durch eine Ausfüllung des Begriffs anhand einer Werte- (= Normen-)ordnung. Tatbestandsmerkmale, die einer Ausfüllung anhand einer Werteordnung bedürfen, bezeichnet man als normative Tatbestandsmerkmale. Kurzformel: Normative Tatbestandsmerkmale = wertausfüllungsbedürftige Tatbestandsmerkmale. Im § 176 (1) finden Sie den Begriff „sexuelle Handlungen" (bitte lesen!). Jeder versteht darunter etwas anderes. Maßgebende Richtlinie für die Auslegung dieses Merkmals ist die herrschende Sittenordnung. „Sexuelle Handlungen" ist daher ein typisches Beispiel für (2) ein Tatbestandsmerkmal. Auch die Legaldefinition der „sexuellen Handlungen" in § 184c Z 1 ändert nichts daran. Im Gegenteil! Sie bestätigt, daß „sexuelle Handlungen" ein in hohem Maße normativer Begriff („von einiger Erheblichkeit"!) ist. § 184c Z 1 bitte lesen! Aber auch das Tatbestandsmerkmal „ f r e m d " im Diebstahl (§ 242 (1)) ist nicht aus sich (3) heraus verständlich und daher kein Tatbestandsmerkmal. Dieser Begriff bedarf der Ausfüllung anhand der geltenden Eigentumsordnung. Auf diese bezogen definiert man „ f r e m d " (§ 242 (1)) wie folgt: Eine Sache ist „ f r e m d " , wenn ihr Eigentümer ein anderer als der Täter ist. Ohne diesen Rückgriff auf die geltende Eigentumsordnung („Eigentümer") bleibt das (4) Merkmal „ f r e m d " unklar, verschwommen. Der Begriff „ f r e m d " ist daher ein Tatbestandsmerkmal. Neben den objektiven können insbesondere auch subjektive Tatbestandsmerkmale der Auslegung anhand einer Werteordnung bedürftig, d.h. normative Begriffe sein. Das gilt z.B. für die „Zueignungsabsicht" beim Diebstahl (§ 242 (1)) u n d die „Bereicherungsabsicht" beim Betrug (§ 263 (1)) und bei der Erpressung (§ 253 (1)). (5) Ordnen Sie die folgenden Tatbestandsmerkmale zu! „zerstören" (§ 303 (1)) „zur Täuschung im Rechtsverkehr" (§ 267 (1)) „ t ö t e n " (§ 212 (1)) (6)
Definieren Sie „normative Tatbestandsmerkmale"!
normativ / deskriptiv normativ / deskriptiv normativ / deskriptiv
LE 8
Tatbestandsmerkmale
111
(1) deskriptiven (2) normatives (3) deskriptives (4) normatives (5) „zerstören" (§ 303 (1)) = mehr normativ „zur Täuschung im Rechtsverkehr" (§ 267 (1)) = mehr normativ „töten" (§ 212 (1)) = mehr deskriptiv (6) Normative Tatbestandsmerkmale bedürfen der Ausfüllung anhand einer Werteordnung.
Bei der Zuordnung des einen oder anderen Tatbestandsmerkmals haben Sie nicht ohne Grund gezögert. Sie haben selbst entdeckt, daß diese Entscheidung nicht immer leicht und auch nicht immer ganz eindeutig zu treffen ist. Bei den meisten Tatbestandsmerkmalen fließen Normatives und Deskriptives ineinander über. (1) Wir wollen Ihrer zutreffenden Entdeckung am Beispiel des scheinbar rein deskriptiven / normativen Merkmals „Mensch" (z.B. § 212 (1)) nachgehen. In der Göttinger Universitätsklinik erliegt ein junger Mann seiner schweren Schädelverletzung. Vor seinem Tode hat er sein Herz für eine Transplantation an einen Herzkranken bestimmt. Bei derartigen Organtransplantationen stellt sich stets die Frage: Ab wann gilt der Organ(2) spender als und daher nicht mehr als „Mensch" im Sinne der Tötungsdelikte? Von der Beantwortung dieser Frage hängt es ab, ob der das Organ entnehmende Chirurg etwa wegen Totschlags (§ 212 (1)) bestraft werden kann! (3) Obwohl das Merkmal „Mensch" aus sich heraus verständlich und daher ein Begriff ist, kommt man mit dieser Erkenntnis zumindest im vorliegenden Fall nicht weit. Der Begriff „Mensch" bedarf der Auslegung nach Maßgabe der medizinisch-juristischen Werteordnung. Nach heutiger Auffassung ist insbesondere das Ausbleiben der Gehirnströme ein Indiz für (4) den Eintritt des Todes. So lange muß der Chirurg mit der Organentnahme
(5)
Im Randbereich zwischen Leben und Sterben erweist sich das Tatbestandsmerkmal „Mensch" somit durchaus als deskriptiv / als normativ. In diesem Randbereich hat der an sich deskriptive Begriff „Mensch" einen normativen Einschlag.
(6)
Bei „ F r a u " (§ 177 (1)) handelt es sich an sich um ein deskriptives / normatives Tatbestandsmerkmal. Bezüglich der rechtlichen Problematik von „ Z w i t t e r n " erweist sich aber, (7) daß selbst dieses Tatbestandsmerkmal einen Einschlag besitzt. (8) „Normativ" bzw. „deskriptiv" ist somit eine Frage des „entweder — o d e r " / des „ m e h r " oder „weniger".
112
Tatbestandsmerkmale
LE 8
(1) rein deskriptiven (2) t o t bzw. Leiche ( 3 ) deskriptiver (4) warten (5) als normativ (6) deskriptives (7) deskriptive; normativen ( 8 ) des „ m e h r " oder „ w e n i g e r "
Neben den „geschriebenen" gibt es „ungeschriebene" Tatbestandsmerkmale.
„Dein verstorbener Vater war ein elendes fung des A wegen Beleidigung (§ 185).
Nazischwein",
sagt A zu B. B beantragt
Bestra-
Lesen Sie bitte § 1 8 5 ! (1)
Dieser Vorwurf richtet sich gegen B / gegen den Vater des B. Letzterer aber ist längst tot. Kann B's Vater überhaupt „beleidigt" werden? Sind Tote überhaupt beleidigungsfähig i.S.d. § 185? Diese Frage wird von Praxis und Lehre dahin beantwortet, daß beleidigungsfähig nur der lebende Mensch ist. Bei dem Erfordernis, daß der Beleidigte eine lebende Person sein muß, handelt es sich um
(2) ein aus dem Wortlaut des § 185 ersichtliches / nicht ersichtliches und daher um ein schriebenes Tatbestandsmerkmal der Beleidigung. Ungeschriebene Tatbestandsmerkmale kommen nur bei wenigen Delikten vor.
(3)
Durch ungeschriebene Tatbestandsmerkmale wird der in § 1 1. Halbsatz verankerte Grundsatz „n p " nur scheinbar durchbrochen. Wo ungeschriebene Tatbestandsmerkmale entwickelt wurden, treten sie immer zu bereits vorhandenen geschriebenen Tatbestandsmerkmalen hinzu.
(4) J e mehr Merkmale ein Tatbestand aufweist, umso mehr / umso weniger Sachverhalte können unter ihn subsumiert werden. Daher werden der Tatbestand und damit die Straf(5) barkeit durch zusätzliche ungeschriebene Tatbestandsmerkmale ausgedehnt / eingeschränkt. (6) Eine Einschränkung des Tatbestands verstößt aber nie / verstößt stets gegen den Sinn des § 1 1. Halbsatz. Erklären Sie, warum ungeschriebene Tatbestandsmerkmale nicht gegen den Grundsatz (7)
„nulla poena sine lege" verstoßen!
LE 8
Tatbestandsmerkmale
113
(1) gegen den Vater des B (2) nicht ersichtliches; ungeschriebenes (der Vater des B ist also nicht „beleidigt" worden. Es kommt jedoch das Delikt „Verunglimpfung des Andenkens Verstorbener" (§ 189) in Betracht). (3) nulla poena sine lege (4) umso weniger (5) eingeschränkt (6) verstößt aber nie (7) Je mehr Tatbestandsmerkmale, umso eingeengter der Tatbestand. Daher wird die Strafbarkeit durch hinzutretende ungeschriebene Tatbestandsmerkmale nicht erweitert, sondern eingeschränkt (o.a.).
ZUSAMMENFASSUNG A Objektive und subjektive Tatbestandsmerkmale Maßgebender Aspekt dieser Einteilung ist der Bezugsgegenstand. Objektive Tatbestandsmerkmale beziehen sich auf das äußere Erscheinungsbild der Handlung. Zu dieser Kategorie zählen die meisten Tatbestandsmerkmale des StGB. Beim Diebstahl (§ 242 (1)) z.B. gehören zu den objektiven Tatbestandsmerkmalen die Begriffe „ f r e m d " , „beweglich", „Sache" und „wegnehmen". Subjektive Tatbestandsmerkmale beziehen sich auf Umstände, die im seelischen Bereich des Täters gelegen sind. Subjektive Tatbestandsmerkmale verwendet der Gesetzgeber in der Regel, um bestimmte Ziele zu beschreiben, die der Täter mit seiner Handlung verfolgt. Beispiele: „Zueignungsabsicht" beim Diebstahl (§ 242 (1)) und beim Raub (§ 249 (1)); „Bereicherungsabsicht" beim Betrug (§ 263) und bei der Erpressung (§ 253 (1)); „Täuschungsabsicht" bei der Urkundenfälschung (§ 267 (1)). Die tatsächliche Feststellung subjektiver Tatbestandsmerkmale bereitet in der Praxis meist erhebliche Schwierigkeiten. Das Gericht muß in solchen Fällen aus bestimmten äußeren Anzeichen (= Indizien) auf das Vorhandensein jenes innerseelischen Sachverhalts schließen, den das subjektive Tatbestandsmerkmal voraussetzt. B Deskriptive und normative Tatbestandsmerkmale Maßgebender Aspekt dieser Einteilung ist der Grad der Auslegungsbedürftigkeit. Als deskriptive Tatbestandsmerkmale bezeichnet man solche Tatbestandsmerkmale, deren Sinngehalt aus sich heraus verständlich ist. Beispiele: „ F r a u " (z.B. § 177 (1)); „Mann über 18 J a h r e " (§ 175 (1)); „Mädchen unter 16 J a h r e n " (§ 182 (1)); „Geschwister" (§ 173 (2) Satz 2); „beweglich" (§ 242 (1)); „ t ö t e n " (§ 212 (1)).
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Tatbestandsmerkmale
LE 8
Als normative Tatbestandsmerkmale bezeichnet man jene Tatbestandsmerkmale, welche einer Ausfüllung anhand einer Werteordnung bedürfen (= „wertausfüllungsbedürftige Tatbestandsmerkmale"). Beispiele: „Sexuelle Handlungen" (z.B. § 174 (1); § 176 (1); § 178 (1)); „ f r e m d " (§ 242 (1)); „Zueignungsabsicht" (§ 242 (1)); „Bereicherungsabsicht" (§ 263 (1)); „roh mißhandeln" (§ 2 2 3 b (1)); „ U r k u n d e " (§ 267 (1)). Die Grenzen zwischen deskriptiven und normativen Tatbestandsmerkmalen sind fließend. Auch scheinbar rein deskriptive Tatbestandsmerkmale sind in ihren Randzonen normativ (normativer Einschlag). Beispiel: Bezüglich des Begriffs „Mensch" (z.B. § 212 (1)) stellt sich im Zusammenhang mit den Organtransplantationen etwa die Frage nach dem Zeitpunkt des Todes des Organspenders. Die Entnahme eines unpaarigen Organs (z.B. Herz, Leber) vor diesem Zeitpunkt ist Totschlag i.S.d. § 212 (1). C Geschriebene und ungeschriebene Tatbestandsmerkmale Das Gros der Tatbestandsmerkmale ist ausdrücklich im Gesetz festgelegt (= geschriebene Tatbestandsmerkmale). Ungeschriebene Tatbestandsmerkmale kommen nur bei vereinzelten Delikten in Betracht. Beispiel: Ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal bei der Beleidigung (§ 185) ist die Beleidigungsfähigkeit. Beleidigungsfähig sind nur lebende Personen. Bezüglich verstorbener Personen k o m m t daher nicht Beleidigung (§ 185), sondern das Delikt der Verunglimpfung des Andenkens Verstorbener (§ 189) in Betracht. D Der Tatbestand Unter dem Aspekt des Verhältnisses von Tatbestand u n d Unrecht hatten wir Tatbestand definiert als „gesetzliche Beschreibung einer Handlung, die (generell betrachtet) strafrechtliches Unrecht ist" (LE 5). Der Begriff Tatbestand läßt sich aber auch unter einem sehr formalen Aspekt definieren. Tatbestand ist die Summe aller objektiven und subjektiven Tatbestandsmerkmale eines Delikts. Der Tatbestand des Diebstahls (§ 242 (1)) lautet: „Wer eine fremde bewegliche Sache einem anderen in der Absicht wegnimmt, dieselbe sich rechtswidrig zuzueignen". Wer alle Tatbestandsmerkmale eines Delikts erfüllt, handelt tatbestandsmäßig.
8
Tatbestandsmerkmale
115
Innerhalb des Tatbestandes unterscheidet man den gesetzlichen (= objektiven) Tatbestand und den subjektiven Tatbestand. Gesetzlicher Tatbestand (Synonym: objektiver Tatbestand) ist die Summe der objektiven Tatbestandsmerkmale eines Delikts. Das StGB verwendet den Begriff „gesetzlicher Tatbestand" z.B. in den § § 1 1 (2), 13 und 16(1).
Beim Diebstahl lautet der gesetzliche Tatbestand: „Wer eine fremde bewegliche Sache einem anderen wegnimmt". Subjektiver Tatbestand ist die Summe der subjektiven Tatbestandsmerkmale eines Delikts. Beim Diebstahl lautet der subjektive Tatbestand: „In der Absicht, dieselbe sich rechtswidrig zuzueignen". Es gibt eine Reihe von Delikten, deren Tatbestand sich sowohl aus objektiven als auch aus subjektiven Tatbestandsmerkmalen zusammensetzt. Beispiele: Diebstahl (§ 242 (1)); Raub (§ 249 (1)); Erpressung (§ 253 (1)); Betrug (§ 263 (1)); Urkundenfälschung (§ 267 (1)). Bei den meisten Delikten kommt der Gesetzgeber ohne subjektive Tatbestandsmerkmale aus. Bei ihnen sind die Begriffe „gesetzlicher Tatbestand" und „Tatbestand" identisch. Beispiele: Totschlag (§ 212 (1)); Körperverletzung (§ 223 (1)); Freiheitsberaubung (§ 239 (1)); Unterschlagung (§ 246 (1)); Sachbeschädigung (§ 303 (1)).
E Übersicht über die Arten der Tatbestandsmerkmale
Maßgebende Aspekte
Bezeichnung der Tatbestandsmerkmale
Bezugsgegenstand
objektive / subjektive
Grad der Auslegungsbedürftigkeit
deskriptive / normative
Gesetzliche Verankerung
geschriebene / ungeschriebene
2.1
TE 8
Testfragen zur L E 8
116
Lesen Sie § 257 (1). Dieser Tatbestand enthält eine Reihe von Tatbestandsmerkmalen. Analysieren Sie die einzelnen Tatbestandsmerkmale, indem Sie die einzelnen Spalten ankreuzen!
§ 257 (1)
objektiv
subjektiv
mehr deskriptiv
mehr normativ
ungeschrieben geschrieben
einem anderen nach Begehung einer rechtswidrigen Tat Hilfe leisten Absicht, ihm die Vorteile der Tat zu sichern
1.1
Wie lautet der gesetzliche (= objektive) Tatbestand des § 257 (1)?
1.2
Läßt sich die Anerkennung ungeschriebener Tatbestandsmerkmale mit dem Grundsatz „nulla poena sine lege" des § 1 1. Halbsatz vereinbaren? J a / Nein Begründung:
1.3
In der Praxis bereitet die Subsumtion unter die subjektiven Tatbestandsmerkmale oft große Schwierigkeiten. Warum?
1.4
Definieren Sie „normative Tatbestandsmerkmale"!
TE 8 2.2
Testfragen Beim Verlassen der Gaststätte greift A versehentlich auf. E sieht dies, stürzt hinter A her und beschuldigt
117 nach dem Hut des E und setzt ihn ihn des Diebstahls (§ 242 (1)).
1. Hat A den Tatbestand des Diebstahls erfüllt? J a / Nein Begründung:
2. J e t z t bitte aufpassen! Hat A den gesetzlichen Tatbestand des Diebstahls erfüllt? J a / Nein Begründung:
1.5
Was versteht man unter „objektiven Tatbestandsmerkmalen"?
1.6
Geben Sie zwei Paragraphen aus dem StGB an, in denen der Gesetzgeber subjektive Tatbestandsmerkmale verwendet!
1.7
Definieren Sie „deskriptive Tatbestandsmerkmale"!
2.3
Juri Ursoff vergewaltigt Tatjana Bizepsowa, die russische Weltmeisterin im Kugelstoßen. Beider Gerichtsverhandlung kommt der Sachverständige zum Ergebnis, daß die „Dame" „weder Mann noch Frau" sei. Dieses Beispiel soll demonstrieren, daß es sich bei dem Begriff „ F r a u " im § 177 (1) — bitte lesen! — um ein Tatbestandsmerkmal mit Einschlag handelt.
118
Testfragen
TE 8
1.8
Definieren Sie „gesetzlicher T a t b e s t a n d " !
2.4
Bei vielen Delikten sind „ T a t b e s t a n d " u n d „gesetzlicher T a t b e s t a n d " identisch. Ist dies der Fall beim Beischlaf zwischen V e r w a n d t e n (§ 173 (1))? J a / Nein bei der Kindestötung ( § 2 1 7 ( 1 ) ) ? J a / Nein bei der Geldfälschung (§ 146 (1) Z 1)? J a / Nein
2.5
„Saupreiß", flucht Sepp Ahamer (A) als auf der A 21 bei Adelzhausen ein PKW mit dem Kennzeichen MS rücksichtslos auf die Überholspur ausschert und ihn zu einer Vollbremsung zwingt. Als A seinen Widersacher (W) schließlich überholt, dreht er sich kurz um und tippt sich — für W gut sichtbar — zweimal mit dem Zeigefinger an die Stirn. Lesen Sie b i t t e § 185! Wir wollen überlegen, o b A den W beleidigt h a t . 1. Zunächst bedarf der Sachverhalt einer Ausdeutung. Das Tippen mit d e m Zeigefinger an die Stirn drückt aus, (bitte ergänzen!)
2. Es ist die Frage, o b A den W damit beleidigt hat. Beleidigung ist ein normativer / deskriptiver Begriff, weil (bitte ergänzen!)
3. Die Definition der Beleidigung lautet: Beleidigung ist jegliche Form der Kundgabe von Nicht- oder Mißachtung eines Menschen. Mithin hat A den Tatbestand des § 185 erfüllt / nicht erfüllt, weil (bitte ergänzen!)
Literatur: Zu den Arten der Tatbestandsmerkmale vgl. Baumann aaO. § 12 II 1; Jescheck aaO. § 26 IV, § 27, § 30;Maurach aaO. § 20 V;Mezger-Blei aaO. § 35 I—III.
Antworten
TE 8
§ 257 (1)
objektiv
subjektiv
119
mehr deskriptiv
mehr normativ
X
ungeschrieben geschrieben
einem anderen
X
nach Begehung einer rechtswidrigen Tat
X
X
X
Hilfe leisten
X
X
X
X
X
Absicht, ihm die Vorteile der Tat zu sichern
X
X
1.1
Wer einem anderen, der eine rechtswidrige Tat begangen hat, Hilfe leistet.
1.2
J a ! Der Sinn des § 1 1. Halbsatz geht dahin, ACT Erweiterung der Strafbarkeit entgegenzutreten. Ungeschriebene Tatbestandsmerkmale schränken aber stets den Tatbestand und damit die Strafbarkeit ein (o.a.).
1.3
Man kann nicht in den Täter hineinschauen. Leugnet der Täter, so kann man meist nur aus Indizien schließen, ob jener innerseelische Sachverhalt, der dem subjektiven Tatbestandsmerkmal entspricht, vorhanden ist (o.a.).
1.4
Normative Tatbestandsmerkmale müssen anhand einer Werteordnung näher ausgefüllt werden (= wertausfüllungsbedürftige Tatbestandsmerkmale) o.a.
2.2
1. Nein! A hat „versehentlich" den fremden Hut aufgesetzt, also nicht mit Zueignungsabsicht gehandelt (o.a.). 2. J a ! Denn A hat eine fremde bewegliche Sache weggenommen.
1.5
„Objektiv" nennt man solche Tatbestandsmerkmale, die sich auf das äußere Erscheinungsbild der Tat beziehen (o.ä.).
1.6
Z.B. § 242(1); § 249 (1); § 253 (1); § 263 (1); § 267 (1)
1.7
„Deskriptiv"nennt man solche Tatbestandsmerkmale, deren Sinngehalt aus sich heraus verständlich ist.
2.3
deskriptives Tatbestandsmerkmal mit normativem Einschlag
1.8
Gesetzlicher Tatbestand ist die Summe der objektiven
2.4
beim Beischlaf zwischen Verwandten (§ 173 (1)): bei der Kindestötung (§ 217 (1)): bei der Geldfälschung (§ 146 (1) Z 1):
2.5
1. daß man den anderen für einen Idioten hält (o.ä.) 2. normativer Begriff; er nicht aus sich heraus verständlich ist, sondern einer Auslegung anhand einer Werteordnung bedarf 3. erfüllt; in dem Tippen an die Stirn eine Kundgabe der Mißachtung des W liegt (o.ä.)
Tatbestandsmerkmale eines Delikts. Ja! Ja! Nein!
DELIKTSGRUPPEN
120
LE 9
L e r n z i e 1: In dieser LE werden die Delikte nach verschiedenen Gesichtspunkten gruppiert. Sie werden „Begehungsdelikte" und „Unterlassungsdelikte", „Tätigkeitsdelikte" und „Erfolgsdelikte", „Vorsatzdelikte" und „Fahrlässigkeitsdelikte", „Grunddelikte", „qualifizierte Delikte" und „privilegierte Delikte" kennenlernen.
Ähnlich wie die Tatbestandsmerkmale lassen sich auch die strafrechtlichen Delikte nach verschiedenen Gesichtspunkten einteilen. Im Vordergrund steht zunächst die Art der Tathandlung. (1) J e nachdem, ob die Tathandlung in einem Tun oder in einem besteht, unterscheidet man Begehungsdelikte u n d Unterlassungsdelikte. Begehungsdelikte sind Delikte, bei denen das Gesetz ein bestimmtes Tun mit Strafe bedroht. Lesen Sie bitte § 242 (1)! (2) Die Tathandlung des Diebstahls ist die (3) Beim Diebstahl ist ein Tun / ein Unterlassen mit Strafe bedroht. (4) Mithin ist Diebstahl ein (5) Totschlag (§ 212 (1)) ist ein
delikt, weil (bitte ergänzen!)
Wie Diebstahl und Totschlag sind die weitaus meisten Delikte des StGB Begehungsdelikte. Das Gegenstück zu den Begehungsdelikten bilden die Unterlassungsdelikte. Bei ihnen orientiert sich das Gesetz an der anderen Erscheinungsform der Handlung (6) und stellt darauf ab, daß der Täter etwas ". (7) „Unterlassen" im Strafrecht heißt stets: Nichtvornahme eines Mithin sind Unterlassungsdelikte Delikte, bei denen das Gesetz die Nichtvornahme eines gebotenen Tuns mit Strafe bedroht.
Tuns.
LE 9
Deliktsgruppen
121
(1) Unterlassen ( 2 ) Wegnahme ( 3 ) ein Tun (4) Begehungsdelikt ( 5 ) Begehungsdelikt; das Gesetz ein Tun (das „ T ö t e n " eines Menschen) mit Strafe bedroht (o.a.) ( 6 ) „unterläßt" (7) gebotenen
Handelt es sich bei den folgenden Delikten um Begehungsdelikte oder um Unterlassungsdelikte? (1)
Bitte das Zutreffende ankreuzen!
§§
Begehungsdelikt
Unterlassungsdelikt
§ 267 ( 1 ) § 330 c § 303 (1) § 248 b (1)
(2)
Erklären Sie, warum es sich bei § 330 c um ein delikt handelt!
Täter eines Unterlassungsdelikts ist jedermann, der in der vom Gesetz geschilderten (3)
Situation das vom Gesetz gebotene Tun vornimmt / nicht vornimmt. Zwölf Meter vor Ihnen kracht es. Frontalzusammenstoß. Ein Schwerverletzter auf der Straße. Sie blicken weg und suchen schleunigst das Weite.
(4)
(5)
liegt
blutend
Welche Handlung war in dieser Situation geboten?
Da Sie diese Handlung nicht vorgenommen haben, ist der Tatbestand des § erfüllt / nicht erfüllt.
(6)
Erklären Sie, warum es sich bei § 154 (1) um ein
delikt handelt!
Deliktsgnippen
122
LE 9
(1) § 267 (1), § 303 (1), § 248 b (1) = Begehungsdelikte; § 330 c = Unterlassungsdelikt (2) Unterlassungsdelikt. Weil durch § 330 c das „Nichtleisten von Hilfe", mithin also die Nichtvornahme eines gebotenen Tuns mit Strafe bedroht ist (o.a.). (3) nicht vornimmt (4) Den Schwerverletzten zu versorgen; einen Arzt zu verständigen; einen Unfallwagen herbeizuholen (o.ä.) (5) § 330 c erfüllt (6) Begehungsdelikt. Weil das Gesetz ein Tun, das Falschschwören vor Gericht etc. mit Strafe bedroht (o.ä.).
Die Begehungsdelikte lassen sich danach gruppieren, ob sich der Tatbestand in der Vornahme einer bloßen = „ s c h l i c h t e n " Tätigkeit erschöpft oder ob über die Tathandlung hinaus der Eintritt eines bestimmten Erfolges gefordert wird. Danach teilt man die Begehungsdelikte ein in Erfolgsdelikte und schlichte Tätigkeitsdelikte. Gehen wir vom Delikt des Totschlags (§ 2 1 2 (1)) aus. (1)
Das Tun, das in diesem Tatbestand beschrieben ist, ist das
Diese Tathand-
lung impliziert zugleich den Eintritt einer bestimmten Wirkung der Handlung in der Außen(2) weit. Denn „ t ö t e n " im Sinne des § 2 1 2 (1) setzt als Erfolg den Eintritt des eines Menschen voraus. Dieser Erfolg steckt zwar schon im „ t ö t e n " , läßt sich von dieser Tathandlung aber zumindest gedanklich (i.S. von räumlich — zeitlich) abtrennen. Unter Erfolg im Sinne der Erfolgsdelikte versteht man den Eintritt einer von der Tat(3)
handlung zumindest
abtrennbaren Wirkung in der Außenwelt.
Der Eintritt eines solchen Erfolges gehört bei den Erfolgsdelikten zum Tatbestand. (4)
„Töten im Sinne des Tatbestandes des § 2 1 2 (1) bedeutet folglich: Vornahme einer entsprechenden Handlung plus / minus Eintritt des Todes. § 2 1 2 (1) ist daher ein schlichtes
(5)
Tätigkeitsdelikt / ein Erfolgsdelikt.
(6)
Erfolgsdelikte sind solche B
delikte, die den Eintritt einer von der Tat-
handlung zumindest gedanklich abtrennbaren Wirkung in der Außenwelt voraussetzen. Die meisten Begehungsdelikte des S t G B sind Erfolgsdelikte. (7)
Definieren Sie den Begriff „ E r f o l g " !
123
Deliktsgruppen
LE 9
(1) Töten (2) Todes (3) gedanklich (4) plus (5) ein Erfolgsdelikt (6) Begehungsdelikte (7) Erfolg ist der Eintritt einer von der Tathandlung zumindest gedanklich abtrennbaren Wirkung in der Außenwelt (o.a.).
Analysieren Sie nunmehr das Delikt des § 239 (1)! Worin besteht bei diesem Delikt (1) a) die Tathandlung?
(2) b) die von ihr gedanklich abtrennbare Wirkung in der Außenwelt?
(3) § 239 (1) ist daher ein
delikt.
Im Gegensatz zu den Erfolgsdelikten kommt es bei den schlichten Tätigkeitsdelikten nur auf das bloße Tun an, nicht aber auf den Eintritt irgendeiner Wirkung in der Außenwelt. Beispiel: Der 18jährige A verführt seine 16jährige Schwester
S.
Damit erfüllt er den Tatbestand des § 173 (2) Satz 2. Bitte lesen! (4) Die in diesem Tatbestand vorausgesetzte Tätigkeit besteht im (bitte ergänzen!)
Ob S nunmehr ihrer Jungfräulichkeit beraubt worden oder in Ohnmacht gefallen ist (5) oder schwanger wird oder ob irgendein anderer E eintritt, gehört nicht mehr / gehört zum Tatbestand dieses Delikts. Für den Tatbestand des § 173 (2) Satz 2 genügt die Vornahme eines bestimmten Tuns. (6) Darin erschöpft er sich. § 173 (2) Satz 2 ist daher ein
(7) Schlichte Tätigkeitsdelikte sind B der Vornahme eines bestimmten Tuns erschöpft.
delikte, deren Tatbestand sich in
Fräulein Weise denkt an die Alimente und beschwört wider besseres Wissen vor Gericht, mit dem Juniorchef der Firma auch noch während der Empfängniszeit verkehrt zu haben. In Betracht kommt Meineid (§ 154 (1). Bitte lesen! (8) Bei diesem Delikt handelt es sich um ein schlichtes Tätigkeitsdelikt, weil (bitte ergänzen!)
124
LE 9
Deliktsgruppen (1) (2) (3) (6) (8)
In dem Einsperren eines Menschen oder vergleichbarem Tun (o.ä.) Gedanklich abtrennbar ist der Eintritt des Freiheitsverlustes (o.a.). Er ist der „Erfolg" i.S.d. § 239 (1). Erfolgsdelikt (4) Vollzug des Beischlafs mit der Schwester (5) Erfolg; gehört nicht mehr schlichtes Tätigkeitsdelikt (7) Begehungsdelikte sich der Tatbestand des § 154 (1) in der Vornahme eines schlichten Tuns, dem „Falschschwören" erschöpft. Daß ein weiterer Erfolg eintritt, z.B. daß sich der Richter täuschen läßt und ein unrichtiges Urteil fällt, ist möglich, gehört aber nicht mehr zum Tatbestand dieses Delikts (o.a.).
Unter dem Aspekt, ob das Gesetz vorsätzliches oder fahrlässiges Handeln mit Strafe bedroht, unterscheidet man Vorsatzdelikte und Fahrlässigkeitsdelikte. Ob ein Delikt ein Fahrlässigkeitsdelikt oder ein Vorsatzdelikt ist, läßt sich bei manchen Delikten unmittelbar aus dem Wortlaut des Delikts entnehmen. (1) Z.B. ist § 222 (bitte lesen!) ein Fahrlässigkeitsdelikte sind Delikte, bei denen das Gesetz fahrlässiges Handeln mit Strafe bedroht. Lesen Sie bitte § 223 (1)! (2) Aus dem Wortlaut dieses Delikts ist nicht ersichtlich, ob das Gesetz oder
Handeln mit Strafe bedroht.
Bei den meisten Delikten des StGB ist dies aus dem Wortlaut nicht ersichtlich. Für alle diese Delikte gilt § 15. Bitte lesen! (3) Mithin ist „Körperverletzung" ( 223 (1)) ein Vorsatzdelikt / ein Fahrlässigkeitsdelikt. (4) Aus § 15 ergibt sich daher, daß die weitaus meisten Delikte des StGB delikte (5) sind. Fahrlässigkeitsdelikte sind nur jene, bei denen das Gesetz ausdrücklich (bitte ergänzen!)
Das StGB enthält nur verhältnismäßig wenige Fahrlässigkeitsdelikte. Die beiden praktisch wichtigsten sind „Fahrlässige T ö t u n g " (§ 222) und „Fahrlässige Körperverletzung" (§ 230). (6) Gemäß § 239 (1) i.V.m. § 15 ist z.B. „Freiheitsberaubung" ein bloß Handeln ebenfalls strafbar / nicht strafbar. (7) Vorsatzdelikte sind Delikte, bei denen das Gesetz mit Strafe bedroht.
delikt und bei
Deliktsgruppen
LE 9 (1)
Fahrlässigkeitsdelikt
( 4 ) Vorsatzdelikte (6)
(5)
( 2 ) vorsätzliches; fahrlässiges
125 ( 3 ) ein V o r s a t z d e l i k t
fahrlässiges Handeln mit Strafe b e d r o h t (o.ä.)
V o r s a t z d e l i k t ; fahrlässigem; nicht strafbar
( 7 ) vorsätzliches Handeln
Trottel hat in seiner Unachtsamkeit (= fahrlässig) die wertvolle des Reich zu Boden gestoßen, wo sie zerschellt ist.
Meissener
Porzellanschale
Kann er wegen Sachbeschädigung (§ 303 ( 1 ) ) bestraft werden? (Die Beantwortung der Frage ergibt sich ausschließlich aus § 303 (1) i.V.m. § 15; bitte beide Vorschriften genau lesen!) (1) Ja / Nein
Begründung:
Die verschiedenen Deliktseinteilungen schließen einander in der Regel nicht aus. Häufig überschneiden sie sich. Lesen Sie die nachfolgenden Delikte und ordnen Sie sie durch Ankreuzen der entspre(2)
chenden Spalte den jeweiligen Deliktsgruppen zu!
§§
Begehungsdelikt
Unterlassungsdelikt
Erfolgsdelikt
Tätigkeitsdelikt
entfällt
entfällt
Vorsatzdelikt
Fahrlässigkeitsdelikt
§ 309 § 217 ( 1 ) § 242 ( 1 ) § 173 ( 1 ) § 138 ( 1 )
Es ist üblich, mehrere Einteilungskategorien zu einem einzigen Begriff zusammenzuziehen. So spricht man in bezug auf die fahrlässige Tötung von fahrlässigem Begehungsdelikt. (3)
Damit wird ausgedrückt, daß es sich sowohl um ein als auch um ein
delikt
delikt handelt.
Erschlägt A den B vorsätzlich, so kommt Totschlag (§ 212 ( 1 ) ) in Betracht. Bei diesem (4)
Delikt handelt es sich um ein
B
Die zahlenmäßig weitaus größte und auch praktisch wichtigste Deliktsgruppe im StGB bilden die vorsätzlichen Begehungsdelikte. Erfolgs- und Tätigkeitsdelikte sind bloße (5)
Untergruppen des
delikts.
A u f die Deliktsgruppe der vorsätzlichen Begehungsdelikte sind die Ausführungen dieses Lernprogramms bis einschließlich L E 24 in erster Linie zugeschnitten. L E 25 bis L E 27 befassen sich speziell mit den F a h r l ä s s i g k e i t s d e l i k t e n und LE 28 bis LE 30 speziell mit
den Unterlassungsdelikten.
Deliktsgruppen
126
LE 9
(1) Nein! Fahrlässige Sachbeschädigung ist nach dem StGB überhaupt nicht strafbar. Sie wäre nur dann strafbar, wenn der Gesetzgeber dies in § 303 (1) ausdrücklich erklärt hätte: § 15! Das aber hat er nicht getan. (2) Begehungsdelikte: §§ 309, 217 (1), 242 (1), 173 (1). Unterlassungsdelikt: § 138 (1). Erfolgsdelikte: §§ 309, 217 (1), 242 (1). Tätigkeitsdelikt: § 173 (1). Vorsatzdelikte: §§ 217 (1), 242 (1), 173 (1), 138 (1). Fahrlässigkeitsdelikt: § 309. (3) Fahrlässigkeitsdelikt; Begehungsdelikt (4) vorsätzliches Begehungsdelikt (5) Begehungsdelikts
Im StGB gibt es zahlreiche Deliktsfamilien. Innerhalb dieser Deliktsfamilien unterscheidet man Grunddelikte, qualifizierte Delikte und privilegierte Delikte. Solche Deliktsfamilien stellen insbesondere „ d i e " Tötungsdelikte, (§§ 211 bis 217), „ d i e " (1) Körperverletzungsdelikte (§§ 223 bis 233), „die" Diebstahlsdelikte (§§ bis 244, 247, 248 a) etc. dar. Derartige Deliktsfamilien lassen sich — bildlich gesprochen — auf ein „Mutterdelikt" zurückführen. Technisch spricht man von Grunddelikt (Grundtatbestand). Die Grunddelikte finden sich im StGB meist an der Spitze der jeweiligen Deliktsgruppe. (2) G delikt der Diebstahlsdelikte ist der letzungsdelikte die (§
(§
), der Körperver-
).
Die übrigen Delikte der Deliktsfamilie werden vom Gesetzgeber durch Abwandlung des Grunddelikts gebildet. (3) Eine solche des Grunddelikts des § 223 (1) stellt z.B. die „Körperverletzung mit Todesfolge" (§ 226 (1)) dar. (4) Worin besteht die Abwandlung gegenüber § 223 (1)?
Man spricht von qualifiziertem Delikt (qualifiziertem Tatbestand), wenn das Gesetz an eine bestimmte Abwandlung des Grunddelikts eine schwerere Strafe knüpft. (5) Mithin handelt es sich z.B. beim § 226 (1) um ein nis zu §
Delikt im Verhält-
Man spricht von privilegiertem Delikt (privilegiertem Tatbestand), wenn das Gesetz an eine (6) bestimmte Abwandlung des Grunddelikts eine Strafe oder eine sonstige Vergünstigung knüpft. (7) Beim Haus- und Familiendiebstahl (§ 247) handelt es sich um ein qualifiziertes Delikt / privilegiertes Delikt im Verhältnis zum G delikt des
(§
)•
(8) Die Privilegierung besteht bei diesem Delikt nicht in der milderen sondern darin, daß die Tat nur auf Antrag verfolgt wird.
,
LE 9
Deliktsgruppen (1) (3) (4) (5) (7)
127
§ 242 ( 2 ) Grunddelikt; Diebstahl (§ 2 4 2 ( 1 ) ) ; Körperverletzung (§ 2 2 3 ( 1 ) ) Abwandlung Darin, daß durch die Körperverletzung der T o d des V e r l e t z t e n verursacht worden ist (o.a.) qualifiziertes; § 2 2 3 ( 1 ) ( 6 ) mildere privilegiertes D e l i k t ; Grunddelikt; Diebstahls (§ 2 4 2 ( 1 ) ) (8) S t r a f e
ZUSAMMENFASSUNG A Begehungsdelikte und Unterlassungsdelikte Maßgebender Aspekt dieser Einteilung ist die Art der Tathandlung. Begehungsdelikte sind Delikte, bei denen das Gesetz ein bestimmtes Tun mit Strafe bedroht. Beispiele: Totschlag (§ 2 1 2 (1)); Körperverletzung (§ 223 (1)); Sachbeschädigung (§ 303 (1)); Diebstahl (§ 2 4 2 (1)); Beischlaf zwischen Verwandten (§ 173 (1) und (2)); Meineid (§ 154 (1)). Unterlassungsdelikte sind Delikte, bei denen das Gesetz die Nichtvornahme eines geböte' nen Tuns mit Strafe bedroht. Beispiele ¡Nichtanzeige geplanter Straftaten (§ 138 (1)); Unterlassene Hilfeleistung (§ 3 3 0 c). Das Gros der Delikte im StGB bilden die Begehungsdelikte.
Die Begehungsdelikte zerfallen wiederum in: B Erfolgsdelikte und schlichte Tätigkeitsdelikte Maßgebender Aspekt dieser Einteilung der Begehungsdelikte ist die Frage, ob sich der Tatbestand in der Vornahme eines bestimmten Tuns erschöpft oder ob über die Tathandlung hinaus der Eintritt eines bestimmten Erfolgs gefordert wird. Erfolg im Sinne der Erfolgsdelikte ist der Eintritt einer von der Tathandlung zumindest gedanklich abtrennbaren Wirkung in der Außenwelt. Erfolgsdelikte sind Delikte, die den Eintritt einer von der Tathandlung zumindest gedanklich abtrennbaren Wirkung in der Außenwelt voraussetzen. Beispiele: Totschlag (§ 2 1 2 (1)); Körperverletzung (§ 223 (1)); Sachbeschädigung (§ 3 0 3 (1))¡Diebstahl (§ 2 4 2 (1)); Fahrlässige Tötung (§ 2 2 2 ) ; Fahrlässige Körperverletzung (§ 2 3 0 ) . Schlichte Tätigkeitsdelikte (Synonym: Tätigkeitsdelikte) sind Delikte, deren Tatbestand sich in der Vornahme eines bestimmten Tuns erschöpft. Beispiele: Meineid (§ 154 (1)); Beischlaf zwischen Verwandten (§ 173 (1) und (2)).
128
Deliktsgruppen
LE 9
C Vorsatzdelikte und Fahrlässigkeitsdelikte Maßgebender Aspekt dieser Einteilung ist die Frage, ob vorsätzliches oder fahrlässiges Handeln mit Strafe bedroht ist. Vorsatzdelikte sind alle Delikte, bei denen das Gesetz vorsätzliches Handeln mit Strafe bedroht. Beispiele: Totschlag (§212 (1)); Körperverletzung (§ 223 (1)); Sachbeschädigung (§ 3 0 3 (1)); Diebstahl (§ 2 4 2 (1)); Beischlaf zwischen Verwandten (§ 173 (1) und (2)); Meineid (§ 154 (1)). Fahrlässigkeitsdelikte sind solche Delikte, bei denen das Gesetz fahrlässiges Handeln mit Strafe bedroht. Beispiele: Fahrlässige Tötung (§ 2 2 2 ) ; Fahrlässige Körperverletzung (§ 2 3 0 ) ; Fahrlässige Brandstiftung (§ 3 0 9 ) . Die meisten Delikte des StGB sind Vorsatzdelikte. Fahrlässiges Handeln ist nur strafbar, wenn der Gesetzgeber dies für ein bestimmtes Delikt ausdrücklich angeordnet hat; § 15. Die zahlenmäßig weitaus größte und praktisch wichtigste Deliktsgruppe im S t G B bilden die vorsätzlichen Begehungsdelikte. An ihnen orientiert sich das Lernprogramm daher auch in erster Linie. D Grunddelikte, qualifizierte Delikte und privilegierte Delikte Maßgebender Aspekt dieser Einteilung ist die Abstufung der Strafdrohungen innerhalb einer Deliktsfamilie. Vom Gesetzgeber werden durch Abwandlung des Grunddelikts (Grundtatbestands) häufig qualifizierte und privilegierte Delikte gebildet. Grunddelikt der Tötungsdelikte ist der Totschlag des § 2 1 2 (1), der Körperverletzungsdelikte die Körperverletzung des § 223 (1), der Diebstahlsdelikte der Diebstahl des § 2 4 2 (1). Bei einem qualifizierten Delikt (qualifizierten Tatbestand) knüpft das Gesetz an die Abwandlung des Grunddelikts eine schwerere Strafe. Beispiele: die Körperverletzungsdelikte der §§ 223a, 2 2 4 , 2 2 5 , 2 2 6 im Verhältnis zum Grunddelikt des § 223 (1); die Diebstahlsdelikte des § 2 4 4 (1) im Verhältnis zum Grunddelikt des § 2 4 2 (1). Bei einem privilegierten Delikt (privilegierten Tatbestand) knUpft das Gesetz an die Abwandlung des Grunddelikts eine mildere Strafe oder eine sonstige Vergünstigung (etwa Bestrafung nur auf Antrag). Beispiele: Haus- und Familiendiebstahl (§ 2 4 7 ) und Diebstahl geringwertiger Sachen (§ 248a) im Verhältnis zum Grunddelikt des § 2 4 2 (1).
Deliktsgruppen
LE9
129
Die Abwandlung der Delikte geschieht in der Regel durch qualifizierende oder privilegierende Tatbestandsmerkmale. Beispiele: „ W a f f e " im § 223 a (1) u n d das „Bei-sich-führen einer S c h u ß w a f f e " im § 2 4 4 (1) Z 1 sind qualifizierende, das Angehörigenverhältnis zum Bestohlenen im § 247 u n d die „Geringwertigkeit" der Sache im § 248a sind privilegierende Tatbestandsmerkmale. £
Überschneidungen
Die jeweiligen Deliktseinteilungen schließen einander in der Regel nicht aus, sondern überschneiden sich. So ist z.B. die Fahrlässige T ö t u n g (§ 222) sowohl Fahrlässigkeitsdelikt als auch Begehungsdelikt u n d Erfolgsdelikt. Diese Einteilungen lassen sich zudem in beliebiger Weise kombinieren. J e n a c h d e m , welche Aspekte bei einer b e s t i m m t e n Betrachtung im Vordergrund stehen, bezeichnet m a n die Fahrlässige T ö t u n g als fahrlässiges Begehungsdelikt oder als fahrlässiges Erfolgsdelikt.
F Übersicht über die Einteilungen der Delikte Maßgebende Aspekte
Bezeichnung der Delikte
A r t der Tathandlung
Begehungsdelikte / Unterlassungsdelikte
Bloßes Tun oder Herbeiführung eines Erfolgs
Tätigkeitsdelikte / Erfolgsdelikte
Vorsätzliches oder fahrlässiges Handeln
Vorsatzdelikte / Fahrlässigkeitsdelikte
A b s t u f u n g e n innerhalb einer Deliktsfamilie
Grunddelikte / privil. Delikte / qualif. Delikte
130
Testfragen zur LE 9
TE 9
1.1
Nach der Art der Tathandlung unterscheidet man (bitte ergänzen!)
1.2
Definieren Sie „Unterlassungsdelikte"!
2.1
Der Gegenbegriff zum „schlichten Tätigkeitsdelikt" ist das delikt". Beide Deliktsarten sind Erscheinungsformen des Unterlassungsdelikts / des Begehungsdelikts.
2.2
Eine Tübinger Kindergärtnerin (K) wandert mit ihrer Gruppe zum Spitzberg. Plötzlich tritt ein etwa 40jähriger Mann mit offener Hose auf eine Lichtung und beginnt, in Sichtweite der Kinder zu masturbieren. „Saubolla — dem sott ma's Hosadierle zuannähe!" empört sich K und ergreift mit ihren Kindern die Flucht. In Betracht kommt das Delikt der „Exhibitionistischen Handlungen" (§ 183 (1)). Dieses Delikt ist ein Erfolgsdelikt / Tätigkeitsdelikt, weil (bitte ergänzen!)
1.3
Definieren Sie „Tätigkeitsdelikte"!
1.4
Nennen Sie ein Beispiel für ein Tätigkeitsdelikt!
TE 9 2.3
131
Testfragen
Lesen Sie die nachfolgenden Delikte u n d ordnen Sie sie durch Ankreuzen den angegebenen Deliktsgruppen zu!
§§
Begehungsdelikt
Unterlassungsdelikt Erfolgsdelikt
Tätigkeitsdelikt
Vorsatzdelikt
Fahrlässigkeit sdelikt
§216(1) § 138(1)
entfällt
entfällt
§ 314 § 263 (1)
1.5
Was heißt „ E r f o l g " i.S.d. Erfolgsdelikte?
1.6
Ihr Kommilitone b e h a u p t e t : Sämtliche Delikte des StGB sind sowohl bei Fahrlässigkeit als auch bei Vorsatz strafbar. Diese Behauptung ist falsch / richtig. Begründung:
1.7
„Unterlassen" im Strafrecht b e d e u t e t stets (bitte ergänzen!)
2.4
In Volsbach (Landkreis Bayreuth) kippten Unbekannte eine dampfende Fuhre Mist ihrem katholischen Pfarrer vor die Haustür. Lakonischer Kommentar des Geistlichen: „Man könnte meinen, da hätte jemand sein Hirnkastl ausgeleert". Das Auskippen einer Fuhre Mist vor der Haustür des Geistlichen ist eine (symbolische) Beleidigung i.S.d. § 185. Die Beleidigung (§ 185) ist ein Unterlassungsdelikt / Begehungsdelikt, weil (bitte ergänzen!)
2.5
Lesen Sie § 2 4 4 (1) Z 1! Worin besteht die tatbestandliche Abwandlung dieses Delikts gegenüber dem delikt des § 242 (1)?
Testfragen
132
TE 9
1.8
Da das Gesetz an das Delikt des § 244 (1) Z 1 eine es sich bei dieser Abwandlung des § 242 (1) um ein
2.6
Lesen Sie die nachfolgenden Delikte u n d o r d n e n Sie sie durch Ankreuzen den angegeb e n e n Deliktsgruppen zu! §§
Grunddelikt
Strafe k n ü p f t , handelt Delikt.
qualifiziertes Delikt
privilegiertes Delikt
§ 239 (1) § 239 (2) § 123 (1) § 124 § 242 (1) § 247
1.9
Definieren Sie „privilegiertes Delikt"!
Wichtiger Hinweis! 2.7
Der Gesetzgeber formuliert qualifizierte (privilegierte) Delikte häufig in der Weise, daß er u n t e r pauschaler Bezugnahme auf das Grunddelikt allein das qualifizierende (privilegierende) Merkmal herausstellt. In solchen Fällen müssen Sie das vollständige Delikt selbst bilden, indem Sie das qualifizierende (privilegierende) Merkmal in das Grunddelikt hineinlesen! 1. Mithin lautet das qualifizierte Delikt des § 242 (1) i.V.m. § 244 (1) Z 1 in seinem vollständigen Wortlaut: „Wer eine f r e m d e Sache (bitte ergänzen!)
2. Das Delikt „Körperverletzung mit T o d e s f o l g e " (§ 223 (1) i.V.m. § 226 (1)) lautet vollständig: „Wer (bitte ergänzen!)
Literatur: Zu den verschiedenen Deliktsgruppen vgl. Jescheck aaO. § 26 II—01; Maurach aaO. § 20 III—IV; Wessels aaO. § 1 II.
TE 9
Antworten
133
1.1
Begehungsdelikte und Unterlassungsdelikte
1.2
Unterlassungsdelikte sind Delikte, bei denen das Gesetz die Nichtvornahme eines gebotenen Tuns mit Strafe bedroht.
2.1
„Erfolgsdelikt"; des Begehungsdelikts
2.2
Erfolgsdelikt; die Belästigung (auf deren Eintritt § 183 (1) ausdrücklich abstellt) gedanklich Tathandlung abtrennbar ist (o.a.)
1.3
Tätigkeitsdelikte sind Delikte, deren Tatbestand sich in der Vornahme eines bestimmten Tuns erschöpft.
1.4
Z.B. § 173 (1) und (2); § 154 (1) Begehungsdelikt
§§
UnterErfolgsdelikt lassungsdelikt
X
§ 216
Tätigkeitsdelikt
X
§ 138 (1)
entfällt
X entfällt
§ 314
X
X
§ 263 (1)
X
X
Fahrlässigkeit sdelikt
Vorsatzdelikt
X
von der
X X X
1.5
Erfolg im Sinne der Erfolgsdelikte ist der Eintritt einer von der Tathandlung zumindest gedanklich abtrennbaren Wirkung in der Außenwelt.
1.6
Falsch! Gemäß § 15 ist Fahrlässigkeit nur bei solchen Delikten strafbar, bei denen das Gesetz dies ausdrücklich bestimmt (o.ä.).
1.7
Nichtvornahme eines gebotenen Tuns
2.4
Begehungsdelikt; das Gesetz hier ein bestimmtes Tun mit Strafe bedroht (o.ä.)
2.5
Grunddelikt; darin, daß der Täter oder ein anderer Beteiligter eine Schußwaffe bei sich führt
1.8
schwerere; qualifiziertes Delikt
§§ § 239 (1)
Grunddelikt
X X
§ 124 § 242 (1) § 247
privilegiertes Delikt
X
§ 239 (2) § 123 (1)
qualifiziertes Delikt
X
X X
1.9
Bei einem privilegierten Delikt knüpft das Gesetz an die Abwandlung des Grunddelikts eine mildere Strafe oder eine sonstige Vergünstigung.
2.7
1. „Wer eine fremde bewegliche Sache einem anderen in der Absicht wegnimmt, dieselbe sich rechtswidrig zuzueignen, wird, wenn er oder ein anderer Beteiligter eine Schußwaffe bei sich führt, bes t r a f t " (o.ä.). 2. „Wer einen anderen körperlich mißhandelt oder an der Gesundheit beschädigt, wird, wenn der Tod des Verletzten verursacht worden ist, bestraft" (o.a.).
dadurch
KAUSALITÄT
134
L E 10
L e r n z i e l : In dieser L E werden Sie sich speziell mit einem objektiven Tatbestandsmerkmal der Erfolgsdelikte befassen, der „ K a u s a l i t ä t " . Bei der Frage der „ K a u s a l i t ä t " geht es um den ursächlichen Zusammenhang zwischen Tathandlung und Erfolg.
Tätigkeitsdelikte sind Delikte, deren Tatbestand sich in der Vornahme eines bestimmten Tuns erschöpft. Auf den Eintritt eines über die Tathandlung (= Tätigkeit) hinausreichen(1) den kommt es bei diesen Delikten nicht an. Bitte beachten Sie! (2) Begehungsdelikte sind entweder Tätigkeitsdelikte oder
delikte. Das eine
schließt das andere aus. Die meisten strafrechtlichen Delikte sind im übrigen Erfolgsdelikte. (3) Lesen Sie § 223 (1)! Die Körperverletzung ist ein Tätigkeitsdelikt / Erfolgsdelikt. (4) Definieren Sie Erfolgsdelikte!
(5) Worin besteht der Erfolg bei der Körperverletzung (§ 223 (1))?
Bei den Erfolgsdelikten stehen Tathandlung und Erfolg in einem engen = ursächlichen Zusammenhang. Dieser ursächliche Zusammenhang zwischen Tathandlung und Erfolg (6) ist die (7) Die Kausalität gehört zum äußeren Erscheinungsbild der Tat. Sie ist daher ein Tatbestandsmerkmal der Erfolgsdelikte. Verwechseln Sie Kausalität (= Verursachung) nicht mit Schuld! (8) Die Kausalität ist ein Tatbestandsmerkmal und wird daher auf der Stufe der geprüft.
-
Erst später wird untersucht, ob eine tatbestandsmäßige und rechtswidrige Handlung dem Täter auch rechtlich zum Vorwurf gemacht werden kann. Diese Prüfung vollzieht sich (9) auf der Stufe der Kausalität ist der ursächliche Zusammenhang zwischen Tathandlung und Erfolg. (10) Mit der Frage der Kausalität zwischen und ver(11) binden sich zahlreiche Probleme. Diese Probleme treten nur bei den Tätigkeitsdelikten / nur bei den Erfolgsdelikten auf.
LE 10
Kausalität
(1) Erfolgs (2) Erfolgsdelikte (3) Erfolgsdelikt (4) Erfolgsdelikte sind Delikte, die den Eintritt einer von der Tathandlung zumindest trennbaren Wirkung in der Außenwelt voraussetzen (o.a.). (5) In dem Eintritt einer Körperverletzung bzw. einer Gesundheitsschädigung (6) Kausalität (7) objektives (8) Tatbestandsmäßigkeit (9) Schuld (10) Tathandlung und Erfolg (11) nur bei den Erfolgsdelikten
135 gedanklich
ab-
(1) Wir betrachten in dieser LE nur die Kausalität eines Tuns für einen Die Kausalität eines Unterlassens für einen Erfolg, d.h. das Kausalitätsproblem bei den Unterlassungsdelikten wird in LE 29 behandelt. (2) Der Erfolg wird durch ein bestimmtes Tun herbeigeführt. Ein bestimmtes Tun ist U für einen Erfolg, wenn es ihn bewirkt hat. (3) Zur Beurteilung der Frage, ob ein bestimmtes den Erfolg verursacht hat, stellt man sich den Geschehnisablauf ohne dieses Tun vor. Man denkt dieses Tun weg und fragt: Was wäre ohne dieses Tun geschehen? Beispiel 1: Der Gewaltverbrecher Pietro Paparrazzo (P) stößt dem Kassenboten Barrgold (B) die Pistole ins Genick und drückt ab. B ist sofort tot.
Bastian
Was wäre geschehen, wenn P nicht geschossen hätte? B wäre nicht getroffen worden und nicht gestorben. Das Abdrücken des P war Ursache (= kausal) für den Tod des B. Denn der Tod des B wäre nicht eingetreten, wenn (bitte er(4) gänzen!)
Fassen wir diese Erkenntnis in einer einfachen und zunächst noch vorläufigen Formel zusammen: Ein Erfolg ist durch ein Tun verursacht, wenn das Tun nicht weggedacht werden kann, ohne daß der Erfolg entfiele. Ein solches Tun bezeichnet man auch als conditio sine qua non. Mit der lateinischen Formel soll dasselbe ausgedrückt werden: J e d e „Bedingung" = jedes Tun, ohne die bzw. ohne das der Erfolg nicht eingetreten wäre, ist Ursache im Sinne des Strafrechts. Mit der deutschen Formel läßt sich besser arbeiten, da sie genauer ist. Beispiel 2: Am 21.8.1974 um 18.15 h tritt Tristan von hinten auf seine Braut Isolde zu und hält ihr die A ugen zu. Sie fällt vor Schreck tot um. Ist das Tun Tristans Ursache für Isoldens Tod? (5) J a / Nein Begründung:
LE 10
Kausalität
136
(1) Erfolg ( 2 ) Ursache ( 3 ) Tun (4) P nicht geschossen hätte (o.ä.) (5) Ja! Denkt man das Tun des Tristan weg, wäre Isolde nicht vor Schreck gestorben. Sie würde noch leben (o.a.).
Daß Isolde zu irgendeinem späteren Zeitpunkt ohnehin sterben würde (Krankheit, Unfall, Altersschwäche), interessiert bei der Ermittlung der Kausalität dieses Tuns des Tristan nicht im geringsten. Denkt man sich das Tun Tristans weg, so wäre Isolde jedenfalls nicht am 21.8.1974, (1)
18.15 h gestorben. Darauf kommt es nicht an / allein darauf kommt es an. Steht mit der Bejahung der Kausalität seines Tuns bereits endgültig fest, daß Tristan wegen eines Tötungsdelikts auch tatsächlich bestraft wird?
(2) Ja / Nein
Begründung:
Die Kausalitätsformel bedarf noch einer entscheidenden Verfeinerung. Dazu das folgende Beispiel 3: Der arabische Botschafter Ali Ben Hasch (A) wird kurz vor dem Betreten der Kursmaschine nach Beirut von dem Agenten Dave Baily (B) durch einen Revolverschuß getötet. Zehn Minuten später explodiert die Maschine beim Start. Keine Überlebenden! Der wegen Totschlags (§ 212 ( 1 ) ) angeklagte B verteidigt sich damit, daß A zehn Minuten später ohnehin gestorben wäre. (3)
Für die Frage der Kausalität des Tuns des B kommt es auch auf die Explosion der Maschine / nur auf die Abgabe des Schusses an. Daß der T o d des Botschafters später aufgrund anderer Ereignisse und in anderer Weise ebenfalls eingetreten wäre, hat auf die Beantwortung der Frage nach der Kausalität des Tuns des B nicht den geringsten Einfluß. Denn in Frage steht nicht der T o d des Botschafters schlechthin, sondern die Herbeiführung seines Todes durch den Revolverschuß des B. Die Beispiele 2 und 3 sollen Ihnen zeigen: Für die Beurteilung der Kausalität eines Tuns kommt es stets auf den Eintritt des Erfolgs in seiner konkreten Gestalt an.
(4)
Die bisher nur vorläufige
formel muß daher genauer gefaßt werden
und lautet nunmehr in ihrer endgültigen Fassung: Ursache ist jedes Tun, das nicht weggedacht werden kann, ohne daß der Erfolg in seiner (5) k
G
entfiele.
LE 10
137
Kausalität
(1) Allein darauf kommt es an. (2) Nein! Neben der Tatbestandsmäßigkeit müssen in unserem Fall erst noch Rechtswidrigkeit und Schuld geprüft werden. Insbesondere darf die Verursachung nicht mit dem Verschulden gleichgestellt werden (o.a.). (3) nur auf die Abgabe des Schusses (4) Kausalitätsformel (5) konkreten Gestalt
Die einzelnen Ursachen werden bei der Ermittlung der Kausalität nicht unterschiedlich (1) gewichtet. Auch die „kleinste", die „entfernteste" Ursache ist conditio s n Anders ausgedrückt: Alle Ursachen sind unter dem Aspekt der Kausalität äquivalent (= gleichwertig). Dieser Äquivalenz aller Ursachen verdankt die dargestellte Kausalitätsformel ihre wissenschaftliche Bezeichnung als Äquivalenztheorie. (2) Synonym mit
theorie wird auch der Begriff Bedingungstheorie
(abgeleitet von „conditio sine qua n o n " ) verwendet. Die Kausalitätsformel der Äquivalenz- oder Bedingungstheorie lautet: (3) Ursache ist jedes Tun, das ohne daß der Erfolg in seiner
entfiele.
Diese Formel muß wörtlich auswendig gelernt werden, weil sie auch wörtlich angewendet wird! Der Jäger Hubertus hängt sein geladenes Gewehr an die Garderobe des Gastzimmers. Grimm, ein anderer Gast, nimmt in einem unbeachteten Moment das Gewehr vom Haken und erschießt den Wirt. Betrachten wir zunächst die Kausalität des Tuns des Grimm. (4) Sein Tun kann / kann nicht in seiner (5) Sein Schuß war somit
werden, ohne daß der im Sinne der
theorie.
Ist damit bereits das abschließende Urteil über die Strafbarkeit des Grimm gemäß § 212 (1) (bitte lesen!) gefällt? (6) J a / Nein Begründung:
138
Kausalität (1) (3) (4) (5) (6)
(1)
LE 10
sine qua non (2) Äquivalenztheorie nicht weggedacht werden kann; konkreten Gestalt kann nicht weggedacht; Erfolg in seiner konkreten Gestalt entfiele kausal bzw. ursächlich; Äquivalenz- bzw. Bedingungstheorie Nein! Die Kausalität ist eines der objektiven Tatbestandsmerkmale des § 212 (1). Neben den übrigen Tatbestandsmerkmalen müssen noch die Rechtswidrigkeit und insbesondere die Schuld geprüft werden (o.ä.). Ein abschließendes Urteil über die Strafbarkeit des Grimm ist mit der Bejahung der Kausalität seiner Handlung daher noch nicht gefällt.
Wenn ein T u n nicht weggedacht werden kann, ohne daß der Erfolg in seiner k o n k r e t e n Gestalt entfiele, besteht zwischen T und jener Zusammenhang, den m a n als Kausalität oder auch als Kausalzusammenhang bezeichnet. N u n m e h r wollen wir uns einigen Sonderproblemen der Kausalität zuwenden. O f t wird die Frage gestellt, o b Handlungen Dritter oder des Opfers den Kausalzusammenhang „ u n t e r b r e c h e n " . Betrachten wir dazu die Kausalität des Tuns des Jägers Hubertus. Er hat seine geladene Waffe an die Garderobe gehängt. Für Hubertus ist Grimm ein solcher Dritter.
Unterbricht das T u n des Grimm den Kausalzusammenhang zwischen dem geschilderten T u n des H u b e r t u s und dem T o d des Wirts? Diese Frage k ö n n e n Sie anhand der Kausali(2) tätsformel der theorie leicht selbst b e a n t w o r t e n . (3)
Da das T u n des Hubertus (= A u f h ä n g e n der geladenen Waffe) weggedacht werden kann / nicht weggedacht werden kann, ohne (bitte ergänzen!)
Im Kampf um die Gunst der schönen Lollo fügt Fausto Cravallo dem Luigi Belcanto (B) mit dem Messer eine an sich harmlose Fleischwunde zu. Infolge seiner eigenen Unachtsamkeit infiziert sich B und stirbt an Wundstarrkrampf. (4)
B's eigene Unachtsamkeit ist auch Ursache / keine Ursache für seinen T o d .
Unterbricht diese eigene Unachtsamkeit des Opfers den Kausalzusammenhang zwischen dem Stich des Cravallo u n d d e m T o d des B? (5) J a / Nein .Begründung?
Fassen wir zusammen: Weder Handlungen eines Dritten noch Handlungen des Opfers selbst bewirken eine (6) des Kausalzusammenhangs.
LE 10
Kausalität
139
(1) Tun und Erfolg (2) Äquivalenz-bzw. Bedingungstheorie (3) Da das T u n des Hubertus nicht weggedacht werden kann, ohne daß der Erfolg in seiner konkreten Gestalt entfiele, besteht Kausalzusammenhang zwischen diesem Tun und dem Tod des Wirts (o.a.). (4) ist auch Ursache (5) Nein! Hätte Cravallo nicht zugestochen, hätte B sich nicht infizieren können und wäre nicht gestorben (o.a.). (6) Unterbrechung
Abschließend ein weiteres Sonderproblem aus dem Bereich der Kausalität. Auf eigene Faust hat Negidius dem Caesar frühmorgens Gift in den Malventee geträufelt. Bevor dieses seine tödliche Wirkung entfalten kann, erdolcht Brutus den Diktator an der Säule des Pompeius. War das Tun des Negidius kausal für Caesars Tod? (1) J a / Nein Begründung bitte unter möglichst wörtlicher Anwendung der allgemeinen Kausalitätsformel:
War die Tat des Brutus kausal für Caesars Tod? (2) J a / Nein Begründung bitte unter möglichst wörtlicher Anwendung der allgemeinen Kausalitätsformel:
Die Besonderheit dieses Sachverhalts liegt in folgendem: Das Gift des Negidius ist nur deshalb nicht wirksam geworden, weil der Dolchstoß des Brutus rascher zum Tode Caesars geführt hat. D.h. das Tun des Negidius ist für den Tod (3) des Caesar kausal geworden / überhaupt nicht kausal geworden. Darin liegt auch der Unterschied dieses Falles zu den Fällen der angeblichen „Unterbrechung" des Kausalzusammenhanges. Das zeitlich spätere Tun des Brutus hat das Tun des Negidius nicht nur eingeholt, sondern sogar „überholt" und unabhängig von letzterem den Tod des Caesar herbeigeführt. In solchen Fällen spricht man von überholender Kausalität. (4) Erklären Sie das Wesen der „überholenden" Kausalität!
140
Kausalität
LE 10
(1) Nein! Denkt man das Tun des Negidius weg (d.h. hätte er in den Tee kein Gift getan), so wäre der Erfolg in seiner konkreten Gestalt dennoch eingetreten (d.h. Tod durch den Dolchstoß). (2) Ja! Denkt man das Tun des Brutus weg, wäre der Erfolg in seiner konkreten Gestalt nicht eingetreten (d.h. nicht als Tod durch den Dolchstoß zu diesem Zeitpunkt). (3) überhaupt nicht kausal geworden (4) Das später gesetzte Tun holt das früher gesetzte Tun ein und führt unabhängig von jenem den Erfolg herbei. Das frühere Tun wird für den Erfolg also gar nicht kausal. Machen Sie sich dies noch einmal gut klar! Diese Frage kehrt in der TE bestimmt wieder.
ZUSAMMENFASSUNG A Die Kausalität des Tuns Das Problem der Kausalität (= des Kausalzusammenhanges) zwischen Tathandlung und Erfolg stellt sich nur bei den Erfolgsdelikten. Gerade das erklärt aber die große praktische Bedeutung dieser Frage. Denn fast sämtliche Delikte des StGB sind Erfolgsdelikte. Die Kausalität ist ein objektives Tatbestandsmerkmal der Erfolgsdelikte. Das StGB erwähnt dieses Tatbestandsmerkmal nur selten ausdrücklich; z.B. in § 222: „Wer durch Fahrlässigkeit den Tod eines Menschen verursacht"; § 226 (1): „Ist durch die Körperverletzung der Tod des Verletzten verursacht worden". In aller Regel ergibt sich das Kausalitätserfordernis mittelbar aus der Formulierung der Tathandlung. Beispiele: „ t ö t e n " (§ 212 (1)); „an der Gesundheit beschädigen" (§ 223 (1)); „zerstören", „beschädigen" etc. (§ 303 (1)). Bei der Kausalität geht es stets um die Frage, ob ein bestimmtes Tun (eine bestimmte Handlung) einen bestimmten Erfolg verursacht (= herbeigeführt = bewirkt) hat. Bei der Beantwortung dieser Frage läßt sich die Praxis von folgenden Grundsätzen leiten. Für die Frage der Kausalität (= Kausalzusammenhang) k o m m t es immer nur auf den wirklichen Geschehnisablauf und den Erfolg in seiner konkreten Gestalt an. Die Ursächlichkeit eines bestimmten Tuns wird nicht dadurch in Frage gestellt, daß noch andere oder spätere Ursachen zum Erfolg beigetragen haben. Beispiel: Eine nächtliche „Tempobolzerei" auf der Landstraße bleibt auch dann ursächlich für den Tod, wenn das Opfer auf der falschen Straßenseite gegangen, der Fahrer seinerseits geblendet worden u n d ein Arzt nicht rechtzeitig erreichbar war. Im Rahmen der Kausalität sind alle Ursachen gleichwertig. Jedes Tun, das nicht weggedacht werden kann, ohne daß der Erfolg entfiele, ist Ursache, ist conditio sine qua non = Äquivalenztheorie oder Bedingungstheorie. Die Kausalitätsformel der Äquivalenztheorie lautet: Ein Tun ist kausal für einen Erfolg, wenn es nicht weggedacht werden kann, ohne daß der Erfolg in seiner konkreten Gestalt entfiele. Diese Formel m u ß noch im Schlafe sitzen!
141
Kausalität
10
Die wichtigsten Konsequenzen der Äquivalenztheorie bestehen in folgendem: 1. Es gibt keinen Unterschied zwischen „nahen" und „entfernten", „typischen" und „untypischen", „normalen" und „zufälligen" Ursachen (Handlungen). Ebensowenig läßt sich im Rahmen der Äquivalenztheorie zwischen „notwendigen", „auffallenden", „wirksamen" oder „überwiegenden" Ursachen und sonstigen Bedingungen differenzieren. Alle Bedingungen sind Ursachen. Alle Ursachen wiegen gleich schwer. 2. Kausalität besteht auch dort, wo die absonderlichen körperlichen und geistigen Verhältnisse beim Verletzten der Tathandlung zum Erfolg verholfen haben. Daher ist selbst der harmlose Kratzer, an dem ein Bluter stirbt, conditio sine qua non. 3. Die Kausalitätsformel der Äquivalenztheorie reicht aber nicht weiter als unser Erfahrungswissen. Beispiel: Wegen gastritischer Beschwerden ist A 1954 mehrfach geröntgt worden. 1964 erkrankt er an Magenkrebs und stirbt. Unser Erfahrungswissen reicht derzeit nicht aus, um mit Sicherheit sagen zu können, daß diese Strahlenbehandlung des Jahres 1954 ursächlich oder auch nur mitursächlich i.S.d. Äquivalenztheorie für die Krebserkrankung und den Tod des A gewesen ist. Eine Anklage des Röntgenarztes weg^n eines Tötungsdelikts verspricht daher keine Aussicht auf Erfolg. B Sonderprobleme Eine „Unterbrechung" des Kausalzusammenhangs gibt es nicht, wohl aber „überholende" Kausalität. Dazu das folgende Schaubild: Angebliche „Unterbrechung" des Kausalzusammenhanges Erfolg
Beide Handlungen sind kausal
„Überholende" Kausalität
iI Erfolg
Kausal ist nur Tun 2 geworden
Zur angeblichen Unterbrechung des Kausalzusammenhanges:
Weder Handlungen eines Dritten noch Handlungen des Opfers selbst bewirken eine „Unterbrechung" des Kausalzusammenhanges. Im Gegenteil! Sie bewirken gerade die Herstellung des Kausalzusammenhanges. Zur überholenden Kausalität: Ein später vorgenommenes Tun holt das früher vorgenommene ein und führt unabhängig von jenem den Erfolg herbei. Das frühere Tun wird für den Erfolg also gar nicht kausal.
Kausalität
142
LE 10
C Kausalität und Schuld Kausalität des Tuns und Schuld des Täters sind zwei ganz verschiedene Dinge. Im Rahmen der Kausalität geht es darum, ob ein bestimmtes Tun einen bestimmten Erfolg verursacht hat. Diese Frage ist mit Hilfe der Kausalitätsformel der Äquivalenztheorie zu beantworten. Da es sich bei dieser Untersuchung ausschließlich um ein logisches Schlußverfahren handelt, enthält die Feststellung, daß ein bestimmtes Tun für einen bestimmten Erfolg kausal geworden ist, weder eine Wertung noch einen Vorwurf. Im Rahmen der Schuld geht es darum, ob dem Täter der von ihm verursachte Erfolg auch rechtlich vorgeworfen werden kann. Das bedeutet im einzelnen: 1. Die Frage der Kausalität ist getrennt von der Frage der Schuld zu untersuchen. 2. Die Frage der Kausalität ist vor der Frage der Schuld zu untersuchen. 3. Für die Frage der Kausalität sind ganz andere Kriterien maßgebend als für die Frage der Schuld. 4. Mit der Bejahung der Kausalität ist noch nichts darüber ausgesagt, ob dem Täter der von ihm verursachte Erfolg auch rechtlich vorgeworfen werden kann. 5. Mit der Verneinung der Kausalität erübrigt sich die Untersuchung der Schuld. 6. Innerhalb des Fallprüfungsschemas ist die Frage der Kausalität auf der Stufe I (= Tatbestandsmäßigkeit) und die Frage, ob dem Täter der von ihm verursachte Erfolg rechtlich vorgeworfen werden kann, auf der Stufe III (= Schuld) zu untersuchen.
TE 10
Testfragen zur LE 10
143
1.1
Definieren Sie „Erfolgsdelikte"!
1.2
Auf welcher Stufe des Fallprüfungsschemas wird die Kausalität geprüft?
1.3
Nennen Sie die lateinische Formel der Äquivalenztheorie!
1.4
Wann ist ein Tun Ursache für einen Erfolg? (Bitte schreiben Sie jetzt die deutsche Formel der Kausalität so vollständig wie möglich nieder!)
1.5
Was versteht man unter „überholender" Kausalität?
1.6
Warum ist die Kausalität ein delikte?
Tatbestandsmerkmal der
Testfragen
144 2.1
TE 10
X legt sein langes Messer auf den Tisch. Y, der wenig später mit dem Z in Streit gerät, ersticht mit dem Messer den Z. Ihr Kommilitone behauptet: „Nur Y hat den Tod des Z verursacht. Denn er allein hat zugestochen!" 1. Ist diese Behauptung richtig? J a / Nein Begründung:
2. Im Falle 2.1 geht es um das Problem der überholenden Kausalität / um das Problem der Unterbrechung des Kausalzusammenhangs.
2.2
A fährt den B an. B wird mit einem Beinbruch ins Krankenhaus eingeliefert. Fast genesen, verschafft sich B ebendort den Zutritt zu einem Pockenkranken. B stirbt an Pocken. 1. War das Tun des A, also das Anfahren, kausal für den Tod des B? J a / Nein Begründung (Zwei wichtige Hinweise: 1. Es ist nach der Kausalität, nicht nach der Schuld gefragt. 2. Wenden Sie die Kausalitätsformel wörtlich an! Wer dies nicht tut, löst diese Aufgabe meist falsch!):
2. Um welches Problem geht es im Falle 2.2?
1.7
Welcher der beiden Sätze ist richtig? Erfolgsdelikte können gleichzeitig auch Tätigkeitsdelikte sein. Begehungsdelikte sind entweder Tätigkeitsdelikte oder Erfolgsdelikte.
2.3
Der Tatbestand der Freiheitsberaubung (§ 2 3 9 (1)) lautet: „Wer einen Menschen des Gebrauchs der persönlichen Freiheit beraubt". Dieses Delikt ist ein Tätigkeitsdelikt / Erfolgsdelikt. Begründung:
Testfragen
TE 10 2.4
Der erste A ttentäter wirft eine Bombe. Bevor diese explodiert, täter das Staatsoberhaupt mit einem gezielten Schuß.
145 tötet ein anderer
Atten-
Um welches Kausalitätsproblem geht es in diesem Fall?
2.5
War im Falle 2.4 das Tun des ersten Attentäters kausal für den Tod des Staatsoberhaupts? J a / Nein Begründung:
2.6
Ist mit der Kausalität auch schon die Schuld des Täters bejaht? J a / Nein Begründung:
2.7
Die Witwe des einem Bronchialkarzinom erlegenen Verlagsleiters Rauchfuß erstattet Anzeige gegen die Verantwortlichen der Fa. Roth-Händle wegen fahrlässiger Tötung (§ 222). Ihr verstorbener Mann sei ein leidenschaftlicher Raucher gewesen („bis zu 60 Zigaretten am Tag") und habe seit Jahren die stark teer- und nikotinhaltigen Zigaretten dieser Firma geraucht. Folglich habe diese ihn „auf dem Gewissen". 1. Wo liegt das Problem dieses Falles?
2. Bitte lösen Sie es!
5.1
Zum Abschluß dieser TE eine ziemlich schwere Frage für besonders ambitionierte Leser. Worin bestehen die Gemeinsamkeiten und die Unterschiede zwischen der „überholenden" Kausalität und der sogenannten „Unterbrechung" des Kausalzusammenhanges?
Literatur: Zur Äquivalenztheorie, ihrer Kritik und weiterführenden Ansätzen vgl. Baumann aaO. § 17; Bockelmann aaO. § 13;Jescheck aaO. § 28;Mezger-Blei aaO. § 25; Schmidhäuser aaO. 8/60—71; Stratenwerth aaO. Rdnrn. 217—230. Sehr ausführlich zum Ganzen Maurach aaO. § 18.
146
Antworten
1.1
Erfolgsdelikte sind Delikte, die den Eintritt einer von der Tathandlung zumindest gedanklich abtrennbaren Wirkung in der Außenwelt voraussetzen (o.a.).
1.2
Auf der Stufe I, der Tatbestandsmäßigkeit
1.3
Conditio sine qua non
1.4
Ein Tun ist Ursache für einen Erfolg, wenn es nicht weggedacht werden kann, ohne daß der Erfolg in seiner konkreten Gestalt entfiele.
1.5
„Überholende" Kausalität bedeutet, daß eine später vorgenommene Handlung die früher vorgenommene Handlung einholt und unabhängig von jener den Erfolg herbeiführt. Die früher vorgenommene Handlung wird für den Erfolg also gar nicht kausal (o.a.).
1.6
objektives; Erfolgsdelikte. Weil sich die Kausalität auf das äußere Erscheinungsbild der Handlung bezieht (o.a.).
2.1
1. Nein! Die Behauptung des Kommilitonen ist natürlich falsch! Auch das Tun des X ist kausal für den Tod des Z. Denn es kann nicht weggedacht werden, ohne daß der Erfolg in seiner konkreten Gestalt (= Todeseintritt durch Erstechen mit dem Messer des Y) entfiele. 2. Um das Problem der „Unterbrechung"des Dritten)
2.2
TE 10
Kausalzusammenhanges (durch Handlungen eines
1. J a ! Denn das Anfahren des B durch A kann nicht weggedacht werden, ohne daß B im Krankenhaus an Pocken gestorben wäre. 2. Im Falle 2.2 geht es ebenfalls um das Problem der „Unterbrechung" hier aber durch Handlungen des Opfers selbst.
des Kausalzusammenhanges;
1.7
Begehungsdelikte sind entweder Tätigkeitsdelikte oder Erfolgsdelikte.
2.3
Erfolgsdelikt. § 239 (1) setzt den Eintritt eines von der Tathandlung gedanklich abtrennbaren Erfolgs, den Eintritt des Freiheitsverlustes, voraus (o.a.).
2.4
Um das Problem der „überholenden"
2.5
Nein! Die Handlung des zweiten Attentäters hat die Handlung des ersten eingeholt und ist unabhängig von ihr kausal geworden (o.a.).
2.6
Nein! Durchaus nicht. Die Kausalität ist nur ein objektives Tatbestandsmerkmal unter mehreren. Außerdem hat sie mit den Wertungen auf der Ebene der Schuld nichts zu tun (o.ä.).
2.7
1. Bei der Frage der Kausalität 2. Die Kausalitätsformel der Äquivalenztheorie hilft hier nicht weiter. Zwar ist das Rauchen in hohem Maße krebsfördernd. Aber ob gerade das Rauchen dieser Zigaretten die Erkrankung ausgelöst hat, läßt sich nach unseren derzeitigen Erfahrungen nicht mit Sicherheit sagen (o.a.). Deshalb verspricht die Strafanzeige auch keine Aussicht auf Erfolg.
5.1
Gemeinsamkeiten: Beidesmal handelt es sich um Probleme der Kausalität. In beiden Fällen geht es um die Frage der Verklammerung von zwei verschiedenen Handlungen unter dem Aspekt ihrer Kausalität für den eingetretenen Erfolg (o.ä.).
Kausalität.
Unterschiede: In den Fällen der sog. „Unterbrechung" des Kausalzusammenhanges vereinigen sich die beiden Handlungen und führen gemeinsam den Erfolg herbei. Durch die andere Handlung wird die Kausalität gerade nicht „unterbrochen", sondern herbeigeführt (o.ä.). In den Fällen der überholenden Kausalität führt die später vorgenommene Handlung unabhängig von einer früher vorgenommenen (also allein) den Erfolg herbei (o.a.).
LE 11
147
NOTWEHR
L e r n z i e 1 : In dieser LE werden Sie die Struktur des Rechtfertigungsgrundes der „Notwehr" kennenlernen. Darüber hinaus sollen Sie bei entsprechenden Sachverhalten erkennen, ob dieser Rechtfertigungsgrund gegeben sein könnte. Sie sollen in die Lage versetzt werden, selbst zu untersuchen, ob die Merkmale der Notwehr erfüllt sind.
Zu Beginn eine kurze Wiederholung. Zur Beantwortung der Frage, ob der Täter unrecht gehandelt hat, bedarf es einer doppelten Prüfung: Zunächst wird untersucht, ob der Täter den Tatbestand eines bestimmten Delikts ver(1) wirklicht hat. Diese Prüfung wird auf der Stufe I, der Stufe der vorgenommen. Steht fest, daß der Täter den Tatbestand eines bestimmten Delikts erfüllt hat, so ist zu (2) untersuchen, ob die Tat durch einen
gebilligt wird.
Ist das der Fall, so ist die tatbestandsmäßige Handlung gerechtfertigt = rechtmäßig. Liegt kein Rechtfertigungsgrund vor, so ist die Tat rechtswidrig. „Eine Tat ist rechtswidrig" bedeutet demnach, daß eine tatbestandsmäßige Handlung (3) (bitte ergänzen!)
(4) Diese Prüfung wird auf der Stufe II, der Stufe der vorgenommen. Für die praktische Rechtsanwendung ist die Stufe II identisch mit der Prüfung der Frage, ob ein Rechtfertigungsgrund für die Tat in Betracht kommt und ob die Voraussetzungen dieses Rechtfertigungsgrundes erfüllt sind. (5) „Rechtfertigungsgründe" beschreiben jene Voraussetzungen, unter denen (bitte ergänzen!)
In der Regel handelt unrecht, wer tatbestandsmäßig handelt. Von dieser Regel gibt es (6) eine Ausnahme. Wie lautet diese Ausnahme?
Im folgenden befassen wir uns mit dem bekanntesten und wichtigsten Rechtfertigungsgrund, der Notwehr.
148
Notwehr
LE 11
(1) Tatbestandsmäßigkeit (2) Rechtfertigungsgrund (3) nicht durch einen Rechtfertigungsgrund gebilligt ist (4) Rechtswidrigkeit (5) Rechtfertigungsgründe beschreiben jene Voraussetzungen, unter denen eine tatbestandsmäßige Handlung von der Rechtsordnung gebilligt wird. (6) Die Ausnahme lautet: ist ein Rechtfertigungsgrund erfüllt, so entfällt das Unrecht (bzw. die Rechtswidrigkeit der Tat) (o.a.).
Streitle traktiert Aumaier mit Ohrfeigen. Aumaier setzt sich zur Wehr und streckt mit einem Fausthieb nieder.
Streitle
Damit hat Aumaier den Tatbestand der Körperverletzung (§ 223 (1)) verwirklicht. (1) Ist die dem Streitle zugefügte Körperverletzung durch
gerechtfertigt?
Lesen Sie § 32 (2)! Diese Vorschrift enthält die Beschreibung des Rechtfertigungsgrundes. Im Interesse der besseren Übersicht beschränken wir uns im folgenden zunächst auf die Grobstruktur dieses Rechtfertigungsgrundes. Erst wenn Sie die Grobstruktur verstanden haben, wollen wir uns mit der durch § 32 (2) festgelegten Feinstruktur dieses Rechtfertigungsgrundes näher befassen. In unserem Beispiel stellen sich drei Hauptfragen: 1. Handelt es sich überhaupt um eine Situation, in der sich Aumaier zur Wehr setzen darf? = Notwehrsituation. 2. Wie darf sich Aumaier gegen den Angriff des Streitle zur Wehr setzen? = Notwehrhandlung. 3. Welche Ziele muß Aumaier subjektiv mit seiner Notwehrhandlung verfolgen, damit sie gerechtfertigt ist? = Subjektives Rechtfertigungselement. Dieses subjektive Rechtfertigungselement ist der Verteidigungswille. Diese drei Hauptfragen stellen sich in allen Fällen der Notwehr. (2) Notwehrsituation, Notwehr und ergeben zusammen die Grobstruktur der Notwehr. Graphisch dargestellt sieht die Grobstruktur der Notwehr wie folgt aus (bitte einsetzen!):
Verteidigungswille
LE 11
Notwehr (1) N o t w e h r
(2) N o t w e h r h a n d l u n g ; Verteidigungswille
149 (3)
Notwehrsituation
Bei der Notwehrsituation geht es um die Frage, o b man N o t w e h r üben darf. Bei der N o t w e h r h a n d l u n g geht es um die Frage, wie m a n Notwehr üben darf. Beide Fragen sind streng voneinander zu trennen. (1) Tragen Sie in das folgende Schaubild die drei Hauptelemente der N o t w e h r ein!
Nachdem Sie eine Vorstellung von der G r o b s t r u k t u r der N o t w e h r gewonnen haben, wollen wir uns der Feinstruktur dieses Rechtfertigungsgrundes zuwenden. (2)
Beschränken wir uns zunächst auf die-Frage des „ O b " der N o t w e h r , auf die
Unsere Ausgangsfrage lautet: Ist die d e m Streitle zugefügte Körperverletzung durch Notwehr gerechtfertigt? J e d e Notwehrsituation setzt zunächst einen Angriff voraus. Daß Streitle Aumaier mit der Faust traktiert, b e d e u t e t eine Beeinträchtigung des Rechtsguts der körperlichen Unversehrtheit. Eine von einem Menschen ausgehende Beeinträchtigung eines Rechtsguts stellt einen Angriff dar. Angriff ist jedes menschliche Verhalten, das Rechtsgüter beeinträchtigt. Der Schäferhund
Bello springt knurrend dem Hasenfuß an die Kehle.
(3)
Liegt ein „ A n g r i f f " vor? J a / Nein
(4)
Angriff ist jedes
Begründung:
Verhalten, das Rechtsgüter
Alle Rechtsgüter sind notwehrfähig. (5) Eine Notwehrsituation wird also nicht nur durch einen
auf Leib u n d Leben, sondern auch auf Freiheit, Eigentum, Vermögen, Besitz, Privatsphäre u n d andere begründet.
Notwehr
150
LE 11
(1) von o. nach u.: Notwehrsituation; Notwehrhandlung; Verteidigungswille (2) Notwehrsituation (3) Nein! Es liegt kein menschliches Verhalten vor. Eine Tierattacke ist entgegen dem allgemeinen Sprachgebrauch kein Angriff i.S.d. § 32 (2). Notwehr gegen einen Hund scheidet daher schon aus begrifflichen Gründen aus. Wehrt sich Hasenfuß gegen den Hund, so kommt allerdings ein anderer Rechtfertigungsgrund in Betracht (rechtfertigender Notstand = LE 12). (4) menschliche; beeinträchtigt (5) Angriff; Rechtsgüter
Auf dem Marktplatz von Altötting überschüttet Theresia Keifel (K) Kaspar Brumböck (B) mit einem Schwall von Schimpfworten: „Foischer Fuchzger . . . Bauernfünfa . . . Loamsiada . . .". B warnt sie: „Hoidd dei Babbn!". Als dies nichts fruchtet, „schallert" er ihr eine Ohrfeige. B beruft sich auf Notwehr. Ihr Kommilitone behauptet: Gegen Beleidigungen gibt es keine Notwehr. Ist das richtig? (1) J a / Nein Begründung:
Das „ O b " der Notwehr, d.h. die Notwehrsituation, setzt gemäß § 32 (2) in zeitlicher (2) Hinsicht weiterhin voraus, daß der Angriff ist. Dieses Merkmal bezeichnet die zeitliche Grenze der Notwehr. Als gegenwärtig gilt ein Angriff, der unmittelbar bevorsteht oder noch andauert. (3) Holt der Angreifer zum Schlage aus, so braucht der Angegriffene mit Gegenwehr nicht zu warten, bis (bitte ergänzen!)
Ist der Angriff abgewehrt, aufgegeben oder aber ist die zur Rechtsgutsbeeinträchtigung (4) führende Handlung abgeschlossen, so gilt der Angriff noch als gegenwärtig / nicht mehr als gegenwärtig. Mit der Gans unterm Arm will der Dieb gerade den Gänsestall
verlassen.
Kann dieser Angriff auf das Rechtsgut des Eigentums in diesem Zeitpunkt noch als gegenwärtig angesehen werden? (5) J a / Nein Begründung:
Der Bestohlene
sieht am nächsten Tag, daß der Dieb am Markt die Gans
Kann der Angriff auch jetzt noch als gegenwärtig angesehen werden? (6) J a / Nein Begründung:
verkauft.
Notwehr
LE 11
151
(1) Nein! Da alle Rechtsgüter notwehrfähig sind, gehört auch die Ehre dazu (o.a.). (2) gegenwärtig (3) bis er getroffen ist (o.ä.) (4) nicht mehr als gegenwärtig (5) Ja! Der Angriff dauert noch an. Die zur Beeinträchtigung des Rechtsguts des Eigentums führende Handlung ist noch nicht abgeschlossen (Sie ersehen daraus den normativen Charakter des Merkmals „gegenwärtig"!). (6) Nein! Die zur Rechtsgutsbeeinträchtigung führende Handlung ist bereits abgeschlossen.
Der Angriff m u ß nicht nur gegenwärtig sein, er muß darüber hinaus auch rechtswidrig sein. Bitte § 32 (2) lesen! (1) Ein Angriff ist insbesondere dann rechtswidrig, wenn für ihn keine in Betracht k o m m e n . (2)
Nennen Sie mindestens drei Rechtfertigungsgründe!
Ein Polizist überrascht nimmt ihn fest.
den Einbrecher
Zobel beim Ausräumen
eines Pelzgeschäftes
und
Ist dieser Angriff des Polizisten auf die Freiheit des Täters rechtswidrig? (3) J a / Nein Begründung:
(4)
Tragen Sie in das folgende Schaubild n u n m e h r die einzelnen Elemente der NotwehrSituation ein!
Notwehrsituation A
Während eines lebhaften Wortwechsels Dolch und holt zum Stoß aus.
mit B zieht der leicht erregbare A plötzlich
einen
Es interessiert hier nur das „ O b " der N o t w e h r : Liegt für B, wenn er angesichts des gezückten Dolches des A zu seiner Pistole greift, eine Notwehrsituation vor? (5) J a / Nein Begründung bitte mit sämtlichen(!) Elementen der Notwehrsituation:
Notwehr
152
LE 11
(1) Rechtfertigungsgründe (2) Notwehr, elterliches Züchtigungsrecht, Festnahmerecht, rechtfertigender Notstand, Einwilligung etc. (3) Nein! Der Angriff des Polizisten auf die Freiheit des Zobel ist rechtmäßig, weil seine tatbestandsmäßige Handlung (Freiheitsberaubung) durch den Rechtfertigungsgrund des Festnahmerechts gebilligt ist. (4) gegenwärtiger rechtswidriger Angriff (5) Ja! 1. Es liegt eine Beeinträchtigung des Rechtsguts Leben durch den A, somit ein Angriff vor. 2. Der Angriff ist gegenwärtig. 3. Der Angriff des A ist rechtswidrig. Denn ein lebhafter Wortwechsel bildet noch keinen Rechtfertigungsgrund, den anderen mit einem Dolch zu bedrohen (o.a.).
In einer Notwehrsituation darf man das angegriffene Rechtsgut verteidigen. Man darf den Angriff abwehren. Damit kommen wir zur Notwehrhandlung. Ging es bei der Notwehrsituation bisher um das „ O b " der Notwehr, so geht es bei der Fra(1) ge der Notwehrhandlung um das „ " der Notwehr. Das Gesetz charakterisiert das „Wie" durch einen einzigen, allerdings ziemlich weit ge(2) spannten Begriff: Die Verteidigung muß (lesen Sie § 32 (2)!) e
Erforderlich ist jene Verteidigung, die das schonendste Mittel darstellt, um den Angriff sofort und endgültig abzuwehren. Dabei sind Art und Intensität des Angriffs zu berücksichtigen. Greifen wir unser Ausgangsbeispiel wieder auf. Streitle traktiert Aumaier mit Ohrfeigen. Darf sich Aumaier zur Wehr setzen (3) mit einem Faustschlag? J a / Nein mit Fußtritten? J a / Nein indem er Streitle erschießt? J a / Nein (4) Eine Verteidigung, welche nicht das griff s und daher nicht gerechtfertigt.
Mittel darstellt, um den Anabzuwehren, ist nicht und
Mit dem Begriff der „Erforderlichkeit" der Verteidigung hat der Gesetzgeber mit Bedacht (5) einen weiten und wertausfüllungsbedürftigen (= no Begriff) verwendet. Das „Wie" der Notwehrhandlung wird von der Praxis nicht eng-, sondern eher weitherzig interpretiert. Sehr volkstümlich und anschaulich urteilt ein Obergericht: „Wer in der Nachtzeit einen anderen mit Schlägen angreift, muß es sich gefallen lassen, daß ihm mit der gleichen Elle gemessen wird, und soll nicht nachträglich den Wehleidigen spielen, wenn die erhaltenen Schläge heftiger ausgefallen sind".
LE 11
Notwehr
153
(1) „Wie" (2) erforderlich (3) Faustschlag und Fußtritte: Ja. Erschießen: Nein. Denn das Erschießen geht über Art und Intensität dieses Angriffs (Ohrfeigen!) hinaus. (4) schonendste; sofort und endgültig; erforderlich (5) normativen
Die Notwehr ist ein Recht des Angegriffenen. Dieses Recht ist jedoch in bestimmten Fällen eingeschränkt. Kindern, Geisteskranken und Betrunkenen muß man ausweichen, wenn man schon dadurch das bedrohte Rechtsgut schützen kann. (1) Daher macht es einen Unterschied / keinen Unterschied, ob man von einem stockschwingenden Betrunkenen auf offener Straße oder in einem abgeschlossenen Raum bedroht wird. (2) Wieso?
Notwehr entfällt weiterhin, wenn ein unerträgliches Mißverhältnis zwischen dem angegriffenen Rechtsgut und der Beeinträchtigung des Angreifers durch den Verteidiger besteht. (3) Diese Einschränkung des N rechts kommt aber nur bei ganz extremen Sachverhalten zum Zuge, in denen eine Verteidigung als Rechtsmißbrauch erscheint. Beispiel: Ein gelähmter Greis sitzt in seinem Obstgarten. Auf seinem Schoß liegt ein geladenes Gewehr. Ein Junge steigt über den Zaun, um Äpfel zu stehlen. Der Greis ruft, schimpft, droht, bettelt, fleht. Vergebens! Da greift er schließlich zu seinem Gewehr und schießt den Dieb vom Baum. (4) Dem Eigentum des Greises droht ein großer / ein bloß geringer Nachteil. Das allein (5) schließt das Recht des Greises zur Notwehr aus / nicht aus. (6) Es kommt aber hinzu, daß ein u M zwischen dem angegriffenen Rechtsgut (hier Eigentum) und (bitte ergänzen!)
Für die Tat des Greises kommt somit der Rechtfertigungsgrund der Notwehr nicht in (7) Betracht / in Betracht. (8) Seine Tat (§ 212 (1)) ist daher r „Notwehrsituation" und „Notwehrhandlung" beschreiben zwei Problemkreise der Notwehr, die scharf voneinander zu trennen sind. (9) Um welche Frage geht es bei dem einen und um welche bei dem anderen Problemkreis?
Notwehr
154
LE 11
(1) einen Unterschied (2) Weil der Angegriffene einem Betrunkenen auf offener Straße ausweichen kann (und daher ausweichen muß) o.a. (3) Notwehrrechts (4) ein bloß geringer Nachteil (5) nicht aus (6) unerträgliches Mißverhältnis zwischen dem angegriffenen Rechtsgut und der Beeinträchtigung des Angreifers durch den Verteidiger besteht (7) nicht in Betracht (8) rechtswidrig (9) Bei der Notwehrsituation geht es um die Frage, ob eine Notwehr überhaupt zulässig ist. Bei der Notwehrhandlung geht es um die Frage, wie die Verteidigung durchzuführen ist (o.ä.).
Zur Notwehrsituation u n d zur N o t w e h r h a n d l u n g m u ß als subjektives Rechtfertigungselement der Verteidigungswille treten. (1)
Bitte einsetzen!
Der Angegriffene m u ß den Angriff auch subjektiv abwehren wollen. Das Erfordernis des Verteidigungswillens ergibt sich nur mittelbar aus dem Gesetz. Der Verteidigungswille steckt in den Worten „ u m a b z u w e n d e n " . § 32 (2) bitte lesen!
(2)
Die N o t w e h r h a n d l u n g m u ß vom Verteidigungswillen getragen sein. Fehlt dieses subjektive Rechtfertigungselement, k o m m t N o t w e h r selbst dann nicht in Betracht, wenn N und N gegeben sind. „Herschaftseitn hoat der an Suri", knurrt Frau Wadschenbaum, als sie tapsende Schritte hört, und nimmt in Erwartung ihres betrunken heimkehrenden Ehemanns mit erhobenem Nudelwalker hinter der Tür Aufstellung. Der Eintretende, auf den sie das Gerät mit bajuwarischem Zorn niedersausen läßt, ist in Wirklichkeit ein Einbrecher.
(3)
Es fehlt am
(4)
Daher scheidet Notwehr aus / ist N o t w e h r gegeben. Statt des oder neben dem Angegriffenen kann auch ein Dritter N o t w e h r üben.
(5)
Lesen Sie § 32 (2) und begründen Sie dies aus d e m Gesetz!
Auch ein Dritter ist durch N o t w e h r — hier Nothilfe genannt — gerechtfertigt, wenn er in einer Notwehrsituation eine v o m Verteidigungswillen getragene N o t w e h r h a n d l u n g vornimmt. Die Nothilfe ist kein selbständiger Rechtfertigungsgrund, sondern ein besonderer Fall (6) der Notwehr. Der Nothelfer m u ß daher / m u ß daher nicht sämtliche Voraussetzungen des § 32 (2) erfüllen.
LE 11
Notwehr
155
(1) Notwehrhandlung; Verteidigungswille (2) Notwehrsituation und Notwehrhandlung (3) Verteidigungswillen (4) Daher scheidet Notwehr aus. (5) § 3 2 (2): „ v o n sich oder einem a n d e r e n " (6) muß daher
ZUSAMMENFASSUNG A Struktur und Merkmale der Notwehr Der Rechtfertigungsgrund der Notwehr (§ 32 (2)) setzt sich aus drei Strukturelementen zusammen: N ot wehrsituat io n, Notwehrhandlung, Verteidigungswille. 1 Notwehrsituation Diese Frage betrifft das „ O b " der Notwehr. Eine Notwehrsituation wird nur durch einen gegenwärtigen rechtswidrigen Angriff auf ein Rechtsgut begründet. Angriff ist jedes menschliche Verhalten, das Rechtsgüter beeinträchtigt. Bloße Tierattacken oder Naturereignisse erfüllen diesen Begriff nicht und begründen daher keine Notwehrsituation. Bei unklarer Rollenverteilung ist niemand Angreifer. In solchen Fällen scheidet Notwehr in der Regel aus. Beispiel: Die „Stänkerei" zwischen A und B geht allmählich in eine handgreifliche Auseinandersetzung über. Hier kann sich keiner der beiden Kontrahenten auf Notwehr berufen. Der Angriff muß gegenwärtig sein. Als gegenwärtig gilt ein Angriff, der unmittelbar bevorsteht oder noch andauert. Ist der Angriff abgewehrt, aufgegeben oder ist die zur Rechtsgutsbeeinträchtigung führende Handlung abgeschlossen, kommt Notwehr nicht mehr in Betracht. Daher sind Verletzungen, die dem Angreifer nach gelungener Abwehr zugefügt werden, nicht durch Notwehr gerechtfertigt, sondern ihrerseits rechtswidrige Angriffe, gegen die Notwehr geübt werden darf. Der Angriff muß rechtswidrig sein. Er ist insbesondere dann rechtswidrig, wenn für ihn keine Rechtfertigungsgründe vorliegen. Handlungen, die ihrerseits durch das Festnahmerecht, durch das elterliche Züchtigungsrecht oder gar durch Notwehr gerechtfertigt sind, sind keine rechtswidrigen Angriffe und schließen daher das Notwehrrecht des anderen aus. Merkformel: Gegen Notwehr gibt es keine Notwehr.
156
Notwehr
LE 11
Grundsätzlich sind alle Rechtsgüter n o t w e h r f ä h i g . N o t w e h r f ä h i g sind daher z.B. auch Privatsphäre, Hausfrieden, Sicherheit des Straßenverkehrs etc. A b e r : In der Praxis k o m m t N o t w e h r v o r n e h m l i c h gegenüber Angriffen auf Leib u n d Leb e n , auf Freiheit, Ehre, V e r m ö g e n u n d E i g e n t u m in Betracht. 2
Notwehrhandlung
Bei der N o t w e h r h a n d l u n g geht es u m das „ W i e " der N o t w e h r . Nur die erforderliche Verteidigung ist gerechtfertigt. Erforderlich ist j e n e Verteidigung, die das schonendste Mittel darstellt, u m d e n Angriff s o f o r t u n d endgültig a b z u w e h r e n . Dabei sind A r t u n d I n t e n s i t ä t des Angriffs zu berücksichtigen. Wer d e n Angriff m i t der b l o ß e n Faust wirksam a b w e h r e n k ö n n t e , darf nicht o h n e weiteres zum Messer greifen. In d e m Augenblick, in d e m der Verteidiger das Maß des zur A b w e h r E r f o r d e r l i c h e n überschreitet, wird aus d e m , was als N o t w e h r h a n d l u n g begann, ein rechtswidriger Angriff, gegen d e n N o t w e h r zulässig ist. 3
Verteidigungswille
Zu d e n beiden objektiven E l e m e n t e n der N o t w e h r m u ß der „Verteidigungswille" als subjektives R e c h t f e r t i g u n g s e l e m e n t h i n z u t r e t e n . Mit Verteidigungswillen (§ 32 (2): „ u m
z u " ) handelt, wer den Angriff a b w e h r e n will.
Wer gar nicht e r k e n n t , d a ß er angegriffen ist, kann keinen Verteidigungswillen haben. Mit d e m Verteidigungswillen k ö n n e n sich n o c h andere I n t e n t i o n e n verbinden. § 3 2 f i n d e t daher auch d a n n A n w e n d u n g , w e n n die A b w e h r d u r c h Zorn, Wut, E r b i t t e r u n g o d e r H a ß m i t b e s t i m m t w o r d e n ist. B Sonderprobleme 1 E i n s c h r ä n k u n g e n des N o t w e h r r e c h t s T r o t z Bestehens einer N o t w e h r s i t u a t i o n ist N o t w e h r in b e s t i m m t e n Fällen eingeschränkt b z w . ausgeschlossen. Diese Fälle sind in § 32 (2) nicht ausdrücklich geregelt. Sie entsprechen aber ü b e r k o m m e n e r Lehre u n d Praxis. 1. K i n d e r n , Geisteskranken u n d B e t r u n k e n e n m u ß m a n ausweichen, w e n n m a n schon dad u r c h das b e d r o h t e R e c h t s g u t schützen kann. Diese E i n s c h r ä n k u n g des N o t w e h r r e c h t s b e r u h t auf sozialethischen Überlegungen. Beispiel: Beleidigende A n p ö b e l u n g e n d u r c h einen B e t r u n k e n e n auf o f f e n e r Straße rechtfertigen n u r eine E r w i d e r u n g d u r c h Worte. Im übrigen h a t m a n dem Angriff auszuweichen.
11
Notwehr
157
2. Das Recht zur Notwehr ist ausgeschlossen, wenn ein unerträgliches Mißverhältnis zwischen dem angegriffenen Rechtsgut und der Beeinträchtigung des Angreifers durch den Verteidiger besteht. Dieser Ausschluß des Notwehrrechts beruht auf dem Gedanken des Rechtsmißbrauchs. Beispiel: Auf einen Dieb, der einen A p f e l stiehlt, darf man daher selbst dann nicht schießen, wenn der Schuß die einzige Möglichkeit ist, den Angriff auf das Eigentum abzuwehren. 3. Im Bagatellbereich ist vielfach schon das Vorliegen eines „ A n g r i f f s " zu verneinen. Beispiel: Rücksichtsloses „Vordrängeln" beim Sommerschlußverkauf, beim Einlaß zu einem Schlagerspiel der Bundesliga, beim Einsteigen in einen überfüllten Autobus. Aber: Auch im Bagatellbereich ist Notwehr nicht grundsätzlich ausgeschlossen. Gegenüber derben Zudringlichkeiten auf dem Tanzboden, unerwünschten Anbiederungen und Belästigungen auf Volksfesten (Karneval, Cannstatter Wasen, Oktoberfest), Lausbubenstreichen u.ä. kann man sich zur Wehr setzen. Die Abwehr hat sich aber in der Regel auf Worte zu beschränken. 2 Nothilfe Übt nicht der Angegriffene selbst, sondern ein Dritter Notwehr, so spricht man von Nothilfe (§ 32 (2): „von sich oder einem anderen"). Auch die Nothilfe muß sämtliche Voraussetzungen des § 32 (2) erfüllen. Die oben unter B 1 dargestellten Einschränkungen des Notwehrrechts gelten auch für den Fall der Nothilfe. C Übersicht
D Hinweis Sie werden in der Zusammenfassung vielleicht die Definition der Notwehr vermißt haben. Nun, sie steht in § 32 (2). Man kann sie bei Bedarf dort nachlesen. Gesetzestexte wörtlich auswendig zu lernen, ist im allgemeinen nicht Zweck und Inhalt der juristischen Ausbildung. Ziel dieser LE war es u.a., daß Sie sich die Grobstruktur und nach Möglichkeit auch die Feinstruktur dieses Rechtfertigungsgrundes einprägen, um danach Fälle zu lösen.
158
Testfragen zur LE 11
TE 11
1.1
„ A n g r i f f " im Sinne des § 32 (2) ist jedes menschliche Verhalten, das (bitte ergänzen!)
2.1
Der Hausierer Bluffke (B) will sich zur Tür hineinwinden (= Rechtsgut des Hausfriedens!). Um ihn hinauszudrängen, wirft die Hausfrau mit Schwung die schwere Türe zu. Die Tür schlägt dem B gegen die Nase (§ 223 (1)). 1. Der Hausfrieden gehört / gehört nicht zu den notwehrfähigen Rechtsgütern. 2. Welches der drei Merkmale der Notwehr ist in diesem Falle am ehesten problematisch?
1.2
In welchen Worten des § 32 (2) steckt der Verteidigungswille?
1.3
A wird von dem bissigen Hund des B attackiert. A das Tier.
Um sich seiner Haut zu wehren, erschlägt
Kann er sich auf Notwehr berufen? Ja / Nein
1.4
Begründung:
Derselbe Fall, nur mit dem Unterschied, daß B seinen scharfen Hund auf A hetzt. In diesem Fall entscheiden die Gerichte anders als in Fall 1.3. Können Sie sich vorstellen, mit welcher Begründung?
TE 11
Testfragen
1.5
Tragen Sie die Grobstruktur der Notwehr ein!
1.6
Tragen Sie die Merkmale der Notwehrsituation ein!
2.2
Ein führerloser PKW ist von allein ins Rollen gekommen zu überfahren. A rammt den PKW mit seinem Bulldozer vor dem sicheren Tod. Der PKW wird dabei erheblich
159
und droht ein spielendes Kind und rettet dadurch das Kind beschädigt.
A hat den Tatbestand der Sachbeschädigung (§ 303 (1)) erfüllt. Ist er durch Notwehr gerechtfertigt? J a / Nein
Begründung (aufpassen!):
1.7
Jener Fall der Notwehr, in dem ein Dritter Notwehr übt, heißt
2.3
Köln; Rosenmontag. Ein steigt in eine Straßenbahn und meint vergnügt: „Na, „sauer" und überlegt, ob Darf er? J a / Nein
noch recht jugendlicher Assistenzprofessor der Universität mit lauter ,,]ecken". Einer von ihnen klopft ihm auf die Jüngelche, jeihste dich ooch amüseere?" Das „Jüngelchen" es diese Anrede mit einer Ohrfeige „erwidern" darf.
Begründung:
Bremen Schulter reagiert
160
Testfragen
TE 11
1.8
Die Verteidigung ist „erforderlich", wenn sie (bitte ergänzen!)
2.4
Der Straßenräuber Dreist hat das Pech, bei seiner Tat an Feist, seines Zeichens Boxchampion im Halbschwergewicht, zu geraten. Ein trockener uppercut — und Dreist liegt absolut kampfunfähig auf dem, Boden. Das genügt Feist noch nicht. Zur Strafe springt er dem Dreist mit beiden Beinen kräftig auf den Brustkorb. Dieser Sprung bringt Dreist vier gebrochene Rippen ein. Im Gegensatz zum Faustschlag ist der folgenschwere Sprung durch Notwehr nicht gerechtfertigt, weil mehrere Notwehrmerkmale entfallen. Welche? (Nennen Sie mindestens drei!)
2.5
Der Bauer sieht, wie der Gänsedieb mit der Gans unterm Arm das Weite sucht. Der kräftige Bauer greift nach seiner alten Militärpistole, setzt dem gehbehinderten und eher schwächlichen Dieb nach und schießt ihm aus 5 m Entfernung in den Rücken. Wir wollen aus diesem Fall nur die Frage herausgreifen, ob die Abgabe des Schusses durch Notwehr gerechtfertigt ist. 1. Ist der Angriff des Gänsediebs auf das Eigentum des Bauern noch „gegenwärtig"? Ja / Nein Begründung:
2. Ist diese Verteidigung „erforderlich"? Ja / Nein Begründung:
2.6 ' Im Jahre 1947 hatte das Oberlandesgericht Stuttgart einen Fall zu entscheiden, Wachmann einen Dieb erschossen hatte, als dieser mit einer leeren Sirupflasche von 10 Pfennigen als einziger Beute flüchtete.
in dem ein im Wert
Würden Sie dem Wachmann Notwehr zubilligen? Ja / Nein Begründung:
Literatur: Zur Notwehr vgl. Baumann aaO. § 21 II 1; Bockelmann aaO. § 15 B I; Mezger-Blei aaO. § 40; Wessels aaO. § 8 V. Besonders eingehend Jescheck aaO. § 32; Maurach aaO. § 26; Schmidhäuser aaO. 9/63-85-,Stratenwerth aaO. Rdnrn. 427-459.
Antworten
T E 11
161
1.1
Rechtsgüter beeinträchtigt
2.1
1. gehört zu den notwehrfähigen Rechtsgütern 2. Die Notwehrhandlung bzw. die „Erforderlichkeit"
1.2
„um
1.3
Nein! Notwehr setzt einen „Angriff" voraus. Angriff ist stets ein menschliches genügen nicht (o.ä.).
1.4
Ja! Der Hund ist hier das Werkzeug, die „verlängerte Hand" des B. So betrachtet liegt ein Angriff vor (o.a.).
1.5
Von o. nach u.: Notwehrsituation; Notwehrhandlung; Verteidigungswille
1.6
gegenwärtiger rechtswidriger Angriff
2.2
Nein! Der PKW ist führerlos. Es liegt kein menschliches Verhalten, also kein Angriff vor (o.a.). (Statt Notwehr kommt für A ein anderer Rechtfertigungsgrund in Betracht, nämlich rechtfertigender Notstand. Darüber mehr in der nächsten LE!)
1.7
Nothilfe
2.3
Natürlich nein! Diese Anrede eines jungen Mannes stellt während des Karnevals in Köln keine Beleidigung und daher auch keinen Angriff dar. Selbst wenn man anders entscheiden wollte, gehört der Vorgang dem Bagatellbereich an. S hätte sich auf allenfalls wörtliche Erwiderung zu beschränken (o.ä.).
1.8
Die Verteidigung ist „erforderlich", wenn sie das schonendste Mittel ist, um den Angriff sofort und endgültig abzuwehren (o.ä.).
2.4
1. Angriff: Dreist ist „absolut kampfunfähig". Also liegt keine Beeinträchtigung vor. 2. Gegenwärtig: entfällt daher erst recht. 3. Das Maß der erforderlichen Verteidigung ist überschritten. 4. Kein Verteidigungswille
2.5
1. Ja! Die zur Rechtsgutsbeeinträchtigung führende Handlung des Diebes ist noch nicht abgeschlossen (o.ä.). 2. Nein! Diese Verteidigung ist nicht das schonendste Mittel, um den Angriff des Diebes sofort und endgültig abzuwehren. Nach dem Sachverhalt hätte der kräftige Bauer den (gehbehinderten und schwächlichen!) Dieb einholen und ihm die Gans abnehmen können (o.a.).
2.6
Nein! In diesem Falle besteht ein unerträgliches Mißverhältnis zwischen dem angegriffenen Rechtsgut (Eigentum im Werte von 10 Pfennigen) und der Beeinträchtigung des Angreifers durch den Verteidiger (Tötung des Diebes) o.ä. In diesem Sinne hat auch das Oberlandesgericht Stuttgart entschieden und dem Wachmann keinen Rechtfertigungsgrund zuerkannt.
abzuwenden". Verhalten. Tierattacken
des Eigentums mehr
162
R E C H T F E R T I G E N D E R NOTSTAND
L E 12
L e r n z i e 1 : In dieser L E werden Sie einen weiteren Rechtfertigungsgrund kennenlernen, den „rechtfertigenden N o t s t a n d " . Sie sollen eine Übersicht über die Struktur dieses Rechtfertigungsgrundes gewinnen und bei entsprechenden Sachverhalten erkennen, ob rechtfertigender Notstand in Betracht k o m m t . Gleichzeitig werden Sie auf wesentliche Unterschiede zwischen Notwehr und rechtfertigendem Notstand aufmerksam gemacht.
Erst seit dem 1.1.1975 enthält das StGB eine allgemeine gesetzliche Regelung des rechtfertigenden Notstandes. Bis dahin waren die einzelnen Merkmale dieses Rechtfertigungsgrundes von Rechtsprechung und Lehre aus übergeordneten Rechtsprinzipien abgeleitet worden. In den älteren Lehrbüchern wird der rechtfertigende Notstand daher vielfach noch als „übergesetzlicher" Notstand bezeichnet. Lesen Sie die Überschrift zu § 34! (1) Das StGB spricht heute von zum Ausdruck, daß es sich dabei um einen handelt.
Notstand und bringt damit deutlich grund
Der rechtfertigende Notstand darf nicht mit dem entschuldigenden Notstand des § 35 verwechselt werden. Bei letzterem handelt es sich um eine verwandte Erscheinung auf der Stufe der Schuld. Mit dem entschuldigenden Notstand werden Sie sich ausführlich in L E 20 befassen. Hier genügt es, den formellen Unterschied festzuhalten: (2) Der „rechtfertigende" Notstand wird auf der Stufe der Schuld / Rechtswidrigkeit geprüft, der „entschuldigende" dagegen auf der Stufe der Schuld / Rechtswidrigkeit. Der rechtfertigende Notstand ähnelt in seiner Grobstruktur in auffälliger Weise der Notwehr. Das folgende Schaubild macht diese Ähnlichkeit der Grobstruktur beider Rechtfertigungsgründe besonders deutlich:
Die Unterschiede beider Rechtfertigungsgründe ergeben sich daher ausschließlich aus der abweichenden Feinstruktur.
Rechtfertigender Notstand
LE 12
(1) rechtfertigendem; Rechtfertigungsgrund
(1)
163
(2) Rechtswidrigkeit; Schuld
Entsprechend der Notwehrsituation geht es bei der Notstandssituation um die Frage, " überhaupt ein Notstand besteht. Für die Notstandssituation gelten zum Teil andere Kriterien als für die Notwehrsituation. Die Notstandssituation setzt zunächst eine gegenwärtige Gefahr für irgendein Rechtsgut voraus. Lesen Sie bitte § 34 Satz 1! Neben Leib und Leben sind auch alle anderen Rechtsgüter notstandsfähig.
Der Begriff „gegenwärtig" beim rechtfertigenden Notstand entspricht im wesentlichen (2) der zeitlichen Schranke / sachlichen Schranke bei der Notwehr. Er braucht hier nicht noch einmal erklärt zu werden. Fall 1: A wird von dem tollwütigen Knauf seines Wanderstockes.
Hund des B attackiert.
(3) Damit hat A den Tatbestand der (4)
Er erschlägt ihn mit dem (§ 303 (1)) verwirklicht.
Für die Tat des A kommt Notwehr / keine Notwehr in Betracht, weil (bitte ergänzen!)
(5) Die Attacke des tollwütigen Hundes bedeutet jedoch eine für das Leben bzw. die Gesundheit des A. Für A ist daher die Situation (6) des gegeben / nicht gegeben. Fall 2: Bevor die Mutter (M) zum Einkaufen gegangen ist, hat sie die einjährige Beate (B) ins Bett gelegt, aber den Gashahn nicht richtig zugedreht. Der Nachbar (N) „riecht" die Gefahr, die B droht. Er schlägt die Tür der im 5. Stock gelegenen Mietwohnung ein und rettet das Leben des Kindes. Mit dem Einschlagen der Tür hat N den Tatbestand des § 303 (1) verwirklicht. (7) Als Rechtfertigungsgrund für diese Tat kommt Notwehr / rechtfertigender Notstand in Betracht. (8) Begründen Sie die
Situation!
Im übrigen kann eine Notstandssituation durch mannigfaltige Umstände hervorgerufen werden: durch Tierattacken (Fall 1), durch Naturkatastrophen, durch Zufälle, vielfach aber auch durch gewolltes oder ungewolltes menschliches Verhalten (Fall 2). Stellt sich ein menschliches Verhalten aber als Angriff auf ein Rechtsgut dar, so kommt (9) prinzipiell nie rechtfertigender Notstand, sondern immer nur in Betracht.
164
Rechtfertigender Notstand (1) (4) (6) (8)
(1)
L E 12
„ob" (2) der zeitlichen Schranke (3) Sachbeschädigung keine Notwehr; weil kein Angriff vorliegt (Tierattacke!) (5) gegenwärtige Gefahr rechtfertigenden Notstands; gegeben (7) rechtfertigender Notstand Notstandssituation. Es liegt eine gegenwärtige Gefahr für das Leben der B vor. (9) Notwehr
Wenden wir uns nunmehr dem „ W i e " des rechtfertigenden Notstands, der N
-
zu. Für die Notstandshandlung gelten strengere Maßstäbe als für die Notwehrhandlung. Das ergibt sich aus folgender Überlegung: (2)
Notwehr richtet sich ausschließlich gegen den A
selbst und seine Rechts-
güter. Beim rechtfertigenden Notstand dagegen geht es aber vielfach um Situationen, in denen zur Rettung des bedrohten Rechtsguts Rechtsgüter unbeteiligter Personen beeinträchtigt werden. Beispiel 1: Zur Abwehr des Z eine Latte.
des tollwütigen
Beispiel 2: Um die vom Gastod dem E gehörenden Mietshauses (3)
Hundes
bedrohte ein.
des B reißt der bedrohte
B zu retten,
schlägt
A aus dem
N die Tür im 5. Stock
Zaun
des
Die Beeinträchtigung der Rechtsgüter u Personen wird von der Rechtsordnung nur unter der Voraussetzung gebilligt, daß es gar nicht anders geht. Damit sind wir bei der ersten und bedeutsamen Einschränkung der Notstandshandlung: Eine Notstandshandlung liegt nur vor, wenn die Gefahr nicht anders abwendbar ist als durch Beeinträchtigung eines Rechtsguts. Beispiel 3: Auf der abschüssigen Höllentalstraße versagen die Bremsen. L hat die Möglichkeit, mit seinem LKW auf einen beim „Birklehof" abgestellten Wagen aufzufahren, um diesen als ,,Prellbock " zu benützen, oder auf eine sanfte Anhöhe zu steuern. Beides verspricht gleich gute Chancen, den LKW zum Stehen zu bringen. L entscheidet sich für das erstere und beschädigt den fremden Wagen schwer (= § 303 (1)). War im Beispiel 3 die Gefahr für das Leben des L anders abwendbar als durch Auffahren
(4)
auf den fremden Wagen? J a / Nein
(5)
Eine Notstandshandlung liegt daher vor / nicht vor.
(6)
Begründung:
Im Beispiel 2 war die Abwendung der Gefahr des Gastodes von der B anders abwendbar / nicht anders abwendbar als durch das Einschlagen der Tür.
Variante: Wie beurteilen Sie die anderweitige Abwendbarkeit der Gefahr im Beispiel 2, wenn die Wohnung im Erdgeschoß gelegen und ein leicht erreichbares Fenster geöffnet (7) gewesen wäre?
Mithin würde bei dieser Variante eine Rechtfertigung des Einschlagens der Tür durch ausscheiden / in Betracht kommen.
LE 12
Rechtfertigender N o t s t a n d
165
(1) (4) (5) (7)
Notstandshandlung (2) Angreifer (3) unbeteiligter Ja! L hätte auf die sanfte Anhöhe steuern können (o.a.). nicht vor (6) nicht anders abwendbar Die Gefahr wäre dann anders abwendbar, weil N durch das geöffnete Fenster in die Wohnung gelangen könnte, um B zu retten (o.a.). (8) rechtfertigenden Notstand ausscheiden
Eine Notstandshandlung liegt weiterhin nur dann vor, w e n n das geschützte Interesse das beeinträchtigte wesentlich überwiegt. Bitte § 3 4 Satz 1 lesen!
Bitte beachten Sie! Der Begriff „Interesse" wird in § 3 4 Satz 1 als juristischer Fachausdruck verwendet. Interesse ist weitgehend identisch mit „ R e c h t s g u t " , reicht als Oberbegriff über das Rechtsgut aber noch hinaus. (1) Ob das geschützte Interesse (= insbesondere Rechtsgut) das beeinträchtigte w überwiegt, ist durch Abwägung der widerstreitenden Interessen (= insbesondere Rechtsgüter) zu ermitteln; § 3 4 Satz 1. Blättern Sie bitte zurück auf S. 164 z u m Beispiel 1. In diesem Fall widerstreitet das Interesse des Z an seinem Zaun d e m Interesse des A an (2) (bitte ergänzen!)
(3) Welches der beiden Interessen überwiegt wesentlich?
(4)
Darum ist A d u r c h rechtfertigenden Notstand gerechtfertigt / nicht gerechtfertigt. Der Köter des D beißt sich mit dem Köter des E. Wenn E den H u n d des D mit einem kräftigen F u ß t r i t t vertreibt (= § 3 0 3 (1)), k ö n n t e
(5) N o t w e h r / rechtfertigender Notstand in Betracht k o m m e n . Auch in diesem Fall wollen wir die widerstreitenden Interessen abwägen. (6) Welche Interessen (= insbesondere Rechtsgüter) stehen einander gegenüber? (7) E ist durch rechtfertigenden Notstand gerechtfertigt / nicht gerechtfertigt, weil (bitte ergänzen!)
166
Rechtfertigender Notstand (1) (3) (5) (7)
LE 12
wesentlich (2) seiner Gesundheit bzw. an seinem Leben (tollwiitigerf!) Hund) Leben bzw. Gesundheit des A (o.a.) (4) gerechtfertigt rechtfertigender Notstand (6) Auf beiden Seiten das Interesse am Hund (o.a.) nicht gerechtfertigt, weil beide Interessen offensichtlich gleichwertig sind, also keines wesentlich überwiegt (o.a.)
Ob die Gefahr anders abwendbar war als durch Beeinträchtigung eines Interesses, ist eine Frage des Sachverhalts u n d der Sachverhaltsaufklärung. (1) Ob das geschützte Interesse w ü ist dagegen eine o f t problemträchtige Rechtsfrage. Sie läßt dem Richter einen erheblichen Wertungsspielraum u n d ist schon deshalb nicht immer leicht zu entscheiden.
(2)
Nach dem Willen des Gesetzes soll sich diese Abwägung namentlich an der Abwägung der (bitte § 3 4 Satz 1 lesen u n d ergänzen!)
orientieren. Nehmen Sie an, der Köter des D würde sich nicht mit dem Köter des E beißen, sondern er würde das Chinchillaweibchen des E (Wert 3000 DM) würgen. E vertreibt den Hund des D mit einem kräftigen Fußtritt (= § 303 (1)). Überwiegt in diesem Falle das Interesse des E dasjenige des D? (3) J a / Nein Begründung: (bitte an Hand der Kriterien des § 3 4 Satz 1 „ n a m e n t l i c h " )
Prägen Sie sich gut ein! Der rechtfertigende Notstand ist u n t r e n n b a r mit dem Erfordernis verbunden, daß das (4) geschützte Interesse das im Zuge der Rettungshandlung beeinträchtigte
(5)
Wenn das geschützte Interesse gleich oder weniger wiegt, ist der Begriff der Notstandshandlung (bitte ergänzen!)
Nachdem die „Esperanza" auf dem Scharhörnriff vor der Elbmündung gestrandet war, klammert sich der Matrose M an einen Rettungsring. Als sich auch der Stewart S an ihm festhalten will, stößt ihn M zurück, weil der Ring nur einen von beiden trägt. S ertrinkt. M wird gerettet und später wegen Totschlags (§ 212 (1)) angeklagt.
(6) Welche Interessen stehen einander gegenüber?
(7) Welches dieser beiden Interessen wiegt mehr?
(8)
Merken Sie sich daher, daß bei einem Widerstreit von Leben gegen Leben rechtfertigender Notstand in Betracht k o m m t / nie in Betracht k o m m t .
LE 12
Rechtfertigender Notstand
167
(1) wesentlich überwiegt (2) „betroffenen Rechtsgüter und des Grades der ihnen drohenden Gefahren" (3) Ja! Das Interesse des E an seinem Pelztier überwiegt wesentlich; denn einmal ist das Chinchilla erheblich mehr wert als der Köter des D (= Abwägung der betroffenen Rechtsgüter); zum anderen droht dem Nagetier der Tod, dem Hund aber nur eine Beschädigung (= Abwägung des Grades der beiden Rechtsgütern drohenden Gefahren). (4) wesentlich überwiegt (5) nicht erfüllt (o.ä.) (6) Leben und Leben (7) keines (!) (8) nie in Betracht kommt (möglicherweise aber entschuldigender Notstand; dazu später LE 20)
Im allgemeinen kann man sagen, daß persönliche Interessen (z.B. Freiheit, Leben, werden(1) des Leben, Gesundheit, körperliche Unversehrtheit, Ehre etc.) dem Rang nach höher / weniger hoch stehen als materielle Interessen (z.B. Eigentum und Vermögen). Maßgebend für diese Abwägung sind aber stets die konkreten Umstände des Einzelfalles. Stehen einander nur materielle Interessen gegenüber (z.B. Eigentum gegen Eigentum oder Vermögen gegen Eigentum), so gilt im allgemeinen dasjenige Interesse als höherwertig, dessen Realwert den Realwert des anderen wesentlich übersteigt. Aber auch bei dieser Abwägung kommt es entscheidend auf die konkreten Umstände des Einzelfalles an. Jemand hat der „Hex vom Dasenstein" des Hundezüchters Dingeldey (D) Gift gegeben. Die einzige Möglichkeit, das unersetzliche und wertvolle Tier (Wert 5000 DM) zu retten und sich damit die Existenzgrundlage zu erhalten, besteht für D darin, daß er es sofort und unter unbefugter Ingebrauchnahme eines fremden Autos (Wert 10 000 DM) zum Tierarzt fährt. Das tut D auch. D hat den Tatbestand des § 248 b (1) erfüllt. Als Rechtfertigungsgrund kommt Notwehr / (2) rechtfertigender Notstand in Betracht. Die Abwägung der widerstreitenden Interessen bedarf sehr komplexer Erwägungen. Es sind zwar „namentlich" (§ 34 Satz 1) die „betroffenen Rechtsgüter" (Eigentum gegen Eigentum) und der „Grad der ihnen drohenden Gefahren" (Verenden des Tieres gegen kurzfristigen Entzug des Wagens) abzuwägen. Dabei sind aber auch die sonstigen Umstände des Falles (Unersetzlichkeit des Schadens; Existenzverlust für D; Größe der Rettungschancen) zu berücksichtigen. (3) Da bei Abwägung aller dieser Umstände das Interesse des Autoeigentümers / des D als das wesentlich überwiegende erscheint, ist die Tat des D gerechtfertigt / nicht gerechtfertigt. Das Erfordernis der Abwägung der widerstreitenden Interessen betrifft zugleich einen wesentlichen Unterschied zur Notwehr. Bei der Notwehr kommt es auf die Höherwertig(4) keit des verteidigten Interesses an / nicht an. (5) Notwehr kann also auch zur Rettung eines Interesses geübt werden.
- oder
wertigen
(6) Wer einen Einbrecher erschießt (Rechtsgut: ), um sein Eigentum zu verteidigen, ist daher durch Notwehr gerechtfertigt / nicht gerechtfertigt, vorausgesetzt natürlich, daß die sonstigen Merkmale des § 32 (2) erfüllt sind.
168
Rechtfertigender Notstand
LE 12
(1) höher (2) rechtfertigender Notstand (3) des D; gerechtfertigt (4) nicht an (5) gleich-oder geringerwertigen (6) Leben; gerechtfertigt
Gemäß § 3 4 Satz 2 wird die Notstandshandlung noch durch ein drittes Kriterium eingeschränkt. Bitte lesen! Die Tat muß ein angemessenes Mittel sein, die Gefahr abzuwenden. Damit sind die Vorausetzungen der Notstandshandlung komplett. (1)
Bitte einsetzen!
Der schwerverletzte T kann nur noch durch eine sofortige Bluttransfusion an der Unfallstelle gerettet werden. Blutkonserven sind nicht erreichbar. Der Unfallzeuge B ist weit und breit der einzige Träger der passenden Blutgruppe. Aber B weigert sich entschieden, Blut zu spenden. All sein Sträuben hilft ihm nichts. Dr. A zapft ihm das Blut mit Gewalt ab (= Körperverletzung § 223 (1)). Notstandssituation: T droht zu sterben. (2)
Notstandshandlung: Die Gefahr für das Leben des T ist nicht anders abwendbar / anders abwendbar als durch zwangsweise Blutentnahme bei B. Das Lebensinteresse des T über(3) wiegt das Interesse des B an seiner wesentlich / nicht wesentlich. Aber: Sich das erforderliche Blut durch einen Zwangseingriff bei einem Unbeteiligten zu verschaffen, widerspricht der Menschenwürde. Die zwangsweise Blutentnahme ist somit nicht angemessen. Die Körperverletzung des B durch Dr. A ist daher durch rechtferti-
(4)
genden Notstand gerechtfertigt / nicht gerechtfertigt. Ähnlich wie bei der Notwehr die Notwehrhandlung kann auch beim rechtfertigenden Notstand die Notstandshandlung von einem Dritten vorgenommen werden. Bei der Notwehr
(5) heißt dieser Fall Die entsprechende Konstellation beim rechtfertigenden Notstand heißt rechtfertigende Notstandshilfe und ist in § 34 Satz 1 ausdrücklich geregelt („von sich oder einem anderen"). Für sie gelten sämtliche Voraussetzungen und Einschränkungen des rechtfertigenden Notstands. Blättern Sie bitte zurück auf S. 1 6 3 ! Einer der auf dieser Seite geschilderten Fälle ist ein Bei(6)
spiel für rechtfertigende Notstandshilfe. Welcher?
LE 12
Rechtfertigender Notstand
169
(1) Von o. nach u.: andere Weise; wesentliches Überwiegen des geschützten Interesses (2) nicht anders abwendbar (3) Körperintegrität (o.a.); wesentlich (4) nicht gerechtfertigt (5) Nothilfe (6) Fall 2
Zu der Notstandssituation und der Notstandshandlung muß wie bei der Notwehr ein subjektives Rechtfertigungsmerkmal hinzutreten, der „Rettungswille". Mit Rettungswillen handelt, wer die Gefahr abwenden will; § 34 Satz 1 („um
abzuwenden").
Geyer ist ein Hundefeind. Er sucht nach einem Vorwand, um den Schäferhund des Nachbarn zu töten. Daher reizt er das Tier so lange, bis ihm dieses zähnefletschend an die Gurgel fährt. Nunmehr erschießt Geyer den Hund (= § 303 (1)). Liegt eine Notstandssituation vor? (1) J a / Nein Begründung:
Erfüllt das Erschießen des Hundes den Begriff der Notstandshandlung? (2) J a / Nein Begründung:
Hat Geyer den Hund mit Rettungswillen getötet? (3) J a / Nein Begründung:
Subjektive Rechtfertigungsmerkmale beziehen sich auf Sachverhalte, die im Inneren des Täters gelegen sind. Sie sind auf der Stufe der Rechtswidrigkeit damit das Analogon zu (4) den auf der Stufe des Tatbestandes. Subjektive Tatbestandsmerkmale und subjektive Rechtfertigungsmerkmale werden in der Wissenschaft unter dem Oberbegriff subjektive Unrechtsmerkmale zusammengefaßt.
170
Rechtfertigender Notstand
LE 12
(1) Ja! Es besteht eine gegenwärtige Gefahr für das Rechtsgut der körperlichen Integrität (o.ä.). (2) Ja! Auch die Voraussetzungen der Notstandshandlung sind erfüllt. Denn die Gefahr war nicht anders abwendbar als durch die Tötung des Hundes. Das Interesse an der körperlichen Integrität des Geyer überwiegt das Interesse am Hund wesentlich. Überdies ist es angemessen, einen großen Hund zu töten, wenn er einem an die Gurgel fährt (o.ä.). (3) Nein! Sich seiner Haut zu erwehren, war nur Vorwand. Geyer wollte den Hund von vornherein umbringen (o.a.). (4) subjektiven Tatbestandsmerkmalen
ZUSAMMENFASSUNG A Struktur und Merkmale des rechtfertigenden Notstands Der rechtfertigende Notstand ist in § 34 geregelt. Struktur und Merkmale des rechtfertigenden Notstands ergeben sich aus nachstehendem Schaubild.
1 Notstandssituation Der Rechtfertigungsgrund des rechtfertigenden Notstands kommt mithin nicht zum Zuge, wenn die Voraussetzungen der Notstandssituation nicht erfüllt sind. Daher entfällt rechtfertigender Notstand, wenn eine Gefahr für ein Rechtsgut objektiv gar nicht besteht oder noch nicht oder nicht mehr gegenwärtig ist. Im Unterschied zur Notwehrsituation kann eine Notstandssituation nicht nur durch gewolltes oder ungewolltes menschliches Verhalten, sondern auch durch Tierattacken, Naturkatastrophen und sonstige Zufälle heraufbeschworen werden. Beispiel: Ein führerloser PKW kommt von alleine ins Rollen und gefährdet ein spielendes Kind (vgl. S. 159). Bezüglich der „Gegenwärtigkeit" der Gefahr gilt das für die Gegenwärtigkeit des Angriffs bei der Notwehr Ausgeführte entsprechend (vgl. LE 11).
12
Rechtfertigender Notstand
171
2 Notstandshandlung Alle Rechtsgüter sind nicht nur notwehr-, sondern auch notstandsfähig. Die ausdrückliche Aufzählung bestimmter notstandsfähiger Rechtsgüter in § 34 Satz 1 hat nur Beispielscharakter. Besonders strenge und differenzierte Maßstäbe gelten für die Notstandshandlung. Dieses Merkmal ist nur erfüllt, wenn die folgenden drei Voraussetzungen gegeben sind. 1. Die Gefahr für das Rechtsgut darf nicht anders abwendbar sein (§ 34 Satz 1). Anders ausgedrückt: Es müssen Rechtsgüter in der Weise kollidieren, daß das eine nur durch die Opferung des anderen erhalten werden kann. Gibt es andere Möglichkeiten der Abhilfe, kommt rechtfertigender Notstand nicht in Betracht. Unter mehreren geeigneten Mitteln muß der Notstandstäter das relativ mildeste wählen. 2. Das geschützte (= gerettete) Interesse muß das beeinträchtigte Interesse wesentlich überwiegen (§ 34 Satz 1). Diese Interessenabwägung bringt o f t diffizile Rechtsprobleme mit sich. Daher enthält § 34 Satz 1 hierfür Richtlinien. Nach dem ausdrücklichen Willen des Gesetzgebers hat die Abwägung „der betroffenen Rechtsgüter" und „des Grades der ihnen drohenden Gefahren" einen gewissen Vorrang („namentlich") vor anderen Gesichtspunkten. Persönliche Interessen (z.B. Leben, werdendes Leben, Freiheit, Gesundheit, körperliche Unversehrtheit) sind im allgemeinen ranghöher als die materiellen Interessen (z.B. Eigentum und Vermögen). Stehen einander materielle Interessen gegenüber, so gilt im allgemeinen dasjenige Interesse als höherwertig, dessen Realwert den Realwert des anderen wesentlich übersteigt. In die komplexe Interessenabwägung müssen aber auch die sonstigen Umstände des Falles einbezogen werden. Dazu gehören etwa Nähe, Art, Grad und Umfang der drohenden Gefahr, die Unersetzlichkeit des Schadens, offenkundige „Fernwirkungen" der mit dem Eingriff verbundenen Folgen, die Größe der Rettungschancen u.a. Vgl. dazu das Beispiel der „Hex vom Dasenstein" oben S. 167. Grundsätzlich können alle Rechtsgüter durch einen Notstandseingriff in Anspruch genommen werden. Besonderheiten gelten nur für das Leben. Es ist das ranghöchste aller Rechtsgüter und kann daher von keinem anderen Interesse überwogen werden. Das gilt selbst dann, wenn Leben gegen Leben steht. Daher kommt im Falle der Rettung eines Menschenlebens (oder vieler Menschenleben) auf Kosten eines anderen Menschenlebens rechtfertigender Notstand nie in Betracht. Beispiel: Um in ihrem Rettungsboot auf hoher See nicht zu verhungern und zu verdursten, töteten drei Schiffbrüchige den Schiffsjungen. Vier Tage später wurden die Täter gerettet. Geschehen im Juli 1884. Nach der untergegangenen Yacht so benannter Mignonette-Fall. Da sich Menschenleben nicht gegeneinander aufwiegen lassen, entfällt rechtfertigender Notstand.
Rechtfertigender Notstand
172
LE 12
3. Selbst ein wesentliches Überwiegen des g e r e t t e t e n Interesses r e c h t f e r t i g t n u r d a n n , w e n n die Tat kein unangemessenes Mittel zur A b w e n d u n g d e r G e f a h r ist (§ 3 4 Satz 2). Beispiel: Ein Klinikbesucher, der Träger einer seltenen Blutgruppe ist, darf n i c h t gegen seinen Willen z u m Blutspenden für einen S c h w e r k r a n k e n gezwungen w e r d e n , weil dies seiner Menschenwürde widerspricht u n d deshalb kein angemessenes Mittel ist. 3 Rettungswille D e m Verteidigungswillen bei der N o t w e h r entspricht der Rettungswille b e i m rechtfertigenden N o t s t a n d . 4 R e c h t f e r t i g e n d e Notstandshilfe Der N o t h i l f e entspricht die r e c h t f e r t i g e n d e Notstandshilfe. Vgl. § 3 4 Satz 1: „ v o n sich oder einem a n d e r e n " . B Gegenüberstellung v o n N o t w e h r u n d r e c h t f e r t i g e n d e m N o t s t a n d Der r e c h t f e r t i g e n d e N o t s t a n d ähnelt in seiner G r o b s t r u k t u r in auffälliger Weise der Notwehr. D e n n o c h b e s t e h e n zwischen beiden Rechtfertigungsgründen charakteristische Unterschiede. Sie ergeben sich daraus, d a ß beiden Rechtfertigungsgründen ein anderes D e n k m o d e l l z u g r u n d e liegt: Rechtfertigender Notstand
Welches Interesse überwiegt?
Notwehr
Das R e c h t b r a u c h t dem U n r e c h t nicht zu weichen!
Beim r e c h t f e r t i g e n d e n N o t s t a n d steht im V o r d e r g r u n d , daß ein Rechtsgut mit einem anderen in der Weise kollidiert, daß n u r eines auf K o s t e n des anderen gerettet w e r d e n kann. Wie das Rechtsgut in diese G e f a h r geraten ist, ist gleichgültig. Der für die R e c h t s o r d n u n g m a ß g e b e n d e A s p e k t in einer solchen Situation lautet: Welches Interesse überwiegt? A u c h bei der N o t w e h r b e s t e h t G e f a h r für ein Rechtsgut. A b e r diese G e f a h r wird ausschließlich d u r c h einen gegenwärtigen rechtswidrigen Angriff hervorgerufen. Der für die R e c h t s o r d n u n g m a ß g e b e n d e A s p e k t in einer solchen Situation lautet: Das R e c h t b r a u c h t d e m Unrecht nicht zu weichen!
12
Rechtfertigender Notstand
173
Im einzelnen unterscheiden sich Notwehr und rechtfertigender Notstand in folgenden Beziehungen:
Notwehr
Rechtfertigender Notstand
1. Notwehrsituation
1. Notstandssituation
Angriff auf irgendein Rechtsgut
Gefahr für irgendein Rechtsgut
gegenwärtig
gegenwärtig
rechtswidrig
diese Einschränkung entfällt
2. Notwehrhandlung
2. Notstandshandlung
erforderliche Verteidigung
Unabwendbarkeit der Gefahr auf andere Weise wesentliches Überwiegen des geschützten Interesses angemessenes Mittel
3. Verteidigungswille
3. Rettungswille
C Sonderprobleme 1. Liegt der ganze Vorgang noch im Bagatellbereich, wird vielfach bereits der Begriff der „ G e f a h r " u n d damit die Notstandssituation zu verneinen sein. Beispiele: Die Abwehr eines fremden Hundes, der etwa einen Knochen „stibitzen" oder auch freudig an einem hochspringen will und dabei mit seinen Pfoten den Mantel zu beschmutzen droht, kann daher im allgemeinen nicht auf § 34 gestützt werden. 2. Das Angemessenheitskorrektiv (§ 34 Satz 2) dient weniger der Begründung des rechtfertigenden Notstands als vielmehr seinem Ausschluß in besonderen Fällen. Einer eingehenden Prüfung des § 34 Satz 2 bedarf es daher nur dann, wenn die Tat trotz wesentlichen Überwiegens des geretteten Interesses obersten Wertprinzipien der Gemeinschaft widerspricht. Beispiel: Blutspende-Fall (vgl. oben S. 168, 172). 3. Durch Notwehr ist nur die Beeinträchtigung von Rechtsgütern des Angreifers gerechtfertigt. Bei Beeinträchtigung von Rechtsgütern unbeteiligter Personen kommt allenfalls rechtfertigender Notstand in Betracht. Beispiel: Um den Angriff des A abzuwehren, entreißt B dem unbeteiligten C einen wertvollen Spazierstock und schlägt mit ihm auf A ein. Dabei zerbricht der Spazierstock. In diesem Fall ist die Körperverletzung des A (§ 223 (1)) durch Notwehr (§ 32), die Zerstörung des Stockes des C (§ 303 (1)) durch rechtfertigenden Notstand (§ 34) gerechtfertigt.
174
Testfragen zur LE 12
TE 12
1.1
Der rechtfertigende Notstand ist ein Tatbestandsausschlußgrund / Rechtfertigungsgrund / Entschuldigungsgrund.
1.2
Schildern Sie ein typisches Beispiel für den rechtfertigenden Notstand!
1.3
Nennen Sie mindestens drei Unterschiede zwischen Notwehr und rechtfertigendem Notstand!
1.4
Welchem Interesse gebührt bei der Abwägung im allgemeinen der Vorrang, wenn 1. materielle Interessen und persönliche Interessen einander gegenüberstehen?
2. materielle Interessen einander gegenüberstehen?
1.5
Was versteht man unter „rechtfertigender Notstandshilfe"?
2.1
Im Cafe „Kranzler" auf dem Ku-Damm bekommen zwei Gäste Streit miteinander. Vor Wut ergreift der eine die vor ihm stehende Wasserkaraffe, um sie seinem Gegenüber K auf den Kopf zu schlagen. K fängt den Hieb ab. Die Karaffe aber fällt zu Boden und zerbricht. Es steht nun zur Debatte, ob die von K begangene Sachbeschädigung (§ 303 (1)) an der Karaffe gerechtfertigt ist. 1. Wem gehört die Karaffe? 2. Obwohl die fremde Karaffe als Angriffswaffe verwendet wird, scheidet bezüglich ihrer Zerstörung durch K Notwehr aus. Warum?
3. Als Rechtfertigungsgrund für die Zerstörung der Karaffe durch K kommt jedoch in Betracht.
TE 12 2.2
Testfragen
175
Der fünfzehnjährige, inzwischen fast erblindete und bereits gänzlich zahnlose (!) Dackel Waldi macht sich gemächlich auf, um Franz Bammel ins Wadel zu „beißen". Ist Franz Bammel gerechtfertigt, wenn er den Dackel verletzt oder gar tötet (= § 303 (1))? Ja / Nein Begründung:
2.3
A steht vor seiner geöffneten um ihn zu beißen.
Haustür und sieht, wie ein großer Hund auf ihn
losspringt,
Ist für A eine Notstandssituation gegeben? Ja / Nein Begründung:
2.4
Nehmen Sie im Falle 2.3 an, A wartet, bis der Hund nahe genug herangekommen tötet ihn dann mit einem Schuß aus seinem Revolver.
ist, und
Erfüllt diese Maßnahme die Voraussetzungen einer Notstandshandlung i.S.d. rechtfertigenden Notstands? Ja / Nein Begründung:
2.5
Die beiden Geologen Dr. V und K haben im Sandsturm über der Lybischen Wüste mit ihrer Cessna die Orientierung verloren und sind südlich von Wau el Kebir notgelandet. Erbarmungslos brennt die heiße afrikanische Sonne auf die beiden herab. Um nicht zu verdursten, schneidet K dem V die Kehle durch und schlürft dessen Blut. Damit erfüllt K zwar den Tatbestand des Totschlags (§ 212 (1)), aber er rettet sein Leben. 1. Ist K durch Notwehr gerechtfertigt? Ja / Nein Begründung:
2. Ist K durch rechtfertigenden Notstand gerechtfertigt? Ja / Nein Begründung:
Testfragen
176 2.6
TE 12
Xenia von Reichenstein verläßt, gehüllt in einen sündhaft teuren Pelz, an der Seite ihres ständigen Begleiters, des Börsenjobbers Adrian Hundertmark (H), gerade das Deutsche Schauspielhaus, als ein Platzregen niederprasselt. Geistesgegenwärtig entreißt H dem Nächstbesten — es ist der Hamburger Reeder Peter Petersen — den Parapluie, um die wertvolle Garderobe seiner Begleiterin zu schützen. H ist keine rechtfertigende Notstandshilfe zuzubilligen. Warum nicht?
2.7
Hätte sich Petersen gegen diesen Zugriff des H im Wege der N o t w e h r (§ 32) zur Wehr setzen dürfen? Ja / Nein
2.8
Begründung:
Aus dem Motor der Limousine des M züngeln Flammen. Obwohl er seine eigene Decke hätte nehmen können, greift M zur Decke des E und löscht mit ihr den Brand. Damit erfüllt M den Tatbestand des §303 (1). 1. Es liegt eine gegenwärtige Gefahr für das Eigentum des M vor / nicht vor. 2. Sind für M die Voraussetzungen der Notstandshandlung gegeben? J a / Nein
Begründung:
3. Die Sachbeschädigung (§ 3 0 3 (1)) der Decke des E war daher rechtswidrig / gerechtfertigt.
Literatur: Zum rechtfertigenden Notstand vgl. Baumann aaO. § 22 I—II; Bockelmann aaO. § 15 B II; Jescheck aaO. § 33 IV; Maurach aaO. § 27 III; Mezger-Blei aaO. § 47; Schmidhäuser aaO. 9 / 4 9 - 6 2 ; Wessels aaO. § 8 IV.
TE 12
Antworten
177
1.1
Rechtfertigungsgrund
1.2
Z.B. A wird von einem fremden Hund angefallen, wehrt das Tier mit Stockschlägen ab oder tötet es sogar. Der Nachbar schlägt ein Fenster oder die Tür zu einer fremden Wohnung ein, um dort den Gashahn (oder Wasserhahn) abzustellen. Zur Abwehr der Attacke eines Hundes reißt A eine Latte aus einem fremden Zaun (o.a.). Beispiel der „Hex vom Dasenstein".
1.3
Vgl. Sie dazu die Übersicht auf S. 173!
1.4
1. Den persönlichen Interessen (aber konkrete Umstände des Einzelfalles mit berücksichtigen!) 2. Dem Interesse, hinter dem der höhere Realwert steht (o.a.). (Aber konkrete Umstände des Einzelfalles mit berücksichtigen!)
1.5
Ein anderer als der Bedrohte „ ü b t " rechtfertigenden Notstand (o.ä.).
2.1
1. Dem Cafebesitzer 2. Weil nicht in die Rechtsgüter des Angreifers, sondern in die eines unbeteiligten das Eigentum des Cafebesitzers) eingegriffen wird (o.a.). 3. rechtfertigender Notstand
Dritten (nämlich in
2.2
Nein! Es droht überhaupt keine Gefahr (Waldi ist zahnlos!). Daher entfällt schon die Notstandssituation (und nicht erst die Notstandshandlung, wie manche Bearbeiter annehmen).
2.3
J a ! Es liegt in der Person des A eine gegenwärtige Gefahr für das Rechtsgut der körperlichen Unversehrtheit vor (o.a.).
2.4
Nein! A hätte vor dem Hund die Türe zuschlagen können. Die Gefahr war somit auf andere Weise abwendbar (o.ä.).
2.5
1. Nein! Es fehlt an einem „Angriff" des V (o.ä.). 2. Nein! Zwar liegt für K eine Notstandsjifuati'on vor. Aber zur Not st andshandlung gehört, daß das geschützte Interesse das beeinträchtigte wesentlich überwiegt. Hier aber steht Leben gegen Leben (o.ä.). Später werden Sie erfahren, daß für K möglicherweise ein Entschuldigungsgrund in Betracht kommt.
2.6
Problematisch ist nicht so sehr die Notstandsiifuaii'on als vielmehr die Notstandshandlung. Selbst wenn man annimmt, daß die Gefahr für den Pelz nicht anders abwendbar war (Taxi? Zurück zum Schauspielhaus?) und daß das Interesse der Xenia das beeinträchtigte Interesse des Petersen an seinem Schirm wesentlich überwiegt, so erscheint es im vorliegenden Fall unangemessen, eine solche Gefahr durch Schädigung eines anderen abzuwenden (o.a.).
2.7
J a ! Wenn man rechtfertigende Notstandshilfe für H ablehnt, so ist dessen Handlung rechtswidrig und ein gegenwärtiger rechtswidriger Angriff auf das Rechtsgut des Eigentums (o.ä.).
2.8
1. vor 2. Nein! Da M seine eigene Decke hätte nehmen können, war die Brandgefahr durchaus auf andere Weise abwendbar. 3. rechtswidrig
178
FALLBEARBEITUNG 1 L e r n z i e 1 : Sie haben nun schon soviel gelernt, daß ich Ihnen zutraue, Ihren ersten praktischen Fall zu bearbeiten. Dieses Lernprogramm dient nicht nur der Wissensvermittlung. Es soll vor allem auch spezifisch juristische Fähigkeiten in Ihnen ausbilden und trainieren. Eines der wichtigsten Endziele dieses Lernprogramms ist es, daß Sie lernen, strafrechtliche Fälle selbständig zu bearbeiten. Zu diesem Zweck müssen Sie erkennen lernen, wo die Probleme und die Schwerpunkte des Falles liegen. Dies wird Ihnen wesentlich erleichtert, wenn Sie diesen und alle späteren Fälle unter Zugrundelegung des Fallprüfungsschemas lösen.
1. Fall „Volltreffer!" Sachverhalt: Abel (A) läßt unbedacht seinen bissigen Hund auf der Straße frei herumlaufen. Der Hund fällt den fünfjährigen Moritz (M) an. Das sieht die Stenotypistin Resi (R), die gerade vor einem Blumenstand steht. Sie ergreift den erstbesten Blumentopf — zufällig sind es wertvolle Orchideen — und wirft ihn dem Hund an den Kopf, um den schon blutenden Jungen vor schwereren Verletzungen zu bewahren. Den „Volltreffer" überleben weder der Hund (Wert: 50 DM) noch die Pflanzen (Wert: 100 DM). Aber der Junge ist gerettet. Aufgabe: Die Strafbarkeit der R ist zu untersuchen! Hinweise: Lesen Sie zunächst den Sachverhalt mehrfach genau durch, einmal, um ihn zu behalten und sich mit allen seinen Einzelheiten vertraut zu machen, zum anderen, um sich an die in ihm enthaltenen rechtlichen Probleme heranzutasten. Der zweite Schritt jeder Fallösung besteht sodann stets darin, zu überlegen, welches Delikt (bzw. welche Delikte) überhaupt in Betracht kommen könnte(n). Hier bietet der Sachverhalt bereits die ersten Schwierigkeiten. Sie sollen z.B. erkennen, daß zwar ein Delikt, (1) aber Straftaten in Betracht k o m m e n könnten, nämlich (bitte ergänzen!)
Da die Aufgabe ganz allgemein lautet, „die Strafbarkeit der R ist zu untersuchen", müssen (2) Sie einer Frage / beiden Fragen nachgehen. Andererseits müssen beide Fragenkomplexe gedanklich streng auseinandergehalten werden. Sie müssen daher auch bei der schriftlichen Fallösung getrennt untersucht werden. Nachdem Sie diese wichtige Weichenstellung (zwei Straftaten sind getrennt zu untersuchen!) entdeckt haben, empfiehlt es sich, zunächst eine kurze stichwortartige Sammlung der von Ihnen erkannten rechtlichen Probleme anzulegen.
F 1
Fallbearbeitung 1
179
(1) zwei; eine Sachbeschädigung (§ 303 (1)) durch Töten des Hundes und eine zweite Sachbeschädigung durch Zerstören (§303 (1)) der Orchideenpflanzen. (2) beiden Fragen
Tun Sie dies jetzt und versuchen Sie nun, dem Sachverhalt die in ihm enthaltenen Probleme abzulisten. Aber blättern Sie frühestens nach 10 Minuten auf die nächste Seite um, denn so lange brauchen Sie mindestens, um alle Probleme zu erkennen. Kleine Hilfe: Gehen Sie nach der Prüfung der Tatbestandsmäßigkeit sorgfältig alle Merkmale des rechtfertigenden Notstands anhand der Feinstruktur dieses Rechtfertigungsgrundes durch. Ihre Problemsammlung
Fallbearbeitung 1
180
PROBLEMSAMMLUNG 1. Teil: Töten des Hundes Problemkreis 1:
Erfüllt dies überhaupt den Tatbestand des § 303 (1)? „ S a c h e " ? „Zerstören"?
Problemkreis 2:
Liegt Notwehr vor, insbesondere Angriff? Problem der „Tierattacken"!
Problemkreis 3:
Liegt rechtfertigender Notstand vor, insbesondere a) gegenwärtige Gefahr für ein Rechtsgut? b) Unabwendbarkeit der Gefahr auf andere Weise? c) Wesentliches Überwiegen des geschützten Interesses? Was ist hier zu vergleichen? Hund — Blumentopf? Blumentopf — Mensch? Hund — Mensch? Problem des persönlichen Rechtsguts? d) Angemessenes Mittel? e) Rettungswille? f) R ist nicht selbst bedroht. Rechtfertigende Notstandshilfe? 2. Teil: Zerstören der Orchideenpflanzen
Problemkreis 1:
Erfüllt dies überhaupt den Tatbestand des § 303 (1)? Nicht problematisch: „ f r e m d " , „ S a c h e " und „Zerstören".
Problemkreis 2:
Liegt Notwehr vor, insbesondere Angriff? Siehe oben!
Problem kreis 3:
Liegt rechtfertigender Notstand vor, insbesondere a) gegenwärtige Gefahr für ein Rechtsgut? b) Zerstören der Orchideenpflanzen = Unabwendbarkeit der Gefahr auf andere Weise? c) Wesentliches Uberwiegen des geschützten Interesses? Siehe oben! d) Angemessenes Mittel? e) Rettungswille? Siehe oben! f) Rechtfertigende Notstandshilfe? Siehe oben!
Versuchen Sie nun, aufgrund dieser Problem- und Materialsammlung selbst eine schriftliche Lösungsskizze des Falles zu entwerfen unter strikter Beachtung a) der Tatsache, daß beide Straftaten getrennt zu untersuchen sind und b) des Fallprüfungsschemas.
Fallbearbeitung 1 IHRE LÖSUNGSSKIZZE 1. Teil: Töten des Hundes § 303 (1) I Tatbestandsmäßigkeit
II Rechtswidrigkeit
Ergebnis:
Fallbearbeitung 1 2. Teil: Zerstören der Orchideenpflanzen § 3 0 3 (1) I Tatbestandsmäßigkeit
II Rechtswidrigkeit
Ergebnis:
Fallbearbeitung 1
183
MUSTERLÖSUNG1) 1. Teil: Töten des Hundes In Betracht kommt Sachbeschädigung (§ 303 (1)). I Tatbestandsmäßigkeit Sache ist jeder körperliche Gegenstand, also auch ein Hund^). Der Hund gehört dem A, ist somit für R fremd. Eine Sache ist zerstört, wenn sie ihre bestimmungsgemäße Brauchbarkeit völlig eingebüßt hat. Das ist bei einem toten Hund der Fall 2). Die Tötung eines Hundes verwirklicht daher das „Zerstören einer fremden Sache" (§ 303) (1)). II Rechtswidrigkeit 1. Notwehr (§ 32 (2)) setzt einen Angriff voraus. Angriff ist jedes menschliche Verhalten, das fremde Rechtsgüter beeinträchtigt. Die bloße Tierattacke ist kein Angriff. Ausnahme: Der Hund wird auf einen Menschen gehetzt. Dann ist der Hund das Werkzeug eines angreifenden Menschen. Hier ließ A den Hund nur unbedacht frei herumlaufen. Das ist kein Angriff. 2. Möglicherweise kommt für R rechtfertigender Notstand (§ 34) in Betracht. M ist vom Hund bereits gebissen worden. Offenbar stehen weitere Bisse bevor. Seiner körperlichen Integrität (ev. seinem Leben) droht somit eine gegenwärtige Gefahr. Da der Sachverhalt nicht erkennen läßt, ob R den Hund auf andere Weise hätte vertreiben können (Stein? Stock? Fußtritt? ), ist davon auszugehen, daß die dem M drohende Gefahr nicht anders abwendbar war als eben durch diesen Wurf mit dem Orchideentopf 3). Es ist zwischen körperlicher Integrität bzw. Leben und dem Eigentum abzuwägen. Bei einer solchen Sachlage ergibt schon der Vergleich der Rechtsgüter, auf den § 34 Satz 1 mit Vorrang abstellt („namentlich"), daß die körperliche Integrität bzw. das Leben die materiellen Interessen des Hundeeigentümers wesentlich überwiegen. Dies gilt umso mehr, als dem Jungen weitere erhebliche Verletzungen drohen^). Der Einsatz des von R gewählten Mittels ist nach Lage der Dinge nicht unangemessen (§ 34 Satz 2) 5 ). R will M vor Ärgerem bewahren. Sie handelt also mit Rettungswillen. Da R selbst nicht bedroht ist, liegt ein Fall der rechtfertigenden Notstandshilfe vor. Ergebnis: Die Tötung des Hundes (§ 303 (1)) ist durch rechtfertigende Notstandshilfe gerechtfertigt.
1) In der Musterlösung sind sämtliche Tatbestandsmerkmale des § 3 0 3 (1) und sämtliche Rechtfertigungsmerkmale des rechfertigenden Notstands verarbeitet. Besonders wichtige Worte sind durch Fettdruck hervorgehoben. Achten Sie gleichzeitig darauf, daß die Musterlösung die problematischen Merkmale ausführlicher behandelt und die unproblematischen nur kurz streift. Achten Sie schließlich ganz besonders auf die bewußt knappe Diktion, welche alles Unwesentliche vermeidet. 2) Auslegung und Definition (in einem), Subsumtion! 3) Die Grenzen des Sachverhalts sind zugleich auch die Grenzen der rechtlichen 4) Man darf einem Sachverhalt nichts unterstellen, was nicht feststeht.
Lösung.
5) Damit sind die beiden Richtlinien des § 3 4 Satz 1 ausgeschöpft. Die negative Formel des Angemessenheitskorrektivs macht deutlich, daß es sich bei § 3 4 Satz 2 um eine nur ausnahmsweise zum Zuge kommenden Ausschlußklausel handelt.
Fallbearbeitung 1
184
2. Teil: Zerstören der Orchideenpflanzen In Betracht kommt wiederum Sachbeschädigung (§ 303 (1)). I Tatbestandsmäßigkeit Topf und Pflanzen gehören dem Inhaber des Blumenstandes und sind daher für R fremde Sachen. Von dem Orchideentopf sind nur noch Scherben und Pflanzenreste übrig, die für den Eigentümer nicht mehr brauchbar sind. Also ist der Blumentopf zerstört i.S.d. § 303 (1). Damit ist auch hier der Tatbestand des § 303 (1) erfüllt. II Rechtswidrigkeit Als Rechtfertigungsgrund bezüglich der Zerstörung des Blumentopfs kommt allenfalls rechtfertigender Notstand (§ 34) in Betracht. Eine Notstandssituation liegt vor (vgl. dazu 1. Teil II 2). Hinsichtlich der Notstandshandlung wurde bereits ausgeführt, daß davon auszugehen ist, daß die dem M drohende Gefahr nicht anders abwendbar war als durch eben diesen Wurf mit dem Orchideentopf (vgl. dazu 1. Teil II 2). Bei der Interessenabwägung ist die körperliche Integrität (bzw. das Leben) des M mit dem Eigentum — verkörpert durch den Orchideentopf — zu vergleichen. Zwar droht letzterem vollständige Zerstörung und damit die größere Gefahr, doch gibt der eindeutig höhere Rangwert der Interessen des M den Ausschlag. Sie überwiegen wesentlich. Im vorliegenden Fall ist die Preisgabe des geringeren Interesses Eigentum (Blumentopf) jedenfalls kein unangemessenes Mittel, um die körperliche Integrität (bzw. das Leben) des M zu retten ( § 3 4 Satz 2). Für den Rettungswillen gilt dasselbe wie zuvor (vgl. dazu 1. Teil II 2). Auch hier liegt rechtfertigende Notstandshilfe vor. Ergebnis: Auch das Zerstören des Orchideentopfes (§ 303 (1)) 6 ) ist durch rechtfertigende Notstandshilfe gerechtfertigt. Hinweise! Daß bereits Ihre erste Lösungsskizze der Musterlösung in allen Belangen entspricht, wäre zuviel erwartet. Aber: J e mehr Ihre strafrechtliche Ausbildung voranschreitet, umso mehr wird von Ihnen verlangt, a) daß Sie die in der Musterlösung behandelten Probleme sämtlich erkennen und lösen, b) daß Ihre Ausdrucksweise in zunehmendem Maße der üblichen Fachterminologie entspricht und c) daß Sie sich eines klaren und verständlichen Stils bedienen und die juristischen Begriffe richtig verwenden. Lesen Sie daher den Fall einschließlich seiner Musterlösung in Ruhe mehrfach durch. Vergleichen Sie selbstkritisch, in welchen Belangen (Aufbau, Erkennen der Probleme, Lösung der Probleme, Fachgerechtigkeit der Ausdrucksweise, Stil, Diktion, Kürze und Präzision der Ausdrucksweise) Ihre Lösung noch verbessert werden könnte! 6) Paragraphen des Gesetzes sind u.a. dazu da, daß man sie zum einen stets (! jnachliest und zum anderen stets (!) zitiert (dort wo sie hingehören). Merken Sie sich die Technik des Verweisens bei solchen Problemen, die im Laufe der Arbeit bereits gelöst wurden.
LE 13
SCHULDBEGRIFF DER VORSATZDELIKTE
185
L e r n z i e 1 : Der Schuldbegriff der Vorsatzdelikte setzt sich aus m e h r e r e n E l e m e n t e n z u s a m m e n . In dieser LE sollen Sie einen Überblick über die einzelnen S c h u l d e l e m e n t e gewinnen u n d den A u f b a u der S c h u l d p r ü f u n g k e n n e n l e r n e n . Die folgenden LE werden auf die einzelnen S c h u l d e l e m e n t e jeweils näher eingehen.
Der Begriff der Schuld ist einer der wichtigsten u n d zugleich schwierigsten Begriffe des ganzen S t r a f r e c h t s . Er ist uns erstmals in der LE 2 bei der Definition der Strafe begegnet. (1)
Strafe, h a t t e n wir definiert, ist ein mit Tadel verbundenes das wegen einer s t r a f b a r e n H a n d l u n g von einem a u f g r u n d u n d nach Maßgabe der des Täters verhängt wird.
(2)
Daß S t r a f e n im Gegensatz zu den
n u r a u f g r u n d u n d nach Maßgabe
der Schuld des Täters verhängt w e r d e n dürfen, ist eine K o n s e q u e n z des Schuldprinzips. S t r a f b a r ist n u r , wer s c h u l d h a f t handelt. (3)
Diesen allgemein a n e r k a n n t e n , im StGB aber nicht ausdrücklich verankerten G r u n d s a t z n e n n t m a n das prinzip. Schuldprinzip b e d e u t e t zweierlei:
(4)
1. Die Schuld ist die Voraussetzung der
(5)
2. Das Maß der Strafe darf das Maß der Schuld übersteigen / nicht übersteigen. Ein S t r a f r e c h t , das sich zum Schuldprinzip b e k e n n t , n e n n t m a n S c h u l d s t r a f r e c h t .
(6)
Das d e u t s c h e S t r a f r e c h t ist ein prinzip b e r u h t .
, weil es auf d e m
Sie h a b e n die Schuld a u ß e r d e m bereits im Z u s a m m e n h a n g mit d e m s t r a f r e c h t l i c h e n Fallp r ü f u n g s s c h e m a kennengelernt. Schuld bezeichnet d o r t die S t u f e III innerhalb der strafrechtlichen Fallprüfung.
(8)
Auf der S t u f e III wird w e r t e n d festgestellt, o b d e m Täter die rechtswidrige T a t w e r d e n kann.
186
Schuldbegriff der Vorsatzdelikte (1) (4) (7) (8)
LE 13
Übel; Strafgericht; Schuld (2) Maßregeln d.B.u.S. (3) Schuldprinzip Strafe (5) nicht übersteigen (6) Schuldstrafrecht; Schuldprinzip V o n o. nach u.: Handlungsbegriff; Tatbestandsmäßigkeit; Rechtswidrigkeit rechtlich vorgeworfen
Schuld ist Vorwerfbarkeit. Der strafrechtliche Schuldvorwurf unterscheidet sich von jeder sonstigen Verwendung des Begriffs „Schuld", z.B. in der Umgangssprache, in der Religion, in der Philosophie, in der Psychologie etc. Denn der Gegenstand des strafrechtlichen Schuldvorwurfs ist das durch die Kategorien von Tatbestandsmäßigkeit und Rechtswidrigkeit bereits vorgefilterte menschliche Verhalten. Anders ausgedrückt: Auf eine Handlung, die nicht einmal tatbestandsmäßig oder jeden(1) falls nicht ist, wird der Begriff Schuld im Strafrecht ebenfalls angewendet / überhaupt nicht angewendet. „Ich kann nichts dafür, daß ich anders bin", verteidigt sich der 25jährige Designer Knabenhans (K) gegenüber dem Vorwurf, homosexuelle Beziehungen zu Gleichaltrigen zu unterhalten. Gleichgeschlechtliche Unzucht unter Erwachsenen ist seit 1973 nicht mehr unter Strafe gestellt. Die Frage, ob K schuldhaft gehandelt hat, ist daher heute ein Streit um des Kaisers Bart, (2) weil (bitte ergänzen!)
In der Umgangssprache wird „Schuld" nicht nur häufig in einem viel weiteren Sinne, sondern auch fälschlicherweise synonym mit „verursachen" verwendet. Man sagt z.B.: „Der Blitz, die Grippe etc. ist schuld am Tod des B", und meint damit nichts anderes als „Der Blitz, die Grippe etc. hat den Tod des B verursacht". Vor einer solchen Vermengung der Begriffe Kausalität und Schuld im Strafrecht kann nicht nachdrücklich genug gewarnt werden! (3) Die Kausalität ist
T
merkmal bei den Erfolgsdelikten.
(4) Die Frage der Kausalität betrifft daher allein das Unrecht der Tat / die Schuld des Täters. (5)
Schuld im strafrechtlichen Sinn dagegen bedeutet stets, daß dem Täter eine rechtlich zum Vorwurf gemacht wird.
-
LE 13
187
Schuldbegriff der Vorsatzdelikte
(1) rechtswidrig; ü b e r h a u p t nicht angewendet (2) es für das, was K t u t , heute keinen T a t b e s t a n d m e h r gibt (o.a.). Wer in diesem Beispiel von „ S c h u l d " spricht, meint vielleicht ,,Moral" o d e r „ A n s t a n d " . Strafrechtliche Schuld k a n n nicht gemeint sein. (3) objektives T a t b e s t a n d s m e r k m a l (4) das Unrecht der Tat (5) rechtswidrige T a t ; richtig auch: tatbestandsmäßige u n d rechtswidrige H a n d l u n g
Schuld ist Vorwerfbarkeit. Mit dem strafrechtlichen Begriff der Schuld verbindet sich ein sozialethisches Unwerturteil. (1) Mit dem Unwerturteil der Schuld wird dem Täter handelt hat, wie er hätte handeln sollen u n d k ö n n e n .
, daß er nicht so ge-
Das individuelle D a f ü r k ö n n e n des Täters kann für dieses Unwerturteil aber weder der ausschlaggebende noch der ausschließliche Maßstab sein.
(2)
Denn das würde b e d e u t e n : J e minderwertiger einer wäre, desto geringer wäre seine Schuld. Dies h ä t t e gerade bei den haltlosen u n d charakterschwachen Kriminellen — u n d sie stellen das gefährlichste Verbrecherpotential — zur Folge, daß der Schuldvorwurf bei ihnen in letzter Konsequenz ganz aufgehoben wäre; d e n n sie k ö n n t e n am meisten / am wenigsten für ihre T a t e n . Die Frage nach d e m Maßstab des Schuldvorwurfs kann daher sinnvollerweise nur dahin gestellt werden, ob ein anderer in der Lage des Täters nach allgemeiner Erfahrung anders gehandelt hätte. Als dieser „ a n d e r e " ist ein maßgerechter Mensch zu d e n k e n .
(3)
Der Begriff des Menschen n i m m t auf das Menschenbild des StGB Bezug. Es ist ein Mensch, der sich mit der Rechtsordnung verbunden fühlt, der auf dem Boden des Rechts steht.
(4) A n der Modellfigur des maßgerechten Menschen, d.h. eines Menschen, der , orientiert sich der strafrechtliche
-
Vorwurf. Mit d e m Unwerturteil der Schuld wird dem Täter vorgeworfen, daß er nicht so gehandelt hat, wie an seiner Stelle ein maßgerechter Mensch gehandelt hätte. (5) Warum stellt man bei der strafrechtlichen Schuld auf den Maßstab des u n d nicht auf das individuelle D a f ü r k ö n n e n gerade dieses Täters ab?
LE 13
Schuldbegriff der Vorsatzdelikte
188
(1) vorgeworfen (2) am wenigsten (3) maßgerechten (4) auf dem Boden des Rechts steht; Schuldvorwurf (5) maßgerechten Menschen. Weil sonst die gefährlichsten Kriminellen (z.B. die Haltlosen und Charakterschwachen) in letzter Konsequenz gar nicht bestraft werden könnten (o.a.).
Es ist zwischen dem Schuldbegriff der Vorsatzdelikte = „Vorsatzschuld" und dem Schuldbegriff der Fahrlässigkeitsdelikte = „Fahrlässigkeitsschuld" zu unterscheiden. Bei der Vorsatzschuld wird dem Täter zum Vorwurf gemacht, daß er sich willentlich gegen das Recht und für das Unrecht entschieden hat. (1) Bei der Fahrlässigkeitsschuld wird dem Täter nicht die w E g das R zum Vorwurf gemacht, sondern Nachlässigkeit, Bequemlichkeit und Desinteresse gegenüber den Anforderungen des Rechts. (2) In dieser und den folgenden L E wird ausschließlich der likte, die Vorsatz behandelt.
begriff der Vorsatzde-
Wir wenden uns jetzt dem formalen Aufbau der Vorsatzschuld zu. Die Vorsatzschuld besteht aus vier Schuldelementen:
Strafbar ist nur, wer schuldhaft handelt. (3) Schuldhaft handelt, wer
Schuldelemente erfüllt.
Stellt man bei der Fallprüfung fest, daß auch nur eines der vier Schuldelemente nicht erfüllt ist, entfällt die Vorsatzschuld und damit die Vorwerfbarkeit der Tat. Der Täter (4) kann daher wegen dieses Vorsatzdeliktes werden.
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Schuldbegriff der Vorsatzdelikte
189
(1) willentliche Entscheidung gegen das Recht (2) Schuldbegriff; Vorsatzschuld (3) alle vier bzw. sämtliche (o.a.) (4) nicht bestraft
Beginnen wir mit dem ersten Schuldelement der Vorsatzschuld, der Schuldfähigkeit.
Kinder gelten kraft Gesetzes bis zur Vollendung des 14. Lebensjahres ein für allemal als schuldunfähig. Bitte lesen Sie § 19! (1) Wer schuldunfähig ist, dem kann eine rechtswidrige Tat vorgeworfen / nicht vorgeworfen (2)
werden. Die Schuld entfällt mangels Der 13jährige Max schießt seinem Spielgefährten
keit. mit der Schleuder
ein Auge aus.
Max hat tatbestandsmäßig und rechtswidrig i.S.d. § 2 2 4 (1) gehandelt (bitte lesen!). Kann Max bestraft werden? (3) J a / Nein Begründung:
Auch Volltrunkene, Geisteskranke und Schwachsinnige sind schuldunfähig. Lesen Sie bitte § 20! Das Gesetz geht davon aus, daß alle Personen, die das 14. Lebensjahr vollendet haben, grundsätzlich schuldfähig sind. Bei der Fallprüfung braucht die Frage der Schuldfähigkeit daher nur dann angeschnitten und erörtert zu werden, wenn sich aus dem Sachverhalt Anhaltspunkte z.B. für Volltrunkenheit, Geisteskrankheit, Schwachsinn etc. ergeben. Deshalb das Symbol „ 0 " . Maßgebender Zeitpunkt für das Vorhandensein der vier Schuldelemente, also auch der (4)
fähigkeit, ist die Begehung der Tat; arg §§ 19, 20.
Wer „bei Begehung der T a t " , aus welchem Grund auch immer, nicht schuldhaft gehandelt (5) hat, kann wegen dieser Tat bestraft / nicht bestraft werden. Zwei Wochen nach dem Ausbruch einer unheilbaren Geisteskrankheit erschlägt Plemplem seine Schwiegermutter mit der Kohlenschaufel (= § 212 (1)).
Kuno
Kann er wegen dieser Tat bestraft werden? (6) J a / Nein Begründung:
Aus spezialpräventiven Gründen kommt für Kuno Plemplem jedoch eine andere Art straf(7)
rechtlicher Sanktion in Betracht. Welche?
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Schuldbegriff der Vorsatzdelikte
(1) nicht vorgeworfen werden (2) Schuldfähigkeit (3) Nein! Max gilt bis zur Vollendung des 14. Lebensjahres als schuldunfähig. Damit entfällt die Schuld und somit die Strafe (o.a.). (4) Schuldfähigkeit (5) nicht bestraft werden (6) Nein! Kuno Plemplem war bei Begehung dieser Tat infolge Geisteskrankheit nicht schuldfähig (o.ä.). (7) Allgemein: eine Maßregel d.B.u.S.; konkret: die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus
Wir kommen zum zweiten Element der Vorsatzschuld, dem Vorsatz.
Das Zentrum des Schuldvorwurfs bei den Vorsatzdelikten betrifft die Tatsache, daß der Täter vorsätzlich gehandelt hat. Der Student der Rechte Charlie Juso hat genug vom Strafrecht und verbrennt das vertrackte, aus der Universitätsbibliothek entliehene strafrechtliche Lernprogramm. (1) Der Täter hat den Tatbestand der gungsgründe dafür gibt es nicht.
verwirklicht. Rechtferti-
Der schuldfähige Täter wußte, daß er fremdes Eigentum beschädigt, und gerade das wollte er. Damit hat er vorsätzlich gehandelt. Denn vorsätzlich handelt, wer einen Sachverhalt verwirklichen will, der einem gesetzlichen Tatbestand entspricht. Sind ,.gesetzlicher Tatbestand" und „Tatbestand" dasselbe? (2) J a / Nein Begründung:
Charlie Juso will seine eigenen Lehrbücher ebenfalls nicht mehr sehen. Daher wirft er auch sie ins Feuer. Dabei erwischt er irrtümlicherweise ,,den Welzel" seines Kommilitonen. Charlie J u s o hat durch das Verbrennen des fremden „Welzel" wiederum eine tatbestandsmäßige und rechtswidrige Sachbeschädigung (§ 303 (1)) begangen. Kann er auch in diesem Fall gemäß § 303 (1) bestraft werden? (3) J a / Nein Begründung unter Verwendung der obigen Vorsatzdefinition:
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Schuldbegriff der Vorsatzdelikte
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(1) Sachbeschädigung (2) Nein! Gesetzlicher Tatbestand ist der engere Begriff = Summe der objektiven Tatbestandsmerkmale eines Delikts. Der Tatbestand umfaßt sämtliche objektiven und subjektiven Tatbestandsmerkmale. (3) Nein! Er hat bezüglich dieses Buches keinen Sachverhalt verwirklichen wollen, der dem objektiven Tatbestand des § 303 (1) entspricht. Denn er hat gar nicht gewußt, daß er ein fremdes Buch verbrennt. Mit dem Vorsatz entfällt die Vorsatzschuld (o.ä.).
Als nächstes Schuldelement betrachten wir das Unrechtsbewußtsein.
Unrechtsbewußtsein ist das Bewußtsein, daß die Tat gegen die Rechtsordnung verstößt. Wer nicht weiß und es auch nicht wissen kann, daß seine Tat gegen die Rechtsordnung (2) verstößt, handelt ohne Wer ohne Unrechtsbewußtsein (3) handelt, handelt ohne / mit Schuld. Die Fälle, in denen jemand ohne Unrechtsbewußtsein handelt, sind für die Delikte des StGB außerordentlich selten. Einstweilen muß ein konstruiertes Schulbeispiel genügen: Der frisch aus dem Busch nach Bremen importierte Kannibale Nungu Bongo fängt kleines Mädchen, schlachtet und verzehrt es nach seines Stammes Sitte.
sich
ein
Nungu Bongo hat damit den Tatbestand des Totschlags (§ 212 (1)) verwirklicht. Rechtfertigungsgründe kommen nicht in Betracht. Hat er vorsätzlich gehandelt? (Blättern Sie bitte zurück auf S.190 und argumentieren Sie ausschließlich mit der Vorsatzdefinition! Aufpassen!) (4) J a / Nein Begründung:
Nungu Bongo hat ohne Unrechtsbewußtsein gehandelt. Denn er weiß nicht und kann es auch nicht wissen, daß in Mitteleuropa Kannibalismus Totschlag und somit Unrecht ist. (5) Da Nungu Bongo somit schuldhaft / nicht schuldhaft gehandel hat, kann er wegen Totschlags bestraft / nicht bestraft werden. (6) Zu welchem Zeitpunkt müssen Schuld bewußtsein vorhanden sein?
V
und
192
Schuldbegriff der Vorsatzdelikte
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(1) Von o. nach u.: Schuldfähigkeit; Vorsatz (2) Unrechtsbewußtsein (3) ohne Schuld (4) Ja! Denn er hat einen Menschen töten wollen, mithin alle Umstände verwirklichen wollen, die zum objektiven = gesetzlichen Tatbestand des § 212 (1) gehören (o.a.). (5) nicht schuldhaft; nicht bestraft werden (6) Schuldfähigkeit; Vorsatz; Unrechtsbewußtsein. Bei Begehung der Tat! Daß diese Schuldelemente vor der Tat vorhanden waren oder sich nach der Tat einstellen, genügt nicht zur Bestrafung.
Die letzte Stufe innerhalb des viergliedrigen Schuldbegriffs der Vorsatzdelikte bildet die Frage, ob für die rechtswidrige Tat Entschuldigungsgründe in Betracht kommen. Liegen keine Entschuldigungsgründe vor, so hat der Täter schuldhaft gehandelt und kann (1) folglich bestraft werden / nicht bestraft werden.
Ist ein Entschuldigungsgrund gegeben, so entfällt das Unrecht. (3) Dieser Satz ist falsch. Warum?
Entschuldigungsgründe beschreiben die Voraussetzungen, unter denen rechtmäßiges Verhalten nicht mehr zugemutet werden kann. Der Gewalttäter Z stößt F, dem Lenker des Taxis BN-D 417, den entsicherten Revolver ins Genick und fordert ihn auf, den Polizisten P niederzufahren. In seiner Todesangst tut F, wie ihm geheißen. P ist sofort tot.
(4) Bei diesem Fall hatten Sie in LE 7 bezüglich des Tuns des F vis nommen und daher den strafrechtlichen Handlungsbegriff verneint / bejaht.
ange-
Es bestehen keine Zweifel, daß F tatbestandsmäßig und rechtswidrig i.S.d. § 212 (1) gehandelt hat. Das eigentliche Problem dieses Falles betrifft die Frage der Schuld des F. Bei der Tat stand F unter schwerstem seelischen Druck. Er befand sich selbst in höchster (5) Todesgefahr. Seine rechtswidrige Tat verlangt auf der Stufe der Schuld eine andere Bewertung / dieselbe Bewertung wie die eines gewöhnlichen Totschlägers. In einer solchen Situation billigt die Rechtsordnung die Tat des F zwar nicht, aber sie sieht sie dem Täter nach, sie entschuldigt sie. Voraussetzung hierfür ist allerdings, daß sich die Tat des F innerhalb der für die Entschuldigung vorgesehenen Grenzen hält. § 35 (1) Satz 1 bitte lesen! (6) Dieser grund schützt in unserem Fall den F vor Strafe. Denn ist (7) ein Entschuldigungsgrund gegeben, so entfällt die
LE 13
Schuldbegriff der Vorsatzdelikte
193
(1) bestraft werden (2) Unrechtsbewußtsein (3) Bei einem Entschuldigungsgrund entfällt nie das Unrecht, sondern immer nur die (Vorsatz-)ScAuM (o.a.). (4) vis compulsiva; bejaht (5) eine andere Bewertung (6) Entschuldigungsgrund (7) Vorsatzschuld. Richtig auch Schuld oder Vorwerfbarkeit
ZUSAMMENFASSUNG A Der strafrechtliche Schuldbegriff Von „Schuld" spricht man auch in der Religion, in der Psychologie, in der Philosophie etc. Diese Verwendungen des Begriffes Schuld haben mit dem strafrechtlichen Begriff der Schuld mitunter kaum die Richtung, geschweige denn den Inhalt gemein. Der strafrechtliche Schuldbegriff unterscheidet sich von den übrigen Verwendungen dieses Begriffes durch seinen spezifischen Bezugsgegenstand. Gegenstand des strafrechtlichen Schuldvorwurfs ist das durch die Kategorien von Tatbestandsmäßigkeit und Rechtswidrigkeit bereits vorgefilterte menschliche Verhalten. Bezugsobjekt der strafrechtlichen Schuld ist somit die rechtswidrige Tat. Der strafrechtliche Schuldbegriff ist ein komplexes Gebilde. Er umfaßt jene Elemente, die vorhanden sein müssen, um dem Täter wegen seiner Tat einen rechtlichen Vorwurf zu machen. Vgl. dazu unten F. B Schuld und Kausalität Der strafrechtliche Begriff der Schuld muß streng von der Kausalität unterschieden werden. Bei der Kausalität geht es um die mit Hilfe eines logischen Schlußverfahrens zu beantwortende Frage, ob der Täter einen bestimmten Erfolg verursacht hat. Die Kausalität ist objektives Tatbestandsmerkmal der Erfolgsdelikte. Sie betrifft allein das Unrecht der Tat. Bei der Schuld geht es um die ganz andeie Frage, ob die rechtswidrige Tat (einschließlich des vom Täter verursachten Erfolgs) dem Täter rechtlich zum Vorwurf gemacht werden kann. Diese Frage läßt sich nicht mittels logischer Schlußverfahren, sondern nur mit Hilfe von Wertungen entscheiden. Zum Maßstab dieser Wertungen vgl. unten D. C Das Schuldprinzip Das deutsche Strafrecht ist ein Schuldstrafrecht. Es beruht auf dem allgemein anerkannten, im StGB aber nicht ausdrücklich verankerten Grundsatz, daß strafbar nur ist, wer schuldhaft handelt. Diesen Grundsatz nennt man Schuldprinzip. Schuldprinzip bedeutet zweierlei: 1. Schuld ist die Voraussetzung der Strafe. 2. Das Maß der Strafe darf das Maß der Schuld "nicht übersteigen.
Schuldbegriff der Vorsatzdelikte
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LE 13
D Der Maßstab der strafrechtlichen Schuld Mit dem strafrechtlichen Begriff der Schuld verbindet sich ein sozialethisches Unwerturteil. Schuld ist Vorwerfbarkeit. Maßstab der Schuld ist nicht das individuelle Dafürkönnen des Täters, sondern der maßgerechte Mensch in der Situation des Täters. Hinter dem „maßgerechten Menschen" steht das Menschenbild des StGB. Ein solcher Mensch fühlt sich mit der Rechtsordnung verbunden und richtet sich nach ihr. Er steht auf dem Boden des Rechts. An dieser Modellfigur des maßgerechten Menschen, d.h. eines Menschen, der auf dem Boden des Rechts steht, orientiert sich der strafrechtliche Schuldvorwurf. Das bedeutet: Mit dem Unwerturteil der Schuld wird dem Täter vorgeworfen, daß er nicht so gehandelt hat, wie an seiner Stelle ein maßgerechter Mensch gehandelt hätte. Anders ausgedrückt: Der Täter hat schuldhaft gehandelt, wenn ein anderer (= der maßgerechte Mensch) in der Lage des Täters nach unserer Erfahrung der Tatversuchung widerstanden hätte. E Die Vorsatzschuld Es gibt zwei Schuldbegriffe, den Schuldbegriff der Vorsatzdelikte = Vorsatzschuld und den Schuldbegriff der Fahrlässigkeitsdelikte = Fahrlässigkeitsschuld. Mit dem Unwerturteil der Vorsatzschuld wird dem Täter vorgeworfen, daß er sich willentlich gegen das Recht und für das Unrecht entschieden hat. Die Fahrlässigkeitsschuld hat einen anderen Inhalt. Dazu später LE 26. F Der Aufbau der Vorsatzschuld Die Vorsatzschuld besteht aus vier Schuldelementen: 0
Schuldfähigkeit,
1. Vorsatz, 2. Unrechtsbewußtsein, 3. keine Entschuldigungsgründe. Alle vier Schuldelemente müssen bei der Begehung der Tat vorhanden sein (arg z.B. §§ 19, 20). Ist auch nur eines dieser Schuldelemente bei der Begehung der Tat nicht vorhanden, handelt der Täter ohne Schuld und kann daher nicht bestraft werden. Unberührt davon bleibt aber die Verhängung von Maßregeln d.B.u.S. bei besonders gefährlichen Tätern. Denn Maßregeln d.B.u.S. setzen nur eine tatbestandsmäßige und rechtswidrige, aber nicht unbedingt schuldhafte Anlaßtat voraus.
13
Schuldbegriff der Vorsatzdelikte
195
Fallprüfungsschema Das Vorsatzdelikt dargestellt am Beispiel des vorsätzlichen Begehungsdelikts (Grundstruktur)
Kommen Sie im Rahmen einer Fallprüfung zu dem Ergebnis, daß eines der vier Elemente der Vorsatzschuld nicht erfüllt ist, müssen Sie an dieser Stelle die weitere Fallprüfung abbrechen. Wenn Sie allerdings die Schuld mangels Vorsatzes verneinen, so sollten Sie stets daran denken, daß immerhin ein entsprechendes Fahrlässigkeitsdelikt in Betracht kommen könnte.
196 2.1
Testfragen zur LE 13 Der Geisteskranke Kuno Plemplem Irrenanstalt erwürgt.
TE 13
(P) hat am 1.1. dieses Jahres einen Wärter seiner
Kann er wegen Totschlags (§ 212 (1)) bestraft werden? J a / Nein Begründung:
2.2
Drei Monate später ist die endgültige Heilung des P gelungen. Kann er jetzt wegen Tötung des Wärters bestraft werden? J a / Nein Begründung:
2.3
Ah Kuno Plemplem seine Schwiegermutter erschlug, war er noch Geisteskrank ist er erst ein halbes Jahr später geworden.
schuldfähig.
Kann er wegen Totschlags an seiner Schwiegermutter (§ 212 (1)) bestraft werden? J a / Nein Begründung:
1.1
Nennen Sie die vier Elemente der Vorsatzschuld in der sachlich gebotenen Reihenfolge!
2.4
1. Formulieren Sie das Schuldprinzip!
2. Nennen Sie die beiden Bedeutungen dieses Prinzips für die Strafe!
1.2
Den Maßstab für den strafrechtlichen Schuldvorwurf bildet nicht das , sondern die Modellfigur des
T E 13 2.5
197
Testfragen
„Schuld ist V o r w e r f b a r k e i t " u n d beeinhaltet ein sozialethisches Unwerturteil über den Täter. Beschreiben Sie den Inhalt dieses Unwerturteils im allgemeinen! Mit d e m Unwerturteil der Schuld wird d e m Täter vorgeworfen, (bitte ergänzen!)
1.3
Mit d e m Unwerturteil der Vorsatzschuld wird d e m Täter vorgeworfen, (bitte ergänzenI)
4.1
Während des Schlafes stößt A im Gasthaus die Lampe vom Nachttisch. dem Steinboden.
Sie zerschellt
auf
A kann in einem solchen Fall wegen Sachbeschädigung (§ 303 (1)) nicht b e s t r a f t werden. Warum nicht? (Bitte die A n t w o r t gut überlegen!)
2.6
Der neue Lehrling will im abgedunkelten Fotolabor den Heizungsschalter bedienen. Unglücklicherweise erwischt er den daneben befindlichen Lichtschalter. Lichtempfindliches Fotomaterial im Wert von 600 DM wird unbrauchbar. Der Chef erwägt Strafantrag wegen § 303 (1). Bitte lesen! In diesem Fall ist ein ganz bestimmtes Schuldelement problematisch u n d daher näher zu untersuchen. Welches?
2.7
Im Gegensatz zur Umgangssprache unterscheidet der J u r i s t streng zwischen „ S c h u l d " u n d „Kausalität". Erklären Sie dies näher!
2.8
Nennen Sie ein Beispiel, in dem der Täter ohne Unrechtsbewußtsein handelt!
198
Testfragen
T E 13
2.9
N e n n e n Sie ein Beispiel, in d e m der Täter ohne V o r s a t z handelt!
4.2
Süffel, ein stadtbekannter Säufer, neigt zur Begehung schwerer Straftaten im Rausch. Diesmal steht er nur wegen eines im Rausch begangenen kleinen Diebstahls vor Gericht. Das Gericht ist zur Überzeugung gelangt, daß für diese Tat höchstens 1 Monat Freiheitsstrafe se\i\Adangemessen ist. 1. Darf das Gericht den spezialpräventiven Bedürfnissen b e i diesem b e s o n d e r s gefährlichen Täter gleichwohl in der Weise R e c h n u n g tragen, daß es ihn zu einer Freiheitsstrafe von 8 M o n a t e n verurteilt? J a / Nein
Begründung:
2. Was würden Sie als Richter erwägen, u m der besonderen Gefährlichkeit des Süffel zu b e g e g n e n ?
4.3
Im Gegensatz zur S t r a f e können Maßregeln d . B . u . S . auch dann verhängt werden, wenn der Täter nicht tatbestandsmäßig / nicht rechtswidrig / nicht s c h u l d h a f t gehandelt hat.
3.1
Eine Maßregel d . B . u . S . ist ein mit das wegen einer
verbundenes
,
von einem Strafgericht
a u f g r u n d u n d (bitte ergänzen!)
2 . 1 0 Beim Tübinger „Schimpfeck" sitzt ein Mann auf dem Boden, schlägt sich in wohl bemessenen Abständen mit dem Hammer auf den eigenen Daumen und ruft jedesmal „ole"! „Ha no, wo se den gemacht hent, isch dr Hemmedzipfel drzwischa komma", denkt sich Meinrad Nägele und holt die Polizei. L e s e n Sie b i t t e § 2 2 3 ( 1 ) ! K a n n der o f f e n b a r Geisteskranke wegen Körperverletzung bestraft werden? J a / Nein
Begründung ( a u f p a s s e n ! ) :
Literatur: Zu den Grundlagen der Schuldlehre vgl. Baumann aaO. § 24 II—IV; Jescheck aaO. § 39 I-IV ; Mezger-Blei aaO. § § 48 - 5 1 ; Wessels aaO. § 10 I—II.
TE 13
Antworten
199
2.1
Nein! P war zur Zeit der Tat nicht schuldfähig (o.a.).
2.2
Nein! Maßgebend ist allein, daß der Täter bei Begehung der Tat nicht schuldfähig war (o.ä.).
2.3
J a ! Denn zur Zeit der Tat war der Täter schuldfähig (o.ä.). (Vorausgesetzt, daß auch die anderen Schuldelemente erfüllt sind.)
1.1
1. 2. 3. 4.
2.4
1. Strafbar ist nur, wer schuldhaft handelt. 2. Strafe setzt Schuld voraus. Das Maß der Strafe darf das Maß der Schuld nicht übersteigen.
1.2
individuelle Dafürkönnen des jeweiligen Täters, sondern die Modellfigur des maßgerechten (= auf dem Boden des Rechts stehenden) Menschen
2.5
daß er nicht so gehandelt hat, wie an seiner Stelle ein maßgerechter Mensch gehandelt hätte (o.ä.)
1.3
daß er sich willentlich gegen das Recht und für das Unrecht entschieden hat (o.ä.)
4.1
Bei Bewegungen im Schlafe entfällt bereits der strafrechtliche Handlungsbegriff Zur Prüfung der Schuld kommt man daher gar nicht.
2.6
Der Vorsatz des Lehrlings
2.7
Kausalität ist ein objektives Tatbestandsmerkmal der Erfolgsdelikte und betrifft daher allein das Unrecht der Tat. Bei der Schuld geht es um die Vorwerfbarkeit des Unrechts (o.ä.).
2.8
Z.B. Nungu Bongo
2.9
Z.B. A wirft versehentlich ein fremdes Buch ins Feuer.
4.2
1. Nein! Schuldprinzip! Schuld ist nicht nur Voraussetzung, sondern zugleich auch oberste der Strafe. Das Maß der Strafe darf daher das Maß der Schuld nicht übersteigen (o.ä.). 2. Abstrakt: Die Verhängung einer Maßregel d.B.u.S.; konkret: Unterbringung in einer Entziehungsanstalt
4.3
Nicht schuldhaft! (Maßregeln d.B.u.S. setzen wie die Strafe aber stets eine mindestens rechtswidrige Tat voraus!)
3.1
Eine Maßregel d.B.u.S. ist ein mit Tadel nicht verbundenes Übel, das wegen einer strafbaren Handlung (genauer: rechtswidrigen Tat) von einem Strafgericht aufgrund und nach Maßgabe der besonderen Gefährlichkeit des Täters verhängt wird (o.ä.).
2.10
Nein! Da § 223 (1) die körperliche Mißhandlung „eines anderen" voraussetzt, fehlt es bereits an der Tatbestandsmäßigkeit (o.ä.). Die Schuld bzw. Schuldfähigkeit ist daher gar nicht zu prüfen.
Schuldfähigkeit Vorsatz Unrechtsbewußtsein keine Entschuldigungsgründe
(o.ä.).
Grenze
200
SCHULDFÄHIGKEIT
LE 14
L e r n z i e 1 : Diese LE befaßt sich mit dem ersten der vier Elemente der Vorsatzschuld, der „Schuldfähigkeit". Den Schwerpunkt bilden jene Umstände, welche die Schuldunfähigkeit des Täters begründen. Mit der Rechtsfigur der „actio libera in causa" und dem Delikt des § 330 a (1) werden Sie außerdem zwei wichtige Konstruktionen kennenlernen, mit deren Hilfe kriminalpolitisch unerträgliche Lücken in diesem Bereich geschlossen werden.
Mit dem sozialethischen Unwerturteil der Vorsatzschuld wird dem Täter vorgeworfen, (1) (bitte ergänzen!)
Voraussetzung für den strafrechtlichen Schuldvorwurf ist, daß der Täter nach seinen geistig-seelischen Fähigkeiten überhaupt in der Lage ist, zwischen Recht u n d Unrecht zu unterscheiden und nach dieser Einsicht zu handeln. Diese Fragestellung ist es, welche (2) sich mit dem Begriff der verbindet. Einen Schuldunfähigen zu bestrafen, wäre kriminalpolitisch sinnlos und ungerecht. (3) Ein kleines Kind kann zwischen Recht und Unrecht unterscheiden / noch nicht unterscheiden. Man kann ihm eine rechtswidrige Tat nicht vorwerfen, weil es nach seiner (4) Entwicklung noch nicht in der Lage ist, einzusehen, daß es (bitte ergänzen!)
Wer überhaupt nicht fähig ist, das Unrecht seiner Tat einzusehen, dem kann die rechtswidrige Tat nicht vorgeworfen werden. (5) Man kann dem Täter die T aber auch dann nicht vorwerfen, wenn er das Unrecht zwar einsehen kann, aber nicht in der Lage ist, nach dieser Einsicht zu handeln. In der Regel fällt die Fähigkeit, das Unrecht der Tat einzusehen, mit der Fähigkeit zusammen, dieser Einsicht gemäß zu handeln. Die strafrechtliche Praxis zeigt aber, daß dem nicht immer so ist. (6) Zur Bejahung der Schuldfähigkeit müssen beide Voraussetzungen alternativ / kumulativ gegeben sein. Der Schuldvorwurf entfällt mangels Schuldfähigkeit, wenn der Täter das Unrecht seiner (7) Tat nicht einsehen und / oder nach dieser Einsicht nicht handeln kann (gut überlegen!).
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Schuldfähigkeit daß er sich willentlich gegen das Recht und für das Unrecht entschieden hat (o.a.) Schuldfähigkeit (3) noch nicht unterscheiden (4) Unrecht verwirklicht (o.a.) rechtswidrige Tat (6) kumulativ „Und" wäre nicht falsch; aber genauer ist „oder". Denn bereits wenn eine dieser beiden Fähigkeiten nicht gegeben ist, entfällt die Schuldfähigkeit und damit der Schuldvorwurf.
Fassen wir die beiden Aspekte der Schuldfähigkeit zusammen, so ergibt sich die folgende Definition: Schuldfähigkeit ist die Fähigkeit, das Unrecht der Tat einzusehen und nach dieser Einsicht zu handeln. (1) Das Strafrecht geht vom Normalfall aus, daß der Täter schuldfähig / nicht schuldfähig ist. Es gibt aber eine Reihe von Sachverhalten, welche die Schuldfähigkeit und damit den Schuldvorwurf ausschließen. Diese Sachverhalte lassen sich in zwei große Gruppen zusammenfassen. Die Schuldfähigkeit kann ausgeschlossen sein entweder wegen mangelnder Reife oder wegen bestimmter seelischer Störungen. Beginnen wir mit der zweiten Gruppe, den seelischen Störungen. (2) Das StGB unterscheidet insgesamt vier fähigkeit
Störungen, welche die Schuld-
(3) Lesen Sie bitte § 20 und vervollständigen Sie danach das Schaubild!
Liegt einer dieser Sachverhalte vor, so entfällt der Schuldvorwurf. Mit der Schuld entfällt (4) die (5) Nur die Strafe entfällt. Denn die andere Art der strafrechtlichen Sanktionen, die , können auch gegen verhängt werden. Für (6) Geisteskranke und Schwachsinnige kommt etwa eine Unterbringung in einem in Betracht (§§ 61 Z 1, 63 (1)).
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Schuldfähigkeit
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(1) schuldfähig (2) seelische; ausschließen (3) krankhafte seelische Störung; tiefgreifende Bewußtseinsstörung; Schwachsinn (4) Strafe (5) Maßregeln d.B.U.S.; Schuldunfähige (6) psychiatrischen Krankenhaus
Zu den krankhaften seelischen Störungen zählen insbesondere die echten Geisteskrankheiten, z.B. Schizophrenie, manisch-depressives Irresein. (1) K St können aber auch auf Grund von Infekten, Alkoholmißbrauch, Tumoren etc. entstehen. Der 23jährige Bodo Steenken aus Bielefeld-Deppendorf hat selbst die Sonderschule nicht geschafft und kann heute noch „nicht bis drei zählen". Es mangelt ihm zwar an Intelligenz. Er ist aber nicht geisteskrank. Die Ursache seiner Intelligenzschwäche ist unbekannt. (2) Solche Fälle bezeichnet das Gesetz (§ 20) als Schwachsinn ist eine angeborene Intelligenzschwäche ohne nachweisbare Ursache. Ob der Täter an einer seelischen Störung erkrankt oder schwachsinnig und aus diesem (3) Grund nicht in der Lage ist, das Unrecht der Tat oder nach , kann in der Regel nicht vom Gericht allein, sondern erst mit Hilfe eines psychiatrischen Sachverständigen entschieden werden. (4) Lesen Sie bitte § 201 Wann muß der Täter schuldfähig sein?
Von erheblicher Bedeutung in der Praxis sind die Fälle der tiefgreifenden Bewußtseinsstörung ( § 2 0 ) . (5) Wer eine rechtswidrige Tat im Zustand tiefgreifender (6) Er kann daher bestraft / nicht bestraft werden. (7)
begeht, ist
Bewußtseinsstörung kann entstehen aus Volltrunkenheit, Rauschgifteinwirkung, Medikamentenmißbrauch, Schock, Schlaflosigkeit, Übermüdung u.a. Beim LSD-Trip hat Flipper die Vision, er besäße goldene Schwingen. Mit den Worten „Komm, Luise, laß uns fliegen ", stürzt er sich jauchzend vom Balkon und zieht seine Freundin mit sich in die Tiefe. Beide werden schwer verletzt.
Kann Flipper wegen „Gefährlicher Körperverletzung" (§ 223 a (1)) bestraft werden? (8) J a / Nein Begründung:
Kann er gemäß §§ 61 Z 2, 64 (1) in einer Entziehungsanstalt untergebracht werden? (9) J a / Nein Begründung:
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Schuldfähigkeit
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(1) (3) (5) (8)
krankhafte seelische Störungen (2) Schwachsinn einzusehen; dieser Einsicht zu handeln (4) bei Begehung der Tat Bewußtseinsstörung; schuldunfähig (6) nicht bestraft werden (7) Tiefgreifende Nein! Flipper war bei Begehung dieser Tat infolge tiefgreifender Bewußtseinsstörung nicht schuldfähig. Er kann wegen dieses Delikts daher auch nicht bestraft werden (o.a.). (9) Die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt (§§ 61 Z 2, 64 (1)) ist keine Strafe, sondern eine Maßregel d.B.u.S. Sie kann auch gegen einen bei Begehung der Tat Schuldunfähigen angeordnet werden (o.a.).
(1)
Die Schuldfähigkeit des Täters kann endlich ausgeschlossen sein wegen einer schweren Abartigkeit. Bitte § 20 lesen!
Bei den schweren anderen seelischen Abartigkeiten handelt es sich u m einen Auffangbe(2) griff für solche Sachverhalte, welche bereits / nicht bereits unter die bisher erörterten seelischen Störungen fallen, ihnen aber bezüglich des Grades der Störung entsprechen. Der Gesetzgeber denkt dabei insbesondere an schwere Triebstörungen, schwere Neurosen und Psychopathien u n d auch an den Fall der T a u b s t u m m h e i t . Der krankhaft eifersüchtige Adam Hörnlein überrascht,,Minouche", seine junge Frau, im Bett mit einem anderen. Rasend vor Eifersucht entmannt er seinen Nebenbuhler mit dem Brotmesser (= §§ 224 (1), 225 (1)). (3)
(4)
Bei einem ganz ähnlichen Fall hatten Sie auf S. 9 5 automatisierte Handlung / Körperreflex / impulsive Handlung angenommen u n d daher den strafrechtlichen Handlungsbegriff bejaht / verneint. Das eigentliche Problem beider Fälle b e t r i f f t aber die Frage der Schuld des Täters, u n d zwar das Schuldmerkmal der
(5) Welche der vier Gruppen des § 20 würden Sie diesen Sachverhalt am ehesten z u o r d n e n ?
(6)
Definieren Sie „Schuldfähigkeit"!
(7)
Der Gesetzgeber hat alle vier Gruppen der Schuld seelischer Störungen im § zusammengefaßt.
(8)
Diese Vorschrift enthält zugleich die negative Definition der
ig)
Nennen Sie mindestens drei Sachverhalte, in denen wegen seelischer Störungen die Schuldfähigkeit des Täters entfällt!
wegen
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Schuldfähigkeit
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(1) anderen seelischen (2) nicht bereits (3) impulsive Handlung; bejaht (4) Schuldfähigkeit (5) Der schweren anderen seelischen Abartigkeit. Der Fall liegt aber auch an der Grenze zur tiefgreifenden Bewußtseinsstörung. (6) Schuldfähigkeit ist die Fähigkeit, das Unrecht der Tat einzusehen und nach dieser Einsicht zu handeln. (7) Schuldunfähigkeit; § 20 (8) Schuldfähigkeit (9) Krankhafte seelische Störung, tiefgreifende Bewußtseinsstörung, Schwachsinn, schwere andere seelische Abartigkeit
(1) Außer wegen der genannten s St kann die Schuldfähigkeit auch wegen mangelnder Reife entfallen. Die hier in Betracht kommenden Sachverhalte sind teils im StGB, teils im J G G (Schönfelder Nr. 89) geregelt. Bezüglich der magelnden Reife sind zwei Personengruppen zu unterscheiden: Kinder und Jugendliche. Kind ist, wer bei der Begehung der Tat noch nicht 14 Jahre alt ist (§ 19). (2) Gemäß § 19 gelten Kinder ein für allemal als (3) Sie können daher wegen ihrer rechtswidrigen Taten bestraft / nicht bestraft werden. Jugendlicher ist, wer zur Zeit der Tat 14, aber noch nicht 18 Jahre alt ist (§ 1 (2) Satz 1 J G G ) . Jugendliche gelten gemäß § 3 Satz 1 J G G nur dann als schuldfähig, wenn sie zur Zeit der (4) Tat nach ihrer sittlichen und geistigen Entwicklung (bitte ergänzen!)
(5) Verzögerte Reife schließt bei aus.
die
Schuldunfähigkeit wegen kindlichen Alters (§ 19) bzw. wegen verzögerter Reife bei Jugendlichen (§ 3 Satz 1 J G G ) können neben krankhafter seelischer Störung, tiefgreifender (6) Bewußtseinsstörung, Schwachsinn etc. (i.S.d. § 20) gegeben sein / nicht gegeben sein. Bilden Sie selbst ein Beispiel für einen Fall, in dem sowohl die Voraussetzungen des § 19 (7) als auch des § 20 erfüllt sind!
(1) (4) (5) (7)
(1)
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Schuldfähigkeit
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seelischen Störungen (2) schuldunfähig (3) nicht bestraft werden reif genug sind, das Unrecht der Tat einzusehen und nach dieser Einsicht zu handeln Jugendlichen die Schuldfähigkeit (6) gegeben sein Etwa: Ein geisteskranker 9jähriger erschießt seinen Vater (o.ä.).
Schwierigkeiten bereitet in der Praxis vor allem die Gruppe der Jugendlichen, also der bis .jährigen.
(2) Die Fälle der verzögerten Reife bei
sind gar nicht so selten.
Frühkindliche Erkrankungen, schwere Unfälle und Erbschäden, aber auch grobe Erziehungsmängel und Verwahrlosung können den Eintritt der seelischen Reife beträchtlich über die Vollendung des 14. Lebensjahres hinauszögern. Eine Kellnerin wird auf dem Heimweg von dem 1 7jährigen Spenglergehilfen Theo Macke (M) und von dem 13jährigen Gymnasiasten Ingo Klügler (K) vergewaltigt (= § 177 (1)). Beim 17jährigen M stellt der Jugendpsychiater verzögerte Reife wegen Erbschäden und Verwahrlosung fest. Seine seelische Reife entspräche gerade jener eines 12jährigen. Ist M schuldfähig? (3) J a / Nein Begründung:
(4) M kann daher wegen Vergewaltigung bestraft werden / nicht bestraft werden. Beim 13jährigen K stellt derselbe Gutachter die seelische Reife eines Erwachsenen und damit volle Einsichtsfähigkeit fest. Er bescheinigt dem K außerdem einen Intelligenzquotienten von 138 (den nur wenige Menschen besitzen). Wird der 13jährige K wegen Vergewaltigung (§ 177 (1)) bestraft? (5) J a / Nein Begründung:
(6) Wer älter ist als § 20, als schuldfähig.
J a h r e gilt prinzipiell, d.h. vorbehaltlich der Ausnahmen des
Das StGB kennt neben den Fällen der Schuldunfähigkeit des § 20 noch die Kategorie der verminderten Schuldfähigkeit. Lesen Sie bitte § 21! (7) Das StGB behandelt die v Schuldfähigen auf der Ebene der Schuld wie voll Gesunde. Verminderte Schuldfähigkeit ist Schuldfähigkeit und führt daher (8) zur Straflosigkeit / nicht zur Straflosigkeit des Täters. (9) Aber die Strafe muß / kann gemildert werden; § 21. Verminderte Schuldfähigkeit kann in Betracht kommen bei Trunkenheit geringeren Grades, seniler Demenz, Debilität (= leichten Fällen von Schwachsinn), minder schweren Fällen von Geisteskrankheiten, Epilepsie, Neurosen u.ä.
Schuldfähigkeit
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(1) 14-bis 18jährigen (2) Jugendlichen (3) Nein! M ist wegen verzögerter Reife (§ 3 Satz 1 JGG) schuldunfähig (o.a.). (4) nicht bestraft werden. (Statt einer Strafe können über den 17jährigen M jedoch bestimmte Erziehungsmaßregeln verhängt werden. Als härteste Maßregel kommt die Anordnung von Fürsorgeerziehung in Betracht). (5) Nein! K kann noch so reif und intelligent sein. Bis zum 14. Lebensjahr gilt er als absolut schuldunfähig. (§ 19). (Immerhin können über den 13jährigen K vom Vormundschaftsrichter geeignete Erziehungsmaßregeln verhängt werden. Eine Bestrafung scheidet bei ihm aber von vornherein aus.) (6) 18 (7) vermindert (8) nicht zur Straflosigkeit (9) kann (fakultative Strafmilderung)
(1)
Das im vorherigen dargestellte gesetzliche System der Schuldfähigkeit und ihrer Ausnahmen führt in der Praxis meistens zu befriedigenden Ergebnissen. Zwar können gegen Schuldunfähige keine verhängt werden. Wegen der Zweispurigkeit des
(2)
besonders gefährliche Schuldunfähige handelt, kommen anstelle der Strafe / neben der
Strafrechts treten aber im allgemeinen keine Lücken auf. Denn dort, wo es sich um Strafe in der Regel
in Betracht.
„Meistens", „im allgemeinen", „in der Regel" und ähnliche Formulierungen sind für den geübten Juristen stets ein untrügliches Zeichen dafür, daß es Ausnahmen von dieser Regel gibt. In der Tat lassen sich für bestimmte Fallkonstellationen eben doch empfindliche Lücken im bisher dargestellten Strafschutz vor rechtswidrigen Taten Schuldunfähiger feststellen. Den beiden wichtigsten und auch praktisch sehr bedeutsamen Fallkonstellationen wollen wir uns im folgenden zuwenden. Fäustel trinkt zum ersten Mal in seinem Leben und dies gründlich. Im Vollrausch gerät er mit Lückerich in Streit und schlägt diesem den linken unteren Schneidezahn aus. Am selben Abend büßt Lückerich auch noch den rechten unteren Schneidezahn durch einen Schlag des Kneifl ein. Kneifl, sonst ein Feind des Alkohols und von Natur aus eher ängstlich, hatte sich für die Tat extra Mut angetrunken. Auch Kneifl ist im Zeitpunkt des Zuschlagens veilchenblau. Für beide kommt Körperverletzung (§ 223 (1)) in Betracht. Rechtfertigungsgründe liegen (3) vor / nicht vor. Sowohl Fäustel als auch Kneifl sind im Zeitpunkt der Tat volltrunken. (4)
Was bedeutet dies für ihre Schuld?
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Schuldfähigkeit
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(1) Strafen (2) anstelle der Strafe; Maßregeln d.B.u.S. (3) nicht vor (4) Beide waren bei Begehung der Tat infolge einer „tiefgreifenden Bewußtseinsstörung" nicht schuldfähig (§ 20). Für beide kommt daher eine Bestrafung wegen Körperverletzung an sich nicht in Betracht.
Es ist aber zu fragen, ob beide Taten wirklich straflos bleiben sollen. Beschränken wir uns zunächst auf Kneifl. Der an sich naheliegende Ausweg, über den schuldunfähigen Kneifl wenigstens eine Maßregel d.B.u.S. zu verhängen, kommt zwar generell, bei unserem Sachverhalt aber gerade nicht in Betracht? (1)
Warum nicht? (Der Grund ergibt sich aus dem Wortlaut des § 6 4 ( 1 ) ! )
Die zweite „ S p u r " versagt also; untersuchen wir deshalb die erste „ S p u r " , die Möglichkeit einer Bestrafung des Kneifl, etwas genauer: Über Kneifl wegen der Körperverletzung keine Strafe zu verhängen, erscheint deshalb ungerecht, weil er die Körperverletzung noch im nüchternen Zustand geplant und in die Wege geleitet hatte. Außerdem: Wer z.B. einen anderen straflos umbringen wollte, dem könnte man keinen (2)
(3)
besseren Rat geben als (bitte ergänzen Sie den Gedanken!)
Bezüglich der Tat des Kneifl eine Straflücke anzunehmen, wäre daher kriminalpolitisch vertretbar / kriminalpolitisch äußerst unerwünscht und ein Hohn auf die Gerechtigkeit. Rechtsprechung und Wissenschaft haben hier nach Abhilfe gesucht und einen Ausweg gefunden. Dieser Ausweg verbindet sich mit dem Begriff der actio libera in causa und ergibt sich aus folgender Überlegung: Zwar kann dem Kneifl mangels Schuldfähigkeit kein Vorwurf zur Zeit des Zuschlagens (§ 20) gemacht werden. Der Vorwurf, der gegenüber Kneifl zu erheben ist, besteht aber darin, daß er sich gerade betrunken hat, um im Zustand der Schuldunfähigkeit ein Delikt, d.h. hier eine Körperverletzung, zu begehen.
(4)
Zur Zeit des Sichbetrinkens aber war Kneifl noch stocknüchtern und daher fähig. Auf diesen Zeitpunkt stellt die im Gesetz nicht ausdrücklich geregelte Rechtsfigur der
(5)
a
i
c
ab.
-
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(1) Kneifl ist laut Sachverhalt „ein Feind des A l k o h o l s " . Daher kann von einem Hang, alkoholische Getränke im Übermaß (!) zu sich zu nehmen, was § 64 (1) ausdrücklich voraussetzt, nicht die Rede sein (o.a.). (2) sich zu betrinken und die T a t im Zustand der Volltrunkenheit (d.h. der Schuldunfähigkeit) zu begehen (o.ä.) (3) kriminalpolitisch äußerst unerwünscht (4) schuldfähig (5) actio libera in causa
Der Begriff „actio libera in causa" deutet vor allem auf den maßgeblichen Zeitpunkt: (1) Der Täter war zur Zeit des Tatentschlusses noch „frei", d.h gewesen. Von einer vorsätzlichen actio libera in causa spricht man, wenn sich der Täter mit dem Vorsatz in den Zustand der Schuldunfähigkeit versetzt hat, in diesem Zustand eine rechtswidrige Tat zu begehen. Auf welche Weise der Täter seine Schuldunfähigkeit herbeigeführt hat, z.B. durch Alkohol, Narkotika, Übermüdung, Selbsthypnose u.ä., ist für die Rechtsfigur der „actio libera in causa" gleichgültig. Die praktischen Konsequenzen dieser Rechtsfigur liegen in folgendem: (2) Tatbestandsmäßigkeit und bleiben nach wie vor auf das Zuschlagen, d.h. auf den Zeitpunkt der eigentlichen Durchführung der Tat bezogen. Die Frage der Schuld aber wird auf den Zeitpunkt vorprojiziert, in dem sich der Täter in den Zustand der Schuldunfähigkeit versetzt hat, hier auf den Zeitpunkt des Sich-Betrinkens. Auch die Schuldprüfung muß daher an diesem Zeitpunkt ansetzen. (3) Zu diesem Zeitpunkt sind bei Kneifl sowohl die gen Schuldelemente erfüllt. (4) Also ist Kneifl wegen der Form der vorsätzlichen
fähigkeit als auch alle übri(§ 223 (1)) zu bestrafen, begangen in in c
Wenden wir uns nunmehr dem Fäustel zu. (5)
Wie Kneifl ist auch Fäustel im Zeitpunkt der Tat volltrunken und daher schuldunfähig (§ 20). Eine Bestrafung wegen § 223 (1) scheidet daher aus / nicht aus.
Kann gegen Fäustel wenigstens die Maßregel d.B.u.S. des § 64 (1) (bitte lesen!) verhängt werden? (6) J a / Nein Begründung:
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(1) schuldfähig (2) Rechtswidrigkeit (3) Schuldfähigkeit (4) Körperverletzung; actio libera in causa (5) scheidet daher aus (6) Nein! Fäustel (be)trinkt (sich) „zum ersten Mal in seinem Leben". Von einem Hang kann daher auch bei ihm nicht gesprochen werden (o.a.).
Zwar kommt für Fäustel eine Bestrafung wegen vorsätzlicher Körperverletzung (§ 223 (1)) in der Form der actio libera in causa nicht in Betracht. (1) Warum nicht?
Aber auch Fäustel geht nicht straflos aus. Für seine Bestrafung ist jedoch ein anderer Aspekt als bei Kneifl maßgebend: Das Unrecht seiner Handlung liegt darin, daß er sich bis zur Gemeingefährlichkeit betrunken hat. Verstehen Sie das nicht falsch! Das bloße Sich-Betrinken an sich ist in Deutschland wie in anderen Ländern selbstverständlich noch kein strafrechtliches Unrecht und daher straflos. Die Strafbarkeit des Sich-Betrinkens setzt aber in dem Moment ein, in dem der Täter im Zustand der Volltrunkenheit eine rechtswidrige Tat begeht. Sie ist der Anlaß, den Volltrunkenen wegen seiner Unmäßigkeit zur Rechenschaft zu ziehen. Hierfür gibt es ein besonderes Delikt. § 3 3 0 a (1)! Lesen Sie bitte! (2)
Dieses Delikt trifft auf die Situation des Fäustel genau zu / nicht genau zu.
(3)
Schon die gesetzliche Bezeichnung dieses Delikts als " bringt zum Ausdruck, daß gerade jene Fälle erfaßt werden sollen, in denen der Täter, weil er vollberauscht und daher fähig ist, wegen der in diesem Zustand begangenen rechtswidrigen Tat nicht bestraft werden kann.
(4)
Wegen welchen Delikts ist Fäustel anzuklagen? •
Wie Kneifl wegen § 2 2 3 (1)
•
Wegen § 3 3 0 a (1) i.V.m. § 223 (1)
Beim Delikt des § 3 3 0 a (1) ist ähnlich wie bei der actio libera in causa die Schuld des Täters (also Schuldfähigkeit, Vorsatz, Unrechtsbewußtsein und keine Entschuldigungs(5)
gründe) auf den Zeitpunkt des
zu beziehen.
(6) Zu diesem Zeitpunkt sind alle diese Schuldelemente bei Fäustel vorhanden / nicht vor(7) handen. Er ist somit wegen des Delikts des § 3 3 0 a (1) i.V.m. § 2 2 3 (1) nicht zu bestrafen / zu bestrafen. (8)
Beschreiben Sie das Wesen der vorsätzlichen actio libera in causa!
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Schuldfähigkeit
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( 1 ) W e i l sich Fäustel nicht mit d e m V o r s a t z betrunken hat, Liickerich d e n Zahn auszuschlagen ( o . a . ) . ( 2 ) genau zu ( 3 ) Vollrausch; schuldunfähig ( 4 ) Wegen § 330 a ( 1 ) i . V . m . § 223 ( 1 ) ( 5 ) Sich-Betrinkens (d.h. auf d e n Beginn der Berauschung) ( 6 ) vorhanden ( 7 ) zu bestrafen ( 8 ) Das Wesen der vorsätzlichen actio libera in causa besteht darin, daß sich der T ä t e r mit d e m V o r s a t z in d e n Zustand der Schuldunfähigkeit versetzt hat, in diesem Zustand eine rechtswidrige T a t zu begehen ( o . ä . ) .
Z U S A M M E N F A S S U N G A
Schuldfähigkeit
Die Schuldfähigkeit des Täters ist ein essentielles Element sowohl der Vorsatzschuld als auch der Fahrlässigkeitsschuld. Ein Schuldunfähiger kann wegen der von ihm begangenen rechtswidrigen Tat im allgemeinen nicht bestraft werden (Besonderheiten unter C und D). Im § 20 sind die Fälle der Schuldunfähigkeit wegen seelischer Störungen beschrieben. Aus dieser Vorschrift ergibt sich die folgende Definition der „Schuldfähigkeit": Schuldfähigkeit ist die Fähigkeit, das Unrecht der Tat einzusehen und nach dieser Einsicht zu handeln. Sie muß ( ) bei Begehung der T a t " vorhanden sein. Kinder (= bis 14jährige) gelten unwiderleglich als schuldunfähig (§ 19); Jugendliche (= 14 bis 18jährige) nur bei verzögerter Reife (§ 3 Satz 1 J G G ) . Das StGB und das JGG gehen vom Regelfall aus, daß Jugendliche und Erwachsene schuldfähig sind. Die Schuldfähigkeit entfällt nur bei bestimmten im Gesetz ausdrücklich aufgezählten Sachverhalten:
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Schuldfähigkeit
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Mit „krankhafter seelischer Störung" sind etwa seelische Erkrankungen auf Grund von Infekten, Alkoholmißbrauch, Tumoren u.a., vor allem aber auch die echten Geisteskrankheiten wie Schizophrenie und manisch-depressives Irresein gemeint. „Tiefgreifende Bewußtseinsstörung" kann entstehen aus Volltrunkenheit, Rauschgif teinwirkung, Medikamentenmißbrauch, Schock, Schlaflosigkeit, Übermüdung u.ä. Unter „Schwachsinn" versteht man eine angeborene Intelligenzschwäche ohne nachweisbare Ursache. Eine „schwere andere seelische Abartigkeit" kann z.B. bei schweren Triebstörungen, schweren Neurosen, Psychopathien, aber auch im Falle der Taubstummheit anzunehmen sein. Die verzögerte Reife (§ 3 Satz 1 JGG) bei Jugendlichen spielt eine erhebliche Rolle in der Praxis und kann den Eintritt der Schuldfähigkeit über das 14. Lebensjahr hinausschieben. Schuldunfähigkeit wegen verzögerter Reife kann sich ergeben aus friihkindlichen Erkrankungen, schweren Unfällen, Erbschäden, groben Erziehungsmängeln, Verwahrlosung u.ä. Im allgemeinen reicht die eigene Sachkunde des Richters nicht aus, um „Geisteskrankheit", „Schwachsinn" oder andere seelische Störungen oder etwa „verzögerte Reife" bei Jugendlichen zu konstatieren. Er wird zur Beurteilung solcher Sachverhalte daher in der Regel Sachverständige heranziehen. Entfällt die Schuldfähigkeit, so kommt zwar keine Strafe, in den meisten Fällen aber die Verhängung bestimmter Maßregeln (§ 61 Z 1 bis § 61 Z 3) in Betracht. Straflücken werden durch die Rechtsfigur der actio libera in causa bzw. durch das Delikt des § 330 a (1) geschlossen. B Verminderte Schuldfähigkeit In vielen Fällen ist die Schuldfähigkeit des Täters bei Begehung der Tat zwar nicht ausgeschlossen, aber erheblich vermindert. Beispiel: Ein leicht Schwachsinniger (= Debiler) begeht eine Straftat. Außer in den Fällen der Debilität kann verminderte Schuldfähigkeit bei Trunkenheit oder Rauschgifteinwirkung geringeren Grades, bei seniler Demenz, minder schweren Fällen psychotischer, epileptischer, neurotischer u.ä. Erkrankungen anzunehmen sein. Die gesetzliche Regelung der verminderten Schuldfähigkeit findet sich in § 21. Das Gesetz behandelt den vermindert Schuldfähigen wie einen voll Gesunden, nämlich als schuldfähig. Die verminderte Schuldfähigkeit bildet aber einen fakultativen Strafmilderungsgrund. Sie eröffnet dem Gericht die Möglichkeit, die Strafe gemäß § 49 (1) zu mildern. In der Regel macht die Praxis von dieser Befugnis großzügigen Gebrauch.
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Schuldfähigkeit
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C Actio libera in causa Die Rechtsfigur der actio libera in causa ist im StGB nicht ausdrücklich geregelt. Von einer vorsätzlichen actio libera in causa spricht man, wenn sich der Täter mit dem Vorsatz in den Zustand der Schuldunfähigkeit versetzt hat, in diesem Zustand eine rechtswidrige Tat zu begehen. Daneben gibt es auch eine fahrlässige actio libera in causa. Bei der actio libera in causa wird die gesamte Schuldprüfung (d.h. insbesondere die Prüfung der Schuldfähigkeit einschließlich der übrigen Schuldmerkmale) auf den Zeitpunkt bezogen, in dem sich der Täter in den Zustand der Schuldunfähigkeit versetzt hat. Tatbestandsmäßigkeit und Rechtswidrigkeit bleiben dagegen auf den Zeitpunkt der Herbeiführung des Erfolgs bezogen. D Vollrausch (§ 330 a (1)) Nach dem StGB ist das bloße (= folgenlose) Sich-Berauschen straflos. Die Begehung einer rechtswidrigen Tat im Zustand rauschbedingter Schuldunfähigkeit hat der Gesetzgeber jedoch in § 330 a (1) als selbständiges Delikt unter Strafe gestellt. Zitieren Sie stets § 330 a (1) i.V.m. § X, d.h. i.V.m. jenem Delikt, das der Täter im Zustand der vollen Berauschung begangen hat! Sowohl die Rechtsfigur der actio libera in causa als auch das Delikt des § 330 a (1) erfüllen im Prinzip ähnliche Funktion. Sie sollen bestimmte Sachverhalte erfassen, in denen mangels Schuldfähigkeit zur Zeit der eigentlichen Tat die Strafbarkeit des Täters „an sich" entfallen würde (Schuldprinzip!). Gäbe es beide Rechtsfiguren nicht, würden unerträgliche Straflücken entstehen. E Durchblick Zwischen den Sachverhalten, welche die Schuldfähigkeit und jenen, welche den Begriff der Handlung im strafrechtlichen Sinne ausschließen (vgl. S. 98ff), gibt es Berührungspunkte. Geht die tiefgreifende Bewußtseinsstörung (§ 20 2. Fall) in den Zustand der Bewußtlosigkeit oder des Schlafes über, was etwa bei Volltrunkenheit, Rauschgifteinwirkung, totaler Übermüdung etc. der Fall sein kann, entfällt bereits der strafrechtliche Handlungsbegriff.
TE 14 1.1
Testfragen zur LE 14
213
Wenn der Täter zur Zeit der Tat schuldunfähig ist, kann er in der Regel nicht bestraft werden. Für welche beiden Fälle ist dieser Grundsatz durchbrochen? 1. 2.
1.2
Definieren Sie „Schuldfähigkeit"!
2.1
Am Tage vor seinem 14. Geburtstag klaut Felix ein Mofa (= § 242 (1)). Zwei Tage später schießt er mit seiner Steinschleuder ein Schaufenster ein (= § 303 (1)). 1. Kann er für den Diebstahl bestraft werden? J a / Nein Begründung:
2. Kann er für die Sachbeschädigung bestraft werden? (Aufpassen!) J a / Nein Begründung:
1.3
1. Kinder (= bis zu .jährige) gelten prinzipiell als schuldfähig / prinzipiell als schuldunfähig. Von dieser Regel gibt es Ausnahmen / keine Ausnahmen. 2. Jugendliche (= bis .jährige) sind nur dann schuldfähig, wenn sie zur Zeit der Tat nach ihrer sittlichen und geistigen Entwicklung in der Lage sind, (bitte ergänzen!)
3. Über 18jährige sind prinzipiell schuldfähig. Ausnahme: § 1.4
Was verstehen Sie unter einer vorsätzlichen actio libera in causa?
Testfragen
214 2.2
TE 14
Bilden Sie selbst einen Fall, in dem ein Vorsatzdelikt in Form einer actio libera in causa begangen wird!
1.5
Zählen Sie mindestens drei Sachverhalte auf, in denen wegen seelischer Störungen die Schuldfähigkeit entfällt!
2.3
Ein schizophrener 12jähriger aus (= § 224 (1)).
sticht seiner 4jährigen
Schwester
mit der Schere
die
Augen
Aus welchen beiden Gründen entfällt seine Schuldfähigkeit? 1. 2.
1.6
Nennen Sie mindestens drei Umstände, die zu einer tiefgreifenden Bewußtseinsstörung und damit zur Schuldunfähigkeit nach § 20 führen können!
2.4
Grimassen schneidend stolpert der geisteskranke Kuno Plemplem hinter dem schlafwandelnden Somnambul einher. Beide zerschlagen je eine kostbare Vase (= § 303 (1)). 1. Wird Kuno Plemplem wegen § 3 0 3 (1) bestraft? J a / Nein Begründung:
2. Wird Somnambul wegen § 3 0 3 (1) bestraft? (Vorsicht! Viele Bearbeiter kommen zwar zum richtigen Ergebnis, geben aber eine falsche Begründung.) J a / Nein Begründung:
TE 14 2.5
Testfragen
215
Um sich Mut für den Apothekeneinbruch (§ 243 (1) ZI) zu machen, fixt Mike Meskalin, was ihn „high" macht. Dann bricht er ein.
zunächst
Welcher der in § 20 geschilderten Sachverhalte liegt vor?
2.6
Sehen Sie im Falle 2.5 d e n n o c h eine Möglichkeit, Mike zu bestrafen? J a / Nein Begründung:
5.1
Lesen Sie § 330 a (1)! Vergleichen Sie mit diesem Delikt die Rechtsfigur der vorsätzlichen actio libero in causa. Es gibt mehrere Ubereinstimmungen zwischen beiden Rechtsfiguren. Nennen Sie zwei!
2.7
Blättern
Sie bitte zurück auf S. 202 und lesen Sie das Flipper-Beispiel
noch
einmal!
Sie h a t t e n festgestellt, daß Flipper nicht wegen „Gefährlicher Körperverletzung" (§ 223 a (1)) b e s t r a f t werden kann. Dennoch bleibt seine Tat nicht straflos. Es besteht die Möglichkeit, ihn wegen Gefährlicher Körperverletzung (§ 2 2 3 a (1)) in der F o r m der actio libera in causa / wegen „Vollrausches" (§ 330 a (1) i.V.m. § 2 2 3 a (1)) zu bestrafen. 4.1
Nennen Sie mindestens zwei Unterschiede zwischen Strafen u n d Maßregeln d.B.u.S.!
Literatur: Zur Schuldfähigkeit vgl. Baumann aaO. § 25; Bockelmann aaO. § 16 B; Schmidhäuser aaO. 10/10-25; Wessels aaO. § 10 III. Ausführlich fescheck aaO. § iü; Maurach aaO. § 36; Mezger-Blei aaO. §§ 5 2 - 6 0 .
216
Antworten
TE 14
1.1
1. für den Fall der actio libera in causa 2. für § 330 a ( l )
1.2
Schuldfähigkeit ist die Fähigkeit, das Unrecht der Tat einzusehen und nach dieser Einsicht zu handeln.
2.1
1. Nein! Felix hat das 14. Lebensjahr noch nicht vollendet. Da er bei Begehung der Tat noch schuldunfähig ist, kann er nicht bestraft werden (§ 19) o.ä. 2. Ja! Inzwischen ist er 14 Jahre alt und damit schuldfähig geworden (§ 19). („Nein!" nur dann, wenn er infolge verzögerter Reife unfähig wäre, das Unrecht seiner Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln; § 3 Satz 1 JGG).
1.3
1. 14jährige; prinzipiell als schuldunfähig; keine Ausnahmen 2. 14 bis 18jährige; das Unrecht der Tat einzusehen und nach dieser Einsicht zu handeln 3. § 20
1.4
Der Täter hat sich mit dem Vorsatz in den Zustand der Schuldunfähigkeit versetzt, in diesem Zustand eine rechtswidrige Tat zu begehen (o.ä.).
2.2
Z.B. A betrinkt sich nach Strich und Faden mit dem Vorsatz, B in diesem Zustand zu töten, was er auch tut (= § 212 (1)).
1.5
1. 2. 3. 4.
2.3
1. Wegen kindlichen Alters (= unter 14 Jahren); § 19. 2. Wegen einer krankhaften seelischen Störung; § 20.
1.6
Z.B. Übermüdung, Medikamentenmißbrauch, Volltrunkenheit, Rauschgifteinwirkung, Schlaflosigkeit, Schock
2.4
1. Nein! Kuno Plemplem ist geisteskrank und daher nicht schuldfähig (§ 20). 2. Nein! Somnambul erfüllt schon nicht den strafrechtlichen Handlungsbegriff!
2.5
Eine „tiefgreifende Bewußtseinsstörung"
2.6
J a ! Und zwar unter dem Aspekt des Diebstahls, begangen in der Form der actio libera in causa; (daneben, d.h. zusätzlich kommt eventuell auch eine Unterbringung in einer Entziehungsanstalt (§ 64 (1)) in Betracht.).
5.1
1. Bezüglich ¿esProblems: Es geht in beiden Fällen um das Problem der Schuldfähigkeit. 2. Bezüglich der Vorverlegung des maßgeblichen Zeitpunkts: Denn bei der eigentlichen Durchführung der Tat ist der Täter in beiden Fällen schuldunfähig. 3. Bezüglich des Zwecks: Beide sollen unbillige Straflücken schließen.
2.7
wegen „Vollrausches" (§ 330 a (1) i.V.m. § 223 a (1))
4.1
1. Strafen dienen den drei Strafzwecken; Maßregeln allein der Spezialprävention. 2. Voraussetzung und Grenze der Strafe ist die Schuld des Täters; Voraussetzung und Grenze der Maßregel ist eine besondere Gefährlichkeit des Täters. 3. Mit der Strafe ist eine Tadelswirkung (= sozialethisches Unwerturteil) verbunden, mit der Maßregel nicht. 4. Die Übelswirkung ist bei der Strafe beabsichtigt, bei der Maßregel nicht.
krankhafte seelische Störung tiefgreifende Bewußtseinsstörung Schwachsinn schwere andere seelische Abartigkeit
W1
WIEDERHOLUNG 1
217
L e r n z i e l : Diese Einheit dient der Wiederholung und Vertiefung von wichtigen Wissens- und Verständnisfragen der vorangegangenen LE 1 — 14. Sie besteht aus einem Wissenstest und einem Verständnistest. Sie können sich selbst bewerten. Die Bewertungsgrundlagen werden für jeden der beiden Teile gesondert mitgeteilt.
WISSENSTEST:
FRAGEN
A Wichtige Definitionen 1.1
„ S t r a f e " ist ein mit
verbundenes Übel, das (bitte ergänzen!)
1.2
„Rechtsgüter" sind (bitte ergänzen!)
1.3
„Unrecht" ist jede Handlung, die (bitte ergänzen!)
1.4
„Rechtfertigungsgründe" beschreiben die Voraussetzungen, (bitte ergänzen!)
1.5
„ S t r a f t a t " ist jede (bitte ergänzen!)
1.6
„Handlung" ist ein menschliches
1.7
„Automatisierte" Handlungen sind (bitte ergänzen!)
das (bitte ergänzen!)
218
Wiederholung 1
W1
1.8
„Subjektive Tatbestandsmerkmale" beziehen sich auf Umstände, die (bitte ergänzen!)
1.9
„Unterlassungsdelikte" sind Delikte, bei denen das Gesetz die mit Strafe bedroht.
1.10 „Erfolgsdelikte" sind Delikte, die (bitte ergänzen!)
Erfolgsdelikte bilden gemeinsam mit den beiden Untergruppen der
delikten die delikte.
1.11 Ein Tun ist Ursache für einen Erfolg im Sinne der (bitte ergänzen!)
theorie, wenn es
1.12 „Angriff" i.S.d. § 32 (2) ist jedes menschliche Verhalten, das (bitte ergänzen!)
1.13 „Schuldfähigkeit" ist die Fähigkeit, das (bitte ergänzen!)
1.14 Man spricht von einer vorsätzlichen „actio 1. sich der Täter (bitte ergänzen!)
", wenn
W 1
Wiederholung 1
219
B Sonstige Wissensfragen 1.15
„Sexuelle Handlungen" (z.B. in §§ 174 (1), 174 a (1), 176 (1)) ist ein normativer / deskriptiver Begriff, weil (bitte ergänzen!)
1.16 Im folgenden ist der § 2 4 2 (1) in seine einzelnen Elemente zergliedert. Setzen Sie bitte in das Schaubild die richtigen Begriffe ein! Wer eine fremde bewegliche Sache einem anderen wegnimmt in der Absicht, dieselbe sich rechtswidrig zuzueignen (sog. Zueignungsabsicht), wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren bestraft.
1.17 Setzen Sie bitte in das Schaubild die richtigen Begriffe ein! 0
Handlungsbegriff
+
I
Tatbestandsmäßigkeit
+
II
Rechtswidrigkeit
+
III
Schuld
1.18 Qualifizierte Delikte und eines
Delikte werden durch Abwandlung gebildet.
Definieren Sie „qualifiziertes Delikt"!
220
Wiederholung 1
W1
1.19 Tragen Sie in das Schaubild die Unterschiede zwischen Strafen und Maßregeln d.B.u.S. ein!
Strafen
Maßregeln
Zweck Voraussetzung und Grenze Übel Tadel
1.20 Auf welcher Stufe des Fallprüfungsschemas wird die Kausalität geprüft?
1.21 Befindet sich der Täter im Zeitpunkt der im Zustand „tiefgreifender Bewußtseinsstörung", so entfällt der Handlungsbegriff / die Tatbestandsmäßigkeit / die Rechtswidrigkeit / die Schuld. Nennen Sie einen Fall der „tiefgreifenden Bewußtseinsstörung"!
1.22 Grenzen Sie die Begriffe „Tatobjekt" und „Rechtsgut" voneinander ab!
1.23 Geben Sie die beiden Bedeutungen des Schuldprinzips an!
1.24 Zeichnen Sie in das folgende Schaubild die Grobstruktur der Notwehr (§ 32 (2)) ein!
W1
Wiederholung 1
221
1.25 Zeichnen Sie in das folgende Schaubild die gesamte Struktur des rechtfertigenden Notstands ( § 3 4 ) ein!
1.26 Tragen Sie in das folgende Schaubild die Elemente der Vorsatzschuld in der richtigen Reihenfolge ein!
1.27 Am 3.5.1944 wurde das deutsche U-Boot U 52 vor den Orkney Islands getroffen. Kapitänleutnant Hansen ließ sofort die vorderen Schotten schließen, um das Boot und seine Besatzung zu retten, obwohl er wußte, daß er dadurch drei im Vorderschiff befindliche Matrosen unweigerlich dem Tode preisgab. Kann sich Hansen auf rechtfertigenden Notstand (§ 34) berufen? J a / Nein Begründung:
222
Wiederholung 1 WISSENSTEST:
W1
ANTWORTEN
Geben Sie sich für jede wörtlich oder zumindest dem Sinne nach richtige Antwort die maximale Punktezahl. Wenn Sie meinen, daß Sie die Frage mindestens zur Hälfte richtig beantwortet haben, geben Sie sich die Hälfte der maximalen Punktezahl. Addieren Sie Ihre Punktezahl und vergleichen Sie Ihre Gesamtpunktezahl mit der Notenskala auf S.231. Max. Punkte
Musterantworten „Strafe" ist ein mit Tadel verbundenes Übel, das wegen einer strafbaren Handlung von einem Strafgericht aufgrund und nach Maßgabe der Schuld des Täters verhängt wird.
6
„Rechtsgüter" sind strafrechtlich schutzbedürftige Werte, Einrichtungen und Zustände, die für das geordnete menschliche Zusammenleben unentbehrlich sind.
6
„Unrecht" ist jede Handlung, die gegen die Rechtsordnung als Ganzes verstößt.
2
„Rechtfertigungsgründe" beschreiben die Voraussetzungen, unter denen tatbestandsmäßige Handlungen von der Rechtsordnung gebilligt werden.
4
„ S t r a f t a t " ist jede tatbestandsmäßige, rechtswidrige und schuldhafte Handlung.
2
"Handlung" ist ein menschliches Verhalten, das vom Willen beherrschbar ist.
2
„Automatisierte" Handlungen sind eintrainierte, gleichförmige Verhaltensweisen, bei denen nicht jedes Mal der Wille eingeschaltet wird, die aber jederzeit vom Willen beherrschbar sind.
4
„Subjektive Tatbestandsmerkmale" beziehen sich auf Umstände, die im seelischen Bereich des Täters gelegen sind. (In der Regel beschreiben sie ein bestimmtes Ziel, das der Täter mit seiner Tat erreichen will).
4
„Unterlassungsdelikte" sind Delikte, bei denen das Gesetz die Nichtvornahme eines gebotenen Tuns mit Strafe bedroht.
4
„Erfolgsdelikte" sind Delikte, die den Eintritt einer von der Tathandlung zumindest gedanklich abtrennbaren Wirkung in der Außenwelt voraussetzen. Erfolgsdelikte bilden gemeinsam mit den schlichten Tätigkeitsdelikten die beiden Untergruppen der Begehungsdelikte.
4
Ein Tun ist die Ursache für einen Erfolg im Sinne der Äquivalenztheorie, wenn es nicht weggedacht werden kann, ohne daß der Erfolg in seiner konkreten Gestalt entfiele.
2
1.12
„Angriff" ist jedes menschliche Verhalten, das Rechtsgüter beeinträchtigt.
2
1.13
„Schuldfähigkeit" ist die Fähigkeit, das Unrecht der Tat einzusehen und nach dieser Einsicht zu handeln.
2
Summe
44
1.1
1.2
1.3 1.4
1.5 1.6 1.7
1.8
1.9
1.10
1.11
Ihre Punkte
Wiederholung 1
223 Max. Punkte
Musterantworten 1.14
Man spricht von einer vorsätzlichen „actio libera in causa", wenn sich der Täter mit dem Vorsatz in den Zustand der Schuldunfähigkeit versetzt hat, in diesem Zustand eine rechtswidrige Tat zu begehen.
1.15
„Sexuelle Handlungen" (z.B. in §§ 174 (1), 174 a ( l ) , 176 (1)) ist ein normativer Begriff, weil er der Ausfüllung anhand einer Werteordnung (nämlich der herrschenden Sittenordnung) bedarf.
1.16
1.17
1.18
objektiver = oder gesetzlicher Tatbestand
Wer eine fremde bewegliche Sache einem anderen wegnimmt in der Absicht, dieselbe sich rechtswidrig zuzueignen (sog. Zueignungsabsicht),
= subjektiver Tatbestand
wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren bestraft.
;
0
Tatbestandsmäßigkeit
II
Rechtswidrigkeit
III
Schuld
Tatbestand
= Delikt, strafbare Handlung (Synonyme)
Strafdrohung
Handlungsbegriff
I
:
:
+
Tat
= rechtswidrige Tat
:
Straftat
privilegierte; Grunddelikts Bei einem qualifizierten Delikt knüpft das Gesetz an die Abwandlung des Grunddelikts eine schwerere Strafe.
1.19
Strafen
Maßregeln
Zweck
Vergeltung + General- + Spezialprävention
Spezialprävention
Voraussetzung u. Grenze
Schuld des Täters
besondere Gefährlichkeit des Täters
Übel
ja (beabsichtigt)
ja (nicht beabsichtigt)
Tadel
ja
nein Summe
70
Ihre Punkte
Wiederholung 1
224 Musterantworten 1.20
Auf der Stufe I, der Tatbestandsmäßigkeit
1.21
Befindet sich der Täter im Zeitpunkt der Begehung der Tat im Zustand „tiefgreifender Bewußtseinsstörung", so entfällt die Schuld. Anwendungsfälle: Volltrunkenheit, Rauschgifteinwirkung, Medikamentenmißbrauch, Schock, Schlaflosigkeit u.ä.
1.22
„Tatobjekt" ist der Gegenstand, an dem sich der Angriff auf ein geschütztes Rechtsgut in concreto auswirkt. „Rechtsgut" dagegen ist ein ideeller Wert.
1.23
Schuldprinzip bedeutet: 1. Schuld ist Voraussetzung der Strafe. 2. Das Maß der Strafe darf das Maß der Schuld nicht übersteigen.
1.24
Notwehrsituation 1
Notwehr
Notwehrhandlung Verteidigungswille
1.25 N otstandssit uatio n
gegenwärtige Gefahr für irgendein Rechtsgut Unabwendbarkeit der Gefahr auf andere Weise
Rechtfertigender Notstand
Notstandshandlung
wesentliches Überwiegen des geschützten Interesses angemessenes Mittel
— Rettungswille
1.26
Schuldfähigkeit
Vorsatzschuld
Vorsatz
JH l
i
T 3.
1.27
Wille, die Gefahr abzuwenden
Unre chtsb ewuß t sein Keine Entschuldigungsgründe
Nein! Leben kann nicht gegen Leben abgewogen oder gar aufgerechnet werden. Mithin scheidet rechtfertigender Notstand aus. Ihre Gesamtpunktezahl
W1
Wiederholung 1 VERSTÄNDNISTEST:
225 FRAGEN
2.1
Lesen Sie bitte § 242 (1)! Was bezeichnen Sie bei diesem Tatbestand als Tatobjekt und was als Rechtsgut?
2.2
„Wer tatbestandsmäßig handelt, handelt immer unrecht". Ist diese Behauptung richtig? J a / Nein Begründung:
2.3
Der Geisteskranke G lebt in „wilder Ehe" (Konkubinat). Die „wilde Ehe" war früher bar. Ein solches Delikt gibt es heute in Deutschland nicht mehr.
straf-
1. Kann G bestraft werden? J a / Nein Begründung:
2. Kann G gemäß § 63 (1) in einem psychiatrischen Krankenhaus untergebracht werden? J a / Nein Begründung (aufpassen!):
2.4
An einem regnerischen Herbsttag fährt Benno Bueble (B) über die stark abschüssige Neue Weinsteige von Degerloch ins Büro nach Stuttgart, als unmittelbar vor ihm ein Motorradfahrer in der Straßenbahnschiene zum Sturz kommt. ,,Heilig's Blechle", denkt B und tritt sofort auf die Bremse. Er kann aber nicht verhindern, daß er mit seinem Wagen über den Gestürzten hinwegrutscht. Erfüllt die Bremsreaktion des B den Begriff der „Handlung"? J a / Nein Begründung:
2.5
Was ist der Grund dafür, daß für die Notstandshandlung strengere / mildere Maßstäbe als für die Notwehrhandlung gelten?
226
Wiederholung 1
2.6
Lesen Sie bitte § 249 (1)! Ordnen Sie die Tatbestandsmerkmale dieses Delikts in das nachfolgende Schaubild der Tatbestandsmerkmale ein!
objektiv
subjektiv
mehr deskriptiv
W1
mehr normativ
geschrieben
ungeschrieben
Wer mit Gewalt etc. fremde bewegliche Sache wegnehmen Zueignungs absieht
2.7
Wie lautet der gesetzliche (= objektive) Tatbestand des § 249 (1)?
2.8
Ordnen Sie die nachfolgend angegebenen Delikte den jeweiligen Deliktsgruppen des Schaubildes zu! Begehungsdelikt
Unterlassungsdelikt
Erfolgsdelikt
Tätigkeitsdelikt
entfällt
entfällt
Vorsatzdelikt
Fahrlässigkeitsdelikt
§ 309 1. Halbsatz § 249 (1) § 330 c § 239(1) § 222 § 154(1)
2.9
Sind Kausalität und Schuld dasselbe? (Hilfe: Um welche Frage geht es bei der Kausalität und um welche bei der Schuld?) J a / Nein Begründung:
Wiederholung 1
227
2.10 Beim Abschlußtraining zur Hahnenkammabfahrt kollidiert der österreichische Favorit und Weltcupleader Karl K („Douinhill-Charly") mit dem Zuschauer Z, der reglementswidrig die „Streif" überquert. Z erleidet einen Beinbruch. Der Lenker des Krankenwagens (L), mit dem Z ins Spital transportiert wird, prallt infolge überhöhter Geschwindigkeit gegen einen Baum. Dabei wird Z getötet. Kein Zweifel, daß L den Tod des Z verursacht hat. Hat aber auch K den Tod des Z i.S.d. theorie verursacht? Ja / Nein Begründung:
2.11 Mit dem fremden Karnickel in der Hand rennt der Dieb D aus dem Stall des E auf die Straße. E setzt sich in seinen Wagen und fährt D nieder, um sein Kaninchen zu retten. 1. Ist der Angriff des D auf das Eigentum des E noch „gegenwärtig"? Ja / Nein Begründung:
2. Ist diese Verteidigung „erforderlich"? Ja / Nein Begründung:
2.12 A greift ohne Grund den B an. C sieht dies und sagt sich: „Ob B Prügel bekommt, ist mir gleichgültig. Aber eine so günstige Gelegenheit, dem A einen Denkzettel zu verpassen, kommt so schnell nicht wieder. " Darum streckt er den A mit einem Fausthieb zu Boden. Kommt für C Nothilfe in Betracht? Ja / Nein Begründung:
2.13 Notwehr und rechtfertigender Notstand unterscheiden sich in mehreren Punkten. Geben Sie mindestens drei dieser Unterschiede an!
228
Wiederholung 1
2.14 Der strafrechtliche Schuldvorwurf orientiert sich am Leitbild (Menschenbild) des
-
Dem Täter wird vorgeworfen, daß er nicht so gehandelt hat, (bitte ergänzen!)
2.15 Der strafrechtliche Schuldvorwurf bei der Vorsatzschuld hat einen ganz speziellen Inhalt. Mit der Vorsatzschuld wird dem Täter vorgeworfen, (bitte ergänzen!)
2.16 Ordnen Sie die nachfolgend angeführten Umstände danach, ob sie den strafrechtlichen Handlungsbegriff oder die Schuldfähigkeit betreffen!
Handlungsbegriff
Schuldfähigkeit
Schwachsinn Vollnarkose Volltrunkenheit Bloßer Körperreflex Verzögerte Reife Hochgradige A f f e k t e Vis absoluta Schizophrenie Bewußtlosigkeit Schwere Neurosen
2.17 Ein führerloser PKW ist von allein ins Rollen gekommen und droht ein spielendes Kind zu überfahren. A rammt den PKW mit seinem Bulldozer und rettet das Kind dadurch vor dem sicheren Tod. Wäre der Eigentümer E des PKW durch Notwehr gerechtfertigt, wenn er A vom Bulldozer schießen würde, um seinen PKW vor Beschädigung zu schützen? J a / Nein Begründung: (Gut überlegen!)
2.18 Ein Schwabe kommt jessasmäßig besoffen nach Hause. Bevor seine Frau den Mund zu einer Strafpredigt auftun kann, haut er ihr donderscMächtig aufs Maul. Sie kleinlaut: „Aber i han doch gar nix gsagt." Er: „Aber wella!" Nehmen Sie an, Sie hätten diese Tat als Staatsanwalt anzuklagen. Es wäre Anklage zu erheben wegen vorsätzlicher Körperverletzung (§ 223 (1)) / wegen vorsätzlicher Körperverletzung (§ 2 2 3 (1)) in der Form der actio libera in causa / wegen Vollrausches (§ 3 3 0 a (1) i.V.m. § 2 2 3 (1)).
W 1
Wiederholung 1 V E R S T Ä N D N I S T E S T :
229 ANTWORTEN
Für jede richtige Antwort können Sie sich je nach Richtigkeit, Vollständigkeit und Güte maximal die jeweils angegebene Punktezahl notieren. Für halb richtige Antworten geben Sie sich die Hälfte der maximalen Punktezahl. Addieren Sie die von Ihnen erreichten Punkte und vergleichen Sie Ihre Gesamtpunktezahl mit der anschließenden Notenskala. Max. Punkte
Musterantworten 2.1
Tatobjekt des § 242 (1) ist die gestohlene fremde Sache (z.B. die Geldbörse). Rechtsgut dagegen ist Eigentum.
2.2
Nein! Es kann ein Rechtfertigungsgrund vorliegen. Dann ist die Tat kein Unrecht.
2.3
1. Nein! Seine Bestrafung verstößt gegen § 1 1 . Halbsatz. Nulla poena sine lege. (Die Antwort: „Nein, mangels Schuld" zählt nicht und ist falsch, weil strafrechtliche Schuld mindestens eine tatbestandsmäßige und rechtswidrige Handlung voraussetzt!) 2. Nein! § 1 1 . Halbsatz gilt auch für die Verhängung von Maßregeln d.B.u.S. Oder: § 63 (1) setzt eine rechtswidrige Tat voraus.
2.4
J a ! Kein bloßer Körperreflex. Der Tritt auf die Bremse ist vielmehr eine automatisierte Handlung. Sie ist vom Willen beherrschbar. Der Autofahrer hätte auch anders reagieren können.
2.5
Strengere Maßstäbe. Denn häufig werden durch die Notstandshandlung Rechtsgüter unbeteiligter Personen in Mitleidenschaft gezogen.
2.6 obj.
mehr deskr.
mehr norm.
geschr.
Wer
X
mit Gewalt etc.
X
X
X
fremde
X
X
X
bewegliche
X
X
X
Sache
X
X
X
wegnehmen
X
Zueignungsabsicht 2.7
subj.
X
X
X
ungeschr.
X
X
X
X
Wer mit Gewalt gegen eine Person etc. eine fremde bewegliche Sache einem anderen wegnimmt. Summe
24
Ihre Punkte
230
Wiederholung 1 Max. Punkte
Musterantworten 2.8 Begeh.- Unterl- Erfolgs- Tätigk.- Vorsatz- Fahrl.delikt delikt delikt delikt delikt delikt § 309 1. Halbsatz
X
X
§ 249 (1)
X
X X
§ 330 c
X X
entf.
§ 239 (1)
X
X
§ 222
X
X
§ 154(1)
X
entf.
X X X
X
X
2.9
Nein! Bei der Frage der Kausalität geht es um einen Aspekt des Unrechts (Kausalität = objektives Tatbestandsmerkmal). Bei der Schuld geht es um die Vorwerfbarkeit einer rechtswidrigen Tat.
2.10
Äquivalenztheorie. Ja! Ohne Anfahren kein Krankentransport. Ohne Krankentransport kein Unfall. Mithin kann das Anfahren des Z durch K nicht weggedacht werden, ohne daß der Tod des Z entfiele. (Eine ganz andere Frage ist es, ob K diesen Tod des Z auch verschuldet hat.)
2.11
1. J a ! Denn der Angriff dauert noch an. 2. Nein! Denn diese Verteidigung stellt nicht das schonendste Mittel dar, um den Angriff sofort und endgültig abzuwehren.
2.12
Nein! Zwar liegt ein gegenwärtiger rechtswidriger Angriff auf einen Dritten vor. Die Verteidigungshandlung ist der Art und der Intensität des Angriffs angemessen. Dennoch keine Nothilfe. C handelt ohne Verteidigungswillen. Die Lösung dieses Falles ist aber strittig.
2.13
Notwehr
Rechtfertigender Notstand
1.
1.
2.
Notwehrsituation
Notstandssituation
Angriff auf irgendein Rechtsgut
Gefahr für irgendein Rechtsgut
gegenwärtig
gegenwärtig
rechtswidrig
diese Einschränkung entfällt
Notwehrhandlung
2.
erforderliche Verteidigung
Notstandshandlung Unabwendbarkeit der Gefahr auf andere Weise wesentliches Überwiegen des geschützten Interesses angemessenes Mittel
3.
Verteidigungswille
3.
Rettungswille
Summe
52
Ihre Punkte
Wiederholung 1
231
Musterantworten 2.14
maßgerechten Menschen. Dem Täter wird vorgeworfen, daß er nicht so gehandelt hat, wie an seiner Stelle ein maßgerechter Mensch gehandelt hätte.
2.15
Mit der Vorsatzschuld wird dem Täter vorgeworfen, daß er sich willentlich gegen das Recht und für das Unrecht entschieden hat.
2.16
Handlungsbegriff
Schuldfähigkeit X
Schwachsinn X
Vollnarkose Volltrunkenheit Bloßer Körperreflex
X X
Verzögerte Reife
X
Höchstgradige Affekte
X
Vis absoluta
X
Schizophrenie Bewußtlosigkeit
X X
Schwere Neurosen
X
2.17
Nein! Zwar läge ein Angriff des A auf das Eigentum des E vor. Aber dieser Angriff ist nicht rechtswidrig, da er durch rechtfertigenden Notstand (Rettung des Kindes) gedeckt ist. Gegen einen rechtmäßigen Angriff gibt es keine Notwehr.
2.18
wegen Vollrausches (§ 330 a i.V.m. § 223 (1)), wenn Sie annehmen, daß unser wackerer Schwabe bis zur Schuldunfähigkeit betrunken war; sonst wegen vorsätzlicher Körperverletzung (§ 223 (1)). Ihre Gesamtpunktezahl
Notenskala für den Wissenstest über 85 = sehr gut 70 - 84 = gut 55 — 69 = befriedigend 40 — 54 = ausreichend 0 — 39 = nicht genügend
Notenskala für den
Verständnistest
über 65 = sehr gut 52 - 64 = gut 39 - 5 1 = befriedigend 26 — 38 = ausreichend 0 — 25 = nicht genügend
VORSATZ
232
LE 15
L e r n z i e 1: Sie sollen Begriff und Arten des Vorsatzes kennen und mit den entsprechenden Definitionen umgehen lernen. Der Schwerpunkt dieser LE liegt auf den verschiedenen Einteilungen des „Vorsatzes". Hinzu kommt eine weitere Deliktsgruppe, die „Absichtsdelikte".
„Vorsatz" bezeichnet eine bestimmte Schuldform. Es handelt sich beim Vorsatz um die (1) Schuldform der delikte. Das StGB verwendet den Begriff „Vorsatz" an zahlreichen Stellen (z.B. §§ 15, 16 (1) und (2), 26, 27 (1), 330 a (1)). Aber es definiert ihn nicht, sondern überläßt seine Festlegung Wissenschaft u n d Praxis. Das Lernprogramm legt (vgl. bereits LE 13) die folgende Definition des Vorsatzes zugrunde: Vorsätzlich handelt, wer einen Sachverhalt verwirklichen will, der einem gesetzlichen Tatbestand entspricht. Lesen Sie diese Definition mehrfach und prägen Sie sie sich wörtlich ein! Sie erinnern sich: (2) Gesetzlicher Tatbestand ist die Summe aller objektiven Tatbestandsmerkmale / aller objektiven und subjektiven Tatbestandsmerkmale eines Delikts. (3) Wie lautet der gesetzliche Tatbestand des Totschlags (§ 212 (1))?
Demnach handelt vorsätzlich im Sinne des Totschlags, wer „einen Menschen töten will". Teil legt an, um seinem Sohn den Apfel vom Haupt zu schießen. Diesmal verfehlt er den Apfel und t r i f f t seinen Sohn tödlich. (4) Teil hat, mit den Worten des § 212 (1) formuliert, „einen Menschen / keinen Menschen
Man kann dasselbe aber auch abstrakt mit der Formel der obigen Vorsatzdefinition ausdrücken: (5) Teil hat einen Sachverhalt / keinen Sachverhalt verwirklichen , der dem gesetzlichen Tatbestand des § 212 (1) entspricht. (6) Teil hat seinen Sohn somit vorsätzlich getötet / nicht vorsätzlich getötet. Ob Teil seinen Sohn fahrlässig getötet hat, ist eine andere, hier nicht zu erörternde Frage. Sie kann ohne Vorgriff auf den Fahrlässigkeitsbegriff (LE 25 bis 27) nicht beantwortet werden.
LE 15
233
Vorsatz
(1) Vorsatzdelikte (2) aller objektiven Tatbestandsmerkmale (3) „Wer einen Menschen t ö t e t " (4) keinen Menschen töten wollen (5) keinen Sachverhalt; wollen (6) nicht vorsätzlich getötet
(1)
Vorsätzlich handelt, wer einen Sachverhalt verwirklichen der einem bestimmten gesetzlichen Tatbestand entspricht, d.h. sämtliche objektiven / subjektiven Tatbestandsmerkmale dieses Delikts umfaßt. Bei der Geburt wurde Horst im Krankenhaus vertauscht. Zwanzig Jahre später verliebt er sich in Bettina und verkehrt mit ihr. Er ahnt nicht, daß Bettina seine leibliche Schwester ist. In Betracht kommt Beischlaf zwischen Verwandten (§ 173 (2) Satz 2). Lesen Sie § 173 (2) Satz 2 und subsumieren Sie sogleich mit!
(2) Horst hat mit seiner Schwester den Beischlaf vollzogen. Damit ist der gesetzliche des § 173 (2) Satz 2 erfüllt / nicht erfüllt.
-
Eine ganz andere Frage ist es, ob Horst mit dem Vorsatz der Blutschande gehandelt hat. Ohne Zweifel: Horst hat mit einer Frau den Beischlaf vollziehen wollen. Umfaßt dieser Vorsatz sämtliche objektiven Tatbestandsmerkmale des § 173 (2) Satz 2? (3) J a / Nein Begründung:
(4) Da Horst vorsätzlich / somit nicht vorsätzlich gehandelt hat, ist er gemäß § 173 (2) Sat2 2 zu bestrafen / kann er gemäß § 173 (2) Satz 2 nicht bestraft werden. Der zerstreute Professor nimmt aus der Garderobe einen fremden mit, es sei sein eigener.
Schirm in der Meinung
Lesen Sie § 242 (1) sorgfältig und beantworten Sie die Frage: Umfaßt der Vorsatz des Professors sämtliche objektiven Tatbestandsmerkmale des Diebstahls? (5) J a / Nein Begründung:
Wir fassen zusammen u n d wiederholen! (6) Vorsätzlich handelt, wer einen einem bestimmten (7) muß der Vorsatz sämtliche Delikts umfassen.
verwirklichen der entspricht. Und zwar Tatbestandsmerkmale des betreffenden
Vorsatz
234
LE 15
(1) will; objektiven (2) Tatbestand; erfüllt (3) Nein! Der Sachverhalt, den Horst hat verwirklichen wollen, umfaßt zwar einige, aber nicht sämtliche objektiven Tatbestandsmerkmale des § 173 (2) Satz 2. Denn er hat nicht mit seiner Schwester verkehren wollen (o.a.). (4) somit nicht vorsätzlich; kann er gemäß § 1 7 3 ( 2 ) Satz 2 nicht bestraft werden (5) Nein! Er hat seine eigene Sache an sich nehmen, mithin keine fremde wegnehmen wollen, wie es der gesetzliche Tatbestand des Diebstahls voraussetzt (o.a.). Außerdem fehlt die Zueignungsabsicht. Aber danach war nicht gefragt. (6) Sachverhalt; will; gesetzlichen Tatbestand (7) sämtliche objektiven
Der Vorsatz besteht aus zwei Komponenten, dem Wissen u n d dem Wollen. (1) Die Vorsatzdefinition des Lernprogramms nimmt mit den Worten „verwirklichen ausdrücklich auf die komponente des Vorsatzes Bezug. Die Wissenskomponente ist jedoch mittelbar in dieser Definition enthalten. (2) Denn jedes „Wollen" setzt denknotwendig zunächst ein entsprechendes ,,W voraus; was man nicht kann man nicht (3) Vorsatz =
Wissen plus der Verwirklichung eines
Wollen
entspricht. (4) Sowohl das als auch das bestandsmerkmale des Delikts umfassen. A richtet
seinen
Revolver
auf die Brust
des ihm verhaßten
muß sämtliche objektiven Tat-
B und drückt
ab. B ist sofort
tot.
Der Sachverhalt, um den es hier geht, das Erschießen des B, entspricht sämtlichen objektiven Tatbestandsmerkmalen (= dem gesetzlichen Tatbestand) des § 212 (1) nämlich dem (5) „ eines ". Von diesem Sachverhalt hat A eine feste Vorstellung. Er weiß, daß der Schuß zum Tod des B führt. Genau das will A auch. Bezüglich sämtlicher objektiver Tatbestandsmerkmale des (6) § 212 (1) ist sowohl die komponente als auch die Wollenskomponente des Vorsatzes gegeben. Mithin hat A vorsätzlich gehandelt. Im Falle des Beischlafes, den Horst mit seiner Schwester Bettina vollzogen hat, umfaßt (7) der Vorsatz des Täters nicht objektiven Tatbestandsmerkmale. Denn bezüglich des Tatbestandsmerkmals „Geschwister" bzw. „Schwester" entfallen beide (8) Komponenten des Vorsatzes / entfällt nur die Wissenskomponente / nur die Wollenskomponente. (9) Begründen Sie Ihre eben getroffene Entscheidung!
Begründen Sie dieselbe Entscheidung nunmehr unter Verwendung der Vorsatzdefinition des Lernprogramms! (10) Horst hat nicht vorsätzlich gehandelt, weil er (bitte ergänzen!)
Vorsatz
LE 15
235
(1) (3) (6) (9)
will; Wollenskomponente (2) „Wissen"; weiß; wollen Sachverhalts; gesetzlichen Tatbestand (4) Wissen; Wollen (5) „Töten eines Menschen" Wissenskomponente (7) sämtliche (8) beide Komponenten des Vorsatzes Horst weiß nicht, daß er mit seiner Schwester verkehrt. Wissen ist denknotwendige Voraussetzung des Wollens. Daher entfallen beide Vorsatzkomponenten (o.a.). (10) keinen Sachverhalt verwirklichen wollte, der dem gesetzlichen Tatbestand des § 173 (2) Satz 2 entspricht
Im folgenden wollen wir die beiden Komponenten des Vorsatzes näher betrachten und analysieren. Zunächst die Wissenskomponente. Um 9.30 h drückt Abdullah el Gamal, ein arabischer Freischärler, auf den Knopf Sprenggeräts und jagt die Schule des Kibbuz in die Luft. In einem großen Automobilwerk drückt der Fließbandarbeiter den einen Knopf, der eine Lochstanze in Bewegung setzt.
seines
Franz Meier alle 12 Sekun-
Beide betätigen einen Knopf. Beide wissen dies auch. Es ist ihnen jedoch in unterschiedlichem Grade bewußt. In Anlehnung an eine Richtung in der Psychologie unterscheidet die moderne Strafrechtslehre verschiedene Bewußtheitsgrade des Vorsatzes. Den Bedürfnissen des Strafrechts (1) genügen die beiden folgenden Bewußtheitsgrade des : aktuelles Wissen und Mitbewußtsein. (2) Der stärkere Bewußtheitsgrad des Vorsatzes ist das zeichnend für diesen Bewußtheitsgrad ist das „Darandenken".
Wissen. Kenn-
Beispiel: Der LKW-Fahrer L sieht auf seiner Fahrbahn einen großen Pappkarton liegen. Wegen der in der Nähe spielenden Kinder sagt er sich zwar, daß sich vielleicht ein Kind in der Schachtel versteckt haben könnte, weist aber diesen Gedanken gleich wieder von sich und fährt über den Karton hinweg. Tatsächlich befand sich der 5jährige Harald in der Schachtel. Er ist jetzt tot. (3) In diesem Fall hat L daran gedacht / nicht daran gedacht, daß er einen Sachverhalt verwirklichen könnte, der dem T eines Tötungsdelikts entspricht. (4) Bezüglich des Bewußtheitsgrades des Vorsatzes des L liegt somit vor. Steht damit bereits fest, daß L vorsätzlich gehandelt hat? J a / Nein Begründung: (Denken Sie daran, daß der Vorsatz aus zwei Komponenten (5) besteht!)
LE 15
Vorsatz
236
(1) Vorsatzes (2) aktuelle (3) daran gedacht; gesetzlichen Tatbestand (4) aktuelles Wissen (5) Nein! Zum Vorsatz gehört weiter die Wollenskomponente. Diese muß erst noch untersucht werden.
Der schwächere Bewußtheitsgrad des Vorsatzes ist das Mitbewußtsein. Es kommt häufig vor, daß der Täter an bestimmte Fakten des Sachverhalts nicht explizit (1) denkt. Nach den ganzen Begleitumständen der Tat sind sie ihm aber durchaus b In der Universitätsbibliothek reißt der Student S heimlich eine Seite aus einer BGH-Entscheidung, um sich das lästige Exzerpieren zu ersparen (= gemeinschädliche Sachbeschädigung i.S.d. §304 (1)). S mag nicht ausdrücklich daran gedacht haben, daß er damit einen „Gegenstand der Wissens c h a f t " beschädigt, „der in einer öffentlichen Sammlung aufbewahrt wird". Dieser Umstand konnte ihm aber nicht verborgen geblieben sein und war ihm daher, zumindest am Rande, durchaus mitbewußt. (2) Insoweit liegt bei S, wenn schon kein wenigstens M
so doch vor.
Der „rote Schorsch" wird anläßlich einer „Hausbesetzung" im Frankfurter Bockenheim festgenommen. Als er vor dem ,,Bullen" verächtlich ausspuckt, die Nerven durch. Er schlägt zu.
Stadtteil gehen diesem
Natürlich denkt der Polizist in diesem Moment nicht explizit daran, daß er „Beamter" ist. Dennoch „ w e i ß " er um seine Stellung als Beamter. Seine Beamteneigenschaft ist ihm zumindest latent bewußt. Zwischen „aktuellem Wissen" und bloßem „Mitbewußtsein" lassen sich naturgemäß keine scharfen Grenzen ziehen. Wesentlich erscheint jedoch, und dies ist festzuhalten, daß das (3) Mitbewußtsein die unterste Grenze dessen darstellt, was man von der komponente her noch als bezeichnen kann. Der LKW-Fahrer L fährt über den Pappkarton hinweg, ohne daß ihm der mindeste danke käme, darin könne sich ein Kind versteckt haben.
Ge-
(4) L hat ein Kind getötet. „Daran gedacht" hat er nicht. Von einem " kann somit keine Rede sein. Aber auch bloßes „Mitbewußtsein" scheidet aus. Einmal hat L begleitende Wahrnehmungen gerade nicht gemacht. Die Vorstellung, daß sich ein Kind in der auf der Straße liegenden Schachtel versteckt haben könnte, gehört auch nicht zu dem bei jedem Autofahrer latent vorhandenen Wissen. (5) Mit der Wissenskomponente entfällt zugleich die W (6) L hat das Kind folglich vorsätzlich / nicht vorsätzlich getötet. (7) Erklären Sie „Mitbewußtsein"!
komponente.
Vorsatz
L E 15
237
(1) bewußt (2) aktuelles Wissen; Mitbewußtsein (3) Wissenskomponente; Vorsatz (4) „aktuellen Wissen" (5) Wollenskomponente (6) nicht vorsätzlich (7) Bestimmte Fakten des Sachverhalts sind dem Täter latent oder nach den Begleitumständen bewußt (o.ä.).
durchaus
Nun zur Wollenskomponente des Vorsatzes. Nach der Intensität des verbrecherischen Willens unterscheidet man drei Stärkegrade des Vorsatzes: bedingter Vorsatz (Synonym: dolus eventualis), Wissentlichkeit und Absichtlichkeit (1)
Wegen ihrer großen praktischen Bedeutung werden diese drei Stärkegrade des im folgenden definiert. Es wird empfohlen, sich diese Beschreibungen möglichst wörtlich einzuprägen! Beginnen wir mit dem bedingten Vorsatz.
(2)
Der „bedingte V o r s a t z " (Synonym: Sicht der
" ) bezeichnet aus der
komponente die Untergrenze des Vorsatzes. Jenseits des bedingten
Vorsatzes beginnt die Fahrlässigkeit. Mit bedingtem Vorsatz handelt, wer es ernstlich für möglich hält, daß er einen Sachverhalt verwirklicht, der einem gesetzlichen Tatbestand entspricht und sich damit abfindet. Der Jäger Hubertus hört es im Gebüsch rumoren und denkt:„Eine Wildsau? Vielleicht aber auch ein Spaziergänger! Und wenn schon. Spaziergänger haben hier eben nichts zu suchen". Er drückt ab. Tödlich getroffen sinkt der Wandervogel Freddy Laetus zu Boden. Hubertus hat mit bedingtem Vorsatz getötet, weil er es (nach nochmaliger Lektüre der (3)
Definition bitte selbst ergänzen!) daß er einen Menschen tötet und sich damit
hat.
Im obigen Beispiel (S. 235) hatte der LKW-Fahrer L sich zwar gesagt, daß sich vielleicht ein Kind in der Schachtel versteckt haben könnte. Er hatte den Gedanken aber gleich wieder von sich gewiesen und war über den Karton hinweggefahren. (4)
Hat L den J u n g e n mit dolus
(5) J a / Nein
Begründung:
getötet?
Vorsatz
238
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(1) Vorsatzes (2) dolus eventualis; Wollenskomponente (3) ernstlich für möglich gehalten hat; abgefunden (4) eventualis (5) Nein! L hat die Tötung des Kindes nicht ernstlich für möglich gehalten, geschweige denn sich damit abgefunden. Denn er sagt sich: „Es wird schon nicht" (o.a.). Eventuell kommt fahrlässige Tötung in Betracht.
Die meisten Delikte des StGB sind, wie sich aus ihrem Wortlaut i.V.m. der allgemeinen (1) Regel des § 15 ergibt, Fahrlässigkeitsdelikte / Vorsatzdelikte. In engem Zusammenhang mit § 15 steht eine weitere wichtige Regel: Bei den meisten Vorsatzdelikten genügt bezüglich des Stärkegrades des Vorsatzes bedingter Vorsatz. Aus § 15 i.V.m. dieser im StGB nicht ausdrücklich verankerten Regel folgt z.B., daß auch (2) derjenige wegen Totschlags (§ 212 (1)) zu bestrafen ist, der einen anderen nur mit Vorsatz getötet hat. Entsprechendes gilt für Diebstahl (§ 242 (1)), Freiheitsberaubung (§ 239 (1)), Sachbeschädigung (§ 303 (1)) und die meisten anderen Vorsatzdelikte. (3) In der Regel genügt d Es gibt aber Ausnahmen! Bei einigen Delikten fordert das StGB ausdrücklich einen über den bedingten Vorsatz hinausgehenden intensiveren Vorsatz. Hierfür verwendet das StGB vorzugsweise den Begriff Wissentlichkeit. Wissentlich handelt, wer weiß oder als sicher voraussieht, daß er einen Umstand verwirklicht, für den das Gesetz wissentliches Handeln voraussetzt. Zu jenen Delikten, bei denen das StGB ausdrücklich zwischen den verschiedenen Stärkegraden des Vorsatzes differenziert, gehört z.B. der Auswanderungsbetrug (§ 144).
(4)
Für welches objektive Tatbestandsmerkmal („Umstand") verlangt das StGB bei diesem Delikt ausdrücklich „Wissentlichkeit"? (Bitte § 144 sorgfältig lesen!)
Hinsichtlich der übrigen objektiven Tatbestandsmerkmale des § 144, z.B. hinsichtlich der Tatsache, daß der zur Auswanderung Verleitete Deutscher ist, genügt nach der oben dar(5) gestellten Regel Am 1. April leistet sich der Münsteraner Student Robert Wittkamp (W) einen Jux. Er alarmiert das Überfallkommando: „Hilfe! Über den Prinzipalmarkt schleicht ein roter Löwe!" Wider Erwarten nimmt der Beamte diesen Anruf ernst. Das Überfallkommando rückt aus. Das grundlose Alamieren des Uberfallkommandos ist „Mißbrauch eines N o t r u f e s " i.S.d. §145(1) Z I . (6) W hat als sicher / nicht als sicher vorausgesehen, daß der Beamte seinen Anruf als echten „ N o t r u f " auffaßt und daher wissentlich / nicht wissentlich gehandelt.
LE 15
Vorsatz
(1) (3) (5) (6)
239
Vorsatzdelikte (2) bedingtem Vorsatz bzw. dolus eventualis dolus eventualis (4) Bezüglich der „unbegründeten Angaben" bedingter Vorsatz bzw. dolus eventualis nicht als sicher vorausgesehen; nicht wissentlich (W ist straflos!)
Der intensivste Stärkegrad des Vorsatzes wird vom StGB als Absichtlichkeit bezeichnet. Absichtlich handelt, wem es darauf a n k o m m t , einen Umstand zu verwirklichen, für den das Gesetz absichtliches Handeln voraussetzt. „Absichtlichkeit" verlangt das StGB ebenfalls nur bei vereinzelten Delikten. Nehmen wir das Delikt der „ S t ö r u n g einer Bestattungsfeier" (§ 167 a).
(1)
Bei diesem Delikt f o r d e r t der Gesetzgeber für ein bestimmtes Tatbestandsmerkmal ausdrücklich k e i t " oder k e i t " u n d läßt damit erkennen, daß nicht genügt.
(2)
Für welches Tatbestandsmerkmal? (§ 167 a bitte sorgfältig lesen!)
(3)
Für die übrigen objektiven Tatbestandsmerkmale des § 167 a dagegen genügt
Wir wiederholen u n d prägen uns ein! (4)
Vorsätzlich handelt, wer einen Sachverhalt (bitte ergänzen!)
(5)
Bezüglich des Vorsatzes sind
Stärkegrade zu unterscheiden:
(6) Mit bedingtem Vorsatz handelt, wer es für m hält, daß er einen Sachverhalt verwirklicht, der einem gesetzlichen T a t b e s t a n d entspricht u n d sich damit (7)
Bezüglich des Stärkegrades des Vorsatzes genügt in der Regel Ausnahmen gelten nur für jene Vorsatzdelikte, bei denen das Gesetz ausdrücklich eine (8) intensivere F o r m des Vorsatzes verlangt, nämlich entweder oder
(9) Wissentlich handelt, wer w oder als s voraussieht, daß er einen U m s t a n d verwirklicht, für den das Gesetz wissentliches Handeln voraussetzt. (10) Absichtlich handelt, w e m es d a für den das Gesetz absichtliches Handeln voraussetzt.
einen Umstand zu verwirklichen,
Im Juni wählt Robert Wittkamp (W) die 112 und alarmiert grundlos die Feuerwehr: „Bei 'Pinkus Müller' in der Kreuzstraße brennt's". Diesmal spekuliert W richtig. Die Feuerwehr kommt. (11)
Bezüglich dieses N o t r u f e s hat W mit bedingtem Vorsatz / wissentlich / absichtlich gehandelt.
(12)
Begründen Sie Ihre Ansicht!
240
Vorsatz (1) (3) (4) (5) (7) (9) (11) (12)
L E 15
Absichtlichkeit oder Wissentlichkeit; bedingter Vorsatz (2) Nur für das Stören bedingter Vorsatz bzw. dolus eventualis verwirklichen will, der einem gesetzlichen Tatbestand entspricht drei (6) ernstlich für möglich hält; abfindet dolus eventualis (8) Wissentlichkeit; Absichtlichkeit weiß; sicher (10) darauf ankommt absichtlich (mindestens aber wissentlich) Es ist W darauf angekommen, daß die Feuerwehr seinen Anruf als „Notrur' auffaßt und entsprechend „reagiert" (o.a.).
Das S t G B verwendet den Begriff Absichtlichkeit bzw. Absicht aber nicht nur zur Kenn(1)
Zeichnung der intensivsten Form des
sondern auch als subjektives Tat-
bestandsmerkmal bei den sog. Absichtsdelikten. Als Absichtsdelikte (Synonym: Delikte mit überschießender Innentendenz) bezeichnet man j e n e Delikte, bei denen der Täter in einer bestimmten, Uber die Verwirklichung des gesetzlichen Tatbestandes hinausreichenden („überschießenden") Absicht handeln muß. (2)
Im S t G B finden sich zahlreiche
delikte.
Beispiel: Diebstahl (§ 2 4 2 (1)).
(3)
Der Diebstahlsvorsatz besteht darin, daß der Täter eine fremde bewegliche Sache wegnehmen w
(4)
besteht beim Diebstahl darin, daß der Täter darüber hinaus mit der
Die über den objektiven Tatbestand hinausgehende = überschießende Innentendenz "
handeln muß, (§ 2 4 2 (1) bitte lesen und ergänzen!)
Daß der Täter den angestrebten Erfolg auch tatsächlich erreicht, gehört nicht mehr zum Tatbestand des Absichtsdelikts. (5)
Sind Absichtsdelikte Begünstigung (§ 2 5 7 ( 1 ) ) ?
J a / Nein
Betrug (§ 2 6 3 ( 1 ) ) ?
J a / Nein
Sachbeschädigung (§ 3 0 3 ( 1 ) ) ?
J a / Nein
Urkundenunterdrückung (§ 2 7 4 (1) Z 1)? J a / Nein Für den Stärkegrad der Absicht bei den Absichtsdelikten gilt im allgemeinen die Definition der Absichtlichkeit beim Vorsatz. (6)
Mit der Absicht i.S.d. Absichtsdelikte handelt daher, wem es
-
den Erfolg herbeizuführen, für den das Gesetz absichtliches Handeln voraussetzt. Wer eine fremde bewegliche Sache wegnimmt, begeht folglich nur dann einen Diebstahl, (7)
wenn es ihm darauf ankommt (bitte § 2 4 2 (1) lesen und ergänzen!)
LE 15 (1) (4) (5) (6)
Vorsatz
241
Vorsatzes (2) Absichtsdelikte (3) will Absicht, dieselbe (d.h. Sache) sich rechtswidrig zuzueignen Begünstigung, Betrug und Urkundenunterdrückung: Ja! Sachbeschädigung: Nein! darauf ankommt (7) dieselbe sich rechtswidrig zuzueignen
Mit der Zueignungsabsicht u.a. beim Diebstahl sind Sie in dieser LE nicht zum ersten Mal konfrontiert worden. Die Zueignungsabsicht ist Ihnen erstmals in der LE 8 im Rahmen der Gegenüberstellung von objektiven und subjektiven Tatbestandsmerkmalen begegnet. (1) Sie hatten gelernt, daß die Zueignungsabsicht ein Tatbestandsmerkmal ist. Daran hat sich nichts geändert. Die Absicht beim Diebstahl und bei allen anderen Delikten (2) mit ü tendenz ist subjektives Tatbestandsmerkmal. Sie gehört also zu den Bausteinen des tatbestandlichen Unrechts und ist daher aufbau(3) mäßig unter I / II / III zu prüfen. Etwas anderes gilt für die Schuldform Vorsatz (bedingter Vorsatz, Wissentlichkeit, Absichtlichkeit). Die Schuldform Vorsatz ist ein Schuldelement und aufbaumäßig daher (4) unter I / II / III zu prüfen. Halten Sie somit fest! Psychologisch besteht zwischen der „Absicht" bei den Absichtsdelikten und der Schuldform „Absichtlichkeit" kein Unterschied. Die Definition der Absichtlichkeit gilt daher (5) auch für die Absicht bei den delikten. Wesens- und somit auch aufbaumäßig gehört die Absicht bei den Absichtsdelikten aber zu (6) den subjektiven Tatbestandsmerkmalen und ist daher auf der Stufe der zu prüfen. Dagegen ist der Vorsatz als Schuldform (bedingter Vorsatz, Wissent(7) lichkeit, Absichtlichkeit) auf der Stufe der zu untersuchen. Übersicht
242
Vorsatz
LE 15
(1) subjektives (2) überschießender Innentendenz (3) I (4) III (5) Absichtsdelikten (6) Tatbestandsmäßigkeit (7) Schuld
ZUSAMMENFASSUNG A Vorsatz Vorsatz ist die Schuldform der Vorsatz delikte. Vorsätzlich handelt, wer einen Sachverhalt verwirklichen will, der einem gesetzlichen Tatbestand entspricht. Der Vorsatz muß sämtliche objektiven Tatbestandsmerkmale dieses Delikts umfassen. 1 Die Komponenten des Vorsatzes Der Vorsatz besteht aus zwei Komponenten, der Wissenskomponente und der Wollenskomponente. Die Vorsatzdefinition des Lernprogramms erwähnt ausdrücklich nur die Wollenskomponente. Die Wissenskomponente ist in der Wollenskomponente aber denknotwendig mitenthalten. 2 Die Bewußtheitsgrade des Vorsatzes Die Lehre unterscheidet zwei Bewußtheitsgrade des Vorsatzes, das aktuelle Wissen und das Mitbewußtsein. Von aktuellem Wissen spricht man, wenn der Täter an die Verwirklichung des Tatbestandes oder eines bestimmten Tatbestandsmerkmals explizit gedacht hat. Von Mitbewußtsein spricht man, wenn dem Täter die Verwirklichung eines bestimmten Tatbestandsmerkmals entweder aus den Begleitumständen oder jedenfalls latent bewußt war. Das Mitbewußtsein ist die Untergrenze dessen, was von der Wissenskomponente her gesehen noch als Vorsatz bezeichnet werden kann. Jenseits des Mitbewußtseins beginnt die (unbewußte) Fahrlässigkeit. 3 Die Stärkegrade des Vorsatzes Das StGB unterscheidet drei Stärkegrade des Vorsatzes , bedingter Vorsatz (= dolus eventualis), Wissentlichkeit und Absichtlichkeit. Der unterste Stärkegrad des Vorsatzes ist der bedingte Vorsatz. Bedingt vorsätzlich handelt, wer es ernstlich für möglich hält, daß er einen Sachverhalt verwirklicht, der einem gesetzlichen Tatbestand entspricht und sich damit abfindet.
15
Vorsatz
243
Der bedingte Vorsatz ist die Untergrenze dessen, was von der Wollenskomponente her gesehen noch als Vorsatz bezeichnet werden kann. Jenseits des bedingten Vorsatzes beginnt die (bewußte) Fahrlässigkeit. Der mittlere Stärkegrad des Vorsatzes ist die Wissentlichkeit. Wissentlich handelt, wer weiß oder als sicher voraussieht, daß er einen Umstand verwirklicht, für den das Gesetz wissentliches Handeln voraussetzt. Was man als sicher voraussieht, ist ebenfalls gewollt. Der intensivste Stärkegrad des Vorsatzes ist die Absichtlichkeit. Absichtlich handelt, wem es darauf ankommt, einen Umstand zu verwirklichen, für den das Gesetz absichtliches Handeln voraussetzt. Beispiele: Bei der Störung einer Bestattungsfeier (§ 167 a) setzt das Gesetz bezüglich der Störung „Absichtlichkeit" oder „Wissentlichkeit" voraus. Bezüglich der übrigen Tatbestandsmerkmale genügt dolus eventualis. Vgl. weiter § 134; § 144; § 145 (1) und (2); § 225 (1); § 258 (1) und (2); § 344 (1) und (2). Statt „wissentlich" verwendet das StGB gelegentlich auch den Begriff „wider besseres Wissen". Beispiele: § 145 d; § 164 (1); § 187; § 278. Für die weitaus meisten Vorsatzdelikte genügt bedingter Vorsatz. Soweit bei einzelnen Delikten ein über den bedingten Vorsatz hinausgehender Stärkegrad des Vorsatzes verlangt wird, ergibt sich dies in der Regel ausdrücklich aus der gesetzlichen Formulierung des Delikts. Zusammenfassende Obersicht über den Vorsatz und seine Komponenten
244
Vorsatz
LE 15
B Absichtsdelikte Absichtsdelikte (Synonym: Delikte mit überschießender Innentendenz) nennt man jene Delikte, bei denen der Täter mit einer bestimmten, über die Verwirklichung des gesetzlichen Tatbestandes hinausreichenden („überschießenden") Absicht handeln muß. Daß der vom Täter angestrebte Erfolg auch tatsächlich erreicht wird, gehört nicht mehr zum Tatbestand des Absichtsdelikts. Für die Verwirklichung des Diebstahls (§ 242 (1)) ist daher nicht erforderlich, daß die vom Täter angestrebte Zueignung tatsächlich eintritt. Erforderlich und genügend ist es, daß er bei der Wegnahme der fremden beweglichen Sache in dieser Absicht gehandelt hat. Im StGB gibt es zahlreiche Absichtsdelikte. Meist formuliert das Gesetz: „Wer in der Absicht
".
Beispiele: Diebstahl (§ 242 (1)); Raub (§ 249 (1)); Begünstigung (§ 257 (1)); Betrug (§ 263 (1)). Manchmal verwendet das StGB auch gleichbedeutende Formulierungen: „um z u " (z.B. §§ 253 (1); 259 (1)) oder „zur Täuschung im Rechtsverkehr" (z.B. §§ 267 (1), 268 (1)). Im Gegensatz zur Schuldform „Absichtlichkeit" ist die „Absicht" bei den Absichtsdelikten ein subjektives Tatbestandsmerkmal und aufbaumäßig daher nicht unter III, sondern bereits unter I zu prüfen. C Der Streit über die Stellung des Vorsatzes Eine berühmte Streitfrage lautet: Ist der Vorsatz wirklich nur Schuldform oder ist er ebenfalls subjektives Tatbestandsmerkmal wie die Absicht bei den Absichtsdelikten? Nach der traditionellen Auffassung in Praxis und Lehre ist der Vorsatz ein Element der Schuld. Dieser Ansicht folgt auch das Lernprogramm. Eine maßgebliche Richtung der modernen Lehre rechnet den Vorsatz dagegen zu den Elementen des Unrechts. Konsequenterweise wird dann der Vorsatz als subjektives Tatbestandsmerkmal aufgefaßt und bereits unter I geprüft (wie die Absicht bei den Absichtsdelikten). Die wissenschaftliche Begründung beider Ansichten liegt außerhalb der Zielsetzung dieses Lernprogramms. Die praktische Bedeutung dieses Meinungsstreites wird o f t überschätzt.
TE 15
Testfragen zur LE 15
245
3.1
Tragen Sie die einzelnen Schuldelemente der Vorsatzschuld in das Schaubild ein!
1.1
„Vorsätzlich" handelt, wer (bitte ergänzen!)
2.1
Welcher Bewußtheitsgrad des „Wissens" liegt vor bei 1. automatisierten Handlungen (Schalten, Kuppeln, Bremsen etc. beim Autofahren)?
2. impulsiven Handlungen?
3. Abgabe eines gezielten Schusses auf einen Menschen?
1.2
Nennen Sie die drei Stärkegrade des Vorsatzes!
1.3
Mit „bedingtem Vorsatz" (= „d,
") handelt, wer (bitte ergänzen!)
246 2.2
Testfragen
TE 15
A wirft einen Teller aus dem Fenster auf die belebte Straße. Er sagt sich: „Wird jemand getroffen, hat er eben Pech gehabt". B ist der Pechvogel. Ihm fällt der Teller auf den Kopf. 1. A hat die Körperverletzung des B (§ 223 (1)) absichtlich / wissentlich / mit bedingtem Vorsatz begangen. Begründen Sie Ihre Entscheidung!
2. Ihr Kommilitone ist der Meinung, daß A wegen Körperverletzung (§ 223 (1)) nur dann bestraft werden kann, wenn er die Tat „wissentlich" begangen hat. Ist diese Ansicht richtig?
2.3
Um seine Frau loszuwerden, schickt M ihr per Post eine Höllenmaschine zu. M geht „auf Nummer sicher"; denn die Sprengwirkung ist groß genug, um das ganze Haus in Schutt und Asche zu legen. In der Villa befindet sich neben der Gattin auch M's gelähmte und ständig bettlägerige Schwiegermutter. ,,Hoffentlich ist nicht auch noch zufällig das Hausmädchen anwesend, wenn der Sprengsatz detoniert", denkt M. „Aber selbst wenn es so sein sollte, kann ich es auch nicht ändern". Tatsächlich finden neben der Ehefrau auch die Schwiegermutter und die Hausperle bei der Detonation der Bombe den Tod. 1. Geben Sie jeweils den Stärkegrad des Tötungsvorsatzes des M an: a) Bezüglich der Ehefrau: bedingter Vorsatz / Wissentlichkeit / Absichtlichkeit. b) Bezüglich der Schwiegermutter: bedingter Vorsatz / Wissentlichkeit / Absichtlichkeit. 2. Bezüglich des Hausmädchens verteidigt sich M damit, daß er zumindest ihren Tod nicht gewollt habe und insoweit nicht wegen eines vorsätzlichen Tötungsdelikts bestraft werden könne. Wird M mit dieser Verteidigung Erfolg haben? J a / Nein Begründung:
1.4
Kann das Delikt des § 145 (1) auch mit bedingtem Vorsatz begangen werden? J a / Nein Begründung:
TE 15
Testfragen
247
1.5
„Absichtsdelikte" oder „Delikte mit überschießender Innentendenz" sind Delikte, welche voraussetzen, (bitte ergänzen!)
2.4
Lesen Sie das Delikt des räuberischen Diebstahls (§ 252)! Handelt es sich bei diesem Delikt um ein Absichtsdelikt? J a / Nein Begründung:
1.6
Das Handeln „um sich im Besitz des gestohlenen Gutes zu erhalten" (§ 252) charakterisiert die spezifische bei diesem Delikt. Es handelt sich dabei um die Schuldform / das subjektive Tatbestandsmerkmal dieses Delikts. Die Absicht ist bei den Absichtsdelikten stets auf der Stufe der Tatbestandsmäßigkeit / Rechtswidrigkeit / Schuld zu prüfen. Dagegen ist nach der im Lernprogramm zugrundegelegten Lehrmeinung der Vorsatz eine form und daher auf der Stufe I / II / III zu prüfen.
2.5
Drei Rocker der Hamburger Bande „Exis" (= bürgerliche Nichtrocker) Fuhlsbüttler Straße einen einsamen kenhaus stellt sich heraus, daß der Auge eingebüßt hat.
„Blue Devils" haben sich vorgenommen, in Barmbeck zu „ticken". Gegen 23.00 Uhr schlagen sie auf der Passanten mit Fahrradketten zusammen. Im KranÜberfallene durch die Schläge die Sehkraft auf einem
Lesen Sie bitte § 225 (1) i.V.m. § 224 (1)! 1. Bezüglich der Herbeiführung des Verlustes des Sehvermögens genügt dolus eventualis / genügt dolus eventualis nicht. 2. Können die drei Rocker gemäß § 225 (1) i.V.m. § 224 (1) wegen „Beabsichtigter schwerer Körperverletzung" bestraft werden? J a / Nein Begründung:
Literatur: Zum Vorsatz vgl. Baumann aaO. § 26 II 1 - 3 , III; Mezger-Blei aaO. § 62, § 63 und § 64 VI; Stratenwerth aaO. Rdnrn. 2 6 1 - 2 7 9 und 3 0 3 - 3 3 0 ; Wessels aaO. § 7 I I - I I I . Ausführlich Jescheck aaO. § 29 I—III; Maurach aaO. § 22 II B, III A—B. Zum Streit über die Stellung des Vorsatzes vgl. einerseits Jescheck aaO. § 24 III, andererseits Mezger-Blei aaO. § 33 VII; Kienapfel J Z 1972 575 f.
248
Antworten
TE 15
3.1
Von o. nach u.: 0 Schuldfähigkeit 1. Vorsatz 2. Unrechtsbewußtsein 3. keine Entschuldigungsgründe
1.1
Vorsätzlich handelt, wer einen Sachverhalt verwirklichen will, der einem gesetzlichen Tatbestand entspricht.
2.1
1. Mitbewußtsein 2. meist Mitbewußtsein 3. aktuelles Wissen
1.2
1. Bedingter Vorsatz 2. Wissentlichkeit 3. Absichtlichkeit
1.3
Mit „bedingtem Vorsatz" (= „dolus eventualis") handelt, wer es emstlich für möglich hält, daß er einen Sachverhalt verwirklicht, der einem gesetzlichen Tatbestand entspricht und sich damit abfindet.
2.2
1. Mit bedingtem Vorsatz. Denn er hat die Körperverletzung eines anderen ernstlich für möglich gehalten und sich mit ihr abgefunden. 2. Nein! Nach allgemeiner Regel genügt auch für das Delikt der Körperverletzung dolus eventualis (o.a.).
2.3
1. a) Absichtlichkeit (!) b) Wissentlichkeit (!) 2. Nein! M hat die Tötung des Hausmädchens ernstlich für möglich gehalten und sich damit abgefunden („Ich kann es auch nicht ändern"). M hat also mit bedingtem Vorsatz gehandelt. Für die Bestrafung wegen eines Tötungsdelikts genügt bedingter Vorsatz.
1.4
Nein! Weil das Gesetz ausdrücklich „Absichtlichkeit" oder „Wissentlichkeit" fordert (o.a.).
1.5
„Absichtsdelikte" oder „Delikte mit überschießender Innentendenz" sind Delikte, welche voraussetzen, daß der Täter mit einer bestimmten über die Verwirklichung des gesetzlichen Tatbestandes hinausreichenden Absicht handelt (o.a.).
2.4
J a ! Der Täter muß handeln, „um sich im Besitz des gestohlenen Gutes zu erhalten", d.h. er muß mit einer über die Verwirklichung des gesetzlichen Tatbestandes hinausreichenden Absicht handeln (o.a.).
1.6
Absicht; das subjektive Tatbestandsmerkmal; Tatbestandsmäßigkeit; Schuldform; Stufe III
2.5
1. genügt dolus eventualis nicht 2. Nein! „Absichtlich" handelt, wem es darauf ankommt, den Umstand zu verwirklichen, für den das Gesetz absichtliches Handeln voraussetzt. Aus dem Sachverhalt ergibt sich nichts dafür, daß es den drei Rockern darauf angekommen wäre, dem Opfer ein Auge auszuschlagen (o.ä.). Es bleibt daher bei der Bestrafung der Rocker gemäß § 224 (1).
LE 16
TATBESTANDSIRRTUM
249
L e r n z i e 1 : Man bezeichnet den Tatbestandsirrtum als „Kehrseite des Vorsatzes". Nach dieser LE sollen Sie verstehen, warum. Sie werden Begriff, Bedeutung und Rechtsfolgen des Tatbestandsirrtums kennenlernen und sollen bei entsprechenden Sachverhalten Tatbestandsirrtümer „diagnostizieren"
können.
Fall 1: Im „Schwärzloch" sitzt Gotthelf Lämmle aus Tübingen mit seinem Freunde beim „ Viertele". Der Strümpfelbacher Trollinger löst ihm allmählich die Zunge: „Jetzt han e emmer gmoint, bei meiner Lina sei's Leidaschaft, drweil isch's bloß Aschtma". (1) Lämmle irrte. Er hatte eine
Vorstellung von der Wirklichkeit.
Fall 2: Susanne läuft über eine Wiese. Plötzlich stolpert sie über einen unauffällig ten Draht und liegt auf der Nase.
gespann-
Susanne hatte überhaupt keine Vorstellung von dieser Wirklichkeit. Auch wer überhaupt keine Vorstellung von der Wirklichkeit hat, irrt. Wer keine oder eine falsche Vorstellung von der Wirklichkeit hat, befindet sich in einem (2)
Fall 3: Wüstling stürzt sich hinterrücks auf eine langmähnige Blondine, um ihr Gewalt anzutun (= Vergewaltigung i.S.d. § 177(1)). Er irrte. Die Blondine erwies sich als Blondel. (3) Wüstling hat sich geirrt, weil (bitte ergänzen!)
Fall 4: Dickhoff (D) fährt mit seinem Sechzehntonner von Kettwig nach Düsseldorf. Als er bei Schloß Hugenpoet eine Baustelle passiert, wirbeln die Zwillingsreifen Kieselsteine auf. Dadurch geht die Frontscheibe des nachfolgenden PKW zu Bruch. Dessen Lenker bleibt aber unverletzt. D merkt von alldem nichts. (4) D hat eine fremde Windschutzscheibe zerstört und damit den Tatbestand des § (5) erfüllt. Rechtfertigungsgründe kommen in Betracht / kommen nicht in Betracht. (6) Das Problem des Falles liegt allein im Subjektiven. D hat gewußt / nicht gewußt, daß (bitte ergänzen!)
(7) D befand sich in einem beschädigung überhaupt
weil er bezüglich der von ihm verursachten SachVorstellung von der Wirklichkeit hatte.
(8) Ein Irrtum liegt vor, wenn jemand keine oder eine falsche (bitte ergänzen!)
Tatbestandsirrtum
250 (1) (3) (5) (7)
LE 16
falsche (unrichtige o.a.) (2) Irrtum er eine falsche Vorstellung von der Wirklichkeit hatte (4) § 3 0 3 (1) nicht in Betracht (6) nicht gewußt, daß er eine fremde Sache zerstört (o.a.) Irrtum; keine (8) Vorstellung von der Wirklichkeit hat
In der Dämmerung glaubt der kurzsichtige Jäger Hubertus (H), auf ein Reh zu Das „Reh" war in Wirklichkeit der Pilzsammler Parasol. Parasol ist tot.
schießen.
(1) Damit ist der gesetzliche Tatbestand / der Tatbestand des § 2 1 2 ( 1 ) erfüllt. Da keine (2) Rechtfertigungsgründe ersichtlich sind, ist die Tat auch Auch bei diesem Fall liegt das Problem im Subjektiven. (3) Da H keine Vorstellung / ein falsche Vorstellung von der Wirklichkeit hatte, befand er sich offenkundig in einem Betrachten wir den Fall noch von einer anderen Seite. Hat H vorsätzlich gehandelt? Um diese Frage zu beantworten, will ich zunächst die Definition des Vorsatzes in Ihre Erinnerung zurückrufen: (4) Vorsätzlich handelt, wer einen Sachverhalt entspricht.
, der einem
(5)
Hat H einen Sachverhalt verwirklichen wollen, der dem gesetzlichen Tatbestand des § 212 (1) entspricht? J a / Nein Begründung:
(6)
Folglich hat H vorsätzlich gehandelt / nicht vorsätzlich gehandelt. Sie haben soeben zwei bedeutsame Feststellungen getroffen: 1. H hat sich geirrt. 2. H hat nicht vorsätzlich gehandelt. Es lohnt sich, beide Feststellungen zu überdenken. Denn bei beiden handelt es sich, genau besehen, um ein und dieselbe Sache:
Wer nicht weiß, daß er einen Sachverhalt verwirklicht, der dem gesetzlichen Tatbestand (7) eines Delikts entspricht, handelt nicht weil er sich in einem befindet. Ein solcher Irrtum verhüllt dem Täter die Tatbestandsmäßigkeit seiner Handlung. Das StGB bezeichnet diesen Irrtum als Irrtum über Tatumstände (bitte lesen Sie die Überschrift zu § 16!). In Rechtsprechung und Lehre hat sich der Begriff Tatbestandsirrtum eingebürgert. Ein Tatbestandsirrtum ( = Irrtum über Tatumstände) liegt vor, wenn der Täter nicht erkennt, daß er einen Sachverhalt verwirklicht, der einem gesetzlichen Tatbestand entspricht.
251
Tatbestandsirrtum
L E 16
(1) Beide Antworten sind richtig. Denn bei § 212 (1) sind Tatbestand und gesetzlicher Tatbestand
identisch.
(2) rechtswidrig (3) eine falsche Vorstellung; Irrtum (4) verwirklichen will; gesetzlichen Tatbestand (5) Nein! Weil man nicht wollen kann, was man nicht weiß. H hat nicht gewußt (und daher auch nicht gewollt), daß er einen Sachverhalt verwirklicht, der dem gesetzlichen Tatbestand des § 212 (1) entspricht (o.a.). (6) nicht vorsätzlich (7) vorsätzlich; Irrtum
Wer wissentlich und willentlich einen Sachverhalt verwirklicht, der dem gesetzlichen Tatbeil)
stand eines Delikts entspricht, handelt vorsätzlich und befindet sich daher in einem / in keinem Tatbestandsirrtum.
(2)
Die Lehre vom
irrtum ist somit nichts anderes als ein Stück Vor-
satzlehre — nur mit umgekehrtem Vorzeichen. Das eine ist die Kehrseite, die Negation des anderen. Eins schließt das andere aus: Entweder weiß der Täter vom Vorliegen eines Sachverhalts, der dem gesetzlichen Tatbestand (3)
eines bestimmten Delikts entspricht. Dann handelt er
und irrt sich nicht.
(4)
Oder er weiß es nicht. Dann handelt er nicht vorsätzlich, weil er sich in einem
-
irrtum befindet. Das steht in § 16 (1) Satz 1. Bitte lesen! (5)
Ein Tatbestandsirrtum schließt den
(6)
aus. Vorsatz schließt einen
-
aus. Es ist wie bei einer Münze. Sie präsentiert sich immer nur von einer Seite: entweder — oder. Weil das so ist, hätte es der Regelung des § 16 (1) Satz 1 nicht unbedingt bedurft. Denn das Wesen des Tatbestandsirrtums ergibt sich bereits mittelbar aus der Definition
(7) des Zur Definition des Tatbestandsirrtums verwenden Sie daher die Vorsatzdefinition des Lernprogramms — nur mit umgekehrtem Vorzeichen! Definieren Sie! (8)
Ein Tatbestandsirrtum liegt vor, wenn der Täter daß er einen
verwirklicht, der einem entspricht.
(9)
§ 16 (1) Satz 1 stellt ausdrücklich klar, daß es hierfür schon genügt, wenn der Täter nicht kennt, der zum
(10)
gehört.
Genau genommen ist der Tatbestandsirrtum die Kehrseite der W
komponente
des Vorsatzes. Anders ausgedrückt: Solange diese Vorsatzkomponente, sei es als aktuelles (11)
Wissen, sei es als
zu bejahen ist, kommt ein Tatbestandsirrtum in Betracht.
252
Tatbestandsirrtum (I) (4) (8) (9) (II)
LE 16
in keinem Tatbestandsirrtum (2) Tatbestandsirrtum (3) vorsätzlich Tatbestandsirrtum (5) Vorsatz (6) Tatbestandsirrtum (7) Vorsatzes nicht erkennt; Sachverhalt; gesetzlichen Tatbestand einen Umstand; gesetzlichen Tatbestand (10) Wissenskomponente Mitbewußtsein; nicht
Sowohl Vorsatz als auch Tatbestandsirrtum beziehen sich ausschließlich auf die Verwirklichung eines Sachverhalts, der einem gesetzlichen Tatbestand entspricht und damit auf (1) die Kategorie der Tatbestandsmerkmale.
(2)
Dabei ist es gleichgültig, ob der Täter die Verwirklichung eines, mehrerer oder sämtlicher objektiver Tatbestandsmerkmale des gesetzlichen Tatbestands verkennt. Gemäß § läßt schon der Irrtum über ein einziges Tatbestandsmerkmal / nur der Irrtum über sämtliche Tatbestandsmerkmale den Vorsatz entfallen.
Über die Verwirklichung welches objektiven Tatbestandsmerkmals des § 212 (1) hat sich (3) unser Jäger Hubertus geirrt?
(4) Dieser Irrtum ist ein (5) Ein derartiger Irrtum läßt den V
irrtum. entfallen.
Blättern Sie bitte zurück auf S. 249, Fall 4! Auch Dickhoff hat sich im Hinblick auf die Verwirklichung des § 303 (1) in einem Tatbestandsirrtum befunden. (6) Worüber hat er sich geirrt?
Wenden wir uns nunmehr den Rechtsfolgen des Tatbestandsirrtums zu. In diesem Zusammenhang interessiert vor allem die Frage, ob überhaupt und gegebenenfalls wie derjenige bestraft wird, der sich bei Begehung der Tat in einem Tatbestandsirrtum befunden hat. Lesen Sie bitte § 16 (1) Satz 1 erneut! (7) Jeder Tatbestandsirrtum schließt den aus. Mit dem Vorsatz entfällt die Vorsatzschuld. Ohne Vorsatzschuld gibt es keine Strafe wegen eines Vorsatzdelikts. Mithin besteht die Rechtsfolge des Tatbestandsirrtums letztlich darin, daß eine Bestrafung (8) ywegen eines Vorsatzdelikts möglich / ausgeschlossen ist. Bitte merken! Damit ist aber noch längst nicht gesagt, daß der Täter überhaupt nicht bestraft werden kann.
LE 16 (1) (2) (3) (6)
Tatbestandsirrtum
253
objektiven § 1 6 ( 1 ) Satz 1; schon der Irrtum über ein einziges Tatbestandsmerkmal („Umstand") über das Merkmal „ein Mensch" (4) Tatbestandsirrtum (5) Vorsatz Darüber, daß er „eine fremde Sache zerstört" (o.a.) (7) Vorsatz (8) ausgeschlossen
Lesen Sie bitte § 16 (1) Satz 2! Die Formulierung „bleibt unberührt" bedeutet: In allen Fällen eines Tatbestandsirrtums muß man sich die Frage stellen, ob nicht wenigstens eine Bestrafung wegen fahrlässiger Tat übrigbleibt! Daß eine Bestrafung wegen fahrlässiger Tat wirklich „übrigbleibt", ist möglich, aber nicht ohne weiteres der Fall. Dies ergibt sich aus folgender Überlegung. Die Bestrafung wegen fahrlässiger Tat setzt stets zweierlei voraus: Erstens: Ein entsprechendes Fahrlässigkeitsdelikt muß im Gesetz überhaupt vorgesehen (1) sein. Das trifft, wie bereits § 15 andeutet, in vielen Fällen / nur in wenigen Fällen zu. Zweitens: Der Täter muß tatsächlich fahrlässig gehandelt haben. Er hat fahrlässig gehandelt, wenn sein Irrtum auf Fahrlässigkeit beruht. Aber: Längst nicht alle Tatbestandsirrtümer beruhen auf Fahrlässigkeit. Kann der Jäger Hubertus wegen fahrlässiger Tat bestraft werden ? Beachten Sie, daß sich Ihre Überlegungen in solchen Fällen stets aus zwei gedanklichen Etappen zusammensetzen! Erstens: Gibt es für diese Tat überhaupt ein entsprechendes Fahrlässigkeitsdelikt? (2) J a / Nein Wenn ja, welches?
Zweitens: Beruht der Irrtum des H auf Fahrlässigkeit? Diese Frage ist im Ergebnis zu bejahen. Die Einzelheiten wollen wir bis zur Behandlung der Fahrlässigkeitsdelikte zurückstellen. Muß Dickhoff wegen der Zerstörung der fremden Windschutzscheibe Bestrafung wegen fahrlässiger Tat gegenwärtigen? (Die Antwort ergibt sich aus § 303 (1) i.V.m. § 15!) (3) J a / Nein Begründung:
Der Verteidiger eines wegen vorsätzlicher Tat Beschuldigten wendet vor Gericht mit Vorliebe ein, daß sich sein Mandant in einem Tatbestandsirrtum befunden habe. Dies ist aus verschiedenen Gründen ein recht geschickter Schachzug. (4) Nennen Sie einen Grund!
254
Tatbestandsirrtum
LE 16
(1) nur in wenigen Fällen (2) Ja! Neben dem Totschlag (§ 212 (1)) gibt es mit Rücksicht auf die Ranghöhe des Rechtsguts des Lebens ein entsprechendes Fahrlässigkeitsdelikt: § 222 = fahrlässige Tötung. (3) Nein! Sachbeschädigung ist nur bei vorsätzlichem Handeln strafbar. (4) 1. Weil es im StGB nur wenige Fahrlässigkeitsdelikte gibt. Gibt es keins, ist der Mandant schon deshalb straflos. 2. Weil immer noch die Frage bleibt, ob der Irrtum tatsächlich auf Fahrlässigkeit beruht. 3. Weil das Fahrlässigkeitsdelikt stets milder bestraft wird als das Vorsatzdelikt (prinzipiell niedrigere Strafrahmen!). 4. Weil man dem Täter die Behauptung, er habe sich in einem Tatbestandsirrtum befunden, oft nicht widerlegen kann. Man kann ja nicht in ihn hineinsehen.
Es gibt zahlreiche Arten objektiver Tatbestandsmerkmale (= „Umstände" i.S.d. § 16 (1) Satz 1) bei den einzelnen Delikten. Dementsprechend vielgestaltig sind die Möglichkeiten des Irrtums. Ein solcher Irrtum kann sich z.B. auf die „Tathandlung", das „Tatobjekt", den „Kausalverlauf", den „Erfolg", die „Tatmodalitäten" etc. beziehen. (1)
In der Regel handelt es sich bei derartigen Irrtümern um irrtümer. Besonderheiten gelten aber für den „Irrtum über das T a t o b j e k t " und den „Irrtum über den Kausalverlauf". Zunächst zum Irrtum über das Tatobjekt. Man nennt ihn auch error in persona vel objecto. Beispiel 1: Unser Fall vom Jäger Hubertus! Er glaubt, auf ein Reh zu schießen. vermeintlichen Rehs trifft er den Pilzsammler Parasol tödlich.
Statt des
(2) Hubertus hat auf das Tatobjekt „Sache" gezielt, aber das Tatobjekt getroffen.
"
(3) Dieser Irrtum über das Tatobjekt ist ein Tatbestandsirrtum, weil (bitte ergänzen!)
Beispiel 2: Miguel will seinen Feind Juan erschießen, verwechselt heit mit seinem Freund Sancho. Sancho ist sofort tot. (4) Auch Miguels Irrtum ist ein Irrtum über das spiel 1 ist dieser Irrtum aber kein Tatbestandsirrtum.
ihn aber in der DunkelIm Gegensatz zum Bei-
(5) Bitte lesen Sie § 212 (1) u n d begründen Sie, warum!
(6) Wir halten also zunächst fest, daß jeder Irrtum über das Tatobjekt / nicht jeder Irrtum über das Tatobjekt auch zugleich ein ist.
LE 16 (1) (3) (4) (5) (6)
255
Tatbestandsirrtum Tatbestandsirrtümer (2) H nicht gewußt hat, daß er Tatobjekt Tatobjekt des § 2 1 2 (1) ist nicht jeder Irrtum über das
„Mensch" „einen Menschen" tötet und dies daher auch nicht gewollt hat (o.a.) „ein Mensch". Einen „Menschen" hat Miguel auch töten wollen (o.a.). Tatobjekt; Tatbestandsirrtum
Der Grund dafür, daß im Beispiel 2 der Irrtum über die Identität des Opfers zwar ein Irrtum über das Tatobjekt, aber kein Tatbestandsirrtum ist, liegt in folgendem: Miguel tötet Sancho und nicht J u a n , den er eigentlich töten wollte. Zum Sachverhalt, den (1) Miguel verwirklichen will, gehört auch / gehört nicht die Identität des Opfers. Aber dem Gesetz (§ 212 (1)) kommt es darauf nicht an. Denn § 212 (1) begnügt sich mit dem allgemeinen Erfordernis, daß der Täter „einen Menschen" tötet. Und genau das hat Miguel tun wollen (und getan). Bei Gleichartigkeit des Tatobjekts berührt ein error in persona vel objecto den Vorsatz (2) nicht. Anders ausgedrückt: Ein solcher Irrtum begründet einen Tatbestandsirrtum / keinen Tatbestandsirrtum. Er ist schlechterdings unbeachtlich. Anders bei Ungleichartigkeit des Tatobjekts. Bei ungleichartigem Tatobjekt schließt ein (3) error in persona vel objecto den
aus.
(4) Ein solcher Irrtum ist ein (5) Im Beispiel 1 ist das Tatobjekt (6) Im Beispiel 2 ist das Tatobjekt (7) Ein Tatbestandsirrtum liegt somit nur im Beispiel
artig. artig. vor.
(8) Welche Rechtsfolgen zieht ein Tatbestandsirrtum nach sich? (Sie ergeben sich aus § 16 (1)!)
Nach welcher Vorschrift ist zu bestrafen (9) Hubertus im Beispiel 1?
(10) Miguel im Beispiel 2?
A will die preisgekrönte Rotbunte Berta des E von der Weide stehlen. In der erwischt er stattdessen die euterschwache Franziska.
Dunkelheit
Ist A wegen Diebstahls gemäß § 242 (1) zu bestrafen? (Beschränken Sie sich auf den Irrtumsaspekt!) (11) J a / Nein Begründung:
256
Tatbestandsirrtum
LE 16
(I) gehörtauch (2) keinen Tatbestandsirrtum (3) Vorsatz (4) Tatbestandsirrtum (5) ungleichartig (6) gleichartig (7) im Beispiel 1 (8) Eine Bestrafung wegen des Vorsatzdelikts entfällt (o.a.). Doch erfolgt eine Bestrafung wegen fahrlässiger Tat, wenn es ein entsprechendes Fahrlässigkeitsdelikt gibt und der Täter fahrlässig gehandelt hat. (9) H gemäß § 222, wenn H fahrlässig gehandelt hat (10) M gemäß § 212 (1) (II) Ja! Es handelt sich um einen error in persona vel objecto bei gleichartigem Tatobjekt. Ein solcher Irrtum ist kein Tatbestandsirrtum. Er schließt den Vorsatz des A nicht aus (o.a.). Anders ausgedrückt: Der Wortlaut des § 2 4 2 ( 1 ) zeigt, daß es auf die Identität des Tatobjekts nicht ankommt. Das Gesetz fordert nur „die Wegnahme einer fremden beweglichen Sache". Eine solche hat A weggenommen. Diesen Sachverhalt hat A auch verwirklichen wollen.
Wenden wir uns nunmehr dem Irrtum über den Kausalverlauf zu. Beim Irrtum über den Kausalverlauf weicht der vorgestellte Kausalverlauf vom wirklichen Kausalverlauf mehr oder weniger ab. Beispiel 3: A stößt den B von der Kölner Severinsbrücke, um ihn zu ertränken. den Pylon der Hängebrücke. Sein Tod tritt bereits durch Genickbruch ein.
B prallt auf
(1) Begründen Sie, warum es sich bei diesem Beispiel um einen Irrtum über den handelt!
-
(2) Der Kausalverlauf (= Kausalzusammenhang) ist ein Tatbestandsmerkmal der Tätigkeitsdelikte / Erfolgsdelikte. Man müßte daher eigentlich annehmen, daß der (3) Irrtum über den Kausalverlauf unzweifelhaft ein Fall des irrtums wäre. Diese Annahme hätte zur Folge, daß schon bei der geringsten Abweichung des wirklichen (4) Kausalverlaufs vom vorgestellten infolge eines Tatbestandsirrtums der Vorsatz wäre. Da man den wirklichen Kausalverlauf aber fast nie in allen Einzelheiten antizipieren kann, würde das dazu führen, daß die Bestrafung wegen vorsätzlicher Tat in den meisten Fällen illusorisch würde. Dies wäre kriminalpolitisch unerträglich. (5) Daher gelten unwesentliche Abweichungen des Kausalverlaufs vom vorgestellten von vornherein als strafrechtlich unbeachtlich und berühren den Vorsatz des (6) Täters Noch weniger begründen sie einen irrtum. (7)
Folglich ist A im Beispiel 3 wegen vorsätzlicher Tötung (= § 212 (1)) zu bestrafen / nicht zu bestrafen.
Halten Sie fest! Unwesentliche Abweichungen des wirklichen vom vorgestellten Kausalverlauf gelten als strafrechtlich unbeachtlich. (8) Sie begründen daher irrtum.
257
Tatbestandsirrtum
LE 16
(1) Kausalverlauf; A stellt sich vor, daß das Hinabstoßen des B dazu führt, daß B ertrinkt. In Wirklichkeit bricht sich B das Genick (o.a.). (2) objektives; Erfolgsdelikte (3) Tatbestandsirrtums (4) ausgeschlossen (5) wirklichen; nicht (6) Tatbestandsirrtum (7) zu bestrafen (8) keinen Tatbestandsirrtum
Beispiel 4: A stößt den B von der Kölner Severinsbrücke, um ihn zu ertränken. B übersteht den Sturz lebend und rettet sich schwimmend ans Ufer. Dort erschlägt ihn der Blitz. (1) A hatte sich vorgestellt, daß B den Tod durch (2) keit ist der Tod durch
findet. In Wirklicheingetreten.
(3) Eine solche Abweichung des wirklichen vom
Kausalverlauf gilt als
unwesentlich / wesentlich. (4) Maßstab dafür, ob die Abweichung des verlauf wesentlich oder
vom vorgestellten Kausalist, ist die allgemeine Lebenserfahrung.
(5) Der im Beispiel 3 eingetretene Kausalverlauf liegt noch innerhalb / bereits außerhalb der allgemeinen Lebenserfahrung. Beispiel 4 ist anders zu beurteilen. Die Abweichung des wirklichen vom vorgestellten (6) Kausalverlauf liegt gänzlich außerhalb / noch innerhalb der
Mit einem Kausalverlauf, der gänzlich außerhalb der allgemeinen Lebenserfahrung liegt, braucht niemand zu rechnen. Ein solcher Kausalverlauf kann daher auch dem Täter billigerweise nicht mehr als vom Vorsatz umfaßt angelastet werden. Das aber bedeutet: Wesentliche Abweichungen des wirklichen vom vorgestellten Kausalverlauf schließen den Vorsatz aus. (7) Anders ausgedrückt: Wesentliche Abweichungen des
vom begründen einen
-
irrtum. Hat A im Beispiel 4 diesen Erfolg vorsätzlich herbeigeführt? (8) J a / Nein Begründung:
Daher ist A im Beispiel 4 (im Gegensatz zum Beispiel 3) wegen vollendeter vorsätzlicher (9) Tötung zu bestrafen / nicht zu bestrafen. Übrig bleibt aber seine Bestrafung wegen eines versuchten Tötungsdelikts. Halten Sie fest! Wesentliche Abweichungen des wirklichen vom vorgestellten Kausalverlauf gelten als vom (10)
Vorsatz
Sie schließen den Vorsatz u n d damit die
Bestrafung des Täters wegen eines vollendeten Vorsatzdelikts aus.
LE 16
Tatbestandsirrtum
258 (1) (4) (6) (7) (8)
Ertrinken (2) den Blitzschlag (o.a.) (3) vorgestellten; wesentlich wirklichen; unwesentlich (5) noch innerhalb gänzlich außerhalb der allgemeinen Lebenserfahrung wirklichen vom vorgestellten Kausalverlauf; Tatbestandsirrtum Nein! Es handelt sich um eine wesentliche Abweichung des wirklichen vom vorgestellten Kausalverlauf. Sie begründet einen Tatbestandsirrtum i. S. d. § 16 (1) (o.a.). (9) nicht zu bestrafen (10) nicht umfaßt
ZUSAMMENFASSUNG A Wesen des Tatbestandsirrtums Das StGB spricht in der Überschrift zu § 16 ganz allgemein vom Irrtum über Tatumstände. Für die in § 1 6 ( 1 ) geregelten Fälle dieses Irrtums hat sich in Lehre und Praxis der Begriff Tatbestandsirrtum eingebürgert. Ein Tatbestandsirrtum verhüllt dem Täter die Tatbestandsmäßigkeit seiner Handlung. Mithin entfällt der Vorsatz. Der Tatbestandsirrtum ist die Kehrseite, die Negation des Vorsatzes. Entweder handelt der Täter in bezug auf den Sachverhalt, der einem gesetzlichen Tatbestand entspricht, vorsätzlich. Dann irrt er sich nicht. Folglich kommt ein Tatbestandsirrtum nicht in Betracht. Oder aber der Täter handelt bezüglich der Verwirklichung eines solchen Sachverhalts nicht vorsätzlich. Folglich befindet er sich in einem Tatbestandsirrtum. Vorderseite
Kehrseite
Aber beachten Sie bitte! Genau genommen ist der Tatbestandsirrtum nur die Negation der Wissenskomponente des Vorsatzes (und erst infolgedessen des Vorsatzes). Auf diese feine Nuance kommt es an. Das StGB enthält in § 16 keine Definition des Tatbestandsirrtums. Sie ergibt sich aber aus der Vorsatzdefinition des Lernprogramms, indem man diese umkehrt und mit negativem Vorzeichen versieht: Ein Tatbestandsirrtum liegt vor, wenn der Täter nicht erkennt, daß er einen Sachverhalt verwirklicht, der einem gesetzlichen Tatbestand entspricht. § 16 (1) Satz 1 stellt ausdrücklich klar, daß es bereits genügt, wenn sich der Täter auch nur über „einen Umstand", d.h. über ein einziges objektives Tatbestandsmerkmal eines gesetzlichen Tatbestands irrt.
16
Tatbestandsirrtum
259
B Rechtsfolgen des Tatbestandsirrtums Mit den Rechtsfolgen des Tatbestandsirrtums befaßt sich § 16 (1). Der Tatbestandsirrtum schließt den Vorsatz aus (§ 16 (1) Satz 1). Damit entfällt die Möglichkeit der Bestrafung wegen vorsätzlicher Tat. Aber § 1 6 ( 1 ) Satz 2 erklärt ausdrücklich, daß die Strafbarkeit wegen fahrlässiger Tat „unberührt" bleibt. Bei jedem Tatbestandsirrtum ist daher stets an die Möglichkeit einer Bestrafung wegen fahrlässiger Tat zu denken. Voraussetzung für eine solche Bestrafung wegen fahrlässiger Tat ist, 1. daß es ein entsprechendes Fahrlässigkeitsdelikt überhaupt gibt und 2. daß der Irrtum auf Fahrlässigkeit beruht. C Besondere Fälle 1 Irrtum über das Tatobjekt Beim Irrtum über das Tatobjekt (= error in persona vel objecto) ist zu differenzieren: Bei gleichartigem Tatobjekt (z.B. Tötung des B statt des A) berührt ein solcher Irrtum den Vorsatz des Täters nicht (auch B ist „ein Mensch" i.S.d. § 212 (1)) und begründet daher auch keinen Tatbestandsirrtum. Er ist strafrechtlich unbeachtlich. Bei ungleichartigem Tatobjekt (z.B. Tötung des A statt des Rehs) schließt der Irrtum über das Tatobjekt den Vorsatz des Täters aus. Es handelt sich um einen Tatbestandsirrtum. 2 Irrtum über den Kausalverlauf Beim Irrtum über den Kausalverlauf ist danach zu differenzieren, ob es sich um eine „wesentliche" oder um eine „unwesentliche" Abweichung des wirklichen vom vorgestellten Kausalverlauf handelt. Unwesentliche Abweichungen gelten als strafrechtlich unbeachtlich. Sie berühren den Vorsatz nicht und begründen daher auch keinen Tatbestandsirrtum. Wesentliche Abweichungen des wirklichen vom vorgestellten Kausalverlauf gelten dagegen als strafrechtlich beachtlich. Denn sie gelten als vom Vorsatz des Täters nicht umfaßt. Sie bilden einen Fall des Tatbestandsirrtums. Bei einer wesentlichen Abweichung des wirklichen vom vorgestellten Kausalverlauf kommt mithin eine Bestrafung wegen eines vollendeten Vorsatzdelikts nicht in Betracht. Zu erwägen bleibt aber die Bestrafung wegen eines versuchten Vorsatzdelikts. Ob eine Abweichung des wirklichen vom vorgestellten Kausalverlauf wesentlich oder unwesentlich ist, richtet sich danach, ob sie noch innerhalb oder außerhalb der allgemeinen Lebenserfahrung liegt. Als wesentliche Abweichung gilt nur der gänzlich außerhalb der allgemeinen Lebenserfahrung liegende Kausalverlauf.
260
Testfragen zur LE 16
TE 16
2.1
In manchen Lehrbüchern liest man den Begriff „vorsatzausschließender Tatbestandsirrtum". Kritisieren Sie diese Begriffsbildung!
3.1
Stavros Choleros, ein bekannter Reeder, findet im Schlafzimmer eine grün-violett-geblümte Krawatte im Honolululook. „Wer wagt es, mir so etwas Scheußliches zu schenken? " ruft Choleros empört und wirft die Krawatte (die in Wirklichkeit dem Liebhaber seiner Frau gehört) angewidert in das Kaminfeuer. 1. Welcher Tatbestand ist erfüllt?
2. Handelt Stavros Choleros vorsätzlich? J a / Nein Begründung:
3. Über welches Merkmal des betreffenden objektiven Tatbestands hat er sich geirrt?
4. Es handelt sich um einen
irrtum.
5. Beschreiben Sie das Wesen dieses Irrtums durch seine Definition!
1.1
Unter welchen beiden Voraussetzungen kann jemand, der sich in einem Tatbestandsirrtum befindet, doch bestraft werden? 1. 2.
3.2
Kann Stavros Choleros wenigstens wegen fahrlässiger Tat bestraft werden? (Lesen Sie § 303 (1) und § 15!) J a / Nein Begründung:
Testfragen
TE 16
261
2.2
Man sagt: „Die Lehre vom Tatbestandsirrtum ist ein Stück Vorsatzlehre, nur mit umgekehrtem Vorzeichen". Erklären Sie diesen Satz!
2.3
A ist wegen vorsätzlicher Tat angeklagt. In der Hauptverhandlung stellt sich heraus, daß A sich in einem Tatbestandsirrtum befunden hat. Diese Feststellung ist für' den Angeklagten aus mehreren Gründen günstig. Nennen Sie mindestens zwei dieser Gründe!
1.2
Der Tatbestandsirrtum ist in erster Linie die Negation der
2.4
•
Wollenskomponente des Vorsatzes
•
Wissenskomponente des Vorsatzes
Kurz vor dem 2. Durchgang des Damenslaloms sche „Sportsfreund" F heimlich Asche auf die meint, der erstplacierten Deutschen gehört. Er 2. Lauf Bestzeit fährt — weil er in Wirklichkeit hatte.
in Madonna di Campiglio streut der italieniLaufflächen eines Paars Schi, das, wie er kann es kaum fassen, daß diese auch im die Bretter einer anderen Läuferin erwischt
1. In Betracht kommt das Delikt der
(§
)•
2. Worin sehen Sie das Problem dieses Falles auf der Stufe der Schuld?
3. Wie lösen Sie dieses Problem?
262 2.5
Testfragen Dr. Murx verwechselt in der Eile die Injektionsspritzen. dies mit seinem Leben.
TE 16 Der bedauernswerte
Patient
bezahlt
1. Kann Dr. Murx wegen vorsätzlicher Tötung (= § 2 1 2 (1)) bestraft werden? J a / Nein
Begründung:
2. Falls Sie Frage 1 verneint haben: Sehen Sie eine sonstige Möglichkeit, Dr. Murx zu bestrafen? J a / Nein
2.6
Begründung:
Adam will Eva töten und stößt sie von der ,,Steinernen Brücke" in Regensburg in die Donau. Eva stirbt aber nicht, wie Adam angenommen hat, durch Ertrinken, sondern dadurch, daß sie auf einen Pfeiler aufschlägt und dabei eine Schädelbasisfraktur erleidet. 1. Zwar hat Adam Eva getötet. In Betracht kommt Totschlag (§ 2 1 2 (1)). Aber Adam hat sich geirrt. Worüber hat er sich geirrt?
2. Schließt dieser Irrtum den Vorsatz des Adam aus? J a / Nein
2.7
Begründung:
Lösen Sie die folgenden Varianten des Falles 2 . 6 ! 1. Eva ist schon beim Hinabstoßen vor Schreck Herzschlag dahingerafft worden.
über das ihr Bevorstehende
von
einem
Dieser Irrtum schließt den Vorsatz des Adam aus / nicht aus. Adam wird wegen § 2 1 2 (1) bestraft / nicht bestraft, weil (bitte ergänzen!)
2. Eva hat sich zwar bei der „Historischen können, wird aber dort das Opfer eines
Wurstküche" schwimmend Lustmörders.
ans Land
retten
Dieser Irrtum schließt den Vorsatz des Adam aus / nicht aus. Adam wird wegen § 2 1 2 (1) bestraft / nicht bestraft, weil (bitte ergänzen!)
Literatur: Zum Tatbestandsirrtum vgl. Baumann aaO. § 27 I 2; ¡escheck aaO. § 29 V; Maurach aaO. § 23 I—II; Mezger-Blei aaO. § 64 I; Stratenwerth aaO. Rdnrn. 2 8 1 - 3 0 1 .
Antworten
TE 16
263
2.1
Pleonasmus! Jeder Tatbestandsirrtum ist vorsatzausschließend (o.a.).
3.1
1. Sachbeschädigung (§ 303(1)) 2. Nein! Denn er will keinen Sachverhalt verwirklichen, der dem gesetzlichen Tatbestand des § 303 (1) (bzw. dort dem Merkmal fremde Sache) entspricht (o.a.). 3. Uber die „Fremdheit" 4. Tatbestandsirrtum 5. Bei einem Tatbestandsirrtum erkennt der Täter nicht, daß er einen Sachverhalt verwirklicht, der einem gesetzlichen Tatbestand entspricht (o.ä.).
1.1
1. Es muß überhaupt ein entsprechendes Fahrlässigkeitsdelikt existieren. 2. Der Irrtum muß auf Fahrlässigkeit beruhen.
3.2
Nein! Es gibt keine fahrlässige Sachbeschädigung; § 303 (1) i.V.m. § 15.
2.2
Hier sind sehr viele richtige Antworten denkbar. Vergleichen Sie Ihre Antwort dem Sinne nach mit S. 251!
2.3
1. 2. 3. 4.
1.2
Wissenskomponente des Vorsatzes (damit automatisch auch der Wollenskomponente)
2.4
1. Sachbeschädigung (§ 303 (1)) 2. Allgemein: Kommt für F ein Tatbestandsirrtum in Betracht? (o.ä.) Speziell: Problematik des Irrtums über das Tatobjekt (o.a.). 3. Die Schier, die F beschädigen wollte, und die, die er beschädigt hat, sind gleichartig, nämlich „ f r e m d e Sachen" i.S.d. § 303 (1). Ein solcher Irrtum ist kein Tatbestandsirrtum (o.ä.).
2.5
1. Verschiedene Antworten sind möglich und richtig: Nein! Dr. Murx will keinen Sachverhalt verwirklichen, der dem „Töten eines Menschen" ( § 2 1 2 (1)) entspricht. Dieser Tatbestandsirrtum schließt den Vorsatz aus (o.ä.). Nein! Dr. Murx erkennt nicht, daß er einen Sachverhalt verwirklicht, der sämtlichen objektiven Tatbestandsmerkmalen (d.h. dem gesetzlichen Tatbestand) des § 212 (1) entspricht. Dieser Tatbestandsirrtum schließt den Vorsatz aus (o.ä.). Nein! Dr. Murx befindet sich in einem Tatbestandsirrtum. Dieser Tatbestandsirrtum schließt den Vorsatz aus (o.a.).
A kann nicht wegen der ihm vorgeworfenen vorsätzlichen Tat bestraft werden. Es gibt nur wenige Fahrlässigkeitsdelikte im StGB. Es steht noch längst nicht fest, daß sein Irrtum auf Fahrlässigkeit beruht. Die fahrlässige Tat wird stets milder bestraft (niedrigerer Strafrahmen) als die vorsätzliche.
2. Ja! Unter Umständen gemäß § 222 wegen fahrlässiger Tötung 2.6
1. Über den Kausalverlauf 2. Nein! Diese Abweichung des wirklichen vom vorgestellten Kausalverlauf liegt noch innerhalb der allgemeinen Lebenserfahrung. Schon deshalb ist der Vorsatz des Adam nicht in Frage gestellt (o.ä.).
2.7
1. nicht aus; bestraft, weil kein Tatbestandsirrtum vorliegt und auch diese Abweichung noch innerhalb der allgemeinen Lebenserfahrung liegt (o.a.). Darüber läßt sich aber streiten. 2. aus; nicht bestraft; weil diese Abweichung des wirklichen vom vorgestellten Kausalverlauf gänzlich außerhalb der allgemeinen Lebenserfahrung liegt und deshalb als vom Vorsatz des Adam nicht umfaßt gilt (o.ä.). Allenfalls kommt Bestrafung wegen eines versuchten Tötungsdelikts in Betracht.
264
LE 17
UNRECHTSBEWUSSTSEIN
L e r n z i e 1 : Im Mittelpunkt dieser LE steht das dritte Element der Vorsatzschuld, das „Unrechtsbewußtsein". Sie werden die Gegenüberstellung von „aktuellem" und „potentiellem" Unrechtsbewußtsein kennenlernen und sich mit der Abgrenzung von Vorsatz und Unrechtsbewußtsein befassen.
3. keine
Der Kaufhofdetektiv W sieht, wie eine gut gekleidete, etwa 35- bis 40jährige Dame in der Miederwarenabteilung einen BH des Modells „Poesie extra" an sich nimmt, sich erst unsicher nach allen Seiten umschaut und dann die Beute rasch in ihrer Einkaufstasche verschwinden läßt. Schnellen Schrittes verläßt sie das Warenhaus. W eilt hinter ihr her und stellt sie auf der Straße. Frau Z, übrigens die Gattin eines wohlsituierten höheren Beamten, zuckt sichtlich zusammen, wird abwechselnd rot und blaß, fängt an zu stottern und versucht, sich mit ihrer Vergeßlichkeit zu entschuldigen. (2)
Frau Z hat den Tatbestand des
(§
) erfüllt. Es bestehen keine
Zweifel, daß ihre Tat rechtswidrig ist und daß Frau Z vorsätzlich gehandelt hat. Wir beschränken uns auf die Frage, ob Frau Z mit Unrechtsbewußtsein gehandelt hat. Die Definition des Unrechtsbewußtseins baut auf jener des Unrechts auf. Unrecht ist jede Handlung, die gegen die Rechtsordnung verstößt. (3) Somit ist „Unrechtsbewußtsein" das Bewußtsein, daß die Handlung g verstößt.
die
Ist das Unrechtsbewußtsein bei Begehung der Tat vorhanden, so spricht man von aktuellem Unrechtsbewußtsein. Mehrere Umstände des geschilderten Sachverhalts deuten nachdrücklich darauf hin, daß (4) bei Frau Z dieses Unrechtsbewußtsein sogar in sehr ausgeprägter Form vorhanden war. (5) Nennen Sie mindestens drei dieser Umstände!
Frau Z hat mit aktuellem Unrechtsbewußtsein gehandelt, weil sie bei Begehung der Tat (6) das Bewußtsein hatte, daß (bitte ergänzen!)
LE 17
Unrechtsbewußtsein
265
(1) V o n o. nach u.: Schuldfähigkeit; Vorsatz; keine Entschuldigungsgriinde (2) Diebstahls (§ 2 4 2 (1)) (3) gegen die Rechtsordnung (4) aktuelle (5) Z.B. das unsichere Umschauen bei der Wegnahme, das rasche Verstecken der Beute, das schnelle Verlassen des Warenhauses, das Zusammenzucken, als W sie stellt, daß sie abwechselnd rot und blaß wird, zu stottern beginnt und nach einer Entschuldigung sucht (o.ä.) (6) daß ihre Handlung gegen die Rechtsordnung verstieß
Es kommt in der Praxis gar nicht so selten vor, daß jemand eine rechtswidrige Vorsatztat ohne aktuelles Unrechtsbewußtsein begangen hat oder daß ein aktuelles Unrechtsbewußtsein jedenfalls nicht nachweisbar ist. Es wäre jedoch ebenso voreilig wie verfehlt, daraus den Schluß zu ziehen, der Täter könne (1) in solchen Fällen mangels Schuld / mangels Vorwerfbarkeit nicht bestraft werden. Denn dem aktuellen Unrechtsbewußtsein steht jener Fall gleich, in welchem der Täter das Unrecht seiner Tat zwar nicht erkannt hat, es bei pflichtgemäßer Sorgfalt aber hätte erkennen können. Altona, Nähe Paulinenplatz. „Du muß eenfach tofahrn", ermuntert Karsten den 16jährigen Dirk (D), der noch nie mit dem neuen Mokick seines Freundes gefahren ist, „dann geit dat ook klohr". An der nächsten Straßenecke knattert D, der keine Fahrerlaubnis besitzt, einer Polizeistreife in die Arme. D wird gemäß § 21 (1) Z 1 StVG angezeigt (bitte lesen!). Er verteidigt sich damit, nicht gewußt zu haben, daß man zum Führen eines Mokicks überhaupt eine Fahrerlaubnis brauche und daß er sich deshalb keines Unrechts bewußt sei. (2) Selbst wenn man D glauben wollte, daß er ohne Unrechtsbewußtsein gehandelt habe, so hätte er sich jedenfalls erkundigen müssen, (bitte ergänzen!)
Wenn der Täter das Unrecht seiner Tat zwar nicht erkannt hat, es bei pflichtgemäßer Sorgfalt aber hätte erkennen können, so spricht die Rechtslehre vom potentiellen Unrechtsbewußtsein. Zur Schuld der Vorsatzdelikte gehört als drittes Schuldelement, daß der Täter entweder (3) mit aktuellem oder jedenfalls mit Unrechtsbewußtsein handelt. Hat der Täter ohne aktuelles Unrechtsbewußtsein gehandelt oder läßt sich eine diesbe(4) zügliche Behauptung nicht widerlegen, ist stets zu prüfen, ob er (bitte ergänzen!)
(5) Wenn ja, hat er jedenfalls mit delt und ist wegen vorsätzlicher Tat zu bestrafen.
(V)
Was bedeutet „potentielles Unrechtsbewußtsein"?
Unrechtsbewußtsein gehan-
266
Unrechtsbewußtsein
L E 17
(1) Schuld ist Vorwerfbarkeit. Beides ist also richtig. (2) aktuelles; ob man zum Führen eines Mokicks eine Fahrerlaubnis benötigt (o.a.). Man braucht die Fahrerlaubnis der Klasse 5; vgl. § 5 ( 1 ) StVZO (Schönfelder Nr. 35 b) (3) potentiellem (4) das Unrecht der Tat bei pflichtgemäßer Sorgfalt hätte erkennen können (5) potentiellem (6) aktuelles (7) Der Täter hat das Unrecht seiner Tat nicht erkannt; er hätte es aber bei pflichtgemäßer Sorgfalt erkennen können (o.a.).
Im Kernbereich des Strafrechts, d.h. bei Mord, Vergewaltigung, Raub, Diebstahl, Betrug und den meisten anderen Delikten des S t G B stellt sich das Problem des potentiellen Unrechtsbewußtseins weniger. Denn wer einen Mord, eine Vergewaltigung, einen Raub, einen Diebstahl etc. begeht, weiß in aller Regel, daß er Unrecht tut. Er handelt daher (1)
mit Allerdings darf der Begriff „aktuelles" Unrechtsbewußtsein nicht zu eng verstanden werden.
(2)
„AktuelT'ist das Unrechtsbewußtsein, wenn es (bitte ergänzen!)
Über den Bewußtheitsgrad des Unrechtsbewußtseins ist damit nichts gesagt. Das Unrechtsbewußtsein wurzelt in der personalen Schicht des Menschen, in der von frühester Kindheit an Eindrücke von Recht und Unrecht gespeichert werden. Mögen die Umstände der Tat (z.B. Zorn, Erregung, Eile, Triebhaftigkeit) das Unrechtsbewußtsein häufig auch in den Hintergrund drängen, so ist es dennoch vorhanden. Zumindest ist es latent vorhanden. (3)
Auch ein solches, im Zeitpunkt der Tat nur 1
vorhandenes Unrechtsbewußt-
sein ist aktuelles / potentielles Unrechtsbewußtsein. Für den Affekttäter (z.B. den Affektmörder) ist charakteristisch, daß er sich im Augen(4)
blick über das Unrecht seiner Tat Gedanken macht / keine Gedanken macht. Dennoch
(5)
handelt er in der Regel mit aktuellem Unrechtsbewußtsein, weil (bitte ergänzen!)
Ähnliches gilt für den Gewohnheitstäter. Bei ihm ist das aktuelle Unrechtsbewußtsein häufig so abgestumpft und verkümmert, daß er gar nicht mehr darüber nachdenkt, ob seine Handlung Recht oder Unrecht ist. Dennoch (6)
handelt er mit Unrechtsbewußtsein, und zwar mit potentiellem Unrechtsbewußtsein / aktuellem Unrechtsbewußtsein. Überhaupt kann man ganz allgemein sagen: Wer als Deutscher eines der im S t G B geregelten Delikte begeht — mordet, raubt, vergewaltigt, stiehlt, betrügt, etc. — handelt, falls nicht besondere Umstände vorliegen, auf die später in der L E 18 einzugehen sein wird,
(7)
in der Regel mit
Unrechtsbewußtsein.
LE 17
Unrechtsbewußtsein (1) (3) (5) (6)
267
aktuellem Unrechtsbewußtsein ( 2 ) tatsächlich vorhanden ist (o.a.) latent; aktuelles Unrechtsbewußtsein ( 4 ) keine Gedanken macht das Unrechtsbewußtsein, w e n n auch zurückgedrängt, d o c h latent vorhanden ist (o.ä.) aktuellem Unrechtsbewußtsein ( 7 ) aktuellem
In der Praxis bereitet die Feststellung des Unrechtsbewußtseins meist geringere Schwierigkeiten, als man annehmen könnte.
(1)
Für den Kernbereich der herkömmlichen Delikte (Mord, Vergewaltigung, Raub, Diebstahl, Betrug u.a.) ist das aktuelle Unrechtsbewußtsein / das potentielle Unrechtsbewußtsein beim Täter in aller Regel zu vermuten. Ausdrückliche Feststellungen zum Unrechtsbewußtsein des Täters sind in den Übungen und auch später in der Praxis nur zu treffen, wenn begründete Zweifel an seinem Unrechtsbewußtsein bestehen. Letzteres ist vornehmlich der Fall, wenn es sich um einen Ausländer handelt oder wenn die Auslegung des Delikts ungewiß ist oder wenn das Delikt nicht zum Kernbestand des Strafrechts gehört oder auch dann, wenn sich der Beschuldigte auf das Fehlen des Unrechtsbewußtseins explizit berufen hat. Felix Bückle (B) aus Ludwigshafen findet beim Pilzesammeln im Odenwald die stange eines Rehbocks und nimmt sie arglos nach Hause mit, um seinen kleinen damit zu überraschen.
AbwurfSohn
Damit hat er sich „unter Verletzung fremden Jagdrechts eine Sache zugeeignet, die dem Jagdrecht unterliegt", und gemäß § 292 (1) 2. Alt. Jagdwilderei begangen. Wußten Sie, daß man gefundene Abwurfstangen von Rechts wegen nicht behalten darf? (2) J a / Nein (3) Offenbar hat auch B dies nicht gewußt („arglos") und daher ohne Unrechtsbewußtsein gehandelt. (4)
Zu seiner Bestrafung gemäß § 2 9 2 (1) 2. Alt genügt es aber, wenn er mit
-
Unrechtsbewußtsein gehandelt hat. (5)
Mithin lautet die entscheidende Frage, ob B bei pflichtgemäßer Sorgfalt , daß er die im Wald gefundene Abwurfstange nicht ohne weiteres behalten durfte. Diese Frage läßt sich jetzt weder mit Sicherheit bejahen noch verneinen. Denn die Entscheidung hängt teils von der weiteren Aufklärung des Sachverhalts, teils von den Kriterien der Sorgfaltspflicht ab, auf die erst in LE 18 näher eingegangen werden kann. Hier kam es nur darauf an, Ihr Problembewußtsein zu wecken. Sie sehen! Delikte, die, wie dieser spezielle Fall der Jagdwilderei, nicht zum Kernbereich des Strafrechts gehören, sind weitgehend unbekannt. Der Täter verwirklicht sie häufig ohne aktuelles Unrechtsbewußtsein. Das gilt erst recht für zahlreiche Delikte außerhalb des StGB, d.h. die Delikte des Nebenstrafrechts. Im Bereich des Nebenstrafrechts spielt daher insbesondere das aktuelle Unrechtsbewußt-
(6)
sein / das potentielle Unrechtsbewußtsein eine große Rolle.
Unrechtsbewußtsein
268
LE 17
(1) das aktuelle Unrechtsbewußtsein ( 2 ) Ich vermute: nein ( 3 ) aktuelles (4) potentiellem ( 5 ) hätte erkennen können ( 6 ) das potentielle Unrechtsbewußtsein
Das Erfordernis des Unrechtsbewußtseins ist von grundlegender Bedeutung für das Selbstverständnis des Strafrechts. Das deutsche Strafrecht ist ein Schuldstrafrecht. (1)
Strafbar ist nur, wer
haft handelt.
Schuldhaft handelt aber nur, wer vorwerfbar handelt. Schuld ist Vorwerfbarkeit. (2) Mit dem strafrechtlichen Begriff der Schuld verbindet sich stets ein sozial urteil. Dem Täter wird mit dem Unwerturteil der Schuld vorgeworfen, daß (3) er nicht so gehandelt hat, wie (bitte ergänzen!)
Wer gar nicht weiß und auch nicht zu wissen braucht, daß seine Handlung Unrecht ist, (4) dem kann man die rechtswidrige Tat vorwerfen / nicht vorwerfen. Der Schuldvorwurf (5) bleibt bestehen / entfällt. Der innere Grund des strafrechtlichen Schuldvorwurfs hängt eng mit dem Menschenbild zusammen, das unser Strafrecht zugrundelegt. Das deutsche Strafrecht geht von der Modellfigur des maßgerechten Menschen aus, d.h. (6) von einem Menschen, der (bitte ergänzen!)
(7)
Ein solcher Mensch ist befähigt und verpflichtet, zwischen Recht und
zu
unterscheiden und sich für das Recht zu entscheiden. Die Betonung liegt auf verpflichtet. (8)
Nur derjenige, der entweder weiß, daß seine Handlung Unrecht ist, oder jedenfalls wäre, es zu wissen, handelt vorwerfbar, wenn er gleichwohl Unrecht tut. Nur wer weiß oder wissen muß, daß seine Handlung Unrecht ist, verdient Strafe. Das ist der eigentliche Akzent des Satzes: Ohne Schuld keine Strafe.
(9) Auf diese Weise rücken das a
und das in den Mittelpunkt der strafrechtlichen Schuldlehre.
Das Unrechtsbewußtsein bildet die Krönung des Schuldprinzips.
LE 17 (1) (3) (4) (7)
Unrechtsbewußtsein
269
schuldhaft ( 2 ) sozialethisches Unwerturteil an seiner Stelle ein maßgerechter Mensch gehandelt hätte (o.a.) nicht vorwerfen ( 5 ) entfällt (6) auf dem Boden des Rechts steht (o.ä.) Unrecht ( 8 ) verpflichtet ( 9 ) aktuelle; potentielle Unrechtsbewußtsein
Das Unrechtsbewußtsein ist ein selbständiges Schuldelement der Vorsatzschuld. Es muß (1)
insbesondere von der Schuldform, dem
unterschieden werden.
Sie erinnern sich an den Fall, in dem der frisch importierte Kannibale Nungu Bongo ein kleines Mädchen tötet, um es nach seines Stammes Sitte zu verspeisen (S. 191). Der Verteidiger dieses Kannibalen trägt nun in der Hauptverhandlung vor: „Bongo stammt aus einem Rechtskreis mit gänzlich anderen Wertmaßstäben. Für ihn sind Tötung und Verzehr eines Menschen das Selbstverständlichste auf der Welt. Daher hat Nungu Bongo nicht vorsätzlich gehandelt!" Hat er vorsätzlich gehandelt? (2) Ja / Nein
Begründung:
Wenn Sie der Anwalt Bongos wären, was würden Sie zu seiner Verteidigung geltend (3)
machen?
(4)
Der Verteidiger des Nungu Bongo hat offensichtlich
und
-
miteinander verwechselt. Allerdings ist die Verwechslung beider Schuldelemente leicht erklärlich. Denn zumindest (5)
das
Unrechtsbewußtsein ähnelt in seiner formalen Struktur der
-
komponente beim Vorsatz. Betrachtet man Vorsatz und Unrechtsbewußtsein jedoch genauer, so bestehen zwischen beiden Schuldelementen auffällige Unterschiede: Vorsatz ist stets Tatsachenkenntnis, nämlich Wissen und Verwirklichenwollen eines Sach(6)
Verhalts, der (bitte ergänzen!)
Das Unrechtsbewußtsein dagegen bezieht sich stets auf die rechtliche Seite dieses Sachverhalts, nämlich auf die rechtliche Würdigung, auf die Bewertung der Tat als Unrecht, (7)
d.h. als Verstoß gegen die
270
Unrechtsbewußtsein
LE 17
(1) Vorsatz (2) Ja! Denn Bongo hat den Sachverhalt, der dem gesetzlichen Tatbestand des § 2 1 2 ( 1 ) entspricht, nämlich die „Tötung eines Menschen", sehr wohl gekannt und auch verwirklichen wollen. (3) Der Kannibale habe ohne Unrechtsbewußtsein gehandelt. (4) Vorsatz und Unrechtsbewußtsein (5) aktuelle; Wissenskomponente (6) einem bestimmten gesetzlichen Tatbestand entspricht (7) Rechtsordnung
Merken Sie sich bitte! Vorsatz und Unrechtsbewußtsein sind selbständige Schuldelemente. Zwischen ihnen bestehen prinzipielle Unterschiede. Einmal bezieht sich der Vorsatz stets auf die tatsächliche Seite der Tat (= den „Sachverhalt"), das Unrechtsbewußtsein dagegen stets auf ihre (1) Seite, nämlich auf die Bewertung der Tat als Unrecht. Zum anderen £2) muß nur das Unrechtsbewußtsein / nur der Vorsatz bei Begehung der Tat tatsächlich vorhanden sein. (3) Denn bezüglich des Vorsatzes / des Unrechtsbewußtseins genügt auch
(4) Was bedeutet potentielles Unrechtsbewußtsein?
Hat Nungu Bongo mit aktuellem Unrechtsbewußtsein gehandelt? (5) J a / Nein Begründung:
Hat Nungu Bongo mit potentiellem Unrechtsbewußtsein gehandelt? (6) J a / Nein Begründung:
So lehrreich der Fall des Kannibalen Nungu Bongo ist, so selten kommt er in der Praxis vor. Aktuell ist ein anderer Grenz- und Extremfall, der des Überzeugungstäters. Der Revolutionär Rudi Putschke erschießt seinen politischen Gegner (§ 212 (1)). Er verteidigt sich, wie folgt: „Eure Wertmaßstäbe sind für mich nicht gültig. Von meinem Standpunkt aus, vor meinem Gewissen, ist die Tat, die ich begangen habe, Recht". Hat Rudi Putschke die Tat vorsätzlich begangen? (7) J a / Nein Begründung:
(8)
Er hat die Tat mit aktuellem Unrechtsbewußtsein / mit potentiellem Unrechtsbewußtsein begangen. Begründung:
LE 17
Unrechtsbewußtsein
271
(1) rechtliche (2) nur der Vorsatz (3) des Unrechtsbewußtseins; potentielles Unrechtsbewußtsein (4) Der Täter hat das Unrecht seiner Tat zwar nicht erkannt, hätte es aber bei pflichtgemäßer Sorgfalt erkennen können (o.ä.). (5) Nein! Es liegt nicht einmal latentes Unrechtsbewußtsein vor (o.a.). (6) Nein! Wie hätte der „frisch importierte Kannibale" in Erfahrung bringen sollen, daß die Tötung eines Menschen bei uns Unrecht ist? (7) Ja! Er hat einen Sachverhalt verwirklichen wollen, der dem gesetzlichen Tatbestand des § 212 (1) entspricht (o.a.). (8) mit aktuellem Unrechtsbewußtsein. Denn daß er gegen die geltende Rechtsordnung verstößt, war ihm ganz genau bewußt (o.ä.). Daß er seine Wertmaßstäbe an die Stelle jener der Rechtsordnung setzt, wird ihm nicht zugestanden.
Das „ U n r e c h t s b e w u ß t s e i n " ist etwas anderes als das „Bewußtsein der S t r a f b a r k e i t " . Es darf mit j e n e m weder identifiziert noch verwechselt werden. Als Bewußtsein der Strafbarkeit bezeichnet man das Bewußtsein, sich strafbar gemacht zu haben. (1)
Schuld im Sinne von Vorwerfbarkeit setzt das aktuelle oder Bewußtsein des voraus, nicht dagegen das Bewußtsein der Strafbarkeit. Der 15jährige „Kalle" Gaffkus aus Berlin-Zehlendorf hat mit seinen Freunden die weinende 13jährige Sandra an der „Krummen Lanke" entkleidet und unzüchtig betastet (=§176 (1); bitte lesen!).
(2)
Würde m a n anstelle des aktuellen oder potentiellen Unrechtsbewußtseins ganz allgemein auf das B d Str abstellen, so k ö n n t e sich der Täter o f t u n t e r den fadenscheinigsten Ausflüchten der Strafe entziehen. „Kalle" G a f f k u s k ö n n t e etwa einwenden: „Ich habe § 176 (1) noch nie gelesen; w o h e r soll ich wissen, daß ich mich strafbar gemacht h a b e " . Oder: „Ich habe geglaubt, man könne sich erst mit 18 strafbar m a c h e n " .
(3) Alle diese Einwendungen lassen sich kaum widerlegen / leicht widerlegen u n d würden zu einer eklatanten Durchlöcherung / Überdehnung des Strafschutzes führen. Bestraft werden würde nicht etwa derjenige, der schuldhaft gehandelt hat, sondern nur derjenige, der zu d u m m ist, sich plausible Ausreden bezüglich des Fehlens seines Bewußtseins der Strafbarkeit einfallen zu lassen. (4)
Das Bewußtsein der Strafbarkeit ist daher ein geeignetes / kein geeignetes Kriterium, um vorwerfbare Taten von den nicht vorwerfbaren Taten abzugrenzen. Es ist strafrechtlich ohne jeden Belang.
(5)
Für die Frage der Schuld ist daher nur entscheidend, ob der Täter mit a oder gehandelt hat. Am 12. Dezember hat sich Willi Lumpp (L) vor Gericht wegen eines kurz zuvor begangenen Taschendiebstahls (§ 242 (1)) zu verantworten. „Ich habe geglaubt, daß meine Tat unter die Weihnachtsamnestie fällt", verteidigt sich L.
Wird d e m L dieser Einwand etwas nützen? (6) J a / Nein Begründung:
272
Unrechtsbewußtsein (1) (3) (5) (6)
LE 17
potentielle; Unrechts (2) Bewußtsein der Strafbarkeit kaum widerlegen; Durchlöcherung (4) kein geeignetes Kriterium aktuellem oder potentiellem Unrechtsbewußtsein Nein! L hat mit aktuellem Unrechtsbewußtsein gehandelt. Auf das Bewußtsein der Strafbarkeit kommt es nicht an (o.a.).
ZUSAMMENFASSUNG A Das Unrechtsbewußtsein Vorwerfbar handelt nur, wer entweder weiß, daß seine Handlung Unrecht ist oder jedenfalls verpflichtet wäre, es zu wissen, und gleichwohl unrecht handelt. Vorwerfbar handelt nur, wer mit Unrechtsbewußtsein handelt. Unrechtsbewußtsein (Synonym: Bewußtsein der Rechtswidrigkeit) ist das Bewußtsein, daß die Tat gegen die Rechtsordnung verstößt. Der Verstoß gegen die Rechtsordnung muß dem Täter wenigstens nach Laienart bewußt sein. Hierfür reicht in der Regel das Bewußtsein, daß man etwas „von Rechts wegen nicht t u n darf". Bezüglich des Unrechtsbewußtseins unterscheidet man aktuelles Unrechtsbewußtsein und potentielles Unrechtsbewußtsein. Aktuelles Unrechtsbewußtsein ist wirklich vorhandenes Unrechtsbewußtsein. Aktuelles Unrechtsbewußtsein ist meist beim Überzeugungstäter anzunehmen. Daß er gegen die geltende Rechtsordnung verstößt, weiß er ganz genau. Aktuelles Unrechtsbewußtsein heißt aber nicht, daß der Täter sich über das Unrecht seiner Tat explizit „Gedanken gemacht" haben muß. Die Eindrücke von Recht und Unrecht sind bei jedem Menschen von frühester Kindheit an unverlierbar gespeichert. Auch ein i.d.S. latent vorhandenes Unrechtsbewußtsein ist aktuelles Unrechtsbewußtsein. Deshalb handeln die meisten Affekttäter und Gewohnheitstäter zumindest mit latent vorhandenem, nichtsdestoweniger aber aktuellem Unrechtsbewußtsein. Von potentiellem Unrechtsbewußtsein spricht man, wenn der Täter das Unrecht seiner Tat zwar nicht erkannt hat, es bei pflichtgemäßer Sorgfalt aber hätte erkennen können. Das potentielle Unrechtsbewußtsein hängt eng mit dem Menschenbild zusammen, das dem StGB zugrundeliegt. Dieses Menschenbild ist der maßgerechte, d.h. der auf dem Boden der Rechtsordnung stehende Mensch. Dieser maßgerechte Mensch ist verpflichtet, alle Erkenntnismöglichkeiten von Recht und Unrecht zu nutzen. Nutzt er sie nicht, so ist ein solcher Mangel des Unrechtsbewußtseins vorwerfbar und steht dem aktuellen Unrechtsbewußtsein gleich. Für sämtliche Delikte des StGB und des Nebenstrafrechts genügt potentielles Unrechtsbewußtsein. Wer ohne aktuelles Unrechtsbewußtsein und nicht einmal mit potentiellem Unrechtsbe-
LE 17
Unrecht sb e wüßt se in
273
wußtsein handelt, handelt nicht vorwerfbar. Mit dem so verstandenen Schuldelement „Unrechtsbewußtsein" entfällt die Schuld schlechthin. In der Praxis bereitet die Feststellung des Unrechtsbewußtseins zumindest im Kernbereich der herkömmlichen Delikte (Mord, Vergewaltigung, Raub, Diebstahl, Betrug u.ä.) meist keine großen Schwierigkeiten. Bezüglich solcher Delikte ist das aktuelle Unrechtsbewußtsein in der Regel — zumindest latent — vorhanden. Das gilt nicht im gleichen Maße für das Nebenstrafrecht. Bei den Delikten des Nebenstrafrechts handelt der Täter häufig ohne aktuelles Unrechtsbewußtsein. In solchen Fällen stellt sich die Frage, ob er das Unrecht seiner Tat bei pflichtgemäßer Sorgfalt hätte erkennen können. B Unrechtsbewußtsein und Vorsatz Unrechtsbewußtsein und Vorsatz dürfen nicht miteinander verwechselt werden. Das Unrechtsbewußtsein bildet ein vom Vorsatz getrenntes selbständiges Schuldelement im systematischen Aufbau der Vorsatzschuld. Zwischen Vorsatz und Unrechtsbewußtsein bestehen inhaltliche Unterschiede. Der Vorsatz bezieht sich auf die tatsächliche Seite der Tat (= „Sachverhalt" bzw. „Umstände" i.S.d. § 1 6 ( 1 ) Satz 1). Das Unrechtsbewußtsein bezieht sich auf die rechtliche Seite der Tat, d.h. auf ihre Bewertung als Unrecht. Außerdem muß Vorsatz bei Begehung der Tat wirklich, das Unrechtsbewußtsein dagegen nur „potentiell" vorhanden sein. C Unrechtsbewußtsein und Bewußtsein der Strafbarkeit Das (aktuelle bzw. potentielle) Unrechtsbewußtsein darf schließlich nicht mit dem Bewußtsein der Strafbarkeit verwechselt werden. Bewußtsein der Strafbarkeit ist das Bewußtsein, sich strafbar gemacht zu haben. Das Unrechtsbewußtsein ist als Schuldelement notwendiger Bestandteil jeder strafrechtlichen Schuldprüfung. Ob dem Täter die Strafbarkeit seiner Handlung bewußt oder auch nur erkennbar ist, ist dagegen für die Frage seiner Schuld gleichgültig. Wer das Unrecht seiner Handlung kennt oder zumindest zu kennen verpflichtet ist, handelt daher auch dann schuldhaft (und strafbar), wenn er sich der Strafbarkeit seiner Handlung nicht bewußt gewesen ist. Das Bewußtsein der Strafbarkeit ist mithin weder eine Voraussetzung für die Schuld noch für die Bestrafung des Täters. D Hinweise für die Übungen In den Übungen und in der späteren Praxis sind ausdrückliche Feststellungen zum Unrechtsbewußtsein des Täters nur zu treffen, wenn der Sachverhalt in dieser Hinsicht Zweifel nahelegt. Dies kann etwa dann der Fall sein, wenn der Täter Ausländer oder die Auslegung des Delikts ungewiß ist oder der Täter eine falsche Rechtsauskunft erhalten hatte oder das Delikt nicht zum Kernbestand des Strafrechts gehört oder wenn sich der Täter auf das Fehlen des Unrechtsbewußtseins explizit berufen hat.
274
Testfragen zur LE 17
TE 17
2.1
Welcher inhaltliche Unterschied besteht zwischen Vorsatz und Unrechtsbewußtsein?
1.1
Nennen Sie die beiden Arten des Unrechtsbewußtseins!
1.2
Definieren Sie „potentielles Unrechtsbewußtsein"!
2.2
Wer eine Bank ausraubt (§ 249 (1)), ein Flugzeug entführt (§ 316 c (1)), Geiseln nimmt (§ 239 b (1)), wer Geld oder Urkunden fälscht (§§ 146 (1), 267 (1)), handelt daher wohl stets mit potentiellem Unrechtsbewußtsein / mit aktuellem Unrechtsbewußtsein.
1.3
Gewohnheitstäter und Affekttäter handeln in der Regel mit aktuellem Unrechtsbewußtsein / potentiellem Unrechtsbewußtsein, weil (bitte ergänzen!)
2.3
Weit verbreitet, aber irrig ist die Annahme, der Finder dürfe geringwertige Gegenstände behalten. In diesem Sinne hatte auch Frau Lutterbeck aus Mülheim!Ruhr ihre 15jährige Tochter Hedwig (H) instruiert. Als diese bei einem Besuch in der Essener Gruga ein Fünfmarkstück findet, steckt sie es daher guten Gewissens ein, um sich etwas dafür zu kaufen. In Wirklichkeit hat H damit den Tatbestand der „Unterschlagung" erfüllt. Lesen Sie bitte § 246 (1) 1 .Alt! 1. Hat H vorsätzlich gehandelt? J a / Nein Begründung:
2. Hat H mit aktuellem Unrechtsbewußtsein gehandelt? J a / Nein Begründung:
3. Dem Sachverhalt lassen sich einige Anhaltspunkte dafür entnehmen, daß bei H nicht einmal potentielles Unrechtsbewußtsein anzunehmen ist. Nennen Sie mindestens einen Anhaltspunkt!
4. Wer weder mit aktuellem noch mit potentiellem Unrechtsbewußtsein handelt, handelt u n d ist daher strafbar / straflos.
TE 17
Testfragen
275
2.4
Das Bewußtsein der Strafbarkeit gilt als beachtlich / als unbeachtlich. Warum?
2.5
Im Anschluß an eine Mitternachtsparty in der „Tenne" in Kitzbühel erliegt die fesche Gattin des Wiener Kommerzialrates Schatzlmair dem Drängen des deutschen Herrenreiters Axel von Frauenlob. Als Schatzlmair von diesem Seitensprung seiner Gattin erfährt, erhebt er PriVatanklage gegen Frauenlob wegen Ehebruchs bei einem österreichischen Gericht. Ehebruch ist nach österreichischem Strafrecht (§ 194 öst StGB) — im Gegensatz zum deutschen Strafrecht — strafbar. Frauenlob verteidigt sich wie folgt: 1. „Ich habe zwar gewußt, daß der Ehebruch in Österreich verboten ist. Mir war aber nicht bekannt, daß ich als deutscher Staatsangehöriger in diesem Falle österreichischer Gerichtsbarkeit unterliege u n d daher gemäß § 194 öst StGB bestraft werden kann". Dieser Einwand betrifft seinen Vorsatz / sein Unrechtsbewußtsein / sein Bewußtsein der Strafbarkeit und ist daher beachtlich / unbeachtlich. 2. Normalerweise wird sich Frauenlob allerdings wie folgt verteidigen: „Ich bin Deutscher. In Deutschland ist Ehebruch nicht mehr strafbar. Ich habe nicht gewußt, daß er in Österreich noch strafbar ist". Dieser Einwand scheint auf den ersten Blick nur das Bewußtsein der Strafbarkeit zu betreffen. In Wirklichkeit betrifft er aber bereits das Unrechtsbewußtsein des Frauenlob. Begründen Sie dies bitte!
1.4
In welchem Bereich des Strafrechts spielt die Frage des potentiellen Unrechtsbewußtseins in der Praxis die größte Rolle?
1.5
Können Sie einen Fall nennen oder bilden, in dem der Täter weder mit aktuellem noch mit potentiellem Unrechtsbewußtsein gehandelt hat und Ihrer Meinung nach überhaupt keine Strafe verdient?
Testfragen
276 2.6
Der fest lich. den
TE 17
Göttinger Architekt Mies Bauhaus (B) ist nicht mehr ganz nüchtern, als er vom Richtheimfährt. In Weende streift er einen abgestellten PKW und beschädigt diesen erhebDa B es eilig hat, klemmt er seine Visitenkarte unter den Scheibenwischer des fremWagens und fährt rasch weiter.
1. Hat B Ihrer Meinung den Tatbestand der „Verkehrsunfallflucht " ( § 142 (1); bitte lesen!) verwirklicht? J a / Nein
2. Lesen Sie bitte zunächst die Musterantwort zu 2.6 1! B bringt zu seiner Verteidigung vor, „er sei guten Glaubens gewesen. Denn er habe nicht gewußt, daß sein Verhalten Verkehrsunfallflucht sei". Dieser Einwand b e t r i f f t den Vorsatz / das Unrechtsbewußtsein des B, weil (bitte ergänzen!)
2.7
Ihr Kommilitone b e h a u p t e t : „Unrechtsbewußtsein ist identisch mit Paragraphenkenntnis". Ist diese Behauptung richtig? J a / Nein
4.1
Begründung:
Der Hund „Knurr" des K jagt den Kater „Murr" des M. Damit „Murr" nichts erschießt M den „Knurr" (§ 303 (1)).
passiert,
1. Ist M durch rechtfertigenden Notstand gerechtfertigt? J a / Nein
Begründung:
2. M verteidigt sich damit, er habe geglaubt, den H u n d u n t e r diesen U m s t ä n d e n erschießen zu dürfen. Das Problem dieses Falles liegt beim Vorsatz / beim Unrechtsbewußtsein.
Literatur: Zum Unrechtsbewußtsein vgl.Jescheck aaO. § 41 I; Wessels aaO. § 10 VI. Ausführlich Maurach aaO. § 37; Schmidhäuser aaO. 10/52—74.
TE 17
Antworten
277
2.1
Der Vorsatz bezieht sich auf die tatsächliche Seite der Tat (= den Sachverhalt). Das Unrechtsbewußtsein auf die rechtliche Seite der Tat, d.h. darauf, daß die Tat als Unrecht bewertet wird (o.a.).
1.1
Aktuelles Unrechtsbewußtsein; potentielles Unrechtsbewußtsein
1.2
Vom potentiellen Unrechtsbewußtsein spricht man, wenn der Täter das Unrecht seiner Tat zwar nicht erkannt hat, es bei pflichtgemäßer Sorgfalt aber hätte erkennen können (o.ä.).
2.2
mit aktuellem Unrechtsbewußtsein
1.3
mit aktuellem Unrechtsbewußtsein; weil ihr Unrechtsbewußtsein meist wirklich (zumindest latent) vorhanden ist (o.ä.)
2.3
1. J a ! Konkret formuliert: Sie hat sich das fremde Fünfmarkstück, an dem sie Gewahrsam begründet hat, zueignen wollen. Oder abstrakt formuliert: Sie hat den Sachverhalt, der dem gesetzlichen Tatbestand des § 246 (1) l.Alt entspricht, verwirklichen wollen. 2. Nein! Sie handelte „guten Gewissens". Ihr war das Unrecht ihrer Tat nicht einmal latent bewußt (o.a.). 3. Kinder beziehen die wesentlichen Informationen über Recht und Unrecht in der Regel von ihren Eltern. H konnte und durfte sich auf die, wenn auch falsche, Auskunft ihrer Mutter verlassen. Außerdem entspricht der Irrglaube einer verbreiteten Ansicht. 4. ohne Schuld = schuldlos = nicht schuldhaft = nicht vorwerfbar o.a.; straflos
2.4
Als unbeachtlich! Weil im gegenteiligen Falle die mannigfaltigsten Ausflüchte möglich wären und der Strafschutz durchlöchert würde (o.ä.).
2.5
1. sein Bewußtsein der Strafbarkeit; unbeachtlich 2. Wenn Frauenlob geglaubt hat, daß Ehebruch auch in Österreich nicht mehr strafbar sei, hat er notwendigerweise auch angenommen, daß die Tat in Österreich kein strafrechtliches Unrecht mehr sei. Ihm fehlt daher nicht nur das Strafbarkeitsbewußtsein (das für sich allein wäre unbeachtlich), sondern auch das aktuelle Unrechtsbewußtsein. Immerhin bliebe die Frage des potentiellen Unrechtsbewußtseins zu prüfen.
1.4
Im Nebenstrafrecht
1.5
Z.B. Nungu Bongo; aber auch Hedwig Lutterbeck (s. oben 2.3)
2.6
1. Ja! Nach höchstrichterlicher Rechtsprechung ermöglicht das Hinterlassen der Visitenkarte zwar die Feststellung der Person des Verursachers des Verkehrsunfalls, nicht aber die Feststellung der „Art seiner Beteiligung" (z.B. des Grades seiner Trunkenheit). Diesen Feststellungen hat sich B „durch Flucht entzogen". 2. das Unrechtsbewußtsein des B, weil er nicht gewußt hat, „daß sein Verhalten Verkehrsunfallflucht sei", d.h. Unrecht i.S.d. § 142 (1) ist (o.ä.). Der Vorsatz des B dagegen wird durch diesen Einwand nicht berührt. Denn B hat genau den Sachverhalt verwirklichen wollen, der dem gesetzlichen Tatbestand des § 142 (1) (in seiner Auslegung durch die Gerichte) entspricht.
2.7
Nein! Der Kommilitone verwechselt offenbar Unrechtsbewußtsein mit Bewußtsein der Strafbarkeit. Wäre diese Behauptung richtig, besäßen nur Juristen ein Unrechtsbewußtsein (o.ä.).
4.1
1. Nein! Möglicherweise noch keine „gegenwärtige" Gefahr („Damit Murr nichts passiert"). Bejaht man die „Gegenwärtigkeit" der Gefahr, ist möglicherweise „Abwendbarkeit der Gefahr auf andere Weise" anzunehmen. In jedem Falle wohl aber kein wesentliches Überwiegen des geschützten Interesses. 2. Beim Unrechtsbewußtsein. Näheres in L E 1 8 .
278
VERBOTSIRRTUM
LE 18
L e r n z i e 1 : Der „Verbotsirrtum" bildet neben dem „Tatbestandsirrtum" die zweite strafrechtlich bedeutsame Irrtumskategorie. Sie werden seine beiden Erscheinungsformen, den „direkten Verbotsirrtum" und den „indirekten Verbotsirrtum" und seine Rechtsfolgen kennenlernen. Sie sollen diesen Irrtum bei entsprechenden Sachverhalten erkennen und ihn vom Tatbestandsirrtum und dem unbeachtlichen Irrtum über die Strafbarkeit abgrenzen lernen.
Sie erinnern sich an Nungu Bongo, den nach Bremen importierten Mädchen, um es nach seines Stammes Sitte zu verspeisen.
Kannibalen.
Er tötet
ein
Nungu Bongo hat keine Vorstellung davon, daß seine Tat nach deutschem Recht verboten u n d daher Unrecht ist. Wer eine falsche oder — wie Nungu Bongo — überhaupt keine Vorstellung von der Wirklichkeit (hier von der Rechtswirklichkeit) hat, b e f i n d e t sich in (1) einem (2) Genau besehen hat sich Nungu Bongo über das
seiner Tat geirrt.
Einen solchen I r r t u m n e n n t m a n Verbotsirrtum. Das StGB regelt den Verbotsirrtum in § 17. Bitte lesen!
(3)
Es umschreibt diesen Irrtum etwas umständlich, daß dem Täter bei Begehung der Tat die Einsicht fehlt, (bitte ergänzen!)
Im Lernprogramm wollen wir mit einer etwas kürzeren, inhaltlich aber übereinstimmenden Definition arbeiten: Ein Verbotsirrtum liegt vor, w e n n der Täter das Unrecht seiner Tat nicht erkennt. (4) Nungu Bongo hat sich in einem T a t b e s t a n d s i r r t u m / Verbotsirrtum b e f u n d e n , weil (bitte ergänzen!)
Für den Verbotsirrtum ist es gleichgültig, o b der Täter eine falsche Vorstellung o d e r über(5) h a u p t Vorstellung davon besitzt, daß seine Tat ist. (6) V o n einem Verbotsirrtum spricht man, w e n n der Täter (bitte ergänzen!)
279
Verbotsirrtum
LE 18
(1) Irrtum (2) Unrecht bzw. Verbotensein (3) Unrecht zu tun (4) Verbotsirrtum; er das Unrecht seiner Tat nicht erkannt hat (5) keine; Unrecht (6) das Unrecht seiner Tat nicht erkennt
In LE 17 hatten wir im selben Fall bereits die Feststellung getroffen: Nungu Bongo hat mit (1) Unrechtsbewußtsein / ohne Unrechtsbewußtsein gehandelt. (2) J e t z t haben Sie festgestellt: Nungu Bongo hat sich in einem befunden. Welche von beiden Feststellungen ist nun richtig? Richtig sind beide Feststellungen. Wer sich in einem Verbotsirrtum befindet, handelt ohne (aktuelles) Unrechtsbewußtsein. (3) Ein Verbotsirrtum schließt das (aktuelle)
aus.
Die Lehre vom Verbotsirrtum ist somit die Fortsetzung der Lehre vom Unrechtsbewußtsein mit negativem Vorzeichen. Die Wissenschaft unterscheidet zwei Arten des Verbotsirrtums, den direkten Verbotsirrtum und den indirekten Verbotsirrtum. Das Gesetz selbst schweigt zu dieser Einteilung. Beginnen wir mit dem „direkten Verbotsirrtum". Von einem direkten Verbotsirrtum spricht man, wenn der Täter deshalb ohne Unrechtsbewußtsein handelt, weil er überhaupt nicht erkennt, daß seine Tat verboten und (4) daher ist.
(5) (6)
Der Fall des Kannibalen Nungu Bongo ist übrigens ein klassisches Beispiel für einen Verbotsirrtum. Warum?
Im Bereich der Delikte des StGB kommt der direkte Verbotsirrtum in der Praxis verhältnismäßig selten vor. Denn in der Regel „weiß man", daß Mord, Vergewaltigung, Raub, Diebstahl, Betrug etc. verboten und daher Unrecht sind. Große praktische Bedeutung hat der direkte Verbotsirrtum jedoch außerhalb des Kernbereichs der herkömmlichen Delikte, vor allem im Nebenstrafrecht. Ein Beispiel für die praktische Relevanz des direkten Verbotsirrtums bildet etwa in LE 17 S. 267 der Fall des Felix Bückle, der nicht wußte, daß man sich durch Mitnahme von im Wald gefundenen Abwurfstangen der Jagdwilderei (§ 292 (1) 2. Alt) strafbar macht. (7)
Bückle befand sich in einem direkten Verbotsirrtum / indirekten Verbotsirrtum u n d handelte deshalb ohne aktuelles
LE 18
Verbotsirrtum
280 (1) (5) (6) (7)
ohne Unrechtsbewußtsein (2) Verbotsirrtum (3) Unrechtsbewußtsein (4) Unrecht direkten Weil Nungu Bongo überhaupt nicht erkannt hat, daß seine Tat verboten und daher Unrecht ist (o.a.). direkten Verbotsirrtum; Unrechtsbewußtsein
(1) Von erheblicher praktischer Bedeutung sowohl im StGB als auch im N ist der indirekte Verbotsirrtum.
strafrecht
Man nennt diesen Verbotsirrtum einen „indirekten", weil sich der Täter an sich nicht über das Verbot selbst (also nicht „direkt") irrt, sondern aus anderen Gründen das Unrecht seiner Tat nicht erkennt. Beim indirekten Verbotsirrtum erkennt der Täter zwar, daß seine Tat „an sich" (2) v und daher Unrecht ist, glaubt aber, im konkreten Fall gerechtfertigt zu sein und deshalb nicht unrecht zu handeln. (3) Genauer: Beim i
Verbotsirrtum irrt sich der Täter entweder
über die Existenz eines Rechtfertigungsgrundes oder über die Grenzen eines Rechtfertigungsgrundes und erkennt deshalb nicht, daß seine Tat
ist.
Hochwürden hält es mit Hebräer 12,6 „ Welchen der Herr liebhat, den züchtigt er" und verpaßt dem aufmüpfigen Ralph im Erstkommunionsunterricht eine saftige Ohrfeige (= § 223 (1)). Von den erzürnten Eltern gemäß § 223 (1) angezeigt, beruft sich der Geistliche auf sein Züchtigungsrecht als Seelsorger. Anders als das Züchtigungsrecht des Lehrers wird ein Züchtigungsrecht des Pfarrers von der Rechtsprechung heute verneint. (5) Der Pfarrer befindet sich daher in einem direkten Verbotsirrtum / in einem indirekten Verbotsirrtum über die -
(6) Daraus folgt für die Frage des Unrechtsbewußtseins: Der Pfarrer handelt ohne Unrechtsbewußtsein. (7) Bei pflichtgemäßer Sorgfalt hätte er das Unrecht seiner Tat nicht erkennen / erkennen können. (8) Er handelt also mit
Unrechtsbewußtsein.
LE 18
Verbotsirrtum
281
(1) Nebenstrafrecht (2) verboten (3) indirekten; Unrecht (4) Existenz; Grenzen ( 5 ) . indirekten Verbotsirrtum über die Existenz eines Rechtfertigungsgrundes (6) aktuelles (7) erkennen können (8) potentiellem
Bevor wir zu weiteren Beispielen kommen, betrachten Sie zunächst das folgende Schau(1) bild und ergänzen Sie das Fehlende!
Aus TE 11 (S. 160): Ein Bauer sieht, wie ein Gänsedieb mit der Gans unterm Arm das Weite sucht. Der kräftige Bauer greift nach seiner alten Militärpistole, setzt dem gehbehinderten und eher schwächlichen Dieb nach und schießt ihm aus 5 m Entfernung in den Rücken. (2)
Notwehr kam für den Bauern nicht in Betracht, weil (bitte ergänzen!)
Immerhin hat der Bauer fest daran geglaubt, daß die Abgabe des Schusses durch Notwehr (3) gedeckt war. Da diese Vorstellung mit der Rechts Wirklichkeit nicht übereinstimmt /übereinstimmt, war er einem erlegen. (4) Bei diesem Irrtum handelt es sich um einen direkten Verbotsirrtum / indirekten Verbotsirrtum über die (5) Begründen Sie Ihre eben getroffene Entscheidung!
In TE 17 (S. 276) hatten Sie sich mit folgendem Fall befaßt: Der Hund „Knurr" des K jagt den Kater „Murr" des M. Damit „Murr" nichts passiert, erschießt M den „Knurr" (= § 303 (1)). M verteidigt sich damit, er habe geglaubt, den Hund unter diesen Umständen erschießen zu dürfen. (6) Sie hatten festgestellt, daß das Problem dieses Falles beim Vorsatz / beim Unrechtsbewußtsein liegt. J e t z t können Sie darüber bereits Genaueres aussagen. (7) M befindet sich in einem indirektenVerbotsirrtum/ direkten Verbotsirrtum über die Grenzen / die Existenz eines bestimmten Rechtfertigungsgrundes, nämlich des -
(8)
Beim direkten Verbotsirrtum erkennt der Täter überhaupt nicht, daß (bitte ergänzen!)
(9) Beim indirekten Verbotsirrtum liegen die Dinge etwas anders. Hier irrt sich der Täter über (bitte ergänzen!)
282
Verbotsirrtum
LE 18
(1) (2) (4) (5) (6) (7)
direkter Verbotsirrtum; indirekter Verbotsirrtum; Grenzen diese Verteidigung nicht erforderlich war (o.a.) (3) nicht übereinstimmt; Irrtum indirekten Verbotsirrtum über die Grenzen eines Rechtfertigungsgrundes (Notwehr) o.ä. Der Bauer hatte die „Erforderlichkeit" der Verteidigung überdehnt (o.a.). beim Unrechtsbewußtsein indirekten Verbotsirrtum über die Grenzen eines bestimmten Rechtfertigungsgrundes, nämlich des rechtfertigenden Notstands (8) seine Tat verboten und daher Unrecht ist (9) die Existenz oder die Grenzen eines Rechtfertigungsgrundes (und erkennt deshalb nicht, daß er Unrecht tut) o.ä.
Grenzen wir den Verbotsirrtum zunächst von anderen Irrtumsarten ab. Eine ziemlich klare Grenze verläuft zwischen Verbotsirrtum (§ 17) u n d Tatbestandsirrtum (§ 16 (1)). Der wesentliche Unterschied liegt im Bezugsobjekt.
(1)
Der Tatbestandsirrtum bezieht sich auf die tatsächliche Seite der Tat. Infolge eines solchen Irrtums erkennt der Täter nicht, daß er einen verwirklicht, der (bitte ergänzen!)
(2)
Der Verbotsirrtum dagegen bezieht sich stets auf die
(3)
Infolge eines solchen Irrtums erkennt der Täter nicht, daß sein Verhalten
Seite der Tat. ist.
Bildlich gesprochen: Der Tatbestandsirrtum verhüllt dem Täter, daß er einen Sachverhalt verwirklicht, der einem gesetzlichen Tatbestand entspricht; der Verbotsirrtum verhüllt ihm das Unrecht. Blättern Sie bitte zurück auf S. 233 und lesen Sie das Beispiel des bei der Geburt ten Horst (H), der später mit seiner leiblichen Schwester Bettina verkehrt. (4)
vertausch-
Es handelt sich beim I r r t u m des H u m einen Verbotsirrtum / u m einen Tatbestandsirrtum, weil (bitte ergänzen!)
A n sich unproblematisch ist die Abgrenzung von Verbotsirrtum (§ 17) u n d dem prinzipiell (5) beachtlichen / prinzipiell unbeachtlichen I r r t u m über die Strafbarkeit: (6)
Der Verbotsirrtum verhüllt d e m Täter den Sachverhalt / das Unrecht, der I r r t u m über die Strafbarkeit verhüllt d e m Täter weder den noch das sondern allein die St
(7) Welche Rechtsfolgen zieht der Irrtum über die Strafbarkeit nach sich?
LE 18
283
Verbotsirrtum
(1) Sachverhalt; einem gesetzlichen Tatbestand entspricht (2) rechtliche (3) Unrecht (4) um einen Tatbestandsirrtum, weil H sich bereits über die tatsächliche Seite seiner Tat geirrt hat. Denn er hat nicht erkannt, daß er einen Sachverhalt verwirklicht, der dem gesetzlichen Tatbestand des § 173 (2) Satz 2 entspricht (o.a.). (5) prinzipiell unbeachtlichen (6) das Unrecht; Sachverhalt; Unrecht; Strafbarkeit (7) Keine! Der Täter wird also bestraft.
Aber hier heißt es aufpassen! Hinter einem scheinbar unbeachtlichen Irrtum über die Strafbarkeit verbirgt sich manchmal ein anderer, und zwar ein strafrechtlich beachtlicher Irrtum. Der Pensionsbesitzer Fucek aus Pörtschach in Kärnten ist seines Lebens überdrüssig. Die Gattin ist ihm nicht treu, die Tochter bekommt ein uneheliches Kind und weiß nicht von wem, und das Geschäft geht auch nicht mehr so wie früher. Er bittet seinen Feriengast Müller (M) aus Duisburg um einen „letzten Dienst", einen festen Strick. M verschafft dem Lebensmüden das Gewünschte. Fucek erhängt sich. Das Verhalten Müllers erfüllt nach österreichischem Recht das Delikt „Mitwirkung am Selbstmord" (§ 78 öst StGB). Andfcrs bei uns. Es gibt kein dem § 78 öst StGB vergleichbares strafrechtliches Verbot. M verteidigt sich sehr pauschal; „Ich habe mein Verhalten nicht für strafbar
gehalten".
Diese Aussage ist mehrdeutig. Man muß ihr auf den Grund gehen (im Strafprozeß insbesondere durch Befragen des M). Sie kann z.B. bedeuten: Als Deutscher ist mir ein strafrechtliches gemäß gänzlich unbekannt.
Verbot der Mitwirkung am Selbstmord
natur-
Bei dieser Auslegung verbirgt sich hinter der zunächst nicht spezifizierten Erklärung des M (1) ein Oder: Mir war das österreichische Delikt zwar bekannt, aber ich glaubte, durch die Einwilligung des Fucek gerechtfertigt zu sein. Mit dieser Spezifikation verbirgt sich hinter der Erklärung des M ein (bitte ergänzen, in(2) dem Sie diesen Irrtum des M so genau wie möglich bezeichnen!)
Oder: Ich habe Fucek zwar den Strick verschafft, aber das Ganze nur für gutgespieltes Theater gehalten. (3) Mit dieser Spezifikation verbirgt sich hinter der Erklärung des M ein Prüfen Sie daher bei einem Irrtum, der Ihnen als schlichter und daher scheinbar unbeachtlicher Strafbarkeitsirrtum präsentiert wird, stets sehr genau, ob sich dahinter nicht ein (4) beachtlicher Irrtum, nämlich insbesondere ein irrtum oder ein irrtum verbirgt. Unbeachtlich ist nur ein solcher Irrtum über die Strafbarkeit, der nicht spezifiziert bzw. nicht spezifizierbar ist.
284
LE 18
Verbotsirrtum
(1) direkter Verbotsirrtum (2) indirekter Verbotsirrtum über die Grenzen eines Rechtfertigungsgrundes (nämlich der Einwilligung) (3) Tatbestandsirrtum (4) Verbotsirrtum; Tatbestandsirrtum
Wenden wir uns nunmehr den Rechtsfolgen des Verbotsirrtums zu. Die Rechtsfolgen des Verbotsirrtums sind in § 17 sowohl für den indirekten als auch für (1) den Verbotsirrtum geregelt. Bitte lesen! Das Gesetz sieht keine einheitlichen Rechtsfolgen des Verbotsirrtums vor. Es differenziert bezüglich der Rechtsfolgen vielmehr zwischen dem vermeidbaren Verbotsirrtum ( § 1 7 Satz 2) und dem (2)
nicht vermeidbaren Verbotsirrtum (§ 17 Satz
).
Die Rechtsfolgen des Verbotsirrtums: (3)
Bitte einsetzen!
(4)
Das für die Rechtsfolgen des Verbotsirrtums entscheidende Kriterium bildet somit die Frage nach der des Irrtums. Völlige Straflosigkeit tritt bei einem Verbotsirrtum also nur dann ein, wenn dieser Irrtum
(5)
war. Die Praxis ist in der Annahme eines nicht vermeidbaren Verbotsirrtums überaus zurückhaltend. Von den bisherigen Beispielen dieses Lernprogramms würde am ehesten im Kannibalen-Fall (S. 191) ein nicht vermeidbarer Verbotsirrtum und damit auch ein Entfallen von Schuld und Strafe in Betracht kommen. Meist ist ein Verbotsirrtum vermeidbar.
(6) In diesen Fällen wird der Täter bei einem Vorsatzdelikt wegen Tat (7) bestraft. Aber es besteht die Möglichkeit der Strafverschärfung / Strafmilderung gemäß § i.V.m. §
L E 18
Verbotsirrtum
285
(1) direkten (2) § 1 7 Satz 1 (3) Strafmilderung; Strafe (4) Vermeidbarkeit (5) nicht vermeidbar (6) vorsätzlicher (7) Strafmilderung gemäß § 17 Satz 2 i.V.m. § 49 (1)
Wann ist der Verbotsirrtum vermeidbar? Mit dieser Frage beginnen für die Praxis die eigentlichen Schwierigkeiten. Sie werden noch dadurch verstärkt, daß es sich bei der Vermeidbarkeit des Verbotsirrtums um einen in hohem Maße normativen, d.h. also wertausfüllungsbedürftigen Begriff handelt. Allgemein läßt sich sagen: Ein Verbotsirrtum ist vermeidbar, wenn der Täter hätte erken(1) nen sollen und können, daß seine Tat war. (2) Die Frage ist nur, wann der Täter hätte erkennen
und
, daß
seine Tat Unrecht war. Diese Frage wird durch § 17 zwar aufgeworfen, aber nicht beantwortet. Folgende Kriterien können hier weiterhelfen. 1. Kriterium: Der Verbotsirrtum ist vermeidbar, wenn das Unrecht für den Täter wie für jedermann leicht erkennbar war. (3) Beachten Sie den Doppelmaßstab! „Für den Täter wie für
"!
Das Kriterium führt im Kernbereich der strafrechtlichen Delikte (Mord, Raub, Betrug, (4) Diebstahl etc.) im Regelfall zur Annahme der Vermeidbarkeit / der Unvermeidbarkeit des (5) Verbotsirrtums. Warum?
(6) Es gibt jedoch Fälle, in denen das jedermann, aber nicht für den Täter leicht erkennbar war.
zwar für
Stammt der Täter etwa aus einem Rechtskreis, nach dem er von der allgemeinen (= „jederm a n n " möglichen) Einsicht in das Unrecht der Tat ausgeschlossen ist, so ist das Unrecht (7) seiner Tat für ihn nicht leicht erkennbar und der irrtum daher (8) Im Kannibalen-Fall ist es zwar für leicht erkennbar, daß die Tötung eines Mädchens, um es zu verspeisen, Unrecht ist, nicht aber für (9) Warum nicht?
(10) (11)
Darum läßt sich mit Hilfe dieses Kriteriums die Vermeidbarkeit des Verbotsirrtums des Nungu Bongo begründen / nicht begründen. Es ist jedoch zu untersuchen, ob sich die Vermeidbarkeit des des Nungu Bongo mit Hilfe eines anderen Kriteriums begründen läßt.
286
Verbotsirrtum
LE 18
(1) Unrecht (2) sollen und können (3) jedermann (4) der Vermeidbarkeit des Verbotsirrtums (5) Weil bei solchen Delikten das Unrecht der Tat für den Täter wie für jedermann leicht erkennbar ist (o.a.). (6) Unrecht der Tat (7) Verbotsirrtum; nicht vermeidbar (8) jedermann; Nungu Bongo (9) Weil Nungu Bongo aus einem Rechtskreis stammt, in dem das Tötungsverbot nicht mit jener Unbedingtheit gilt wie bei uns (o.a.). (10) nicht begründen (11) Verbotsirrtums
2. Kriterium: Der Verbotsirrtum ist auch dann vermeidbar, wenn der Täter aufgrund seines Berufs, seiner Stellung oder sonstiger Umstände verpflichtet gewesen wäre, sich nach den einschlägigen Vorschriften zu erkundigen. Der Sonntagsjäger Horrido schießt in seinem Garten (also nicht etwa in seinem die fremde Perserkatze Farahdiva ab (= § 303 (1)), als sie gerade Mäuse fängt.
Jagdrevier)
Nachdem Landesjagdrecht (z.B. § 22 (2) Z2JagdGNRW) darf ein Jagdausübungsberechtigter, wie Sie bereits wissen, in seinem Jagdrevier „wildernde Katzen abschießen". Auf eben diesen Rechtfertigungsgrund beruft sich Horrido. Horrido irrt sich offenkundig. (1) Welcher Art von Irrtum ist Horrido erlegen?
(2) Dieser Irrtum war vermeidbar / unvermeidbar, weil (bitte ergänzen!)
(3) Daher ist Horrido nach Maßgabe des § 17 Satz 1 / des § 17 Satz 2 wegen vorsätzlicher Sachbeschädigung (§ 303 (1)) zu bestrafen / nicht zu bestrafen. Das 2. Vermeidbarkeitskriterium erfaßt insbesondere auch Ausländer, etwa ausländische Studenten, Gastarbeiter etc., die sich in Deutschland aufhalten und schneidet ihnen im allgemeinen den Einwand ab, sie hätten nicht gewußt, was hier Recht und Unrecht ist. Sie sind wegen ihres Aufenthalts in Deutschland (= „auf Grund sonstiger Umstände") (4) verpflichtet, sich nach den in Deutschland gültigen Rechtsvorschriften -
Läßt sich etwa mit Hilfe des zweiten Kriteriums die Vermeidbarkeit des Verbotsirrtums des Nungu Bongo begründen? (Bedenken Sie, daß der frisch importierte Kannibale nicht einmal lesen kann und erst recht kein Deutsch versteht!) (5) J a / Nein Begründung:
(6) Nungu Bongo muß daher von der Anklage vorsätzlicher Tötung (§ 212 (1)) mangels Tatbestandsmäßigkeit / mangels Rechtswidrigkeit / mangels Schuld freigesprochen werden. und ist eine Konsequenz des prinzips. (7) Das ergibt sich aus § 17
LE 18
Verbotsirrtum
287
(1) Einem indirekten Verbotsirrtum über die Grenzen eines Rechtfertigungsgrundes (2) vermeidbar, weil Horrido nach seinem (Neben-) Beruf als Jäger verpflichtet gewesen wäre, sich nach den maßgeblichen Jagdvorschriften zu erkundigen (o.a.) (3) nach Maßgabe des § 17 Satz 2; zu bestrafen. (Da dieser Irrtum des Horrido seine Vorsatzschuld nicht mindert, kommt eine Strafmilderung gemäß § 49 (1) kaum in Betracht.) (4) zu erkundigen (5) Nein! Nungu Bongo ist weder aufgrund seines Berufs, seiner Stellung oder sonst den Umständen nach verpflichtet, sich nach dem Tötungsverbot in Deutschland zu erkundigen. Er ist ja nicht freiwillig gekommen und kann nicht einmal lesen und Deutsch verstehen (o.a.). (6) mangels Schuld (7) § 17 Satz 1; Schuldprinzips
ZUSAMMENFASSUNG A Wesen des Verbotsirrtums Die gesetzliche Regelung des „Verbotsirrtums" findet sich in § 17. Ein Verbotsirrtum liegt vor, wenn der Täter nicht erkennt, daß seine Tat Unrecht ist. Dabei ist es gleichgültig, ob er eine falsche oder gar keine Vorstellung davon besitzt, daß seine Tat Unrecht ist. In beiden Fällen fehlt ihm, wie § 17 Satz 1 ausdrücklich formuliert, „die Einsicht, Unrecht zu t u n " . Maßgebender Zeitpunkt für das Vorhandensein dieser Einsicht ist die „Begehung der Tat". B Arten des Verbotsirrtums Die Wissenschaft unterscheidet zwei Arten des Verbotsirrtums, den direkten Verbotsirrtum und den indirekten Verbotsirrtum. Die Regelung des § 17 bezieht sich auf beide Arten des Verbotsirrtums. 1 Direkter Verbotsirrtum Von einem direkten Verbotsirrtum spricht man, wenn der Täter Uberhaupt nicht erkennt, daß seine Tat verboten und daher Unrecht ist. Im Kernbereich der herkömmlichen Delikte (Mord, Vergewaltigung, Diebstahl, Betrug, Raub, Körperverletzung etc.) spielt der direkte Verbotsirrtum praktisch kaum eine Rolle (außer allenfalls bei Ausländern; vgl. dazu aber C!). Umso größer ist die praktische Bedeutung des direkten Verbotsirrtums im Nebenstrafrecht mit seinen unzähligen, rasch wechselnden u n d vielfach unbekannten Delikten. Hier stellt sich mitunter die Frage, ob selbst der maßgerechte Mensch das Unrecht der Tat erkennt bzw. erkennen muß. 2 Indirekter Verbotsirrtum Beim indirekten Verbotsirrtum irrt sich der Täter entweder über die Existenz oder die Grenzen eines Rechtfertigungsgrundes und erkennt deshalb nicht, daß seine Tat Unrecht ist.
288
Verbotsirrtum
LE 18
Im ersten Falle nimmt der Täter zu seinen Gunsten irrtümlich die Existenz eines nicht oder nicht mehr vorhandenen Rechtfertigungsgrundes an. Beispiele: Der Pastor glaubt, er dürfe Konfirmanden züchtigen. Ein Offizier hält sich für berechtigt, Untergebene zu ohrfeigen. Im anderen Fall überdehnt der Täter die Grenzen eines an sich existenten Rechtfertigungsgrundes zu seinen Gunsten. Beispiele: Der Täter übeldehnt die zeitlichen Schranken des Notwehrrechts (sog. extensiver Notwehrexzeß). Oder er glaubt, seine Abwehrhandlung liege noch innerhalb des „Erforderlichen" (sog. intensiver Notwehrexzeß). Oder er meint, rechtfertigender Notstand berechtige zur Tötung eines Menschen. Der indirekte Verbotsirrtum ist sowohl für die Delikte des StGB als auch für jene des Nebenstrafrechts von ganz erheblicher praktischer Tragweite. C Rechtsfolgen des Verbotsirrtums Bezüglich der Rechtsfolgen des (direkten oder indirekten) Verbotsirrtums ist danach zu differenzieren, ob er vermeidbar ist. Der nicht vermeidbare Verbotsirrtum schließt jede Schuld und damit jede Strafe aus (§ 17 Satz 1). Die Praxis ist aber mit der Annahme eines nicht vermeidbaren Verbotsirrtums sehr zurückhaltend. Unvermeidbarkeit des Verbotsirrtums ist etwa im Kannibalen-Fall anzunehmen. Meist ist der Verbotsirrtum vermeidbar. Der vermeidbare Verbotsirrtum läßt bei einem Vorsatzdelikt die Strafbarkeit wegen vorsätzlicher Tat bestehen. Eventuell k o m m t aber Strafmilderung gemäß § 17 Satz 2 i.V.m. § 49 (1) in Betracht. Zur Konkretisierung der Vermeidbarkeit des Verbotsirrtums dienen die beiden folgenden Vermeidbarkeitskriterien: 1. Der Verbotsirrtum ist vermeidbar, wenn das Unrecht der Tat für den Täter wie für jedermann leicht erkennbar war. Schon deshalb ist ein Verbotsirrtum im Kernbereich der herkömmlichen Delikte in der Regel vermeidbar (das gilt vor allem für den direkten Verbotsirrtum). 2. Der Verbotsirrtum ist auch dann vermeidbar, wenn der Täter aufgrund seines Berufs, seiner Stellung oder sonstiger Umstände verpflichtet gewesen wäre, sich nach den einschlägigen Vorschriften zu erkundigen.
18
Verbotsirrtum
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Zur pflichtgemäßen Sorgfalt des maßgerechten Menschen gehört es, sich rechtzeitig nach den einschlägigen Rechtsvorschriften zu erkundigen. Das gilt vor allem, wenn Handlungen in Frage stehen, die erfahrungsgemäß rechtlich geregelt sind. Wer eine Auslandsreise unternimmt, muß sich deshalb auch über die einschlägigen Paß-, Zoll- und Devisenvorschriften des Gastlandes informieren. Erst recht ist man verpflichtet, sich mit den maßgeblichen Rechtsvorschriften seines Berufs- und sonstigen Lebenskreises vertraut zu machen. Deshalb muß sich der Jäger nach den einschlägigen Jagdvorschriften, der Gewerbetreibende nach den einschlägigen Gewerbevorschriften, der Autofahrer nach den Straßenverkehrsvorschriften, der Gastarbeiter nach den Rechtsvorschriften des Gastlandes etc. erkundigen. D Durchblick Sie haben es sicher bereits durchschaut! Der vermeidbare Verbotsirrtum ist nichts anderes als eine andere Bezeichnung, ein Synonym für das potentielle Unrechtsbewußtsein. Beide Begriffe bringen zum Ausdruck, daß der Täter das Unrecht seiner Handlung zwar nicht erkannt hat, es aber bei pflichtgemäßer Sorgfalt hätte erkennen können. Bestraft wird, wer mit aktuellem oder wenigstens mit potentiellem Unrechtsbewußtsein handelt. Wer nicht einmal mit potentiellem Unrechtsbewußtsein handelt, weil er sich in einem nicht vermeidbaren Verbotsirrtum befindet, wird nicht bestraft ( § 1 7 Satz 1). E Abgrenzung gegenüber anderen Irrtumsarten Der Tatbestandsirrtum bezieht sich auf die tatsächliche Seite der Tat. Er verhüllt dem Täter den Sachverhalt. Der Täter erkennt nicht, daß er einen Sachverhalt verwirklicht, der einem gesetzlichen Tatbestand entspricht. Beim Verbotsirrtum kennt der Täter diesen Sachverhalt. Dieser Irrtum bezieht sich allein auf die rechtliche Seite der Tat und verhüllt dem Täter das Unrecht. Der Verbotsirrtum darf nicht mit dem Irrtum über die Strafbarkeit verwechselt werden. Der Irrtum über die Strafbarkeit ist die Kehrseite des Bewußtseins der Strafbarkeit. Wer sich der Strafbarkeit seiner Handlung nicht bewußt ist, befindet sich in einem Irrtum über die Strafbarkeit. Da das Bewußtsein der Strafbarkeit keine Voraussetzung für die Bestrafung des Täters bildet, ist auch der Irrtum über die Strafbarkeit unbeachtlich. Er hat keinen Einfluß auf Schuld und Strafe. Das gilt aber nur für den unspezifizierten Irrtum über die Strafbarkeit. Aber: Hinter einem scheinbar schlichten Irrtum über die Strafbarkeit verbirgt sich häufig ein Verbotsirrtum oder sogar ein Tatbestandsirrtum.
290
Testfragen zur LE 18
TE 18
2.1
Ein Kommilitone behauptet: „Verbotsirrtum und Tatbestandsirrtum sind dasselbe". Ist das richtig? J a / Nein Begründung:
1.1
Ein „indirekter Verbotsirrtum" liegt vor, wenn der Täter (bitte ergänzen!)
2.2
Nennen oder bilden Sie ein Beispiel für einen direkten Verbotsirrtum!
2.3
Nennen oder bilden Sie ein Beispiel für einen indirekten Verbotsirrtum!
1.2
Nach den Rechtsfolgen unterscheidet man: Verbotsirrtum Verbotsirrtum
1.3
Tragen Sie bitte die Rechtsfolgen des Verbotsirrtums beim Vorsatzdelikt ein!
2.4
Der bewußtsein.
Verbotsirrtum ist identisch mit dem potentiellen Unrechts-
TE 18 2.5
291
Testfragen
In dem auf S. 274 geschilderten Beispiel hatte eine Mutter ihre 15jährige Tochter H fälschlich instruiert, daß man geringwertige Fundgegenstände behalten dürfe. Als H ein Fünfmarkstück findet, steckt sie es daher guten Gewissens ein, um sich etwas dafür zu kaufen. H hat zwar den Tatbestand der Unterschlagung (§ 246 (1) l.Alt) erfüllt, sich aber in einem irrtum befunden. War dieser Irrtum für H vermeidbar? J a / Nein Begründung:
Grundfall 1 (leicht): „Süchens de an! Ich verstonn nit, wie m'r sich esu besaufe kann", sagt Jupp Schmitz zu seiner Verlobten und deutet belustigt auf den total betrunkenen Schäng, der sich mühsam an der Straßenlaterne vor dem Gürzenich festklammert. „Du Knallkopp" — hicks — „kannst m'r de Nache deue", lallt Schäng und streckt ihm die Zunge heraus. Ob dieser Beleidigung versetzt Schmitz dem Schäng einen Schlag ins Gesicht. Wegen Körperverletzung (§ 223 (1)) angeklagt, b e r u f t sich Schmitz auf Notwehr (§ 32). 3.1
Zwar liegt ein Angriff auf die Ehre des Schmitz vor. Dennoch ist die Körperverletzung des Schäng nicht durch Notwehr gerechtfertigt. Warum nicht?
2.6
Schmitz glaubte aber, er sei durch Notwehr gerechtfertigt. Er befindet sich somit in einem unspezifizierten Irrtum über die Strafbarkeit / Tatbestandsirrtum / direkten Verbotsirrtum / indirekten Verbotsirrtum über die Existenz eines Rechtfertigungsgrundes / indirekten Verbotsirrtum über die Grenzen eines Rechtfertigungsgrundes.
1.4
Ob Schmitz wegen der an Schäng begangenen Körperverletzung (§ 223 (1)) bestraft wird, hängt gemäß § 17 davon ab, ob (bitte ergänzen!)
1.5
Die Praxis wird im Grundfall 1 die tums des Schmitz bejahen. Das hat zur Folge, daß Schmitz gemäß § wegen (§ zu bestrafen ist.
des VerbotsirrSatz )
292
Testfragen
TE 18
Grundfall 2 (schwer): Kurz vor Einbruch der Dunkelheit verirrt sich Franz Josef Vogel (V) aus Niederbayern nebst seinem treuen Hunde Wastl bei Passau über die österreichische Staatsgrenze. Auf österreichischem Staatshoheitsgebiet t r i f f t er den Landesbediensteten Johann Nimmerfroh (N), der sich vor Gram darüber, daß man ihm den Führerschein abgenommen hat, aufhängen will. N bittet V, ihm bei seinem Selbstmord zu helfen. V hat ein Einsehen mit dem Mann und stellt ihm seine Hundeleine zur Verfügung. Mit ihr erhängt sich N. Sie wissen bereits, daß es in Österreich das Delikt der „Mitwirkung am Selbstmord" (§ 78 öst StGB) gibt, das in der Bundesrepublik nicht bekannt ist. V wird vor einem österreichischen Gericht gemäß § 78 öst StGB wegen „Mitwirkung am Selbstmord" angeklagt. Unbeholfen verteidigt er sich damit, „er habe nicht gewußt, daß er sich strafbar gemacht habe". Legen Sie auch für das österreichische Strafrecht die Irrtumsregeln dieses Lernprogramms zugrunde! 1.6
Der Einwand des V scheint auf den ersten Blick auf einen unspezifizierten hinauszulaufen. Ein solcher Irrtum wäre strafrechtlich beachtlich / unbeachtlich.
2.7
Wenn Sie aber den Sachverhalt noch einmal lesen und genauer überdenken, werden Sie erkennen, daß sich hinter diesem Einwand — ähnlich wie im Falle des Herrenreiters Axel von Frauenlob (S. 275) — eine ganz andere Art von Irrtum verbirgt. Würden Sie einen Tatbestandsirrtum annehmen? J a / Nein Begründung:
2.8
Es handelt sich um einen direkten Verbotsirrtum / um einen indirekten Verbotsirrtum, weil (bitte fortfahren u n d möglichst genau begründen!)
2.9
Und jetzt müssen Sie Farbe bekennen! Würden Sie V bestrafen?Lesen Sie aber zuvor erst die Musterantwort zu 2.8! J a / Nein Begründung:
Literatur: Zum Verbotsirrtum vgl. Bockelmann aaO. § 16 C; Mezger-Blei aaO. § 65; Wessels aaO. § 11 I—II. Ausführlich Baumann aaO. § 27 III-V\Jescheck aaO. § 41 II—III; Maurach aaO. § 38; Stratenwerth aaO. Rdnm. 5 8 4 - 6 2 5 .
Antworten
TE 18
293
2.1
Nein! Der Verbotsirrtum bezieht sich auf die rechtliche Seite der Tat. Er verhüllt dem Täter das Unrecht. Der Tatbestandsirrtum bezieht sich auf die tatsächliche Seite der Tat. Er verhüllt dem Täter den Sachverhalt (o.a.).
1.1
sich über Existenz oder Grenzen eines Rechtfertigungsgrundes irrt und deshalb nicht erkennt, daß seine Tat Unrecht ist (o.ä.)
2.2
Z.B. Nungu Bongo (S. 191); Felix Bückle (S. 267); Fünfmarkstück-Fall (S. 274); Axel von Frauenlob (S. 275 in der 2.Alt); Feriengast Müller aus Duisburg (S. 283 in der l.Alt); Mies Bauhaus (S. 276).
2.3
Z.B. das angebliche Züchtigungsrecht des Pfarrers (S. 280); Schuß auf den Apfeldieb (S. 153); Fall des Sonntagsjägers Horrido (S. 286); Gänsediebfall (S. 281); M erschießt den Hund „Knurr" in der Meinung, die Voraussetzungen des rechtfertigenden Notstands seien gegeben (S. 281); Feriengast Müller aus Duisburg (S. 283 in der 2.Alt).
1.2
vermeidbaren Verbotsirrtum; nicht vermeidbaren Verbotsirrtum
1.3
Beim nicht vermeidbaren Verbotsirrtum entfällt die Schuld und damit die Strafe ( § 1 7 Satz 1). Beim vermeidbaren Verbotsirrtum bleibt es bei der Bestrafung wegen vorsätzlicher Tat ( § 1 7 Satz 2). Die Strafe kann aber gemäß 49 (1) gemildert werden (o.ä.).
2.4
vermeidbare
2.5
Verbotsirrtum. Nein! Das Unrecht ist zwar Sil jedermann, nicht aber für die falsch informierte 15jährige Hedwig erkennbar. Eine Erkundigungspflicht wäre nur anzunehmen, wenn sie Anlaß hätte, an der Richtigkeit der Auskunft ihrer Mutter zu zweifeln (o.ä.).
3.1
Möglicherweise ist der Angriff des Schäng auf die Ehre des Schmitz bereits abgeschlossen. Dann würde es schon an der Gegenwärtigkeit des Angriffs und damit an der Notwehrsituation fehlen. In jedem Falle aber ist hier ein Notwehrrecht gegen einen total Betrunkenen ausgeschlossen. Denn diese Verteidigung ist nicht erforderlich (o.ä.).
2.6
indirekten Verbotsirrtum über die Grenzen eines Rechtfertigungsgrundes
1.4
der Verbotsirrtum vermeidbar war
1.5
Vermeidbarkeit; gemäß § 17 Satz 2 wegen vorsätzlicher Körperverletzung (§ 223 (1))
1.6
Irrtum über die Strafbarkeit; unbeachtlich
2.7
Nein! V kennt den Sachverhalt, den er verwirklicht, nämlich, daß er einem anderen Hilfe leistet, sich selbst zu töten. Dieser Sachverhalt entspricht dem gesetzlichen Tatbestand des § 78 öst StGB. Eben diesen Sachverhalt will V verwirklichen. Also handelt er vorsätzlich. Daher scheidet ein Tatbestandsirrtum aus (o.ä.).
2.8
einen direkten Verbotsirrtum, weil V nicht gewußt hat, daß seine Tat verboten und daher Unrecht ist. Denn er wähnte sich in Deutschland. Dort ist die Mitwirkung am Selbstmord aber kein strafrechtliches Unrecht (o.a.). Das zu erkennen, war zugegebenermaßen nicht ganz leicht.
2.9
Das Gericht nicht! Denn es handelt sich um einen nicht vermeidbaren Verbotsirrtum. Weder das 1. noch das 2. Vermeidbarkeitskriterium trifft zu (o.a.). Es sei denn, Sie beziehen die Vermeidbarkeit auf die Tatsache, daß V sich über die österreichische Grenze verirrt hat. Aber das hat mit dem Unrechtsbewußtsein bezüglich § 78 öst StGB nichts zu tun.
Verbotsirrtum
294
IRRTUM ÜBER EINEN RECHTFERTIGENDEN SACHVERHALT
LE 19
L e r n z i e l : Der „Irrtum über einen rechtfertigenden Sachverhalt" bildet eine weitere strafrechtlich bedeutsame Irrtumskategorie. Sie werden Eigenart und Rechtsfolgen dieses Irrtums kennenlernen, ihn bei entsprechenden Sachverhalten erkennen und ihn vom „Tatbestandsirrtum1' und vom „Verbotsirrtum" unterscheiden lernen.
„Feuer"! Dieser langgezogene Schrei hallt gegen 1 Uhr früh durch den Flur der Jugendherberge zu Rothenburg. Hans Hasenclever (H), der im großen Schlafsaal zu ebener Erde schläft, ist sofort hellwach. Er überlegt nicht lange und hechtet mit einem großen Satz durch die Fensterscheibe ins Freie. Es stellt sich alsbald heraus, daß sich ein anderer Herbergsgast einen „Jux"geleistet Von Feuer ist weit und breit keine Spur.
hatte.
(1) Mit seinem Satz durch die Scheibe hat H den Tatbestand des § erfüllt. Bezüglich (2) etwaiger Rechtfertigungsgründe wäre am ehesten an Notwehr / an rechtfertigenden Notstand zu denken. (3) Aber dieser Rechtfertigungsgrund scheidet aus, weil (bitte ergänzen!)
Die eigentliche Problematik dieses Falles liegt offenbar nicht auf der Stufe der Rechts(4) Widrigkeit, sondern auf der Stufe der
(5)
H hatte angenommen, sein Leben sei durch Feuer bedroht. Er hatte demnach eine Vorstellung von der Wirklichkeit, d.h. er war einem erlegen. Die Frage ist nur, welcher Art dieser Irrtum ist?
(6) Ein solcher Irrtum schließt den Vorsatz des H aus / nicht aus, weil (bitte ergänzen!)
(7) Demnach liegt bei H ein
(8)
irrtum nicht vor.
Der Irrtum betrifft vielmehr das Unrechtsbewußtsein des H. Begründung:
Ist der Irrtum des H ein direkter Verbotsirrtum? H hat — wie jeder andere — gewußt, daß Sachbeschädigung verboten und daher Unrecht (9) ist. Somit liegt ein direkter Verbotsirrtum vor / nicht vor. Der Irrtum des H ist aber auch kein indirekter Verbotsirrtum, d.h. kein Irrtum über (10) Existenz oder eines ! (11) Warum eigentlich nicht?
LE 19
295
Irrtum über einen rechtfertigenden Sachverhalt
(1) § 303 (1) (2) an rechtfertigenden Notstand (3) eine Notstandssituation, d.h. eine gegenwärtige Gefahr für irgendein Rechtsgut objektiv überhaupt nicht gegeben ist! Das nimmt H doch nur an! (4) Schuld (5) falsche; Irrtum (6) nicht aus, weil H den Sachverhalt des § 303 (1), Zerstören einer fremden Sache, doch gerade verwirklichen will! (o.ä.) (7) Tatbestandsirrtum (8) H weiß zwar, daß Sachbeschädigung an sich verboten ist, hält seine Tat im konkreten Falle aber nicht für Unrecht (o.a.). (9) nicht vor (10) Grenzen eines Rechtfertigungsgrundes (11) Wenn überhaupt, käme am ehesten ein Irrtum über die Grenzen des rechtfertigenden Notstandes in Betracht. Aber H irrte sich nicht über die rechtlichen Grenzen, sondern über die tatsächlichen Voraussetzungen dieses Rechtfertigungsgrundes (o.a.).
Halten wir fest! H handelt ohne Unrechtsbewußtsein. Aber sein Irrtum ist kein Verbotsirrtum, und zwar (1) weder ein direkter noch ein Es handelt sich vielmehr um eine dritte, selbständige Kategorie eines strafrechtlich bedeutsamen Irrtums. Das Wesen dieses Irrtums liegt darin, daß der Täter einen Sachverhalt annimmt, der, wäre er gegeben, die tatsächlichen Voraussetzungen eines Rechtfertigungsgrundes erfüllen würde. (2) Kürzer: Der Täter irrt sich über einen r
Sachverhalt.
Dieser Irrtum ist im StGB nicht ausdrücklich geregelt. Im Schrifttum wird er häufig auch als „Erlaubnistatbestandsirrtum" oder als „Sachverhaltsirrtum" bezeichnet. Das Lernprogramm knüpft an den letzteren Begriff an und spricht vom Irrtum über einen rechtfertigenden Sachverhalt, weil diese Bezeichnung das Wesen dieses Irrtums am genauesten wiedergibt. Ein solcher Irrtum verhüllt dem Täter die Rechtswidrigkeit und damit das Unrecht seiner Handlung. (3) Wer sich in einem Irrtum über einen befindet, handelt daher ohne Ein Irrtum über einen rechtfertigenden Sachverhalt liegt vor, wenn der Täter irrig einen (4)
annimmt, welcher die der Tat ausschließen würde. Jedes Wort ist wichtig!
Begründen Sie mit Hilfe dieser Definition, warum bei Hasenclever gerade ein solcher (5) Irrtum gegeben ist!
(6) Der Irrtum über einen rechtfertigenden Sachverhalt läßt den V. unberührt, schließt aber das aus. Insoweit ähnelt dieser Irrtum (7) dem Tatbestandsirrtum / dem Verbotsirrtum.
-
296
Irrtum über einen rechtfertigenden Sachverhalt
LE 19
(1) indirekter (2) rechtfertigenden (3) rechtfertigenden Sachverhalt; Unrechtsbewußtsein (4) Sachverhalt; Rechtswidrigkeit (5) Wäre der Sachverhalt, den H angenommen hatte, tatsächlich gegeben, so wären sämtliche Voraussetzungen des rechtfertigenden Notstandes erfüllt und die Rechtswidrigkeit der Tat ausgeschlossen (o.a.). (6) Vorsatz; Unrechtsbewußtsein (7) dem Verbotsirrtum
(1) Und zwar besteht die größere Ähnlichkeit mit dem direkten Verbotsirrtum / indirekten Verbotsirrtum. Diese Ähnlichkeit findet eine naheliegende Erklärung: Sowohl der Irrtum über einen rechtfertigenden Sachverhalt als auch der indirekte Verbotsirrtum beziehen sich auf das Vorliegen oder Nichtvorliegen eines Rechtfertigungsgrundes. Der maßgebliche Unterschied liegt jedoch in folgendem: (2) Der indirekte Verbotsirrtum bezieht sich stets auf die rechtliche Seite des (3) Denn der Täter irrt sich entweder über die E oder über die (rechtlichen) G des Rechtfertigungsgrundes.
-
Der Irrtum über einen rechtfertigenden Sachverhalt dagegen bezieht sich stets auf die (4) tatsächliche Seite des Rechtfertigungsgrundes. Denn der Täter nimmt irrig einen an, der einem Rechtfertigungsgrund entsprechen u n d daher die Rechtswidrigkeit der Tat würde. Im Endergebnis laufen beide Irrtümer indessen auf dasselbe hinaus: Sowohl der indirekte (5) Verbotsirrtum als auch der Irrtum über einen verhüllen dem Täter die R und damit das seiner Tat.
(6)
Bei einem Irrtum über einen rechtfertigenden Sachverhalt ist somit stets das aktuelle ausgeschlossen.
Aber: Während im ,.Parallelfall" des indirekten Verbotsirrtums wegen der unterschied(7) liehen Rechtsfolgen nunmehr danach zu differenzieren ist, ob der Irrtum oder ist, beschreiten Praxis u n d Lehre beim Irrtum über einen rechtfertigenden Sachverhalt einen ganz anderen Weg. Wenden wir uns im folgenden den Rechtsfolgen des Irrtums über einen rechtfertigenden Sachverhalt zu.
Irrtum über einen rechtfertigenden Sachverhalt
LE 19
297
(1) indirekten Verbotsirrtum (2) Rechtfertigungsgrundes (3) Existenz; Grenzen (4) Sachverhalt; ausschließen (5) rechtfertigenden Sachverhalt; Rechtswidrigkeit; Unrecht (6) Unrechtsbewußtsein (7) vermeidbar; nicht vermeidbar
Wer sich über einen rechtfertigenden Sachverhalt irrt, kann nicht wegen vorsätzlicher Tat bestraft werden; er ist aber wegen fahrlässiger Tat zu bestrafen, wenn die beiden Ihnen bekannten Voraussetzungen für die Verhängung einer Fahrlässigkeitsstrafe erfüllt sind. (1)
Erstens:
Zweitens: Der Täter m u ß tatsächlich fahrlässig gehandelt haben. Das ist dann der Fall, wenn sein Irrtum auf Fahrlässigkeit beruht. (2) Die Rechtsfolgen des Irrtums über einen sind demnach mit jenen des (indirekten) Verbotsirrtums identisch / nicht identisch. (3) Sie sind vielmehr identisch mit den Rechtsfolgen des Der innere Grund dafür, daß man Tatbestandsirrtum und Irrtum über einen rechtfertigenden Sachverhalt bezüglich der Rechtsfolgen gleich behandelt, liegt in folgendem: Das StGB geht von jenem Sachverhalt aus, den der Täter vor Augen hat. Dem Täter er(4) scheint seine Tat nicht als weil er einen rechtfertigenden Sachverhalt (z.B. Notwehr, rechtfertigenden Notstand etc.) für gegeben hält. Legt man aber diese seine Vorstellung zugrunde, so verdient er ebensowenig Bestrafung wegen vorsätz(5) licher Tat wie derjenige, dem tatsächlich ein grund zur Seite steht. Was man dem Täter allenfalls vorwerfen kann, ist, daß er diesen rechtfertigenden Sachverhalt vorschnell, ungeprüft angenommen hat. Die unsorgfältige Prüfung des Sachverhalts aber ist das Kennzeichen der Fahrlässigkeitstat u n d zugleich der innere Grund für die An(6) drohung der Fahrlässigkeits Wenden Sie nunmehr diese Regelung auf den Hasenclever-Fall an! Wird H wegen Sachbeschädigung (§ 303 (1)) bestraft? (7) J a / Nein
Begründung (gut überlegen!):
298
Irrtum über einen rechtfertigenden Sachverhalt (1) (2) (5) (7)
LE 19
Es muß überhaupt ein entsprechendes Fahrlässigkeitsdelikt existieren (o.ä.). rechtfertigenden Sachverhalt; nicht identisch (3) Tatbestandsirrtums (4) rechtswidrig Rechtfertigungsgrund (6) Fahrlässigkeitsstrafe Nein! Schon die erste Voraussetzung ist nicht erfüllt! Es gibt keine fahrlässige Sachbeschädigung (§ 303 (1) i.V.m. § 15) o.a. Ob H's Irrtum wirklich auf Fahrlässigkeit beruhte (= zweite Voraussetzung), braucht daher gar nicht untersucht zu werden.
Die Identität der Rechtsfolgen darf jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, daß sich Tatbestandsirrtum und Irrtum über einen rechtfertigenden Sachverhalt im übrigen beträchtlich unterscheiden. (1) Beiden Irrtumsarten ist zwar gemeinsam, daß sie sich auf die rechtliche Seite / auf die tatsächliche Seite des Geschehens beziehen, d.h. auf einen bestimmten Sachverhalt. Aber beim Tatbestandsirrtum irrt sich der Täter über einen Sachverhalt, der für die Kategorie der Tatbestandsmäßigkeit von Bedeutung ist. Beim Irrtum über einen rechtfertigenden Sachverhalt dagegen irrt sich der Täter über (2) einen Sachverhalt, der für die Kategorie der von Bedeutung ist. Beide Irrtümer wirken sich unterschiedlich aus! (3) Der Tatbestandsirrtum verhüllt dem Täter die läßt daher seinen entfallen.
seiner Tat u n d
(4) Der Irrtum über einen rechtfertigenden Sachverhalt verhüllt dem Täter die seiner Tat und schließt daher sein
aus.
Merken Sie sich bitte! Es gibt nur eine einzige Irrtumsart, durch die der Vorsatz ausgeschlossen wird: Dies ist der (5) Verbotsirrtum / Irrtum über die Strafbarkeit / Tatbestandsirrtum / Irrtum über einen recht fertigenden Sachverhalt. Ein Irrtum über einen rechtfertigenden Sachverhalt schließt den Vorsatz nie aus! Aber (6) dieser Irrtum wird bezüglich seiner analog dem Tatbestandsirrtum behandelt. Tatbestandsirrtum u n d Irrtum über einen rechtfertigenden Sachverhalt ziehen somit dieselben Rechtsfolgen nach sich. (7) Nämlich welche?
LE 19 (1) (3) (5) (7)
299
Irrtum über einen rechtfertigenden Sachverhalt
auf die tatsächliche Seite (2) Rechtswidrigkeit (bzw. Rechtfertigungsgründe) Tatbestandsmäßigkeit; Vorsatz (4) Rechtswidrigkeit; Unrechtsbewußtsein Tatbestandsirrtum (6) Rechtsfolgen Es entfällt die Bestrafung wegen vorsätzlicher Tat; u.U. kommt Bestrafung wegen fahrlässiger Tat in Betracht (o.ä.).
Ein Blinder (B) bekommt ein ungeladenes Gewehr in die Hand. Er legt es an und hält es zufällig genau in jene Richtung, in der C auftaucht. Die ganze Szene erweckt in C den sicheren Eindruck, daß jemand mit einem geladenen Gewehr auf ihn ziele und im nächsten Moment abdrücken wolle. Um diesen „Angriff" auf sein Leben abzuwehren, den vermeintlichen „Angreifer".
greift C zum Revolver und
(1) C erfüllt damit den Tatbestand des § Liegen für C die Voraussetzungen der Notwehr (§ 32) vor? (2) J a / Nein Begründung:
C ist einem Irrtum erlegen. Ist dieser Irrtum des C ein Tatbestandsirrtum? (3) J a / Nein Begründung:
Ist dieser Irrtum des C ein direkter Verbotsirrtum? (4) J a / Nein Begründung:
Ist dieser Irrtum des C ein indirekter Verbotsirrtum? (5) J a / Nein Begründung:
(6) Dieser Irrtum des C ist ein (bitte ergänzen!) (7) Begründung:
(8) Ein solcher Irrtum schließt den Vorsatz / das Unrechtsbewußtsein des C aus. (9) Kann C bestraft werden und gegebenenfalls aus welcher Vorschrift?
erschießt
LE 19
Irrtum über einen rechtfertigenden Sachverhalt
300
(1) § 2 1 2 ( 1 ) ( 2 ) Nein! Es liegt objektiv gar kein „Angriff" vor (o.a.). (3) Nein! Denn C handelt vorsätzlich. E r will B töten (o.a.). Für die Annahme eines Tatbestandsirrtums ist daher kein Raum. ( 4 ) Nein! Denn C weiß wie jeder andere, daß die Tötung eines Menschen verboten und daher Unrecht ist (o.a.). (5) Nein! C irrt sich auch nicht über die Existenz oder die Grenzen der Notwehr. Die Notwehr ist ein anerkannter Rechtfertigungsgrund (§ 3 2 ) . Die Tat des C würde auch die Grenzen der Notwehr nicht überschreiten (wenn er tatsächlich angegriffen wäre) o.ä. ( 6 ) Irrtum über einen rechtfertigenden Sachverhalt (7) C nimmt irrig einen Sachverhalt an (Notwehrsituation), der die Rechtswidrigkeit seiner Tat ausschließen würde (o.ä.). ( 8 ) das Unrechtsbewußtsein ( 9 ) J a ! Wegen fahrlässiger Tötung (§ 2 2 2 ) , falls sein Irrtum auf Fahrlässigkeit beruht (o.ä.)
Vergleichende Gegenüberstellung der Irrtumsarten
Tatbestandsirrtum
Irrtum über einen rechtfertigenden Sachverhalt
indirekter Verbotsirrtum
§ 16 (1)
keine
§
Irrtum über einen Sachverhalt, der einem
Irrtum über einen Sachverhalt, der
Irrtum über
entspricht. Dieser Irrtum verhüllt dem Täter die
entspricht. Dieser Irrtum verhüllt dem Täter die
seiner Tat.
seiner Tat.
Kehrseite des
Kehrseite des
Kehrseite des
Konsequenzen für den Vorsatz
Vorsatz entfällt / entfällt nicht
Vorsatz entfällt / entfällt nicht
Vorsatz entfällt / entfällt nicht
Konsequenzen für das Unrechtsbewußtsein
Unrechtsbewußtsein entfällt (bez. der vorsätzlichen Tat)
Unrechtsbewußtsein entfällt / entfällt nicht
Unrechtsbewußtsein entfällt / entfällt nicht
u.U. Bestrafung wegen Tat
u.U. Bestrafung
1. Bei Vermeidbarkeit: Bestrafung wegen vorsätzlicher Tat; aber Möglichkeit der -
Bitte einsetzen!
gesetzliche Regelung
Wesen
eines Rechtfertigungsgrundes. Dieser Irrtum verhüllt dem Täter die seiner Tat.
Umkehrverhältnis
Rechtsfolgen
Tat
2. Bei Unvermeid-
LE 19
Irrtum über einen rechtfertigenden Sachverhalt
(1)
gesetzliche Regelung
Wesen
Umkehrverhältnis Konsequenzen für den Vorsatz Konsequenzen für das Unrechtsbewußtsein
Vergleichende Gegenüberstellung der
301
Irrtumsarten
Tatbestandsirrtum
Irrtum über einen rechtfertigenden Sachverhalt
indirekter Verbotsirrtum
§ 16(1)
keine
§ 17
Irrtum über einen Sachverhalt, der einem gesetzlichen Tatbestand entspricht. Dieser Irrtum verhüllt dem Täter die Tatbestandsmäßigkeit seiner Tat.
Irrtum über einen Sachverhalt, der einem Rechtfertigungsgrund entspricht. Dieser Irrtum verhüllt dem Täter die Rechtswidrigkeit seiner Tat.
Irrtum über Existenz oder Grenzen eines Rechtfertigu ngsgru ndes. Dieser Irrtum verhüllt dem Täter die Rechtswidrigkeit seiner Tat.
Kehrseite des Vorsatzes
Kehrseite des Unrechtsbewußtseins
Kehrseite des Unrechtsbewußtseins
Vorsatz entfällt
Vorsatz entfällt nicht
Vorsatz entfällt nicht
Unrechtsbewußtsein entfällt (bezüglich der vorsätzlichen Tat)
Unrechtsbewußtsein entfällt
Unrechtsbewußtsein entfällt
u.U. Bestrafung wegen fahrlässiger Tat
u.U. Bestrafung wegen fahrlässiger Tat
1. Bei Vermeidbarkeit: Bestrafung wegen vorsätzlicher Tat; aber Möglichkeit der Strafmilderung. 2. Bei Unvermeidbarkeit: Schuld und Strafe entfallen (o.a.).
Rechtsfolgen
Z U S A M M E N F A S S U N G A Wesen Der Irrtum über einen rechtfertigenden Sachverhalt ( S y n o n y m a : Sachverhaltsirrtum; Erlaubnistatbestandsirrtum) ist eine weitere, strafrechtlich b e d e u t s a m e und eigenständige Irrtumsart. Dieser Irrtum ist im StGB nicht ausdrücklich geregelt. Seine begrifflichen Voraussetzungen und seine R e c h t s f o l g e n sind v o n Praxis u n d Lehre entwickelt worden. In einem Irrtum über einen rechtfertigenden Sachverhalt b e f i n d e t sich, wer irrig einen Sachverhalt annimmt, welcher die Rechtswidrigkeit seiner Tat ausschließen würde. Wer sich in einem solchen Irrtum b e f i n d e t , handelt zwar vorsätzlich, d e n n er will das Delikt begehen. Sein Irrtum verhüllt ihm aber die Rechtswidrigkeit seiner Tat. Der Täter erkennt nicht, daß seine Tat in Wirklichkeit Unrecht ist. Daher schließt der Irrtum über einen rechtfertigenden Sachverhalt das Unrechtsbewußtsein aus.
302
Irrtum über einen rechtfertigenden Sachverhalt
LE 19
B Rechtsfolgen Nach überwiegender Ansicht in Rechtsprechung und Lehre treten beim Irrtum über einen rechtfertigenden Sachverhalt dieselben Rechtsfolgen ein wie beim Tatbestandsirrtum. Der Grund hierfür liegt in folgendem: Wer zu seinen Gunsten einen rechtfertigenden Sachverhalt annimmt, will nicht minder rechtstreu handeln, als der, dem tatsächlich ein Rechtfertigungsgrund zur Seite steht. Er verdient daher ebensowenig Bestrafung wegen vorsätzlicher Tat wie derjenige, der tatsächlich gerechtfertigt ist. Allenfalls kann man einem solchen Täter vorwerfen, daß er den rechtfertigenden Sachverhalt vorschnell, ungeprüft angenommen hat. Die unsorgfältige Prüfung des Sachverhalts ist aber das Charakteristikum der Fahrlässigkeitstat und zugleich der maßgebliche Grund dafür, daß sowohl beim Tatbestandsirrtum als auch beim Irrtum über einen rechtfertigenden Sachverhalt die Verhängung einer Strafe wegen fahrlässiger Tat in Betracht kommen kann. Kurz zusammengefaßt: Wer sich in einem Irrtum über einen rechtfertigenden Sachverhalt befindet, handelt vorsätzlich. Trotz seines Vorsatzes wird der Täter aber nicht wegen vorsätzlicher Tat bestraft. Er ist jedoch wegen fahrlässiger Tat zu bestrafen, wenn es 1. ein entsprechendes Fahrlässigkeitsdelikt gibt und 2. sein Irrtum auf Fahrlässigkeit berüht. C Abgrenzungen 1. Gegenüber dem indirekten Verbotsirrtum: In beiden Fällen glaubt der Täter, nicht rechtswidrig zu handeln. Beim indirekten Verbotsirrtum gelangt der Täter zu dieser Annahme, weil er sich über die rechtliche Seite eines Rechtfertigungsgrundes, nämlich über dessen Existenz oder Grenzen irrt. Deshalb ist ihm die Rechtswidrigkeit seiner Handlung verhüllt. Der Irrtum über einen rechtfertigenden Sachverhalt bezieht sich dagegen stets auf die tatsächliche Seite eines Rechtfertigungsgrundes, auf den „rechtfertigenden Sachverhalt". Weil der Täter für sich irrtümlich einen rechtfertigenden Sachverhalt annimmt, ist ihm (im Ergebnis) ebenfalls die Rechtswidrigkeit seiner Handlung verhüllt. Der Irrtum über einen rechtfertigenden Sachverhalt und der (indirekte) Verbotsirrtum unterscheiden sich aber nicht nur in den Voraussetzungen, sondern vor allem auch bezüglich der Rechtsfolgen: Beim Verbotsirrtum wird der Vorsatztäter wegen vorsätzlicher Tat bestraft, wenn der Verbotsirrtum vermeidbar war. Allerdings kann die Strafe gemildert werden ( § 1 7 Satz 2 i.V.m. § 49 (1)). War der Verbotsirrtum dagegen nicht vermeidbar, wird der Vorsatztäter überhaupt nicht bestraft. Denn (nur) in diesem Fall handelt er ohne Schuld ( § 1 7 Satz 1).
19
Irrtum Uber einen rechtfertigenden Sachverhalt
303
Beim Irrtum über einen rechtfertigenden Sachverhalt handelt der Täter zwar vorsätzlich (wie auch derjenige, welcher sich in einem Verbotsirrtum befindet). Aber er wird nicht wegen vorsätzlicher, sondern unter den oben B geschilderten Voraussetzungen wegen fahrlässiger Tat bestraft. 2. Gegenüber dem Tatbestandsirrtum: Sowohl beim Tatbestandsirrtum als auch beim Irrtum über einen rechtfertigenden Sachverhalt irrt sich der Täter über die tatsächliche Seite des Geschehens, über den Sachverhalt. Beim Tatbestandsirrtum irrt sich der Täter über einen Sachverhalt, der für die Tatbestandsmäßigkeit der Handlung von Bedeutung ist. Demgemäß verhüllt der Tatbestandsirrtum dem Täter die Tatbestandsmäßigkeit seiner Handlung. Der Irrtum über einen rechtfertigenden Sachverhalt bezieht sich dagegen auf einen Sachverhalt, der für die Rechtswidrigkeit der Handlung von Bedeutung ist. Demgemäß verhüllt ein solcher Irrtum dem Täter nie die Tatbestandsmäßigkeit, sondern die Rechtswidrigkeit seiner Handlung (und damit das Unrecht). Anders als der Tatbestandsirrtum schließt der Irrtum über einen rechtfertigenden Sachverhalt daher bei einem Vorsatzdelikt nie den Vorsatz aus. Wer sich über einen rechtfertigenden Sachverhalt irrt, handelt vorsätzlich. Es entfällt aber das Unrechtsbewußtsein. Mit dem Unrechtsbewußtsein entfällt zugleich die Vorsatzschuld. Übrig bleibt jedoch — unter den gleichen Voraussetzungen wie beim Tatbestandsirrtum — die Bestrafung des Täters wegen fahrlässiger Tat (siehe oben B). D Irrtumsarten und Fallprüfungsschema Irrtumsfragen gehören zu den gängigsten Problemen in den strafrechtlichen Klausuren und Hausarbeiten. Der folgende Ausschnitt des Fallprüfungsschemas macht noch einmal deutlich, an welcher Stelle der Schuldprüfung und in welcher Reihenfolge auftretende Irrtumsprobleme zu untersuchen sind.
304
Testfragen zur L E 19
TE 19
1.1
Ein Irrtum über einen rechtfertigenden Sachverhalt liegt vor, wenn (bitte ergänzen!)
1.2
Der Irrtum über einen rechtfertigenden Sachverhalt steht dem Verbotsirrtum nahe. Warum?
2.1
Grenzen Sie den Irrtum über einen rechtfertigenden Sachverhalt vom indirekten Verbotsirrtum ab!
1.3
Wer sich bezüglich der Begehung eines Vorsatzdelikts in einem Tatbestandsirrtum befindet, handelt vorsätzlich / nicht vorsätzlich. Wer sich bezüglich der Begehung eines Vorsatzdelikts in einem Irrtum über einen rechtfertigenden Sachverhalt befindet, handelt vorsätzlich / nicht vorsätzlich.
1.4
Erlaubnistatbestandsirrtum ist ein Synonym für Tatbestandsirrtum / Verbotsirrtum / Irrtum über einen rechtfertigenden Sachverhalt.
1.5
Welche Rechtsfolgen ziehen Tatbestandsirrtum und Irrtum über einen rechtfertigenden Sachverhalt nach sich?
TE 19 2.2
Testfragen
305
Nennen oder bilden Sie einen Fall, in dem der Täter in einem Irrtum über einen rechtfertigenden Sachverhalt handelt!
Grundfall 1: Vor den Augen des Mechanikers M bricht ein 55jähriger Passant (P) tot zusammen. Herzinfarkt. In der Meinung, P sei noch am Leben und müsse schnellstens ins Krankenhaus gebracht werden, trägt ihn B in einen abgestellten fremden Wagen, dessen Tür zufällig nicht abgesperrt ist, schließt die Zündung kurz und fährt die Leiche in die nächste Klinik. Der Eigentümer des Wagens zeigt den M wegen „Unbefugten Gebrauchs eines Fahrzeuges" an. M verteidigt sich damit, er habe so handeln dürfen. Lesen Sie bitte zunächst § 248 b (1)! 1.6
M hat den Tatbestand des § 248 b (1) erfüllt / nicht erfüllt.
3.1
Liegen für die Tat des M die Voraussetzungen des Rechtfertigungsgrundes vor? J a / Nein Begründung:
2.3
Mithin kommt ein Irrtum des M in Betracht. Dieser Irrtum hat dem M die Tatbestandsmäßigkeit / die Rechtswidrigkeit seiner Handlung verhüllt. Es handelt sich um einen Tatbestandsirrtum / einen direkten Verbotsirrtum / einen indirekten Verbotsirrtum über die Existenz eines Rechtfertigungsgrundes / einen indirekten Verbotsirrtum über die Grenzen eines Rechtfertigungsgrundes / einen Irrtum über einen rechtfertigenden Sachverhalt.
2.4
Dieser Irrtum schließt den Vorsatz / das Unrechtsbewußtsein des M bezüglich der Verwirklichung des Tatbestands des § 248 b (1) aus.
2.5
Kann M im vorliegenden Fall bestraft werden? J a / Nein Begründung:
306
Testfragen
TE 19
Grundfall 2: Der Dieb D hat dem A einen wertvollen Wintermantel gestohlen. Am nächsten Tage erblickt A den Dieb mit der Beute zufällig auf der Straße. Wortlos schlägt er den Dieb nieder (§ 223 (1)) und zieht ihm den Überrock aus. A ist felsenfest der Meinung, sei a Tat sei noch durch Notwehr gerechtfertigt. 3.2
Liegen für A die Voraussetzungen der Notwehr vor? J a / Nein Begründung:
2.6
A ist einem erlegen. Dieser verhüllt ihm die Tatbestandsmäßigkeit / die Rechtswidrigkeit seiner Tat.
2.7
Um welche Art von Irrtum handelt es sich? (Beantworten Sie diese Frage bitte so genau wie möglich!)
2.8
Dieser Irrtum schließt den Körperverletzungsvorsatz des A / das Unrechtsbewußtsein des A aus.
2.9
Die Rechtsfolgen dieses Irrtums richten sich nach § die Strafbarkeit des A an?
Worauf kommt es daher für
2.10 Gehen wir davon aus, daß der Irrtum des A vermeidbar war und unterstellen wir, daß aurh kein anderer Rechtfertigungsgrund (z.B. § 229 BGB) in Betracht k o m m t , so ist A wegen vorsätzlicher Körperverletzung (§ 223 (1)) / wegen fahrlässiger Körperverletzung (§ 230) zu bestrafen. Aber seine Strafe kann u.U. gemäß § i.V.m. § werden.
TE 19 Grundfall 3: Um Zuschauer Preisboxer (P) vordem Zelt sche Gastarbeiter Mustapha seinem Springmesser nieder Notwehr. 3.3
Testfragen anzulocken, läßt der Kirmesschausteller Hackbeil einen in Boxerpose Schläge fintieren. Der vorbeischlendernde Muezzim (M) glaubt sich bedroht und sticht den Boxer (= § 223 a (1)). In der Hauptverhandlung beruft sich M
307 seiner türkimit auf
Kommt für M Notwehr in Betracht? Ja / Nein Begründung:
2.11 Hat M das Delikt des § 223 a (1) vorsätzlich begangen? Ja / Nein Begründung:
2.12 Bezeichnen Sie die Art des Irrtums des M so genau wie möglich!
2.13 Kann M wegen vorsätzlicher Tat bestraft werden? Ja / Nein Begründung:
2.14 Grundfall 4: Ein Berliner Steppke nimmt einen „feinen Pinkel" auf die Schippe: „He Sie, Se müss'n Ihr'n Krajen wieda mal teer'n det Weiße kommt durch!" Der so Verhohnepiepelte bekommt „det freche Jör" zu packen. In der irrigen Meinung, ihm stünde ein Züchtigungsrecht auch gegenüber fremden Kindern zu, legt er den Jungen über das Knie (= § 223 (1)). Der Täter befindet sich in einem Irrtum über einen rechtfertigenden Sachverhalt / in einem indirekten Verbotsirrtum / in einem Tatbestandsirrtum. Begründung:
Literatur: Zum Irrtum über einen rechtfertigenden Sachverhalt vgl. Jescheck aaO. § 41 III 2—3; Maurach. aaO. § 25 V C 2 und § 37 I E; Wessels aaO. § 11 III 1.
308
Antworten
TE 19
1.1
der Täter irrig einen Sachverhalt annimmt, welcher die Rechtswidrigkeit der Tat ausschließen würde
1.2
indirekten. In beiden Fällen bezieht sich der Irrtum auf einen Rechtfertigungsgrund
2.1
In beiden Fällen glaubt der Täter,- nicht rechtswidrig zu handeln. Aber beim indirekten Verbotsirrtum irrt sich der Täter über die rechtliche Seite eines Rechtfertigungsgrundes, nämlich entweder über dessen rechtliche Existenz oder über dessen rechtliche Grenzen. Der Irtum über einen rechtfertigenden Sachverhalt bezieht sich dagegen auf die tatsächliche Seite eines Rechtfertigungsgrundes, d.h. darauf, daß im konkreten Fall ein rechtfertigender Sachverhalt vorliegt (o.ä.).
1.3
nicht vorsätzlich; vorsätzlich
1.4
Irrtum über einen rechtfertigenden Sachverhalt
1.5
In beiden Fällen erfolgt Bestrafung vielen fahrlässiger Tat, falls der Irrtum auf Fahrlässigkeit beruht und es ein entsprechendes Fahrlässigkeitsdelikt überhaupt gibt (o.ä.).
2.2
Z.B. Hasenclever-Fall (S. 294); Blinden-Fall (S. 299)
1.6
erfüllt
3.1
rechtfertigender Notstand. Nein! Es fehlt bereits an der Situation des rechtfertigenden Notstands. Eine gegenwärtige Gefahr für das Leben des P liegt nicht mehr vor. Denn P ist bereits tot (o.a.).
2.3
Rechtswidrigkeit; einen Irrtum über einen rechtfertigenden Sachverhalt
2.4
das Unrechtsbewußtsein
2.5
Nein! Denn das Delikt des § 248 b (1) ist nicht fahrlässig begehbar (§ 15). Daher kann offenbleiben, ob M's Irrtum auf Fahrlässigkeit beruhte.
3.2
Nein! Schon die Notwehrsituation ist nicht gegeben. Denn es fehlt am Erfordernis der Gegenwärtigkeit des Angriffs. Der Angriff ist bereits abgeschlossen (o.ä.).
2.6
Irrtum; die Rechtswidrigkeit seiner Tat
2.7
Um einen indirekten Verbotsirrtum über die (rechtlichen) Grenzen der Notwehr
2.8
das Unrechtsbewußtsein des A aus
2.9
§ 17. Darauf,ob dieser Verbotsirrtum vermeidbar (§ 17 Satz 2) ist (o.ä.).
2.10
wegen vorsätzlicher Körperverletzung zu bestrafen (das ergibt sich aus § 17 Satz 2); gemäß § 17 Satz 2 i.V.m. § 49 (1) gemildert
3.3
Nein! Es fehlt bereits an der Notwehrsituation. P fintiert Boxschläge,greift in Wahrheit also nicht an (o.ä.).
2.11
J a ! Denn er hat eine Körperverletzung „mittels einer Waffe" begehen wollen, mithin einen Sachverhalt verwirklichen wollen, der dem gesetzlichen Tatbestand des § 223 a (1) entspricht (o.ä.).
2.12
Es handelt sich um einen Irrtum über einen rechtfertigenden Sachverhalt.
2.13
Nein! Zwar Sachverhalt nicht wegen fahrlässiger
2.14
einen indirekten Verbotsirrtum. Da es kein Züchtigungsrecht gegenüber fremden Kindern gibt, nimmt der Täter irrtümlich die Existenz eines solchen Rechtfertigungsgrundes an (o.a.).
(o.a.).
hat M vorsätzlich i.S.d. § 223 a (1) gehandelt. Bei einem Irrtum über einen rechtfertigenden treten aber dieselben Rechtsfolgen ein wie bei einem Tatbestandsirrtum. Folglich kann M vorsätzlicher Tat bestraft werden (o.a.). Zu untersuchen bliebe, ob M gemäß § 230 wegen Körperverletzung bestraft werden kann.
LE 20
ENTSCHULDIGENDER NOTSTAND
309
L e r n z i e 1 : Der wichtigste Fall eines Entschuldigungsgrundes ist der „entschuldigende Notstand". Sie sollen eine Ubersicht über die Struktur des entschuldigenden Notstands gewinnen und bei entsprechenden Sachverhalten erkennen, ob dieser Entschuldigungsgrund in Betracht kommt. Gleichzeitig werden Sie auf die wesentlichen Unterschiede zwischen rechtfertigendem und entschuldigendem Notstand aufmerksam gemacht.
Das vierte und letzte Element des Schuldbegriffs der Vorsatzdelikte bildet die Prüfung der Frage, ob für die Tat Entschuldigungsgründe in Betracht kommen. Dazu das nachfolgende Schaubild.
Es gibt bestimmte Situationen, in denen sowohl eine rechtswidrige Tat vorliegt als auch der Täter schuldfähig ist, vorsätzlich und mit Unrechtsbewußtsein gehandelt hat. Dennoch kann der Täter mangels Schuld nicht bestraft werden. (2) Es handelt sich um solche Situationen, in denen eine rechtswidrige Tat ist. Das klassische Beispiel, in dem eine rechtswidrige Tat entschuldigt ist, verbindet sich mit dem Namen des griechischen Philosophen Karneades (214 — 129 v. Chr.), der diesen Fall als erster erörtert haben soll: Zwei Schiffbrüchige klammern sich gleichzeitig an eine Planke, welche nur einen von ihnen zu tragen vermag. Um das eigene Leben zu retten, stößt A den B von der Planke weg. Dieser ertrinkt (= § 212 (1)). Einen ganz ähnlichen Fall (vgl. S. 166: Untergang der Esperanza beim Scharhörnriff) hatten wir bereits im Zusammenhang mit dem rechtfertigenden Notstand erörtert. Kommt (3) dieser Entschuldigungsgrund / Rechtfertigungsgrund hier in Betracht? (4) J a / Nein Begründung:
Verdient die Handlung des A Ihrer Meinung nach Strafe? (5) J a / Nein Begründung:
310
Entschuldigender Notstand
LE 20
(1) von o. nach u.: Schuldfähigkeit; Vorsatz; (aktuelles oder potentielles) Unrechtsbewußtsein (2) entschuldigt (3) Rechtfertigungsgrund (4) Nein! Es besteht zwar eine gegenwärtige Gefahr für das Leben des A. Da auf der anderen Seite aber das Leben des B steht, fehlt es an dem Erfordernis des wesentlichen Überwiegens des geretteten Interesses. Damit entfällt die Notstandshandlung (o.ä.). (5) Ich hatte nach Ihrer Meinung gefragt. Nach meiner Meinung verdient A keine Strafe. Zwar ist seine Tat die eines Totschlägers, nicht aber seine Schuld.
Schon mehrfach ist in diesem Lernprogramm zur Sprache gekommen, daß sich das StGB an einem bestimmten Menschenbild orientiert. (1) Es ist die Modellfigur des m (2) Beschreiben Sie dieses Menschenbild!
M
Ein solcher Mensch respektiert die strafrechtlichen Rechtsgüter und handelt in jeder Lebenslage rechtmäßig. In fast jeder Lebenslage! Denn es gibt extreme Situationen, in denen äußere oder innere Zwänge (= Bedrängnis) einen so starken Motivationsdruck entfalten, daß die Rechtsordnung selbst von einem maßgerechten Menschen rechtmäßiges Handeln billigerweise nicht mehr erwarten kann. Es handelt sich um solche Bedrängnissituationen, in denen die Rechtsordnung selbst einem maßgerechten Menschen rechtmäßiges Handeln nicht mehr zumuten kann. (3) In einer solchen Bedrängnis / in keiner solchen Bedrängnis befindet sich A im Karneadesfall. A hätte ein Held oder ein Heiliger sein müssen, um rechtmäßig zu handeln, d.h. um lieber den eigenen Tod zu wählen als das Leben des B anzutasten. Heldentaten oder Wunder zu vollbringen, kann und will die Rechtsordnung niemand zumuten. Es ist Sache des Gesetzgebers, die Grenzen des Zumutbaren zu bestimmen. Dies ist in § 35 (1) geschehen. Der „entschuldigende Notstand" des § 35 (1) u m f a ß t solche (4) Situationen, in denen selbst einem M r H nicht mehr ist. (5)
§ 35 (1) enthält einen Rechtfertigungsgrund / einen Entschuldigungsgrund. Entschuldigungsgründe beschreiben die Voraussetzungen, unter denen die Rechtsordnung rechtmäßiges Handeln nicht mehr zumutet.
(6)
Ist ein Entschuldigungsgrund erfüllt, so entfällt damit die Tatbestandsmäßigkeit / die Rechtswidrigkeit / die Schuld.
LE 20 (1) (2) (3) (4) (5)
Entschuldigender Notstand
311
maßgerechten Menschen Der maßgerechte Mensch steht auf dem Boden der Rechtsordnung (o.a.). In einer solchen Bedrängnis maßgerechten Menschen rechtmäßiges Handeln; zumutbar einen Entschuldigungsgrund (6) die Schuld
Wenden wir uns nun dem wichtigsten Entschuldigungsgrund des Strafrechts zu, dem entschuldigenden Notstand (§ 35 (1)). Bevor wir uns mit den Einzelheiten der gesetzlichen Regelung befassen, sollen Sie den grundsätzlichen Unterschied zum rechtfertigenden Notstand kennenlernen: Der rechtfertigende Notstand beruht auf dem Gedanken, daß die Rechtsordnung es (1) prinzipiell billigt, wenn ein wesentlich überwiegendes Interesse auf Kosten eines (2) gerettet wird. Eine solche Tat ist daher prinzipiell rechtmäßig / prinzipiell rechtswidrig. Dagegen billigt die Rechtsordnung es prinzipiell nicht, wenn ein nur gleichwertiges oder (3) gar geringerwertiges Interesse auf Kosten eines gerettet wird. (4) Eine solche Tat ist daher prinzipiell rechtmäßig / prinzipiell rechtswidrig. Halten Sie fest! An den rechtfertigenden Notstand, d.h. an den Rechtfertigungsgrund legt die Rechtsordnung einen strengen Maßstab an: Voraussetzung für die Billigung der Notstandshandlung (5) durch die Rechtsordnung ist (bitte ergänzen!)
Die Strafbarkeit einer Tat wird aber nicht nur an ihrer Rechtswidrigkeit gemessen. Es gibt noch ein weiteres zusätzliches Kriterium, die Schuld. (6) Unter dem Aspekt der kann die Rechtsordnung die besondere Bedrängnis des Täters berücksichtigen u n d strengere / mildere Maßstäbe zugrundelegen: Sie kann in Bedrängnis begangene, rechtswidrige Taten nachsehen = verzeihen = entschuldigen. (7) Die Rechtsordnung kann insbesondere solche Notstandstaten e die deshalb r sind, weil der Täter nicht ein überwiegendes, sondern nur ein gleichwertiges oder gar ein Interesse gerettet hat. Der entschuldigende Notstand ist somit das Auffangbecken für alle Notstandstaten, bei denen ein wesentliches Überwiegen des geschützten (= geretteten) Interesses entweder nicht gegeben ist oder sich jedenfalls (z.B. bei nicht vergleichbaren Interessen) nicht zweifelsfrei begründen läßt. (8) Daher kommt im Karneadesfall für A zwar nicht aber möglicherweise
Notstand, dafür Notstand in Betracht.
Entschuldigender Notstand
312 (1) (3) (5) (6) (8)
LE 20
anderen (nämlich geringeren o.ä.) (2) prinzipiell rechtmäßig höheren bzw. überwiegenden (4) prinzipiell rechtswidrig das wesentliche Überwiegen des geschützten (= geretteten) Interesses Schuld; mildere Maßstäbe (7) entschuldigen; rechtswidrig; geringeres bzw. geringerwertiges rechtfertigender; entschuldigender
Im übrigen handelt es sich bei beiden Notständen, wie schon ihre Bezeichnung andeutet, um zwei verwandte Rechtsinstitute. Diese Verwandtschaft geht so weit, daß die Grobstruktur von Rechtfertigungsgrund und (1)
Entschuldigungsgrund völlig identisch / nicht identisch ist:
Die Unterschiede zwischen beiden Notstandsarten treten überhaupt erst in der Feinstruktur der einzelnen Notstandsmerkmale, hier aber recht deutlich hervor. Beginnen wir mit der Notstandssituation. Lesen Sie bitte § 3 5 (1) Satz 1 sorgfältig! (2)
Während unter dem Aspekt des rechtfertigenden Notstandes
Rechtsgut not-
standsfähig ist, beschränkt das Gesetz die notstandsfähigen Rechtsgüter beim entschuldigenden Notstand ausdrücklich auf (bitte ergänzen!)
Der Köter des K beißt sich mit dem Köter kräftigen Fußtritt (= § 303 (1)).
des F. K vertreibt
den fremden
Hund mit
einem
Rechtfertigender Notstand (§ 3 4 ) kommt für K nicht in Betracht (vgl. oben S. 1 6 5 ) . Kann sich K wenigstens auf entschuldigenden Notstand (§ 3 5 (1)) berufen? (3) J a / Nein
Begründung:
Die übrigen Ausführungen der L E 12 zur Notstandssituation beim rechtfertigenden Notstand gelten auch für die Notstandssituation beim entschuldigenden Notstand. (4)
Bitte ergänzen!
Blättern
Sie bitte zurück
auf S. 309 und lesen Sie noch
einmal
den Käme ade
sfall!
Sind für A die Voraussetzungen der Notstandssituation des § 3 5 (1) Satz 1 gegeben? (5) J a / Nein Begründung:
LE 20 (1) (3) (4) (5)
Entschuldigender Notstand
313
völlig identisch (2) jedes; Leben, Leib und Freiheit Nein! Das Eigentum gehört nicht zu den notstandsfähigen Rechtsgütern des § 35 (1) Satz 1 (o.ä.). gegenwärtige Gefahr für Leben, Leib oder Freiheit Ja! Durch das Festhalten des B an der Planke droht dem A eine gegenwärtige Lebensgefahr (o.ä.).
Wenden wir uns n u n m e h r der Notstandshandlung zu. Der prinzipielle Unterschied zwischen rechtfertigendem u n d entschuldigendem Notstand (1) b e t r i f f t , wie Sie bereits wissen, die Frage des des geretteten Interesses.
(2)
Rechtfertigender N o t s t a n d k o m m t n u r dann in Betracht, wenn das gerettete Interesse (bitte ergänzen!)
Ort der Handlung: Gelsenkirchen; Bergarbeitersiedlung „Flöz-Dickebank. " Grund der Handlung: Seitensprung der Ehefrau. „Du Hure, mach' den Balg tot", tobt der Grubenschlosser H und beginnt erneut, mit beiden Fäusten auf seine Frau einzuschlagen. Um weiteren schweren Mißhandlungen zu entgehen, fügt sich Frau H und ertränkt ihr Neugeborenes im Waschzuber. (3)
Auf N o t w e h r (§
) kann sich Frau H nicht b e r u f e n , weil (bitte ergänzen!)
Frau H b e f i n d e t sich aber o f f e n b a r in einem N o t s t a n d . (4)
Unter dem Aspekt der Notstandssituation k o m m t sowohl als auch N o t s t a n d in Betracht.
Untersucht m a n jedoch die Notstandshandlung näher, so ergibt sich, daß rechtfertigender (5) Notstand (§ ) ausscheidet. (6) Warum?
(7)
Ü b r i g b l e i b t entschuldigender N o t s t a n d (§ 35 (1)). Da das Gesetz die Notstandshandlung bei § 3 5 (1) nicht an das Überwiegen des geretteten Interesses k n ü p f t , k o m m t dieser E grund auch dann in Betracht, w e n n das gerettete Interesse (bitte ergänzen!)
(8) Mit der T ö t u n g ihres Kindes hat Frau H das überwiegende Interesse / nicht das überwiegende Interesse gerettet. (9)
Entschuldigender Notstand ist daher ausgeschlossen / nicht ausgeschlossen.
314
Entschuldigender Notstand
LE 20
(1) Überwiegens (2) das beeinträchtigte Interesse wesentlich überwiegt (3) § 32; Notwehr nur gegenüber einem Angreifer in Betracht kommt. Das Neugeborene greift nicht an (o.a.). (4) rechtfertigender; entschuldigender (5) § 34 (6) Weil das gerettete Interesse (ihre Gesundheit, körperliche Integrität o.ä.) das beeinträchtigte (Leben ihres Kindes) gerade nicht überwiegt (o.ä.) (7) Entschuldigungsgrund; das beeinträchtigte Interesse wesentlich überwiegt (8) nicht das überwiegende Interesse (9) nicht ausgeschlossen
Andererseits sind mit dieser Feststellung noch nicht sämtliche Voraussetzungen des entschuldigenden Notstands erfüllt. Lesen Sie b i t t e § 3 5 (1) Satz 1! (1) (2)
Auch beim entschuldigenden N o t s t a n d darf die Gefahr nicht „a " sein. Diese Einschränkung entspricht jener des
a
Unabwendbarkeit der Gefahr auf andere Weise Notstandshandlung i.S.d. § 35 (1)
Ist die Gefahr auf andere Weise a b w e n d b a r , so entfällt wie beim rechtfertigenden N o t s t a n d (3) die Notstandssituation / Notstandshandlung. Blättern Sie bitte zurück auf S. 313 und lesen Sie noch einmal den Fall der Frau H, welche durch Schläge zur Tötung ihres Kindes veranlaßt wird. Wandeln Sie diesen Sachverhalt n u n m e h r in der Weise ab, daß die der Frau H d r o h e n d e (4) Gefahr (nämlich weitergeprügelt zu werden) auf andere Weise abwendbar erscheint!
Würde sie ihr Kind auch bei dieser Variante des Falles t ö t e n , läge eine Notstandshandlung (5) i.S.d. § 3 5 (1) Satz 1 vor / nicht vor. (6)
Frau H wäre somit nicht entschuldigt / entschuldigt.
(7)
Wie steht es mit der anderweitigen Abwendbarkeit der Gefahr im Karneadesfall (S. 309)?
315
Entschuldigender Notstand
LE 20
(1) anders abwendbar (2) rechtfertigenden Notstands (3) Notstandshandlung (4) Frau H könnte flüchten oder einen vorbeigehenden Polizisten alarmieren oder H durch Bitten von den Schlägen abbringen (o.a.). (5) nicht vor (6) nicht entschuldigt (7) Sie ist offenkundig auf andere Weise als durch eine rechtswidrige Tat nicht abwendbar (o.a.).
Anders als beim rechtfertigenden Notstand macht das Gesetz den Begriff der Notstands(1)
handlung beim entschuldigenden Notstand weder vom Ü geschützten Interesses noch von der A
des heit des Mittels abhängig.
An die Stelle dieser Kriterien tritt beim entschuldigenden Notstand ein anderes. Lesen Sie § 3 5 (1) Satz 2 ! Die Hinnahme der Gefahr muß nach den Umständen als nicht zumutbar erscheinen. (2)
Damit sind die beiden Voraussetzungen der Notstandshandlung beim
-
Notstand komplett. (3)
Bitte einsetzen!
Eine Notstandshandlung i.S.d. § 3 5 (1) ist demnach ausgeschlossen, wenn (4)
(bitte ergänzen!)
1.
2. Sie sehen! Allein das Vorliegen einer Notstandssituation i.S.d. § 3 5 (1) sagt noch nichts darüber aus, (5)
ob die Handlung tatsächlich
(6)
darauf an, o b sich die Notstandshandlung in den durch § hält.
ist. Es kommt entscheidend gezogenen Grenzen
Entschuldigender N o t s t a n d
316
LE 20
(1) Uberwiegen; Angemessenheit (2) entschuldigenden (3) auf andere Weise; Hinnahme (4) 1. Die Gefahr anders (als durch eine rechtswidrige Tat) abwendbar ist. 2. Die Hinnahme der Geiaht zumutbar erscheint. (5) entschuldigt (6) § 35 (1) Satz 1 und Satz 2
Einige Worte zur U n z u m u t b a r k e i t der H i n n a h m e der Gefahr. Im allgemeinen m u t e t das Gesetz niemandem zu, Gefahren für Leben, Leib o d e r Freiheit hinzunehmen. Bezüglich dieser drei elementaren Rechtsgüter trägt das Gesetz dem übermächtigen Selbsterhaltungstrieb Rechnung u n d akzeptiert den Satz: „ N o t kennt kein G e b o t " . Aber es gibt A u s n a h m e n . Lesen Sie § 35 (1) Satz 2 1. Halbsatz! (1)
Z erscheint d e m Gesetz die H i n n a h m e der Gefahr „ n a m e n t l i c h " = insbesondere, w e n n der Täter sie selbst verursacht hat. Nehmen Sie an, daß im Karneadesfall der Überlebende A es ist, der den Untergang des Schiffes zu verantworten hat (etwa durch falsche Steuermanöver bei Sturm, Auffahren auf ein Riff o.ä.).
Ihm m u t e t das Gesetz die H i n n a h m e der ihm n u n m e h r durch B d r o h e n d e n Gefahr zu, (2) weil er diese G e f a h r (bitte ergänzen!)
Infolgedessen ist bei dieser Variante die A n n a h m e einer entschuldigenden Notstandshand(3) lung für A zu bejahen / ausgeschlossen. (4)
Immerhin kann A gemäß § 3 5 (1) Satz 2 2. Halbsatz i.V.m. § 4 9 (1) bestraft werden. Niemand merkt es, daß anstelle des Verurteilten Hein Knesebeck dessen Zwillingsbruder Detlef (D) die Strafe in der Strafanstalt Hamburg — Fuhlsbüttel („Santa-Fu") angetreten hat. Nach 14 Tagen „Knast" hat Detlef aber die Nase voll. Er will „raus". Sein mehrfacher Hinweis, daß er der „Falsche" sei, findet beim Aufsichtspersonal keine Beachtung; man hält ihn für einen „Spinner". Schließlich schlägt D einen Aufseher nieder (= § 223 (1)) und entkommt über die 5 m hohe Außenmauer.
(5)
Rechtfertigender N o t s t a n d (§ ) k o m m t für D nicht in Betracht / k o m m t für D in Betracht, da die Freiheit im Verhältnis zur körperlichen Integrität das wesentlich Interesse darstellt.
Ist die A n n a h m e eines entschuldigenden Notstands durch § 35 (1) Satz 2 1. Halbsatz ausgeschlossen? (6) J a / Nein Begründung:
LE 20
Entschuldigender Notstand
(1) Zumutbar (2) selbst verursacht hat (3) ausgeschlossen (5) § 34, nicht in Betracht; nicht; überwiegende (6) Ja! Diese Gefahr hat D selbst verursacht.
317 (4) milder
Lesen Sie § 35 (1) Satz 2 1. Halbsatz erneut! Zumutbar erscheint dem Gesetz die Hinnahme der Gefahr „namentlich" auch in einem (1) weiteren Fall, nämlich dann, wenn der Täter in einem " stand. Das StGB denkt dabei vor allem an Soldaten, Polizeibeamte, Seeleute, Bergführer, Feuerwehrleute, Ärzte, Krankenpfleger und ähnliche Personen, denen durch Gesetz, Vertrag oder Gewohnheitsrecht erhöhte Gefahrtragungspflichten obliegen. Nehmen Sie an, daß im Karneadesfall der Überlebende genen Schiffes und B ein Passagier ist.
A der Kapitän des
untergegan-
Dem Kapitän mutet das Seemannsrecht erhöhte Gefahrtragungspflichten zu. (2) Wer aufgrund eines derartigen „besonderen Rechtsverhältnisses" zur Gefahr verpflichtet ist, kann sich auf nicht berufen. (3)
der
Für ihn ist in § 35 (1) Satz 2 2. Halbsatz (bitte lesen!) auch keine Strafmilderung / ebenfalls eine Strafmilderung vorgesehen.
(4) Denjenigen, welche in einem „besonderen " stehen, wird von der Rechtsordnung die Beherrschung des Selbsterhaltungstriebs auch bei elementaren Gefahren auferlegt, weil die Gemeinschaft sich gerade unter diesen Umständen auf sie verlassen können m u ß . Blättern Sie zurück auf S. 313 und lesen Sie erneut das Beispiel der Frau H, welche Schläge zur Tötung ihres Neugeborenen veranlaßt wird.
durch
War es ihr zuzumuten, die ihr durch ihren Mann drohenden Gefahren hinzunehmen ( § 3 5 (1) Satz 2 1. Halbsatz)? (5) J a / Nein Begründung:
318
Entschuldigender Notstand
LE 20
(1) „besonderen Rechtsverhältnis" (2) Hinnahme (o.a.); entschuldigenden Notstand (3) auch keine Strafmilderung (4) Rechtsverhältnis (5) Nein! Weder Ehe noch Elternschaft begründen ein solches besonderes Rechtsverhältnis, aufgrund dessen sie schwere Mißhandlungen durch den Ehemann hinzunehmen hat„(o.ä.).
(1) Zur Notstandssituation und zur Notstandshandlung muß wie beim Notstand ein subjektives Element, der „Rettungswille", hinzutreten. Vom Rettungswillen spricht man, wenn der Täter die Gefahr abwenden will. Dieses subjektive Erfordernis ergibt sich unmittelbar aus dem Wortlaut des § 35 Satz 1. Es (2) folgt aus den beiden Worten:
Damit sind die Voraussetzungen des entschuldigenden Notstands vollständig. (3) Bitte einsetzen!
(4)
Wird rechtfertigender Notstand zugunsten eines Dritten geübt, so nennt man diesen Fall „rechtfertigende Notstandsh "
Wird der entschuldigende Notstand zugunsten eines anderen geübt, so bezeichnet man (5) diesen Fall als „e N ". Aus dem Wortlaut des § 35 (1) Satz 1 ergibt sich aber, daß die entschuldigende Notstands(6) hilfe im Gegensatz zur rechtfertigenden nur zugunsten (bitte ergänzen!)
LE 20
Entschuldigender Notstand
319
(1) rechtfertigenden (2) „um abzuwenden" (3) Notstandssituation: gegenwärtige Gefahr für Leben, Leib oder Freiheit; Notstandshandlung (von o. nach u.): Unabwendbarkeit; Unzumutbarkeit (4) Notstandshilfe (5) entschuldigende Notstandshilfe (6) von Angehörigen oder einer anderen, dem Täter nahestehenden Person geleistet werden kann (o.ä.)
Z U S A M M E N F A S S U N G A Entschuldigungsgründe Das Gesetz geht im Schuldbereich von der Modellfigur des maßgerechten Menschen aus. Es erwartet, daß jedermann ein gewisses Maß an äußerer oder innerer Bedrängnis hinnimmt, ohne deswegen in eine rechtswidrige Tat auszuweichen. Es berücksichtigt in seinen Entschuldigungsgründen daher nur bestimmte Situationen extremer Bedrängnis, die einen so starken Motivationsdruck entfalten, daß die Rechtsordnung selbst von einem maßgerechten Menschen rechtmäßiges Handeln billigerweise nicht mehr verlangen = ihm nicht mehr zumuten kann. Entschuldigungsgründe beschreiben die Voraussetzungen, unter denen die Rechtsordnung rechtmäßiges Handeln nicht mehr zumutet. Kommt ein Entschuldigungsgrund zum Zug, so entfällt die Schuld und damit die Strafe. Der praktisch wichtigste Entschuldigungsgrund ist der entschuldigende Notstand. B Entschuldigender Notstand Die Legaldefinition des entschuldigenden Notstands findet sich in § 35 (1). Als Gedächtnisstütze und Arbeitshilfe prägen Sie sich das nachfolgende Begriffsskelett des entschuldigenden Notstands ein!
Vergleichen Sie dieses Schaubild sorgfältig mit dem entsprechenden Schaubild des rechtfertigenden Notstands (S. 170) und dem zumindest ähnlichen Schaubild der Notwehr (S. 157). Dadurch prägen sich sowohl die Gemeinsamkeiten als auch die Unterschiede aller drei Rechtsinstitute besser ein.
320
Entschuldigender Notstand
LE 20
1 Notstandssituation Im Unterschied zum rechtfertigenden Notstand begrenzt § 35 (1) Satz 1 die Notstandssituation beim entschuldigenden Notstand auf eine gegenwärtige Gefahr für Leben, Leib oder Freiheit. Zum Schutze dieser elementaren Interessen können alle Rechtsgüter durch einen Notstandseingriff in Anspruch genommen werden, im Unterschied zum rechtfertigenden Notstand insbesondere auch das menschliche Leben. Im übrigen gelten die Ausführungen zur Notstandssituation beim rechtfertigenden Notstand entsprechend; vgl. S. 170. 2 Notstandshandlung Für die Notstandshandlung des Entschuldigungsgrundes ( § 3 5 (1)) gelten zum Teil andere Maßstäbe als beim Rechtfertigungsgrund (§ 34). Eine entschuldigende Notstandshandlung ist begrifflich ausgeschlossen: 1. Wenn die Gefahr für Leben, Leib oder Freiheit auf andere Weise (z.B. durch Flucht, Herbeiholen von Hilfe etc.) abwendbar war (§ 35 (1) Satz 1). 2. Wenn dem Täter „nach den Umständen" zugemutet werden konnte, die Gefahr für Leben, Leib oder Freiheit hinzunehmen (§ 35 (1) Satz 2). Die Bestimmung der Zumutbarkeit („Opfergrenze") kann im Einzelfall erhebliche Schwierigkeiten bereiten. Daher enthält § 35 (1) Satz 2 hierfür zwei ausdrückliche Richtlinien. Die Hinnahme der Gefahr für Leben, Leib oder Freiheit ist dem Täter vor allem („namentlich") dann zuzumuten, wenn er a) die Gefahr selbst verursacht hat oder b) in einem besonderen Rechtsverhältnis stand. Bei der gesteigerten Zumutbarkeit kraft „besonderen Rechtsverhältnisses" denkt das StGB vor allem an Soldaten, Polizeibeamte, Seeleute, Bergführer, Feuerwehrleute, Ärzte, Krankenpfleger u.ä. Personengruppen. Diesen Personengruppen obliegen kraft Gesetz, Vertrag oder Gewohnheitsrecht erhöhte Gefahrtragungspflichten. Von der Rechtsordnung wird diesen Personen die Beherrschung des Selbsterhaltungstriebes auch bei elementaren Gefahren auferlegt, weil die Gemeinschaft sich gerade unter diesen Umständen auf sie verlassen können muß. Hatte der Notstandstäter die Gefahr selbst verursacht, kann die Strafe gemildert werden, nicht aber, wenn die Rechtsordnung im Hinblick auf ein „besonderes Rechtsverhältnis" die Hinnahme elementarer Gefahren erwartet (§ 35 (1) Satz 2 2. Halbsatz). 3 Rettungswille Analog dem rechtfertigenden Notstand gehört der Rettungswille zu den Begriffselementen auch des entschuldigenden Notstandes (§ 35 (Í) Satz 1: „um abzuwenden").
Entschuldigender Notstand
20
321
4 Entschuldigende Notstandshilfe Im Gegensatz zur rechtfertigenden Notstandshilfe kommt eine entschuldigende Notstandshilfe nur zugunsten von Angehörigen oder anderen nahestehenden Personen in Betracht (§ 3 5 (1) Satz 1). C Abgrenzung zum rechtfertigenden Notstand Der prinzipielle Unterschied zum rechtfertigenden Notstand besteht darin, daß entschuldigender Notstand auch dann in Betracht kommt, wenn das gerettete Interesse gleich- oder geringerwertig ist. Mithin kommt entschuldigender Notstand insbesondere auch dann zum Zuge, wenn Leben gegen Leben steht. Hierzu und zu weiteren Unterschieden zwischen entschuldigendem und rechtfertigendem Notstand vgl. die nachfolgende Gegenüberstellung der beiden Notstandsarten Rechtfertigender Notstand (§ 34)
Entschuldigender Notstand (§ 35 (1))
1.
1.
Notstandssituation: gegenwärtige Gefahr für irgendein Rechtsgut
2.
Notstandshandlung:
Notstandssituation: gegenwärtige Gefahr für Leben, Leib oder Freiheit
2.
Notstandshandlung:
Unabwendbarkeit der Gefahr auf andere Weise
ebenso
wesentliches Überwiegen des geschützten Interesses
Unzumutbarkeit der Hinnahme der Gefahr
angemessenes Mittel 3.
Rettungswille
3.
Rettungswille
Beachten Sie! Liegen bereits die Voraussetzungen des rechtfertigenden Notstandes (§ 3 4 ) vor, ist die Notstandstat rechtmäßig. Die Prüfung von Entschuldigungsgründen (z.B. des entschuldigenden Notstands (§ 3 5 (1)) ist in einem solchen Fall gegenstandslos. Anders ausgedrückt: Die Untersuchung des entschuldigenden Notstands setzt voraus, daß die Notstandstat eine rechtswidrige Tat (vgl. Wortlaut des § 35 (1) Satz 1) und nicht schon durch rechtfertigenden Notstand (oder einen anderen Rechtfertigungsgrund) gerechtfertigt ist. Der entschuldigende Notstand ist in diesem Sinne subsidiär gegenüber dem rechtfertigenden Notstand.
Entschuldigender Notstand
322
D Fallprüfungsschema Das Vorsatzdelikt dargestellt am Beispiel des vorsätzlichen Begehungsdelikts (Feinstruktur)
1 2
) Zur Grundstruktur vgl. bereits S . 1 9 5 . ) Nähere Ausführungen hierzu in L E 2 3 .
LE 20
TE 20
Testfragen zur LE 20
323
1.1
Liegt rechtfertigender Notstand vor, wird der Täter nicht bestraft, weil seine Tat von der Rechtsordnung wird. Es entfällt somit die der Tat.
1.2
Liegt entschuldigender Notstand vor, wird der Täter ebenfalls nicht bestraft. Seine Tat wird von der Rechtsordnung zwar nicht gebilligt und ist daher Da ihm aber rechtmäßiges Verhalten nicht werden kann, entfällt die
1.3
Definieren Sie „Entschuldigungsgründe"!
2.1
Nennen Sie mindestens zwei die Notstandssituation bzw. die Notstandshandlung betreffende Unterschiede zwischen rechtfertigendem Notstand und entschuldigendem Notstand!
1.4
„Namentlich" in zwei Fällen mutet das StGB zu, eine Gefahr für elementare Rechtsgüter auszustehen. In welchen beiden Fällen?
2.2
A schlägt in der Mietwohnung der vergeßlichen und zum Einkaufen Tür ein (= § 303 (1)), um das dort auströmende Gas abzustellen.
gegangenen B eine
Es kommt Notwehr / rechtfertigender Notstand / entschuldigender Notstand in Betracht. 3.1
In der Wohnung der B stellt A überrascht fest, daß der penetrante Gasgeruch im Treppenhaus offenbar doch nicht aus der Wohnung der B, sondern aus einer anderen Wohnung kommen muß. A beruft sich gegenüber der Anklage wegen Sachbeschädigung der Tür (§ 303 (1)) auf einen Irrtum. Es handelt sich um einen Tatbestandsirrtum / direkten Verbotsirrtum / indirekten Verbotsirrtum / Irrtum über einen rechtfertigenden Sachverhalt / unspezifizierten Irrtum über die Strafbarkeit.
Testfragen
324
TE 20
Grundfall: Der Gewalttäter Z stößt F, dem Lenker des Taxis BN-D 41 7, den entsicherten Revolver ins Genick und fordert ihn auf, den Polizisten P niederzufahren. In seiner Todesangst tut F, wie ihm geheißen. P ist sofort tot (= § 212 (1)). 3.2
Rechtfertigender Notstand entfällt für F, weil (bitte ergänzen!)
2.3
Für F kommt aber entschuldigender Notstand in Betracht. Begründen Sie dies an Hand sämtlicher Merkmale dieses Entschuldigungsgrundes (§ 35 (1))! 1. Notstandssituation:
2. Notstandshandlung:
3. Rettungswille:
Variante 1: Der Polizeibeamte P erkennt, halb den F mit seiner Dienstpistole.
daß F ihn zu Tode fahren will. Er erschießt
des-
Durfte P den F erschießen? 4.1
Das Problem dieses Falles liegt darin, ob man gegen einen entschuldigt Handelnden üben darf.
4.2
Dieses Problem haben Sie bisher in keiner LE kennengelernt. Dennoch können Sie es mit H ü f e d e s § 32 (2) lösen. Gegen einen entschuldigt Handelnden darf man Notwehr üben / keine Notwehr üben; denn (bitte ergänzen!)
Variante 2: P erschießt den Gewalttäter 4.3
Z, der den F mit der Pistole
bedroht.
P ist durch Nothilfe / durch rechtfertigende Notstandshilfe / durch entschuldigende Notstandshilfe
TE 20
Testfragen
325
Betrachten Sie nunmehr die folgende moderne Variante des Taxifahrerbeispiels: Der Polizeihauptkommissar Siegfried Kuhnert (K) hat sich dem Bankräuber Tibor Lucacs (L) als Geisel zur Verfügung gestellt und lenkt den schnellen Fluchtwagen durch die Frankfurter Innenstadt Richtung Hauptwache. Als sich ihnen ein Polizist entgegenstellt, setzt L dem K die schußbereite Pistole an die Schläfe und zischt: „Gib Gas!" K fährt seinen Kollegen nieder (= § 212 (1)). 2.4
K macht später entschuldigenden Notstand geltend. Mit Erfolg? Ja / Nein Begründung:
Als seine Verlobte (§ 11 (1) Z la) Dagmar (D) mit einem schweren Kollaps ins Kreiskrankenhaus eingeliefert wird, erkennt der verantwortliche Arzt Dr. Bräutigam (Dr. B) alsbald, Schwerdaß sie nur durch sofortigen Einsatz der einzigen und derzeit mit einem anderen kranken besetzten Herz-Lungen-Maschine zu retten wäre. Ohne zu zögern ordnet er an, daß D sogleich an das Gerät angeschlossen wird, obwohl ihm klar ist, daß er damit den anderen Patienten dem sicheren Tod preisgibt. 3.3
Bezüglich der Tötung (§ 2 1 2 (1)) des anderen Patienten handelt Dr. B mit dolus eventualis / wissentlich / absichtlich. Bitte begründen!
2.5
Kann sich Dr. B mit Erfolg auf entschuldigenden Notstand berufen? Ja / Nein Begründung (bitte die Voraussetzungen des § 35 (1) durchprüfen!):
2.6 Blättern Sie bitte zurück auf S. 175 zum Fall des Geologen Kehle durchschneidet, um nicht zu verdursten! K ist durch
K, der seinem Begleiter
die
Notstand gerechtfertigt / entschuldigt.
Literatur: Zum entschuldigenden Notstand vgl. Baumann aaO. § 29 II 2; Bockelmann aaO. § 16 D I; fescheck aaO. § 44; Mezger-Blei aaO. § 70a; Wessels aaO. § 10 VII 1—2. Zum Fallpriifungsschema des vorsätzlichen Begehungsdelikts vgl. ausführlich Kienapfel aaO. § 6A.
326
Antworten
TE 20
1.1
gebilligt; Rechtswidrigkeit
1.2
rechtswidrig; zugemutet; Schuld
1.3
Entschuldigungsgründe beschreiben die Voraussetzungen, unter denen die Rechtsordnung rechtmäßiges Handeln nicht mehr zumutet (o.a.).
2.1
1. Der Kreis der notstandsfähigen Rechtsgüter ist beim entschuldigenden Notstand beschränkt auf Leben, Leib und Freiheit. 2. Beim entschuldigenden Notstand braucht das gerettete Interesse das beeinträchtigte nicht wesentlich zu überwiegen. Steht Leben gegen Leben, kommt daher nur entschuldigender Notstand in Betracht. 3. Auf die Zumutbarkeit der Hinnahme der Gefahr kommt es nur beim entschuldigenden Notstand an. 4. Auf die Angemessenheit des Mittels kommt es nur beim rechtfertigenden Notstand an (o.a.).
1.4
1. Wenn der Täter die Gefahr selbst verursacht hat. 2. Wenn er kraft eines besonderen Rechtsverhältnisses zu erhöhter Gefahrtragung verpflichtet ist (o.ä.).
2.2
rechtfertigender Notstand
3.1
Irrtum über einen rechtfertigenden Sachverhalt
3.2
Leben gegen Leben steht, das gerettete Interesse das beeinträchtigte also nicht wesentlich
2.3
1. Notstandssituation: Es droht für das Leben des F eine gegenwärtige Gefahr (Tod durch Kopfschuß) (o.ä.). 2. Notstandshandlung: Die Lebensgefahr war für F nur dadurch abwendbar, daß er den Befehl des Z ausführte. Es liegen auch keine Umstände vor, nach denen dem F die Hinnahme der Lebensgefahr zuzumuten ist. Weder hat er durch die Mitnahme des Z die Gefahr verursacht („verursachen" ist hier nicht i.S.d. Äquivalenztheorie zu verstehen) noch steht er in einem besonderen Rechtsverhältnis, das ihm erhöhte Gefahrtragungspflichten auferlegt (o.ä.). 3. Rettungswille: F wollte die Lebensgefahr von sich abwenden, hat also mit Rettungswillen gehandelt (o.ä.).
4.1
Notwehr
4.2
darf man Notwehr üben; denn Notwehr setzt einen rechtswidrigen Angriff (§ 32 (2)) voraus. Wer entschuldigt (§ 35 (1)) handelt, handelt gleichwohl rechtswidrig. Also durfte P den F erschießen, zumal auch die sonstigen Voraussetzungen des § 32 (2) erfüllt sind (o.ä.).
4.3
Durch Nothilfe (!) gerechtfertigt
2.4
Nein! K ist Polizeihauptkommissar und lenkt den Fluchtwagen nicht als Privatmann, sondern, wenngleich gezwungen, in seiner dienstlichen Eigenschaft. Als Polizeibeamter steht K in jenem „besonderen Rechtsverhältnis", aufgrund dessen er selbst elementare Gefahren hinzunehmen hat (§ 35 (1) Satz 2 1. Halbsatz). Er ist daher nicht durch entschuldigenden Notstand entschuldigt (o.ä.).
3.3
wissentlich. Denn Dr. B sieht den Tod des anderen Patienten als sicher voraus.
2.5
Eher nein! D ist eine „Angehörige" (§ 35 (1) Satz 1 i.V.m. § 11 (1) Z la). Sie befindet sich in Lebensgefahr. Die Lebensgefahr ist nicht anders abwendbar als durch die rechtswidrige Tötung des anderen Patienten. Sehr zweifelhaft ist es aber, ob Dr. B zuzumuten ist, diese Gefahr hinzunehmen. Zwar hat er sie nicht verursacht. Doch befindet er sich als Arzt in einem „besonderen Rechtsverhältnis", das ihm möglicherweise im Hinblick auf das Vertrauen der Allgemeinheit, daß Entscheidungen über Leben und Tod ohne Ansehen der Person getroffen werden, verpflichtet, auch eine solche Gefahr hinzunehmen. Daher eher nein! Die Lösung ist aber sehr bestritten.
2.6
durch entschuldigenden Notstand entschuldigt
überwiegt (o.ä.)
FALLBEARBEITUNG 2
327
L e r n z i e 1 : Sie sollen zwei weitere Fälle lösen, und zwar in der Art, zu der Sie in diesem Programm angeleitet werden. Der rechtliche Schwerpunkt der Problematik liegt in beiden Fällen im Bereich des Irrtums. Selbstverständlich wird von Ihnen erwartet, daß Sie (so ausführlich wie nötig und zugleich so kurz wie möglich) auch zu etwaigen Problemen der Tatbestandsmäßigkeit und der Rechtswidrigkeit Stellung nehmen und daß Sie Ihre Lösung nach dem Fallprüfungsschema der Vorsatzdelikte (S. 322) aufbauen.
2. Fall „Hände h o c h ! " Sachverhalt: In einer finsteren Hafengegend wird A Zeuge der folgenden Szene: Ein hagerer, eher schäbig gekleideter Mann zieht die Pistole, richtet sie auf einen eleganten Herrn zwischen 30 und 40, der eben aus einer silbergrauen Luxuslimousine aussteigt, und zischt: „Hände h o c h ! " A glaubt, einen Raubüberfall mitzuerleben. Blitzschnell greift A zu seinem eigenen Revolver und macht den „ R ä u b e r " durch einen gezielten Schuß in den Arm kampfunfähig. Der Angeschossene ist ein Polizeimeister in Zivil (P), der im Begriff war, den langgesuchten Chef eines internationalen Rauschgiftrings festzunehmen. Aufgabe: Untersuchen Sie die Strafbarkeit des A! Hinweise: Auch wer schnell denkt und lernt, wird für den Fall mindestens 10 Minuten brauchen, um ihn gedanklich durchzuarbeiten, die Probleme zu erkennen und seine Lösung zu Papier zu bringen. Anders ausgedrückt: Wer schneller als in 10 Minuten fertig ist, hat nach aller Wahrscheinlichkeit zu flüchtig gearbeitet, nicht alle Probleme des Falles erkannt und daher das gesteckte Lernziel nicht erreicht. Auch bei diesem Fall könnte Ihnen eine zuvor angelegte Problemsammlung die schriftliche Ausarbeitung Ihrer Lösungsskizze wesentlich erleichtern.
(1)
Die meisten Bearbeiter erkennen alsbald, daß bei diesem Sachverhalt das Delikt der und zwar in der qualifizierten Form des § 223 a (1), zu untersuchen ist. Tritt im Verlauf Ihrer Fallbearbeitung die Frage auf, ob der Täter fahrlässig gehandelt hat, so ist Ihre Fallösung mit dem Erkennen dieses Problems beendet. Denn sachgerecht lösen können Sie es derzeit noch nicht. Nehmen Sie nunmehr bei dieser und allen künftigen Fallbearbeitungen einen oder mehrere Bogen Papier (am besten im Format DIN A 4) zur Hand und lösen Sie die Aufgabe schriftlich. Rein „gedankliche" Lösungen reichen auf gar keinen Fall! Sie würden auf unerläßliche und ganz bewußt eingeplante Elemente Ihres Lern- und Artikulationsprozesses verzichten und zudem erfahrungsgemäß einen geringeren Teil der Probleme erkennen als bei einer schriftlichen Lösung. Bearbeiten Sie die Fälle stets in der Reihenfolge des Lernprogramms!
Fallbearbeitung 2
328 (1) Körperverletzung
MUSTERLÖSUNG I Tatbestandsmäßigkeit A hat den P „mittels einer W a f f e " an der Gesundheit beschädigt und damit den Tatbestand des § 223 a (1) erfüllt. II Rechtswidrigkeit Zu untersuchen ist der Rechtfertigungsgrund der Notwehr (§ 32) in der Form der Nothilfe. Seine Voraussetzungen sind aber nur zum Teil erfüllt. Zwar liegt ein gegenwärtiger Angriff des P auf das Leben und die Freiheit des Gangsters vor. Aber dieser Angriff ist nicht rechtswidrig, da P im Rahmen seiner Dienstbefugnisse und folglich gerechtfertigt (Festnahmerecht) handelt. Damit entfällt bereits die Nothilfesituationl). III Schuld A gibt einen „gezielten S c h u ß " auf den Arm des P ab. Er handelt also vorsätzlich; denn er kennt den Sachverhalt, den er verwirklicht (Körperverletzung eines anderen mittels einer Waffe), und er will diesen Sachverhalt auch verwirklichen. Ein Tatbestandsirrtum scheidet daher aus. Aber es kommt ein Irrtum über einen rechtfertigenden Sachverhalt — hier über die Nothilfesituation — in Betracht2). Träfe die Annahme des A zu („Raubüberfall"), so wäre auch die Rechtswidrigkeit des Angriffs des P gegeben. A nimmt irrtümlich einen Sachverhalt an, der, wenn er vorläge, einen gegenwärtigen rechtswidrigen Angriff auf das Leben eines Menschen und auf das Eigentum darstellen würde. A irrt sich also über die Nothilfesituation. Somit sind die Voraussetzungen eines Irrtums über einen rechtfertigenden Sachverhalt erfüllt. Dieser Irrtum berührt in keiner Weise den Vorsatz des A, läßt aber sein Unrechtsbewußtsein entfallen. Die Rechtsfolgen des Irrtums über einen rechtfertigenden Sachverhalt entsprechen denen des Tatbestandsirrtums. Für A kommt eine Bestrafung wegen fahrlässiger Tat nur dann in Betracht, wenn es ein entsprechendes Fahrlässigkeitsdelikt gibt und sein Irrtum auf Fahrlässigkeit beruht. Es wäre daher zu untersuchen, ob A gemäß § 230 wegen fahrlässiger Körperverletzung zu bestrafen ist. Ob A wegen fahrlässiger Körperverletzung (§ 230) tatsächlich bestraft 3) werden kann, können Sie nach dem gegenwärtigen Stand Ihres Wissens noch nicht sachgerecht prüfen. Ergebnis: Da A sich in einem Irrtum über einen rechtfertigenden Sachverhalt befunden hat, kann er nicht wegen vorsätzlicher Tat (§ 223 a (1)) bestraft werden. 1) In einer korrekt aufgebauten Arbeit darf der Irrtum über den rechtfertigenden Sachverhalt der Nothilfe nicht auf der Stufe der Rechtswidrigkeit geprüft werden. Er muß vielmehr auf der Stufe der Schuld untersucht werden. Denn er schließt nicht die Rechtswidrigkeit (bzw. das Unrecht) aus, 'ondern das Unrechtsbewußtsein. 2) Wird dieser Irrtum bejaht, braucht die Frage eines (indirekten) Verbotsirrtums nicht mehr angeschnitten zu werden. 3) Diese Frage dürfte nach dem geschilderten Sachverhalt jedoch eher zu verneinen sein.
Fallbearbeitung 2
329
3. Fall Bartel und die Dogge Sachverhalt: Bartel (B) erschießt eine fremde Dogge (Wert: 2000 DM), als diese eines seiner zehn verschreckt auseinanderlaufenden Kücken totbeißt. Der Hund gehört dem Fabrikanten Faber (F). B verteidigt sich wie folgt: 1. Er berufe sich auf Notwehr. 2. Zumindest habe er an sein Notwehrrecht geglaubt. 3. Er habe gar nicht gewußt, daß der Hund dem F gehört. Er habe vielmehr angenommen, die Dogge gehöre dem Landwirt Ackermann (A). 4. Jedenfalls habe er an sein gutes Recht geglaubt, seine Kücken gegen den Hund verteidigen zu dürfen. Aufgabe: Untersuchen Sie die Strafbarkeit des B! Hinweise: Sie brauchen mindestens 30 Minuten, um sämtliche Probleme dieses Falles zu erkennen, zu lösen und zu Papier zu bringen. Aber auch 60 Minuten Zeitaufwand wäre angesichts der zahlreichen Probleme dieses nun schon etwas anspruchsvolleren Falles nicht zuviel. Wichtig! Mit jeder Einwendung des B verbindet sich ein kleineres oder größeres rechtliches Problem. Die Einwendungen sind bewußt „laienhaft" und zum Teil unscharf oder irreführend formuliert. Sie sollen selbst die juristische Relevanz der einzelnen Einwendungen erkennen und prüfen. Sie dürfen keine einzige Einwendung übergehen und sollen sich andererseits auf sie auch nicht beschränken; allerdings ist ihre im Sachverhalt angegebene Reihenfolge ganz zufällig und für Sie in keiner Weise verbindlich. Sie bekommen den für Sie ungewohnten Sachverhalt am besten in den Griff, wenn Sie sich zunächst ganz genau klarmachen, welcher speziellen Stufe des Fallprüfungsschemas jede einzelne Einwendung zuzuordnen ist. Daraus ergibt sich dann die Gliederung Ihrer Lösungsskizze von selbst. Schauen Sie sich deshalb vor der Lösung dieses Falles das auf S. 322 abgedruckte Fallprüfungsschema für das vorsätzliche Begehungsdelikt an!
330
Fallbearbeitung 2 MUSTERLÖSUNG I Tatbestandsmäßigkeit B hat den Hund des F erschossen und damit eine fremde Sache zerstört. Folglich ist der Tatbestand des § 303 (1) erfüllt. II Rechtswidrigkeit Entgegen der Ansicht des B scheidet Notwehr gegen den Hund aus, da gemäß § 32 (2) eine Notwehrsituation nur durch einen Angriff eines Menschen begründet wird. Allenfalls käme rechtfertigender Notstand (§ 34) in Betracht. Aber auch dieser Rechtfertigungsgrund entfällt. Zwar liegt eine gegenwärtige Gefahr für das Rechtsgut des Eigentums des B vor. Aber es sind die Voraussetzungen der Notstandshandlung nicht erfüllt. Denn die Abwägung der widerstreitenden Interessen ergibt, daß nicht das geschützte Interesse das im Zuge der Notstandshandlung beeinträchtigte wesentlich überwiegt, wie es § 34 Satz 1 fordert, sondern gerade umgekehrt das beeinträchtigte Interesse das geschützte! Das gilt insbesondere, wenn man den Wert der Kücken mit jenem der Dogge vergleicht. III Schuld 1. B handelt vorsätzlich. Er weiß, daß er einen fremden Hund tötet, und er will ihn auch töten. Sein Vorsatz bezüglich der „ F r e m d h e i t " der Sache wird nicht dadurch ausgeschlossen, daß er irrtümlich geglaubt hat, der Hund gehöre dem A 1). Es handelt sich bei diesem Irrtum um einen Irrtum über das Tatobjekt. Ein solcher Irrtum ist strafrechtlich nur dann beachtlich, wenn das Tatobjekt, das sich der Täter vorstellt, von anderer Art ist als das, das er beeinträchtigt. Hier aber hat B einen fremden Hund getötet, und er wollte einen fremden Hund töten. Dieser Irrtum ist mit Rücksicht auf die Gleichartigkeit des Tatobjekts (bloßer Irrtum über die Identität des Tatobjekts) unbeachtlich. 2. B beruft sich weiterhin auf „sein gutes Recht", die Kücken gegen den Hund verteidigen zu dürfen. Ein Recht, so zu verfahren, wie geschehen, hat B aber nicht (siehe oben II). B hat sich also geirrt. Es ist die Frage, welche Art von Irrtum er damit geltend machen will. Es könnte sich um einen Irrtum über einen rechtfertigenden Sachverhalt handeln 2). Ein solcher Irrtum setzt allerdings voraus, daß B einen Sachverhalt angenommen hat, der die Rechtswidrigkeit der Tat ausschließen würde. Als ein solcher rechtfertigender Sachverhalt käme allenfalls rechtfertigender Notstand in Betracht. Aber in tatsächlicher Hinsicht 1) Auf der Stufe der Schuld hat diese Einwendung den logischen Vorrang vor den übrigen. Denn ein Irrtum über das Tatobjekt könnte zur Annahme eines Tatbestandsirrtums führen. Läge ein Tatbestandsirrtum vor, so wären die übrigen Einwendungen des B, die ausschließlich sein Unrechtsbewußtsein betreffen, gar nicht mehr zu prüfen. 2) Dieser Irrtum ist im Rahmen des Schuldelementes „Unrechtsbewußtsein" zweckmäßigerweise vor dem hier ebenfalls in Betracht kommenden Verbotsirrtum zu prüfen. Denn die A n n a h m e eines Irrtums über einen rechtfertigenden Sachverhalt würde zur Prüfung eines Fahrlässigkeitsdelikts führen und weitere Ausführungen über den Verbotsirrtum bei vorsätzlicher Tat entbehrlich machen. Vgl. bereits S. 328 und dortige Fußnote 2.
Fallbearbeitung 2
331
irrt sich B gar nicht. Denn er stellt sich gar keinen anderen Sachverhalt vor als den, der vorliegt. Ein Irrtum über einen rechtfertigenden Sachverhalt scheidet somit aus. B hat sich lediglich in rechtlicher Hinsicht geirrt, indem er aus dem Sachverhalt die falschen Schlüsse bezüglich seiner rechtlichen Befugnisse gezogen hat. Es könnte also ein indirekter Verbotsirrtum (§ 17) in Betracht kommen. B hat geglaubt, seine Tat läge noch innerhalb der Grenzen der Notwehr. Diesen Rechtfertigungsgrund gibt es (§ 32), er kommt aber gegenüber Tierattacken nicht zum Zuge. B hat sich somit über die Grenzen dieses Rechtfertigungsgrundes geirrt (siehe auch oben II). Die Verteidigung des B ist aber auch dahin aufzufassen, daß er jeden anderen möglicherweise in Betracht kommenden indirekten Verbotsirrtum (§17) geltend machen will. Insofern liegt es nahe, einen indirekten Verbotsirrtum über den rechtfertigenden Notstand zu untersuchen. B hat gemeint, seine Kücken auch auf Kosten eines höherwertigen Rechtsguts (vgl. oben II) retten zu dürfen. Das aber darf er nicht. B hat folglich auch die Grenzen dieses Rechtfertigungsgrundes überdehnt. Immerhin hat der Irrtum über die Grenzen der Notwehr bzw. des rechtfertigenden Notstands dem B die Einsicht in die Rechtswidrigkeit u n d damit in das Unrecht seiner Tat verhüllt. Dieser Irrtum schließt aber allenfalls das aktuelle Unrechtsbewußtsein des B aus, jedoch nicht das potentielle Unrechtsbewußtsein. Letzteres genügt zu seiner Bestrafung (vgl. § 17 Satz 2). Es kommt daher darauf an, ob dieser Verbotsirrtum vermeidbar war (§ 17) 3). Diese Frage ist zu bejahen, weil bei einer so beträchtlichen Wertdifferenz zwischen Dogge und Kücken das Unrecht für B wie für jedermann leicht erkennbar war. 3. B könnte durch entschuldigenden Notstand (§ 35 (1)) entschuldigt sein. Insoweit fehlt es aber auch schon an einer Notstandssituation. Denn im Gegensatz zum rechtfertigenden Notstand wird die Situation des entschuldigenden Notstands nicht schon durch eine gegenwärtige Gefahr für irgendein Rechtsgut, sondern nur für eines der drei elementaren Rechtsgüter Leben, Leib oder Freiheit begründet. Hier aber geht es nur um das Eigentum. Es ist nicht notstandsfähig i.S.d. § 35 (1) Satz 1. Eines Eingehens auf die sonstigen Voraussetzungen des entschuldigenden Notstands bedarf es in diesem Falle nicht. Ergebnis: B ist wegen vorsätzlicher Sachbeschädigung gemäß § 303 (1) zu bestrafen. Aber seine Strafe kann gemäß § 17 Satz 2 i.V.m. § 49 (1) gemildert werden. 3) Wegen der unterschiedlichen Rechtsfolgen müssen Sie die Frage der Vermeidbarkeit in allen Fällen des Verbotsirrtums besonders sorgfältig erörtern, es sei denn, die Entscheidung ist so unproblematisch wie im vorliegenden Fall
Fallbearbeitung 2
332
Bewertung des 3. Falles Es wird Sie gewiß interessieren, nach welchen Kriterien Ihre schriftlichen Arbeiten in den strafrechtlichen Übungen benotet werden. Die wesentlichen Bewertungskriterien sind in der nachfolgenden Bewertungsskizze angeführt. Durch das mitgeteilte Punktesystem können Sie selbst Ihren „derzeitigen S t a n d " ermitteln. Geben Sie sich jeweils die halbe Punktezahl (also 1 bzw. 2 Punkte), wenn Sie das Problem nur halb erkannt oder nur halb gelöst haben. Erreichbare Punktezahl
Problem und Schweregrad
I
Tatbestandsmäßigkeit (leicht)
II
Rechtswidrigkeit Notwehr (leicht) Rechtfertigender Notstand (mittel) 1. Erkennen des Problems
2
2 2 2
2. Lösen des Problems III
Schuld Irrtum über das Tatobjekt (mittel) 1. Erkennen des Problems 2. Lösen des Problems
2 2
Irrtum über einen rechtfertigenden Sachverhalt (schwer) 1. Erkennen des Problems
4
2. Lösen des Problems
2
Indirekter Verbotsirrtum (schwer) 1. Erkennen des Problems 2. Lösen des Problems
4 4
Vorwerfbarkeit des Verbotsirrtums (leicht)
2
Entschuldigender Notstand (mittel) 1. Erkennen des Problems
2 2
2. Lösen des Problems Guter Aufbau Ihrer Lösungsskizze Angemessene juristische Diktion
bis zu 4 bis zu 4
Ihre Gesamtpunktezahl
max. 40
Notenskala über 36 31 - 3 6 25 - 30 19 — 24 13 — 18 0 — 12
= = = = =
Sie sind ein juristisches Phänomen! sehr gut gut befriedigend ausreichend
= nicht genügend
Ihre Benotung
LE 21
STADIEN DES VORSÄTZLICHEN DELIKTS
333
L e r n z i e l : Ein vorsätzliches Delikt kann verschiedene Stadien durchlaufen. Strafbar ist nicht nur das vollendete, sondern auch in vielen Fällen das versuchte Delikt. Sie sollen die verschiedenen Stadien des vorsätzlichen Delikts kennen und voneinander abgrenzen lernen. Im Vordergrund dieser LE steht die Grenzziehung zwischen „Vorbereitung" und „Versuch" sowie zwischen „Versuch" und „Vollendung"
Ein vorsätzliches Delikt kann „versucht" oder „vollendet" sein. Versuch und Vollendung sind verschiedene Erscheinungsformen des vorsätzlichen Delikts. Strafbar ist nicht erst die vollendete, sondern in vielen Fällen bereits die versuchte Tat. Meuchel schießt auf Morchel, um ihn zu töten. Morchel fällt tot um. Meuchel hat erreicht, was er wollte. Sein Plan ist in Erfüllung gegangen. Er hat Morchel getötet. Eben dieses Endstadium der Tat ist im § 212 (1) beschrieben. Bitte lesen! Die gesetzliche Formulierung des Tatbestandes des § 212 (1) stellt darauf ab, daß der Täter „einen Menschen getötet" und damit sämtliche Tatbestandsmerkmale dieses Delikts erfüllt hat. (1) § 212 (1) beschreibt daher den versuchten / den vollendeten Totschlag. (2) Wie beim Totschlag legen die Tatbestände des StGB nahezu ausnahmslos die E form des vollendeten Delikts zugrunde. Wandeln wir das Beispiel ab: Meuchel.hat troffen.
auf Morchel zwar geschossen,
ihn aber nicht ge-
Meuchel hat mit der Ausführung des Totschlags an Morchel zwar begonnen, aber nicht er(3) reicht, was er wollte. Da der Tod des Morchel eingetreten ist, sind nicht Tatbestandsmerkmale dieses Delikts verwirklicht. Die Tat ist vor der Vollendung steckengeblieben. Es handelt sich mithin um den Versuch eines Totschlags. Ein Delikt ist versucht, wenn der Täter mit seiner Ausführung zwar begonnen, aber nicht (4) sämtliche erfüllt hat. Daß das vollendete vorsätzliche Delikt strafbar ist, ergibt sich z.B. für den Totschlag aus (5) dem Wortlaut des § 212 (1), für den Diebstahl aus dem Wortlaut des § (6) Strafbar ist aber bereits das
vorsätzliche Delikt.
Aber aufpassen! Das Gesetz differenziert. Lesen Sie bitte § 23 (1)! (7) Stets und ohne Ausnahme strafbar ist nur der Versuch eines (8) Der Versuch eines Vergehens ist nur dann strafbar, wenn (bitte ergänzen!)
(9)
Verbrechen sind gemäß § 12 (1) alle rechtswidrigen Taten, die im Mindestmaß mit einer Freiheitsstrafe von bedroht sind.
(10) Vergehen sind gemäß § 12 (2) alle rechtswidrigen Taten, die (bitte ergänzen!)
Stadien des vorsätzlichen Delikts
334 (1) (4) (8) (10)
LE 21
den vollendeten Totschlag (2) Erscheinungsform (3) nicht; sämtliche Tatbestandsmerkmale (5) § 2 4 2 ( 1 ) (6) versuchte (7) Verbrechens das Gesetz es ausdrücklich bestimmt (9) einem Jahr im Mindestmaß mit einer geringeren Freiheitsstrafe oder mit Geldstrafe bedroht sind
(1) Mithin ist der Versuch des Diebstahls (§ 242) strafbar, •
weil es sich um ein Verbrechen handelt (§ 23 (1) 1. Halbsatz)
•
weil es sich um ein Vergehen handelt, bei dem das Gesetz die Strafbarkeit des Versuchs ausdrücklich bestimmt hat (§ 23 (1) 2. Halbsatz i.V.m. § 242 (2)).
Ist der Versuch einer Körperverletzung (§ 223 (1)) strafbar? (2) J a / Nein Begründung:
§ 23 (1) hat darüber hinaus auch Bedeutung für den Tatbestand des versuchten Delikts. Während sich der Tatbestand des vollendeten Delikts, etwa des vollendeten Totschlags, (3) aus dem Wortlaut des § 212 (1) von selbst ergibt, muß der des versuchten Totschlags aus § 23 (1) i.V.m. § 212 (1) abgeleitet und von Ihnen gebildet werden. Um zum genauen Wortlaut des Tatbestandes des versuchten Totschlags zu gelangen, muß man § 23 (1) dem Sinne nach in den Tatbestand des § 212 (1) hineinlesen. Danach lautet der Tatbestand des versuchten Totschlags wie folgt: „Wer einen Menschen zu töten versucht".
(4)
Bilden Sie aus § 23 (1) i.V.m. § 242 (1) und (2) selbst den Tatbestand des versuchten Diebstahls!
(5) Bleibt nur noch die Frage, ob das versuchte Delikt ebenso streng oder bestraft wird als das vollendete Delikt. Nicht nur für das laienhafte, sondern auch für das juristisch gefilterte Empfinden macht es einen Unterschied, „ob etwas passiert" ist oder nicht (Bockelmann). Lesen Sie bitte § 23 (2)! Diesem Empfinden trägt das StGB in der Weise Rechnung, daß das versuchte Delikt (6) gemäß § 23 (2) milder bestraft werden nicht aber in jedem Fall milder bestraft werden Zur Wiederholung! Strafbarkeit, Tatbestand u n d Rechtsfolgen der vollendeten Sachbeschädigung ergeben (7) sich unmittelbar aus dem Wortlaut des § (8) St beschädigung ergeben sich aus §
und i.V.m. §
der versuchten Sach-
Stadien des vorsätzlichen Delikts
LE 2 1
335
(1) weil es sich um ein Vergehen handelt, bei dem das Gesetz die Strafbarkeit des Versuchs ausdrücklich bestimmt hat (§ 23 (1) 2. Halbsatz i.V.m. §242 (2)) (2) Nein! Es handelt sich um ein Vergehen, bei dem das Gesetz die Strafbarkeit des Versuchs nicht ausdrücklich bestimmt hat (o.a.). (3) Tatbestand (4) „Wer eine fremde bewegliche Sache einem anderen in der Absicht wegzunehmen versucht, dieselbe sich rechtswidrig zuzueignen". (5) milder {6) kann; muß (7) § 303 (1) (8) Strafbarkeit; Tatbestand; Rechtsfolgen; § 23 (1) i.V.m. § 303 (1) und (2)
Das vorsätzliche Delikt d u r c h l ä u f t vom ersten Gedanken an die T a t bis zu ihrer Vollendung eine mehr oder weniger lange Zeitspanne. Diese Zeitspanne läßt sich in mehrere Stadien zergliedern. Stadien des vorsätzlichen Delikts: Entschließung
Vorbereitung
Diese Stadien sind durchaus nicht immer gleich lang, wie es der Vereinfachung des Schaubildes entspricht. Bei spontan begangenen S t r a f t a t e n sind diese Stadien o f t kaum zu unterscheiden. A m folgenden Beispiel lassen sich sehr deutlich die verschiedenen Stadien entwickeln, die ein vorsätzliches Delikt durchlaufen kann. Langsam reift in Annabell aus Bad Liebenzell der Gedanke, Michele Papagallo, ihren ungetreuen Liebhaber, umzubringen. Dessen erneuter Seitensprung gibt schließlich den Ausschlag. Am Montag weiß sie es genau: sie wird es tun! (1)
Das erste Stadium der vorsätzlichen Straftat ist das Stadium der E Diese Phase reicht vom ersten Gedanken an die Tat bis z u m Fassen des Tatentschlusses. Der bloße Gedanke an eine Straftat, das Fassen des definitiven Tatentschlusses, j a selbst noch die bloße Verkündung dieses Tatentschlusses sind bei sämtlichen Delikten straflos.
Da im Falle Annabell eine bloße Entschließung vorliegt, ist ihr Verhalten in diesem Zeit(2) p u n k t noch „Nix mehr Amore, wenn ich dich krieg, bisch verlöre", droht Annabell ihrem Galan am Dienstag per Telefon. Er glaubt zu diesem Zeitpunkt noch an einen Scherz. (3)
Dieses Verhalten ist (unter d e m Aspekt eines Tötungsdelikts) bereits strafbar / noch straflos, da es in das Stadium der fällt.
Daß das Gesetz die b l o ß e Entschließung zu einem Delikt straflos läßt, ist kriminalpolitisch (4) richtig. Versuchen Sie selbst, ein Argument dafür zu f i n d e n !
Stadien des vorsätzlichen Delikts
336
LE 21
( 1 ) Entschließung ( 2 ) straflos (3) noch straflos; Entschließung (4) Die Strafbarkeit bloßer Entschließung würde zur Gesinnungsschnüffelei führen. Der Bereich des Strafbaren würde in ganz unerträglicher Weise ausgedehnt. Orwells utopischer R o m a n „ 1 9 8 4 " würde schockierende Wirklichkeit. Cogitationis poenam nemo patitur (o.a.).
Entschließung
(1)
2
Vorbereitung
An das Stadium strafloser Entschließung fügt sich das Stadium der ebenfalls noch straflosen an. In diesem Stadium nimmt der Täter Vorbereitungshandlungen vor. Typische Vorbereitungshandlungen im Falle Annabell: Sie fragt in der „Quellenapotheke" nach Rattengift. Zwei Tage später kauft sie es. Sie trägt es nach Hause und versteckt es im Keller. Vorbereitungshandlungen sind Handlungen, welche die spätere Ausführung der Tat ermöglichen, erleichtern oder absichern sollen. Sind folgende Handlungen Vorbereitungshandlungen? Der Kassenschränker
(2)
besorgt
K will am Wochenende einen Tresor „knacken".
er sich bei einem Bekannten
(3) Die Schwangere Der Taschendieb
ein Schweißgerät.
erkundigt sich bei ihrer Freundin greift in die leere Jackentasche
Einige Tage
zuvor
J a / Nein
nach einer „Engelmacherin".
J a / Nein
des B.
(4)
Diese Handlung ist noch eine Vorbereitungshandlung / geht über eine bloße Vorbereitungshandlung schon hinaus.
(5)
Vorbereitungshandlungen sind im allgemeinen straflos / strafbar. Der Grund für die Straflosigkeit bloßer Vorbereitungshandlungen liegt in folgendem: Vorbereitungshandlungen stellen noch keine unmittelbare Gefährdung des Rechtsguts dar. Ob es später tatsächlich zur Ausführung der Tat, des Diebstahls, des Mordes, des Schwangerschaftsabbruches etc. kommt, hängt von vielen Unwägbarkeiten ab. Der Täter kann Angst vor der eigenen Courage bekommen, er kann es sich anders überlegen, er kann umgestimmt werden, er kann das Ziel auf straflose Weise erreicht haben, das Opfer kann inzwischen gestorben sein etc. unter dem Vorwand einer „ VersöhnungsAm Mittwoch lädt Annabell ihren Liebhaber aussprache" für den Nachmittag des folgenden Tages in ihre Wohnung ein. In Wirklichkeit will sie ihn bei dieser Gelegenheit mit Rattengift töten.
(6) Diese Einladung ist keine straflose Vorbereitungshandlung mehr / ist noch eine straflose Vorbereitungshandlung. Begründung:
Vorbereitungshandlungen sind Handlungen, welche die spätere Ausführung einer Tat (7)
(bitte ergänzen!)
337
Stadien des vorsätzlichen Delikts
LE 21
(1) Vorbereitung (2) Ja! (3) Ja! (4) geht über eine bloße Vorbereitungshandlung schon hinaus (5) straflos (6) ist noch eine straflose Vorbereitungshandlung. Sie stellt noch keine unmittelbare Gefährdung des Lebens des Michele dar. Denn sie soll di e für den nächsten Tag geplante Ausführung des Tötungsdelikts überhaupt erst ermöglichen (o.a.). (7) ermöglichen, erleichtern oder absichern sollen
Vorbereitung
Entschließung
Mit dem Übergang v o m Stadium der Vorbereitung in das Stadium des Versuchs wird die Tat strafrechtlich relevant. Mit dem Versuch beginnt die Strafbarkeit der Tat. Die Frage ist nur, wann der Versuch beginnt. Die exakte Bestimmung dieses Zeitpunkts gehört zu den praktisch bedeutsamsten und schwierigsten Abgrenzungsproblemen des Allgemeinen Teils. Handlungen, die im Stadium des Versuchs vorgenommen werden, nennt man Ausführungshandlungen. (1)
Mithin liegt Versuch jedenfalls dann vor, wenn der Täter eine
-
handlung vorgenommen hat. Annabell hat ihrem Galan geöffnet. „zur Begrüßung" ein mit Rattengift (2)
Mit scheinbar zärtlicher Geste steckt Annabell ihm präpariertes „Schokoladenguzele" in den Mund.
Mit dem Überreichen der Praline hat Annabell eine straflose Vorbereitungshandlung / strafbare Ausführungshandlung vorgenommen. Nach dem ausdrücklichen Willen des Gesetzgebers soll die Strafbarkeit wegen Versuchs jedoch schon vor der eigentlichen Ausführungshandlung beginnen. Lesen Sie bitte § 22!
(3)
Gemäß § 22 gilt eine Straftat schon dann als versucht, sobald der Täter n s
V
des Tatbestandes u
von der Tat zur Verwirklichung a
Jedes Wort ist
wichtig ! Bereits in diesem Augenblick setzt der Versuch und damit die Strafbarkeit der Tat ein. Nuancieren wir den Fall in zeitlicher Hinsicht: Annabell hat ihrem Galan geöffnet und greift nun nach der Pralinenschachtel, um ihr die vergiftete Praline zu entnehmen, die sie Michele Papagallo in den Mund stecken will. Liegt bereits in diesem Augenblick ein strafbarer Versuch vor? (4) Ja / Nein
Begründung (unter möglichst enger Anlehnung an den Wortlaut des § 22):
338
Stadien des vorsätzlichen Delikts (1) Ausführungshandlung
LE 21
(2) strafbare Ausführungshandlung
(3) nach seiner Vorstellung; unmittelbar ansetzt
(4) Ja! Denn schon damit setzt sie nach ihrer Vorstellung von der Tat unmittelbar
zur Verwirklichung
des Tatbestandes eines Tötungsdelikts an (o.a.).
(1) Die in § verankerte Abgrenzungsformel zwischen strafloser und strafbarem verfolgt ganz gezielt den Zweck, die Strafbarkeit der Tat erst mit / bereits ein Stück vor der eigentlichen Ausführungshandlung eintreten zu lassen. (2) Die folgende Zeichnung soll dies verdeutlichen. Bitte einsetzen! Straflosigkeit
I
noch kein Delikt
Strafbarkeit
versuchtes Delikt
Entschließung
illendetes Delikt
Vollendung
Vorverlagerung der Strafbarkeit gemäß § 22 Michele klingelt unten an der Haustür. Annabell
öffnet.
(3) In diesem Augenblick liegt ebenfalls schon ein strafbarer Versuch / noch eine straflose Vorbereitungshandlung vor, weil (bitte ergänzen!)
Ob der Täter zur Verwirklichung des Tatbestandes „unmittelbar ansetzt", ist durch wertende Betrachtung vom Standpunkt eines beobachtenden Dritten zu ermitteln. Aber beachten Sie bitte! Beurteilungsgrundlage ist nicht die Tat selbst, sondern die (4) „Vorstellung i " (§ 22). Die Grenze zwischen Vorbereitung und Versuch ist daher je nachdem, was sich der Täter vorstellt, verschieden zu bestimmen. Der einschlägig vorbestrafte A wird am 17.3., einem Sonntag, gegen 15.00 h dabei überrascht, wie er in Nürnberg-Galgenhof an der Hintertür des dortigen Supermarkts eine große Schlüsselkollektion durchprobiert. A gibt zu, für Mitternacht einen Einbruch geplant zu haben. Jetzt am Nachmittag sei es ihm aber nur darum gegangen, den passenden Schlüssel herauszufinden. (5) Läßt sich diese Einlassung nicht widerlegen, so kommt versuchter Diebstahl noch nicht in Betracht / gleichwohl in Betracht, weil (bitte ergänzen!)
Wie müßte „die Vorstellung des Täters von der T a t " beschaffen sein, damit A bereits jetzt (6) ein versuchter Diebstahl zur Last gelegt werden kann?
LE 21
Stadien des vorsätzlichen Delikts
339
(1) § 22; Vorbereitung; Versuch; bereits ein Stück vor der eigentlichen Ausführungshandlung (2) Vorbereitung; Versuch (3) noch eine straflose Vorbereitungshandlung vor, weil Annabell mit dem öffnen der Tür nach ihrer Vorstellung von der Tat noch nicht unmittelbar zur Verwirklichung der Tötung ihres Liebhabers ansetzt (o.a.) (4) des Täters von der Tat (5) noch nicht in Betracht, weil nach A 's Vorstellung das Delikt erst in der Nacht verwirklicht werden sollte (o.a.) (6) A wollte ic Aon am Nachmittag (d.h. sogleich nach Herausfinden des richtigen Schlüssels) in den Supermarkt eindringen (o.a.).
(1)
Bitte einsetzen! Vollendung Auf das Stadium des Versuchs folgt das Stadium der Vollendung des Delikts.
Die Abgrenzung von Versuch u n d Vollendung ist bedeutsam, weil das vollendete Delikt (2) in der Praxis meist bestraft wird als das versuchte. Außerdem kann man vom versuchten Delikt noch strafbefreiend zurücktreten, vom vollendeten Delikt im allgemeinen aber nicht mehr. Näheres in LE 23. (3)
Bei den meisten Delikten ist die Abgrenzung von Versuch u n d nicht schwierig. Sie erfolgt nach einem formalen Kriterium: Ein Delikt ist vollendet, sobald seine sämtlichen Tatbestandsmerkmale erfüllt sind.
(4)
Mit welchem Zeitpunkt Tatbestandsmerkmale erfüllt sind, hängt im wesentlichen von der Fassung u n d der Auslegung des jeweiligen Delikts ab u n d ist damit eine Frage des Besonderen Teils des StGB.
Der Totschlag (§ 212 (1)) an Michele Papagallo ist vollendet, sobald er die vergiftete (5) Praline gegessen hat / sobald er an der vergifteten Praline gestorben ist. (6) Begründung:
Im Königsforst schlägt ein Sittlichkeitsverbrecher die 20jährige Petra aus Rösrath nieder, um sich an ihr zu vergehen. Bevor er dazu kommt, wird er durch Spaziergänger gestört und muß fliehen. (7)
Das Delikt der Vergewaltigung (§ 177 (1)) ist vollendet / nicht vollendet, weil (bitte ergänzen!)
340
Stadien des vorsätzlichen Delikts
L E 21
(1) Entschließung; Vorbereitung; Versuch (2) strenger (3) Vollendung (4) sämtliche (5) sobald er an der vergifteten Praline gestorben ist (6) Totschlag (§ 212 (1)) setzt die „ T ö t u n g eines M e n s c h e n " voraus. Das Delikt ist erst vollendet, wenn sämtliche Tatbestandsmerkmale erfüllt sind. Da Totschlag ein Erfolgsdelikt ist, muß insbesondere auch der T o d eines Menschen eingetreten sein (o.ä.). (7) nicht vollendet, weil der Tatbestand außer dem Einsatz von Gewalt oder Drohung die Vornahme des außerehelichen Beischlafs voraussetzt; dazu ist es aber nicht gekommen (o.ä.).
Einige Überlegung erfordert die Abgrenzung von Versuch und Vollendung bei den Absichtsdelikten. Diese Frage stellt sich etwa beim Diebstahl wie folgt: Ist der Diebstahl bereits mit der in Zueignungsabsicht vollzogenen Wegnahme einer fremden beweglichen Sache vollendet? (1) Oder ist der Diebstahl erst dann wenn die beabsichtigte Z (z.B. nach Tagen oder Wochen) eingetreten ist?
-
Die Antwort lautet für alle Absichtsdelikte gleich: Ein solches Delikt ist bereits in dem Augenblick vollendet, in dem der Täter mit der im Gesetz beschriebenen Absicht die Tathandlung vornimmt. Wollte man bis zur Absichtsverwirklichung warten, käme der strafrechtliche Schutz zu spät. (2) Daß der erstrebte Erfolg realisiert wird, gehört daher ebenfalls / gehört daher nicht mehr zur Vollendung des Absichtsdelikts. Franz Gescheidle in Hinterzarten steckt seinen feuerversicherten Schwarzwaldhof in Brand, um unter dem Vorwand eines Blitzschlages die Versicherungssumme zu
selbst kassieren.
In Betracht kommt Versicherungsbetrug (§ 265 (1) bitte lesen!). (3) Dieses Delikt ist vollendet mit der Meldung des Schadensfalles bei der Versicherung / mit dem Erhalt der Versicherungssumme / mit dem Anzünden des Hofes. (4) Begründung:
Halten Sie fest! Absichtsdelikte sind bereits mit dem Zeitpunkt vollendet, in dem der Täter mit der im Gesetz vorausgesetzten Absicht die Tathandlung vornimmt. Daß der erstrebte Erfolg eintritt, gehört nicht mehr zur Vollendung eines solchen Delikts und liegt außerhalb seines Tatbestandes.
LE 21
341
Stadien des vorsätzlichen Delikts
(1) vollendet; Zueignung (2) gehört daher nicht mehr zur Vollendung des Absichtsdelikts (3) mit dem Anzünden des Hofes (4) Die Realisierung der betrügerischen Absicht (nämlich die Versicherungssumme zu erhalten) gehört nicht mehr zur Vollendung des Delikts. Man kann auch sagen: Bei § 265 (1) handelt es sich um ein Absichtsdelikt. Ein solches Delikt ist bereits mit dem Zeitpunkt vollendet, in dem der Täter mit der im Gesetz beschriebenen Absicht die Tathandlung vorgenommen hat (o.ä.).
Sie haben zu Beginn dieser LE gelernt, daß bloße Vorbereitungshandlungen im allgemeinen (1)
sind. Dieser Satz gilt nicht ohne Ausnahme. Eine Ausnahme verbindet sich mit dem Begriff der Vorbereitungsdelikte. Bei Vorliegen besonderer kriminalpolitischer Gründe stellt der Gesetzgeber ausnahmsweise bereits bestimmte Vorbereitungshandlungen als selbständige Delikte unter Strafe.
(2) Delikte, die ausdrücklich bestimmte
mit Strafe
bedrohen, bezeichnet man als Vorbereitungsdelikte. Beispiel: § 83 (1) „Vorbereitung eines hochverräterischen Unternehmens" (bitte lesen!). (3) Handelt es sich bei den nachfolgenden Delikten um Vorbereitungsdelikte? § 234 a (3) § 223
Ja/Nein Ja/Nein
§ 316 c (1) Z 1 § 316 c (3)
J a / Nein J a / Nein
Da die Briefmarken einer bestimmten Serie mit dem Stempelaufdruck „Luftpost" wertvoller sind als ohne, läßt der Briefmarkenhändler Mauritius bei einem Graveur einen entsprechenden Druckstock anfertigen, um seine Bestände an „normalen" Serienmarken „aufzuwerten". Gäbe es nur das Delikt der Wertzeichenfälschung (§ 148 (1); bitte lesen!), wäre das bloße (4) Sich-Verschaffen dieses Druckstocks als straflos / strafbar. (5) Das Delikt des § 149 (1) Z 1 wurde geschaffen (bitte ergänzen!),
Vorbereitungsdelikte bedeuten eine weitreichende Vorverlagerung der Strafbarkeit in das ansonsten noch strafrechtsfreie Vorfeld. Das StGB verwendet diese Rechtsfigur daher nur sehr zurückhaltend. (6) Definieren Sie „Vorbereitungsdelikte"!
Vorbereitungsdelikte sind bereits mit der Vornahme der verbotenen Vorbereitungshandlung vollendet. (7) Mithin hat Mauritius das Delikt des § 149 (1) Z 1 erst mit dem Anbringen des Stempelaufdrucks / bereits mit dem Sich-Verschaffen des Druckstocks vollendet.
342
Stadien des vorsätzlichen Delikts
L E 21
(1) (3) (4) (5) (6)
(noch) straflos (2) Vorbereitungshandlungen J a : § 234 a (3) und § 316 c (3); nein: § 223 und § 316 c (1) Z 1 Vorbereitungshandlung; straflos um sonst straflose Vorbereitungshandlungen bestrafen zu können (o.a.) Vorbereitungsdelikte sind Delikte, die ausdrücklich bestimmte Vorbereitungshandlungen mit Strafe bedrohen (o.a.). (7) bereits mit dem Sich-Verschaffen des Druckstocks
Z U S A M M E N F A S S U N G A Die vier Stadien des vorsätzlichen Delikts Das vorsätzliche Delikt läßt sich im allgemeinen in vier Stadien zerlegen: straflos Entschließung
strafbar
II
Vorbereitung
Die Stadien der Entschließung und der Vorbereitung sind im allgemeinen straflos. Das ist für das Stadium der „Entschließung" selbstverständlich: Cogitationis poenam nemo patitur. Dies gilt grundsätzlich aber auch noch für solche Handlungen, die im Stadium der „Vorbereitung" vorgenommen werden (= „Vorbereitungshandlungen"). Vorbereitungshandlungen sind Handlungen, die die spätere Ausführung der Tat ermöglichen, erleichtern oder absichern sollen. Beispiele für typische Vorbereitungshandlungen: Beim Mord (§ 2 1 1 ) : Anschaffung der Waffe; Anreise zum Tatort. Beim Raub (§ 2 4 9 (1)): „Ausbaldowern" einer für den Überfall geeigneten Bank. Beim Diebstahl (§ 2 4 2 (1)): Anfertigen eines Nachschlüssels. Beim Schwangerschaftsabbruch (§ 2 1 8 (1)): Erkundigung nach einem Abtreibungsmittel. Beim Betrug (§ 2 6 3 ( 1 ) ) : Aufgabe eines Heiratsinserates durch den Heiratsschwindler. Der Grundsatz der Straflosigkeit von Vorbereitungshandlungen ist für die „Vorbereitungsd e l i k t e " durchbrochen. Als Vorbereitungsdelikte bezeichnet man solche Delikte, die ausdrücklich bestimmte Vorbereitungshandlungen mit Strafe bedrohen. Da Vorbereitungsdelikte eine weitreichende Vorverlagerung der Strafbarkeit in das ansonsten noch strafrechtsfreie Vorfeld bedeuten, greift das S t G B auf diese Rechtsfigur nur bei Vorliegen besonderer kriminalpolitischer Bedürfnisse zurück. Beispiele: Vorbereitung eines hochverräterischen Unternehmens (§ 83 (1)); Vorbereitung der Fälschung von Geld und Wertzeichen (§ 1 4 9 (1)); vgl. weiter §§ 2 7 5 (1), 3 1 1 b (1), 3 1 6 c (3). Die beiden grundsätzlich strafbaren Stadien des vorsätzlichen Delikts sind Versuch und Vollendung.
21
Stadien des vorsätzlichen Delikts
343
B Der Versuch Versuch und Vollendung bezeichnen nicht nur die beiden strafbaren Stadien, sondern darüber hinaus auch die beiden Erscheinungsformen des vorsätzlichen Delikts. Mit der Strafbarkeit des Versuchs im allgemeinen befaßt sich der § 23 (1) und (2). Diese Vorschrift hat eine dreifache Bedeutung: 1. Sie erklärt den Versuch bei Verbrechen (§ 12 (1)) stets, bei Vergehen (§ 12 (2)) nur dann für strafbar, wenn das Gesetz dies ausdrücklich bestimmt (§ 23 (1)). 2. Mit ihrer Hilfe wird der Tatbestand des versuchten Delikts gebildet (z.B. § 23 (1) i.V.m. § 212 (1)). 3. Sie sieht vor, daß das versuchte Delikt milder bestraft werden kann als das vollendete Delikt (§ 23 (2)). Aus der Kann-Milderung des § 23 (2) hat die Praxis nahezu die Regel gemacht. Das versuchte Delikt wird also meist milder bestraft als das vollendete. C Abgrenzung von Versuch und Vorbereitung Eines der wichtigsten Probleme der gesamten Versuchslehre betrifft die Abgrenzung von Versuch und Vorbereitung. Außer Zweifel steht, daß Versuch jedenfalls dann anzunehmen ist, wenn der Täter eine Ausführungshandlung vornimmt. Beispiele: Der Mörder schlingt die Bügeleisenschnur um den Hals des Opfers. Die Schwangere nimmt ein Abtreibungsmittel ein. Der Einbrecher drückt die Scheibe ein. Der betrügerische Hausierer preist der Hausfrau einen billigen Maschinenteppich als „echten Keshan" an. Nach dem ausdrücklichen Willen des Gesetzgebers soll der Versuch und damit die Strafbarkeit aber bereits ein Stück vor der eigentlichen Ausführungshandlung beginnen. Mit dieser Frage befaßt sich § 22. Das StGB legt in § 22 die folgende Abgrenzungsformel zugrunde: Eine Straftat gilt schon dann als versucht, wenn der Täter nach seiner Vorstellung von der Tat zur Verwirklichung des Tatbestandes unmittelbar ansetzt. Diese Abgrenzungsformel ist wörtlich zu merken! Das „unmittelbare Ansetzen" manifestiert sich regelmäßig in der Vornahme einer der Verwirklichung des Tatbestandes zeitlich unmittelbar vorangehenden Handlung. Das Schrifttum bezeichnet sie zur Unterscheidung von der eigentlichen Ausführungshandlung plastisch als ausführungsnahe Handlung. Ob bereits eine „ausführungsnahe Handlung" i.S.d. § 22 vorliegt, ist durch wertende Betrachtung vom Standpunkt eines beobachtenden Dritten zu ermitteln. Dabei ist aber nicht die Tat an sich, sondern die Vorstellung des Täters von der Tat zugrundezulegen.
344
Stadien des vorsätzlichen Delikts
LE 21
Ob der Täter zur Verwirklichung des Tatbestandes bereits „unmittelbar angesetzt" hat (§ 22), ist für jedes Delikt gesondert zu prüfen und hängt nicht nur von den Umständen des einzelnen Falles, sondern in erheblichem Maße auch von Fassung und Auslegung der Tathandlung des jeweiligen Delikts ab. Bei den vorsätzlichen Tötungsdelikten tritt durch § 22 im allgemeinen nur eine geringfügige zeitliche Vorverlagerung des Strafbarkeitsbeginns ein. Als ausführungsnahe Handlungen i.S.d. § 22 beim Diebstahl kommen etwa in Betracht: Das Bestreichen der Fensterscheibe mit Seife, um das Klirren beim anschließenden Eindrücken zu vermeiden; das Anlegen der Leiter, um unmittelbar darauf über den Balkon einzusteigen; das A u f p u m p e n des Reifens des wegzunehmenden Fahrrades; das Töten des Wachhundes, der den zum Gänsestall schleichenden Gänsedieb anspringt. D Abgrenzung von Versuch und Vollendung Ein Delikt ist vollendet, sobald seine sämtlichen Tatbestandsmerkmale erfüllt sind. Mit diesem formalen Kriterium läßt sich das vollendete Delikt vom versuchten im allgemeinen ohne größere Schwierigkeiten abgrenzen. Die genaue Grenzziehung hängt ebenfalls von Fassung und Auslegung des jeweiligen Delikts ab und ist damit in erster Linie eine Frage des Besonderen Teils. Beispiele: Diebstahl und Raub sind erst mit der Begründung neuen Gewahrsams vollendet. Zur Vollendung der Beleidigung gehört die Kenntnisnahme der beleidigenden Äußerung durch einen anderen. Vollendeter Mord erfordert den Eintritt des Todes eines Menschen. Die Vergewaltigung ist bereits in dem Augenblick vollendet, in dem der Täter mit seinem Glied in die Scheide seines Opfers einzudringen beginnt. Praktisch bedeutsam ist die Abgrenzung von Versuch und Vollendung vor allem aus zwei Gründen: 1. Das vollendete Delikt wird im allgemeinen strenger bestraft als das versuchte. 2. Vom versuchten Delikt kann man prinzipiell strafbefreiend zurücktreten. Beim vollendeten Delikt dagegen kommt Strafbefreiung nur in bestimmten Ausnahmefällen in Betracht. Absichtsdelikte sind bereits in dem Zeitpunkt vollendet, in dem der Täter mit der im Gesetz vorausgesetzten Absicht die Tathandlung vornimmt. Daß der erstrebte Erfolg eintritt, ist nicht erforderlich und liegt daher außerhalb des Tatbestands und seiner Vollendung. Beispiele: Der Eintritt der beabsichtigten Zueignung bei § 242 (1), der Eintritt der Vorteilssicherung bei § 257 (1), der Eintritt einer Täuschung im Rechtsverkehr bei § 267 (1) gehören nicht mehr zum Tatbestand u n d damit zur Vollendung dieser Delikte. Vorbereitungsdelikte sind bereits mit der Vornahme der verbotenen Vorbereitungshandlung vollendet.
2.1
345
Testfragen zur LE 21
TE 21 Bitte ankreuzen! §§
Verbrechen (§ 1 2 ( 1 ) )
Der Versuch ist
Vergehen (§ 12 (2))
§ 153
straflos / strafbar gemäß § 2 3 (1)
§ 223 (1)
straflos / strafbar gemäß § 2 3 (1)
§ 216(1)
straflos / strafbar gemäß § 2 3 (1) i.V.m. §
§ 217(1)
straflos / strafbar gemäß § 2 3 (1)
§ 303 (1)
straflos / strafbar gemäß § 2 3 (1) i.V.m. §
1.1
Bilden Sie selbst den Tatbestand der versuchten Sachbeschädigung (§ 303 (1) und (2))!
1.2
„Vorbereitungshandlungen" sind Handlungen, die (bitte ergänzen!)
1.3
Handlungen im Vorbereitungsstadium sind im allgemeinen straflos / strafbar. Dieser Grundsatz ist für die delikte durchbrochen.
1.4
Zur Vollendung eines Absichtsdelikts gehört nicht (bitte ergänzen!)
1.5
Ein Delikt ist versucht, sobald der Täter nach s von der Tat zur Verwirklichung des Tatbestandes u Diese Formel dient zur Abgrenzung von und Sie findet sich in §
1.6
Ein Delikt ist vollendet, sobald (bitte ergänzen!)
2.2
Ein Kommilitone behauptet, auf die Abgrenzung von Versuch und Vollendung komme es nicht an, „da der Täter ohnehin in beiden Fällen bestraft wird". Diese Behauptung ist in mehrfacher Hinsicht falsch. Nennen Sie zwei dieser Hinsichten!
V..
Testfragen
346 2.3
TE 21
Um ganz sicherzugehen, daß niemand in der Wohnung ist, die er fünf Minuten später ausräumen will, ruft der Ganove Milovan Djuric (D) vom nächsten Automaten die Telefonnummer des Opfers an. In diesem Augenblick wird D „wegen versuchten Diebstahls" verhaftet. 1. Wo liegt das Problem dieses Falles?
2. Wie lösen Sie es?
2.4
Der unstete Lukaseder (L) fährt mit dem Aufzug in die Tiefgarage des Münchner hauses Oberpollinger, um einen PKW zu stehlen. Er sucht sich einen „passenden" aus und rüttelt am Vorderrad, um festzustellen, ob die Lenkradsperre eingerastet
KaufWagen ist.
1. Das Rütteln am Vorderrad stellt eine Ausführungshandlung / eine „ausführungsnahe" Handlung i.S.d. § 2 2 / noch keine „ausführungsnahe" Handlung i.S.d. § 22 dar. Begründung:
2. Beginnt der Diebstahlsversuch schon mit dem Zeitpunkt, in dem L die Tiefgarage mit Diebstahlsvorsatz betreten hat? Ja / Nein Begründung (unter Verwendung des Wortlauts des § 22):
2.5
Schalke 04 gegen Bayern München im neuen Gelsenkirchener Stadion. Großkampftag für die 22 Akteure und — Taschendiebe. Auf der Suche nach einem Opfer mischt sich ein Vertreter dieser Zunft, T, unter die Menschenmenge beim Einlaß. Liegt zu diesem Zeitpunkt bereits ein Diebstahlsversuch vor? Ja / Nein Begründung:
2.6
Variante: Inzwischen hat T einen offenbar wohlsituierten Anhänger der „Knappen" in ein Gespräch verwickelt, um ihn abzulenken und ihn bei erstbester Gelegenheit um seine Brieftasche zu „erleichtern". Liegt zu diesem Zeitpunkt bereits ein Diebstahlsversuch vor? Ja / Nein Begründung:
TE 21 2.7
Testfragen
347
M klingelt um 15.00 h an der Wohnungstür, um eingelassen zu werden und F im Laufe des Abends zu erschießen. Aber F öffnet wohlweislich nicht. Liegt bereits ein versuchtes Tötungsdelikt vor? J a / Nein — Begründung:
2.8
M klingelt um 15.00 h an der Wohnungstür, um F in d e m M o m e n t zu erschießen, in dem F die Tür ö f f n e t . Aber F öffnet wohlweislich nicht. Ist dieser Fall anders zu entscheiden als Fall 2.7? J a / Nein Begründung:
2.9
Um 11.50 h t r i f f t der Agent „Che" Anarchimander (A) am Tatort ein. Um 11.52 h schraubt er das Zielfernrohr auf sein Gewehr. Um 11.54 h lädt er die Waffe. Um 11.55 h entsichert er sie. Als das Opfer um 12.00 h erscheint, legt er das Gewehr an. Zum Abdrücken kommt A jedoch nicht mehr, da er in diesem Moment vor Aufregung ohnmächtig wird. Die Strafbarkeit des A wegen eines versuchten Tötungsdelikts beginnt bereits •
mit seinem E i n t r e f f e n am T a t o r t
•
mit dem Aufschrauben des Zielfernrohrs
•
mit d e m Laden
•
mit d e m Entsichern des Gewehrs
•
mit dem Anlegen des Gewehrs
•
erst mit dem Abdrücken, zu d e m A j e d o c h nicht m e h r g e k o m m e n ist.
Begründen Sie Ihre Entscheidung!
Literatur: Zur Abgrenzung von Versuch und Vorbereitung vgl. Baumann aaO. § 33 IV 1—2\Jescheck aaO. § 49 IV;Maurach aaO. § 41 I B; Mezger-Blei aaO. § 75; Schmidhäuser aaO. 15/53-63; Stratenwerth aaO. Rdnrn. 691-712; Wessels aaO. § 14 II 2.
348
Antworten
§§
Verbrechen (§12(1))
Vergehen (§12(2))
TE 21 Der Versuch ist
§ 153
X
straflos
§ 223 (1)
X
straflos
§216(1)
X
strafbar gemäß § 23 (1) i.V.m. § 216 (2)
§217(1)
X
§ 303 (1)
strafbar gemäß § 23 (1) X
strafbar gemäß § 23 (1) i.V.m. § 303 (2)
1.1
Wer eine fremde Sache zu beschädigen oder zu zerstören versucht.
1.2
die spätere Ausführung der Tat ermöglichen, erleichtern oder absichern sollen (o.ä.)
1.3
straflos; Vorbereitungsdelikte
1.4
der Eintritt des erstrebten Erfolges (o.ä.)
1.5
seiner Vorstellung; unmittelbar ansetzt; Vorbereitung und Versuch; § 22
1.6
seine sämtlichen Tatbestandsmerkmale erfüllt sind
2.2
1. Der Versuch ist nicht bei allen Delikten strafbar (§ 23 (1)). 2. In der Regel wird das versuchte Delikt milder bestraft (§ 23 (2)). 3. Strafbefreienden Rücktritt gibt es nur vom versuchten Delikt.
2.3
1. In der Abgrenzung von Vorbereitung und Versuch (o.ä.) 2. Das Anrufen in der Wohnung soll die geplante Ausführung des Diebstahls ermöglichen bzw. absichern. Es liegt daher noch kein gemäß § 22 strafbarer Versuch vor (o.a.). Sie können aber auch direkt mit dem Wortlaut des § 22 operieren! (Die Lösung dieses Falles ist allerdings nicht unstreitig. Insbesondere hat die Rechtsprechung gelegentlich im gegenteiligen Sinne entschieden.)
2.4
1. Eine „ausführungsnahe" Handlung i.S.d. § 22. Denn mit dem Rütteln am Vorderrad setzt L nach seiner Vorstellung von der Tat bereits unmittelbar zur Verwirklichung des Diebstahls an (o.ä.). 2. Nein! Darin liegt nach der Vorstellung des L noch kein unmittelbares Ansetzen zur Verwirklichung des Diebstahls (o.ä.).
2.5
Nein! Das ist noch eine Vorbereitungshandlung (o.ä.).
2.6
Ja! Das Ansprechen des Opfers, um es abzulenken, ist bereits eine ausführungsnahe Handlung LS.d. § 22; denn damit setzt T ruich seiner Vorstellung von der Tat bereits unmittelbar zur Verwirklichung des Diebstahls an (o.ä.).
2.7
Nach seiner Vorstellung von der Tat hat M mit dem Klingeln an der Tür noch nicht unmittelbar zur Verwirklichung der Tötung des F angesetzt (§ 22) o.ä.
2.8
Ja! Bei dieser Vorstellung des M von seiner Tat hat er bereits mit dem Klingeln an der Tür unmittelbar zur Tötung des F angesetzt (§ 22) o.ä.
2.9
Wohl erst mit dem Anlegen des Gewehrs. (Die davor liegenden Handlungen werden von der herrschenden Lehre überwiegend noch als straflose Vorbereitungshandlungen gewertet.) Erst mit dem Anlegen des Gewehrs setzt man bei dem geschilderten Sachverhalt nach der üblichen Vorstellung (eine abweichende Vorstellung des Täters von der Tat ist aus dem Sachverhalt nicht ersichtlich) unmittelbar zur Verwirklichung des Tötungsdelikts an (§ 22 ) o.ä.
LE 22
AUFBAU DER VERSUCHSPRÜFUNG
349
L e r n z i e 1 : Sie sollen lernen, wie man zweckmäßigerweise bei der Prüfung der Strafbarkeit eines versuchten Delikts vorgeht. Aus der Eigenart des Versuchs ergeben sich Modifizierungen gegenüber dem allgemeinen Fallprüfungsschema. Sie betreffen insbesondere die Stellung des Vorsatzes im Deliktsaufbau.
Das versuchte Delikt unterscheidet sich vom vollendeten allein durch ein äußerliches Moment. Beim Versuch sind nicht sämtliche Tatbestandsmerkmale des Delikts erfüllt. Die Handlung ist im Ausführungsstadium steckengeblieben. Beim versuchten Delikt treten prinzipiell dieselben Probleme auf wie beim vollendeten. Sie betreffen die Handlungsqualität des versuchten Delikts, (1) die des versuchten Delikts, die Rechtswidrigkeit des versuchten Delikts und die des versuchten Delikts. Somit ist das Schema für den Aufbau der Versuchsprüfung im Prinzip identisch mit dem allgemeinen Fallprüfungsschema. (2) Bitte einsetzen!
Es empfiehlt sich, jeden Fall eines versuchten Delikts nach diesem Ihnen bereits geläufigen allgemeinen Fallprüfungsschema aufzubauen. Auf einzelnen Stufen dieses Fallprüfungsschemas ergeben sich mit Rücksicht auf das Wesen des Versuchs Abweichungen gegenüber der Prüfung des vollendeten Delikts. Sie betreffen insbesondere die Kategorien der Tatbestandsmäßigkeit und der Schuld.
350
Aufbau der Versuchspriifung (1) Tatbestandsmäßigkeit; Schuld
LE 22
(2) Handlungsbegriff; Rechtswidrigkeit
0 Handlungsbegriff
(1) Handlung im strafrechtlichen Sinne ist (bitte ergänzen!)
Bezüglich der Prüfung des strafrechtlichen Handlungsbegriffs kann auf die früheren Ausführungen in LE 7 verwiesen werden. Bei der Versuchsprüfung gibt es insoweit keine Be(2) Sonderheiten. Erfahrungsgemäß bieten strafrechtliche Fälle häufig / nur selten Anlaß, zu den Problemen des Handlungsbegriffs Stellung zu nehmen.
I Tatbestandsmäßigkeit des versuchten Delikts
Im Gegensatz zum Tatbestand des vollendeten Delikts, der sich aus dem Wortlaut der jeweiligen Vorschrift des Besonderen Teils von selbst ergibt, müssen Sie sich den Tatbestand des versuchten Delikts mit Hilfe der allgemeinen Versuchsbestimmung des § 23 (1) selbst bilden. Man muß also den wesentlichen Gehalt des § 23 (1) in den Wortlaut des (3) jeweiligen Delikts (4) Somit lautet der Tatbestand z.B. des versuchten Totschlags (§§ 23 (1) i.V.m. 212 (1)):
Bleiben wir beim Beispiel des versuchten Totschlags. J e d e r Versuch eines Totschlags läßt sich gedanklich in drei Sachfragen zergliedern. Bringt man diese Sachfragen in eine zweckmäßige Reihenfolge, so lauten sie wie folgt: 1. Hat der Täter sämtliche objektiven Tatbestandsmerkmale des vollendeten Totschlags erfüllt? 2. Wenn „nein": Hat der Täter den Tatentschluß gefaßt, diesen gesetzlichen Tatbestand zu verwirklichen, d.h. hat er „einen anderen t ö t e n " wollen? 3. Wenn „ja": Liegt bereits ein Anfang der Ausführung vor? Wenn Sie auch die dritte Sachfrage bejaht haben, so haben sie damit die Tatbestands(5) mäßigkeit des versuchten Totschlags bejaht / verneint. Diese drei Sachfragen stellen sich bei jeder Versuchsprüfung, gleichgültig, um welches Delikt es sich handelt.
351
Aufbau der Versuchsprüfung
LE 22
(1) vom Willen beherrschbares menschliches Verhalten (2) nur selten (4) „Wer einen Menschen zu töten versucht". (5) bejaht
(3) hineinlesen (o.a.)
Die eben herausgestellten Sachfragen sind identisch mit den drei Aufbauelementen des Tatbestands des versuchten Delikts. Die Prüfung der Tatbestandsmäßigkeit des versuchten Delikts erfolgt somit in drei gedanklichen Etappen.
Zu Beginn jeder Prüfung der Tatbestandsmäßigkeit eines versuchten Delikts bedarf es der (1) Feststellung, daß der gesetzliche Tatbestand erfüllt / nicht erfüllt ist. Denn wären sämtliche (2) objektiven Tatbestandsmerkmale erfüllt, käme von vornherein die Prüfung des Delikts in Betracht. Versuch kommt auch noch in Betracht, wenn bereits mehrere objektive Tatbestandsmerk(3) male erfüllt sind. Es dürfen aber nicht objektiven Tatbestandsmerkmale verwirklicht sein. Warum der gesetzliche Tatbestand nicht erfüllt ist, ist gleichgültig. Es kann z.B. am Tatobjekt, an der Tathandlung und bei den Erfolgsdelikten insbesondere am Erfolg fehlen. Fall 1: Korf schießt auf Palmström, überlebt.
um ihn zu töten. Die Kugel t r i f f t , aber
Palmström
Es sind nicht sämtliche objektiven Tatbestandsmerkmale des vollendeten Totschlags er(4) füllt, weil es am Eintritt des fehlt. Fall 2: A will einen Sportwagen stehlen. Da es ihm aber nicht gelingt, den Wagen zu ö f f nen, muß er unverrichteter Dinge wieder abziehen. (5) Es sind nicht sämtliche Diebstahls (§ 242 (1)) erfüllt, weil es zur nicht gekommen ist.
Tatbestandsmerkmale des vollendeten des Wagens
Fall 3: An der Garderobe will H statt des eigenen einen fremden Regenschirm lassen. Pech! Draußen stellt er fest, daß er seinen eigenen erwischt hat.
„mitgehen"
Sind sämtliche objektiven Tatbestandsmerkmale des vollendeten Diebstahls (§ 242 (1)) (6) erfüllt? J a / Nein Begründung:
(7) Es ist
Diebstahl zu prüfen.
Aufbau der Versuchsprüfung
352
LE 22
(1) nichterfüllt (2) vollendeten (3) sämtliche (4) Erfolges (5) objektiven; Wegnahme (6) Nein! § 242 (1) erfordert die Wegnahme einer fremden Sache. Es fehlt also bereits am Tatobjekt. Außerdem fehlt es am Erfolg. Es sind daher nicht sämtliche objektiven Tatbestandsmerkmale des § 242 (1) erfüllt (o.ä.). (7) versuchter (bzw. Versuch des)
Wenden wir uns dem zweiten Tatbestandsmerkmal des Versuchs zu, dem „vollen Tatentschluß". § 22 verwendet zwar den Begriff „voller Tatentschluß" nicht. Aber er spricht von der „Vorstellung" des Täters und setzt damit das Vorhandensein des vollen Tatentschlusses voraus. Voller Tatentschluß bedeutet nichts anderes als den Entschluß, die Tat auszuführen.
Im folgenden wird ein Sachverhalt geschildert, der absichtlich keine Hinweise darauf enthält, ob und gegebenenfalls mit welchem Tatentschluß der Täter gehandelt hat. Ein von A geschleuderter Pflasterstein fliegt in die Richtung des Fensters, hinter dem der greise G nichtsahnend in seinem Lehnstuhl schaukelt. Der Stein prallt unterhalb der Fensterbrüstung ab.
Könnte es sich bei diesem Wurf des A um den Versuch einer Körperverletzung handeln? (2)
Ja/Nein
(3) Könnte A den Stein auch nur zufällig in diese Richtung geworfen haben ? J a / Nein Sie sehen: Ob es sich um den Versuch einer Körperverletzung oder um ein zufälliges Ge(4) schehen handelt, läßt sich ohne Berücksichtigung des überhaupt nicht entscheiden. Noch ein zweites: Woher wissen wir eigentlich, daß es sich, falls der Täter wirklich ein (5) Delikt begehen wollte, gerade um den Versuch einer handelt? Könnte es sich bei dem geschilderten Sachverhalt auch um den Versuch einer Sachbeschä(6) digung (z.B. der Scheibe) handeln? J a / Nein (7) Sogar um den Versuch einer Tötung des G? J a / Nein (8)
Sie sehen: Ohne Berücksichtigung des Tatentschlusses läßt sich auch nicht entscheiden, Delikt der Täter begehen wollte.
LE 22
Aufbau der Versuchsprüfung
353
(1) von o. nach u.: objektiven Tatbestandsmerkmale; Ausführung (2) Ja! (3) Ja! (4) Tatentschlusses (5) Körperverletzung (6) Ja! (7) Ja! (8) welches
Daraus folgt: Der volle Tatentschluß gehört zum Wesen des Versuchs. Er ist denknotwendiger Bestandteil des Versuchsbegriffs. Der volle Tatentschluß ist das Rückgrat jeder Versuchsprüfung. (1) Aufbaumäßig gehört der volle Tatentschluß zu den objektiven Tatbestandsmerkmalen / (2) zu den subjektiven Tatbestandsmerkmalen des Versuchs. Er ist daher auf der Stufe I / Stufe II / Stufe III zu prüfen. Ist dieser volle Tatentschluß nicht vorhanden oder läßt er sich nicht nachweisen, so ent(3) fällt damit bereits die Tatbestandsmäßigkeit der Handlung / entfällt die Schuld des Täters. Wenn dem A der Pflasterstein nur ausgerutscht und zufällig in die Richtung des Fensters der versuchten (4) des G geflogen ist, so entfällt damit d Körperverletzung, weil (bitte ergänzen!)
Steht dagegen fest, daß A den G mit dem Pflasterstein verletzen wollte, so ist der für den (5) Versuch der Körperverletzung erforderliche gegeben / nicht gegeben. Das Werfen des Pflastersteines in Richtung G wäre als Tötungsversuch zu beurteilen, wenn (6) (bitte ergänzen!)
Wir fassen zusammen! Der volle Tatentschluß — ist wesentlicher Bestandteil jedes Versuchs; — bestimmt den zu prüfenden Tatbestand; — gehört aufbaumäßig nicht zur Schuld, sondern bereits zur Tatbestandsmäßigkeit des Versuchs. Er bildet die zweite Etappe innerhalb der Versuchsprüfung.
A u f b a u der Versuchsprüfung
354
LE 22
(1) zu den subjektiven Tatbestandsmerkmalen (2) Stufe I (3) bereits die Tatbestandsmäßigkeit der Handlung (4) der Tatbestand (bzw. die Tatbestandsmäßigkeit); weil es am diesbezüglichen vollen Tatentschluß des A gefehlt hat (o.a.) (5) volle Tatentschluß gegeben (6) A den G hätte töten wollen (o.a.) J e t z t ist nur noch die Frage zu klären, was mit dem „vollen T a t e n t s c h l u ß " gemeint ist. A n t w o r t : Das hängt davon ab, u m welche Art von Delikt es sich handelt. Bei d e n meisten Delikten ist voller Tatentschluß identisch mit Vorsatz. Um d e n T a t b e s t a n d des Tötungsversuchs (§ 23 (1) i.V.m. § 212 (1)) zu erfüllen, m u ß der (1) Täter daher mit dem
gehandelt haben, „einen Menschen zu t ö t e n " .
Besonderheiten gelten nur für die Absichtsdelikte. Bei ihnen b e d e u t e t „voller T a t e n t s c h l u ß " Vorsatz plus deliktsspezifische Absicht. Beim Diebstahlsversuch (§ 23 (1) i.V.m. § 242 (1) u n d (2)) genügt es daher nicht, daß der (2) Täter mit d e m Vorsatz gehandelt hat, eine f b S w ; er m u ß darüber hinaus auch mit (3) der Absicht des § 242 (1) gehandelt haben, d. h. mit der Absicht, (bitte ergänzen!) Der Versuch ist stets dadurch gekennzeichnet, daß in subjektiver Hinsicht nichts fehlt.
(4)
Ist bezüglich eines Absichtsdelikts zwar der Vorsatz, aber nicht die Absicht v o r h a n d e n oder jedenfalls nicht nachweisbar, so fehlt es am „ " Tatentschluß. Damit scheidet ein Versuch aus. Herta Siebenschön (S), die „Perle", hütet die Kinder, während die „Herrschaften" auf Gran Canaria Urlaub machen. Sie beschließt, das „kleine Schwarze" der Hausfrau „auszuführen " und es anschließend gleich wieder zurück zuhängen. Voller Herzklopfen öffnet sie den Schrank. Da verläßt sie der Mut. Sie schließt die Tür wieder, ohne das Kleid angerührt zu haben.
(5)
S handelt vorsätzlich i.S.d. § 242 (1), weil (bitte ergänzen!)
Handelt S mit der Zueignungsabsicht des § 242 (1)? (6) J a / Nein Begründung:
(7) Mithin ist der „volle T a t e n t s c h l u ß " bezüglich des Diebstahls (§ 242 (1)) gegeben / nicht (8) gegeben. Eine Bestrafung der S wegen versuchten Diebstahls k o m m t folglich in Betracht / nicht in Betracht.
LE 22
355
A u f b a u der Versuchsprüfung
(1) (3) (4) (6)
Vorsatz (2) fremde bewegliche Sache wegzunehmen dieselbe sich rechtswidrig zuzueignen „vollen" (5) sie eine fremde bewegliche Sache wegnehmen will (o.a.) Nein! Wer eine Sache nur vorübergehend gebrauchen und danach wieder zurückgeben will, handelt nur mit Gebrauchs- und nicht mit Zueignungsabsicht (o.ä.). (7) nicht gegeben (8) nicht in Betracht
Begrifflich liegt ein Versuch vor, sobald der Täter die Schwelle des § 22 überschritten hat. Er hat sie frühestens überschritten, sobald er „nach seiner Vorstellung von der Tat (bitte (1) ergänzen!)
Erst recht hat er sie mit jeder eigentlichen Ausführungshandlung überschritten.
(2)
Mit dem „ A n f a n g der A u s f ü h r u n g " ist also gemeint, daß der Täter entweder bereits eine Ausführungshandlung oder aber zumindest eine ausführungsnahe Handlung i.S.d. § vorgenommen haben m u ß .
D will heimlich aus dem Schloßgarten des Grafen G eine Pieta stehlen. Als er am Morgen vor der Tat eine lange Leiter unterhalb der hohen Schloßmauer versteckt, wird er ertappt. Beschränken wir uns auf die Frage nach dem Anfang der Ausführung (§ 22) des Diebstahls. (4) Das Verstecken der Leiter am Morgen vor der Tat ist eine ausführungsnahe Handlung i.S.d. § 2 2 / noch keine ausführungsnahe Handlung i.S.d. § 22, weil (bitte ergänzen u n t e r Verwendung des Wortlauts des § 22!)
Variante 1: D erscheint gegen Mitternacht, holt die Leiter aus ihrem Versteck, beim Überklettern der Mauer zum Schloßgarten gestellt.
wird aber
Liegt j e t z t ein Anfang der Ausführung (§ 22) vor? (5) J a / Nein Begründung (unter Verwendung des Wortlauts des § 22):
Variante 2: D wird erst gestellt, Sockel zu lösen.
als er im Schloßgarten
gerade dabei ist, die Pieta von
ihrem
Hier liegt erst recht ein Anfang der Ausführung vor, weil der Täter zu diesem Z e i t p u n k t (6) noch immer eine „ausführungsnahe H a n d l u n g " i.S.d. § 2 2 / bereits eine Ausführungshandlung v o r n i m m t .
A u f b a u der Versuchsprüfung
356
LE 22
(1) zur Verwirklichung des Tatbestandes bereits unmittelbar angesetzt hat (2) § 2 2 (3) Von o. nach u.: Nichterfüllung der objektiven Tatbestandsmerkmale; voller Tatentschluß (4) noch keine ausführungsnahe Handlung LS.d. § 22, weil der Täter zu diesem Zeitpunkt nach seiner Vorstellung von der Tat zur Verwirklichung des Diebstahls noch nicht unmittelbar angesetzt hat (o.a.) (5) Ja! Mit dem Oberklettern der Mauer hat D nach seiner Vorstellung von der Tat zur Verwirklichung des Diebstahls bereits unmittelbar angesetzt (§ 22) o.a. (6) bereits eine Ausführungshandlung vornimmt
II Rechtswidrigkeit des versuchten Delikts
(1)
Eine Handlung, die den T a t b e s t a n d des versuchten Delikts erfüllt, ist rechtswidrig, w e n n sie nicht durch einen gerechtfertigt ist. Die Prüfung der Rechtswidrigkeit ist auch b e i m versuchten Delikt identisch mit der Suche nach Rechtfertigungsgrttnden. Der ebenso jähzornige wie gewalttätige Kranführer V kommt angetrunken nach Hause. Aus nichtigem Anlaß mißhandelt er seine Gattin auf das schlimmste. Um seine Mutter zu beschützen, greift der 16jährige Sohn S zur Bratpfanne, um sie nach dem Vater zu schleudern. Sie rutscht ihm aber aus der Hand. Der empörte Vzeigt seinen Sohn wegen versuchter gefährlicher Körperverletzung an (§ 23 (1) LV.m. § 223 a (1) und (2)). Prüfen Sie zunächst, o b S den Tatbestand einer versuchten Körperverletzung erfüllt hat!
(2)
1. Nichterfüllung der objektiven Tatbestandsmerkmale:
(3)
2. Voller Tatentschluß:
(4) 3. Anfang der Ausführung ( § 2 2 ) :
Untersuchen Sie n u n m e h r die Rechtswidrigkeit der von S versuchten Körperverletzung! (5) Anders ausgedrückt: Ist die Handlung des S durch gerechtfertigt? (6) J a / Nein Begründung: (Bitte sämtliche Elemente des Rechtfertigungsgrundes — wenngleich nur kurz — durchprüfen!)
LE 22
357
A u f b a u der Versuchsprüfung
(1) Rechtfertigungsgrund (2) Der Tatbestand des § 223 a (1) ist nicht erfüllt. Denn eine Körperverletzung des V ist nicht eingetreten (o.a.). (3) S hat seinen Vater verletzen wollen. § 223 a (1) verlangt keine zusätzliche Absicht. Damit ist der „volle Tatentschluß" bejaht (o.ä.). (4) Das Greifen nach der Pfanne, um sie nach dem Vater zu werfen, ist eine ausführungsnahe Handlung i.S.d. § 22 (o.a.). Damit ist der Tatbestand der versuchten Körperverletzung erfüllt. (5) Notwehr bzw. Nothilfe (6) Ja! S wehrt einen gegenwärtigen rechtswidrigen Angriff auf die körperliche Unversehrtheit seiner Mutter in den Grenzen des § 32 (2) mit Verteidigungswillen ab. Er handelt daher gerechtfertigt durch Nothilfe (o.ä.).
III Schuld des versuchten Delikts
(1)
Beim versuchten Delikt läßt sich ohne Rückgriff auf d e n nicht entscheiden, ob überhaupt ein Delikt u n d gegebenenfalls welches Delikt in Betracht k o m m t .
(2) Daher ist der Vorsatz beim Versuch nicht element wie beim
Tatbestandsmerkmal u n d Delikt.
(3)
Da der Vorsatz beim Versuch auf der Stufe abschließend geprüft wird, darf er auf der Stufe nicht noch einmal untersucht werden.
(4)
Im Gegensatz zum ein- / zwei- / drei- / viergliedrigen Schuldbegriff des vollendeten Vorsatzdelikts setzt sich der Schuldbegriff beim versuchten Delikt somit nur aus Schuldelementen zusammen. Setzen Sie die nach Abzug des Vorsatzes übrigbleibenden Schuldelemente des versuchten
(6)
Eine versuchte Tat kann durch einen Entschuldigungsgrund
sein.
Befindet sich der Versuchstäter in einem Irrtum über einen rechtfertigenden Sachverhalt, (7) ist sein ausgeschlossen.
(8)
Auf welcher Stufe des Fallpriifungsschemas ist beim versuchten Delikt der Tatbestandsirrtum zu untersuchen? A n t w o r t u n d Begründung:
Der kurzsichtige Sonntagsjäger Horrido hält den ,,dunklen Fleck ", der sich in der Dämmerung bewegt, für eine Wildsau und drückt ab. Die Kugel verfehlt um Haaresbreite den Waldarbeiter W. W erstattet gegen Horrido Strafanzeige wegen versuchter Tötung. Ist Horrido wegen Tötungsversuchs an W gemäß § 23 (1) i.V.m. § 212 (1) zu bestrafen? (9) J a / Nein Begründung:
358
Aufbau der Versuchsprüfung
LE 22
(1) (4) (6) (8)
Vorsatz bzw. Tatentschluß (2) subjektives; Schuldelement; vollendeten (3) I; III viergliedrigen; drei (5) Schuldfähigkeit; Unrechtsbewußtsein; keine Entschuldigungsgründe entschuldigt (7) Unrechtsbewußtsein Auf der Stufe der Tatbestandsmäßigkeit. Denn der Tatbestandsirrtum ist die Kehrseite des Vorsatzes, und der Vorsatz ist beim versuchten Delikt auf der Stufe I zu prüfen (o.a.). (9) Nein! Horrido ist einem Tatbestandsirrtum erlegen. Dieser schließt den Tötungsvorsatz aus. Damit fehlt es an dem für den Tatbestand einer versuchten Tötung vorausgesetzten „vollen Tatentschluß" (o.a.).
ZU SA MMENFASSUNG I Der Tatbestand des versuchten Delikts Das versuchte Delikt ist eine Erscheinungsform des vorsätzlichen Delikts. Das allgemeine Fallprüfungsschema der vorsätzlichen Delikte gilt daher grundsätzlich auch für die Prüfung des versuchten Delikts. Doch ergeben sich aus dem Wesen des Versuchs Abweichungen. Zum Wesen des Versuchs gehört es, daß drei Mindestvoraussetzungen zusammentreffen: 1. Es dürfen nicht sämtliche Tatbestandsmerkmale erfüllt sein — denn sonst wäre von vornherein das vollendete Delikt zu prüfen. 2. Der Täter m u ß mit vollem Tatentschluß gehandelt haben — denn der Versuch bezeichnet ein Stadium und eine Erscheinungsform des vorsätzlichen Delikts. 3. Es muß bereits ein Anfang der Ausführung (§ 22) vorliegen — denn sonst wäre die Handlung als bloße Vorbereitungshandlung noch straflos. An diesem Befund ist auch das Fallprüfungsschema für den Tatbestand des Versuchs orientiert.
1 Nichterfüllung der objektiven Tatbestandsmerkmale Ob der gesetzliche Tatbestand erfüllt ist, ist im Wege der Auslegung der jeweiligen Tatbestandsmerkmale zu ermitteln. Diese Frage kann bei komplizierteren Tatbestandsmerkmalen Schwierigkeiten bereiten (z.B. wann ist die „Wegnahme" beim Diebstahl abgeschlossen? ). Vgl. im übrigen die Beispiele auf S. 344 unter D.
22
Aufbau der Versuchspriifung
359
2 Voller Tatentschluß Voller Tatentschluß bedeutet den Entschluß, die Tat auszuführen. Statt von „Tatentschluß" spricht § 22 von der „Vorstellung" des Täters von der Tat. Sachlich besteht kein Unterschied zwischen beiden Begriffen. „Tatentschluß" ist der umfassendere Begriff und verdient daher den Vorzug. Der Begriff „voller" Tatentschluß soll insbesondere darauf hinweisen, daß beim Versuch in subjektiver Hinsicht nichts fehlen darf. Mit Ausnahme der Absichtsdelikte ist voller Tatentschluß bei allen anderen Delikten identisch mit Vorsatz. Dolus eventualis genügt. Bei den Absichtsdelikten bedeutet „voller Tatentschluß" Vorsatz plus deliktsspezifische Absicht (z.B. Zueignungsabsicht beim Diebstahl). Der „volle Tatentschluß" gehört zum Begriff und damit zum Tatbestand des versuchten Delikts. Denn ohne diesen Tatentschluß läßt sich nicht entscheiden, ob und welch ein Delikt der Täter verwirklichen wollte. Der wesentliche Bestandteil dieses Tatbestandsmerkmals ist der Vorsatz. Der Vorsatz darf daher auf der Stufe der Schuld nicht noch einmal geprüft werden. Ein Tatbestandsirrtum schließt den Vorsatz und daher — beim Versuch — den Tatbestand des Vorsatzdelikts aus. 3 Anfang der Ausführung i.S.d. § 22 Anfang der Ausführung ist die Kurzformel für das dritte Element der Versuchsprüfung. Sie besagt, daß ein Versuch begrifflich erst dann vorliegt, wenn der Täter die Schwelle des § 22 überschritten hat. Dies ist frühestens der Fall, sobald er eine ausführungsnahe Handlung i.S.d. § 22 vorgenommen hat. Wegen der Einzelheiten und der fundamentalen, dem § 22 obliegenden Abgrenzungsfunktion zur straflosen Vorbereitung vgl. S. 343 f. Erst recht ist die Schwelle des § 22 mit der Vornahme der eigentlichen Ausführungshandlung überschritten. II Die Rechtswidrigkeit beim versuchten Delikt Hinsichtlich der Probleme der Rechtswidrigkeit gelten für das versuchte Delikt keine Besonderheiten. Auch die versuchte Tat kann durch einen der anerkannten Rechtfertigungsgründe (insbesondere durch Notwehr, rechtfertigenden Notstand oder Einwilligung) gerechtfertigt sein.
360
L E 22
Aufbau der Versuchsprüfung III Die Schuld beim versuchten Delikt
Der Schuldbegriff des versuchten Delikts ist im Gegensatz zum vollendeten vorsätzlichen Delikt nicht vier-, sondern dreigliedrig. Dies ist die Konsequenz der Vorverlagerung des Vorsatzes auf die Stufe der Tatbestandsmäßigkeit. Bezüglich der verbleibenden Schuldelemente stimmt der Schuldbegriff der versuchten Tat im übrigen aber mit dem Schuldbegriff der vollendeten Tat überein.
2 keine Entschuldigungsgründe Durchblick Das vollendete Delikt (der Vereinfachung wegen bleiben die Absichtsdelikte aus dem Spiel) ist dadurch gekennzeichnet, daß einerseits alle objektiven Tatbestandsmerkmale erfüllt und diese andererseits auch vom Vorsatz des Täters umfaßt sind. Man kann auch sagen: die objektive Tatseite (= der objektive = gesetzliche Tatbestand) ist mit der subjektiven Tatseite (= dem Vorsatz) kongruent:
= vollendetes Delikt
Das versuchte Delikt ist dadurch gekennzeichnet, daß zwar nicht sämtliche objektiven Tatbestandsmerkmale erfüllt sind, aber der Täter mit dem für das Delikt vorausgesetzten Vorsatz handelt. Man kann daher auch sagen: Beim Versuch sind objektive und subjektive Tatseite nicht kongruent. Die subjektive Tatseite reicht über die objektive hinaus:
= versuchtes Delikt
In diesen Zusammenhang gehört schließlich auch der Tatbestandsirrtum. Denn auch er ist dadurch gekennzeichnet, daß objektive und subjektive Tatseite nicht kongruent sind, dies aber in einem dem Versuch umgekehrten Sinne. Die objektive Tatseite reicht über die subjektive hinaus:
Tatbestandsirrtum
LE 22
A u f b a u der Versuchsprüfung
361
Fallprüfungsschema Das versuchte Delikt dargestellt am Beispiel des versuchten Begehungsdelikts (Grundstruktur) Sachverhalt
-Nenn
0 Handlungsbegriff? Ja I Tatbestandsmäßigkeit? D.h. 1. Nichterfüllung der objektiven Tatbestandsmerkmale? Ja I 2. Voller Tatentschluß? D.h. Vorsatz?
-Nein-
•Nein> 1
Nein-Nein-
Subj. Tatbestandsmerkmale? y N e i n
Ja I 3. A n f a n g der Ausführung (§ 22)?
-Nein-
J^ I Ja I II Rechtswidrigkeit?
Nein-
Ja I III Schuld? D.h. I 0 Schuldfähigkeit? Ja 1. Unrechtsbewußtsein?
Nein-
Ja T 2. Entschuldigungsgriinde? Nein X Ja I Strafe wegen versuchten Delikts
Keine Strafe wegen versuchten Delikts
Wichtig! Bevor Sie mit der Versuchsprüfung beginnen, überzeugen Sie sich zunächst, o b der Versuch bei diesem Delikt überhaupt für strafbar erklärt ist (§ 23 (1))!
362
Testfragen zur LE 22
TE 22
1.1
Setzen Sie die Elemente des Tatbestands der versuchten Delikts in das folgende Schaubild
2.1
Kommt Versuch auch dann noch in Betracht, wenn schon mehrere objektive Tatbestandsmerkmale des Delikts erfüllt sind? J a / Nein Begründung:
1.2
Der Begriff „voller Tatentschluß" beim Versuch ist bei sämtlichen Delikten mit Ausnahme der Absichtsdelikte identisch mit 1 2. bedeutet bei den Absichtsdelikten
plus
2.2
Warum gehört der volle Tatentschluß (und damit der Vorsatz) bereits zum Tatbestand des Versuchs?
1.3
Kann auch eine versuchte Tat durch einen Rechtfertigungsgrund gerechtfertigt sein? J a / Nein
1.4
Aus welchen Elementen besteht die Schuld beim versuchten Delikt?
TE 22 1.5
Testfragen
363
Den Tatbestandsirrtum prüfen Sie 1. beim vollendeten Delikt auf der Stufe der .... 2. beim versuchten Delikt auf der Stufe der
4.1
Den Verbotsirrtum prüfen Sie 1. beim vollendeten Delikt auf der Stufe der 2. beim versuchten Delikt auf der Stufe der
4.2
Der Irrtum über einen rechtfertigenden Sachverhalt schließt nur beim vollendeten Delikt / auch beim versuchten Delikt das aus.
4.3
In der Garderobe will Anzinger gerade einen Filzhut vom Haken nehmen, in der Meinung, es sei der eigene. Der Hut gehört dem Benzinger, sieht dem des Anzinger jedoch zum Verwechseln ähnlich. In diesem Moment kommt Benzinger hinzu und nennt den Anzinger einen Dieb. Hat Anzinger einen versuchten Diebstahl (§ 23 (1) i.V.m. § 242 (1) und (2)) begangen? Ja / Nein Begründung:
4.4
A meint auf B zu schießen, den er töten will. In Wirklichkeit zielt A aber auf C, den er in der Dunkelheit mit dem B verwechselt hat. Der Schuß geht daneben. A wird wegen versuchten Totschlags (§ 23 (1) i. V.m. § 212 (1)) angeklagt. Er verteidigt sich damit, infolge eines Tatbestandsirrtums entfalle sein Vorsatz. Ohne Vorsatz käme aber nicht einmal versuchte Tötung in Betracht. Er sei deshalb straffrei. Halten Sie diese Begründung für richtig? Ja / Nein Begründung:
364 4.5
Testfragen
TE 22
Der Gastarbeiter Antonio Ettore Trullio (T) aus Corleone / Sizilien ist seit 2 Jahren bei der städtischen Müllabfuhr in Stuttgart beschäftigt. Am Samstag nachmittag palavert er wie üblich in der großen Eingangshalle des Stuttgarter Hbf mit seinen Landsleuten herum, als er von einem total Betrunkenen (B) angepöbelt und als ,,Makkaronifresser.. . . Katzeimacher" u.ä. tituliert wird. Tglaubt, sich dieser Beleidigungen mittels eines Messers erwehren zu dürfen. Der gegen den Arm des B gezielte Stich geht indes daneben. Untersuchen Sie die Strafbarkeit des T ! 1. In Betracht kommt das Delikt der gefährlichen Körperverletzung (§ 2 2 3 a (1)) in der Erscheinungsform des Versuchs / der Vollendung. Begründung (bitte sämtliche Tatbestandsmerkmale prüfen!):
2. Der Rechtfertigungsgrund der Notwehr (§ 3 2 ) ist gegeben / scheidet aus, weil (bitte ergänzen!)
3. Das eigentliche Problem dieses Falles betrifft die Schuldfähigkeit / das Unrechtsbewußtsein / das Vorliegen von Entschuldigungsgründen bei T . 4.6
Natürlich wird sich Antonio Ettore Trullio in erster Linie darauf berufen, daß man in Sizilien seine Ehre mit dem Messer zu verteidigen pflege. Daß man das in Deutschland nicht dürfe, habe er nicht gewußt. Sie sind Richter und sollen über diesen Fall entscheiden. Werden Sie Antonio Ettore Trullio wegen versuchter gefährlicher Körperverletzung (§ 23 (1) i.V.m. § 2 2 3 (1) und (2)) bestrafen? J a / Nein
Begründung (die Antwort erfordert einigen Schreibaufwand):
Literatur: Zum Aufbau der Versuchsprüfung vgl. Kienapfel aaO. § 8 A.
TE 22
Antworten
365
1.1
1. Nichterfüllung der objektiven Tatbestandsmerkmale 2. Voller Tatentschluß 3. Anfang der Ausführung i.S.d. § 22
2.1
Ja! Solange nicht sämtliche objektiven Tatbestandsmerkmale erfüllt sind (o.ä.)
1.2
1. Vorsatz 2. Vorsatz plus deliktsspezifische Absicht
2.2
Weil sich beim Versuch ohne Kenntnis des Tatentschlusses (also insbesondere ohne Kenntnis des Vorsatzes) nicht entscheiden läßt, ob und welch ein Delikt der Täter verwirklichen wollte (o.a.).
1.3
Ja!
1.4
0 Schuldfähigkeit 1. Unrechtsbewußtsein 2. keine Entschuldigungsgründe
1.5
1. Schuld (Vorsatz ist beim vollendeten Delikt Schuldelement) 2. Tatbestandsmäßigkeit (Vorsatz ist beim versuchten Delikt Tatbestandsmerkmal)
4.1
1. Schuld (genau: des Unrechtsbewußtseins) 2. Schuld (genau: des Unrechtsbewußtseins). In diesem Punkte besteht also kein Unterschied zwischen versuchtem und vollendetem Delikt.
4.2
auch beim versuchten Delikt; Unrechtsbewußtsein
4.3
Nein! Es fehlt bereits am Tatentschluß. Denn Anzinger hat infolge eines Tatbestandsirrtums keinen DiebstahlsDorsatz. Er irrt sich über die Fremdheit des Hutes (o.ä.). Im übrigen handelt Anzinger auch nicht in Zueignungsabsicht, da er ja meint, den eigenen Hut zu nehmen. Es fehlt also nicht nur der „volle", sondern überhaupt jeglicher Tatentschluß im Sinne des Versuchs.
4.4
Nein! A irrt sich beim gleichartigen Tatobjekt nur über dessen Identität. Ein solcher Irrtum berührt den Vorsatz nicht und begründet keinen Tatbestandsirrtum. Er ist unbeachtlich (o.ä). A hat einen Menschen töten wollen (= „voller Tatentschluß" im Sinne des Totschlags). Mit der Abgabe des Schusses hat A die Schwelle des § 22 durch eine Ausführungshandlung überschritten. Mithin liegt versuchter Totschlag vor.
4.5
1. des Versuchs. Da der Stich den B nicht getroffen hat, ist eine Körperverletzung des B nicht eingetreten. T hat B jedoch mittels einer Waffe körperlich verletzen wollen. Durch das Zustechen ist die Schwelle des § 22 durch eine Ausführungshandlung überschritten (o.a.). 2. scheidet aus, weil bei Betrunkenen, denen man — wie T — ausweichen kann, das Notwehrrecht ausgeschlossen ist bzw. die „Erforderlichkeit" dieser Verteidigung zu verneinen ist (o.ä.). 3. das Unrechtsbewußtsein
4.6
Es liegt ein indirekter Verbotsirrtum (über die Grenzen der Notwehr) vor. Ob T nach § 23 (1) i.V.m. § 223 a (1) und (2) bestraft wird, hängt gemäß § 17 von der Vermeidbarkeit des Verbotsirrtums ab. Der Fall liegt anders als bei Nungu Bongo. Mag in Sizilien auch ein anderer Ehrenkodex gelten als in Deutschland, so ist T doch verpflichtet, sich nach den deutschen Rechtsvorstellungen zu erkundigen und zu richten. Das gilt umso mehr, als T bereits seit 2 Jahren in Deutschland lebt und arbeitet und auch der deutschen Sprache offenbar hinreichend mächtig ist. Mithin handelt es sich um einen vermeidbaren Verbotsirrtum. Doch wird die Strafe gemäß § 17 Satz 2 i.V.m. § 49 (1) zu mildern »ein (o.ä.).
366
RÜCKTRITT UND TÄTIGE REUE
LE 23
L e r n z i e 1 : Der Täter kann sich durch „Rücktritt" vom Versuch Straffreiheit verdienen. In dieser LE erfahren Sie warum und unter welchen Voraussetzungen. Sie werden in diesem Zusammenhang den „beendeten" vom „unbeendeten" Versuch abgrenzen und die beiden Riicktrittsarten kennenlernen. Der „Rücktritt" beim versuchten Delikt findet in der „tätigen Reue" beim vollendeten Delikt eine Parallele. Außerdem sollen Sie „Strafaufhebungsgründe" von „Strafausschließungsgründen" unterscheiden lernen.
Lesen Sie bitte § 24 (1)! Diese Vorschrift behandelt den Rücktritt vom Versuch. Sie räumt dem Zurücktretenden das praktisch höchst bedeutsame Privileg voller Straffreiheit ein. Wer zurücktritt, wird „wegen Versuchs" nicht bestraft. Über den, der strafbefreiend zurückgetreten ist, können daher weder Strafen verhängt noch (1) gegen ihn M der B und S angeordnet werden. Diese Großzügigkeit des StGB ist durchaus nicht selbstverständlich. Die Entscheidung des (2) Gesetzgebers für die Strafbarkeit / für die Straffreiheit des Zurücktretenden stützt sich auf den Prämiengedanken. Der Täter soll dafür belohnt werden, daß er, aus welchen Gründen auch immer, die Tatausführung freiwillig und endgültig aufgegeben hat. Prämiert wird bereits die Tatsache, daß der Täter die Tatausführung aufgegeben hat. (3) Es kommt daher auf die Motive, die den Täter zum Rücktritt bewogen haben, an / nicht an. Der Rücktritt aus Gewissensgründen, Einsicht oder echter Reue hebt die Strafe ebenso auf wie der Rücktritt mangels „Mutes" oder aus Angst vor Schimpf und Schande. Der Rücktritt vom Versuch ist weder ein Rechtfertigungsgrund noch ein Entschuldigungsgrund. Denn die versuchte Tat bleibt trotz des strafbefreienden Rücktritts eine Straftat, (4) d.h. eine r und Handlung. (5) Der dem Rücktritt zugrunde liegende P gedanke wirkt sich vielmehr dahin aus, daß die an sich verwirkte Strafe für den Täter aufgehoben wird. Daher wird der Rücktritt vom Versuch (§ 24 (1)) als Strafaufhebungsgrund bezeichnet.
LE 23
Rücktritt und tätige Reue
367
(1) Maßregeln der Besserung und Sicherung (2) für die Straffreiheit (3) nicht an (4) tatbestandsmäßige; rechtswidrige; schuldhafte (5) Prämiengedanke
Es gibt verschiedene Strafaufhebungsgründe. Die beiden wichtigsten sind: Rücktritt vom versuchten Delikt und tätige Reue beim vollendeten Delikt. (1) In beiden Fällen hat der Täter an sich Strafe verwirkt, weil (bitte ergänzen!)
(2) Doch wird sowohl beim Rücktritt vom Delikt als auch im Falle der tätigen Reue beim Delikt die für die Straftat an sich verwirkte (3) Strafe Warum gewährt das Gesetz dem Zurücktretenden Straffreiheit?
(4)
Die Prüfung eines Strafaufhebungsgrundes setzt voraus, daß zuvor Tatbestandsmäßigkeit, Rechtswidrigkeit und Schuld des Täters verneint / bejaht worden sind. Diese Einsicht hat Konsequenzen für das strafrechtliche Fallprüfungsschema.
Denn für die Fälle, in denen nach dem Sachverhalt die Erörterung eines Strafaufhebungsgrundes naheliegt, erweitert sich das Fallprüfungsschema um eine zusätzliche Stufe, die (5) Prüfung von St gründen. (6) Wegen einer Straftat kann nur bestraft werden, wenn Strafaufhebungsgründe vorliegen / keine Strafaufhebungsgründe vorliegen. Erweitertes Fallprüfungsschema (unter Einbeziehung der Gründe, die eine an sich verwirkte Strafe aufheben) (7) Bitte einsetzen! 0
Strafe
368
Rücktritt und tätige Reue (1) (2) (3) (4) (7)
LE 23
die Tat eine Straftat ist; oder: er tatbestandsmäßig, rechtswidrig und schuldhaft gehandelt hat (o.a.) versuchten; vollendeten; aufgehoben U m die freiwillige Aufgabe des Tatentschlusses zu belohnen (o.a.). bejaht (5) Strafaufhebungsgründen (6) keine Strafaufhebungsgründe vorliegen 0 Handlungsbegriff; I Tatbestandsmäßigkeit; II Rechtswidrigkeit
Im Zusammenhang mit dem Rücktritt vom Versuch unterscheidet man zwei Arten des Versuchs: den beendeten Versuch und den unbeendeten Versuch. Achten Sie im folgenden bitte auf die Terminologie! Der (un-)beendete Versuch wird begrifflich streng von der vollendeten Tat geschieden. Von einem beendeten Versuch spricht man, wenn der Täter glaubt, alles zur Vollendung der Tat Erforderliche getan zu haben. Der Versuch ist daher auch dann beendet, wenn entgegen der Vorstellung des Täters die (1) Handlung zur Vollendung der Tat ausreicht. Beispiel: A hat mit einem gezielten Schuß B eine Wunde zugefügt, die, wie er glaubt, alsbald zum Tode des B führen wird. A täuscht sich. Es handelt sich um eine harmlose Fleischwunde. (2) Ist der Tötungsversuch des A beendet? J a / Nein
Begründung:
Glaubt der Täter dagegen, er müsse noch weiterhandeln, um die Tat zu vollenden, ist der Versuch noch unbeendet. Der Versuch ist daher selbst dann unbeendet, wenn die Handlung entgegen der Vorstellung (3) des Täters doch ausreicht, um (bitte ergänzen!) Variante: Die dem B zugefügte Schußwunde A hält die Wunde aber für ungefährlich.
wird in absehbarer Zeit zum Tode des B führen.
(4) Ist der Tötungsversuch des A beendet? J a / Nein
Begründung:
Die Abgrenzung von beendetem und unbeendetem Versuch richtet sich demnach aus(5) schließlich nach der Vorstellung des Täters / ausschließlich nach den objektiven Umständen der Tat. Maßgebender Zeitpunkt ist die subjektive Einschätzung des Täters im Zeitpunkt der Tatausführung. Achmed Kadafigibt in Würzburg ein mit Sprengstoff und Zünder präpariertes Osterpäckchen an Shmuel Grünzweig in Bonn auf. Grünzweig wittert die Gefahr und läßt das Päckchen „entschärfen". Ist der von Kadafi begangene Tötungsversuch beendet? (6) J a / Nein Begründung:
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Rücktritt und tätige Reue
369
(1) nicht (2) Ja! A hat geglaubt, alles zur Vollendung der Tat Erforderliche getan zu haben (o.a.). (3) die Tat zu vollenden (4) Nein! A geht davon aus, daß er noch weiterhandeln müßte, um den Tod des B herbeizuführen (o.a.). (5) ausschließlich nach der Vorstellung des Täters (6) Ja! Kadafi hat alles nach seiner Vorstellung Erforderliche getan, um Grünzweig zu töten (o.ä.). Daß der Erfolg ausbleibt, ist eine andere Frage. Sie hat mit der Abgrenzung von beendetem und unbeendetem Versuch nichts zu tun.
Entsprechend den beiden Arten des Versuchs unterscheidet das StGB zwei Arten des Rücktritts, den Rücktritt vom unbeendeten Versuch und den Rücktritt vom beendeten Versuch. Die Voraussetzungen für den Rücktritt vom unbeendeten Versuch sind in § 24 (1) Satz 1 1. Alt ausdrücklich, aber unvollständig geregelt (bitte lesen!). (1) Durch den Rücktritt vom Versuch wird die Strafe gemindert / aufgehoben, wenn die beiden folgenden Rücktrittsvoraussetzungen erfüllt sind:
Gegen 23.00 h ist Ede auf der Südseite des Freiburger Münsters gerade dabei, ein abgestelltes Auto aufzubrechen. Als ein Streifenwagen auf den Münsterplatz einbiegt, entschwindet Ede durch das Präsenzgäßle in der Absicht, alsbald zurückzukehren und das ,, Werk "fortzusetzen. (2) Wichtig! Die Art des Rücktritts richtet sich stets nach der
des Versuchs!
(3) Hier liegt ein beendeter / unbeendeter Diebstahlsversuch vor, weil (bitte ergänzen!)
(4) Ist Ede von diesem Versuch strafbefreiend zurückgetreten? J a / Nein
Begründung:
Erhebliche Bedeutung kommt dem Rücktrittserfordernis der Freiwilligkeit zu. Bei der Ermittlung der Freiwilligkeit der Aufgabe des Tatentschlusses leistet in vielen Fällen die Frank'sche Rücktrittsformel gute Dienste. Sagt sich der Täter: „ Ich will nicht, obwohl ich kann", geschieht die Aufgabe des Tatent(5) Schlusses freiwillig / unfreiwillig. (6) Sagt der Täter: „Ich kann nicht, obwohl ich entschlusses Ede trollt sich entmutigt,
", geschieht die Aufgabe des Tat-
weil der Wagen sich nicht öffnen
läßt.
(7) Damit hat er die Tatausführung endgültig aufgegeben / nicht endgültig aufgegeben. (8) Hat Ede die Tatausführung freiwillig aufgegeben? J a / Nein
Begründung:
370
Rücktritt u n d tätige Reue
LE 23
(1) unbeendeten; aufgehoben (2) Art (3) unbeendeter Diebstahlsversuch, weil Ede noch nicht alles nach seiner Vorstellung Erforderliche getan hatte, um den Diebstahl zu vollenden (o.a.) (4) Nein! Wer die Tatausführung kurzfristig unterbricht oder aufschiebt, tritt nicht strafbefreiend zurück. Es liegt keine endgültige Aufgabe der Tatausführung vor. Außerdem fehlt es hier auch an ACT Freiwilligkeit (o.a.). (5) freiwillig (6) will; unfreiwillig (7) endgültig aufgegeben (8) Nein! DerTäter sagt sich: „Ich kann nicht, obwohl ich will".
A n d e n Rücktritt vom b e e n d e t e n Versuch stellt das Gesetz strengere Anforderungen. Lesen Sie bitte § 24 (1) Satz 1 2. Alt! Die Aufgabe der Tatausführung genügt in diesem Stadium des Versuchs nicht mehr. Es (1) m u ß vielmehr die Vollendung der Tat werden. Dies kann (2) unfreiwillig / m u ß freiwillig geschehen. Schließlich m u ß der Täter selbst die Initiative ergreifen, d.h. er m u ß die Vollendung der Tat durch eigenes Z u t u n verhindern.
(4)
Diese Erleichterung / Verschärfung der Rücktrittsvoraussetzungen beim b e e n d e t e n Versuch geschieht mit gutem Grund. Denn beim b e e n d e t e n Versuch ist die Ausführungshandlung entweder objektiv oder jedenfalls nach der Vorstellung des Täters abgeschlossen u n d tendiert zur Vollendung der Tat.
(5)
Der Täter m u ß daher aktiv werden u n d die d r o h e n d e verhindern. Mißlingt ihm dies, scheidet strafbefreiender Rücktritt aus.
der Tat
Die Prostituierte P aus Hannover stößt ihren 4jährigen Sohn Thomas (T) mit Tötungsvorsatz in den Mittelland-Kanal, weil er ihr lästig ist. Doch dann stellt sich Reue ein. Sie zieht das schon bewußtlose Kind aus dem Wasser und beatmet es. Vergeblich. Nach 20 Minuten stirbt der Junge. Ist P vom Tötungsversuch strafbefreiend zurückgetreten? Mit d e m Hineinstoßen ist die T ö t u n g des T noch nicht vollendet, w o h l aber versucht. (6) Dieser Versuch ist beendet / u n b e e n d e t , weil (bitte ergänzen!)
(7) Warum m u ß t e zunächst diese Frage aufgeworfen u n d b e a n t w o r t e t werden?
P hat ihren Sohn aus dem Wasser gezogen. Strafbefreiender Rücktritt gemäß § 24 (1) Satz 1 2. Alt k o m m t für P d e n n o c h nicht in Betracht, weil von den drei Voraussetzungen (8) des Rücktritts vom eine nicht erfüllt ist. (9) Welche?
LE 23
Rücktritt u n d tätige R e u e
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(1) verhindert (2) muß freiwillig geschehen (3) von o. nach u.: Tatvollendung; Freiwilligkeit; eigenes (4) Verschärfung (5) Vollendung (6) beendet; weil P der Meinung war, mit dem Hineinstoßen alles zur Vollendung der Tat Erforderliche getan zu haben (o.a.) (7) Weil für den Rücktritt vom beendeten Versuch andere Rücktrittsvoraussetzungen gelten als für den Rücktritt vom unbeendeten Versuch (o.a.). (8) beendeten Versuch (9) Die tatsächliche Verhinderung der Tatvollendung (o.a.) Eigenes Z u t u n des Täters b e d e u t e t nicht unbedingt, daß der Täter „eigenhändig" tätig werden m u ß . Es genügt, w e n n die Verhinderung der Tatvollendung auf sein aktives Bemühen zurückzuführen ist. (1)
Daher genügt / genügt nicht das Herbeiholen eines Arztes, der Feuerwehr, der Polizei etc. M hat auf O geschossen, um ihn zu töten, den Verletzten dann aber aus eigenem Entschluß ins Krankenhaus gebracht. Die sofortige Operation rettet dem O das Leben. Nach etwa sechs Wochen kann O das Krankenhaus wieder verlassen.
(2) (3)
M hat die Vollendung der T ö t u n g des O freiwillig verhindert. Der Tötungserfolg wurde durch fremdes Z u t u n / durch eigenes Z u t u n abgewendet. Daher sind sämtliche Voraussetzungen des strafbefreienden Rücktritts vom Tötungsversuch erfüllt. Dennoch geht M nicht straflos aus: Lesen Sie bitte § 223 a (1)! Die Tat war „mittels einer W a f f e " verübt worden u n d h a t t e eine „Gesundheitsbeschädigung" zur Folge. Der Tötungsversuch des M erfüllt daher zugleich den Tatbestand der vollendeten gefährlichen Körperverletzung gemäß § 223 a (1). Lesen Sie n u n m e h r die Einleitungsworte des § 24 (1) Satz 1! Es k o m m t auf jedes Wort an!
(4)
Der Rücktritt hebt die Strafe nur „wegen " auf! D.h.: Ist durch den Deliktsversuch bereits ein anderes Delikt vollendet, bleibt der Täter trotz des strafbefreienden Rücktritts vom Versuch wegen dieses Delikts strafbar.
(5)
In der Lehre bezeichnet man diesen Fall, in d e m im Versuch ein Delikt enthalten ist (etwas verwirrend!) als qualifizierten Versuch. Löteisen (L) hat mit seinem Schweißapparat den Geldschrank der Volksbank bereits ziemlich demoliert, besinnt sich in diesem Moment aber eines besseren und verzichtet die Vollendung des Diebstahls.
(6)
Es liegt ein beendeter Diebstahlsversuch / unbeendeter Diebstahlsversuch vor. Wird L wegen dieses Diebstahlsversuchs b e s t r a f t ? (7) J a / Nein Begründung:
Geht L überhaupt straffrei aus? J Begründung: (8) a / Nein
auf
372
Rücktritt u n d tätige Reue
LE 23
(1) genügt (2) durch eigenes Zutun (3) beendeten (4) Versuchs (5) vollendetes (6) unbeendeter Diebstahlsversuch (7) Nein! Durch freiwillige und endgültige Aufgabe der Tatausführung ist gemäß § 24 (1) Satz 1 1. Alt Straffreiheit bezüglich des Diebstahlsversuchs eingetreten (o.a.). (8) Nein! Im versuchten Diebstahl ist eine vollendete Sachbeschädigung (§ 303 (1)) enthalten. Nur „wegen Versuchs" ist L straffrei, nicht wegen der vollendeten Sachbeschädigung = qualifizierter Versuch.
Dem Rücktritt vom Versuch entspricht nach F u n k t i o n u n d zum Teil auch in ihrer (1) Wirkung die tätige Reue beim Der Begriff tätige R e u e ist mißverständlich. Zwar m u ß , wer nach Vollendung der Tat straffrei werden will, „ t ä t i g " werden, aber „ R e u e " oder ähnliche Motive sind nur selten der Beweggrund u n d werden vom Gesetz auch gar nicht gefordert. Im Gegensatz zum Rücktritt vom Versuch, der prinzipiell bei sämtlichen Delikten in Betracht k o m m t , hat das StGB Vergünstigungen bei tätiger Reue nur für b e s t i m m t e Delikte vorgesehen. Das Institut der tätigen Reue findet sich insbesondere bei den Vorbereitungsdelikten. So kann das Gericht etwa im Falle von tätiger Reue beim Delikt der „Vorbereitung eines hochverräterischen U n t e r n e h m e n s " (§ 83 (1)) gemäß § 83 a (2) i.V.m. (1) von Strafe (2) oder (bitte ergänzen!)
Blättern Sie zurück auf S. 341 zum Beispiel des gefinkelten Briefmarkenhändlers Mauritius. Nehmen Sie an, er vernichtet den nachgemachten Luftpostdruckstock, ohne von ihm Gebrauch gemacht zu haben. Hier stellt sich die Frage, o b er unter diesen Umständen noch gemäß § 149 (1) Z 1 bestraft werden kann. (3) Rücktritt gemäß § 2 4 (1) k o m m t zum Zuge / k o m m t nicht z u m Zuge, weil Vorbereitungsdelikte (bitte ergänzen!)
(4)
Es ist jedoch tätige Reue gemäß der Sondervorschrift des § 149 (2) Z 2 zu u n t e r s u c h e n u n d im Ergebnis zu verneinen / zu bejahen.
Im übrigen ist Straffreiheit bei tätiger Reue in der Regel keine obligatorische Folge wie (5) beim Rücktritt vom sondern nur eine fakultative. In d e n meisten Fällen hat das Gericht sogar die Wahl zwischen fakultativer S t r a f a u f h e b u n g oder bloß fakultativer Strafmilderung, z.B. bei § 83 a (1) u n d (2). Bei der tätigen Reue handelt es sich d e m n a c h nur in solchen Fällen u m einen Strafauf(6) hebungsgrund, in denen das Gericht von einer absieht. In allen (7) anderen Fällen ist tätige Reue nur ein fakultativer Straf grund.
373
Rücktritt und tätige Reue
L E 23
(1) vollendeten Delikt (2) absehen; die Strafe nach seinem Ermessen mildern (3) kommt nicht zum Zuge; bereits mit der Vornahme der verbotenen Vorbereitungshandlung vollendet sind. Vom vollendeten Delikt gibt es keinen Rücktritt (o.a.). (4) zu bejahen (5) Versuch (6) Bestrafung (7) Strafmilderungsgrund Strafaufhebungsgründe beschreiben die Voraussetzungen, unter denen die wegen einer Straftat an sich bereits verwirkte Strafe wieder aufgehoben wird. Beispiele: Rücktritt und tätige Reue (soweit bei letzterer nicht bloß Strafmilderung in Betracht kommt). (1)
Es handelt sich dabei stets um Umstände, die schon bei Begehung der Tat vorliegen / erst nach Begehung der Tat eintreten. Das unterscheidet sie von den sog. Strafausschließungsgründen. Strafausschließungsgründe beschreiben sonstige Voraussetzungen, die einer Bestrafung wegen einer Straftat entgegenstehen. Der 17jährige Falko verkehrt
einverständlich
mit seiner 16jährigen Schwester
Topsy.
Beide haben eine Straftat i.S.d. § 173 (2) Satz 2 begangen. Lesen Sie nunmehr bitte § 173 (3)! (2)
Da Falko und Topsy zur Zeit der Tat noch nicht J a h r e alt sind, werden sie wegen „Beischlafes zwischen Verwandten" (§ 173 (2) Satz 2) bestraft / nicht bestraft.
(3)
Bei der Vorschrift des § 173 (3) handelt es sich um einen Strafaufhebungsgrund / Strafausschließungsgrund, weil (bitte ergänzen!)
(4)
Bei der Straflosigkeit der Schwangeren gemäß § 218 (4) Satz 2 handelt es sich um einen Strafausschließungsgrund / Strafaufhebungsgrund. Sowohl Strafaufhebungsgründe als auch Strafausschließungsgründe wirken nur zugunsten dessen, in dessen Person sie vorliegen. Der 19jährige Patrick will seinem Bruder Falko nicht nachstehen den Beischlaf mit Topsy.
und vollzieht
ebenfalls
(5) Von beiden Brüdern wird gemäß § 173 (2) Satz 2 bestraft, weil in seiner Person die Voraussetzungen des § 173 (3) (bitte ergänzen!)
Man spricht meist ausdrücklich von persönlichen Strafaufhebungsgründen und persönlichen Strafausschließungsgründen, um hervorzuheben, daß diese Gründe nur ad personam wirken.
374
Rücktritt und tätige Reue
L E 23
(1) erst nach Begehung der Tat (2) 18; nicht bestraft (3) Strafausschließungsgrund, weil der vom Gesetz berücksichtigte Umstand bereits bei Begehung der Tat vorlag (o.a.) (4) Strafausschließungsgrund (5) Patrick; nicht erfüllt sind (o.ä.)
ZUSAMMENFASSUNG A Beendeter und unbeendeter Versuch Im Hinblick auf die beiden Arten des Rücktritts unterscheidet man zwei Arten des Versuchs: unbeendeten Versuch und beendeten Versuch. Die Frage, wann ein Versuch beendet oder unbeendet ist, wird vom StGB nicht ausdrücklich geregelt. Über die Abgrenzung besteht in Rechtsprechung und Lehre weitgehend Einigkeit. Sie wird ausschließlich nach subjektiven Kriterien vorgenommen. Maßgebender Gesichtspunkt ist allein die Vorstellung des Täters im Zeitpunkt der Versuchshandlung, d.h. der Tatausführung. Ein Versuch ist beendet, wenn der Täter im Zeitpunkt der Tatausführung glaubt, alles zur Vollendung der Tat Erforderliche getan zu haben. Glaubt er zu diesem Zeitpunkt dagegen, noch weiterhandeln zu müssen, ist der Versuch unbeendet. Die subjektive Vorstellung des Täters vom Beendetsein bzw. Nichtbeendetsein seines Versuchs ist selbst dann maßgebend, wenn sie falsch ist. Wichtig! Wegen der unterschiedlichen Rücktrittsvoraussetzungen der beiden Rücktrittsarten kann die Frage des Rücktritts erst geprüft werden, wenn Sie zuvor festgestellt haben, ob es sich um einen „beendeten" oder „unbeendeten" Versuch handelt. B Der Rücktritt Durch das Institut des Rücktritts vom Versuch räumt das Gesetz dem Zurücktretenden das praktisch höchst bedeutsame Privileg voller Straffreiheit ein. Der Täter soll dafür belohnt werden, daß er die Tatausführung freiwillig aufgibt und bewirkt, daß die Tat nicht vollendet wird (sog. Prämien- oder-auch Gnadentheorie). Prämiert wird bereits die Tatsache, daß der Täter die Tatausführung freiwillig aufgegeben hat. Auf die Motive, die ihn zum Rücktritt bewogen haben, kommt es nicht an. Sie haben jedoch Bedeutung für die Frage der Freiwilligkeit des Rücktritts. Siehe unter B 1. Den beiden Arten des Versuchs entsprechen die beiden im StGB ausdrücklich geregelten Arten des Rücktritts.
23
R ü c k t r i t t u n d tätige R e u e
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Das StGB unterscheidet: R ü c k t r i t t vom u n b e e n d e t e n Versuch (§ 2 4 (1) Satz 1 1. Alt) u n d R ü c k t r i t t vom b e e n d e t e n Versuch (§ 24 (1) Satz 1 2. Alt). 1
Die Voraussetzungen des R ü c k t r i t t s vom u n b e e n d e t e n Versuch
D u r c h einen Rücktritt vom u n b e e n d e t e n Versuch tritt gemäß § 2 4 (1) Satz 1 1. Alt u n t e r den b e i d e n f o l g e n d e n Voraussetzungen Straffreiheit ein:
Wer die Tatausführung n u r u n t e r b r i c h t o d e r a u f s c h i e b t , gibt sie nicht endgültig auf. Bei der B e a n t w o r t u n g der Frage, o b der Täter die T a t a u s f ü h r u n g freiwillig aufgegeben hat, leistet in vielen Fällen die sog. F r a n k ' s c h e F o r m e l gute Dienste: freiwillig = „ich will nicht, o b w o h l ich k a n n " ; unfreiwillig = „ich k a n n nicht, o b w o h l ich will". Freiwillig ist der R ü c k t r i t t aus Gewissensgründen, aus Angst vor Schimpf u n d Schande, aus F u r c h t vor Strafe, aus Schreck, mangels „ M u t e s " , wegen eindringlicher V o r h a l t e eines Mittäters, des Opfers oder eines Dritten. Unfreiwillig ist der R ü c k t r i t t z.B. d a n n , w e n n der Täter f ü r c h t e t , bei der weiteren Tatausf ü h r u n g e n t d e c k t , erkannt o d e r f e s t g e n o m m e n zu w e r d e n , mag diese B e f ü r c h t u n g auch unbegründet sein. Beispiel: Ein Einbrecher h ö r t die Sirene eines Polizeifahrzeugs. Er glaubt, daß dieser Einsatz ihm gelte, u n d flüchtet o h n e Beute. 2 Die Voraussetzungen des R ü c k t r i t t s vom b e e n d e t e n Versuch D u r c h einen R ü c k t r i t t vom b e e n d e t e n Versuch erlangt der T ä t e r gemäß § 24 (1) Satz 1 2. Alt u n t e r den folgenden drei Voraussetzungen S t r a f f r e i h e i t :
Bezüglich des Erfordernisses der Freiwilligkeit gilt das o b e n B 1 A u s g e f ü h r t e e n t s p r e c h e n d .
376
Rücktritt und tätige Reue
LE 23
Der Täter muß aktiv werden und die Vollendung der Tat verhindern. Strafbefreiender Rücktritt gemäß § 24 (1) Satz 1 2. Alt scheidet daher aus, wenn die Abwendung des Erfolgs mißlingt, weil der Täter — vielleicht trotz besten Bemühens — zu wenig oder das Falsche getan hat. Eigenes Zutun bedeutet nicht notwendigerweise eigenhändige Verhinderung der Tatvollendung. Es genügt, wenn die Verhinderung der Tatvollendung letztlich auf das Bemühen des Täters, auf seine Initiative zurückgeht (Polizei, Feuerwehr, Arzt etc.). B Qualifizierter Versuch Als qualifizierten Versuch bezeichnet man einen Versuch, in dem ein vollendetes Delikt enthalten ist. Diese Rechtsfigur ist in jenen Fällen von erheblicher praktischer Bedeutung, in denen der Täter vom Versuch strafbefreiend zurücktritt. Das in dem Versuch enthaltene vollendete Delikt bleibt von diesem Rücktritt unberührt und daher strafbar (vgl. Wortlaut des § 24 (1): nur „wegen Versuchs"). Beispiele: Beim Rücktritt vom versuchten Einbruchsdiebstahl bleibt gemäß § 24 (1) oft Bestrafung wegen vollendeter Sachbeschädigung übrig. Der Rücktritt vom Tötungsversuch befreit nur von der Bestrafung gemäß § 212 (1), nicht aber wegen vollendeter Körperverletzung. C Die tätige Reue Dem Rücktritt vom versuchten Delikt entspricht nach Funktion und zum Teil in der Wirkung die tätige Reue beim vollendeten Delikt. Tätige Reue ist im StGB nur für vereinzelte Delikte vorgesehen. Beispiele: §§ 83 a (1) und (2); 149 (2); 158 (1); 310; 311 c (2); 315 (6); 316 a (2) u.a. Bezüglich der Wirkung der tätigen Reue ist die gesetzliche Regelung differenzierter als beim Rücktritt. Der Rücktritt ist ein obligatorischer Strafaufhebungsgrund, tätige Reue ist es nur ausnahmsweise. Beispiele: Tätige Reue bei der Brandstiftung (§ 310); weiter §§ 149 (2), 163 (2) Satz 1. In der Regel wird die tätige Reue vom Gesetz als fakultativer Strafaufhebungsgrund konstruiert. Meist hat das Gericht sogar die Wahl zwischen der Strafaufhebung (= völliger Straffreiheit) und bloßer Strafmilderung. Beispiele: In den Fällen d e r § § 83 a (1) und (2), 158 (1), 311 c (2), 315 (6) kann (= fakultativ) das Gericht von einer Bestrafung jeweils nach dieser Vorschrift absehen oder die Strafe nach seinem Ermessen mildern (§ 49 (2)). D Strafaufhebungsgründe „Rücktritt" und „tätige R e u e " sind Strafaufhebungsgründe (soweit bei tätiger Reue nicht bloß Strafmilderung in Betracht kommt). An sich ist die Strafe wegen der begangenen (versuchten bzw. vollendeten) Straftat bereits verwirkt. Sie wird jedoch aus kriminalpolitischen Gründen aufgehoben.
377
Rücktritt und tätige Reue
23
Strafaufhebungsgründe beschreiben die Voraussetzungen, unter denen die wegen einer Straftat an sich bereits verwirkte Strafe wieder aufgehoben wird. Mit den Strafaufhebungsgründen berücksichtigt das Gesetz Umstände, die nach Begehung der (versuchten bzw. vollendeten) Straftat entstanden sind. Aus Gründen der Sachlogik können Strafaufhebungsgründe, d.h. „Rücktritt" bzw. „tätige R e u e " erst nach Bejahung von Tatbestandsmäßigkeit, Rechtswidrigkeit und Schuld geprüft werden. Das gilt selbstverständlich auch dann, wenn im Falle tätiger Reue nur Strafmilderung in Betracht kommt. Strafaufhebungsgründe wirken nur ad personam, d.h. nur zugunsten dessen, der sie erfüllt (= persönliche Strafaufhebungsgründe).
E Strafausschließungsgründe Bei einer Reihe von Delikten stellt das StGB bestimmte Personen aus anderen und sehr unterschiedlichen kriminalpolitischen Gründen straffrei. Man spricht insoweit von Strafausschließungsgründen. Mit den Strafausschließungsgründen berücksichtigt das Gesetz Umstände, die bereits zur Zeit der Straftat gegeben sind. Strafausschließungsgründe beschreiben sonstige Voraussetzungen, die der Bestrafung wegen einer Straftat entgegenstehen. Beispiele: § 36; § 173 (3); § 218 (4) Satz 2 (sehr wichtig!). Aus Gründen der Sachlogik können auch Strafausschließungsgründe erst nach Bejahung von Tatbestandsmäßigkeit, Rechtswidrigkeit und Schuld geprüft werden. Auch Strafausschließungsgründe wirken nur ad personam (= persönliche Strafausschließungsgründe).
F Gegenüberstellung der Gründe, die einer Bestrafung des Täters entgegenstehen Rechtfertigungsgründe I
Tatbestandsmäßigkeit = j' a
Entschuldigungsgründe I
Tatbestandsmäßigkeit = ja
II Rechtswidrigkeit = ja
Strafaufhebungs- und Strafausschließungsgründe I
Tatbestandsmäßigkeit = ja
II Rechtswidrigkeit = ja III Schuld = ja
Vgl. Sie bitte außerdem das Fallprüfungsschema S. 322!
378
Testfragen zur LE 23
TE 23
1.1
Warum gewährt der Gesetzgeber beim Rücktritt vom Versuch Straffreiheit?
1.2
Nennen Sie die beiden Voraussetzungen des strafbefreienden Rücktritts vom unbeendeten Versuch!
1.3
Wann ist die Aufgabe der Tatausführung „freiwillig"?
1.4
Was versteht man unter „qualifiziertem" Versuch?
1.5
Nennen Sie alle drei Voraussetzungen für den strafbefreienden Rücktritt vom beendeten Versuch!
2.1
Worin sehen Sie einen Unterschied zwischen einem Rechtfertigungsgrund und einem Strafaufhebungsgrund?
2.2
Nennen Sie mindestens zwei Unterschiede zwischen „ R ü c k t r i t t " und „tätiger Reue"!
1.6
Wann ist ein Versuch beendet?
T E 23
Testfragen
379
2.3
A behauptet: zur tätigen Reue ist „ R e u e " erforderlich. B dagegen behauptet: „ R e u e " ist nur für den Rücktritt erforderlich. Wer von den beiden hat recht? Begründung:
2.4
Lüderjahn (L) ist nächtlicherweise durch das offene Toilettenfenster in das Haus des B eingedrungen. Auf der Suche nach Geld und Schmuck beginnt er, Schränke und Schubladen zu durchstöbern. Da knarrt die Dielentür im Winde. In der Meinung, der Eigentümer kehre zurück, ergreift L die Flucht, ohne etwas mitzunehmen. 1. Es handelt sich um einen beendeten / unbeendeten Diebstahlsversuch (§ 23 (1) i.V.m. § 2 4 2 (1) und (2)), weil (bitte ergänzen!)
2. Ist L freiwillig (§ 24 (1) Satz 1) vom Diebstahlsversuch zurückgetreten? J a / Nein Begründung:
2.5
Bitte das Richtige ankreuzen!
§§
Strafaufhebungsgrund
Strafausschließungsgrund
§ 163 (2) Satz 1 § 2 1 8 (4) Satz 2 § 182(3) § 3 1 6 a (2) Satz 1 § 258 (6)
2.6
In der irrigen Meinung, die junge Frau zu Tode stranguliert Würgegriff.
zu haben,
löst der Täter
den
Es handelt sich um einen beendeten Tötungsversuch / unbeendeten Tötungsversuch, weil (bitte ergänzen!)
380 2.7
Testfragen
TE 23
Mit den Worten „mach koan Danz" reißt der 19jährige Dietmar Aschauer (A) aus MünchenPerlach die 2 7jährige Arzthelferin Rebecca (R) im Hofoldinger Forst zu Boden und fesselt sie, um sie zu notzüchtigen. Der listigen R gelingt es, A weiszumachen, daß sie im 6. Monat schwanger sei. Darauf bindet A die junge Frau los und läßt sie laufen. 1. Es liegt ein beendeter / unbeendeter Versuch der Vergewaltigung (§ 23 (1) i.V.m. § 177 (1)) vor, weil (bitte ergänzen!)
2. Ist A von diesem Versuch strafbefreiend zurückgetreten? Ja / Nein Begründung:
3. Geht A gänzlich straflos aus? Ja / Nein Begründung:
2.8
In ihrem Absteigequartier am Place Pigalle entbrennt zwischen der Dirne Loulou und ihrem deutschen „Kavalier" (K) ein heftiger Streit. Im jähen Zorn ergreift K die Nachttischlampe, um Loulou mit einigen Schlägen zu töten. Aber schon nach dem ersten Hieb überlegt er es sich anders und macht sich aus dem Staub. Loulou erleidet eine Gehirnerschütterung, die Nachttischlampe Totalschaden. 1. K ist nicht wegen versuchten
zu bestrafen, weil (bitte ergänzen!)
2. Dagegen ist K wegen (Sachverhalt noch einmal lesen und gut überlegen!) zu bestrafen, weil (bitte ergänzen!)
Literatur: Zum Rücktritt und zur tätigen Reue vgl. Baumann aaO. § 34; Bockelmann aaO. § 27 V; Jescheck aaO. § 51; Maurach aaO. § 41 V; Wessels aaO. § 14 IV. Zum Fallprüfungsschema beim Rücktritt vgl. Kienapfel aaO. § 8 C.
Antworten
TE 23
381
1.1
Um — etwa im Falle des Rücktritts vom unbeendeten Versuch — die freiwillige und endgültige Aufgabe der Tatausführung zu belohnen (Prämien- oder Gnadentheorie) o.a.
1.2
1. Endgültige Aufgabe der Tatausführung 2. Freiwilligkeit
1.3
Wenn sich der Täter sagt: „Ich will nicht, obwohl ich kann".
1.4
Einen Versuch, in dem ein vollendetes
1.5
1. Verhinderung der Tatvollendung 2. Freiwilligkeit 3. eigenes Zutun des Täters
2.1
Verschiedene Antworten sind möglich: Liegt ein Rechtfertigungsgrund vor, so ist die Tat keine rechtswidrige Tat. Denn sie wird von der Rechtsordnung gebilligt. Oder: Der Zurücktretende hat an sich Strafe verwirkt, der gerechtfertigt Handelnde nicht. Oder: Der gerechtfertigt Handelnde handelt zwar tatbestandsmäßig, aber nicht rechtswidrig. Der Zurücktretende handelt tatbestandsmäßig, rechtswidrig und schuldhaft.
2.2
1. Rücktritt gibt es nur vom Versuch, tätige Reue nur beim vollendeten Delikt. 2. Rücktritt kommt bei allen Delikten, tätige Reue nur bei den Delikten in Betracht, bei denen das Gesetz ausdrücklich tätige Reue vorsieht. 3. Rücktritt ist ein obligatorischer Strafaufhebungsgrund, tätige Reue häufig nur ein fakultativer. 4. Anders als beim Rücktritt kann bei tätiger Reue auch nur Strafmilderung in Betracht kommen.
1.6
Wenn der Täter glaubt, alles zur Vollendung der Tat Erforderliche getan zu haben (o.ä.).
2.3
Keiner! „ R e u e " ist für keinen der beiden Strafaufhebungsgründe erforderlich (o.ä.).
2.4
1. unbeendeten Diebstahlsversuch, weil L noch nichts weggenommen hat. Dies aber wäre zur Vollendung des Diebstahls nach seiner Vorstellung nötig (o.ä.). 2. Nein! Denn L tritt zurück, weil er sich sagt: „Ich kann nicht, obwohl ich will". Er tritt also unfreiwillig zurück (o.ä.).
2.5
Strafaufhebungsgründe: §§ 163 (2) Satz 1; 316 a (2) Satz 1 Strafausschließungsgründe: §§ 218 (4) Satz 2; 182 (3); 258 (6)
2.6
beendeten Tötungsversuch, weil der Täter zu diesem Zeitpunkt glaubt, mit dem Würgen bereits alles getan zu haben, was den Tod des Opfers herbeiführt (o.ä.)
2.7
1. unbeendeter Versuch der Vergewaltigung; weil ohne die Vollziehung des Beischlafs A noch nicht alles getan hat, was seiner Meinung nach zur Vollendung der Tat erforderlich ist (o.ä.) 2. Ja! A will nicht mehr, obwohl er könnte. Es liegt die endgültige und freiwillige Aufgabe der Tatausführung vor (o.ä.). 3. Nein! Übrig bleibt Bestrafung wegen vollendeter Freiheitsberaubung gemäß § 239 (1) (Fesseln) = qualifizierter Versuch (§ 24 (1) Satz 1: Strafaufhebung nurwegen Versuchs!).
2.8
1. Totschlags(§ 23 (1) i.V.m. § 212 (1)); weil er gemäß § 24 (1) Satz 1 1. Alt vom unbeendeten Tötungsversuch strafbefreiend zurückgetreten ist (o.ä.) 2. wegen a) vollendeter Körperverletzung (gemäß § 223 (1) bzw. § 223 a (1)) und b) vollendeter Sachbeschädigung (gemäß § 303 (1)), weil es sich um einen (hier sogar in zweifacher Weise) qualifizierten Versuch handelt (o.ä.)
Delikt enthalten ist (o.a.)
LE 24
UNTAUGLICHER VERSUCH
382
L e r n z i e l : Eines der für die Praxis bedeutsamsten Sonderprobleme der Versuchslehre verbindet sich mit dem Begriff „untauglicher Versuch". Sie werden in dieser LE die Ursachen für die Untauglichkeit des Versuchs, das Prohlem des Rücktritts vom untauglichen Versuch und zwei weitere Deliktsgruppen, die „Sonderdelikte" und die „Allgemeindelikte", kennenlernen.
Fall 1: Am 1. Mai vollzieht der Spengler Tobias Auböck Tochter Marion (M) den Beischlaf. A hat keine Ahnung, Vater des Mädchens ist.
(A) mit seiner vermeintlichen daß er gar nicht der leibliche
Lesen Sie bitte § 173 (1)! Täter dieses Delikts kann nur sein, wer eine ganz bestimmte, im Tatbestand vorausgesetzte Eigenschaft besitzt. (1) Der Täter muß mit dem Opfer i a L v sein. Verwandte in absteigender Linie sind Kinder und Kindeskinder. (2) Daher kann z.B. der Onkel, der mit seiner Nichte schläft, ebenfalls Täter / nicht Täter des § 173 (1) sein. Delikte, die beim Handelnden bestimmte Eigenschaften oder Verhältnisse voraussetzen, nennt man Sonderdelikte. (3) Täter eines Sonderdelikts kann daher nur sein, wer Träger der im Gesetz (bitte ergänzen!)
Sonderdelikte stehen im Gegensatz zu den Allgemeindelikten. (4) Täter eines
delikts kann jedermann sein.
(5) Ordnen Sie die nachfolgenden Delikte zu!
§§
Sonderdelikt
Allgemeindelikt
§ 171 1. Alt § 212(1) § 217(1) § 340(1)
(6) Bei dem Delikt des § 173 (1) handelt es sich um ein Sonderdelikt / Allgemeindelikt, weil (bitte ergänzen!)
(7)
Einerseits hat A ohne Zweifel mit seiner Tochter Blutschande begehen und auch entsprechende Ausführungshandlungen vorgenommen. Andererseits ist er aber nicht — wie § 173 (1) es fordert — mit M in absteigender Linie verwandt.
(8) Er kann daher aus rechtlichen Gründen Täter / nicht Täter des § 173 (1) sein. Das bedeu(9) tet: A kann das Delikt des § 173 (1) zwar aber nicht vollenden. (10) Wir haben es daher im Fall 1 mit einem
tauglichen Versuch des § 173 (1) zu tun.
LE 24
Untauglicher Versuch
383
(1) (3) (4) (5)
in absteigender Linie verwandt (2) nicht Täter vorausgesetzten Eigenschaften oder Verhältnisse ist (o.a.) Allgemeindelikts § 171 l.Alt: Sonderdelikt (nur wer selbst „verheiratet" ist!) § 2 1 2 ( 1 ) : Allgemeindelikt § 2 1 7 ( 1 ) : Sonderdelikt (nur eine „nichteheliche Mutter"!) § 3 4 0 (1) : Sonderdelikt (nur ein „Amtsträger"!) (6) Sonderdelikt; Täter nur eine Person sein kann, die mit dem Opfer in absteigender Linie verwandt ist (o.ä.) (7) wollen (8) nicht Täter (9) versuchen (10) untauglichen
Die Vollendung der Tat kann auch aus tatsächlichen Gründen ausgeschlossen sein. Fall 2: In einem berühmten Lehrbuch des vorigen Jahrhunderts findet sich das Beispiel eines „Baiern, der nach einer Kapelle wallfahrtet, um da seinen Nachbar tod zu beten". (1) Ein solcher Versuch ist nicht zur Vollendung der Tat führen kann.
weil er aus
Gründen
Fall 3: In einem stillen Winkel von Schwabing versetzt der einschlägig vorbestrafte Pinkus Schandmair (S) einer adretten Brünetten einen Schlag auf das Haupt, um sie sich gefügig zu machen. Erst als bei dem Gerangel die Perücke der „Dame" zu Boden fällt, erkennt S, daß er es mit einem Transvestiten zu tun hat.
(2)
Es handelt sich um einen untauglichen Versuch der Vergewaltigung (§ 177 (1)), weil (bitte ergänzen!)
Fassen wir zusammen: Als untauglich bezeichnet man einen Versuch, der aus tatsächlichen oder rechtlichen Grün(3) den nicht zur der Tat führen kann. Es gibt drei Ursachen für die Untauglichkeit des Versuchs: Untauglichkeit des Subjekts, Untauglichkeit des Objekts und Untauglichkeit des Mittels. Ordnen Sie die drei zuvor geschilderten Fälle diesen drei Kategorien des untauglichen Ver(4) suchs zu! Fall 1 = Untauglichkeit des Fall 2 = Untauglichkeit des Fall 3 = Untauglichkeit des (5) Das Problem der Untauglichkeit des Subjekts tritt nur bei den Allgemeindelikten / nur bei den Sonderdelikten auf, weil bei den Allgemeindelikten Täter sein kann. (6)
Sonderdelikte sind Delikte, (bitte ergänzen!)
384
Untauglicher Versuch
LE 24
(1) (2) (3) (4)
untauglich; tatsächlichen eine Vergewaltigung nur an einer „Frau" (§ 177 (1)) begangen werden kann (o.a.) Vollendung Fall 1 = Untauglichkeit des Subjekts ( und zugleich des Objekts!) Fall 2 = Untauglichkeit des Mittels Fall 3 = Untauglichkeit des Objekts (5) nur bei den Sonderdelikten; jedermann (6) die beim Handelnden bestimmte Eigenschaften oder Verhältnisse voraussetzen (o.a.)
Der untaugliche Versuch unterscheidet sich vom tauglichen Versuch zwar durch die geringere Gefährlichkeit der Tat. Aber der Auflehnungswille des Täters gegen die Rechtsord(1) nung ist beim untauglichen Versuch schwächer / nicht schwächer als beim tauglichen. Auch der schlechte und verderbliche Eindruck, den die Tat bei anderen hervorrufen kann, ist beim untauglichen wie beim tauglichen Versuch gleichermaßen vorhanden. Deshalb sieht das Gesetz für den untauglichen Versuch prinzipiell dieselben Rechtsfolgen (2) vor wie für den Versuch. Auch der untaugliche Versuch ist prinzipiell strafbar nach Maßgabe des § 23 (1) und (2). Dies gilt jedoch nicht für den Fall des Versuchs eines untauglichen Subjekts. Diese Frage ist im StGB zwar nicht ausdrücklich geregelt und im Schrifttum streitig. Aus den Materialien zum § 23 ergibt sich aber, daß der Gesetzgeber von der Erwartung ausgegangen ist, daß die Rechtsprechung für den Fall der Untauglichkeit des Subjekts auch ohne ausdrückliche gesetzliche Anordnung in der Regel Straflosigkeit annehmen werde. Dieser Ansicht folgt auch das Lernprogramm. Der Versuch des untauglichen Subjekts ist in der Regel straflos. Frau Lotte Reinermann, die im Verteidigungsministerium auf der Hardthöhe allabendlich das Dienstzimmer des Hauptabteilungsleiters, Min.-Direktor Dr. X, putzt, glaubt als „Raumpflegerin" Beamtin (= „Amtsträger") zu sein. Es wird bekannt, daß sie dem Geheimagenten „G" den Inhalt des Papierkorbes gegen Entgelt überlassen hat. Kann sie wegen Versuchs der Bestechlichkeit (§ 23 (1) i.V.m. § 332 (1)) verurteilt werden? (3) J a / Nein Begründung:
Im übrigen stellt sich das Problem des untauglichen Versuchs — auch im Falle der Untauglichkeit des Subjekts — nur dann, wenn der Versuch des betreffenden Delikts überhaupt strafbar ist. Blättern Sie zurück auf S. 382 und lesen Sie Fall 1! Käme eine Bestrafung Auböcks wegen versuchten „Beischlafs zwischen Verwandten" daher überhaupt in Betracht? (4) J a / Nein Begründung:
LE 24
Untauglicher Versuch
385
(1) nicht schwächer (2) tauglichen (3) Nein! Es handelt sich um den Versuch eines untauglichen Subjekts. Dieser ist straflos (o.a.). (4) Nein! Bei § 173 (1) handelt es sich um ein Vergehen (§ 12 (2)), bei dem der Versuch nicht ausdrücklich für strafbar erklärt worden ist (§ 23 (1)). Schon deshalb kann Auböck nicht wegen Versuchs bestraft werden (und außerdem deshalb, weil es sich um den Versuch eines untauglichen Subjekts handelt).
Lesen Sie nunmehr § 23 (3)! Diese Vorschrift bedeutet eine Durchbrechung des § 23 (2). Sie sieht für zwei Fälle des untauglichen Versuches günstigere Rechtsfolgen vor. (1) Für welche beiden Fälle?
Die Besserstellung des untauglichen Versuchs in den Fällen des § 23 (3) gegenüber der all(2) gemeinen Regel des § 23 (2) besteht darin, daß das Gericht entweder von Strafe oder die Strafe n s E m kann. Diese Vergünstigung gilt aber nur für einen solchen Täter, der aus grobem Unverstand (3) verkannt hat, daß sein Versuch ü n zur Vollendung der Tat führen konnte. In dem „überhaupt n i c h t " steckt die Steigerungsform des untauglichen Versuchs, der sog. absolut untaugliche Versuch. Das Gesetz nötigt damit zur Abgrenzung des absolut untauglichen Versuchs vom sonstigen untauglichen Versuch. Dagegen kommt es auf die Abgrenzung des untauglichen Versuchs vom tauglichen Ver(4) such nicht an, weil (bitte ergänzen!)
(5) Welcher Fall des untauglichen Versuchs ist in § 23 (3) nicht ausdrücklich genannt?
Aus dem Schweigen des Gesetzes könnte man theoretisch entgegengesetzte Schlüsse ziehen. Einmal: Die Besserstellung des § 23 (3) soll für den Fall des untauglichen Subjekts nicht gelten. Zum anderen: Sie reicht für den Fall des untauglichen Subjekts nicht aus. (6) Welche Deutung entspricht den Gesetzesmaterialien? Der Grund für die über § 23 (3) hinausreichende Privilegierung des untauglichen Subjekts besteht darin, daß sich Sonderdelikte von vornherein nur an besonders Verpflichtete richten und von anderen Personen daher gar nicht begangen, d.h. auch nicht versucht werden können. Demnach ist davon auszugehen, daß der sog. Versuch des untauglichen Subjekts in der (7) Regel gemäß § 23 (1) und (2) strafbar / auch ohne ausdrückliche gesetzliche Vorschrift straflos ist.
386
Untauglicher Versuch (1) (2) (4) (5) (7)
LE 24
Für die Fälle der Untauglichkeit des Objekts und des Mittels (o.a.) absehen; nach seinem Ermessen mildern (3) überhaupt nicht die Rechtsfolgen (Versuchsstrafe gemäß § 23 (2)) in beiden Fällen prinzipiell dieselben sind (o.ä.) Der Fall des untauglichen Subjekts (6) Die zweite auch ohne ausdrückliche gesetzliche Vorschrift straflos ist
Wenden wir uns im folgenden der Sonderregel des § 23 (3) zu. Zunächst zum Versuch, der mit absolut untauglichen Mitteln begangen wird. Für eine Anwendung des § 23 (3) bleibt bei dieser Fallgruppe nur wenig Raum. In den meisten Fällen greift ein Täter, der es ernst meint, ohnehin zu einem mehr oder weniger gefährlichen Mittel — Pistole, Beil, Knüppel, Strick, Gift, Gas etc., so daß von (1)
einer absoluten
des
gar keine
Rede sein kann. Bedient sich der Täter aber einmal eines absolut untauglichen Mittels so treten die in § 23 (3) genannten Rechtsfolgen nur unter der dort genannten zusätzlichen Voraussetzung (2)
ein, daß (bitte ergänzen!)
A will B umbringen, Variante 1: A schießt (3)
der in einer Entfernung auf ihn mit einem
von 1200 m über ein freies
Gewehr,
das nur 1000 m weit
Feld
geht.
trägt.
Es handelt sich um einen tauglichen / absolut untauglichen Versuch, weil (bitte ergänzen!)
Beruht A's Annahme der Tatvollendung auf grobem Unverstand? (4) J a / Nein
Begründung:
Variante 2: Würden Sie diesen Fall anders beurteilen, wenn sich A bei derselben nung eines indianischen Blasrohres und eines Pfeiles bedient hätte? (5) J a / Nein
Entfer-
Begründung:
(6) In der Variante .... wird das Gericht A wegen des Tötungsversuchs an B gemäß § 2 3 (2) bestrafen. (7)
In der Variante ... kann / muß das Gericht zugunsten des Täters von der Sonderregelung des § 23 (3) Gebrauch machen.
LE 2 4
Untauglicher Versuch
387
(1) Untauglichkeit des Mittels (2) der Täter die Tauglichkeit des Mittels aus grobem Unverstand angenommen hatte (o.a.) (3) absolut untauglichen Versuch; der Einsatz dieses Mittels bei dieser Entfernung überhaupt nicht zur Vollendung der Tat führen kann (o.a.) (4) Nein! Dazu war der Schuß zu gefährlich (o.a.). (5) Ja! Kein vernünftiger Mensch würde bei diesem erst recht absolut untauglichen Mittel eine Gefährdung des B annehmen (o.ä.). (6) 1 (7) 2; kann Nun zum Versuch an einem absolut untauglichen Objekt. Eine A n w e n d u n g des § 23 (3) k o m m t auch bei dieser Fallgruppe nur selten in Betracht. Betrachten wir in diesem Zusammenhang Fall 3 (Versuch der Vergewaltigung eines Transvestiten) näher. Blättern Sie bitte auf S. 383 zurück und lesen Sie diesen Fall noch einmal! (1) Es handelt sich u m einen Fall der Untauglichkeit des Objekts / der absoluten Untauglichkeit des Objekts, weil (bitte ergänzen!)
(2)
Die Rechtsfolgen des § 23 (3) treten daher ohne weiteres / jedoch n u r u n t e r einer zusätzlichen Voraussetzung ein.
(3)
Unter welcher zusätzlichen Voraussetzung?
Ist sie erfüllt? (4) J a / Nein Begründung:
(5)
Folglich k o m m t in diesem Fall ein Absehen von oder eine gemäß § 23 (3) in Betracht / nicht in Betracht.
-
Marokkanische Gastarbeiter legen ihrem angeheiterten Landsmann Gamal el Hassan (H) eine aufgeblasene weibliche Gummipuppe ins Bett. H läßt sich täuschen und versucht mit Gewalt, sich die spröde „Dame"gefügig zu machen. Es liegt der Versuch einer Vergewaltigung (§ 23 (1) i.V.m. § 177 (1)) vor; u n d zwar han(6) delt es sich u m einen Fall der absoluten Untauglichkeit des Kann das Gericht gemäß § 23 (3) von einer Bestrafung des H absehen? (7) J a / Nein Begründung:
388
Untauglicher Versuch
LE 2 4
(1) der absoluten Untauglichkeit des Objekts; man nur einer Frau beischlafen kann (o.a.) (2) jedoch nur unter einer zusätzlichen Voraussetzung ein (3) Der Täter muß die absolute Untauglichkeit des Objekts aus grobem Unverstand verkannt haben (o.a.). (4) Nein! Die Verwechslung eines Transvestiten mit einer Frau kann auch jedem anderen passieren (o.ä.) (5) Strafe; Strafmilderung; nicht in Betracht (6) Objekts (7) Ja! Wer eine Gummipuppe nicht von einem lebenden Menschen unterscheiden kann, läßt groben Unverstand erkennen (o.ä.).
Richten Sie Ihre A u f m e r k s a m k e i t n u n m e h r auf ein praktisch bedeutsames Sonderproblem: K a n n m a n von einem untauglichen Versuch strafbefreiend zurücktreten?
(1)
Diese Frage stellt sich nur im Falle der Untauglichkeit des Objekts u n d des Mittels, nicht aber im Falle der Untauglichkeit des Subjekts. Warum nicht?
Der untaugliche Versuch kann wie jeder andere Versuch b e e n d e t oder unbeendet sein. Beispiel 1: Der Barmixer Johnny (J) mixt dem Zuhälter Z eine „Bloody Mary "mit einem giftigen Pflanzenschutzmittel. J weiß allerdings nicht, daß die Dosis nicht ausreicht, um Z zu töten. Beispiel 2: Kurz darauf schüttet J den Inhalt des Shakers in ein Glas und reicht es dem nichtsahnenden Z über die Theke. (2)
Im Augenblick des Mixens (Beispiel 1) ist der Tötungsversuch an Z bereits b e e n d e t / noch nicht b e e n d e t , weil (bitte ergänzen!)
(3)
Dieser Tötungsversuch ist untauglich, weil (bitte ergänzen!)
(4)
Im Beispiel 2 ist der untaugliche Tötungsversuch an Z b e e n d e t / u n b e e n d e t . Nehmen Sie n u n m e h r eine Rücktrittssituation an: Im Beispiel 1 schüttet
J den vergifteten
Cocktail aus freien Stücken
weg.
(5) Damit ist J vom u n b e e n d e t e n untauglichen Versuch strafbefreiend zurückgetreten / nicht strafbefreiend zurückgetreten.
(6)
Das ist unproblematisch u n d ergibt sich bereits aus § 24 (1) Satz 1 l . A l t ; denn (bitte ergänzen!)
Problematisch ist allein ein Rücktritt im Beispiel 2: J holt aus freien Stücken einen Arzt, der dem Z den Magen
(7)
auspumpt.
Lesen Sie § 2 4 (1) Satz 1 2.Alt! Danach kann J von seinem beendeten untauglichen Versuch nicht strafbefreiend zurücktreten / strafbefreiend zurücktreten, weil eine Tatvollendung, die gar nicht eintreten kann, schon aus rein logischen Gründen verhindert werden kann.
LE 2 4
Untauglicher Versuch
389
(1) Weil der Versuch des untauglichen Subjekts ohnehin straflos ist (o.a.). (2) J noch nicht alles getan hatte, was nach seiner Vorstellung zur Vollendung der Tat erforderlich war (o.a.) (3) die Vollendung der Tat aus tatsächlichen Gründen nicht eintreten kann (o.a.) (4) beendet (5) strafbefreiend zurückgetreten (6) J hat die Tatausführung endgültig und freiwillig aufgegeben (7) nicht strafbefreiend zurücktreten; nicht
Halten wir fest! (1)
Der Wortlaut des § 2 4 (1) Satz 1 2. Alt schließt die Möglichkeit des strafbefreienden Rücktritts vom unbeendeten / beendeten untauglichen Versuch aus.
(2) Dieses Ergebnis erscheint sicher auch Ihnen unbillig! Warum?
§ 24 (1) Satz 2 vermeidet dieses unbillige Ergebnis. Bitte lesen!
(3)
Das StGB ordnet ausdrücklich an, daß es in solchen (und ähnlichen) Fällen für den Eintritt der Straflosigkeit genügt, wenn sich der Täter f und e bemüht, den Erfolg abzuwenden.
Ist J dadurch, daß er den Arzt geholt hat, gemäß § 24 (1) Satz 2 strafbefreiend zurückgetreten? (4) J a / Nein Begründung:
Dem Rücktritt vom untauglichen Versuch sind jedoch Grenzen gesetzt. Dabei ist es gleichgültig, ob der Versuch beendet oder unbeendet ist. Strafbefreiender Rücktritt kommt in beiden Fällen nur in Betracht, solange der Täter die Vollendung der Tat noch für möglich hält. Denn wer die Untauglichkeit seines Versuchs (5)
hat, tritt nicht mehr freiwillig zurück. Als J merkt, daß das Gift, welches Z mit der „Bloody Mary" zu sich genommen hat, nicht wirkt, glaubt er „besonders schlau" zu handeln, indem er jetzt den reuigen Sünder markiert und den Krankenwagen alarmiert.
(6) Wir untersuchen strafbefreienden Rücktritt vom beendeten / unbeendeten untauglichen Versuch gemäß § 24 (1) Satz 1 l.Alt / gemäß § 24 (1) Satz 2. Sind die Rücktrittsvoraussetzungen erfüllt? (7) J a / Nein Begründung:
390
Untauglicher Versuch
LE 24
(1) beendeten untauglichen Versuch (2) Weil derjenige, der den gefährlicheren (nämlich einen tauglichen) Versuch begangen hat, besser gestellt wäre als der, der einen ungefährlichen (nämlich untauglichen) Versuch unternommen hat (o.ä.). (3) freiwillig und ernsthaft (4) Ja! Er hat sich freiwillig und ernsthaft bemüht, die Vollendung der Tat zu verhindern (o.a.). (5) erkannt (o.ä.) (6) vom beendeten untauglichen Versuch gemäß § 24 (1) Sätz 2 (7) Nein! A hat die Untauglichkeit seines Versuchs erkannt und sagt sich: ich will, aber ich kann nicht. Er handelt deshalb unfreiwillig (o.ä.).
Abschließend einige Hinweise zum Fallaufbau! (1) Der untaugliche Versuch ist mit Ausnahme des Versuchs des untauglichen und der beiden in § geregelten Sonderfälle des absolut untauglichen Versuchs prinzipiell strafbar gemäß § 23 (1) u n d (2). Damit ist aber noch nicht die Frage beantwortet, wo die Probleme der Untauglichkeit des Versuchs im Fallprüfungsschema des versuchten Delikts zu erörtern sind. Bei der Prüfung der Tauglichkeit bzw. der Untauglichkeit eines Versuchs geht es stets darum, ob eine strafrechtlich relevante Gefahr für das Tatobjekt oder das dahinterstehende Rechtsgut besteht. Die Frage der Untauglichkeit eines Versuchs betrifft somit das Unrecht der Handlung. (2) Daher ist die Frage der Untauglichkeit eines Versuches bereits auf der Stufe der zu prüfen.
-
Im Falle der Untauglichkeit des Subjekts ist die Versuchsprüfung auf der Stufe der Tatbestandsmäßigkeit auch bereits beendet, nicht aber in den beiden Fällen des absolut untauglichen Versuchs i.S.d. § 23 (3). Denn das Absehen von Strafe bzw. die Strafmilderung (3) gemäß § 23 (3) setzen logischerweise voraus, daß zuvor Rechtswidrigkeit u n d des versuchten Delikts verneint / bejaht worden sind. Die Sonderregelung des § 23 (3) für den absolut untauglichen Versuch enthält einen (4) persönlichen Strafaufhebungsgrund / persönlichen Strafausschließungsgrund bzw. Strafmilderungsgrund. (5) Warum handelt es sich bei § 23 (3) um keinen persönlichen grund?
-
LE 24
Untauglicher Versuch
391
(1) Subjekts; § 23 (3) (2) Tatbestandsmäßigkeit (3) Schuld; bejaht (4) persönlichen Strafausschließungsgrund bzw. Strafmilderungsgrund (5) Strafaufhebungsgrund. Weil bei einem Strafaufhebungsgrund die beräcksichtigenswerten Umstände nach Begehung der Straftat entstanden sind (z.B. Rücktritt; tätige Reue) o.ä. (6) von o. nach u.: objektiven Tatbestandsmerkmale; Voller Tatentschluß; Ausführung ( § 2 2 )
ZUSAMMENFASSUNG A Der untaugliche Versuch Mit dem Begriff untauglicher Versuch verbindet sich ein praktisch sehr bedeutsamer Problembereich der Versuchslehre. Als untauglich bezeichnet man einen Versuch, der aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen nicht zur Vollendung der Tat führen kann. B Die Ursachen für die Untauglichkeit des Versuchs Man unterscheidet drei Ursachen für die Untauglichkeit eines Versuchs: Untauglichkeit des Subjekts, Untauglichkeit des Objekts, Untauglichkeit des Mittels. Als Untauglichkeit des Subjekts bezeichnet man den Fall, in dem die Vollendung der Tat mangels bestimmter Eigenschaften oder Verhältnisse, die das Gesetz beim Handelnden voraussetzt, ausgeschlossen ist. Dieser Fall des untauglichen Versuchs tritt nur bei den Sonderdelikten auf. Er ist im StGB nicht ausdrücklich geregelt. Beispiel: Ein Nichtbeamter hält sich für einen Beamten und nimmt eine Handlung vor, die bei einem Beamten unter § 332 (1) fallen würde. Man spricht von der Untauglichkeit des Objekts, wenn die Vollendung der Tat „nach der Art des Gegenstandes" ausgeschlossen ist (§ 23 (3) l.Alt). Beispiele: Der Taschendieb greift in die leere Jackentasche; Versuch der Vergewaltigung eines Transvestiten. Im Falle der Untauglichkeit des Mittels ist die Vollendung der Tat „nach der Art des Mittels" ausgeschlossen (§ 23 (3) 2.Alt). Beispiele: Die Mordwaffe trägt nicht weit genug; oder sie ist gar nicht geladen. Die gewählte Giftdosis ist zu gering. Abtreibungsversuch mit Seifenwasserspülungen. C Der Strafgrund des untauglichen Versuchs Zwar ist der untaugliche Versuch weniger gefährlich als der taugliche. Aber dieser Unterschied ist nur ein gradueller. Außerdem erscheint der Auflehnungswille des Täters gegen die Rechtsordnung beim untauglichen Versuch nicht schwächer als beim tauglichen. Vor allem aber ist der schlechte und verderbliche Eindruck, den die Tat bei anderen hervorrufen kann, nicht nur mit dem tauglichen, sondern auch mit einem untauglichen Versuch verbunden.
392
Untauglicher Versuch
LE 24
Der untaugliche Versuch ist daher prinzipiell ebenso strafwürdig wie der taugliche. Das gilt selbst für einen absolut untauglichen Versuch. D Die Bestrafung des untauglichen Versuchs 1 Der Grundsatz des § 23 (1) und (2) Mit Rücksicht auf die gleiche Strafwürdigkeit sind die Rechtsfolgen des untauglichen Versuchs prinzipiell dieselben wie beim tauglichen. Mithin ist der untaugliche Versuch ebenfalls nach Maßgabe des § 23 (1) und (2) strafbar. Die Strafe kann gemildert werden, aber nur in den engen Grenzen des § 23 (2) i.V.m. §49(1). Wegen der Identität der Rechtsfolgen kommt es auf die Abgrenzung des tauglichen vom untauglichen Versuch nicht an. 2 Besonderheiten beim absolut untauglichen Versuch (§ 23 (3)) Dagegen kommt es auf die Abgrenzung des absolut untauglichen Versuchs vom tauglichen Versuch an. Denn § 23 (3) enthält eine über die begrenzte Strafmilderungsmöglichkeit des § 23 (2) hinausgehende Sonderregelung, wenn der Täter die absolute Untauglichkeit seines Versuchs aus grobem Unverstand verkannt hat. In diesem Fall kann das Gericht von Strafe absehen oder die Strafe nach seinem Ermessen (§ 49 (2)) mildern. Ein Versuch ist absolut untauglich, wenn er „überhaupt nicht" zur Vollendung führen kann. Beispiele für einen Versuch mit einem absolut untauglichen Mittel: Der Täter will aus 1200 m Entfernung einen Menschen mit einem Gewehr erschießen, das nur 1000 m weit trägt; Tötungsversuch mit einer Gaspistole; Versuch, einen stählernen Tresor mit einer Nagelfeile oder bloßen Händen zu „erbrechen"; „Totbeten"; Versuch eines Angeheiterten, eine Gummipuppe zu „vergewaltigen". Beispiele für einen Versuch an einem absolut untauglichen Objekt: Versuch der Vergewaltigung eines Transvestiten, den der Täter für eine Frau hält; Tötungsversuch an einer Leiche; Griff des Taschendiebes in die leere Jackentasche. Das Privileg des § 23 (3) gilt aber nur für den Täter, der die absolute Untauglichkeit seines Versuchs aus grobem Unverstand verkannt hat. Grober Unverstand liegt vor, wenn der Täter ein Mittel oder ein Objekt für tauglich hält, dessen absolute Untauglichkeit für jedermann offensichtlich ist. Von den obengenannten Fällen kommen als Beispiele für groben Unverstand das „Totbeten", der Versuch der „Vergewaltigung" einer Gummipuppe, der Tötungsversuch mit einer Gaspistole und der Versuch, einen stählernen Tresor mittels einer Nagelfeile oder gar mittels bloßer Hand zu „erbrechen", in Betracht.
24
Untauglicher Versuch
393
Greift dagegen der Dieb in die leere Jackentasche, schießt der Täter auf einen vermeintlich Schlafenden, ohne zu wissen, daß dieser kurz zuvor verstorben ist, überschätzt der Täter die Reichweite seines Gewehrs, verwechselt der Sittlichkeitsverbrecher einen Transvestiten mit einer Frau, kann von grobem Unverstand keine Rede sein. Ein absolut untauglicher Versuch, den der Täter nur aus grobem Unverstand für tauglich hält, ist ungefährlich. Kein vernünftiger Mensch nimmt ihn ernst. Ein solcher Versuch ruft eher Kopfschütteln über soviel Dummheit als einen verderblichen Eindruck hervor. Gleichwohl kann der Richter den Täter in derartigen Fällen bestrafen. Aber er soll nicht dazu gezwungen sein. Das ist die „ratio" des § 23 (3). 3 Besonderheiten beim Versuch des untauglichen Subjekts Der Fall der Untauglichkeit des Subjekts wird in § 23 nicht ausdrücklich genannt, insbesondere auch nicht in § 23 (3). Er ist vom Gesetzgeber bewußt ausgeklammert worden, um eine über § 23 (3) noch hinausgehende Besserstellung dieser Fälle zu ermöglichen. Das Schweigen des Gesetzes ist daher dahin auszulegen, daß der Versuch des untauglichen Subjekts sowohl in Durchbrechung des § 23 (1) i.V.m. (2) als auch des § 23 (3) in der Regel straflos sein soll. Es kommt also insbesondere nicht darauf an, ob sich der Täter aus grobem Unverstand eine ihm nicht zukommende Subjektqualität beimißt. Beispiel: Ein Nichtbeamter glaubt, durch Annahme eines Geschenkes das Delikt der „Bestechlichkeit" (§ 332 (1)) zu begehen. E Der Rücktritt vom untauglichen Versuch Die Frage des Rücktritts kann sich auch beim untauglichen Versuch stellen. Unproblematisch ist zunächst der Fall der Untauglichkeit des Subjekts. Hier ist ein Rücktritt zwar theoretisch denkbar, aber zur Strafbefreiung nicht nötig, weil der Versuch des untauglichen Subjekts ohnehin in der Regel straflos ist. Übrig bleiben demnach allein die beiden anderen Fälle des Rücktritts vom untauglichen Versuch. Hier ist danach zu differenzieren, ob der Versuch beendet ist oder nicht: 1. Für den Rücktritt vom unbeendeten untauglichen Versuch gilt die allgemeine Rücktrittsregel des § 24 (1) Satz 1 l.Alt. Diese Fälle bereiten keine besonderen Schwierigkeiten. 2. Problematisch ist allein der Fall des Rücktritts vom beendeten untauglichen Versuch. Die allgemeine Rücktrittsregel des § 24 (1) Satz 1 2.Alt ist auf einen solchen Fall schon aus logischen Gründen nicht anwendbar: Eine Tatvollendung, die gar nicht eintreten kann, kann auch nicht verhindert werden. Dieses Ergebnis wäre aber kriminalpolitisch unbillig; denn dadurch würde der Täter eines untauglichen (und daher weniger gefährlichen) Versuchs schlechter gestellt als der Täter eines tauglichen (und daher gefährlichen) Versuchs. Diese Unbill wird durch § 24 (1) Satz 2 vermieden. § 24 (1) Satz 2 enthält eine Sonderregel für den RUcktritt vom beendeten untauglichen Versuch (und vergleichbare, im Lernprogramm nicht behandelte Fälle).
394
Untauglicher Versuch
LE 24
Gemäß § 24 (1) Satz 2 genügt zur Straflosigkeit das freiwillige und ernsthafte Bemühen des Täters, die Vollendung der Tat zu verhindern. Beachten Sie aber die Grenzen, die sich für den Rücktritt vom untauglichen Versuch (und vergleichbare, im Lernprogramm nicht behandelte Fälle) aus dem Erfordernis der Freiwilligkeit ergeben! Ein strafbefreiender Rücktritt vom untauglichen Vorsuch kommt nur solange in Betracht, als der Täter die Vollendung der Tat noch für möglich hält. Hat er dagegen die Untauglichkeit seines Versuchs erkannt, handelt er nicht mehr freiwillig. In diesem Fall ist strafbefreiender Rücktritt vom untauglichen Versuch ausgeschlossen. Dieser Ausschluß gilt sowohl für den unbeendeten als auch für den beendeten untauglichen Versuch. F Allgemeindelikte und Sonderdelikte Allgemeindelikte sind Delikte, deren Täter jedermann sein kann. Die meisten Delikte des StGB (Diebstahl, Raub, Mord, Betrug, Körperverletzung, Brandstiftung etc.) sind Allgemeindelikte. Sonderdelikte sind Delikte, die beim Handelnden bestimmte Eigenschaften oder Verhältnisse voraussetzen. Täter eines Sonderdelikts kann nur sein, wer Träger der im Gesetz vorausgesetzten Eigenschaften oder Verhältnisse ist. Wer irrtümlich meint, er sei Träger der im Gesetz vorausgesetzten Eigenschaften oder Verhältnisse, ist untaugliches Subjekt (Synonym: untauglicher Täter). Im Bereich des Versuchs spricht man in diesen Fällen vom Versuch des untauglichen Subjekts. Die Rechtsfigur des Versuchs des untauglichen Subjekts gibt es nur bei den Sonderdelikten. Solche Fälle führen in der Regel zur Straflosigkeit des „Täters". Vgl. bereits oben D 3. Beispiele: Täter einer „Kindestötung" (§ 217 (1)) kann nur eine „nichteheliche Mutter" sein; Täter der „Vorteilsannahme" können nur „Amtsträger" oder „für den öffentlichen Verkehr besonders Verpflichtete" (§ 331 (1)) und „ R i c h t e r " oder „Schiedsrichter" (§ 331 (2)) sein. Dasselbe gilt für das Delikt der Bestechlichkeit (§ 332 (1) und (2)). Nicht immer sind die Sonderdelikte des StGB als solche ohne weiteres erkennbar. Dies ergibt sich vielfach erst bei der näheren Auslegung des Delikts. Beispiele: Täter des § 173 (1) kann nur sein, wer mit dem Opfer „in absteigender Linie verwandt" ist (etwa der Vater im Verhältnis zur Tochter); tauglicher Täter des § 171 1.Alt ist nur, wer selbst „verheiratet" ist. Sonderdelikte sind weiterhin Verkehrsunfallflucht (§ 142 (1)), Veruntreuung (§ 246 (1) 2.Alt: „anvertraut") und Untreue (§ 266 (1)).
Untauglicher Versuch Fallprüfungsschema Das versuchte Delikt dargestellt a m Beispiel des v e r s u c h t e n Begehungsdelikts ( F e i n s t r u k t u r ) l )
Unter IV sind außerdem die beiden Fälle des groben Unverstands gemäß § 23 (3) zu prüfen.
396
TE 24
Testfragen zur LE 24
1.1
„Sonderdelikte" sind Delikte, die (bitte ergänzen!)
2.1
Lesen Sie die nachfolgenden Delikte und kreuzen Sie das Zutreffende an!
§§
Sonderdelikt
Allgemeindelikt
§ 182 (1) § 185 § 246 (1) 2 .Alt § 278 § 330 a (1)
1.2
Als untauglich bezeichnet man einen Versuch, der (bitte ergänzen!)
2.2
Kommt es auf die Abgrenzung von tauglichem und untauglichem Versuch an? J a / Nein Begründung:
1.3
Nennen Sie die drei Ursachen für die Untauglichkeit eines Versuches!
1.4
1. § 23 (3) enthält eine Sonderregelung für jene Fälle des untauglichen Versuchs / des absolut untauglichen Versuchs, in denen der Täter (bitte ergänzen!)
2. Ein Versuch ist absolut untauglich, wenn (bitte ergänzen!)
3. Grober Unverstand i.S.d. § 23 (3) liegt vor, wenn der Täter ein Mittel oder ein Objekt für hält, (bitte ergänzen!)
1.5
Welche Rechtsfolgen sieht § 23 (3) vor?
TE 24 2.3
Testfragen
397
Es gibt Fälle des untauglichen Versuchs, bei denen mehrere Untauglichkeitsgründe zusammentreffen. Der bekannteste: Als vier Monate nach ihrem ersten Geschlechtsverkehr Regelstörungen einsetzen, wähnt sich die 15jährige Regina aus Bangeltingen schwanger, ohne es zu sein. In ihrer Not trinkt sie Pfefferminztee (!), um ihre „Schwangerschaft"zu beseitigen. 1. Welche Untauglichkeitsgründe liegen vor?
2. Früher war es sehr streitig, ob ein solcher untauglicher Versuch strafbar war. Nunmehr bestimmt § 218 (4) Satz 2 ausdrücklich, daß die Frau strafbar / nicht strafbar ist. Dies gilt nicht nur für den untauglichen, sondern auch für jeden tauglichen Versuch der Schwangeren. Bei § 218 (4) Satz 2 handelt es sich um einen persönlichen Strafausschließungsgrund / persönlichen Strafaufhebungsgrund. 2.4
1. Vom unbeendeten untauglichen Versuch ist strafbefreiender Rücktritt nach der allgemeinen Rücktrittsvorschrift des § möglich. 2. Für den Rücktritt vom beendeten untauglichen Versuch gilt die Sondervorschrift des § Danach genügt zur Straffreiheit (bitte ergänzen!)
2.5
Ein strafbefreiender Rücktritt sowohl vom beendeten als auch vom unbeendeten untauglichen Versuch ist jedoch von dem Moment an ausgeschlossen, in dem der Täter (bitte ergänzen und begründen!)
2.6
A hat von dem bevorstehenden Mordanschlag des B auf den C erfahren. Heimlich tauscht er die scharfen Patronen im Trommelrevolver des B gegen Platzpatronen aus. Infolgedessen übersteht C den auf ihn abgefeuerten „Schuß" des B bei bester Gesundheit. 1. Bei dem Schuß des B auf C handelt es sich um einen untauglichen / absolut untauglichen Tötungsversuch, weil (bitte ergänzen!)
2. Absehen von Strafe bzw. Strafmilderung gemäß § 23 (3) kommt in Betracht / nicht in Betracht. Begründung:
398
Testfragen
TE 24
1.6
Die Untauglichkeit des Subjekts spielt nur bei den delikten eine Rolle. Sie führt in der Regel zur Straflosigkeit des Täters / zur Strafbarkeit des Täters.
2.7
In einer norddeutschen Kleinstadt verliebte sich E.B., die Frau des angesehenen Apothekers, in ihren 10 Jahre jüngeren Tennispartner. Da sich der Apotheker dieser Verbindung energisch widersetzte, beschloß E.B., ihn mittels Gift aus dem. Wege zu räumen. In ihrer Aufregung verwechselte sie aber die Gläser und reichte ihrem Mann statt des präparierten Weinglases ein unpräpariertes. 1. Es liegt ein untauglicher Tötungsversuch vor. Da sich in dem kredenzten Weinglas kein Gift befand, handelt es sich um einen Fall der Untauglichkeit des Subjekts / des Objekts / des Mittels. Dieser Versuch ist absolut untauglich i.S.d. § 23 (3), weil (bitte ergänzen!)
2. Liegt grober Unverstand i.S.d. § 23 (3) vor? J a / Nein Begründung:
3. Mithin kommt Absehen von Strafe oder Strafmilderung gemäß § 23 (3) in Betracht / nicht in Betracht. 2.8
Ergänzung: Bei dem Gedanken, daß ihr Mann nun bald unter Qualen sterben werde, empfand E.B. Reue und Mitleid. Sie stürzte in die Diele zum Telephon und wählte Hamburg 6385345, um sich bei der Entgiftungszentrale im Krankenhaus Barmbeck nach einem Gegenmittel zu erkundigen. 1. Es handelt sich um einen unbeendeten / beendeten Versuch, weil (bitte ergänzen!)
2. Ist E.B. von ihrem unbeendeten / beendeten untauglichen Versuch strafbefreiend zurückgetreten? J a / Nein Begründung (unter Anführung der maßgeblichen Gesetzesstelle):
Literatur: Zum untauglichen Versuch vgl. Baumann aaO. § 33 IV 3; Bockelmann Maurach aaO. § 41 III A'u. B; Mezger-Blei aaO. § 76; Wessels aaO. § 14 III 1.
aaO. § 27 III 3;
TE 24
Antworten
399
1.1
beim Handelnden bestimmte Eigenschaften oder Verhältnisse voraussetzen (o.a.)
2.1
§ 182 (1) = Sonderdelikt (Täter kann nur eine männliche Person sein.) § 185 = Allgemeindelikt § 246 (1) 2.Alt = Sonderdelikt (nur wem die Sache „anvertraut" ist) § 278 = Sonderdelikt (nur „Ärzte" und „andere approbierte Medizinalpersonen") § 330a (1) = Sonderdelikt (nur wer sich in einen den Anforderungen des § 330 a (1) genügenden Rausch versetzt hat)
1.2
aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen nicht zur Vollendung der Tat führen kann (o.ä.)
2.2
Nein (außer beim untauglichen SubjektJ! dieselben (o.a.).
1.3
Untauglichkeit des Subjekts; Untauglichkeit des Objekts; Untauglichkeit des Mittels
1.4
1. des absolut untauglichen Versuchs; die absolute Untauglichkeit seiner Tat aus grobem verkannt hat (o.ä.) 2. er überhaupt nicht zur Vollendung der Tat führen konnte (§ 23 (3)) 3. tauglich; dessen absolute Untauglichkeit für jedermann offensichtlich ist (o.ä.)
1.5
Das Gericht kann von Strafe absehen oder die Strafe nach seinem Ermessen
2.3
1. Untauglichkeit des Subjekts (denn Regina ist nicht schwanger) Untauglichkeit des Objekts (infolgedessen kann sie bei sich keine Schwangerschaft abbrechen) Untauglichkeit des Mittels („Pfefferminztee!") 2. nicht strafbar; persönlichen Strafausschließungsgrund
2.4
1. § 2 4 ( 1 ) Satz 1 l.Alt 2. § 24 (1) Satz 2; daß sich der Täter freiwillig und ernsthaft bemüht, die Vollendung der Tat zu verhindern (o.ä.)
2.5
Kenntnis von der Untauglichkeit seines Versuches erhalten hat, weil er dann nicht mehr freiwillig handelt (o.ä.)
2.6
1. absolut untauglichen Tötungsversuch; man mit Platzpatronen niemand erschießen kann, d.h. dieser Anschlag überhaupt nicht zur Vollendung der Tat führen kann (o.ä.) 2. kommt nicht in Betracht. Der Täter hat die absolute Untauglichkeit des Mittels nicht aus grobem Unverstand verkannt; denn er glaubte, daß der Trommelrevolver „scharf" geladen war (o.ä.). Der Fall wäre anders zu entscheiden, wenn er geglaubt hätte, man könnte jemand auch durch Abfeuern von Platzpatronen töten (= grober Unverstand).
1.6
Sonderdelikten; zur Straflosigkeit des Täters
2.7
1. Untauglichkeit des Mittels; mit einem nicht vergifteten Wein niemand getötet werden kann (= „überhaupt nicht" i.S.d. § 23 (3)) 2. Nein! Denn E.B. war davon ausgegangen, daß sie ihrem Manne den vergifteten Wein gereicht hätte (o.ä.). 3. nicht in Betracht
2.8
1. beendeten Versuch; sie mit dem Reichen des (ihrer Meinung nach vergifteten) Weines alles zur Vollendung der Tat Erforderliche getan zu haben glaubte (o.ä.) 2. beendeten untauglichen Versuch. J a ! Zwar ist ein Rücktritt vom beendeten untauglichen Versuch nicht gemäß § 24 (1) Satz 1 2.Alt, wohl aber gemäß § 24 (1) Satz 2 möglich. Die Voraussetzungen des § 24 (1) Satz 2 sind erfüllt,weil E.B. sich freiwillig und ernsthaft bemüht hat, die Vollendung der Tat zu verhindern. Zum Zeitpunkt des Anrufes bei der Entgiftungszentrale hatte sie keine Kenntnis von der Untauglichkeit ihres Versuchs (o.ä.).
Die Rechtsfolgen (§ 23 (1) und (2)) sind in beiden Fällen
Unverstand
mildern.
400
FALLBEARBEITUNG 3 L e r n z i e 1 : Sie sollen zwei weitere Fälle selbständig bearbeiten. Beide Fälle enthalten eine Reihe von Problemen, die Sie in diesem Lernprogramm bereits selbst gelöst haben.
4. Fall Auf den Hund gekommen Sachverhalt: Gegen 5 Uhr in der Frühe hat sich Lutz (L) an den Bauernhof des Bühler (B) im Glottertal herangepirscht, um diesem eine fette Weihnachtsgans zu „entführen". Da L weiß, daß vor dem Gänsestall der scharfe H o f h u n d Caesar liegt, wirft er diesem einen mitgebrachten Knochen hin, um ihn abzulenken. Wider Erwarten achtet aber Caesar des Knochens nicht, sondern geht dem L sofort an die Kehle. In äußerster Not ersticht L den Hund. Froh darüber, diesen Angriff lebend überstanden zu haben, läßt L Gänse Gänse sein und sagt sich: „Dann stehle ich meine Weihnachtsgans eben auf dem Freiburger Wochenmarkt". Aufgabe: Untersuchen Sie die Strafbarkeit des L! Hinweis: Um sämtliche Probleme dieses Falles zu erkennen, zu lösen und zu Papier zu bringen, brauchen Sie mindestens 20 Minuten. (1) Welche Delikte kommen in Betracht?
Es ist zweckmäßig, sich vor der Lösung dieses Falles das Fallprüfungsschema des versuchten Delikts anzusehen (oben S. 395). Richten Sie Ihr Augenmerk vor allem auf den „Anfang der Ausführung" (§ 22) und die Frage des beendeten bzw. unbeendeten Versuchs. Es kommt auch darauf an, daß Sie diese Fragen an der richtigen „Stelle" und in der richtigen Reihenfolge untersuchen!
F 3
Fallbearbeitung 3
401
(1) Versuchter Diebstahl (§ 23 (1) i.V.m. § 242 (1) und (2)) und Sachbeschädigung (§ 303 (1))
MUSTERLÖSUNG 1. Teil: Die „Entführung" der Gans In Betracht kommt versuchter Diebstahl (§ 23 (1) i.V.m. § 242 (1) und (2)). I Tatbestandsmäßigkeit L hat keine fremde Gans mitgenommen. Der gesetzliche Tatbestand des vollendeten Diebstahls (§ 242 (1)) ist daher nicht erfüllt. L hat eine fremde Gans jedoch wegnehmen wollen und dabei mit Zueignungsabsicht gehandelt. Damit ist der für den Versuch erforderliche „volle Tatentschluß" des Diebstahls gegeben. Das Problem besteht darin, ob sich die Tat des L zum Zeitpunkt des Vorwerfens des Knochens noch im Stadium der tatbestands- und daher straflosen Vorbereitung befindet oder aber bereits einen strafbaren Versuch darstellt 1). Gemäß § 22 beginnt der Versuch eines Diebstahls bereits eine gewisse Zeitspanne vor der eigentlichen Wegnahmehandlung. Es kommt darauf an, ob der Täter nach seiner Vorstellung von der Tat zur Verwirklichung des Tatbestandes unmittelbar angesetzt hat. Diese Frage ist zu bejahen. Das Vorwerfen des Knochens ist eine solche „ausführungsnahe" Handlung. Denn es dient der Ausschaltung der letzten vor der eigentlichen Wegnahme der Gans liegenden Barriere und stellt sich auch nach der Vorstellung des L als Anfang der Ausführung i.S.d. § 22 dar 2). Folglich ist der Tatbestand des versuchten Diebstahls gemäß § 23 (1) i.V.m. § 242 (1) und (2) erfüllt. II Rechtswidrigkeit Rechtfertigungsgründe für die Tat des L kommen nicht in Betracht. III Schuld An der Schuldfähigkeit des L bestehen keine Zweifel. Ebensowenig an seinem Unrechtsbewußtsein. Entschuldigungsgründe liegen nicht vor. IV Rücktritt Es liegt ein unbeendeter Versuch des Diebstahls vor 3 ) . Denn L hatte mit dem Locken bzw. dem Erstechen des Hundes längst noch nicht alles getan, was seiner Meinung nach erforderlich war, um den Diebstahl zu vollenden. Noch fehlte die „ E n t f ü h r u n g " der Gans, d.h. ihre Wegnahme. 1) Dem Gewicht dieser Frage für die Entscheidung dieses Falles entspricht die Gewichtung der Darstellung. Ungeschickt ist es, allein auf das Mitbringen des Knochens abzustellen, da es sich insoweit noch um eine straflose Vorbereitungshandlung handelt. 2) Die Annahme einer noch straflosen Vorbereitungshandlung erscheint nach dem Sachverhalt nicht vertretbar. 3) Diese Vorfrage darf bei der Prüfung eines Rücktritts vom Versuch nie übersehen werden. Wegen der unterschiedlichen Rücktrittsvoraussetzungen beim unbeendeten und beendeten Versuch hängt sonst das ganze Rücktrittsproblem in der Luft. Vgl. Kienapfel aaO. § 8 C IV 1.
402
Fallbearbeitung 3 Es ist zu untersuchen, ob die Voraussetzungen des Rücktritts vom unbeendeten Versuch (§ 24 (1) Satz 1 1. Alt) erfüllt sind: Bezüglich der Gans des B hat L es sich anders überlegt und die Tatausführung aufgegeben. Problematisch erscheint, ob das Erfordernis der endgültigen Aufgabe der Tatausführung erfüllt ist. Daß L demnächst als Ersatz auf dem Freiburger Wochenmarkt eine Gans stehlen will, ist eine andere Frage und betrifft eine ganz andere Tat. Dieser Vorsatz berührt die endgültige Aufgabe der Tatausführung bezüglich der Gans des B in keiner Weise. Freiwillig handelt, wer sich sagt: „Ich kann, aber ich will nicht mehr". Nachdem L den Hund ausgeschaltet hatte, hätte er die Gans stehlen können. Aber jetzt will er nicht mehr. Die Freiwilligkeit des Rücktritts wird auch nicht dadurch ausgeschlossen, daß L nur deshalb von der Wegnahme abläßt, weil er mit dem Leben davongekommen ist. Welcher Anstoß und welche Motive den Täter zur Aufgabe der Tatausführung bewogen haben, ist für die Frage der Freiwilligkeit des Rücktritts ohne Belang. Ergebnis: Gemäß § 24 (1) Satz 1 1. Alt wird L „wegen Versuchs" des Diebstahls nicht bestraft. Es.stellt sich aber die Frage, ob mit Rücksicht auf die Tötung des Hundes ein sog. qualifizierter Versuch anzunehmen ist. 2. Teil: Tötung des Hundes Bezüglich des Hundes kommt vollendete Sachbeschädigung (§ 303 (1)) in Betracht. I Tatbestandsmäßigkeit Der H o f h u n d des B ist für L eine „ f r e m d e " Sache. Die Tötung des Hundes erfüllt das Merkmal des „Zerstörens". II Rechtswidrigkeit Notwehr ( § 3 2 ) scheidet aus, da eine Notwehrsituation nur durch einen Angriff, d.h. durch ein menschliches Verhalten, begründet wird. Es ist jedoch rechtfertigender Notstand (§ 34) zu untersuchen. Daß dem L der Hund an die Kehle fährt, bedeutet eine gegenwärtige Gefahr für Leib und Leben des L. Diese beiden Rechtsgüter kollidieren mit dem Eigentum (am Hund) in der Weise, daß sie nur durch Opferung des letzteren erhalten werden können. Nach dem Sachverhalt konnte sich L des Hundes nicht anders erwehren als dadurch, daß er ihn erstach. Leib und Leben überwiegen die materiellen Interessen des B wesentlich. Daß L die Notstandssituation durch seinen Diebstahlsversuch selbst verschuldet hat, schließt rechtfertigenden Notstand an sich nicht aus und ist allenfalls im Rahmen der Angemessenheit des Mittels zu berücksichtigen. Die Berücksichtigung des Verschuldensmomentes in diesem Rahmen geht aber wiederum nicht so weit, daß sich ein Dieb von dem Hund des Opfers zerfleischen lassen muß. Somit sind die Voraussetzungen der Notstandshandlung erfüllt. L handelte auch mit Rettungswillen. Damit sind sämtliche Merkmale des § 34 gegeben. Ergebnis: Da L durch rechtfertigenden Notstand (§ 34) gerechtfertigt ist, entfällt auch seine Bestrafung wegen Sachbeschädigung.
Fallbearbeitung 3
403
Bewertung des 4. Falles Nach den folgenden Angaben können Sie sich, wenn Sie wollen, wiederum selbst benoten. Geben Sie sich jeweils die halbe Punktezahl, wenn Sie das Problem nur halb erkannt oder nur halb gelöst haben.
Problem und Schweregrad
A
Ihre Benotung
Versuchter Diebstahl I Tatbestandsmäßigkeit Korrekter Aufbau des Versuchstatbestandes (leicht)
2
Abgrenzung von Vorbereitungshandlung und Versuch (mittel) 1. Erkennen des Problems 2. Lösen des Problems
2 2
II Rechtswidrigkeit (leicht)
-
III Schuld Korrekter Aufbau der Schuldprüfung (leicht)
2
IV Rücktritt Unbeendeter Versuch (mittel) 1. Erkennen des Problems 2. Lösen des Problems
2 2
Rücktrittsprobleme Endgültige Aufgabe der Tatausfuhrung (mittel) 1. Erkennen des Problems 2. Lösen des Problems Freiwillige Aufgabe der Tatausführung (mittel) 1. Erkennen des Problems 2. Lösen des Problems Qualifizierter Versuch (mittel) 1. Erkennen des Problems B
Erreichbare Punktezahl
2 2 2 2 2
Vollendete Sachbeschädigung I
Tatbestandsmäßigkeit (leicht)
-
II Rechtswidrigkeit Notwehr (leicht) Rechtfertigender Notstand (mittel) 1. Erkennen des Problems 2. Lösen des Problems
2 4
Angemessene juristische Diktion
4
Ihre Gesamtpunktezahl
2
max. 34
Notenskala über 3 0 = sehr gut; 26—30 = gut; 21—25 = befriedigend; 16—20 = ausreichend; 0—15 = nicht genügend
404
Fallbearbeitung 3 5. Fall „Noch alles in Ordnung, D o k t o r ? " Sachverhalt:' Fräulein Sonja Haschmich (S) aus Bielefeld-Windelsbleiche, stud. phil. im 1. Semester, hat sich bei einer Wanderung durch den Teutoburger Wald nicht ungern von Herrn cand. jur. Meinrad Forsch (M) verführen lassen. J e t z t ist sie im 4. Monat schwanger. Da sie fürchtet, mit einem Kind ihr weiteres Studium aufgeben zu müssen, hat sie M gebeten, ihr „ein wirksames Mittel" zu verschaffen. Die daraufhin von M besorgten Tabletten führen, einmal täglich mehrere Tage hintereinander eingenommen, mit großer Sicherheit zur Abtötung der Frucht. S verhört sich u n d meint, bereits die Einnahme einer einzigen Pille habe diese Wirkung. Unmittelbar nach der Einnahme dieser einen Tablette macht ihr ein kinderloser Industrieller aus Hagen ein Angebot von 50.000 DM „bar auf die Hand", wenn sie das Kind zur Welt bringe und es ihm zur Adoption freigebe. Da S sich diese Summe nicht entgehen lassen will, sucht sie noch am selben Tag den Frauenarzt Dr. Gynokel (G) auf, übergibt ihm die Tabletten und bittet ihn, „alles in seiner Macht Stehende zu veranlassen, daß sie ihr Kind nicht verliere". Dr. G untersucht sie und stellt fest, es sei „noch alles in Ordnung". Aufgabe: Die Strafbarkeit der S ist zu prüfen!
Hinweise: Sie haben nur ein einziges Delikt zu untersuchen, nämlich Abbruch der Schwan(1) gerschaft gemäß § 218 (3). Dieses Delikt ist in der Erscheinungsform des versuchten / vollendeten Delikts zu prüfen. Kommen für die Tat der S sowohl Strafaufhebungs- als auch Strafausschließungsgründe in Betracht, untersuchen Sie bitte beide Gründe nebeneinander! Versuchen Sie möglichst viele Probleme dieses Falles zu erkennen, indem Sie das Fallprüfungsschema des versuchten Delikts sorgfältig durchgehen und Ihre Lösung aufbaugerecht zu Papier bringen. Wenn Sie alle wesentlichen Probleme dieses Falles erkennen, ordnen u n d schriftlich lösen wollen, werden Sie mindestens 30 Minuten brauchen.
Fallbearbeitung 3
F 3
405
(1) versuchten
MUSTERLÖSUNG In Betracht kommt versuchter Abbruch der Schwangerschaft (§ 23 (1) i.V.m. § 218 (3)). I Tatbestandsmäßigkeit Die Einnahme der einen Tablette hat nicht zum Abbruch der Schwangerschaft geführt. Folglich sind nicht sämtliche objektiven Tatbestandsmerkmale des § 218 (3) erfüllt. S hat die Schwangerschaft jedoch abbrechen wollen. Damit ist der für den Versuch dieses Deliktes erforderliche „volle Tatentschluß" gegeben. Mit der Einnahme einer Tablette ist die Schwelle des § 22 längst überschritten. Diese Handlung ist bereits Teil der Ausführung des Schwangerschaftsabbruches ' ) . Es handelt sich um einen Versuch mit untauglichen Mitteln; denn die Einnahme einer einzigen Tablette konnte aus tatsächlichen Gründen nicht zur Vollendung des Schwangerschaftsabbruches führen. Dazu wäre die Einnahme der Tabletten an mehreren Tagen hintereinander erforderlich gewesen. Der Versuch mit untauglichen Mitteln ist prinzipiell strafbar (§ 23 (1) und (2)). Zur Frage des persönlichen Strafausschließungs- bzw. Strafmilderungsgrundes des § 23 (3) vgl. unten IV 1. II Rechtswidrigkeit Rechtfertigungsgründe kommen nicht in Betracht. III Schuld Die Befürchtung, das Studium aufgeben zu müssen, erfüllt nicht die Voraussetzungen des entschuldigenden Notstands (§ 35 (1)). Es fehlt schon an der Notstandssituation. Denn abgesehen davon, daß nach dem Sachverhalt gar nicht feststeht, ob S ihr Studium tatsächlich abbrechen müßte (Eltern, die einspringen etc.? ), sind weder Leben noch Leib oder Freiheit, somit keine notstandsfähigen Rechtsgüter bedroht 2). Auf die weiteren einschränkenden Klauseln der Notstandshandlung braucht daher nicht eingegangen zu werden. 1) Es handelt sich ersichtlich um eine Ausführungshandlung und nicht um eine b l o ß ausführungsnahe Handlung. Das in § 22 angesprochene spezifische Abgrenzungsproblem zwischen Versuch und Vorbereitung stellt sich bei diesem Sachverhalt nicht. 2) Die Musterlösung operiert bewußt mit den Grenzen des Sachverhalts. Dieses Verfahren ist jeder Spekulation über das, was man in den Sachverhalt eventuell „hineininterpretieren" könnte, vorzuziehen. Die Grenze des Sachverhalts ist auch stets die Grenze der rechtlichen Erörterungen. Vgl. dazu Kienapfel aaO. § 2 (18) bis (21).
406
Fallbearbeitung 3 IV Strafaufhebungs- bzw. Strafausschließungsgründe 1 § 23 (3) Problematisch erscheint, o b ein vernünftiger Mensch e r k a n n t h ä t t e , d a ß der Versuch n a c h der A r t des v e r w e n d e t e n Mittels ü b e r h a u p t nicht zur Vollendung der Tat f ü h r e n k o n n t e (§ 23 (3)). Die B e a n t w o r t u n g dieser Frage ist deshalb v o n e n t s c h e i d e n d e r B e d e u t u n g , weil die Rechtsfolgen in diesem Fall für S günstiger wären (vgl. § 23 (3) i.V.m. § 4 9 (2) mit § 23 (2) i.V.m. § 4 9 (1)). Diese Frage m u ß j e d o c h verneint w e r d e n . Zwar f ü h r e n die Pillen n u r d a n n „ m i t großer S i c h e r h e i t " zur A b t ö t u n g der F r u c h t , w e n n sie an m e h r e r e n Tagen h i n t e r e i n a n d e r e i n g e n o m m e n w e r d e n . Es läßt sich aber nicht ausschließen, daß bei entsprechender individueller Disposition s c h o n die E i n n a h m e einer einzigen Pille diese Wirkung zeitigen k a n n . Angesichts dieser — wenngleich e n t f e r n t e n — Möglichkeit kann von einer absoluten Untauglichkeit des Mittels i.S.d. § 23 (3) ( „ ü b e r h a u p t n i c h t " ) nicht die R e d e sein. Aber selbst w e n n m a n dies a n n e h m e n würde, so h ä t t e S die absolute Untauglichkeit ihres Versuches jedenfalls nicht aus grobem Unverstand v e r k a n n t , s o n d e r n deshalb, weil sie sich verhört h a t t e . G r o b e r Unverstand liegt n u r d a n n vor, w e n n der T ä t e r ein Mittel für tauglich hält, dessen absolute Untauglichkeit für jedermann offensichtlich ist 3). Die S o n d e r v o r s c h r i f t des § 23 (3) k o m m t somit nicht zur A n w e n d u n g . 2 R ü c k t r i t t (§ 24) Es h a n d e l t sich u m einen b e e n d e t e n untauglichen Versuch des Schwangerschaftsabbruches. D e n n S h a t t e geglaubt, bereits m i t der E i n n a h m e einer einzigen Tablette alles z u r Vollend u n g der T a t Erforderliche getan zu h a b e n . Daß sie objektiv n o c h nicht genug getan h a t t e , steht der A n n a h m e der Beendigung ihres Versuchs nicht entgegen. Denn die A b g r e n z u n g von u n b e e n d e t e m u n d b e e n d e t e m Versuch erfolgt ausschließlich nach der Vorstellung des Täters u n d nicht nach objektiven Kriterien. Es ist daher zu u n t e r s u c h e n , o b die Voraussetzungen für einen strafbefreienden Rücktritt vom b e e n d e t e n untauglichen Versuch gemäß § 2 4 gegeben sind. 1. Strafbefreiender Rücktritt gemäß § 24 (1) Satz 1 2. Alt k o m m t nicht in Betracht. Zwar h a t S einen A r z t a u f g e s u c h t , u m durch eigenes Z u t u n die V o l l e n d u n g der Tat zu verhindern. Auch am Erfordernis der Freiwilligkeit fehlt es nicht. Denn diese wird nicht d a d u r c h ausgeschlossen, daß S vorwiegend aus Geldgier gehandelt hat. Auf die L a u t e r k e i t der Motive k o m m t es b e i m Rücktritt nicht an. R ü c k t r i t t gemäß § 2 4 (1) Satz 1 2. Alt scheidet aber aus begrifflichen G r ü n d e n aus, weil ein A b b r u c h der Schwangerschaft infolge der Untauglichkeit des Mittels gar nicht e i n t r e t e n k a n n . Die V o l l e n d u n g der Tat kann also nicht verhindert werden, wie es § 2 4 (1) Satz 1 2. Alt ausdrücklich f o r d e r t . 3) Vgl. auch d e n ähnlich gelagerten Fall der zu geringen Giftdosis in LE 24. Zwar ein untauglicher Versuch, aber kein absolut untauglicher i.S.d. § 23 (3).
Fallbearbeitung 3
407
2. Zu prüfen ist jedoch die Sondervorschrift des § 24 (1) Satz 2. Diese Bestimmung läßt einen strafbefreienden Rücktritt auch noch vom beendeten untauglichen Versuch zu. Mit ihrem Gang zum Arzt hat S sich freiwillig und ernsthaft bemüht, den Abbruch der Schwangerschaft, d.h. die Vollendung der Tat zu verhindern. Von der Untauglichkeit ihres Versuches hatte S zu diesem Zeitpunkt noch keine Kenntnis. Die Voraussetzungen eines strafbefreienden Rücktritts vom beendeten (untauglichen) Versuch gemäß § 24 (1) Satz 2 sind daher erfüllt. 3 § 218 (4) Satz 2 4) Selbst wenn die Voraussetzungen des § 24 (1) Satz 2 nicht erfüllt wären, kann S mit Rücksicht auf § 218 (4) Satz 2 nicht bestraft werden. Bei § 218 (4) Satz 2 handelt es sich um einen allen Schwangeren zugute kommenden persönlichen Strafausschließungsgrund. Seine Voraussetzungen sind gegeben. Ergebnis: Eine Bestrafung der S entfällt, da sowohl die Voraussetzungen des § 24 (1) Satz 2 als auch jene des § 218 (4) Satz 2 erfüllt sind. 4) Sie sind aus didaktischen Gründen aufgefordert worden, den Rücktritt neben dem Strafausschließungsgrund des § 218 (4) Satz 2 zu prüfen. Die Praxis macht es sich in den Fällen, in denen ein Strafaufhebungsgrund neben einem Strafausschließungsgrund offensichtlich zum Zuge kommt, leichter und prüft nur den letzteren. Mit Recht! Denn wenn die Bestrafung der Straftat ohnehin ausgeschlossen ist, kann es offenbleiben, ob sich der Täter eventuell auch durch den Rücktritt Straffreiheit verschafft hat. Auf keinen Fall aber kann man sich bei Strafaufhebungs- oder Strafausschließungsgründen die sorgfältige Prüfung von I, II und III ersparen. Denn sowohl Strafaufhebungs- als auch Strafausschließungsgründe setzen ex definitione eine Straftat, d.h. eine tatbestandsmäßige, rechtswidrige und schuldhafte Handlung voraus.
408
FAHRLÄSSIGKEITSDELIKTE 1
LE 25
L e r n z i e 1 : Der strafrechtliche Fahrlässigkeitsbegriff setzt sich aus vier Elementen zusammen. Sie sollen diese Elemente kennen und ihre Funktion verstehen lernen.
Das StGB stellt fahrlässiges Handeln nur ausnahmsweise unter Strafe. Dies ergibt sich schon aus der verhältnismäßig geringen Zahl der Fahrlässigkeitsdelikte. (1) Nennen Sie mindestens zwei Fahrlässigkeitsdelikte!
Daß fahrlässiges Handeln nur ausnahmsweise strafbar ist, wird auch durch § 15 bestätigt. (2) Wieso?
In der gerichtlichen Praxis aber spielen diese wenigen Fahrlässigkeitsdelikte, insbesondere die §§ 222 und 230, schon eine zahlenmäßig weit größere Rolle als die ihnen entsprechenden Vorsatzdelikte. Allein die im Straßenverkehr alljährlich begangenen fahrlässigen Tötungen übertreffen die (3) vorsätzlichen Tötungen um ein Vielfaches. Dasselbe gilt im Verhältnis der zu den Körperverletzungen. Der Hausmeister schließt um 22.00 h den Studenten S versehentlich nar ein. Hat sich der Hausmeister strafbar gemacht? (4) J a / Nein Begründung:
im juristischen
Semi-
Das StGB bewertet die Fahrlässigkeitstat in der Regel milder als die Vorsatztat. Dies zeigt sich etwa an der unterschiedlichen Höhe der Strafdrohungen z.B. für Totschlag (§ 212 (1)) und fahrlässige Tötung (§ 222). (5) Bitte einsetzen!
Totschlag (§ 212 (1))
= Freiheitsstrafe nicht unter
Fahrlässige Tötung (§ 222)
= Freiheitsstrafe bis zu
Jahren Jahren
Ein ähnliches Gefälle ist etwa auch im Verhältnis zwischen Meineid (§ 154 (1)) und fahrlässigem Falscheid (§ 163 (1)) vorhanden (bitte lesen!). Die Fahrlässigkeitsdelikte unterscheiden sich von den Vorsatzdelikten aber nicht nur durch (6) die höheren / die niedrigeren Strafdrohungen, sondern auch durch eine Reihe von dogmatischen Besonderheiten. Letztere ergeben sich vor allem aus dem mit der Schuldform des Vorsatzes nur zum Teil vergleichbaren Begriff der Fahrlässigkeit.
LE 25
Fahrlässigkeitsdelikte 1
409
(1) § 222 = fahrlässige Tötung; § 230 = fahrlässige Körperverletzung; vgl. weiter §§ 309, 314, 330a (1). (2) Weil gemäß § 15 fahrlässiges Handeln nach dem StGB nur dann strafbar ist, wenn der Gesetzgeber i\tsausdrücklich bestimmt hat (o.a.). (3) fahrlässigen; vorsätzlichen (4) Nein! Fahrlässige Freiheitsberaubung ist nicht ausdrücklich für strafbar erklärt und daher straflos; vgl. § 239 (1) i.V.m. § 15. (5) fünf; fünf (6) die niedrigeren
Der strafrechtliche Begriff der Fahrlässigkeit ist ein ziemlich komplizierter terminus technicus und nicht im Gesetz definiert. Das Lernprogramm legt die folgende Fahrlässigkeitsdefinition zugrunde: Fahllässig handelt, wer die Sorgfalt außer acht läßt, zu der er nach den Umständen und nach seinen persönlichen Verhältnissen verpflichtet und fähig ist, und deshalb nicht erkennt, daß er einen gesetzlichen Tatbestand verwirklicht. Dieser strafrechtliche Fahrlässigkeitsbegriff läßt sich in vier Elemente zerlegen: Für die einzelnen Elemente dieses Fahrlässigkeitsbegriffs werden in diesem Lernprogramm die folgenden Kurzbezeichnungen verwendet: (1)
1. Objektive Sorgfaltswidrigkeit der Handlung = „Wer die läßt, zu der er nach den Umständen
außer acht ist".
(2)
2. Subjektive Sorgfaltswidrigkeit der Handlung = „Wer die Sorgfalt außer acht läßt, zu der er nach seinen Verhältnissen f ist".
(3)
3. Objektive Voraussehbarkeit des Erfolgs = Generelle Erkennbarkeit, daß der Täter „einen g T verwirklicht".
(4) 4. Subjektive Voraussehbarkeit des Erfolgs = Wer nach seinen p Verhältnissen nicht erkennt, daß er „einen gesetzlichen Tatbestand verwirklicht". (5)
Fahrlässig handelt nur derjenige, der ein / mehrere / alle vier Elemente dieses strafrechtlichen Fahrlässigkeitsbegriffs erfüllt. Vorsatz und Fahrlässigkeit schließen einander aus. Enweder handelt der Täter vorsätzlich; dann ist das Vorsatzdelikt zu prüfen. Oder der Täter handelt nicht vorsätzlich; dann ist, falls überhaupt vorhanden, das entsprechende
(6)
delikt zu prüfen.
Nennen Sie die Kurzbezeichnungen für die vier Elemente des strafrechtlichen Fahrlässig(7) keitsbegriffs!
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Fahrlässigkeitsdelikte 1
LE 25
(1) Sorgfalt; verpflichtet (2) persönlichen; fähig (3) gesetzlichen Tatbestand (4) persönlichen (5) alle vier (6) Fahrlässigkeitsdelikt (7) 1. objektive Sorgfaltswidrigkeit der Handlung 2. subjektive Sorgfaltswidrigkeit der Handlung 3. objektive Voraussehbarkeit des Erfolgs 4. subjektive Voraussehbarkeit des Erfolgs
Im folgenden wollen wir die einzelnen Elemente des strafrechtlichen Fahrlässigkeitsbegriffs näher betrachten.
1. Objektive Sorgfaltswidrigkeit der Handlung
Beispiele für objektiv sorgfaltswidriges Verhalten finden sich in allen Lebensbereichen. Im Straßenverkehr bilden etwa Fahren ohne Licht, in übermüdetem Zustand oder mit abgefahrenen Reifen, Überschreitung der zulässigen Geschwindigkeit, Mißachtung der (1) Vorfahrt, Einfahren in eine Kreuzung bei Rotlicht Beispiele für sorgfaltswidriges Verhalten. (2) Nennen Sie ein Beispiel für ein objektiv sorgfaltswidriges Verhalten beim Skifahren!
Ein anderer Bereich, der durch ähnliche Sorgfaltspflichten (man spricht hier auch von „leges artis" oder von „Kunstregeln") reglementiert wird, ist der Tätigkeitsbereich des Arztes. (3) Bilden Sie ein Beispiel für ein objektiv sorgfaltswidriges Verhalten des Arztes!
Entsprechende Sorgfaltspflichten bestehen für Apotheker, Hebammen, Krankenpfleger, Krankenschwestern und andere Medizinalpersonen. Vielfältige Sorgfaltspflichten sind beim Betrieb von gefährlichen Unternehmen, z.B. von Eisenbahnen, Atomreaktoren, Bergwerken, Bauunternehmen, Steinbrüchen etc. und überhaupt am Arbeitsplatz (Unfallverhütungsvorschriften!) zu beachten. (4)
Zu besonderer Sorgfalt ist man auch bei der Ausübung der Jagd
So lernt jeder Kandidat schon bei der Jagdprüfung, daß das Gewehr nach der Jagd sofort (5) zu entladen ist. Wer sein Gewehr nur sichert, ohne es zu entladen, handelt daher o s (6) Wer alle Sorgfalt beachtet, zu der er ,,n d U " verpflichtet ist, handelt fahrlässig / selbst dann nicht fahrlässig, wenn durch sein Verhalten ein Mensch z.B. verletzt oder getötet wird.
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Fahrlässigkeitsdelikte 1
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(1) objektiv (2) Z.B. Kreuzen einer Lifttrasse; Fahren ohne Fangriemen; zu nahes Auffahren auf den Vordermann; Befahren eines lawinengefährdeten Hanges (o.a.). (3) Er vergißt einen Tupfer in der Bauchhöhle; er verwendet eine unsaubere Injektionsnadel; er verordnet ein kontraindiziertes Medikament (o.a.). (4) verpflichtet (5) objektiv sorgfaltswidrig (6) nach den Umständen; selbst dann nicht fahrlässig
Die Frage ist nur: Welche Umstände sind es, aus denen sich jene Sorgfalt ergibt, zu deren Beachtung man „verpflichtet" ist? Zu diesen Umständen zählen zunächst die einschlägigen Rechtsvorschriften. (1) In vielen Lebensbereichen wird die Sorgfalt, zu der man zum Teil sehr eingehende Rechtsvorschriften konkretisiert.
ist, durch
Nehmen wir für den Bereich des Straßenverkehrs die StVO (Schönfelder Nr. 35a). (2) Man handelt im allgemeinen objektiv sorgfaltswidrig / nicht objektiv sorgfaltswidrig, wenn man die Vorfahrt mißachtet ( § 8 ( 1 ) Satz 1 StVO), (3) den Sicherheitsabstand ( § 4 ( 1 ) Satz 1 StVO), (4) die zulässige Höchstgeschwindigkeit (§ 3 (3) StVO). Oder nehmen wir das StVG (Schönfelder Nr. 35). Man handelt im allgemeinen objektiv sorgfaltswidrig, wenn man mit einem nicht zugelassenen (5) Kraftfahrzeug am Straßenverkehr ( § 1 ( 1 ) Satz 1 StVG). Es gibt eine Vielzahl sonstiger Rechtsvorschriften im weitesten Sinne, die ebenfalls Art und (6) Umfang der objektiven festlegen: Unfallverhütungsvorschriften, feuer-, gewerbe-, baupolizeiliche etc. Sicherheitsvorschriften, Dienstanordnungen, Betriebsordnungen usw. Objektiv sorgfaltswidrig ist schließlich auch die Nichtbeachtung der zahlreichen Regeln, die sich aus der Verkehrssitte ergeben. Derartige Regeln stellen z.B. die Kunstregeln des Arztes, die Jagdregeln, die Sportregeln dar. (7) Demnach handelt im allgemeinen als Jäger z.B. in Richtung Treiberkette schießt, (8) als Arzt z.B. (bitte ergänzen!)
(9) als Skiläufer z.B. (bitte ergänzen!)
(10) als Bauunternehmer z.B. (bitte ergänzen!)
sorgfaltswidrig, wer
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Fahrlässigkeitsdelikte 1 (1) (5) (8) (9) (10)
verpflichtet (2) objektiv sorgfaltswidrig (3) nicht einhält (o.ä.) teilnimmt (o.ä.) (6) Sorgfalt bzw. Sorgfaltspflicht (7) objektiv eine nicht sterilisierte Injektionsnadel verwendet (o.ä.) zu nahe auf den Vordermann auffährt (o.ä.) das Baugerüst nicht vorschriftsmäßig absichert (o.ä.)
(4) überschreitet (o.a.)
Aber selbst in solchen Lebensbereichen, welche durch Rechtsvorschriften oder durch die Verkehrssitte „durchnormiert" sind, treten mitunter Situationen auf, für die es überhaupt keine vorformulierten Regeln gibt. (1) Nach welchen „Umständen" richtet sich in einer solchen Situation die objektive zu der „man verpflichtet" ist?
-
Hier läßt sich zunächst nur eine sehr allgemeine Aussage treffen: Maßstab für diese Sorgfalt ist ein Verhalten, das von einem einsichtigen und besonnenen Menschen in der Lage des Täters verlangt werden kann. (Formel bitte merken!) (2) Ein bestimmtes Verhalten ist daher objektiv sorgfaltswidrig, wenn sich ein und Mensch in der Lage des Täters ebenso / anders verhalten hätte. Und zwar kommt es auf das gedachte Verhalten eines einsichtigen und besonnenen Menschen aus dem Verkehrskreis an, dem der Täter angehört. Der bergunerfahrene Kuddl Schnööf aus Kiel-Düsternbrook bricht mit seinem 16jährigen Sohn Jochen zu einer Gratwanderung in das Gebiet der Hohen Tauern auf, obwohl der Hüttenwirt auf die Gefährlichkeit der Tour ausdrücklich aufmerksam gemacht und von ihr dringend abgeraten hatte. Jochen stürzt ab. In Frage steht das Verhalten des Kuddl Schnööf. Die richtige Fragestellung lautet: (3) Hätte sich ein einsichtiger und besonnener bergunerfahrener Flachländer / ein einsichtiger und besonnener Bergsteiger anders verhalten? (4) Wie hätte er sich verhalten?
(5) Folglich hat Schnööf jene Sorgfalt außer acht gelassen, zu der er „nach d " verpflichtet war. (6) Er hat somit
sorgfaltswidrig gehandelt.
Steht damit bereits abschließend fest, daß Schnööf fahrlässig gehandelt hat? (7) J a / Nein Begründung:
U.
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(1) Sorgfalt (2) einsichtiger und besonnener; anders (3) Hätte sich ein einsichtiger und besonnener bergunerfahrener Flachländer anders verhalten? (4) Ein einsichtiger und besonnener Flachländer hätte den Rat des Hüttenwirts nicht in den Wind geschlagen (o.ä.). (5) „nach den Umständen" (6) objektiv (7) Nein! Denn die Fahrlässigkeit besteht aus vier Elementen und nicht nur aus der objektiven Sorgfaltswidrigkeit (o.a.).
2. Subjektive Sorgfaltswidrigkeit der Handlung
(1) Die objektive Sorgfaltswidrigkeit ist ein starkes Indiz dafür, daß der Täter auch sorgfaltswidrig gehandelt hat. Für dieses Element der Fahrlässigkeit gilt ein subjektiver Maßstab. Es kommt darauf an, ob der Täter, wie es in der Fahrlässigkeitsdefinition ausdrücklich (2) heißt, auch nach seinen V j zur Einhaltung der objektiven Sorgfalt f ist. Körperliche Mängel und Verstandesfehler, aber auch Mängel an bestimmten Fähigkeiten oder Wissens- und Erfahrungslücken können daher die subjektive Sorgfaltswidrigkeit der (3) Handlung und damit den Begriff der F begründen / ausschließen. Eines genaueren Eingehens auf die subjektive Sorgfaltswidrigkeit bedarf es aber nur bei solchen Sachverhalten, aus denen sich Anhaltspunkte dafür ergeben, daß der Täter zur (4) Einhaltung der Sorgfalt aus den genannten subjektiven Gründen fähig war / nicht fähig war. Im Beispiel des bergunerfahrenen Kuddl Schnööf ist die subjektive Sorgfaltswidrigkeit (5) durch die indiziert / nicht indiziert. Sie muß daher / sie braucht daher (6) nicht eingehend geprüft zu werden. Variante: Schnööf hatte wegen des starken Tiroler Dialekts des Hüttenwirts nung überhaupt nicht „mitbekommen".
dessen War-
(7) In einem solchen Fall ist die durch die Sorgfaltswidrigkeit ebenfalls indiziert / noch nicht indiziert. Hat Schnööf bei dieser Variante subjektiv sorgfaltswidrig gehandelt? (8) J a / Nein Begründung:
Steht für diese Variante bereits abschließend fest, daß Schnööf nicht fahrlässig gehandelt hat? (9) J a / Nein Begründung:
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(1) (4) (6) (7) (8)
subjektiv (2) persönlichen Verhältnissen; fähig (3) Fahrlässigkeit; ausschließen objektiven; nicht fähig war (5) objektive; indiziert Sie braucht daher nicht eingehend geprüft zu werden. subjektive Sorgfaltswidrigkeit; objektive; noch nicht indiziert Nein! Denn Schnööf war nach seinen persönlichen Verhältnissen (mangelnde Dialektkenntnis) nicht in der Lage, die objektive Sorgfalt einzuhalten (o.a.). (9) Ja! Denn es fehlt ja eines der vier konstitutiven Elemente des strafrechtlichen Fahrlässigkeitsbegriffs (o.a.). Eine andere Frage ist es, ob man die Fahrlässigkeit des Schnööf noch unter anderen Aspekten begründen kann (z.B. unter dem Aspekt der Verletzung von Erkundigungspflichten).
Der 51jährige, wegen schwerer Zerebralsklerose frühpensionierte Universitätsprofessor Dr. phil. Hirnschrott (H) sieht die Bremslichter des vor ihm in der Kolonne fahrenden V aufleuchten. Er reagiert so rasch er kann, aber doch viel zu langsam, um den Aufprall auf V zu vermeiden. Ein nicht verkalkter Autofahrer hätte den Wagen noch rechtzeitig angehalten. (1) H hat objektiv sorgfaltswidrig / subjektiv sorgfaltswidrig gehandelt, weil er seinen Wagen (2) entgegen der Vorschrift des § 4 (1) Satz 1 StVO (bitte lesen!) nicht rechtzeitig
(3) Da der verkalkte H nach seinen p Verhältnissen anders zu handeln, d.h. rascher zu reagieren, hat er auch subjektiv sorgfaltswidrig / jedoch nicht subjektiv sorgfaltswidrig gehandelt. Andererseits war H aber nicht so verkalkt, daß er seine Verkalkung und die damit von ihm im Straßenverkehr ausgehenden Gefahren nicht erkennen konnte. Es stellt sich daher die Frage, ob die Sorgfaltswidrigkeit des H nicht schon darin liegt, daß er sich trotz seiner schweren Verkalkung überhaupt noch hinter das Steuer gesetzt hat. (4) Diese Frage ist zu bejahen / zu verneinen. Man bezeichnet diese Art der Fahrlässigkeit sehr anschaulich als „Übernahmefahrlässigkeit" (Synonym: „Übernahmeverschulden"). (5) Übernahmefahrlässigkeit bedeutet: Sowohl als auch sorgfaltswidrig handelt, wer eine Tätigkeit übernimmt, von der er erkennen kann, daß er ihr nicht gewachsen ist. Auf den Aspekt der Ubernahmefahrlässigkeit greift die Praxis mit Vorliebe in solchen Fällen zurück, in denen eine Sorgfaltswidrigkeit bei der Ausführung der Handlung nicht gegeben oder nicht nachweisbar ist. Die und alle und
Musiklehrerin Viola (V) übernimmt vertretungsweise eine Sportstunde in der 2. Klasse geht mit den Kindern schwimmen. Als die 7jährige Claudia ins tiefe Wasser fällt, sind Rettungsbemühungen der V deshalb unzureichend, weil sie selbst nicht schwimmen daher nicht nachspringen kann.
Bei der Ausführung der Rettung hat die V zumindest nicht subjektiv sorgfaltswidrig ge(6) handelt, weil (bitte ergänzen!)
(7)
Liegt Übernahmefahrlässigkeit vor? J a / Nein
Begründung:
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LE 25 (1) (3) (4) (6)
objektiv sorgfaltswidrig (2) angehalten hat persönlichen; nicht fähig war (o.a.); jedoch nicht subjektiv sorgfaltswidrig gehandelt zu bejahen (5) objektiv; subjektiv sie als „NichtSchwimmerin" (= „nach ihren persönlichen Verhältnissen") das Kind nicht retten konnte (o.a.) (7) Ja! Denn mit der Schwimmstunde hatte V eine Tätigkeit übernommen, von der sie erkennen konnte, daß sie ihr nicht gewachsen war (o.a.).
3. Objektive Voraussehbarkeit des Erfolgs
Objektive und subjektive Sorgfaltswidrigkeit für sich allein genügen noch nicht, um den strafrechtlichen Fahrlässigkeitsbegriff zu erfüllen. Hinzutreten muß als weiteres Fahrlässig(1) keitselement die Voraussehbarkeit des Erfolgs. (2) Ein Erfolg ist objektiv voraussehbar, wenn sein Eintritt für einen und besonnenen Menschen in der Lage des T innerhalb der allgemeinen Lebenserfahrung liegt. Die objektive Voraussehbarkeit muß sich nicht nur auf den eingetretenen Erfolg, sondern auch auf den Kausalverlauf erstrecken. Der Kausalverlauf braucht zwar nicht in allen Ein(3) zelheiten, muß aber in seinen wesentlichen Zügen sein. A hantiert mit seinem offenen Taschenmesser so ungeschickt, daß er dabei dem ihm unbekannten Bluter Rinnsal (R) leicht die Haut ritzt. R verblutet an dieser Wunde. (4) Diese Folge einer an sich harmlosen Verletzung liegt innerhalb / außerhalb der
-
Kann man, wie in diesem Fall, nur die Körperverletzung eines Menschen voraussehen, nicht (5) aber dessen Tod, so kommt auch nur Bestrafung wegen fahrlässiger in Frage. Der darüber hinausreichende Tötungserfolg bleibt in einem solchen Fall strafrechtlich außer Betracht. (6) Warum bleibt der Tötungserfolg außer Betracht?
Nickel fährt mit seinem Moped zu schnell und stößt infolgedessen den Finanzoberinspektor Steuernagel (St) nieder, der vorschriftsmäßig die Licher Straße überquert. St wird mit einem Beinbruch in die Gießener Chirurgische Klinik eingeliefert und dort noch am selben Tage von einem amoklaufenden Mitpatienten erstochen. (7) Ist vom Standpunkt eines einsichtigen u n d eines Täters, der (8) a) Der Beinbruch des St? J a / Nein (9)
b) Dieser Tod des St? J a / Nein Begründung?
Menschen in der Lage
fährt, objektiv voraussehbar:
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416 (1) (4) (6) (7) (9)
objektive (2) einsichtigen; Täters (3) objektiv voraussehbar außerhalb der allgemeinen Lebenserfahrung (5) Körperverletzung Weil dieser Erfolg nicht objektiv voraussehbar war (o.a.). besonnenen; zu schnell (und nicht etwa bloß Moped fährt) (8) Ja! Nein! Es müssen sowohl der eingetretene Erfolg als auch der Kausalverlauf in seinen wesentlichen Zügen innerhalb der allgemeinen Lebenserfahrung liegen. Das ist hier nicht der Fall (o.a.).
4. Subjektive Voraussehbarkeit des Erfolgs
(1) Die objektive Voraussehbarkeit ist ein starkes I Erfolg auch hätte voraussehen können. (2)
dafür, daß der Täter den
Für dieses Element der Fahrlässigkeit gilt derselbe subjektive Maßstab wie für die
(3) Es kommt also darauf an, ob der Täter nach seinen p den Eintritt des Erfolgs erkennen kann.
-
Körperliche Mängel und Verstandesfehler, vor allem aber Wissens- und Erfahrungslücken (4) können die subjektive und damit den Begriff der ausschließen. Eines genaueren Eingehens auf die subjektive Voraussehbarkeit des Erfolgs bedarf es aber nur bei solchen Sachverhalten, aus denen sich Anhaltspunkte dafür ergeben, daß der Täter (5) aus den genannten subjektiven Gründen den Eintritt des Erfolgs konnte. Fall 1: Eine Angestellte, die täglich mit der Hamburger daß sich die Türen automatisch schließen.
U-Bahn zur Arbeit fährt,
weiß,
(6) Hält sie ihr Kind nicht weit genug von der Tür entfernt, ist es für sie daß das Kind beim selbständigen Schließen der Tür zu Schaden kommen kann.
-
Fall 2: Nehmen Sie nun an, eine einfache Bäuerin kommt zum ersten Mal in die Großstadt und fährt mit der U-Bahn. Unwissend wie sie ist, bleibt sie mit ihrem Kind in der Türöffschließt. nung stehen. Das Kind wird verletzt, als sich die Tür automatisch Ändert sich gegenüber Fall 1 die Beurteilung der objektiven Voraussehbarkeit des Erfolgs? (7) J a / Nein — Begründung:
Ändert sich gegenüber Fall 1 die Beurteilung der subjektiven Voraussehbarkeit des Erfolgs? (8) J a / Nein Begründung:
(9) Fahrlässigkeit liegt somit nur im Fall vor. Denn hier sind sämtliche v (10) te des strafrechtlichen Fahrlässigkeitsbegriffs erfüllt.
Elemen-
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(1) Indiz; subjektiv (2) subjektive Sorgfaltswidrigkeit (3) persönlichen Verhältnissen (4) Voraussehbarkeit des Erfolgs; Fahrlässigkeit (5) nicht voraussehen (6) subjektiv voraussehbar (7) Nein! Ein einsichtiger und besonnener Mensch, der mit der U-Bahn fährt, (= „in der Lage des Täters^ weiß, was passieren kann (o.a.). (8) Ja! Nach ihren „persönlichen Verhältnissen" (= hier nach ihrer persönlichen Erfahrung) konnte die Bäuerin diesen Erfolg nicht voraussehen (o.a.). (9) 1 (10) vier
ZUSAMMENFASSUNG A Die Fahrlässigkeit Fahrlässiges Handeln ist nur d a n n strafbar, w e n n das StGB fahrlässiges Handeln ausdrücklich mit Strafe b e d r o h t (§ 15). Das Fahrlässigkeitsdelikt wird meist mit geringerer Strafe b e d r o h t als das entsprechende Vorsatzdelikt. Im StGB f i n d e n sich nur verhältnismäßig wenige Fahrlässigkeitsdelikte. Die praktisch b e d e u t s a m s t e n sind fahrlässige T ö t u n g (§ 222) u n d fahrlässige Körperverletzung (§ 230). Vgl. weiterhin § 163 (1); § 309; § 330 a (1). Die A n n a h m e von Fahrlässigkeit k o m m t nur in Betracht, wenn Vorsatz entweder nicht gegeben ist oder sich jedenfalls nicht mit Sicherheit nachweisen läßt. In jedem Fall bedarf die Feststellung, daß der Täter fahrlässig gehandelt hat, stets einer ausdrücklichen Begründung. Diese Feststellung wird durch die folgende Definition des strafrechtlichen Fahrlässigkeitsbegriffs erheblich erleichtert: Fahrlässig handelt, wer die Sorgfalt außer acht läßt, zu der er nach den Umständen u n d nach seinen persönlichen Verhältnissen verpflichtet u n d fähig ist, u n d deshalb nicht erkennt, d a ß er einen gesetzlichen Tatbestand verwirklicht. Der strafrechtliche Fahrlässigkeitsbegriff setzt sich aus vier konstitutiven Elementen zusammen: 1. objektive Sorgfaltswidrigkeit der Handlung plus 2. subjektive Sorgfaltswidrigkeit der Handlung plus 3. objektive Voraussehbarkeit des Erfolgs plus 4. subjektive Voraussehbarkeit des Erfolgs. B Die vier Elemente der Fahrlässigkeit 1. Objektive Sorgfaltswidrigkeit der Handlung Allgemeiner Maßstab der einzuhaltenden Sorgfalt (= „nach den Umständen verpflichtet") ist ein Verhalten, das von einem einsichtigen u n d besonnenen Menschen in der Lage des Täters verlangt werden kann. Der Täter hat objektiv sorgfaltswidrig gehandelt, w e n n sich ein einsichtiger u n d besonnener Mensch an seiner Stelle anders verhalten hätte.
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Fahrlässigkeitsdelikte 1
LE 25
Zweckmäßigerweise führt man bei der Prüfung einer Fahrlässigkeitstat jene Handlung an, die man von einem einsichtigen und besonnenen Menschen in der Lage des Täters hätte verlangen können. Maßfigur ist ein einsichtiger und besonnener Mensch aus dem Verkehrskreis, dem der Täter angehört. Maßstab ist daher z.B. ein einsichtiger und besonnener Benützer der Autobahn (nicht schlicht „Autofahrer"!), ein einsichtiger und besonnener Landarzt (nicht schlicht „Arzt"!), ein einsichtiger und besonnener bergunerfahrener Wanderer (nicht schlicht „Wanderer"!). Für viele Lebensbereiche gibt es Sorgfaltsregeln, die diesen allgemeinen Sorgfaltsmaßstab des einsichtigen und besonnenen Menschen modifizieren und spezifizieren. Sie gehören teils dem geschriebenen, teils dem ungeschriebenen Recht an. Zahlreiche Sorgfaltsregeln sind in speziellen Gesetzen und Verordnungen enthalten. So finden sich z.B. im StVG, in der StVO und in der StVZO ganze Kataloge derartiger Sorgfaltsregeln. Es kommen aber auch sonstige Rechtsvorschriften im weitesten Sinne als Quelle für Sorgfaltspflichten in Betracht: Unfallverhütungsvorschriften, feuerpolizeiliche, gewerbepolizeiliche, baupolizeiliche etc. Sicherheitsvorschriften, Dienstanweisungen, Betriebsordnungen u.ä. Sie betreffen vor allem den Betrieb gefährlicher Unternehmen; z.B. Steinbrüche, Bergwerke, Atomreaktoren, Eisenbahnen etc. Daneben gibt es praktisch für alle gefahrengeneigten Tätigkeiten (beim Sport, bei der Jagd, bei der Aufsicht über Kinder, Kranke, Tiere etc.) und für alle gefahrengeneigten Berufe (z.B. des Arztes, des Architekten, des Apothekers) zahlreiche teils geschriebene, teils ungeschriebene Sorgfaltsregeln. Letztere gelten kraft Verkehrssitte und sind vielfach erst von der Praxis der Gerichte herausgearbeitet bzw. konkretisiert worden (z.B. die „leges artis" der Heilberufe; Jagdregeln; Sportregeln). Zur Begründung der objektiven Sorgfaltswidrigkeit eines Verhaltens genügt im allgemeinen bereits der Nachweis, daß der Täter eine der genannten Sorgfaltsregeln nicht beachtet hat. Aber alle diese Sorgfaltsregeln legen nur das Mindestmaß der anzuwendenden Sorgfalt fest. In atypischen und besonders gefährlichen Situationen wird von einem einsichtigen und besonnenen Menschen in der Lage des Täters ein erhöhtes Maß an Sorgfalt verlangt (z.B. sofortige Bremsbereitschaft bei unklarer Verkehrssituation). 2. Subjektive Sorgfaltswidrigkeit der Handlung Die subjektive Sorgfaltswidrigkeit einer Handlung ist durch die objektive indiziert: Wer objektiv sorgfaltswidrig handelt, verletzt in der Regel zugleich auch seine subjektive Sorgfaltspflicht. Einer eingehenden Prüfung der subjektiven Sorgfaltswidrigkeit bedarf es daher nur, wenn nach dem Sachverhalt Anhaltspunkte für Zweifel in dieser Richtung bestehen.
25
Fahrlässigkeitsdelikte 1
419
Der Täter handelt nur dann nicht subjektiv sorgfaltswidrig, wenn er „nach seinen persönlichen Verhältnissen" zur Beachtung der objektiven Sorgfalt nicht fähig ist. Körperliche Mängel (schlechtes Gehör, Kurzsichtigkeit, Körperbehinderung) und Verstandesfehler (z.B. unzureichende Begabung), aber auch Mangel einer bestimmten Fähigkeit in einer Situation, in der es dieser Fähigkeit bedarf (der Betreffende kann nicht schwimmen, nicht Auto fahren) und Wissens- und Erfahrungslücken (Fahrschüler; Autoanfänger bei besonders komplizierter Verkehrssituation) können die subjektive Sorgfaltswidrigkeit eines Verhaltens ausschließen. Doch ist gerade in diesen Fällen darauf zu achten, ob sich die objektive und die subjektive Sorgfaltswidrigkeit nicht daraus ergeben, daß der Täter eine Tätigkeit übernommen hat, von der er erkennen konnte, daß er ihr nicht gewachsen war = sog. Übernahmefahrlässigkeit (Synonym: Übernahmeverschulden). Beispiel: Antritt einer Autofahrt in übermüdetem oder angetrunkenem Zustand. 3. Objektive Voraussehbarkeit des Erfolgs Ein Erfolg ist objektiv voraussehbar, wenn ein einsichtiger und besonnener Mensch in der Lage des Täters die Gefahr des Erfolgseintritts erkannt hätte. Maßstab für das Erkennenkönnen ist die allgemeine Lebenserfahrung. Nicht nur der Erfolg als solcher, sondern auch der Kausalverlauf muß in seinen wesentlichen Zügen, wenngleich nicht in allen Einzelheiten, innerhalb der allgemeinen Lebenserfahrung liegen. Außerhalb der allgemeinen Lebenserfahrung liegt insbesondere der sog. atypische Kausalverlauf. Näheres in LE 27. 4. Subjektive Voraussehbarkeit des Erfolgs Die subjektive Voraussehbarkeit des Erfolgs ist durch die objektive indiziert: Ein Erfolg, der objektiv voraussehbar ist, ist in der Regel auch für den Täter (= subjektiv) voraussehbar. Einer eingehenden Prüfung der subjektiven Voraussehbarkeit des Erfolgs bedarf es folglich nur, wenn nach dem Sachverhalt Anhaltspunkte für Zweifel in dieser Richtung bestehen. Der Erfolg ist nur dann nicht subjektiv voraussehbar, wenn der Täter „nach seinen persönlichen Verhältnissen" die Gefahr des Erfolgseintritts nicht erkennen kann. Es sind vor allem Wissens- und Erfahrungslücken, manchmal auch Verstandesfehler und körperliche Mängel, welche die subjektive Voraussehbarkeit eines (objektiv voraussehbaren) Erfolgs (bzw. Kausalverlaufs) für den Täter ausschließen können. Beispiel: A befördert auf dem Dachgepäckträger seines PKW eine Tischplatte, die er dort festgeklemmt und mit einer eigens für diesen Transport angeschafften Gummispinne fest vertäut hat. Der Fahrtwind reißt die Platte gleichwohl aus ihrer Halterung und wirbelt sie einem nachfolgenden Motorradfahrer an den Kopf. Bei hoher Fahrgeschwindigkeit dürfte sich A allerdings kaum auf Wissens- und Erfahrungslücken berufen können.
420
Testfragen zur LE 25
TE 25
1.1
Ist die objektive Sorgfaltswidrigkeit identisch mit dem Begriff der Fahrlässigkeit? J a / Nein Begründung:
1.2
Der Täter handelt objektiv sorgfaltswidrig, wenn (bitte ergänzen!)
1.3
Objektive Sorgfaltspflichten können sich ergeben aus (bitte ergänzen!)
2.1
In einem unbeobachteten Augenblick ergreift der dreijährige Philip die Zündholzschachtel, die seine Mutter in der Eile auf dem Küchentisch liegen gelassen hat, und fängt an, „Feuer" zu spielen. Wenig später steht die Mansardenwohnung in Flammen. 1. Die Mutter eines Kleinkindes, die Streichhölzer unverwahrt liegen läßt, handelt objektiv sorgfaltswidrig, weil (bitte ergänzen!)
2. Damit ist zugleich auch die bedeutet dies für den konkreten Fall?
Sorgfaltswidrigkeit indiziert. Was
3. Ist der eingetretene Erfolg (Inbrandgeraten der Mansardenwohnung) objektiv voraussehbar? J a / Nein Begründung:
4. Mit der objektiven Voraussehbarkeit des Erfolgs ist zugleich auch die Voraussehbarkeit indiziert. Was bedeutet das für den konkreten Fall?
5. Mithin muß die Mutter mit einer Anklage wegen fahrlässiger Brandstiftung (§ 309) rechnen / nicht rechnen. 2.2
Die Vorschriften der StVO (z.B. über die zulässige Fahrgeschwindigkeit innerhalb geschlossener Ortschaften = § 3 (3) Z 1 StVO) legen die Obergrenze / die Untergrenze der im Straßenverkehr objektiv erforderlichen Sorgfalt fest. Wer trotz einer unklaren und besonders kritischen Verkehrssituation seine Geschwindigkeit von 50 km/h beibehält, handelt daher objektiv sorgfaltswidrig / handelt daher nicht objektiv sorgfaltswidrig. Denn erhöhte Gefahren begründen Sorgfaltspflichten.
TE 25
Testfragen
421
1.4
Der Täter handelt nur dann nicht subjektiv sorgfaltswidrig, wenn (bitte ergänzen!)
1.5
Nennen Sie mindestens zwei Beispiele für derartige „Verhältnisse", die die subjektive Sorgfaltswidrigkeit einer Handlung ausschließen können!
2.3
Der praktische Arzt Dr. med. Heilmeyer (H) in Nagold wird zum Patienten P gerufen, der eben einen schweren Kollaps erlitten hat. Dr. H injiziert die üblichen herz- und kreislaufstärkenden Mittel. P stirbt. Wäre der Wiederbelebungsspezialist Prof. Dr. Kampfer von der Tübinger Universitätsklinik an seiner Stelle gewesen, so hätte dieser den P retten können. 1. Die Sorgfaltspflicht des Dr. H ergibt sich aus (bitte ergänzen!)
2. Maßstab dafür, ob Dr. H objektiv sorgfaltswidrig gehandelt hat, sind die Fähigkeiten und Kenntnisse eines einsichtigen und Menschen aus den denen der Täter angehört. 3. Demnach sind Maßstab für die Sorgfalt des Dr. H Fähigkeiten und Kenntnisse des Wiederbelebungsspezialisten Prof. Dr. Kampfer, sondern (bitte ergänzen!)
die
4. Legt man diesen Maßstab (Ihre Antwort zu 2.1, 3.) zugrunde, so hat Dr. H objektiv sorgfaltswidrig / nicht objektiv sorgfaltswidrig gehandelt. 5. Müssen noch die übrigen Elemente des strafrechtlichen Fahrlässigkeitsbegriffs geprüft werden? J a / Nein Begründung:
2.4
A hat sich total erschöpft ans Steuer gesetzt. Infolgedessen stößt er mit dem entgegenkommenden B zusammen und verletzt diesen (= § 230). A verteidigt sich damit, daß er infolge seiner Erschöpfung einfach nicht mehr rechtzeitig habe reagieren können und daß ihm daher bezüglich der Verletzung des B keine Fahrlässigkeit zur Last falle. 1. Lesen Sie § 1 (2) StVO! Aus dieser Vorschrift ergibt sich, daß A objektiv / subjektiv sorgfaltswidrig gehandelt hat. 2. Welches der vier Elemente der Fahrlässigkeit stellt A in Abrede?
3. Wie lösen Sie den Fall?
Testfragen
422 2.5
TE 25
Kitzbühel, 21.12.1974. Bei strahlendem Sonnenschein und herrlichem Pulverschnee fuhr ein Urlauber (U) aus Augsburg in den Steilhang der Steinbergkogelrinne ein und löste dadurch eine Lawine aus. Sie kostete 9 Menschen das Leben. Mit dem Abgang einer Lawine hatte niemand gerechnet. Der Steilhang war daher nicht gesperrt und am selben Tage schon von mehr als 200 Skiläufern befahren worden. Eine Anklage des U wegen fahrlässiger Tötung verspricht wenig Aussicht auf Erfolg, weil mehrere Elemente des strafrechtlichen Fahrlässigkeitsbegriffs nicht erfüllt sind. Nennen Sie mindestens zwei und begründen Sie Ihre Entscheidung!
5.1
Abdomian (A) hat starke Leibschmerzen und hohes Fieber. Er ruft den Heilpraktiker Balsam (B) zu sich. Dieser diagnostiziert zutreffend eine akute Blinddarmentzündung und tröstet: „Das bringen wir auch ohne Operation weg". Davon ist B fest überzeugt. Er verordnet entsprechende homöopathische Tropfen. Entgegen der Annahme des B wirken diese aber nicht. A stirbt. 1. Die rein homöopathische Therapie im Falle einer akuten Blinddarmentzündung ist nach den Regeln der Schulmedizin, d.h. also nach der Verkehrssitte sorgfaltswidrig. Denn hier gibt es nur eines: sofortige Operation! 2. Gleichwohl war die Therapie, die B dem A hat angedeihen lassen, zumindest nicht subjektiv sorgfaltswidrig. Warum nicht? (Gut überlegen!)
3. Dennoch muß B befürchten, daß ihn der Staatsanwalt wegen fahrlässiger Tötung (§ 222) anklagt. Wie wird der Staatsanwalt argumentieren?
Literatur: Zu d e n vier E l e m e n t e n des strafrechtlichen Fahrlässigkeitsbegriffs vgl. eingehend Jescheck aaO. § 54 I, § 55 u. § 57 II—III. Zu d e n verschiedenen Sorgfaltspflichten u n d ihren G r e n z e n vgl. aus-
führlich Maurach aaO. § 44 II B 1 u. 3.
Antworten
TE 25
423
1.1
Nein! Die objektive Sorgfaltswidrigkeit ist n u r eines der vier E l e m e n t e des Fahrlässigkeitsbegriffs (o.a.).
1.2
sich ein einsichtiger u n d b e s o n n e n e r Mensch an seiner Stelle anders verhalten h ä t t e (o.ä.)
1.3
Gesetzen u n d V e r o r d n u n g e n (z.B. StVG, S t V O ) , sonstigen R e c h t s v o r s c h r i f t e n (z.B. Unfallverhütungsvorschriften) u n d aus der Verkehrssitte (z.B. Kunstregeln des Arztes) o.ä.
2.1
1. a b s t r a k t : sich eine einsichtige u n d b e s o n n e n e M u t t e r an ihrer Stelle anders verhalten h ä t t e oder konk r e t : die Streichhölzer weggeschlossen h ä t t e (o.ä.). 2. subjektive. Aus der o b j e k t i v e n Sorgfaltswidrigkeit der M wird auf ihre subjektive Sorgfaltswidrigkeit geschlossen. O d e r : Einer b e s o n d e r e n Prüfung der subjektiven Sorgfaltswidrigkeit bedarf es hier nicht (o.ä.). 3. J a ! Weil eine einsichtige u n d b e s o n n e n e M u t t e r diese G e f a h r erkannt h ä t t e (o.ä.). M a ß s t a b für das E r k e n n e n k ö n n e n ist die allgemeine Lebenserfahrung. 4 . subjektive. A u s der objektiven Voraussehbarkeit des Erfolges wird geschlossen, d a ß er auch für den Täter = subjektiv voraussehbar war. O d e r : Einer b e s o n d e r e n P r ü f u n g der subjektiven Voraussehbarkeit bedarf es hier nicht (o.ä.). 5. rechnen
2.2
Untergrenze; h a n d e l t d a h e r objektiv sorgfaltswidrig; e r h ö h t e
1.4
er „ n a c h seinen persönlichen
1.5
Z.B. Schwerhörigkeit; mangelnde Intelligenz; b e s t i m m t e Fähigkeiten, w e n n es auf sie a n k o m m t (z.B. S c h w i m m e n k ö n n e n ) ; Wissens- u n d Erfahrungslücken (z.B. A u t o a n f ä n g e r ) o.ä.
2.3
1. der Verkehrssitte, d e n Kunstregeln des Arztes, d e n leges artis (o.ä.) 2. b e s o n n e n e n ; Verkehrskreisen 3. objektive; nicht; sondern die Fähigkeiten und Kenntnisse eines einsichtigen und b e s o n n e n e n praktischen Arztes (o.ä.) 4. nicht objektiv sorgfaltswidrig 5. Nein! D e n n entfällt auch n u r ein einziges der vier k o n s t i t u t i v e n E l e m e n t e des s t r a f r e c h t l i c h e n Fahrlässigkeitsbegriffs, so k o m m t schon deshalb Fahrlässigkeit nicht in Betracht (o.ä.). Allerdings bleibt u n t e r b e s t i m m t e n V o r a u s s e t z u n g e n Übernahmefahrlässigkeit zu prüfen.
2.4
1. objektiv sorgfaltswidrig 2. Seine subjektive Sorgfaltswidrigkeit (und d a m i t a u c h mittelbar die subjektive Voraussehbarkeit des Erfolgs). 3. Mag A im Zeitpunkt des Unfalls auch so e r s c h ö p f t gewesen sein, d a ß er „ n a c h seinen persönlichen V e r h ä l t n i s s e n " zur B e a c h t u n g der objektiven Sorgfalt tatsächlich nicht m e h r fähig war, so ergibt sich seine objektive und seine subjektive Sorgfaltswidrigkeit j e d o c h u n t e r d e m Aspekt der Obernahmefahrlässigkeit. D e n n A h a t t e bei A n t r i t t seiner F a h r t e r k a n n t , daß er t o t a l e r s c h ö p f t u n d daher d e m A u t o f a h r e n nicht m e h r gewachsen war (o.ä.).
2.5
1. U h a n d e l t e schön nicht objektiv sorgfaltswidrig. Ein einsichtiger und b e s o n n e n e r Skiläufer (= Mensch in der Lage des Täters) wäre an diesem Tag in d e n nicht gesperrten, von vielen Skiläufern bereits benutzten u n d d a h e r offenbar unbedenklichen Steilhang ebenfalls eingefahren (o.a.). 2. U h a n d e l t e d a h e r erst recht auch nicht subjektiv sorgfaltswidrig. 3. Das Lawinenunglück war auch nicht objektiv voraussehbar, weil auch ein einsichtiger und besonnener Skiläufer dies gar nicht e r k e n n e n k o n n t e (o.ä.). Ein Indiz dafür ist, daß niemand (also o f f e n b a r auch nicht die Pistenverantwortlichen) mit d e m Abgang einer Lawine gerechnet h a t t e . 4. Nach seinen persönlichen Verhältnissen ( o r t s f r e m d e r Urlauber!) k o n n t e U dieses Unglück daher erst recht nicht voraussehen. Es fehlt also a u c h an der subjektiven Voraussehbarkeit des Erfolgs.
5.1
1. objektiv 2. Weil B genau die Therapie verordnet hat, die „ n a c h seinen persönlichen V e r h ä l t n i s s e n " (=Kenntnisse als Heilpraktiker) in einem solchen Falle angezeigt war (o.a.). 3. Die Fahrlässigkeit (insbesondere die objektive u n d subjektive Sorgfaltswidrigkeit) k ö n n t e j e d o c h darin gesehen w e r d e n , daß er als Heilpraktiker die B e h a n d l u n g einer a k u t e n B l i n d d a r m e n t z ü n d u n g überhaupt übernommen hat (Übernahmefahrlässigkeit) o.ä. Ergänzender K o m m e n t a r des Verfassers: Hierfür aber ist es erforderlich, daß er ü b e r h a u p t erkennen kann, daß seine F a c h r i c h t u n g und damit auch sein Fachwissen in solchen Fällen versagen. D e n n sonst würde es auch in dieser Hinsicht an der subjektiven Sorgfaltswidrigkeit fehlen. In dieser Beziehung bedarf der Sachverhalt offensichtlich n o c h weiterer A u f k l ä r u n g , bevor B w e g e n fahrlässiger T ö t u n g gemäß § 222 b e s t r a f t w e r d e n k a n n .
V e r h ä l t n i s s e n " zur B e a c h t u n g der objektiven Sorgfalt nicht fähig ist (o.ä.)
FAHRLÄSSIGKEITSDELIKTE 2
424
LE 26
L e r n z i e 1 : In dieser LE geht es u m d e n A u f b a u des Fahrlässigkeitsdelikts. Sie sollen in d e n Stand versetzt w e r d e n , die B e s o n d e r h e i t e n des Fahrlässigkeitsdelikts zu erfassen und eine solche Tat in der sachlich z w e c k m ä ß i g e n Reihenfolge d u r c h z u p r ü f e n .
(1)
Das allgemeine Fallprüfungsschema m i t seinen drei S t u f e n der der u n d der gilt nicht n u r für Vorsatzdelikte, s o n d e r n mit einigen Modifizierungen auch für Fahrlässigkeitsdelikte. Diese Modifizierungen hängen in erster Linie m i t dem Begriff der Fahrlässigkeit z u s a m m e n . Der strafrechtliche Begriff der Fahrlässigkeit ist ein k o m p l e x e s Gebilde. In ihm sind sowohl
(2)
objektive als auch
Elemente zusammengefaßt.
A u f b a u m ä ß i g gehören sie teils z u m U n r e c h t , teils zur Schuld. Die objektive Sorgfaltswidrigkeit der H a n d l u n g charakterisiert das spezifische Unrecht der Fahrlässigkeitstat. (3)
Wer alle Sorgfalt b e a c h t e t , zu d e r er verpflichtet ist, handelt nicht s c h u l d h a f t / nicht unrecht. Die objektive Sorgfaltswidrigkeit der H a n d l u n g ist somit bereits für die Tatbestandsmäßig-
(4)
keit / für die Schuld relevant u n d daher auf der S t u f e
zu prüfen.
Dasselbe gilt für die objektive Voraussehbarkeit des Erfolgs. (5)
Die objektive
des Erfolgs sind daher
der H a n d l u n g u n d die objektive m e r k m a l e im A u f b a u des
Fahrlässigkeitsdelikts.
(6) (7)
(8)
Demgegenüber b e t r e f f e n die b e i d e n subjektiven E l e m e n t e des strafrechtlichen Fahrlässigkeitsbegriffs nicht das , s o n d e r n ausschließlich die V o r w e r f b a r k e i t der Fahrlässigkeitstat. Beide E l e m e n t e sind daher elemente u n d ergeben die spezifische S c h u l d f o r m des Fahrlässigkeitsdelikts. S o w o h l die subjektive als auch die sehbarkeit des Erfolgs sind (wie der Vorsatz) auf der S t u f e zu prüfen. Die Z u o r d n u n g der vier Fahrlässigkeitselemente Fahrlässigkeitsbegriff
subjektive Sorgfaltswidrigkeit
subjektive Voraussehbarkeit des Erfolgs
Voraus-
LE 26
Fahrlässigkeitsdelikte 2
425
(1) T a t b e s t a n d s m ä ß i g k e i t ; Rechtswidrigkeit; Schuld (2) subjektive (3) nicht unrecht (4) für die T a t b e s t a n d s m ä ß i g k e i t ; ! (5) Sorgfaltswidrigkeit; Voraussehbarkeit; T a t b e s t a n d s m e r k m a l e (6) Unrecht (7) S c h u l d e l e m e n t e (8) Sorgfaltswidrigkeit; subjektive; III
I Die Tatbestandsmäßigkeit des Fahrlässigkeitsdelikts
Der Tatbestand eines Fahrlässigkeitsdelikts setzt sich aus den folgenden drei Tatbestands-
Das spezifische Unrecht und zugleich das besondere Kennzeichen der Fahrlässigkeitstat (1) besteht darin, daß der Täter eine Handlung vornimmt. Der Arzt Dr. Gammelsdorfer benutzt dieselbe Injektionsnadel unsterilisiert auch bei einem zweiten Patienten. Dieser wird infolgedessen mit Hepatitis infiziert und stirbt daran. (2) Worin besteht die objektive Sorgfaltswidrigkeit der Handlung des Arztes?
(3) Worin besteht das Unrecht der fahrlässigen Tötung des § 222?
Dr. med. Pechstein (P) injiziert bei einer langwierigen eitrigen Bronchitis die übliche Dosis Penicillin. Der Patient stirbt auf der Stelle an einem Penicillinschock. Das kommt zwar sehr selten vor, läßt sich bei Penicillininjektionen aber nie völlig ausschließen. Hat Dr. P eine objektiv sorgfaltswidrige Handlung vorgenommen? (4) J a / Nein Begründung:
(5) Die Handlung des Dr. P ist daher Unrecht / kein Unrecht. Der Führer des IC 13 7 ,,Toller Bomberg" sieht, wie ein PKW auf den unbeschrankten Bahnübergang zufährt. Er leitet, wie es seine Dienstvorschriften vorsehen, sofort die Schnellbremsung ein. Trotzdem wird das Auto vom Zug erfaßt und sein Fahrer getötet. (6)
Hat der Lokomotivführer den Tatbestand des § 222 erfüllt? J a / Nein
Begründung:
Halten Sie fest! Eine Tötung (Körperverletzung etc.) eines Menschen, die nicht auf objektiv sorgfaltswidrigem Verhalten beruht, ist Unglück, aber nicht Sie erfüllt nicht den des § 222 (§ 230 etc.). (8)
(7)
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Fahrlässigkeitsdelikte 2
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(1) objektiv sorgfaltswidrige (2) Er hat gegen eine lex artis verstoßen, weil er dieselbe Injektionsnadel unsterilisiert bei einem zweiten Patienten benutzt hat (o.a.). (3) Darin, daß der Täter durch eine objektiv sorgfaltswidrige Handlung einen Menschen tötet (o.a.). (4) Nein! Da die Injektion von Penicillin medizinisch durchaus angezeigt war, liegt kein Verstoß gegen eine lex artis vor (o.a.). Etwas anderes würde gelten, wenn dem Arzt die Penicillinunverträglichkeit des Patienten bekannt gewesen wäre. (5) kein Unrecht (6) Nein! Er hat alles getan, was die Dienstvorschriften für diesen Fall vorschreiben. Seine Handlung ist daher nicht objektiv sorgfaltswidrig. Damit entfällt der Tatbestand des § 222 (o.ä.). (7) Unrecht (8) Tatbestand
(2)
Die wichtigsten Fahrlässigkeitsdelikte, insbesondere fahrlässige T ö t u n g (§ 222) u n d fahrlässige Körperverletzung (§ 230) sind Erfolgsdelikte / Tätigkeitsdelikte.
Nicht anders als bei den vorsätzlichen Erfolgsdelikten gehört auch bei den fahrlässigen Erfolgsdelikten zum Tatbestand, daß die objektiv sorgfaltswidrige Handlung den tatbestands(3) mäßigen Traxler braust entgegen der Vorschrift des § 3 (3) Z 1 StVO mit mehr als 80 km/h über die verkehrsreiche Alfredstraße in Essen. Der Fußgänger F entgeht nur durch einen raschen Sprung zur Seite dem sicheren Tod. (4) Traxler hat damit zwar eine Handlung vorgenom(5) m e n . Der T a t b e s t a n d des § 222 (bitte lesen!) scheidet aber aus, weil (bitte ergänzen!)
(6) Ob die objektiv sorgfaltswidrige Handlung den verursacht hat, ist auch bei den fahrlässigen Erfolgsdelikten nach der Ihnen geläufigen Kausalitätsformel der theorie zu entscheiden. Am nächsten Tag fährt Traxler in der Huyssenallee wieder über 80 km/h. Dadurch wird die Hausfrau Palma Kunkel (K) leicht verletzt und auf dem Weg zum Arzt vom Blitz erschlagen.
(7)
Die objektiv sorgfaltswidrige Handlung des Traxler hat den Tod der K verursacht, weil (bitte ergänzen!)
Steht die Tatbestandsmäßigkeit der fahrlässigen T ö t u n g damit bereits abschließend fest? Begründung: (8) J a / Nein
LE 26
Fahrlässigkeitsdelikte 2
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(1) objektiv sorgfaltswidrigen Handlung; objektive Voraussehbarkeit (2) Erfolgsdelikte (3) Erfolg verursacht (herbeiführt o.a.) (4) objektiv sorgfaltswidrige (5) weil der tatbestandsmäßige Erfolg des § 2 2 2 (noch) nicht eingetreten ist (o.a.). Da auch kein anderes strafrechtliches Delikt in Betracht kommt, kann die Tat des A nur als Verkehrsordnungswidrigkeit gemäß § 24 StVG i.V.m. § 49 (1) Z 3 StVO geahndet werden. (6) tatbestandsmäßigen Erfolg; Äquivalenztheorie (7) sie nicht weggedacht werden kann, ohne daß dieser Tod der K, d.h. der Erfolg in seiner konkreten Gestalt entfiele (o.a.). Wer bei dieser Frage „gestolpert" ist, sollte LE 10 wiederholen. (8) Nein! Es bleibt noch die objektive Voraussehbarkeit dieses Erfolgs zu prüfen (o.a.).
Wir halten also fest! (1) Daß der Täter eine objektiv sorgfaltswidrige Handlung vorgenommen und einen tatbestandsmäßigen Erfolg herbeigeführt hat, genügt bereits / genügt noch nicht zur Bejahung der eines fahrlässigen Erfolgsdelikts. Stets (2) muß die einschließlich des Kausalverlaufes in seinen wesentlichen Zügen hinzutreten. (3)
Ist es objektiv voraussehbar, daß die von Traxler nur leicht angefahrene K auf dem Weg zum Arzt vom Blitz erschlagen wird? (4) J a / Nein Begründung:
(5) Damit entfällt für Traxler der Tatbestand / die Rechtswidrigkeit / die Schuld bezüglich der fahrlässigen Tötung (§ 222). Sie erkennen nunmehr auch die spezifische Filterfunktion der objektiven Voraussehbarkeit innerhalb des Tatbestandes des fahrlässigen Erfolgsdelikts. Die objektive Voraussehbarkeit des Erfolgs ist ein notwendiges Korrektiv für die in ihren uferlosen Konsequenzen bei den Fahrlässigkeitsdelikten sonst unerträgliche Äquivalenztheorie. Aber beachten Sie! Objektiv voraussehbar war immerhin, daß infolge der Geschwindigkeitsüberschreitung des Traxler (§ 3 (3) Z 1 StVO) jemand körperlich verletzt werden könnte. Daher ist insoweit (6) der Tatbestand des § erfüllt.
428
Fahrlässigkeitsdelikte 2
LE 26
(1) dadurch; genügt noch nicht; Tatbestandsmäßigkeit (2) objektive Voraussehbarkeit des Erfolgs (3) objektiv sorgfaltswidrigen Handlung. Dadurch (4) Nein! Ein einsichtiger und besonnener Mensch in der Lage des Traxler hätte zwar die Tötung der K unmittelbar durch das Anfahren, nicht aber durch den Blitz vorausgesehen. Dieser Kausalverlauf liegt außerhalb der allgemeinen Lebenserfahrung (o.a.). (5) der Tatbestand (6) § 230 = fahrlässige Körperverletzung
II Die Rechtswidrigkeit des Fahrlässigkeitsdelikts
(1)
Die Rechtswidrigkeit einer fahrlässigen T a t kann ebenso wie bei den Vorsatztaten durch ausgeschlossen sein. In der Praxis k o m m e n im wesentlichen Notwehr und rechtfertigender Notstand in Betracht. Der eifersüchtige A dringt mit erhobenem Messer auf seinen Nebenbuhler N ein, um diesen zu erstechen. N zieht seinen Revolver, zieltauf den Arm des A, t r i f f t aber dessen Oberkörper. A stirbt. Der Kürze wegen wollen wir unterstellen, daß für N alle drei objektiven Tatbestandsmerkmale der fahrlässigen T ö t u n g (§ 222) erfüllt sind.
(2)
(3)
In Betracht k o m m t der Rechtfertigungsgrund des § Die Notwehrsituation ist unproblematisch. Denn das Eindringen des A auf den N mit erh o b e n e m Messer ist ein g Schwierigkeiten bereitet allein die Notwehrhandlung, u n d zwar insbesondere das Merkmal der „Erforderlichkeit".
Hier k o m m t es auf die konkreten Umstände an. Liegt die T ö t u n g des Angreifers nach den konkreten Umständen überhaupt im Bereich des Erforderlichen, so m a c h t es einen Unter(4) schied / keinen Unterschied, o b der tödliche Schuß gezielt oder abgegeben worden ist. (5)
Um den Angriff des A sofort u n d endgültig abzuwehren, d u r f t e N den Angreifer nur verletzen / auch erschießen.
(6) Das subjektive Rechtfertigungselement, der nicht gegeben. (7)
, ist bei N gegeben /
N kann demnach wegen fahrlässiger T ö t u n g (§ 222) bestraft / nicht bestraft werden, weil (bitte ergänzen!)
Am Freiburger Bertoldsbrunnen bricht ein 48jähriger Oberstudienrat zusammen. Ein Passant (P) trägt ihn unter die Arkaden und beginnt sofort mit einer Herzdruckmassage. Dabei drückt er dem Bewußtlosen zwei Rippen ein, aber er rettet ihm das Leben. Soweit bezüglich des Brechens der beiden Rippen fahrlässige Körperverletzung (§ 230) (8) in Betracht k o m m t , ist die Tat des P durch gerechtfertigt.
LE 26
Fahrlässigkeitsdelikte 2 (1) (4) (7) (8)
429
Rechtfertigungsgründe (2) § 3 2 (3) gegenwärtiger rechtswidriger Angriff keinen Unterschied; ungezielt (o.a.) (5) auch erschießen (6) Verteidigungswille; gegeben nicht bestraft werden; seine Handlung durch Notwehr gerechtfertigt ist (o.ä.) rechtfertigenden Notstand
III Die Fahrlässigkeitsschuld
Wie mit dem Begriff der Vorsatzschuld verbindet sich auch mit der Fahrlässigkeitsschuld (1) ein sozialethisches urteil. Maßstab des strafrechtlichen Schuldvorwurfs ist sowohl bei der Vorsatzschuld als auch bei (2) der Fahrlässigkeitsschuld der maßgerechte, d.h. der auf dem Boden der stehende Mensch. Speziell mit dem Unwerturteil der Fahrlässigkeitsschuld wird dem Täter vorgeworfen, daß (3) er nicht jene S beachtet hat, die an seiner Stelle ein beachtet hätte. Im Begriff der Fahrlässigkeitsschuld sind jene Voraussetzungen zusammengefaßt, die erfüllt sein müssen, damit gegen einen Fahrlässigkeitstäter ein Schuldvorwurf erhoben werden kann. Das Lernprogramm kann sich im folgenden kurzfassen, da einzelne Schuldelemente der Fahrlässigkeitsschuld mit jenen der Vorsatzschuld identisch sind und die subjektiven Elemente der Fahrlässigkeit bereits vorweg behandelt wurden (LE 25). Die Fahrlässigkeitsschuld besteht aus den folgenden fünf Schuldelementen:
Für die Schuldfähigkeit gelten keine Besonderheiten. Der gemeingefährliche und hochgradig schwachsinnige Hinnerk Knaack (K) aus Rispel hantiert unvorsichtig mit den Streichhölzern und setzt dadurch eine fremde Scheune in Brand. Kann K wegen fahrlässiger Brandstiftung (§ 309) bestraft werden? (4) J a / Nein Begründung: Kann aus Anlaß dieser Tat über ihn eine Maßregel gemäß § 63 (1) verhängt werden? (5) J a / Nein Begründung:
430
Fahrlässigkeitsdelikte 2 .
LE 26
(1) Unwerturteil (2) Rechtsordnung (3) Sorgfalt; maßgerechter Mensch (4) Nein! K ist nicht schuldfähig (§ 20). (5) Ja! § 63 (1) differenziert nicht nach Vorsatz- oder Fahrlässigkeitstaten. § 63 (1) stellt nur auf die Rechtswidrigkeit der (Anlaß-) Tat und eine besondere Gefährlichkeit des Täters ab. Beides ist hier erfüllt.
Der strafrechtliche Begriff der Fahrlässigkeit ist im Rahmen des Fallprüfungsschemas zwei Stufen zuzuordnen. (1) Die objektive Sorgfaltswidrigkeit und die gehören zum jektiven Elemente gehören zur
der Fahrlässigkeitstat, die beiden sub-
Infolge plötzlicher Kreislaufbeschwerden verliert A die Kontrolle über seinen Wagen, kommt auf die linke Straßenseite und streift einen entgegenkommenden PKW. Dessen Fahrer wird leicht verletzt (= § 230). Der Sorgfaltsverstoß des A liegt darin, daß er entgegen § 2 (1) StVO (bitte lesen!) nicht die (3) rechte Fahrbahn benutzt hat. Dennoch darf A aus objektiven Gründen / aus subjektiven (4) Gründen nicht nach § 230 verurteilt werden. Es entfällt die subjektive , weil (bitte ergänzen!)
Im allgemeinen bedürfen die beiden subjektiven Fahrlässigkeitselemente keiner ausführlichen Erörterung. Meist genügt bereits die Feststellung, daß die beiden objektiven Fahr(5) Iässigkeitselemente gegeben sind. Warum?
Die Frage nach der subjektiven Sorgfaltswidrigkeit bzw. nach der subjektiven Voraussehbarkeit des Erfolgs muß aber in solchen Fällen angeschnitten und je nachdem auch mehr (6) oder weniger eingehend erörtert werden, in welchen (bitte ergänzen!)
(7) Das trifft im Falle der Unpäßlichkeit des A zu / nicht zu.
LE 26
431
Fahrlässigkeitsdelikte 2
(1) (2) (4) (5)
objektive Voraussehbarkeit des Erfolgs; Unrecht bzw. Tatbestand; Schuld Schuldfähigkeit; aktuelles oder potentielles Unrechtsbewußtsein (3) aus subjektiven Gründen Sorgfaltswidrigkeit; er nach seinen persönlichen Verhältnissen nicht anders handeln konnte (o.a.) Weil die objektive Sorgfaltswidrigkeit die subjektive indiziert und die objektive Voraussehbarkeit des Erfolgs die subjektive Voraussehbarkeit (o.a.). (6) sich Anhaltspunkte dafür ergeben, daß der Täter aus subjektiven Gründen nicht fahrlässig gehandelt hat (o.ä.) (7) zu
(1)
In Übereinstimmung mit Praxis u n d Lehre ist davon auszugehen, daß sich die Probleme des Unrechtsbewußtseins nicht nur bei der Vorsatzschuld, sondern auch bei der schuld stellen können. Diese Frage kann z.B. bei einem Österreicher a u f t r e t e n , der vor einem deutschen Gericht fahrlässig etwas Falsches beschwört (= § 163 (1)) u n d sich des Unrechts seiner Handlung deshalb nicht bewußt ist, weil in seinem Heimatland nur der vorsätzliche Falscheid (= Meineid) mit Strafe b e d r o h t ist u n d der Richter ihn über die Strafbarkeit des fahrlässigen Falscheides (§ 163 (1)) auch nicht belehrt hat.
(2)
In einem solchen Falle fehlt dem Täter nur das aktuelle / nur das potentielle / sowohl das aktuelle als auch das potentielle Unrechtsbewußtsein. Meist präsentiert sich das Problem des Unrechtsbewußtseins bei einer Fahrlässigkeitstat von einer etwas diffizileren Seite. Dazu folgendes Beispiel: Besserer Hund nebst feiner Dame trippeln über die Düsseldorfer „Kö". „Brav, Moustache", lobt ihn sein Frauchen (F), als er sein „Geschäft" auf den Gehsteig setzt. Der Nachfolgende kommt zu Fall, bricht sich einen Arm und zeigt F wegen fahrlässiger Körperverletzung (§ 230) an. Lesen Sie bitte § 3 2 ( 1 ) Satz 1 StVO!
(3)
Die F k a n n t e diese Vorschrift nicht. Es liegt nahe, daß sie sich daher darauf b e r u f t , sie habe das Unrecht ihrer Handlung nicht erkannt, weil (bitte ergänzen!)
(4) Damit m a c h t die F einen direkten / indirekten Verbotsirrtum (§ ) geltend. (5) Dieser Irrtum war vermeidbar / nicht vermeidbar, weil (bitte ergänzen!)
(6)
Die F hat also mit aktuellem / potentiellem Unrechtsbewußtsein gehandelt. Wie beim Vorsatzdelikt sind ausdrückliche Feststellungen zu diesem Schuldelement in der Praxis aber nur zu t r e f f e n , wenn begründete Zweifel am Unrechtsbewußtsein des Täters bestehen, insbesondere w e n n er sich auf das Fehlen des Unrechtsbewußtseins explizit b e r u f e n hat.
Halten Sie fest! (7) Auch der Fahrlässigkeitstäter m u ß nicht unbedingt mit (8) bewußtsein gehandelt haben. Wie beim Vorsatzdelikt genügt das bewußtsein.
UnrechtsUnrechts-
LE 26
Fahrlässigkeitsdelikte 2
432 (1) (3) (4) (5)
Fahrlässigkeitsschuld (2) sowohl das aktuelle als auch das potentielle Unrechtsbewußtsein sie sich der ihr gemäß § 32 (1) Satz 1 StVO obliegenden Sorgfaltspflichten nicht bewußt war (o.a.) direkten Verbotsirrtum (§ 17) vermeidbar; sich F mit der Vorschrift des § 32 (1) Satz 1 StVO nicht bekannt gemacht hat, obwohl sie den Umständen nach (d.h. hier als „Tierhalterin") dazu verpflichtet gewesen wäre. Man kann es auch anders ausdrucken: Jeder Hundehalter muß wissen, daß ein solches „Geschäft" mitten auf dem Gehsteig gefährlich ist, weil man darauf ausrutschen kann. (6) potentiellem Unrechtsbewußtsein (7) aktuellem (8) potentielle
N u n zum letzten Element der Fahrlässigkeitsschuld, der Z u m u t b a r k e i t sorgfaltsgemäßen Handelns. Dieses S c h u l d e l e m e n t h a t e r h e b l i c h e p r a k t i s c h e B e d e u t u n g . Der S c h u l d v o r w u r f d e r F a h r l ä s s i g k e i t s s c h u l d setzt v o r a u s , d a ß die B e a c h t u n g d e r o b j e k (1) tiven u n d s u b j e k t i v e n S o r g f a l t d e m T ä t e r ,,
" g e w e s e n sein m u ß .
Bei d e r Z u m u t b a r k e i t s o r g f a l t s g e m ä ß e n V e r h a l t e n s h a n d e l t es sich u m ein s e l b s t ä n d i g e s u n d selbständig zu p r ü f e n d e s E l e m e n t d e r F a h r l ä s s i g k e i t s s c h u l d . A u c h bei d e n F a h r l ä s s i g k e i t s t a t e n gibt es S i t u a t i o n e n , in d e n e n ä u ß e r e o d e r i n n e r e Z w ä n ge e i n e n so s t a r k e n M o t i v a t i o n s d r u c k auf d e n T ä t e r a u s ü b e n , daß sie d e m T ä t e r die Er(2)
f ü l l u n g seiner
p f l i c h t in a u ß e r g e w ö h n l i c h e m M a ß e e r s c h w e r e n .
(3)
In e i n e m s o l c h e n Fall ist
(4)
b a r . A n d e r s a u s g e d r ü c k t : Die s o r g f a l t s w i d r i g e H a n d l u n g ist g e r e c h t f e r t i g t / e n t s c h u l d i g t .
Verhalten nicht zumut-
(5)
densein / d e m Nichtvorhandensein von
In ihrer F u n k t i o n e n t s p r i c h t die U n z u m u t b a r k e i t s o r g f a l t s g e m ä ß e n H a n d e l n s d e m V o r h a n g r ü n d e n bei
der Vorsatzschuld. Der E n t s c h u l d i g u n g s g r u n d des § 3 5 (1) ist allenfalls A n h a l t s p u n k t , n i c h t a b e r G r e n z e für die B e s t i m m u n g d e r U n z u m u t b a r k e i t b e i einer Fahrlässigkeitstat. Die U n z u m u t b a r k e i t s o r g f a l t s g e m ä ß e n V e r h a l t e n s w i r d b e i F a h l ä s s i g k e i t s d e l i k t e n a u c h j e n s e i t s d e r f ü r die Vors a t z d e l i k t e d u r c h § 3 5 (1) g e z o g e n e n S c h r a n k e n b e r ü c k s i c h t i g t . Ein Fährmann (F) kentert mit seinem beiden Fahrgäste ertrinken.
Boot
bei Sturm
und Hochwasser
auf dem Main.
Seine
A n g e k l a g t g e m ä ß § 2 2 2 m a c h t e F zu seiner V e r t e i d i g u n g g e l t e n d , d a ß i h n b e i d e F a h r g ä s t e t r o t z seiner H i n w e i s e auf die G e f ä h r l i c h k e i t d e r Ü b e r f a h r t u n a u s g e s e t z t g e d r ä n g t u n d zul e t z t sogar s e i n e n M u t in Z w e i f e l g e z o g e n h ä t t e n . (6)
Die V o r a u s s e t z u n g e n des § 3 5 (1) sind s c h o n d e s h a l b n i c h t erfüllt, weil ( b i t t e e r g ä n z e n ! )
Das G e r i c h t h a t F u n t e r d e n g e s c h i l d e r t e n U m s t ä n d e n g l e i c h w o h l U n z u m u t b a r k e i t sorg(7)
f a l t s g e m ä ß e n V e r h a l t e n s zugebilligt u n d i h n g e m ä ß § 2 2 2 v e r u r t e i l t / v o n d e r A n k l a g e des § 222 freigesprochen.
L E 26
433
Fahrlässigkeitsdelikte 2 (1) „ z u z u m u t e n " ( = zumutbar) (2) Sorgfaltspflicht (3) sorgfaltsgemäßes (4) entschuldigt ( 5 ) d e m Vorhandensein von Entschuldigungsgriinden ( 6 ) es bereits an der e n t s c h u l d i g e n d e n N o t s t a n d s s i t u a t i o n fehlt ( k e i n e G e f a h r für Rechtsgüter) o.a. ( 7 ) von der A n k l a g e d e s § 2 2 2 f r e i g e s p r o c h e n
notstandsfähige
ZUSAMMENFASSUNG A Unterschiede zwischen Vorsatz- und Fahrlässigkeitsdelikten Im Vergleich zu den Vorsatzdelikten sind die Fahrlässigkeitsdelikte kein bloßes „Minus", sondern ein „Aliud" mit eigenständiger Struktur. Dies gilt sowohl für das Unrecht als auch für die Schuld. 1. Auch die fahrlässige Tat, die nicht durch Rechtfertigunsgründe gerechtfertigt ist, verstößt gegen die Rechtsordnung als Ganzes und ist in diesem Sinne Unrecht. Im Unterschied zur Vorsatztat besteht das spezifische Unrecht der Fahrlässigkeitstat aber darin, daß der Täter eine objektiv sorgfaltswidrige Handlung vorgenommen hat. 2. Bei den Vorsatzdelikten wird dem Täter mit dem Unwerturteil der Schuld vorgeworfen, daß er sich willentlich gegen das Recht und für das Unrecht entschieden hat, obwohl ein maßgerechter Mensch an seiner Stelle sich für das Recht und gegen das Unrecht entschieden hätte. Bei den Fahrlässigkeitsdelikten wird dem Täter mit dem Unwerturteil der Schuld dagegen vorgeworfen, daß er nicht jene Sorgfalt beachtet hat, die an seiner Stelle ein maßgerechter Mensch beachtet hätte. 3. Anders als der Vorsatz ist die Fahrlässigkeit nicht bloße Schuldform, sondern eine Verhaltensform, die Unrechts- und Schuldelemente in sich vereinigt. Die beiden objektiven Elemente des strafrechtlichen Fahrlässigkeitsbegriffs werden der Stufe der Tatbestandsmäßigkeit, die beiden subjektiven Fahrlässigkeitselemente der Stufe der Schuld zugeschlagen. Im Fallprüfungsschema für das Fahrlässigkeitsdelikt ist diese „Zweistufigkeit" des strafrechtlichen Fahrlässigkeitsbegriffs berücksichtigt. Vgl. S. 436. B Der Aufbau des Fahrlässigkeitsdelikts Das allgemeine dreigliedrige Fallprüfungsschema gilt im Prinzip auch für die Fahrlässigkeitsdelikte. Im Hinblick auf den Begriff der Fahrlässigkeit ergeben sich jedoch nicht unerhebliche Modifizierungen. I Die Tatbestandsmäßigkeit des fahrlässigen Delikts Das Kennzeichen der fahrlässigen Tat besteht in der Vornahme einer objektiv sorgfaltswidrigen Handlung. Bei jenen Fahrlässigkeitsdelikten, die reine Tätigkeitsdelikte sind, erschöpft sich darin der Tatbestand des Delikts. Beispiel: Beim fahrlässigen Falscheid (§ 163 (1)) erschöpft sich das Unrecht der Tat in dem Beschwören einer Aussage, deren Unrichtigkeit bei sorgfaltsgemäßem Verhalten erkennbar
434
Fahrlässigkeitsdelikte 2
LE 26
gewesen wäre. Da dieser Tatbestand den Eintritt eines Erfolgs nicht voraussetzt, entfällt bei diesem Delikt wie bei allen anderen fahrlässigen Tätigkeitsdelikten einerseits die Prüfung der Kausalität und andererseits die Prüfung sowohl der objektiven als auch der subjektiven Voraussehbarkeit des Erfolgs. Wegen der Einzelheiten zur objektiven Sorgfaltswidrigkeit der Handlung vgl. bereits LE 25. Die meisten und vor allem die für die Praxis wichtigsten Fahrlässigkeitsdelikte, nämlich fahrlässige Tötung (§ 222) und fahrlässige Körperverletzung (§ 230), sind jedoch Erfolgsdelikte. Bei ihnen muß zur objektiv sorgfaltswidrigen Handlung die Verursachung des tatbestandsmäßigen Erfolgs hinzutreten. Der tatbestandsmäßige Erfolg muß durch die objektiv sorgfaltswidrige Handlung verursacht worden sein. Die Feststellung dieser Ursächlichkeit richtet sich wie bei den vorsätzlichen Erfolgsdelikten nach der Kausalitätsformel der Äquivalenztheorie. Ein weiteres Tatbestandsmerkmal der fahrlässigen Erfolgsdelikte ist die objektive Voraussehbarkeit des Erfolgs. Dieses Erfordernis erfüllt in der Praxis vor allem die Funktion eines unentbehrlichen Korrektivs für die in ihren uferlosen Konsequenzen sonst unerträgliche Äquivalenztheorie. Maßgebender Zeitpunkt für die Voraussehbarkeit des Erfolgs ist der Zeitpunkt der Handlung. Näheres zur objektiven Voraussehbarkeit des Erfolgs vgl. bereits LE 25. II Die Rechtswidrigkeit des fahrlässigen Delikts Auch bei den Fahrlässigkeitsdelikten können Rechtfertigungsgründe in Betracht kommen, und zwar insbesondere Notwehr und rechtfertigender Notstand. In der Praxis treten Rechtfertigungsprobleme bei einer Fahrlässigkeitstat - anders als bei der Vorsatztat - aber nur selten auf. III Die Fahrlässigkeitsschuld Zur Schuldfähigkeit bzw. Schuldunfähigkeit vgl.§§ 19, 20. Auf der Stufe der Schuld ist vor allem zu prüfen, ob der Täter „nach seinen persönlichen Verhältnissen" fähig war, die objektive Sorgfalt zu beachten (= subjektive Sorgfaltswidrigkeit) und den eingetretenen Erfolg vorauszusehen (= subjektive Voraussehbarkeit des Erfolgs). Entfällt auch nur eines dieser beiden subjektiven Fahrlässigkeitselemente, handelt der Täter nicht schuldhaft. Eine andere Frage ist es, wie ausführlich diese beiden Prüfungen im konkreten Fall durchgeführt werden müssen. Die Praxis bedient sich hier meist eines vereinfachten Verfahrens. Im Regelfall ist die subjektive Sorgfaltswidrigkeit der Handlung durch die objektive Sorgfaltswidrigkeit und die subjektive Voraussehbarkeit des Erfolgs durch die objektive Voraussehbarkeit des Erfolgs indiziert. Eines näheren Eingehens auf diese beiden subjektiven
Fahrlässigkeitsdelikte 2
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435
Fahrlässigkeitselemente bedarf es daher nur in solchen Fällen, in d e n e n sich aus dem Sachverhalt A n h a l t s p u n k t e d a f ü r ergeben, daß in dieser Hinsicht Zweifel b e s t e h e n . Einzelheiten w u r d e n bereits in LE 2 5 dargestellt. Auch der Fahrlässigkeitstäter k a n n nur d a n n b e s t r a f t w e r d e n , w e n n er m i t Unrechtsbewußtsein gehandelt hat. Die Frage der Nachweisbarkeit des U n r e c h t s b e w u ß t s e i n s wird aber nicht n u r für die Vorsatzdelikte, s o n d e r n auch für die Fahrlässigkeitsdelikte d a d u r c h e n t s c h ä r f t , daß n e b e n d e m ( o f t nicht gegebenen oder nicht nachweisbaren) aktuellen U n r e c h t s b e w u ß t s e i n auch das b l o ß p o t e n t i e l l e U n r e c h t s b e w u ß t s e i n als ausreichend angesehen wird. Die P r o b l e m e des direkten oder des indirekten V e r b o t s i r r t u m s k ö n n e n daher auch b e i m Fahrlässigkeitsdelikt auftreten. Der nicht vermeidbare V e r b o t s i r r t u m schließt auch b e i m Fahrlässigkeitsdelikt die Schuld aus ( § 1 7 Satz 1). Der vermeidbare V e r b o t s i r r t u m läßt die S t r a f d r o h u n g wegen fahrlässiger T a t b e s t e h e n , kann aber zur S t r a f m i l d e r u n g f ü h r e n (vgl. § 17 Satz 2 i.V.m. § 49 (1)). Die U n z u m u t b a r k e i t sorgfaltsgemäßen H a n d e l n s bildet ein selbständiges u n d selbständig zu p r ü f e n d e s E l e m e n t der Fahrlässigkeitsschuld. Es handelt sich u m einen generalklauselartigen Entschuldigungsgrund. Es k ö n n e n insbesondere auch Verhaltensweisen entschuldigt sein, die den strengen A n f o r d e r u n g e n des p r i m ä r auf die Vorsatzdelikte zugeschnittenen § 3 5 (1) nicht e n t s p r e c h e n . Der Entschuldigungsgrund der U n z u m u t b a r k e i t k o m m t in solchen Fällen zum Zuge, in denen der Täter zwar objektiv u n d subjektiv sorgfaltswidrig gehandelt hat, m a n i h m diese Sorgfaltswidrigkeit aber nicht v o r w e r f e n k a n n , weil ä u ß e r e o d e r innere Zwänge einen zu starken M o t i v a t i o n s d r u c k auf ihn ausgeübt h a b e n . U n z u m u t b a r k e i t sorgfaltsgemäßen Verhaltens ist etwa in folgenden Fällen a n z u n e h m e n . Beispiel 1: Auf die H i o b s b o t s c h a f t eines Grubenunglücks l ä u f t die E h e f r a u eines eingefahrenen Bergarbeiters angsterfüllt zur Zeche u n d vergißt, das Bügeleisen abzuschalten. Als sie z u r ü c k k e h r t , steht das Haus in F l a m m e n . Beispiel 2: Ein Hauseigentümer schleppt in der A u f r e g u n g der Löscharbeiten b e i m Brand seines Hauses die Leiter von der Rückseite des Gebäudes auf die Vorderseite u n d übersieht, daß er d a d u r c h einem eingeschlossenen H a u s b e w o h n e r die letzte R e t t u n g s m ö g l i c h k e i t nimmt. Leitprinzip für die Entschuldigung eines sorgfaltswidrigen Verhaltens durch U n z u m u t b a r keit ist die Erwägung, ob von einem m a ß g e r e c h t e n Menschen in der Lage des T ä t e r s sorgfaltsgemäßes Handeln zu e r w a r t e n war. A n diesem Maßstab gemessen ist die Entschuldigung u n d d a m i t die Straflosigkeit des Täters im Fährmannsbeispiel (S. 4 3 2 ) nicht ganz u n p r o b l e m a t i s c h .
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Fahrlässigkeitsdelikte 2 Fallprüfungsschema Das Fahrlässigkeitsdelikt dargestellt am Beispiel des fahrlässigen Erfolgsdelikts
LE 26
TE 26
Testfragen zur LE 26
437
Sachverhalt: Während des abendlichen Stoßverkehrs in Tübingen strebt Frau Birzele (B) mit ihren beiden äußerst lebhaften Kindern über die Neckarbrücke nach Hause. An der linken Hand führt sie den 3jährigen Peter-Christian (P), an der rechten die 4jährige Tina (T). Beim „Tengelmann" reißt sich T plötzlich los und springt auf die stark befahrene Straße zu. Damit ihre Tochter nicht überfahren wird, läßt B ihren Jüngsten los, eilt hinter T her und hält sie gerade noch rechtzeitig zurück. Inzwischen ist der Junge auf die Fahrspur gelaufen und wird von dem Studenten S zu Tode gefahren.
unaufmerksamen
Aufgabe: Ist B wegen fahrlässiger Tötung (§ 222) zu bestrafen? Hinweise: Ein ganz alltäglicher Fall, der gerade deshalb seine Tücken hat. Am besten begegnet man diesen Tücken, wenn man den Sachverhalt a) streng systematisch anhand des Aufbauschemas des Fahrlässigkeitsdelikts durchprüft und b) streng darauf achtet, daß die Rettungshandlung bezüglich der T u n d das Loslassen des P zwei ganz verschiedene Handlungen sind. 1.1
Unter dem Aspekt einer fahrlässigen Handlung der B ist ausschließlich die Rettung der T / das Loslassen des P zu untersuchen.
I Tatbestandsmäßigkeit
2.1
Das Loslassen des dreijährigen P ist objektiv sorgfaltswidrig, weil (bitte ergänzen!)
2.2
Hat Frau B durch ihre objektiv sorgfaltswidrige Handlung den Tod des P verursacht? J a / Nein Begründung:
2.3
Der Tod des P war objektiv voraussehbar, weil (bitte ergänzen!)
II
2.4
Rechtswidrigkeit
Liegt ein Rechtfertigungsgrund für das Verhalten der B, insbesondere rechtfertigender Notstand, vor? J a / Nein Begründung:
Testfragen
438
TE 26
III Schuld
2.5
Ausführungen zur Schuldfähigkeit (§ 20) der B sind nötig / sind nicht nötig, weil (bitte ergänzen!)
2.6
Hat B J a / Nein
2.7
Der eingetretene Erfolg, also der Tod des P, wäre für die B nur dann nicht subjektiv voraussehbar, wenn sich aus dem Anhaltspunkte dafür ergeben würden, daß (bitte ergänzen und möglichst genau formulieren!)
sorgfaltswidrig gehandelt, indem sie den P losgelassen hat? Begründung:
Aus dem Sachverhalt ergeben sich solche / keine solchen Anhaltspunkte. Mithin war der Tod des P auch für die B (= subjektiv) voraussehbar. 2.8
Ergeben sich aus dem Sachverhalt hinreichende Anhaltspunkte, die Frage des Unrechtsbewußtseins aufzuwerfen? J a / Nein
2.9
Das eigentliche Problem dieses Falles auf der Ebene der Schuld betrifft die Zumutbarkeit: War der B unter den geschilderten Umständen sorgfaltsgemäßes Handeln in bezug auf P nicht mehr zumutbar?
2.10 Ergebnis: Frau B kann daher wegen fahrlässiger Tötung (§ 222) ihres Sohnes bestraft werden / nicht bestraft werden. Ob der Autofahrer deswegen bestraft werden kann, ist eine ganz andere Frage.
TE 26
439
Test fragen
2.11 Autobahn Karlsruhe-Basel. Wenig Verkehr. Ideale Straßenverhältnisse. Keine Geschwindigkeitsbeschränkung. Die Tachonadel pendelt zwischen 150 und 160 km/h. Plötzlich platzt der rechte Vorderreifen. Der Wagen überschlägt sich mehrfach. Der Beifahrer ist tot. Der Fahrer (F) kommt wie durch ein Wunder mit dem Leben davon. Beide waren angeschnallt. Kilometerstand des verunglückten Neuwagens: 12676. Eine Bestrafung des F wegen fahrlässiger Tötung (§ 222) scheidet aus, weil er nicht tatbestandsmäßig / nicht rechtswidrig / nicht schuldhaft gehandelt hat. Begründung:
5.1
Gibt es einen Versuch beim Fahrlässigkeitsdelikt? J a / Nein Begründung (gut überlegen!):
5.2
Mithin kann es beim Fahrlässigkeitsdelikt auch einen Rücktritt / keinen Rücktritt geben.
3.1
Welche Rechtsfolgen zieht der Verbotsirrtum bei einer Fahrlässigkeitstat nach sich?
4.1
Nehmen Sie an, Sie haben ein Vorsatzdelikt geprüft und sind zum Ergebnis gekommen, daß beim Täter ein Tatbestandsirrtum vorliegt. Unter welchen Voraussetzungen kann der Täter wegen werden?
Tat bestraft
Literatur: Zur Gegenüberstellung von Vorsatz- und Fahrlässigkeitsdelikten vgl. Bockelmann aaO. § 20 A I—II; Wessels aaO. § 15 I. Zur Unzumutbarkeit sorgfaltsgemäßen Verhaltens vgl.Jescheck aaO. § 57 IV; Maurach aaO. § 44 II C. Zum Aufbau des Fahrlässigkeitsdelikts vgl. Kienapfel aaO. § 6 B; MezgerBlei aaO. § 66 II.
440
Antworten
TE 26
1.1
das Loslassen des P. (Für die Frage der Rechtswidrigkeit darauf an, warum B den Dreijährigen losgelassen hat).
bzw. der Schuld kommt es natürlich auch noch
2.1
eine einsichtige und besonnene Mutter einen Dreijährigen, der „äußerst lebhaft" und an diszipliniertes Verhalten im Straßenverkehr noch nicht gewöhnt ist, nicht von der Hand läßt, damit ihm nichts passiert (o.a.).
2.2
Ja! Denn das Loslassen des P kann nicht weggedacht werden, ohne daß sein Tod entfiele (o.a.). Daß P außerdem durch die eigene Unaufmerksamkeit und durch jene des S umgekommen ist, steht dem nicht entgegen. Es gibt keine „Unterbrechung des Kausalzusammenhanges".
2.3
es allgemeiner Lebenserfahrung entspricht, daß Kinder in diesem Alter ohne besonderen Anlaß auf die Fahrbahn springen und auf diese Weise zu Tode kommen. Diese Gefahr hätte auch ein einsichtiger und besonnener Mensch in der Lage der B erkannt. Daß P überfahren und dabei getötet werden könnte, war daher objektiv voraussehbar (o.a.)
2.4
Nein! Die Situation des rechtfertigenden Notstands liegt zwar vor. Denn es besteht eine gegenwärtige Gefahr für das Leben der T. Im übrigen aber steht Leben gegen Leben. Bei Gleichwertigkeit der kolliedierenden Interessen scheidet rechtfertigender Notstand aus (o.a.).
2.5
sind nicht nötig; sich aus dem Sachverhalt keine Anhaltspunkte ergeben (o.a.)
2.6
subjektiv. Ja! Nur dann hätte B nicht subjektiv sorgfaltswidrig gehandelt, wenn sie nach ihren „persönlichen Verhältnissen" zur Beachtung der objektiven Sorgfalt nicht fähig gewesen wäre. Aus dem Sachverhalt ergeben sich aber keine Anhaltspunkte dafür, daß bei B körperliche Mängel, Verstandesfehler oder Wissens- oder Erfahrungslücken vorliegen. Daher ist auch die subjektive Sorgfaltswidrigkeit ihrer Handlung gegeben (o.a.).
2.7
Sachverhalts; B nach ihren „persönlichen Verhältnissen" die Gefahr des Eintritts des Erfolgs nicht erkennen konnte; keine solchen Anhaltspunkte.
2.8
Nein!
2.9
Entscheidend ist, ob die B einem so starken Motivationsdruck ausgesetzt war, daß auch von einem maßgerechten Menschen in der Lage der B die Einhaltung der für die Beaufsichtigung des P objektiv erforderlichen Sorgfalt nicht mehr verlangt werden konnte. Diese Frage ist zu bejahen (o.a.). Im vorliegenden Fall wären sogar die Voraussetzungen des § 35 (1) erfüllt. Aber darauf kommt es für den Entschuldigungsgrund der Unzumutbarkeit bei Fahrlässigkeitsdelikten nicht notwendig an.
2.10
nicht bestraft werden
2.11
nicht tatbestandsmäßig. Weil sich aus dem Sachverhalt keine Anhaltspunkte dafür ergeben, daß F objektiv sorgfaltswidrig gehandelt hat (o.a.).
5.1
Nein! Einen Versuch gibt es nur beim Vorsatzdelikt. Beim Fahrlässigkeitsdelikt ist Versuch schon begrifflich nicht denkbar. Denn das Wesentliche des Versuchs ist dei„Tatentschluß" Die Fahrlässigkeitstat ist aber notwendigerweise dadurch gekennzeichnet, daß der Täter ohne einen solchen „Tatentschluß" (also insbesondere ohne Vorsatz) handelt. Denn ansonsten käme ja von vornherein das vorsätzliche Delikt in Betracht (o.ä.).
5.2
keinen Rücktritt
3.1
Das kommt darauf an! Der nicht vermeidbare Verbotsirrtum führt gemäß § 17 Satz 1 auch bei der Fahrlässigkeitstat zum Schuldausschluß und damit zur Straflosigkeit (o.ä.). Der vermeidbare Verbotsirrtum läßt zwar die Fahrlässigkeitsschuld und damit die Fahrlässigkeitsstrafe bestehen, kann aber Strafmilderung gemäß § 17 Satz 2 i.V.m. § 49 (1) nach sich ziehen (o.ä.).
4.1
fahrlässiger 1. Es muß ein entsprechendes Fahrlässigkeitsdelikt geben. 2. Der Irrtum muß auf Fahrlässigkeit beruhen.
für ein Fehlen dieses Schuldelementes
LE 27
FAHRLÄSSIGKEITSDELIKTE 3
441
L e r n z i e 1 : In dieser LE w e r d e n sie mit praktisch b e d e u t s a m e n S o n d e r p r o b l e m e n der Fahrlässigkeit k o n f r o n t i e r t . Z u n ä c h s t w e r d e n Sie d e n „ R i s i k o z u s a m m e n h a n g " vom K a u s a l z u s a m m e n h a n g unterscheiden lernen. S o d a n n w e r d e n Sie sich mit d e m Problem des „ a t y p i s c h e n Kausalverlaufs" befassen. Schließlich sollen Sie lernen, eine scharfe Trennlinie zwischen Vorsatz und Fahrlässigkeit zu ziehen. Diese Abgrenzung wird d u r c h die begriffliche Gegenüberstellung von „ b e w u ß t e r " u n d „ u n b e w u ß t e r " Fahrlässigkeit erleichtert. A u ß e r d e m lernen Sie mit d e n „erfolgsqualifizierten D e l i k t e n " eine weitere praktisch b e d e u t s a m e Deliktsgruppe kennen.
Die moderne Lehre unterscheidet bei den Fahrlässigkeitsdelikten zwischen Kausalzusammenhang und Riskozusammenhang. Zwei Radfahrer, Ri und R2, radeln dicht hintereinander. Der vorausfahrende Rj fährt ohne, R2 nur mit schwachem Licht, da seine Lampe verschmutzt ist. Da Rj nichts sieht, stürzt er über einen im Wege liegenden Ast. Schädelbasisbruch. R\ ist auf der Stelle tot. (1) Der Staatsanwalt klagt R2 (!) wegen fahrlässiger Tötung (§ 222) des R j an. Die Sorgfaltswidrigkeit des R2 erblickt er zutreffend in dessen Verstoß gegen die Beleuchtungspflicht des § 17 (1) Satz 1 und 2 StVO (bitte lesen!). Bezüglich des Kausalzusammenhangs argumentiert der Staatsanwalt wie folgt: Wäre R2 mit vorschriftsmäßiger Beleuchtung gefahren, so hätte der dicht vor ihm fahrende R j im (2) Lichtkegel des R2 (bitte ergänzen!)
(3) Diese Argumentation entspricht / entspricht nicht der Äquivalenztheorie. Kein Zweifel: (4) Der Kausalzusammenhang zwischen der objektiven Sorgfaltswidrigkeit des R2 und ist gegeben / nicht gegeben. Beim Risikozusammenhang geht es um eine ganz andere Frage: Hat sich im eingetretenen Erfolg gerade die spezifische Gefahr realisiert, deren Abwendung die übertretene Sorgfaltsnorm bezweckt? Um diese Frage beantworten zu können, muß zunächst im Wege der Auslegung der Schutzzweck der von R2 übertretenen Sorgfaltsnorm ermittelt werden. Der Schutzzweck des § 1 7 ( 1 ) Satz 1 und 2 StVO geht dahin, Unfälle (erst recht tödliche Unfälle) abzuwenden, die sich daraus ergeben, daß man selbst ohne vorschriftsmäßiges Licht fährt. § 1 7 ( 1 ) Satz 1 und 2 statuiert aber keine Pflicht, die Fahrbahn für einen anderen, etwa den Vordermann, auszuleuchten. (5) Der Tod des R j liegt somit außerhalb / somit innerhalb des Schutzzwecks des § 1 7 ( 1 ) Satz (6) 1 und 2 StVO. Es hat sich also gerade / also gerade nicht die spezifische Gefahr realisiert, deren Abwendung die von R2 übertretene Sorgfaltsnorm des § 17 (1) Satz 1 und 2 StVO bezweckt. (7)
Es fehlt folglich, mit einem Wort ausgedrückt, am zwischen der Übertretung der Sorgfaltsnorm und (bitte ergänzen!)
Fahrlässigkeitsdelikte 3
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(1) objektive (2) den Ast gesehen und wäre nicht gestürzt (o.a.) (3) entspricht (4) dem Tod des R j ; gegeben (5) liegt somit außerhalb (6) also gerade nicht (7) Risikozusammenhang; und dem eingetretenen Erfolg (Gefahr) bzw. dem Tod des R j (o.a.)
Das Problem des Risikozusammenhangs tritt in der Praxis vor allem bei Sorgfaltsnormen mit räumlich begrenztem Schutzzweck auf. Beispiel 1: A rast bei Rot über die Kreuzung (= Verstoß gegen § 37 (2) Z 1 StVO; bitte lesen!) und fährt dabei ein Kind zu Tode, das vorschriftsmäßig über die Kreuzung geht. Beispiel 2: A rast bei Rot über die Kreuzung, ohne daß etwas passiert (wiederum Verstoß gegen §37 (2) Z 1 StVO). 900 m weiter fährt er ohne nochmalige Sorgfaltswidrigkeit ein Kind zu Tode, das vorschriftsmäßig über die Straße geht.
(1)
Die objektive Sorgfaltswidrigkeit des Verhaltens des A ergibt sich in beiden Beispielen aus der Übertretung des § Der Kausalzusammenhang zwischen objektiver Sorgfaltswidrigkeit und Erfolg ist im Beispiel 1 gänzlich unproblematisch.
Er ist aber auch im Beispiel 2 gegeben. Hätte A an der Kreuzung bei Rot vorschriftsmäßig angehalten, so hätte er 900 m weiter das Kind nicht zu Tode gefahren, weil dieses dann die Straße bereits überquert gehabt hätte. Mithin kann das Überfahren des Rotlichts weg(2) gedacht / nicht weggedacht werden, (bitte i.S.d. Kausalitätsformel der Äquivalenztheorie ergänzen!) (3) Problematisch ist allein der (4) Hier muß zunächst im Wege der Auslegung der Sorgfaltsnorm ermittelt werden.
der übertretenen
Der Zweck des § 37 (2) Z 1 StVO geht dahin, Unfälle (erst recht tödliche Unfälle) zu vermeiden, die sich aus den spezifischen Gefahren des Kreuzungsverkehrs ergeben, d.h. die sich entweder auf der Kreuzung oder in unmittelbarem zeitlichen und räumlichen Zusammenhang mit dem Kreuzungsverkehr ereignen. (5) Im Beispiel 1 liegt der eingetretene Erfolg innerhalb / außerhalb des Schutzzweckes des (6) § 37 (2) Z 1 StVO; im Beispiel 2 dagegen (7) Begründen Sie Ihre für das Beispiel 2 getroffene Entscheidung!
(8) Mithin kann A im Beispiel nicht wegen fahrlässiger Tötung des Kindes bestraft werden, da es am tatbestandlichen Erfordernis des fehlt. Halten wir fest! Bei den Fahrlässigkeitsdelikten ist die Frage des Kausalzusammenhanges von der des Risikozusammenhanges zu trennen. Beidesmal handelt es sich um Tatbestandsprobleme. Das Problem des Risikozusammenhanges tritt aber nur in solchen Fällen auf, in denen es zweifelhaft ist, ob sich im eingetretenen Erfolg gerade die Gefahr realisiert hat, (bitte (9) ergänzen!)
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Fahrlässigkeitsdelikte 3
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(1) § 37 (2) Z 1 StVO (2) nicht weggedacht; ohne daß der Tod des Kindes entfiele (o.a.) (3) Risikozusammenhang (4) Schutzzweck (5) innerhalb (6) außerhalb (7) Der Schutzzweck des § 37 (2) Z 1 StVO beschränkt sich auf die Verhütung von Unfällen auf der Kreuzung oder jedenfalls in unmittelbarem räumlichem und zeitlichem Zusammenhang mit dem Kreuzungsverkehr. Dieser enge Zusammenhang ist bei einem Unfall, der 900 m nach der Kreuzung passiert, nicht mehr gegeben (o.a.). (8) 2; Risikozusammenhanges (9) deren Abwendung die übertretene Sorgfaltsnorm bezweckt (o.a.)
Wesentliche Abgrenzungsfunktionen obliegen in der Praxis auch dem Erfordernis der objektiven Voraussehbarkeit des Erfolgs. „Objektive Voraussehbarkeit des Erfolgs" bedeutet, daß neben dem Erfolg auch der Kausalverlauf in seinen wesentlichen Zügen für einen einsichtigen und besonnenen Men(1) sehen in der Lage des Täters der allgemeinen Lebenserfahrung liegen muß. Liegt der eingetretene Kausalverlauf (= gerade dieser (!) Kausalverlauf) gänzlich außerhalb (2) der so bezeichnet man ihn als atypisch. (3) Ein atypischer Kausalverlauf gilt als objektiv voraussehbar / als nicht objektiv voraussehbar. Betrachten wir unter diesem Aspekt noch einmal den folgenden Fall aus LE 26: Traxler fährt in der Stadt über 80 km/h. Wegen dieses hohen Tempos streift er die Hausfrau K, der er aber nur eine harmlose Fleischwunde zufügt. Auf dem Weg zum Arzt wird K vom Blitz erschlagen. Ist bei einem a) daß (4) Ja / b) daß (5) Ja /
Verstoß gegen § 3 (3) Z 1 StVO (bitte lesen!) objektiv voraussehbar, ein Mensch verletzt wird und an dieser Verletzung stirbt? Nein ein Mensch verletzt und auf dem Wege zum Arzt vom Blitz erschlagen wird? Nein Begründung:
(6) Folglich kann Traxler bei der Variante b wegen fahrlässiger Tötung der K bestraft werden / (7) nicht bestraft werden. Und zwar entfällt die Tatbestandsmäßigkeit / Rechtswidrigkeit / Schuld der fahrlässigen Tötung. Weitere Varianten: Läge es gänzlich außerhalb der allgemeinen Lebenserfahrung, wenn die leichtverletzte K n u r deshalb stirbt, c) weil ihr auf dem Weg zum Arzt zufällig ein abbröckelndes Mauerstück auf den (8) Kopf fällt? J a / N e i n d) weil sie auf dem Weg zum Arzt von einem Betrunkenen überfahren wird? (9) J a / Nein Begründung:
(10)
In allen diesen Fällen bleibt Traxler aber strafbar wegen .
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(1) innerhalb (2) allgemeinen Lebenserfahrung (3) als nicht objektiv voraussehbar (4) Ja! (5) Nein! Dieser Kausalverlauf lag für einen einsichtigen und besonnenen Menschen in der Lage des Traxler gänzlich außerhalb der allgemeinen Lebenserfahrung (o.a.). (6) nicht bestraft werden (7) Tatbestandsmäßigkeit (8) Ja! (9) Ja! Wie Antwort 5. (10) fahrlässiger Körperverletzung (§ 230)!
Wenden wir uns nunmehr dem anderen Abgrenzungsproblem zu, der Abgrenzung von (bedingtem) Vorsatz und (bewußter) Fahrlässigkeit. (1) Geben Sie einen Grund für die große praktische Tragweite dieser Abgrenzung an!
(2) Begriffliches Fundament für die Abgrenzung von Vorsatz und bewußter Fahrlässigkeit ist die begriffliche Unterscheidung von zwei Formen der Fahrlässigkeit. Bisher war von der unbewußten Fahrlässigkeit die Rede. Lesen Sie bitte noch einmal ihre Definition auf S. 417! Fahrlässig handelt aber auch, wer es zwar für möglich hält, daß er einen gesetzlichen Tatbestand verwirklicht, ihn aber nicht verwirklichen will. Diese Form der Fahrlässigkeit bezeichnet man als bewußte Fahrlässigkeit. (3) Mit dieser Gegenüberstellung von und Fahrlässigkeit verbindet sich jedoch keine Abstufung des Unrechts- oder Schuldgehalts der Fahrlässigkeit (anders bei den drei Stärkegraden des Vorsatzes!). Lesen Sie etwa die Strafdrohung der fahrlässigen Tötung (§ 222)! Aus ihr ergibt sich, daß das StGB die bewußte und die unbewußte Fahrlässigkeit bei diesem (4) Delikt (entsprechend bei allen anderen Fahrlässigkeitsdelikten) völlig gleich behandelt / daß das StGB die unbewußte Fahrlässigkeit milder behandelt. Es kann in der Praxis also durchaus sein, daß der unbewußt fahrlässig Handelnde strenger (5) bestraft wird, als derjenige, der fahrlässig gehandelt hat. Der wesentliche Zweck der begrifflichen Unterscheidung von bewußter und unbewußter Fahrlässigkeit besteht darin, daß diese Gegenüberstellung eine exakte Abgrenzung von (6) und ermöglichen soll.
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Fahrlässigkeitsdelikte 3
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(1) Es gibt mehrere Gründe. Der wichtigste ist der, daß das StGB fast nur Vorsatzdelikte und nur verhältnismäßig wenige Fahrlässigkeitsdelikte kennt. Bei den meisten Delikten ist daher die Verneinung des Vorsatzes bzw. die Annahme von bloßer Fahrlässigkeit gleichbedeutend mit Straflosigkeit (o.a.). Außerdem wird die fahrlässige Tat in der Regel milder bestraft als die vorsätzliche (o.a.). (2) bedingtem (3) bewußter und unbewußter (4) völlig gleich behandelt (5) bewußt (6) bedingtem Vorsatz und bewußter Fahrlässigkeit
(1)
Bewußt fahrlässig handelt, wer es zwar für einen gesetzlichen Tatbestand verwirklicht, ihn aber nicht
daß er
Der b e w u ß t fahrlässig Handelnde hält die Tatbestandsverwirklichung „für möglich", er erkennt sie also, er sieht sie voraus. Darin liegt der Unterschied zur u n b e w u ß t e n Fahrlässigkeit. (2)
Denn der u n b e w u ß t fahrlässig Handelnde erkennt subjektiv Sachverhalt verwirklicht, der einem gesetzlichen Tatbestand entspricht.
daß er einen
Anders ausgedrückt: Bei der u n b e w u ß t e n Fahrlässigkeit genügt die subjektive Vorausseh(3) barkeit des Erfolgs. An ihre Stelle tritt bei der Fahrlässigkeit die subjektive Voraussicht des Erfolgs. Alois (A) läßt einen großen Stein den Abhang hinabrollen. Dieser tötet den von A gar nicht bemerkten weiter unten kraxelnden Franz (F). A wird wegen fahrlässiger Tötung (§ 222) angeklagt. Da A überhaupt nicht erkannt hatte, daß d u r c h diese Handlung weiter u n t e n ein Mensch (4) getroffen und getötet werden könnte, k o m m t b e w u ß t e Fahrlässigkeit / u n b e w u ß t e Fahrlässigkeit in Betracht.
(5)
Schildern Sie den Sachverhalt jetzt so, daß für A die andere Form der Fahrlässigkeit in Betracht k o m m t l
Gegenüberstellung von b e w u ß t e r u n d u n b e w u ß t e r Fahrlässigkeit (6)
Bitte einsetzen!
Bewußte Fahrlässigkeit =
MldlullLLlt
subjektive Sorgfaltswidrigkeit
==
= l ' . 1 . ' ! •• • • • . .. r l r r i i
- = =
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(1) möglich hält; verwirklichen will (2) (überhaupt) nicht (3) bewußten (4) unbewußte Fahrlässigkeit (5) A hat den weiter unten kraxelnden F zwar gesehen und an die Möglichkeit gedacht, daß dieser durch den Stein getroffen werden könnte, dies aber nicht gewollt (o.a.). (6) von links nach rechts: subjektive Voraussehbarkeit des Erfolgs; subjektive Voraussicht des Erfolgs Lesen Sie n u n m e h r die Definition des bedingten Vorsatzes auf S. 2 4 2 ! (1) Wer mit bedingtem Vorsatz (= dolus wirklichung eines gesetzlichen Tatbestandes (ernstlich) für
) handelt, hält die Ver-
Lesen Sie erneut die Definition der b e w u ß t e n Fahrlässigkeit auf S. 4 4 4 ! (2) Auch der b e w u ß t fahrlässig Handelnde hält es für chen T a t b e s t a n d verwirklicht.
, daß er einen sol-
In dem „(ernstlich) für möglich h a l t e n " der Vorsatzdefinition u n d in dem „für möglich h a l t e n " der Definition der b e w u ß t e n Fahrlässigkeit steckt die Ihnen von der Vorsatzlehre her geläufige Wissenskomponente.
(3) (4)
Die subjektive Voraussicht des Erfolgs bei der b e w u ß t e n Fahrlässigkeit entspricht im wesentlichen der W beim V Daher k o m m t als Abgrenzungskriterium zwischen Fahrlässigkeit u n d Vorsatz auch nicht so sehr die Wissenskomponente als vielmehr die W k o m p o n e n t e des Vorsatzes in Betracht. Die Brüder Knut (K) und Fiete (F) Steffen, zwei Jäger aus Neumünster, gehen am Plöner See auf die Pirsch. Es ist schon ziemlich dunkel. Als F auf etwas „Schwarzes" zielt, ruft K, der die besseren Augen hat: „Schung, bis du des Deubels! Das issen Macker!" „Das is mich schietegal", brummt F und drückt ab. Durch den Schuß wird der Spaziergänger S getötet.
(5)
Das zentrale Problem dieses Falles lautet: Ist F wegen wegen (§ ) zu bestrafen?
(6)
Die Lösung dieser Frage hängt davon ab, ob F den S bedingt getötet hat.
(§
) oder ist er
oder
Käme es für die Abgrenzung von bewußter Fahrlässigkeit u n d bedingtem Vorsatz allein auf die Wissenskomponente an, d.h. allein darauf, daß der Täter die Möglichkeit der Tö(7) tung eines Menschen erkannt hat, so wäre F wegen Totschlags / wegen fahrlässiger T ö t u n g strafbar. (Musterantwort unbedingt nachlesen!)
(8)
Darum w e n d e n wir uns im folgenden der Wollenskomponente des Vorsatzes als dem eigentlichen kriterium zur b e w u ß t e n Fahrlässigkeit zu.
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Fahrlässigkeitsdelikte 3 (1) (4) (5) (7)
eventualis; möglich (2) möglich (3) Wissenskomponente; Vorsatz bewußter; bedingtem; Wollenskomponente Totschlags (§ 212 (1)); fahrlässiger Tötung (§ 222) (6) vorsätzlich; bewußt fahrlässig Richtig sind beide Antworten! Gerade daraus ersehen Sie aber, daß sich mit Hilfe der Wissenskomponente allein bedingter Vorsatz und bewußte Fahrlässigkeit überhaupt nicht abgrenzen lassen. (8) Abgrenzungskriterium
Bezüglich der Wollenskomponente enthält die Definition des bedingten Vorsatzes die entscheidende Aussage, daß der mit bedingtem Vorsatz Handelnde die Tatbestandsverwirkli(1)
chung ernstlich für möglich hält und (bitte ergänzen!)
Wer mit dieser Einstellung den Abzug seines Gewehres durchdrückt, der will letztlich die Tötung eines Menschen. Demgegenüber hält der bewußt fahrlässig Handelnde die Tatbestandsverwirklichung zwar ebenfalls für möglich, aber eben nicht ernstlich für möglich. Denn er vertraut darauf, daß (2)
er den Tatbestand also nicht herbeiführen.
verwirklichen werde. Er will die Tatbestandsverwirklichung
Bevor wir den Fall des schießwütigen Waidmannes endgültig lösen, eine Eselsbrücke: Wer bedingt vorsätzlich handelt, sagt sich: „Na, wenn s c h o n ! " Wer bewußt fahrlässig handelt, sagt sich: ,,Es wird schon n i c h t ! " Nun entscheiden Sie selbst! (3)
F hat bei der Abgabe des tödlichen Schusses auf den Spaziergänger S bewußt fahrlässig / bedingt vorsätzlich gehandelt.
(4)
Begründung:
Eine ganz andere Frage ist es, daß man dem Täter in der Praxis den bedingten Vorsatz häufig nicht nachweisen kann, weil man in ihn nicht hineinsehen kann. Es treten bezüg(5)
lieh des Vorsatzes dieselben Beweisschwierigkeiten auf wie bei den Tatbestandsmerkmalen. V o r Gericht wird unser F im Regelfall steif und fest behaupten, er habe an einen Spazier-
(6)
gänger überhaupt nicht gedacht. Damit räumt F allenfalls
Fahrlässigkeit ein.
(7)
Und wenn man ihm nicht mehr nachweisen kann (K hat als Bruder gemäß § 52 (1) Z 3 StPO ein Zeugnisverweigerungsrecht), wird F auch nur gemäß § verurteilt werden.
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(1) sich mit ihr abfindet (2) nicht (3) bedingt vorsätzlich (4) F hat sich gesagt: „Das is mich schietegal!" = „Na, wenn schon! "Er hat die Tötung eines Menschen emstlich für möglich gehalten und sich mit diesem Erfolg abgefunden. Er hat daher mit bedingtem Vorsatz gehandelt (o.a.). (5) subjektiven (6) unbewußte (nicht einmal bewußte!) (7) §222
Fall 1: Der Sportwagenfahrer Z überholt auf der B 3 zwischen Heidelberg und Weinheim trotz starken Gegenverkehrs. Es kommt zu einem Frontalzusammenstoß. Der Lenker des anderen PKW wird getötet (§ 222). (1)
Bei einem solchen Sachverhalt hat der Überholende in der Regel bedingt vorsätzlich / bew u ß t fahrlässig gehandelt, weil (bitte ergänzen und, wenn möglich, mit der exakten Definition argumentieren!)
Fall 2: Der 43jährige homosexuelle Filmschauspieler Gaston Lebeau (G) nimmt an einem 17jährigen Jungen (]) unzüchtige Handlungen vor. G ist sich nicht sicher, ob J bereits das 18. Lebensjahr vollendet hat oder nicht. Das ist ihm aber letztlich auch gleichgültig. In Betracht k o m m t das Delikt der „Homosexuellen H a n d l u n g e n " (§ 175 (1) b i t t e lesen!). Hat G das Tatbestandsmerkmal „an einem Mann unter a c h t z e h n J a h r e n " mit bedingtem Vorsatz erfüllt? (2) J a / Nein Begründung dieses Tatbestandsmerkmals bitte unter Verwendung der Definition des bedingten Vorsatzes:
Schildern Sie den Fall 2 so, daß für G bezüglich des Alters des J nur b e w u ß t e Fahrlässigkeit (3) in Betracht k o m m t !
(4)
Bei dieser Variante des Falles 2 ist G straflos / strafbar, weil (bitte ergänzen!)
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(1) bewußt fahrlässig; er einen Frontalzusammenstoß nicht ernstlich für möglich gehalten, sondern darauf vertraut hat, daß nichts passieren werde ( „ E s wird schon nicht"). Er hat ihn also nicht gewollt (o.a.). ( 2 ) J a ! Er hat die Verwirklichung dieses Tatbestandsmerkmals ernstlich für möglich gehalten und sich damit abgefunden („Na, wenn s c h o n ! " ) o.a. ( 3 ) G hält es zwar für möglich, daß J noch nicht 18 J a h r e alt sein könnte, vertraut aber darauf, daß er schon älter ist (o.a.). ( 4 ) straflos; es kein fahrlässiges Delikt der „Homosexuellen Handlungen" gibt (§ 1 7 5 ( 1 ) i.V.m. § 15)
In engem Zusammenhang mit dem Begriff und den Problemen der Fahrlässigkeit stehen die im StGB häufig anzutreffenden erfolgsqualifizierten Delikte. Alle erfolgsqualifizierten Delikte lassen sich auf ein bestimmtes Grunddelikt zurückführen. Ihr Wesen besteht darin, daß das Gesetz an eine besondere Folge der Tat (= Erfolg) eine schwerere Strafe knüpft. Lesen Sie das Delikt der Körperverletzung mit Todesfolge (§ 226 (1))! Dieses Delikt baut auf dem Grunddelikt der vorsätzlichen Körperverletzung des § 223 (1) auf. Die „besondere Folge der Tat", auf die § 226 (1) abstellt, besteht darin, daß (bitte er(1)
ganzen!)
(2) Worin besteht die „besondere Folge der T a t " im Falle der Freiheitsberaubung des § 239 (3) Satz 1?
(3)
Bei beiden Delikten handelt es sich um erfolgs gänzen!)
Delikte, weil (bitte er-
A schlägt den B mit einem gezielten Kinnhaken zu Boden. B begibt sich darauf ins Kran kenhaus, wird dort von einer Hornisse gestochen und stirbt an dem Insektengift. Der Tod des B ist als Folge (Äquivalenztheorie!) einer vorsätzlichen Körperverletzung eingetreten. Für A ist daher das Delikt der „Körperverletzung mit Todesfolge" (§ 226 (1)) zu untersuchen. Lesen Sie nunmehr bitte § 18! Diese Vorschrift enthält eine für alle erfolgsqualifizierten Delikte bedeutsame Regelung.
(4)
Aus ihr ergibt sich, daß A nur dann gemäß § 226 (1) bestraft werden kann, wenn er den .... des B " herbeigeführt hat.
(5)
Hat A den Tod des B „wenigstens fahrlässig" herbeigeführt? J a / Nein
(6)
Daher ist A nicht gemäß §
, sondern nur wegen des Grunddelikts des §
Begründung:
zu bestrafen.
Halten Sie fest! Bei den erfolgsqualifizierten Delikten muß der Täter die „besondere Folge der T a t " , d.h. den Erfolg wenigstens fahrlässig herbeigeführt haben (§ 18). Sonst kommt nur Bestrafung wegen des Grunddelikts in Betracht.
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(1) der Tod des Verletzten eintritt (o.a.) (2) Im Eintritt des Todes des Opfers. (3) erfolgsqualifizierte; das Gesetz an eine besondere Folge der Tat (d.h. an einen bestimmten Erfolg) eine schwerere Strafe knüpft (o.a.) (4) Tod; „wenigstens fahrlässig" (5) Nein! Es'liegt ein atypischer Kausalverlauf vor. Diese Folge eines Kinnhakens liegt gänzlich außerhalb der allgemeinen Lebenserfahrung; sie gilt als objektiv nicht voraussehbar (o.a.). (6) § 226 (1); § 223 (1)
ZUSAMMENFASSUNG A Die Begrenzung der Strafbarkeit bei den fahrlässigen Erfolgsdelikten Die Notwendigkeit, die Strafbarkeit wegen objektiv sorgfaltswidriger Handlungen zu begrenzen, ergibt sich aus der uferlosen Weite der Äquivalenztheorie. Die Lehren vom „Risikozusammenhang" und vom „atypischen Kausalverlauf" sind entwickelt worden, um eine solche Eingrenzung der Strafbarkeit wegen fahrlässiger Tat bereits auf der Stufe des Tatbestands zu ermöglichen. 1 Die Lehre vom Risikozusammenhang Es gibt besondere Fallkonstellationen, in denen mit der Bejahung der Kausalität zwischen objektiv sorgfaltswidriger Handlung und Erfolg (i.S.d. Äquivalenztheorie) noch nicht das letzte Wort gesprochen ist. Bei ihnen bedarf es mit der Prüfung des Risikozusammenhangs eines zusätzlichen tatbestandlichen Filters. Beim Risikozusammenhang geht es um die Frage, ob sich im eingetretenen Erfolg gerade die spezifische Gefahr realisiert hat, deren Abwendung die übertretene Sorgfaltsnorm bezweckt. Anders ausgedrückt: Der Tatbestand eines Fahrlässigkeitsdeliktes ist nur erfüllt, wenn der eingetretene Erfolg innerhalb des Schutzzwecks der übertretenen Sorgfaltsnorm liegt. Mithin wird die Kernfrage des Risikozusammenhangs mit Hilfe der Lehre vom Schutzzweck der übertretenen Sorgfaltsnorm beantwortet. Im modernen Schrifttum werden „Risikozusammenhang" und „Schutzzweck der übertretenen Sorgfaltsnorm" dem Oberbegriff der objektiven Zurechnung zugeordnet. Wie weit der Schutzzweck der übertretenen Sorgfaltsnorm im konkreten Fall reicht, ist durch Auslegung der jeweiligen Sorgfaltsnorm zu ermitteln. Besonders einprägsam sind die Fälle des räumlich begrenzten Schutzzwecks. Beispiel: § 37 (2) Z 1 StVO (= das Verbot, bei Rot in Kreuzungen einzufahren) bezweckt, Unfälle zu vermeiden, die sich aus den spezifischen Gefahren des Kreuzungsverkehrs ergeben, d.h. die sich entweder auf der Kreuzung oder in unmittelbarem zeitlichem und räumlichem Zusammenhang mit dem Kreuzungsverkehr ereignen.
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Die Lehre vom Risikozusammenhang wirkt sich insbesondere im Straßenverkehr aus, ist aber nicht auf diesen beschränkt. Zweckmäßigerweise untersucht man etwaige Probleme des Risikozusammenhangs bei der Fallprüfung unmittelbar im Anschluß an den Kausalzusammenhang. 2 Die Lehre vom atypischen Kausalverlauf Ganz andere Fallkonstellationen hat die Lehre vom atypischen Kausalverlauf im Auge. Als atypisch gilt ein Kausalverlauf, der gänzlich außerhalb der allgemeinen Lebenserfahrung liegt. Hierbei legt die Praxis strenge Maßstäbe an: Daß z.B. ein Verletzter an einer Wundinfektion, während der Operation oder an den Komplikationen seiner Verletzung stirbt, betrachtet die Praxis als innerhalb der allgemeinen Lebenserfahrung liegend. Solche Erfolge (bzw. Kausalverläufe) gelten als objektiv voraussehbar. Erfolge (bzw. Kausalverläufe), die gänzlich außerhalb der allgemeinen Lebenserfahrung liegen, gelten als nicht objektiv voraussehbar und schließen daher die Bestrafung ihres Verursachers wegen Fahrlässigkeit aus. Beispiele für atypische Kausalverläufe: Der Verletzte ist ein Bluter, er wird auf dem Wege zum Arzt von einem Mauerstück erschlagen, Opfer eines Verkehrsunfalls oder gar eines Amokläufers. Er stirbt an einer an sich harmlosen Narkose oder an einem groben Kunstfehler des Operateurs. Beachten Sie! Weitere Begrenzungen der Strafbarkeit wegen fahrlässiger Tat finden auf der Stufe der Schuld einerseits durch die individuellen Maßstäbe der beiden subjektiven Fahrlässigkeitselemente und andererseits durch das Zumutbarkeitserfordernis statt. B Bewußte und unbewußte Fahrlässigkeit Praxis und Lehre stellen zwei Formen der Fahrlässigkeit einander gegenüber, die unbewußte Fahrlässigkeit und die bewußte Fahrlässigkeit. Beide Begriffe sind im StGB nicht definiert. Fahrlässig (gemeint ist unbewußt fahrlässig) handelt, wer die Sorgfalt außer acht läßt, zu der er nach den Umständen und nach seinen persönlichen Verhältnissen verpflichtet und fähig ist, und deshalb nicht erkennt, daß er einen gesetzlichen Tatbestand verwirklicht (vgl. bereits S. 417). Fahrlässig handelt auch (gemeint ist bewußt fahrlässig), wer es zwar für möglich hält, daß er einen solchen Tatbestand verwirklicht, ihn aber nicht verwirklichen will. Der Unterschied zwischen beiden Formen der Fahrlässigkeit liegt allein in der Art der Voraussehbarkeit des Erfolgs. Bei der bewußten Fahrlässigkeit tritt an die Stelle der subjektiven Voraussehbarkeit des Erfolgs die subjektive Voraussicht des Erfolgs.
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Im Gegensatz zu den drei Stärkegraden des Vorsatzes verbindet das StGB mit der Gegenüberstellung dieser beiden Fahrlässigkeitsformen keine Abstufung im Unrechts- oder Schuldgehalt der Fahrlässigkeitstat. In allen Fällen, in denen das StGB eine fahrlässige Tat mit Strafe bedroht (z.B. §§ 163 (1), 222, 230, 309), genügt unbewußte Fahrlässigkeit. C Abgrenzung von Vorsatz und Fahrlässigkeit Der eigentliche Zweck der Gegenüberstellung der beiden Fahrlässigkeitsformen besteht darin, eine scharfe Grenzziehung zwischen bewußter Fahrlässigkeit einerseits und bedingtem Vorsatz (dolus eventualis) andererseits zu ermöglichen. Weitgehende Übereinstimmung besteht (daraus ergibt sich die Verwechslungsgefahr) zwischen bedingtem Vorsatz und bewußter Fahrlässigkeit hinsichtlich der Wissenskomponente. Denn in beiden Fällen hält der Täter die Tatbestandsverwirklichung für möglich. Der wesentliche Unterschied liegt in der (nur) für den Vorsatz charakteristischen Wollenskomponente. Wer bedingt vorsätzlich handelt, hält die Tatbestandsverwirklichung ernstlich für möglich und findet sich mit ihr ab. Er will sie also. Merkformel: „Na, wenn schon!" Wer bewußt fahrlässig handelt, hält die Tatbestandsverwirklichung nicht ernstlich für möglich. Er vertraut vielmehr darauf, daß sie nicht eintritt. Er will sie also nicht. Merkformel: „Es wird schon nicht!" Da die meisten Handlungen nur bei Vorsatz strafbar sind, ist die Abgrenzung von (bedingtem) Vorsatz und (bewußter) Fahrlässigkeit von großer praktischer Bedeutung. D Leichtfertigkeit Gelegentlich verlangt das Gesetz ausdrücklich „Leichtfertigkeit". Damit ist eine gravierende Form von — bewußter oder unbewußter — Fahrlässigkeit gemeint. Leichtfertig handelt, wer eine auffallende und ungewöhnliche Sorglosigkeit an den Tag legt, welche den Eintritt eines Erfolgs besonders wahrscheinlich macht. Der Begriff der Leichtfertigkeit entspricht dem zivilrechtlichen Begriff der groben Fahrlässigkeit. Beispiel: Leichtfertig handelt, wer in der Eile einem Dreijährigen ein geladenes Gewehr in die Hand drückt, mit der Bitte, es einen Augenblick zu halten, und der Ermahnung, ja nicht abzudrücken, weil es sonst „ b u m - b u m " mache. Leichtfertigkeit fordert das StGB etwa in den §§ 97 (2), 138 (2), 177 (3), 178 (3), § 239 a (2), 251, 311 (3).
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Fahrlässigkeitsdelikte 3
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E Erfolgsqualifizierte Delikte Eine praktisch sehr bedeutsame Untergruppe der qualifizierten Delikte (LE 9) bilden die erfolgsqualifizierten Delikte. Als „erfolgsqualifiziert" bezeichnet man alle Delikte, bei denen das Gesetz an eine besondere Folge der Tat (d.h. an einen bestimmten Erfolg) eine schwerere Strafe knüpft. Die meisten erfolgsqualifizierten Delikte setzen als Grunddelikt ein Vorsatzdelikt voraus (= erfolgsqualifizierte Vorsatzdelikte). Beispiele: Körperverletzung mit Todesfolge (§ 226 (1)); Freiheitsberaubung im Falle des § 239 (3) Satz 1; Raub mit Todesfolge (§ 251) und viele andere. Es gibt aber auch erfolgsqualifizierte Delikte, deren Grunddelikt ein Fahrlässigkeitsdelikt ist (= erfolgsqualifizierte Fahrlässigkeitsdelikte). Beispiele: Fahrlässige Brandstiftung im Falle des § 309 2. Alt; weiter § 310 b (4). Für sämtliche erfolgsqualifizierten Delikte gilt § 18. Danach m u ß die „besondere Folge der T a t " wenigstens fahrlässig herbeigeführt worden sein, es sei denn, das Gesetz verlangt insoweit ausdrücklich „Leichtfertigkeit". Beispiele: §§ 177 (3); 178 (3); 251. In den Fällen, in denen der Erfolg nicht „wenigstens fahrlässig" herbeigeführt worden ist, bleibt es bei der Bestrafung wegen des vorsätzlichen oder fahrlässigen Grunddelikts. In den Fällen der erfolgsqualifizierten Vorsatzdelikte haben wir es stets mit einer Kombination von Vorsatz und Fahrlässigkeit zu t u n (sog. Vorsatz-Fahrlässigkeitskombination). F Die Vorsatz-Fahrlässigkeitskombination Man spricht von einer Vorsatz-Fahrlässigkeitskombination, wenn das Gesetz hinsichtlich der Handlung Vorsatz voraussetzt, hinsichtlich der dadurch verursachten besonderen Folge aber Fahrlässigkeit ausreichen läßt (vgl. § 11 (2)). Derartige Vorsatz-Fahrlässigkeitskombinationen kommen im StGB nicht nur bei den erfolgsqualifizierten Delikten vor (vgl. oben E), sondern darüber hinaus auch etwa bei den §§ 97 (1), 109 e (1), 310 b (2), 311 (4), 315 a (3) Z 1. Bei diesen aus Vorsatz- und Fahrlässigkeitselementen zusammengesetzten Strafvorschriften stellt sich die Frage, ob sie primär als Vorsatz- oder primär als Fahrlässigkeitsdelikte anzusehen sind. Durch § 11 (2) ist die Frage ausdrücklich im erstgenannten Sinne entschieden: VorsatzFahrlässigkeitskombinationen gelten als Vorsatzdelikte. Mithin kommt bei ihnen — unter den Voraussetzungen des § 23 (1) — auch strafbarer Versuch in Betracht. Soweit das StGB die Anordnung von Maßregeln d.B.u.S. an die Begehung von vorsätzlichen Taten knüpft, wirken auch Vorsatz-Fahrlässigkeitskombinationen maßregelbegründend.
Fahrlässigkeitsdelikte 3 Fallprüfungs schema Das erfolgsqualifizierte Delikt dargestellt am Beispiel des erfolgsqualifizierten Vorsatzdelikts
LE 27
TE 27 2.1
Testfragen zur LE 27
455
Sie erinnern sich noch an das Beispiel, daß jemand bei Rot über die Kreuzung rast ( § 3 7 (2) Z 1 StVO). 1. Schildern Sie einen Erfolg, der innerhalb des Schutzzwecks dieser Sorgfaltsnorm liegt!
2. Schildern Sie einen Erfolg, der außerhalb des Schutzzwecks dieser Sorgfaltsnorm liegt!
3. Begründen Sie, warum im Fall 2.1 2. der Erfolg außerhalb des Schutzzwecks der übertretenen Sorgfaltsnorm liegt!
2.2
Auf der Freilandstraße von Lüdenscheid nach Plettenberg, etwa 500 m außerhalb der Ortstafel, kommt es zu einer Kollision zwischen dem PKW des S und dem Fußgänger F. F wird auf der Stelle getötet. Die Rückrechnung des Sachverständigen ergibt, daß S noch am Ende des von ihm zuvor durchfahrenen Ortsgebietes vorschriftswidrig 85 k m / h (!) gefahren war. Eine andere Sorgfaltswidrigkeit als dieser Verstoß gegen § 3 (3) Z 1 StVO kann S nicht nachgewiesen werden. Vor allem war seine außerhalb von Lüdenscheid gefahrene Geschwindigkeit nicht zu beanstanden, weil er nach Lage des Falles nicht damit zu rechnen brauchte, daß ihm plötzlich F in die Fahrbahn springt. 1. Die Sorgfaltswidrigkeit der Handlung des S ergibt sich allein aus der Übertretung des § 2. Die Staatsanwaltschaft argumentiert: Hätte S sich an die im Ortsgebiet zulässige Geschwindigkeit von km/h gehalten, so hätte F die Straße bereits überquert und es wäre zu diesem tödlichen Unfall gekommen. 3. Damit steht die Kausalität zwischen (bitte ergänzen!) und der theorie fest.
im Sinne
4. Dennoch hat S den Tatbestand der fahrlässigen Tötung (§ 222) nicht erfüllt, weil es am zwischen ... und dem Tod des F fehlt. Begründung:
456 2.3
Testfragen
TE 27
Weil B ihn beim Skat des Falschspiels beschuldigt und ihm mit einer Anzeige gedroht hatte, versetzt A ihm einen heftigen Schlag ins Gesicht. B taumelt zurück, stolpert und stürzt mit dem Hinterkopf so unglücklich auf den Steinfußboden, daß er sich das Genick brich t. Der Tod des A ist eine atypische / keine atypische Folge des Schlages, weil (bitte ergänzen!)
2.4
Wandeln Sie dieses Beispiel so ab, daß der Tod des B als Fall eines atypischen Kausalverlaufs erscheint!
1.1
Liegt der eingetretene Erfolg gänzlich außerhalb der allgemeinen Lebenserfahrung, so entfällt der Kausalzusammenhang / der Risikozusammenhang / die objektive Voraussehbarkeit des Erfolgs; damit entfällt zugleich die Schuld / die Rechtswidrigkeit / die Tatbestandsmäßigkeit des fahrlässigen Delikts.
2.5
Sonntag gegen 17.00 Uhr. Wie stets an schönen Wochenenden starker Rück flutverkehr auf der Autobahn aus den Ausflugsorten des Siebengebirges in Richtung Köln. Vor der Autobahnausfahrt Königsforst bremst A ohne Grund plötzlich sehr scharf. Dadurch fahren auf: B aufA, C auf B, D auf C. Ist bei einem solchen Sachverhalt auch das Auffahren des D auf C objektiv voraussehbar? J a / Nein Begründung:
2.6
Der Kunstschütze Ruedi Aeppli (R) aus Rapperswil tritt allabendlich gemeinsam mit seinem 14jährigen Sohn Haensli (H) im Zirkus auf. Ihre Schaunummer: ,,Der Tellschuß". Was bis dahin immer gut gegangen, geht am 10.3.1975 in Dortmund schief. R verfehlt den Apfel und trifft seinen Sohn. Eine empörte Zirkusbesucherin erstattet noch am selben Abend Anzeige gegen R wegen vorsätzlicher Tötung (§ 212 (1)). R hat mit dolus eventualis / bewußt fahrlässig / unbewußt fahrlässig gehandelt. Begründung:
2.7
Die Abgrenzung von dolus eventualis und Fahrlässigkeit ist von größter praktischer Bedeutung. Als Verteidiger werden Sie, wo immer es geht, aus mehreren Gründen für letztere plädieren. Nennen Sie mindestens zwei Gründe!
T E 27
2.8
Testfragen
Ein Jäger zielt auf einen Hasen, als ein kleiner Junge in seine Schußbahn
457 läuft.
Schildern Sie den Sachverhalt so, daß der Jäger den Jungen mit bedingtem Vorsatz tötet!
1.2
Von einer „Vorsatz — Fahrlässigkeitskombination" spricht man bei den Vorsatzdelikten / Fahrlässigkeitsdelikten / erfolgsqualifizierten Fahrlässigkeitsdelikten / erfolgsqualifizierten Vorsatzdelikten.
1.3
Als „erfolgsqualifizierte Delikte" bezeichnet man solche Delikte, (bitte ergänzen!)
2.9
Der Jugoslawe Miladin Babovic (B) überfällt bei Esslingen eine Tankstelle. „Bürschle, des kannscht mit mir nit mache", ruft der Tankwart T und setzt sich unerschrocken zur Wehr. Es kommt zu einem Handgemenge. B versetzt dem T mit seiner geladenen Pistole einen heftigen Schlag auf den Kopf. Dadurch wird ein Schuß ausgelöst, der den T tötet. 1. Ob B wegen des erfolgsqualifizierten Delikts des § 226 (1) (= Körperverletzung mit Todesfolge) bestraft werden kann, hängt gemäß § davon ab, ob (bitte ergänzen!)
2. Unterstellen Sie einmal, diese Frage wäre zu verneinen. Ist B in diesem Falle straflos? J a / Nein Begründung:
1.4
Leichtfertigkeit ist eine besonders gravierende Art des Vorsatzes / der Fahrlässigkeit. Leichtfertig handelt, wer (bitte ergänzen!)
Literatur: Zum Risikozusammenhang vgl.Jescheck aaO. § 55 II 2 b;Maurach aaO. § 43 I D 1 b; Wessels aaO. § 15 II 4. Zum atypischen Kausalverlauf vgl. Jescheck aaO. § 55 II 3; Maurach aaO. § 44 III B 1. Zur Abgrenzung von bedingtem Vorsatz und bewußter Fahrlässigkeit vgl. Baumann aaO. § 26 III 2 b; Jescheck aaO. § 29 i n 3 c - d ; Mezger-Blei aaO. § 63 IV; Wessels aaO. § 7 II 3. Zur VorsatzFahriässigkeitskombination vgl. Jescheck aaO. § 54 III. Zum Aufbau des erfolgsqualifizierten Delikts vgl. Kienapfel aaO. § 6 C.
458
Antworten
TE 27
2.1
1. A stößt auf der Kreuzung (oder noch in unmittelbarer zeitlicher und räumlicher Nähe des Kreuzungsbereichs) mit B zusammen. 2. A stößt außerhalb des unmittelbaren Kreuzungsbereichs mit B zusammen. 3. Der Zweck des § 37 (2) Z 1 StVO geht dahin, Unfälle zu verhüten, die sich auf der Kreuzung oder im unmittelbaren räumlichen und zeitlichen Zusammenhang mit dem Kreuzungsverkehr ereignen. Derunter2.1 2. geschilderte Erfolg liegt daher außerhalb des Schutzzwecks der übertretenen Sorgfaltsnorm des § 37 (2) Z 1 StVO.
2.2
1. objektive; § 3 (3) Z I StVO 2. 50 km/h; nicht 3. dem zu schnellen Fahren innerhalb der Ortschaft (o.ä.) und der Tötung des F (o.a.); Äquivalenztheorie 4. Risikozusammenhang; der übertretenen Sorgfaltsnorm (§ 3 (3) Z 1 StVO). Der Schutzzweck des § 3 (3) Z 1 StVO beschränkt sich auf die Verhütung von Unfällen, die sich innerhalb geschlossener Ortschaften ereignen. Unfälle, die 500 m außerhalb des Ortsbereichs passieren, liegen außerhalb des räumlich begrenzten Schutzzwecks des § 3 (3) Z 1 StVO. Es fehlt mithin am Risikozusammenhang und damit am Tatbestand des § 222.
2.3
keine atypische Folge; er nicht gänzlich außerhalb der allgemeinen Lebenserfahrung liegt (o.ä.)
2.4
Z.B. B stirbt nur deshalb, weil er auf dem Weg zum Arzt von einem Betrunkenen überfahren oder von einer Hornisse zu Tode gestochen wird (o.a.).
1.1
die objektive Voraussehbarkeit des Erfolgs; die Tatbestandsmäßigkeit
2.5
Ja! Für einen einsichtigen und besonnenen Autobahnbenützer (= Mensch in der Lage des Täters) liegt es nicht gänzlich außerhalb der allgemeinen Lebenserfahrung, daß ein plötzliches, unvermutetes und starkes Bremsen auf einer stark befahrenen Autobahn einen Auffahrunfall auslöst. Also war auch der Aufprall des letzten Autofahrers in der Unfallkette objektiv voraussehbar (o.a.). Eine ganz andere — und in der Regel zu bejahende — Frage ist es, ob der jeweilige Nachmann selbst fahrlässig gehandelt hat, weil er einen zu geringen Sicherheitsabstand ( § 4 ( 1 ) Satz 1 StVO) eingehalten hat.
2.6
bewußt fahrlässig! Denn R hat es nicht ernstlich für möglich gehalten, daß der seinen Sohn treffen könnte. Er hat vielmehr auf seine erprobte Treffsicherheit vertraut. („Es wird schon nichts passieren".) Er hat diesen Erfolg also nicht gewollt (o.a.).
2.7
bewußter 1. Bedingter Vorsatz ist schwerer nachweisbar als Fahrlässigkeit. 2. Fahrlässiges Handeln ist nach dem StGB nur ausnahmsweise strafbar (§ 15). 3. Die Strafdrohung für fahrlässiges Handeln liegt in der Regel erheblich unter der für die vorsätzliche Tat.
2.8
Der Jäger drückt trotzdem ab, weil er sich z.B. sagt: „Was hat dieser Lümmel auch bei der Jagd zu suchen!" (= „Na, wenn schon!")
1.2
erfolgsqualifizierten Vorsatzdelikten
1.3
bei denen das Gesetz an eine besondere Folge der Tat eine schwerere Strafe knüpft (o.ä.)
2.9
1. § 18;der Täter diese Folge (Tod) wenigstens fahrlässig herbeigeführt hat (o.ä.) 2. Nein! Es entfällt nur die Möglichkeit, den Täter wegen des erfolgsqualifizierten Delikts zu bestrafen. Übrig bleibt seine Bestrafung wegen des Grunddelikts des § 223 (1) bzw. gemäß § 223 a (1) (o.ä.).
1.4
der Fahrlässigkeit; eine auffallende und ungewöhnliche Sorglosigkeit an den Tag legt, die den Eintritt eines Erfolgs besonders wahrscheinlich macht.
FALLBEARBEITUNG 4
459
L e i n z i e l : Durch die selbständige Lösung der beiden nachfolgenden Fälle sollen Sie insbesondere Ihr in den LE zu den Fahrlässigkeitsdelikten erworbenes Wissen anwenden und die systematische Bearbeitung strafrechtlicher Fälle trainieren.
6. Fall Kleine Ursache, große Wirkung Sachverhalt: Ein Sonntagvormittag im Juni. Frankfurt. Frauenlobstraße. Über dem Villenviertel geht ein heftiger Regenschauer nieder. Mühsam schleppt sich die 65jährige hörgeschädigte und schwer herzkranke Lydia Lehmann (L) unter ihrem Regenschirm nach Hause. Bei diesem Wolkenbruch ist sie weit und breit die einzige auf dem Gehsteig. Von hinten nähert sich der Spediteur Werner Marx (M), der mit seinem schweren Möbeltransporter unter Mißachtung des Sonntagsfahrverbots (§ 30 (3) Satz 1 StVO) noch rasch eine lukrative Fuhre durchgeführt und es nun eilig hat, unbemerkt von der Polizei nach Hause zu kommen. Schon aus der Entfernung sieht M die große Wasserpfütze neben der einsamen Fußgängerin. Für einen Augenblick denkt er daran, das Tempo zu drosseln, um die L nicht vollzuspritzen. Er will aber keine Zeit verlieren und fährt mit unverminderter Geschwindigkeit in die Wasserlache hinein. Eine große schmutzigbraune Fontäne überschüttet die L. Ihre gesamte Kleidung, der geblümte Sommerrock, die helle Bluse und die beige Wolljacke sind reif für die Wäscherei. Viel schlimmer! Über den ebenso unverhofften wie heftigen Guß erschrickt die L dermaßen, daß sie einen Herzanfall erleidet. Mit letzter Kraft schleppt sie sich in den nächsten Hauseingang. Dann setzt ihr Herz aus. Frau L stirbt. Aufgabe: Untersuchen Sie die Strafbarkeit des M! Hinweise: Im Rahmen der strafrechtlichen Fahrlässigkeitsprüfung sollen Sie insbesondere erwägen, ob sich eine Sorgfaltswidrigkeit des M mit seinem Verstoß einerseits gegen § 30 (3) Satz 1 StVO und andererseits gegen die Generalklausel des § 1 (2) StVO begründen läßt. Von dieser Untersuchung ist die Frage zu trennen, ob M etwa eine Verkehrsordnungswidrigkeit gemäß § 24 StVG i.V.m. § 49 (1) Nr. 1 StVO begangen hat. Die Durchführung dieser Prüfung gehört nicht mehr zu Ihrer Aufgabe. (1) Es kommen zwei Delikte in Betracht. Welche?
Bearbeitungszeit: Minimum 20 Minuten.
460
Fallbearbeitung 4 (1) Fahrlässige Tötung (§ 222) und Sachbeschädigung (§ 3 0 3 (1))
MUSTERLÖSUNG A Fahrlässige Tötung (§ 222)!) I Tatbestandsmäßigkeit Die Vornahme der objektiv sorgfaltswidrigen Handlung des M ergibt sich aus seinem Verstoß gegen § 1 (2) StVO. Diese Vorschrift legt jedem Verkehrsteilnehmer die Pflicht auf, niemanden zu schädigen, zu gefährden oder mehr, als nach den Umständen unvermeidbar, zu behindern oder zu belästigen. M durfte demnach nicht so schnell fahren, daß die L vollgespritzt und beschmutzt wurde. Zweifelhaft erscheint jedoch, ob der Tod der L durch das Anspritzen verursacht worden ist. Man könnte versucht sein, bezüglich der Kausalität zwischen entferntem Anlaß (Anspritzen) und eigentlicher Todesursache (Herzanfall) zu unterscheiden. Derartige Differenzierungen sind jedoch nicht begründet. Im Strafrecht gilt die Äquivalenztheorie. Hätte M die L nicht vollgespritzt, so hätte sie den schweren Herzanfall nicht erlitten und wäre nicht g e s t o r b e n 2 ) . Daß der Tod der L darüber hinaus auf ihre Herzkrankheit und auf die Tatsache zurückzuführen ist, daß sie infolge ihrer Schwerhörigkeit über den sich von hinten nähernden LKW heftig erschrak, steht der Annahme der Kausalität der Handlung des M nicht entgegen. Der Kausalzusammenhang wird dadurch nicht „unterbrochen". Denn gerade weil diese Umstände in der Person der L vorlagen, hat das unverhoffte Anspritzen durch M zum Tod der L geführt. Der Schutzzweck des § 1 (2) StVO impliziert auch den Schutz von Leib und Leben der übrigen Verkehrsteilnehmer. Mithin ist auch das Erfordernis des Risikozusammenhangs erfüllt. Es stellt sich allerdings die Frage, ob ein einsichtiger und besonnener Mensch in der Lage des M den eingetretenen Erfolg voraussehen konnte. Diese Frage ist zu verneinen. Die objektive Voraussehbarkeit des Erfolgs entfällt bei atypischem Kausalverlauf. Als atypisch gilt ein Kausalverlauf, der gänzlich außerhalb der allgemeinen Lebenserfahrung liegt. Daß es vor Schreck oder Aufregung über einen rücksichtslosen Autofahrer zum Tod eines anderen Straßenverkehrsteilnehmers kommt, ist so selten, daß ein einsichtiger u n d besonnener Autofahrer in der Lage des M damit nicht zu rechnen braucht. Der Tod der L liegt somit gänzlich außerhalb der allgemeinen Lebenserfahrung. Unter diesem Aspekt läßt sich die Tatbestandsmäßigkeit des § 222^) nicht begründen. 1) Fast alle Bearbeiter untersuchen von vornherein das fahrlässige Tötungsdelikt, weil sie es richtig im Gespür haben, daß der Sachverhalt für die Prüfung eines vorsätzlichen Tötungsdelikts (§ 212 (1)) nichts hergibt. Wer gleichwohl mit § 2 1 2 ( 1 ) beginnt, kommt aber über die Annahme eines Tatbestandsirrtums notwendigerweise ebenfalls zur fahrlässigen Tötung. 2) Auf die Wiedergabe der abstrakten Formel der Äquivalenztheorie wird bewußt verzichtet. Statt dessen wird der praxisnähere Weg gewählt, diese Kausalitätsformel sogleich mit dem Sachverhalt aufzufüllen und direkt anzuwenden. 3) Daher ist auf die übrigen Merkmale der Fahrlässigkeit gar nicht mehr einzugehen.
Fallbearbeitung 4
461
Die Tatbestandsmäßigkeit des Verhaltens des M i.S.d. § 222 läßt sich auch nicht auf den Verstoß gegen das Sonntagsfahrverbot des § 30 (3) Satz 1 StVO stützen. Zwar handelt objektiv sorgfaltswidrig, wer trotz des Sonntagsfahrverbots mit seinem LKW fährt. Auch an dem Kausalzusammenhang zwischen diesem Verstoß gegen die StVO und dem Tod der L i.S.d. Äquivalenztheorie bestehen keine Zweifel. Aber der Schutzzweck des § 30 (3) Satz 1 StVO erschöpft sich, wie insbesondere neben der Überschrift auch Absatz 1 und 2 zeigen, im Lärmschutz. Es liegt außerhalb des Schutzzwecks des § 30 (3) Satz 1 StVO, durch das Sonntagsfahrverbot für LKW Leib und Leben der übrigen Straßenverkehrsteilnehmer zu gewährleisten. Mithin wird durch die Sonntagsfahrt des M gerade nicht jene spezifische Gefahr realisiert, deren Abwendung die Sorgfaltsnorm des § 30 (3) Satz 1 StVO bezweckt. Es fehlt insoweit bereits am Erfordernis des Risikozusammenhangs. Ergebnis: M ist nicht wegen fahrlässiger Tötung (§ 222) zu bestrafen. B Sachbeschädigung (§ 303 (1)) I Tatbestandsmäßigkeit Durch das Vollspritzen der Kleider der L hat M fremde Sachen unbrauchbar gemacht und damit i.S.d. § 303 (1) beschädigt 4 ). II Rechtswidrigkeit Rechtfertigungsgründe sind aus dem Sachverhalt nicht ersichtlich. III Schuld Es ist die Frage, ob M vorsätzlich gehandelt hat 5 ). Läge bloß Fahrlässigkeit vor, wäre M schon deshalb straflos, weil es keine fahrlässige Sachbeschädigung gibt (§ 303 (1) i.V.m. § 15). Sachbeschädigung erfordert mindestens dolus eventualis. Das Problem stellt sich folglich dahin, ob M mit bedingtem Vorsatz oder bewußt fahrlässig gehandelt hat. Sowohl beim dolus eventualis als auch bei der bewußten Fahrlässigkeit hält der Täter die Verwirklichung des gesetzlichen Tatbestandes für möglich. Der Unterschied zur bewußten Fahrlässigkeit liegt aber darin, daß der bedingt vorsätzlich Handelnde die Tatbestandsverwirklichung ernstlich für möglich hält und sich mit ihr abfindet. Dagegen vertraut, wer bewußt fahrlässig handelt, darauf, daß sich der Tatbestand nicht verwirklicht. M hatte rechtzeitig erkannt, daß der Wagen bei unverminderter Geschwindigkeit die L vollspritzen würde. Trotz dieser Einsicht hat er seine Geschwindigkeit beibehalten, weil er es eilig hatte. M hatte sich offenkundig gesagt: ,,Na, wenn schon". Er hat somit das Beschädigen der Kleider der L ernstlich für möglich gehalten und sich mit diesem Erfolg abgefunden. Insoweit ist daher bedingter Vorsatz gegeben. Ergebnis: Damit sind alle materiellrechtlichen Voraussetzungen für eine Bestrafung des M wegen vorsätzlicher Sachbeschädigung (§ 303 (1)) erfüllt6). 4) Da die Erfüllung des Tatbestandes des § 303 (1) hier unproblematisch ist, genügt diese Kurzprüfung. 5) Die übrigen Schuldelemente brauchen nicht erwähnt zu werden, da sie hier unproblematisch sind. 6) Eine andere Frage ist es, ob M wegen Sachbeschädigung in diesem Fall (§ 303 (1)) auch tatsächlich bestraft werden kann. § 303 (1) ist ein sog. Antragsdelikt (§ 303 (3)). Bei Antragsdelikten findet eine Strafverfolgung ohne Antrag nicht statt. Offenbar ist kein Strafantrag gestellt. Aus diesem formellen Grunde ist M nicht wegen Sachbeschädigung zu bestrafen.
462
Fallbearbeitung 4 7. Fall Der Tod eines Handlungsreisenden Sachverhalt: Zwischen Münster und Nottuln überholt der Verkaufsfahrer Walter Hülsenbrink (H) auf gerader, aber nicht sehr breiter Straße einen vor ihm fahrenden LKW, obwohl ihm ein anderer Wagen mit hoher Geschwindigkeit entgegenkommt. Frontalzusammenstoß! Während H wie durch ein Wunder unversehrt bleibt, wird der Fahrer des anderen PKW, der Trikotagenvertreter Horst Miederlein (M) aus Adelsried bei Augsburg, erheblich, wenngleich nicht unbedingt lebensgefährlich, verletzt. Er stirbt jedoch an den drei Tage nach seiner Operation aufgetretenen Komplikationen. Der Schaden am Wagen des Handlungsreisenden beträgt 5000 DM. Deswegen hat M gegen H noch am Unfalltag Strafantrag gestellt. H behauptet mit Nachdruck, er habe das entgegenkommende Auto überhaupt nicht gesehen. Das will ihm zuerst niemand so recht glauben. Dann aber stellte sich folgendes heraus: H hatte sich wegen erheblicher Magenschmerzen zunächst geweigert, die Fahrt anzutreten, diesen Entschluß aber wohl oder übel revidiert, als ihm von seinem Chef, dem Distriktsleiter J o h a n n Däubler (D), mit fristloser Entlassung gedroht wurde, wenn er nicht „sofort losführe". Danach hatte H hastig eine Packung „Librax" angebrochen und ein Dragee genommen. Dieses Medikament war ihm am Vortage vom Arzt wegen seiner nervösen Magenbeschwerden verordnet worden. Die Tablette hatte H mit einem herzhaften Schluck aus seiner Schnapsbuddel hinuntergespült. In der Eile hatte er die Gebrauchsanweisung der Arzneimittelfirma nicht gelesen. In ihr heißt es ausdrücklich, daß „Librax" wie alle Psychopharmaka die Fahrtüchtigkeit herabsetzen könne, vor allem wenn gleichzeitig Alkohol genossen werde. Das Gutachten des Sachverständigen lautet dahin, daß der sekundenlange Ausfall des Sehund Reaktionsvermögens bei H während des Überholvorganges auf die potenzierte Beeinträchtigung der Fahrtüchtigkeit durch „Librax" und Alkohol zurückzuführen sei. Aufgabe: Untersuchen Sie die Strafbarkeit des H! Hinweise: Gegen die Sorgfaltsvorschrift des § 1 (2) StVO verstößt u.a., wer eine Fahrt in verkehrsuntüchtigem Zustand antritt oder fortsetzt. Neben dieser Bestimmung spielt aber auch die Vorschrift des § 5 (2) Satz 1 StVO für die Fahrlässigkeitsproblematik dieses Falles eine Rolle. Beschränken Sie sich ausschließlich auf die Untersuchung der fahrlässigen Tötung (§ 222) und der Sachbeschädigung (§ 303 ( l ) ) 1 ) . Etwaige Verkehrsordnungswidrigkeiten des H (§ 24 StVG i.V.m. § 49 StVO) bleiben daher auch bei diesem Sachverhalt außer Betracht. Bearbeitungszeit: Minimum 45 Minuten. Dieser Fall ist um einiges „kniffliger" als der vorangegangene. 1) Insbesondere muß die Untersuchung des komplizierten Delikts der „Fahrlässigen Gefährdung des Straßenverkehrs" (§ 315 c (3)) in diesem Stadium Ihrer strafrechtlichen Ausbildung unterbleiben.
Fallbearbeitung 4
463
MUSTERLÖSUNG A Fahrlässige Tötung (§ 222)1) I Tatbestandsmäßigkeit 2) Es kommt ein doppelter Verstoß des H gegen objektive Sorgfaltspflichten in Betracht 3 ). 1. H hatte den LKW überholt, obwohl er dadurch den entgegenkommenden M behinderte und gefährdete. Darin liegt eine Übertretung des § 5 ( 2 ) Satz 1 StVO. 2. Der andere Sorgfaltsverstoß besteht darin, daß H die Fahrt angetreten und ein Fahrzeug gelenkt hatte, obwohl er sich infolge der durch den Alkohol potenzierten Medikamentenwirkung in einer fahruntüchtigen Verfassung befunden hatte. Darin liegt ein Verstoß gegen § 1 (2) StVO. Ein einsichtiger und besonnener Fahrer tritt eine Autofahrt nicht unter Drogen- u n d Alkoholeinwirkung an und überholt auch nur dann, wenn dies ohne Gefährdung für den Entgegenkommenden möglich ist. Beide Sorgfaltsverstöße haben dazu geführt, daß H den tödlichen Unfall des M verursacht hat4). Sowohl § 5 ( 2 ) Satz 1 StVO als auch § 1 ( 2 ) StVO verfolgen den Zweck, Unfälle, vor allem auch tödliche Unfälle zu verhüten, die sich beim Überholen bzw. durch die Teilnahme am Straßenverkehr in fahruntüchtigem Zustand erfahrungsgemäß leicht ereignen. Der eingetretene Erfolg liegt somit innerhalb des Schutzzwecks der beiden genannten Vorschriften. Daß der Handlungsreisende nicht unmittelbar an dem Unfall, sondern erst an den Folgen der unfallbedingten Operation gestorben ist, würde nur dann die objektive Voraussehbarkeit des Todes ausschließen, wenn es sich insoweit um einen atypischen Kausalverlauf handeln würde. Davon kann jedoch keine Rede sein. Daß das Verkehrsopfer auch an den Komplikationen einer unfallbedingten Operation sterben kann, liegt durchaus innerhalb der allgemeinen Lebenserfahrung. Die objektive Voraussehbarkeit des Todes des M ist folglich gegeben.
1) Vorsätzliche Tötung (§ 212 (1)) zu prüfen, erscheint bei diesem Sachverhalt sehr fernliegend, wäre aber gerade noch vertretbar. Allerdings müßte der Bearbeiter dann zum Ergebnis gelangen, daß bei H Vorsatz abzulehnen und allenfalls Fahrlässigkeit anzunehmen sei. Damit kommt er automatisch dorthin, wo die Musterlösung einsetzt. 2) Den strafrechtlichen Handlungsbegriff zu erörtern, erscheint bei diesem Sachverhalt zwar möglich, aber nicht geboten. Jedenfalls darf er nicht verneint werden. 3) Hier liegt bereits die erste Klippe der Arbeit. Die vollständige Lösung des Falles verlangt es, beide Sorgfaltsverstöße zu erkennen und der Fallösung zugrundezulegen. 4) Keine theoretischen Ausführungen zur Äquivalenztheorie, wenn die Kausalität — wie hier — unproblematisch ist.
464
Fallbearbeitung 4 II Rechtswidrigkeit Rechtfertigungsgründe liegen nicht vor. III Schuld Ein „sekundenlanger Ausfall des Seh- u n d Reaktionsvermögens" bedeutet noch keinen Zustand „tiefgreifender Bewußtseinsstörung" i.S.d. § 20. Die Schuldfähigkeit des H ist somit nicht ausgeschlossen 5) • Bezüglich der subjektiven Sorgfaltswidrigkeit ist zu differenzieren 6). 1. Hinsichtlich der Übertretung des Sorgfaltsgebots des § 5 (2) Satz 1 StVO fehlt es an einer subjektiven Sorgfaltswidrigkeit. Denn nach dem Gutachten des Sachverständigen war H wegen des Genusses von „Librax" und Alkohol im Zeitpunkt des Überholmanövers nach seinen persönlichen Verhältnissen zur Beachtung des Sorgfaltsgebots des § 5 ( 2 ) Satz 1 StVO nicht mehr in der Lage. Nur so läßt sich erklären, daß H den entgegenkommenden PKW überhaupt nicht bemerkt hatte. 2. Anders ist dagegen die Vorwerfbarkeit des Verstoßes gegen § 1 (2) StVO zu beurteilen. Es mag dahingestellt bleiben , ob H im Zeitpunkt des Überholens nach seinen persönlichen Verhältnissen noch imstande war, seine Fahruntüchtigkeit zu erkennen. Maßgebend ist, daß er seine mögliche Fahruntüchtigkeit vor Antritt seiner R e i s e 8) hätte erkennen können. H hätte vor der Einnahme des Medikamentes die Gebrauchsanweisung durchlesen sollen. Dann wäre ihm klargeworden, daß er mit der anschließenden Autofahrt ein Risiko auf sich nimmt, das zu beherrschen er nach dem gleichzeitigen Genuß von „ L i b r a x " und Alkohol möglicherweise nicht mehr in der Lage sein würde (sog. Übernahmefahrlässigkeit). Zu diesem Zeitpunkt (d.h. vor Antritt der Fahrt) hätte H auch subjektiv voraussehen können, daß er in diesem Zustand eine tödliche Gefahr für die übrigen Verkehrsteilnehmer bedeutet 9). Es ist jedoch die Frage, ob dem H nach seinem Streit mit D ein solches sorgfaltsgemäßes Handeln überhaupt zuzumuten war 10).
5) Einer der seltenen Sachverhalte, in denen A n l a ß besteht, das T h e m a des § 20 w e n i g s t e n s anzuschneiden. 6 ) Bei der subjektiven Sorgfaltswidrigkeit zeigt sich, w i e notwendig verstößen zu unterscheiden.
es ist, z w i s c h e n b e i d e n Sorgfalts-
7) A u f diese Weise umgeht die Praxis (mit R e c h t ! ) Erörterungen tatsächlicher oder rechtlicher Art, auf die es für die Entscheidung des Falles nicht a n k o m m t . Vgl. Kienapfel aaO. § 2 ( 1 4 ) u. ( 1 5 ) . 8) D i e s zu erkennen, bildet die zweite Lösung.
Klippe
der Arbeit und zugleich den „springenden P u n k t " ihrer
9) Ausführungen z u m U n r e c h t s b e w u ß t s e i n sind entbehrlich, da sich aus d e m Sachverhalt für sein Fehlen keine A n h a l t s p u n k t e ergeben. 10) Das Erkennen und das L ö s e n dieser Problematik bildet die dritte
Klippe
dieser Arbeit.
F 4
Fallbearbeitung 4
465
H ist nur durch Androhung fristloser Entlassung zum Antritt der Fahrt bewogen worden. Diese Ankündigung bedeutete eine schwere Gefahr für das berufliche Fortkommen des H und setzte ihn unter erheblichen psychischen Druck. Er stand vor der Alternative, entweder „sogleich loszufahren" oder seinen Arbeitsplatz zu verlieren. Auf der anderen Seite war die Gefahr, daß H auf der Fahrt tatsächlich einen Unfall verursachen würde, nicht sehr naheliegend. Unter diesen Umständen war H die Lektüre des Beipackzettels und damit sorgfaltsgemäßes Verhalten bezüglich seiner etwaigen Fahruntüchtigkeit nicht mehr zumutbar ID. Ergebnis: Mangels Zumutbarkeit sorgfaltsgemäßen Verhaltens entfällt der Schuldvorwurf gegen H. Eine Bestrafung gemäß § 222 scheidet damit aus. B Sachbeschädigung (§ 3 0 3 (1)) I Tatbestandsmäßigkeit H hat durch den von ihm verursachten Verkehrsunfall den Wagen des M, mithin eine fremde Sache, zerstört. II Rechtswidrigkeit Rechtfertigungsgründe kommen nicht in Betracht. III Schuld Bezüglich der Schuldfähigkeit des H gilt das oben A III Ausgeführte entsprechend. H hat jedoch nicht vorsätzlich gehandelt. Es liegt ein Tatbestandsirrtum vor. Der Sachverständige bestätigt dem H „sekundenlangen Ausfall des Seh- und Reaktionsvermögens während des Überholvorganges". H hat den drohenden Zusammenstoß also gar nicht wahrgenommen und folglich auch nicht erkannt, daß er einen Sachverhalt verwirklicht, der dem gesetzlichen Tatbestand des § 3 0 3 (1) entspricht. Mit der Wissenskomponente entfällt der Vorsatz 12). Sachbeschädigung ist nur bei Vorsatz strafbar (§ 3 0 3 (1) i.V.m. § 15). Ergebnis: Eine Bestrafung des H wegen Sachbeschädigung (§ 3 0 3 (1)) scheidet aus.
11) Die gegenteilige Lösung erscheint durchaus nicht unvertretbar. Es kommt darauf an, ob man mit der Musterlösung einen eher milden Maßstab für die Zumutbarkeit sorgfaltsgemäßen Verhaltens zugrundelegt. Zur Fage des „richtigen" Ergebnisses vgl. Kienapfel aaO. § 2 ( 2 5 ) . 12) Es erübrigt sich daher ein Eingehen auf die Wollenskomponente, nämlich auf die Frage, ob dem H bezüglich der Beschädigung des fremden PKW bedingter Vorsatz oder bloß bewußte Fahrlässigkeit zur Last zu legen ist.
UNTERLASSUNGSDELIKTE 1
466
LE 28
L e r n z i e l : Sie sollen die „ u n e c h t e n " von den „ e c h t e n " Unterlassungsdelikten unterscheiden und die Bedeutung des § 13 für die unechten Unterlassungsdelikte kennenlernen. Außerdem sollen Sie in die Problematik der Abgrenzung von Tun und Unterlassen eingeführt werden.
Schon bei der Darstellung des strafrechtlichen Handlungsbegriffs haben Sie gelernt, daß es zwei Erscheinungsformen der Handlung gibt: (1)
Entweder man „ t u t " etwas oder man
" etwas.
(2)
Unterlassen wurde definiert als (bitte ergänzen!)
Das Lernprogramm hat sich bisher ausschließlich mit solchen Handlungen befaßt, bei denen der Tatbestand eines Delikts durch ein Tun verwirklicht wurde: A versetzt
(3)
dem B eine
Ohrfeige.
Die Verkäuferin
Ilona nimmt heimlich
Ein Schausteller
vergewaltigt
Geld aus der
eine Siebzehnjährige
Ladenkasse.
hinter der
Daneben gibt es zahlreiche Handlungen, bei denen der T
Kirmesbude. eines Delikts
durch ein Unterlassen, d.h. durch Nichtvornahme eines gebotenen T\ins erfüllt wird: Eine Mutter läßt ihr Kind Ein Nachtwächter
verhungern.
unternimmt
nichts, um den Einbrecher
Ein Arzt lehnt es ab, einem Schwerverletzten (4)
zu
erste Hilfe zu
vertreiben. leisten.
Bezüglich einer Tat, die durch begangen wird, treten zum Teil andere Probleme auf als bei einer Tat, die in einem Tun besteht. In den Vordergrund tritt die rechtliche Verpflichtung, ein bestimmtes."Ihn (nämlich das „gebotene" Tun) vorzunehmen.
(5)
Die Mutter ist nach der Rechtsordnung dazu Gesundheit ihres Kindes zu erhalten.
das Leben und die
(6)
Der Wächter ist nach der Rechtsordnung dazu verpflichtet, (bitte ergänzen!)
(7)
Eine ganz andere Frage ist es, ob und gegebenenfalls nach welcher Vorschrift derjenige zu bestrafen ist, der das gebotene Tun vornimmt / nicht vornimmt. Mit dieser nicht immer leicht zu beantwortenden Frage befassen sich die LE 29 bis 30.
LE 28
Unterlassungsdelikte 1
(1) „unterläßt" (5) verpflichtet
467
(2) Nichtvornahme eines gebotenen Tuns (3) Tatbestand (4) Unterlassen (6) dafür zu sorgen, daß nichts gestohlen wird (o.a.) (7) nicht vornimmt
Nicht alle Unterlassungen sind mit Strafe bedroht. Wer seinem Nachbarn nicht hilft, den ausgerissenen Stallhasen einzufangen, ist ebensowenig strafbar wie der junge Mann im Bus, der es unterläßt, seinen Sitzplatz einem Körperbehinderten anzubieten. Mit Strafe bedroht sind nur solche Unterlassungen, für welche der Gesetzgeber eigens (1)
delikte geschaffen hat. Den Begriff der Unterlassungsdelikte hatten Sie bereits in LE 9 kennengelernt.
(2) Unterlassungsdelikte sind Delikte, bei denen das Gesetz (bitte ergänzen!)
Die Unterlassungsdelikte zerfallen in zwei Deliktsgruppen, die echten Unterlassungsdelikte und die unechten Unterlassungsdelikte. Bei den echten (Synonym: schlichten) Unterlassungsdelikten erschöpft sich der Tatbestand in der Nichtvornahme eines gebotenen Tuns. Auf den Eintritt des Erfolgs kommt es nicht an. Das Musterbeispiel eines echten Unterlassungsdelikts bildet die Unterlassene Hilfeleistung (§ 330 c). Bitte lesen! Vor den Augen des Passanten P kommt J mit seinem Moped in einer Straßenbahnschiene zu Fall und bleibt bewußtlos auf der Fahrbahn liegen. P geht ungerührt weiter. (3)
Bei dem geschilderten Unglücksfall hat P es unterlassen, (bitte ergänzen!)
Für die Verwirklichung des Tatbestandes des § 330 c (bitte erneut lesen!) macht es einen (4) Unterschied / keinen Unterschied, ob J durch die Unterlassung der Hilfeleistung z.B. einen Körperschaden davonträgt oder gar überfahren wird. (5) Denn bei § 330 c handelt es sich um ein (6) stand erschöpft sich (bitte ergänzen!)
Unterlassungsdelikt. Sein Tatbe-
Den echten Unterlassungsdelikten entspricht bei den Begehungsdelikten die Deliktsgruppe (7) der
Unterlassungsdelikte 1
468 (1) (3) (5) (7)
L E 28
Unterlassungsdelikte ( 2 ) die Nichtvornahme eines gebotenen Tuns mit Strafe b e d r o h t (o.a.) (die im Gesetz näher beschriebene) Hilfe zu leisten (o.a.) ( 4 ) keinen Unterschied echtes ( 6 ) in der Nichtvornahme des (durch § 3 3 0 c) gebotenen Tuns (o.ä.) schlichten Tätigkeitsdelikte
Das StGB kennt nur wenige echte Unterlassungsdelikte. Neben § 330 csind insbesondere die §§ 123 (1) 2. Alt und 138 (1) zu nennen. Sie kommen in der Praxis — mit Ausnahme des § 3 3 0 c — nur selten zur Anwendung. Die Stufe der Tatbestandsmäßigkeit bereitet bei den echten Unterlassungsdelikten meist keine Schwierigkeiten. Im allgemeinen hat es mit der Subsumtion unter die jeweiligen Tatbestandsmerkmale das Bewenden. Auf zwei Besonderheiten ist indessen aufmerksam zu machen. Bei sämtlichen echten Unterlassungsdelikten ist die tatsächliche Möglichkeit der Vornahme des gebotenen Tuns ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal. Am 18.7.1969 stürzte Senator Edward Kennedy mit seinem Oldsmobile von einer auf der Insel Chappaquiddick in ein zweieinhalb Meter tiefes Wasser. Der Senator sich retten. Mary Jo Kopechene, die mit ihm gefahren war, ertrank.
(1)
Brücke konnte
Lesen Sie § 3 3 0 c und schildern Sie den Fall so, daß der Senator keine Möglichkeit hatte, seine Begleiterin zu retten!
(2) In dem von Ihnen geschilderten Fall entfällt die Schuld / die Rechtswidrigkeit / die Tatbestandsmäßigkeit i.S.d. § 3 3 0 c. Die andere Besonderheit besteht darin, daß die Zumutbarkeit, welche bei den Begehungs(3) delikten Tatbestandsmerkmal / Schuldelement ist, bei den echten Unterlassungsdelikten bereits auf der Stufe der Tatbestandsmäßigkeit zu prüfen ist. Hätte Kennedy Mary J o Kopechene nur „unter erheblicher eigener Gefahr" (vgl. § 3 3 0 c) (4) retten können, würde somit wegen keit die Tatbestandsmäßigkeit / Rechtswidrigkeit / Schuld seiner Unterlassenen Hilfeleistung entfallen. Bezüglich Rechtswidrigkeit und Schuld bei den echten Unterlassungsdelikten gelten im übrigen die Ausführungen des Lernprogramms zu den Begehungsdelikten entsprechend.
Unterlassungsdelikte 1
LE 28
469
(1) Kennedy ist selbst schwerverletzt (o.a.) (2) die Tatbestandsmäßigkeit (3) Schuldelement (4) Unzumutbarkeit; die Tatbestandsmäßigkeit
Nun zu den unechten Unterlassungsdelikten! Fall 1: Ein Vater (V) stößt seinen dreijährigen Sohn (S) in den Bach, damit er
ertrinkt.
Fall 2: Ein Vater (V) sieht zu, wie sein von allein in den Bach gefallener Sohn (S)
ertrinkt.
Für V kommt in beiden Fällen ein Tötungsdelikt in Betracht. (1) Im Falle 1 hat V den Tod des S durch ein Tun / durch ein Unterlassen herbeigeführt. Dieser Fall ist unproblematisch. Es handelt sich um Totschlag (§ 212 (1)) durch ein Tun.
(2)
Problematisch ist jedoch Fall 2. Denn in diesem Fall hat V den Tod des S nicht durch ein sondern dadurch herbeigeführt, daß er ihn entgegen der ihn als Vater treffenden Verpflichtung (bitte ergänzen!)
Mithin hat V im Falle 2 seinen Sohn durch Unterlassen, d.h. durch Nichtvornahme eines (3) g
getötet.
Hat V im Falle 2 vorsätzlich gehandelt, spricht man von „Totschlag durch Unterlassen". Fällt V nur Fahrlässigkeit zur Last, spricht man von „Fahrlässiger Tötung durch Unterlassen". Es lassen sich zahlreiche Delikte denken, in denen der Erfolg nicht durch ein Tun, sondern (4) durch N herbeigeführt wird. Unternimmt eine Mutter nichts, um ihr auf die Fahrbahn gelaufenes Kind zu retten, und wird dieses infolgedessen angefahren, so kommt für die Mutter vorsätzliche oder fahrlässige (5) „Körperverletzung durch " (§ 223 (1) bzw. § 230) in Betracht. Selbst eine Beleidigung (§ 185) durch Unterlassen ist denkbar. Der Angeklagte will den Gerichtsvorsitzenden in der Hauptverhandlung provozieren und nennt den Richter am LG Dr. jur. Franz Hoffmann unter bewußem Weglassen von Amtsbezeichnung, Titel und der Anrede „Herr" schlicht „Hoffmann". „Totschlag durch Unterlassen", „fahrlässige Tötung durch Unterlassen", vorsätzliche und fahrlässige „Körperverletzung durch Unterlassen", „Beleidigung durch Unterlassen", „Brandstiftung durch Unterlassen", „Sachbeschädigung durch Unterlassen" etc. faßt man unter der Bezeichnung unechte Unterlassungsdelikte zusammen.
(6)
Unechte Unterlassungsdelikte sind Delikte, bei denen das Gesetz die Herbeiführung eines durch Nichtvornahme eines gebotenen Tuns mit Strafe bedroht.
Unterlassungsdelikte 1
470
LE 28
(1) durch ein T u n (2) T u n ; nicht gerettet hat (o.a.) ( 3 ) gebotenen Tuns ( 4 ) Nichtvornahme eines g e b o t e n e n Tuns ( 5 ) Unterlassen ( 6 ) Erfolgs
Bei den unechten Unterlassungsdelikten handelt es sich um einen selbständigen strafrechtlichen Deliktstypus. Die gesetzlichen Grundlagen dieses Deliktstypus finden sich in § 13 (1). Bitte lesen! § 13 (1) ist in mehrfacher Hinsicht von fundamentaler Bedeutung für das Verständnis und die Konstruktion der unechten Unterlassungsdelikte.
(1)
Die Strafbarkeit z.B. des Totschlags durch ein Tun (d.h. des Begehungsdelikts) ergibt sich unmittelbar aus dem Wortlaut des § Die Strafbarkeit des Totschlags durch Unterlassen (d.h. des unechten Unterlassungsdelikts) ist dagegen nicht unmittelbar aus dem Wortlaut des § 212 (1) zu entnehmen.
(2) Warum nicht?
Die Strafbarkeit des Totschlags durch Unterlassen ergibt sich vielmehr erst aus § 212 (1) i.V.m. § 13 (1). Denn § 13 (1) dehnt die Strafbarkeit des in Betracht kommenden Begehungsdelikts aus(3) drücklich auf die Herbeiführung des Erfolgs (z.B. des § 212 (1)) durch aus. Darüber hinaus legt § 13 (1) die rechtlichen Voraussetzungen fest, unter denen die Herbeiführung eines Erfolgs durch ein Unterlassen strafbar ist. Diese rechtlichen Voraussetzungen gehören zu den Tatbestandsmerkmalen des unechten Unterlassungsdelikts. Näheres in LE 29 und 30.
(4) (5)
Der Tatbestand z.B. der Freiheitsberaubung durch Unterlassen wird somit gebildet aus § i.V.m. § 13 (1). Ein Vater, der fahrlässig sein Kind nicht vor dem Ertrinken rettet, wird bestraft aus § i.V.m. § Der Hauseigentümer H hat es verabsäumt, das schadhaft gewordene Dach ausbessern lassen. Eine Dachschindel fällt herab und verletzt den Fußgänger F an der Schulter.
zu
F stellt gegen H Strafantrag (§ 232 (1)) wegen fahrlässiger Körperverletzung. Diese beruht (6)
auf einem Tun des H / auf einem Unterlassen des H.
(7)
Mithin kommt eine Strafverfolgung des H gemäß § 230 / gemäß § 230 i.V.m. § 13 (1) in Betracht.
LE 28
Unterlassungsdelikte 1
471
(1) § 2 1 2 ( 1 ) (2) Weil die Tathandlung des § 212 (1) nach der gesetzlichen Formulierung in einem bestimmten Tun (= Töten) besteht (o.a.). (3) Unterlassen bzw. Nichtvornahme eines gebotenen Tuns (4) § 239 (1) (5) § 2 2 2 i.V.m. § 13 (1) (6) auf einem Unterlassen des H (7) gemäß § 230 i.V.m. § 1 3 ( 1 )
Außerdem hat § 13 (1) die Bedeutung einer authentischen Auslegungsregel. (1) Denn diese Vorschrift ermöglicht die Subsumtion eines U unter die durchweg als formulierte Tathandlung eines Begehungsdelikts, wenn die übrigen, im § 13 (1) genannten Voraussetzungen erfüllt sind. Bedarf es einer solchen authentischen Auslegungsregel auch bezüglich der echten Unterlassungsdelikte? (2) J a / Nein Begründung:
Weiterhin ergibt sich aus § 13 (1), daß von den beiden Arten der Begehungsdelikte nur die Erfolgsdelikte, nicht aber schlichte Tätigkeitsdelikte durch Unterlassen begangen werden (3) können. Belegen Sie dies aus dem Wortlaut des § 13 (1)!
Beim Beischlaf zwischen Verwandten (§ 173) und beim Meineid (§ 154 (1)) handelt es (4) sich um Erfolgsdelikte / schlichte Tätigkeitsdelikte. (5) Beide Delikte können daher nicht durch Unterlassen / auch durch Unterlassen begangen werden. Machen Sie sich dies an beiden Delikten klar! (6) Das „Vollziehen des Beischlafs" mit Verwandten (§ 173) ist nur in der Form des nicht aber in der Form des denkbar. Die Begehung eines „Meineids" (§ 154 (1)) ist nur in der Form denkbar, daß der Täter den (7) falschen Eid schwört, nicht aber in der Form, daß (bitte ergänzen!)
(8) Schließlich bestimmt § 13 (2), daß der Unterlassungstäter bestraft werden muß / werden kann als der Täter des entsprechenden Begehungsdelikts. Denn die ver(9) brecherische Energie, die hinter einem Unterlassen steht, ist im Regelfall geringer / größer als diejenige, die sich in einem Tun manifestiert. Diese fakultative Strafmilderung ist in der Praxis die Regel. (10) Definieren Sie „unechte Unterlassungsdelikte"!
472
Unterlassungsdelikte 1
LE 28
(1) Unterlassens; Tun (2) Nein! Bei ihnen hat der Gesetzgeber die jeweilige Tathandlung von vornherein als Nichtvornahme eines gebotenen Tuns formuliert (o.a.). (3) § 1 3 ( 1 ) spricht nur von solchen Delikten, bei denen es zum Tatbestand gehört, einen Erfolg abzuwenden (o.a.). (4) schlichte Tätigkeitsdelikte (5) nicht durch Unterlassen (6) Tuns; Unterlassens (7) er ihn nicht schwört (o.a.) (8) milder; werden kann (9) geringer (10) Unechte Unterlassungsdelikte sind Delikte, bei denen das Gesetz die Herbeiführung eines Erfolgs durch Nichtvornahme eines gebotenen Tuns mit Strafe bedroht (o.a.).
Ob die Herbeiführung eines Erfolgs durch ein Tun oder durch ein Unterlassen zu prüfen ist, kann mitunter zweifelhaft sein. Im allgemeinen gilt: Wer ein Kausalgeschehen in Gang setzt oder es in eine bestimmte Richtung lenkt, „ t u t " etwas. Wer den Dingen ihren Lauf läßt und die gebotene Handlung nicht vornimmt, „ l ä ß t " etwas, d.h. unterläßt etwas. Problematisch sind jedoch jene Fälle, in denen sich ein und derselbe Erfolg sowohl auf ein Tun als auch auf ein Unterlassen desselben Täters zurückführen läßt. Man spricht insoweit von mehrdeutigem Verhalten. Beispiel: A fährt bei Dunkelheit mit seinem unbeleuchteten Fahrrad und stößt deshalb den am Straßenrand gehenden B nieder, der dadurch getötet wird. (1) Der Tod des B beruht auf einem Tun des A. Wieso?
(2) Der Tod des B beruht aber auch auf einem Unterlassen des A. Wieso?
Die Frage ist nur, welcher der beiden Aspekte für die strafrechtliche Untersuchung der (3) maßgebliche ist, die Herbeiführung des Erfolgs durch das oder durch das
Die richtige Beantwortung dieser Frage ist aus verschiedenen Gründen von erheblicher praktischer Tragweite. Einmal hängt von ihr ab, ob für A fahrlässige Tötung in der Form des Begehungsdelikts (4) gemäß § 222 oder aber in der Form des Unterlassungsdelikts gemäß § i.V.m. § zu untersuchen ist. (5) Zum anderen hängt die Höhe der Strafe von ihr ab. Wieso?
In den Fällen des mehrdeutigen Verhaltens ist vom Vorrang des Tuns auszugehen. Denn die Herbeiführung des Erfolgs durch ein Tun erscheint prinzipiell strafwürdiger als durch ein Unterlassen (arg § 13 (2)). (6) Folglich ist im obigen Beispiel zu untersuchen, ob A wegen durch ein Tun / durch ein Unterlassen zu bestrafen ist.
-
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Unterlassungsdelikte 1
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(1) Weil er den B angefahren hat (o.a.). (2) Weil er sein Fahrrad nicht beleuchtet hat (o.a.). (3) Tun; Unterlassen (4) unechten; § 222 i.V.m. § 13 (1) (5) Die Herbeiführung eines Erfolgs durch ein Unterlassen kann gemäß § 13 (2) i.V.m. § 49 (1) milder bestraft werden (o.a.). (6) fahrlässiger Tötung (§ 222); durch ein Tun Keine Regel ohne Ausnahme. (1)
Das gilt auch für den Vorrang des
in den Fällen des mehrdeutigen Verhaltens.
Dieser Grundsatz wird d u r c h b r o c h e n , wenn dem Unterlassen ein eigenständiger Unwert zukommt. Beispiel: Beim Stocherkahnfahren auf dem Tübinger Neckar stößt Alwin (A) versehentlich (= fahrlässig) seine schwangere Braut in den Fluß. „Do isch fei nix z 'mache", sagt er sich und nützt die günstige Gelegenheit, sich der Ungeliebten ganz zu entledigen, indem er vorsätzlich nichts zu ihrer Rettung unternimmt. (2)
Die T ö t u n g der Braut b e r u h t auf einem T u n des A, weil (bitte ergänzen!)
(3) Die Herbeiführung ihres Todes b e r u h t aber auch auf einem Unterlassen des A, weil (bitte ergänzen!)
(4)
Unter welchem Aspekt k o m m t d e m Unterlassen des A hier ein eigenständiger Unwert neben seinem T u n zu?
(5)
Daher ist bezüglich der Strafbarkeit des A neben der fahrlässigen T ö t u n g durch ein Tun (§ 222) auch §
i.V.m. §
) zu untersuchen.
In den Fällen des mehrdeutigen Verhaltens k o m m t d e m Unterlassen aber auch dann ein eigenständiger Unwert zu, w e n n der Täter wegen des T u n s nicht bestraft werden kann, weil er insoweit rechtmäßig oder schuldlos gehandelt hat. Beispiel: Ein LKW verliert unterwegs ö l , weil sich die ölablaßschraube gelockert hat. Als der Fahrer (F) auf den Ölverlust aufmerksam wird, hält er sofort an. Nachdem er festgestellt hat, daß eine ca. 100 m lange ölspur entstanden ist, entfernt er sich, o h n e irgendwelche Warnvorrichtungen anzubringen oder das ö l zu beseitigen. Ein Motorradfahrer stürzt auf der ölspur zu Tode. Für F k o m m t das Delikt der fahrlässigen T ö t u n g (§ 222) in Betracht. (6) Worin besteht das T u n des F?
Wegen dieses T u n s kann F nicht bestraft werden, weil er insoweit schuldlos gehandelt hat. (7)
Folglich ist zu untersuchen, o b F gemäß § weil er (worin sehen Sie sein Unterlassen?)
i.V.m. §
bestraft werden kann,
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Unterlassungsdelikte 1
LE 28
(1) Tuns (2) er sie ins Wasser gestoßen hat (o.a.) (3) er sie vor dem Ertrinken nicht gerettet hat (o.a.) (4) Unter dem Aspekt der größeren Schuld; denn bezüglich des Unterlassens hat A vorsätzlich gehandelt (o.a.). (5) Totschlag durch Unterlassen (§ 2 1 2 ( 1 ) i.V.m. § 13 (1)) (6) Darin, daß F unter Ölverlust gefahren ist (o.a.). (7) § 222 i.V.m. § 13 (1); die entstandene ölspur weder beseitigt noch Warnvorrichtungen angebracht hat (o.a.)
ZUSAMMENFASSUNG A Echte Unterlassungsdelikte Echte (Synonym: schlichte) Unterlassungsdelikte sind Delikte, bei denen sich der Tatbestand in der Nichtvornahme eines gebotenen Tuns erschöpft. Beispiele: Hausfriedensbruch in der Alternative des Sich-Nicht-Entfernens (§ 123 (1) 2. Alt); Nichtanzeige geplanter Straftaten (§ 138 (1)); Unterlassene Hilfeleistung (§ 330 c). Von den wenigen echten Unterlassungsdelikten des StGB besitzt insbesondere die Unterlassene Hilfeleistung (§ 330 c) erhebliche praktische Bedeutung. Die echten Unterlassungsdelikte bilden den Gegentypus zu den schlichten Tätigkeitsdelikten. Das allgemeine Fallprüfungsschema mit seinen drei Stufen gilt selbstverständlich auch für die echten Unterlassungsdelikte. Besonderheiten sind vor allem auf der Stufe der Tatbestandsmäßigkeit zu beachten. Die Pflicht zur Vornahme des gebotenen Tuns wird bei allen echten Unterlassungsdelikten durch die physisch-realen Möglichkeiten des Täters begrenzt. Die Vornahme des gebotenen Tuns muß dem Täter tatsächlich möglich sein. Bei diesem Erfordernis handelt es sich um ein ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal der echten Unterlassungsdelikte. Die jeweiligen Tatbestandsmerkmale der einzelnen echten Unterlassungsdelikte ergeben sich im übrigen — nicht anders als bei den Begehungsdelikten — unmittelbar aus der Formulierung des Gesetzes. Bei den Begehungsdelikten geht das Gesetz davon aus, daß es jedermann zumutbar ist, strafbares Tun zu unterlassen. Deshalb stellt sich die Frage der Zumutbarkeit dort allenfalls im Rahmen des individuellen Könnens. Sie ist mithin ein Schuldproblem. Anders bei den echten Unterlassungsdelikten: Zur Vornahme eines gebotenen Tuns sollen von vornherein nur solche Personen verpflichtet sein, denen dies auch zugemutet werden kann. Ist die Vornahme der Handlung nicht zumutbar, entfällt bereits das Unrecht der Unterlassung. Deshalb gehört die Zumutbarkeit der Vornahme des gebotenen Tuns bei den echten Unterlassungsdelikten schon zu den objektiven Tatbestandsmerkmälen. Bezüglich Rechtswidrigkeit und Schuld gelten die Ausführungen zu den Begehungsdelikten entsprechend. Zum Fallprüfungsschema eines echten Unterlassungsdelikts vgl. S. 478.
28
Unterlassungsdelikte 1
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B Unechte Unterlassungsdelikte 1 Begriff und Wesen Die unechten Unterlassungsdelikte bilden eine in der Praxis häufig auftretende Deliktsgruppe. Unechte Unterlassungsdelikte sind Delikte, bei denen das Gesetz die Herbeiführung eines Erfolgs durch Nichtvornahme eines gebotenen Tuns mit Strafe bedroht (vgl. § 13). Die Bezeichnung „unechte Unterlassungsdelikte" ist in mehrfacher Hinsicht irreführend. Denn nach der Art der Tathandlung sind die unechten Unterlassungsdelikte wirkliche Unterlassungsdelikte. (Das Adjektiv „ u n e c h t " erscheint in diesem Zusammenhang schief.) Bezüglich der Tatbestandskonstruktion stehen die unechten Unterlassungsdelikte den Begehungsdelikten (speziell den Erfolgsdelikten) nahe. Daran erinnert auch die Überschrift zu § 13 „Begehen durch Unterlassen". Es geht also nicht an, die unechten Unterlassungsdelikte ausschließlich den Unterlassungsdelikten oder ausschließlich den Begehungsdelikten zuzuordnen. Ihrem Mischcharakter wird es am ehesten gerecht, wenn man die unechten Unterlassungsdelikte als eine eigenständige Deliktsgruppe neben den echten Unterlassungsdelikten und neben den Begehungsdelikten betrachtet. 2 Die Bedeutung des § 13 für die unechten Unterlassungsdelikte Die Regelung des § 13 ist in mehrfacher Besiehung von grundlegender Bedeutung für das Verständnis der unechten Unterlassungsdelikte und ihre dogmatische Konstruktion: 1. § 13 (1) erklärt über die echten Unterlassungsdelikte hinaus das Unterlassen auch bei solchen Delikten für strafbar, bei denen nach der gesetzlichen Formulierung der Tathandlung an sich nur die Herbeiführung eines Erfolgs durch ein Tun mit Strafe bedroht ist. 2. § 13 (1) legt die rechtlichen Voraussetzunge n fest, unter denen die Herbeiführung eines Erfolgs durch ein Unterlassen strafbar ist. Näheres in LE 29 und 30. 3. § 13 (1) trägt dem rechtsstaatlichen Gebot nulla poena sine lege Rechnung. Denn diese Vorschrift schafft die ausdrückliche gesetzliche Grundlage für den Typus des unechten Unterlassungsdelikts. 4. § 13 (1) enthält eine authentische Auslegungsregel. Sie besagt, daß und unter welchen Voraussetzungen unter die als „ T u n " beschriebene Tathandlung eines Begehungsdelikts auch die Nichtvornahme eines gebotenen Tuns subsumiert werden kann. 5. § 1 3 ( 1 ) bildet die Brücke zwischen dem Begehungsdelikt und dem ihm entsprechenden unechten Unterlassungsdelikt. Das gilt insbesondere für die Tatbestandsbildung. Denn der Tatbestand des unechten Unterlassungsdelikts wird mit Hilfe des § 1 3 ( 1 ) aus dem Tatbestand des entsprechenden Begehungsdelikts abgeleitet. Deshalb ist z.B. beim „Totschlag durch Unterlassen" zu zitieren: § 212 (1) i.V.m. § 13 (1). 6. § 13 (1) stellt klar, daß nicht sämtliche Begehungsdelikte, sondern nur Erfolgsdelikte in der Form des unechten Unterlassungsdelikts begangen werden können (vgl. Wortlaut
Unterlassungsdelikte 1
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des § 13 (1)). Schlichte Tätigkeitsdelikte k ö n n e n als u n e c h t e Unterlassungsdelikte daher w e d e r k o n s t r u i e r t noch begangen w e r d e n . Beispiele: Meineid (§ 154 (1) k a n n m a n nicht d a d u r c h begehen, d a ß m a n nicht schwört, Beischlaf m i t V e r w a n d t e n (§ 173) nicht d a d u r c h , daß m a n m i t der geschützten Person nicht geschlechtlich'verkehrt. Beide Delikte k ö n n e n n u r d u r c h ein T u n verwirklicht werden. 7. § 13 (1) erstreckt die S t r a f d r o h u n g des e n t s p r e c h e n d e n Begehungsdelikts prinzipiell auf das u n e c h t e Unterlassungsdelikt. Die Strafe k a n n j e d o c h nach Maßgabe des § 13 (2) i.V.m. § 4 9 (1) gemildert w e r d e n (= fakultative Strafmilderung). 3 Vorsätzliche u n d fahrlässige u n e c h t e Unterlassungsdelikte J e n a c h d e m , o b der Täter die Unterlassung vorsätzlich o d e r fahrlässig begangen h a t , unterscheidet m a n vorsätzliche u n e c h t e Unterlassungsdelikte u n d fahrlässige u n e c h t e Unterlassungsdelikte. Beispiele für vorsätzliche u n e c h t e Unterlassungsdelikte: Totschlag d u r c h Unterlassen (§ 212 (1) i.V.m. § 13 (1)); Körperverletzung d u r c h Unterlassen (§ 2 2 3 (1) i.V.m. § 13 (1)); Freih e i t s b e r a u b u n g d u r c h Unterlassen (§ 2 3 9 (1) i.V.m. § 13 (1)); Sachbeschädigung d u r c h Unterlassen (§ 3 0 3 (1) i.V.m. § 13 (1)). Beispiele für fahrlässige u n e c h t e Unterlassungsdelikte: Fahrlässige T ö t u n g d u r c h Unterlassen (§ 2 2 2 i.V.m. § 13 (1)); fahrlässige Körperverletzung durch Unterlassen (§ 2 3 0 i.V. m . § 13 (1)). C Mehrdeutiges Verhalten Als m e h r d e u t i g e s Verhalten bezeichnet m a n den in der Praxis ziemlich häufig a u f t r e t e n d e n Fall, in d e m sich ein u n d derselbe Erfolg sowohl auf ein T u n als auch auf ein Unterlassen desselben T ä t e r s z u r ü c k f ü h r e n läßt. Beispiele: A f ä h r t b e i D u n k e l h e i t mit seinem u n b e l e u c h t e t e n Fahrrad u n d s t ö ß t deshalb einen Fußgänger nieder, der d a d u r c h verletzt o d e r g e t ö t e t wird. Ein Angeklagter r e d e t seinen R i c h t e r u n t e r b e w u ß t e m Weglassen v o n A m t s b e z e i c h n u n g , Titel u n d der A n r e d e „ H e r r " n u r m i t dessen N a c h n a m e n an. In diesen u n d ähnlichen Fällen t r i t t stets die Frage auf, o b m a n die erfolgsverursachende H a n d l u n g als Begehungsdelikt oder aber als u n e c h t e s Unterlassungsdelikt zu p r ü f e n hat. Die B e a n t w o r t u n g dieser Frage ist von erheblicher praktischer B e d e u t u n g , weil die rechtlichen Voraussetzungen der B e s t r a f u n g wegen der H e r b e i f ü h r u n g eines Erfolgs durch ein Unterlassen z u m Teil andere sind als im Falle eines T u n s (vor allem m i t Rücksicht auf § 13 (1)). A u ß e r d e m k a n n der Unterlassungstäter nach Maßgabe des § 13 (2) i.V.m. § 4 9 (1) milder b e s t r a f t w e r d e n als derjenige, der d e n Erfolg d u r c h ein T u n h e r b e i g e f ü h r t hat. In den Fällen des m e h r d e u t i g e n Verhaltens ist vom Vorrang des T u n s auszugehen, weil die H e r b e i f ü h r u n g eines Erfolgs d u r c h ein T u n prinzipiell strafwürdiger erscheint als d u r c h ein Unterlassen (arg § 13 (2)).
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477
Unterlassungsdelikte 1
Mithin ist sowohl im Fahrradbeispiel als auch im Beleidigungsbeispiel von vornherein das Begehungsdelikt zu prüfen. Der Grundsatz vom Vorrang des Tuns bei mehrdeutigem Verhalten wird aber durchbrochen, wenn dem Unterlassen ein eigenständiger Unwert zukommt. Das ist insbesondere dann der Fall: 1. Wenn der Erfolg nicht nur auf ein fahrlässiges Tun, sondern auch auf ein sich daran anschließendes vorsätzliches Unterlassen desselben Täters zurückzuführen ist. Beispiel: J e m a n d stößt einen anderen fahrlässig ins Wasser (verursacht fahrlässig einen Brand u.a.) u n d unterläßt dann vorsätzlich jede Rettungsmaßnahme. 2. Wenn der Täter wegen des Tuns nicht bestraft werden kann, weil er insoweit rechtmäßig oder schuldlos gehandelt hat. Beispiel: Ein Arzt injiziert bei einer Lungenentzündung ein Antibiotikum. Als der Patient durch diese Injektion einen Kreislaufkollaps erleidet, unternimmt der Arzt nichts zu seiner Rettung. Das „Tun", das Injizieren von Penicillin bei einer Lungenentzündung, entspricht der „lex artis". Es ist nicht objektiv sorgfaltswidrig. Ein eigenständiger Unwert k o m m t aber dem anschließenden Unterlassen zu. Einteilung der Handlungen unter dem Aspekt Tun / Unterlassen Handlungen Unterlassen
Delikte
Tun Begehungsdelikte
echte Unterlassungsdelikte unechte Unterlassungsdelikte
Einteilung der Delikte unter dem Aspekt Tun / Unterlassen
echte Unterlassungsdelikte (Unterlassen)
478
Unterlassungsdelikte 1
LE 28
F allprüfungs schem a Das vorsätzliche echte Unterlassungsdelikt dargestellt am Beispiel des § 330 c Sachverhalt
^J>-Nein-
0 Handlungsbegriff?
Nein^
Ja
c c
Keine Hilfeleistung?
\Neinx
ji I Erforderlichkeit der Hilfeleistung?
^>Nein'
-Nein-
Ja Tats. Möglichkeit der Hilfeleistung?
^>Nein/
Ja T Z u m u t b a r k e i t der Hilfeleistung? JH Ja
Nein 1
Ja Vorsatz bezüglich d.
(^Unglücksfalls b z w . g e m e i n e n G e f a h r o. Notr)Nein '
fr ^
Nichtleistens v o n Hilfe?
^>Neinv
Ja J
.
„ . jNein^-Nein-
E r f o r d e r l i c h k e i t der Hilfeleistung?
^>Neir/
Ja J tats. Möglichkeit der Hilfeleistung?
^)Neir/j
Ja I Z u m u t b a r k e i t der Hilfeleistung? Ja Ja Aktuelles oder potentielles Unrechtsbewußtsein? Ja J_
Ja ! IV Strafausschließungs- o. S t r a f a u f h e b u n g s g r ü n d e ? Nein
Nein I
>
T
Strafe wegen § 330 c
Keine S t r a f e w e g e n § 3 3 0 c
TE 28
Testfragen zur LE 28
479
1.1
Die Tathandlungen der Delikte des StGB sind meist als Tun / als Unterlassen beschrieben. Die Delikte des StGB sind daher meist als delikte formuliert.
2.1
Lesen Sie die nachfolgenden Delikte und ordnen Sie sie durch entsprechendes Ankreuzen der jeweiligen Deliktsgruppe zu:
§§
Begehungsdelikt
echtes Unterlassungsdelikt
§ 123 (1) 1. Alt § 123 (1) 2. Alt § 84 (1) GmbHG § 348 (1)
2.2
Erklären Sie, warum § 84 (1) GmbHG (Schönfelder Nr. 52) ein „echtes" Unterlassungsdelikt ist!
2.3
Arne Gätjens (G) hat glaubhaft von einem bevorstehenden Raubüberfall (§§ 249 f f ) zweier Gangster auf die Kieler Spar- und Leihkasse in Kronshagen Kenntnis erhalten. Damit er nicht „singen" kann, wird er von ihnen gefesselt, geknebelt und im Keller eingesperrt. G wird wegen Nichtanzeige geplanter Straftaten dieses Delikts verurteilt werden? J a / Nein Begründung:
2.4
(§ 138 (1) Z 8) angezeigt. Kann er wegen
Der 23jährige Drucker D bereitet in der Dachkammer des elterlichen Anwesens die Fälschung von US-Dollar-Noten vor. Seine Freundin Leila, die ihn dabei überrascht, bemüht sich nach Kräften, ihn von seinem Vorhaben abzubringen, geht aber auch nicht zur Polizei, als ihr dies nicht gelingt. Die Staatsanwaltschaft klagt Leila später gemäß § 138 (1) Z 4 an. 1. Leila b e r u f t sich auf die tatsächliche Unmöglichkeit / Unzumutbarkeit einer Strafanzeige gegen ihren Freund. 2. Wird sie mit diesem Einwand durchdringen? J a / Nein Begründung: (Versuchen Sie, aus § 139 (3) Satz 1 ein Argument für Ihre Entscheidung zu gewinnen!)
480 2.5
Testfragen
TE 28
Der Schulwart S hört die Hilferufe des Quartaners R, der von seinen Mitschülern in die Toilette gesperrt wurde. Da R dem S oft genug einen Streich gespielt hatte, „rächt" sich S, indem er den R aus seiner mißlichen Lage nicht befreit. 1. Für S kommt das Delikt des § in Betracht. Die Tathandlung des S besteht in einem Folglich ist dieses Delikt in der Form des echten Unterlassungsdelikts / des unechten Unterlassungsdelikts zu untersuchen. 2. Der Tatbestand des zu untersuchenden Delikts ergibt sich aus §
i. V.m. §
2.6
Gibt es fahrlässige Freiheitsberaubung durch Unterlassen? J a / Nein Begründung:
1.2
„Unechte Unterlassungsdelikte" sind Delikte, (bitte ergänzen!)
2.7
§ 13 ist in mehrfacher Hinsicht für die unechten Unterlassungsdelikte von Bedeutung. Nennen Sie mindestens drei dieser Hinsichten!
2.8
A biegt nach links ab, ohne ein entsprechendes Zeichen zu geben. Infolgedessen prallt der hinter dem A fahrende M mit seinem Motorroller auf den Wagen des A auf und stürzt. 1. Auch das ist ein Beispiel für ein
Verhalten.
2. Das Tun des A liegt darin, (bitte ergänzen!)
3. Worin erblicken Sie sein Unterlassen?
2.9
Von einem „mehrdeutigen Verhalten" spricht man in den Fällen, in denen sich ein u n d derselbe Erfolg (bitte ergänzen!)
Testfragen
T E 28
481
2 . 1 0 Im Rahmen einer amtlich angeordneten Impfaktion in Achkarren am Kaiserstuhl schickt der Volksschullehrer Erwin Sütterlin (S) seine Zweitkläßler nach der großen Pause zur Impfstelle am anderen Ende des Dorfes, ohne ihnen eine Begleitperson mitzugeben. Einer der Schüler, der 7jährige Peter Wöhrle (W), läuft unterwegs in einen Traktor und kommt ums Leben. Der Staatsanwalt überlegt, ob er die Anklage gegen S wegen fahrlässiger Tötung (§ 2 2 2 ) des B lieber auf ein Tun oder auf ein Unterlassen des S stützen soll. 1. Auf welches Tun?
2. Auf welches Unterlassen?
3. In den Fällen des mehrdeutigen Verhaltens ist grundsätzlich vom Vorrang des Unterlassens / des Tuns auszugehen, es sei denn (bitte ergänzen!)
4 . Mithin werden Sie dem Staatsanwalt raten, die Tat als Begehungsdelikt gemäß § 2 2 2 / als unechtes Unterlassungsdelikt gemäß § 2 2 2 i.V.m. § 13 (1) anzuklagen. 5. Eine ganz andere Frage ist es, ob das Gericht den S tatsächlich gemäß § 2 2 2 i.V.m. § 13 (1) verurteilen wird. Wo liegt das Problem, und was sagen Sie dazu?
2.11
Es ist unter mehreren Aspekten von Bedeutung, ob man sich bei einem mehrdeutigen Verhalten für den Vorrang des Tuns oder des Unterlassens entscheidet. Nennen Sie mindestens einen Aspekt!
1.3
Auf welcher Stufe des Fallprüfungsschemas erörtern Sie die Zumutbarkeit bei den echten Unterlassungsdelikten? Literatur: Zum echten Unteriassungsdelikt vgl. Baumann aaO. § 18 I; Bockelmann aaO. § 19 II; Maurach aaO. § 46 II A—B. Zur Unterscheidung von echten und unechten Unterlassungsdelikten vgl. Jescheck aaO. § 58 III. Zum Problem des mehrdeutigen Verhaltens vgl. Mezger-Blei aaO. § 27 II; Jescheck aaO. § 58 II; Schmidhäuser aaO. 16/102—108; Wessels aaO. § 16 I 2. Zum Aufbau des echten Unterlassungsdelikts vgl. Kienapfel aaO. § 7 A.
TE 28
Antworten
482 1.1
Tun; Begehungsdelikte
2.1
Begehungsdelikte: GmbHG.
2.2
§ 84 (1) GmbHG ist ein echtes Unterlassungsdelikt, weil sich sein Tatbestand im NichtStellen des vorgeschriebenen Antrags, d.h. in der Nichtvornahme eines gebotenen Tuns erschöpft (o.a.).
2.3
Nein! Bei den echten Unterlassungsdelikten bildet die tatsächliche Möglichkeit der Vornahme des gebotenen Tuns ein ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal. G war zur Anzeigeerstattung rein physisch nicht in der Lage. Damit entfällt bereits der Tatbestand des § 138 (1) Z 8 (o.a.).
2.4
1. Unzumutbarkeit 2. Nein! § 139 (3) Satz 1 zeigt, daß sich das Gesetz nur bei Angehörigen (§ 11 (1) Z 1) mit dem ernsthaften Bemühen zufriedengibt, nicht aber bei Dritten. Der Freundin ist eine Anzeige des Täters zuzumuten (o.a.).
2.5
1. § 239 (1); Unterlassen; des unechten Unterlassungsdelikts 2. § 239 (1) i.V.m. § 13 (1)
2.6
Nein! Weil es auch keine fahrlässige Freiheitsberaubung durch ein Tun gibt; vgl. § 239 (1) i.V.m. § 15.
1.2
bei denen das Gesetz die Herbeiführung eines Erfolgs durch Nichtvornahme eines gebotenen Tuns mit Strafe bedroht (o.ä.)
2.7
1. § 13(1) erklärt auch die Herbeiführung eines Erfolgs durch ein Unterlassen für strafbar. 2. § 13 (1) legt die rechtlichen Voraussetzungen fest, unter denen die Herbeiführung eines Erfolgs durch ein Unterlassen strafbar ist. 3. § 13(1) trägt dem Gebot nulla poena sine lege Rechnung. 4. § 1 3 ( 1 ) enthält eine authentische Auslegungsregel. 5. § 1 3 ( 1 ) ermöglicht die Ableitung des Tatbestands des unechten Unterlassungsdelikts aus dem Tatbestand des entsprechenden Begehungsdelikts. 6. § 1 3 ( 1 ) läßt erkennen, daß nur Erfolgsdelikte in der Form des unechten Unterlassungsdelikts begangen werden können. 7. § 1 3 ( 1 ) erstreckt die Strafdrohung des entsprechenden Begehungsdelikts auf das unechte Unterlassungsdelikt. 8. Gemäß § 13(2) kann die Strafe nach Maßgabe des § 49 (1) gemildert werden.
2.8
1. mehrdeutiges 2. daß er nach links abgebogen ist (o.ä.) 3. Darin, daß er sein Abbiegen nach links nicht angezeigt hat (o.ä.)
2.9
sowohl auf ein Tun als auch auf ein Unterlassen desselben Täters zurückführen läßt (o.ä.)
2.10
1. 2. 3. 4.
2.11
1. Die rechtlichen Voraussetzungen der Bestrafung wegen der Herbeiführung eines Erfolgs durch ein Unterlassen sind zum Teil andere als im Falle eines Tuns (vgl. § 13(1)). 2. Wer einen Erfolg nur durch ein Unterlassen herbeigeführt hat, kann milder bestraft werden als im Falle eines Tuns (§ 13 (2) i.V.m. § 49 (1)).
1.3
Auf der Stufe der Tatbestandsmäßigkeit
§§ 123 (1) 1. Alt, 348 {l). Echte Unterlassungsdelikte:
§§ 123 (1) 2. Alt, 84 (1)
S hat seine Schüler losgeschickt (o.ä.). S hat es unterlassen, seinen Schülern eine Begleitperson mitzugeben (o.a.). des Tuns; dem Unterlassen kommt neben dem Tun ein eigenständiger Unwert zu als Begehungsdelikt gemäß § 222. (Denn das Tun ist stets ACT primär maßgebliche Anknüpfungspunkt. Diese Lösung ist allerdings strittig.) 5. Das Problem liegt beim strafrechtlichen Fahrlässigkeitsbegriff. Zweifelhaft ist schon, ob es überhaupt objektiv sorgfaltswidrig ist, Zweitkläßler ohne Begleitperson zum Impfen zu schicken. Das hängt vor allem auch von den jeweiligen örtlichen Verhältnissen ab. In einem Dorf kennt jedes Schulkind die wenigen Straßen. Meist herrscht auch nur geringer Verkehr. Die möglichen Gefahrenquellen sind dem Kind im allgemeinen bekann (hier Traktor!). Mithin ist hier Freispruch nicht ausgeschlossen. In einer Großstadt oder bei besonderer Gefahrenlage (etwa eine vielbefahrene Bundesstraße führt durch das Dorf) dürfte anders zu entscheiden sein.
LE 29
UNTERLASSUNGSDELIKTE 2
483
L e r n z i e l : Diese L E befaßt sich ausschließlich mit dem Tatbestand des unechten Unterlassungsdelikts. Sie sollen die einzelnen Tatbestandsmerkmale kennenlernen und sich ihre Reihenfolge für den Fallaufbau einprägen.
(1) Das allgemeine Fallprüfungsschema mit seinen drei Stufen der der und der gilt prinzipiell, wenngleich mit erheblichen Modifizierungen der Feinstruktur, auch für die unechten Unterlassungsdelikte. Diese Modifizierungen betreffen vor allem die Stufe des Tatbestandes. Sie ergeben sich zum Teil aus dem Wesen des unechten Unterlassungsdelikts, zum Teil aber auch aus der Vorschrift des § 13 (1).
(2)
Der folgende Grundfall soll dazu dienen, die verschiedenen Tatbestandsmerkmale des Unterlassungsdelikts am Beispiel des Totschlags durch Unterlassen (§ 212 (1) i.V.m. § 13 (1)) zu entwickeln und in eine geordnete und zweckmäßige Reihenfolge zu bringen. Rheinstadion Düsseldorf, 23. Juni. Wenig Betrieb, da es sehr kühl ist. Der aufsichtsführende Bademeister Qualtenbronner (Q) schaut dem Badegast Travnicek (T) zu, der bedächtig im Schwimmbecken krault. Da sieht er, wie Tplötzlich wegsackt. Q unternimmt absichtlich nichts zur Rettung des T. T ertrinkt.
(3) Bezüglich des Verhaltens des Q ist fahrlässige Tötung (§ 222) / Totschlag (§ 212 (1)) zu prüfen. (4) Da das Verhalten des Q mehrdeutig / nicht mehrdeutig ist, ist für Q vollendeter Totschlag in der Form des Begehungsdelikts / des unechten Unterlassungsdelikts zu untersuchen. Zweckmäßigerweise beginnt man diese Prüfung wie beim entsprechenden Begehungsdelikt (5) mit der Feststellung, daß T ertrunken und daher der des § 212 (1) (bitte ergänzen!)
(6) Da der Erfolg aber nicht durch ein sondern durch ein Unterlassen verursacht worden ist, werden Sie sich anschließend mit der Nichtvornahme des befassen.
484
Unterlassungsdelikte 2
LE 29
(1) Tatbestandsmäßigkeit; Rechtswidrigkeit; Schuld (2) unechten (4) nicht mehrdeutig; des unechten Unterlassungsdelikts (5) Erfolg; eingetreten ist (o.a.) (6) Tun; gebotenen Tuns
(3) Totschlag (§ 212 (1))
Mit diesem Tatbestandsmerkmal beginnen meist die ersten Probleme. Denn Sie müssen nunmehr zu der Frage Stellung nehmen, welches Tun im konkreten Fall „geboten" ist. Geboten ist stets ein solches Tun, das darauf gerichtet ist, den tatbestandsmäßigen Erfolg möglichst rasch und sicher abzuwenden. Die Entscheidung dieser Frage hängt naturgemäß von den Umständen des einzelnen Falles ab. (2) Welches Tun wäre im Bademeisterfall geboten?
Variante 1: Qualtenbronner beginnt, das Wasser aus dem Schwimmbecken Mehr unternimmt er nicht zur Rettung des T.
abzulassen
(!).
Ist das Tatbestandsmerkmal „Nichtvornahme des gebotenen T u n s " erfüllt? (3) J a / Nein Begründung:
Häufig stehen mehrere gleichwertige Erfolgsabwendungsmöglichkeiten zur Verfügung. Die Auswahl steht dem Verpflichteten zu. (4) Variante 2: Qualtenbronner kann wählen / nicht wählen, ob er hinter T herspringt oder ihn z.B. mit einem Netz aus dem Wasser fischt. Problematisch ist der folgende Fall: Der Verpflichtete „ t u t " zwar das Gebotene. Aber alle seine Bemühungen sind vergebens. Sie vermögen den Erfolg nicht abzuwenden. Variante 3: Qualtenbronner hat Travnicek sofort herausgezogen versuche angestellt. Sie bleiben aber erfolglos. (5) Hat der Verpflichtete alles getan, um den bestand eines unechten Unterlassungsdelikts aus. (6) Warum?
und
Wiederbelebungs-
abzuwenden, scheidet der Tat-
Unterlassungsdelikte 2
LE 29 (1) (2) (3) (4) (6)
485
Eintritt des Erfolgs Z.B. dem T nachzuspringen, um ihn an die Wasseroberfläche zu bringen (o.a.). J a ! Das Ablassen des Wassers dauert viel zu lange. Dieses „Tun" ist daher nicht geboten (o.a.). kann wählen (5) Erfolg Weil der Tatbestand des unechten Unterlassungsdelikts nur durch die Nichtvornahme eines gebotenen Tuns erfüllt wird (o.ä.).
Als nächstes tatbestandliches Erfordernis ist die tatsächliche Möglichkeit der Erfolgsabwendung zu prüfen. (2) Diese Einschränkung / Ausdehnung des Tatbestandes der Unterlassungsdelikte und damit der Strafbarkeit ergibt sich wie bei den Unterlassungsdelikten aus der einfachen Überlegung, daß von der Rechtsordnung immer nur etwas geboten sein kann, was dem Verpflichteten tatsächlich möglich ist. „Ultra posse nemo obligatur" ist der allgemeine Rechtsgedanke, der dahintersteht. (3)
Bei dem Merkmal der tatsächlichen handelt es sich um ein ungeschriebenes unechten Unterlassungsdelikte.
der Erfolgsabwendung merkmal aller (echten und)
Variante 4: Qualtenbronner bleibt untätig, weil er vor Schreck T einen schweren Herzkollaps erleidet. (4)
über das Untergehen
des
Bei dieser Variante ist der Tatbestand des § 212 (1) i.V.m. § 13 (1) erfüllt / nicht erfüllt, weil (bitte ergänzen!)
Würde sich an der Beurteilung der Variante 4 etwas ändern, einen Wadenkrampf bekommen hätte? (5) J a / Nein Begründung:
wenn Q statt des
Herzkollapses
LE 29
Unterlassungsdelikte 2
486 (1) (3) (4) (5)
Nichtvornahme des gebotenen Tuns (2) Einschränkung; unechten; echten Möglichkeit; Tatbestandsmerkmal nicht erfüllt; es an der tatsächlichen Möglichkeit der Erfolgsabwendung fehlt (o.a.) Nein! Das kommt auf Stärke und Dauer des Krampfes an. Bei einem heftigen und andauernden Krampf fehlt es an der tatsächlichen Möglichkeit, den Erfolg abzuwenden (o.a.). Allerdings könnte dann — je nach Sachverhalt — für Q ein anderes Tun geboten sein, z.B. das Herbeirufen von hilfsfähigen Personen.
Im Grundfall
hat Qualtenbronner
zur Rettung
des T nichts unternommen.
T ist
ertrunken.
Der Erfolg m u ß d u r c h die N i c h t v o r n a h m e des g e b o t e n e n T u n s herbeigeführt w o r d e n sein. (2)
Das nächste T a t b e s t a n d s m e r k m a l b e t r i f f t somit die K
des Unterlassens.
Die Frage nach der Kausalität eines „ U n t e r l a s s e n s " stellt sich notwendigerweise in anderer F o r m als b e i m „ T u n " . Sie k a n n nur „ h y p o t h e t i s c h " gestellt u n d auch n u r „ h y p o t h e t i s c h " beantwortet werden.
(3)
(4)
U n d zwar d e n k t m a n das g e b o t e n e (und d e m Täter tatsächlich mögliche) T u n hinzu, u n d fragt, ob die V o r n a h m e dieses g e b o t e n e n T u n s den Erfolg hätte. Mit Rücksicht auf dieses für die E r m i t t l u n g der Kausalität des Unterlassens charakteristische h y p o t h e t i s c h e Schlußverfahren spricht m a n bei den delikten nicht von Kausalität schlechthin, s o n d e r n von Kausalität". Wir w e n d e n dieses h y p o t h e t i s c h e Schlußverfahren n u n m e h r zur Lösung des Kausalitätsp r o b l e m s im obigen G r u n d f a l l an.
(5)
D e n k t m a n z.B. das Nachspringen des Bademeisters weg / hinzu, so wäre der T o d des T eingetreten / nicht eingetreten. Halten Sie als wichtige Einsicht fest!
(6)
Die Kausalität eines
p r ü f t m a n , i n d e m m a n das T u n w e g d e n k t .
(7)
Die Kausalität eines
(8)
Ein Unterlassen ist kausal für einen Erfolg, w e n n das g e b o t e n e T u n nicht h i n z u g e d a c h t w e r d e n k a n n , o h n e daß der Erfolg in seiner k G entfiele.
p r ü f t m a n , indem m a n das g e b o t e n e T u n
LE 29
Unterlassungsdelikte 2
487
(1) Eintritt des Erfolgs; tatsächliche Möglichkeit der Erfolgsabwendung (2) Kausalität (3) abgewendet (4) unechten Unterlassungsdelikten; „hypothetischer Kausalität" (5) hinzu; nicht eingetreten (6) Tuns (7) Unterlassens; hinzudenkt (8) konkreten Gestalt
il)
Ist es wirklich absolut gewiß, daß T gerettet worden wäre, wenn der Bademeister nachgesprungen wäre? J a / Nein Theoretisch läßt sich ein anderer Geschehensablauf nie gänzlich ausschließen. Denn wäre der Bademeister auch sofort nachgesprungen, was hätte nicht alles passieren können! Denkbar ist etwa, daß T den Q mit sich in die Tiefe hätte ziehen können oder daß Q den T nicht oder nicht rechtzeitig an die Wasseroberfläche hätte bringen können oder daß sich Q beim Nachspringen verletzt hätte etc.
(2) Es kann demnach eine / keine 100%ige Gewißheit für die Hypothese geben, daß T gerettet worden wäre, wenn Q nachgesprungen wäre. Das Strafrecht verlangt aber auch keine 100%ige Gewißheit für die Kausalität des Unter(3) lassens. Es begnügt sich vielmehr mit einem Grad von Gewißheit. Dieser Grad ist freilich noch immer sehr hoch angesetzt. Denn der Maßstab für die hypothetische Kausalität des Unterlassens ist die an Sicherheit grenzende Wahrscheinlichkeit. Bitte diesen terminus technicus merken! Erforderlich, aber auch genügend für die Bejahung der hypothetischen Kausalität der Unterlassung des Bademeisters ist daher die Feststellung, daß sein Nachspringen den Tod (4) des Travnicek mit an S g W
Mit dieser Modifikation ist nunmehr die Formel für die hypothetische Kausalität des Unterlassens komplett: (5) Ein Unterlassen ist kausal für einen Erfolg, wenn das gebotene Tun nicht werden kann, ohne daß der Erfolg in seiner konkreten Gestalt mit an grenzender entfiele. Diese Formel müssen Sie sich unbedingt wörtlich und vollständig einprägen! Variante 5: Die Obduktion der Leiche des T durch den gerichtsmedizinischen Sachverständigen der Universität Köln ergibt einen verblüffenden Befund: T war während des Schwimmens einem Herzinfarkt erlegen und beim Untergehen möglicherweise bereits tot gewesen. Kann unter diesen Umständen das Unterlassen des Q als kausal für den Tod des T angesehen werden? (6) J a / Nein Begründung:
Unterlassungsdelikte 2
488 (1) (4) (5) (6)
LE 29
Nein! (2) keine 100%ige Gewißheit (3) geringeren (o.a.) Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit abgewendet hätte hinzugedacht; Sicherheit; Wahrscheinlichkeit Nein! Es läßt sich jedenfalls nicht mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit feststellen, daß bei solcher Sachlage das gebotene Tun den Tod des T abgewendet hätte (o.ä.).
Bitte lesen Sie § 13 (1)! Danach kann der Täter eines u n e c h t e n Unterlassungsdelikts nur j e m a n d sein, der rechtlich (2) dafür einzustehen hat, daß (bitte ergänzen!)
Lehre u n d Praxis haben einen kurzen Begriff für das im § 13 (1) Gemeinte geprägt, den Begriff Garant. (3) N u r ein Garant i.S.d. § 13 (1) kann sein.
eines u n e c h t e n Unterlassungsdelikts
(4) Will m a n mit einem einzigen Begriff die Sonderstellung dessen kennzeichnen, der r e so spricht man von
-
hat, daß der Erfolg nicht eintritt, Stellung".
Die Garantenstellung (§ 13 (1)) des Bademeisters ergibt sich aus freiwilliger Pflichtenübernahme. (5)
Es gibt noch weitere Entstehungsgründe für eine Garanten So leitet sich die Garantenstellung von Eltern gegenüber ihren Kindern aus einer Rechtsvorschrift, nämlich aus § 1626 (2) BGB (bitte lesen!) ab. Variante 6: Travnicek droht zu ertrinken. Sein am Rand des Schwimmbeckens Vater unternimmt nichts zu seiner Rettung.
(6)
Die Garantenstellung (§ 13 (1)) des Vaters ergibt sich aus
(7)
Sowohl der Bademeister als auch der Vater sind G aber ein x-beliebiger Badegast.
i.S.d. §
stehender
nicht
LE 29
Unterlassungsdelikte 2
489
(2) daß der Erfolg nicht eintritt (1) Nichtvornahme des gebotenen Tuns; hypothetische Kausalität (3) Täter (4) rechtlich dafür einzustehen; Garantenstellung (5) Garantenstellung (6) Rechtsvorschrift bzw. § 1626 (2) BGB (7) Garanten i.S.d. § 13 (1)
§ 13 (1) enthält in seinem letzten Satzteil noch ein weiteres Tatbestandsmerkmal des unechten Unterlassungsdelikts. Bitte lesen Sie § 13 (1) erneut! (1) Wer als Garant einen durch Nichtvornahme eines gebotenen Tuns herbeigeführt hat, darf nur dann als Täter eines unechten Unterlassungsdelikts bestraft werden, „wenn das der Verwirklichung des gesetzlichen Tatbestandes durch ein entspricht" = gleichwertig ist (§ 13 (1)). Diese nicht leicht verständliche Klausel im § 13 (1) bezeichnet man als Gleichwertigkeitskorrektiv oder als Gleichstellungskorrektiv. Variante 7: Den Bademeister plagt im entscheidenden Zeitpunkt ein schmerzhafter Hexenschuß. Bei einiger Anstrengung könnte er vielleicht doch noch etwas zur Rettung des T unternehmen. Aber er tut nichts, obwohl er sich darüber im klaren ist, daß dies den sicheren Tod des T bedeutet. (2) Durch § wird das Gericht ausdrücklich angewiesen, den Unwert dieses Unterlassens mit dem Unwert der Erfüllung desselben gesetzlichen Tatbestandes durch ein Tun zu vergleichen. Bei der Variante 7 ist also der Unwert dieses vorsätzlichen Unterlassens etwa mit dem Unwert eines vorsätzlichen Hineinstoßens des T ins Wasser zu vergleichen. Q darf nur dann wegen Totschlags an T durch Unterlassen bestraft werden, wenn das (3) Gericht bei der Gleichwertigkeitsprüfung zum Ergebnis gelangt, (bitte ergänzen!)
Käme das Gericht aber zum gegenteiligen Ergebnis, so wäre Q mangels Tatbestandsmäßig(4) keit seines Unterlassens vom Totschlag, begangen in der Form des Unterlassungsdelikts, freizusprechen. Letzteres dürfte anzunehmen sein. (5) Bedeutung und Reichweite dieses extrem normativen / extrem deskriptiven Tatbestandsmerkmals sind heftig umstritten. Im Rahmen dieses Lernprogramms kann auf diese Probleme nicht weiter eingegangen werden.
490
Unterlassungsdelikte 2
LE 29
(1) Erfolg; Unterlassen; Tun (2) § 1 3 ( 1 ) (3) daß dieses Unterlassen (d.h. unter den konkreten Umständen der Variante 7) der Verwirklichung des § 212(1) durch ein Tun gleichwertig ist (o.a.) (4) unechten (5) extrem normativen
(1)
Tragen Sie n u n m e h r alle erörterten Tatbestandsmerkmale des u n e c h t e n Unterlassungsdelikts in der richtigen Reihenfolge ihrer Prüfung in die folgende Graphik ein!
Der Tatbestand des u n e c h t e n Unterlassungsdelikts ist aus didaktischen Gründen am Beispiel der vorsätzlichen Tat entwickelt worden. Die dargestellten Tatbestandsmerkmale gelten aber auch für das fahrlässige u n e c h t e Unterlassungsdelikt. Variante 8: Der Bademeister Quältenbronner hält fahrlässigerweise die Hilferufe des Travnicek für gut gespielten Ulk. Er unternimmt nichts, um ihn aus dem Wasser zu ziehen. Als er seinen Irrtum bemerkt, ist T bereits ertrunken. (2)
(3)
In diesem Falle k o m m t für Q das gemäß § i.V.m. §
u n e c h t e Unterlassungsdelikt in Betracht.
Der A u f b a u des Tatbestands des fahrlässigen u n e c h t e n Unterlassungsdelikts unterscheidet sich von der vorsätzlichen Unterlassungstat allein dadurch, daß zusätzlich die beiden Elemente des strafrechtlichen Fahrlässigkeitsbegriffs, nämlich und geprüft werden müssen. Zur Wiederholung!
(4) Ein Unterlassen ist kausal für d e n Eintritt des Erfolgs, wenn (bitte ergänzen!)
Unterlassungsdelikte 2
LE 29
491
(1) 1. Eintritt des Erfolgs; 2. N i c h t v o r n a h m e des g e b o t e n e n T u n s ; 3. tatsächliche Möglichkeit der Erfolgsabwendung; 4. h y p o t h e t i s c h e Kausalität; 5. G a r a n t e n s t e l l u n g (2) fahrlässige; § 2 2 2 i.V.m. § 13 (1) (3) o b j e k t i v e n ; objektive Sorgfaltswidrigkeit der Unterlassung; objektive Voraussehbarkeit des Erfolgs (4) das g e b o t e n e T u n nicht hinzugedacht w e r d e n k a n n , o h n e daß der Erfolg in seiner k o n k r e t e n Gestalt mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit entfiele (o.a.)
ZUSAMMENFASSUNG Der Tatbestand des u n e c h t e n Unterlassungsdelikts wird mit Hilfe des § 13 (1) aus dem Tatbestand des entsprechenden (vorsätzlichen oder fahrlässigen) Begehungsdelikts abgeleitet. Im einzelnen setzt sich der Tatbestand des u n e c h t e n Unterlassungsdelikts aus den folgenden Tatbestandsmerkmalen zusammen. Sie werden zweckmäßigerweise in der nachfolgend angegebenen Reihenfolge geprüft. 1 Eintritt des Erfolgs Beim vollendeten u n e c h t e n Unterlassungsdelikt m u ß der Erfolg, z.B. der Tod bei § 212 (1), die Körperverletzung bei § 2 2 3 (1) oder der Freiheitsverlust bei § 239 (1) eingetreten sein. Sonst k o m m t allenfalls Versuch eines u n e c h t e n Unterlassungsdelikts gemäß § 23 in Betracht. Beispiel: Der Bademeister hat zur R e t t u n g des Ertrinkenden nichts u n t e r n o m m e n . Im letzten M o m e n t wird dieser jedoch von einem anderen aus dem Wasser gezogen. In einem solchen Fall ist versuchter Totschlag durch Unterlassen zu prüfen. 2 Nichtvornahme des gebotenen Tuns Die Tathandlung eines u n e c h t e n Unterlassungsdelikts besteht in der Nichtvornahme des gebotenen Tuns. G e b o t e n ist stets ein solches Tun, das darauf gerichtet ist, den tatbestandsmäßigen Erfolg möglichst rasch und sicher abzuwenden. Welches T u n geboten ist, hängt von den Umständen des Falles ab, insbesondere von der Art u n d der Intensität der d r o h e n d e n Gefahr. Beispiele: Hat sich ein Kind mit k o c h e n d e m Wasser verbrüht, so hängt es von A r t u n d Grad der Verletzung, von Alter u n d Konstitution des Kindes, von Ort u n d Zeit des Unfalls ab, o b das Auflegen von Brandsalbe genügt, der Arzt geholt oder das Kind in ein Krankenhaus gebracht werden m u ß (Jescheck). Bei einem schweren elektrischen S t r o m u n f a l l ist es geb o t e n , den Stromkreis zu unterbrechen, lebensrettende S o f o r t m a ß n a h m e n zu ergreifen (künstliche Beatmung, Herzmassage) u n d einen Arzt zu alarmieren. Im übrigen gilt: a) Das T u n m u ß auf die A b w e n d u n g des Erfolgs gerichtet sein. Daß es dem Verpflichteten gelingt, den Erfolg effektiv abzuwenden, ist nicht vorausgesetzt. b) Wer ein zeitlich oder sachlich von vornherein verfehltes T u n setzt, n i m m t das gebotene T u n nicht vor.
492
Unterlassungsdelikte 2
LE 29
c) Unter mehreren gleichwertigen Erfolgsabwendungsmöglichkeiten hat der Verpflichtete die Wahl. 3 Tatsächliche Möglichkeit der Erfolgsabwendung Die Erfolgsabwendung muß dem Täter tatsächlich möglich sein. Daran kann es fehlen, wenn der Betreffende blind, taub, stumm, gelähmt, krank oder sonst gebrechlich ist, wenn er sich nicht in unmittelbarer Nähe der Gefahrenstelle befindet, wenn er die zur Rettung notwendigen Hilfsmittel, Erfahrungen oder Kenntnisse nicht besitzt und auch keine hilfsfähigen Personen alarmieren kann. Beispiel: Kommt zur Rettung des Verunglückten nur ein sofortiger Luftröhrenschnitt in Betracht, so entfällt für einen Laien die tatsächliche Möglichkeit der Erfolgsabwendung. Die Tatbestandseinschränkung durch das Erfordernis der tatsächlichen Möglichkeit der Erfolgsabwendung beruht auf dem allgemeinen Rechtsprinzip: ultra posse nemo obligatur. Es handelt sich hierbei um ein ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal der unechten (und auch der echten) Unterlassungsdelikte. Beachten Sie! Die tatsächliche Möglichkeit der Erfolgsabwendung betrifft einen ganz anderen Problemkreis als die Frage der Zumutbarkeit. Ob es dem Täter zuzumuten ist, die gebotene Handlung vorzunehmen, ist beim vorsätzlichen unechten Unterlassungsdelikt ausschließlich ein Problem der Schuld ( § 3 5 ! ) . 4 Hypothetische Kausalität Die Kausalität des Unterlassens für einen Erfolg muß durch Hinzudenken des gebotenen Tuns (daher „hypothetische Kausalität") ermittelt werden. Der Grad der für die Kausalität des Unterlassens erforderlichen Gewißheit ist die an Sicherheit grenzende Wahrscheinlichkeit. Die Formel für die Entscheidung der Frage, ob die Nichtvornahme des gebotenen Tuns „kausal" für den eingetretenen Erfolg ist, lautet: Ein Unterlassen ist kausal für einen Erfolg, wenn das gebotene Tun nicht hinzugedacht werden kann, ohne daß der Erfolg in seiner konkreten Gestalt mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit entfiele. Diese Formel müssen Sie sich wörtlich einprägen. Sie ist in der Praxis auch wörtlich anzuwenden. In vielen Fällen reicht das eigene Sach- und Erfahrungswissen des Gerichts nicht aus, um zu beurteilen, ob die Vornahme des gebotenen Tuns den Erfolg „mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit" abgewendet hätte. Daher wird das Gericht zu diesem Punkte meist einen Sachverständigen heranziehen. Läßt sich der Kausalitätsnachweis nicht mit der erforderlichen an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit erbringen, k o m m t eine Bestrafung wegen vollendeter Tat nicht in Betracht. Sind die Voraussetzungen des § 23 gegeben, ist der Täter aber wegen des Versuchs eines unechten Unterlassungsdelikts zu bestrafen.
29
Unterlassungsdelikte 2
493
5 Garantenstellung Täter eines unechten Unterlassungsdelikts kann nicht jedermann, sondern nur eine Person sein, die Garant für die Abwendung des Erfolgs ist. Der Begriff des „Garanten" ist in § 13 (1) ausführlich umschrieben, ohne daß das Gesetz ihn ausdrücklich verwendet. Garant i.S.d. § 13 (1) ist nur derjenige, der „rechtlich dafür einzustehen hat, daß der Erfolg nicht eintritt". Die Position dessen, der „rechtlich dafür einzustehen hat, daß der Erfolg nicht eintritt", bezeichnet man als Garantenstellung. Eine Garantenstellung kann sich insbesondere aus Rechtsvorschrift oder aus freiwilliger Pflichtenübernahme ergeben. Näheres über die verschiedenen Entstehungsgründe einer Garantenstellung in LE 30. Die Beschränkung des Täterkreises auf Garanten stempelt die unechten Unterlassungsdelikte zu Sonderdelikten. Daraus ergibt sich ein wesentlicher Unterschied zu den echten Unterlassungsdelikten. Täter eines (der wenigen) echten Unterlassungsdelikte des StGB kann im allgemeinen jedermann sein. Vgl. §§ 123 (1) 2. Alt, 138 (1), 330 c. Die echten Unterlassungsdelikte des StGB sind daher durchweg Allgemeindelikte. 6 Gleichwertigkeitskorrektiv Das normative (= wertausfüllungsbedürftige) Gleichwertigkeitskorrektiv des § 13 (1) verlangt vom Gericht ausdrücklich die Vornahme einer zusätzlichen Wertung. Der Unwert des Unterlassens m u ß dem Unwert der Verwirklichung des entsprechenden gesetzlichen Tatbestandes durch ein Tun „entsprechen" (= ihm gleichwertig sein). Sonst kommt eine Bestrafung wegen eines unechten Unterlassungsdelikts nicht in Frage. Gebräuchliche Synonyme: Gleichstellungskorrektiv; Entsprechungsklausel. Bedeutung und Reichweite dieses Tatbestandsmerkmals sind derzeit umstritten. Nach Auffassung des Verfassers hat das Gleichwertigkeits korrektiv nur eine sehr eingeschränkte Bedeutung. Die Gleichwertigkeit von Tun und Unterlassen ist überhaupt nur bei jenen Erfolgsdelikten zu prüfen, die zusätzlich eine bestimmte Handlungsmodalität voraussetzen (= verhaltensgebundene Erfolgsdelikte), nicht aber bei den in praxi bedeutsameren reinen Erfolgsdelikten. Mithin kommt eine Gleichwertigkeitsprüfung etwa bei der Verkehrsunfallflucht durch Unterlassen (§ 142 (1) i.V.m. § 13 (1)), bestimmten Fällen des Mordes durch Unterlassen (§ 211 (2) 2. Fallgruppe i.V.m. § 13 (1)) und beim Unterlassungsbetrug (§ 263 (1) i.V.m. § 13 (1)) in Betracht; nicht aber in den Fällen der §§ 211 (2) 1. und 3. Fallgruppe, 212 (1), 216 (1), 217 (1), 218 (1), 222, 303 (1), 306, 309 - jeweils begangen durch Unterlassen.
494
LE 29
Unterlassungsdelikte 2 Der Aufbau des unechten Unterlassungsdelikts in seiner Filterfunktion
Sachverhalt: Der Bademeister unternimmt absichtlich nichts zur Rettung eines Ertrinkenden.
I Tatbestandsmäßigkeit
\
Vi
Eintritt des Erfolgs
V-
Nichtvornahme des gebotenen Tuns
A 3.
tatsächliche Möglichkeit der Erfolgs ab wendung
\ \ \ 4. \\
hypothetische Kausalität
Garantenstellung
\ ^
6.
Gleichwertigkeitskorrektiv
^
II Rechtswidrigkeit
J j
TE 29
Testfragen zur LE 29
495
1.1
Ein Unterlassen ist kausal für den eingetretenen Erfolg, wenn (bitte ergänzen!)
2.1
Nennen Sie zwei Unterschiede zwischen dieser Kausalitätsformel für das Unterlassen und der Kausalitätsformel für das Tun!
2.2
Der Landwirt Forsthuber (F) aus Uffing am Staffelsee gerät mit dem rechten Unterarm in die Kreissäge. Er wird vor Schmerz ohnmächtig und droht zu verbluten. In diesem Zustand findet ihn seine Ehefrau Maria (M). 1. Als Ehegattin ist M gemäß § 1353 (1) BGB G im Sinne des § 13 (1). Sie ist demnach verpflichtet / nicht verpflichtet, den drohenden Todeserfolg abzuwenden. Bleibt sie vorsätzlich untätig, so macht sie sich gemäß § i.V.m. § 13 (1) strafbar. 2. Welches Tun wäre für M beispielsweise geboten, um den Erfolg abzuwenden?
2.3
Variante 1: M kniet neben F nieder und beginnt zu beten. Sonst unternimmt Inzwischen verblutet F.
sie nichts.
Hat M das Merkmal „Nichtvornahme der gebotenen Handlung" erfüllt? Ja/Nein Begründung:
2.4
Variante 2: M verbindet ihren Mann notdürftig und alarmiert den nächsten Arzt. dieser an der Unfallstelle eintrifft, ist F bereits gestorben.
Als
Ihr Kommilitone behauptet: Da der Tod des F eingetreten ist, hat M den Tatbestand des § 212 (1) i.V.m. § 13 (1) erfüllt. Ist diese Behauptung richtig? J a / Nein Begründung:
496 2.5
Testfragen
TE 29
Der 47jährige Mechanikermeister Heinz Koschorke (K) aus Winsen an der Luhe macht mit seiner Frau Urlaub in der Lüneburger Heide. Auf der Wanderung zu den Hünengräbern klagt K plötzlich über Herzschmerzen und Übelkeit und wird ohnmächtig. Herzinfarkt. 15 Minuten später ist K tot. Mit künstlicher Beatmung und Herzmassage hätte Frau K möglicherweise das Leben ihres Mannes erhalten können. Aber von solchen lebensrettenden Sofortmaßnahmen versteht sie nichts. Bei diesem Fall interessiert in erster Linie die tatsächliche Möglichkeit der Erfolgsabwendung. Dieses Tatbestandsmerkmal ist erfüllt / nicht erfüllt, weil (bitte ergänzen!)
2.6
Eltern unterlassen es bewußt, bei einer schweren Krebserkrankung ihrer Tochter Arzt hinzuzuziehen. Das Kind stirbt. Die Eltern werden gemäß § 212 (1) i.V. m. angeklagt.
einen §13(1)
In der Hauptverhandlung bekundet der gerichtliche Sachverständige, daß das Kind auch bei sofortiger ärztlicher Behandlung nur eine Überlebenschance von 30% gehabt hätte. Im Mittelpunkt dieses Falles steht das Kausalitätsproblem. Wie lösen Sie es?
2.7
Der dreijährige Oliver stürzt bei Boppard in den hochwasserführenden Rhein und geht sofort unter. Der Vater V ist zwar ein guter Schwimmer, springt aber absichtlich nicht hinterher, da er die völlige Aussichtslosigkeit eines etwaigen Rettungsversuchs erkennt. Irgendwelche anderen Rettungsmöglichkeiten scheiden nach der Lage des Falles aus. Es liegt nahe, hier das Delikt des § 212 (1) i.V.m. § 13 (1) zu prüfen. Dennoch scheidet bei näherer Betrachtung aus verschiedenen Gründen bereits der Tatbestand dieses Delikts aus. Nennen Sie mindestens einen Grund!
1.2
Unechte Unterlassungsdelikte sind Allgemeindelikte / Sonderdelikte, weil (bitte ergänzen!)
TE 29 2.8
497
Testfragen
Heinz Langensiepen (L) aus Essen-Kupferdreh ist mit seinem Boot auf dem Baldeneysee gekentert. Mit letzter -Kraft hält er sich an einer Tonnenboje fest und ruft um Hilfe. Der mit seinem Finn-Dinghi ganz in der Nähe kreuzende Bauunternehmer Wilkes (W) hilft L nicht, weil er seinen führenden Platz in der Regatta nicht verlieren will. Kurz darauf geht L unter und ertrinkt. Prüfen Sie systematisch Tatbestandsmerkmal für Tatbestandsmerkmal, o b W den Tatbestand des § 2 1 2 (1) i.V.m. § 13 (1) erfüllt hat! (Achten Sie insbesondere auch auf die richtige Reihenfolge Ihrer Untersuchung!)
5.1
Der Vorsatz muß sich stets auf sämtliche Tatbestandsmerkmale eines Delikts beziehen. Dies gilt selbstverständlich auch für die unechten Unterlassungsdelikte. Mithin muß sich der Vorsatz des Täters eines unechten Unterlassungsdelikts beziehen auf 1 2 3 4 5
6 Damit eröffnet sich eine Fülle von Möglichkeiten des
irrtums bei den
vorsätzlichen unechten Unterlassungsdelikten.
Literatur: Zu den Tatbestandsmerkmalen des unechten Unterlassungsdelikts vgl. Bockelmann aaO. § 17 B I 1 - 3 \]escheck aaO. § 59 I—III; Wessels aaO. § 16 II 1 - 3 . Speziell zum Gleichwertigkeitskorrektiv vgl. Bockelmann aaO. § 17 B II; Jescheck aaO. § 59 V; Maurach aaO. § 46 III A 3; Wessels aaO. § 16 118.
498
Antworten
TE 29
1.1
das gebotene Tun nicht hinzugedacht werden kann, ohne daß der Erfolg in seiner konkreten Gestalt mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit entfiele (o.a.)
2.1
1. Die Kausalität des Unterlassens kann nur „hypothetisch" ermittelt werden, d.h. das gebotene Tun muß hinzugedacht werden (o.a.). 2. Für die Kausalität des Unterlassens kommt es darauf an, daß das gebotene Tun den Erfolg mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit abgewendet hätte (o.a.).
2.2
1. Garant; verpflichtet; § 2 1 2 ( 1 ) 2. Es wäre geboten, den Arm abzubinden (wenn M es kann) und im übrigen den nächsten Arzt zu holen (o.ä.).
2.3
J a ! Sie hat die gebotene Handlung nicht vorgenommen. Beten ist in dieser Situation gewiß kein Tun, das darauf gerichtet ist, den Tod des F rasch und sicher abzuwenden (o.a.).
2.4
Nein! M hat das gebotene Tun vorgenommen. Sie ist nicht untätig geblieben. Daher fehlt es an der Tathandlung und damit am Tatbestand eines unechten Unterlassungsdelikts (o.ä.).
2.5
nicht erfüllt; Frau K mangels entsprechender Kenntnisse und Fähigkeiten nicht imstande war, derartige lebensrettende Sofortmaßnahmen vorzunehmen (o.ä.)
2.6
Es kann mithin nicht gesagt werden, daß das gebotene Tun, das Hinzuziehen eines Arztes, den Tod der Tochter mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit abgewendet hätte. Das Unterlassen der Eltern ist daher nicht „kausal" für den Tod des Kindes (o.ä.).
2.7
1. Weil es für V an der tatsächlichen Möglichkeit der Erfolgsabwendung fehlt; 2. weil nicht mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit feststeht, daß durch das Nachspringen des V das Leben seines Kindes gerettet worden wäre.
1.2
Sonderdelikte; nur ein Garant i.S.d. § 1 3 ( 1 ) Täter eines solchen Delikts sein kann (o.ä.)
2.8
Der Tod des L ist eingetreten. Es wäre geboten gewesen, den L an Bord zu ziehen. Das hat W nicht getan, obwohl es ihm tatsächlich möglich gewesen wäre. Das Unterlassen war kausal für den Tod des L. Denn hätte W den L an Bord genommen, so wäre der Tod des L durch Ertrinken mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nicht eingetreten. Der Tatbestand des § 212 (1) i.V.m. § 13 (1) scheidet jedoch aus, weil W nicht Garant i.S.d. § 13 (1) ist (o.a.). (Straflos geht W gleichwohl nicht aus. Näheres dazu in LE 30).
5.1
1. 2. 3. 4. 5. 6.
den Eintritt des Erfolgs die Nichtvornahme des gebotenen Tuns die tatsächliche Möglichkeit der Erfolgsabwendung die hypothetische Kausalität die Garantenstellung und die Gleichwertigkeit von Unterlassen und Tun i.S.d. § 1 3 ( 1 ) (o.ä.).
Tatbestandsirrtums
LE 30
UNTERLASSUNGSDELIKTE 3
499
L e r n z i e 1: In dieser LE sollen Sie sich näher mit dem praktisch wichtigsten und zugleich kompliziertesten Tatbestandsmerkmal der unechten Unterlassungsdelikte, der „Garantenstellung" beschäftigen. Außerdem sollen Sie einen Einblick in die Probleme von Rechtswidrigkeit, Schuld und Irrtum beim unechten Unterlassungsdelikt gewinnen.
In der Praxis liegt das Schwergewicht auf der Erörterung der Probleme der in § 13 (1) (1) umschriebenen Garantenstellung. Dieses Merkmal dient der Begrenzung des Tatobjekts / der Tathandlung / des Täterkreises. Garant ist nur derjenige, der rechtlich dafür einzustehen hat, daß der Erfolg nicht eintritt (§ 13 (1)). Mit dieser Formulierung zieht das Gesetz eine scharfe Trennlinie zwischen Rechtspflichten zur Erfolgsabwendung und sonstigen Pflichten. Moral, Anstand, gesellschaftliche, religiöse (2) und ähnliche Pflichten machen daher niemand zum i.S.d. § Achill (A) und Patroklos (P), zwei unzertrennliche Freunde, tummeln sich bei Mainz im umweltverschmutzten Rhein. Als P untergeht, versagt sich A dem teuren Freunde, obwohl er ihn retten könnte. (3) Für A kommt ein unechtes Unterlassungsdelikt gemäß § 212 (1) i.V.m. § 13 (1) in Betracht / nicht in Betracht, weil (bitte ergänzen!)
Außerdem ist der Begriff der Rechtspflicht dahin einzuschränken, daß sie den Täter persönlich treffen muß. Es genügen mithin weder jedermann obliegende Rechtspflichten noch solche Rechtspflichten, welche „die" Ärzte, „ d i e " Beamten, „ d i e " Architekten, „ d i e " Baumeister etc. im allgemeinen treffen. Es ist vielmehr nach den Rechtspflichten eines bestimmten Arztes, eines bestimmten Beamten etc. in einer bestimmten Situation zu differenzieren. Rochier hat um 3.00 Uhr in der Frühe einen schweren Herzanfall. Seine Gattin ruft nacheinander zwei Ärzte an, den Bereitschaftsarzt Dr. med. Wach und den in der Nähe wohnenden praktischen Arzt Dr. med. Schlaf. Beide lehnen einen Hausbesuch „mitten in der Nacht" ab. Rochier stirbt zwei Stunden später. (4) Als Unterlassungstäter eines Tötungsdelikts k o m m t allenfalls in Betracht. (5) Denn nur ihn persönlich trifft eine pflicht, entweder selbst zu kommen oder jedenfalls unter den geschilderten Umständen einen Krankenwagen zu schicken. Nur er (6) ist i.S.d. § 13 (1). Unter Berücksichtigung dieser beiden Einschränkungen haben Praxis und Lehre eine Reihe von typischen Garantenstellungen herausgearbeitet.
500
Unterlassungsdelikte 3
LE 30
(1) des Täterkreises (2) Garanten; § 13(1) (3) nicht in Betracht; bloße Freundschaft noch keine Garantenstellung i.S.d. § 13 (1) begründet (o.a.). Daß A gemäß § 330c wegen eines echten Unterlassungsdelikts bestraft werden kann, ist eine andere Frage. (4) der Bereitschaftsarzt (Dr. Wach) (5) Rechtspflicht (6) Garant
Garantenstellung
(1) Eine Garantenstellung i.S.d. § ergeben.
aus Rechtsvorschrift
kann sich unmittelbar aus einer Rechtsvorschrift
Die beiden wichtigsten Rechtsvorschriften, aus welchen sich eine solche Garantenstellung ergeben kann, sind familienrechtlicher Natur: Gemäß § 1626 (2) BGB (bitte lesen!) haben Eltern die Pflicht, für die Person ihrer Kinder zu sorgen. Diese Sorgepflicht erstreckt sich insbesondere auf das Leben und die Gesundheit der Kinder. (2) Wenn eine „ R a b e n m u t t e r " ihr Kind verhungern läßt, so ist das Delikt des § (3) Form des zu prüfen. Die der Mutter ergibt sich aus § BGB.
in der -
Gemäß § 1353 (1) BGB (bitte lesen!) sind Ehegatten verpflichtet, einander Beistand zu leisten. Torkelt die Ehefrau auf einen Abgrund zu, so hätte ihr Gatte Totschlag ( § 2 1 2 ( 1 ) ) durch (4) ein Tun / durch Unterlassen zu verantworten, wenn er (bitte ergänzen!)
(5) Seine Garantenstellung ergibt sich aus §
BGB.
Auch aus enger natürlicher Verbundenheit kann sich eine Garantenstellung ergeben, falls diese enge natürliche Verbundenheit eine rechtliche Grundlage hat. (6) Eine solche Verbundenheit auf rechtlicher Grundlage besteht z.B. unter Verlobten, zwischen Lebensgefährten, im Verhältnis der Kinder zu ihren Eltern und zwischen Geschwistern. (7) Ergäbe sich die Garantenstellung der Ehegatten nicht schon aus § sich jedenfalls aus Der verheiratete Bonner Ministerialrat Dr. Jesko Wonnemann mal in der Woche seine Geliebte in ihrem Luxusappartement
BGB, so ließe sie ableiten.
(W) besucht ein- bis auf dem Venusberg.
zwei-
Läßt sich aus dieser Art von Liaison eine Garantenstellung des Dr. W gegenüber seiner Geliebten ableiten? (8) J a / Nein Begründung:
LE 30
Unterlassungsdelikte 3 (1) (3) (4) (5) (8)
501
§13(1) (2) § 212 (1); unechten Unterlassungsdelikts Garantenstellung; § 1626 (2) BGB durch Unterlassen; sie nicht vor dem Absturz bewahrte = den Tötungserfolg nicht abwendete (o.ä.) § 1353(1) (6) enge natürliche (7) § 1353 (1) BGB; enger natürlicher Verbundenheit Nein! Dieser Verbundenheit fehlt die rechtliche (= von der Rechtsordnung anerkannte) Grundlage (o.a.).
Eine sehr bedeutsame Rolle spielt in der Praxis die Garantenstellung aus freiwilliger Pflichtenübernahme. Schulbeispiele bilden Bademeister, aber auch Ärzte, Krankenschwestern, Bergführer, Kindermädchen etc. (1) Es macht keinen Unterschied, ob die Pflicht entgeltlich oder entgeltlich, vorübergehend oder ausdrücklich oder stillschweigend übernommen worden ist. (2) Garant kraft ist daher auch, wer eine gebrechliche Person aus freien Stücken über einen verkehrsreichen Platz geleitet. Im übrigen sind dieser Garantenstellung sowohl nach ihrem Entstehungsgrund als auch nach ihrem Umfang eher enge Grenzen gezogen. Stets muß es sich um eine tatsächlich übernommene Pflicht handeln. Allein der Vertragsabschluß oder gar die bloße Aufforderung, eine derartige Pflicht zu übernehmen, reichen hierfür nicht aus. (3) Darum ist der säumige Bergführer Garant / nicht Garant, wenn der Tourist ohne ihn in die Berge aufbricht und zu Tode stürzt. Der Arzt, der Feuerwehrmann, der Bergführer, das Kindermädchen u n d ähnliche Personen werden im allgemeinen erst in dem Augenblick zu Garanten i.S.d. § 13 (1), in dem sie (4) ihre jeweiligen Pflichten Da es allein auf die freiwillige Pflichtenübernahme und das tatsächliche Antreten der Pflicht a n k o m m t , steht z.B. die Rechtsungültigkeit der einer Pflichtenübernahme zugrun(5) deliegenden Vereinbarung der Annahme dieser Garantenstellung entgegen / nicht entgegen. Deshalb enthält der folgende Satz zwei Fehler! „Der Bademeister verantwortet nur dann Tötung durch Unterlassen, wenn sein Anstellungsvertrag rechtswirksam ist und der Ertrunkene eine gültige Eintrittskarte h a t t e . " (6) Welche beiden Fehler?
Unterlassungsdelikte 3
502
LE 3 0
(1) unentgeltlich; dauernd (o.a.) (2) freiwilliger Pflichtenübernahme (3) nicht Garant (4) tatsächlich übernehmen bzw. antreten (5) nicht entgegen (6) Der Bademeister verantwortet auch dann Tötung durch Unterlassen, wenn sein Anstellungsvertrag nichtig ist und der Ertrunkene keine gültige Eintrittskarte hatte (o.a.). Besonderer Beachtung bedürfen die zeitlichen u n d gegenständlichen Grenzen der freiwilligen Pflichtenübernahme.
(1)
Ein Arzt, der die Behandlung des Patienten abgeschlossen hat, ist jedenfalls u n t e r dem Aspekt der Pflichtenübernahme noch Garant / kein Garant mehr. Sehr häufig beschränkt sich die Garantenstellung auf b e s t i m m t e Rechtsgüter bzw. Tatobjekte.
(2)
Garantenstellung kraft
besteht z.B.
für den Bademeister nur bezüglich des Lebens u n d der Gesundheit der Badegäste (aber nicht für deren Wertgegenstände u n d Kleider); (3)
für den Arzt nur bezüglich des von ihm b e t r e u t e n Patienten; für den Nachtwächter nur bezüglich der von ihm zu b e w a c h e n d e n Objekte; für das Kindermädchen nur bezüglich der von ihr zu b e t r e u e n d e n Kinder;
(4)
für den Vermögensverwalter nur bezüglich des von ihm zu verwaltenden Der Bergführer Hias Kraxl (K) Er bleibt untätig, als er sieht, 1. ein Mitglied seiner Gruppe 2. ein Mitglied seiner Gruppe stürzen droht; 3. ein Mitglied einer f r e m d e n abzustürzen droht; 4. ein Mitglied seiner Gruppe
(5)
macht mit seiner Gruppe auf dem Gipfelplateau Rast. wie ein anderes bestiehlt; auf eigene Faust abzusteigen beginnt und deshalb abzuGruppe auf eigene Faust abzusteigen verbotenerweise
ein Edelweiß
beginnt und
deshalb
pflückt.
Garantenstellung aus freiwilliger Pflichtenübernahme besteht für K nur bei N u m m e r ( n ) 1/2/3/4.
Wichtig! Die am Beispiel der freiwilligen Pflichtenübernahme herausgearbeiteten zeitlichen u n d gegenständlichen Grenzen der Garantenstellung gelten mutatis m u t a n d i s auch für die übrigen Garantenstellungen!
Unterlassungsdelikte 3
LE 3 0
503
(1) freiwilligen; kein Garant mehr (2) freiwilliger Pflichtenübernahme (3) des Lebens und der Gesundheit (o.a.) (4) Vermögens (5) 2
Diese Garantenstellung betrifft ebenso seltene wie extreme Fallgestaltungen. (1)
Von einer spricht man, wenn sich mehrere Personen zu dem Zweck verbunden haben, durch ihren Zusammenschluß die Chancen zur Bewältigung einer bestimmten Gefahr zu erhöhen. Als Beispiele können gelten: Bergsteigerseilschaften, Expeditionen in die Wüste oder in die Arktis, Erforschung von Höhlen, Tiefseetauchunternehmen u.ä. Die Garantenstellung aus Gefahrengemeinschaft ist ein verselbständigter Fall der freiwilligen Pflichtenübernahme. Ihr sind daher nach Entstehungsgrund und Umfang dieselben engen Grenzen gezogen.
(2)
Insbesondere begründet die bloße Tatsache, daß mehrere Personen zufällig in dieselbe Gefahr geraten sind (= sog. Zufallsgemeinschaft), für sich allein noch keine gemeinschaft und daher auch keine S fällt entkräftet zerfleischen.
vom Floß. N, der andere
Schiffbrüchige,
läßt es zu, daß ihn die Haie
Kann N wegen § 212 (1) i.V.m. § 13 (1) zur Rechenschaft gezogen werden? (3) J a / Nein Begründung:
Eine Garantenstellung kann sich schließlich aus gefahrbegriindendem Vorverhalten (= sog. Ingerenz) ergeben. (4)
„Gefahrbegründendes meinen Rechtsgrundsatz:
" ist die Kurzformel für den folgenden allge-
Wer durch sein objektiv pflichtwidriges Verhalten eine nahe Gefahr für fremde Rechtsgüter herbeiführt, ist verpflichtet, den Eintritt des Erfolgs abzuwenden. Sie erinnern sich an den LKW-Fahrer F, der sofort anhält, als er starken Ölverlust bemerkt. Aber er unterläßt es, das öl zu beseitigen oder Warnvorrichtungen aufzustellen. Der Motorradfahrer M verunglückt auf der ölspur tödlich (oben S. 473). (5)
F wird gemäß §
»begangen durch
angeklagt.
Seine Garantenstellung ergibt sich bei diesem Sachverhalt einmal aus einer Rechtsvor(6) schrift, nämlich aus § 32 (1) Satz 1 und 2 StVO; zum anderen aber auch aus weil F (bitte ergänzen!)
-
504
Unterlassungsdelikte 3 (1) (3) (4) (6)
LE 30
Gefahrengemeinschaft (2) Gefahrengemeinschaft; Garantenstellung Nein! Eine bloße Zufallsgemeinschaft begründet noch keine Gefahrengemeinschaft (o.a.). Vorverhalten (5) § 222; Unterlassen gefahrbegriindendem Vorverhalten; durch das Verschmutzen der Straße (= objektiv pflichtwidrige Handlung) eine nahe Gefahr für den Todessturz des M herbeigeführt hatte (o.a.)
Wesentliche Grenzen dieser Garantenstellung ergeben sich bereits aus ihrer Definition. (1) Es genügt nicht irgendein Vorverhalten; gefordert wird vielmehr ein o Verhalten. Es genügt nicht die Herbeiführung irgendeiner Gefahr; gefordert wird vielmehr die Herbei(2) führung einer Gefahr. (3) Da beide Voraussetzungen im Falle des LKW-Fahrers F erfüllt / nicht erfüllt sind, ist er Garant i.S.d. § / kein Garant. Allabendlich schenkt der Kronenwirt Bier, Wein und ,,schärfere Sachen" an seine Gäste aus, unter denen auch zahlreiche Autofahrer sind. Einer dieser Gäste verursacht auf der Heimfahrt infolge Alkoholgenusses einen tödlichen Verkehrsunfall. Durch das Ausschenken von Alkohol wird der Wirt nicht zum Garanten i.S.d. § 13 (1). (4) Denn er nimmt dadurch weder ein pflichtwidriges Verhalten vor noch führt er die Gefahr herbei, daß seine Gäste bei der Heimfahrt infolge des Alkoholgenusses Verkehrsunfälle verursachen. Ein Gastwirt kann daher im allgemeinen wegen fahrlässiger Tötung oder fahrlässiger Kör(5) perverletzung durch Unterlassen belangt werden / nicht belangt werden, wenn einer seiner Gäste anschließend tatsächlich einen solchen Verkehrsunfall verursacht. Wichtiger Hinweis! Kommen Sie bei einer Fallprüfung zu dem Ergebnis, daß sich eine Garantenstellung des Täters unter keinem der dargestellten Aspekte begründen läßt, scheidet eine Bestrafung (6) wegen eines U stets aus. Aber: In vielen Fällen bleibt eine Bestrafung des Täters wegen eines echten Unterlassungsdelikts übrig, insbesondere wegen Unterlassener Hilfeleistung (§ 330c). Greifen wir einen Fall aus der TE 29 auf. Der mit seinem Finn-Dinghi auf dem Baldeneysee kreuzende W hatte den hilferufenden L nicht gerettet, um seinen Spitzenplatz in der Regatta nicht zu verlieren. L war ertrunken. (7)
Eine Bestrafung des W gemäß § 212 (1) i.V.m. § 13 (1) kommt in Betracht / nicht in Betracht, weil (bitte ergänzen!)
LE 30
Unterlassungsdelikte 3
505
(1) objektiv pflichtwidriges (2) nahen (3) erfüllt; Garant; § 13 (1) (4) objektiv; nahe (5) nicht belangt werden (6) unechten Unterlassungsdelikts (7) nicht in Betracht; W unter keinem der dargestellten Aspekte Garant ist (o.a.)
Lesen Sie nunmehr bitte § 330c! Unglücksfall i.S.d. § 330c ist jedes plötzlich auftretende Ereignis, das Leib oder Leben eines Menschen erheblich gefährdet. Dieses Tatbestandsmerkmal ist durch das Kentern des L im Baldeneysee nicht verwirk(1) licht / verwirklicht. (2) Da auch die übrigen Voraussetzungen des § 330c erfüllt sind, ist W wegen (bitte ergänzen!)
Blättern Sie bitte zurück zum Beispiel des herzkranken Rochier auf S. 499!
(3)
Dr. Schlaf verantwortet zwar keine Tötung des Rochier durch Unterlassen, weil (bitte ergänzen!)
(4) Der schwere Herzanfall des Rochier ist aber ein Unglücksfall / kein Unglücksfall i.S.d. § 330c. Dr. Schlaf wird sich daher wegen Unterlassener Hilfeleistung zu verantworten haben. Einige wenige Bemerkungen zur Rechtswidrigkeit beim unechten Unterlassungsdelikt! Ebenso wie beim entsprechenden Begehungsdelikt kann auch die Rechtswidrigkeit eines (5) unechten Unterlassungsdelikts durch ausgeschlossen sein. In Betracht kommt hauptsächlich rechtfertigender Notstand, bei den Unterlassungsdelikten auch rechtfertigende Pflichtenkollision genannt. Als Piet van Grachten (G) aus Amsterdam aus dem Büro heimkehrt, steht sein Haus in Flammen. Aus einem Fenster ruft sein 8jähriger Sohn Jan Willem um Hilfe. Im zweiten Stock hängt ein echter Rubens, den G für seinen Freund aufbewahrt und bewacht. G sieht sofort: Er kann nur eins tun, entweder seinen Sohn oder das Bild retten. G entscheidet sich für seinen Sohn. Der Rubens wird ein Raub der Flammen. Wir wollen diesen Fall nach deutschem Strafrecht lösen und überlegen, ob G eine Bestra(6) fung wegen der Sachbeschädigung (§ 303 (1)), begangen durch ein Tun / durch Unterlassen, zu befurchten hat. Kommt bezüglich der von G durch Unterlassen begangenen Sachbeschädigung rechtfertigender Notstand in Betracht? (7) J a / Nein Begründung (bitte in aller Kürze sämtliche Merkmale durchprüfen!):
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506 (1) (3) (4) (7)
verwirklicht (2) unterlassener Hilfeleistung (§ 330c) zu bestrafen (o.ä.) er unter keinem der in der LE angeführten Aspekte Garant i.S.d. § 13 (1) ist (o.ä.) ein Unglücksfall (5) Rechtfertigungsgründe (6) durch Unterlassen Ja! Dem Leben des Kindes droht eine nicht anders abwendbare Lebensgefahr. Das Leben ist mehr wert als der teuerste Rubens. Die Vernachlässigung der Pflichten bezüglich des Bildes war das einzige und nach der Sachlage angemessene Mittel, um der höheren Pflicht zu genügen. G hat mit Rettungswillen gehandelt (o.ä.).
Ein abschließender Blick auf die Schuld beim vorsätzlichen u n e c h t e n Unterlassungsdelikt. (1)
Auf dieser Stufe sind die üblichen zwei / drei / vier Schuldelemente der Vorsatzschuld nach den Ihnen aus den LE 13 bis 20 b e k a n n t e n Grundsätzen zu untersuchen. Den Vorsatz beim u n e c h t e n Unterlassungsdelikt wollen wir etwas näher betrachten.
(2)
Vorsätzlich handelt, wer einen der einem
entspricht.
Der Vorsatz m u ß sich stets auf sämtliche objektiven Tatbestandsmerkmale des Delikts beziehen.
(3)
(4)
Daher m u ß sich der Vorsatz z.B. eines Täters, der seine E h e f r a u durch Unterlassen t ö t e t (§ 212 (1) i.V.m. § 13 (1)), im einzelnen erstrecken auf 1 2 3 4 5 6 Irrt sich der Täter auch nur über ein einziges dieser Tatbestandsmerkmale, so k o m m t Bestrafung wegen eines u n e c h t e n Unterlassungsdelikts nicht in Betracht. Beispiel: Der Bademeister Quältenbronner Travnicek (T) würde vor einem Bekannten
(5)
(Q) bleibt absichtlich untätig, weil er glaubt, „eine Schau abziehen". T ertrinkt.
Uber welches Tatbestandsmerkmal des § 212 (1) i.V.m. § 1 3 ( 1 ) hat sich Q geirrt?
(6) Welche Rechtsfolgen zieht dieser Irrtum nach sich?
(7)
Folglich ist Q wegen zu bestrafen, falls (bitte ergänzen!)
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(1) vier (2) Sachverhalt verwirklichen will; gesetzlichen Tatbestand (3) 1. den Eintritt ihres Todes 2. die Nichtvornahme des gebotenen Tuns 3. die tatsächliche Möglichkeit der Erfolgsabwendung 4. die hypothetische Kausalität 5. seine Garantenstellung 6. die Gleichwertigkeit von Tun und Unterlassen (4) vorsätzlichen (5) Über die Herbeiführung des Tötungserfolgs (o.ä.) (6) Ein Tatbestandsirrtum schließt gemäß § 1 6 ( 1 ) Satz 1 den Vorsatz aus (o.a.). (7) fahrlässiger Tötung durch Unterlassen (§ 222 i.V.m. § 1 3 ( 1 ) ) ; dieser Irrtum auf Fahrlässigkeit beruhte (o.ä.)
Beim Vorsatz bezüglich der Garantenstellung bzw. beim diesbezüglichen Irrtum ist die folgende „Finesse" zu beachten: Der Vorsatz entfällt nur dann, wenn sich der Täter über die Garantenstellung als solche irrt. Beispiel: Vom roten Kliff bei Kampen/Sylt beobachtet der Häusermakler M aus Rendsburg, daß jemand ins offene Meer abgetrieben und daher über kurz oder lang ertrinken wird. M erkennt aber nicht, daß es sich um seine eigene Ehefrau (E) handelt. Er unternimmt daher auch nichts zu ihrer Rettung. Wir wollen davon ausgehen, daß M den Tatbestand des § 212 (1) i.V.m. § 13 (1) erfüllt hat und uns sogleich der Frage nach seiner Schuld zuwenden. (1) Worüber hat M sich geirrt?
(2) Dieser Irrtum ist ein
irrtum.
Variante: ,,Dasch'n Dings mit P f i f f " , sagt sich M, als er erkennt, daß es seine eigene Frau ist, die ins offene Meer hinaustreibt. Das ist ihm aber „pottegal". Denn er glaubt, wegen ihrer ständigen Untreue längst sämtlicher Beistandspflichten ledig zu sein. (3) Bei dieser Variante kennt M zwar seine Stellung, meint aber, aus dem genannten Grund zur Rettung seiner Gattin rechtlich nicht verpflichtet zu sein. (4) Dieser Irrtum fällt in die Kategorie des
irrtums.
Der Begriff Verbotsirrtum wird im übrigen den besonderen Gegebenheiten der Unterlassungsdelikte nicht ganz gerecht. Denn M hat sich nicht darüber geirrt, daß es verboten sei, die E zu töten, sondern darüber, daß es geboten sei, die E zu retten. (5) Man bezeichnet den „Verbotsirrtum" des § 17 bei den echten und unechten daher häufig auch als „ Beim Verbotsirrtum erkennt der Täter nicht, daß sein Tun Unrecht ist. (6) Beim Gebotsirrtum erkennt der Täter nicht, daß (bitte ergänzen!)
irrtum".
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(1) Über seine Garantenstellung (als Ehemann gemäß § 1353 (1) BGB) o.a. (2) Tatbestandsirrtum (3) Garantenstellung (4) (direkten) Verbotsirrtums (5) Unterlassungsdelikten; „Gebotsirrtum" (6) sein Unterlassen Unrecht ist
ZUSAMMENFASSUNG I Tatbestandsmäßigkeit Der Tatbestand des vorsätzlichen unechten Unterlassungsdelikts setzt sich aus den nachfolgenden Tatbestandsmerkmalen zusammen.
Der Schwerpunkt der Erörterungen liegt in der Praxis auf dem Tatbestandsmerkmal der Garantenstellung. Seine gesetzliche Grundlage hat das Erfordernis der Garantenstellung in der Vorschrift des § 13 (1). Garant ist nur, wer rechtlich dafür einzustehen hat, daß der Erfolg nicht eintritt. Für sämtliche Garantenstellungen gelten die beiden folgenden restriktiven Richtlinien: 1. Garantenstellungen können nur durch Rechtspflichten begründet werden. Regeln der Moral, des Anstands oder des gesellschaftlichen Verkehrs erzeugen keine den Anforderungen des § 13 (1) genügenden Rechtspflichten. Daher ergeben sich aus bloßer Freundschaft, Kameradschaft, Nachbarschaft, Hausgemeinschaft, Zechgenossenschaft, Partei-, Vereins-, Standes-, Religionszugehörigkeit u.ä. noch keine Garantenstellungen i.S.d. § 13 (1). 2. Von einer Garantenstellung spricht man außerdem nur dann, wenn die eben beschriebene Rechtspflicht den Täter persönlich trifft.
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Ob eine Rechtspflicht den Täter „persönlich" trifft, muß unter Berücksichtigung aller maßgeblichen Umstände des Einzelfalles ermittelt werden. Beispiel: Nicht „ d e r " Arzt ist Garant für Leben und Gesundheit eines Menschen, sondern etwa nur der diensttuende Bereitschaftsarzt oder der Arzt, der die Behandlung dieses Patienten übernommen hat. Diese beiden Richtlinien bedingen eine starke Differenzierung der Betrachtungsweise. Eine solche Betrachtungsweise wird durch die von Lehre und Rechtsprechung vorgenommene Systematisierung der verschiedenen Arten von Garantenstellungen wesenüich erleichtert. Eine Garantenstellung kann sich ergeben aus Rechtsvorschrift, aus enger natürlicher Verbundenheit, aus freiwilliger Pflichtenübernahme, aus Gefahrengemeinschaft und aus gefahrbegründendem Vorverhalten. Sämtliche Garantenstellungen sind sowohl bezüglich ihres Entstehungsgrundes als auch bezüglich ihrer Grenzen wiederum sehr differenzierend zu betrachten u n d durchweg einschränkend zu interpretieren. In der Regel sind bei diesen Garantenstellungen bestimmte gegenständliche (z.B. bestimmte Rechtsgüter bzw. Tatobjekte) u n d zeitliche Schranken zu beachten. Dies wurde in der LE am Beispiel der freiwilligen Pflichtenübernahme näher ausgeführt. 1. Rechtsvorschrift Eine Garantenstellung im Sinne des § 13 (1) kann sich durch oder aufgrund von Rechtsvorschriften ergeben. Die beiden wichtigsten garantiebegründenden Rechtsvorschriften sind familienrechtlicher Art und finden sich in § 1353 (1) BGB (Ehegatten) und in § 1626 (2) BGB (Eltern). Zahlreiche Rechtspflichten i.S.d. § 13 (1) werden durch die Vorschriften des Gewerberechts und des Straßenverkehrsrechts begründet. So ergeben sich z.B. aus der StVO Rechtspflichten zur Beseitigung von Straßenverunreinigungen (§ 32 StVO), zur Sicherung liegengebliebener Fahrzeuge (§ 15 StVO), zur Beleuchtung ( § 1 7 StVO), zur Beaufsichtigung von Haus- und Stalltieren, die den Verkehr gefährden können (§ 28 StVO) etc. Wichtig! Die sich aus einem echten Unterlassungsdelikt für jedermann ergebende Rechtspflicht ist nie eine den Täter „im besonderen" treffende. Beispiele: Bei einem schweren Verkehrsunfall, bei einem Waldbrand, bei einem Lawinenunglück etc. ist gemäß § 330c jedermann zur Hilfe verpflichtet. Doch macht § 330c noch niemanden zum Garanten i.S.d. § 13 (1). Anders ausgedrückt: Nur ein Garant i.S.d. § 13 (1) verantwortet in solchen Fällen ein unechtes Unterlassungsdelikt. Jeder andere haftet nur gemäß § 330c.
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2. Enge natürliche Verbundenheit Eine „natürliche" Verbundenheit begründet nur dann eine Garantenstellung im Sinne des § 13 (1), wenn sie „eng" ist und eine rechtliche (und nicht nur eine sittliche) Grundlage hat. Dies trifft im allgemeinen zu auf das Verhältnis zwischen Geschwistern, Verlobten, Lebensgefährten und von Kindern zu ihren Eltern. Dagegen scheidet eine Garantenstellung gegenüber Verschwägerten und entfernten Verwandten in der Regel aus. Die Einzelheiten sind streitig. 3. Freiwillige Pflichtenübernahme Eine Pflichtenübernahme macht nur denjenigen zum Garanten im Sinne des § 13 (1), welcher eine derartige Pflicht freiwillig übernommen hat. Beispiele: Bademeister, Bergführer, Kindermädchen, Ärzte, Krankenschwestern, Vermögensverwalter, Nachtwächter. Daß man sich rechtlich (z.B. durch Vertrag) oder gar rechtsgültig zu etwas verpflichtet hat, ist für diese Garantenstellung, für die es entscheidend auf das tatsächliche Antreten der Pflicht ankommt, weder erforderlich noch genügend. Im übrigen macht es keinen Unterschied, ob eine solche Pflicht entgeltlich oder unentgeltlich, vorübergehend oder auf Dauer, ausdrücklich oder stillschweigend übernommen worden ist. 4. Gefahrengemeinschaft Von einer Garantenstellung aus Gefahrengemeinschaft spricht man nur dann, wenn sich mehrere Personen zu dem Zweck verbunden haben, durch ihren Zusammenschluß die Chancen zur Bewältigung einer bestimmten Gefahr zu erhöhen (z.B. Bergsteigerseilschaften). Daß sich mehrere Personen zufällig derselben Gefahr ausgesetzt sehen = sog. Zufallsgemeinschaft, reicht nicht. 5. Gefahrbegründendes Vorverhalten Wer durch sein objektiv pflichtwidriges Verhalten eine nahe Gefahr für fremde Rechtsgüter herbeiführt, ist verpflichtet, den Eintritt des Erfolgs abzuwenden = gefahrbegründendes Vorverhalten oder Prinzip der Ingerenz. Beispiel 1: Wer einen anderen versehentlich einschließt, ist Garant kraft gefahrbegründenden Vorverhaltens. Er ist gemäß § 239 (1) i.V.m. § 1 3 ( 1 ) zu bestrafen, wenn er es vorsätzlich unterläßt, den Eingesperrten zu befreien. Beispiel 2: Wer einen anderen versehentlich ins Wasser stößt, ist kraft Ingerenz verpflichtet, ihn vor dem Ertrinken zu retten. Bei vorsätzlicher Untätigkeit verantwortet er Totschlag durch Unterlassen (§ 212 (1) i.V.m. § 13 (1)), bei fahrlässiger Untätigkeit fahrlässige Tötung durch Unterlassen (§ 222 i.V.m. § 13 (1)).
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II Rechtswidrigkeit Als Rechtfertigungsgrund für ein unechtes Unterlassungsdelikt kommt in erster Linie rechtfertigender Notstand (sog. rechtfertigende Pflichtenkollision) in Betracht. III Schuld Im Rahmen der Schuld ist bei vorsätzlichem Handeln vor allem darauf zu achten, daß sich der Vorsatz des Täters auf sämtliche objektiven Tatbestandsmerkmale des unechten Unterlassungsdelikts beziehen muß. Liegt bezüglich auch nur eines einzigen objektiven Tatbestandsmerkmals kein Vorsatz vor, so kommt Bestrafung wegen fahrlässiger Tat in Betracht, wenn es ein entsprechendes fahrlässiges unechtes Unterlassungsdelikt überhaupt gibt (§ 15) und wenn dieser Irrtum auf Fahrlässigkeit beruht. Der Irrtum über die Garantenstellung als solche ist ein Tatbestandsirrtum. Kennt der Täter aber seine Garantenstellung, hält er sich gleichwohl für rechtlich nicht verpflichtet, den Erfolg abzuwenden, so liegt ein Verbotsirrtum (§ 17) vor. Vielfach wird der Verbotsirrtum des § 17 bei den echten und unechten Unterlassungsdelikten auch als Gebotsirrtum bezeichnet. Dieser Irrtum kann ein direkter oder indirekter Gebotsirrtum sein. Zum Fallprüfungsschema für das vorsätzliche unechte Unterlassungsdelikt vgl. S. 512. Neben den vorsätzlichen unechten Unterlassungsdelikten gibt es auch fahrlässige unechte Unterlassungsdelikte. Praktische Bedeutung hat diese Rechtsfigur vor allem im Bereich der fahrlässigen Tötung durch Unterlassen (§ 222 i.V.m. § 13 (1)) und der fahrlässigen Körperverletzung durch Unterlassen (§ 230 (1) i.V.m. § 13 (1)). Wichtige Hinweise zum Verhältnis von echten und unechten Unterlassungsdelikten! Die restriktive Handhabung der Rechtspflichten des § 13 (1) führt in vielen Fällen dazu, daß eine Bestrafung mangels Garantenstellung ausscheidet. In solchen Fällen ist an die Auffangfunktion der echten Unterlassungsdelikte zu denken. Häufig wird z.B. ein „Unglücksfall", „gemeine G e f a h r " oder „gemeine N o t " i.S.d. § 330 c vorliegen und daher die Bestrafung des Untätigen wegen „Unterlassener Hilfeleistung" zu erörtern sein. Ist aber jemand Garant i.S.d. § 13 (1), so kann er im allgemeinen nicht außerdem wegen eines echten Unterlassungsdelikts bestraft werden. Das — in der Regel mit strengerer Strafe bedrohte — unechte Unterlassungsdelikt geht vor. Man spricht insoweit von der Subsidiarität der echten Unterlassungsdelikte gegenüber den unechten Unterlassungsdelikten. Das bedeutet für die Fallprüfung, daß in den einschlägigen Fällen zunächst das unechte Unterlassungsdelikt zu untersuchen ist. Nur wenn es ausscheidet — insbesondere mangels Garantenstellung — ist auf ein etwaiges echtes Unterlassungsdelikt einzugehen.
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Fallprüfungsschema Das vorsätzliche unechte Unterlassungsdelikt
0 Handlungsbegriff?
Nein-
Ja I Tatbestandsmäßigkeit?
D.h.
\
1. Eintritt des Erfolgs?
\
2. N i c h t v o r n a h m e des gebotenen TUns?
\Nein-^
Ja 3. tats. Möglichkeit der Erfolgsabwendung7~^>Nein-y
Ja
.
I 4. h y p o t h e t i s c h e Kausalität?
Ja 5. Garantenstellung aus \
Rechtsvorschri f t ? oder
\ \ n ein '
Äquivalenztheorie Beendeter Versuch -* Versuch Begehungsdelikte 127 129 4 7 4 f - Arten 127 - vorsätzliche 128 - fahrlässige 129 - erfolgsqualifizierte 4 5 3 - Schaubüder 129 477 - Fallprüfungsschema 195 322 361 454 Bewußte Fahrlässigkeit -»• Fahrlässigkeit Bewußtsein der Rechtswidrigkeit -•Unrechtsbewußtsein Bewußtsein der Strafbarkeit 273 289
Conditio sine qua non 140
Definition 9 f - u. Auslegung 9 f - u. Subsumtion 9 f - Schaubild 10 Delikte 39 129 - Arten 39 477 - erfolgsqualifizierte 453 - privilegierte 128 129 - qualifizierte 128 129 - Schaubüder 129 477 -*• Vorsatzdelikte, Fahrlässigkeitsdelikte, Allgemeindelikte, Sonderdelikte, Verbrechen, Vergehen, Fallprüfungsschema Fallprüfungsschema Delikte mit überschießender Innentendenz Absichtsdelikte Dolus eventualis Vorsatz, bedingter Echte Unterlassungsdelikte 474 - Tatbestandsmäßigkeit 474 - Rechtswidrigkeit 474 - Schuld 4 7 4 - Subsidiarität gegenüber den unechten Unterlassungsdelikten 509 511 - Fallprüfungsschema 4 7 8 - Schaubild 477 Einheitsstrafe 25 Enge natürliche Verbundenheit -*• Garantenstellung Entschuldigender Notstand Notstand, entschuldigender Entschuldigungsgründe 194 319 435 - Wesen 319 - u. Zumutbarkeit 319 435 - Schaubild 377 Notstand, entschuldigender, Unzumutbarkeit Entsprechungsklausel Gleichwertigkeitskorrektiv Erfolg 127 - u. Kausalität 140 - u. unechtes Unterlassungsdelikt 475 - u. Erfolgsdelikt 127 Erfolgsabwendung, tatsächliche Möglichkeit der 4 7 4 492 Erfolgsdelikte 127 129 140 493 - fahrlässige 129 4 3 3 ff 450 f - u. Begehung durch Unterlassen 475 493 - Fallprüfungsschema 436 - Schaubilder 129 477
546 Erfolgsqualifizierte Delikte ->• Delikte Erlaub nistatbestandsirrtum -*• Irrtum über einen rechtfertigenden Sachverhalt Error in persona vel objecto Irrtum über das Tatobjekt
Sachregister — aus freiwilliger Pflichtenübernahme 493 510 — aus Rechtsvorschrift 493 509 — aus gefahrbegründendem Vorverhalten 510 — aus Gefahrengemeinschaft 510 — u. zeitliche Schranken 509 — u. sachliche Schranken 509 — Schaubild 508 Gebotsirrtum 511 Gefahrbegründendes Vorverhalten -*• Garantenstellung Gefahrengemeinschaft -*• Garantenstellung Generalprävention 24 25 f Gleichwertigkeitskorrektiv, Gleichstellungskorrektiv 4 9 3 Gnadentheorie 374 Grober Unverstand Untauglicher Versuch Grunddelikte 128 f 453 Grundtatbestand -*• Grunddelikte
Fahrlässigkeit 242 417 418 f — bewußte 451 452 — unbewußte 242 451 452 — u. Unrecht 433 452 — u. Kausalität 4 3 4 450 f — als Schuldform 433 — als Verhaltensform 4 3 3 — bei erfolgsqualifizierten Delikten 4 5 3 — u. Tatbestandsirrtum 259 511 — u. Irrtum über einen rechtfertigenden Sachverhalt 302 — Abgrenzung vom Vorsatz 452 — Schaubilder 4 2 4 445 Fahrlässigkeitsdelikte 128 129 195 259 302 f 433 ff — Tatbestandsmäßigkeit 433 f 4 5 0 f Handlung 98 99 f — Rechtswidrigkeit 4 3 4 — Erscheinungsformen 100 — Schuld 434 f 452 — impulsive 99 100 — Unterschiede zu den Vorsatzdelikten 433 — automatisierte 99 100 — erfolgsqualifizierte 453 — Fallprüfungsschema 436 — u. Schlafende 98 100 212 Fahrlässigkeitsschuld 194 210 4 3 4 f 452 — u. Bewußtlose 98 100 212 — Maßstab 4 3 4 f — u. Körperreflex 98 ff — Elemente 434 f — u. Schrecksekunde 99 Fallprüfungsschema 83 ff 98 — u. vis aboluta 99 f — Grobstruktur 85 — u. vis compulsiva 99 f — Fflterfunktion 84 494 — Schaubilder 100 477 — vollendetes Begehungsdelikt 195 322 Handlungsbegriff 83 ff 98 212 — versuchtes Delikt 361 395 Höherwertigkeit des Rechtsguts 171 — Vorsatzdelikt 195 322 Hypothetische Kausalität Kausalität — erfolgsqualifiziertes Vorsatzdelikt 4 5 4 — Fahrlässigkeitsdelikt 436 — echtes Unterlassungsdelikt 478 Ingerenz, Ingerenzprinzip — unechtes Unterlassungsdelikt 512 gefahrbegründendes Vorverhalten — Rücktritt 395 Irrtum — Diebstahl 241 — über das Tatobjekt 259 — u. Irrtumsarten 303 322 — über die Garantenstellung 511 — u. Strafaufhebungsgründe 367 377 — über den Kausalverlauf 259 — Schaubilder 83 84 — über die Existenz eines RechtfertigungsFreiwillige Pflichtenübernahme grundes 287 288 -*• Garantenstellung — über die Grenzen eines RechtfertigungsFreiwilligkeit des Rücktritts Rücktritt grundes 287 288 — über die Strafbarkeit 273 289 Garantenstellung, Garant 4 9 3 508 ff — Schaubilder 300 f 303 — aus enger natürlicher Verbundenheit 510 -*• Tatbestandsirrtum, Verbotsirrtum
Sachregister Irrtum über einen rechtfertigenden Sachverhalt 301 — Wesen 301 — Rechtsfolgen 302 — u. Unrechtsbewußtsein 301 303 — u. Vorsatz 301 ff — Abgrenzung vom indirekten Verbotsirrtum 302 f — Abgrenzung vom Tatbestandsirrtum 303 — Schaubüder 300 f 303 Irrtum über Tatumstände Tatbestandsirrtum Kausalität 140 ff — des Tuns 140 ff — des Unterlassens 492 f — überholende 141 — hypothetische 492 f — u. Schuld 142 193 — als Tatbestandsmerkmal 140 193 — u. Fallprüfungsschema 142 — Schaubild 141 Kausalitätsformel der Äquivalenztheorie — im Fidle eines Tuns 140 — im Falle eines Unterlassens 492 Kausalverlauf 259 — atypischer 4 5 1 — Abweichung 259 — Voraussehbarkeit 419 4 5 1 Kausalzusammenhang 140 — Unterbrechung 141 Leichtfertigkeit 452 453 Maßgerechter Mensch 194 272 319 — u. Vorsatzschuld 194 — u. Fahrlässigkeitsschuld 435 — u. Unrechtsbewußtsein 272 287 — u. Entschuldigungsgründe 319 Maßregeln d.B.u.S. 24 ff 25 54 194 211 453 — Arten 26 — Voraussetzung 25 194 — Wirkung 26 — Zweck 25 — Unterschiede zur Strafe 26 — u. Anlaßtat 25 194 — u. Rückwirkungsverbot 54 — Schaubilder 25 f Mehrdeutiges Verhalten 476 f Mitbewußtsein 242 — Schaubild 2 4 3
547 Nebenstrafrecht 40 272 f 287 f Nothilfe 157 Notstand, entschuldigender 319 ff — Grobstruktur 319 — Feinstruktur 319 ff — Notstandshandlung 320 — Notstandssituation 320 — Rettungswille 320 — u. notstandsfähige Rechtsgüter 320 — u. gesteigerte Zumutbarkeit 320 — Abgrenzung zum rechtfertigenden Notstand 321 — Schaubüder 312 319 321 Notstand, rechtfertigender 69 170 ff — Grobstruktur 170 — Feinstruktur 170 ff — Notstandshandlung 171 f — Notstandssituation 170 — Rettungswille 172 — bei Fahrlässigkeitsdelikten 434 — bei unechten Unterlassungsdelikten 511 — Abgrenzung von der Notwehr 172 f — Abgrenzung vom entschuldigenden Notstand 321 — u. notstandsfähige Rechtsgüter 171 — u. Interessenabwägung 171 f — u. angemessenes Mittel 170 172 — u. Bagatellbereich 173 — Schaubüder 162 170 172 f 312 321 Notstandshandlung — beim rechtfertigenden Notstand 170 ff — beim entschuldigenden Notstand 320 Notstands hüfe — rechtfertigende 172 — entschuldigende 321 Notstandssituation — beim rechtfertigenden Notstand 170 173 — beim entschuldigenden Notstand 320 Notwehr 69 f 155 ff — Grobstruktur 155 157 — Feinstruktur 155 ff — zeitliche Grenzen 155 — sachliche Grenzen 156 f — Ausschluß 156 f — Abgrenzung vom rechtfertigenden Notstand 172 f — u. notwehrfähige Rechtsgüter 156 — u. Rechtsmißbrauch 157 — u. Bagatellbereich 157 — bei Fahrlässigkeitsdelikten 4 3 4 — Schaubüder 157 162 172 173
Sachregister
548 Notwehrexzeß — extensiver 288 — intensiver 288 Notwehrhandlung 156 f Notwehrsituation 155 f Nulla poena sine lege 54 475 Ordnungswidrigkeitenrecht 40 Pflichtenkollision, rechtfertigende 511 Prämientheorie 374 Prävention -* Generalprävention, Spezialprävention Privilegierte Delikte -> Delikte Qualifizierte Delikte
Delikte
Rechtfertigender Notstand Notstand, rechtfertigender Rechtfertigungsgründe 69 70 302 — Wirkung 70 — u. Unrecht 70 — u. Tatbestandsmäßigkeit 69 f — geschriebene 69 — ungeschriebene 69 — Beispiele 69 — u. Irrtum 287 ff 301 ff — beim versuchten Delikt 359 — beim fahrlässigen Delikt 434 — beim unechten Unterlassungsdelikt 511 — Schaubild 377 Rechtsgut 39 40 — u. Zweck des Strafrechts 53 — u. Auslegung 53 f — u. Tatobjekt 39 f — Höherwertigkeit 171 — notstandsfähiges 171 320 — notwehrfähiges 156 — Schaubild 47 Rechtsirrtum -*• Verbotsirrtum Rechtsvorschrift -*• Garantenstellung Rechtswidrige Tat 83 — Schaubild 77 Rechtswidrigkeit 69 83 f 301 — u. Unrecht 83 f — u. Rechtfertigungsgründe 83 — beim versuchten Delikt 359 — beim Fahrlässigkeitsdelikt 434 — beim unechten Unterlassungsdelikt 511 Rettungswille — beim rechtfertigenden Notstand 170 172 f — beim entschuldigenden Notstand 321
Risikozusammenhang 450 451 Rücktritt vom Versuch 344 374 ff — als Strafaufhebungsgrund 376 377 — vom unbeendeten Versuch 3 7 4 f — vom beendeten Versuch 374 f — vom untauglichen Versuch 393 f — Freiwilligkeit 374 ff 394 — endgültige Aufgabe der Tatausführung 375 — Verhinderung der Tatvollendung 375 — Schaubilder 375 377 395 Tätige Reue Rückwirkungsverbot 54 Sachverhalt 9 10 Sachverhaltsirrtum -*• Irrtum über einen rechtfertigenden Sachverhalt Schuld 2 4 26 83 f 142 193 ff 194 — Elemente 194 f — Maßstab 194 — u. Vorwerfbarkeit 193 f — u. Kausalität 142 193 — beim versuchten Delikt 360 f — beim Fahrlässigkeitsdelikt 434 f — beim unechten Unterlassungsdelikt 511 — beim Vorsatzdelikt 194 f — Schaubüder 195 322 361 Schuldausschließungsgründe Entschuldigungsgründe Schuldfähigkeit 194 f 210 211 f 434 — Erwachsener 210 f — Jugendlicher 210 f — von Kindern 210 — verminderte 2 1 1 — u. Vollrausch 212 — u. actio libera in causa 2 1 1 f — u. Handlungsbegriff 212 — Schaubild 210 Schuldform — Fahrlässigkeit 433 — Vorsatz 242 Schuldprinzip 193 212 Schuldstrafrecht 193 Schuldunfähigkeit — infolge von krankhafter seelischer Störung 210 f — infolge Schwachsinns 210 f — infolge tiefgreifender Bewußtseinsstörung 210 ff — infolge schwerer anderer seelischer Abartigkeit 210 f
Sachregister — infolge mangelnder Reife 210 — infolge verzögerter Reife 210 f — u. Maßregeln d.B.u.S. 211 — Schaubild 210 Schutzbereich der übertretenen Sorgfaltsnorm 450 f Sonderdelikte 391 394 493 Sorgfaltswidrigkeit, objektive 417 433 — als Element des Fahrlässigkeitsbegriffs 417 ff — Maßstab 417 f — Schaubilder 4 2 4 445 Sorgfaltswidrigkeit, subjektive 418 — als Element des Fahrlässigkeitsbegriffs 417 ff — Maßstab 417 — Schaubild 4 2 4 Spezialprävention 24 25 f Strafaufhebungsgründe 374 ff 377 478 512 — Fallprüfungsschema 322 4 7 8 512 — Schaubild 377 Rücktritt, Tätige Reue Strafausschließungsgründe 377 — Fallprüfungsschema 322 436 454 478 512 — Schaubild 377 Strafbare Handlung -»• Delikt Strafdrohung 39 Strafe 24 25 f 40 54 211 — Voraussetzung 24 83 — Wirkungen 25 — Arten 26 — Zweck 24 f — Unterschiede zu den Maßregeln d.B.u.S. 26 — Schaubilder 25 f Strafrecht 40 — zweispuriges 24 — Zweck 53 — rechtsstaatliche Prinzipien 54 — u. Ordnungswidrigkeitenrecht 4 0 — u. Nebenstrafrecht 40 Straftat 8 3 — Schaubild 77 Subsumtion, subsumieren 10 — u. Auslegung 10 — u. Definition 10 — Schaubild 10 Tätige Reue 376 — Wesen 376 — als Strafaufhebungsgrund 376
549 — als Strafmilderungsgrund 376 — bei vollendeten Delikten 376 Tätigkeitsdelikte (schlichte) 127 129 — fahrlässige 433 — u. Begehung durch Unterlassen 476 — u. echte Unterlassungsdelikte 474 — Schaubüder 129 477 Tat 83 — Schaubild 77 Tatbestand 39 69 114 — u. Delikt 39 — u. gesetzlicher Tatbestand 115 — u. objektiver Tatbestand 115 360 — u. subjektiver Tatbestand 115 360 — u. Unrecht 70 — u. Rechtfertigungsgründe 69 f — qualifizierter 128 — privilegierter 128 Tatbestandselemente Tatbestandsmerkmale Tatbestand, gesetzlicher, objektiver 115 — u.Tatbestand 115 — u.Vorsatz 242 258 Tatbestandsirrtum 258 259 289 302 — Wesen 258 — u. Irrtum über das Tatobjekt 259 — u. Irrtum über den Kausalverlauf 259 — u. Irrtum über die Garantenstellung 511 — Rechtsfolgen 259 300 f — beim Versuch 359 — beim unechten Unterlassungsdelikt 511 — Abgrenzung vom Verbotsirrtum 289 — Abgrenzung vom Irrtum über einen rechtfertigenden Sachverhalt 303 — Abgrenzung vom Versuch 360 — Schaubüder 258 300 f 360 Tatbestandsmäßigkeit 39 83 f 114 258 — beim versuchten Delikt 358 f 361 — beim Fahrlässigkeitsdelikt 433 f — beim unechten Unterlassungsdelikt 491 ff — beim vorsätzlichen Begehungsdelikt 195 322 Tatbestandsmerkmale 39 54 — deskriptive 113 114 f — normative 113 ff 114 4 9 3 — geschriebene 114 f — ungeschriebene 114 f 474 492 — objektive 113 114 f 195 242 258 322 358 — subjektive 113 114 f 195 244 322 — privilegierende 129 — qualifizierende 129 — Schaubild 115
550 Tatentschluß (beim Versuch) 358 f — u. Vorsatz 359 Tatobjekt 39 4 0 — u. Rechtsgut 39 f — Irrtum 259 — Untauglichkeit 391 f Tun 100 — Nichtvornahme des gebotenen Tuns 100 — gebotenes 4 9 1 f — u. Kausalität 140 — u. mehrdeutiges Verhalten 476 f — Grundsatz des Vorrangs des Tuns 476 f — als Erscheinungsform der Handlung 100 — Schaubild 477 Übernahmefahrlässigkeit 419 Übernahmeverschulden 419 Überschießende Innentendenz Absicht Unbeendeter Versuch -*• Versuch Unbewußte Fahrlässigkeit Fahrlässigkeit Unéchte Unterlassungsdelikte 475 — Eigenständigkeit 475 — vorsätzliche 476 511 — fahrlässige 476 511 — Tatbestandsmäßigkeit 491 ff 508 ff — Rechtswidrigkeit 511 — Schuld 492 511 — Bedeutung des § 13 475 f — Versuch 49 1 493 — u. Sonderdelikt 493 — u. Begehungsdelikt 475 f 491 — u. echte Unterlassungsdelikte 477 509 511 — Fallprüfungsschema 4 9 4 512 — Schaubilder 4 7 7 508 Unrecht 55 70 8 3 84 2 4 4 433 f — Spezifizierbarkeit 55 84 — Quantifizierbarkeit 55 84 — zivilrechtliches 55 — strafrechtliches 55 — verwaltungsrechtliches 55 — völkerrechtliches 55 — Schwere 55 — u. Unrechtsbewußtsein 272 f 287 ff — u. Rechtswidrigkeit 83 f — u. Rechtfertigungsgründe 70 83 Unrechtsbewußtsein 194 272 2 7 3 287 ff 301 — als selbständiges Element der Vorsatzschuld 1 9 4 f 2 7 3 3 6 0 f
Sachregister -
als selbständiges Element der Fahrlässigkeitsschuld 435 - u. Verbotsirrtum 287 ff - aktuelles 272 273 289 4 3 5 - potentielles 272 2 7 3 289 435 - Bewußtheitsgrade 272 f - im Nebenstrafrecht 272 f 287 f - des Überzeugungstäters 272 - des Gewohnheitstäters 2 72 - des Affektäters 2 72 - Abgrenzung vom Vorsatz 2 73 - Abgrenzung vom Bewußtsein der Strafbarkeit 273 Verbotsirrtum, Irrtum über einen rechtfertigenden Sachverhalt Untauglicher Versuch 391 392 ff - Strafgrund 391 f 393 - grober Unverstand 392 393 - absolut untauglicher 392 f - beendeter 393 f - unbeendeter 393 f - Rücktritt 393 f - bei Sonderdelikten 391 - Rechtsfolgen 392 f - Fallprüfungsschema 395 - Schaubild 390 Untauglichkeit - des Mittels 391 f - des Objekts 391 f - des Subjekts 391 393 f Unterbrechung des Kausalzusammenhangs Kausalzusammenhang Unterlassen, Unterlassung 100 - als Erscheinungsform der Handlung 100 - u. Begehung 475 - u. mehrdeutiges Verhalten 476 f - eigenständiger Unwert 477 - u. Kausalität 492 f - Schaubild 477 Unterlassungsdelikte 127 129 - Schaubild 129 -* Echte Unterlassungsdelikte -*• Unechte Unterlassungsdelikte Unzumutbarkeit - beim Fahrlässigkeitsdelikt 435 451 - beim Vorsatzdelikt 319 f - beim echten Unterlassungsdelikt 4 7 4 - beim unechten Unterlassungsdelikt 492 - Maßstab 319 f 435 - u. Schuld 319 435 - u. Entschuldigungsgründe 319 f 435 Ursächlichkeit ->• Kausalität
Sachregister Verbotsirrtum 287 288 f — Wesen 301 — Rechtsfolgen 288 f 300 f 302 f — direkter 287 435 — indirekter 287 288 435 — u. Vermeidbarkeit 288 f 300 f 435 — u. potentielles Unrechtsbewußtsein 289 — bei den Fahrlässigkeitsdelikten 435 — u. Gebotsirrtum 511 — im Nebenstrafrecht 287 f — Abgrenzung vom Irrtum über die Strafbarkeit 273 289 — Abgrenzung vom Tatbestandsirrtum 289 — Abgrenzung vom Irrtum über einen rechtfertigenden Sachverhalt 302 f — Schaubüder 300 f 303 Verbrechen 39 Vereinigungstheorie 25 Vergehen 39 Vergeltung 24 ff Vermeidbarkeit des Verbotsirrtums Verbotsirrtum Versuch, versuchtes Delikt 342 ff — Beginn 343 344 358 — Strafbarkeit 343 361 — Rechtsfolgen 343 — als Milderungsgrund 343 — Tatbestandsmäßigkeit 343 358 f 361 — Rechtswidrigkeit 359 — Schuld 360 361 — u. Vorsatz 359 — u. Tatbestandsirrtum 359 — u. Absichtsdelikte 359 — u. erfolgsqualifizierte Delikte 453 — u. unechte Unterlassungsdelikte 491 493 — beendeter 374 393 f — unbeendeter 374 393 f — qualifizierter 376 — Abgrenzung zur Vorbereitungshandlung 343 f — Abgrenzung zur Vollendung 344 360 — Abgrenzung gegenüber Tatbestandsirrtum 360 — Fallprüfungsschema 361 395 — Schaubilder 338 342 untauglicher Versuch, Rücktritt Verteidigungswille 155 156 Vis absoluta 98 ff 99 Vis compulsiva 99 100 Vollendung, vollendetes Delikt 342 344 360 376
551 - Absichtsdelikte 344 — Vorbereitungsdelikte 344 — tätige Reue 376 Voraussehbarkeit des Erfolgs, objektive 419 — u. allgemeine Lebenserfahrung 419 451 — u. des Kausalverlaufs 419 451 Vorsatz 194 242 243 f 258 f — als subjektives Tatbestandsmerkmal 244 358 f - als Schuldform 242 ff 433 - bedingter 242 243 359 452 - Bewußtheitsgrade 242 f - Stärkegrade 242 f — Wissenskomponente 242 f 258 452 — Wollenskomponente 242 f 452 — beim erfolgsqualifizierten Vorsatzdelikt 453 f — beim versuchten Delikt 359 f — beim unechten Unterlassungsdelikt 511 - u. Tatbestandsirrtum 258 360 511 — Abgrenzung zur Fahrlässigkeit 243 452 — Abgrenzung zum Unrechtsbewußtsein 273 - Schaubüder 243 258 360 -*• Wissentlichkeit, Absichtlichkeit Vorsatzdelikte 128 129 243 453 - Stadien 342 ff — Unterschied zu den Fahrlässigkeitsdelikten 4 3 3 — erfolgsqualifizierte 453 - Fallprüfungsschema 195 322 454 Vorsatz — Fahrlässigkeitskombination 453 454 Vorsatzschuld 194 195 210 303 - Aufbau 194 f - Schaubüder 195 322 Vorwerfbarkeit im allgemeinen Schuld - Schaubüder 424 445 Voraussehbarkeit des Erfolgs, subjektive 419 451 - Maßstab 419 - Schaubüder 4 2 4 445 Voraussicht, subjektive 451 Vorbereitungsstadium 342 Vorbereitungsdelikte 342 344 Vorbereitungshandlung 342 358 - Straflosigkeit 342 — Abgrenzung vom Versuch 343 f Vorbeugung -+ Generalprävention, Spezialprävention
552 Wissen -*• Vorsatz Wissentlichkeit 242 243 - Schaubild 243 Wollen -> Vorsatz
Zumutbarkeit Unzumutbarkeit
Sachregister Zurechnung, objektive 450 Zurechnungsfähigkeit ->• Schuldfähigkeit Zusammenhang, ursächlicher -»• Kausalität Zweck - des Strafrechts 53 - der Strafen 24 f - der Maßregeln d.B.u.S. 24 f Zweispurigkeit des Strafrechts Strafrecht