Strafrecht, Allgemeiner Teil: Mit Einführungen in programmierter Form [4., verb. und überarb. Aufl. Reprint 2015] 9783110893236, 9783110098044


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German Pages 615 [620] Year 1984

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Vorwort
Hinweise für den Bearbeiter
LE 1 Einleitung
LE 2 Strafen und Maßregeln der Besserung und Sicherung
LE 3 Grundbegriffe 1
LE 4 Grundbegriffe 2
LE 5 Grundbegriffe 3
LE 6 Fallprüfungsschema
LE 7 Handlungsbegriff
LE 8 Tatbestandsmerkmale
LE 9 Deliktsgruppen
LE 10 Kausalität
LE 11 Notwehr
LE 12 Rechtfertigender Notstand
F 1 Fallbearbeitung 1
1. Fall: „Volltreffer!“
LE 13 Schuldbegriff der Vorsatzdelikte
LE 14 Schuldfähigkeit
W 1 Wiederholung 1
1 Wissenstest
2 Verständnistest
LE 15 Vorsatz
LE 16 Tatbestandsirrtum
LE 17 Unrechtsbewußtsein
LE 18 Verbotsirrtum
LE 19 Irrtum über einen rechtfertigenden Sachverhalt
LE 20 Entschuldigender Notstand
F 2 Fallbearbeitung 2
2. Fall: „Hände hoch!“
3. Fall: Bartel und die Dogge
LE 21 Stadien des vorsätzlichen Delikts
LE 22 Aufbau der Versuchsprüfung
LE 23 Rücktritt und tätige Reue
LE 24 Untauglicher Versuch
F 3 Fallbearbeitung 3
4. Fall: Auf den Hund gekommen
5. Fall: „Noch alles in Ordnung, Doktor?“
LE 25 Fahrlässigkeitsdelikte 1
LE 26 Fahrlässigkeitsdelikte 2
LE 27 Fahrlässigkeitsdelikte 3
F 4 Fallbearbeitung 4
6. Fall: Kleine Ursache, große Wirkung
7. Fall: Der Tod eines Handlungsreisenden
LE 28 Unterlassungsdelikte 1
LE 29 Unterlassungsdelikte 2
LE 30 Unterlassungsdelikte 3
F 5 Fallbearbeitung 5
8. Fall: Der Moser und die alte Schrammel
9. Fall: Tote klopfen nicht
W 2 Wiederholung 2
1 Wissenstest
2 Verständnistest
E 1 Beteiligung 1
E 2 Beteiligung 2
E 3 Beteiligung 3
E 4 Beteiligung 4
E 5 Konkurrenzen
Sachregister
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Strafrecht, Allgemeiner Teil: Mit Einführungen in programmierter Form [4., verb. und überarb. Aufl. Reprint 2015]
 9783110893236, 9783110098044

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de Gruyter Lehrbuch - programmiert

Strafrecht Allgemeiner Teil Mit Einführungen in programmierter Form von Dr. Diethelm Kienapfel o. Professor an der Universität Linz

4., verbesserte und überarbeitete Auflage

w DE

_G 1984 Walter de Gruyter • Berlin • New York

Diethelm Kienapfel; geb. 1935 in Heiligenbeil/Ostpreußen. Studium der Rechtswissenschaften in Köln und Freiburg/Breisgau (1953 bis 1957); anschließend Studium der modernen Sprachen. Erste juristische Staatsprüfung in Freiburg (1957). Zweite juristische Staatsprüfung in Stuttgart (1962). Habilitationsstipendium der Deutschen Forschungsgemeinschaft (1963 bis 1965). Promotion (1960) und Habilitation (1965) an der Rechts- und Staatswissenschaftlichen Fakultät der Universität Freiburg für die Fächer Strafrecht und Strafprozeßrecht. Lehrtätigkeit als Privatdozent in Freiburg und Gießen (1965 bis 1967). Mitglied des Landesjustizprüfungsamtes Baden-Württemberg (1966 bis 1967). Seit 1967 ordentlicher Professor für Strafrecht und Strafprozeßrecht an der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universität Linz und Vorstand des Instituts für Strafrecht, Strafprozeßrecht und Kriminologie. Veröffentlichungen zum deutschen Strafrecht: Körperliche Züchtigung und soziale Adäquanz im Strafrecht (1961); Das erlaubte Risiko im Strafrecht (1966); Urkunden im Strafrecht (1967); Strafrechtsfälle (1. Aufl. 1967; 8. Aufl. 1984); Privatsphäre und Strafrecht (1969); Der Einheitstäter im Strafrecht(1971); Urkunden und andere Gewährschaftsträger (1979). Veröffentlichungen zum österreichischen Strafrecht: Österreichisches Strafrecht, Allgemeiner Teil (1. Aufl. 1974; 2. Aufl. 1979); Grundriß des österreichischen Strafrechts, Besonderer Teil, 1. Bd. Delikte gegen Persönlichkeitswerte (1. Aufl. 1978; 2. Aufl. 1984) und 2. Bd. Delikte gegen Vermögenswerte (1980); Fälle und Lösungen zum Strafrecht (Hrsg.) (1982); Mitarbeit am Wiener Kommentar zum Strafgesetzbuch (1983).

CIP-Kuntitelaufnähme der Deutschen Bibliothek Kienapfel, Diethelm: Strafrecht, Allgemeiner Teil: m.Einf. in programmierter Form / von Diethelm Kienapfel. — 4., verbesserte u. Überarb. Aufl. — Berlin; New York: de Gruyter, 1984. (De Gruyter-Lehrbuch: programmiert) ISBN 3-11-009804-0

© Copyright 1984 by Walter de Gruyter & Co., 1 Berlin 30. Alle Rechte, insbesondere das Recht der Vervielfältigung und Verbreitung sowie der Ubersetzung, vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Fotokopie, Mikrofilm oder ein anderes Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden. Printed in Germany. Satz: Satzstudio Frohberg, Freigericht Druck: K. Gerike, Berlin 36 Bindearbeiten: Verlagsbuchbinderei Dieter Mikolai, 1 Berlin 10

Vorwort zur 4. Auflage Dieses Buch verfolgt eine doppelte Zielsetzung. Die programmierten Partien richten sich ganz gezielt an Studienanfänger und vermitteln unentbehrliches strafrechtliches Basiswissen. Die Zusammenfassungen sind darüber hinaus auch für Fortgeschrittene, Übungsteilnehmer und Prüfungssemester bestimmt und tragen den Bedürfnissen nach kompakter praxis- und examensrelevanter Information Rechnung. I Die programmierten Partien des Werkes (= Lemprogramm) wenden sich speziell an Studienanfänger1). Dieses Lemprogramm besteht aus insgesamt 37 didaktischen Elementen von ungefähr gleicher Bearbeitungsdauer. Die eigentliche Stoffvermittlung obliegt 30 Lerneinheiten (LE), die von den Studenten schriftlich durchgearbeitet werden. Zu jeder LE gehört eine Testeinheit (TE). In ihr werden ausgewählte Fragen gestellt, durch deren ebenfalls schriftliche Beantwortung die Studenten die in der LE erworbenen Kenntnisse und Fähigkeiten zur Anwendung bringen. Hinzu kommen zwei übergreifende Wiederholungseinheiten (W), zum Teil mit Selbstbenotungsmöglichkeit. Schließlich sind an geeigneten Stellen insgesamt 5 Fallbearbeitungseinheiten (F) eingestreut. Sie dienen der Vorbereitung auf die strafrechtliche Übung für Anfänger. Die Durcharbeit des Lernprogramms gewährleistet ein rationelles, didaktisch sorgfältig gelenktes und in seiner Lernwirksamkeit empirisch überprüftes Selbststudium des strafrechtlichen Basiswissens. Der langjährige Einsatz dieses Lernprogramms2) an den Universitäten Linz (seit 1971), Graz (seit 1973), Freiburg (1974), Gießen (1975) und Münster (1976) hat die Effizienz dieser neuartigen Methode bestätigt3). Die hohe Lernwirksamkeit dieses Lernprogramms bedeutet im einzelnen:

beruht auf seiner multifaktoriellen Konzeption. Das

1. Die Darstellung ist gezielt am Vorwissen des Strafrechtsanfängers, d.h. dem Vorwissen „null" ausgerichtet. 2. Das strafrechtliche Basiswissen wird in kleinen Lernschritten entwickelt. Es finden nur solche Begriffe Verwendung, die zuvor erläutert worden sind. Insoweit ist das Lemprogramm gleichsam als Stufenleiter von jeweils bereits erklärten Begriffen konzipiert. Seine Dynamik und Wirksamkeit erschließen sich daher nur dem, der das Lernprogramm genau in der Reihenfolge seiner didaktischen Elemente durcharbeitet. 3. Der Lernstoff wird reduziert und gewissermaßen „rationiert". Dies geschieht insbesondere dadurch, daß das Lemprogramm nur auf die Erklärung weiterführender und übergreifender Begriffe und Zusammenhänge hinarbeitet. Sonstige wichtige Informationen sind in das Lemprogramm nur aufgenommen, wenn und soweit sie das Verständnis der Begriffe der ersten Kategorie fördern.

1) Zur Entstehung und Zielsetzung dieses Lernprogramms vgl. Kienapfel ÖHZ 1975 Heft 3 18; Anderluh JB11973 137 (Vortragsbericht). 2) Österr. Fassung: Kienapfel Österreichisches Strafrecht. Allgemeiner Teil. Mit einer Einführung in programmierter Form 2. Auflage (1979) Manz Wien. Die einzelnen Kapitel des deutschen und österreichischen Lehrwerkes stimmen überein. Dies nicht zuletzt auch deshalb, um zumindest auf der Ebene des strafrechtlichen Basiswissens eine rasche rechtsvergleichende Orientierung zwischen dem neuen deutschen und dem neuen österreichischen Strafrecht zu ermöglichen. 3) Vgl. dazu die Erfahrungsberichte von Behrendt JR1975 190; Kienapfel ÖHZ 1975 Heft 318; Moos u. Probst ÖJZ 1976 63.

VI 4. In sachlich-theoretischer Hinsicht verfolgt das Lernprogramm eine mittlere Linie. Der den Strafrechtsanfänger zwangsläufig verwirrende und ohne ausreichendes strafrechtliches Basiswissen gar nicht begreifbare Schulen- und Meinungsstreit ist ganz bewußt aus dem Lernprogramm ausgeklammert und in die Zusammenfassungen verlagert. 5. Für jedes Lernelement ist ein begrenztes, für jeden Bearbeiter sicher erreichbares Lernziel festgelegt. 6. Es werden didaktisch sorgfältig konstruierte und in ihrer Lernwirksamkeit empirisch überprüfte Lernschritte verwendet. 7. Jedes Fortschreiten im Lernprozeß erfordert vom Bearbeiter schriftliche Antworten. Sie sichern ein Höchstmaß an Konzentration, Aktivität und Engagement. 8. Jeder Student bearbeitet das Lemprogramm in dem Tempo, das seiner individuellen Lerngeschwindigkeit entspricht. Dies gehört zu den unabdingbaren Voraussetzungen, um einen optimalen Lernerfolg zu erzielen. 9. Der persönliche Lernerfolg wird jedem Bearbeiter häufig und unmittelbar bestätigt. Durch die Rücksichtnahme auf die individuelle Lerngeschwindigkeit, durch den Wechselrhythmus von Stoffvermittlung und Anwendung, verbunden mit ständiger Selbstkontrolle und sofortigem Erfolgserlebnis, wird der in hohem Maße motivationsfördernde Effekt der programmierten Unterweisung voll genutzt4). 10. Der Lernstoff wird didaktisch möglichst abwechslungsreich, anschaulich, facettenreich, assoziierbar und einprägsam organisiert (Beispiele, Schaubilder, Testfragen, Wiederholungselemente, Zusammenfassungen u.ä.). Die sorgfältige Durcharbeit des Lernprogramms befähigt bereits den Studienanfänger, sich den erweiterten Stoff der Zusammenfassungen anzueignen und darüber hinaus auch das differenzierte Spektrum der Vorlesung Allgemeiner Teil zu erfassen. Die an geeigneten Stellen eingearbeiteten Fallbearbeitungen (zum Teil mit Selbstbenotungsmöglichkeit) führen ihn zudem allmählich an die erforderliche Fallösungstechnik und an jenes Niveau heran, das in den strafrechtlichen Übungen vorausgesetzt wird. Das Lernprogramm ist sowohl für das häusliche Selbststudium als auch für den unmittelbaren vorlesungsvorbereitenden Einsatz in Kleingruppen konzipiert. Besonders geeignet sind Anfängerarbeitsgemeinschaften und Anfängertutorien. Sehr bewährt hat sich der Einsatz des Buches in einem kombinierten Grundkurs Strafrecht Allgemeiner Teil, bestehend aus vorlesungsvorbereitendem Selbststudium des Lernprogramms sowie der Zusammenfassungen, vertiefenden Vorlesungen und Anfängerübung. Die Entwicklung dieses Lernprogramms hat fast fünf Jahre beansprucht. In dieser Zeit ist es immer wieder Einzel- und Gruppentestungen durch Strafrechtsanfänger unterzogen worden. Aufgrund computerunterstützter Auswertungen dieser Testergebnisse wurde es mehrfach überarbeitet und verbessert. Zum Druck gelangte schließlich die achte Programmfassung. Die nach dieser außerordentlich aufwendigen Erprobungs- und Validierungsphase erreichte hohe Richtigkeitsquote der Antworten trägt entscheidend zum besonderen Erfolg dieser neuen Lehr- und Lernmethode5) bei. Das Lemprogramm ist während der verschiedenen Phasen seiner Erstellung von den Professoren Dr. Manfred Burgstaller (Linz), Dr. Winfried Platzgummer (Wien) und Dr. Joachim Herrmann (Augsburg) eingehend begutachtet worden. Wesentliche Hinweise und praktische Erfahrungen mit dem Einsatz des Lernprogramms im Unterrichtsbetrieb haben die Professoren Dr. Reinhard Moos (Graz), Dr. Otto Triffterer (Gießen), Dr. Gerhard Fezer (Münster) und Akademischer Oberrat Dr. HansJoachim Behrendt (Freiburg) einschließlich der zahlreichen am praktischen Einsatz dieses Lernprogramms beteiligten Assistenten beigetragen.

4) Zur Methode des programmierten Lernens im Rechtsunterricht vgl. Dilcher JZ 1970 214; Kienapfel J R 1972 89. 5) Sie liegt im Durchschnitt für die LE bei über 90%, für die T E bei über 80% und für die W-Einheiten bei über 75%. Die F-Einheiten entziehen sich schematischer Bewertung. Zur Beurteilung der Effizienz dieses Lernprogramms im Freiburger Rechtsunterricht unter Heranziehung weiterer Kriterien vgl. Behrendt J R 1975 190.

VII II Die Zusammenfassungen bauen auf dem durch das Lernprogramm vermittelten Basiswissen auf und ergänzen und vertiefen es unter Berücksichtigung der wesentlichen Theorien und grundlegenden Entscheidungen des BGH und der Oberlandesgerichte. Sie erfreuen sich daher insbesondere auch bei der Vorbereitung auf die Übungen sowie als Repetitorium für die Zwischenprüfung und für das 1. Staatsexamen besonderer Beliebtheit. Die Zusammenfassungen sind so konzipiert, daß sie sowohl im unmittelbaren Anschluß an das Lernprogramm als auch von diesem unabhängig zur Ergänzung, Vertiefung und Repetition des examens- und praxisrelevanten Wissens aus dem Allgemeinen Teil verwendet werden können. Zu wichtigen Problemen und Problemkreisen finden sich Hinweise auf weiterführendes Schrifttum. Die Lehren von der Beteiligung und von den Konkurrenzen werden in 5 Ergänzungseinheiten (E) nach Art ausführlicher Zusammenfassungen dargestellt. Damit ist einem oft geäußerten Wunsch der Studenten Rechnung getragen worden. Auf das einführende Lernprogramm mußte jedoch aus Kostengründen verzichtet werden. Umfang und Preis des Buches hätten sich um Vi erhöht. Da beide Materien nicht nur schwierig, sondern auch in hohem Maße prüfungsrelevant sind, wird besonders sorgfältiges Durcharbeiten empfohlen. In ihrer jetzigen Form bilden die Zusammenfassungen „ein Buch im Buche". Sie enthalten eine schwerpunktmäßige Darstellung des Allgemeinen Teils unter ausbildungs- und prüfungsorientierten Aspekten und von gezielter Praxisnähe. Das Gesamtwerk versteht sich nicht als Vorlesungsersatz6). Insbesondere werden die vielfältigen historischen, kriminologischen, kriminalpolitischen, philosophischen und rechtsvergleichenden Aspekte des Allgemeinen Teils bewußt nicht dargestellt. Diese Akzentuierungen bezeichnen die traditionelle Domäne der Vorlesung. Auch ist ein vollständiger Uberblick über sämtliche Kontroversen und abweichenden Meinungen sowie alle diffizilen Detailprobleme des Allgemeinen Teils nicht angestrebt. Das ist die Aufgabe der umfassenden Lehrbücher des Strafrechts. III Gesetzgebung, Rechtsprechung und Schrifttum sind bis zum Januar 1984 berücksichtigt worden. Der Verfasser dankt für zahlreiche Anregungen und Hinweise, die ihm aus dem Kreise der Kollegen, von Assistenten und Studenten zugegangen sind, und begrüßt auch weiterhin alle Experimente, welche den Einsatz und die Wirksamkeit dieses Lehrwerkes betreffen. Auf Wunsch kann Fragebogenmaterial zur Verfügung gestellt werden. Linz, 15. Januar 1984

6) Zum Verhältnis von Lernprogramm und Vorlesung vgl. Kienapfel

Diethelm

J Z 1971 419.

Kienapfel

Inhaltsverzeichnis

Vorwort Hinweise für den Bearbeiter LE 1 Einleitung LE 2 Strafen und Maßregeln der Besserung und Sicherung LE 3 Grundbegriffe 1 LE 4 Grundbegriffe 2 LE 5 Grundbegriffe 3 LE 6 Fallprüfungsschema LE 7 Handlungsbegriff LE 8 Tatbestandsmerkmale LE 9 Deliktsgruppen LE 10 Kausalität LE11 Notwehr LE 12 Rechtfertigender Notstand F 1 Fallbearbeitung 1 1. Fall: „Volltreffer!" LE 13 Schuldbegriff der Vorsatzdelikte LE 14 Schuldfähigkeit W 1 Wiederholung 1 1 Wissenstest 2 Verständnistest LE 15 Vorsatz LE 16 Tatbestandsirrtum LE17 Unrechtsbewußtsein LE 18 Verbotsirrtum LE 19 Irrtum über einen rechtfertigenden Sachverhalt LE20 Entschuldigender Notstand F 2 Fallbearbeitung 2 2. Fall: „Hände hoch!" 3. Fall: Bartel und die Dogge LE21 Stadien des vorsätzlichen Delikts LE 22 Aufbau der Versuchsprüfung LE 23 Rücktritt und tätige Reue LE 24 Untauglicher Versuch F 3 Fallbearbeitung 3 4. Fall: Auf den Hund gekommen 5. Fall: „Noch alles in Ordnung, Doktor?" LE 25 Fahrlässigkeitsdelikte 1 LE 26 Fahrlässigkeitsdelikte 2 LE27 Fahrlässigkeitsdelikte 3 F 4 Fallbearbeitung 4 6. Fall: Kleine Ursache, große Wirkung 7. Fall: Der Tod eines Handlungsreisenden LE28 Unterlassungsdelikte 1 LE29 Unterlassungsdelikte 2 LE30 Unterlassungsdelikte 3

V XI 1 15 31 45 60 75 90 105 120 134 147 162 178 178 185 200 217 217 225 232 249 264 278 294 309 327 327 329 333 349 366 382 400 400 404 408 424 441 459 459 462 466 483 499

X F 5

Fallbearbeitung 5 8. Fall: Der Moser und die alte Schrammel 9. Fall: Tote klopfen nicht W2 Wiederholung 2 1 Wissenstest 2 Verständnistest E 1 Beteiligung 1 E 2 Beteiligung 2 E 3 Beteiligung 3 E 4 Beteiligung 4 E 5 Konkurrenzen Sachregister

518 518 521 528 528 537 545 553 562 569 580 593

XI Hinweise für den Programmbearbeiter Die Benutzung dieses Lehrwerkes setzt das Mitlesen wichtiger Bestimmungen des Strafgesetzbuches (StGB) und anderer Gesetze voraus. Sie benötigen unbedingt die entsprechenden Gesetzestexte. Schaffen Sie sich daher am besten schon jetzt einen Schönfelder, Deutsche Gesetze, Textsammlung, Beck-Verlag, München an, der auf dem neuesten Stand ist. Sie brauchen ihn für Ihr Studium ohnehin. Zur Ergänzung und Vertiefung der im Lehrwerk behandelten Fragenkomplexe finden sich weiterführende Literaturhinweise. Verwiesen wird insbesondere auf die folgenden Werke: Arzt Die Strafrechtsklausur 3. Auflage 1980; Baumann Strafrecht Allgemeiner Teil 8. Auflage 1977; Burgstaller Das Fahrlässigkeitsdelikt im Strafrecht 1974; Dreher/Tröndle Strafgesetzbuch und Nebengesetze 41. Auflage 1983; Göhler Ordnungswidrigkeitengesetz 6. Auflage 1980; Haft Strafrecht Allgemeiner Teil 1980; Jakobs Strafrecht Allgemeiner Teil 1983; Jescheck Lehrbuch des Strafrechts Allgemeiner Teil 3. Auflage 1978; Kienapfel Österreichisches Strafrecht Allgemeiner Teil 2. Auflage 1979; Kienapfel Strafrechtsfälle 8. Auflage 1984; Lackner Strafgesetzbuch mit Erläuterungen 15. Auflage 1983; LK = Leipziger Kommentar 10. Auflage; erscheint in Lieferungen Maurach/Zipf Strafrecht Allgemeiner Teil Teilband 1 6. Auflage 1983; Maurach/Gössel/Zipf Strafrecht Allgemeiner Teil Teilband 2 5. Auflage 1978; Otto Grundkurs Strafrecht Allgemeine Strafrechtslehre 2. Auflage 1982; Roxin Täterschaft und Tatherrschaft 3. Auflage 1975; Schmidhäuser Strafrecht Allgemeiner Teil 2. Auflage 1975; Schönke/Schröder Strafgesetzbuch Kommentar 21. Auflage 1982; SK = Systematischer Kommentar zum Strafgesetzbuch Bd. 1 Allgemeiner Teil 3. Auflage 1981; Stratenwerth Strafrecht Allgemeiner Teil I 3. Auflage 1981; Welzel Das Deutsche Strafrecht 11. Auflage 1969; Wessels Strafrecht Allgemeiner Teil 12. Auflage 1982; Wiener Kommentar zum Strafgesetzbuch; erscheint in Lieferungen. Wenn Sie das Lernprogramm nicht in einem Programmkurs, sondern im häuslichen Selbststudium bewältigen, wird empfohlen, mit anderen Programmbearbeitern eine private Arbeitsgruppe zu bilden, um über Fragen zu sprechen, die bei der Durcharbeit der einzelnen Lernelemente und der dazu angegebenen Vertiefungsliteratur erfahrungsgemäß auftreten. Die ideale Teilnehmerzahl einer solchen Arbeitsgruppe sind 3 bis 4 Personen. Der Verfasser wird von Bearbeitern dieses strafrechtlichen Lehrwerkes immer wieder angeschrieben und gefragt, was er bezüglich des Weiterlernens im Strafrecht rate. Ich pflege in solchen Fällen zu antworten, daß das erworbene Basiswissen eine Verbreiterung und Vertiefung durch die Vorlesung Strafrecht Allgemeiner Teil, durch die an den jeweiligen Universitäten empfohlenen Lehrbücher, Grundrisse, Kurse etc. und durch die strafrechtliche Anfängerübung nicht nur ermöglicht, sondern darüber hinaus auch erfordert. Dieser weiteren Intensivierung Ihres Lernprozesses dienen auch meine bei Klostermann inzwischen in der 8. Auflage erschienenen Strafrechtsfälle. Sie bauen unmittelbar auf dem durch dieses Lehrwerk vermittelten Basiswissen auf und enthalten neben ausgewählten Examensfällen nebst Musterlösungen bis ins Detail durchstrukturierte Aufbaumuster, die speziell auf die übungs- und prüfungsrelevanten Frageund Weichenstellungen Bedacht nehmen.

XII Autor und Verlag sind ständig um Verbesserung und Weiterentwicklung dieses Lehrwerkes bemüht und würden sich daher freuen, wenn die Programmbenutzer nach der Durcharbeit den nach S. 592 beigehefteten Fragebogen ausfüllen und direkt an den Verfasser senden würden.

Anschrift des Verfassers Prof. Dr. Diethelm Kienapfel Universität Linz Institut für Strafrecht, Strafprozeßrecht und Kriminologie A-4040 Linz-Auhof

LE 1

EINLEITUNG

1

L e r n z i e 1: In dieser Lerneinheit (LE) sollen Sie sich zunächst mit der Arbeitsmethode dieses Lernprogramms vertraut machen. Sodann werden Sie sich mit den Begriffen „Sachverhalt", „subsumieren" und „Auslegung" beschäftigen.

Die vom herkömmlichen Lehrbuch abweichende Methode dieses Lernprogramms verlangt von Ihnen eine ungewohnte Arbeitstechnik. Ungewohnt werden für Sie die in den Text eingestreuten Fragen und andere Aufgaben sein. Wenn eine solche Frage auftaucht, müssen Sie das vorher Gelesene noch einmal überdenken. Dann finden Sie sicher schnell die Antwort. Begnügen Sie sich nicht damit, die Antwort nur zu denken. Was man niederschreibt, prägt sich besser ein. Schreiben Sie Ihre Antwort in den bei der Aufgabe dafür vorgesehenen freien Raum, und zwar so vollständig wie möglich. Manche Ihrer Antworten müssen außerdem eine Begründung enthalten, weil Sie so am besten überprüfen können, ob Sie das Gelesene verstanden haben. Wenn Sie Ihre Antwort begründen sollen, werden Sie jeweils dazu ausdrücklich aufgefordert werden. Das sieht dann etwa folgendermaßen aus: Müssen Sie in den Fällen, in denen Sie ausdrücklich dazu aufgefordert werden, Ihre Antwort begründen? Ja / Nein

Begründung:

Bei der Bearbeitung des Lernprogramms sind Sie zeitlich ungebunden und können sich Ihr Lerntempo selbst einteilen. Ob Sie genügend langsam waren, erkennen Sie an Ihren Lösungen. Die Erfahrung hat gezeigt, daß mancher dazu neigt, das scheinbar leichte Lernprogramm zu schnell zu bearbeiten. Wenn Ihnen eine Aufgabe gestellt wird, schreiben Sie immer die Antwort niederl Nur so können Sie zuverlässig kontrollieren, ob Ihr Lerntempo richtig war und Sie das Bisherige verstanden haben. (1) Was müssen Sie tun, wenn in diesem Lernprogramm eine Frage gestellt wird?

2

Einleitung

LE 1

(1) Die Antwort niederschreiben

Sie sehen: Durch den Vergleich mit der abgedruckten Musterantwort gewinnen Sie sofort Gewißheit, ob Sie die Aufgabe richtig gelöst haben. Ihre Antwort muß in der Regel nicht wörtlich mit der abgedruckten Ubereinstimmen. Seien Sie aber selbstkritisch und prüfen Sie genau, ob die von Ihnen gefundene Formulierung tatsächlich der abgedruckten Musterantwort entspricht. Der Lernstoff dieses Programms ist in Lerneinheiten (LE) aufgeteilt. Jede LE bringt einen in sich geschlossenen Informationskomplex und enthält nicht mehr, als Sie zusammenhängend verarbeiten können. Jeder LE ist eine Testeinheit (TE) angeschlossen. Die TE dienen vornehmlich der Kontrolle, ob das in der LE Gelernte „sitzt". Gelegentlich eingestreute Wiederholungseinheiten (W) und Fallbearbeitungen (F) tragen zur weiteren Verdichtung Ihres Lernprozesses bei. Sollten Sie an einem Tag mehr als eine LE (+ TE) durcharbeiten, so machen Sie nach jeder LE (+ TE) eine Pause. Mehr als drei LE (+ TE) pro Tag sollten Sie sich auf keinen Fall vornehmen! Am linken Rand jeder Seite finden Sie in Klammern gesetzte Zahlen. Diese beginnen auf jeder Seite neu mit (1) und bezeichnen jene Stellen, an denen Sie etwas hinschreiben sollen. Die jeweils folgende Seite beginnt mit den Musterantworten auf die Fragen der Vorseite. Fragen und Musterantworten sind mit den gleichen Zahlen bezeichnet. Muß Ihre Antwort wörtlich mit der abgedruckten Musterantwort übereinstimmen? (1) J a / Nein (Zutreffendes bitte ankreuzen oder unterstreichen. Bitte unterstreichen Sie oder kreuzen Sie immer nur das Zutreffende an, nicht das Nichtzutreffende, wie es in Fragebögen manchmal verlangt wird.) Welche Nummer hat die Musterantwort zu der Frage, die Sie soeben lesen? (2) (1) / (2) / (3) / (4) / (a) / (I)

LE 1

Einleitung

3

(1) J a / Nein Sie muß sinngemäß Ubereinstimmen. In der Musterantwort findet sich dann meist ein o.ä. = oder ähnliches. (2) (1) / (2) / (3) / (4) / (a) / (I)

Die jeweils abgedruckte Musterantwort soll nur und wirklich nur dazu dienen, die Richtigkeit Ihrer Antwort zu bestätigen. Es ist wichtig, daß Sie die Antwort selbst finden. Sie würden sich selbst betrügen und sich um den Lernerfolg bringen, wenn Sie die Musterantworten von der nächsten Seite abschrieben. Die Versuchung, auf die Musterantwort zu blicken, läßt im Laufe der Zeit nach. Wenn Sie eine Frage nicht sofort beantworten können, blättern Sie bitte noch nicht weiter, sondern lesen Sie die zur Antwort nötige Information noch einmal durch. Dann wird es Ihnen sicherlich leichtfallen, die Antwort zu finden. Sie werden dabei vielleicht feststellen, daß Ihnen ein Wort entgangen ist. Jedes Wort des Textes ist wichtig! (1) Was müssen Sie tun, wenn Sie eine Aufgabe nicht sofort lösen können?

Von Zeit zu Zeit werden Sie durch Pünktchen ( ) gekennzeichnete leere Textstellen finden. Hier müssen Sie selbst jenes Wort einsetzen, das nach Ihrer Meinung fehlt. Zur Kontrolle ist die Musterantwort auf der nächsten Seite abgedruckt. In der Regel paßt nur ein ganz bestimmtes Wort in die Textlücke. Hier müssen Sie besonders kritisch sein, ob ein von Ihnen etwa verwendeter anderer Begriff denselben Sinn wie die Musterantwort hat. Wenn Ihnen mehrere Lösungsmöglichkeiten angeboten werden (z.B. J a / Nein), unter(2) streichen Sie oder kreuzen Sie die Ihnen erscheinende an. Wenn Sie im Text einige Pünktchen ( ) finden, so bedeutet das: (3) Der Programmautor weiß nicht mehr weiter / Setzen Sie das Fehlende ein!

LE 1

Einleitung

4

(1) Die entsprechende Information noch einmal durchlesen (o.ä.) (2) richtig, zutreffend (o.ä.) (3) Setzen Sie das Fehlende ein!

Kurz zusammengefaßt haben Sie folgende Richtlinien bei der Benützung dieses Lernprogramms zu beachten: 1. Arbeiten Sie so langsam, wie Sie es für richtig halten. Bedenken Sie, daß jedes einzelne Wort wichtig ist. 2. Nehmen Sie sich immer die Zeit, die von Ihnen verlangten Lösungen niederzuschreiben. 3. Wenn Sie eine gestellte Aufgabe nicht sofort lösen können, blättern Sie bitte noch nicht weiter. Die abgedruckte Lösung dient nur zur Kontrolle der von Ihnen selbst gefundenen Lösung. Lesen Sie vielmehr die vorausgegangene Information noch einmaL 4. Ihre Lösung muß in der Regel nicht wörtlich mit der abgedruckten übereinstimmen. Überprüfen Sie aber immer kritisch, ob Ihre Lösung mit der abgedruckten auch wirklich sinngemäß übereinstimmt. Wenn nicht, blättern Sie zurück. 5. Paragraphen ohne Gesetzesangabe beziehen sich auf das Strafgesetzbuch (= StGB). 6. Lesen Sie stets die zitierten Gesetzesbestimmungen nach! (1) 7. An einem Tag sollen Sie nicht mehr als höchstens

Einheiten durcharbeiten.

Noch ein Letztes! Sie bearbeiten ein validiertes (= in seiner Lernwirksamkeit erprobtes und empirisch bestätigtes) Lernprogramm. Nach diesem Lernprogramm haben viele Studenten vor Ihnen erfolgreich gelernt. Diesen Lernerfolg wünsche ich auch Ihnen!

LE 1

Einleitung

5

(1) drei

Zisch hat aus dem linken Vorderreifen des dem Hieslmair gehörenden herausgelassen, um jenen zu ärgern.

Wagens die Luft

Dieser Satz schildert ein tatsächliches Geschehen. Ein solches tatsächliches Geschehen nennt der Jurist Sachverhalt. Steht der Sachverhalt fest, so beginnt für den Strafrechtsjuristen die eigentliche Aufgabe. Er prüft, ob die rechtlichen Voraussetzungen für eine Bestrafung des Täters erfüllt sind. In unserem Fall ist zu untersuchen, ob Zisch zu bestrafen ist. (1) Was ist ein „Sachverhalt"?

Die rechtlichen Voraussetzungen für eine Bestrafung ergeben sich aus dem Strafgesetz. Der Gesetzgeber hat sie bewußt so abstrakt (= allgemein) gehalten, daß ihnen eine Vielzahl von ähnlichen Sachverhalten entsprechen kann. In unserem Fall kommt Sachbeschädigung in Betracht. Lesen Sie im StGB den § 303 (1)! Die abstrakten gesetzlichen Merkmale der Sachbeschädigung lauten: „Wer eine fremde Sache beschädigt oder zerstört, wird bestraft". Die Aufgabe des Juristen besteht darin zu untersuchen, ob dieser Sachverhalt die abstrakten gesetzlichen Merkmale der Sachbeschädigung erfüllt. Diese Untersuchung bezeichnet man in der Rechtswissenschaft als subsumieren. Bei der Subsumtion handelt es sich um ein formallogisches Verfahren. Es läßt sich wie folgt darstellen: Obersatz: Untersatz:

Abstraktes gesetzliches Merkmal Sachverhalt

Schlußsatz:

Der Sachverhalt erfüllt das abstrakte gesetzliche Merkmal (oder nicht).

In unserem Fall untersucht der Jurist z.B., ob „linker Vorderreifen" unter das abstrakte (2) gesetzliche Merkmal Sache im § 303 (I) zu ist. (3) Erklären Sie „subsumieren" mit Ihren Worten!

Einleitung

6

LE 1

(1) Sachverhalt ist ein tatsächliches Geschehen. (2) subsumieren (3) Man untersucht, ob ein bestimmter Sachverhalt ein bestimmtes abstraktes gesetzliches Merkmal erfüllt (o.ä.).

Die Subsumtion des „linken Vorderreifens" unter das Merkmal „Sache" im § 3 0 3 (1) bereitet keine Schwierigkeiten. „Sache" ist ein denkbar weiter Begriff. Jeder körperliche Gegenstand ist damit gemeint. (1) Ein Autoreifen ist ein / kein solcher körperlicher Gegenstand. (2) Er fällt daher / daher nicht unter den Begriff der „Sache". Sind damit alle Voraussetzungen der Sachbeschädigung erfüllt? Bitte lesen Sie noch einmal § 303 (1)! (3)

Ja/Nein

(4) Zisch kann gemäß § 303 (1) nur bestraft werden, wenn ein Merkmal / einige Merkmale / sämtliche Merkmale der Sachbeschädigung erfüllt sind. Wenden wir uns nunmehr den übrigen Merkmalen der Sachbeschädigung des § 3 0 3 (1) zu. Die Subsumtion des Sachverhalts unter diese Merkmale ist wesentlich schwieriger als die (5)

des „Vorderreifens" unter den Begriff „Sache". So tauchen bereits bei der Frage, o b die Sache fremd ist, Probleme auf. Sie meinen, hier gäbe es keine Probleme? Irrtum! Diese Frage können Sie erst beantworten, wenn Sie die Vorfrage beantwortet haben: Was heißt eigentlich „ f r e m d " im Sinne des § 303 (1)?

(6)

J e d e Subsumtion setzt voraus, daß zuvor der Inhalt des abstrakten gesetzlichen Merkmals feststeht. Wir müssen also zunächst versuchen, den Inhalt des Merkmals „f. " durch andere Begriffe näher festzulegen, zu erläutern, zu erklären. Die nähere Erklärung des Inhalts eines gesetzlichen Merkmals durch andere Begriffe nennt der Jurist Auslegung.

(7) Jede Auslegung dient der Konkretisierung. Erst durch die gewinnt der zu definierende Begriff Inhalt u n d Konturen. Dies wiederum ist Voraussetzung, um ihn von ähnlichen Begriffen abzugrenzen. (8)

Die Auslegung erfolgt stets vor / nach der Subsumtion.

Einleitung

LE 1

7

(1) ein (2) daher (3) Nein! (4) sämtliche. Es gehört zu den charakteristischen und häufigsten Fehlern der Anfangssemester, daß sie einen Sachverhalt nur unter ein oder einige, statt unter sämtliche gesetzlichen Merkmale subsumieren. (5) Subsumtion (6) „fremd" (7) Auslegung (8) vor

(1) Die Auslegung eines Begriffs besteht in der näheren seines Inhalts durch andere Begriffe. In unserem Beispiel muß daher das Merkmal „fremd" durch (2) ausgefüllt und erklärt werden. Für die Auslegung des Merkmals „fremd" kommt es auf das Eigentum an der Sache an. Erst durch den Bezug auf das Eigentum gewinnt das Merkmal „fremd" festere Konturen. In diesem Sinne legt der Jurist das Merkmal „fremd" wie folgt aus: „Eine Sache ist fremd, wenn ein anderer als der Täter Eigentümer der Sache ist". Dieser Satz enthält die Definition des Begriffs „fremd" im Sinne des § 303 (1). (3) Damit ist die Vorfrage geklärt: Im Wege der A haben wir den Inhalt des Merkmals „fremd" ermittelt und das Ergebnis dieser Untersuchung in seiner (4) festgelegt. Der nächste Schritt besteht darin, den Vorderreifen am Wagen des Hieslmair unter die Definition des Begriffes „fremd" zu subsumieren. Versuchen Sie selbst, diese Subsumtion durchzuführen! Anders ausgedrückt: Ist der Autoreifen „fremd" im Sinne dieser Definition? (5) J a / Nein — Begründung:

An diesem Beispiel haben Sie zugleich die für den Juristen (nicht nur den Strafrechtsjuristen!) typische Arbeitsweise kennengelernt. Zunächst wird der vom Gesetz verwendete Begriff ausgelegt. Das Ergebnis der Auslegung wird in einer Definition dieses Begriffs zusammengefaßt. Dann erfolgt der Vergleich zwischen Sachverhalt und Definition im Wege der Subsumtion. Wenn der Sachverhalt die Definition des gesetzlichen Begriffs erfüllt, erfüllt er auch diesen Begriff selbst.

(6)

Auslegung

*

D

*

8

Einleitung

LE 1

(1) Erklärung, Erläuterung, Konkretisierung (o.a.) (2) andere Begriffe (3) Auslegung (4) Definition (5) Ja! Eigentümer des Wagens und damit des Vorderreifens ist Hieslmair, also ein anderer als der Täter (o.a.). (6) Definition; Subsumtion (1)

Ob Zisch a u f g r u n d des geschilderten S gemäß § 3 0 3 (1) bestraft w e r d e n kann, hängt schließlich n o c h davon ab, ob er durch das Herauslassen der L u f t d e n Reifen (und damit praktisch den gesamten Wagen) beschädigt hat. Bitte § 3 0 3 (1) erneut lesen! Nehmen Sie etwa an, Zisch w e n d e t ein, daß der linke Reifen äußerlich unversehrt sei u n d daß m a n im übrigen den Schlauch nur a u f z u p u m p e n brauche, um d e n Wagen wieder „ f l o t t zumachen".

(2)

Dieser Einwand zeigt, d a ß das Merkmal „Beschädigen" zunächst werden m u ß , bevor m a n das Herauslassen der L u f t unter dieses Merkmal kann.

-

Die Auslegung des Merkmals „Beschädigen" hängt vom Zweck ab, den § 3 0 3 (1) verfolgt. Durch § 3 0 3 (1) soll das Eigentum vor Funktionsminderung geschützt werden. „Beschädig e n " ist also als „Beeinträchtigung der bestimmungsgemäßen Brauchbarkeit einer Sache" auszulegen. Im Gegensatz z u m allgemeinen Sprachgebrauch ist eine Substanzverletzung nicht erforderlich. (3)

Die Definition von „Beschädigen" lautet daher:

Nunmehr ist es ein Leichtes, die Subsumtion, d.h. den formallogischen Schluß, zu vollziehen:

(4)

Zisch hat durch das Ablassen von L u f t aus d e m Vorderreifen die bestimmungsgemäße Brauchbarkeit des Reifens (und damit auch des Wagens) beeinträchtigt / nicht beeinträchtigt und somit eine Sache i.S.d. § 3 0 3 (1) beschädigt / nicht beschädigt. Der formallogische Schluß stellt sich für das erörterte Merkmal wie folgt dar: Obersatz:

Definition des abstrakten gesetzlichen Merkmals „Beschädigen" =

Untersatz:

Beeinträchtigung der bestimmungsgemäßen Brauchbarkeit einer Sache. Sachverhalt = Herauslassen von L u f t aus d e m Vorderreifen.

Schlußsatz:

Dieser Sachverhalt entspricht der Definition des „Beschädigens" u n d damit d e m abstrakten gesetzlichen Merkmal.

Damit sind sämtliche im § 3 0 3 (1) genannten abstrakten gesetzlichen Merkmale der Sach(5) beschädigung erfüllt / nicht erfüllt.

LE1

Einleitung

9

(1) Sachverhalts (2) ausgelegt; subsumieren (3) Beschädigen = Beeinträchtigung der bestimmungsgemäßen Brauchbarkeit einer Sache (o. ä.) (4) beeinträchtigt; beschädigt (5) erfüllt

ZUSAMMENFASSUNG A Sachverhalt Der Jurist hat es stets mit Sachverhalten zu tun. Das gilt insb. auch für den Strafjuristen. Zunächst geht es darum, einen bestimmten Sachverhalt zu ermitteln, sodann darum, diesen Sachverhalt rechtlich zu analysieren und zu beurteilen. Sachverhalt nennt der Jurist ein tatsächliches Geschehen, das auf seine rechtliche (z.B. straf-, ziviloder verwaltungsrechtliche) Relevanz zu untersuchen ist. Typische Sachverhalte von strafrechtlicher Relevanz: A erschlägt den B mit einem Beil. C setzt sich angetrunken ans Steuer und überfährt den D. F findet eine fremde Geldbörse und behält sie. Z läßt die Luft aus dem Autoreifen des H. B Auslegung und Definition Voraussetzung für die rechtliche Beurteilung solcher Sachverhalte sind Kenntnis und Verständnis der in Betracht kommenden Rechtsvorschriften. Hierzu bedarf es bei den meisten der vom Gesetz verwendeten Ausdrücke der Auslegung. Auslegung ist die nähere Erklärung des Inhalts eines Begriffs durch andere Begriffe. Jede Auslegung dient der Konkretisierung des auszulegenden Begriffs. Durch die Auslegung werden Inhalt und Konturen dieses Begriffs festgelegt. Erst dadurch wird es möglich, mit dem Begriff zu arbeiten und ihn von ähnlichen Begriffen abzugrenzen. Das Ergebnis der Auslegung wird in der Regel zu einer Definition des Begriffs zusammengefaßt. Diese Definition ermöglicht häufig erst die Subsumtion bzw. erleichtert sie. Typische Beispiele von Definitionen: Sache (§303 (1)) ist jeder körperliche Gegenstand. Fremd (§303 (1)) ist eine Sache, wenn ein anderer als der Täter ihr Eigentümer ist. Beschädigen (§303 (1)) ist jede Beeinträchtigung der bestimmungsgemäßen Brauchbarkeit einer Sache. Wie bei diesen Beispielen gibt es für fast alle Begriffe des Allgemeinen und Besonderen Teils längst anerkannte Definitionen. Bei ihnen beschränkt sich die „eigene Auslegungstätigkeit" des Rechtsanwenders i.d.R. darauf, eine solche Definition zu übernehmen und der Subsumtion zugrundezulegen. Juristische Definitionen weichen mitunter nicht unerheblich vom allgemeinen Sprachgebrauch ab. Tierfreunde wird es verwundern, daß das Strafrecht auch Hund, Katz und Spatz ein wenig lieblos unter den Begriff „Sache" subsumiert. Demgemäß kann, wer einen fremden Hurtd erschlägt, nach §303 (1) wegen „Sachbeschädigung" verurteilt werden. Der Rspr. des BGH verdanken wir die nicht minder überraschende Erkenntnis, daß Fahrgestellnummer nebst KfzRahmen eine „Urkunde" bilden, daß wir uns im Straßenverkehr mithin auf Urkunden i.S.d. §§ 267ff. fortbewegen; vgl. u.a. BGHSt 9 240; str. Für manche Begriffe finden sich im Gesetz Legaldefinitionen (vgl. z.B. §11, §12, §22). Sie erleichtern die Auslegung, machen sie aber nicht überflüssig, weil die einzelnen in einer Legaldefinition verwendeten Begriffe ihrerseits ausgelegt werden müssen.

10

Einleitung

LE1

C Subsumtion 1. Den formallogischen Schluß von einem bestimmten Sachverhalt auf die Erfüllung oder Nichterfüllung eines abstrakten gesetzlichen Begriffs nennt man Subsumtion. Subsumieren heißt untersuchen, ob ein bestimmter Sachverhalt ein bestimmtes abstraktes gesetzliches Merkmal bzw. seine Definition erfüllt oder nicht. Die Standardfrage der praktischen Rechtsanwendung lautet: Entspricht der Sachverhalt (S) dem abstrakten gesetzlichen Begriff (B)? Obersatz Untersatz

B S

Schlußsatz

S = B oder S ^ B

S = B?

2. O f t ist eine unmittelbare Subsumtion des Sachverhalts unter den abstrakten gesetzlichen Begriff nicht möglich. Hier bedarf es der Einfügung eines „Zwischenstücks", bestehend aus Auslegung und Definition des in Frage stehenden abstrakten gesetzlichen Begriffs.

Wie „Sache", „fremd" und „beschädigen" bei der Sachbeschädigung des §303 (1) sind fast alle strafrechtlichen Begriffe auslegungsbedürftig. Das gilt in besonderem Maße für die Grundbegriffe des Allgemeinen Teils des Strafrechts. Sie sind sämtlich auslegungsbedürftig (z.B. „Unrecht", „Vorsatz", „Fahrlässigkeit", „Versuch"). In diesem Buch werden mitunter bis zu vier L E (z.B. beim Versuch) darauf verwendet, die wichtigsten Begriffe des Allgemeinen Teils im Wege der Auslegung zu erläutern und zugleich ihre praktische Handhabung einzuüben.

3. Auslegungsbedürftig in einem weiteren Sinn sind aber nicht nur Rechtsbegriffe, sondern mitunter auch Erklärungen und ganz allgemein Sachverhalte. B e i s p i e l : Im Speisesaal des noblen Hamburger Hotels „Vier Jahreszeiten" entdeckt Karl Häfele aus Reutlingen einen Bekannten und ruft lauthals über die Köpfe der anderen Gäste hinweg: „Jetzt leck mi doch glei, des isch doch der Herr Pfleiderer aus Schduegert!" Ein empfindsamer Hanseat wird hier vielleicht an Beleidigung denken. Thaddäus Troll, der eine solche Begebenheit schildert, deutet den Ausruf dagegen als „lautstarken Ausdruck herzlicher Freude" und dürfte mit dieser Auslegung des Sachverhalts nicht nur die Zustimmung seiner schwäbischen Landsleute finden.

4. Zusammenfassung. Die Anwendung der strafrechtlichen Begriffe fordert bestimmte Fähigkeiten, welche den Juristen seit jeher ausgezeichnet haben und zu seinem „Handwerkszeug" gehören: a) b) c) d)

Begriffe auszulegen, Begriffe genau zu definieren, Sachverhalte richtig zu deuten und Sachverhalte genau unter die Begriffe bzw. unter ihre Definitionen zu subsumieren.

Das Lernprogramm wird dazu beitragen, diese Fähigkeiten in Ihnen zu entwickeln und zu trainieren.

W e i t e r f ü h r e n d e s S c h r i f t t u m : Zum Verhältnis von Auslegung und Subsumtion vgl. Baumann AT §17 II.

A T §13 I\Jescheck

TE 1

Testfragen zur LE 1

11

Allgemeine Hinweise: Die erste Ziffer kennzeichnet die Art der Testfrage. Es bedeutet die Ziffer 1 = Wissensfrage 2 = Verständnisfrage 3 = Wiederholungsfrage 4 = übergreifende Verständnisfrage 5 = Frage für besonders ambitionierte Leser Fragen der Ziffern 3, 4 und 5 treten naturgemäß erst in den späteren LE auf. Die Ziffern nach dem Punkt dienen der laufenden Numerierung.

1.1

Genügt es, wenn Sie eine von Ihnen verlangte Lösung nur denken? J a / Nein

1.2

Muß Ihre Lösung immer wörtlich mit der Kontrollantwort übereinstimmen, um als richtig zu gelten? J a / Nein — Begründung:

1.3

Wie kontrollieren Sie, ob Ihre Lösung richtig ist?

1.4

Was bedeuten

1.5

Wann müssen Sie Ihre Antwort begründen?

1.6

In diesem Lernprogramm wird verlangt, daß Sie das ankreuzen bzw. unterstreichen.

" im Text?

12

Testfragen

TE 1

1.7

Wenn Sie eine Frage nicht sofort lösen können, sollen Sie auf gar keinen Fall sogleich die richtige Antwort in der Musterlösung auf der nächsten Seite nachlesen. Stattdessen sollen Sie (bitte ergänzen!)

1.8

Was versteht man unter „Sachverhalt"?

1.9

Definieren Sie „Auslegung"!

2.1

Nur zwei der folgenden Aussagen sind richtig. Welche? •

Auslegung u n d Subsumtion sind dasselbe.



Die Auslegung dient dazu, Inhalt und Grenzen eines Begriffs festzulegen.

D

Definition u n d Subsumtion sind dasselbe.



Die Definition ermöglicht bzw. erleichtert die Subsumtion.

2.2

Erklären Sie „subsumieren"!

2.3

„Definition", „ S u b s u m t i o n " und „Auslegung" sind stets in einer bestimmten Reihenfolge hintereinander geschaltet. Wie lautet diese Reihenfolge?

1.10

2.4

Definieren Sie das Merkmal „Beschädigen" in § 303(1)!

Subsumieren Sie das Ablassen von L u f t aus einem montierten Autoreifen unter Ihre Definition des Merkmals „Beschädigen"!

TE 1

Testfragen

13

2.5

Ein anderes Mal demontiert Zisch die Radkappe des linken Vorderreifens und legt sie unmittelbar neben das Rad. Liegt eine Beschädigung des Wagens i.S.d. § 303 (1) vor? Ja / Nein — Begründung:

2.6

Der Jazzfan J besitzt auf Tonband eine Live-Aufnahme einer schon legendären Jamsession aus den frühen Fünfzigerjahren mit Louis „Satchmo" Armstrong. B mißgönnt J diesen seltenen Mitschnitt und löscht das Tonband. 1. Ist das Tonband eine „Sache" i.S.d. § 303 (1)? Ja / Nein Begründung:

2. Läßt sich das Löschen des Tonbandes unter das Merkmal „beschädigen" i.S.d. § 303 (1) subsumieren? Ja / Nein Begründung:

2.7

Im Regensburger Astoria läuft der Streifen „Wenn die letzten Hüllen fallen". Als besonders anstößig empfindet Veit Mostdipf das mehr als freizügige Konterfei der Hauptdarstellerin Brit Undress auf dem Filmplakat. Über Nacht zieht er der jungen Dame mit Pinsel und schwarzer Farbe einen züchtigen Badeanzug an. 1. Das ausgehängte Filmplakat ist keine fremde Sache / eine fremde Sache i.S.d. § 303 (1). 2. Wo liegt das Problem des Falles und wie lösen Sie es?

2.8

Eine der Hauptaufgaben des Juristen besteht darin, zu untersuchen, ob ein bestimmter Sachverhalt einen (oder mehrere) bestimmte(n) abstrakte(n) gesetzliche(n) Begriff(e) erfüllt. Beschreiben Sie, wie der Jurist diese Aufgabe löstl

14

Antworten

TE 1

1.1

Nein!

1.2

Nein! Sie muß nur sinngemäß übereinstimmen (o.a.)

1.3

Durch Vergleich der eigenen Antwort mit der Musterantwort auf der nächsten Seite (o.ä.)

1.4

Hier ist etwas einzusetzen (o.ä.)

1.5

Wenn dies ausdrücklich verlangt wird (o.ä.)

1.6

das Zutreffende,

1.7

die betreffende Information noch einmal lesen (o.ä.). Die Antwort des Lernprogramms dient ausschließlich der Kontrolle der von Ihnen selbst gefundenen Antwort.

1.8

Ein tatsächliches Geschehen

1.9

Auslegung ist die nähere Erklärung eines Begriffs durch andere Begriffe (o.ä.).

2.1

lE*^

Die Auslegung dient dazu, Inhalt und Grenzen eines Begriffs festzulegen.

JST

Die Definition ermöglicht bzw. erleichtert die Subsumtion.

2.2

2.3

Richtige (o.ä.)

„Subsumieren" heißt untersuchen, ob ein bestimmter Sachverhalt einen bestimmten abstrakten gesetzlichen Begriff bzw. seine Definition erfüllt (o.a.). Auslegung

Definition

Subsumtion

1.10 Jede Beeinträchtigung der bestimmungsgemäßen Brauchbarkeit einer Sache (o.ä.) 2.4

Durch das Ablassen von Luft aus einem Autoreifen wird die bestimmungsgemäße Brauchbarkeit des Reifens (und damit des Wagens) beeinträchtigt (o.ä.).

2.5

Nein! Der Wagen kann auch ohne Radkappe bestimmungsgemäß (d.h. zur Fortbewegung) gebraucht werden (o.ä.). Auch über das , J a " läßt sich diskutieren, wenn man auf die Beeinträchtigung der Schutz- und Zierfunktion der Radkappe abstellt. Aber bedenken Sie: Ein kleiner Handgriff genügt, um die Radkappe wieder zu befestigen.

2.6

1. Ja! Auch das Tonband ist ein „körperlicher Gegenstand" (o.a.). 2. Ja! Ein bespieltes Tonband wird durch das Löschen der Aufnahme in seiner bestimmungsgemäßen Brauchbarkeit beeinträchtigt (o.ä.).

2.7

1. Eine fremde Sache 2. Es ist fraglich, ob das „Anmalen" ein Beschädigen ist. Diese Frage dürfte zu bejahen sein. Die besondere Reklamewirkung des Plakates bestand gerade in seiner „Freizügigkeit". Diese bestimmungsgemäße Brauchbarkeit hat Mostdipf beeinträchtigt.

2.8

Zuerst wird der abstrakte gesetzliche Begriff ausgelegt. Das Ergebnis der Auslegung faßt man in einer Definition zusammen. Dann erfolgt der Vergleich zwischen Sachverhalt und Definition im Wege der Subsumtion. Erfüllt der Sachverhalt die Definition, so erfüllt er auch den Begriff selbst (o.ä.).

LE 2

S T R A F E N U N D MASSREGELN D E R B E S S E R U N G UND S I C H E R U N G

15

L e r n z i e l : Im Mittelpunkt dieser LE stehen die beiden Sanktionen des Strafrechts: Die „Strafen" und die „Maßregeln der Besserung und Sicherung". Am Ende dieser LE sollen Sie angeben können, in welchen Beziehungen sich Strafen und Maßregeln der Besserung und Sicherung unterscheiden und in welchen sie übereinstimmen.

Die beiden strafrechtlichen Sanktionen stehen seit j e h e r im Z e n t r u m kriminalpolitischer Überlegungen. Kriminalpolitisch n e n n t m a n j e n e Ordnungsvorstellungen, die sich mit der Verhütung u n d Bekämpfung strafbarer Handlungen befassen. Beginnen wir zunächst m i t der Strafe u n d den mit ihr v e r b u n d e n e n kriminalpolitischen Vorstellungen. Aus den Schlagzeilen der Tagespresse: Schlagzeile 1: „Selbst lebenslang ist für diesen bestialischen Mord zu wenig!" Schlagzeile 2: „Ein J a h r Freiheitsstrafe wird d e m Täter eine Lehre sein!" Schlagzeile 3 : „ N u r 100 DM Geldstrafe für den ungetreuen Handwerker! Solche Strafen schrecken heute n i e m a n d m e h r ! " Auf strafbare Handlungen reagiert der Staat mit Strafen. Die beiden wichtigsten sind die Freiheitsstrafe u n d die Geldstrafe. Daß der Einsatz von Strafen notwendig ist, wird kaum j e m a n d bezweifeln. Fragt man aber danach, w a r u m Strafen verhängt werden, fragt m a n nach d e m kriminalpolitischen Zweck der Strafe, erhält m a n die scheinbar widersprüchlichsten A n t w o r t e n . Die beiden gegensätzlichen, tief ins Weltanschauliche u n d Philosophische hineinreichenden (1) Grundpositionen über den kriminalpolitischen der staatlichen Strafe offenbaren sich einprägsam in zwei b e r ü h m t e n Zitaten. Immanuel Kant (1724-1804): „Selbst w e n n sich die bürgerliche Gesellschaft mit aller Glieder Einstimmung auflösete (z.B. das eine Insel b e w o h n e n d e Volk beschlösse, auseinanderzugehen u n d sich in alle Welt zu zerstreuen), müßte der letzte im Gefängnis befindliche Mörder vorher hingerichtet werden, d a m i t j e d e r m a n n das widerfahre, was seine Taten wert sind ..." V o n Seneca (um 1 —65 n. Chr.) s t a m m t die klassische K u r z f o r m e l für die krasse Gegenposition: „ N e m o prudens p u n i t , quia p e c c a t u m est, sed ne p e c c e t u r " . (Kein Vernünftiger b e s t r a f t , weil S t r a f t a t e n begangen w o r d e n sind, sondern damit sie nicht begangen werden). (2) Welche der drei Schlagzeilen liegt am ehesten auf der Linie des Kant-Zitats?

(3) Welche der drei Schlagzeilen liegt am ehesten auf der Linie der Sentenz von Seneca?

16

Strafen u n d Maßregeln der Besserung u n d Sicherung

LE 2

(1) Zweck (2) Schlagzeile 1 (3) Sowohl Schlagzeile 2 als auch Schlagzeile 3. Beide Antworten sind richtig. Warum, erfahren Sie auf dieser Seite. (1)

Beide Grundpositionen über d e n k. Zweck der staatlichen Strafe lassen sich m i t zwei Begriffen charakterisieren. Die einen meinen, die Strafe erfülle d e n Zweck der Vergeltung. Der Sinn der Strafe läge darin, daß j e d e r m a n n das widerfahre, was seine Taten wert sind".

(2)

Die Vertreter dieser Ansicht b e r u f e n sich auf Kant / Seneca. Andere sehen den kriminalpolitischen Zweck der Strafe ausschließlich in der Verhütung künftiger strafbarer Handlungen. Diesen Zweck der Strafe bezeichnet m a n mit d e m Begriff Vorbeugung. Hiermit s y n o n y m u n d ebenso häufig verwendet man den Begriff der Prävention.

(3)

Seneca plädiert für das „sed ne peccetur". Er ist somit ein Anhänger des gedankens. Der Begriff Prävention (bzw. Vorbeugung) bedarf noch weiterer Differenzierung. Prävention kann b e d e u t e n : Strafen werden angedroht u n d verhängt, u m diesen Täter von künftigen strafbaren Handlungen abzuhalten und zu rechtstreuem Verhalten zu erziehen.

(4)

Diese kriminalpolitische Zielsetzung bezeichnet m a n als (Individual- oder) Spezialprävention. Dieser Gedanke orientiert sich an der künftigen Gefährlichkeit des Täters / am Vergeltungsbedürfnis. Neben dieser Bedeutung trägt der Begriff der Prävention aber noch einen anderen kriminalpolitischen A k z e n t . Prävention k a n n auch bedeuten: Strafen werden angedroht u n d verhängt, um der Begehung strafbarer Handlungen durch andere entgegenzuwirken, d.h. um die Allgemeinheit zu r e c h t s t r e u e m Verhalten zu erziehen.

(5)

Diese kriminalpolitische Zielsetzung bezeichnet m a n als Generalprävention. Für die Anhänger der Generalprävention ist die erzieherische Wirkung von S t r a f d r o h u n g u n d Strafverhängung auf das Wesentliche. Ordnen Sie die drei Schlagzeilen der Tagespresse jeweils einer der skizzierten kriminalpolitischen Zielsetzungen der Strafe zu:

(6)

(7)

Schlagzeile 1 = Schlagzeile 2 = Schlagzeile 3 = Grenzen Sie d e n Gedanken der „Spezialprävention" v o m Gedanken der „Generalprävent i o n " ab!

-

LE 2

Strafen und Maßregeln der Besserung und Sicherung (1) (4) (6) (7)

17

kriminalpolitischen (2) Kant (3) Präventions-bzw. Vorbeugungsgedankens an der künftigen Gefährlichkeit des Täters (5) die Allgemeinheit Schlagzeile 1 = Vergeltung; Schlagzeile 2 = Spezialprävention; Schlagzeile 3 = Generalprävention Spezialprävention: Der einzelne Täter soll durch die Strafe von künftigen strafbaren Handlungen abgehalten werden. Generalprävention: Die erzieherische Wirkung der Sanktion auf die Allgemeinheit steht im Mittelpunkt (o.ä.).

Das deutsche Strafrecht gibt keiner dieser kriminalpolitischen Zielsetzungen der Strafe den Vorzug. Es betrachtet alle drei Zielsetzungen als gleich wichtig. Sie stehen prinzipiell gleichberechtigt nebeneinander. Daß dies richtig ist, entspricht der praktischen Erfahrung und wird Ihnen sogleich anhand der nachfolgenden Beispiele klar. Beispiel 1: Nach beinahe vierzig Jahren wird der ehemalige KZ-Wachmann Scherge (S) wegen vielfachen Mordes (§ 211) zu einer langjährigen Freiheitsstrafe verurteilt. S war bis dahin leitender Angestellter in einem großen Industrieunternehmen. Er hatte sich innerlich von der NS-Zeit längst abgewendet. Nie wieder würde er sich zu solchen Taten hergeben. Einen großen Teil seines Vermögens hatte er überdies freiwillig in eine Stiftung zur Wiedergutmachung von NS-Verbrechen eingebracht. Damit ist es offensichtlich, daß einer der drei Zwecke der Strafe für die Person des S ins (1) Leere gehen würde. Welcher?

Hätte sich das deutsche Strafrecht ausschließlich auf den Zweck der Spezialprävention festgelegt, so müßte in diesem Beispiel (2) ö ö

auf jeden Fall Strafe verhängt werden auf jede Strafe verzichtet werden

Kriminalpolitisch sinnvoll erscheint die Bestrafung des S daher nur unter dem Aspekt (3) der und jenem der (4) Begründen Sie den generalpräventiven Aspekt der gegen S verhängten Strafe!

Noch schwerer als der generalpräventive Aspekt wiegt in unserem Fall aber der Zweck der Vergeltung. Dies ist in der gerichtlichen Urteilsbegründung auch ausdrücklich hervorgehoben. In ihr heißt es: „Soviel inzwischen auch für den Täter spricht, die besondere Schwere der Tat und das besonders hohe Maß an Schuld fordern um der Gerechtigkeit willen auch nach Jahrzehnten strenge Vergeltung".

18

Strafen und Maßregeln der Besserung und Sicherung

LE 2

(1) Die Spezialprävention (2) auf jede Strafe verzichtet werden (3) Generalprävention; Vergeltung (4) Die Verhängung der Strafe über S zeigt, daß der Staat mit der Strafdrohung ernst macht, um der Begehung von strafbaren Handlungen durch andere entgegenzuwirken (o.ä.). Beispiel 2: Der bereits zum 11. Mal wegen Diebstahls bestrafte A ist ertappt worden, als er eben dabei war, bei „Aldi" eine Flasche „Klaren" (Wert 4,85 DM) zu stehlen (§ 242 (1)). Der gerichtliche Sachverständige klassifiziert A als Gewohnheitstäter, der immer wieder seinem Hang zu stehlen nachgeben wird.

(1)

Der Vergeltungsgedanke steht in Relation nicht nur zur Schuld des Täters, sondern auch zur Schwere der Tat u n d d a m i t zum angerichteten Schaden. Der Vergeltungsgedanke tritt daher in diesem Beispiel in den Vordergrund / in den Hintergrund. Der entscheidende A s p e k t , d e m die Strafe hier Rechnung tragen m u ß , ist der G e d a n k e der Prävention. Welcher der beiden präventiven Zielsetzungen würden Sie hier den Vorrang

(2)

geben? Bitte begründen Sie Ihre Antwort!

Schon aus diesen beiden Beispielen, die für viele stehen, ersehen Sie: Es wäre ebenso unklug wie kriminalpolitisch verfehlt, wenn sich der Gesetzgeber auf eine einzige der drei Zielsetzungen der Strafe festlegen würde. Die Vielfalt der Lebenswirklichkeit u n d die unterschiedlichen kriminalpolitischen Bedürfnisse verlangen die Berücksichtigung aller drei Zwecke bei der Verhängung der Strafe. Wie in unseren b e i d e n Beispielen mischen sich in der Praxis die Strafzwecke. Die wenigsten Fälle liegen so, d a ß alle drei Zwecke im gleichen Verhältnis zum Tragen k o m m e n . Häufig überwiegt einer der Strafzwecke u n d drängt die anderen zurück. Versucht m a n , den prozentuellen Anteil der verschiedenen Strafzwecke an d e n in den beiden Beispielen verhängten Strafen festzulegen, so k ö n n t e eine graphische Aufschlüsselung z.B. wie folgt aussehen: Beispiel 1

Beispiel 2

100%

100%

80 _

Generalprävention

60 _ 40 _

Vergeltung

80 _

Generalprävention

60 _

Vergeltung

40 Spezialprävention

20_

20_

0 Spezialprävention = 0 % 0 (3) Warum tritt im Beispiel 2 der Vergeltungsgedanke in d e n Hintergrund?

LE 2

Strafen u n d Mafiregeln der Besserung u n d Sicherung

19

(1) in den Hintergrund (2) Der Spezialprävention; denn der maßgebende Aspekt ist vor allem die besondere Gefährlichkeit gerade dieses Täters. Sie offenbart sich darin, daß A schon mehrfach gestohlen hat und aller Wahrscheinlichkeit nach auch in Zukunft weitere Diebstähle begehen wird (o.a.). (3) Weil der angerichtete Schaden nur gering ist (o.a.). Wenden wir uns n u n m e h r einer wesentlichen Voraussetzung der Strafe zu. Begeht j e m a n d eine strafbare Handlung, k o m m e n verschiedene Arten von Sanktionen in Betracht. Neben der Freiheitsstrafe u n d der Geldstrafe n e n n t das StGB etwa die Unterbringung in einem psychiatrischen K r a n k e n h a u s (§ 6 1 Z 1). Nur Freiheitsstrafe u n d Geldstrafe setzen die Schuld des Täters voraus. Die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus setzt dagegen etwas ganz anderes voraus: Eine besondere Gefährlichkeit des Täters.

(1) (2)

Eine Sanktion, die ausschließlich an eine besondere Gefährlichkeit des Täters anknüpft, nicht aber an seine Schuld, ist schon begrifflich keine Sanktionen, welche nicht an die Schuld, sondern ausschließlich an eine b G des Täters a n k n ü p f e n , bezeichnet das StGB als Maßregeln der Besserung u n d Sicherung. Lesen Sie dazu bitte die Überschrift des sechsten Titels vor § 61! Der Kürze wegen werden die Maßregeln der Besserung u n d Sicherung im folgenden schlicht als Maßregeln (d.B.u.S.) bezeichnet.

(3)

Die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus orientiert sich nicht an der Schuld, sondern ausschließlich a n einer besonderen Gefährlichkeit des Täters. Diese Sanktion ist daher keine sondern eine

(4)

Der Begriff Strafe ist dagegen u n t r e n n b a r mit d e m Erfordernis der Schuld des Täters verknüpft. Als Strafen bezeichnet m a n nur solche Sanktionen, welche die des Täters voraussetzen.

(5) (6)

Die Schuld ist nicht nur die V sie ist zugleich auch die Grenze der Strafe. Das Maß der Strafe darf daher das Maß der nicht übersteigen. Beispiel: Mroczek ist ein gefährlicher Triebtäter. Diesmal hat er der 13jährigen frühreifen Lisa zunächst an die prallen Brüste und sodann unter den Rock gegriffen. Als strafbare Handlung kommt „Sexueller Mißbrauch von Kindern" (§ 176 (1) 1. Alt lesen!) in Betracht. Nehmen Sie an, der Schuld des Mroczek entspricht eine Freiheitsstrafe von einem Jahr. Darf ihn das Gericht wegen seiner besonderen Gefährlichkeit (Triebtäter!) zu fünf J a h r e n Freiheitsstrafe verurteilen?

(7)

J a / Nein

Begründung:

Halten Sie fest! Eine Strafe darf nur verhängt werden aufgrund (Voraussetzung!) und nach Maßgabe (Grenze!) der Schuld des Täters.

20

Strafen und Mafiregeln der Besserung und Sicherung

LE 2

(1) Strafe (2) besondere Gefährlichkeit (3) Strafe; Maßregel (4) Schuld (5) Voraussetzung (6) Schuld (7) Nein! Das Maß der Strafe darf das Maß der Schuld nicht übersteigen (o.a.).

Von der Frage nach dem kriminalpolitischen Zweck der Strafe ist die Frage nach ihrer Wirkung streng zu unterscheiden.

Zur Tadelswirkung der Strafe:

(1)

Die staatliche Strafe beinhaltet einen öffentlichen Tadel, ein öffentliches sozialethisches Unwerturteil über den Täter. Beide Begriffe bedeuten in etwa dasselbe. Wer davon spricht, daß mit der Strafe über den Täter ein „sozialethisches Unwerturteil" gefällt wird, meint damit die in der Strafe enthaltene T Wirkung und umgekehrt. Auf die einfachste Formel gebracht, lautet der mit der Strafe über den Täter ausgesprochene Tadel: „Du hättest die Tat nicht begehen sollen!"

(2)

Mit der Verhängung der Strafe z.B. über einen Dieb wird diesem daher vorgeworfen, daß er (bitte ergänzen!)

Zur Obelswirkung der Strafe: (3) (4)

Der mit der Strafe verbundene Tadel mag den abgebrühten Täter kalt lassen. Daß die Verhängung einer Strafe aber ein einschneidendes bedeutet, spürt der Täter durch die ihm gleichzeitig auferlegten Rechtseinbußen. Sie greifen empfindlich in seine Rechtssphäre ein und werden dem Täter von Staats wegen unbewußt / bewußt auferlegt.

LE 2

Strafen und Maßregeln der Besserung u n d Sicherung (1) Tadelswirkung (2) den Diebstahl nicht hätte begehen sollen (o.a.) (4) bewußt auferlegt

21

(3) Übel

Von den früher als Strafe auferlegten Rechtseinbußen wurde die Todesstrafe durch Art 102 GG (Schönfelder Nr. 1) abgeschafft. Die Übelswirkungen, die von der Geldstrafe, vor allem aber von der Freiheitsstrafe ausgehen, reichen aus, um allen drei Zielsetzungen der Strafe Rechnung zu tragen. (1)

Nennen Sie die drei kriminalpolitischen Zielsetzungen der Strafe!

Die Geldstrafe ist ein gravierender staatlicher Eingriff in das Vermögen, die Freiheitsstrafe ein gravierender staatlicher Eingriff in die Freiheit. (2)

Nach dem Wegfall der strafe ist das einschneidendste aller Strafübel die lebenslange Freiheitsstrafe. Sie kommt einer Existenzvernichtung gleich; daher hat der Gesetzgeber dieses Strafübel auf die schwersten strafbaren Handlungen, z.B. Mord (§ 211), Völkermord (§ 220 a (1)), Raub mit Todesfolge (§ 251) u.a. beschränkt.

(3)

Neben dem Eingriff in Freiheit u n d Vermögen offenbart sich die Ü Wirkung jeder Strafe zusätzlich darin, daß sie das soziale Ansehen des Täters und seiner Familie oft sehr nachhaltig schmälert: Die Kinder werden in der Schule gehänselt. Der Arbeitgeber kündigt. Einen Vorbestraften will niemand einstellen. Die Ehefrau läßt sich von ihm scheiden. Die bisherigen Bekannten brechen ihre Beziehungen zum Täter ab. Der Staat tut einiges — aber längst nicht genügend — um derartige mit der Strafe nicht beabsichtigte Obelswirkungen hintanzuhalten: z.B. durch Tilgung des Strafeintrags im Bundeszentralregister; Beschränkung der Auskunft über erfolgte Verureilungen; Vermittlung von Arbeitsplätzen an EnÜassene.

(4)

Welche beiden Übelswirkungen der Strafe sind beabsichtigt?

(5)

Welche Übelswirkungen der Strafe sind dagegen nicht beabsichtigt?

Wir fassen zusammen! (6)

Sie kennen nun Voraussetzung und Grenze der staatlichen Strafe, die außerdem ihre T Wirkung und ihre Wirkung. Aus ihnen ergibt sich die folgende Definition der Strafe: Strafe ist ein mit Tadel verbundenes Übel, das wegen einer strafbaren Handlung von einem Strafgericht aufgrund und nach Maßgabe der Schuld des Täters verhängt wird.

22

Strafen und Maßregeln der Besserung und Sicherung (1) (4) (5) (6)

LE 2

Vergeltung, Generalprävention, Spezialprävention (2) Todesstrafe (3) Obelswirkung Die Eingriffe in die Freiheit und das Vermögen (o.ä.) Die Schädigung des sozialen Ansehens des Täters und seiner Familie (o.ä.) Schuld; Tadelswirkung; Obelswirkung

Der mittellose, rauschgiftsüchtige und schon mehrfach einschlägig vorbestrafte „Kiff" Haschmann (H) hat aus der Apotheke ein rauschgifthaltiges Präparat im Wert von 8 DM gestohlen. Schuld und Schwere der Tat sind offensichtlich gering. Das Gericht verhängt daher wegen Diebstahls eine schuldangemessene Freiheitsstrafe von zwei Wochen. Bekanntlich ist aber bei mittellosen Rauschgiftsüchtigen die Wahrscheinlichkeit besonders groß, daß sie nach Strafverbüßung sofort wieder versuchen werden, sich den „ S t o f f " durch weitere strafbare Handlungen zu verschaffen. Das Problem ist hier nicht die Schuld des H; denn seine Schuld ist mit der Verbüßung der verhängten Strafe abgegolten. (1)

Nicht abgegolten mit der

ist aber seine besondere Gefährlichkeit.

(2)

Die besondere Gefährlichkeit des H besteht darin, daß er auch künftig, d.h. auch nach der Verbüßung seiner Strafe im Zusammenhang mit seiner Gewöhnung an Suchtmittel (bitte ergänzen!)

Kriminalpolitisch sinnvoll ist daher seine Unterbringung in einer Entziehungsanstalt, damit er dort von seiner Sucht geheilt wird.

(3)

Eine solche Unterbringung in einer Entziehungsanstalt ist in den § § 6 1 Z 2, 64 ausdrücklich vorgesehen. Es handelt sich dabei um eine Strafe / Maßregel d.B.u.S.

(4)

Maßregeln d.B.u.S. unterscheiden sich einmal in ihrem kriminalpolitischen Zweck von der Strafe. Sie dienen weder der Vergeltung noch der Generalprävention. Ihr Zweck erschöpft sich in der Bekämpfung der künftigen Gefährlichkeit gerade dieses Täters. Sie dienen also ausschließlich s Zwecken. Alle Maßregeln d.B.u.S. beruhen ausschließlich auf dem Prinzip der Spezialprävention. Sie kommen nur bei besonders gefährlichen Tätern in Betracht.

(5)

(6)

Damit sind wir auch bereits bei Voraussetzung und Grenze der Maßregeln d.B.u.S.: Es ist die in der Begehung einer strafbaren Handlung zutage getretene besondere Gefährlichkeit dieses Täters und nicht seine S Wir halten daher fest: Maßregeln d.B.u.S. dürfen nur verhängt werden aufgrund (Voraussetzung!) und nach Maßgabe (Grenze!) der b des Täters.

LE 2

Strafen und Maßregeln der Besserung und Sicherung

23

(1) Strafe (2) strafbare Handlungen begehen wird (o.a.) (3) Maßregel d.B.u.S. (4) spezialpräventiven (5) Schuld (6) besonderen Gefährlichkeit

Im Gegensatz zur Strafe ist mit der Verhängung von Maßregeln d.B.u.S. kein sozialethisches Unwerturteil, d.h. keine Tadelswirkung verbunden.

(1)

Der Grund ist klar: Tadel setzt Schuld voraus. Da die Maßregel d.B.u.S. keine Schuld / Schuld voraussetzt, ist mit ihr keine Tadelswirkung / eine Tadelswirkung verknüpft.

(2)

Der Vollzug einer freiheitsentziehenden Maßregel d.B.u.S. geschieht in der Weise, daß der Täter von der Allgemeinheit abgesondert wird. Er kommt in eine Anstalt. Er verliert also wie bei der Freiheitsstrafe seine Freiheit. Dieser Freiheitsverlust ist ein Übel / kein Obel. Aber im Gegensatz zur (Freiheits-) Strafe ist der Eintritt dieses Übels beabsichtigte Wirkung / unvermeidliche Folge der Verhängung einer solchen Maßregel.

(3)

Somit läßt sich der Begriff der Maßregel d.B.u.S. wie folgt definieren: Die Maßregel d.B.u.S. ist ein nicht mit Tadel verbundenes Übel, das wegen einer strafbaren Handlung von einem Strafgericht aufgrund und nach Maßgabe der besonderen Gefährlichkeit des Täters verhängt wird. Das StGB sieht insgesamt vier freiheitsentziehende Maßregeln vor. Neben der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus (§ 61 Z 1) und der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt (§ 61 Z 2) gibt es die Unterbringung in einer sozialtherapeutischen Anstalt (§ 61 Z 3) und als besonders einschneidende und gefürchtete Maßregel die Unterbringung in der Sicherungsverwahrung (§ 61 Z 4).

(4)

Halten wir fest! Die Verhängung sowohl von Strafen als auch von Maßregeln setzt stets die Begehung einer strafbaren Handlung voraus. Während Strafen aber aufgrund u n d nach Maßgabe der des Täters ausgesprochen werden, ist die Anordnung einer Maßregel stets an eine des Täters geknüpft. Das deutsche Strafrecht hat für seine Sanktionen gewissermaßen zwei Spuren vorgesehen: Strafen und Maßregeln d.B.u.S.

(5)

Gäbe es neben der Strafe nicht die zweite Spur der könnte das Strafrecht der besonderen Gefährlichkeit des Täters vielfach überhaupt nicht oder jedenfalls nicht genügend Rechnung tragen.

(6)

Ein Strafrechtssystem, das auf zwei „ S p u r e n " fährt, den regeln d.B.u.S., bezeichnet man als zweispuriges Strafrecht.

(7)

Das deutsche Strafrecht ist ein

und den Maß-

Strafrecht.

24

Strafen und Maßregeln der Besserung und Sicherung (1) keine Schuld; keine Tadelswirkung (4) Schuld; besondere Gefährlichkeit (7) zweispuriges

(2) ein Übel (5) Maßregeln d.B.u.S.

LE 2

(3) unvermeidliche Folge (6) Strafen

ZUSAMMENFASSUNG Das deutsche Strafrecht beruht auf dem System der Zweispurigkeit; d.h. wegen einer strafbaren Handlung können von den Strafgerichten sowohl Strafen als auch Maßregeln d.B.u.S. verhängt werden. Der Gedanke der Zweispurigkeit geht auf den Schweizer Strafrechtslehrer Carl Stooss zurück. Er hat ihn erstmals in seinem Vorentwurf eines schweizerischen StGB (1893) entwickelt. Dieses Prinzip wurde in Deutschland zunächst im Gewohnheitsverbrechergesetz von 1933 realisiert und bildet seither das Fundament der europäischen und der südamerikanischen Gesetzgebung; vgl. Jescheck AT § 9 1 1 .

A Die Strafen Strafe ist ein mit Tadel verbundenes Übel, das wegen einer strafbaren Handlung von einem Strafgericht aufgrund und nach Maßgabe der Schuld des Täters verhängt wird. Die Schuld ist nicht nur die Voraussetzung („aufgrund"), sondern zugleich auch die Grenze („nach Maßgabe") der Strafe. Das M a ß der Strafe darf daher das Maß der Schuld nicht übersteigen. Im Einzelfall mag es freilich schwierig sein, das Maß der Schuld (und damit auch das Maß der Strafe) zu bestimmen. 1. Strafzwecke. Mit der Verhängung von Strafen können verschiedene Zwecke verfolgt werden: Vergeltung, Generalprävention, Spezialprävention. a) Dem Vergeltungsgedanken entspricht es, daß „jedermann das widerfahre, was seine Taten wert sind" (Kant); Strafen werden verhängt, „quia peccatum est". Anstelle von Vergeltung findet sich gelegentlich auch der Begriff gerechter Schuldausgleich. Es handelt sich dabei um eine moderne Akzentuierung des Vergeltungsgedankens. Das ihm mit der Strafe auferlegte Übel soll den Täter „durch maßvollen Ausgleich seiner Schuld mit der Gemeinschaft wieder versöhnen" (Jescheck).

b) Bei dem Gedanken der Generalprävention ist die erzieherische Wirkung von Strafdrohung und Strafverhängung auf die Allgemeinheit das Wesentliche: Strafen werden angedroht und verhängt, u m der Begehung strafbarer Handlungen durch andere entgegenzuwirken. „Punitur, ne peccetur". Gesetzgeber und Praxis neigen seit jeher dazu, unter Berufung auf die Generalprävention überhöhte Strafen anzudrohen bzw. zu verhängen. Die schuldangemessene Strafe darf jedoch weder aus general- noch aus spezialpräventiven Gründen überschritten werden; vgl. BGHSt 20 267.

c) Der Gedanke der Spezialprävention orientiert sich an der individuellen Gefährlichkeit des einzelnen: Strafen werden angedroht und verhängt, u m diesen Täter von künftigen strafbaren Handlungen abzuhalten und zu rechtstreuem Verhalten zu erziehen. d) In der Lehre gibt es sehr verschiedene Auffassungen über den kriminalpolitischen Zweck der Strafe. Die traditionelle (u.a. Baumann, Jescheck, Rittler) und vor allem in der Praxis herrschende Auffassung vereinigt alle drei Strafzwecke (sog. Vereinigungstheorie). Danach müssen bei der Verhängung der Strafe alle drei Strafzwecke berücksichtigt werden. Die wenigsten Fälle liegen aber so, daß die drei Zwecke im gleichen Maß zum Tragen kommen. Häufig überwiegt einer der Strafzwecke und drängt die anderen zurück.

LE 2

Strafen u n d M a ß r e g e l n der Besserung u n d S i c h e r u n g

25

Der Vergeltungsgedanke ist fragwürdig. Zwar kann nicht geleugnet werden, daß die Strafe real als Vergeltung wirkt und auch weithin so empfunden wird. Das moderne Schrifttum lehnt es aber mit Entschiedenheit ab, die Vergeltung als selbständigen Strafzweck anzuerkennen. Man verweist darauf, daß die Vergeltung als Strafzweck ein Bekenntnis zur Willensfreiheit voraussetze und weder mit dem Menschenbild des StGB noch mit dem Schuldbegriff noch mit den Zielvorstellungen des heutigen Staates übereinstimme. Zur Kritik des Vergeltungsgedankens vgl. Stratenwerth AT R N 8ff. u. 14ff. Von diesem Ansatz aus wird die Bestrafung des KZ-Wachmanns (S. 17) problematisch. Sie läßt sich indessen in der Weise halten, daß man die Bewährung der Rechtsgeltung, d.h. die Bestärkung der Rechtstreue der Bevölkerung, als Teilaspekt der Generalprävention interpretiert. 2. W i r k u n g e n der Strafe. V o m Z w e c k der Strafe sind ihre Wirkungen zu unterscheiden. J e d e von einem Strafgericht wegen einer strafbaren Handlung verhängte Strafe beinhaltet ein sozialethisches U n w e r t u r t e i l über den T ä t e r (Tadelswirkung der Strafe). Gleichzeitig werden dem T ä t e r durch die Strafe bestimmte R e c h t s e i n b u ß e n auferlegt (Ubelswirkung der Strafe). Diese Rechtseinbußen betreffen nach dem Wegfall der Todesstrafe im wesentlichen die Freiheit (Freiheitsstrafe) und das Vermögen des Täters (Geldstrafe). Darüber hinaus beeinträchtigt die Strafe das soziale Ansehen sowie das berufliche Fortkommen des Täters und seiner Familie. Zum Teil handelt es sich dabei um nicht beabsichtigte, zum Teil um ausgesprochen resozialisierungsfeindliche Ubelswirkungen der Strafe („Stigmatisierung"). Gesetzgeber und Gerichte haben die Pflicht, sie nach Möglichkeit hintanzuhalten. D i e Freiheitsstrafe des heutigen Rechts ist im übrigen eine Einheitsstrafe, d.h. es wird nicht mehr — wie im früheren R e c h t — zwischen „Zuchthaus", „Gefängnis" und „ H a f t " unterschieden.

B Die M a ß r e g e l n der B e s s e r u n g u n d S i c h e r u n g 1. Wesen. Sanktionen, die nicht an die Schuld des Täters, sondern ausschließlich a n seine besondere G e fährlichkeit anknüpfen, bezeichnet das S t G B als M a ß r e g e l n d . B . u . S . D i e Verhängung einer Maßregel d . B . u . S . setzt wie die Strafe stets die B e g e h u n g einer strafbaren H a n d l u n g voraus. Maßregeln d . B . u . S . k ö n n e n i m m e r n u r wegen = aus Anlaß einer strafbaren Handlung (sog. A n l a ß t a t ) angeordnet werden. Beispiele: Wer sexuell abartig veranlagt, geisteskrank oder rauschgiftsüchtig ist, kann ohne Anlaßtat nicht durch ein Strafgericht in einer entsprechenden Anstalt untergebracht werden. E i n e M a ß r e g e l d . B . u . S . ist ein n i c h t m i t Tadel verbundenes Übel, das w e g e n einer strafbaren H a n d lung v o n einem S t r a f g e r i c h t a u f g r u n d u n d n a c h M a ß g a b e der besonderen Gefährlichkeit des T ä t e r s v e r h ä n g t wird. I m Gegensatz zur Strafe erschöpft sich der Z w e c k der Maßregel in der B e k ä m p f u n g der künftigen G e fährlichkeit gerade dieses T ä t e r s . Maßregeln d . B . u . S . dienen ausschließlich spezialpräventiven Z w e k ken. Sie k o m m e n nur gegen besonders gefährliche T ä t e r in Betracht. D a b e i ist der G r u n d s a t z der V e r hältnismäßigkeit zu beachten; vgl. § 6 2 . Anders als die Strafe, die stets auch gerechter Schuldausgleich kunft.

sein soll, blicken die Maßregeln d.B.u.S. allein in die Zu-

Alle Maßregeln setzen daher eine spezifische Gefährlichkeitsprognose voraus. Ohne diese Prognose spezifischer Gefährlichkeit kann auch gegen den schlimmsten Täter keine Maßregel d.B.u.S. angeordnet werden. Deshalb entfällt die Unterbringung eines Sittlichkeitstäters in einer sozialtherapeutischen Anstalt (§65 (1) Z 2) i.d.R. etwa dann, wenn er sich sofort nach der Tat hat kastrieren lassen; vgl. dazu Schönke/Schröder/Stree §66 R N 36.

26

Strafen u n d M a ß r e g e l n der Besserung u n d S i c h e r u n g

LE 2

2. A r t e n . Das S t G B kennt m e h r e r e A r t e n freiheitsentziehender M a ß r e g e l n : Unterbringung Unterbringung Unterbringung Unterbringung

in in in in

einem psychiatrischen K r a n k e n h a u s (§§ 61 Z 1, 6 3 ) ; einer E n t z i e h u n g s a n s t a l t (§§ 61 Z 2, 6 4 ) ; einer sozialtherapeutischen A n s t a l t (§§ 61 Z 3, 6 5 ) ; der S i c h e r u n g s v e r w a h r u n g ( § § 61 Z 4, 66).

3. Einzelheiten. I m Gegensatz zur Strafe ist mit der Verhängung einer Maßregel d . B . u . S . keine Tadelsw i r k u n g verbunden. D a der T ä t e r in Durchführung einer freiheitsentziehenden Maßregel aber v o n der Allgemeinheit a b g e s o n d e r t wird, erleidet er eine ähnliche E i n b u ß e an seiner Freiheit wie bei der F r e i heitsstrafe. Im Gegensatz zu jener ist diese Ubelswirkung aber eine unbeabsichtigte Folge der Maßregel. Sind sowohl die Schuld des Täters als a u c h seine besondere Gefährlichkeit gegeben, so k ö n n e n Strafe und Maßregel nebeneinander angeordnet werden (arg. § 6 7 (1)). Beispiele: Den Triebtäter Mroczek (S. 19) wird das Gericht nicht nur zu einer einjährigen Freiheitsstrafe verurteilen, sondern es wird zugleich auch seine Unterbringung in einer sozialtherapeutischen Anstalt anordnen; vgl. §65 (1) Z 2; allerdings tritt diese Maßregel erst mit dem 1.1.1985 in Kraft. Der rauschgiftsüchtige H (S. 22) muß nicht nur mit der Verhängung einer Freiheitsstrafe, sondern auch mit seiner Unterbringung in einer Entziehungsanstalt rechnen; vgl- §64(1). Bezüglich der U n t e r b r i n g u n g s d a u e r wegen einer Maßregel d . B . u . S . vgl. § 6 7 d (1). Hinsichtlich der Reihenfolge des Vollzugs von Maßregeln und Strafen befolgt das S t G B i . d . R . das für den R e c h t s b r e c h e r günstige Prinzip des Vikariierens. Das bedeutet, daß die Maßregel d.B.u.S. grundsätzlich unter voller Anrechnung auf die Strafe vor dieser, mithin gewissermaßen „stellvertretend" zu vollziehen ist; vgl. §67 (1) i.V.m. (4). Dieses Vikariieren gilt nur für die Fälle der §§ 63 bis 65; die gefährlichsten Kriminellen, die sog. gefährlichen Rückfallstäter, sind davon ausgenommen; arg. §67(1). C Gegenüberstellung von Strafen u n d M a ß r e g e l n S o w o h l Strafen als auch Maßregeln können nur wegen einer s t r a f b a r e n H a n d l u n g verhängt werden. Zwischen beiden Sanktionsarten bestehen aber wesentliche Unterschiede. Voraussetzung und G r e n z e der Strafe ist die Schuld des T ä t e r s . Voraussetzung und G r e n z e der M a ß r e gel ist die besondere Gefährlichkeit des T ä t e r s . D i e wichtigsten U n t e r s c h i e d e ergeben sich aus der folgenden Gegenüberstellung:

Strafen

Maßregeln d.B.u.S.

Zweck

Vergeltung (str) + General- + Spezialprävention

Spezialprävention

Voraussetzung und Grenze

Schuld des Täters

besondere Gefährlichkeit des Täters

Tadel

ja (beabsichtigt)

nein

Übel

ja (beabsichtigt)

ja (nicht beabsichtigt)

W e i t e r f ü h r e n d e s S c h r i f t t u m : Zur Antithese von Schuld und Gefährlichkeit vgl. Maurach/Zipf verschiedenen Straftheorien vgl. Jescheck AT §8 II—V.

A T I §5. Zu den

TE 2

Testfragen zur LE 2

1.1

Welcher Begriff bildet die Voraussetzung und zugleich die Grenze der Strafe?

1.2

Welche beiden Wirkungen sind mit der von den Strafgerichten verhängten Strafe verbunden?

2.1

Versuchen Sie nunmehr, den Begriff der „Strafe" zu definieren. Ihre Definition muß nicht wörtlich mit der des Lernprogramms Ubereinstimmen. Sie ist aber nur dann vollständig, wenn Sie sowohl Voraussetzung und Grenze als auch die beiden Wirkungen der Strafe in Ihrer Definition berücksichtigen.

1.3

Worin bestehen die Übelswirkungen der Strafe?

1.4

Nennen Sie alle drei kriminalpolitischen Zielsetzungen der Strafe!

1.5

Welche beiden kriminalpolitischen Zielsetzungen sprechen aus dem Satz: „Nemo prudens punit, quia peccatum est, sed ne peccetur"?

1.6

Welche kriminalpolitische Zielsetzung spricht aus dem Satz: „Auge um Auge, Zahn um Zahn"?

1.7

Erklären Sie die Tadelswirkung der Strafe (entweder abstrakt oder anhand eines Beispiels)!

27

28

Testfragen

TE 2

1.8

Nennen Sie mindestens drei Unterschiede zwischen Maßregeln und Strafen!

2.2

Nach dem StGB können über denselben Täter neben der Strafe auch gleichzeitig Maßregeln verhängt werden. Ist dies kriminalpolitisch sinnvoll? Ja / Nein Begründung:

2.3

Erklären Sie „Spezialprävention"!

2.4

Erklären Sie „Generalprävention"!

1.9

Welcher Begriff bildet die Voraussetzung und zugleich die Grenze der Maßregeln?

1.10 Die mit der Verhängung einer Maßregel verbundene an sich nicht beabsichtigt.

Wirkung ist

TE 2

Testfragen

29

2.5

Mit der Verhängung einer Maßregel ist keine (bitte ergänzen!)

Wirkung verbunden, weil

2.6

Versuchen Sie nunmehr, die „Maßregel d.B.u.S." zu definieren! (Auch diese Definition muß nicht wörtlich mit der des Lernprogramms übereinstimmen.)

1.11 Das StGB sieht vier Arten von freiheitsentziehenden Maßregeln vor. Nennen Sie zwei!

2.7

„Et eß esu e schön Jeföhl, wann't brennt", verteidigt sich Martin Lommer (L), der Feüerteufel von Königswinter, als ihn der Kriminalobermeister Hüsgen von der Kripo Bonn festnimmt. Der schon mehrfach wegen Brandstiftung vorbestrafte L wird psychiatriert. Der Sachverständige stellt eine schwere Persönlichkeitsstörung fest, bezeichnet L im übrigen aber als verantwortlich und auch in Zukunft „brandgefährlich ". Gehen Sie davon aus, daß die Verhängung einer zweijährigen Freiheitsstrafe schuldangemessen wäre. 1. Die Verhängung der zweijährigen Freiheitsstrafe entspricht zwar der des L; sie trägt aber der dieses Täters nur unzureichend Rechnung, weil (bitte ergänzen!)

2. Deshalb ist in § 65 (1) Z 1 vorgesehen, daß L anstelle einer Strafe / neben der Strafe in einer untergebracht werden kann. 3. Die Unterbringung in einer solchen Anstalt dient nicht nur der weiteren Abschirmung dieses gefährlichen Brandlegers von der Allgemeinheit, sondern auch, u n d zwar in erster Linie, dazu, ihn einer therapeutischen Behandlung zu unterwerfen, welche darauf abzielt, (bitte ergänzen!)

30

Antworten

TE 2

1.1

Der Begriff „Schuld"

1.2

Tadelswirkung und Übelswirkung

2.1

Vergleichen Sie Ihre Definition zur Kontrolle mit der des Lernprogramms! Strafe ist ein mit Tadel verbundenes Obel, das wegen einer strafbaren Handlung von einem Strafgericht aufgrund und nach Maßgabe der Schuld des Täters verhängt wird.

1.3

In der (beabsichtigten) Einwirkung auf das Vermögen bzw. die Freiheit und in den (an sich nicht beabsichtigten) Ausstrahlungen auf das soziale Ansehen des Täters und seiner Familie

1.4

Vergeltung, Generalprävention, Spezialprävention

1.5

Spezialprävention und Generalprävention

1.6

Der Vergeltungsgedanke

1.7

Abstrakt: Dem Täter wird vorgeworfen: Du hättest die Straftat nicht begehen sollen! Am Beispiel: Dem Dieb wird vorgeworfen: Du hättest keinen Diebstahl begehen sollen!

1.8

Strafen

Maßregeln d.B.u.S.

setzen Schuld voraus

setzen eine besondere Gefährlichkeit des Täters voraus

enthalten einen Tadel

enthalten keinen Tadel

dienen verschiedenen Strafzwecken

dienen nur der Spezialprävention

stellen ein beabsichtigtes Obel dar

stellen ein unbeabsichtigtes Übel dar

2.2

Ja! Denn durch die Strafe kann nur die Schuld, nicht aber die besondere Gefährlichkeit des Täters ausgeschöpft werden (o.ä.).

2.3

Strafen werden angedroht und verhängt, um den Täter von der Begehung strafbarer Handlungen abzuhalten und zu rechtstreuem Verhalten zu erziehen (o.ä.)

2.4

Strafen werden angedroht und verhängt, um andere, d.h. die Allgemeinheit von der Begehung strafbarer Handlungen abzuhalten und zu rechtstreuem Verhalten zu erziehen (o.ä.).

1.9

Die besondere Gefährlichkeit des Täters

1.10

Dbelswirkung

2.5

Tadelswirkung; weil Tadel stets Schuld des Täters voraussetzt. Die Maßregel ist aber gerade dadurch gekennzeichnet, daß sie wegen einer strafbaren Handlung auch ohne Schuld des Täters allein mit Rücksicht auf seine besondere Gefährlichkeit verhängt werden kann (o.a.).

2.6

Eine Maßregel d.B.u.S. ist ein nicht mit Tadel verbundenes Obel, das wegen einer strafbaren Handlung von einem Strafgericht aufgrund und nach Maßgabe der besonderen Gefährlichkeit des Täters verhängt wird.

1.11

1. 2. 3. 4.

2.7

1. Schuld; besonderen Gefährlichkeit; weil er nach zwei Jahren mit sehr großer Wahrscheinlichkeit erneut Brandstiftungsdelikte begehen würde (o.ä.) 2. neben der Strafe; sozialtherapeutischen Anstalt 3. ihn von seinem Drang, Feuer zu legen, zu befreien (o.ä.)

Unterbringung Unterbringung Unterbringung Unterbringung

in in in in

einem psychiatrischen Krankenhaus einer Entziehungsanstalt einer sozialtherapeutischen Anstalt der Sicherungsverwahrung

LE 3

GRUNDBEGRIFFE 1

31

L e i n z i e l : In den folgenden drei LE geht es um wichtige Begriffe, Prinzipien und Mechanismen des Strafrechts, welche Sie kennen müssen, bevor Sie sich mit den Einzelheiten dieses Rechtsgebiets befassen können. In dieser LE werden Sie die folgenden zentralen Begriffe kennenlernen: „Delikt", „Tatbestand", „Tatbestandsmäßigkeit", „Rechtsgut" und „Strafrecht".

Wir wollen damit beginnen, ein beliebiges strafrechtliches Delikt näher zu betrachten. Nehmen wir den Diebstahl. Lesen Sie § 242 (1)! Das Delikt des § 242 (1) besteht aus zwei Teilen: der erste Teil enthält die gesetzliche Beschreibung des als Diebstahl strafrechtlich verbotenen Verhaltens. Dieser Teil heißt Tatbestand. Der andere Teil enthält die Strafdrohung. Der Tatbestand des Diebstahls lautet: „Wer eine fremde bewegliche Sache einem anderen in der Absicht wegnimmt, dieselbe sich rechtswidrig zuzueignen ". Die Strafdrohung des Diebstahls lautet: „ wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft". Die meisten strafrechtlichen Delikte sind wie der Diebstahl aufgebaut. Das strafrechtliche (1) Delikt setzt sich also zusammen aus und In manchen Delikten finden sich ergänzende Zusätze, welche weder zum Tatbestand noch zur Strafdrohung gehören. Es handelt sich etwa um die Verwendung der Begriffe „widerrechtlich" (z.B. §§ 123 (1),239 (1)); „ u n b e f u g t " (z.B. §§ 168(1), 201 (1), 202(1)). Das Delikt des Totschlags ist in § 212 (1) wie folgt gefaßt: „Wer einen Menschen tötet (ohne Mörder zu sein), wird (als Totschläger) mit Freiheitsstrafe nicht unter fünf Jahren bestraft". Das Eingeklammerte ist zwar Teil der gesetzlichen Formulierung dieses Delikts, gehört (2) aber weder zum noch zur Strafdrohung des Totschlags. Denkt man sich diese Zusätze weg, so lautet der Tatbestand des § 212 (1) kurz und (3) bündig: „Wer (bitte ergänzen!)

(4) Wie lautet die Strafdrohung des Totschlags?

Damit bestätigt sowohl die Vorschrift über den Totschlag als auch über den Diebstahl, (5) daß sich sämtliche D des StGB im Prinzip aus und zusammensetzen.

32

Grundbegriffe 1

LE 3

(1) Tatbestand und Strafdrohung (2) Tatbestand (3) „Wer einen Menschen tötet" (4) „wird mit Freiheitsstrafe nicht unter fünf Jahren bestraft" (5) Delikte; Tatbestand; Strafdrohung

Nunmehr sind wir in der Lage, den strafrechtlichen Begriff des Delikts (Synonym: strafbare Handlung) zu definieren: Als Delikt (strafbare Handlung) bezeichnet man die gesetzliche Beschreibung eines strafrechtlich verbotenen Verhaltens einschließlich der Strafdrohung. Kurzformel: Delikt

=

Tatbestand

Strafdrohung

§ 223 (1) enthält das Verbot der Körperverletzung. (1) Wie lautet der Tatbestand dieses Delikts?

(2) Geben Sie jetzt eine Definition des Begriffs „Tatbestand"! Nur einen kurzen Augenblick ließ die Journalistin Traudl Xandner ihre beiden Koffer in der Mailänder Innenstadt aus den Augen, um nach einem Gepäckträger Ausschau zu halten. Als sie sich ihren Sachen wieder zuwandte, „war kein Gepäckträger mehr nötig" — die Koffer waren weg. A verletzt B durch einen Hieb mit der Faust. (3) Bei dieser Schilderung handelt es sich um einen Tatbestand / Sachverhalt. (4) Bei der Subsumtion geht es um die Frage, ob ein bestimmter bestimmten erfüllt.

einen

Wir wollen uns den Tatbestand des Diebstahls nun etwas genauer ansehen. Lesen Sie dazu bitte § 242 (1) noch einmal! Der Tatbestand dieses Delikts läßt sich in mehrere Sinneinheiten zerlegen. Diese Sinneinheiten sind, bildlich gesprochen, die „Bausteine" des Diebstahlstatbestands. Zu ihnen gehören u.a. die Begriffe „ f r e m d " und „Sache". Aber auch ganze Wortgruppen können eine solche Sinneinheit bilden: z.B. die „Absicht, sich dieselbe (d.h. die fremde Sache) rechtswidrig zuzueignen". Diese Aufzählung der in § 242 (1) vom Gesetzgeber verwendeten Bausteine ist im übrigen noch nicht vollständig.

(5)

Lesen Sie § 242 (1) erneut und nennen Sie mindestens einen weiteren Baustein des Diebstahlstatbestands !

Grundbegriffe 1

LE 3

33

(1) Der Tatbestand der Körperverletzung lautet: „Wer einen anderen körperlich mißhandelt oder an der Gesundheit beschädigt". (2) Der Tatbestand ist die gesetzliche Beschreibung eines strafrechtlich verbotenen Verhaltens. (3) Sachverhalt (4) ein bestimmter Sachverhalt einen bestimmten Tatbestand erfüllt (o.ä.) (5) „beweglich"; „wegnehmen"; „einem anderen"

Die einzelnen Sinneinheiten, aus denen sich ein strafrechtlicher Tatbestand zusammensetzt, werden in der Terminologie des Strafrechts als „Tatbestandselemente" oder „Tatbestandsmerkmale" bezeichnet. Tatbestandsmerkmale sind alle Merkmale, aus denen sich der Tatbestand eines Delikts zusammensetzt. Lesen Sie bitte das Delikt der Freiheitsberaubung (§ 239 (1)) und nennen Sie seine einzelnen Tatbestandsmerkmale! (Bedenken Sie dabei, daß auch ganze Wortgruppen (1) ein Tatbestandsmerkmal bilden können!)

Ist auch die Strafdrohung ein Tatbestandsmerkmal? (2) J a / Nein Begründung:

Weder zu den Tatbestandsmerkmalen noch zur Strafdrohung zählt der in § 239 (1) (3) verwendete Begriff ". Ein Verhalten, das sämtliche Tatbestandsmerkmale eines strafrechtlichen Delikts erfüllt, bezeichnet man als tatbestandsmäßig. Kain erschlägt seinen Bruder Abel. Dieses Verhalten ist tatbestandsmäßig i.S.d. Totschlags (4) (§ 212 (1)), weil es sämtliche dieses Delikts erfüllt. Sie haben in dieser LE bisher drei wesentliche Begriffe des Strafrechts kennengelernt. Wir wollen sie noch einmal wiederholen: (5) Der Tatbestand ist die (bitte ergänzen!)

(6) Delikt bedeutet Tatbestand plus (7) Begriff / der weitere Begriff.

Daher ist Delikt der engere

Ein Verhalten, das sämtliche Tatbestandsmerkmale eines Delikts erfüllt, bezeichnen auch (8) Sie in Zukunft immer als

34

LE 3

Grundbegriffe 1

(1) „Wer / einen Menschen / einsperrt / oder auf andere Weise des Gebrauchs der persönlichen Freiheit beraubt". (2) Nein! Tatbestandsmerkmale sind nur solche Begriffe, aus denen sich der Tatbestand, d.h. die gesetzliche Beschreibung des strafrechtlich verbotenen Verhaltens zusammensetzt. Die Strafdrohung gehört nicht mehr zum Tatbestand (o.a.). (3) „widerrechtlich" (4) Tatbestandsmerkmale (5) Tatbestand ist die gesetzliche Beschreibung eines strafrechtlich verbotenen Verhaltens. (6) Strafdrohung (7) der weitere Begriff (8) tatbestandsmäßig

Wenden wir uns n u n d e m anderen Teil des Delikts, der S t r a f d r o h u n g zu. Bei schweren Delikten lautet die Strafdrohung stets auf Freiheitsstrafe (z.B. § 154 (1)), bei den meisten wahlweise auf Freiheits- oder Geldstrafe (z.B. § 3 0 3 (1)). (1)

Die Todesstrafe gibt es nicht mehr. Mithin ist die schwerste Strafe die Der Begriff „ S t r a f e " ist ausschließlich dem Strafrecht vorbehalten. Zwar werden auch in anderen Teilen der Rechtsordnung Rechtseinbußen an Freiheit u n d Vermögen angedroht. Aber solche Sanktionen sind keine Strafen. Der Gesetzgeber bezeichnet sie daher auch anders. Vorschriften, die andere Sanktionen androhen als Strafen, gehören nicht zum Strafrecht. Lesen Sie bitte § 70 (1) Satz 2 StPO! (Schönfelder Nr. 90).

(2)

In dieser Vorschrift werden Ordnungsgeld u n d angedroht, welcher (bitte ergänzen!)

(3)

Gehört § 70 (1) Satz 2 StPO zum Strafrecht? J a / Nein

h a f t demjenigen

Begründung:

J e d e r m a n n ist b e k a n n t , daß bei Zuwiderhandlungen im Straßenverkehr und im sonstigen Ordnungswidrigkeitsrecht Geldbußen angedroht w e r d e n . Vgl. § 17 (1) OWiG! (Schönfelder Nr. 94). Zu mitternächtlicher Stunde tritt der exzentrische Schauspieler Leonid Ras Putin auf den Balkon seines Appartements in Berlin-Dahlem und stimmt mit lauter Stimme „Kaiinka" an. Empörte Nachbarn rufen die Polizei.

(4)

Dieses Verhalten erfüllt § 117 (1) OWiG. Bitte lesen! Diese Vorschrift gehört aber nicht zum Strafrecht, weil § 1 1 7 ( 1 ) i.V.m. (2) OWiG keine sondern eine androht.

Ordnungsgeld, O r d n u n g s h a f t , Zwangsgeld, Zwangshaft, Geldbußen u.a. sind keine Strafen. Vorschriften, die derartige Rechtseinbußen androhen, gehören nicht (5) zum recht. Strafrecht ist vielmehr j e n e r Teil der Rechtsordnung, in welchem für die Verwirklichung bestimmter Tatbestände Strafen angedroht w e r d e n . Dieses Lernprogramm b e f a ß t sich ausschließlich mit d e m Strafrecht.

LE 3

Grandbegriffe 1 (1) (2) (3) (4)

35

die (lebenslange) Freiheitsstrafe Ordnungshaft; das Zeugnis oder die Eidesleistung ohne gesetzlichen Grund verweigert Nein! Ordnungsgeld und Ordnungshaft sind keine Strafen i.S.d. Strafrechts (o.a.)' Strafe; Geldbuße (5) Strafrecht

Die Definition des Strafrechts als jener Teil der Rechtsordnung, in welchem für die (1) Verwirklichung bestimmter St angedroht werden, beschränkt sich bewußt auf formale Aspekte. Der Weg zum Eigentlichen, zu Sinn u n d Zweck des Strafrechts führt über d e n Begriff des Rechtsguts. Zu jeder Zeit, in jedem Land u n d für jede Gesellschaftsform gibt es b e s t i m m t e allgemein anerkannte Werte, Einrichtungen u n d Zustände, deren Achtung u n d Schutz die Grundlage für ein geordnetes Zusammenleben der Menschen bildet. Nehmen wir als Beispiel für einen solchen Wert das menschliche Leben. Die A c h t u n g des Lebens gehört zu den allgemein a n e r k a n n t e n u n d u n a b d i n g b a r e n Voraussetzungen unserer Rechtsordnung. Unter allen Umständen n e h m e n der einzelne wie der Staat darauf Rücksicht, daß Menschenleben nicht aufs Spiel gesetzt, sondern geschont u n d nach K r ä f t e n erhalten werden. Weil uns das Menschenleben so viel gilt, fahren wir bei Fußgängerüberwegen, Schulen, Baustellen etc. besonders vorsichtig, ist die Geschwindigkeit innerhalb geschlossener Ortschaften auf 5 0 k m / h beschränkt, b a u t m a n sichere Straßen, Autos, Flugzeuge, bessere Krankenhäuser, werden Vorschriften z u m Schutze am Arbeitsplatz erlassen, n e u e Arzneimittel auf ihre Toxizität überprüft, unterstützt der Staat Menschen, die in Not geraten sind, protestieren wir, w e n n die Polizei wahllos auf D e m o n s t r a n t e n einschlägt oder gar schießt. Das Strafrecht trägt auf seine Weise in ganz besonderem Maße zum Schutze des Lebens (2) bei. Auf welche Weise?

Ein weiterer unabdingbarer u n d durch das Strafrecht geschützter Wert des geordneten menschlichen Zusammenlebens ist das Eigentum. Unser gesamtes Wirtschaftsleben, der Grundstücksverkehr, das Nachlaßwesen etc. beruhen darauf, d a ß „ m e i n " und „ d e i n " sorgfältig auseinandergehalten werden. Das wichtigste (3) strafrechtliche Delikt zum Schutze des Eigentums ist der (bitte § 242 (1) dazu lesen!)

Grundbegriffe 1

36

LE 3

(1) Tatbestände; Strafen

(2) Indem es Angriffe auf das Menschenleben z.B. als Totschlag unter Strafe stellt (o.a.) (3) Diebstahl Die Einschätzung, ob ein Wert, eine Einrichtung oder ein Zustand für das geordnete (1) menschliche Zusammenleben als u und daher als strafrechtlich schutzbedürftig gilt, ist selbst innerhalb ein und desselben Landes manchen Schwankungen unterworfen. Beispiel: Die Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung der UdSSR unterscheidet bekanntlich zwischen staatlichem und privatem Eigentum. Ursprüglich sehr nachsichtig gegenüber Angriffen auf das Eigentum hat die UdSSR erstmals im Jahre 1932 härtere Strafdrohungen zunächst gegen Angriffe auf staatliches Eigentum erlassen. 1947 — nach der wirtschaftlichen Konsolidierung der herrschenden Schicht — wurde schließlich das Privateigentum dem staatlichen Eigentum auch im Strafschutz gleichgestellt (Maurach). Kennen Sie aus der strafrechtlichen Diskussion Problembereiche, in denen die Frage nach der Änderung der bisherigen Wertvorstellungen im Strafrecht eine Rolle spielt oder gespielt hat? (2) Nennen Sie einen solchen Problembereich!

J e n e Werte, Einrichtungen und Zustände, die für das geordnete menschliche Zusammenleben unentbehrlich sind und eines Schutzes durch das Strafrecht bedürfen, bezeichnet man als Rechtsgüter. Diese Definition des Rechtsguts sollten Sie sich gut einprägen! Neben dem Leben und dem Eigentum werden als Rechtsgüter die körperliche Integrität, die Ehre, die Privatsphäre, aber auch der Bestand des Staates, die Rechtspflege, die Unkäuflichkeit öffentlicher Ämter, die freie geschlechtliche Selbstbestimmung, die Sicherheit des Straßenverkehrs, das Institut der Einehe etc. angesehen. (3) Lesen Sie bitte § 239 (1)! Die Freiheit ist ebenfalls ein solches — Denn sie gehört zu jenen Werten, Einrichtungen u n d Zuständen, die (4) für das unentbehrlich sind und eines Schutzes durch das b

LE 3

Grundbegriffe 1

37

(1) unentbehrlich (o.ä.) (2) Forderung nach „Freigabe" der Abtreibung (insbesondere im Sinne einer „Fristenlösung"); Freigabe der Unzucht zwischen Männern (vgl. nunmehr § 175 (1)); Aufhebung der Strafbarkeit des „Ehebruchs" (seit 1969) (3) Rechtsgut (4) geordnete menschliche Zusammenleben; Strafrecht bedürfen Schon das Wort Rechts-gut d e u t e t b e s t i m m t e Grenzen dieses Begriffs an. Zunächst impliziert der Begriff R e c h t s - „ g u t " , daß es sich stets u m etwas von der Rechtsordnung als wertvoll Angesehenes handeln m u ß . Einrichtungen u n d Zustände, denen die Rechtsordnung gleichgültig oder gar ablehnend gegenübersteht, sind strafrechdich weder (1) geschützt noch schutzbedürftig. Sie k ö n n e n daher / können daher nicht den Rang eines Rechtsguts erreichen. „Rechts"-gut b e d e u t e t weiterhin, daß nur solche Werte, Zustände u n d Einrichtungen gemeint sind, welche der Ebene des Rechts angehören. Was allein zur gesellschaftlichen Konvention, z u m allgemeinen Anstand, zur Moral oder zur Ethik zählt, bedarf keines (2) strafrechtlichen Schutzes u n d ist daher ein Rechtsgut / kein Rechtsgut. So werden etwa Verstöße gegen Tisch-, Gruß-, Anrede- u n d sonstige Umgangsformen, gegen die Berufsetikette, gegen Bekleidungsusancen (z.B. bei Feierlichkeiten), gegen die Höflichkeit im Umgang mit d e m anderen Geschlecht v o m Strafrecht im allgemeinen weder erfaßt noch geahndet. Was halten Sie von der Rechtsgutsqualität von „ P ü n k d i c h k e i t " , „ A u f r i c h t i g k e i t " und (3) „taktvollem B e n e h m e n " ?

Schließlich b e d e u t e t Rechtsgut, daß es sich u m bestimmbare, fest umrissene Werte etc. handeln m u ß . „Treu und G l a u b e n " u n d das „gesunde V o l k s e m p f i n d e n " sind zu unbestimmt, u m als Rechtsgüter gelten zu k ö n n e n . (4) Rechtsgüter sind strafrechtlich schutzbedürftige Werte, Einrichtungen u n d Zustände, (bitte ergänzen!)

(5) Nennen Sie mindestens vier Rechtsgüter!

38

Grundbegriffe 1

LE 3

(1) können daher nicht (2) kein Rechtsgut (3) „Pünktlichkeit", „Aufrichtigkeit" und „taktvolles Benehmen" sind keine Werte, welche der Ebene des Rechts angehören und daher auch keine Rechtsgüter (o.a.)' (4) die für das geordnete menschliche Zusammenleben unentbehrlich sind (5) Zu den Rechtsgütern zählen etwa Leben, körperliche Integrität, Freiheit, Ehre, Eigentum und Vermögen, der Bestand des Staates, die Unkäuflichkeit öffentlicher Amter, die freie geschlechtliche Selbstbestimmung, die Sicherheit des Straßenverkehrs, das Institut der Einehe.

V o m Begriff des Rechtsguts ist jener des Tatobjekts streng zu unterscheiden. A fährt aus Mutwillen beschädigung (§ 303

den PKW des B zu Schrott. (1)).

Er begeht damit das Delikt der Sach-

Die Tat des A richtet sich zwar gegen das Rechtsgut des Eigentums. Der demolierte PKW (1) des B ist aber nicht selbst das Man bezeichnet ihn vielmehr als „ T a t o b j e k t " oder „ A n g r i f f s o b j e k t " . Tatobjekt (=Angriffsobjekt) ist der Gegenstand, an dem sich der Angriff auf ein geschütztes Rechtsgut in concreto auswirkt. (2) Die Begriffe „ T a t o b j e k t " u n d „ R e c h t s g u t " sind identisch / nicht identisch. D e n n Rechtsgut ist stets ein ideeller Wert. Mag auch das Tatobjekt („PKW") beschädigt (3) oder zerstört w o r d e n sein, als dahinterstehender Wert k a n n das Rechtsgut („Eigentum") d u r c h eine Tat überhaupt nie im körperlichen Sinne „zerstört", „beschädigt", „verletzt" oder „gefährdet", sondern höchstens im weiteren Sinn „beeint r ä c h t i g t " werden. In der Meinung, ein knuspriges Brathendl zu erhalten, bestellt der Bayer Matthias Mooshammer (M) beim „Früh" in Köln einen „Halven Hahn". Als ihm der „Köbes" das Bestellte serviert, nämlich ein „Röggelchen mit Käs", wird M „fuxteifiswuid". Er glaubt, der Kellner wolle ihn foppen, und versetzt ihm im ersten Zorn einen Schlag ins Gesicht. Ein glatter Fall einer Körperverletzung (§ 223 (1)). (4) „ V e r l e t z t " ist das Rechtsgut / das Tatobjekt „Mensch" (=„ein a n d e r e r " i.S.d. § 2 2 3 (1)). Ideell gesehen richtet sich die Tat gegen das Rechtsgut der körperlichen Integrität. In diesem Sinne ist durch die Tat des M das Rechtsgut der körperlichen Integrität „beeint r ä c h t i g t " worden. Wenn im Lernprogramm v o n „Rechtsgutsbeeinträchtigung" gesprochen wird, so ist dam i t stets nur gemeint, daß der Angriff ideell gegen ein bestimmtes Rechtsgut gerichtet (5) ist. Gefährdet oder verletzt werden kann aber immer nur das nie das (dahinterstehende) (6) Definieren Sie Tatobjekt!

LE 3

Grundbegriffe 1

39

(1) Rechtsgut (2) nicht identisch (3) ideeller (4) das Tatobjekt (5) Tatobjekt; Rechtsgut (6) Tatobjekt ist der Gegenstand, an dem sich der Angriff auf ein bestimmtes Rechtsgut in concreto auswirkt.

ZUSAMMENFASSUNG A Definitionen Tatbestand ist die gesetzliche Beschreibung eines strafrechtlich verbotenen Verhaltens. (Diese Definition ist im übrigen vorläufig. Sie wird in L E 5 noch präzisiert werden.) Tatbestandsmerkmale sind alle Merkmale, aus denen sich der Tatbestand eines Delikts zusammensetzt. Ein Verhalten, das sämtliche Tatbestandsmerkmale eines Delikts erfüllt, nennt man tatbestandsmäßig. Bei manchen Delikten stellt das StGB nicht — wie i.d.R. — positiv auf das Vorliegen bestimmter Tatbestandsmerkmale ab, sondern auf deren NichtVorliegen. So verlangt eine Reihe von Delikten ein Handeln ohne oder gegen den Willen des Verletzten. Wird die Handlung mit Einwilligung des Berechtigten vorgenommen, entfällt mithin der Tatbestand. Beispiel: Wer mit dem Moped seines Freundes fahren darf, erfüllt schon deshalb nicht den Tatbestand des §248b (1); vgl. weiter §237. Delikt ( = strafbare Handlung) ist die gesetzliche Beschreibung eines strafrechtlich verbotenen Verhaltens einschließlich der Strafdrohung. Kurzformel: Delikt = Tatbestand + Strafdrohung. Nach A r t und H ö h e der Strafdrohung teilt man die Delikte in Verbrechen und Vergehen ein; vgl. § 12. Als Verbrechen werden alle Delikte bezeichnet, die im Mindestmaß mit einer Freiheitsstrafe von einem Jahr oder darüber bedroht sind (§12 (1)). Beispiele: Totschlag (§212 (1)); Meineid (§154 (1)); Geldfälschung (§146 (1)); Vergewaltigung (§177 (1)). Als Vergehen bezeichnet man jene Delikte, die im Mindestmaß mit einer geringeren Freiheitsstrafe oder mit Geldstrafe bedroht sind (§12 (2)). Zu dieser Gruppe gehören die weitaus meisten Delikte des S t G B . Beispiele: Beleidigung (§185); Körperverletzung (§223 (1)); Freiheitsberaubung (§239 (1)); Nötigung (§240 (1)); Diebstahl (§242 (1)); Betrug (§263 (1)). Wichtig! Im allgemeinen gelten die Vorschriften des StGB für Vergehen und Verbrechen gleichermaßen. Gelegentlich differenziert das StGB aber ausdrücklich zwischen beiden Deliktsarten; vgl. §§23 (1), 30, 45 (1), 241 ¡dasselbe gilt für die StPO; vgl. etwa §§ 140 (1) Z 2, 153, 153a StPO. Rechtsgüter sind strafrechtlich geschützte Werte, Einrichtungen und Zustände, die f ü r das geordnete menschliche Zusammenleben unentbehrlich sind. Diese Definition müssen Sie sich einprägen! Das R e c h t s g u t bezeichnet den hinter einem bestimmten Delikt stehenden ideellen Wert. Der Begriff Rechtsgut geht auf Birnbaum (1832) zurück. Der Rechtsgutgedanke ist ein Produkt des Frühliberalismus. Er gehört trotz mancher Anfeindungen heute mehr denn je zu den unverrückbaren Eckpfeilern des strafrechtlichen Lehrgebäudes. Dazu später LE 4. Man unterscheidet R e c h t s g ü t e r des einzelnen ( = Individualrechtsgüter) und Rechtsgüter der Allgemeinheit ( = Universalrechtsgüter). Rechtsgüter des einzelnen sind etwa Leben, Freiheit, körperliche Integrität, Ehre, Vermögen, Eigentum, Privatsphäre. Zu den Rechtsgütern der Allgemeinheit zählen etwa Rechtspflege, Sicherheit des Straßenverkehrs, Institut der Einehe u.ä.

40

Grundbegriffe 1

LE 3

B Rechtsgut und Tatobjekt Das „Rechtsgut" darf nicht mit dem „Tatobjekt" verwechselt oder gar identifiziert werden. Während Rechtsgut den hinter einem bestimmten Delikt stehenden ideellen Wert bezeichnet, ist Tatobjekt ( = Angriffsobjekt) der Gegenstand, an dem sich der Angriff auf das geschützte Rechtsgut in concreto auswirkt. Gegenüberstellung

§

Bezeichnung des Delikts

Rechtsgut

Tatobjekt

§242

Diebstahl

Eigentum

„Sache"

§217

Kindestötung

Leben

„nichtehel. Kind"

§177

Vergewaltigung

freie geschlechtliche Selbstbestimmung

„Frau"

C Das Strafrecht Strafen werden nur im Strafrecht angedroht. Soweit Rechtseinbußen auch in anderen Teilen der Rechtsordnung angedroht werden, bezeichnet das Gesetz sie nicht als Strafen. Im Ordnungswidrigkeitenrecht (z.B. im Straßenverkehrsrecht) können erhebliche Vermögenseinbußen auferlegt werden. Diese Sanktionen bezeichnet das OWiG aber nicht als Strafen, sondern als Geldbußen. In anderen Gesetzen finden sich als Sanktionen Ordnungsgeld und Ordnungshaft; vgl. z.B. §§ 51 (1), 70(1), 77StPO; §§ 177f GVG (Schönfelder Nr. 95); §§ 141 (3) Satz 1, 380(1), 390 (1), 409 (1) ZPO (SchönfelderNr. 100); Zwangsgeld und Zwangshaft; vgl. z.B. §888 (1) ZPO. Ordnungsgeld und Ordnungshaft, Zwangsgeld und Zwangshaft, die Geldbußen des OWiG u.ä. sind keine Strafen. Strafrecht ist jener Teil der Rechtsordnung, in welchem für die Verwirklichung bestimmter Tatbestände Strafen angedroht werden. Das Herzstück des Strafrechts ist das StGB. Es enthält in seinem Allgemeinen Teil (§§ 1—79b) die grundlegenden Bestimmungen über die Strafbarkeit der Delikte im allgemeinen und ihre Rechtsfolgen. D e r Besondere Teil (§§ 80—358) besteht im wesentlichen aus einem umfangreichen Katalog der traditionellen strafrechtlichen Delikte. Aber auch außerhalb des S t G B werden in anderen Gesetzen für die Verwirklichung bestimmter Tatbestände Strafen angedroht; z . B . §§ 399 bis 404 AktG (Schönfelder N r . 51); §§ 82 und 84f. G m b H G (Schönfelder Nr. 52); §§ 21ff. S t V G (Schönfelder Nr. 35). Man faßt die — überaus zahlreichen — außerhalb des S t G B geregelten Delikte unter der Bezeichnung Nebenstrafrecht zusammen. Das Lernprogramm nimmt seine Beispiele fast ausschließlich aus dem S t G B . Seine Ausführungen haben aber auch für die Delikte des Nebenstrafrechts Gültigkeit.

Weiterführendes Schrifttum: Zu den Begriffen Rechtsgut und Tatobjekt vgl.Jescheck AT §26 11—4; Maurach/ Zipf AT I §19 RN 4—16.

TE 3

Testfragen zur LE 3

41

2.1

Lesen Sie § 303 (1)! Wie lautet der Tatbestand der „Sachbeschädigung"?

2.2

Lesen Sie § 222! Wie lautet die Strafdrohung der „Fahrlässigen Tötung"?

1.1

Definieren Sie „Tatbestand"!

2.3

Trennen Sie die einzelnen Tatbestandsmerkmale des Diebstahls (§ 242 (1)) durch einen senkrechten Strich! Der Tatbestand lautet (der Vereinfachung wegen etwas umgestellt): „Wer eine fremde bewegliche Sache einem anderen wegnimmt in der Absicht, dieselbe sich rechtswidrig zuzueignen."

1.2

Definieren Sie „Delikt"! (Kurzformel reicht)

1.3

Wie bezeichnet man mit einem Wort ein Verhalten, das sämtliche Tatbestandsmerkmale eines Delikts erfüllt?

1.4

„Strafrecht" ist jener Teil der Rechtsordnung, in welchem (bitte ergänzen!)

2.4

Sie haben wegen Nichtbeachtung des Überholverbots Nr. 35 a)) 150 DM berappen müssen. Gehört dieser Vorgang dem Strafrecht an? J a / Nein Begründung:

(§ 5 (3) Z 2 StVO

(Schönfelder

Testfragen

42

TE 3

4.1

Bilden oder nennen Sie einen Fall, in dem anstelle oder neben einer Strafe eine Maßregel d.B.u.S. verhängt wird!

4.2

Welche Maßregel k o m m t in Ihrem Fall(4.1) in Betracht?

3.1

Definieren Sie „Strafe"! (Wenn Sie die Definition nicht mehr im Kopf haben, erinnern Sie sich daran, daß es auf die Voraussetzungen und die Wirkungen der Strafe ankommt!)

1.5

Definieren Sie „Rechtsgüter"!

2.5

Sind „Tatobjekt" und „Rechtsgut" dasselbe? J a / Nein Begründung:

2.6

Geben Sie bei den folgenden Delikten sowohl das Tatobjekt als auch das Rechtsgut an!



§§

Bezeichnung des Delikts

§ 239(1)

Freiheitsberaubung

§ 230

Fahrlässige Körperverletzung

§ 2 4 8 b (1)

Unbefugter Gebrauch eines Fahrzeuges

§ 185

Beleidigung

Tatobjekt

Rechtsgut

TE 3 2.7

Testfragen

43

Der Student S begegnet auf dem Heidelberger „Philosophenweg" dem Universitätsprofessor Dr. jur. Dr. phil. h.c. Wendelin Magnus L.L.M. (Harvard), umgeben von der Schar seiner Jünger. „Tagchen, Herr Magnus", grüßt er den ebenso berühmten wie eitlen Gelehrten. Eine Beleidigung gemäß § 185 liegt im Weglassen des Titels u n d d e m Gruß nur dann, w e n n d a d u r c h das Rechtsgut Ehre beeinträchtigt ist. T r i f f t dies Ihrer Meinung nach zu? J a / Nein Begründung:

1.6

Nach A r t und H ö h e der S t r a f d r o h u n g teilt m a n die Delikte ein in und (§ ). Delikte, die lebenslange Freiheitsstrafe androhen, z.B. Mord (§ 2 1 1 (1)) oder V ö l k e r m o r d (§ 2 2 0 a (1)), sind stets

2.8

2.9

Ordnen Sie b i t t e die folgenden Delikte zu!

§§

Bezeichnung des Delikts

§ 242 (1)

Diebstahl

§ 303 (1)

Sachbeschädigung

§ 222

Fahrlässige Tötung

§217(1)

Kindestötung

§ 224(1)

Schwere Körperverletzung

Verbrechen

Vergehen

Zwei Geisteskranke finden auf der Straße einen Kuhfladen. „Was is denn des?" fragt der eine den anderen. Der bückt sich, steckt den Finger hinein, schleckt ihn ab und sagt: „Guat, daß ma net einitretn san!" K o m m t für diesen Geistesgestörten Ihrer Meinung nach die A n o r d n u n g einer Maßregel d.B.u.S. in Betracht (z.B. Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus)? Versuchen Sie, diese Frage ausschließlich an Hand der Definition der Maßregel zu beantworten! J a / Nein Begründung:

44

Antworten

TE 3

2.1

„Wer eine fremde Sache beschädigt oder zerstört"

2.2

„Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder Geldstrafe"

1.1

Tatbestand ist die gesetzliche Beschreibung eines strafrechtlich verbotenen Verhaltens.

2.3

Wer eine fremde / bewegliche / Sache / wegnimmt / in der Absicht, dieselbe sich rechtswidrig zuzueignen.

1.2

Tatbestand + Strafdrohung

1.4

„Strafrecht" ist jener Teil der Rechtsordnung, in welchem für die Verwirklichung bestimmter Tatbestände Strafen angedroht werden (o.ä.).

1.3

Als „tatbestandsmäßig"

2.4

Nein! Die 150 DM sind nicht als Strafe, sondern als Geldbuße nach dem OWiG verhängt worden (o.ä.).

4.1

Z.B. ein Geisteskranker begeht einen Mord; mangels Schuld kommt überhaupt keine Strafe in Betracht. Ein Rauschgiftsüchtiger bricht in einer Apotheke ein. In diesem Fall reicht die bloße Bestrafung nicht aus. Letzteres gilt auch für Triebtäter und gefährliche Gewohnheitstäter.

4.2

Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus (Fall 1), in einer Entziehungsanstalt (Fall 2), in einer sozialtherapeutischen Anstalt (Fall 3) oder in der Sicherungsverwahrung (Fall 4).

3.1

„Strafe" ist ein mit Tadel verbundenes Obel, das wegen einer strafbaren Handlung (= wegen eines Delikts) von einem Strafgericht aufgrund und nach Maßgabe der Schuld des Täters verhängt wird.

1.5

Rechtsgüter sind strafrechtlich schutzbedürftige Werte, Einrichtungen und Zustände, die für das geordnete menschliche Zusammenleben unentbehrlich sind.

2.5

Nein! Tatobjekt ist der Gegenstand, an dem sich der Angriff auf ein geschütztes Rechtsgut in concreto auswirkt. Rechtsgut ist der hinter dem Tatobjekt stehende ideelle Wert (o.ä.).

§§

Bezeichnung des Delikts

Tatobjekt

Rechtsgut

§ 239 (1)

Freiheitsberaubung

„Mensch"

Freiheit

§ 230

Fahrlässige Körperverletzung

„ein anderer" (= Mensch)

Körperliche Integrität

§ 248b (1)

Unbefugter Gebrauch eines Fahrzeuges

„Kraftfahrzeug" oder „Fahrrad"

Eigentum

§ 185

Beleidigung

Mensch

Ehre

2.7

Nein! Selbst wenn man auch heute noch davon ausgeht, daß die Anrede mit dem Titel „zum guten Ton" gehört (zumindest in Süddeutschland), liegt im Weglassen des Titels allenfalls ein Verstoß gegen gesellschaftliche Konventionen (o.ä.). Natürlich sind gerade in diesem Bereich die Übergänge fließend. Hätte S auch die Anrede „Herr" weggelassen oder den Gelehrten gar geduzt („Hallo Wendelin!"), dürfte anders zu entscheiden und eine Beleidigung anzunehmen sein (anders wiederum im angelsächsischen Bereich).

1.6

Verbrechen und Vergehen (§ 12 (1) und (2)); Verbrechen

2.9

Verbrechen

Vergehen

§§

Bezeichnung des Delikts

§ 242 (1)

Diebstahl

X

§ 303 (1)

Sachbeschädigung

X

§ 222

Fahrlässige Tötung

X

§ 217(1)

Kindestötung

X

§ 224(1)

Schwere Körperverletzung

X

Nein! Es fehlt bereits an einer Anlaßtat („wegen einer strafbaren Handlung") o.a.

GRUNDBEGRIFFE 2

LE 4

45

L e r n z i e 1 : In dieser LE sollen Sie sich mit der „Aufgabe des Strafrechts" befassen. Sie werden in diesem Zusammenhang wichtige Verbindungen zwischen Rechtsgut, Delikt und Strafrecht kennenlernen. Neu kommen das Prinzip „nulla poena sine lege", das „Rückwirkungsverbot" und der Begriff des „Unrechts" hinzu. Zugleich wird in dieser LE die für die Lösung von Fällen so wichtige Subsumtionstechnik wiederholt und an Beispielen trainiert.

(1)

In der vorangegangenen LE wurde der Begriff des strafrechtlichen Delikts erläutert als (bitte ergänzen!)

Die Frage, welchen Zweck der Gesetzgeber mit seinen strafrechtlichen Delikten verfolgt, ist damit noch nicht beantwortet. Die Antwort hängt auf das engste mit dem Begriff des Rechtsguts und seiner Bedeutung für das geordnete menschliche Zusammenleben zusammen. (2) Definieren Sie „Rechtsgüter"!

(3) Rechtsgut beim Diebstahl ist das das

bei den Tötungsdelikten , bei der Vergewaltigung die

Anders ausgedrückt: Der Gesetzgeber stellt den Diebstahl unter Strafe, um das Eigentum zu sichern, den Mord, um das Leben zu schützen, die Vergewaltigung, um dem Rechtsgut der freien geschlechtlichen Selbstbestimmung Schutz zu gewähren. Aufgabe jedes einzelnen strafrechtlichen Delikts ist somit der Schutz eines bestimmten (4)

Wenn jedes strafrechtliche Delikt die Aufgabe hat, ein bestimmtes Rechtsgut zu schützen, so besteht die Funktion des Strafrechts insgesamt im Schutz von Rechtsgütern. Der Schutz von Rechtsgütern ist der Zweck des Strafrechts.

46

Grundbegriffe 2

LE 4

(1) gesetzliche Beschreibung eines strafrechtlich verbotenen Verhaltens plus Strafdrohung (2) Rechtsgüter sind strafrechtlich schutzbedürftige Werte, Einrichtungen und Zustände, die für das geordnete menschliche Zusammenleben unentbehrlich sind. (3) Eigentum; Leben; freie geschlechtliche Selbstbestimmung (4) Rechtsguts Zwischen d e m Begriff des Rechtsguts u n d den einzelnen Delikten bestehen vielfältige Beziehungen. Diese Beziehungen wollen wir im folgenden näher betrachten. Die einzelnen Delikte sind eine zuverlässige Erkenntnishilfe, o b b e s t i m m t e Werte, Einrichtungen u n d Zustände des geordneten menschlichen Zusammenlebens vom Strafge(1) setz überhaupt als Rechtsgüter / Tatobjekte anerkannt sind. N e h m e n wir z.B. ein nicht ganz alltägliches Delikt, die „ D o p p e l e h e " . Aus der Tatsache, daß der Gesetzgeber in § 171 die Doppelehe u n t e r Strafe stellt, ergibt sich, daß er das (2) Institut der zu den schutzwürdigen Rechtsgütern zählt. Ein verwandtes Delikt war der „ E h e b r u c h " (§ 172 a.F.). Dieses Verbot bezweckte den Strafschutz der ehelichen Treue. Dieses Delikt ist im J a h r e 1969 durch das 1. S t r R G aufgehoben w o r d e n . Das b e d e u t e t : Die eheliche Treue w i r d v o m Strafgesetzgeber als (3) schutzwürdiges Rechtsgut / nicht mehr als schutzwürdiges Rechtsgut angesehen. Aus d e n Delikten ergeben sich weiterhin Anhaltspunkte für den Rang der einzelnen Rechtsgüter. Maßgebend hierfür sind insbesondere Art u n d H ö h e der S t r a f d r o h u n g . Vergleichen Sie die S t r a f d r o h u n g z u m Schutz des Lebens (z.B. § 212 (1)) mit jener zum Schutz der körperlichen Integrität (§ 2 2 3 (1))! (4) Welches dieser beiden Rechtsgüter betrachtet das Gesetz als höherwertig?

Schließlich bildet das Rechtsgut Maßstab u n d Grenze für die Auslegung des jeweiligen Delikts u n d seiner einzelnen Tatbestandsmerkmale. Beispiel: Der Schausteller Jonathan (]) erschießt den Rassehund des Maklers Seraphim (S). Wir wollen überlegen, ob J das Delikt der Sachbeschädigung begangen hat. Bitte lesen Sie §303 (1)! Bei der Subsumtion treten zwei Probleme auf: Einmal, ob der „ R a s s e h u n d " u n t e r das (5) Tatbestandsmerkmal " subsumiert werden kann; z u m anderen, o b das „Erschießen" des Hundes ein „ Z e r s t ö r e n " im Sinne des § 3 0 3 (1) ist. Beide Tatbestands(6) merkmale bedürfen daher zunächst der

LE 4

Grundbegriffe 2 (1) Rechtsgüter (2) (Ein)ehe (5) „Sache" (6) Auslegung

47

(3) nicht mehr als schutzwürdiges Rechtsgut

(4) Das Leben

(1) Die Auslegung des Begriffs „Sache" hängt maßgeblich vom

des

§ 303 (1) ab. Rechtsgut dieses Delikts ist das Eigentum. Eigentum aber kann immer nur an „körperlichen Gegenständen" begründet werden. Damit liegen Richtung und Maßstab der Auslegung der „Sache" fest: „Sache" i.S.d. § 303 (1) sind alle körperlichen Gegenstände (= Definition). (2) Der Rassehund des S erfüllt / erfüllt nicht diesen Sachbegriff. (3) Damit haben Sie die merkmal „Sache" vollzogen.

des Sachverhalts unter das Tatbestands-

J e t z t wollen wir etwas ausführlicher, aber mit derselben Technik das zweite Problem dieses Falles bewältigen.

(4)

Problem: Erfüllt das Erschießen des fremden Hundes (= „Sache") den Begriff des "i.S.d. § 303 (1)?

Auslegung: Auslegungsmaßstab des „Zerstörens" ist ebenfalls das durch § 303 (1) (5) geschützte Rechtsgut, nämlich das Es soll auch vor solchen Funktionsminderungen geschützt werden, die über bloße „Beschädigungen" hinausgehen. Der Begriff „Zerstören" im § 303 (1) ist daher so auszulegen, daß er alle Handlungen erfaßt, welche die bestimmungsgemäße Brauchbarkeit einer Sache völlig aufheben. Definition: „Zerstören" i.S.d. ,§ 303 (1) ist jede Handlung, welche die bestimmungsge(6) mäße Brauchbarkeit einer Sache (bitte ergänzen!)

(7) Subsumtion des Erschießens unter diese des „Zerstörens": Das Erschießen eines Hundes fällt unter das „Zerstören" einer fremden Sache, weil (bitte (8) selbst subsumieren!)

Auslegung eines Tatbestandsmerkmals anhand des Rechtsguts

Definition

Subsumtion

Halten wir fest! Der Begriff des Rechtsguts ist von grundlegender Bedeutung für das ganze Strafrecht. (9) Der Zweck des Strafrechts besteht (bitte ergänzen!)

Außerdem richtet sich die Auslegung der strafrechtlichen Delikte und ihrer einzelnen Tatbestandsmerkmale in erster Linie nach dem geschützten Rechtsgut.

48

Grundbegriffe 2 (1) (6) (8) (9)

LE 4

Rechtsgut (2) erfüllt (3) Subsumtion (4) „Zerstörens" (5) Eigentum völlig aufhebt (7) Definition dadurch die bestimmungsgemäße Brauchbarkeit des Hundes völlig aufgehoben wird (o.a.) im Schutz der (anerkannten) Rechtsgüter (o.a.)

Um das Privatleben einer Filmdiva (F) für eine „Story " auszukundschaften, hatte der Reporter eines Skandalblattes (R) im Jahre 1965 u.a. mit Hilfe eines Minispions (sog. „Wanze") die Gespräche abgehört, die in der Wohnung seines „Opfers"geführt wurden. Halten Sie es für wünschenswert, d a ß R wegen dieses Abhörens bestraft wird? (1) J a / Nein

Begründung:

Eine Strafe kann nur wegen eines Verhaltens verhängt werden, das strafbar ist. Strafbar ist aber nur ein solches Verhalten, das durch ein Strafgesetz ausdrücklich für strafbar erklärt worden ist. Das ist der eigentliche Sinn des § 1 1. Halbsatz. (Bitte lesen!) Demgemäß m a c h t § 1 1. Halbsatz die Bestrafung einer Tat davon abhängig, daß ihre „Straf(2) barkeit b e s t i m m t " ist. Lesen Sie n u n m e h r das Delikt der „Verletzung der Vertraulichkeit des W o r t e s " in § 201 (2)!

(3)

Das A b h ö r e n der Gespräche der F durch R mit Hilfe eines Minispions erfüllt / erfüllt nicht den Tatbestand des § 2 0 1 (2). Dieses Delikt gibt es aber erst seit 1967.

Somit war im J a h r e 1965 die Tat des R strafbar / nicht strafbar, weil (bitte mit den Wor(4) ten des § 1 1 . Halbsatz begründen!)

§ 1 1 . Halbsatz enthält ein fundamentales Rechtsprinzip. Es wird meist so formuliert, wie es die Überschrift des § 1 z u m Ausdruck bringt. (5) Keine Strafe Seine ebenso b e k a n n t e lateinische Formel lautet: Nulla p o e n a sine lege. (6)

Dieser Erweiterung / Einschränkung der staatlichen Strafbefugnis mißt der Gesetzgeber eine so überragende Bedeutung bei, daß er den Satz n p in § 1 b e w u ß t an die Spitze des StGB gestellt und durch Art 103 (2) GG (Schönfelder Nr. 1) sogar mit Verfassungsrang ausgestattet hat.

Welchen Inhalt h a t der Satz nulla poena sine lege? Beantworten Sie diese Frage a n h a n d (7) des § 1 1 . Halbsatz und so genau wie möglich!

Grundbegriffe 2

LE 4

49

(1) Diese Frage können Sie m i t , j a " oder „nein" beantworten. Ich meine, daß die Ausforschung der Privatsphäre mit den überlegenen Mitteln der modernen Technik auf jeden Fall Strafe verdient. (2) gesetzlich (3) erfüllt (4) nicht strafbar, weil die Strafbarkeit der Verletzung der Vertraulichkeit des Wortes im Jahre 1965 noch nicht gesetzlich bestimmt war (o.a.) (5) Keine Strafe ohne Gesetz. (6) Einschränkung; nulla poena sine lege (7) Eine Tat kann nur bestraft werden, wenn ihre Strafbarkeit gesetzlich bestimmt ist.

§ 1 enthält noch eine weitere, zusätzliche Einschränkung der staatlichen Strafbefugnis. § 1 2. Halbsatz bitte genau lesen! Diese zusätzliche Begrenzung der staatlichen Strafgewalt besteht darin, daß die Straf(1) drohung vor Begehung der Tat / nach Begehung der Tat erlassen w o r d e n sein m u ß . Anders ausgedrückt: Einer S t r a f d r o h u n g darf weder durch den Gesetzgeber n o c h durch d e n Richter rückwirkende K r a f t beigelegt werden. Diese Einschränkung der staatlichen Strafbefugnis bezeichnet man als Riickwirkungsverbot. Das Delikt der „Verletzung der Vertraulichkeit des Wortes" ist erst durch Gesetz vom 22.12.1967 eingeführt w o r d e n . K o n n t e R nach dem 2 2 . 1 2 . 1 9 6 7 wegen der im J a h r e 1965 begangenen Tat bestraft werden? (2) J a / Nein

Begründung:

Das Rückwirkungsverbot des § 1 2. Halbsatz dient der Absicherung des Satzes nulla p o e n a sine lege. Denn wer a u f g r u n d eines rückwirkend erlassenen Strafgesetzes bestraft wird, würde, f o r m a l gesehen, a u f g r u n d einer ausdrücklichen gesetzlichen Strafdrohung bestraft. (3)

Ein Verstoß gegen § 1 1 . Halbsatz läge daher vor / läge daher nicht vor. Aber auf den Z e i t p u n k t der Tat bezogen, gab es eben noch keine „ l e x " , nach der sich der „ T ä t e r " h ä t t e richten können. I h n im Nachhinein zu bestrafen, wäre in höchstem Maße ungerecht. Das Rückwirkungsverbot gehört ebenfalls zu d e n tragenden Prinzipien des rechtsstaatlichen Strafrechts. Es b e r u h t auf derselben Grundidee wie der Satz nulla p o e n a sine lege, d.h. auf der Idee der Rechtssicherheit: Für j e d e r m a n n soll feststehen u n d erkennbar sein, was strafbar ist.

(4)

Und das ist n u r der Fall, wenn (bitte ergänzen!) 1. bevor 2. (Tip: eventuell noch einmal § 1 1 . Halbsatz u n d § 1 2. Halbsatz lesen!)

Grundbegriffe 2

50

LE 4

(1) vor Begehung der Tat (2) Nein! Zwar ist das Verhalten des R nunmehr durch ausdrückliche Gesetzesvorschrift unter Strafe gestellt. Aber dieses Gesetz ist erst nach Begehung der Tat in Kraft getreten. Daher darf R nicht bestraft werden (o.a.). (3) läge daher nicht vor (4) 1. die Strafbarkeit der Tat gesetzlich bestimmt war, 2. bevor die Tat begangen wurde

Nun zu einem anderen elementaren Begriff, dem Unrecht! Der juristische Begriff „ U n r e c h t " ist enger als der des allgemeinen Sprachgebrauchs. Unrecht (bzw. unrecht) im juristischen Sinne ist stets ein negatives Werturteil über eine menschliche Handlung. Der Dackel Fifi zwackt

den Briefträger Po Idi heftig in die Wade.

Hat Fifi Unrecht getan? (1) J a I Nein Begründung:

Im Gegensatz zum allgemeinen Sprachgebrauch unterscheidet der J u r i s t streng zwischen „ u n r e c h t " u n d „unrichtig". Unrichtig ist, was mit der Wirklichkeit nicht übereinstimmt. (2)

Die Behauptung, Poldi habe den Fifi gebissen, ist unrecht / unrichtig, weil (bitte ergänzen!)

Maßstab des Unrechts ist stets das Recht selbst, die R e c h t s o r d n u n g als Ganzes betrachtet. Das steckt schon im Begriff Un-„Recht". (3)

Halten wir fest! Unrecht ist ein negatives W

(4)

Gegenstand dieses Werturteils sind stets menschliche

Maßstab dieses

Werturteils ist die R e c h t s o r d n u n g als Ganzes. Daraus ergibt sich die folgende Definition des Unrechts: Unrecht ist eine Handlung, die gegen die R e c h t s o r d n u n g als Ganzes verstößt. A stiehlt. B schlägt eine fremde

Fensterscheibe

ein. C notzüchtigt

einen

Teenager.

Alle diese Handlungen verstoßen gegen strafrechtliche Verbote. (5) A verstößt gegen das Verbot des § 242 (1); B gegen das Verbot des § u n d C gegen das V e r b o t des § 177 (1). Alle diese Handlungen verstoßen zugleich gegen die Rechtsord(6) nung als Ganzes. Sie sind daher sämtlich

Grundbegriffe 2

LE 4

51

(1) Nein! Unrecht im juristischen Sinn kann immer nur eine menschliche Handlung sein (o.ä.). (2) unrichtig, weil sie nicht mit der Wirklichkeit übereinstimmt (o.ä.) (3) Werturteil (4) Handlungen (5) § 303 (1) (6) Unrecht Es wäre aber voreilig u n d verfehlt, den Verstoß gegen ein strafrechtliches V e r b o t mit d e m Verstoß gegen die Rechtsordnung gleichzusetzen. Nicht jeder Verstoß gegen ein strafrechtliches Verbot ist zugleich ein Verstoß gegen die Rechtsordnung als Ganzes. (1) Nicht jeder Verstoß gegen ein strafrechtliches V e r b o t ist daher Beispiel 1: A erschießt

den Gewalttäter

B in berechtigter

Ausübung

von

Notwehr.

Ohne Zweifel hat A gegen das Verbot des § 212 (1) verstoßen. Denn er hat einen Menschen getötet (212 (1) bitte lesen!). Aber durch § 32 (1) (bitte lesen!) billigt das Gesetz ausdrücklich einen solchen Verstoß gegen ein strafrechtliches Verbot, wenn er in N o t w e h r geschieht. Eine Handlung, die (2) vom Gesetz selbst — aus welchen Gründen auch immer — gebilligt wird, verstößt / verstößt nicht gegen die Rechtsordnung als Ganzes. Die T ö t u n g des Gewillttäters B durch A b e d e u t e t zwar einen Verstoß gegen das straf(3) rechtliche V e r b o t des § 212 (1), aber keinen Verstoß gegen die

(4) Eine solche Handlung ist daher Unrecht / kein Unrecht. Beispiel 2: V versetzt seinem frechen

Sohn eine schallende

Ohrfeige.

Auf der einen Seite steht das Verbot der körperlichen Mißhandlung (§ 223 (1)). Auf der anderen Seite steht § 1631 (1) BGB (Schönfelder Nr. 20). Bitte lesen! Das Recht, „das Kind zu erziehen", schließt auch das Recht ein, es zu züchtigen. Als Vater steht V ein solches Züchtigungsrecht zu. Seine Handlung hält sich in d e n Grenzen dieses Rechts. (5) V hat gegen das strafrechtliche Verbot des § 2 2 3 (1) verstoßen / nicht verstoßen. (6) Seine Handlung wird jedoch durch § 1631 (1) BGB gebilligt / nicht gebilligt. (7) Sie ist daher Unrecht / kein Unrecht, weil sie (bitte ergänzen!)

52

Grundbegriffe 2

LE 4

(1) Unrecht (2) verstößt nicht ( 3 ) Rechtsordnung als Ganzes (4) kein Unrecht (5) verstoßen (6) gebilligt (7) kein Unrecht, weil sie nicht gegen die Rechtsordnung als Ganzes verstößt (o.ä.)

(1) Definieren Sie Unrecht!

Der Begriff des Unrechts hat zwei bedeutsame Eigenschaften. Er ist nach Rechtsgebieten spezifizierbar: Neben dem spezifisch strafrechtlichen Unrecht (z.B. Diebstahl, Totschlag, Betrug) gibt es spezifisch zivilrechtliches Unrecht: Der Käufer bezahlt die Ware nicht. Es gibt spezifisch verwaltungsrechtliches Unrecht: Jemand baut ein Haus mit drei Stockwerken, obwohl von der Baubehörde nur zwei Stockwerke genehmigt worden sind. Es gibt auch spezifisch arbeitsrechtliches, spezifisch völkerrechtliches Unrecht etc. Weder die Säumnis des Käufers noch die Eigenmacht des Bauherrn erfüllt ein strafrecht(2) liches Delikt. Es handelt sich daher nicht um strafrechtliches Unrecht. Wenn im Lernprogramm ohne weiteren Zusatz von „Unrecht" gesprochen wird, so ist (3) damit stets das spezifisch zivilrechtliche / verwaltungsrechtliche / völkerrechtliche / strafrechtliche Unrecht gemeint. Der Begriff des Unrechts läßt weiterhin Abstufungen zu. Das Unrecht ist nach seiner Schwere quantifizierbar: Nicht alle Verstöße gegen die Rechtsordnung wiegen gleich schwer. Wer einen Luxus(4) wagen stiehlt, begeht einen schwereren Verstoß / weniger schweren Verstoß gegen die Rechtsordnung als derjenige, der eine Schallplatte „mitgehen" läßt. (5) Wer einem anderen einen Zahn ausschlägt (= § 223 (1)), lädt mehr Unrecht / weniger Unrecht auf sich als derjenige, der sein Opfer zum Krüppel prügelt (= § 224 (1)). Der Strafgesetzgeber berücksichtigt die Schwere des Unrechts dadurch, daß er (bitte (6) ergänzen, indem Sie hierzu § 223 (1) mit § 224 (1) vergleichen!)

(7)

Der Strafrichter berücksichtigt die Schwere des Unrechts, indem er höhere Strafen / niedrigere Strafen verhängt.

LE 4

Grundbegriffe 2 (1) (2) (6) (7)

53

Unrecht ist eine Handlung, die gegen die Rechtsordnung als Ganzes verstößt. spezifisch (3) spezifisch strafrechtliche (4) schwereren Verstoß (5) weniger Unrecht unterschiedliche Tatbestände bildet und unterschiedliche Strafdrohungen festsetzt (o.a.) höhere Strafen

ZUSAMMENFASSUNG A Die Aufgabe des Strafrechts Die Aufgabe des Strafrechts besteht im Schutz von Rechtsgütern. Die strafrechtlichen Delikte bilden eine Art von „Rechtsgüterkatalog". Aus ihnen ergibt sich, welche Werte, Einrichtungen und Zustände des geordneten menschlichen Zusammenlebens zu den anerkannten Rechtsgütern zählen. Außerdem geben Art und Höhe der Strafdrohung Aufschluß über den Rang der einzelnen Rechtsgüter. An der Spitze der gesetzlichen Rechtsgüterskala stehen das menschliche Lehen, die körperliche Integrität und die Freiheit. Das Vermögen wird vom StGB in manchen Bereichen überbewertet; vgl. etwa die Strafdrohungen der §§ 216, 217 mit jenen der §§ 242 (1) und 263 (1).

Dem Rechtsgüterschutz gebührt der Primat. Dieser Ansatz entspricht der klassischen Strafrechtsauffassung (v. Liszt, Beling, Rittler). Anders die sozialethische Strafrechtsauffassung (Welzel). Sie betont und überspitzt die sozialpädagogische Komponente des Strafrechts und erblickt seine primäre Aufgabe in der Bestrafung des betätigten Abfalls von den Grundwerten rechtlicher Haltung und Gesinnung; sog. Lehre vom personalen Unrecht. Mit ihrem Absolutheitsanspruch hat sich diese Lehre weder in Deutschland noch in Osterreich oder in der Schweiz durchsetzen können. Aber viele wesentliche Impulse gehen auf sie zurück.

B Rechtsgut und Auslegung Das Rechtsgut bildet Maßstab und Grenze für die Auslegung der strafrechtlichen Delikte. Nehmen wir das Delikt der Sachbeschädigung (§303 (1)). Geschütztes Rechtsgut ist das Eigentum. Dieses Rechtsgut bildet den Maßstab für die Auslegung des §303 (1) und seiner einzelnen Tatbestandsmerkmale. Sache i.S.d. §303 (1) ist alles, woran Eigentum begründet werden kann. Eigentum kann nur an körperlichen Gegenständen (z.B. nicht an Rechten) begründet werden. Mithin ist der Begriff „Sache" auszulegen als „jeder körperliche Gegenstand". Beispiele: Bild, Katze, Hund, Tonband, Benzin, Speiseeis, Erdgas, Kerze.

Maßstab dafür, ob eine Sache fremd ist, ist ebenfalls das Eigentum. Wer selbst (Allein-)Eigentümer einer Sache ist, für den ist sie nicht fremd. Mithin ist der Begriff „fremd" dahin auszulegen, daß ein anderer als der Täter Eigentümer der Sache ist (vgl. bereits L E 1). B e i s p i e l : Der menschliche Leichnam steht in niemandes Eigentum. Er erfüllt mithin nicht den Begriff der Fremdheit. Die Wegnahme einer Leiche ist daher kein Diebstahl; vgl. aber §168 (1). Anders, wenn es sich um eine der Anatomie übereignete Leiche handelt. Sie ist eine fremde Sache und daher diebstahlsfähig; vgl. RGSt 64 314.

Auch die Auslegung des Tatbestandsmerkmals Zerstören orientiert sich am Rechtsgut des Eigentums. „Zerstören" i.S.d. §303 (1) ist jede Handlung, welche die bestimmungsgemäße Brauchbarkeit der Sache völlig aufhebt. B e i s p i e l e : Verätzen eines Bildes, Erschießen einer Katze, Zerschneiden eines Tonbandes, Schmelzen von Speiseeis, Abbrennen einer Kerze.

54

Grundbegriffe 2

LE 4

Die Auslegung, die sich am geschützten Rechtsgut orientiert, greift auf den Zweck des Gesetzes („telos") zurück. Man bezeichnet sie daher als teleologische Auslegung. Die teleologische Auslegung ist die „Krone der Auslegungsverfahren" (¡escheck). Denn sie ermöglicht, die leitenden Wert- und Zweckvorstellungen der jeweiligen Vorschrift herauszufinden und so zu ihrem Wesen vorzustoßen. Durch diesen Rückgriff auf den Zweck des jeweiligen Gesetzes lassen sich die meisten Auslegungsprobleme rasch und sicher entscheiden. Machen wir am Delikt der Körperverletzung (§223 (1)) die Probe aufs Exempel. Geschütztes Rechtsgut ist die körperliche Integrität des Menschen. Tathandlung ist die „körperliche Mißhandlung". Darunter fällt jede üble, unangemessene Behandlung, welche die körperliche Integrität nicht unerheblich beeinträchtigt. Beispiele: Zufügung einer Platzwunde, eines Stiches, einer Verstauchung, eines Bruches, einer Schwellung, eines Blutergusses; Faustschläge, Tritte, Ohrfeigen. Aber: Anspucken, Uberschütten mit kaltem Wasser, Erschrecken oder Zufügung bloß seelischen Ungemachs durch Uberbringung einer falschen Todesnachricht, nächtliche Störanrufe oder unzüchtige Betastungen u.ä. mögen üble, unangemessene Verhaltensweisen sein. Sie richten sich jedoch nicht gegen das Rechtsgut der körperlichen Integrität und werden daher bei teleologischer Interpretation der Tathandlung vom Begriff der „körperlichen Mißhandlung" nicht erfaßt; vgl. näher Schönke/Schröder/Eser §223 RN 4 m.N. Wie bei der Sachbeschädigung (§303 (1)) und der Körperverletzung (§223 (1)) wirkt sich die am Rechtsgut orientierte = teleologische Auslegung auch bei allen anderen Delikten bis in die feinsten Verästelungen der jeweiligen Tatbestandsmerkmale aus. C Prinzipien des rechtsstaatlichen Strafrechts Zu den wichtigsten Prinzipien des rechtsstaatlichen Strafrechts gehören der Grundsatz nulla poena sine lege und das Rückwirkungsverbot. 1. Der Grundsatz „keine Strafe ohne Gesetz" ist in §1 1. Halbsatz verankert. Gem. A r t 103 (2) G G besitzt er sogar Verfassungsrang. Er besagt, daß die Strafbarkeit einer Tat gesetzlich bestimmt sein muß. Strafen und Maßregeln dürfen nur aufgrund einer ausdrücklichen gesetzlichen Strafbestimmung verhängt werden. Anders im Common Law. Noch 1926 hatte der oberste schottische Gerichtshof den unbefugten Gebrauch von Fahrzeugen aus Anlaß eines konkreten Falles von sich aus, d.h. ohne eine spezifische gesetzliche Grundlage, unter Strafe gestellt. In Deutschland erfolgte die Pönalisierung des unbefugten Gebrauchs von Fahrzeugen durch ein entsprechendes Gesetz im Jahr 1953. Zum Grundsatz nulla poena sine lege vgl. weiter das Beispiel S. 48. 2. Das Rückwirkungsverbot hängt eng mit dem Grundsatz nulla poena sine lege zusammen und dient seiner Absicherung. Das Rückwirkungsverbot ist heute in §1 2. Halbsatz verankert. Es bedeutet, daß Strafen nur verhängt werden dürfen, wenn die Tat schon zur Zeit ihrer Begehung mit Strafe bedroht war. Das Rückwirkungsverbot ist nicht nur eine Konsequenz des Rechtsstaatsprinzips, sondern auch ein vorrangiges kriminalpolitisches Gebot. Gibt es im Zeitpunkt der Tat noch keine „lex", nach der man sich zu richten hat, wäre eine nachträgliche Bestrafung im höchsten Maße ungerecht; vgl. auch S. 49; näher Maurach/Zipf AT I §12 RN 2. Das Rückwirkungsverbot ist durch §2 (6) für die Maßregeln durchbrochen. Maßregeln d.B.u.S. können auch dann verhängt werden, wenn sie erst nach der Begehung der Tat eingeführt worden sind. Das ist konsequent. Die besondere Gefährlichkeit des Täters kann nicht nachdrücklich genug bekämpft werden. Hierfür ist vom modernsten, d.h. dem zur Zeit der Entscheidung maßgeblichen Stand des Maßregelrechts auszugehen; vgl. Maurach/Zipf AT I §12 RN 18.

LE4

Grundbegriffe 2

55

Sowohl der Satz nulla poena sine lege als auch das Rückwirkungsverbot beruhen auf der Idee der Rechtssicherheit. Die lateinische Formulierung des Satzes nulla poena sine lege geht auf Feuerbach (1801) zurück. Der Gedanke selbst ist älter und entstammt dem Rechtsdenken der Aufklärungsepoche. Er ist erstmals in der Verfassung Marylands (1776) ausdrücklich formuliert, sodann in die Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte (1789) aufgenommen und von dort in zahlreiche europäische Strafrechtsordnungen übernommen worden. Als erstes kontinentales Strafgesetzbuch, in dem dieser Gedanke realisiert worden ist, gilt das Josepbinische StGB (1787).

D Das Unrecht Zu den ebenso fundamentalen wie komplizierten Begriffen des Strafrechts gehört der Begriff Unrecht. Unrecht ist eine Handlung, die gegen die Rechtsordnung als Ganzes verstößt. Bezeichnet man eine Handlung als „Unrecht" („unrecht"), so liegt darin ein negatives Werturteil. D e r Maßstab dieses Unwerturteils ist die Rechtsordnung als Ganzes. B e i s p i e l e : A tötet B. Diese Tat ist Unrecht, weil sie gegen das Verbot des §212 (1) verstößt. V versetzt S eine Ohrfeige. Diese Tat verstößt gegen §223 (1) und ist Unrecht.

Aber: Nicht jeder, der ein strafrechtliches Verbot übertritt, handelt unrecht. Es gibt zahlreiche Verstöße gegen strafrechtliche Verbote, welche von der Rechtsordnung gebilligt werden. In solchen Fällen liegt zwar ein Verstoß gegen ein bestimmtes strafrechtliches Verbot vor, aber kein Verstoß gegen die Rechtsordnung als Ganzes. Beispiele: A tötet B in Notwehr. V versetzt S eine Ohrfeige in Ausübung seines elterlichen Züchtigungsrechts. den Fällen liegt kein Verstoß gegen die Rechtsordnung als Ganzes und daher kein Unrecht vor; vgl. S. 51.

In bei-

Das Unrecht ist nach Rechtsgebieten spezifizierbar. Sein Begriff ist daher nicht auf das Strafrecht beschränkt. Es gibt neben dem spezifisch strafrechtlichen auch spezifisch zivilrechtliches, spezifisch verwaltungsrechtliches, spezifisch völkerrechtliches etc. Unrecht. In diesem Lernprogramm interessiert stets nur das spezifisch strafrechtliche Unrecht. Das Unrecht ist nach seiner Schwere quantifizierbar. Nicht jedes Unrecht wiegt gleich schwer. Das S t G B nimmt darauf durch unterschiedliche Tatbestände und Strafdrohungen, der Richter bei der Strafzumessung Rücksicht.

W e i t e r f ü h r e n d e s S c h r i f t t u m : Zur Bedeutung des Rechtsguts vgl. Maurach/Zipf A T I §19 RN 4—13. Zum Prinzip nulla poena sine lege und zum Rückwirkungsverbot vgl. Jescheck AT §15. Zur teleologischen und den übrigen Auslegungsmethoden vgl. Jescheck AT §17 IV; Maurach/Zipf AT I §9.

56

Testfragen zur LE 4

TE 4

1.1

Schildern Sie die drei Etappen des Subsumtionsvorganges!

2.1

Welchem Zweck dient das Verbot des Diebstahls?

2.2

Der Einbrecher Branislav Draganovic (D) hat es auf die Villa eines reichen Düsseldorfer Industriellen in Hösel abgesehen. Um den großen Neufundländer „auszuschalten", der das Haus bewacht und im Park frei herumläuft, wirft D ihm einen Brocken vergiftetes Fleisch über den Zaun. Das schöne Tier verendet. Sie sollen Sachbeschädigung (§ 303 (1)) in der Alternative „Zerstörung einer fremden Sache" untersuchen! Bei der Subsumtion des Sachverhalts unter diesen Tatbestand ergeben sich zwei Probleme. Welche?

2.3

Lösen Sie eines dieser Probleme! Es steht Ihnen frei welches. Sie sollen bei Ihrer Untersuchung vor allem zeigen, daß Sie die Subsumtionstechnik beherrschen!

1.2

Lesen Sie § 1 1. Halbsatz! Das darin verankerte Prinzip wird meist lateinisch formuliert. Wie lautet diese Formel?

TE 4

Testfragen

57

1.3

Welchen Inhalt hat das in §

geregelte Rückwirkungsverbot?

2.4

Das Prinzip „nulla poena sine lege" u n d das Rückwirkungsverbot dienen beide der Rechtssicherheit. Wie hängen sie zusammen?

1.4

Definieren Sie „Unrecht"!

2.5

Ist ein Verstoß gegen ein bestimmtes strafrechtliches Verbot in jedem Falle „Unrecht"? J a / Nein Begründung:

2.6

Schildern Sie ein Beispiel, in dem der Verstoß gegen ein strafrechtliches Verbot Unrecht ist!

2.7

Schildern Sie ein Beispiel, in dem zwar ein Verstoß gegen ein strafrechtliches Verbot vorliegt, die Handlung aber dennoch kein Unrecht ist!

1.5

Erklären Sie: Das Unrecht ist „spezifizierbar"!

1.6

Erklären Sie: Das Unrecht ist „quantifizierbar"!

3.1

Definieren Sie „Tatbestand"!

Testfragen 8

TE 4

In Reute bei Biberach a. d. Riß läßt der Landwirt Günter Gille bei Nacht Jauche in das gefüllte Schwimmbecken seines Nachbarn ab, um diesen zu ärgern. 1. Ist das Wasser im Schwimmbecken eine „Sache" LS.d. § 303 (1)? J a / Nein Begründung:

2. Läßt sich die Verunreinigung des Wassers unter das Merkmal „Zerstören" i.S.d. § 303 (1) subsumieren? J a / Nein Begründung:

9

Der bei Opel in Bochum-Langendreer beschäftigte Murat Ibrahim Korutürk fordert gegen 22.00 Uhr in einer Diskothek am Bochumer Hbf die ihm bis dahin unbekannte Roswitha Steiger zum Tanz auf. Das Mädchen folgt ihm nur widerwillig. Als er sie unvermutet küßt, läuft sie empört zur nahegelegenen Polizeiwache in der Hans-Böckler-Straße und zeigt ihn wegen Körperverletzung an. Der Beamte weiß mit dem Begriff der „körperlichen Mißhandlung" im § 223 (1) nichts Rechtes anzufangen und kratzt sich unschlüssig hinter dem Ohr. Helfen Sie ihm auf die Sprünge!

10 Zwei Tübinger Marktfrauen streiten miteinander. Da bückt sich die eine nach einem Roßapfel, schleudert ihn nach der Gegnerin und trifft mitten in den Mund. Die Getroffene (mummelnd): „Sodele, aber der bleibt dren, bis d'Bolizei kommt!" Erfüllt dieser „TVeffer" den Begriff der körperlichen Mißhandlung? J a / Nein Begründung:

Antworten

TE 4

59

1.1

Zunächst ist der fragliche Begriff auszulegen. Das Ergebnis der Auslegung wird in einer Definition zusammengefaßt. Unter diese Definition des Begriffs wird der Sachverhalt subsumiert (o.a.).

2.1

Es soll das Rechtsgut des Eigentums schützen.

2.2

1) Ist ein „Hund" eine „Sache" im Sinne des § 303 (1)? 2) Ist „Vergiften" ein „Zerstören" im Sinne des § 303 (1)?

2.3

1. Problem „Sache": Rechtsgut des § 303 (1) ist das Eigentum. Nach diesem Rechtsgut richtet sich die Auslegung des Begriffs ,.Sache". Sache ist mithin jeder Gegenstand, an dem Eigentum möglich ist. Eigentum kann an jedem körperlichen Gegenstand begründet werden. Also ist Sache jeder körperliche Gegenstand (= Definition). Auch ein Tier erfüllt diese Definition und damit den Begriff der Sache (= Subsumtion) o.a. 2. Problem „Zerstören": Auch die Auslegung des Begriffs „Zerstören" richtet sich nach dem durch § 303 (1) geschützten Rechtsgut des Eigentums. Das „Zerstören" soll alle Handlungen erfassen, welche eine Sache für ihren Zweck völlig unbrauchbar machen. Eine Sache ist also zerstört, wenn ihre bestimmungsgemäße Brauchbarkeit völlig aufgehoben ist (= Definition). Wird ein Tier vergiftet, so ist damit seine bestimmungsgemäße Brauchbarkeit völlig aufgehoben (= Subsumtion) o.a.

1.2

Nulla poena sine lege

1.3

§ 1 2. Halbsatz. Strafen dürfen nur verhängt werden, wenn die Tat schon zur Zeit ihrer Begehung mit Strafe bedroht war (o.ä.).

2.4

Das Rückwirkungsverbot dient der Absicherung des Prinzips „nulla poena sine lege". Denn durch den rückwirkenden Erlaß von Strafgesetzen könnte dieses Prinzip jederzeit umgangen werden (o.a.).

1.4

Unrecht ist eine Handlung, die gegen die Rechtsordnung als Ganzes verstößt.

2.5

Nein! Der Verstoß gegen ein strafrechtliches Verbot kann aus bestimmten Gründen von der Rechtsordnung gebilligt werden und ist dann kein Unrecht (o.ä.).

2.6

Z.B. A erschlägt B (§ 212 (1));C bestiehlt D (§ 242 (1)) o.ä.

2.7

Z.B. A erschlägt B in Ausübung berechtigter Notwehr. Der Vater versetzt seinem Sohn in Ausübung seines elterlichen Züchtigungsrechts eine Ohrfeige.

1.5

Der Begriff Unrecht ist nicht auf das Strafrecht beschränkt. Neben dem spezifisch strafrechtlichen Unrecht gibt es spezifisch zivilrechtliches, spezifisch verwaltungsrechtliches etc. Unrecht (o.ä.).

1.6

Das Unrecht ist abstufbar. Es gibt schwereres und weniger schweres Unrecht (o.ä.).

3.1

Tatbestand ist die gesetzliche Beschreibung eines strafrechtlich verbotenen Verhaltens.

2.8

1. Ja! Auch Wasser ist ein körperlicher Gegenstand. Für den strafrechtlichen Sachbegriff kommt es auf den Aggregatzustand des Gegenstandes nicht an (o.a.). 2. Ja! Zerstören bedeutet, eine Sache für ihren Zweck völlig unbrauchbar machen. Dies kann bei einem Schwimmbad in der Weise geschehen, daß das Wasser durch Zusätze (hier von Jauche) nicht mehr zum Baden benützt werden kann (o.ä.).

2.9

Rechtsgut des § 223 (1) ist die körperliche Integrität. Diese wird durch einen Kuß nicht beeinträchtigt (o.a.). Eher kommt Beleidigung (§ 185) in Betracht.

2.10

Nein! Auch dies ist noch keine Beeinträchtigung der körperlichen Integrität. Immerhin läßt sich über diese Lösung streiten.

60

GRUNDBEGRIFFE 3

LE5

L e r n z i e 1: Zwischen den Begriffen „Tatbestand" bzw. „Tatbestandsmäßigkeit" und dem Begriff des „Unrechts" bestehen enge Verbindungen. Mit ihnen befaßt sich diese LE. Außerdem werden Sie Begriff und Funktion der „Rechtfertigungsgründe" kennenlernen.

Im Sachsenspiegel, dem einflußreichsten deutschen Rechtsbuch des Mittelalters, liest man über den Diebstahl einen einzigen lapidaren Satz: „Den diep sal man hengen". Lesen Sie zum Vergleich den Tatbestand des Diebstahls (§ 242 (1))! Beide Vorschriften (1) unterscheiden sich vor allem darin, dafi im Sachsenspiegel genau / nicht genau festgelegt ist, was als Diebstahl anzusehen ist. Fall 1: Frauke Grapsch findet auf dem Hamburger Gänsemarkt ein goldenes und behält es für sich. Diebstahl?

Kettchen

Fall 2: Auf dem Fährschiff von St. Pauli — Landungsbrücken nach Finkenwerder entreißt Fräulein Neidig ihrer Rivalin einen wertvollen Ohrclip und wirft ihn mit Schwung in die Norderelbe. Diebstahl? Auf Grund des Sachsenspiegels könnten beide Fragen nicht entschieden werden. Der mittelalterliche Gesetzgeber hat nicht näher festgelegt, was für den Diebstahl charakteristisch = typisch ist. Typisch für den Diebstahl ist, daß eine Sache einem anderen weggenommen wird. Das Aufheben einer bloß verlorenen Sache ist mithin keine „Wegnahme". Schon deshalb (2) kommt im Fall 1 Diebstahl in Betracht / nicht in Betracht. (3) Ein weiteres (= charakteristisches) Merkmal für den Diebstahl ist das Erstreben einer Eigentumsanmaßung, einer eigentümerähnlichen Stellung. (4) Das StGB bezeichnet dieses Erstreben einer Stellung als „Absicht, (bitte ergänzen!)

-

Als Kurzformel hat sich hierfür der Ausdruck Zueignungsabsicht eingebürgert. (5) Wer eine fremde Sache sofort wegwirft, will sie dem eigenen Eigentum einverleiben / nicht einverleiben. (6) Fräulein Neidig handelt im Fall 2 mit der / ohne die für den Diebstahl typische (n) Zueignungsabsicht. Typisch für den Diebstahl ist weiterhin, daß sich der Täter an fremden Sachen vergreift. (7) Eine Sache ist fremd, (bitte ergänzen!)

Schließlich können nur solche Sachen gestohlen werden, welche beweglich sind. Kann ein Haus gestohlen werden? (8) Ja / Nein Begründung:

Grundbegriffe 3

LE 5 (1) (4) (5) (8)

61

nicht genau (2) nicht in Betracht (3) typisches eigentümerähnlichen; dieselbe (d.h. Sache) sich rechtswidrig zuzueignen" nicht einverleiben (6) ohne die (7) wenn ein anderer als der Täter ihr Eigentümer ist (o.ä.) Nein! Ein Haus ist keine bewegliche Sache und kann daher nicht gestohlen werden (wohl aber seine einzelnen Steine, nachdem sie herausgebrochen sind; natürlich auch ein transportables Fertighaus).

Jetzt brauchen wir die fünf charakteristischen Merkmale dieses Delikts nur noch zusammen(1) zufassen, um die Strafdrohung / den Tatbestand des Diebstahls zu erhalten: Diebstahl ist die (1) Wegnahme einer (2) fremden (3) beweglichen (4) Sache in (5) Zueignungsabsicht. Etwas ausführlicher steht das auch in § 242 (1). Diese Merkmale legen das Typische des Diebstahls fest. Für die Festlegung der typischen Merkmale (z.B. eines bestimmten Tatbestandes) verwendet man den Begriff beschreiben. Wenn es heißt, in § 242 (1) ist der Diebstahl „beschrieben", so ist damit also gemeint, daß hier die typischen Merkmale des Diebstahls festgelegt sind. Ist im Sachsenspiegel der Diebstahl in diesem Sinne „beschrieben"? (2) J a / Nein Begründung:

Der moderne Gesetzgeber verwendet zur Beschreibung eines Tatbestands bewußt weite und allgemein gehaltene = abstrakte Begriffe, um der Vielzahl und der Mannigfaltigkeit möglicher Sachverhalte gerecht zu werden. Schmuckstücke z.B. fallen bei § 242 (1) unter den Begriff „Sache". Mit „Zueignungsabsicht" handelt nicht nur, wer die fremde Sache behalten oder verbrauchen will, sondern auch, wer sie wie ein Eigentümer verschenken will, nicht aber, wer sie nur vorübergehend gebrauchen will. Keinen Diebstahl begeht daher ein Student, der am Abend heimlich ein Lehrbuch aus (3) dem Juristischen Seminar mitnimmt, um seine Bibliothek zu vervollständigen / um über Nacht darin zu lesen und es anschließend zurückzustellen. (4) Worin besteht Ihrer Meinung nach das Typische der Doppelehe?

Lesen Sie § 171! Ganz ähnlich hat das StGB den Tatbestand der Doppelehe beschrieben. Tatbestand ist demnach die gesetzliche Beschreibung eines strafrechtlich verbotenen Verhaltens. (5) „Beschreibung" ist auch in dieser Definition zu verstehen als Festlegung der M eines strafrechtlich verbotenen Verhaltens.

Grundbegriffe 3

62 (1) (2) (3) (4)

LE 5

den Tatbestand Nein! Es fehlt jegliche Festlegung der typischen Merkmale (o.a.). um Uber Nacht darin zu lesen und es anschließend zurückzustellen Das Charakteristische der Doppelehe besteht darin, daß jemand, der bereits verheiratet ist, eine weitere Ehe schließt. Es ist aber auch der korrespondierende Fall zu berücksichtigen, daß ein Unverheirateter mit einem Verheirateten die Ehe eingeht (o.a.). (5) typischen Merkmale

Aus dieser Definition des Tatbestands wollen wir nunmehr den Begriff gesetzlich näher betrachten. Lesen Sie § 1 1. Halbsatz! (1) Formulieren Sie das darin enthaltene Prinzip lateinisch!

Der alte Richter in Redlingen verhängt über Personen, welche des „vorehelichen Geschlechtsverkehrs"überfuhrt wurden (es sind ihrer nicht wenige), gepfefferte Geld-, im Wiederholungsfalle sogar Freiheitsstrafen. Der Richter räumt ein, daß es das Delikt des „vorehelichen Geschlechtsverkehrs" im StGB nicht gibt. Die Bestrafung sei aber „des Ortes althergebrachter Brauch". (2) Äußern Sie sich unter dem Aspekt des § 1 1. Halbsatz zu dieser Begründung!

Der alte Richter nickt und lächelt listig. Den nächsten jungen Mann, der es mit seiner 18jährigen Freundin „probiert" hatte, bestraft er kurzerhand wegen „ Verführung". Lesen Sie bitte § 182 (1) und dazu noch einmal §11. Halbsatz! Ist diese Bestrafung zulässig? (3) J a / Nein Begründung:

Beide Beispiele zeigen, welche weitreichende praktische Bedeutung der Satz hat: nulla poena sine lege. Eine Bestrafung kommt nur in Betracht, wenn „die Strafbarkeit gesetzlich bestimmt ist" (§ 1 1. Halbsatz). (4) Gerade mit Rücksicht auf § 1 1 . Halbsatz hatten wir den Begriff des definiert als gesetzliche Beschreibung eines strafrechtlich verbotenen Verhaltens. (5) Worin unterscheiden sich „Tatbestand" und „Delikt"?

LE 5

Grundbegriffe 3

63

(1) Nulla poena sine lege (2) Der Richter soll § 1 1. Halbsatz lesen! „Des Ortes althergebrachter Brauch" ist keine „gesetzliche Bestimmung der Strafbarkeit". (3) Nein! Zwar gibt es die ausdrückliche gesetzliche Strafdrohung des § 182 (1). Aber darunter fällt nur der Geschlechtsverkehr mit einem unter 16jährigen Mädchen. (4) Tatbestands (5) Delikt ist der weitere Begriff = Tatbestand + Strafdrohung (o.ä.).

Im folgenden geht es darum zu verstehen, was mit dem Verbotensein des Verhaltens gemeint ist. Zu diesem Zweck wollen wir uns mit den Beziehungen befassen, die zwischen dem Begriff des „Tatbestands" und dem des „Unrechts" bestehen. (1) Definieren Sie „Unrecht"!

Lesen Sie bitte den Tatbestand der Freiheitsberaubung (§ 239 (1))! Paßt die Definition des Unrechts auch auf die in diesem Tatbestand beschriebenen Verhaltensweisen? (2) Ja / Nein Begründung:

Wie die „Freiheitsberaubung" sind auch „Mord" und „Totschlag", „Körperverletzung" und „Sachbeschädigung" Handlungen, die im allgemeinen gegen die Rechtsordnung als Ganzes verstoßen. In diesem Sinne beschreiben die genannten Tatbestände daher straf(3) rechtliches Was für diese Tatbestände gilt, gilt auch für alle übrigen strafrechtlichen Tatbestände. Auch in ihnen ist strafrechtliches Unrecht beschrieben. Sämtliche Tatbestände beschreiben Handlangen, die — generell betrachtet — strafrechtliches Unrecht sind. Deshalb werden diese Handlungen durch die Strafgesetze verboten. Der Unrechtscharakter derartiger Handlungen bildet den Grund für das in den Tatbeständen enthaltene Verbot. Nachdem diese enge Verbindung zwischen „Tatbestand", „Verbot" und „Unrecht" aufgedeckt ist, sind wir berechtigt, das „Verbotensein" in der bisher nur vorläufigen Defi(4) nition des Tatbestands durch den Begriff des U zu ersetzen. Die für das Lernprogramm maßgebliche und endgültige Definition des Tatbestandes lautet demnach: Tatbestand ist die gesetzliche Beschreibung einer Handlung, welche (generell betrachtet) strafrechtliches Unrecht ist.

64

Grundbegriffe 3

LE 5

(1) Unrecht ist eine Handlung, die gegen die Rechtsordnung als Ganzes verstößt. (2) Ja! Freiheitsberaubung ist eine Handlung, die gegen die Rechtsordnung als Ganzes verstößt. (3) Unrecht (4) Unrechts Im folgenden wollen wir uns damit befassen, welche Konsequenzen aus dieser Einbeziehung des Unrechts in die Definition des Tatbestands f ü r die Lösung von strafrechtlichen Fällen abzuleiten sind.

il)

Halten wir zunächst d e n eben erreichten Ausgangspunkt unserer Betrachtung fest! Tatbestand ist die gesetzliche Beschreibung einer Handlung, welche bei genereller Betrachtung ist. Die an sich naheliegende Folgerung würde lauten: Wer tatbestandsmäßig handelt, handelt immer unrecht. Aber stimmt diese Folgerung wirklich? Lösen Sie noch einmal zunächst den Ihnen bereits b e k a n n t e n Fall: A erschießt den Gewalttäter B in berechtigter Tatbestand des Totschlags (§ 212 (1)).

Ausübung

von Notwehr.

A erfüllt

den

Hat A in diesem k o n k r e t e n Fall unrecht gehandelt? (2) J a / Nein Begründung:

Schon dieses Beispiel zeigt, daß die naheliegende Gleichung: Wer tatbestandsmäßig han(3) delt, handelt i m m e r u n r e c h t , stimmt / nicht stimmen kann. Sie stimmt jedenfalls für jene Fälle nicht, in d e n e n die Verwirklichung eines strafrechtlichen Tatbestands (wie in unserem Notwehrbeispiel) im konkreten Fall von der R e c h t s o r d n u n g gebilligt wird. Auch sonst wird die Verwirklichung eines strafrechtlichen Tatbestands von der Rechtsordnung häufig gebilligt. Denken Sie an das Züchtigungsrecht der Eltern (§ 1 6 3 1 (1) BGB). Die Ohrfeige des Vaters erfüllt zwar den Tatbestand der körperlichen Mißhandlung (§ 2 2 3 (1)), ist aber d u r c h das elterliche Züchtigungsrecht gedeckt. Bilden Sie selbst ein Beispiel, in dem die F e s t n a h m e eines Menschen im konkreten Fall (4) von der R e c h t s o r d n u n g gebilligt wird!

Zwar erfüllt die Festnahme eines Menschen stets den T a t b e s t a n d der Freiheitsberaubung (§ 239 (1) lesen!). Aber nicht jede Freiheitsberaubung ist Unrecht. In den Fällen des Fest(5) nahmerechts wird die Freiheitsberaubung von der Rechtsordnung Aus allen drei Beispielen leiten Sie eine wichtige Erkenntnis ab! Wer einen strafrecht(6) liehen Tatbestand erfüllt, handelt immer / handelt nicht immer unrecht.

LE 5

Grundbegriffe 3

65

(1) strafrechtliches Unrecht (2) Nein! A hat nicht unrecht gehandelt. Die Tötung eines anderen in Notwehr ist keine Handlung, die gegen die Rechtsordnung als Ganzes verstößt (o.a.). (3) nicht stimmen kann (4) Ein Polizist nimmt einen Verbrecher fest (o.a.). (5) gebilligt (6) handelt nicht immer unrecht

Bei der Lösung strafrechtlicher Fälle m u ß m a n stets berücksichtigen, daß es zahlreiche (1) tatbestandsmäßige Handlungen gibt, die im konkreten Fall von der gebilligt werden. Daraus, daß jeder Tatbestand Unrecht beschreibt, dürfen demnach keine zu weitgehenden Folgerungen gezogen werden. Richtig ist vielmehr die Folgerung: Wer tatbestandsmäßig handelt, handelt in der Regel unrecht. Das heißt: Eine tatbestandsmäßige Handlung ist unrecht, wenn sie nicht von der Rechts(2) Ordnung wird. Daß eine tatbestandsmäßige Handlung von der Rechtsordnung gebilligt wird, bildet die Ausnahme. Wenden wir uns nun den Ausnahmesituationen zu, in denen eine tatbestandsmäßige Hand(3) lung von der Rechtsordnung gebilligt wird u n d daher kein ist. Es handelt sich hierbei jeweils um fest umrissene, meist in einem Gesetz — nicht notwendig im Strafgesetz — beschriebene Sachverhalte. Man faßt sie unter der Bezeichnung Rechtfertigungsgründe zusammen. Im Begriff „Rechtfertigungsgrund" kommt insbesondere der Gedanke zum Ausdruck, daß die Handlung zwar tatbestandsmäßig ist, aber zugleich die Voraussetzungen erfüllt, (4) unter denen sie im konkreten Fall von der wird. Rechtfertigungsgründe beschreiben die Voraussetzungen, unter denen tatbestandsmäßige Handlungen von der Rechtsordnung gebilligt werden. Notwehr (§ 32(1)),Züchtigungsrecht der Eltern (§ 1631 (1) BGB) u n d Festnahmerecht (5) sind daher Tatbestände / Rechtfertigungsgründe. Alle drei sind meist sogar dem Laien dem Namen nach geläufig.

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Grundbegriffe 3 (1) Rechtsordnung (2) gebilligt (5) Rechtfertigungsgriinde

(3) Unrecht

LE 5

(4) Rechtsordnung gebilligt

Der Fabrikant Vieregge hat bei Winterberg im Sauerland eine Jagd gepachtet. Bei der abendlichen Pirsch sieht er eine Katze, die anstatt zu mausen, einen jungen Hasen würgt. V fackelt nicht lange und schießt die wildernde Katze ab. (1) Wer eine Katze tötet, erfüllt das Delikt der



)•

Nach § 22 (3) Z 2 JagdG NRW darf der Jagdausübungsberechtigte „wildernde Hunde und Katzen abschießen". Die Vorschrift des § 22 (3) Z 2 JagdG NRW zeigt, daß die Verwirklichung dieses Delikts (2) unter bestimmten Voraussetzungen von der Rechtsordnung wird. (3) Bei § 22 (3) Z 2 JagdG NRW handelt es sich daher um einen

-

Liegt ein Rechtfertigungsgrund vor, entfällt das Unrecht der Handlung. Eine Handlung, die durch einen Rechtfertigungsgrund gebilligt ist, verstößt / verstößt nicht gegen die (4) Rechtsordnung als Ihr Kommilitone behauptet: Ein Rechtfertigungsgrund beseitigt die Tatbestandsmäßigkeit der Handlung. Ist diese Behauptung richtig? (5) J a / Nein Begründung:

Tatbestand, Rechtfertigungsgründe und Unrecht hängen eng miteinander zusammen: Eine Handlung ist unrecht, wenn sie den Tatbestand eines Delikts erfüllt und wenn Recht(6) fertigungsgründe / keine Rechtfertigungsgründe erfüllt sind. Sind die Voraussetzungen eines Rechtfertigungsgrundes verwirklicht, so entfällt das (7)

der tatbestandsmäßigen Handlung. Allerdings ist das Vorliegen eines Rechtfertigungsgrundes die Ausnahme. Regel: Wer tatbestandsmäßig handelt, handelt unrecht. Ausnahme: Es liegt ein Rechtfertigungsgrund vor. Damit entfällt das Unrecht. Dieses Regel-Ausnahme-Prinzip klingt in der Definition der Rechtfertigungsgründe deutlich an:

(8)

Rechtfertigungsgriinde beschreiben die Voraussetzungen, unter denen H von der Rechtsordnung

werden.

LE 5

Grandbegriffe 3

67

(1) Sachbeschädigung (§ 303 (1)) (2) gebilligt (3) Rechtfertigungsgrund (4) verstößt nicht; Ganzes (5) Nein! Das Vorliegen eines Rechtfertigungsgrundes beseitigt die Tatbestandsmäßigkeit nicht. Denn vgl. die Definition: Rechtfertigungsgründe beschreiben die Voraussetzungen, unter denen tatbestandsmäßige Handlungen von der Rechtsordnung gebilligt werden. (6) keine Rechtfertigungsgründe (7) Unrecht (8) tatbestandsmäßige Handlungen; gebilligt Wir wollen uns nach d e m G r u n d fragen, w a r u m m a n überhaupt z u m Regel-AusnahmePrinzip greifen m u ß , u m festzustellen, o b ein bestimmtes Verhalten rechtmäßig oder unrecht ist. Der G r u n d liegt beim Gesetzgeber. Der ideale Tatbestand ist kurz u n d bündig u n d ohne jedes Wenn u n d Aber formuliert. Dies bedingt aber die Beschränkung des Tatbestandes auf jene Sachverhalte, deren Verwirklichung in d e r Regel u n r e c h t ist. Es liegt in der Konsequenz dieser Gesetzgebungstechnik, daß jene Fälle, in d e n e n ein Rechtfertigungsgrund diese Regel durchbricht u n d die daher kein Unrecht darstellen, (1) die bilden. (2)

(3)

Das R -A Rechtsanwendung verbindlich.

-P

ist daher auch für die praktische

Regel: Wer tatbestandsmäßig handelt, handelt unrecht. Ausnahme:

Das b e d e u t e t für die Lösung praktischer Fälle: Zur Beantwortung der Frage, o b j e m a n d unrecht gehandelt h a t , bedarf es stets einer d o p p e l t e n Buchführung: 1. H a t der Täter tatbestandsmäßig im Sinne eines b e s t i m m t e n Delikts gehandelt? Wenn ja, 2. ist seine Handlung d u r c h einen Rechtfertigungsgrund gerechtfertigt?

(4)

N e h m e n Sie an, Sie b e a n t w o r t e n in einem b e s t i m m t e n Fall die Frage 1 mit „ j a " , die Frage 2 dagegen mit „ n e i n " . Hat der Täter in einem solchen Fall unrecht gehandelt? Ja/Nein Im Gegensatz zum elterlichen Züchtigungsrecht lehnen Praxis u n d Lehre ein Züchtigungsrecht Dritter gegenüber f r e m d e n Kindern ab. Am Fuße des Freiburger Schloßberges beobachtet der Tierfreund T, wie zwei Halbwüchsige den Schwanz einer Katze mit dem Benzin aus einem abgestellten Moped tränken und ihn anzünden. Das Tier läuft schreiend davon. T bekommt einen der Übeltäter zu fassen und versetzt ihm links und rechts eine Ohrfeige.

(5) T (!) wird wegen § 2 2 3 (1) angezeigt. H a t er u n r e c h t gehandelt? J a / Nein Begründung: (Bitte im Sinne des Regel-Ausnahme-Prinzips argumentieren!)

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Grundbegriffe 3

LE 5

(1) Ausnahmen (2) Regel-Ausnahme-Prinzip (3) Ist ein Rechtfertigungsgrund erfüllt, enfällt das Unrecht. (4) Ja! (5) Ja! Er hat den Jungen körperlich mißhandelt. Seine tatbestandsmäfiige Handlung ist durch kein Züchtigungsrecht gedeckt (o.a.). Übrigens auch durch keinen anderen Rechtfertigungsgrund.

Neben den schon bisher genannten Rechfertigungsgriinden gibt es eine Vielzahl von weiteren Rechtfertigungsgründen: z.B. rechtfertigender Notstand; Einwilligung; behördliche Genehmigung; Selbsthilferecht; bestimmte Amts- und Dienstrechte. Die Rechtfertigungsgründe sind in der gesamten Rechtsordnung zu Hause. Die Notwehr ist in § 32 StGB, aber auch in § 227 BGB und § 15 OWiG, der rechtfertigende Notstand in § 34 StGB, aber auch in § 16 OWiG, die Einwilligung in § 226 a StGB, das Züchtigungsrecht der Eltern in § 1631 (1) BGB, das Festnahmerecht in § 127 StPO, das Selbsthilferecht in §§ 229, 859 BGB, das Recht, wildernde Hunde und Katzen zu töten, z.B. im (1) nordrhein-westfälischen gesetz (§ 22 (3) Z 2) geregelt. Von diesen Rechtfertigungsgründen werden Sie sich innerhalb dieses Lernprogramms nur mit den beiden wichtigsten, mit der Notwehr und mit dem rechtfertigenden Notstand näher befassen. Die meisten Rechtfertigungsgründe sind in einem Gesetz ausdrücklich verankert. Nennen (2) Sie mindestens zwei ausdrücklich in einem Gesetz geregelte Rechtfertigungsgründe!

Daneben gibt es aber auch bedeutsame ungeschriebene Rechtfertigungsgründe: So ist z.B. das Züchtigungsrecht des Lehrers von Rechtsprechung und Lehre außerhalb des geschriebenen Rechts entwickelt worden. Liegt in der Heranziehung von ungeschriebenen Rechtfertigungsgründen ein Verstoß gegen den Grundsatz „nulla poena sine lege"? Lesen Sie dazu bitte § 1 1 . Halbsatz! Gut überlegen! (3) J a / Nein Begründung:

Zur Wiederholung! (4) Ein Rechtfertigungsgrund beschreibt die Voraussetzungen, (bitte ergänzen!)

LE 5

Grundbegriffe 3

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(1) Jagdgesetz (2) Z.B. Notwehr (§32); Einwilligung (§226a); elterliches Züchtigungsrecht (§1631 (1) BGB); Festnahmerecht (§ 127 StPO); §22 (3) Z 2 JagdG NRW (3) Nein! § 1 1. Halbsatz bezieht sich nur auf die Kategorie des Tatbestands, nicht auf die der Rechtfertigungsgründe. Wen dieses formale Argument nicht befriedigt: §1 1. Halbsatz will die Ausdehnung der Strafbarkeit verhindern. Rechtfertigungsgründe, egal ob geschriebene oder ungeschriebene, schränken die Strafbarkeit aber stets ein. (4) unter denen eine tatbestandsmäßige Handlung von der Rechtsordnung gebilligt wird

ZUSAMMENFASSUNG A Tatbestand Tatbestand ist die gesetzliche Beschreibung einer Handlung, die (generell betrachtet) strafrechtliches Unrecht ist. Der Klammerausdruck „generell betrachtet" deutet an, daß im Einzelfall Rechtfertigungsgründe Unrecht beseitigen können.

eingreifen und das

B Rechtfertigungsgründe Rechtfertigungsgründe beschreiben die Voraussetzungen, unter denen tatbestandsmäßige Handlungen von der Rechtsordnung gebilligt werden. 1. Es gibt geschriebene Rechtfertigungsgründe in großer Zahl. Sie sind in der ganzen Rechtsordnung zu Hause. Es spielt keine Rolle, in welchem Gesetz sie geregelt sind. Die wichtigsten von ihnen finden sich im StGB, im OWiG, im BGB, in der StPO, in der Z P O , aber auch in zahlreichen Bestimmungen des Verwaltungsrechts. Zu diesen Rechtfertigungsgründen gehören Notwehr (§32 StGB, §227 BGB, §15 OWiG), rechtfertigender Notstand (§34 StGB, §16 OWiG), elterliches Züchtigungsrecht (§1631 (1) BGB), Einwilligung (§226 a StGB), Selbsthilferecht (§§ 229, 859 BGB), Festnahmerecht (§127 StPO), die behördliche Genehmigung, das Recht zum Schußwaffengebrauch und zahlreiche andere dienstliche Befugnisse. Neben den geschriebenen gibt es auch ungeschriebene Rechtfertigungsgründe. Der wichtigste ungeschriebene Rechtfertigungsgrund war bis zum 2. Gesetz zur Reform des Strafrechts der rechtfertigende Notstand, der, weil er aus dem Rechtsganzen abgeleitet wurde, auch „übergesetzlicher" Notstand genannt wurde. Zu den ungeschriebenen, kraft Gewohnheitsrechtes fortgeltenden Rechtfertigungsgründen gehört heute das Züchtigungsrecht des Lehrers (str.). 2. Rechtfertigungsgründe können dem Bundesrecht (StGB, O W i G , B G B , S t P O , Z P O ) oder dem L a n desrecht angehören. So ergibt sich etwa die Befugnis des Jagdausübungsberechtigten, wildernde Katzen abzuschießen, aus den jeweiligen Landesjagdgesetzen; vgl. z.B. §22 (3) Z 2 JagdG NRW. Landesrechtlich ist weiterhin auch der Schuß Waffengebrauch geregelt; vgl. etwa §40 (1) PolG Bad.-Württ. 3. Die einzelnen Rechtfertigungsgründe besitzen eine unterschiedliche praktische Anwendungsbreite. So hat etwa der Rechtfertigungsgrund des §22 (3) Z 2 JagdG NRW nur einen sehr engen Anwendungsbereich. Er rechtfertigt nur die Tötung von wildernden Katzen und Hunden und dies auch nur im Bundesland NRW. Das Festnahmerecht rechtfertigt nur eine Freiheitsberaubung, nicht etwa die Körperverletzung oder gar die Tötung des Verdächtigen. Die Notwehr kommt für mehrere Deliktsgruppen in Betracht, vornehmlich bei Tötungs- und Körperverletzungsdelikten, aber auch bei Sachbeschädigung, Freiheitsberaubung und ähnlichen Delikten. Den relativ größten Anwendungsbereich besitzt der rechtfertigende Notstand.

70

Grundbegriffe 3

LE5

4. E b e n s o wie die D e l i k t e unterliegen auch die Rechtfertigungsgründe einem ständigen Wandel. So gibt es z.B. inzwischen längst kein „ehemännliches" Züchtigungsrecht mehr; ebensowenig ein Züchtigungsrecht des Vorgesetzten gegenüber seinen Soldaten. Die Befugnis zum Waffengebrauch ist an die namentlichen Erfordernisse der jeweiligen Landesgesetze gebunden. Selbst der traditionelle Rechtfertigungsgrund der Notwehr wird heute wesentlich enger ausgelegt als etwa noch um die Jahrhundertwende; Näheres L E 11. C Das Regel-Ausnahme-Prinzip W e r einen anderen tötet, am K ö r p e r verletzt, einsperrt, beleidigt e t c . , handelt i . d . R . unrecht. V o m G e setzgeber werden daher die Fälle, daß jemand durch die Verwirklichung eines Tatbestandes unrecht handelt, als Regel, und jener Fall, daß die Erfüllung eines Tatbestandes durch einen Rechtfertigungsgrund gebilligt wird, als A u s n a h m e angesehen. D i e Lehre spricht gleichbedeutend von der I n d i z w i r k u n g der Tatbestandsmäßigkeit. R e g e l : W e r t a t b e s t a n d s m ä ß i g handelt, handelt u n r e c h t . A u s n a h m e : L i e g t ein R e c h t f e r t i g u n g s g r u n d vor, entfällt das U n r e c h t . Dieses Ineinandergreifen von Tatbestand und Rechtfertigungsgründen bezeichnet man als R e g e l - A u s nahme-Prinzip. O b jemand unrecht gehandelt hat, hängt mithin stets von einer doppelten Prüfung ab: 1. Hat der Täter tatbestandsmäßig im Sinne eines bestimmten Delikts gehandelt? Wenn ja: 2. Wird seine Handlung durch einen Rechtfertigungsgrund gebilligt? Wenn ja, ist die Handlung kein Unrecht. Wenn nein, ist die Handlung Unrecht. Dieses R e g e l - A u s n a h m e - P r i n z i p klingt nicht nur in der Definition der Rechtfertigungsgründe an (vgl. o b e n B ) , sondern liegt auch dem strafrechtlichen Fallprüfungsschema ( L E 6) zugrunde. D Die W i r k u n g der R e c h t f e r t i g u n g s g r ü n d e Das Eingreifen eines Rechtfertigungsgrundes beseitigt nicht die Tatbestandsmäßigkeit der Handlung, w o h l aber das U n r e c h t . Die H a n d l u n g bleibt t a t b e s t a n d s m ä ß i g , wird jedoch von der R e c h t s o r d n u n g gebilligt. Sie ist erlaubt. Weil sie erlaubt ist, kann der gerechtfertigt Handelnde n i c h t bestraft werden. Ebensowenig kann gegen einen gerechtfertigt Handelnden eine Maßregel d.B.u.S. verhängt werden; Näheres LE 6. Diese W i r k u n g tritt aber nur unter der Voraussetzung ein, daß sämtliche M e r k m a l e des Rechtfertigungsgrundes erfüllt sind. D i e H a n d l u n g bleibt insb. dann unrecht (und daher prinzipiell strafbar), wenn der Handelnde die G r e n z e n des Rechtfertigungsgrundes überschreitet. B e i s p i e l : V macht aus gegebenem Anlaß von seinem Züchtigungsrecht gegenüber seinem Sohn Gebrauch, schlägt jedoch so fest zu, daß diesem das Trommelfell platzt. Gelegentlich k o m m e n für ein und dieselbe Handlung m e h r e r e Rechtfertigungsgründe in Betracht. O b w o h l alle Rechtfertigungsgründe die gleiche W i r k u n g haben, zur Straflosigkeit also schon das Vorliegen eines einzigen ausreicht, sind regelmäßig auch die übrigen Rechtfertigungsgründe zu prüfen.

W e i t e r f ü h r e n d e s S c h r i f t t u m : Zum Verhältnis von Unrecht und Rechtfertigungsgründen vgl. Baumann AT §19 III \,]escheck A T § 3 1 I; Schmtdhäuser AT 9 / 3 - 1 5 . Zur Wirkung der Rechtfertigungsgründe vg\.Jescheck AT §31 VI.

TE 5

Testfragen zur LE 5

71

3.1

Definieren Sie „Unrecht"!

2.1

Worin besteht das Typische des Diebstahls? Lesen Sie dazu § 242 (1) und geben Sie seine sämtlichen Merkmale wieder!

2.2

Die kinderlose A hat das Baby der B in einem unbeobachteten Moment aus dem Kinderwagen genommen und zu sich nach Hause gebracht, um es zu behalten. Das Gericht hat Frau A gemäß § 242 (1) bestraft. Ist diese Bestrafung (§ 242 (1) bitte lesen!) zulässig? Ja / Nein Begründung:

1.1

Definieren Sie „Tatbestand"!

1.2

Notwehr (§ 32) ist ein Tatbestand / ein Rechtfertigungsgrund.

1.3

Nennen Sie mindestens drei Rechtfertigungsgründe!

1.4

„Wer tatbestandsmäßig handelt, handelt immer unrecht". Ist diese Behauptung richtig? Ja / Nein Begründung:

72

Testfragen

TE 5

1.5

Definieren Sie „Rechtfertigungsgründe"!

1.6

Ob jemand im strafrechtlichen Sinne unrecht gehandelt hat, hängt von einer doppelten Prüfung ab. Von welcher?

2.3

Bilden Sie einen Fall, in dem eine tatbestandsmäßige Handlung durch einen Rechtfertigungsgrund gebilligt wird!

2.4

Warum entfällt das Unrecht, wenn eine tatbestandsmäßige Handlung durch einen Rechtfertigungsgrund gerechtfertigt ist? (Hilfe: Diese Frage haben Sie mit Ihrem konkreten Beispiel unter 2.3 bereits beantwortet. J e t z t müssen Sie dasselbe nur abstrakt formulieren!)

2.5

Liegt in der Anerkennung ungeschriebener Rechtfertigungsgründe ein Verstoß gegen § 1 1. Halbsatz? J a / Nein Begründung:

2.6

Kreuzen Sie die beiden zutreffenden Aussagen an! Wer durch einen Rechtfertigungsgrund gerechtfertigt ist, •

handelt nicht tatbestandsmäßig und deshalb nicht unrecht



handelt tatbestandsmäßig, aber nicht unrecht



kann nicht bestraft werden



kann bestraft werden

Testfragen

TE 5 2.7

73

Als Malte Stottermann (St) die Haustür öffnet, wird er blaß. Der Gerichtsvollzieher Karolus Kuckuck (K) blinzelt ihn erwartungsfroh an. Um der bevorstehenden Pfändung zu entgehen, versucht St, dem K die Tür vor der Nase zuzuschlagen. Doch K hat bereits seinen Fuß zwischen die Tür gesetzt und erzwingt sich so den Eintritt zur Wohnung des Schuldners. St zeigt K wegen Hausfriedensbruches an (§123 (1)). K bestreitet den Hausfriedensbruch nicht, beruft sich aber auf § 758 (1) ZPO (Schönfelder Nr. 100). 1. Bei § 758 (1) ZPO handelt es sich um einen Seine Voraussetzungen sind erfüllt / nicht erfüllt. 2. Hat K unrecht gehandelt? J a / Nein Begründung:

2.8

Nach der Niederlage seines favorisierten Teams gegen die Beckenbauer-Elf im WM-Finale am 7. Juli 1974 wurde der holländische Schlachtenbummler Rinus van der Zwaal von einer Verkehrsstreife angehalten, weil er gegen 21.00 Uhr laut hupend und in Schlangenlinien über den Stachus gefahren war. Der zuständige Beamte veranlaßte sogleich die Entnahme einer Blutprobe durch einen Arzt. Den Rest der Nacht verbrachte Rinus van der Zwaal nicht im „Bayrischen Hof', wo er sich einquartiert hatte, sondern in einer kargen Ausnüchterungszelle des 2. Reviers in der Karlstraße. Am nächsten Morgen erstattete er Strafanzeige gegen den Arzt wegen Körperverletzung (§ 223 (1)). 1. Bei diesem Eingriff des Arztes handelt es sich um keine / um eine körperliche Mißhandlung i.S.d. § 223 (1), weil (bitte ergänzen!)

2. Lesen Sie § 81 a (1) StPO! Nach dieser Vorschrift war die Entnahme der Blutprobe zulässig / nicht zulässig. 3. Bei § 81 a (1) StPO handelt es sich um keinen Rechtfertigungsgrund / um einen Rechtfertigungsgrund, weil (bitte ergänzen!)

74

Antworten

TE 5

3.1

Unrecht ist eine Handlung, die gegen die Rechtsordnung als Ganzes verstößt.

2.1

In der Wegnahme / einer fremden / beweglichen / Sache / in Zueignungsabsicht.

2.2

Nein! £in Kind ist keine „Sache". Schon damit entfällt das für den Diebstahl typische Unrecht. Oder: § 1 1. Halbsatz. Oder: nulla poena sine lege. Alle drei Antworten sind richtig. (Straflos ist der ,.Diebstahl" eines Säuglings aber nicht In der Regel kommt das Delikt der „Kindesentziehung" (§ 235 (1)) in Betracht.)

1.1

Tatbestand ist die gesetzliche Beschreibung einer Handlung, die strafrechtliches Unrecht ist.

1.2

ein Rechtfertigungsgrund

1.3

Z.B. Notwehr (§ 32), elterliches Züchtigungsrecht (§ 1631 (1) BGB), Festnahmerecht (§ 127 StPO), rechtfertigender Notstand (§ 34), Einwilligung (§ 226 a)

1.4

Nein! Weil Rechtfertigungsgründe erfüllt sein können.

1.5

Rechtfertigungsgründe beschreiben die Voraussetzungen, unter denen tatbestandsmäßige Handlungen von der Rechtsordnung gebilligt werden.

1.6

1. Ob er tatbestandsmäfiig im Sinne eines bestimmten Delikts gehandelt hat 2. Ob seine Tat durch einen Rechtfertigungsgrund gerechtfertigt ist oder nicht

2.3

Z.B. A erschlägt B in Notwehr. Der Vater versetzt seinem Sohn eine Ohrfeige. Ein Polizist nimmt einen Verbrecher fest. Ein Jäger erschießt einen wildernden Hund.

2.4

Weil in einem solchen Fall eine tatbestandsmäßige Handlung von der Rechtsordnung gebilligt wird und daher erlaubt ist (o.ä.).

2.5

Nein! § 1 1. Halbsatz bezieht sich auf die Kategorie des Tatbestands, nicht auf die der Rechtfertigungsgründe. Außerdem bewirken Rechtfertigungsgründe stets eine Einschränkung der Strafbarkeit (o.ä.).

2.6

handelt tatbestandmäßig, aber nicht unrecht kann nicht bestraft werden

2.7

1. Rechtfertigungsgrund; erfüllt 2. Nein! Zwar ist die Handlung des K tatbestandsmäßig i.S.d. § 123 (1); aber sie ist zugleich durch den Rechtfertigungsgrund des § 758 (1) ZPO gerechtfertigt und daher kein Verstoß gegen die Rechtsordnung als Ganzes, also kein Unrecht (o.a.).

2.8

1. um eine körperliche Mißhandlung i.S.d. § 2 2 3 (1); durch ihn die körperliche Integrität des Betrunkenen nicht unerheblich beeinträchtigt wird (o.ä.) 2. zulässig 3. um einen Rechtfertigungsgrund, weil er die Voraussetzungen beschreibt, unter denen ein derartiger Eingriff in die körperliche Integrität von der Rechtsordnung gebilligt wird (o.ä.)

LE 6

FALLPRÜFUNGSSCHEMA

75

Leinzicl: In dieser LE lernen Sie, wie man zweckmäßigerweise bei einer strafrechtlichen Fallprüfung verfährt. Es geht vor allem um Reihenfolge und Bedeutung der Begriffe „Handlung", „Tatbestandsmäßigkeit", „Rechtswidrigkeit" und „Schuld" im Rahmen des Fallprüfungsschemas.

A hat B erschlagen. Er hat damit den Tatbestand des Totschlags erfüllt. Lesen Sie § 212 (1)! Man könnte also folgern, daß A schon allein wegen der Verwirklichung des Tatbestandes „mit Freiheitsstrafe nicht unter fünf Jahren" zu bestrafen ist. Einen solchen Strafautomatismus, Erfüllung des Tatbestands = Bestrafung, gibt es aber nicht. Damit der Täter bestraft werden kann, müssen neben dem Tatbestand noch weitere allgemeine Voraussetzungen erfüllt sein. Man spricht insoweit von allgemeinen Voraussetzungen der Strafbarkeit (Synonym: allgemeine Verbrechensmerkmale). (1) Das Fallprüfungsschema ist die Anleitung für die Untersuchung, ob diese Voraussetzungen der erfüllt sind. Diese Untersuchung kann nur schrittweise vorgenommen werden. Dem im folgenden darzustellenden F^llprüfungsschema fallen im Rahmen der Fallösung sehr wesentliche Aufgaben zu: Es faßt die allgemeinen Voraussetzungen der Strafbarkeit übersichtlich zusammen. Es bringt die Schritte, die zur Lösung eines strafrechtlichen Falles notwendig sind, in eine sowohl sachlich gebotene als auch zweckmäßige Reihenfolge. Das Fallprüfungsschema hat vier Stufen und sieht folgendermaßen aus:

Allgemeine Voraussetzungen der Strafbarkeit

— —

r L

0

Handlungdiegriff

I

Tatbestandsmäßigkeit

II

Rechtswidrigkeit

III

Schuld

Dieses Fallprüfungsschema erleichtert wesentlich die Fallprüfung. Daher empfiehlt es sich, jeden Fall nach dem Fallprüfungsschema zu untersuchen. (2) Beschreiben Sie den Zweck des Fallprüfungsschemas!

76

Fallprüfungsschema

LE 6

(1) allgemeinen Voraussetzungen der Strafbarkeit (2) Das Fallpriifungsschema dient der Anleitung zur Untersuchung eines strafrechtlichen Falles. Es enthält die allgemeinen Voraussetzungen der Strafbarkeit und bringt sie in eine sachlich gebotene und zweckmäßige Reihenfolge (o.a.).

Wir wollen uns zunächst einen ersten Uberblick über die F u n k t i o n e n der einzelnen Stufen des Fallprüfungsschemas verschaffen.

0 Handlungsbegriff

Auf der S t u f e des Handlungsbegriffs werden die Sachverhalte daraufhin untersucht, o b der Täter überhaupt im strafrechtlichen Sinne „ g e h a n d e l t " hat. Ein Schlafwandler k a n n nicht im Sinne des Strafrechts „ h a n d e l n " , egal was er anstellt. Entfällt die „ H a n d l u n g " , sind die weiteren allgemeinen Voraussetzungen der Strafbarkeit nicht m e h r zu untersuchen. Die Prüfung ist bei einem solchen Sachverhalt mit der (1) Verneinung / Bejahung des Handlungsbegriffs b e e n d e t .

I Tatbestandsmäßigkeit

In d e n T a t b e s t ä n d e n des StGB sind die strafrechtlich verbotenen Handlungen beschrieben. Auf der S t u f e der Tatbestandsmäßigkeit wird untersucht, o b eine Handlung u n t e r den T a t b e s t a n d eines b e s t i m m t e n Delikts subsumiert werden kann. Entenbrecht

(2)

hat Knickebühl

erschlagen.

Diese Handlung läßt sich u n t e r den Tatbestand des Totschlags, „Wer einen Menschen t ö t e t " , subsumieren / nicht subsumieren. Eine Handlung, welche den Tatbestand eines Delikts erfüllt, bezeichnet m a n als „Tat". Tat = tatbestandsmäßige Handlung.

II Rechtswidrigkeit

Es gibt zahlreiche Situationen, in denen tatbestandsmäßige Handlungen (= Taten) von (3) der R e c h t s o r d n u n g werden. Das ist immer dann der Fall, w e n n für die Tat ein Rechtfertigungsgrund vorhanden ist. Auf der S t u f e der Rechtswidrigkeit geht es allein um die Frage, o b eine tatbestandsmäßige H a n d l u n g durch Rechtfertigungsgründe gerechtfertigt ist. Die Prüfung der Rechts(4) Widrigkeit ist daher identisch mit der Suche nach für die Tat. (5)

Unter Tat versteht m a n (bitte ergänzen!)

LE 6

Fallprüfungsschema (1) Verneinung (2) subsumieren (5) eine tatbestandsmäfiige Handlung

(3) gebilligt

77

(4) Rechtfertigungsgründen

(1) Die Tat ist „rechtswidrig" bedeutet: Die Tat ist durch Rechtfertigungsgründe gerechtfertigt / nicht gerechtfertigt. Rechtswidrig = durch Rechtfertigungsgründe nicht gerechtfertigt. A hat B getötet

(= § 212 (1)),

weil jener

ihn erwürgen

wollte.

Diese Tat ist durch den Rechtfertigungsgrund der Notwehr (§ 32) gerechtfertigt. Sie ist (2) daher Mit der Feststellung, daß die Tat durch einen Rechtfertigungsgrund gerechtfertigt und daher nicht rechtswidrig ist, ist diese Fallprüfung beendet. Die Frage der Schuld darf nur (3) angeschnitten werden, wenn die Rechtswidrigkeit der Tat bejaht / verneint worden ist. Eine tatbestandsmäßige Handlung, die nicht durch Rechtfertigungsgründe gerechtfertigt ist, bezeichnet man als „rechtswidrige Tat". Rechtswidrige Tat = tatbestandsmäßige + rechtswidrige Handlung (4) Definieren Sie „Tat"! III Schuld Auf der Stufe der Schuld wird geprüft, ob dem Täter die tatbestandmäßige und rechtswidrige Handlung rechtlich vorgeworfen werden kann. Die Schuld ist ein so komplizierter und so vielschichtiger Begriff, daß hier auf Einzelheiten noch nicht eingegangen werden kann. Eine tatbestandsmäßige, rechtswidrige und schuldhafte Handlung bezeichnet man als „Straftat". Straftat = tatbestandsmäfiige + rechtswidrige + schuldhafte Handlung. Übersicht über die Terminologie 0

Handlungsbegriff

+

I

Tatbestandsmäßigkeit

+

II

Rechtswidrigkeit

+

III

Schuld

= Tat (5)

Sind Straftat und Delikt dasselbe? (6)

J a / Nein

Begründung:

_ rechtswidrige Tat

78

FallpriifungsSchema

LE 6

(1) nicht gerechtfertigt (2) nicht rechtswidrig (S) bejaht (4) Tat = tatbestandsmäßige Handlung (S) Straftat (6) Nein! Delikt = Tatbestand + Strafdrohung. Straftat = tatbestandsmäßige + rechtswidrige + schuldhafte Handlung An der Theke einer Vorstadtkneipe hebt Wüterich (W) die Faust, um Töterich (T) ein blaues Auge zu „verpassen". Töterich ist schneller. Er schlägt Wüterich erst bewußtlos und erschießt ihn sodann. Wir wollen a n h a n d des Fallprüfungsschemas untersuchen, o b T wegen Totschlags (§ 2 1 2 (1)) zu bestrafen ist: 0 Handlungsbegriff Auf der Stufe des strafrechtlichen Handlungsbegriffs wird geprüft, o b ein vom Willen beherrschbares menschliches Verhalten vorliegt. Daß T ein „ M e n s c h " ist, bedarf keiner Ausführung. Das Schießen ist auf T's Willen zurückzuführen, also ein „vom Willen be(1) herrschbares menschliches V e r h a l t e n " . Somit ist der Handlungsbegriff nicht erfüllt / erfüllt. 1 Tatbestandsmäßigkeit T h a t W getötet. Diese Handlung erfüllt den T a t b e s t a n d des Totschlags (§ 212 (1)). Genügt das bereits zur Bestrafung des T? (2) J a / Nein Begründung:

II Rechtswidrigkeit In Betracht k o m m t allein der Rechtfertigungsgrund der Notwehr. N o t w e h r setzt einen gegenwärtigen Angriff voraus (§ 3 2 (2)). (3) Als T den W erschoß, lag ein Angriff vor / kein Angriff m e h r vor. (4) Das Erschießen des W ist daher nicht mehr durch N o t w e h r gerechtfertigt / durch Not(5) wehr gerechtfertigt. Es liegt somit eine T vor. III Schuld Der Einfachheit halber wollen wir hier a n n e h m e n , daß die rechtswidrige T a t d e m T rechtlich vorgeworfen werden kann. T hat also auch schuldhaft gehandelt. (6) Seine Handlung erfüllt somit d e n Begriff der (7) Strafe darf nur verhängt w e r d e n , w e n n sämtliche / einige der allgemeinen Voraussetzungen der Strafbarkeit erfüllt sind. (8)

Daher ist T wegen Totschlags (§ 212 (1)) zu bestrafen / nicht zu bestrafen.

Fallprüfungs Schema

LE 6

79

(1) erfüllt (2) Nein! Die Tatbestandsmäßigkeit ist nur eine der allgemeinen Voraussetzungen der Strafbarkeit. Strafe kann nur verhängt werden, wenn sämtliche dieser Voraussetzungen erfüllt sind (o.ä.). (3) kein Angriff mehr vor (4) nicht mehr durch Notwehr gerechtfertigt (5) rechtswidrige Tat (6) Straftat (7) sämtliche (8) zu bestrafen Wir wollen uns mit den einzelnen Stufen der Fallprüfung nun etwas ausführlicher befassen, zunächst mit dem Handlungsbegriff. 0 Handlungsbegriff

Handlung im strafrechtlichen Sinn ist ein vom Willen beherrschbares menschliches Verhalten. Geschehnisse, die nicht einmal dem Handlungsbegriff entsprechen, interessieren das Strafrecht überhaupt nicht. Bildlich gesprochen: Der Handlungsbegriff ist das erste Sieb der strafrechtlichen Fallprüfung: Was hier ausgesiebt wird, weil der Handlungsbegriff nicht erfüllt ist, kommt für (1) die weitere Fallprüfung in Betracht / nicht mehr in Betracht. Unter Narkose zerschlägt

Vulnus im OP wertvolles

medizinisches

Gerät.

Dieses Verhalten erfüllt nicht den strafrechtlichen Handlungsbegriff. Denn es fehlt die (2) Möglichkeit (bitte ergänzen!),

Kann Vulnus wegen der unter Narkose begangenen Sachbeschädigung (§ 303 (1)) (3) bestraft werden? J a / Nein Begründung:

(4) Ist der Handlungsbegriff nicht erfüllt, dürfen weder Strafen noch M der u verhängt werden. Der Fall mit dem narkotisierten Vulnus war einmal Gegenstand einer schriftlichen Übung. Einige Studenten hatten sogleich mit der Prüfung des Tatbestandes der Sachbeschädigung (5) begonnen. Halten Sie das für richtig? J a / Nein Begründung:

80

Fallpriifungs schema

LE 6

(1) nicht mehr in Betracht (2) das Verhalten mit dem Willen zu beherrschen (3) Nein! Die Reaktionen eines Bewußtlosen sind nicht vom Willen beherrschbar. Schon der Handlungsbegriff ist nicht erfüllt. (4) Mafiregeln der Besserung u. Sicherung (5) Nein! Ist schon der Handlungsbegriff nicht erfüllt, hängt jede weitere Untersuchung in der Luft. Die Stufe der Tatbestandsmäßigkeit setzt die Bejahung des Handlungsbegriffs voraus (o.a.).

Wenn der Handlungsbegriff erfüllt ist, geht man über zur Prüfung der Tatbestandsmäßigkeit der Handlung.

Die Tatbestandsmäßigkeit wird durch schrittweise Subsumtion des Sachverhalts unter jedes einzelne Tatbestandsmerkmal ermittelt. (1) Eine Handlung ist tatbestandsmäßig, wenn sie ein / mehrere / sämtliche Tatbestandsmerkmale eines Delikts erfüllt. Meist bedarf es zunächst der Auslegung der in ihrer Bedeutung o f t unklaren Tatbestandsmerkmale. Auf dieser Auslegung liegt in der Regel der Schwerpunkt der Prüfung der Tatbestandsmäßigkeit. Für die Auslegung der einzelnen Tatbestandsmerkmale bieten Rechtsprechung und Lehre wertvolle Hinweise. (2) Ist der untersuchte Tatbestand nicht verwirklicht, kann wegen dieses Delikts Strafe / keine Strafe verhängt werden. Das heißt aber nicht unbedingt, daß hier die Fallprüfung (3) beendet ist. Möglicherweise verwirklicht die Handlung den T eines anderen Delikts. Als der Autonarr Enzio Coraggio (C) entdeckt, daß der Fahrer des blauen Maserati den Zündschlüssel steckengelassen hat, kann er der Versuchung nicht widerstehen, mit dem „heißen Ofen" eine schnelle Runde ums Karree zu drehen. Danach stellt er den Wagen an seinen alten Platz zurück. Sie untersuchen zuerst den Tatbestand des Diebstahls (§ 242 (1) bitte lesen!). (4) Dieser Tatbestand scheidet jedoch aus, weil C mit absieht gehandelt hat. Möglicherweise kommt statt dessen der Tatbestand des „Unbefugten Gebrauchs eines Fahrzeuges" in Betracht. Lesen Sie jetzt also § 248 b (1)! Ist wenigstens dieser Tatbestand erfüllt? (5) Ja / Nein Begründung:

LE 6

Fallpriifungsschema

81

(1) sämtliche (2) keine Strafe (3) Tatbestand (4) nicht; Zueignungsabsicht (5) Ja! Indem C den Maserati eigenmächtig ums Karree gefahren hat, hat er ein Kraftfahrzeug gegen den Willen des Berechtigten in Gebrauch genommen. Der Tatbestand des § 248 b (1) ist somit erfüllt (o.a.). Die nächste Stufe der Fallprüfung betrifft die Frage der Rechtswidrigkeit.

(1) Bei dieser Prüfung geht es um die Frage, ob die Tat durch gerechtfertigt ist. (2) Regel: Eine Tat (= tatbestandsmäßige Handlung) ist rechtmäßig / rechtswidrig. (3) Ausnahme: Eine Tat wird durch einen Rechtfertigungsgrund gebilligt und ist daher rechtswidrig / nicht rechtswidrig. Ob die Voraussetzungen eines Rechtfertigungsgrundes erfüllt sind, ist wie bei der Prüfung (4) eines Tatbestandes im Wege von Auslegung, Definition und zu ermitteln. Beispiel: Der Foxel des A schnappt nach einem Würstel des B. B verteidigt sein Würstel, indem er den Foxel erschlägt. B hat den Tatbestand der Sachbeschädigung (§ 303 (1)) erfüllt. Die Frage geht dahin, ob diese Tat durch den Rechtfertigungsgrund der Notwehr gerechtfertigt ist. Zu den Merkmalen der Notwehr gehört u.a., daß ein Angriff vorliegt. (Bitte lesen Sie §32(2)!). Auslegung: Ein Angriff kann nur von einem Menschen ausgehen. Definition: Angriff ist jedes menschliche Verhalten, das fremde Rechtsgüter beeinträchtigt. (5) Subsumtion: Die Attacke eines Hundes ist ein Angriff / kein Angriff i.S.d. § 32 (2). (6) Folglich ist die Tat des A durch Notwehr gerechtfertigt / nicht gerechtfertigt. Werden Sie nunmehr die Fallprüfung auf der Stufe der Schuld fortsetzen? (7) J a / N e i n

82

Fallpriifungsschema

LE 6

(1) Rechtfertigungsgründe (2) rechtswidrig (3) nicht rechtswidrig (4) Subsumtion (5) kein Angriff (6) nicht gerechtfertigt (7) Ja! (Wenn man unterstellt, daß auch kein anderer Rechtfertigungsgrund zum Zuge kommt.) Die letzte S t u f e der Fallprüfung b e t r i f f t die Frage der Schuld.

III

Schuld

Der vielschichtige Begriff der „ S c h u l d " u m f a ß t alle j e n e Merkmale, welche die Vorwerf(2) barkeit der tatbestandsmäßigen u n d rechtswidrigen Handlung ausmachen. Nur wenn ein / mehrere / sämtliche Schuldmerkmal(e) erfüllt sind, ist die rechtswidrige Tat h a f t begangen.

-

Als K u r z f o r m e l der Schuld soll vorläufig genügen: Schuld = V o r w e r f b a r k e i t der rechtswidrigen Tat. Das folgende Beispiel zeigt einen kleinen Ausschnitt aus dem Problembereich der Schuld: Ein Geisteskranker lebt in dem fixen Wahn, ein bissiger Hund zu sein. Ihm kann kein Vorwurf gemacht werden, wenn er den Briefträger ins Bein beißt.

rechtlich

Ein Geisteskranker ist schuldunfähig. Er h a t zwar tatbestandsmäßig (= § 223 (1)) u n d (3) rechtswidrig (= keine Rechtfertigungsgründe), aber o h n e

gehandelt.

Wer ohne Schuld handelt, kann nicht bestraft werden. Nulla p o e n a sine culpa. (4)

Über d e n Geisteskranken kann daher keine Strafe / eine Strafe verhängt werden.

Ist damit jegliche strafrechtliche Sanktion gegen den Geisteskranken ausgeschlossen? (5) J a / Nein Begründung:

(6) Das Erfordernis der Schuld ist eine notwendige / keine notwendige Voraussetzung für die Verhängung einer Maßregel. Die Tat, die Anlaß zur Verhängung einer Maßregel gibt, m u ß sein (7) • •

mindestens tatbestandsmäßig, aber nicht rechtswidrig mindestens tatbestandsmäßig u n d rechtswidrig.

Fallprüfungsschema

LE6

83

(1)0 = Handlungsbegriff; I = Tatbestandsmäßigkeit; II = Rechtswidrigkeit (2) sämtliche; schuldhaft (3) Schuld (4) keine Strafe (5) Nein! Es kommt die Verhängung einer Maßregel d.B.u.S. in Betracht, und zwar die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus (aber nur, wenn sämtliche Voraussetzungen des §63 (1) erfüllt sind). (6) keine notwendige Voraussetzung (7) mindestens tatbestandsmäßig und rechtswidrig

ZUSAMMENFASSUNG A Fallprüfungsschema Das Fallprüfungsschema dient der Anleitung zur Untersuchung eines strafrechtlichen Falles. Es enthält die allgemeinen rechtlichen Voraussetzungen für die Bestrafung (Synonym: allgemeine Verbrechensmerkmale) und bringt sie in eine zweckmäßige Reihenfolge; vgl. dazu das Schaubild S. 84. Das Lernprogramm legt damit den klassischen sog. dreistufigen Verbrechensaufbau zugrunde. Die Stufe 0 ( = Handlungsbegriff) zählt in diesem Sinn nicht zu den eigenständigen und regelmäßig zu prüfenden Verbrechensmerkmalen. Dieser dreigliedrige Verbrechensaufbau geht auf Beling und v. Liszt zurück. Er entspricht noch heute der h.M. in Lehre und Praxis (Baumann, Jescheck, Schmidhauser, Wessels u.a.). Nicht durchgesetzt hat sich der von einer Minderheit vertretene sog. zweistufige Verbrechensaufbau (Arthur Kaufmann, Lampe, Otto). Er kennt nur zwei Wertungsstufen, Unrecht und Schuld. Die Rechtfertigungsgründe werden bei diesem Verbrechensaufbau als negative Tatbestandsmerkmale verstanden; zur Kritik vgl. Jescheck AT §25 III. Es empfiehlt sich, jeden Fall nach diesem Fallprüfungsschema zu untersuchen. Die angegebene Reihenfolge der Prüfungsabschnitte ist zwingend. Sie ergibt sich aus der sachlogischen Struktur der Straftat und ihrer Definition. Die Prüfung von Rechtfertigungsgründen vor der Tatbestandsmäßigkeit oder der Schuld (bzw. einzelner Schuldelemente) vor dem Unrecht wird bei der Korrektur daher durchweg als grober Aufbaufehler angekreidet. B Definitionen Die nachfolgenden Begriffe und ihre Definitionen orientieren sich an der (den) jeweiligen Stufe(n) des Fallprüfungsschemas. Tat Rechtswidrige Tat Straftat

= = =

tatbestandsmäßige Handlung tatbestandsmäßige und rechtswidrige Handlung tatbestandsmäßige, rechtswidrige und schuldhafte Handlung.

Diese Begriffe werden im StGB sowie in den Lehrbüchern i.d.R. als termini technici verwendet. Vgl. zur „Tat" etwa §§ 1, 16, 17, 19, 32 (1). Zur „rechtswidrigen Tat" (ihre Definition in §11 (1) Z 5 ist unvollständig und daher mißverständlich) vgl. etwa §§26,27(1), 63 (1), 64(1), 257(1), 258(1). Zur „Straftat" vgl. etwa §§22,25 (l)u. (2), 66(l)u. (2). C Unrecht und Rechtswidrigkeit Die Begriffe „Unrecht" und „rechtswidrig" sind nicht identisch. Der Begriff der Rechtswidrigkeit ist der engere und rein formal zu verstehen. Unrecht ist eine Handlung, die gegen die Rechtsordnung als Ganzes verstößt. D e r Begriff rechtswidrig bezeichnet demgegenüber eine bestimmte formale Eigenschaft der tatbestandsmäßigen Handlung: sie ist nicht durch Rechtfertigungsgründe gerechtfertigt. Anders als der Begriff des Unrechts (vgl. S. 55) ist der Begriff der Rechtswidrigkeit weder spezifizierbar noch quantifizierbar.

84

Fallprüfungsschema

LE 6

Es gibt mithin keine auf einzelne Rechtsgebiete beschränkte (und in diesem Sinn „spezifische") Rechtfertigungsgründe. Wo immer sich Rechtfertigungsgründe finden (z.B. im Landesjagdrecht), sind sie stets auch für alle anderen Rechtsgebiete, also auch für das Strafrecht verbindlich. Für die Kategorie der Rechtswidrigkeit gilt somit das Prinzip der Einheit der Rechtsordnung. Die Frage nach der Rechtswidrigkeit betrifft ein Entweder/Oder. Entweder ist die Tat rechtswidrig, oder sie ist es nicht. In diesem Sinne läßt sich der Begriff der Rechtswidrigkeit (anders als der des Unrechts) weder quantifizieren noch abstufen. D Die Filterfunktion des Fallprüfungsschemas Alle Stufen des Fallprüfungsschemas haben eine einschränkende F u n k t i o n . A m anschaulichsten paßt das Bild des Filters oder des Siebes.

W i c h t i g e H i n w e i s e ! Bei der Fallösung in Klausuren, Hausarbeiten, bei Prüfungen und in der Praxis kommt den einzelnen Stufen des Fallprüfungsschemas unterschiedliches Gewicht zu. Auf der Stufe des Handlungshegriffs ergeben sich nur selten Probleme. Auf die Frage des Handlungsbegriffs ist daher in den meisten Fällen nicht ausdrücklich einzugehen. Deshalb das Symbol „0" im Fallprüfungsschema! Nur wenn besondere Umstände darauf hinweisen, daß der Handlungsbegriff nicht erfüllt sein könnte, muß diese Frage überhaupt angeschnitten werden. Richten Sie Ihr besonderes

Augenmerk

auf die drei übrigen

Stufen!

LE 6

Fallprüfungsschema

85

E Ubersichtsskizze

Diese Darstellung erfaßt nur die Grobstruktur der strafrechtlichen Fallprüfung. Jede einzelne der hier aufgeführten vier Stufen zerfällt ihrerseits in weitere Unterabschnitte und Teilprüfungen. Dazu später mehr. An die hier angegebene Reihenfolge der Prüfungsabschnitte des Fallprüfungsschemas müssen Sie sich bei jeder Fallprüfung halten! Sie ergibt sich zwingend aus der Struktur der Straftat.

Weiterführendes Schrifttum: Zum Fallprüfungsschema und seiner Ordnungsfunktion vgl. Baumann AT §15 I; Kienapfel Strafrechtsfälle 23.

86

Testfragen zur LE 6

TE 6

1.1

Haben die Begriffe „rechtswidrig" und „ U n r e c h t " denselben Inhalt? J a / Nein

1.2

Definieren Sie „rechtswidrig"!

3.1

Definieren Sie „ U n r e c h t " !

1.3

Nennen Sie in der richtigen Reihenfolge sämtliche Stufen des Fallprüfungsschemas!

1.4

Eine der vier Stufen des Fallprüfungsschemas sollen Sie nur dann ausdrücklich prüfen, wenn besondere Umstände im Sachverhalt dies nahelegen. Welche Stufe ist das?

2.1

Auf der Stufe II, der Stufe der Rechtswidrigkeit, geht es in allen strafrechtlichen Fällen stets um dieselbe Frage. Wie lautet diese Frage?

1.5

Definieren Sie „ T a t " !

1.6

Eine tatbestandsmäßige Handlung, die nicht durch einen Rechtfertigungsgrund gerechtfertigt ist, bezeichnet man mit zwei kurzen Worten als

1.7

Definieren Sie „ S t r a f t a t " ! (Bitte sämtliche Merkmale anführen!)

TE 6

Testfragen

2.2

Vergleichen Sie die Definition der Straftat mit den Stufen des Fallprüfungsschemas. Was fällt Ihnen daran auf?

2.3

Wodurch unterscheidet sich der Begriff „Straftat" vom Begriff „Tat"?

2.4

A hat B in Notwehr erschlagen. Sie untersuchen die Strafbarkeit des A.

87

1. Welche Stufe(n) im Fallprüfungsschema werden Sie genauer untersuchen?

2. Welche Stufe(n) werden Sie bei der Fallprüfung allenfalls in Gedanken streifen?

3. Welche Stufe(n) des Fallprüfungsschemas dürfen Sie in unserem Fall gar nicht prüfen?

2.5

Der indische Student Mujibur Rahman (R) läßt sich im Josephskrankenhaus die vereiterten Mandeln herausnehmen. Mit Evipan betäubt, beißt R dem Operateur Dr. Tonsillex (T) heftig in den Finger. T zeigt R wegen Körperverletzung (§ 223 (1)) an. Wird es zu einer diesbezüglichen Verurteilung des R kommen? J a / Nein Begründung:

2.6

Im Falle 2.5 beginnt Ihr Kommilitone bei der strafrechtlichen Prüfung dieses Falls sogleich mit der dritten Stufe, der Schuld. Richtig / Falsch Begründung:

88 2.7

Testfragen

TE 6

Kreuzen Sie jene Stufen des Fallprüfungsschemas an, welche mindestens erfüllt sein müssen, damit verhängt werden kann eine Strafe

eine Maßregel d.B.u.S.



Handlungsbegriff



Handlungsbegriff



Tatbestandsmäßigkeit



Tatbestandsmäßigkeit



Rechtswidrigkeit



Rechtswidrigkeit



Schuld



Schuld

3.2

Nennen Sie mindestens drei Unterschiede zwischen Strafen und Maßregeln d.B.u.S.!

5.1

Sowohl die Verhängung einer als auch einer setzt mindestens eine rechtswidrige Tat voraus. Warum?

2.8

Die hessische Autobahnpolizei stoppt einen „Geisterwagen", der auf der Sauerlandautobahn kilometerlang gegen die Fahrtrichtung gefahren war. Als die zwei Insassen gefragt werden, wer von ihnen denn das Auto gelenkt habe, versichert der „Klügere" treuherzig: „Wir saßen beide auf dem Rücksitz". Es stellt sich alsbald heraus, daß es sich um zwei Geisteskranke aus Schalksmühle handelt. Unwahrscheinlich? Geschehen! Wenn auch nicht in Hessen. Eine Bestrafung des Fahrers wegen „Gefährdung des Straßenverkehrs" (§ 3 1 5 c (1) Z 1 a und Z 2 f) scheitert mangels Tatbestandsmäßigkeit / Rechtswidrigkeit / Schuld. Immerhin liegt eine Straftat / Tat / rechtswidrige Tat vor. Aus diesem Anlaß k o m m t eine Unterbringung des Fahrers in einem in Betracht, wenn die Voraussetzungen des § erfüllt sind.

TE 6

Antworten

89

1.1

Nein!

1.2

Eine Tat ist rechtswidrig, wenn sie nicht durch Rechtfertigungsgründe gerechtfertigt ist.

3.1

Unrecht ist eine Handlung, die gegen die Rechtsordnung als Ganzes verstößt.

1.3

Handlungsbegriff, Tatbestandsmäßigkeit, Rechtswidrigkeit und Schuld

1.4

Der Handlungsbegriff

2.1

Ist die Tat durch einen Rechtfertigungsgrund gerechtfertigt? (o.ä)

1.5

Tatbestandsmäßige Handlung

1.6

rechtswidrige Tat

1.7

Tatbestandsmäßige, rechtswidrige und schuldhafte Handlung

2.2

Die vier Merkmale der Straftat sind identisch mit den vier Stufen des Fallprüfungsschemas (o.a.).

2.3

Tat = tatbestandsmäßige Handlung Straftat setzt über die „Tat" hinaus noch „Rechtswidrigkeit" und „Schuld" voraus (o.a.).

2.4

1. Tatbestandsmäßigkeit und Rechtswidrigkeit 2. Den Handlungsbegriff 3. Die Schuld

2.5

Nein! Bezüglich der Körperverletzung (§ 223 (1)) ist nicht einmal der Handlungsbegriff erfüllt (o.a.).

2.6

Falsch! Erstens darf bei einer Fallprüfung nie „hinten" (oder „in der Mitte") begonnen werden. Zweitens: Ist der Handlungsbegriff nicht erfüllt, kommt schon deshalb eine Bestrafung nicht in Betracht. Es ist daher nicht nur unnötig, sondern sogar falsch, die Frage der Schuld überhaupt anzuschneiden.

2.7

Strafe: Handlungsbegriff, Tatbestandsmäßigkeit, Rechtswidrigkeit und Schuld Maßregel d.B.u.S.: Handlungsbegriff, Tatbestandsmäßigkeit und Rechtswidrigkeit. (Die Schuld kann, muß aber nicht erfüllt sein!)

3.2

Strafen Zweck

Vergeltung + Spezialprävention + Generalprävention

Voraussetzung Schuld des Täters

Maßregeln d.B.u.S. nur Spezialprävention besondere Gefährlichkeit des Täters

Obel

ja (beabsichtigt)

ja (unbeabsichtigt)

Schuld

erforderlich

nicht erforderlich

5.1

Strafe; Maßregel d.B.u.S. Weil der Täter, der eint gerechtfertigte Tat begangen hat, im Einklang mit der Rechtsordnung gehandelt hat. Seine rechtswidrige Tat ist erlaubt (o.a.).

2.8

Schuld; rechtswidrige Tat; psychiatrischen Krankenhaus; § 63 (1)

90

HANDLUNGSBEGRIF F

LE 7

L e r n z i e l : In dieser LE werden Sie sich einerseits mit den beiden Erscheinungsformen der menschlichen Handlung beschäftigen, dem „Tun" und dem „Unterlassen". Andererseits werden Sie den strafrechtlichen Handlungsbegriff und seine Bedeutung für die Fallprüfung näher kennenlernen. Es gibt nur zwei Erscheinungsformen der Handlung: entweder man tut etwas oder man unterläßt etwas.

Die Stiefmutter vergiftet ihre kleine Stieftochter; der Bademeister Hoppe stößt Nichtschwimmer ins Wasser, so daß dieser ertrinkt.

einen

In beiden Fällen wird der Tatbestand des Totschlags (§ 212 (1)) durch ein Tun verwirklicht. Die Stiefmutter läßt ihre kleine Stieftochter verhungern; der Bademeister Hoppe sieht ruhig zu, wie ein hilferufender Nichtschwimmer ertrinkt. (1) In beiden Fällen wird derselbe Tatbestand (§ 212 (1)) durch ein licht.

verwirk-

Es ist einsichtig, daß sich eine Strafe an ein bestimmtes Tun knüpfen kann. Aber auch wer etwas unterläßt, kann- bestraft werden. „Hin" und „Unterlassen" unterscheiden sich allein darin, wie eine Straftat verwirklicht wird. Für die Frage, ob überhaupt bestraft wird, besteht grundsätzlich kein Unterschied, ob (2) eine Tat durch ein „ " oder durch ein " verwirklicht wird. Nehmen Sie etwa das Beispiel der Stiefmutter: Für das geschützte Rechtsgut macht es keinen Unterschied, ob sie ihr Kind vergiftet oder verhungern läßt. In beiden Fällen ist das geschützte Rechtsgut beeinträchtigt. Macht es für das Tatobjekt einen Unterschied, ob der Totschlag an der kleinen Stieftochter durch ein Tun oder durch ein Unterlassen verwirklicht wird? (3) J a / Nein Begründung:

LE 7

Handlungsbegriff

91

(1) Unterlassen (2) „Tun" oder durch ein „Unterlassen" (3) Nein! In beiden Fällen wird das Tatobjekt vernichtet, d.h. ein Mensch getötet. „Tun " und „Unterlassen" sind die beiden Erscheinungsformen der Handlung. „Tun" bedeutet: Der Täter setzt ein Geschehen in Gang oder nimmt in anderer Weise aktiv Einfluß auf seinen Verlauf. Er schlägt zu, er nimmt weg, er sagt vor Gericht falsch aus, er spuckt seinem Gegenüber ins Gesicht etc. „Unterlassen" heißt, wörtlich verstanden, den Dingen ihren Lauf lassen. Der allgemeine Sprachgebrauch identifiziert Unterlassen daher mit „Nichtstun". Der juristische Begriff des Unterlassens ist dagegen enger. Unterlassen im strafrechtlichen Sinne bedeutet: In dieser Situation hätte der Täter etwas Bestimmtes tun müssen. Aber gerade dies hat er nicht getan. So hätte in unserem Unterlassungsbeispiel die Stiefmutter etwas Bestimmtes tun müssen. Aber gerade das hat sie nicht getan. (1) Was hätte die Stiefmutter in concreto tun müssen?

Was der Täter in concreto hätte tun müssen, bezeichnet man als das gebotene Tun. Im Bademeisterfall („sieht ruhig zu") hätte das gebotene l \ i n darin bestanden, daß Hoppe (2) (bitte ergänzen!)

Aber gerade dieses Tun hat der Bademeister nicht vorgenommen. Damit kommen wir zur Definition des strafrechtlichen Begriffes des Unterlassens: Unterlassen = Nichtvornahme eines gebotenen Tuns. Ein Blick auf die Kehrseite dieser Definition: Ist ein bestimmtes T\in nicht geboten, so liegt ein Unterlassen im strafrechtlichen Sinne (3) folglich nicht vor / dennoch vor. Beispiel: A sieht, wie in der Ferne ein Sportflugzeug ins Trudeln gerät und Hat A, der fassungslos den Absturz beobachtet, etwas unterlassen? (4) J a / Nein Begründung:

„abschmiert".

Handlungsbegriff

92 (1) (2) (3) (4)

(1)

LE 7

Die Stiefmutter hätte ihre Stieftochter füttern müssen (o.a.). z.B. dem Ertrinkenden nachgesprungen wäre (oder andere Rettungsmaßnahmen ergriffen hätte) o.ä. folglich nicht vor Nein! Es ist kein bestimmtes Tun geboten (hier gar nicht denkbar). Folglich hat A auch nichts unterlassen (o.a.).

Unterlassen im strafrechtlichen Sinne bedeutet stets

eines

Was der Täter im Einzelfall h ä t t e t u n müssen, ergibt sich aus d e n jeweiligen Umständen. Wenn j e m a n d zu ertrinken d r o h t , ist es geboten, ihm etwa eine Leine oder einen Rettungsring zuzuwerfen. (2) Befindet sich der Ertrinkende bereits unter der Wasseroberfläche, genügt dies nicht m e h r / noch immer. Unter solchen Umständen ist etwas anderes g e b o t e n . Man müßte dem Ertrinkenden etwa nachspringen oder ihn mit einem Haken a n die Wasseroberfläche ziehen. Die Gegenüberstellung von H i n u n d Unterlassen wirkt sich an vielen Stellen des Strafrechts aus. In diesem Z u s a m m e n h a n g interessiert zunächst allein, daß Tun u n d Unterlassen im R a h m e n des strafrechtlichen Handlungsbegriffs einander gleichgestellt sind. Der strafrechtliche Handlungsbegriff stellt die erste Prüfungsstufe im Fallprüfungsschema dar. (3) Diese Frage lautet: Entspricht ein menschliches Tun oder dem (4) strafrechtlichen Handlungsbegriff? Nur w e n n Sie diese Frage verneinen / bejahen, prüfen Sie das Verhalten weiter auf seine Strafbarkeit. Ein menschliches Verhalten mag noch so schwere Folgen nach sich ziehen: Erfüllt es (5) nicht den strafrechtlichen Handlungsbegriff, kann weder eine noch eine verhängt werden.

Welche allgemeinen Voraussetzungen der Strafbarkeit müssen außer d e m Handlungsbe(6) griff erfüllt sein, damit eine Strafe verhängt werden kann?

LE 7

Handlungsbegriff

93

(1) Nichtvornahme eines gebotenen Tuns (2) nicht mehr (S) Unterlassen (4) bejahen (5) Strafe; Maßregel d.B.u.S. (6) Tatbestandsmäßigkeit, Rechtswidrigkeit und Schuld

Der strafrechtliche Handlungsbegriff filtert aus der Vielzahl menschlicher Verhaltensweisen jene heraus, die vom Willen beherrschbar sind. Was vom Willen nicht beherrsch(1) bar ist, ist Handlung / keine Handlung im strafrechtlichen Sinne. Damit kommen wir zur Definition des strafrechtlichen Handlungsbegriffs (bitte wörtlich merken!): Handlung ist jedes menschliche Verhalten, das vom Willen beherrschbar ist. Da aber fast jedes menschliche Verhalten vom Willen beherrschbar ist, muß der Handlungsbegriff bei der Fallprüfung nur in Ausnahmefällen ausdrücklich untersucht werden. Das ist dann der Fall, wenn nach dem Sachverhalt wirklich Zweifel bestehen, ob der Täter (2) ein Verhalten gesetzt hat, das vom beherrschbar war. Maler Kleckset (K) kömmt mit der stromführenden Leitung der Steckdose in Kontakt. Er zuckt zusammen und stößt dabei den Lehrling von der Leiter, so daß sich dieser den Arm bricht. (3) Hier bestehen erhebliche Zweifel / keine Zweifel an der Handlungsqualität des Verhaltens des K. K's Verhalten war nicht vom Wülen beherrschbar. Ein Nerv ist gereizt worden und hat ohne Zwischenschaltung des Willens einen Körperreflex bewirkt. (4) Folglich ist der Handlungsbegriff erfüllt / nicht erfüllt. Dieser Fall macht zugleich die Filterfunktion der einzelnen Stufen des strafrechtlichen Fallprüfungsschemas deutlich. Prüfen Sie anschließend die Tatbestandsmäßigkeit des Verhaltens des K, wenn Sie festgestellt haben, daß der Handlungsbegriff nicht erfüllt ist? (5) J a / Nein Begründung:

Der Begriff des Köiperreflexes wird im allgemeinen Sprachgebrauch ziemlich weit verstanden. Der strafrechtliche Begriff des Körperreflexes ist dagegen enger und deckt sich weitgehend mit dem medizinischen Begriff. Körperreflexe bewirken eine Körperbewegung ohne Zwischenschaltung des Willens. (6) Körperreflexe sind daher vom Willen beherrschbar / vom Willen nicht beherrschbar und

erfüllen

den strafrechtlichen Handlungsbegriff.

Handlungsbegriff

94

LE 7

(1) keine Handlung im strafrechtlichen Sinne (2) Willen (3) erhebliche Zweifel (4) nichterfüllt (5) Neinl Ist der Handlungsbegriff nicht erfüllt, so ist das Verhalten schon deshalb nicht strafbar. Die Frage der Tatbestandsmäßigkeit darf daher gar nicht mehr angeschnitten werden (o.a.). (6) vom Willen nicht beherrschbar; nicht Von den Körperreflexen streng zu trennen, von ihnen aber nicht immer leicht zu unterscheiden, sind die im täglichen Leben häufig anzutreffenden automatisierten Handlungen. Die automatisierten Handlungen erfüllen den Handlungsbegriff. Die Körperreflexe dagegen (1)

Beispiel: Sie waren als Autofahrer bisher Lenkradschaltung gewohnt und steigen nunmehr auf ein Modell mit Knüppelschaltung um. Zumindest in den ersten Tagen werden Sie automatisch nach dem Ganghebel am Lenkrad greifen. (2) Es handelt sich um einen typischen Fall eines Körperreflexes / einer automatisierten Handlung. (3) Nennen Sie weitere automatisierte Handlungen beim Autofahren!

In ähnlicher Weise gehen alle gleichförmigen Handlungen „in Fleisch und Blut" über, manche mehr, manche weniger. Denken Sie etwa auch an das Heben des Löffels beim Essen, das Gehen, das Schreiben, das Kratzen am Kopf, das Kauen an den Fingernägeln etc. (4) Es handelt sich hierbei um Bei all diesen mehr oder weniger eintrainierten, gleichsam automatisch ablaufenden (daher „automatisierten") Handlungen hat sich der Willensbildungsprozeß ins Unterbewußte verlagert. Es wird zwar nicht jedesmal der Wille aktualisiert; er könnte aber jederzeit aktualisiert werden. Im Gegensatz zu den bloßen Körperreflexen sind automatisierte Handlungen daher vom (5)

b

Automatisierte Handlungen sind eintrainierte, gleichförmige Verhaltensweisen, bei denen nicht jedes Mal der Wille aktiv eingeschaltet wird. Dieses Einschalten kann jedoch jederzeit erfolgen. Automatisierte Handlungen sind daher vom Willen beherrschbar u n d erfüllen (6) folglich den Im übrigen sind die Grenzen zwischen Körperreflexen und automatisierten Handlungen nicht immer leicht zu ziehen. Dem Motorradfahrer M springt in der Dämmerung M tritt erschrocken auf die Bremse. Bloßer Körperreflex? (7) J a / Nein Begründung:

unversehens

ein Reh in die

Fahrbahn.

Handlungsbegriff

LE 7 (1) (3) (4) (7)

95

nicht (2) einer automatisierten Handlung Z.B. das Kuppeln, Bremsen, Betätigen des Blinkers, der Hupe etc. automatisierte Handlungen (5) Willen beherrschbar (6) strafrechtlichen Handlungsbegriff Nein! Das Bremsen in überraschender Situation ist eintrainiert, gewissermaßen „vorprogrammiert" und daher vom Willen beherrschbar (sogar vom Willen beherrscht) o.a.

Automatisierte Handlungen werden in d e m M o m e n t für das Strafrecht bedeutsam, in d e m es zu Fehlreaktionen u n d in deren Folge zur Verletzung strafrechtlicher V e r b o t e k o m m t . Beispiel: Durch den plötzlichen Tritt auf die Bremse überschlägt sich M samt Motorrad und Sozia. Letztere kommt dabei ums Leben. Gegen M wird Anklage uiegen fahrlässiger Tötung (§ 222) erhoben. Ob M tatsächlich gemäß § 222 b e s t r a f t wird, mag hier offenbleiben. Welche Stufe des Fall(1) prüfungsschemas ist in jedem Fall erfüllt?

Die bloßen Körperreflexe sind nicht nur von den automatisierten Handlungen, sondern auch von den impulsiven Handlungen zu unterscheiden. (2)

Zu den schlußhandlungen.

Handlungen zählen insbesondere A f f e k t h a n d l u n g e n und Kurz-

Solche Handlungen k o m m e n zwar u n t e r Umgehung der Tathemmungsmechanismen, nicht aber u n t e r Ausschaltung des Bewußtseins u n d des Willens zustande. Sie sind willensgetragen (3) u n d erfüllen daher / erfüllen daher nicht d e n strafrechtlichen Beispiel: Als der Chemiearbeiter Koller vorzeitig von der Frühschicht heimkehrt und seine Gattin in den Armen des Trikotagenvertreters Schäferle überrascht, „dreht er durch" und erschlägt seinen Nebenbuhler. Koller wird wegen Totschlags (§ 212 (1)) angeklagt. Sein Verteidiger beantragt Freispruch, da Koller die Tat in hochgradigem A f f e k t verübt u n d somit den strafrechtlichen Handlungsbegriff gar nicht erfüllt habe. Wird der Verteidiger mit diesem Einwand durchdringen? (4) J a / Nein Begründung:

96

Handlungsbegriff

LE 7

(1) Der strafrechtliche Handlungsbegriff (2) impulsiven (3) erfüllen daher; Handlungsbegriff (4) Nein! Auch Handlungen, die im Affekt vorgenommen werden, sind willensgetragen und erfüllen daher den strafrechtlichen Handlungsbegriff (o.a.).

Ebensowenig wie bloße Körperreflexe erfüllen „Bewegungen" von Schlafenden oder Bewußtlosen den strafrechtlichen Handlungsbegriff. Der Hotelgast H erbricht sich im Schlaf und besudelt den wertvollen Teppichboden. Hotelier beantragt Bestrafung des H wegen Sachbeschädigung (§ 303 (1)).

Der

Wie beurteilen Sie die Aussichten, daß H tatsächlich wegen Sachbeschädigung bestraft wird? (1) Gering / Groß Begründung:

Dasselbe gilt für die Fälle der sog. „vis absoluta". Man spricht von vis absoluta, wenn der ausgeübte Zwang so stark ist, daß der Gezwungene gar nicht in der Lage ist, Widerstand zu leisten. Vis absoluta = willensausschließende Gewalt. (2) Bei vis absoluta erfüllt der Gezwungene den strafrechtlichen Handlungsbegriff / nicht den strafrechtlichen Handlungsbegriff. Beispiel: Am Samstag wird wie üblich im Dorfwirtshaus gerauft. Ein Urlauber tritt nichtsahnend ein und fliegt sofort wieder durch die Glastür nach draußen. Würden Sie den Urlauber wegen Sachbeschädigung (= § 303 (1)) bestrafen? (3) J a / Nein Begründung:

(4) Von der v

ist die „vis compulsiva" zu unterscheiden.

Von vis compulsiva spricht man, wenn der ausgeübte Zwang den Willen des Gezwungenen zwar beugt, aber nicht ausschließt. Jemand wird so lange geprügelt, bedroht, eingesperrt etc. bis er sich fügt. Vis compulsiva = willensbeugende Gewalt. (5) Im Gegensatz zur vis absoluta erfüllt bei der vis den

der Gezwungene

LE 7

Handlungsbegriff

97

(1) Gering! Bei Schlafenden und Bewußtlosen ist der Wille ausgeschaltet. Sie können ihr Verhalten nicht durch den Willen steuern. H hat nicht gehandelt. Er kann deshalb nicht wegen § 303 (1) bestraft werden (o.a.). (2) nicht den strafrechtlichen Handlungsbegriff (3) Wir nicht! Die Sachbeschädigung kam durch vis absoluta zustande. Das Verhalten des Urlaubers war nicht vom Willen beherrschbar. Er hat daher nicht gehandelt. Genauso hätten die Raufenden eine Bierflasche durch die Glastür werfen können. Natürlich macht sich der Werfende strafbar. Er erfüllt den Handlungsbegriff. (4) vis absoluta (5) compulsiva; Handlungsbegriff Bonn. Poppelsdorfer Allee. Der Gewalttäter Z stößt F, dem Lenker des Taxis BN-D 417, den entsicherten Revolver ins Genick und fordert ihn auf, den Polizisten P niederzufahren. In seiner Todesangst tut F, wie ihm geheißen. P ist sofort tot. (1)

Die T ö t u n g des P b e r u h t auf vis absoluta / auf vis compulsiva u n d erfüllt / erfüllt nicht den strafrechtlichen Handlungsbegriff.

Steht damit bereits abschließend fest, daß F wegen eines Tötungsdeliktes b e s t r a f t werden kann? (2) J a / Nein Begründung:

Lösen Sie die beiden folgenden Beispiele aus dem Problembereich des strafrechtlichen Handlungsbegriffs! Während der Fahrt mit Ihrem offenen PKW fliegt Ihnen ein Insekt ins Auge. Wegen des brennenden Schmerzes und weil Sie im Augenblick nichts sehen können, bremsen Sie ziemlich abrupt und verursachen dadurch einen Auffahrunfall.

(3)

Körperreflex oder Handlung? Begründung:

Bei der Talfahrt vom Schauinsland nach Freiburg wird dem Buschauffeur B urplötzlich schwarz vor den Augen. Bewußtlos sinkt er auf dem Fahrersitz zusammen. Dadurch kommt der mit vierzig englischen Touristen besetzte Reisebus von der kurvenreichen Straße ab und überschlägt sich mehrmals. Zwölf Tote und zwanzig Verletzte. Kann B bestraft w e r d e n ? (4) J a / Nein — Begründung:

98

Handlungsbegriff

LE 7

(1) auf vis compulsiva; erfüllt (2) Nein! Bevor dieses abschließende Urteil gefällt werden kann, müssen zunächst Tatbestandsmäßigkeit, Rechtswidrigkeit und Schuld untersucht werden. Letztere ist besonders problematisch. Daß der Gewalttäter Z wegen eines Tötungsdeliktes bestraft werden kann, ist sicher, steht aber auf einem anderen Blatt. (3) Kein bloßer Körperreflex, sondern zumindest auch willensgetragenes Verhalten und daher Handlung (Problem der Fehlreaktion innerhalb der sog. „Schrecksekunde"). (4) Nein! Der Handlungsbegriff ist nicht erfüllt. Ein Bewußtloser kann sein Verhalten nicht durch den Willen beherrschen. Daher entfällt die Strafe (o.a.).

ZUSAMMENFASSUNG A D e r strafrechtliche Handlungsbegriff D i e erste Stufe der strafrechtlichen F a l l p r ü f u n g betrifft den s t r a f r e c h t l i c h e n H a n d l u n g s b e g r i f f . Auf dieser Stufe werden im Rahmen der strafrechtlichen Fallprüfung solche Verhaltensweisen ausgeschieden, die nicht einmal den strafrechtlichen Handlungsbegriff erfüllen (und deshalb nicht strafbar sind). Solche Fälle lassen sich in der Theorie mit einiger Phantasie konstruieren. In der Praxis bilden sie aber eine Rarität. H a n d l u n g i m Sinne des s t r a f r e c h t l i c h e n H a n d l u n g s b e g r i f f s ist ein v o m Willen b e h e r r s c h b a r e s menschliches Verhalten. I m allgemeinen ist m e n s c h l i c h e s Verhalten v o m W i l l e n b e h e r r s c h b a r und erfüllt den strafrechtlichen H a n d l u n g s b e g r i f f . N u r bei bloßen K ö r p e r r e f l e x e n , vis a b s o l u t a , f ü r Schlafende u n d B e w u ß t l o s e fehlt die M ö g l i c h k e i t der B e h e r r s c h u n g des Verhaltens durch den W i l l e n . Der strafrechtliche Handlungsbegriff erfüllt im wesentlichen negative Funktionen. Anders ausgedrückt: Wenn fremde Rechtsgüter durch bloße Körperreflexe, vis absoluta, durch Bewegungen von Schlafenden oder Bewußtlosen beeinträchtigt werden, scheidet eine Bestrafung des „Täters" aus, da in solchen Fällen der strafrechtliche Handlungsbegriff nicht verwirklicht ist. In solchen Fällen bedarf es daher keines Eingehens auf die weiteren Stufen des strafrechtlichen Fallprüfungsschemas. 1. B e w e g u n g e n v o n Schlafenden (S. 9 6 ) o d e r B e w u ß t l o s e n (S. 9 7 ) liegen außerhalb des Begriffs der strafrechtlichen H a n d l u n g . B e i s p i e l e : Unter Vollnarkose beißt der Patient den Chirurgen in die Hand, zerschlägt medizinisches Gerät, „plaudert" Staatsgeheimnisse aus u.ä. A b e r : Bei Schlafenden und Bewußtlosen darf nicht übersehen werden, daß sie möglicherweise zu einem früheren Zeitpunkt gehandelt haben. Wer am Lenkrad einschläft und in diesem Zustand einen folgenschweren Verkehrsunfall verursacht, erfüllt insoweit den Handlungsbegriff, als er trotz heraufziehender Müdigkeit weitergefahren ist; zur Lösung vgl. später S. 212. 2. B l o ß e K ö r p e r r e f l e x e sind keine H a n d l u n g e n im strafrechtlichen Sinn. K ö r p e r r e f l e x e b e w i r k e n eine K ö r p e r b e w e g u n g o h n e Z w i s c h e n s c h a l t u n g des Willens. S o l c h e B e w e g u n g e n sind v o m W i l l e n nicht b e h e r r s c h b a r . B e i s p i e l e : Kniesehnenreflex, Reflex infolge eines Krampfanfalles, eines Stromschlags (S. 93) u.ä. a ) P r o b l e m e bereiten a b e r jene Fälle, die a u f d e r G r e n z e z w i s c h e n K ö r p e r r e f l e x u n d H a n d l u n g liegen. H i e r sind in erster L i n i e F e h l r e a k t i o n e n des K r a f t f a h r e r s zu n e n n e n . B e i s p i e l e : Ein Kraftfahrer verreißt das Steuer, weil ihm ein Insekt ins Auge fliegt (S. 97), weil er von einer Biene gestochen wird, weil die Motorhaube oder die Tür bei voller Fahrt aufspringt, weil die Frontscheibe plötzlich zersplittert, weil ein Reh vor das Auto springt (S. 94) u.ä.

LE 7

Handlungsbegriff

99

W i c h t i g ! Fehlreaktionen eines Kraftfahrers, der von einer plötzlichen Gefahr überrascht wird, sind in den meisten Fällen vom Willen beherrschbar und erfüllen den strafrechtlichen Handlungsbegriff. Dies gilt vor allem auch für die Fehlreaktionen (bzw. das Ausbleiben von Abwehrreaktionen) innerhalb der sog. Reaktionszeit bzw. der sog. Schrecksekunde; zur Gegenüberstellung beider Begriffe vgl. Schönke/Schröder/Cramer § 15 R N 213. b) D i e bloßen Körperreflexe sind weiterhin von den a u t o m a t i s i e r t e n H a n d l u n g e n zu unterscheiden. A u t o m a t i s i e r t e H a n d l u n g e n sind eintrainierte, gleichförmige Verhaltensweisen, bei denen der Wille nicht jedes Mal aktiv eingeschaltet wird. Dieses Einschalten kann jedoch jederzeit erfolgen. I m Gegensatz zu den Körperreflexen erfüllen sie den strafrechtlichen Handlungsbegriff. Beispiele für automatisierte Handlungen: Schalten (S. 94), Kuppeln, Bremsen, Betätigendes Blinkers, der Hupe etc. beim Autofahren; auch im Arbeitsprozeß (z.B. Fließbandarbeiten) kommen in großem Umfang automatisierte Handlungen vor. Automatisierte Handlungen werden in dem Moment für das Strafrecht bedeutsam, in dem es zu Fehlreaktionen deren Folge zu Beeinträchtigungen fremder Rechtsgüter kommt.

und in

c) Von den bloßen Körperreflexen sind schließlich auch die impulsiven H a n d l u n g e n zu unterscheiden. Impulsive H a n d l u n g e n k o m m e n z w a r u n t e r U m g e h u n g der Gesamtpersönlichkeit, n i c h t aber u n t e r A u s s c h a l t u n g des Willens z u s t a n d e . Impulsive Handlungen erfüllen daher den strafrechtlichen Handlungsbegriff. Beispiele: Affekthandlungen und Kurzschlußhandlungen (S. 95). Treffend sagt Welzel:

„Man sieht nur n o c h rot, aber man sieht".

3. Verhaltensweisen, die auf vis compulsiva beruhen, verwirklichen den strafrechtlichen Handlungsbegriff. G e h e n sie dagegen auf vis absoluta zurück, ist der strafrechtliche Handlungsbegriff nicht erfüllt. a) Vis absoluta bedeutet willensausschließende G e w a l t . Bei vis absoluta ist der a u s g e ü b t e Z w a n g so stark, d a ß der G e z w u n g e n e g a r n i c h t in der L a g e ist, W i d e r s t a n d z u leisten. Beispiele: Jemand wird in eine Glasscheibe (S. 96) oder vor ein Auto gestoßen. Dem widerstrebenden Erblasser wird gewaltsam die Hand geführt (§267). b) Vis compulsiva bedeutet willensbeugende Gewalt. Bei vis compulsiva ist der ausgeübte Z w a n g zwar nicht stark genug, u m den Willen des G e z w u n g e n e n auszuschließen. E r ist aber immerhin stark genug, u m den Willen des G e z w u n g e n e n zu beugen. Beispiel: Jemand wird so lange geprügelt, bedroht, eingesperrt, bis er sich fügt und die von ihm verlangte strafbare Handlung begeht (S. 97). „Coactus voluit". B Tun und Unterlassen Tun und Unterlassen sind die beiden E r s c h e i n u n g s f o r m e n der H a n d l u n g . Beide erfüllen den strafrechtlichen Handlungsbegriff. N i c h t nur derjenige „handelt", der etwas „ t u t " , sondern auch derjenige, der etwas „unterläßt". Beispiel: Die Stiefmutter, die ihre Stieftochter vergiftet, erfüllt ebenso den strafrechtlichen Handlungsbegriff wie eine andere, die ihr Stiefkind verhungern oder verdursten läßt (S. 90).

100

Handlungsbegriff

LE 7

„Unterlassen" ist nicht identisch mit „Nichtstun". Im strafrechtlichen Sinne „unterläßt" nur derjenige etwas, der etwas Bestimmtes, das er hätte tun müssen, nicht tut. Wer in den Fernsehnachrichten sieht, wie ein Flugzeug abschmiert (S. 91), wer vom Nachbarn hört, daß am Vortag dessen Sohn ertrunken ist und „untätig bleibt", unterläßt im strafrechtlichen Sinne nichts, weil ein bestimmtes Tun in dieser Situation nicht bzw. nicht mehr geboten ist. Unterlassen ist Nichtvornahme eines gebotenen Tuns. Alles Weitere, insb. die Frage, ob und unter welchen Voraussetzungen man sich durch die Nichtvornahme eines gebotenen Tuns strafbar machen kann, wird in den LE 28—30 behandelt. C Übersicht

W e i t e r f ü h r e n d e H i n w e i s e : In der Rspr. werden Probleme des Handlungsbegriffs nur selten erörtert; vgl. aus neuerer Zeit OLG Hamm JZ 1974 716; OLG Wien ZVR 1982/339 m. Anm. Kienapfel. Zu den Filterfunktionen des Handlungsbegriffs vgl. Baumann AT §16 I 2; Maurach/Zipf AT I §16 RN 13-20.

TE 7

Testfragen zur LE 7

101

1.1

Definieren Sie „Handlung"!

1.2

Bei der Prüfung eines Sachverhalts stellen Sie fest, daß das Verhalten des Täters nicht den strafrechtlichen Handlungsbegriff erfüllt. Kann der Täter bestraft werden? J a / Nein Begründung:

1.3

Definieren Sie den strafrechtlichen Begriff des „Unterlassens"!

1.4

Definieren Sie „automatisierte Handlungen"!

1.5

Nennen Sie zwei Beispiele für automatisierte Handlungen!

1.6

Nennen Sie mindestens drei Fallgruppen von Verhaltensweisen, die nicht vom Willen beherrschbar sind!

2.1

„Hätt unser Leckermüffelche all widder en de Botz jemaht? " Frau Immekeppel (I) beugt sich über ihren 4 Monate alten Sohn und nimmt ihn vorsichtig aus dem Gitterbett. In diesem Augenblick muß sie heftig niesen. Dabei schlägt das Baby mit dem Kopf an eine Gitterstange und zieht sich einen Bluterguß oberhalb des linken Auges zu. Die Verletzung des Kindes beruht auf einer automatisierten Handlung / einer impulsiven Handlung / einem bloßen Körperreflex der I u n d erfüllt daher / erfüllt daher nicht den strafrechtlichen Handlungsbegriff.

102

Testfragen

TE 7

1.7

Bilden oder nennen Sie ein Beispiel für eine „impulsive Handlung"!

2.2

Schräubling steht tagein tagaus an der großen hydraulischen Presse und drückt alle 15 Sekunden den Hebel nieder. Diese Bewegung ist ihm so zur zweiten Natur geworden, daß er auch, als sein Chef unter die Presse tritt, um ihm etwas mitzuteilen, im gewohnten Rhythmus den Hebel betätigt. Die Presse bleibt intakt, der Chef nicht. 1. Um welches Problem geht es in diesem Fall?

2. Bitte lösen Sie es!

2.3

Der wegen Sachbeschädigung Angeklagte trägt unwiderlegt vor: „Ich hatte die antike Vase in der Hand, als ich plötzlich ohnmächtig wurde und zu Boden stürzte. Dabei zersprang die Vase ". Wird der Angeklagte wegen Sachbeschädigung (§ 303 (1)) bestraft werden? Ja / Nein Begründung:

2.4

Morgenmuffel sitzt am Frühstückstisch und liest die Zeitung. Seine leicht erregbare Gattin fragt ihn etwas; er brummt nur mürrisch. — „Immer das gleiche Theater!" kreischt sie unbeherrscht und wirft ihm die Kaffeekanne an den Kopf. Es kommt das Delikt der Körperverletzung in Betracht (§ 223 (1)). Entspricht das Verhalten der Gattin dem Handlungsbegriff? Ja / Nein Begründung:

2.5

103

Testfragen

TE 7

Der Autofahrer A wird, vom Wagen des B in abenteuerlicher Weise „geschnitten". Vor Schreck verreißt A das Lenkrad, gerät auf den Gehweg und fährt einen Fußgänger zu Tode. 1. Um welches Problem geht es?

2. Bitte lösen Sie es!

3. Würden Sie den Fall — bei sonst gleichen Umständen — prinzipiell anders entscheiden, wenn auslösendes Moment ein plötzlicher Stich einer Wespe in die Wange des A gewesen wäre? J a / Nein 2.6

Mark Spatz steht am Rand des Schwimmbeckens. so daß Mark Spatz auf einen anderen Schwimmer

Faßnicht rempelt ihn aus Versehen an, stürzt und ihn verletzt.

1. Kann Mark Spatz wegen Körperverletzung bestraft werden? J a / Nein Begründung:

2. Erfüllt das Verhalten des Faßnicht den strafrechtlichen Handlungsbegriff? J a / Nein — Begründung:

1.8

Den Handlungsbegriff erfüllt nur vis

2.7

Grenzen Sie vis absoluta und vis compulsiva voneinander ab!

TE 7

Antworten

104 1.1

Handlung ist ein vom Willen beherrschbares menschliches Verhalten.

1.2

Nein! Ist der Handlungsbegriff nicht erfüllt, so entfällt schon deshalb eine Bestrafung des Täters (o.a.).

1.3

Unterlassen = Nichtvornahme eines gebotenen Tuns

1.4

Automatisierte Handlungen sind eintrainierte, gleichförmige Verhaltensweisen, bei denen nicht jedesmal der Wille eingeschaltet wird, die aber gleichwohl vom Willen beherrschbar sind (o.a.).

1.5

Schalten, Kuppeln, Bremsen beim Autofahren; Kratzen am Kopf; Kauen an den Fingernägeln

1.6

Bloßer Körperreflex vis absoluta Bewegungen im Schlafe Bewegungen im Zustand der Bewußtlosigkeit

2.1

einem bloßen Körperreflex; erfüllt daher nicht

1.7

Jemand ertappt seine ehebrechende Frau in flagranti und erschlägt sie im Zorn; allgemein: Affekthandlungen; Kurzschlußhandlungen (o.ä.)

2.2

1. Ob ein bloßer Körperreflex oder eine automatisierte Handlung vorliegt 2. Es handelt sich um eine automatisierte Handlung. S aktualisiert nicht bei jedem Hebeldruck seinen Willen, kann ihn aber jederzeit einschalten (o.a.).

2.3

Nein! Bewegungen eines Ohnmächtigen sind nicht vom Willen beherrschbar und erfüllen daher nicht einmal den strafrechtlichen Handlungsbegriff (o.ä.).

2.4

Ja! Es handelt sich um eine impulsive Handlung. Die Gattin könnte beherrschen (o.a.).

2.5

1. Ob der strafrechtliche Handlungsbegriff erfüllt ist. Oder: Um das Problem der „Schrecksekunde". 2. Trotz des Schreckens ist das Verhalten des A (d.h. die Fehlreaktion) vom Willen beherrschbar und daher Handlung im strafrechtlichen Sinne (o.ä.). Es kommt allerdings auf die Intensität des Schreckens und den zeitlich-räumlichen Zusammenhang zwischen der Reaktion des A und dem Überfahren des Fußgängers an. 3. Prinzipiell: Nein! Aber: Bei ganz besonderer Intensität des Schreckens und bei ganz engem zeitlichräumlichem Zusammenhang zwischen der Reaktion des A und dem Überfahren des Fußgängers könnte auch anders zu entscheiden sein.

2.6

1. Nein! Für ihn liegt vis absoluta vor. Damit erfüllt sein Verhalten schon nicht den Handlungsbegriff. 2. J a ! Das Anrempeln ist ein vom Willen beherrschbares Verhalten.

1.8

vis compulsiva

2.7

Bei vis absoluta ist der ausgeübte Zwang so stark, daß der Gezwungene gar nicht in der Lage ist, Widerstand zu leisten = willensausschließende Gewalt.

ihr Verhalten mit dem Willen

Bei vis compulsiva führt der ausgeübte Zwang zur Willensbeugung und damit zur willentlichen Vornahme der abgenötigten Handlung = willensbeugende Gewalt (o.ä.).

TATBESTANDSMERKMALE

LE 8

105

L e r n z i c l : In dieser LE sollen Sie sich mit den verschiedenen Arten der Tatbestandsmerkmale vertraut machen: mit „objektiven" und „subjektiven", mit „deskriptiven" und „normativen" sowie mit den „ungeschriebenen" Tatbestandsmerkmalen.

Im Rahmen der Fallprüfung geht es unter I um die Frage der Tatbestandsmäßigkeit, d.h. um die Frage, ob sich eine Handlung unter einen bestimmten Tatbestand subsumieren läßt. Zur Erleichterung dieser Subsumtion gliedert man den Tatbestand in seine jeweiligen Tatbestandsmerkmale und untersucht sie einzeln u n d in logisch geordneter Reihenfolge. Lesen Sie bitte § 242 (1)! (1) Wer / eine fremde / / Sache / wegnimmt / in der Absicht, dieselbe sich rechtswidrig zuzueignen (sog. Zueignungsabsicht). Es fällt auf, daß die einzelnen Tatbestandsmerkmale nicht im gleichen Maße aus sich heraus verständlich sind. „Beweglich" ist eher aus sich heraus verständlich als „ f r e m d " . Besonderer Hervorhebung bedarf, daß sich das komplizierteste der genannten Tatbestands(2) merkmale, die Zueignungsabsicht, auf Umstände bezieht, die im Inneren des Täters / in der Außenwelt liegen.

(3)

Beachten Sie im übrigen, daß wie bei der Zueignungsabsicht häufig mehrere Worte eine Sinneinheit und daher ein einziges Tatbestandsmerkmal / mehrere Tatbestandsmerkmale darstellen. Die einzelnen Tatbestandsmerkmale stehen nicht zusammenhanglos nebeneinander. Sie sind vielmehr aufeinander bezogen. „ F r e m d " u n d „beweglich" sind daher nicht als isolierte Begriffe, sondern als Eigenschaften der „Sache" i.S.d. § 242 (1) zu verstehen.

(4) Aus logischen Gründen erfolgt die Prüfung der Merkmale „beweglich" und „ f r e m d " vor / nach der Prüfung des Sachbegriffs. Trennen Sie die verschiedenen Tatbestandsmerkmale des im folgenden abgedruckten (5) Betruges (§ 263 (1)) jeweils durch einen Schrägstrich! „Wer in der Absicht, sich oder einem Dritten einen rechtswidrigen Vermögensvorteil zu verschaffen, das Vermögen eines anderen dadurch beschädigt, daß er durch Vorspiegelung falscher oder durch Entstellung oder Unterdrückung wahrer Tatsachen einen Irrtum erregt oder unterhält, ".

106

Tatbestandsmerkmale

LE 8

(1) bewegliche (2) im Inneren des Täters (3) ein einziges Tatbestandsmerkmal (4) nach (5) „Wer / in der Absicht, sich oder einem Dritten einen rechtswidrigen Vermögensvorteil zu verschaffen, / das Vermögen eines anderen dadurch beschädigt, / daß er durch Vorspiegelung falscher oder durch Entstellung oder Unterdrückung wahrer Tatsachen / einen Irrtum erregt oder unterhält, — " .

Die verschiedenen Tatbestandsmerkmale sind unter einem bestimmten Aspekt einander ähnlich. Das Tatbestandsmerkmal „ f r e m d " bezieht sich ebenso wie „beweglich" u n d „Sache" auf etwas Objektives, auf das äußere Erscheinungsbild der Handlung. Das gleiche gilt für das „Wegnehmen". Unter jedes dieser Tatbestandsmerkmale kann nur ein Sachverhalt subsumiert werden, (1) der das äußere Erscheinungsbild der Handlung ausmacht / im seelischen Bereich des Täters gelegen ist. Solche Tatbestandsmerkmale heißen „objektive" Tatbestandsmerkmale. Definition: Objektive Tatbestandsmerkmale beziehen sich auf das äußere Erscheinungsbild der Handlung. Alle objektiven Tatbestandsmerkmale zusammen bilden den objektiven oder gesetzlichen Tatbestand. Gesetzlicher Tatbestand (Synonym: objektiver Tatbestand) ist die Summe aller objektiven Tatbestandsmerkmale eines Delikts. Lesen Sie § 242 (1)! Welches seiner Tatbestandsmerkmale gehört nicht zum gesetzlichen (2) Tatbestand, weil es kein objektives Tatbestandsmerkmal ist?

(3) Das Gegenstück zu den " bilden die „subjektiven" Tatbestandsmerkmale. Sie beziehen sich auf Umstände im seelischen Bereich des Täters. Das war auch der Grund, warum Sie bei der Frage (2) die „Zueignungsabsicht" nicht als objektives Tatbestandsmerkmal bezeichnet haben. Das subjektive Tatbestandsmerkmal des § 242 (1) nimmt auf Umstände Bezug, die im seelischen Bereich des Täters gelegen sind. Es handelt sich bei der Zueignungsabsicht des (4) § 242 (1) daher um ein Tatbestandsmerkmal. Definition: Subjektive Tatbestandsmerkmale beziehen sich auf Umstände, die im seelischen Bereich des Täters gelegen sind. (5) Alle subjektiven Tatbestandsmerkmale zusammen bilden den T Bei vielen Delikten besteht der subjektive Tatbestand nur aus einem einzigen subjektiven Tatbestandsmerkmal. (6) Wie lautet das subjektive Tatbestandsmerkmal beim Betrug (§ 263 (1))?

LE 8

Tatbestandsmerkmale (1) (2) (3) (6)

107

der das äußere Erscheinungsbild der Handlung ausmacht „Absicht, dieselbe sich rechtswidrig zuzueignen" bzw. Zueignungsabsicht objektiven (4) subjektives (5) subjektiven Tatbestand „Absicht, sich oder einem Dritten einen rechtswidrigen Vermögensvorteil zu verschaffen"

(1) § 242 (1) bitte lesen und einsetzen!

fremd

objektive Tatbestandsmerkmale (= gesetzlicher Tatbestand)

.Tatbestand

subjektive Tatbestandsmerkmale Zueignungsabsicht (= subjektiver Tatbestand) Nicht alle subjektiven Tatbestandsmerkmale sind als solche ohne weiteres erkennbar. Lesen Sie bitte § 253 (1)! Die für die Erpressung in gleicher Weise wie für den Betrug typische Bereicherungsabsicht (2) hat das StGB bei diesem Delikt mit den Worten beschrieben (bitte ergänzen!)

(3) Auch der Tatbestand der Urkundenfälschung (§ 267 (1)) enthält ein subjektives (4) Welches? Insgesamt finden sich in den Tatbeständen des StGB aber objektive Tatbestandsmerkmale weitaus häufiger als subjektive. Viele Delikte, z.B. Totschlag (§ 212 (1)), Körperverletzung (§ 223 (1)) oder Sachbeschädigung (§ 303 (1)), kommen überhaupt ohne subjektive Tatbestandsmerkmale aus. Subjektive Tatbestandsmerkmale verwendet das Gesetz nur dort, wo sich das typische Unrecht allein durch die objektiven Tatbestandsmerkmale noch nicht hinreichend beschreiben läßt. (5) Diese Zurückhaltung des Gesetzgebers gegenüber den merkmalen ist berechtigt:

Tatbestands-

Niemand kann in den Täter hineinsehen, weder die Polizei noch der Staatsanwalt noch das Gericht. Der Nachweis, daß ein subjektives Tatbestandsmerkmal verwirklicht worden (6) ist, bereitet daher in der Praxis viel größere/keine größeren Schwierigkeiten als bei den objektiven Tatbestandsmerkmalen. Oft gibt der Täter die objektiven Tatbestandsmerkmale zu, streitet aber entschieden ab, z.B. in Bereicherungsabsicht (§ 263 (1)) gehandelt zu haben.

(7)

Hier kann man allenfalls aus bestimmten Indizien (= äußerlichen Anzeichen) mittelbar auf das Vorhandensein der zum ... des § 263 (1) gehörenden Bereicherungsabsicht schließen.

108

LE 8

Tatbestandsmerkmale (1) Sache; beweglich; Wegnahme (2) um sich oder einen Dritten zu Unrecht zu bereichern (3) Tatbestandsmerkmal (4) zur Täuschung im Rechtsverkehr (= sog. „Täuschungsabsicht") (5) subjektiven (6) viel größere (7) Tatbestand

Schlaumeiers (S) Aktien der Krach & Bums AG sind kaum noch etwas wert. Denn diese Aktiengesellschaft steht kurz vor dem Konkurs. Raffke (R) weiß es nicht. S schwatzt ihm seine Aktien auf. R kauft und geht wenig später prompt bankrott. S wird wegen Betrugs (§ 263 (1)) angeklagt. Er streitet die Bereicherungsabsicht ab. Der T a t b e s t a n d des Betrugs ist aber nur d a n n verwirklicht, wenn neben den objektiven (1) Tatbestandsmerkmalen auch erfüllt ist. Für das Vorhandensein der Bereicherungsabsicht sprechen die folgenden Indizien: S hat selbst Aktien. Er weiß, daß seine Aktien nichts mehr wert sind. Gleichwohl schwatzt er sie dem R auf. R ist ahnungslos. S hat seinen Verlust auf R abgewälzt. (2)

Erst n a c h d e m dieser innerseelische Sachverhalt aus den genannten mittelbar erschlossen worden ist, können wir daran denken, ihn u n t e r das subjektive Tatbestandsmerkmal im § 263 (1), die Bereicherungsabsicht, zu subsumieren.

(3)

Die g e n a n n t e n Indizien legen insgesamt d e n Schluß nahe / nicht nahe, daß S auf Kosten des R sein eigenes Vermögen vermehren wollte u n d daher m i t gehandelt h a t . Das spanische Dienstmädchen Conchita (C) nimmt in einem unbeobachteten Moment ihrer Arbeitgeberin eine Geldnote aus dem Portemonnaie und versteckt sie in ihrer Schlafkammer unter der Matratze. Dieser Sachverhalt läßt mindestens zwei Indizien dafür erkennen, daß C mit der für den Diebstahl erforderlichen Zueignungsabsicht (§ 2 4 2 (1)) gehandelt hat.

(4) Worin erblicken Sie die beiden Indizien?

(5)

Gibt es subjektive Tatbestandsmerkmale im T a t b e s t a n d / im gesetzlichen T a t b e s t a n d

(6)

des § 246 (1)? des § 2 6 5 a (1)?

J a / Nein J a / Nein

des § 146 (1)? des § 153?

J a / Nein J a / Nein

LE 8

Tatbestandsmerkmale

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(1) das subjektive Tatbestandsmerkmal bzw. die Bereicherungsabsicht (2) Indizien (3) nahe; Bereicherungsabsicht (4) C handelt „in einem unbeobachteten Moment". Sie „versteckt" das Geld dort, wo es ganz unzugänglich ist, unter ihrer Matratze. Diese Umstände jedenfalls sprechen für die Zueignungsabsicht. Ob letztere dadurch hinreichend dargetan (= bewiesen) ist, ist eine andere Frage. Ich möchte es annehmen. (5) im Tatbestand (6) Ja: § 265 a (1) und § 146 (1); nein: § 246 (1) und § 153

Unter dem Aspekt ihrer Auslegungsbedürftigkeit teilt man die Tatbestandsmerkmale ein in „deskriptive" und „normative".

Manche Tatbestandsmerkmale bedürfen mehr der Auslegung, andere weniger. Das Tatbestandsmerkmal „beweglich" im § 242 (1) bedarf kaum einer Auslegung. Noch weniger auslegungsbedürftig ist z.B. das Tatbestandsmerkmal „ F r a u " im § 177 (1). Bedarf das Tatbestandsmerkmal „Mann über 18 J a h r e " (§ 175 (1)) noch weiterer Auslegung? (1) J a / N e i n (2) Die angeführten Tatbestandsmerkmale bedürfen kaum einer weil sie aus sich heraus verständlich sind. Der Sinngehalt eines Begriffes ist aus sich heraus verständlich u n d bedarf daher keiner weiteren Erklärung, wenn er sich z.B. aus der Lebenserfahrung oder aus feststehenden äußeren Maßstäben (z.B. Geschlecht, Zahlen) ergibt. Am Inhalt solcher Tatbestandsmerkmale gibt es nichts zu rütteln und zu deuteln. Sie sprechen sozusagen für sich selbst. (3) Tatbestandsmerkmale, deren Sinngehalt aus nennt man deskriptive Tatbestandsmerkmale. (4) Für die praktische Rechtsanwendung bringt die Verwendung von Tatbestandsmerkmalen Vorteile mit sich. (5) Können Sie sich denken welche?

(6) Definieren Sie „deskriptive Tatbestandsmerkmale"!

verständlich ist,

LE 8

Tatbestandsmerkmale

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(1) Nein! (2) Auslegung (3) sich heraus (4) deskriptiven (5) Man braucht sie nicht erst mühsam auszulegen (o.a.). (6) „Deskriptiv" nennt man solche Tatbestandsmerkmale, deren Sinngehalt aus sich heraus verständlich ist.

(1) Das Gegenstück zu d e n

bilden die „ n o r m a t i v e n " Tatbestandsmerk-

male. Der Sinngehalt eines solchen Tatbestandsmerkmals ist nicht aus sich heraus verständlich. Er bedarf vielmehr einer näheren Erklärung. Dies geschieht durch eine Ausfüllung des Begriffs a n h a n d einer Werte- (= Normen-)ordnung. Tatbestandsmerkmale, die einer Ausfüllung a n h a n d einer Werteordnung bedürfen, bezeichnet m a n als normative Tatbestandsmerkmale. Kurzformel: Normative Tatbestandsmerkmale = wertausfüllungsbedürftige Tatbestandsmerkmale. Im § 176 (1) finden Sie d e n Begriff „sexuelle H a n d l u n g e n " (bitte lesen!). J e d e r versteht darunter etwas anderes. Maßgebende Richtlinie für die Auslegung dieses Merkmals ist die herrschende Sittenordnung. „Sexuelle H a n d l u n g e n " ist daher ein typisches Beispiel für (2) ein Tatbestandsmerkmal. Auch die Legaldefinition der „sexuellen H a n d l u n g e n " in § 184c Z 1 ändert nichts daran. Im Gegenteil! Sie bestätigt, daß „sexuelle H a n d l u n g e n " ein in h o h e m Maße normativer Begriff („von einiger Erheblichkeit"!) ist. § 184c Z 1 bitte lesen! Aber auch das T a t b e s t a n d s m e r k m a l „ f r e m d " im Diebstahl (§ 242 (1)) ist nicht aus sich (3) heraus verständlich u n d daher kein Tatbestandsmerkmal. Dieser Begriff bedarf der Ausfüllung a n h a n d der geltenden Eigentumsordnung. Auf diese bezogen definiert m a n „ f r e m d " (§ 242 (1)) wie folgt: Eine Sache ist „ f r e m d " , w e n n ihr Eigentümer ein anderer als der Täter ist. O h n e diesen Rückgriff auf die geltende Eigentumsordnung („Eigentümer") bleibt das (4) Merkmal „ f r e m d " unklar, verschwommen. Der Begriff „ f r e m d " ist daher ein Tatbestandsmerkmal. Neben den objektiven k ö n n e n insbesondere auch subjektive Tatbestandsmerkmale der Auslegung a n h a n d einer Werteordnung bedürftig, d.h. normative Begriffe sein. Das gilt z.B. für die „Zueignungsabsicht" b e i m Diebstahl (§ 242 (1)) u n d die „Bereicherungsabsicht" beim Betrug (§ 263 (1)) u n d bei der Erpressung (§ 2 5 3 (1)). (5) Ordnen Sie die folgenden Tatbestandsmerkmale zu! „ z e r s t ö r e n " (§ 3 0 3 (1)) „zur Täuschung im R e c h t s v e r k e h r " (§ 267 (1)) „ t ö t e n " (§ 212 (1)) (6) Definieren Sie „normative T a t b e s t a n d s m e r k m a l e " !

normativ / deskriptiv normativ / deskriptiv normativ / deskriptiv

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Tatbestandsmerkmale

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(1) deskriptiven (2) normatives (3) deskriptives (4) normatives (5) „zerstören" (§ 303 (1)) = mehr normativ ,„zur Täuschung im Rechtsverkehr" (§ 267 (1)) = mehr normativ „töten" (§212{1» = mehr deskriptiv (6) Normative Tatbestandsmerkmale bedürfen der Ausfüllung anhand einer Werteordnung. Bei der Zuordnung des einen oder anderen Tatbestandsmerkmals haben Sie nicht ohne Grund gezögert. Sie haben selbst entdeckt, daß diese Entscheidung nicht immer leicht und auch nicht immer ganz eindeutig zu treffen ist. Bei den meisten Tatbestandsmerkmalen fließen Normatives und Deskriptives ineinander über. (1) Wir wollen Ihrer zutreffenden Entdeckung am Beispiel des scheinbar rein deskriptiven / normativen Merkmals ,.Mensch" (z.B. § 212 (1)) nachgehen. In der Göttinger Universitätsklinik erliegt ein junger Mann seiner schweren Schädelverletzung. Vor seinem Tode hat er sein Herz für eine Transplantation an einen Herzkranken bestimmt. Bei derartigen Organtransplantationen stellt sich stets die Frage: Ab wann gilt der Organ(2) Spender als und daher nicht mehr als „Mensch" im Sinne der Tötungsdelikte? Von der Beantwortung dieser Frage hängt es ab, ob der das Organ entnehmende Chirurg etwa wegen Totschlags (§ 212 (1)) bestraft werden kann! (3) Obwohl das Merkmal „Mensch" aus sich heraus verständlich und daher ein Begriff ist, k o m m t man mit dieser Erkenntnis zumindest im vorliegenden Fall nicht weit. Der Begriff „Mensch" bedarf der Auslegung nach Maßgabe der medizinisch-juristischen Werteordnung. Nach heutiger Auffassung ist insbesondere das Ausbleiben der Gehirnströme ein Indiz für (4) den Eintritt des Todes. So lange muß der Chirurg mit der Organentnahme Im Randbereich zwischen Leben u n d Sterben erweist sich das Tatbestandsmerkmal (5) ,.Mensch" somit durchaus als deskriptiv / als normativ. In diesem Randbereich hat der an sich deskriptive Begriff „Mensch" einen normativen Einschlag. (6) Bei „ F r a u " (§ 177 (1)) handelt es sich an sich um ein deskriptives / normatives Tatbestandsmerkmal. Bezüglich der rechtlichen Problematik von „ Z w i t t e r n " erweist sich aber, (7) daß selbst dieses Tatbestandsmerkmal einen Einschlag besitzt. (8) „Normativ" bzw. „deskriptiv" ist somit eine Frage des „entweder — o d e r " / des „ m e h r " oder „weniger".

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Tatbestandsmerkmale

LE 8

(1) rein deskriptiven (2) tot bzw. Leiche (3) deskriptiver (4) warten (5) als normativ (6) deskriptives (7) deskriptive; normativen (8) des „ m e h r " oder „weniger"

Neben den „geschriebenen" gibt es „ungeschriebene" Tatbestandsmerkmale.

„Dein verstorbener Vater war ein elendes Nazischwein", fung des A wegen Beleidigung (§ 185).

sagt A zu B. B beantragt

Bestra-

Lesen Sie bitte § 185! (1) Dieser Vorwurf richtet sich gegen B / gegen den Vater des B. Letzterer aber ist längst tot. Kann B's Vater überhaupt „beleidigt" werden? Sind Tote überhaupt beleidigungsfähig i.S.d. § 185? Diese Frage wird von Praxis und Lehre dahin beantwortet, daß beleidigungsfähig nur der lebende Mensch ist. Bei dem Erfordernis, daß der Beleidigte eine lebende Person sein muß, handelt es sich um (2) ein aus dem Wortlaut des § 185 ersichtliches / nicht ersichtliches und daher um ein schriebenes Tatbestandsmerkmal der Beleidigung. Ungeschriebene Tatbestandsmerkmale kommen nur bei wenigen Delikten vor. Durch ungeschriebene Tatbestandsmerkmale wird der in § 1 1. Halbsatz verankerte (3) Grundsatz „n p " nur scheinbar durchbrochen. Wo ungeschriebene Tatbestandsmerkmale entwickelt wurden, treten sie immer zu bereits vorhandenen geschriebenen Tatbestandsmerkmalen hinzu. (4) J e mehr Merkmale ein Tatbestand aufweist, umso mehr / umso weniger Sachverhalte können unter ihn subsumiert werden. Daher werden der Tatbestand und damit die Straf(5) barkeit durch zusätzliche ungeschriebene Tatbestandsmerkmale ausgedehnt / eingeschränkt. (6) Eine Einschränkung des Tatbestands verstößt aber nie / verstößt stets gegen den Sinn des § 1 1 . Halbsatz. Erklären Sie, warum ungeschriebene Tatbestandsmerkmale nicht gegen den Grundsatz (7) „nulla poena sine lege" verstoßen!

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Tatbestandsmerkmale

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(1) gegen den Vater des B (2) nicht ersichtliches; ungeschriebenes (der Vater des B ist also nicht „beleidigt" worden. Es kommt jedoch das Delikt „Verunglimpfung des Andenkens Verstorbener" (§189) in Betracht). (3) nulla poena sine lege (4) umso weniger (5) eingeschränkt (6) verstößt aber nie (7) Je mehr Tatbestandsmerkmale, umso eingeengter der Tatbestand. Daher wird die Strafbarkeit durch hinzutretende ungeschriebene Tatbestandsmerkmale nicht erweitert, sondern eingeschränkt (o.a.).

ZUSAMMENFASSUNG A Objektive und subjektive T a t b e s t a n d s m e r k m a l e Maßgebender A s p e k t dieser Einteilung ist der B e z u g s g e g e n s t a n d .

1. Objektive T a t b e s t a n d s m e r k m a l e beziehen sich a u f das ä u ß e r e Erscheinungsbild der H a n d l u n g . Zu dieser Kategorie zählen die meisten Tatbestandsmerkmale des StGB. Beim Diebstahl (§242 (1)) z.B. gehören zu den objektiven Tatbestandsmerkmalen die Begriffe „fremd", „beweglich", „Sache" und „wegnehmen". Objektive Tatbestandsmerkmale verwendet das Gesetz vor allem, um die Tathandlung (z.B. bei §242 (1): „Wegnahme") und das Tatobjekt (z.B. bei §242 (1): „fremde bewegliche Sache"; vgl. auch S. 40), gegebenenfalls aber auch um den Erfolg (bei den Erfolgsdelikten; Näheres LE 9) und die Person des Täters (z.B. bei §217 (1): eine „Mutter"; bei §332 (1): ein „Amtsträger"; bei §332 (2): ein „Richter") zu umschreiben. 2. Subjektive T a t b e s t a n d s m e r k m a l e beziehen sich a u f U m s t ä n d e , die im seelischen B e r e i c h des T ä t e r s liegen. Subjektive Tatbestandsmerkmale verwendet der G e s e t z g e b e r in erster Linie, um b e s t i m m t e Ziele zu beschreiben, die der T ä t e r mit seiner Handlung verfolgt. Beispiele: „Zueignungsabsicht" beim Diebstahl (§242 (1)) und beim Raub (§249 (1)); „Bereicherungsabsicht" beim Betrug (§263) und bei der Erpressung (§253 (1)); „Täuschungsabsicht" bei der Urkundenfälschung (§267 (1)). Subjektive Tatbestandsmerkmale bedeuten stets eine entscheidende Eingrenzung des Unrechts. Wer ein fremdes Buch wegnimmt, um es nach kurzem Blättern wieder zurückzugeben, begründet kein Diebstahlsunrecht, da er ohne Zueignungsabsicht gehandelt hat. Es liegt vielmehr eine straflose bloße Gebrauchsentziehung (sog. furtum usus) vor. Das Fälschen eines Schecks bloß „aus Jux" ist unter dem Aspekt des §267 tatbestands- und damit straflos. Die tatsächliche Feststellung subjektiver T a t b e s t a n d s m e r k m a l e bereitet in der Praxis meist erhebliche Schwierigkeiten. Das G e r i c h t muß in solchen Fällen aus bestimmten äußeren Anzeichen ( = Indizien) auf das Vorhandensein jenes innerseelischen Sachverhalts schließen, den das subjektive Tatbestandsmerkmal voraussetzt; vgl. S. 107f. Vor allem in diesem Bereich kommt es in Anwendung des bekannten prozessualen Grundsatzes „Im Zweifel für den Angeklagten" = „in dubio pro reo" häufig zu Freisprüchen. B Deskriptive und n o r m a t i v e T a t b e s t a n d s m e r k m a l e M a ß g e b e n d e r A s p e k t dieser Einteilung ist der G r a d der Auslegungsbedürftigkeit.

1. Als deskriptive T a t b e s t a n d s m e r k m a l e bezeichnet m a n solche T a t b e s t a n d s m e r k m a l e , deren Sinngehalt aus sich h e r a u s verständlich ist. Sie bedürfen im allgemeinen keiner weiteren Erklärung. Beispiele: „Frau" (z.B. §177(1)); „Mann über 18 Jahre" (§175(1)); „Mädchenunter 16 Jahren" (§182(1)); „leibliche Geschwister" (§173 (2) Satz 2); „beweglich" (§242 (1)); „töten" (§212 (1)).

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Tatbestandsmerkmale

LE8

2. Als n o r m a t i v e T a t b e s t a n d s m e r k m a l e bezeichnet m a n jene Tatbestandsmerkmale, welche einer Ausfüllung a n h a n d einer W e r t e o r d n u n g bedürfen ( = „wertausfüllungsbedürftige Tatbestandsmerkmale"). Beispiele: „Sexuelle Handlungen" (z.B. §174 (1); §176 (1); §178 (1)); „fremd" (§242 (1)); „Zueignungsabsicht" (§242 (1)); „Bereicherungsabsicht" (§263 (1)); „körperlich mißhandeln" (§223 (1)); „Urkunde" (§267 (1)). Gerade die normativen Tatbestandsmerkmale sind jene, die bei der Auslegung häufig die größten Schwierigkeiten bereiten. Inhalt und Bedeutung solcher Tatbestandsmerkmale erschließen sich oft erst aufgrund teleologischer Auslegung; vgl. dazu bereits S. 53f. Die G r e n z e n zwischen deskriptiven und n o r m a t i v e n T a t b e s t a n d s m e r k m a l e n sind fließend. Auch scheinbar rein deskriptive Tatbestandsmerkmale sind in ihren R a n d z o n e n normativ ( n o r m a t i v e r E i n schlag). Beispiel: Bezüglich des Begriffs „Mensch" (z.B. §212 (1)) stellt sich im Zusammenhang mit den Organtransplantationen etwa die Frage nach dem Zeitpunkt des Todes des Organspenders. Die Entnahme eines unpaarigen Organs (z.B. Herz, Leber) vor diesem Zeitpunkt ist Totschlag i. S.d. §212(1); vgl. S. 111. Einen normativen Einschlag besitzt der Begriff „Mensch" auch hinsichtlich der Frage des Beginns des Menschseins. Wird man zum Menschen erst mit der Vollendung der Geburt? Mit dem ersten Schrei? Die h.M. stellt demgegenüber bereits auf den Beginn der Geburt, und zwar auf das Einsetzen der Eröffnungswehen ab; näher Schönke/Schröder/ Eser Vorbem §§ 21 lff. R N 13. C Geschriebene u n d ungeschriebene T a t b e s t a n d s m e r k m a l e D a s G r o s der Tatbestandsmerkmale ist ausdrücklich im G e s e t z festgelegt ( = geschriebene Tatbestandsm e r k m a l e ) . U n g e s c h r i e b e n e T a t b e s t a n d s m e r k m a l e k o m m e n nur bei vereinzelten Delikten vor. Beispiele: Ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal bei der Beleidigung (§185) ist die Beleidigungsfähigkeit. Beleidigungsfähig sind nur lebende Personen. Bezüglich verstorbener Personen kommt daher nicht Beleidigung (§ 185), sondern das Delikt der Verunglimpfung des Andenkens Verstorbener (§189) in Betracht. Ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal beim Delikt der Unterlassenen Hilfeleistung (§323c) ist die tatsächliche Möglichkeit der Hilfeleistung (näher L E 28). Bei den meisten Erfolgsdelikten ist die „Kausalität" ein ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal (näher LE 10); desgleichen der „Risikozusammenhang" bei den fahrlässigen Erfolgsdelikten (näher L E 27). D Der Tatbestand U n t e r dem A s p e k t des Verhältnisses von Tatbestand und U n r e c h t hatten wir Tatbestand definiert als „gesetzliche B e s c h r e i b u n g einer H a n d l u n g , die (generell betrachtet) strafrechtliches U n r e c h t ist" ( L E 5). 1. D e r Begriff T a t b e s t a n d läßt sich aber auch unter einem sehr formalen Aspekt definieren. T a t b e s t a n d ist die S u m m e aller objektiven u n d subjektiven T a t b e s t a n d s m e r k m a l e eines Delikts. D e r Tatbestand des Diebstahls ( § 2 4 2 (1)) lautet: „Wer eine fremde bewegliche Sache einem anderen in der A b s i c h t w e g n i m m t , dieselbe sich rechtswidrig zuzueignen". W e r alle Tatbestandsmerkmale eines Delikts erfüllt, handelt t a t b e s t a n d s m ä ß i g . Der Tatbestand eines bestimmten Delikts entfällt, wenn auch nur ein einziges objektives oder subjektives Tatbestandsmerkmal nicht erfüllt ist. Keinen Diebstahl begeht z.B. der Verleiher eines Fahrrades, der es dem Entleiher eigenmächtig wegnimmt; denn die Wegnahme einer eigenen Sache ist kein Diebstahl. Wer einen fremden Vogel aus dem Vogelbauer nimmt, um ihn freizulassen, erfüllt zwar alle objektiven Tatbestandsmerkmale des §242 (1); aber auch er begeht keinen Diebstahl, weil er nicht mit Zueignungsabsicht gehandelt hat.

Tatbestandsmerkmale

LE 8

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Innerhalb des Tatbestandes unterscheidet man den gesetzlichen ( = objektiven) Tatbestand und den subjektiven Tatbestand. 2. Gesetzlicher Tatbestand ( S y n o n y m : objektiver Tatbestand) ist die Summe der objektiven Tatbestandsmerkmale eines Delikts. Das StGB verwendet den Begriff „gesetzlicher Tatbestand" z.B. in den §§ 11 (2), 13 und 16 (1). Beim Diebstahl lautet der gesetzliche Tatbestand: „Wer eine fremde bewegliche Sache einem anderen w e g n i m m t " . Der objektive = gesetzliche Tatbestand bildet den „gegenständlich — realen Kern eines jeden Delikts" (Welzel). 3. Subjektiver Tatbestand ist die Summe der subjektiven Tatbestandsmerkmale eines Delikts. Beim Diebstahl lautet der subjektive Tatbestand: „In der Absicht, dieselbe sich rechtswidrig zuzueignen". Es gibt eine Reihe von Delikten, deren Tatbestand sich sowohl aus objektiven als auch aus subjektiven Tatbestandsmerkmalen zusammensetzt. Beispiele: Diebstahl (§242 (1)); Raub (§249 (1)); Erpressung (§253 (1)); Betrug (§263 (1)); Urkundenfälschung (§267(1)). Bei solchen Delikten handelt tatbestandsmäßig nur, wer auch den subjektiven Tatbestand erfüllt. Wer einem anderen eine Sache ohne Bereicherungsabsicht abnötigt, begeht keine Erpressung (§253 (1)); u. U. §240 (1)). Wer einen anderen durch Täuschung, aber ohne Bereicherungsahsicht, zur Herausgabe einer Sache veranlaßt, erfüllt nur den objektiven, nicht aber den subjektiven Tatbestand des §263 (1), begeht also keinen Betrug; wer eine Urkunde ohne Täuschungsahsicht fälscht oder verfälscht, begeht keine Urkundenfälschung, weil er den Tatbestand des §267 (1) nicht erfüllt; vgl. auch oben A. Bei den meisten Delikten k o m m t der Gesetzgeber ohne subjektive Tatbestandsmerkmale aus. Bei ihnen sind die Begriffe „gesetzlicher Tatbestand" und „Tatbestand" identisch und austauschbar. Beispiele: Totschlag (§212 (1)); Körperverletzung (§223 (1)); Freiheitsberaubung (§239 (1)); Nötigung (§240 (1)); Unterschlagung (§246 (1)); Sachbeschädigung (§303 (1)). E Übersicht über die A r t e n der Tatbestandsmerkmale

Maßgebende Aspekte

Bezeichnung der Tatbestandsmerkmale

Bezugsgegenstand

objektive / subjektive

Grad der Auslegungsbedürftigkeit

deskriptive / normative

Gesetzliche Verankerung

geschriebene / ungeschriebene

W e i t e r f ü h r e n d e s S c h r i f t t u m : Zu den Arten der Tatbestandsmerkmale vgl. Baumann AT §12 II 1; zur Vertiefung vgl. Jescheck AT §26 IV, §27, §30.

116 2.1

Testfragen zur L E 8

TE8

Lesen Sie § 2 5 7 (1). Dieser Tatbestand enthält eine Reihe von Tatbestandsmerkmalen. Analysieren Sie die einzelnen Tatbestandsmerkmale, indem Sie die einzelnen Spalten ankreuzen!

§ 257(1)

objektiv

subjektiv

mehr deskriptiv

mehr normativ

ungeschrieben geschrieben

einem anderen nach Begehung einer rechtswidrigen Tat Hilfe leisten Absicht, ihm die Vorteile der Tat zu sichern

1.1

Wie lautet der gesetzliche (= objektive) Tatbestand des § 257 (1)?

1.2

Läßt sich die A n e r k e n n u n g ungeschriebener Tatbestandsmerkmale mit d e m Grundsatz „nulla p o e n a sine l e g e " des § 1 1 . Halbsatz vereinbaren? J a / Nein Begründung:

1.3

In der Praxis bereitet die S u b s u m t i o n u n t e r die subjektiven Tatbestandsmerkmale o f t große Schwierigkeiten. Warum?

1.4

Definieren Sie „normative Tatbestandsmerkmale"!

TE 8 2.2

Testfragen

117

Beim Verlassen der Gaststätte greift A versehentlich nach dem Hut des E und setzt ihn auf. E sieht dies, stürzt hinter A her und beschuldigt ihn des Diebstahls (§ 242 (1)). 1. Hat A den Tatbestand des Diebstahls erfüllt? J a / Nein Begründung:

2. Jetzt bitte aufpassen! Hat A den gesetzlichen Tatbestand des Diebstahls erfüllt? J a / Nein Begründung:

1.5

Was versteht man unter „objektiven Tatbestandsmerkmalen"?

1.6

Geben Sie zwei Paragraphen aus dem StGB an, in denen der Gesetzgeber subjektive Tatbestandsmerkmale verwendet!

1.7

Definieren Sie „deskriptive Tatbestandsmerkmale"!

2.3

Juri Ursoff vergewaltigt Tatjana Bizepsowa, die russische Weltmeisterin im Kugelstoßen. Beider Gerichtsverhandlung kommt der Sachverständige zum Ergebnis, daß die „Dame" „weder Mann noch Frau" sei. Dieses Beispiel soll demonstrieren, daß es sich bei dem Begriff „Frau" im § 177 (1) — bitte lesen! — um ein Tatbestandsmerkmal mit Einschlag handelt.

118

Testfragen

TE 8

1.8

Definieren Sie „gesetzlicher Tatbestand"!

2.4

Bei vielen Delikten sind „Tatbestand" und „gesetzlicher Tatbestand" identisch. Ist dies der Fall beim Beischlaf zwischen Verwandten (§ 173 (1))? J a / Nein bei der Kindestötung (§ 217 (1))? J a / Nein bei der Geldfälschung (§ 146 (1) Z 1)? J a / Nein

2.5

„Saupreiß", flucht Sepp Ahamer (A), als auf der A 21 bei Adelzhausen ein PKW mit dem Kennzeichen MS rücksichtslos auf die Überholspur ausschert und ihn zu einer Vollbremsung zwingt. Als A seinen Widersacher (W) schließlich überholt, dreht er sich kurz um und tippt sich — für W gut sichtbar — zweimal mit dem Zeigefinger an die Stirn. Lesen Sie bitte § 185! Wir wollen überlegen, ob A den W beleidigt hat. 1. Zunächst bedarf der Sachverhalt einer Ausdeutung. Das Tippen mit dem Zeigefinger an die Stim drückt aus, (bitte ergänzen!)

2. Es ist die Frage, ob A den W damit beleidigt hat. Beleidigung ist ein normativer / deskriptiver Begriff, weil (bitte ergänzen!)

3. Die Definition der Beleidigung lautet: Beleidigung ist jegliche Form der Kundgabe von Nicht- oder Mißachtung eines Menschen. Mithin hat A den Tatbestand des § 185 erfüllt / nicht erfüllt, weil (bitte ergänzen!)

Antworten

TE 8

§ 257 (1)

objektiv

subjektiv

119

mehr deskriptiv

mehr normativ

X

ungeschrieben geschrieben X

einem anderen nach Begehung einer rechtswidrigen Tat

X X

X

X

Hilfe leisten

X

X

X

X

X

Absicht, ihm die Vorteile der Tat zu sichern

X

1.1

Wer einem anderen, der eine rechtswidrige Tat begangen hat, Hilfe leistet.

1.2

Ja! Der Sinn des § 1 1. Halbsatz geht dahin, der Erweiterung der Strafbarkeit entgegenzutreten. Ungeschriebene Tatbestandsmerkmale schränken aber stets den Tatbestand und damit die Strafbarkeit ein (o.ä.).

1.3

Man kann nicht in den Täter hineinschauen. Leugnet der Täter, so kann man meist nur aus Indizien schließen, ob jener innerseelische Sachverhalt, der dem subjektiven Tatbestandsmerkmal entspricht, vorhanden ist (o.ä.).

1.4

Normative Tatbestandsmerkmale müssen anhand einer Werteordnung näher ausgefüllt werden (= wertausfüllungsbedürftige Tatbestandsmerkmale) o.ä.

2.2

1. Nein! A hat „versehentlich" den fremden Hut aufgesetzt, also nicht mit Zueignungsabsicht gehandelt (o.ä.). 2. Ja! Denn A hat eine fremde bewegliche Sache weggenommen.

1.5

„Objektiv" nennt man solche Tatbestandsmerkmale, die sich auf das äußere Erscheinungsbild der Tat beziehen (o.ä.).

1.6

Z.B. § 242(1); § 249 (1); § 253 (1); § 263 (1); § 267 (1)

1.7

„Deskriptiv"nennt man solche Tatbestandsmerkmale, deren Sinngehalt aus sich heraus verständlich ist.

2.3

deskriptives Tatbestandsmerkmal mit normativem Einschlag

1.8

Gesetzlicher Tatbestand ist die Summe der objektiven Tatbestandsmerkmale eines Delikts.

2.4

beim Beischlaf zwischen Verwandten (§ 173 (1)): bei der Kindestötung (§ 217 (1)): bei der Geldfälschung (§ 146 (1) Z 1):

2.5

1. daß man den anderen für einen Idioten hält (o.ä.) 2. normativer Begriff; er nicht aus sich heraus verständlich ist, sondern einer Auslegung anhand einer Werteordnung bedarf 3. erfüllt; in dem Tippen an die Stirn eine Kundgabe der Mißachtung des W liegt (o.ä.)

Ja! Ja! Nein!

120

DELIKTSGRUPPEN

LE 9

L e r n z i e l : In dieser LE werden die Delikte nach verschiedenen Gesichtspunkten gruppiert. Sie werden „Begehungsdelikte" und „Unterlassungsdelikte", „Tätigkeitsdelikte" und „Erfolgsdelikte", „Voisatzdelikte" und „Fahrlässigkeitsdelikte", „Grunddelikte", „qualifizierte Delikte" und „privilegierte Delikte" kennenlernen.

Ahnlich wie die Tatbestandsmerkmale lassen sich auch die strafrechtlichen Delikte nach verschiedenen Gesichtspunkten einteilen. Im Vordergrund steht zunächst die Art der Tathandlung. (1) J e nachdem, ob die Tathandlung in einem Tun oder in einem besteht, unterscheidet man Begehungsdelikte und Unterlassungsdelikte. Begehungsdelikte sind Delikte, bei denen das Gesetz ein bestimmtes Tun mit Strafe bedroht. Lesen Sie bitte § 242 (1)! (2) Die Tathandlung des Diebstahls ist die (3) Beim Diebstahl ist ein 1\in / ein Unterlassen mit Strafe bedroht. (4) Mithin ist Diebstahl ein (5) Totschlag (§ 212 (1)) ist ein

delikt, weil (bitte ergänzen!)

Wie Diebstahl und Totschlag sind die weitaus meisten Delikte des StGB Begehungsdelikte. Das Gegenstück zu den Begehungsdelikten bilden die Unterlassungsdelikte. Bei ihnen orientiert sich das Gesetz an der anderen Erscheinungsform der Handlung (6) und stellt darauf ab, daß der Täter etwas ". (7) „Unterlassen" im Strafrecht heißt stets: Nichtvornahme eines Mithin sind Unterlassungsdelikte Delikte, bei denen das Gesetz die Nichtvornahme eines gebotenen Tuns mit Strafe bedroht.

Hins.

LE 9

Deliktsgruppen

121

(1) Unterlassen (2) Wegnahme (3) ein Tun (4) Begehungsdelikt (5) Begehungsdelikt; das Gesetz ein Tun (das „Töten" eines Menschen) mit Strafe bedroht (o.a.) (6) „unterläßt" (7) gebotenen

Handelt es sich bei den folgenden Delikten um Begehungsdelikte oder um Unterlassungsdelikte? (1) Bitte das Zutreffende ankreuzen! §§

Begehungsdelikt

Unterlassungsdelikt

§ 267 (1) $ 323 c § 303 (1) § 248 b (1)

(2) Erklären Sie, warum es sich bei § 323 c um ein delikt handelt!

Täter eines Unterlassungsdelikts ist jedermann, der in der vom Gesetz geschilderten (3) Situation das vom Gesetz gebotene Tün vornimmt / nicht vornimmt. Zwölf Meter vor Ihnen kracht es. Frontalzusammenstoß. Ein Schwerverletzter auf der Straße. Sie blicken weg und suchen schleunigst das Weite.

liegt blutend

(4) Welche Handlung war in dieser Situation geboten?

(5) Da Sie diese Handlung nicht vorgenommen haben, ist der Tatbestand des § erfüllt / nicht erfüllt. (6) Erklären Sie, warum es sich bei § 154 (1) um ein

delikt handelt!

Deliktsgruppen

122

LE 9

(1) § 267 (1), § 303 (1), § 248 b (1) = Begehungsdelikte; § 323 c = Unterlassungsdelikt (2) Unterlassungsdelikt. Weil durch § 323 c das „Nichtleisten von Hilfe", mithin also die Nichtvornahme eines gebotenen Tuns mit Strafe bedroht ist (o.a.). (3) nicht vornimmt (4) Den Schwerverletzten zu versorgen; einen Arzt zu verständigen; einen Unfallwagen herbeizuholen (o.a.) (5) § 323 c erfüllt (6) Begehungsdelikt. Weil das Gesetz ein Tun, das Falschschwören vor Gericht etc. mit Strafe bedroht (o.a.). Die Begehungsdelikte lassen sich danach gruppieren, ob sich der Tatbestand in der Vornahme einer bloßen = „schlichten" Tätigkeit erschöpft oder ob über die Tathandlung hinaus der Eintritt eines bestimmten Erfolges gefordert wird. Danach teilt man die Begehungsdelikte ein in Erfolgsdelikte und schlichte Tätigkeitsdelikte. Gehen wir vom Delikt des Totschlags (§ 212 (1)) aus. (1) Das Tun, das in diesem Tatbestand beschrieben ist, ist das Diese Tathandlung impliziert zugleich den Eintritt einer bestimmten Wirkung der Handlung in der Außen(2) weit. Denn „ t ö t e n " im Sinne des § 212 (1) setzt als Erfolg den Eintritt des eines Menschen voraus. Dieser Erfolg steckt zwar schon im „töten", läßt sich von dieser Tathandlung aber zumindest gedanklich (i.S. von räumlich — zeitlich) abtrennen. Unter Erfolg im Sinne der Erfolgsdelikte versteht man den Eintritt einer von der Tat(3) handlung zumindest

abtrennbaren Wirkung in der Außenwelt.

Der Eintritt eines solchen Erfolges gehört bei den Erfolgsdelikten zum Tatbestand. „Töten im Sinne des Tatbestandes des § 2 1 2 (1) bedeutet folglich: Vornahme einer ent(4) sprechenden Handlung plus / minus Eintritt des Todes. § 212 (1) ist daher ein schlichtes (5) Tätigkeitsdelikt / ein Erfolgsdelikt. (6) Erfolgsdelikte sind solche B delikte, die den Eintritt einer von der Tathandlung zumindest gedanklich abtrennbaren Wirkung in der Außenwelt voraussetzen. Die meisten Begehungsdelikte des StGB sind Erfolgsdelikte. (7) Definieren Sie den Begriff „Erfolg"!

LE 9

Deliktsgruppen

123

(1) Töten (2) Todes (3) gedanklich (4) plus (5) ein Erfolgsdelikt (6) Begehungsdelikte (7) Erfolg ist der Eintritt einer von der Tathandlung zumindest gedanklich abtrennbaren Wirkung in der Aufienwelt (o.a.).

Analysieren Sie nunmehr das Delikt des § 239 (1)! Worin besteht bei diesem Delikt (1) a) die Tathandlung?

(2) b) die von ihr gedanklich abtrennbare Wirkung in der Außenwelt?

(3) § 239 (1) ist daher ein

delikt.

Im Gegensatz zu den Erfolgsdelikten kommt es bei den schlichten Tätigkeitsdelikten nur auf das blofie Tun an, nicht aber auf den Eintritt irgendeiner Wirkung in der Außenwelt. Beispiel: Der 18jährige A verführt seine 16jährige Schwester S. Damit erfüllt er den Tatbestand des § 173 (2) Satz 2. Bitte lesen! (4) Die in diesem Tatbestand vorausgesetzte Tätigkeit besteht im (bitte ergänzen!)

Ob S nunmehr ihrer Jungfräulichkeit beraubt worden oder in Ohnmacht gefallen ist (5) oder schwanger wird oder ob irgendein anderer E eintritt, gehört nicht mehr / gehört zum Tatbestand dieses Delikts. Für den Tatbestand des § 173 (2) Satz 2 genügt die Vornahme eines bestimmten Tuns. (6) Darin erschöpft er sich. § 173 (2) Satz 2 ist daher ein (7) Schlichte Tätigkeitsdelikte sind B der Vornahme eines bestimmten Tuns erschöpft.

delikte, deren Tatbestand sich in

Fräulein Weise denkt an die Alimente und beschwört wider besseres Wissen vor Gericht, mit dem Juniorchef der Firma auch noch während der Empfängniszeit verkehrt zu haben. In Betracht kommt Meineid (§ 154 (1). Bitte lesen! (8) Bei diesem Delikt handelt es sich um ein schlichtes Tätigkeitsdelikt, weil (bitte ergänzen!)

Deliktsgruppen

124 (1) (2) (3) (6) (8)

LE 9

In dem Einsperren eines Menschen oder vergleichbarem Tun (o.ä.) Gedanklich abtrennbar ist der Eintritt des Freiheitsverlustes (o.a.). Er ist der „Erfolg" ¡.S.d. § 239 (1). Erfolgsdelikt (4) Vollzug des Beischlafs mit der Schwester (5) Erfolg; gehört nicht mehr schlichtes Tätigkeitsdelikt (7) Begehungsdelikte sich der Tatbestand des§ 154(1) in der Vornahme eines schlichten Tuns, dem „Falschschwören" erschöpft. Daß ein weiterer Erfolg eintritt, z.B. daß sich der Richter täuschen läßt und ein unrichtiges Urteil fällt, ist möglich, gehört aber nicht mehr zum Tatbestand dieses Delikts (o.ä.).

Unter dem Aspekt, o b das Gesetz vorsätzliches oder fahrlässiges Handeln mit Strafe bedroht, unterscheidet m a n Vorsatzdelikte u n d Fahrlässigkeitsdelikte. Ob ein Delikt ein Fahrlässigkeitsdelikt oder ein Vorsatzdelikt ist, läßt sich bei m a n c h e n Delikten unmittelbar aus d e m Wortlaut des Delikts e n t n e h m e n . (1)

Z.B. ist § 2 2 2 (bitte lesen!) ein Fahrlässigkeitsdelikte sind Delikte, bei denen das Gesetz fahrlässiges Handeln m i t Strafe bedroht. Lesen Sie bitte § 2 2 3 (1)!

(2) Aus dem Wortlaut dieses Delikts ist nicht ersichtlich, ob das Gesetz oder

Handeln mit Strafe b e d r o h t .

Bei den meisten Delikten des StGB ist dies aus d e m Wortlaut nicht ersichtlich. Für alle diese Delikte gilt § 15. Bitte lesen! (3) Mithin ist „ K ö r p e r v e r l e t z u n g " ( 2 2 3 (1)) ein Vorsatzdelikt / ein Fahrlässigkeitsdelikt. (4) Aus § 15 ergibt sich daher, d a ß die weitaus meisten Delikte des StGB delikte (5) sind. Fahrlässigkeitsdelikte sind nur jene, bei denen das Gesetz ausdrücklich (bitte ergänzen!)

Das StGB enthält nur verhältnismäßig wenige Fahrlässigkeitsdelikte. Die beiden praktisch wichtigsten sind „Fahrlässige T ö t u n g " (§ 222) u n d „Fahrlässige Körperverletzung" (§ 230). (6)

Gemäß § 239 (1) i.V.m. § 15 ist z.B. „Freiheitsberaubung" ein bloß Handeln ebenfalls strafbar / nicht strafbar.

(7) Vorsatzdelikte sind Delikte, bei denen das Gesetz mit Strafe b e d r o h t .

delikt u n d bei

Deliktsgruppen

LE 9

125

(1) Fahrlässigkeitsdelikt (2) vorsätzliches; fahrlässiges (3) ein Vorsatzdelikt (4) Vorsatzdelikte (5) fahrlässiges Handeln mit Strafe bedroht (o.ä.) (6) Vorsatzdelikt; fahrlässigem; nicht strafbar (7) vorsätzliches Handeln

Trottel hat in seiner Unachtsamkeit (= fahrlässig) die wertvolle Meissener des Reich zu Boden gestoßen, wo sie zerschellt ist.

Porzellanschale

Kann er wegen Sachbeschädigung (§ 303 (1)) bestraft werden? (Die Beantwortung der Frage ergibt sich ausschließlich aus § 303 (1) i.V.m. § 15; bitte beide Vorschriften genau lesen!) (1) J a / Nein Begründung:

Die verschiedenen Deliktseinteilungen schließen einander in der Regel nicht aus. Häufig überschneiden sie sich. Lesen Sie die nachfolgenden Delikte und ordnen Sie sie durch Ankreuzen der entspre(2) chenden Spalte den jeweiligen Deliktsgruppen zu!

§§

Begehungsdelikt

UnterErfolgsdelikt lassungsdelikt

Tätigkeitsdelikt

Vorsatzdelikt

Fahrlässigkeitsdelikt

§ 309 § 217(1) § 242(1) § 173(1) § 138(1)

entfällt

entfällt

Es ist üblich, mehrere Einteilungskategorien zu einem einzigen Begriff zusammenzuziehen. So spricht man in bezug auf die fahrlässige Tötung von fahrlässigem Begehungsdelikt. (3) Damit wird ausgedrückt, daß es sich sowohl um ein als auch um ein delikt handelt.

delikt

Erschlägt A den B vorsätzlich, so kommt Totschlag (§ 212 (1)) in Betracht. Bei diesem (4) Delikt handelt es sich um ein B Die zahlenmäßig weitaus größte u n d auch praktisch wichtigste Deliktsgruppe im StGB bilden die vorsätzlichen Begehungsdelikte. Erfolgs- und Tätigkeitsdelikte sind bloße (5) Untergruppen des delikts. Auf die Deliktsgruppe der vorsätzlichen Begehungsdelikte sind die Ausführungen dieses Lernprogramms bis einschließlich LE 24 in erster Linie zugeschnitten. LE 25 bis LE 27 befassen sich speziell mit den Fahrlässigkeitsdelikten und LE 28 bis LE 30 speziell mit den Unterlassungsdelikten.

Deliktsgruppen

126

LE 9

(1) Nein! Fahrlässige Sachbeschädigung ist nach dem StGB überhaupt nicht strafbar. Sie wäre nur dann strafbar, wenn der Gesetzgeber dies iii § 303 (1) ausdrücklich erklärt hätte: § 15! Das aber hat er nicht getan. (2) Begehungsdelikte: §§ 309, 217 (1), 242 (1), 173 (1). Unterlassungsdelikt: § 138 (1). Erfolgsdelikte: §§ 309, 217 (1), 242 (1). Tätigkeitsdelikt: § 173 (1). Vorsatzdelikte: §§ 217 (1), 242 (1), 173 (1), 138 (1). Fahrlässigkeitsdelikt: § 309. (3) Fahrlässigkeitsdelikt; Begehungsdelikt (4) vorsätzliches Begehungsdelikt (5) Begehungsdelikts Im StGB gibt es zahlreiche Deliktsfamilien. Innerhalb dieser Deliktsfamilien unterscheidet man Grunddelikte, qualifizierte Delikte u n d privilegierte Delikte. Solche Deliktsfamilien stellen insbesondere „ d i e " Tötungsdelikte, (§§ 211 bis 217), „ d i e " (1) Körperverletzungsdelikte (§§ 223 bis 233), „ d i e " Diebstahlsdelikte (§§ bis 244, 2 4 7 , 2 4 8 a) etc. dar. Derartige Deliktsfamilien lassen sich — bildlich gesprochen — auf ein „ M u t t e r d e l i k t " zurückführen. Technisch spricht man von Grunddelikt (Grundtatbestand). Die Grunddelikte finden sich im StGB meist a n der Spitze der jeweiligen Deliktsgruppe. (2)

G delikt der Diebstahlsdelikte ist der letzungsdelikte die (§



), der Körperver-

).

Die übrigen Delikte der Deliktsfamilie werden vom Gesetzgeber d u r c h A b w a n d l u n g des Grunddelikts gebildet. (3) Eine solche des Grunddelikts des § 2 2 3 (1) stellt z.B. die „Körperverletzung mit T o d e s f o l g e " (§ 226 (1)) dar. (4) Worin besteht die Abwandlung gegenüber § 2 2 3 (1)?

Man spricht von qualifiziertem Delikt (qualifiziertem Tatbestand), w e n n das Gesetz an eine b e s t i m m t e A b w a n d l u n g des Grunddelikts eine strengere Strafe k n ü p f t . (5) Mithin h a n d e l t es sich z.B. beim § 226 (1) um ein ms zu §

Delikt im Verhält-

Man spricht von privilegiertem Delikt (privilegiertem Tatbestand), w e n n das Gesetz an eine (6) b e s t i m m t e A b w a n d l u n g des Grunddelikts eine Strafe oder eine sonstige Vergünstigung k n ü p f t . (7)

Beim Haus- u n d Familiendiebstahl (§ 247) handelt es sich u m ein qualifiziertes Delikt / delikt des

(8) Die Privilegierung besteht bei diesem Delikt nicht in der milderen sondern darin, d a ß die T a t n u r auf Antrag verfolgt wird.

LE 9

Deliktsgruppen (1) (3) (4) (5) (7)

127

§242 (2) Grunddelikt; Diebstahl (§242 (1)); Körperverletzung (§223 (1)) Abwandlung Darin, daß durch die Körperverletzung der Tod des Verletzten verursacht worden ist (o.a.) qualifiziertes; §223 (1) (6) mildere privilegiertes Delikt; Grunddelikt; Diebstahls (§242 (1)) (8) Strafe

ZUSAMMENFASSUNG A Begehungsdelikte und Unterlassungsdelikte Maßgebender Aspekt dieser Einteilung ist die Art der Tathandlung. Begehungsdelikte sind Delikte, bei denen das Gesetz ein bestimmtes Tun mit Strafe bedroht. Sie bilden das Gros im StGB. Beispiele: Totschlag (§212 (1)); Körperverletzung (§223 (1)); Sachbeschädigung (§303 (1)); Diebstahl (§242 (1)); Beischlaf zwischen Verwandten (§173 (1) und (2)); Meineid (§154 (1)).

Unterlassungsdelikte sind Delikte, bei denen das Gesetz die Nichtvornahme eines gebotenen Tuns mit Strafe bedroht. Beispiele: Nichtanzeige geplanter Straftaten (§138); Unterlassene Hilfeleistung (§323c).

Die Begehungsdelikte zerfallen wiederum in: B Erfolgsdelikte und schlichte Tätigkeitsdelikte Maßgebender Aspekt dieser Einteilung der Begehungsdelikte ist die Frage, ob sich der Tatbestand in der Vornahme eines bestimmten Tuns erschöpft oder ob über die Tathandlung hinaus der Eintritt eines bestimmten Erfolgs gefordert wird. Erfolg im Sinne der Erfolgsdelikte ist der Eintritt einer von der Tathandlung zumindest gedanklich abtrennbaren Wirkung in der Außenwelt. Erfolg in diesem Sinn ist bei den Tötungsdelikten (§§ 21 lff., 222) der Eintritt des Todes eines Menschen; bei den Körperverletzungsdelikten (§§ 223ff.) der Eintritt einer Mißhandlung oder Gesundheitsschädigung; bei der Freiheitsberaubung (§239) der Eintritt des Freiheitsverlustes; bei der Sachbeschädigung (§303) der Eintritt der Zerstörung oder Beschädigung; beim Diebstahl (§242) der Eintritt des Gewahrsamsverlustes; beim Betrug (§263) der Eintritt des Vermögensschadens. Bei den Gefährdungsdelikten (z.B. §§ 315a (1), 315c (1)) ist der Erfolg der Eintritt der im Tatbestand umschriebenen oder stillschweigend vorausgesetzten Gefährdung. In diesem Sinne sind auch die Gefährdungsdelikte Erfolgsdelikte.

Erfolgsdelikte sind Delikte, die den Eintritt einer von der Tathandlung zumindest gedanklich abtrennbaren Wirkung in der Außenwelt voraussetzen. Der Eintritt des Erfolgs ist ein objektives Tatbestandsmerkmal aller Erfolgsdelikte; vgl. S. 113. Die meisten Delikte des StGB sind Erfolgsdelikte. Nur bei ihnen stellen sich die Probleme der Kausalität und der objektiven Zurechnung (Näheres in L E 10).

Eine große und zugleich praktisch bedeutsame Sondergruppe der Erfolgsdelikte bilden die erfolgsqualifizierten Delikte. Bei ihnen sieht das Gesetz eine schwerere Strafe vor, wenn durch die Verwirklichung eines bestimmten Grunddelikts (z.B. Körperverletzung, Raub) zusätzlich eine „besondere Folge der Tat" herbeigeführt worden ist.

128

Deliktsgruppen

LE 9

Der Figur des erfolgsqualifizierten Delikts liegt die Erwägung zugrunde, daß ein Grunddelikt mit erhöhter Strafdrohung auszustatten ist, wenn mit der Tat typischerweise eine für den Täter voraussehbare weitere Schadensfolge verbunden ist. Beispiele: Strafbar ist schon die Körperverletzung als solche (§223 (1)). Führt diese Tat aber zum Tod des Verletzten, wird sie gem. §226 (1) wesentlich strenger bestraft; vgl. weiter u.a. §§ 224 (1), 229 (2), 251, 307 Z 1. Auch eine bestimmte Gefährdung kann eine solche „besondere Folge der Tat" sein; vgl. etwa §250 (1) Z 3.

Für diese erfolgsqualifizierten Delikte bestimmt §18 ausdrücklich, daß der Täter nur dann wegen des schwereren Delikts zu bestrafen ist, wenn er die besondere Folge der Tat „wenigstens fahrlässig" herbeigeführt hat. Die eigentliche Problematik dieser Deliktsgruppe liegt bei der Kausalität (LE 10) und der Fahrlässigkeit (LE 25—27).

Schlichte Tätigkeitsdelikte (Synonym: Tätigkeitsdelikte) bilden das Gegenstück zu den Erfolgsdelikten. Es handelt sich um solche Delikte, deren Tatbestand sich in der Vornahme eines bestimmten Tuns erschöpft. Der Eintritt eines (wie auch immer gearteten) „Erfolges" wird nicht vorausgesetzt. B e i s p i e l e : Hausfriedensbruch (§123 (1)); Meineid (§154(1)); Beischlaf zwischen Verwandten (§ 173 ( l ) u . (2)). Auch die Unterschlagung (§246 (1)) ist ein schlichtes Tätigkeitsdelikt; als Tun (Zueignung) genügt hier sogar bloßes Ableugnen des Besitzes.

C Vorsatzdelikte und Fahrlässigkeitsdelikte Maßgebender Aspekt dieser Einteilung ist die Frage, ob vorsätzliches oder fahrlässiges Handeln mit Strafe bedroht ist. Vorsatzdelikte sind Delikte, bei denen das Gesetz vorsätzliches Handeln mit Strafe bedroht. B e i s p i e l e : Totschlag (§212 (1)); Körperverletzung (§223 (1)); Sachbeschädigung (§303 (1)); Diebstahl (§242 (1)); Hausfriedensbruch (§123 (1)); Meineid (§154 (1)).

Fahrlässigkeitsdelikte sind Delikte, bei denen das Gesetz fahrlässiges Handeln mit Strafe bedroht. B e i s p i e l e : Fahrlässige Tötung (§222); Fahrlässige Körperverletzung (§230); Fahrlässige Brandstiftung (§309).

Die meisten Delikte des StGB sind Vorsatzdelikte. Fahrlässiges Handeln ist nur strafbar, wenn der Gesetzgeber dies für ein bestimmtes Delikt ausdrücklich angeordnet hat; §15. Die zahlenmäßig weitaus größte und praktisch wichtigste Deliktsgruppe im StGB bilden die vorsätzlichen Begehungsdelikte. An ihnen orientiert sich das Lernprogramm daher auch in erster Linie. D Grunddelikte, qualifizierte Delikte und privilegierte Delikte Maßgebender Aspekt dieser Einteilung ist vor allem die Abstufung der Strafdrohungen innerhalb einer Deliktsfamilie. Vom Gesetzgeber werden durch Abwandlung des Grunddelikts (Grundtatbestands) häufig qualifizierte und privilegierte Delikte gebildet. B e i s p i e l e : Grunddelikt (Grundtatbestand) der Tötungsdelikte ist der Totschlag des §212 (1), der Körperverletzungsdelikte die Körperverletzung des §223 (1), der Diebstahlsdelikte der Diebstahl des §242 (1).

Bei einem qualifizierten Delikt (qualifizierten Tatbestand) knüpft das Gesetz an die Abwandlung des Grunddelikts eine strengere Strafe. B e i s p i e l e : Die Körperverletzungsdelikte der §§ 223a, 224, 225, 226 im Verhältnis zum Grunddelikt des §223 (1); die Diebstahlsdelikte des §244 im Verhältnis zum Grunddelikt des §242 (1). Mord (§211) im Verhältnis zum Totschlag (§212 (1)); Str.; wie hier Schönke/Schröder/Eser Vorbem §§ 211ff. R N 5 m . N .

LE 9

Deliktsgruppen

129

W i c h t i g : Bei den sog. Regelbeispielen (vgl. insb. §243) handelt es sich dagegen nach h.M. nicht um qualifizierende Umstände, sondern um bloße Strafzumessungsregeln; vgl. BGHSt 23 256; BGHSt 26 105; Wessels AT §4 II 1 d m.N. Bei einem privilegierten Delikt (privilegierten Tatbestand) knüpft das Gesetz a n die A b w a n d l u n g des Grunddelikts eine mildere Strafe, gelegentlich aber a u c h eine sonstige V e r g ü n s t i g u n g ; z . B . Bestrafung nur auf A n t r a g . Beispiele: Haus- und Familiendiebstahl (§247) wird — anders als das Grunddelikt des §242 (1) — nur auf Antrag verfolgt; vgl. weiter §§259 (2), 263 (4), 266 (3). Die Kindestötung (§217(1)) bildet im Verhältnis zum Grunddelikt des Totschlags ein privilegiertes Delikt, was sich aus der gegenüber §212 (1) milderen Strafdrohung ergibt. Dasselbe gilt für die Tötung auf Verlangen (§216 (1)). D i e Abwandlung der D e l i k t e geschieht i . d . R . durch qualifizierende oder privilegierende Tatbestandsm e r k m a l e ; vgl. etwa §§ 2 2 3 a , 2 5 0 . B e i manchen Delikten wird diese Abwandlung vom Gesetzgeber erst auf der Stufe der Schuld v o r g e n o m m e n . B e i s p i e l : Bei der Kindestötung (§217 (1)) berücksichtigt das Gesetz den Umstand, daß sich die Mutter noch im geburtsbedingten Erregungszustand befindet, schuld- und strafmindernd (im Verhältnis zum Grunddelikt des §212(1)). Privilegiertes und qualifiziertes D e l i k t können ausnahmsweise (!) z u s a m m e n t r e f f e n . Beispiel: Tötet die A ihr nichteheliches Kind grausam gleich nach der Geburt, treffen Qualifikation (§211 (2)) und Privilegierung (§217 (1)) zusammen. Nach h.M. verdrängt §217 (1) den Mord (sog. Sperrwirkung des milderen Delikts), da die Privilegierung sonst ihren Sinn verlöre. Dasselbe gilt im Verhältnis von §247 zu §244; vgl. näher Maurach/Zipf AT I §20 R N 45. E Ü b e r s i c h t über die Einteilungen der Delikte

M a ß g e b e n d e Aspekte

B e z e i c h n u n g der Delikte

Art der Tathandlung

Begehungsdelikte / Unterlassungsdelikte

Bloßes Tun oder Herbeiführung eines Erfolgs

Tätigkeitsdelikte / Erfolgsdelikte

Vorsätzliches oder fahrlässiges Handeln

Vorsatzdelikte / Fahrlässigkeitsdelikte

Abstufungen innerhalb einer Deliktsfamilie

Grund- / privilegierte / qualifizierte Delikte

D i e jeweiligen Deliktseinteilungen schließen einander i . d . R . nicht aus, sondern überschneiden sich.

W e i t e r f ü h r e n d e s S c h r i f t t u m : Zu den hier dargestellten und weiteren Deliktsgruppen vgl. Jescheck AT §26 I I - I I I ; Wessels AT §1 II u. §4 II.

130

Testfragen zur LE 9

TE 9

1.1

Nach der Art der Tathandlung unterscheidet man (bitte ergänzen!)

1.2

Definieren Sie „Unterlassungsdelikte"!

2.1

Der Gegenbegriff zum „schlichten Tätigkeitsdelikt" ist das delikt". Beide Deliktsarten sind Erscheinungsformen des Unterlassungsdelikts / des Begehungsdelikts.

2.2

Eine Tübinger Kindergärtnerin (K) wandert mit ihrer Gruppe zum Spitzberg. Plötzlich tritt ein etwa 40jähriger Mann mit offener Hose auf eine Lichtung und beginnt, in Sichtweite der Kinder zu masturbieren. „Saubolla — dem sott ma's Hosadierle zuannähe!" empört sich K und ergreift mit ihren Kindern die Flucht. In Betracht kommt das Delikt der „Exhibitionistischen Handlungen" (§ 183 (1)). Dieses Delikt ist ein Erfolgsdelikt / Tätigkeitsdelikt, weil (bitte ergänzen!)

1.3

Definieren Sie „Tätigkeitsdelikte"!

1.4

Nennen Sie ein Beispiel für ein Tätigkeitsdelikt!

TE 9 2.3

Testfragen

131

Lesen Sie die nachfolgenden Delikte und ordnen Sie sie durch Ankreuzen den angegebenen Deliktsgruppen zu! §§

Begehungsdelikt

Unterlassungsdelikt Erfolgsdelikt

Tätigkeitsdelikt

Vorsatzdelikt

Fahrlässigkeitsdelikt

§216(1) § 138(1)

entfällt

entfällt

§ 314 § 263 (1)

1.5

Was heißt „Erfolg" i.S.d. Erfolgsdelikte?

1.6

Ihr Kommilitone behauptet: Sämtliche Delikte des StGB sind sowohl bei Fahrlässigkeit als auch bei Vorsatz strafbar. Diese Behauptung ist falsch / richtig. Begründung:

1.7

„Unterlassen" im Strafrecht bedeutet stets (bitte ergänzen!)

2.4

In der Nähe von Vilshofen kippten Unbekannte ihrem katholischen Pfarrer eine dampfende Fuhre Mist vor die Haustür. Lakonischer Kommentar des Geistlichen: „Ma kunnt moana, da hätt oana sei Himkaschdl ausg'leert". Das Auskippen einer Fuhre Mist vor der Haustür des Geistlichen ist eine (symbolische) Beleidigung i.S.d. § 185. Die Beleidigung (§ 185) ist ein Unterlassungsdelikt / Begehungsdelikt, weil (bitte ergänzen!)

2.5

Lesen Sie § 244 (1) Z 1! Worin besteht die tatbestandliche Abwandlung dieses Delikts gegenüber dem delikt des § 242 (1)?

132

Testfragen

TE 9

1.8

Da das Gesetz an das Delikt des § 244 (1) Z 1 eine es sich bei dieser Abwandlung des § 242 (1) um ein

2.6

Lesen Sie die nachfolgenden Delikte und ordnen Sie sie durch Ankreuzen den angegebenen Deliktsgruppen zu! §§

Grunddelikt

Strafe knüpft, handelt Delikt.

qualifiziertes Delikt

privilegiertes Delikt

§ 239 (1) § 239 (2) § 123 (1) § 124 § 242 (1) § 247

1.9

Definieren Sie „privilegiertes Delikt"!

Wichtiger Hinweis! 2.7

Der Gesetzgeber formuliert qualifizierte (privilegierte) Delikte häufig in der Weise, daß er unter pauschaler Bezugnahme auf das Grunddelikt allein das qualifizierende (privilegierende) Merkmal herausstellt. In solchen Fällen müssen Sie das vollständige Delikt selbst bilden, indem Sie das qualifizierende (privilegierende) Merkmal in das Grunddelikt hineinlesen! 1. Mithin lautet das qualifizierte Delikt des § 242 (1) i.V.m. § 2 4 4 (1) Z 1 in seinem vollständigen Wortlaut: „Wer eine fremde Sache (bitte ergänzen!)

2. Das Delikt „Körperverletzung mit Todesfolge" (§ 223 (1) i.V.m. § 226 (1)) lautet vollständig: „Wer (bitte ergänzen!)

TE 9

Antworten

133

1.1

Begehungsdelikte und Unterlassungsdelikte

1.2

Unterlassungsdelikte sind Delikte, bei denen das Gesetz die Nichtvornahme eines gebotenen Tuns mit Strafe bedroht.

2.1

„Erfolgsdelikt"; des Begehungsdelikts

2.2

Erfolgsdelikt; die Belästigung (auf deren Eintritt § 183 (1) ausdrücklich abstellt) gedanklich von der Tathandlung abtrennbar ist (o.ä.)

1.3

Tätigkeitsdelikte sind Delikte, deren Tatbestand sich in der Vornahme eines bestimmten Tuns erschöpft.

1.4

Z.B. § 173(1) und (2); § 154(1) Begehungsdelikt

§§

UnterErfolgsdelikt lassungsdelikt

X

§ 216

Tätigkeitsdelikt

Vorsatzdelikt

X X

§ 138 (1)

entfällt

§ 314

X

X

§ 263 (1)

X

X

Fahrlässigkeitsdelikt

X entfällt

X X X

1.5

Erfolg im Sinne der Erfolgsdelikte ist der Eintritt einer von der Tathandlung zumindest gedanklich abtrennbaren Wirkung in der Außenwelt.

1.6

Falsch! Gemäß § 15 ist Fahrlässigkeit nur bei solchen Delikten strafbar, bei denen das Gesetz dies ausdrücklich bestimmt (o.a.).

1.7

Nichtvornahme eines gebotenen Tuns

2.4

Begehungsdelikt; das Gesetz hier ein bestimmtes Tun mit Strafe bedroht (o.ä.)

2.5

Grunddelikt; darin, daß der Täter oder ein anderer Beteiligter eine Schußwaffe bei sich führt

1.8

schwerere; qualifiziertes Delikt

§§ § 239(1)

Grunddelikt

X X X

§ 124 § 242(1) § 247

privilegiertes Delikt

X

§ 239 (2) § 123 (1)

qualifiziertes Delikt

X X

1.9

Bei einem privilegierten Delikt knüpft das Gesetz an die Abwandlung des Grunddelikts eine mildere Strafe oder eine sonstige Vergünstigung.

2.7

1. „Wer eine fremde bewegliche Sache einem anderen in der Absicht wegnimmt, dieselbe sich rechtswidrig zuzueignen, wird, wenn er oder ein anderer Beteiligter eine Schußwaffe bei sich führt, bestraft" (o.a.). 2. „Wer einen anderen körperlich mißhandelt oder an der Gesundheit beschädigt, wird, wenn dadurch der Tod des Verletzten verursacht worden ist, bestraft" (o.a.).

134

KAUSALITÄT

LE 10

L e r n z i c 1 : In dieser LE werden Sie sich speziell mit einem objektiven Tatbestandsmerkmal der Erfolgsdelikte befassen, der „Kausalität". Bei der Frage der „Kausalität" geht es um den ursächlichen Zusammenhang zwischen Tathandlung und Erfolg.

Tätigkeitsdelikte sind Delikte, deren Tatbestand sich in der V o r n a h m e eines b e s t i m m t e n T u n s e r s c h ö p f t . Auf den Eintritt eines über die Tathandlung (= Tätigkeit) hinausreichen(1) den

k o m m t es bei diesen Delikten nicht an.

Bitte b e a c h t e n Sie! (2) Begehungsdelikte sind entweder Tätigkeitsdelikte oder

delikte. Das eine

schließt das andere aus. Die meisten strafrechtlichen Delikte sind im übrigen Erfolgsdelikte. (3) Lesen Sie § 2 2 3 (1)! Die Körperverletzung ist ein Tätigkeitsdelikt / Erfolgsdelikt. (4) Definieren Sie Erfolgsdelikte!

(5) Worin b e s t e h t der Erfolg bei der Körperverletzung (§ 223 (1))?

Bei den Erfolgsdelikten stehen Tathandlung u n d Erfolg in einem engen = ursächlichen Zusammenhang. Dieser ursächliche Zusammenhang zwischen Tathandlung u n d Erfolg (6) ist die (7)

Die Kausalität gehört zum äußeren Erscheinungsbild der Tat. Sie ist daher ein T a t b e s t a n d s m e r k m a l der Erfolgsdelikte. Verwechseln Sie Kausalität (= Verursachung) nicht mit Schuld!

(8) Die Kausalität ist ein Tatbestandsmerkmal u n d wird daher auf der Stufe der geprüft.

-

Erst später wird untersucht, o b eine tatbestandsmäßige u n d rechtswidrige Handlung d e m Täter auch rechtlich zum Vorwurf gemacht werden kann. Diese Prüfung vollzieht sich (9) auf der S t u f e der Kausalität ist d e r ursächliche Zusammenhang zwischen Tathandlung u n d Erfolg. (10) Mit der Frage d e r Kausalität zwischen und ver(11) binden sich zahlreiche Probleme. Diese Probleme t r e t e n nur bei den Tätigkeitsdelikten / nur bei d e n Erfolgsdelikten auf.

LE 10

Kausalität

135

(1) Erfolgs (2) Erfolgsdelikte (3) Erfolgsdelikt (4) Erfolgsdelikte sind Delikte, die den Eintritt einer von der Tathandlung zumindest gedanklich abtrennbaren Wirkung in der Außenwelt voraussetzen (o.a.). (5) In dem Eintritt einer Körperverletzung bzw. einer Gesundheitsschädigung (6) Kausalität (7) objektives (8) Tatbestandsmäßigkeit (9) Schuld (10) Tathandlung und Erfolg (11) nur bei den Erfolgsdelikten

(1) Wir b e t r a c h t e n in dieser LE n u r die Kausalität eines T u n s für einen Die Kausalität eines Unterlassens für einen Erfolg, d.h. das Kausalitätsproblem bei den Unterlassungsdelikten wird in LE 29 behandelt. (2)

Der Erfolg wird durch ein bestimmtes T u n herbeigeführt. Ein bestimmtes T u n ist U für einen Erfolg, w e n n es ihn bewirkt hat.

(3)

Zur Beurteilung der Frage, o b ein b e s t i m m t e s den Erfolg verursacht hat, stellt m a n sich den Geschehnisablauf o h n e dieses T u n vor. Man d e n k t dieses T u n weg u n d fragt: Was wäre ohne dieses T u n geschehen? Beispiel 1: Der Gewaltverbrecher Pietro Paparrazzo (P) stößt dem Kassenboten Barrgold (BJ die Pistole ins Genick und drückt ab. B ist sofort tot.

Bastian

Was wäre geschehen, w e n n P nicht geschossen h ä t t e ?

(4)

B wäre nicht g e t r o f f e n w o r d e n u n d nicht gestorben. Das Abdrücken des P war Ursache (= kausal) für den T o d des B. D e n n der T o d des B wäre nicht eingetreten, w e n n (bitte erganzen!)

Fassen wir diese Erkenntnis in einer einfachen u n d zunächst noch vorläufigen Formel zusammen: Ein Erfolg ist d u r c h ein Tun verursacht, w e n n das T u n nicht weggedacht werden kann, ohne daß d e r Erfolg entfiele. Ein solches T u n bezeichnet m a n auch als conditio sine q u a non. Mit der lateinischen Formel soll dasselbe ausgedrückt werden: J e d e „ B e d i n g u n g " = jedes T u n , o h n e die bzw. ohne das der Erfolg nicht eingetreten wäre, ist Ursache im Sinne des Strafrechts. Mit der deutschen Formel läßt sich besser arbeiten, da sie genauer ist. Beispiel 2: Am Silvesterabend tritt Tristan von hinten auf seine Braut Isolde zu und hält ihr die Augen zu. Sie fällt vor Schreck tot um. Ist das T u n Tristans Ursache für Isoldens T o d ? (5) J a / Nein Begründung:

136

Kausalität

LE 10

(1) Erfolg (2) Ursache (3) Tun (4) P nicht geschossen hätte (o.a.) (5) Ja! Denkt man das Tun des Tristan weg, wäre Isolde nicht vor Schreck gestorben. Sie würde noch leben (o.ä.). Daß Isolde zu irgendeinem späteren Zeitpunkt ohnehin sterben würde (Krankheit, Unfall, Altersschwäche), interessiert bei der Ermittlung der Kausalität dieses Tuns des Tristan nicht im geringsten. Denkt man sich das Tun Tristans weg, so wäre Isolde jedenfalls nicht am Silvesterabend (1) gestorben. Darauf kommt es nicht an / allein darauf k o m m t es an. Steht mit der Bejahung der Kausalität seines Tuns bereits endgültig fest, daß Tristan wegen eines Tötungsdelikts auch tatsächlich bestraft wird? (2) J a / Nein Begründung:

Die Kausalitätsformel bedarf noch einer entscheidenden Verfeinerung. Dazu das folgende Beispiel 3: Der arabische Botschafter Ali Ben Hasch (A) wird kurz vor dem Betreten der Kursmaschine nach Beirut von dem Agenten Dave Baily (B) durch einen Revolverschuß getötet. Zehn Minuten später explodiert die Maschine beim Start. Keine Überlebenden! Der wegen Totschlags (§ 212 (1)) angeklagte B verteidigt sich damit, daß A zehn Minuten später ohnehin gestorben wäre. (3) Für die Frage der Kausalität des Tuns des B kommt es auch auf die Explosion der Maschine / nur auf die Abgabe des Schusses an. Daß der T o d des Botschafters später aufgrund anderer Ereignisse und in anderer Weise ebenfalls eingetreten wäre, hat auf die Beantwortung der Frage nach der Kausalität des Tuns des B nicht den geringsten Einfluß. Denn in Frage steht nicht der Tod des Botschafters schlechthin, sondern die Herbeiführung seines Todes durch den Revolverschuß des B. Die Beispiele 2 und 3 sollen Ihnen zeigen: Für die Beurteilung der Kausalität eines Tuns kommt es stets auf den Eintritt des Erfolgs in seiner konkreten Gestalt an. (4) Die bisher nur vorläufige formel muß daher genauer gefaßt werden und lautet nunmehr in ihrer endgültigen Fassung:

(5)

Ursache ist jedes Tun, das nicht weggedacht werden kann, ohne daß der Erfolg in seiner k G entfiele.

Kausalität

LE 10

137

(1) Allein darauf kommt es an. (2) Nein! Neben der Tatbestandsmäßigkeit müssen in unserem Fall erst noch Rechtswidrigkeit und Schuld geprüft werden. Insbesondere darf die Verursachung nicht mit dem Verschulden gleichgestellt werden (o.a.). (3) nur auf die Abgabe des Schusses (4) Kausalitätsformel (5) konkreten Gestalt

Die einzelnen Ursachen werden bei der Ermittlung der Kausalität nicht unterschiedlich (1) gewichtet. Auch die „kleinste", die „entfernteste" Ursache ist conditio s n Anders ausgedrückt: Alle Ursachen sind unter dem Aspekt der Kausalität äquivalent (= gleichwertig). Dieser Äquivalenz aller Ursachen verdankt die dargestellte Kausalitätsformel ihre wissenschaftliche Bezeichnung als Äquivalenztheorie. (2) Synonym mit

theorie wird auch der Begriff Bedingungstheorie

(abgeleitet von „conditio sine qua non") verwendet. Die Kausalitätsformel der Äquivalenz- oder Bedingungstheorie lautet: (3) Ursache ist jedes Tun, das ohne daß der Erfolg in seiner

entfiele.

Diese Formel muß wörtlich auswendig gelernt werden, weil sie auch wörtlich angewendet wird! Der Jäger Hubertus hängt sein geladenes Gewehr an die Garderobe des Gastzimmers. Grimm, ein anderer Gast, nimmt in einem unbeachteten Moment das Gewehr vom Haken und erschießt den Wirt. Betrachten wir zunächst die Kausalität des Tuns des Grimm. (4) Sein Tun kann / kann nicht in seiner (5) Sein Schuß war somit

werden, ohne daß der im Sinne der

theorie.

Ist damit bereits das abschließende Urteil über die Strafbarkeit des Grimm gemäß § 212 (1) {bitte lesen!) gefällt? (6) J a / Nein Begründung:

138

Kausalität (1) (3) (4) (5) (6)

LE 10

sine qua non (2) Äquivalenztheorie nicht weggedacht werden kann; konkreten Gestalt kann nicht weggedacht; Erfolg in seiner konkreten Gestalt entfiele kausal bzw. ursächlich; Äquivalenz- bzw. Bedingungstheorie Nein! Die Kausalität ist eines der objektiven Tatbestandsmerkmale des § 212(1). Neben den übrigen Tatbestandsmerkmalen müssen noch die Rechtswidrigkeit und insbesondere die Schuld geprüft werden (o.a.). Ein abschließendes Urteil über die Strafbarkeit des Grimm ist mit der Bejahung der Kausalität seiner Handlung daher noch nicht gefällt.

Wenn ein T u n nicht weggedacht werden kann, o h n e daß der Erfolg in seiner k o n k r e t e n (1) Gestalt entfiele, besteht zwischen T und j e n e r Zusammenhang, den m a n als Kausalität oder auch als Kausalzusammenhang bezeichnet. N u n m e h r wollen wir uns einigen Sonderproblemen der Kausalität zuwenden. O f t wird die Frage gestellt, o b Handlungen Dritter oder des Opfers den Kausalzusammenhang „ u n t e r b r e c h e n " . Betrachten wir dazu die Kausalität des Tuns des Jägers Hubertus. Er hat seine geladene Waffe an die Garderobe gehängt. Für Hubertus ist Grimm ein solcher Dritter. Unterbricht das T u n des Grimm d e n Kausalzusammenhang zwischen dem geschilderten T u n des H u b e r t u s und d e m T o d des Wirts? Diese Frage k ö n n e n Sie a n h a n d der Kausali(2) tätsformel der theorie leicht selbst b e a n t w o r t e n . (3)

Da das T u n des Hubertus (= Aufhängen der geladenen Waffe) weggedacht werden kann / nicht weggedacht werden kann, o h n e (bitte ergänzen!)

Im Kampf um die Gunst der schönen Lollo fügt Fausto Cravallo dem Luigi Belcanto (B) mit dem Messer eine an sich harmlose Fleischwunde zu. Infolge seiner eigenen Unachtsamkeit infiziert sich B und stirbt an Wundstarrkrampf. (4)

B's eigene Unachtsamkeit ist auch Ursache / keine Ursache für seinen T o d .

Unterbricht diese eigene Unachtsamkeit des Opfers den Kausalzusammenhang zwischen d e m Stich des Cravallo u n d d e m T o d des B? (5) J a / Nein .Begründung?

Fassen wir zusammen: Weder Handlungen eines Dritten noch Handlungen des Opfers selbst bewirken eine (6) des Kausalzusammenhangs.

LE 10

Kausalität

139

(1) Tun und Erfolg (2) Äquivalenz-bzw. Bedingungstheorie (3) Da das Tun des Hubertus nicht weggedacht werden kann, ohne daß der Erfolg in seiner konkreten Gestalt entfiele, besteht Kausalzusammenhang zwischen diesem Tun und dem Tod des Wirts (o.a.). (4) ist auch Ursache (5) Nein! Hätte Cravallo nicht zugestochen, hätte B sich nicht infizieren können und wäre nicht gestorben (o.a.). (6) Unterbrechung Abschließend ein weiteres Sonderproblem aus d e m Bereich der Kausalität. Auf eigene Faust hat Negidius dem Caesar frühmorgens Gift in den Malventee geträufelt. Bevor dieses seine tödliche Wirkung entfalten kann, erdolcht Brutus den Diktator an der Säule des Pompeius. War das T u n des Negidius kausal für Caesars T o d ? (1) J a / Nein Begründung b i t t e u n t e r möglichst wörtlicher A n w e n d u n g der allgemeinen Kausalitätsformel:

War die T a t des Brutus kausal für Caesars T o d ? (2) J a / Nein Begründung bitte u n t e r möglichst wörtlicher A n w e n d u n g der allgemeinen Kausalitätsformel:

Die Besonderheit dieses Sachverhalts liegt in folgendem: Das G i f t des Negidius ist n u r deshalb nicht wirksam geworden, weil der Dolchstoß des Brutus rascher zum Tode Caesars geführt h a t . D.h. das T u n des Negidius ist für d e n T o d (3) des Caesar kausal geworden / überhaupt nicht kausal geworden. Darin liegt auch der Unterschied dieses Falles zu den Fällen der angeblichen „Unterb r e c h u n g " des Kausalzusammenhanges. Das zeitlich spätere Tun des Brutus hat das T u n des Negidius nicht nur eingeholt, sondern sogar „ ü b e r h o l t " u n d unabhängig von letzterem den T o d des Caesar herbeigeführt. In solchen Fällen spricht m a n von überholender Kausalität. (4)

Erklären Sie das Wesen der „ ü b e r h o l e n d e n " Kausalität!

140

Kausalität

LE 10

(1) Nein! Denkt man das Tun des Negidius weg (d.h. hätte er in den Tee kein Gift getan), so wäre der Erfolg in seiner konkreten Gestalt dennoch eingetreten (d.h. Tod durch den Dolchstoß). (2) Ja! Denkt man das Tun des Brutus weg, wäre der Erfolg in seiner konkreten Gestalt nicht eingetreten (d.h. nicht als Tod durch den Dolchstoß zu diesem Zeitpunkt). (3) überhaupt nicht kausal geworden (4) Das später gesetzte Tun holt das früher gesetzte Tun ein und führt unabhängig von jenem den Erfolg herbei. Das frühere Tun wird für den Erfolg also gar nicht kausal. Machen Sie sich dies noch einmal gut klar! Diese Frage kehrt in der TE bestimmt wieder.

ZUSAMMENFASSUNG A Die Kausalität des Tuns Das Problem der Kausalität (= des Kausalzusammenhangs) zwischen Tathandlung und Erfolg stellt sich n u r bei den Erfolgsdelikten. Gerade das erklärt aber die große praktische Bedeutung dieser Frage. Denn fast sämtliche Delikte des StGB sind Erfolgsdelikte. Das StGB erwähnt dieses objektive Tatsbestandsmerkmal n u r selten ausdrücklich; z.B. in §222: „Wer durch Fahrlässigkeit den Tod eines Menschen verursacht"; §226 (1): „Ist durch die Körperverletzung der Tod des Verletzten verursacht w o r d e n " . Meist ergibt sich das Kausalitätserfordernis nur mittelbar aus der Formulierung der Tathandlung, manchmal erst im Wege subtiler Auslegung. Beispiele: „Töten" (§212 (1)); „an der Gesundheit beschädigen" (§223 (1)); „zerstören", „beschädigen" (§303 (1)); „auf andere Weise des Gebrauchs der persönlichen Freiheit berauben" (§239 (1)); „das Vermögen eines anderen beschädigen" (§263 (1)). Bei der Kausalität geht es stets u m die Frage, ob ein bestimmtes Tun (eine bestimmte H a n d l u n g ) einen bestimmten Erfolg verursacht (= herbeigeführt = bewirkt) hat. Bei der Beantwortung dieser Frage läßt sich die Praxis von folgenden Grundsätzen leiten: Für die Frage der Kausalität ( = Kausalzusammenhang) kommt es immer n u r auf den wirklichen Geschehensablauf und den Erfolg in seiner konkreten Gestalt an. Ein bloß hypothetischer Kausalverlauf (vgl. dazu S. 136) bleibt außer Betracht. Die Ursächlichkeit eines bestimmten Tuns wird nicht dadurch in Frage gestellt, daß noch andere oder spätere Ursachen zum Erfolg beigetragen haben. Beispiele: Eine nächtliche „Tempobolzerei" auf der Landstraße bleibt auch dann ursächlich für den Tod, wenn das Opfer auf der falschen Straßenseite gegangen, der Fahrer seinerseits geblendet worden oder ein Arzt nicht rechtzeitig erreichbar war; wenn der Angefahrene erst durch überhöhte Geschwindigkeit des Rettungswagens, durch einen Diagnose- oder Behandlungsfehler des Arztes, durch einen Brand des Krankenhauses oder durch selbstverschuldet^ Verschmutzung der Wunde den Tod gefunden hat oder erst nach Jahren an den Spätfolgen der Tat gestorben ist. Im Rahmen der Kausalität sind alle Ursachen gleichwertig. Jedes Tun, das nicht weggedacht werden kann, ohne daß der Erfolg entfiele, ist Ursache, ist conditio sine qua non = Äquivalenztheorie oder Bedingungstheorie. Die Äquivalenz- oder Bedingungstheorie entspricht ganz einhelliger h.M. Sie geht auf den österreichischen Prozessualisten Glaser zurück und wurde im deutschen Recht von dem seinerzeitigen Reichsgerichtsrat v. Buri maßgeblich gefördert. Aus der heutigen Rspr. vgl. etwa BGHSt 1 333; BGHSt 24 34. Die Kausalitätsformel der Äquivalenztheorie lautet: Ein Tun ist kausal f ü r einen Erfolg, wenn es nicht weggedacht werden kann, ohne daß der Erfolg in seiner konkreten Gestalt entfiele. Diese Formel m u ß noch im Schlafe sitzen!

L E 10

141

Kausalität

Die wichtigsten Konsequenzen der Äquivalenztheorie bestehen in folgendem: 1. Es gibt keinen Unterschied zwischen „nahen" und „entfernten", „typischen" und „untypischen", „normalen" und „zufälligen" Ursachen (Handlungen). Ebensowenig läßt sich im Rahmen der Äquivalenztheorie zwischen „notwendigen", „auffallenden", „wirksamen" oder „überwiegenden" Ursachen und sonstigen Bedingungen differenzieren. Alle Bedingungen sind Ursachen. Alle Ursachen wiegen gleich schwer. Anders die früher vertretenen (Binding, Birkmeyer) individualisierenden Kausaltheorien; vgl. dazu Maurach/Zipf ATI §18RN28f. 2. Kausalität besteht auch dort, wo die absonderlichen körperlichen und geistigen Verhältnisse beim Verletzten der Tathandlung zum Erfolg verholfen haben. Daher ist selbst der harmlose Kratzer, an dem ein Bluter stirbt, conditio sine qua non. Dasselbe gilt für sonstige Fälle des sog. atypischen Kausalverlaufs. 3. Die Kausalitätsformel der Aquivalenztheorie reicht niemals weiter als unser Erfahrungswissen. Sie ermöglicht es zwar, bereits vorhandenes Kausalwissen prägnant zu artikulieren, aber sie versagt, wenn es um die Ermittlung noch unbekannter Kausalzusammenhänge geht. Beispiel: Wegen gastritischer Beschwerden ist A 1970 geröntgt worden. Infolge der Unaufmerksamkeit des Arztes war die Strahlendosis damals fünfmal höher als üblich gewesen. Zehn Jahre später erkrankt A an Magenkrebs und stirbt. Unser Erfahrungswissen reicht derzeit nicht aus, um mit Sicherheit sagen zu können, daß diese Strahlenbehandlung des Jahres 1970 ursächlich oder auch nur mitursächlich i.S.d. Äquivalenztheorie für die Krebserkrankung und den Tod des A gewesen ist. Eine Anklage des Röntgenarztes wegen eines Tötungsdelikts verspricht schon deshalb keine Aussicht auf Erfolg. Anders war die Beweislage im berüchtigten „Contergan-Prozeß"; vgl. LG Aachen JZ 1971 510. Trotz ihrer Mängel und Grenzen ist an der Kausalitätsformel der Aquivalenztheorie festzuhalten. Dieses Eliminationsverfahren ermöglicht jedenfalls im Bereich des Erfahrungswissens eine allererste Kontrolle unter streng logischen Aspekten. B Sonderprobleme Eine „Unterbrechung" des Kausalzusammenhangs gibt es nicht, wohl aber „überholende" Kausalität. Dazu das folgende Schaubild: Angebliche „Unterbrechung" des Kausalzusammenhanges

„Uberholende" Kausalität

Erfolg

Beide Handlungen sind kausal

Kausal ist nur Tun 2 geworden

Zur angeblichen Unterbrechung des Kausalzusammenhanges: Weder Handlungen eines Dritten noch Handlungen des Opfers selbst bewirken eine „Unterbrechung" des Kausalzusammenhanges. Im Gegenteil! Sie bewirken gerade die Herstellung des Kausalzusammenhanges; vgl. Beispiel S. 138. Dieser oft erhobene Einwand wird von den Gerichten daher ebenso oft zurückgewiesen; vgl. etwa RGSt 69 46. Zur überholenden Kausalität: Ein später vorgenommenes Tun holt das früher vorgenommene ein und führt unabhängig von jenem den Erfolg herbei. Das frühere Tun wird für den Erfolg also gar nicht kausal. Manche sprechen daher auch von „abgebrochener" Kausalität; vgl. Beispiel S. 139. Dazu Jescheck AT §28 II 5.

Kausalität

142

L E 10

C Kausalität und objektive Zurechnung D i e Hauptkritik an der Aquivalenztheorie richtet sich seit jeher gegen ihre uferlose Weite, vor allem bei

abenteuerlichen Kausalverläufen. Beispiele: Der Bauer schickt seinen Knecht bei starkem Gewitter aufs Feld, auf daß ihn der Blitz erschlage. So geschieht es (sog. Gewitterfall). Der geldgierige Neffe überredet seinen Erbonkel zu einer weiten Flugreise. Wie erhofft, stürzt das Flugzeug mit dem Erbonkel ab (sog. Erbonkelfall). Ahnlich liegt der Schauinslandfall; vgl. dazu näher Kienapfel Strafrechtsfälle 106. An der Kausalität im Sinne der Aquivalenztheorie ist in keinem dieser Fälle zu zweifeln. Es hat in der Wissenschaft nicht an Versuchen gefehlt, die Formel der Äquivalenztheorie durch engere Kausalitätsformeln zu ersetzen oder wenigstens zu modifizieren. Neben den individualisierenden Kausalitätstheorien (oben A 1) sind in diesem Zusammenhang vor allem die Adäquanztheorie (dazu Jescheck AT §28 III 2) und die Lehre vom Regreßverhot (dazu Naucke ZStW 76 409) zu nennen. Diese Theorien sind inzwischen überholt. Das moderne Schrifttum unterscheidet heute scharf zwischen der Kausalitätsfrage (im Sinne der Aquivalenztheorie) und der Haftungsfrage. Neben die Kausalität tritt als selbständiges normatives Korrektiv

die Lehre von der objektiven Zurechnung = Lehre vom Risikozusammenhang. Die objektive Zurechnung bildet nach heutiger Lehre ein weiteres ungeschriebenes objektives Tatbestandsmerkmal sämtlicher (vorsätzlichen und fahrlässigen) Erfolgsdelikte. Dazu näher am Beispiel der Fahrlässigkeitsdelikte LE 27.

D Kausalität und Schuld Angehende Juristen neigen meist dazu, Kausalität mit Schuld zu verwechseln. Beides muß strikt auseinandergehalten werden, denn es handelt sich dabei um zwei ganz verschiedene Problemkreise.

Im Rahmen der Kausalität geht es darum, ob ein bestimmtes Tun einen bestimmten Erfolg verursacht hat. Diese Frage ist mit Hilfe der Kausalitätsformel der Äquivalenztheorie zu beantworten. Da es sich dabei ausschließlich um ein logisches Schlußverfahren handelt, enthält die Feststellung, daß ein bestimmtes Tun für einen bestimmten Erfolg kausal geworden ist, weder eine Wertung noch einen Vorwurf,

Im Rahmen der Schuld geht es darum, ob dem Täter'der von ihm verursachte Erfolg auch rechtlich vorgeworfen werden kann. Was Schuld bzw. Vorwerfbarkeit im einzelnen bedeutet, werden Sie in LE 13 erfahren. Hier genügt es, folgendes festzuhalten und sich einzuprägen: 1. 2. 3. 4.

Die Frage der Kausalität ist getrennt von der Frage der Schuld zu untersuchen. Die Frage der Kausalität ist vor der Frage der Schuld zu untersuchen. Für die Frage der Kausalität sind ganz andere Kriterien maßgebend als für die Frage der Schuld. Mit der Bejahung der Kausalität ist noch nichts darüber ausgesagt, ob dem Täter der von ihm verursachte Erfolg auch rechtlich vorgeworfen werden kann. 5. Mit der Verneinung der Kausalität erübrigt sich die Untersuchung der Schuld. 6. Innerhalb des Fallprüfungsschemas ist die Frage der Kausalität auf der Stufe I (= Tatbestandsmäßigkeit) und die Frage, ob dem Täter der von ihm verursachte Erfolg rechtlich vorgeworfen werden kann, auf der Stufe III (= Schuld) zu untersuchen.

Weiterführendes Schrifttum: Zur Äquivalenztheorie und ihren Grenzen vgl. Jescheck AT §28 II; Baumann AT §17 II. Zur objektiven Zurechnung vgl. Kienapfel Strafrechtsfälle 27 (Problemeinführung); Jescheck AT §28 IV (Ubersicht); weitere Nachweise LE27.

TE 10

Testfragen zur LE 10

143

1.1

Definieren Sie „Erfolgsdelikte"!

1.2

Auf welcher Stufe des Fallprüfungsschemas wird die Kausalität geprüft?

1.3

Nennen Sie die lateinische Formel der Äquivalenztheorie!

1.4

Wann ist ein Tun Ursache für einen Erfolg? (Bitte schreiben Sie jetzt die deutsche Formel der Kausalität so vollständig wie möglich nieder!)

1.5

Was versteht man unter „überholender" Kausalität?

1.6

Warum ist die Kausalität ein delikte?

Tatbestandsmerkmal der

144 2.1

Testfragen

TE 10

X legt sein langes Messer auf den Tisch. Y, der wenig später mit dem Z in Streit ersticht mit dem Messer den Z.

gerät,

Dir Kommilitone behauptet: „Nur Y hat den Tod des Z verursacht. Denn er allein hat zugestochen!" 1. Ist diese Behauptung richtig? J a / Nein Begründung:

2. Im Falle 2.1 geht es um das Problem der überholenden Kausalität / um das Problem der Unterbrechung des Kausalzusammenhangs.

2.2

A fährt den B an. B wird mit einem Beinbruch ins Krankenhaus verschafft sich B ebendort den Zutritt zu einem Pockenkranken.

eingeliefert. Fast genesen, B stirbt an Pocken.

1. War das Tun des A, also das Anfahren, kausal für den Tod des B? J a / Nein Begründung (Zwei wichtige Hinweise: 1. Es ist nach der Kausalität, nicht nach der Schuld gefragt. 2. Wenden Sie die Kausalitätsformel wörtlich an! Wer dies nicht tut, löst diese Aufgabe meist falsch!):

2. Um welches Problem geht es im Falle 2.2?

1.7

2.3

Welcher der beiden Sätze ist richtig? •

Erfolgsdelikte können gleichzeitig auch Tätigkeitsdelikte sein.



Begehungsdelikte sind entweder Tätigkeitsdelikte oder Erfolgsdelikte.

Der Tatbestand der Freiheitsberaubung (§ 239 (1)) lautet: „Wer einen Menschen des Gebrauchs der persönlichen Freiheit beraubt". Dieses Delikt ist ein Tätigkeitsdelikt / Erfolgsdelikt. Begründung:

TE 10 2.4

Testfragen

Der erste Attentäter wirft eine Bombe. Bevor diese explodiert, täter das Staatsoberhaupt mit einem gezielten Schuß.

145 tötet ein anderer

Atten-

Um welches Kausalitätsproblem geht es in diesem Fall?

2.5

War im Falle 2.4 das Tun des ersten Attentäters kausal für den Tod des Staatsoberhaupts? J a / Nein Begründung:

2.6

Ist mit der Kausalität auch schon die Schuld des Täters bejaht? J a / Nein Begründung:

2.7

Die Witwe des einem Bronchialkarzinom erlegenen Verlagsleiters Rauchfuß erstattet Anzeige gegen die Verantwortlichen der Fa. Roth-Händle wegen fahrlässiger Tötung (§ 222). Ihr verstorbener Mann sei ein leidenschaftlicher Raucher gewesen („bis zu 60 Zigaretten am Tag") und habe seit Jahren die stark teer- und nikotinhaltigen Zigaretten dieser Firma geraucht. Folglich habe diese ihn „auf dem Gewissen". 1. Wo liegt das Problem dieses Falles?

2. Bitte lösen Sie es!

5.1

Zum Abschluß dieser TE eine ziemlich schwere Frage für besonders ambitionierte Leser. Worin bestehen die Gemeinsamkeiten und die Unterschiede zwischen der „überholenden" Kausalität und der sogenannten „Unterbrechung" des Kausalzusammenhanges?

146

Antworten

1.1

Erfolgsdelikte sind Delikte, die den Eintritt einer von der Tathandlung zumindest gedanklich abtrennbaren Wirkung in der Außenwelt voraussetzen (o.ä.).

1.2

Auf der Stufe I, der Tatbestandsmäßigkeit

1.3

Conditio sine qua non

1.4

Ein Tun ist Ursache für einen Erfolg, wenn es nicht weggedacht werden kann, ohne daß der Erfolg in seiner konkreten Gestalt entfiele.

1.5

„Oberholende" Kausalität bedeutet, daß eine später vorgenommene Handlung die früher vorgenom? mene Handlung einholt und unabhängig von jener den Erfolg herbeiführt. Die früher vorgenommene Handlung wird für den Erfolg also gar nicht kausal (o.a.).

1.6

objektives; Erfolgsdelikte. Weil sich die Kausalität auf das äußere Erscheinungsbild der Handlung bezieht (o.ä.).

2.1

1. Nein! Die Behauptung des Kommilitonen ist natürlich falsch! Auch das Tun des X ist kausal für den Tod des Z. Denn es kann nicht weggedacht werden, ohne daß der Erfolg in seiner konkreten Gestalt (= Todeseintritt durch Erstechen mit dem Messer des Y) entfiele. 2. Um das Problem der „Unterbrechung"des Dritten)

2.2

TE 10

Kausalzusammenhanges (durch Handlungen eines

1. Ja! Denn das Anfahren des B durch A kann nicht weggedacht werden, ohne daß B im Krankenhaus an Pocken gestorben wäre. 2. Im Falle 2.2 geht es ebenfalls um das Problem der „Unterbrechung" des Kausalzusammenhanges; hier aber durch Handlungen des Opfers selbst.

1.7

Begehungsdelikte sind entweder Tätigkeitsdelikte oder Erfolgsdelikte.

2.3

Erfolgsdelikt. § 239 (1) setzt den Eintritt eines von der Tathandlung gedanklich abtrennbaren Erfolgs, den Eintritt des Freiheitsverlustes, voraus (o.a.).

2.4

Um das Problem der „überholenden" Kausalität.

2.5

Nein! Die Handlung des zweiten Attentäters hat die Handlung des ersten eingeholt und ist unabhängig von ihr kausal geworden (o.ä.).

2.6

Nein! Durchaus nicht. Die Kausalität ist nur ein objektives Tatbestandsmerkmal unter mehreren. Außerdem hat sie mit den Wertungen auf der Ebene der Schuld nichts zu tun (o.ä.).

2.7

1. Bei der Frage der Kausalität 2. Die Kausalitätsformel der Äquivalenztheorie hilft hier nicht weiter. Zwar ist das Rauchen in hohem Maße krebsfördernd. Aber ob gerade das Rauchen dieser Zigaretten die Erkrankung ausgelöst hat, läßt sich nach unseren derzeitigen Erfahrungen nicht mit Sicherheit sagen (o.a.). Deshalb verspricht die Strafanzeige auch keine Aussicht auf Erfolg.

5.1

Gemeinsamkeiten: Beidesmal handelt es sich um Probleme der Kausalität. In beiden Fällen geht es um die Frage der Verklammerung von zwei verschiedenen Handlungen unter dem Aspekt ihrer Kausalität für den eingetretenen Erfolg (o.ä.). Unterschiede: In den Fällen der sog. „Unterbrechung" des Kausalzusammenhanges vereinigen sich die beiden Handlungen und führen gemeinsam den Erfolg herbei. Durch die andere Handlung wird die Kausalität gerade nicht „unterbrochen", sondern herbeigeführt (o.ä.). In den Fällen der überholenden Kausalität führt die später vorgenommene Handlung unabhängig von einer früher vorgenommenen (also allein) den Erfolg herbei (o.a.).

LE 11

NOTWEHR

147

L e r n z i e 1 : In dieser LE werden Sie die Struktur des Rechtfertigungsgrundes der „Notwehr" kennenlernen. Darüber hinaus sollen Sie bei entsprechenden Sachverhalten erkennen, ob dieser Rechtfertigungsgrund gegeben sein könnte. Sie sollen in die Lage versetzt werden, selbst zu untersuchen, ob die Merkmale der Notwehr erfüllt sind.

Zu Beginn eine kurze Wiederholung. Zur Beantwortung der Frage, ob der Täter unrecht gehandelt hat, bedarf es einer doppelten Prüfung: Zunächst wird untersucht, ob der Täter den Tatbestand eines bestimmten Delikts ver(1) wirklicht hat. Diese Prüfung wird auf der Stufe I, der Stufe der vorgenommen. Steht fest, daß der Täter den Tatbestand eines bestimmten Delikts erfüllt hat, so ist zu (2) untersuchen, ob die Tat durch einen gebilligt wird. Ist das der Fall, ist die tatbestandsmäßige Handlung gerechtfertigt = rechtmäßig. Liegt kein Rechtfertigungsgrund vor, ist die Tat rechtswidrig. „Eine Tat ist rechtswidrig" bedeutet demnach, daß eine tatbestandsmäßige Handlung (3) (bitte ergänzen!)

(4) Diese Prüfung wird auf der Stufe II, der Stufe der vorgenommen. Für die praktische Rechtsanwendung ist die Stufe II identisch mit der Prüfung der Frage, ob ein Rechtfertigungsgrund für die Tat in Betracht kommt und ob die Voraussetzungen dieses Rechtfertigungsgrundes erfüllt sind. (5) „Rechtfertigungsgründe" beschreiben jene Voraussetzungen, unter denen (bitte ergänzen!)

In der Regel handelt unrecht, wer tatbestandsmäßig handelt. Von dieser Regel gibt es (6) eine Ausnahme. Wie lautet diese Ausnahme?

Im folgenden befassen wir uns mit dem bekanntesten u n d wichtigsten Rechtfertigungsgrund, der Notwehr.

148

Notwehr

LE 11

(1) Tatbestandsmäßigkeit (2) Rechtfertigungsgrund (3) nicht durch einen Rechtfertigungsgrund gebilligt ist (4) Rechtswidrigkeit (5) Rechtfertigungsgründe beschreiben jene Voraussetzungen, unter denen eine tatbestandsmäßige Handlung von der Rechtsordnung gebilligt wird. (6) Die Ausnahme lautet: ist ein Rechtfertigungsgrund erfüllt, so entfällt das Unrecht (bzw. die Rechtswidrigkeit der Tat) (o.ä.).

Streitle traktiert Aumaier mit Ohrfeigen. mit einem Fausthieb nieder.

Aumaier

setzt sich zur Wehr und streckt

Streitle

Damit h a t A u m a i e r d e n T a t b e s t a n d der Körperverletzung (§ 2 2 3 (1)) verwirklicht. (1)

Ist die d e m Streitle zugefügte Körperverletzung d u r c h

gerechtfertigt?

Lesen Sie § 3 2 (2)! Diese Vorschrift enthält die Beschreibung des Rechtfertigungsgrundes. I m Interesse der besseren Ubersicht beschränken wir uns im folgenden zunächst auf die G r o b s t r u k t u r dieses Rechtfertigungsgrundes. Erst w e n n Sie die G r o b s t r u k t u r verstanden haben, wollen wir uns mit der d u r c h § 32 (2) festgelegten Feinstruktur dieses Rechtfertigungsgrundes näher befassen. In unserem Beispiel stellen sich drei Hauptfragen: 1. Handelt es sich überhaupt u m eine Situation, in der sich Aumaier zur Wehr setzen darf? = Notwehrsituation. 2. Wie darf sich Aumaier gegen den Angriff des Streitle zur Wehr setzen? = Notwehrhandlung. 3. Welche Ziele m u ß Aumaier subjektiv mit seiner Notwehrhandlung verfolgen, damit sie gerechtfertigt ist? = Subjektives Rechtfertigungselement. Dieses subjektive Rechtfertigungselement ist der Verteidigungswille. Diese drei H a u p t f r a g e n stellen sich in allen Fällen der Notwehr. (2)

N o t w e h r s i t u a t i o n , Notwehr und ergeben z u s a m m e n die G r o b s t r u k t u r der Notwehr. Graphisch dargestellt sieht die Grobstruktur der N o t w e h r wie folgt aus (bitte einsetzen!):

(3)

Verteidigungswille

LE 11

Notwehr (1) Notwehr

(2) Notwehrhandlung; Verteidigungswille

149 (3) Notwehrsituation

Bei der Notwehrsituation geht es um die Frage, ob man Notwehr üben darf. Bei der Notwehrhandlung geht es um die Frage, wie man Notwehr üben darf. Beide Fragen sind streng voneinander zu trennen. (1) Tragen Sie in das folgende Schaubild die drei Hauptelemente der Notwehr ein!

Nachdem Sie eine Vorstellung von der Grobstruktur der Notwehr gewonnen haben, wollen wir uns der Feinstruktur dieses Rechtfertigungsgrundes zuwenden. (2) Beschränken wir uns zunächst auf die-Frage des „ O b " der Notwehr, auf die

Unsere Ausgangsfrage lautet: Ist die dem Streitle zugefügte Körperverletzung durch Notwehr gerechtfertigt? Jede Notwehrsituation setzt zunächst einen Angriff voraus. Daß Streitle Aumaier mit der Faust traktiert, bedeutet eine Beeinträchtigung des Rechtsguts der körperlichen Unversehrtheit. Eine von einem Menschen ausgehende Beeinträchtigung eines Rechtsguts stellt einen Angriff dar. Angriff ist jedes menschliche Verhalten, das Rechtsgüter beeinträchtigt. Der Schäferhund Bello springt knurrend dem Hasenfuß an die Kehle. (3)

Liegt ein „Angriff" vor? J a / Nein

(4) Angriff ist jedes

Begründung:

Verhalten, das Rechtsgüter

Alle RechtsgUter sind notwehrfähig. auf Leib und (5) Eine Notwehrsituation wird also nicht nur durch einen Leben, sondern auch auf Freiheit, Eigentum, Vermögen, Besitz, Privatsphäre und andere begründet.

150

Notwehr

LE 11

(1) von o. nach u.: Notwehrsituation; Notwehrhandlung; Verteidigungswille (2) Notwehrsituation (3) Nein! Es liegt kein menschliches Verhalten vor. Eine Tierattacke ist entgegen dem allgemeinen Sprachgebrauch kein Angriff i.S.d. § 32 (2). Notwehr gegen einen Hund scheidet daher schon aus begrifflichen Gründen aus. Wehrt sich Hasenfuß gegen den Hund, so kommt allerdings ein anderer Rechtfertigungsgrund in Betracht (rechtfertigender Notstand = LE 12). (4) menschliche; beeinträchtigt (5) Angriff; Rechtsgüter

Auf dem Marktplatz von Altötting überschüttet Theresia Keifel (K) Kaspar Brumböck (B) mit einem Schwall von Schimpfworten: „Foischer Fuchzger .. . Bauernfünfa . . . Loamsiada . . .". B warnt sie: „Hoidd dei Babbn!". Als dies nichts fruchtet, „schallert" er ihr eine Ohrfeige. B beruft sich auf Notwehr. Ihr Kommilitone b e h a u p t e t : Gegen Beleidigungen gibt es keine Notwehr. Ist das richtig? (1) J a / Nein Begründung:

(2)

Das „ O b " der Notwehr, d.h. die Notwehrsituation, setzt gemäß § 32 (2) in zeitlicher Hinsicht weiterhin voraus, daß der Angriff ist. Dieses Merkmal bezeichnet die zeitliche Grenze der Notwehr. Als gegenwärtig gilt ein Angriff, der unmittelbar bevorsteht oder noch andauert.

(3) Holt der Angreifer z u m Schlage aus, braucht der Angegriffene m i t Gegenwehr nicht zu w a r t e n , bis (bitte ergänzen!)

Ist der Angriff abgewehrt, aufgegeben oder aber ist die zur Rechtsgutsbeeinträchtigung (4) fuhrende Handlung abgeschlossen, gilt der Angriff noch als gegenwärtig / n i c h t m e h r als gegenwärtig. Mit der Gans unterm

Arm will der Dieb gerade den Gänsestall

verlassen.

K a n n dieser Angriff auf das Rechtsgut des Eigentums in diesem Zeitpunkt noch als gegenwärtig angesehen w e r d e n ? (5) J a / Nein

Der Bestohlene

Begründung:

sieht am nächsten

Tag, daß der Dieb am Markt die Gans

Kann der Angriff auch jetzt noch als gegenwärtig angesehen werden? (6) J a / Nein Begründung:

verkauft.

Notwehr

LE 11

151

(1) Nein! Da alle Rechtsgüter notwehrfähig sind, gehört auch die Ehre dazu (o.a.). (2) gegenwärtig (S) er getroffen ist (o.a.) (4) nicht mehr als gegenwärtig (5) Ja! Der Angriff dauert noch an. Die zur Beeinträchtigung des Rechtsguts des Eigentums führende Handlung ist noch nicht abgeschlossen (Sie ersehen daraus den normativen Charakter des Merkmals „gegenwärtig"!). (6) Nein! Die zur Rechtsgutsbeeinträchtigung führende Handlung ist bereits abgeschlossen.

Der Angriff muß nicht nur gegenwärtig sein, er muß darüber hinaus auch rechtswidrig sein. Bitte § 32 (2) lesen! (1) Ein Angriff ist insbesondere dann rechtswidrig, wenn für ihn keine in Betracht kommen. (2) Nennen Sie mindestens drei Rechtfertigungsgründe!

Ein Polizist überrascht den Einbrecher nimmt ihn fest.

Zobel beim Ausräumen

eines Pelzgeschäftes

und

Ist dieser Angriff des Polizisten auf die Freiheit des Täters rechtswidrig? (3) J a / Nein Begründung:

Tragen Sie in das folgende Schaubild nunmehr die einzelnen Elemente der Notwehr(4) situation ein!

Notwehrsituation

Während eines lebhaften Wortwechsels Dolch und holt zum Stoß aus.

A

mit B zieht der leicht erregbare A plötzlich

einen

Es interessiert hier nur das „ O b " der Notwehr: Liegt für B, wenn er angesichts des gezückten Dolches des A zu seiner Pistole greift, eine Notwehrsituation vor? (5) J a / Nein Begründung bitte mit sämtlichen(!) Elementen der Notwehrsituation:

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Notwehr

LE 11

(1) Rechtfertigungsgriinde (2) Notwehr, elterliches Züchtigungsrecht, Festnahmerecht, rechtfertigender Notstand, Einwilligung etc. (3) Nein! Der Angriff des Polizisten auf die Freiheit des Zobel ist rechtmäßig, weil seine tatbestandsmäßige Handlung (Freiheitsberaubung) durch den Rechtfertigungsgrund des Festnahmerechts gebilligt ist. (4) gegenwärtiger rechtswidriger Angriff (5) Ja! 1. Es liegt eine Beeinträchtigung des Rechtsguts Leben durch den A, somit ein Angriff vor. 2. Der Angriff ist gegenwärtig. 3. Der Angriff des A ist rechtswidrig. Denn ein lebhafter Wortwechsel bildet noch keinen Rechtfertigungsgrund, den anderen mit einem Dolch zu bedrohen (o.ä.). In einer Notwehrsituation darf m a n das angegriffene Rechtsgut verteidigen. Man darf den Angriff abwehren. Damit k o m m e n wir zur Notwehrhandlung. Ging es bei der N o t w e h r s i t u a t i o n bisher u m das „ O b " der Notwehr, so geht es bei der Fra(1) ge der N o t w e h r h a n d l u n g u m das „ " der N o t w e h r . Das Gesetz charakterisiert das „Wie" durch einen einzigen, allerdings ziemlich weit ge(2) spannten Begriff: Die Verteidigung muß (lesen Sie § 32 (2)!) e sein. Erforderlich ist j e n e Verteidigung, die unter den verfügbaren Mitteln das schonendste darstellt, u m den Angriff s o f o r t u n d endgültig abzuwehren. Dabei sind Art u n d Intensität des Angriffs, die Gefährlichkeit des Angreifers u n d die d e m Angegriffenen im Z e i t p u n k t des Angriffs k o n k r e t zur Verfügung stehenden Abwehrmöglichkeiten zu berücksichtigen. Greifen wir unser Ausgangsbeispiel wieder auf. Streitle traktiert Aumaier m i t Ohrfeigen. Darf sich Aumaier zur Wehr setzen (3) mit einem Faustschlag? J a / Nein mit F u ß t r i t t e n ? J a / Nein indem er Streitle erschießt? J a / Nein (4) Eine Verteidigung, welche u n t e r den verfügbaren Mitteln n i c h t das sch Mittel darstellt, u m den Angriff s und ist nicht u n d daher nicht gerechtfertigt.

abzuwehren,

Mit dem Begriff der „Erforderlichkeit" der Verteidigung hat der Gesetzgeber mit Bedacht (5) einen weiten u n d wertausfüllungsbediirftigen (= n o Begriff) verwendet. Das „Wie" der N o t w e h r h a n d l u n g wird von der neueren Lehre u n d Praxis b e t o n t restriktiv interpretiert. Der Verteidiger m u ß bei mehreren verfügbaren Abwehrmöglichkeiten die für den Angreifer am wenigsten schädliche u n d gefährliche auswählen. Diese Einschränkung ist berechtigt. D e n n die N o t w e h r ist keine Straf- u n d Vergeltungsaktion, sondern dient nur dem Schutz des b e d r o h t e n Rechtsguts.

Notwehr

LE 11 (1) (3) (4)

153

„Wie" (2) erforderlich Faustschlag und Fußtritte: Ja. Erschie&en: Nein. Denn das Erschiefien geht über Art und Intensität dieses Angriffs (Ohrfeigen!) hinaus. schonendste; sofort und endgültig; erforderlich (5) normativen

Die Notwehr ist ein Recht des Angegriffenen. Dieses Recht ist jedoch in bestimmten Fällen eingeschränkt. Kindern, Geisteskranken und Betrunkenen muß man ausweichen, wenn man schon dadurch das bedrohte Rechtsgut schützen kann. (1) Daher macht es einen Unterschied / keinen Unterschied, ob man von einem stockschwingenden Betrunkenen auf offener Straße oder in einem abgeschlossenen Raum bedroht wird. (2) Wieso?

Notwehr entfällt weiterhin, wenn ein unerträgliches Mißverhältnis zwischen dem angegriffenen Rechtsgut und der Beeinträchtigung des Angreifers durch den Verteidiger besteht. (3) Diese Einschränkung des N rechts kommt aber nur bei ganz extremen Sachverhalten zum Zuge, in denen eine Verteidigung als Rechtsmißbrauch erscheint. Beispiel: Ein gelähmter Greis sitzt in seinem Obstgarten. Auf seinem Schoß liegt ein geladenes Gewehr. Ein Junge steigt über den Zaun, um Äpfel zu stehlen. Der Greis ruft, schimpft, droht, bettelt, fleht. Vergebens! Da greift er schließlich zu seinem Gewehr und schießt den Jungen vom Baum. (4) Dem Eigentum des Greises droht ein großer / ein bloß geringer Nachteil. Das allein (5) schließt das Recht des Greises zur Notwehr aus / nicht aus. (6) Es kommt aber hinzu, daß ein u M zwischen dem angegriffenen Rechtsgut (hier Eigentum) und (bitte ergänzen!)

Für die Tat des Greises kommt somit der Rechtfertigungsgrund der Notwehr nicht in (7) Betracht / in Betracht. (8) Seine Tat (§ 212 (1)) ist daher r „Notwehrsituation" und „Notwehrhandlung" beschreiben zwei Problemkreise der Notwehr, die scharf voneinander zu trennen sind. (9) Um welche Frage geht es bei dem einen und um welche bei dem anderen Problemkreis?

154

Notwehr

LE 11

(1) einen Unterschied (2) Weil der Angegriffene einem Betrunkenen auf offener Straße ausweichen kann (und daher ausweichen muß) o.ä. (3) Notwehrrechts (4) ein bloß geringer Nachteil (5) nicht aus (5) unerträgliches Mißverhältnis zwischen dem angegriffenen Rechtsgut und der Beeinträchtigung des Angreifers durch den Verteidiger besteht (7) nicht in Betracht (8) rechtswidrig (9) Bei der Notwehrsituation geht es um die Frage, ob eine Notwehr überhaupt zulässig ist. Bei der Notwehrhandlung geht es um die Frage, wie die Verteidigung durchzuführen ist (o.a.). Zur N o t w e h r s i t u a t i o n und zur Notwehrhandlung m u ß als subjektives Rechtfertigungselement der Verteidigungswille treten. (1)

Bitte einsetzen!

Der Angegriffene m u ß den Angriff auch subjektiv abwehren wollen. Das Erfordernis des Verteidigungswillens ergibt sich nur mittelbar aus dem Gesetz. Der Verteidigungswille steckt in den Worten „ u m a b z u w e n d e n " . § 3 2 (2) bitte lesen!

(2)

Die N o t w e h r h a n d l u n g m u ß vom Verteidigungswillen getragen sein. Fehlt dieses subjektive Rechtfertigungselement, k o m m t Notwehr selbst d a n n nicht in Betracht, w e n n N und N gegeben sind. „Herschaftseitn hoat der an Suri", knurrt Frau Wadschenbaum, als sie tapsende Schritte hört, und nimmt in Erwartung ihres betrunken heimkehrenden Ehemanns mit erhobenem Nudelwalker hinter der Tür Aufstellung. Der Eintretende, auf den sie das Gerät mit bajuwarischem Zorn niedersausen läßt, ist in Wirklichkeit ein Einbrecher.

(3) Es fehlt a m (4) Daher scheidet N o t w e h r aus / ist Notwehr gegeben. Statt des oder neben dem Angegriffenen kann auch ein Dritter Notwehr üben. (5)

Lesen Sie § 32 (2) u n d begründen Sie dies aus d e m Gesetz!

Auch ein Dritter ist durch N o t w e h r — hier Nothilfe genannt — gerechtfertigt, w e n n er in einer Notwehrsituation eine v o m Verteidigungswillen getragene N o t w e h r h a n d l u n g vornimmt. Die Nothilfe ist kein selbständiger Rechtfertigungsgrund, sondern ein besonderer Fall (6) der N o t w e h r . Der Nothelfer m u ß daher / m u ß daher nicht sämtliche Voraussetzungen des § 3 2 (2) erfüllen.

Notwehr

L E 11 (1) Notwehrhandlung; Verteidigungswille (3) Verteidigungswillen (5) §32 (2): „von sich oder einem anderen'

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(2) Notwehrsituation und Notwehrhandlung (4) Daher scheidet Notwehr aus (6) muß daher

ZUSAMMENFASSUNG A S t r u k t u r u n d M e r k m a l e der N o t w e h r D e r R e c h t f e r t i g u n g s g r u n d der N o t w e h r (§32 (2)) setzt sich aus drei S t r u k t u r e l e m e n t e n z u s a m m e n : N o t w e h r s i t u a t i o n , N o t w e h r h a n d l u n g , Verteidigungswille.

1 Notwehrsituation D i e s e F r a g e b e t r i f f t das „ O b " d e r N o t w e h r . E i n e N o t w e h r s i t u a t i o n w i r d n u r d u r c h einen g e g e n w ä r t i g e n r e c h t s w i d r i g e n A n g r i f f auf ein R e c h t s g u t begründet.

a) A n g r i f f ist jedes m e n s c h l i c h e V e r h a l t e n , das R e c h t s g ü t e r b e e i n t r ä c h t i g t . Abweichend vom natürlichen Sprachgebrauch setzt Angriff nicht notwendigerweise ein gewolltes und aktives Verhalten voraus. Auch ein fahrlässiges und sogar ein gänzlich schuldloses Verhalten (z.B. eines Geisteskranken) kann eine Notwehrsituation begründen und — wenn auch eingeschränkte (vgl. unten A 2b aa) — Notwehrbefugnisse auslösen. Selbst ein Unterlassen kann ein Angriff sein; vgl. Jescheck AT §32 II la. Keine Angriffe bilden Tierattacken oder Naturereignisse; insoweit kann aber rechtfertigender Notstand (LE 12) in Betracht kommen. R e c h t s g ü t e r b e e i n t r ä c h t i g u n g e n u n t e r h a l b der Bagatellschwelle sind n o c h keine A n g r i f f e u n d b e g r ü n den daher keine Notwehrsituation. B e i s p i e l e : Rücksichtsloses Vordrängen, Rempeln beim Sport, derbe Zudringlichkeiten, unerwünschte Anbiederungen und Belästigungen, nicht ernst zu nehmende Drohungen u.a. Abwehr durch Worte genügt. Bei u n k l a r e r R o l l e n v e r t e i l u n g ist n i e m a n d A n g r e i f e r . In s o l c h e n Fällen scheidet N o t w e h r in d e r Regel aus. D a s s e l b e gilt bei einer v e r a b r e d e t e n Prügelei. B e i s p i e l : Die „Stänkerei" zwischen A und B geht allmählich in eine handgreifliche Auseinandersetzung über. Hier kann sich keiner der beiden Kontrahenten auf Notwehr berufen. b) D e r A n g r i f f m u ß — bereits o d e r n o c h — g e g e n w ä r t i g sein. E r ist g e g e n w ä r t i g , w e n n e r u n m i t t e l b a r b e v o r s t e h t , gerade s t a t t f i n d e t o d e r n o c h a n d a u e r t ; vgl. Jescheck A T §32 II 1 d. Ist d e r A n g r i f f a b g e w e h r t , a u f g e g e b e n o d e r ist die z u r R e c h t s g u t b e e i n t r ä c h t i g u n g f ü h r e n d e H a n d l u n g a b g e s c h l o s s e n , k o m m t N o t w e h r n i c h t m e h r in B e t r a c h t . Z u r V e r t i e f u n g Geilen J u r a 1981 205. Daher darf man dem flüchtenden Dieb, Wilderer etc. zwar die Beute wieder abnehmen, aber — entgegen RGSt 53 133 - nicht etwa auf den ohne Beute Fliehenden schießen; vgl. B G H J R 1980 114. Verletzungen, die dem Angreifer nach gelungener Abwehr zugefügt werden, sind nicht durch Notwehr gerechtfertigt, sondern ihrerseits rechtswidrige Angriffe, gegen die N o t w e h r geübt werden darf. c) E i n A n g r i f f ist i n s b . d a n n r e c h t s w i d r i g , w e n n f ü r i h n k e i n e R e c h t f e r t i g u n g s g r ü n d e vorliegen. E i n z e l h e i t e n sind s t r . ; vgl. n ä h e r Wessels A T §8 V 1. Handlungen, die ihrerseits durch das Festnahmerecht, durch Dienstbefugnisse etc. oder gar durch Notwehr gerechtfertigt sind, sind keine rechtswidrigen Angriffe und schließen daher das Notwehrrecht aus. M e r k f o r m e l : G e g e n N o t w e h r g i b t es keine N o t w e h r .

156

Notwehr

LE11

d) G r u n d s ä t z l i c h sind alle R e c h t s g ü t e r n o t w e h r f ä h i g . In der Praxis kommt Notwehr aber vor allem bei Angriffen auf Individualrechtsgüter wie Leib und Leben, Freiheit, Ehre, Vermögen, Eigentum in Betracht; dazu zählen weiter die Intimsphäre (vgl. aber B a y O b L G N J W 1962 1782), das Hausrecht ( B G H GA 1956 50), das Recht am eigenen Bild(OLG Hamburg J R 1973 69 m. Anm. Schroeder). Dagegen steht die Abwehr von Angriffen auf die öffentliche Ordnung oder den Staat nicht dem einzelnen zu; vgl. näher Jescheck AT §32 II l b m . N . 2

Notwehrhandlung

a) B e i der N o t w e h r h a n d l u n g geht es um das „ W i e " der N o t w e h r . N u r die „ e r f o r d e r l i c h e " Verteidigung ist gerechtfertigt. E r f o r d e r l i c h ist jene V e r t e i d i g u n g , die u n t e r den v e r f ü g b a r e n M i t t e l n das s c h o n e n d s t e darstellt, u m den A n g r i f f s o f o r t u n d e n d g ü l t i g a b z u w e h r e n . D a b e i sind A r t u n d I n t e n s i t ä t des A n g r i f f s , die Gefährlichkeit des A n g r e i f e r s und die dem A n g e g r i f f e nen i m Z e i t p u n k t des A n g r i f f s k o n k r e t z u r V e r f ü g u n g s t e h e n d e n A b w e h r m ö g l i c h k e i t e n zu b e r ü c k sichtigen. E i n e G ü t e r a b w ä g u n g (wie bei § 3 4 ) findet nach h . M . j e d o c h nicht statt. Vor allem in den Fällen, in denen die Verteidigung zum Tod oder zu schwerer Verletzung des Angreifers geführt hat, nehmen es die Gerichte mit dem Erfordernis des schonendsten Mittels inzwischen sehr genau und verlangen, daß der Verteidiger unter mehreren verfügbaren Mitteln das für den Angreifer am wenigsten schädliche und gefährliche auswählen müsse. Wer sich mit der bloßen Faust erfolgreich verteidigen könnte, darf nicht ohne weiteres zum Messer oder gar zur geladenen Waffe greifen; zu dieser Tendenz der Praxis vgl. B G H S t 26 147; B G H S t 24 358; B G H J R 1979 71 m. zust. Anm. Kienapfel; B G H J R 1980 210 m. Anm. Arzt. Ist der Einsatz eines Messers etc. zulässig, darf die Abwehr „die Intensität und Gefährlichkeit des Angriffs nicht unnötig überbieten"; B G H NStZ 1981 138. Klausurmaterie! Ist die Notwehrhandlung in diesem Sinn nach Art und Anlaß zulässig, sollte der Maßstab indessen nicht kleinlich sein. Wer zur Nachtzeit einen anderen mit Schlägen angreift, muß es sich gefallen lassen, daß ihm mit der gleichen Elle gemessen wird, und soll nicht nachträglich den Wehleidigen spielen, wenn die erhaltenen Hiebe heftiger ausgefallen sind. b) S o z i a l e t h i s c h e Ü b e r l e g u n g e n führen auch in anderen B e r e i c h e n zu m e h r o d e r weniger weitgehender B e g r e n z u n g , u . U . sogar zum A u s s c h l u ß der N o t w e h r h a n d l u n g . a a ) K i n d e r n , G e i s t e s k r a n k e n , B e t r u n k e n e n und sonstigen offensichtlich schuldlos H a n d e l n d e n m u ß m a n a u s w e i c h e n , w e n n man s c h o n dadurch das b e d r o h t e R e c h t s g u t schützen k a n n ; h . M . B e i s p i e l e : Derbe Zudringlichkeiten durch einen Betrunkenen auf offener Straße rechtfertigen im allgemeinen nur Erwiderung durch Worte. Das gilt auch für Lausbubenstreiche. bb) W e r sich selbst ins U n r e c h t g e s e t z t h a t , m u ß M i n d e r u n g e n seiner N o t w e h r b e f u g n i s s e h i n n e h m e n . Z u dieser u m s t r i t t e n e n (und eher wieder rückläufigen) T e n d e n z der neueren J u d i k a t u r vgl. B G H S t 24 3 5 9 ; B G H S t 2 6 145. A u c h dann dauert die „Pflicht z u r Z u r ü c k h a l t u n g bei der A b w e h r " nicht u n b e g r e n z t ; vgl. B G H S t 2 6 2 5 6 . B e i s p i e l e : Wer den anderen „gehänselt" hat, darf die ihm zugedachte Ohrfeige zwar abwehren, aber darf ihr nicht mit einem Faustschlag ins Gesicht „zuvorkommen". Nur weil man seine Schulden nicht rechtzeitig gezahlt hat, braucht man eine heftige Körperattacke des über diese Säumnis verärgerten Gläubigers nicht zu dulden; vgl. B G H J R 1979 71 m.Anm. Kienapfel. Die Notwehrbefugnisse eines notorischen Schürzenjägers sind nicht gemindert, wenn der „gehörnte" Ehemann nach gut einem Jahr die Schmach mit dem Messer tilgen will; vgl. B G H NStZ 1981 138; zum Ganzen näher Schönke/Schröder/Lenckner §32 R N 36f.; Samson SK §32 R N 24ff. c c ) W e r den A n g r i f f absichtlich h e r a u s g e f o r d e r t hat, u m einen V o r w a n d z u h a b e n , den A n g r e i f e r zu v e r l e t z e n (sog. A b s i c h t s p r o v o k a t i o n ) , k a n n sich nach ü b e r w i e g e n d e r L e h r e n i c h t selbst auf N o t w e h r b e r u f e n . U b e r die B e g r ü n d u n g besteht allerdings ebenso Streit wie ü b e r das E r g e b n i s ; näher z u m G a n z e n Jescheck

A T § 3 2 III 3 a .

Notwehr

L E 11

157

dd) Sehr str. ist, ob und in welchem U m f a n g sich die Abwehrbefugnisse aus sozialethischen Überlegungen gegenüber A n g e h ö r i g e n mindern. Nach B G H NJW 1975 62 darf ein Angehöriger nicht zu einem lebensgefährlichen Abwehrmittel greifen, der selbst nur eine körperliche Mißhandlung oder allenfalls eine leichte Körperverletzung zu befürchten hat. In dem Augenblick, in dem der Verteidiger das M a ß des z u r A b w e h r E r f o r d e r l i c h e n überschreitet, wird aus dem, was als N o t w e h r h a n d l u n g begann, ein rechtswidriger Angriff, gegen den N o t w e h r zulässig ist. 3 Verteidigungswille Zu den beiden objektiven Elementen der N o t w e h r muß der Verteidigungswille (arg. §32 ( 2 ) : „um abzuw e n d e n " ) als subjektives R e c h t f e r t i g u n g s e l e m e n t hinzutreten. Eine berühmte Kontroverse geht dahin, wie zu entscheiden ist, wenn der Täter zwar alle objektiven, nicht aber die subjektiven Voraussetzungen des Rechtfertigungsgrundes erfüllt, z.B. weil er die Notwehrsituation als solche gar nicht erkennt. Die traditionelle Auffassung bestraft wegen vollendeter Tat, wenngleich milder; vgl. BGHSt 2 115; Dreher/Tröndle §32 R N 14; KienapfelOJZ 1975 430. Andere bestrafen wegen Versuchs oder wenden die Versuch'sregeln analog an; vgl. zum Ganzen näher Jescheck AT §31 IV; Maurach/Xipf AT I §25 R N 24—29. Mit dem Verteidigungswillen können sich auch noch andere Intentionen verbinden. §32 findet daher selbst dann Anwendung, wenn die Abwehr durch Zorn, Wut, Erbitterung oder Haß mitbestimmt worden ist. B A u s s c h l u ß des N o t w e h r r e c h t s T r o t z Bestehens einer Notwehrsituation ist nach h . M . N o t w e h r ausgeschlossen, wenn ein unerträgliches Mißverhältnis zwischen der durch den Angriff drohenden Rechtsgutbeeinträchtigung und der Beeinträchtigung des Angreifers besteht; vgl. Schönke/Schröder/Lenckner § 3 2 R N 50f. m. Beispielen aus der Judikatur. Im einzelnen ist hier freilich vieles str. D i e s e r Ausschluß beruht auf dem Gedanken des Rechtsmißbrauchs. Beispiele: Auf einen Dieb, der einen Apfel stiehlt, darf man daher selbst dann nicht schießen, wenn der Schuß nach Lage des Falles die einzige Möglichkeit wäre, den Angriff auf das Eigentum abzuwehren (S. 153). Das Recht zur Benutzung einer Parklücke darf nicht durch Anfahren des „Widersachers" erzwungen werden; vgl. BayObLG NJW 1963 825. C

Nothilfe

Ü b t nicht der Angegriffene selbst, sondern ein D r i t t e r N o t w e h r , spricht man von Nothilfe ( § 3 2 (2): „von sich oder einem anderen"). Die Nothilfe ist eine Sonderform der Notwehr und muß daher sämtliche Merkmale des §32 (2) erfüllen. Diese Voraussetzungen sind nach der Person dessen zu beurteilen, dem geholfen wird. Darüber hinaus muß auch der Nothelfer mit Verteidigungswillen handeln; vgl. Jescheck A T §32 IV.

D

Übersicht

W e i t e r f ü h r e n d e s S c h r i f t t u m ; Zur Notwehr vgl. Baumann AT I §26; Stratenwerth AT R N 4 1 2 - 4 4 8 .

AT §21 II la—b; Jescheck

AT §32;

Maurach/Zipf

158

Testfragen zur LE 11

TE 11

1.1

„Angriff" im Sinne des § 32 (2) ist jedes menschliche Verhalten, das (bitte ergänzen!)

2.1

Der Hausierer Bluffke (B) will sich zur Tür hineinwinden (= Rechtsgut des Hausfriedens!). Um ihn hinauszudrängen, wirft die Hausfrau mit Schwung die schwere Türe zu. Die Tür schlägt dem B gegen die Nase (§ 223 (1)). 1. Der Hausfrieden gehört / gehört nicht zu den notwehrfähigen Rechtsgütern. 2. Welches der drei Merkmale der Notwehr ist in diesem Falle am ehesten problematisch?

1.2

In welchen Worten des § 32 (2) steckt der Verteidigungswille?

1.3

A wird von dem bissigen Hund des B attackiert. Um sich seiner Haut zu wehren, erschlägt A das Tier. Kann er sich auf Notwehr berufen? J a / Nein Begründung:

1.4

Derselbe Fall, nur mit dem Unterschied, daß B seinen scharfen Hund auf A hetzt. In diesem Fall entscheiden die Gerichte anders als in Fall 1.3. Können Sie sich vorstellen, mit welcher Begründung?

5.1

Mit dem Ruf „Burn, warehouse burn!" schleudert der Anarchist „Bommi" Brändle seinen letzten Molotow-Cocktail in die zersplitterte Scheibe eines Frankfurter Großkaufhauses und läuft davon. Der Angriff des B ist noch gegenwärtig / nicht mehr gegenwärtig, weil (bitte ergänzen!)

TE 11

Testfragen

159

1.5

Tragen Sie die Grobstruktur der Notwehr ein!

1.6

Tragen Sie die Merkmale der Notwehrsituation ein!

2.2

Ein führerloser PKW ist von allein ins Rollen gekommen und droht ein spielendes Kind zu überfahren. A rammt den PKW mit seinem Bulldozer und rettet dadurch das Kind vor dem sicheren Tod. Der PKW wird dabei erheblich beschädigt. A hat den Tatbestand der Sachbeschädigung (§ 303 (1)) erfüllt. Ist er durch Notwehr gerechtfertigt? Ja / Nein Begründung (aufpassen!):

1.7

Jener Fall der Notwehr, in dem ein Dritter Notwehr übt, heißt

2.3

Köln; Rosenmontag. Ein noch recht jugendlicher Assistenzprofessor der Universität Bremen steigt in eine Straßenbahn mit lauter „]ecken". Einer von ihnen klopft ihm auf die Schulter und meint vergnügt: „Na, Jüngelche, jeihste dich ooch amüseere?" Das „Jüngelchen" reagiert „sauer" und überlegt, ob es diese Anrede mit einer Ohrfeige „erwidern" darf. Darf er? Ja / Nein

Begründung:

160

Testfragen

1.8

Die Verteidigung ist „erforderlich", wenn sie (bitte ergänzen!)

2.4

Der Straßenräuber Dreist hat das Pech, bei seiner Tat an Feist, seines Zeichens pion im Halbschwergewicht, zu geraten. Ein trockener uppercut — und Dreist kampfunfähig auf dem Boden. Das genügt Feist noch nicht. Zur Strafe springt mit beiden Beinen kräftig auf den Brustkorb. Dieser Sprung bringt Dreist vier Rippen ein.

TE 11

Boxchamliegt absolut er dem Dreist gebrochene

Im Gegensatz zum Faustschlag ist der folgenschwere Sprung durch Notwehr nicht gerechtfertigt, weil mehrere Notwehrmerkmale entfallen. Welche? (Nennen Sie mindestens drei!)

2.5

Der Bauer sieht, wie der Gänsedieb mit der Gans unterm Arm das Weite sucht. Der kräftige Bauer greift nach seiner alten Militärpistole, setzt dem gehbehinderten und eher schwächlichen Dieb nach und schießt ihm aus 5 m Entfernung in den Rücken. Wir wollen aus diesem Fall nur die Frage behandeln, ob die Abgabe des Schusses durch Notwehr gerechtfertigt ist. 1. Ist der Angriff des Gänsediebs auf das Eigentum des Bauern noch „gegenwärtig"? J a / Nein Begründung:

2. Ist diese Verteidigung „erforderlich"? J a / Nein Begründung:

2.6

Nach dem Krieg hatte das Oberlandesgericht Stuttgart einen Fall zu entscheiden, in dem ein Wachmann einen Dieb erschossen hatte, als dieser mit einer leeren Sirupflasche im Wert von 10 Pfennigen als einziger Beute flüchtete. Würden Sie dem Wachmann Notwehr zubilligen? J a / Nein Begründung:

TE 11

Antworten

161

1.1

Rechtsgüter beeinträchtigt

2.1

1. gehört zu den notwehrfähigen Rechtsgütem 2. Die Notwehrhandlung bzw. die „Erforderlichkeit"

1.2

„um — abzuwenden".

1.3

Nein! Notwehr setzt einen „Angriff" voraus. Angriff ist stets ein menschliches Verhalten. Tierattacken genügen nicht (o.ä.).

1.4

Ja! Der Hund ist hier das Werkzeug, die „verlängerte Hand" des B. So betrachtet liegt ein Angriff vor (o.ä.).

5.1

nicht mehr gegenwärtig, weil die zur Rechtsgutbeeinträchtigung führende Handlung mit dem Schleudern des letzten Molotow-Cocktails abgeschlossen ist (o.ä.)

1.5

Von o. nach u.: Notwehrsituation; Notwehrhandlung; Verteidigungswille

1.6

gegenwärtiger rechtswidriger Angriff

2.2

Nein! Der PKW ist führerlos. Es liegt kein menschliches Verhalten, also kein Angriff vor (o.ä.). (Statt Notwehr kommt für A ein anderer Rechtfertigungsgrund in Betracht, nämlich rechtfertigender Notstand. Darüber mehr in der nächsten LE!)

1.7

Nothilfe

2.3

Natürlich nein! Diese Anrede eines jungen Mannes stellt während des Karnevals in Köln keine Beleidigung und daher auch keinen Angriff dar. Selbst wenn man anders entscheiden wollte, gehört der Vorgang dem Bagatellbereich an. S hätte sich auf allenfalls wörtliche Erwiderung zu beschränken (o.ä.).

1.8

Die Verteidigung ist „erforderlich", wenn sie unter den verfügbaren Mitteln das schonendste ist, um den Angriff sofort und endgültig abzuwehren (o.ä.).

2.4

1. Angriff: Dreist ist „ a b s o l u t kampfunfähig". Also liegt keine Beeinträchtigung des Eigentums mehr vor. 2. Gegenwärtig, entfällt daher erst recht. 3. Das Maß der erforderlichen Verteidigung ist überschritten. 4. Kein Verteidigungswille

2.5

1. Ja! Die zur Rechtsgutbeeinträchtigung führende Handlung des Diebes ist noch nicht abgeschlossen (o.ä.). 2. Nein! Diese Verteidigung ist unter den verfügbaren Mitteln nicht das schonendste, um den Angriff des Diebes sofort und endgültig abzuwehren. Nach dem Sachverhalt hätte der kräftige Bauer den (gehbehinderten und schwächlichen!) Dieb einholen und ihm die Gans abnehmen können (o.ä.).

2.6

NeinI In diesem Falle besteht ein unerträgliches Mißverhältnis zwischen dem angegriffenen Rechtsgut (Eigentum im Werte von 10 Pfennigen) und der Beeinträchtigung des Angreifers durch den Verteidiger (Tötung des Diebes) o.ä. In diesem Sinne hat auch das Oberlandesgericht Stuttgart entschieden und dem Wachmann keinen Rechtfertigungsgrund zuerkannt; vgl. DRZ 1949 42 m. Anm. Gallas.

162

RECHTFERTIGENDER NOTSTAND

LE 12

L e r n z i e l : In dieser LE werden Sie einen weiteren Rechtfertigungsgrund kennenlernen, den „rechtfertigenden Notstand". Sie sollen eine Übersicht über die Struktur dieses Rechtfertigungsgrundes gewinnen und bei entsprechenden Sachverhalten erkennen, ob rechtfertigender Notstand in Betracht kommt. Gleichzeitig werden Sie auf wesentliche Unterschiede zwischen Notwehr und rechtfertigendem Notstand aufmerksam gemacht.

Hinweis: Das Lernprogramm beschränkt sich auf die Darstellung des rechtfertigenden Notstands des § 34. Besondere Ausformungen dieses Rechtfertigungsgrundes finden sich in den §§ 228 und 904 BGB. Daß in manchen Beispielen dieses Lernprogramms § 34 letztlich von der Sonderregelung des § 228 bzw. des § 904 BGB verdrängt wird, muß aus didaktischen Gründen außer Betracht bleiben. Erst seit dem 1.1.1975 enthält das StGB eine allgemeine gesetzliche Regelung des rechtfertigenden Notstandes. Bis dahin waren die einzelnen Merkmale dieses Rechtfertigungsgrundes von Rechtsprechung und Lehre aus Ubergeordneten Rechtsprinzipien abgeleitet worden. In den älteren Lehrbüchern wird der rechtfertigende Notstand daher vielfach noch als „übergesetzlicher" Notstand bezeichnet. Lesen Sie die Überschrift zu § 3 4 ! (1) Das StGB spricht heute von zum Ausdruck, daß es sich dabei um einen handelt.

Notstand und bringt damit deutlich grund

Der rechtfertigende Notstand darf nicht mit dem entschuldigenden Notstand des § 35 verwechselt werden. Bei letzterem handelt es sich um eine verwandte Erscheinung auf der Stufe der Schuld. Mit dem entschuldigenden Notstand werden Sie sich ausführlich in LE 20 befassen. Hier genügt es, den formellen Unterschied festzuhalten: (2) Der „rechtfertigende" Notstand wird auf der Stufe der Schuld / Rechtswidrigkeit geprüft, der „entschuldigende" dagegen auf der Stufe der Schuld / Rechtswidrigkeit. Der rechtfertigende Notstand ähnelt in seiner Grobstruktur in auffälliger Weise der Notwehr. Das folgende Schaubild macht diese Ähnlichkeit der Grobstruktur beider Rechtfertigungsgründe besonders deutlich:

Die Unterschiede beider Rechtfertigungsgründe ergeben sich daher ausschließlich aus der abweichenden Feinstruktur.

Rechtfertigender Notstand

LE 12

(1) rechtfertigendem; Rechtfertigungsgrund

(1)

163

(2) Rechtswidrigkeit; Schuld

Entsprechend der Notwehrsituation geht es bei der Notstandssituation um die Frage, überhaupt ein Notstand besteht. ... Für die Notstandssituation gelten zum Teil andere Kriterien als für die Notwehrsituation. Die Notstandssituation setzt zunächst eine gegenwärtige Gefahr für irgendein Rechtsgut voraus. Lesen Sie bitte § 34 Satz 1! Neben Leib und Leben sind auch alle anderen Rechtsgüter notstandsfähig.

Der Begriff „gegenwärtig" beim rechtfertigenden Notstand entspricht im wesentlichen (2) der zeitlichen Schranke / sachlichen Schranke bei der Notwehr. Er braucht hier nicht noch einmal erklärt zu werden. Fall 1: A wird von dem tollwütigen Knauf seines Wanderstockes.

Hund des B attackiert.

(3) Damit hat A den Tatbestand der (4)

Er erschlägt ihn mit dem (§ 303 (1)) verwirklicht.

Für die Tat des A kommt Notwehr / keine Notwehr in Betracht, weil (bitte ergänzen!)

(5) Die Attacke des tollwütigen Hundes bedeutet jedoch eine für das Leben bzw. die Gesundheit des A. Für A ist daher die Situation (6) des gegeben / nicht gegeben. Fall 2: Bevor die Mutter (M) zum Einkaufen gegangen ist, hat sie die einjährige Beate (B) ins Bett gelegt, aber den Gashahn nicht richtig zugedreht. Der Nachbar (N) „riecht" die Gefahr, die B droht. Er schlägt die Tür der im 5. Stock gelegenen Mietwohnung ein und rettet das Leben des Kindes. Mit dem Einschlagen der Tür hat N den Tatbestand des § 303 (1) verwirklicht. (7) Als Rechtfertigungsgrund für diese Tat kommt Notwehr / rechtfertigender Notstand in Betracht. (8) Begründen Sie die

Situation!

Im übrigen kann eine Notstandssituation durch mannigfaltige Umstände hervorgerufen werden: durch Tierattacken (Fall 1), durch Naturkatastrophen, durch Zufälle, vielfach aber auch durch gewolltes oder ungewolltes menschliches Verhalten (Fall 2).

(9)

Stellt sich ein menschliches Verhalten aber als Angriff auf ein Rechtsgut dar, so kommt prinzipiell nie rechtfertigender Notstand, sondern immer nur in Betracht.

164

Rechtfertigender Notstand (1) (4) (6) (8)

(1)

L E 12

„ob" (2) der zeitlichen Schranke (3) Sachbeschädigung keine Notwehr; weil kein Angriff vorliegt (Tierattacke!) (5) gegenwärtige Gefahr rechtfertigenden Notstands; gegeben (7) rechtfertigender Notstand Notstandssituation. Es liegt eine gegenwärtige Gefahr für das Leben der B vor. (9) Notwehr

Wenden wir uns nunmehr dem „ W i e " des rechtfertigenden Notstands, der N

-

zu. Für die Notstandshandlung gelten strengere Maßstäbe als für die Notwehrhandlung. Das ergibt sich aus folgender Überlegung: (2)

Notwehr richtet sich ausschließlich gegen den A

selbst und seine Rechts-

güter. Beim rechtfertigenden Notstand dagegen geht es aber vielfach um Situationen, in denen zur Rettung des bedrohten Rechtsguts Rechtsgüter unbeteiligter Personen beeinträchtigt werden. Beispiel 1: Zur Abwehr des Z eine Latte.

des tollwütigen Hundes des B reißt der bedrohte

Beispiel 2: Um die vom Gastod bedrohte dem E gehörenden Mietshauses ein. (3)

A aus dem

B zu retten, schlägt N die Tür im 5. Stock

Die Beeinträchtigung der Rechtsgüter u

Zaun

des

Personen wird von der

Rechtsordnung nur unter der Voraussetzung gebilligt, daß es gar nicht anders geht. Damit sind wir bei der ersten und bedeutsamen Einschränkung der Notstandshandlung: Eine Notstandshandlung liegt nur vor, wenn die Gefahr nicht anders abwendbar ist als durch Beeinträchtigung eines Rechtsguts. Beispiel 3 : Auf der abschüssigen Höllentalstraße versagen die Bremsen. L hat die Möglichkeit, mit seinem LKW auf einen beim „Birklehof' abgestellten Wagen aufzufahren, um diesen als „Prellbock " zu benützen, oder auf eine sanfte Anhöhe zu steuern. Beides verspricht gleich gute Chancen, den LKW zum Stehen zu bringen. L entscheidet sich für das erstere und beschädigt den fremden Wagen schwer (= § 303 (1)). War im Beispiel 3 die Gefahr für das Leben des L anders abwendbar als durch Auffahren (4)

auf den fremden Wagen? J a / Nein

(5)

Eine Notstandshandlung liegt daher vor / nicht vor.

(6)

Begründung:

Im Beispiel 2 war die Abwendung der Gefahr des Gastodes von der B anders abwendbar / nicht anders abwendbar als durch das Einschlagen der Tür.

Variante: Wie beurteilen Sie die anderweitige Abwendbarkeit der Gefahr im Beispiel 2, wenn die Wohnung im Erdgeschoß gelegen und ein leicht erreichbares Fenster geöffnet (7) gewesen wäre?

Mithin würde bei dieser Variante eine Rechtfertigung des Einschlagens der Tür durch (8)

ausscheiden / in Betracht kommen.

LE 12

Rechtfertigender Notstand

165

(1) (4) (5) (7)

Notstandshandlung (2) Angreifer (3) unbeteiligter J a ! L hätte auf die sanfte Anhöhe steuern können (o.a.). nicht vor (6) nicht anders abwendbar Die Gefahr wäre dann anders abwendbar, weil N durch das geöffnete Fenster in die Wohnung gelangen könnte, um B zu retten (o.ä.). (8) rechtfertigenden Notstand ausscheiden

Eine Notstandshandlung liegt weiterhin nur dann vor, wenn das geschützte Interesse das beeinträchtigte wesentlich überwiegt. Bitte § 3 4 Satz 1 lesen!

Bitte beachten Sie! Der Begriff „Interesse" wird in § 34 Satz 1 als juristischer Fachausdruck verwendet. Interesse ist weitgehend identisch mit „Rechtsgut", reicht als Oberbegriff über das Rechtsgut aber noch hinaus. (1) Ob das geschützte Interesse (= insbesondere Rechtsgut) das beeinträchtigte w überwiegt, ist durch Abwägung der widerstreitenden Interessen (= insbesondere Rechtsgüter) zu ermitteln; § 34 Satz 1. Blättern Sie bitte zurück auf S. 164 zum Beispiel 1. In diesem Call widerstreitet das Interesse des Z an seinem Zaun dem Interesse des A an (2) (bitte ergänzen!)

(3) Welches der beiden Interessen überwiegt wesentlich?

(4) Darum ist A durch rechtfertigenden Notstand gerechtfertigt / nicht gerechtfertigt. Der Köter des D beißt sich mit dem Köter des E. Wenn E den Hund des D mit einem kräftigen Fußtritt vertreibt (= § 303 (1)), könnte (5) Notwehr / rechtfertigender Notstand in Betracht kommen. Auch in diesem Fall wollen wir die widerstreitenden Interessen abwägen. (6) Welche Interessen (= insbesondere Rechtsgüter) stehen einander gegenüber? (7) E ist durch rechtfertigenden Notstand gerechtfertigt / nicht gerechtfertigt, weil (bitte ergänzen!)

Rechtfertigender Notstand

166 (1) (S) (5) (7)

LE 12

wesentlich (2) seiner Gesundheit bzw. an seinem Leben (tollwütiger(!) Hund) Leben bzw. Gesundheit des A (o.a.) (4) gerechtfertigt rechtfertigender Notstand (6) Auf beiden Seiten das Interesse am Hund (o.a.) nicht gerechtfertigt, weil beide Interessen offensichtlich gleichwertig sind, also keines wesentlich überwiegt (o.ä.)

Ob die G e f a h r anders abwendbar war als durch Beeinträchtigung eines Interesses, ist eine Frage des Sachverhalts u n d der Sachverhaltsaufklärung. (1)

(2)

Ob das geschützte Interesse w ü ist dagegen eine o f t problemträchtige Rechtsfrage. Sie läßt d e m Richter einen erheblichen Wertungsspielraum u n d ist schon deshalb nicht immer leicht zu entscheiden. Nach d e m Willen des Gesetzes soll sich diese Abwägung namentlich an der Abwägung der (bitte § 3 4 Satz 1 lesen u n d ergänzen!)

orientieren. Nehmen Sie an, der Köter des D würde sich nicht mit dem Köter des E beißen, sondern er würde das Chinchillaweibchen des E (Wert 3000 DM) würgen. E vertreibt den Hund des D mit einem kräftigen Fußtritt (= § 303 (1)). Überwiegt in diesem Falle das Interesse des E dasjenige des D? (3) J a / Nein Begründung: (bitte an Hand der Kriterien des § 34 Satz 1 „namentlich")

Prägen Sie sich gut ein! Der rechtfertigende N o t s t a n d ist u n t r e n n b a r mit dem Erfordernis verbunden, daß das (4) geschützte Interesse das im Zuge der Rettungshandlung beeinträchtigte

(5)

Wenn das geschützte Interesse gleich oder weniger wiegt, ist der Begriff der Notstandshandlung (bitte ergänzen!)

Nachdem die „Esperanza" auf dem Scharhörnriff vor der Elbmündung gestrandet war, klammert sich der Matrose M an einen Rettungsring. Als sich auch der Steward S an ihm festhalten will, stößt ihn M zurück, weil der Ring nur einen von beiden trägt. S ertrinkt. M wird gerettet und später wegen Totschlags (§ 212 (1)) angeklagt. (6) Welche Interessen stehen einander gegenüber?

(7)

Welches dieser beiden Interessen wiegt mehr?

(8)

Merken Sie sich daher, daß bei einem Widerstreit von Leben gegen Leben rechtfertigender Notstand in Betracht k o m m t / nie in Betracht k o m m t .

LE 12

Rechtfertigender Notstand

167

(1) wesentlich überwiegt (2) „betroffenen Rechtsgüter und des Grades der ihnen drohenden Gefahren" (3) J a ! Das Interesse des E an seinem Pelztier überwiegt wesentlich; denn einmal ist das Chinchilla erheblich mehr wert als der Köter des D (= Abwägung der betroffenen Rechtsgüter); zum anderen droht dem Nagetier der Tod, dem Hund aber nur eine Beschädigung (= Abwägung des Grades der beiden Rechtsgütern drohenden Gefahren). (4) wesentlich überwiegt (5) nicht erfüllt (o.a.) (6) Leben und Leben (7) keines (!) (8) nie in Betracht kommt (möglicherweise aber entschuldigender Notstand; dazu später LE 20)

Im allgemeinen kann man sagen, daß persönliche Interessen (z.B. Freiheit, Leben, werden(1) des Leben, Gesundheit, körperliche Unversehrtheit, Ehre etc.) dem Rang nach höher / weniger hoch stehen als materielle Interessen (z.B. Eigentum und Vermögen). Maßgebend für diese Abwägung sind aber stets die konkreten Umstände des Einzelfalles. Stehen einander nur materielle Interessen gegenüber (z.B. Eigentum gegen Eigentum oder Vermögen gegen Eigentum), so gilt im allgemeinen dasjenige Interesse als höherwertig, dessen Realwert den Realwert des anderen wesentlich Ubersteigt. Aber auch bei dieser Abwägung kommt es entscheidend auf die konkreten Umstände des Einzelfalles an. Jemand hat der „Hex vom Dasenstein" des Hundezüchters Dingeldey (D) Gift gegeben. Die einzige Möglichkeit, das unersetzliche und wertvolle Tier (Wert 5000 DM) zu retten und sich damit die Existenzgrundlage zu erhalten, besteht für D darin, daß er es sofort und unter unbefugter Ingebrauchnahme eines fremden Autos (Wert 10 000 DM) zum Tierarzt fährt. Das tut D auch. D hat den Tatbestand des § 248 b (1) erfüllt. Als Rechtfertigungsgrund kommt Notwehr / (2) rechtfertigender Notstand in Betracht. Die Abwägung der widerstreitenden Interessen bedarf sehr komplexer Erwägungen. Es sind zwar „namentlich" (§ 34 Satz 1) die „betroffenen Rechtsgüter" (Eigentum gegen Eigentum) und der „Grad der ihnen drohenden Gefahren" (Verenden des Tieres gegen kurzfristigen Entzug des Wagens) abzuwägen. Dabei sind aber auch die sonstigen Umstände des Falles (Unersetzlichkeit des Schadens; Existenzverlust für D; Größe der Rettungschancen) zu berücksichtigen. (3) Da bei Abwägung aller dieser Umstände das Interesse des Autoeigentümers / des D als das wesentlich überwiegende erscheint, ist die Tat des D gerechtfertigt / nicht gerechtfertigt. Das Erfordernis der Abwägung der widerstreitenden Interessen betrifft zugleich einen wesentlichen Unterschied zur Notwehr. Bei der Notwehr kommt es auf die Höherwertig(4) keit des verteidigten Interesses an / nicht an. (5) Notwehr kann also auch zur Rettung eines Interesses geübt werden.

- oder

wertigen

(6) Wer einen Einbrecher erschießt (Rechtsgut: ), um sein Eigentum zu verteidigen, ist daher durch Notwehr gerechtfertigt / nicht gerechtfertigt, vorausgesetzt natürlich, daß die sonstigen Merkmale des § 32 (2) erfüllt sind.

168

Rechtfertigender Notstand

LE 12

(1) höher (2) rechtfertigender Notstand (3) des D; gerechtfertigt (4) nicht an (5) gleich-oder geringerwertigen (6) Leben; gerechtfertigt

Gemäß § 3 4 Satz 2 wird die Notstandshandlung noch durch ein drittes Kriterium eingeschränkt. Bitte lesen! Die Tat muß ein angemessenes Mittel sein, die Gefahr abzuwenden. Damit sind die Vorausetzungen der Notstandshandlung komplett. (1)

Bitte einsetzen!

Der schwerverletzte T kann nur noch durch eine sofortige Bluttransfusion an der Unfallstelle gerettet werden. Blutkonserven sind nicht erreichbar. Der Unfallzeuge B ist weit und breit der einzige Träger der passenden Blutgruppe. Aber B weigert sich entschieden, Blut zu spenden. All sein Sträuben hilft ihm nichts. Dr. A zapft ihm das Blut mit Gewalt ab (= Körperverletzung § 223 (1)). Notstandssituation: T droht zu sterben. (2) (3)

Notstandshandlung: Die Gefahr für das Leben des T ist nicht anders abwendbar / anders abwendbar als durch zwangsweise Blutentnahme bei B. Das Lebensinteresse des T überwiegt das Interesse des B an seiner wesentlich / nicht wesentlich.

Aber: Sich das erforderliche Blut durch einen Zwangseingriff bei einem Unbeteiligten zu verschaffen, widerspricht der Menschenwürde. Die zwangsweise Blutentnahme ist somit nicht angemessen. Die Körperverletzung des B durch Dr. A ist daher durch rechtferti(4) genden Notstand gerechtfertigt / nicht gerechtfertigt.

(5)

Ähnlich wie bei der Notwehr die Notwehrhandlung kann auch beim rechtfertigenden Notstand die Notstandshandlung von einem Dritten vorgenommen werden. Bei der Notwehr heißt dieser Kall Die entsprechende Konstellation beim rechtfertigenden Notstand heißt rechtfertigende Notstandshilfe und ist in § 3 4 Satz 1 ausdrücklich geregelt („von sich oder einem anderen"). Für sie gelten sämtliche Voraussetzungen und Einschränkungen des rechtfertigenden Notstands. Blättern Sie bitte zurück auf S. 1 6 3 ! Einer der auf dieser Seite geschilderten Fälle ist ein Bei-

(6)

spiel für rechtfertigende Notstandshilfe. Welcher?

LE 12

Rechtfertigender Notstand

169

(1) Von o. nach u.: andere Weise; wesentliches Überwiegen des geschützten Interesses (2) nicht anders abwendbar (3) Körperintegrität (o.ä.); wesentlich (4) nicht gerechtfertigt (5) Nothilfe (6) Fall 2

Zu der Notstandssituation u n d der Notstandshandlung m u ß wie bei der Notwehr ein subjektives Rechtfertigungsmerkmal hinzutreten, der „Rettungswille". Mit Rettungswillen handelt, wer die Gefahr abwenden will; § 34 Satz 1 („um

abzuwenden").

Geyer ist ein Hundefeind. Er sucht nach einem Vorwand, um den Schäferhund des Nachbarn zu töten. Daher reizt er das Tier so lange, bis ihm dieses zähnefletschend an die Gurgel fährt. Nunmehr erschießt Geyer den Hund (= § 303 (1)). Liegt eine Notstandssituation vor? (1) J a / Nein Begründung:

Erfüllt das Erschießen des Hundes den Begriff der Notstandshandlung? (2) J a / Nein Begründung:

Hat Geyer den Hund mit Rettungswillen getötet? (3) J a I Nein Begründung:

Subjektive Rechtfertigungsmerkmale beziehen sich auf Sachverhalte, die im Inneren des Täters gelegen sind. Sie sind auf der Stufe der Rechtswidrigkeit damit das Analogon zu (4) den auf der Stufe des Tatbestandes. Subjektive Tatbestandsmerkmale und subjektive Rechtfertigungsmerkmale werden in der Wissenschaft unter dem Oberbegriff subjektive Unrechtsmerkmale zusammengefaßt.

170

Rechtfertigender Notstand

LE 12

(1) J a ! Es besteht eine gegenwärtige Gefahr für das Rechtsgut der körperlichen Integrität (o.ä.). (2) Ja! A u c h die Voraussetzungen der Notstandshandlung sind erfüllt. Denn die Gefahr w a r nicht anders abwendbar als durch die T ö t u n g des Hundes. Das Interesse an der körperlichen Integrität des G e y e r überwiegt das Interesse am H u n d wesentlich. Überdies ist es nicht unangemessen, einen großen H u n d zu töten, w e n n er einem an die Gurgel fährt (o.a.). (3) N e i n ! Sich seiner H a u t zu w e h r e n , w a r nur Vorwand. G e y e r wollte den H u n d von vornherein u m bringen (o.ä.). (4) subjektiven Tatbestandsmerkmalen

ZUSAMMENFASSUNG A Struktur und Merkmale des rechtfertigenden Notstands Der rechtfertigende Notstand ist in §34 geregelt. Durch die heutige Fassung des §34 ist der einstige Streit zwischen der Güter- bzw. Interessenabwägungstheorie und der Zwecktheorie i.S. eines Kompromisses entschieden w o r d e n . Die Notstandshandlung m u ß sowohl dem A b w ä gungsprinzip (vgl. A 2 b ) als auch dem Z w e c k g e d a n k e n (vgl. A 2 c : Angemessenheitskorrektiv) genügen.

Struktur und Merkmale des §34 ergeben sich aus nachstehendem Schaubild:

1 Notstandssituation Die Notstandssituation wird durch eine gegenwärtige Gefahr für irgendein Rechtsgut begründet. Der Rechtsgüterkatalog im §34 hat nur beispielhaften Charakter („oder ein anderes Rechtsgut"). A b e r : Rechtsgüter und andere Interessen des Staates sind w e d e r notwehrfähig (S. 156) noch notstandsfähig (str.). Straftaten, die z . B . im Verlauf von Demonstrationen, zur Beseitigung angeblicher oder w i r k l i c h e r öffentlicher M i ß stände begangen w e r d e n , sind nicht durch §34 gerechtfertigt. Ebensowenig k a n n sich ein privater „Pornojäger" auf rechtfertigenden Notstand berufen. Ein A u t o f a h r e r darf den anderen nicht unter H i n w e i s auf §34 „ausbremsen", u m ihn z . B . wegen Überschreitung der Geschwindigkeit zur Rede zu stellen; z u r Problematik vgl. Schönke/Schröder/ Lenckner §34 R N 10.

a) Gefahr für ein Rechtsgut besteht, wenn nach den konkreten Umständen der Eintritt einer Beeinträchtigung droht. A b e r : Beeinträchtigungen unterhalb der Bagatellschwelle lösen ähnlich der N o t w e h r (vgl. S. 155) kein Notstandsrecht aus. Ein überzeugter Antiraucher darf Uneinsichtige nicht „handgreiflich" z u m „Lustverzicht" nötigen (§240). A u c h der Hausiererfall (S. 158) liegt unterhalb der Bagatellschwelle; vgl. näher z u m Ganzen Kienapfel O J Z 1975 425.

Ob eine Gefahr besteht, ist ex ante, und zwar vom Standpunkt eines sachkundigen objektiven Beobachters zu entscheiden; näher Schönke/Schröder/Lenckner §34 RN 13ff. B e i s p i e l : U m einen Schwerverletzten zu retten, darf man notfalls auch ein fremdes F a h r z e u g unbefugt in Gebrauch n e h m e n . Dies gilt aber nicht, w e n n der Verletzte bereits tot ist. Vgl. dazu unter Irrtumsaspekten auch S. 305.

L E 12

Rechtfertigender Notstand

171

I m Unterschied zu § 3 2 (2) kann eine Notstandssituation nicht nur durch gewolltes oder ungewolltes menschliches Verhalten, sondern auch durch T i e r a t t a c k e n , N a t u r k a t a s t r o p h e n und sonstige Zufälle heraufbeschworen w e r d e n ; vgl. den Bulldozerfall S. 159. b) G e g e n w ä r t i g k e i t . Bezüglich der zeitlichen S c h r a n k e n des rechtfertigenden N o t s t a n d e s gilt das für die N o t w e h r Ausgeführte entsprechend (vgl. S. 155). W i c h t i g ! Auch eine sog. Dauergefahr, die jederzeit in einen Schaden umschlagen kann (z.B. Einsturzgefahr bei einem baufälligen Haus: RGSt 59 70), ist gegenwärtig und kann Abwehreingriffe rechtfertigen; vgl. näher Schroeder JuS 1980 339. 2

Notstandshandlung

Besonders strenge und differenzierte Maßstäbe gelten für die N o t s t a n d s h a n d l u n g . Dieses Merkmal ist nur erfüllt, wenn die folgenden drei V o r a u s s e t z u n g e n gegeben sind: a) D i e Gefahr für das Rechtsgut darf n i c h t anders a b w e n d b a r sein. Anders ausgedrückt: Es müssen Rechtsgüter in der Weise kollidieren, daß das eine n u r d u r c h die O p f e r u n g des anderen erhalten werden kann. Gibt es andere Möglichkeiten der Abhilfe, kommt rechtfertigender Notstand nicht in Betracht; vgl. Jescheck AT §33 IV 3b. Es genügt also nicht, daß die Aufopferung des anderen Rechtsguts der „nächstliegende Ausweg" ist; sie muß vielmehr der „einzig mögliche Weg", das einzige Mittel sein. D a s Erfordernis der n i c h t anderweitigen A b w e n d b a r k e i t erfüllt nach h. M . ähnliche Funktionen wie die Erforderlichkeit bei der N o t w e h r und ist dementsprechend restriktiv auszulegen. D . h . : aa) Das Mittel m u ß — sowohl der A r t als auch der A n w e n d u n g nach — geeignet sein, die Rettungschancen nicht nur minimal zu erhöhen. Beispiel: A schneidet bei einem dringenden Krankentransport die Kurve und verursacht dadurch einen tödlichen Verkehrsunfall ( = §222). Auf rechtfertigenden Notstand kann A sich schon deshalb nicht berufen, weil durch das Kurvenschneiden die Rettungschancen für den Kranken allenfalls minimal erhöht wurden; vgl. Schönke/Schröder/ Lenckner §34 R N 19 m.N. Klausurmaterie! bb) U n t e r mehreren geeigneten Mitteln m u ß der Notstandstäter das relativ schonendste wählen. Beispiel: Ein fahruntüchtiger Arzt darf sich nicht selbst ans Steuer setzen ( = §316), wenn er sich zum Notfallpatienten auch von Angehörigen chauffieren lassen oder ein Taxi benutzen könnte; vgl. O L G Koblenz M D R 1972 885. b) D a s g e s c h ü t z t e Interesse m u ß das b e e i n t r ä c h t i g t e wesentlich überwiegen. D i e s e Interessenabwägung bringt oft diffizile R e c h t s p r o b l e m e mit sich. D e s h a l b enthält § 3 4 Satz 1 dafür allgemeine Richtlinien. I m einzelnen gilt folgendes: a a ) Persönliche Interessen ( z . B . L e b e n , Freiheit, Gesundheit) sind im allgemeinen ranghöher als materielle Interessen ( z . B . Eigentum, Vermögen). Str. ist aber, wie bei Kollision von ausschließlich materiellen Interessen, insb. in den Fällen des sog. wirtschaftlichen N o t s t a n d e s , zu entscheiden ist; vgl. dazu unten B 3. bb) In die k o m p l e x e Interessenabwägung müssen auch die sonstigen U m s t ä n d e des Falles einbezogen werden. D a z u gehören etwa N ä h e , A r t , G r a d u n d U m f a n g der d r o h e n d e n G e f a h r , G r ö ß e u n d U n e r setzlichkeit des Schadens, offenkundige „ F e r n w i r k u n g e n " der mit dem Eingriff verbundenen F o l g e n , die Risiken der R e t t u n g s h a n d l u n g sowie die G r ö ß e der R e t t u n g s c h a n c e n ; vgl. dazu näher Maurach/ Zipf A T I § 2 7 R N 2 0 f f . ; zur Vertiefung Schönke/Schröder/Lenckner § 3 4 R N 25ff. K l a u s u r m a t e r i e ! Beispiel: Um seine Freiheit zu retten, darf der Unschuldige u.U. ein fremdes Auto aufbrechen und als Fluchtfahrzeug benutzen; aber schwerlich ist es ihm gestattet, zu diesem Zweck ein vollbesetztes Verkehrsflugzeug zu „kapern"; vgl. öst. O G H SSt 43/20. Vgl. weiter das Beispiel der „Hex vom Dasenstein" (S. 167).

172

Rechtfertigender Notstand

L E 12

cc) Grundsätzlich können alle Rechtsgüter durch einen Notstandseingriff in Anspruch genommen werden. Besonderheiten gelten nur für das Leben. Es ist das ranghöchste aller Rechtsgüter und kann daher von keinem anderen Interesse überwogen werden. Das gilt selbst dann, wenn Leben gegen Leben steht. Daher kommt im Falle der Rettung eines Menschenlebens (oder vieler Menschenleben) auf Kosten eines anderen rechtfertigender Notstand nie in Betracht. Beispiel: Um in ihrem Rettungsboot auf hoher See nicht zu verhungern und zu verdursten, töteten drei Schiffbrüchige den Schiffsjungen. Vier Tage später wurden sie gerettet. Geschehen im Juli 1884. Nach der untergegangenen Yacht so benannter Mignonettefall. Da sich Menschenleben nicht gegeneinander aufwiegen lassen, entfällt rechtfertigender Notstand. c) Selbst bei einem wesentlichen Überwiegen des geretteten Interesses ist die Rettungshandlung nur dann gerechtfertigt, wenn die Tat kein unangemessenes Mittel zur Abwendung der Gefahr ist. Wichtig! Das Angemessenheitskorrektiv dient weniger der Begründung des rechtfertigenden N o t stands als vielmehr seinem Ausschluß in besonders gelagerten Fällen. In dieser Funktion entspricht es dem Rechtsmißbrauchskorrektiv bei der Notwehr; vgl. S. 157. Einer ausdrücklichen Prüfung der Angemessenheit bedarf es daher nur dann, wenn die Tat trotz des wesentlichen Uberwiegens des geretteten Interesses obersten Wertprinzipien der Gemeinschaft widerspricht. Beispiel: Ein Klinikbesucher, der Träger einer seltenen Blutgruppe ist, darf nicht gegen seinen Willen zum Blutspenden für einen Schwerkranken gezwungen werden, weil dies seiner Menschenwürde widerspricht und deshalb kein angemessenes Mittel ist; näher Kienapfel ÖJZ 1975 429. Vgl. weiter Maurach/Zipf AT I §27 RN 43. 3 Rettungswille Dem Verteidigungswillen bei der Notwehr entspricht der Rettungswille beim rechtfertigenden N o t stand. Alle Ausführungen dazu auf S. 157 gelten entsprechend. B Sonderprobleme 1. Der Nothilfe bei §32 (S. 157) entspricht die Notstandshilfe bei §34: „von sich oder von einem ande_ (i . ren 2. Durch N o t w e h r ist nur die Beeinträchtigung von Rechtsgütern des Angreifers gerechtfertigt. Bei Beeinträchtigung von Rechtsgütern unbeteiligter Personen kommt allenfalls rechtfertigender N o t stand in Betracht. Beispiel: Um den Angriff des A abzuwehren, entreißt B dem unbeteiligten C einen wertvollen Spazierstock und schlägt damit auf A ein. Dabei zerbricht der Spazierstock. In diesem Fall ist die Körperverletzung des A (§223 (1)) durch Notwehr (§32), die Zerstörung des Stockes des C (§303 (1)) durch rechtfertigenden Notstand (§34) gerechtfertigt. Klausurmaterie! 3. Bei strafbaren Geldschöpfungspraktiken (z.B. „Griff in eine fremde Kasse") macht die Verteidigung oft „wirtschaftlichen N o t s t a n d " geltend. Leading-case bildet heute der Münchner Anwaltspraxenfall (BGH J R 1977 26 m. zust. Anm. Kienapfel). Ein Anwalt hatte, um den drohenden Zusammenbruch seiner Kanzlei zu verhindern, Mandantengelder veruntreut (§266). Unter teilweiser Aufgabe von BGHSt 12 299 (Konzertreisefall) stellt der BGH zu Recht den Grundsatz auf, daß jedermann die Risiken seiner wirtschaftlichen Dispositionen selbst zu tragen habe und sie nicht unter Berufung auf §34 auf unbeteiligte Dritte abwälzen darf. Klausurmaterie! 4. Anders als der rechtfertigende Notstand ist die rechtfertigende Pflichtenkollision (Widerstreit zwischen Handlungspflichten) gesetzlich nicht ausdrücklich geregelt. Sie bildet der Sache nach einen Unterfall des rechtfertigenden Notstandes. Daher sind die Grundsätze des §34 analog anzuwenden; vgl. näher Jescheck AT §33 V; Maurach/Zipf AT I §27 RN 48ff.

L E 12

Rechtfertigender Notstand

173

C Gegenüberstellung von Notwehr und rechtfertigendem Notstand Der rechtfertigende Notstand ähnelt in seiner Grobstruktur in auffälliger Weise der Notwehr. Dennoch bestehen zwischen beiden Rechtfertigungsgründen charakteristische Unterschiede. Sie ergeben sich daraus, daß beiden Rechtfertigungsgründen verschiedene Denkmodelle zugrunde liegen. Rechtfertigender Notstand

Notwehr

STOP Welches Interesse (bzw. Rechtsgut) überwiegt?

Das Recht braucht dem Unrecht nicht zu weichen!

Beim rechtfertigenden Notstand steht im Vordergrund, daß ein Interesse mit einem anderen in der Weise kollidiert, daß nur eines auf Kosten des anderen gerettet werden kann. Wie diese Kollisionslage entstanden ist, ist gleichgültig. Der für die Rechtsordnung maßgebende Aspekt in einer solchen Situation lautet: Welches Interesse überwiegt? Auch bei der Notwehr besteht Gefahr für ein Rechtsgut. Aber diese Gefahr wird ausschließlich durch einen gegenwärtigen rechtswidrigen Angriff hervorgerufen. Der für die Rechtsordnung maßgebende Aspekt in einer solchen Situation lautet: Das Recht braucht dem Unrecht nicht zu weichen! Notwehr und rechtfertigender Notstand unterscheiden sich in folgenden Beziehungen: Notwehr 1.

2.

Notwehrsituation: Angriff auf irgendein Rechtsgut

Rechtfertigender Notstand 1.

Notstandssituation: Gefahr für irgendein Rechtsgut

gegenwärtig

kein sachlicher Unterschied

rechtswidrig

diese Einschränkung entfällt

Notwehrhandlung: erforderliche Verteidigung

2.

Notstandshandlung: einziges Mittel wesentliches Uberwiegen des geschützten Interesses kein unangemessenes Mittel

3.

Verteidigungswille

3.

Rettungswille

Wichtig! Zwischen Notwehrund rechtfertigendem Notstand besteht ein charakteristisches Subsidiaritätsverhältnis. Droht Gefahr durch einen gegenwärtigen und rechtswidrigen Angriff, kommt immer nur §32, nie aber §34 in Betracht. Ganz allgemein gilt, daß die Bejahung der Notwehr die gleichzeitige Annahme des §34 ausschließt; vgl. aber die oben B 2 geschilderte Fallkonstellation. Weiterführendes Schrifttum: Zum rechtfertigenden Notstand vgl. Baumann AT §22 I—IIJescheck AT §33 IV; KienapfelÖJZ 1975 421; Wessels AT §8 IV. Bitte erarbeiten Sie sich im Selbststudium insb. die Rechtfertigungsgründe der Einwilligung (dazu Jescheck AT §34 II), der mutmaßlichen Einwilligung (dazu Jescheck AT §34 VII), des Festnahmerechts (dazu Roxin Strafverfahrensrecht 17. A. §31 A I und II) sowie des Züchtigungsrechts (dazu Jescheck AT §35 III).

174

Testfragen zur LE 12

TE 12

1.1

Der rechtfertigende Notstand ist ein Tatbestandsausschlußgrund / Rechtfertigungsgrund / Entschuldigungsgrund.

1.2

Schildern Sie ein typisches Beispiel für den rechtfertigenden Notstand!

1.3

Nennen Sie mindestens drei Unterschiede zwischen Notwehr und rechtfertigendem Notstand!

1.4

Welchem Interesse gebührt bei der Abwägung im allgemeinen der Vorrang, wenn 1. materielle Interessen und persönliche Interessen einander gegenüberstehen?

2. materielle Interessen einander gegenüberstehen?

1.5

Wils versteht man unter „rechtfertigender Notstandshilfe"?

2.1

Im Cafe „Kranzler" auf dem Ku-Damm bekommen zwei Gäste Streit miteinander. Vor Wut ergreift der eine die vor ihm stehende Wasserkaraffe, um sie seinem Gegenüber K auf den Kopf zu schlagen. K fängt den Hieb ab. Die Karaffe aber fällt zu Boden und zerbricht. Es steht nun zur Debatte, ob die von K begangene Sachbeschädigung (§ 303 (1)) an der Karaffe gerechtfertigt ist. 1. Wem gehört die Karaffe? 2. Obwohl die fremde Karaffe als Angriffswaffe verwendet wird, scheidet bezüglich ihrer Zerstörung durch K Notwehr aus. Warum?

3. Als Rechtfertigungsgrund für die Zerstörung der Karaffe durch K kommt jedoch in Betracht.

TE 12 2.2

Testfragen

175

Der fünfzehnjährige, inzwischen fast erblindete und bereits gänzlich zahnlose (!) Dackel Waldi macht sich gemächlich auf, um Franz Bammel ins Wadel zu „beißen". Ist Franz Bammel gerechtfertigt, wenn er den Dackel verletzt oder gar tötet (= § 303 (1))? J a / Nein Begründung:

2.3

A steht vor seiner geöffneten um ihn zu beißen.

Haustür und sieht, wie ein großer Hund auf ihn

losspringt,

Ist für A eine Notstandssituation gegeben? J a / Nein Begründung:

2.4

Nehmen Sie im Falle 2.3 an, A wartet, bis der Hund nahe genug herangekommen tötet ihn dann mit einem Schuß aus seinem Revolver.

ist, und

Erfüllt diese Maßnahme die Voraussetzungen einer Notstandshandlung i.S.d. rechtfertigenden Notstands? J a / Nein Begründung:

2.5

Die beiden Geologen Dr. V und K haben im Sandsturm über der Libyschen Wüste mit ihrer Cessna die Orientierung verloren und sind südlich von Wau el Kebir notgelandet. Erbarmungslos brennt die heiße afrikanische Sonne auf die beiden herab. Um nicht zu verdursten, schneidet K dem V die Kehle durch und schlürft dessen Blut. Damit erfüllt K zwar den Tatbestand des Totschlags (§ 212 (1)), aber er rettet sein Leben. 1. Ist K durch Notwehr gerechtfertigt? J a / Nein Begründung:

2. Ist K durch rechtfertigenden Notstand gerechtfertigt? J a / Nein Begründung:

176 2.6

Testfragen

TE 12

Xenia von Reichenstein verläßt, gehüllt in einen sündhaft teuren Pelz, an der Seite ihres ständigen Begleiters, des Börsenjobbers Adrian Hundertmark (H), gerade das Deutsche Schauspielhaus, als ein Platzregen niederprasselt. Geistesgegenwärtig entreißt H dem Nächstbesten — es ist der Hamburger Reeder Peter Petersen — den Parapluie, um die wertvolle Garderobe seiner Begleiterin zu schützen. H ist keine rechtfertigende Notstandshilfe zuzubilligen. Warum nicht?

2.7

Hätte sich Petersen gegen diesen Zugriff des H im Wege der Notwehr (§ 32) zur Wehr setzen dürfen? J a / Nein Begründung:

2.8

Aus dem Motor der Limousine des M züngeln Flammen. Obwohl er seine eigene Decke hätte nehmen können, greift M zur Decke des E und löscht mit ihr den Brand. Damit erfüllt M den Tatbestand des § 303 (1). 1. Es liegt eine gegenwärtige Gefahr für das Eigentum des M vor / nicht vor. 2. Sind für M die Voraussetzungen der Notstandshandlung gegeben? J a / Nein Begründung:

3. Die Sachbeschädigung (§ 303 (1)) der Decke des E war daher rechtswidrig / gerechtfertigt.

T E 12

Antworten

177

1.1

Rechtfertigungsgrund

1.2

Z.B. A wird von einem fremden Hund angefallen, wehrt das Tier mit Stockschlägen ab oder tötet es sogar. Der Nachbar schlägt ein Fenster oder die Tür zu einer fremden Wohnung ein, um dort den Gashahn (oder Wasserhahn) abzustellen. Zur Abwehr der Attacke eines Hundes reißt A eine Latte aus einem fremden Zaun (o.a.). Beispiel der „Hex vom Dasenstein".

1.3

Vgl. Sie dazu die Obersicht auf S. 173!

1.4

1. Den persönlichen Interessen (aber konkrete Umstände des Einzelfalles mit berücksichtigen!) 2. Dem Interesse, hinter dem der höhere Realwert steht (o.a.). (Aber konkrete Umstände des Einzelfalles mit berücksichtigen!)

1.5

Ein anderer als der Bedrohte „übt" rechtfertigenden Notstand (o.a.).

2.1

1. Dem Cafebesitzer 2. Weil nicht in die Rechtsgüter des Angreifers, sondern in die eines unbeteiligten Dritten (nämlich in das Eigentum des Cafebesitzers) eingegriffen wird (o.ä.). 3. rechtfertigender Notstand

2.2

Nein! Es droht überhaupt keine Gefahr (Waldi ist zahnlos!). Daher entfällt schon die Notstandssituation (und nicht erst die Notstandshandlung, wie manche Bearbeiter annehmen).

2.3

J a ! Es liegt in der Person des A eine gegenwärtige Gefahr für das Rechtsgut der körperlichen Unversehrtheit vor (o.a.).

2.4

Nein! A hätte vor dem Hund die Türe zuschlagen können. Die Gefahr war somit auf andere Weise abwendbar (o.ä.).

2.5

1. Nein! Es fehlt an einem „Angriff" des V (o.ä.). 2. Nein! Zwar liegt für K. eine Notstandsiituafion vor. Aber zur Notstands/sand/un^ gehört, daß das geschützte Interesse das beeinträchtigte wesentlich überwiegt. Hier aber steht Leben gegen Leben (o.ä.). Später werden Sie erfahren, daß für K. möglicherweise ein Entschuldigungsgrund in Betracht kommt.

2.6

Problematisch ist nicht so sehr die Notstandsjituaiion als vielmehr die NotstandsAared/un^. Selbst wenn man annimmt, daß die Gefahr für den Pelz nicht anders abwendbar war (Taxi? Zurück zum Schauspielhaus?) und daß das Interesse der Xenia das beeinträchtigte Interesse des Petersen an seinem Schirm wesentlich überwiegt, so erscheint es im vorliegenden Fall unangemessen, eine solche Gefahr durch Schädigung eines anderen abzuwenden (o.ä.).

2.7

J a ! Wenn man rechtfertigende Notstandshilfe für H ablehnt, so ist dessen Handlung rechtswidrig und ein gegenwärtiger rechtswidriger Angriff auf das Rechtsgut des Eigentums (o.ä.).

2.8

1. vor 2. Nein! Da M seine eigene Decke hätte nehmen können, war die Brandgefahr durchaus auf andere Weise abwendbar. 3. rechtswidrig

178

FALLBEARBEITUNG 1 L e r n z i e 1: Sie haben nun schon so viel gelernt, daß ich Ihnen zutraue, Ihren ersten praktischen Fall zu bearbeiten. Dieses Lernprogramm dient nicht nur der Wissensvermittlung. Es soll vor allem auch spezifisch juristische Fähigkeiten in Ihnen ausbilden und trainieren. Eines der wichtigsten Endziele dieses Lernprogramms ist, daß Sie lernen, strafrechtliche Fälle selbständig zu bearbeiten. Zu diesem Zweck müssen Sie erkennen lernen, wo die Probleme und die Schwerpunkte des Falles liegen. Dies wird Ihnen wesentlich erleichtert, wenn Sie diesen und alle späteren Fälle unter Zugrundelegung des Fallprüfungsschemas lösen.

1. Fall „Volltreffer!" Sachverhalt: A b e l (A) läßt unbedacht seinen bissigen H u n d auf der Straße frei herumlaufen. Der H u n d fällt d e n fünfjährigen Moritz (M) an. Das sieht die Stenotypistin Resi (R), die gerade vor einem Blumenstand steht. Sie ergreift den erstbesten Blumentopf — zufällig sind es wertvolle Orchideen — und wirft ihn d e m H u n d an den K o p f , u m den schon b l u t e n d e n J u n g e n vor schwereren Verletzungen zu bewahren. Den „ V o l l t r e f f e r " überleben weder der H u n d (Wert: 50 DM) noch die Pflanzen (Wert: 100 DM). Aber der J u n g e ist gerettet. Aufgabe: Die Strafbarkeit der R ist zu untersuchen! Hinweise: Lesen Sie zunächst d e n Sachverhalt m e h r f a c h genau durch, einmal, u m ihn zu behalten u n d sich mit allen seinen Einzelheiten vertraut zu machen, zum anderen, um sich an die in ihm e n t h a l t e n e n rechtlichen Probleme heranzutasten. Der zweite Schritt j e d e r Fallösung besteht sodann stets darin zu überlegen, welches Delikt (bzw. welche Delikte) ü b e r h a u p t in Betracht k o m m e n k ö n n t e ( n ) . Hier bietet der Sachverhalt bereits die ersten Schwierigkeiten. Sie sollen z.B. erkennen, daß zwar ein Delikt, (1) aber S t r a f t a t e n in Betracht k o m m e n k ö n n t e n , nämlich (bitte ergänzen!)

(2)

Da die Aufgabe ganz allgemein lautet, „die Strafbarkeit der R ist zu u n t e r s u c h e n " , müssen Sie einer Frage / beiden Fragen nachgehen. Andererseits müssen beide Fragenkomplexe gedanklich streng auseinandergehalten werden. Sie müssen daher auch bei der schriftlichen Fallösung g e t r e n n t u n t e r s u c h t werden. Nachdem Sie diese wichtige Weichenstellung (zwei S t r a f t a t e n sind getrennt zu untersuchen!) e n t d e c k t haben, empfiehlt es sich, zunächst eine kurze stichwortartige Sammlung der von Ihnen e r k a n n t e n rechtlichen Probleme anzulegen.

F 1

Fallbearbeitung 1

179

(1) zwei; eine Sachbeschädigung (§ 303 (1)) durch Töten des Hundes und eine zweite Sachbeschädigung durch Zerstören (§303 (1)) der Orchideenpflanzen. (2) beiden Fragen

Tun Sie dies jetzt u n d versuchen Sie nun, dem Sachverhalt die in ihm enthaltenen Probleme abzulisten. Aber blättern Sie frühestens nach 10 Minuten auf die nächste Seite um, denn so lange brauchen Sie mindestens, um alle Probleme zu erkennen. Kleine Hilfe: Gehen Sie nach der Prüfung der Tatbestandsmäßigkeit sorgfaltig alle Merkmale des rechtfertigenden Notstands anhand der Feinstruktur dieses Rechtfertigungsgrundes durch. Ihre Problemsammlung

Fallbearbeitung 1

180

PROBLEMSAMMLUNG 1. Teil: Töten des Hundes Problemkreis 1:

Erfüllt dies überhaupt den Tatbestand des § 303 (1)? „ S a c h e " ? „Zerstören"?

Problemkreis 2:

Liegt Notwehr vor, insbesondere Angriff? Problem der „Tierattacken"!

Problemkreis 3:

Liegt rechtfertigender Notstand vor, insbesondere a) gegenwärtige Gefahr für ein Rechtsgut? b) Unabwendbarkeit der Gefahr auf andere Weise? c) Wesentliches Uberwiegen des geschützten Interesses? Was ist hier zu vergleichen? Hund — Blumentopf? Blumentopf — Mensch? Hund — Mensch? Problem des persönlichen Rechtsguts? d) Angemessenes Mittel? e) Rettungswille? f) R ist nicht selbst bedroht. Rechtfertigende Notstandshilfe? 2. Teil: Zerstören der Orchideenpflanzen

Problemkreis 1:

Erfüllt dies überhaupt den Tatbestand des § 303 (1)? Nicht problematisch: „ f r e m d " , „ S a c h e " und „Zerstören".

Problemkreis 2:

Liegt Notwehr vor, insbesondere Angriff? Siehe oben!

Problemkreis 3:

Liegt rechtfertigender Notstand vor, insbesondere a) gegenwärtige Gefahr für ein Rechtsgut? b) Zerstören der Orchideenpflanzen = Unabwendbarkeit der Gefahr auf andere Weise? c) Wesentliches Überwiegen des geschützten Interesses? Siehe oben! d) Angemessenes Mittel? e) Rettungswille? Siehe oben! f) Rechtfertigende Notstandshilfe? Siehe oben!

Versuchen Sie nun, aufgrund dieser Problem- und Materialsammlung selbst eine schriftliche Lösungsskizze des Falles zu entwerfen unter strikter Beachtung a) der Tatsache, daß beide Straftaten getrennt zu untersuchen sind und b) des Fallprüfungsschemas.

Fallbearbeitung 1 IHRE LOSUNGSSKIZZE 1. Teil: Töten des Hundes § 303 (1)

I Tatbestandsmäßigkeit

II Rechtswidrigkeit

Ergebnis:

Fallbearbeitung 1 2. Teil: Zerstören der Orchideenpflanzen § 3 0 3 (1) I Tatbestandsmäßigkeit

II Rechtswidrigkeit

Ergebnis:

Fallbearbeitung 1

MUSTERLÖSUNG

183 1

)

1. Teil: T ö t e n des Hundes In Betracht k o m m t Sachbeschädigung (§ 3 0 3 (1)). I Tatbestandsmäßigkeit Sache ist j e d e r körperliche Gegenstand, also auch ein H u n d 2 ) . Der H u n d gehört dem A, ist somit für R f r e m d . Eine Sache ist zerstört, w e n n sie ihre bestimmungsgemäße Brauchbarkeit völlig eingebüßt h a t . Das ist bei einem t o t e n H u n d der Fall. Die T ö t u n g eines H u n d e s verwirklicht daher das „Zerstören einer fremden S a c h e " (§ 3 0 3 ) (1)). II Rechtswidrigkeit 1. N o t w e h r (§ 32 (2)) setzt einen Angriff voraus. Angriff ist jedes menschliche Verhalten, das f r e m d e Rechtsgüter beeinträchtigt. Die bloße Tierattacke ist kein Angriff. Ausnahme: Der H u n d wird auf einen Menschen gehetzt. Dann ist der H u n d das Werkzeug eines angreifenden Menschen. Hier ließ A den H u n d nur u n b e d a c h t frei herumlaufen. Das ist kein Angriff. 2. Möglicherweise k o m m t für R rechtfertigender Notstand (§ 34) in Betracht. M ist vom H u n d bereits gebissen worden. O f f e n b a r stehen weitere Bisse bevor. Seiner körperlichen Integrität (ev. seinem Leben) droht somit eine gegenwärtige Gefahr. Da der Sachverhalt nicht erkennen läßt, ob R den H u n d auf andere Weise h ä t t e vertreiben können (Stein? Stock? Fußtritt? ), ist davon auszugehen, daß die d e m M d r o h e n d e Gefahr nicht anders abwendbar war als eben durch diesen Wurf mit d e m Orchideentopf 3). Es ist zwischen körperlicher Integrität bzw. Leben u n d d e m Eigentum abzuwägen. Bei einer solchen Sachlage ergibt schon der Vergleich der Rechtsgüter, auf d e n § 3 4 Satz 1 mit Vorrang abstellt („namentlich"), daß die körperliche Integrität bzw. das Leben die materiellen Interessen des Hundeeigentümers wesentlich überwiegen. Dies gilt umso mehr, als dem J u n g e n weitere erhebliche Verletzungen drohen4). Der Einsatz des von R gewählten Mittels ist nach Lage der Dinge nicht unangemessen (§ 3 4 Satz 2 ) 5 ) . R will M vor Ärgerem bewahren. Sie handelt also mit Rettungswillen. Da R selbst nicht b e d r o h t ist, liegt ein Fall der rechtfertigenden Notstandshilfe vor. Ergebnis: Die T ö t u n g des Hundes (§ 3 0 3 (1)) ist durch rechtfertigende Notstandshilfe gerechtfertigt.

1) In der Mustorlösung sind sämtliche Tatbestandsmerkmale des § 303 (1) und sämtliche Rechtfertigungsmerkmale des rechfertigenden Notstands verarbeitet. Besonders wichtige Worte sind durch Fettdruck hervorgehoben. Achten Sie gleichzeitig darauf, daß die Musterlösung die problematischen Merkmale ausführlicher behandelt und die unproblematischen nur kurz streift. Achten Sie schließlich ganz besonders auf die bewußt knappe Diktion, welche alles Unwesentliche vermeidet. 2) Auslegung und Definition (in einem), Subsumtion! 3) Die Grenzen des Sachverhalts sind zugleich auch die Grenzen der rechtlichen Lösung. Man darf einem Sachverhalt nichts unterstellen, was nicht feststeht. 4) Damit sind die beiden Richtlinien des § 34 Satz 1 ausgeschöpft. 5) Die negative Formel des Angemessenheitskorrektivs macht deutlich, daß es sich bei § 34 Satz 2 um eine nur ausnahmsweise zum Zuge kommende Ausschlußklausel handelt.

184

Fallbearbeitung 1 2. Teil: Zerstören der Orchideenpflanzen In Betracht k o m m t wiederum Sachbeschädigung (§ 3 0 3 (1)). I Tatbestandsmäßigkeit Topf u n d Pflanzen gehören dem Inhaber des Blumenstandes u n d sind daher für R f r e m d e Sachen. V o n d e m Orchideentopf sind nur noch Scherben u n d Pflanzenreste übrig, die für den Eigentümer nicht m e h r brauchbar sind. Also ist der Blumentopf zerstört i.S.d. § 3 0 3 (1). Damit ist auch hier der Tatbestand des § 3 0 3 (1) erfüllt. II Rechtswidrigkeit Als Rechtfertigungsgrund bezüglich der Zerstörung des Blumentopfs k o m m t allenfalls rechtfertigender N o t s t a n d (§ 34) in Betracht. Eine Notstandssituation liegt vor (vgl. dazu 1. Teil II 2). Hinsichtlich der Notstandshandlung wurde bereits ausgeführt, daß davon auszugehen ist, daß die d e m M d r o h e n d e Gefahr nicht anders a b w e n d b a r war als durch eben diesen Wurf mit dem Orchideentopf (vgl. dazu 1. Teil II 2). Bei der Interessenabwägung ist die körperliche Integrität (bzw. das Leben) des M mit d e m Eigentum — verkörpert d u r c h den Orchideentopf — zu vergleichen. Zwar d r o h t letzterem vollständige Zerstörung u n d damit die größere Gefahr, doch gibt der eindeutig höhere Rangwert der Interessen des M den Ausschlag. Sie überwiegen wesentlich. Im vorliegenden Fall ist die Preisgabe des geringeren Interesses Eigentum (Blumentopf) jedenfalls kein unangemessenes Mittel, u m die körperliche Integrität (bzw. das Leben) des M zu r e t t e n (§ 3 4 Satz 2). Für d e n Rettungswillen gilt dasselbe wie zuvor (vgl. dazu 1. Teil II 2). Auch hier liegt rechtfertigende Notstandshilfe vor. Ergebnis: Auch das Zerstören des Orchideentopfes (§ 3 0 3 ( l ) ) 6 ) ist durch rechtfertigende Notstandshilfe gerechtfertigt. Hinweise! Daß bereits Ihre erste Lösungsskizze der Musterlösung in allen Belangen entspricht, wäre zuviel erwartet. Aber: J e mehr Ihre strafrechtliche Ausbildung voranschreitet, u m s o mehr wird von Ihnen verlangt, a) daß Sie die in der Musterlösung behandelten Probleme sämtlich erkennen u n d lösen, b) daß Ihre Ausdrucksweise in z u n e h m e n d e m Maße der üblichen Fachterminologie entspricht und c) daß Sie sich eines klaren u n d verständlichen Stils bedienen u n d die juristischen Begriffe richtig verwenden. Lesen Sie daher den Kall einschließlich seiner Musterlösung in Ruhe m e h r f a c h durch. Vergleichen Sie selbstkritisch, in welchen Belangen (Aufbau, Erkennen der Probleme, Lösung der Probleme, Fachgerechtigkeit der Ausdrucksweise, Stil, Diktion, Kürze u n d Präzision der Ausdrucksweise) Ihre Lösung noch verbessert werden k ö n n t e ! 6) Paragraphen des Gesetzes sind u.a. dazu da, daß man sie zum einen stets (!)nachliest und zum anderen stets (!) zitiert (dort wo sie hingehören). Merken Sie sich die Technik des Verweisens bei solchen Problemen, die im Laufe der Arbeit bereits gelöst wurden.

SCHULDBEGRIFF DER VORSATZDELIKTE

LE 13

185

L e r n z i e l : Der Schuldbegriff der Vorsatzdelikte setzt sich aus mehreren Elementen zusammen. In dieser LE sollen Sie einen Uberblick über die einzelnen Schuldelemente gewinnen und den Aufbau der Schuldprüfung kennenlernen. Die folgenden LE werden auf die einzelnen Schuldelemente jeweils näher eingehen.

Der Begriff der Schuld ist einer der wichtigsten und zugleich schwierigsten Begriffe des ganzen Strafrechts. Er ist uns erstmals in der LE 2 bei der Definition der Strafe begegnet. (1) Strafe, hatten wir definiert, ist ein mit Tadel verbundenes das wegen einer strafbaren Handlung von einem aufgrund und nach Maßgabe der des Täters verhängt wird. (2) Daß Strafen im Gegensatz zu den

nur aufgrund und nach Maßgabe

der Schuld des Täters verhängt werden dürfen, ist eine Konsequenz des Schuldprinzips. Strafbar ist nur, wer schuldhaft handelt. Diesen allgemein anerkannten, im StGB aber nicht ausdrücklich verankerten Grundsatz (3) nennt man das prinzip. Schuldprinzip bedeutet zweierlei: (4)

1. Die Schuld ist die Voraussetzung der

(5) 2. Das Maß der Strafe darf das Maß der Schuld übersteigen / nicht übersteigen. Ein Strafrecht, das sich zum Schuldprinzip bekennt, nennt man Schuldstrafrecht. (6) Das deutsche Strafrecht ist ein prinzip beruht.

weil es auf dem

Sie haben die Schuld außerdem bereits im Zusammenhang mit dem strafrechtlichen Fallprüfungsschema kennengelernt. Schuld bezeichnet dort die Stufe III innerhalb der strafrechtlichen Fallprüfung. Bitte einsetzen!

0

I Allgemeine Voraussetzungen der Strafbarkeit II

III Schuld (8) Auf der Stufe III wird wertend festgestellt, ob dem Täter die rechtswidrige Tat werden kann.

186

Schuldbegriff der Vorsatzdelikte (1) (4) (7) (8)

LE 13

Obel; Strafgericht; Schuld (2) Maßregeln d.B.u.S. (3) Schuldprinzip Strafe (5) nicht übersteigen (6) Schuldstrafrecht; Schuldprinzip V o n o . nach u.: Handlungsbegriff; Tatbestandsmäßigkeit; Rechtswidrigkeit rechtlich vorgeworfen

Schuld ist Vorwerfbarkeit. Der strafrechtliche Schuldvorwurf unterscheidet sich von jeder sonstigen Verwendung des Begriffs „Schuld", z.B. in der Umgangssprache, in der Religion, in der Philosophie, in der Psychologie etc. Denn der Gegenstand des strafrechtlichen Schuldvorwurfs ist das durch die Kategorien von Tatbestandsmäßigkeit und Rechtswidrigkeit bereits vorgefilterte menschliche Verhalten. Anders ausgedrückt: Auf eine Handlung, die nicht einmal tatbestandsmäßig oder jeden(1) falb nicht ist, wird der Begriff Schuld im Strafrecht ebenfalls angewendet / überhaupt nicht angewendet. „Ich kann nichts dafür, daß ich anders bin", verteidigt sich der 25jährige Designer Knabenhans (K) gegenüber dem Vorwurf, homosexuelle Beziehungen zu Gleichaltrigen zu unterhalten. Homosexuelle Handlungen unter Männern sind seit 1969 nicht mehr unter Strafe gestellt. Die Frage, o b K schuldhaft gehandelt hat, ist daher heute ein Streit um des Kaisers Bart, (2) weil (bitte ergänzen!)

In der Umgangssprache wird „Schuld" nicht nur häufig in einem viel weiteren Sinne, sondern auch fälschlicherweise synonym mit „verursachen" verwendet. Man sagt z.B.: „Der Blitz, die Grippe etc. ist schuld am Tod des B", und meint damit nichts anderes als „Der Blitz, die Grippe etc. hat den Tod des B verursacht". Vor einer solchen Vermengung der Begriffe Kausalität und Schuld im Strafrecht kann nicht nachdrücklich genug gewarnt werden! (3) Die Kausalität ist

T

merkmal bei den Erfolgsdelikten.

(4) Die Frage der Kausalität betrifft daher allein das Unrecht der Tat / die Schuld des Täters. (5) Schuld im strafrechtlichen Sinn dagegen bedeutet stets, daß dem Täter eine rechtlich zum Vorwurf gemacht wird.

-

LE 13

187

Schuldbegriff der Vorsatzdelikte

(1) rechtswidrig; überhaupt nicht angewendet (2) es für das, was K tut, heute keinen Tatbestand mehr gibt (o.a.). Wer in diesem Beispiel von „Schuld" spricht, meint vielleicht „Moral" oder „Anstand". Strafrechtliche Schuld kann nicht gemeint sein. (3) objektives Tatbestandsmerkmal (4) das Unrecht der Tat (5) rechtswidrige Tat; richtig auch: tatbestandsmäßige und rechtswidrige Handlung

Schuld ist Vorwerfbarkeit. Mit dem strafrechtlichen Begriff der Schuld verbindet sich ein sozialethisches Unwerturteil. (1) Mit dem Unwerturteil der Schuld wird dem Täter handelt hat, wie er hätte handeln sollen und können.

daß er nicht so ge-

Das individuelle Dafürkönnen des Täters kann für dieses Unwerturteil aber weder der ausschlaggebende noch der ausschließliche Maßstab sein. Denn das würde bedeuten: J e minderwertiger einer wäre, desto geringer wäre seine Schuld. Dies hätte gerade bei den haltlosen und charakterschwachen Kriminellen — und sie stellen das gefährlichste Verbrecherpotential — zur Folge, daß der Schuldvorwurf bei (2) ihnen in letzter Konsequenz ganz aufgehoben wäre; denn sie könnten am meisten / am wenigsten für ihre Taten. Die Frage nach dem Maßstab des Schuldvorwurfs kann daher sinnvollerweise nur dahin gestellt werden, ob ein anderer in der Lage des Täters nach allgemeiner Erfahrung anders gehandelt hätte. Als dieser „andere" ist ein maßgerechter Mensch zu denken. (3) Der Begriff des Menschen nimmt auf das Menschenbild des StGB Bezug. Es ist ein Mensch, der sich mit der Rechtsordnung verbunden fühlt, der auf dem Boden des Rechts steht. (4) An der Modellfigur des maßgerechten Menschen, d.h. eines Menschen, der orientiert sich der strafrechtliche Vorwurf. Mit dem Unwerturteil der Schuld wird dem Täter vorgeworfen, daß er nicht so gehandelt hat, wie an seiner Stelle ein maßgerechter Mensch gehandelt hätte. (5) Warum stellt man bei der strafrechtlichen Schuld auf den Maßstab des und nicht auf das individuelle Dafürkönnen gerade dieses Täters ab?

188

Schuldbegriff der Vorsatzdelikte

LE 13

(1) vorgeworfen (2) am wenigsten (3) maßgerechten (4) auf dem Boden des Rechts steht; Schuldvorwurf (5) maßgerechten Menschen. Weil sonst die gefährlichsten Kriminellen (z.B. die Haltlosen und Charakterschwachen) in letzter Konsequenz gar nicht bestraft werden könnten (o.a.). Es ist zwischen dem Schuldbegriff der Vorsatzdelikte = „Vorsatzschuld" und dem Schuldbegriff der Fahrlässigkeitsdelikte = „Fahrlässigkeitsschuld" zu unterscheiden. Bei der Vorsatzschuld wird dem Täter zum Vorwurf gemacht, daß er sich willentlich gegen das Recht und für das Unrecht entschieden hat. (1) Bei der Fahrlässigkeitsschuld wird dem Täter nicht die w E g das R zum Vorwurf gemacht, sondern Nachlässigkeit, Bequemlichkeit und Desinteresse gegenüber den Anforderungen des Rechts. (2) In dieser und den folgenden LE wird ausschließlich der likte, die Vorsatz behandelt.

begriff der Vorsatzde-

Wir wenden uns jetzt dem formalen Aufbau der Vorsatzschuld zu. Die Vorsatzschuld besteht aus vier Schuldelementen:

0

Schuldfähigkeit

1. Vorsatz Vorsatzschuld 2. Unrechtsbewußtsein

3. keine Entschuldigungsgründe

Strafbar ist nur, wer schuldhaft handelt. (3) Schuldhaft handelt, wer

Schuldelemente erfüllt.

Stellt man bei der Fallprüfung fest, daß auch nur eines der vier Schuldelemente nicht erfüllt ist, entfällt die Vorsatzschuld und damit die Vorwerfbarkeit der Tat. Der Täter (4) kann daher wegen dieses Vorsatzdeliktes werden.

LE 13

Schuldbegriff der Vorsatzdelikte

189

(1) willentliche Entscheidung gegen das Recht (2) Schuldbegriff; Vorsatzschuld (3) alle vier bzw. sämtliche (o.a.) (4) nicht bestraft

Beginnen wir mit dem ersten Schuldelement der Vorsatzschuld, der Schuldfähigkeit.

Kinder gelten kraft Gesetzes bis zur Vollendung des 14. Lebensjahres ein für allemal als schuldunfähig. Bitte lesen Sie § 191 (1) Wer schuldunfähig ist, dem kann eine rechtswidrige Tat vorgeworfen / nicht vorgeworfen (2) werden. Die Schuld entfällt mangels keit. Der 13jährige Max schießt seinem Spielgefährten

mit der Schleuder ein Auge aus.

Max hat tatbestandsmäßig und rechtswidrig i.S.d. § 224 (1) gehandelt (bitte lesen!). Kann Max bestraft werden? (3) J a / Nein Begründung:

Auch Volltrunkene, Geisteskranke und Schwachsinnige sind schuldunfähig. Lesen Sie bitte § 20! Das Gesetz geht davon aus, daß alle Personen, die das 14. Lebensjahr vollendet haben, grundsätzlich schuldfähig sind. Bei der Fallprüfung braucht die Frage der Schuldfähigkeit daher nur dann angeschnitten und erörtert zu werden, wenn sich aus dem Sachverhalt Anhaltspunkte z.B. für Volltrunkenheit, Geisteskrankheit, Schwachsinn etc. ergeben. Deshalb das Symbol „ 0 " .

(4)

Maßgebender Zeitpunkt für das Vorhandensein der vier Schuldelemente, also auch der fähigkeit, ist die Begehung der Tat; arg §§ 19, 20.

Wer „bei Begehung der Tat", aus welchem Grund auch immer, nicht schuldhaft gehandelt (5) hat, kann wegen dieser Tat bestraft / nicht bestraft werden. Zwei Wochen nach dem Ausbruch einer unheilbaren Geisteskrankheit erschlägt Kuno Plemplem seine Schwiegermutter mit der Kohlenschaufel (= § 212 (1)). Kann er wegen dieser Tat bestraft werden? (6) J a / Nein Begründung:

Aus spezialpräventiven Gründen kommt für Kuno Plemplem jedoch eine andere Art straf(7) rechtlicher Sanktion in Betracht. Welche?

190

LE 13

Schuldbegriff der Vorsatzdelikte

(1) nicht vorgeworfen werden (2) Schuldfähigkeit (3) Nein! Max gilt bis zur Vollendung des 14. Lebensjahres als schuldunfähig. Damit entfällt die Schuld und somit die Strafe (o.ä.). (4) Schuldfähigkeit (5) nicht bestraft werden (6) Nein! Kuno Plemplem war bei Begehung dieser Tat infolge Geisteskrankheit nicht schuldfähig (o.ä.). (7) Allgemein: eine Maßregel d.B.u.S.; konkret: die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus Wir k o m m e n z u m zweiten Element der Vorsatzschuld, d e m Vorsatz.

Das Zentrum des Schuldvorwurfs bei den Vorsatzdelikten b e t r i f f t die Tatsache, daß der Täter vorsätzlich gehandelt hat. Der Student der Rechte Charlie Juso hat genug vom Strafrecht und verbrennt das vertrackte, aus der Universitätsbibliothek entliehene strafrechtliche Lernprogramm. (1)

Der Täter hat d e n T a t b e s t a n d der gungsgründe dafür gibt es nicht.

verwirklicht. Rechtferti-

Der schuldfähige Täter wußte, d a ß er fremdes Eigentum beschädigt, u n d gerade das wollte er. Damit hat er vorsätzlich gehandelt. Denn vorsätzlich handelt, wer einen Sachverhalt verwirklichen will, der einem gesetzlichen T a t b e s t a n d entspricht. Sind „gesetzlicher T a t b e s t a n d " u n d „ T a t b e s t a n d " dasselbe? (2) J a / Nein Begründung:

Charlie Juso will seine eigenen Lehrbücher ebenfalls nicht mehr sehen. Daher wirft er auch sie ins Feuer. Dabei erwischt er irrtümlicherweise „den Welzel" seines Kommilitonen. Charlie J u s o hat durch das Verbrennen des f r e m d e n „Welzel" wiederum eine tatbestandsmäßige und rechtswidrige Sachbeschädigung (§ 3 0 3 (1)) begangen. Kann er auch in diesem Fall gemäß § 303 (1) bestraft werden? (3) J a / Nein Begründung u n t e r Verwendung der obigen Vorsatzdefinition:

LE 13

Schuldbegriff der Vorsatzdelikte

191

(1) Sachbeschädigung (2) Nein! Gesetzlicher Tatbestand ist der engere Begriff = Summe der objektiven Tatbestandsmerkmale eines Delikts. Der Tatbestand umfaßt sämtliche objektiven und subjektiven Tatbestandsmerkmale. (3) Nein! Er hat bezüglich dieses Buches keinen Sachverhalt verwirklichen wollen, der dem objektiven Tatbestand des § 303 (1) entspricht. Denn er hat gar nicht gewußt, daß er ein fremdes Buch verbrennt. Mit dem Vorsatz entfällt die Vorsatzschuld (o.ä.). Als nächstes Schuldelement betrachten wir das Unrechtsbewußtsein.

Unrechtsbewußtsein ist das Bewußtsein, daß die Tat gegen die Rechtsordnung verstößt. Wer nicht weiß u n d es auch nicht wissen kann, daß seine Tat gegen die Rechtsordnung (2) verstößt, handelt ohne Wer o h n e Unrechtsbewußtsein (3) handelt, handelt o h n e / mit Schuld. Die Fälle, in denen j e m a n d o h n e Unrechtsbewußtsein handelt, sind für die Delikte des StGB außerordentlich selten. Einstweilen m u ß ein konstruiertes Schulbeispiel genügen: Der frisch aus dem Busch nach Bremen importierte Kannibale Nungu Bongo fängt sich ein kleines Mädchen, schlachtet und verzehrt es nach seines Stammes Sitte. Nungu Bongo hat damit den Tatbestand des Totschlags (§ 212 (1)) verwirklicht. Rechtfertigungsgründe k o m m e n nicht in Betracht. Hat er vorsätzlich gehandelt? (Blättern Sie bitte zurück auf S.190 u n d argumentieren Sie ausschließlich mit der Vorsatzdefinition! Aufpassen!) (4) J a / Nein Begründung:

Nungu Bongo hat o h n e Unrechtsbewußtsein gehandelt. Denn er weiß nicht u n d kann es auch nicht wissen, daß in Mitteleuropa Kannibalismus Totschlag u n d somit Unrecht ist. (5) Da Nungu Bongo somit schuldhaft / nicht schuldhaft gehandelt hat, kann er wegen Totschlags bestraft / nicht bestraft werden. (6) Zu welchem Z e i t p u n k t müssen Schuld b e w u ß t s e i n vorhanden sein?

V

und

192

Schuldbegriff der Vorsatzdelikte

LE 13

(1) Von o. nach u.: Schuldfähigkeit; Vorsatz (2) Unrechtsbewußtsein (3) ohne Schuld (4) Ja! Denn er hat einen Menschen töten wollen, mithin alle Umstände verwirklichen wollen, die zum objektiven = gesetzlichen Tatbestand des § 212 (1) gehören (o.ä.). (5) nicht schuldhaft; nicht bestraft werden (6) Schuldfähigkeit; Vorsatz; Unrechtsbewußtsein. Bei Begehung der Tat! Daß diese Schuldelemente vor der Tat vorhanden waren oder sich nach der Tat einstellen, genügt nicht zur Bestrafung.

Die letzte Stufe innerhalb des viergliedrigen Schuldbegriffs der Vorsatzdelikte bildet die Frage, ob für die rechtswidrige Tat Entschuldigungsgriinde in Betracht kommen. Liegen keine Entschuldigungsgriinde vor, so hat der Täter schuldhaft gehandelt und kann (1) folglich bestraft werden / nicht bestraft werden.

Ist ein Entschuldigungsgrund gegeben, so entfällt das Unrecht. (3) Dieser Satz ist falsch. Warum?

Entschuldigungsgriinde beschreiben die Voraussetzungen, unter denen rechtmäßiges Verhalten nicht mehr zugemutet werden kann. Der Gewalttäter Z stößt F, dem Lenker des Taxis BN-D 417, den entsicherten Revolver ins Genick und fordert ihn auf, den Polizisten P niederzufahren. In seiner Todesangst tut F, wie ihm geheißen. P ist sofort tot.

(4) Bei diesem Fall hatten Sie in LE 7 bezüglich des Tuns des F vis nommen und daher den strafrechtlichen Handlungsbegriff verneint / bejaht.

ange-

Es bestehen keine Zweifel, daß F tatbestandsmäßig und rechtswidrig i.S.d. § 212 (1) gehandelt hat. Das eigentliche Problem dieses Falles betrifft die Frage der Schuld des F. Bei der Tat stand F unter schwerstem seelischen Druck. Er befand sich selbst in höchster (5) Todesgefahr. Seine rechtswidrige Tat verlangt auf der Stufe der Schuld eine andere Bewertung als / dieselbe Bewertung wie die eines gewöhnlichen Totschlägers. In einer solchen Situation billigt die Rechtsordnung die Tat des F zwar nicht, aber sie sieht sie dem Täter nach, sie entschuldigt sie. Voraussetzung hierfür ist allerdings, daß sich die Tat des F innerhalb der für die Entschuldigung vorgesehenen Grenzen hält. § 3 5 (1) Satz 1 bitte lesen! (6) Dieser grund schützt in unserem Fall den F vor Strafe. Denn ist (7) ein Entschuldigungsgrund gegeben, so entfällt die

L E 13

Schuldbegriff der Vorsatzdelikte

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(1) bestraft werden (2) Unrechtsbewußtsein (3) Bei einem Entschuldigungsgrund entfällt nie das Unrecht, sondern immer nur die (Vorsa.tz-)Schuld (o.a.). (4) vis compulsiva; bejaht (5) eine andere Bewertung (6) Entschuldigungsgrund (7) Vorsatzschuld. Richtig auch Schuld oder Vorwerfbarkeit

ZUSAMMENFASSUNG A Das Schuldprinzip D a s d e u t s c h e S t r a f r e c h t ist ein S c h u l d s t r a f r e c h t . Es b e r u h t auf d e m allgemein a n e r k a n n t e n , im S t G B a b e r nicht a u s d r ü c k l i c h v e r a n k e r t e n G r u n d s a t z , d a ß strafbar n u r ist, w e r s c h u l d h a f t handelt. D i e s e n G r u n d s a t z n e n n t m a n S c h u l d p r i n z i p . S c h u l d p r i n z i p b e d e u t e t zweierlei:

1. Schuld ist die V o r a u s s e t z u n g der Strafe. 2. D a s M a ß der Strafe darf das M a ß der S c h u l d n i c h t ü b e r s t e i g e n . Das Schuldprinzip ist ein „rocher de bronce", ein Eckpfeiler des rechtsstaatlichen Strafrechts. Es garantiert dem Beschuldigten Schutz vor übermäßigen Eingriffen des Staates. Seine kriminalpolitische Schwachstelle besteht indessen darin, daß es auch den besonders gefährlichen Kriminellen nur an seiner — im Einzelfall u.U. geringen — Schuld, nicht aber an seiner spezifischen Gefährlichkeit mißt. Deshalb bedarf das Schuldprinzip insoweit eines zusätzlichen, ergänzenden Korrektivs, der Maßregeln d.B.u.S. der §§ 61 ff. (vgl. LE 2). B D e r strafrechtliche Schuldbegriff Von „Schuld" spricht man auch in der Religion, in der Psychologie, in der Philosophie etc. Diese Verwendungen des Begriffes Schuld haben mit dem strafrechtlichen Begriff der Schuld mitunter kaum die Richtung, geschweige denn den Inhalt gemein. D e r strafrechtliche Schuldbegriff u n t e r s c h e i d e t sich v o n s o l c h e n B e g r i f f s v e r w e n d u n g e n s o w o h l d u r c h seinen spezifischen B e z u g s g e g e n s t a n d als a u c h d u r c h seinen spezifischen M a ß s t a b . G e g e n s t a n d des s t r a f r e c h t l i c h e n S c h u l d v o r w u r f s ist das d u r c h die K a t e g o r i e n v o n T a t b e s t a n d s m ä ß i g k e i t u n d R e c h t s w i d r i g k e i t bereits v o r g e f i l t e r t e m e n s c h l i c h e Verhalten. B e z u g s o b j e k t d e r s t r a f r e c h t l i c h e n Schuld ist somit allein d i e r e c h t s w i d r i g e Tat. Z u m M a ß s t a b d e r S c h u l d vgl. u n t e n C , z u m A u f b a u des s t r a f r e c h t l i c h e n S c h u l d b e g r i f f s vgl. u n t e n E.

C D e r M a ß s t a b der s t r a f r e c h t l i c h e n S c h u l d M i t d e m s t r a f r e c h t l i c h e n Begriff d e r S c h u l d v e r b i n d e t sich ein s o z i a l e t h i s c h e s U n w e r t u r t e i l . S c h u l d ist Vorwerfbarkeit. Diese heute allgemein verwendete Formel geht auf die berühmte Entscheidung des Großen Senats BGHSt 2 200 zurück (unbedingt nachlesen!). U m keine Leerformel zu bleiben, bedarf sie der Ausfüllung an Hand des strafrechtlichen Schuldmaßstabs. Viele verknüpfen diese Frage mit jener nach der Willensfreiheit und landen daher bei dem ebenso unfruchtbaren wie unlösbaren Streit zwischen Determinismus und Indeterminismus. Das Lernprogramm legt demgegenüber eine vermittelnde Position zugrunde, die diesen Streit ausklammert. M a ß s t a b der S c h u l d ist n i c h t das individuelle D a f ü r k ö n n e n des Täters, s o n d e r n d e r m a ß g e r e c h t e M e n s c h in der S i t u a t i o n des Täters. W i c h t i g ! Hinter dem „maßgerechten Menschen" steht das Menschenbild des StGB. Ein solcher Mensch fühlt sich mit der Rechtsordnung verbunden und richtet sich nach ihr. An dieser Modellfigur des maßgerechten Menschen, d.h. eines Menschen, der auf dem Boden des Rechts steht, orientiert sich der strafrechtliche Schuldvorwurf.

194

Schuldbegriff der Vorsatzdelikte

L E 13

M i t d e m U n w e r t u r t e i l der S c h u l d w i r d d e m Täter v o r g e w o r f e n , d a ß er n i c h t s o g e h a n d e l t h a t , w i e a n seiner Stelle ein m a ß g e r e c h t e r M e n s c h g e h a n d e l t h ä t t e . D e r T ä t e r h a t m i t h i n s c h u l d h a f t g e h a n d e l t , w e n n ein anderer ( = der m a ß g e r e c h t e M e n s c h ) in der Lage des T ä t e r s n a c h a l l g e m e i n e r E r f a h r u n g der T a t v e r s u c h u n g w i d e r s t a n d e n h ä t t e . Dieser Schuldmaßstab des maßgerechten Menschen stellt auf ein generelles Sollen, nicht aber auf das individuelle Können des Täters ab. Mit Recht! Denn einmal läßt sich die Frage, ob gerade dieser Täter der Tatversuchung hätte widerstehen können, nicht auf rationaler Basis beantworten; zum anderen gäbe sich das Strafrecht als eine für alle verbindliche Wertordnung selbst auf, würde es den Rechtsbrecher allein an seinen eigenen Maßstäben messen. Wesentliche Ansätze für diesen Schuldmaßstab finden sich bereits bei Wahlberg, Kohlrausch und Kadecka. Heute wird diese Position, die im öst. Recht seit jeher einhelliger Lehre und Praxis entspricht, insb. auch von Jescheck, Blei, Bockelmann und Stratenwerth verfochten; vgl. näher Jescheck AT §39 III. Für einen individualisierenden Schuldmaßstab dagegen Welzel und BGHSt 2 200. D D i e Vorsatzschuld Es g i b t z w e i S c h u l d b e g r i f f e , d e n S c h u l d b e g r i f f der V o r s a t z d e l i k t e = V o r s a t z s c h u l d u n d d e n S c h u l d b e griff d e r Fahrlässigkeitsdelikte = Fahrlässigkeitsschuld ( d a z u s p ä t e r L E 26). M i t d e m U n w e r t u r t e i l der V o r s a t z s c h u l d w i r d d e m Täter v o r g e w o r f e n , d a ß er sich willentlich g e g e n das R e c h t u n d fü.r das U n r e c h t e n t s c h i e d e n hat.

E D e r A u f b a u der V o r s a t z s c h u l d D i e V o r s a t z s c h u l d ist ein k o m p l e x e s Gebilde. Sie u m f a ß t jene E l e m e n t e , die v o r h a n d e n sein m ü s s e n , u m d e m T ä t e r w e g e n seiner r e c h t s w i d r i g e n Vorsatztat einen rechtlichen V o r w u r f m a c h e n z u k ö n n e n . Sie b e s t e h t aus vier S c h u l d e l e m e n t e n : S c h u l d f ä h i g k e i t , Vorsatz, U n r e c h t s b e w u ß t s e i n , keine E n t s c h u l d i g u n g s g r ü n d e . Alle vier Schuldelemente müssen „bei Begehung der Tat" vorhanden sein (arg. z.B. §§ 16, 17, 19, 20). Ist auch nur eines dieser Schuldmerkmale bei der Begehung der Tat nicht gegeben, handelt der Täter ohne Schuld und kann daher wegen dieser rechtswidrigen Tat nicht bestraft werden; vgl. jedoch LE 14. Unberührt bleibt aber die Verhängung von Maßregeln d.B.u.S. bei besonders gefährlichen Tätern. Denn die Maßregeln setzen nur eine tatbestandsmäßige und rechtswidrige, aber nicht unbedingt schuldhafte Anlaßtat voraus; vgl. Wortlaut der §§ 63 (1) u. 64 (1): „rechtswidrige Tat". D i e s e r S c h u l d b e g r i f f w i r d in d e r L e h r e als n o r m a t i v e r Schuldbegriff b e z e i c h n e t . Damit soll zweierlei ausgedrückt werden: einmal daß der strafrechtliche Schuldbegriff ein komplexer, alle seelischen Momente der Tat umfassender Begriff ist und zum anderen, daß diese innere Tatseite Gegenstand einer differenzierten rechtlichen Bewertung anhand des Schuldmaßstabs ist. Zur Genese dieses Schuldbegriffs vgl. etwa Jescheck A T §38 II. F S c h u l d u n d Kausalität D e r s t r a f r e c h t l i c h e Begriff d e r S c h u l d m u ß streng v o n d e r Kausalität u n t e r s c h i e d e n w e r d e n ; vgl. d a z u bereits die A u s f ü h r u n g e n auf S. 142. Bei der Kausalität geht es um die mit Hilfe eines logischen Schlußverfahrens und nach Maßgäbe unseres Erfahrungswissens zu beantwortende Frage, ob der Täter einen bestimmten Erfolg verursacht hat. Die Kausalität ist objektives Tatbestandsmerkmal der Erfolgsdelikte. Sie betrifft allein das Unrecht der Tat. Bei der Schuld geht es um die ganz andere Frage, ob die rechtswidrige Tat (einschließlich des vom Täter verursachten Erfolgs) dem Täter rechtlich zum Vorwurf gemacht werden kann. Diese Frage läßt sich nur mit Hilfe der differenzierten Wertmaßstäbe der Vorsatz- bzw. Fahrlässigkeitsschuld entscheiden. W e i t e r f ü h r e n d e s S c h r i f t t u m : Zu den Grundlagen der Schuldlehre vgl. Jescheck AT §39 I—IV; Stratenwerth R N 5 0 8 - 5 1 4 ; Wessels AT §10 I —II.

AT

LE 13

Schuldbegriff der Vorsatzdelikte

195

G Das Fallprüfungsschema beim Vorsatzdelikt (Grundstruktur)

Kommen Sie im Rahmen einer Fallprüfung zu dem Ergebnis, daß eines der vier Elemente der Vorsatzschuld nicht erfüllt ist, müssen Sie an dieser Stelle die weitere Fallprüfung abbrechen. Wenn Sie allerdings die Schuld mangels Vorsatzes verneinen, so sollten Sie stets daran denken, daß immerhin ein entsprechendes Fahrlässigkeitsdelikt in Betracht kommen könnte.

196 2.1

Testfragen zur LE 13 Der Geisteskranke Kuno Plemplem Irrenanstalt erwürgt.

TE 13

(P) hat am 1.1. dieses Jahres einen Wärter seiner

Kann er wegen Totschlags (§ 212 (1)) bestraft werden? J a / Nein Begründung:

2.2

Drei Monate später ist die endgültige Heilung des P gelungen. Kann er jetzt wegen Tötung des Wärters bestraft werden? J a / Nein Begründung:

2.3

Als Kuno Plemplem seine Schwiegermutter erschlug, war er noch Geisteskrank ist er erst ein halbes Jahr später geworden.

schuldfähig.

Kann er wegen Totschlags an seiner Schwiegermutter (§ 212 (1)) bestraft werden? J a / Nein Begründung:

1.1

Nennen Sie die vier Elemente der Vorsatzschuld in der sachlich gebotenen Reihenfolge!

2.4

1. Formulieren Sie das Schuldprinzip!

2. Nennen Sie die beiden Bedeutungen dieses Prinzips für die Strafe!

1.2

Den Maßstab für den strafrechtlichen Schuldvorwurf bildet nicht das sondern die Modellfigur des

T E 13 2.5

Testfragen

197

„Schuld ist V o r w e r f b a r k e i t " u n d beeinhaltet ein sozialethisches Unwerturteil über den Täter. Beschreiben Sie den Inhalt dieses Unwerturteils im allgemeinen! Mit d e m Unwerturteil der Schuld wird dem Täter vorgeworfen, (bitte ergänzen!)

1.3

Mit d e m Unwerturteil der Vorsatzschuld wird d e m Täter vorgeworfen, (bitte ergänzen!)

4.1

Während des Schlafes stößt A im Gasthaus die Lampe vom Nachttisch. dem Steinboden.

Sie zerschellt

auf

A kann in einem solchen Fall wegen Sachbeschädigung (§ 3 0 3 (1)) nicht bestraft werden. Warum nicht? (Bitte die A n t w o r t gut überlegen!)

2.6

Der neue Lehrling will im abgedunkelten Fotolabor den Heizungsschalter bedienen. Unglücklicherweise erwischt er den daneben befindlichen Lichtschalter. Lichtempfindliches Fotomaterial im Wert von 600 DM wird unbrauchbar. Der Chef erwägt Strafantrag wegen § 303 (1). Bitte lesen! In diesem Fall ist ein ganz bestimmtes Schuldelement problematisch u n d daher näher zu untersuchen. Welches?

2.7

Im Gegensatz zur Umgangssprache unterscheidet der J u r i s t streng zwischen „ S c h u l d " u n d „Kausalität". Erklären Sie dies näher!

2.8

Nennen Sie ein Beispiel, in d e m der Täter ohne Unrechtsbewußtsein handelt!

198

Testfragen

TE 13

2.9

Nennen Sie ein Beispiel, in dem der Täter ohne Vorsatz handelt!

4.2

Süffel, ein stadtbekannter Säufer, neigt zur Begehung schwerer Straftaten im Rausch. Diesmal steht er nur wegen eines im Rausch begangenen kleinen Diebstahls vor Gericht. Das Gericht ist zur Überzeugung gelangt, daß für diese Tat höchstens 1 Monat Freiheitsstrafe schuld angemessen ist. 1. Darf das Gericht den spezialpräventiven Bedürfnissen bei diesem besonders gefährlichen Täter gleichwohl in der Weise Rechnung tragen, daß es ihn zu einer Freiheitsstrafe von 8 Monaten verurteilt? J a / Nein Begründung:

2. Was würden Sie als Richter erwägen, um der besonderen Gefährlichkeit des Süffel zu begegnen?

4.3

Im Gegensatz zur Strafe können Maßregeln d.B.u.S. auch dann verhängt werden, wenn der Täter nicht tatbestandsmäßig / nicht rechtswidrig / nicht schuldhaft gehandelt hat.

3.1

Eine Maßregel d.B.u.S. ist ein mit das wegen einer aufgrund und (bitte ergänzen!)

verbundenes von einem Strafgericht

2.10 Beim Tübinger „Schimpfeck" sitzt ein Mann auf dem Boden, schlägt sich in uiohl bemessenen Abständen mit dem Hammer auf den eigenen Daumen und ruft jedesmal „ole"! „Ha no, wo se den gemacht hent, isch dr Hemmedzipfel drzwischa komma", denkt sich Meinrad Nägele und holt die Polizei. Lesen Sie bitte § 223 (1)! Kann der offenbar Geisteskranke wegen Körperverletzung bestraft werden? J a / Nein — Begründung (aufpassen!):

TE 13

Antworten

199

2.1

Nein! P war zur Zeit der Tat nicht schuldfähig (o.a.).

2.2

Nein! Maßgebend ist allein, daß der Täter bei Begehung der Tat nicht schuldfähig war (o.a.).

2.3

J a ! Denn zur Zeit der Tat war der Täter schuldfähig (o.ä.). (Vorausgesetzt, daß auch die anderen Schuldelemente erfüllt sind.)

1.1

1. 2. 3. 4.

2.4

1. Strafbar ist nur, wer schuldhaft handelt. 2. Strafe setzt Schuld voraus. Das Maß der Strafe darf das Maß der Schuld nicht übersteigen.

1.2

individuelle Dafürkönnen des jeweiligen Täters, sondern die Modellfigur des maßgerechten (= auf dem Boden des Rechts stehenden) Menschen

2.5

daß er nicht so gehandelt hat, wie an seiner Stelle ein maßgerechter Mensch gehandelt hätte (o.ä.)

1.3

daß er sich willentlich

4.1

Bei Bewegungen im Schlafe entfällt bereits der strafrechtliche Handlungsbegriff Zur Prüfung der Schuld kommt man daher gar nicht.

2.6

Der Vorsatz des Lehrlings

2.7

Kausalität ist ein objektives Tatbestandsmerkmal der Erfolgsdelikte und betrifft daher allein das Unrecht der Tat. Bei der Schuld geht es um die Vorwerfbarkeit des Unrechts (o.ä.).

2.8

Z.B. Nungu Bongo

2.9

Z.B. A wirft versehentlich ein fremdes Buch ins Feuer.

4.2

1. Nein! Schuldprinzip! Schuld ist nicht nur Voraussetzung, sondern zugleich auch oberste der Strafe. Das Maß der Strafe darf daher das Maß der Schuld nicht übersteigen (o.a.). 2. Abstrakt: Die Verhängung einer Maßregel d.B.u.S.; konkret: Unterbringung in einer Entziehungsanstalt

4.3

Nicht schuldhaft! (Maßregeln d.B.u.S. setzen wie die Strafe aber stets eine mindestens Tat voraus!)

3.1

Eine Maßregel d.B.u.S. ist ein mit Tadel nicht verbundenes Übel, das wegen einer strafbaren Handlung (genauer: rechtswidrigen Tat) von einem Strafgericht aufgrund und nach Maßgabe der besonderen Gefährlichkeit des Täters verhängt wird (o.ä.).

2.10

Nein! Da § 223 (1) die körperliche Mißhandlung „eines anderen" voraussetzt, fehlt es bereits an der Tatbestandsmäßigkeit (o.ä.). Die Schuld bzw. Schuldfähigkeit ist daher gar nicht zu prüfen.

Schuldfähigkeit Vorsatz Unrechtsbewußtsein keine Entschuldigungsgründe

gegen das Recht und für das Unrecht entschieden hat (o.ä.) (o.a.).

Grenze

rechtswidrige

L E 14

SCHULDFÄHIGKEIT

200

L e r n z i e 1 : Diese L E befafit sich mit dem ersten der vier Elemente der Vorsatzschuld, der „Schuldfähigkeit". Den Schwerpunkt bilden jene Umstände, welche die Schuldunfähigkeit des Täters begründen. Mit der Rechtsfigur der „actio libera in causa" und dem Delikt des § 3 3 0 a (1) werden Sie außerdem zwei wichtige Konstruktionen kennenlernen, mit deren Hilfe kriminalpolitisch unerträgliche Lücken in diesem Bereich geschlossen werden.

Mit dem sozialethischen Unwerturteil der Vorsatzschuld wird dem Täter vorgeworfen, (1) (bitte ergänzen!)

Voraussetzung für den strafrechtlichen Schuldvorwurf ist, daß der Täter nach seinen geistig-seelischen Fähigkeiten überhaupt in der Lage ist, zwischen Recht und Unrecht zu unterscheiden und nach dieser Einsicht zu handeln. Diese Fragestellung ist es, welche (2)

sich mit dem Begriff der

verbindet.

Einen Schulduiifähigen zu bestrafen, wäre kriminalpolitisch sinnlos und ungerecht. (3) Ein kleines Kind kann zwischen Recht und Unrecht unterscheiden / noch nicht unterscheiden. Man kann ihm eine rechtswidrige Tat nicht vorwerfen, weil es nach seiner (4) Entwicklung noch nicht in der Lage ist, einzusehen, daß es (bitte ergänzen!)

Wer überhaupt nicht fähig ist, das Unrecht seiner Tat einzusehen, dem kann die rechtswidrige Tat nicht vorgeworfen werden. (5) Man kann dem Täter die T aber auch dann nicht vorwerfen, wenn er das Unrecht zwar einsehen kann, aber nicht in der Lage ist, nach dieser Einsicht zu handeln. In der Regel fällt die Fähigkeit, das Unrecht der Tat einzusehen, mit der Fähigkeit zusammen, dieser Einsicht gemäß zu handeln. Die strafrechtliche Praxis zeigt aber, daß dem nicht immer so ist. (6)

Zur Bejahung der Schuldfähigkeit müssen beide Voraussetzungen alternativ / kumulativ gegeben sein.

Der Schuldvorwurf entfällt mangels Schuldfähigkeit, wenn der Täter das Unrecht seiner (7) Tat nicht einsehen und / oder nach dieser Einsicht nicht handeln kann (gut überlegen!).

LE 14 (1) (2) (5) (7)

Schuldfähigkeit

201

daß er sich willentlich gegen das Recht und für das Unrecht entschieden hat (o.a.) Schuldfähigkeit (3) noch nicht unterscheiden (4) Unrecht verwirklicht (o.a.) rechtswidrige Tat (6) kumulativ „Und" wäre nicht falsch; aber genauer ist „oder". Denn bereits wenn eine dieser beiden Fähigkeiten nicht gegeben ist, entfällt die Schuldfähigkeit und damit der Schuldvorwurf.

Fassen wir die beiden Aspekte der Schuldfähigkeit zusammen, so ergibt sich die folgende Definition: Schuldfähigkeit ist die Fähigkeit, das Unrecht der T a t einzusehen u n d nach dieser Einsicht zu handeln. (1) Das Strafrecht geht vom Normalfall aus, daß der Täter schuldfähig / nicht schuldfähig ist. Es gibt aber eine Reihe von Sachverhalten, welche die Schuldfähigkeit u n d damit den Schuldvorwurf ausschließen. Diese Sachverhalte lassen sich in zwei große G r u p p e n zusammenfassen. Die Schuldfähigkeit kann ausgeschlossen sein entweder wegen mangelnder Reife oder wegen bestimmter seelischer Störungen. Beginnen wir mit der zweiten Gruppe, den seelischen Störungen. (2) Das StGB unterscheidet insgesamt vier fähigkeit

Störungen, welche die Schuld-

(3) Lesen Sie bitte § 20 u n d vervollständigen Sie danach das Schaubild!

Liegt einer dieser Sachverhalte vor, so entfällt der Schuldvorwurf. Mit der Schuld entfällt (4) die (5) Nur die Strafe entfällt. Denn die andere A r t der strafrechtlichen Sanktionen, die k ö n n e n auch gegen verhängt werden. Für (6) Geisteskranke u n d Schwachsinnige k o m m t etwa eine Unterbringung in einem in Betracht (§§ 6 1 Z 1, 6 3 (1)).

202

Schuldfähigkeit

LE 14

(1) schuldfähig (2) seelische; ausschließen (3) krankhafte seelische Störung; tiefgreifende Bewußtseinsstörung; Schwachsinn (4) Strafe (5) Maßregeln d.B.u.S.; Schuldunfähige (6) psychiatrischen Krankenhaus

Zu den krankhaften seelischen Störungen zählen insbesondere die echten Geisteskrankheiten, z.B. Schizophrenie, manisch-depressives Irresein. (1) K St können aber auch auf Grund von Infekten, Alkoholmißbrauch, Tumoren etc. entstehen. Der 23jährige Bodo Steenken aus Bielefeld-Deppendorf hat selbst die Sonderschule nicht geschafft und kann heute noch „nicht bis drei zählen". Es mangelt ihm zwar an Intelligenz. Er ist aber nicht geisteskrank. Die Ursache seiner Intelligenzschwäche ist unbekannt. (2) Solche Fälle bezeichnet das Gesetz (§ 20) als Schwachsinn ist eine angeborene Intelligenzschwäche ohne nachweisbare Ursache.

(3)

Ob der Täter an einer seelischen Störung erkrankt oder schwachsinnig und aus diesem Grund nicht in der Lage ist, das Unrecht der Tat oder nach kann in der Regel nicht vom Gericht allein, sondern erst mit Hilfe eines psychiatrischen Sachverständigen entschieden werden.

(4) Lesen Sie bitte § 201 Wann muß der Täter schuldfähig sein?

Von erheblicher Bedeutung in der Praxis sind die Fälle der tiefgreifenden Bewußtseinsstörung (§ 20). (5) Wer eine rechtswidrige Tat im Zustand tiefgreifender begeht, ist (6) Er kann daher bestraft / nicht bestraft werden. (7)

Bewußtseinsstörung kann entstehen aus Volltrunkenheit, Rauschgifteinwirkung, Medikamentenmißbrauch, Schock, Schlaflosigkeit, Übermüdung u.a. Beim LSD-Trip hat Flipper die Vision, er besäße goldene Schwingen. Mit den Worten, „Komm, Luise, laß uns fliegen ", stürzt er sich jauchzend vom Balkon und zieht seine Freundin mit sich in die Tiefe. Beide werden schwer verletzt.

Kann Flipper wegen „Gefährlicher Körperverletzung" (§ 223 a (1)) bestraft werden? (8) J a / Nein Begründung:

Kann er gemäß §§ 61 Z 2 , 6 4 ( l ) i n einer Entziehungsanstalt untergebracht werden? (9) J a / Nein —

Begründung:

LE 14

Schuldfähigkeit

203

(1) (3) (5) (8)

Krankhafte seelische Störungen (2) Schwachsinn einzusehen; dieser Einsicht zu handeln (4) bei Begehung der Tat Bewußtseinsstörung; schuldunfähig (6) nicht bestraft werden (7) Tiefgreifende Nein! Flipper war bei Begehung dieser Tat infolge tiefgreifender Bewußtseinsstörung nicht schuldfähig. Er kann wegen dieses Delikts daher auch nicht bestraft werden (o.a.) (9) Ja! Die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt (§§ 61 Z 2, 64 (1)) ist keine Strafe, sondern eine Maßregel d.B.u.S. Sie kann auch gegen einen bei Begehung der Tat Schuldunfähigen angeordnet werden (o.ä.).

(1)

Die Schuldfähigkeit des Täters kann endlich ausgeschlossen sein wegen einer schweren Abartigkeit. Bitte § 20 lesen!

Bei den schweren anderen seelischen Abartigkeiten handelt es sich um einen Auffangbe(2) griff für solche Sachverhalte, welche bereits / nicht bereits unter die bisher erörterten seelischen Störungen fallen, ihnen aber bezüglich des Grades der Störung entsprechen. Der Gesetzgeber denkt dabei insbesondere an schwere Triebstörungen, schwere Neurosen und Psychopathien und auch an den Fall der Taubstummheit. Der krankhaft eifersüchtige Adam Hörnlein überrascht „Minouche", seine junge Frau, im Bett mit einem anderen. Rasend vor Eifersucht entmannt er seinen Nebenbuhler mit dem Brotmesser (= §§ 224 (1), 225 (1)). (3) Bei einem ganz ähnlichen Fall hatten Sie auf S. 95 automatisierte Handlung / Körperreflex / impulsive Handlung angenommen u n d daher den strafrechtlichen Handlungsbegriff bejaht / verneint. Das eigentliche Problem beider Fälle betrifft aber die Frage der Schuld des Täters, und (4) zwar das Schuldmerkmal der (5) Welcher der vier Gruppen des § 20 würden Sie diesen Sachverhalt a m ehesten zuordnen?

(6) Definieren Sie „Schuldfähigkeit"!

(7) Der Gesetzgeber hat alle vier Gruppen der Schuld seelischer Störungen im § zusammengefaßt.

wegen

(8) Diese Vorschrift enthält zugleich die negative Definition der Nennen Sie mindestens drei Sachverhalte, in denen wegen seelischer Störungen die Schuldig) fähigkeit des Täters entfällt!

204

Schuldfähigkeit

LE 14

(1) anderen seelischen (2) nicht bereits (3) impulsive Handlung; bejaht (4) Schuldfähigkeit (5) Der schweren anderen seelischen Abartigkeit. Der Fall liegt aber auch an der Grenze zur tiefgreifenden Bewußtseinsstörung. (6) Schuldfähigkeit ist die Fähigkeit, das Unrecht der Tat einzusehen und nach dieser Einsicht zu handeln. (7) Schuldunfähigkeit; § 20 (8) Schuldfähigkeit (9) Krankhafte seelische Störung, tiefgreifende Bewußtseinsstörung, Schwachsinn, schwere andere seelische Abartigkeit

(1) Außer wegen der genannten s St kann die Schuldfähigkeit auch wegen mangelnder Reife entfallen. Die hier in Betracht kommenden Sachverhalte sind teils im StGB, teils im J G G (Schönfelder Nr. 89) geregelt. Bezüglich der mangelnden Reife sind zwei Personengruppen zu unterscheiden: Kinder und Jugendliche. Kind ist, wer bei der Begehung der Tat noch nicht 14 Jahre alt ist (§ 19). (2) Gemäß § 19 gelten Kinder ein für allemal als (3) Sie können daher wegen ihrer rechtswidrigen Taten bestraft / nicht bestraft werden. Jugendlicher ist, wer zur Zeit der Tat 14, aber noch nicht 18 Jahre alt ist (§ 1 (2) J G G ) . Jugendliche gelten gemäß § 3 Satz 1 JGG nur dann als schuldfähig, wenn sie zur Zeit der (4) Tat nach ihrer sittlichen und geistigen Entwicklung (bitte ergänzen!)

(5) Verzögerte Reife schließt bei aus.

die

Schuldunfähigkeit wegen kindlichen Alters (§ 19) bzw. wegen verzögerter Reife bei Jugendlichen (§ 3 Satz 1 J G G ) können neben krankhafter seelischer Störung, tiefgreifender (6) Bewußtseinsstörung, Schwachsinn etc. (i.S.d. § 20) gegeben sein / nicht gegeben sein. Bilden Sie selbst ein Beispiel für einen Fall, in dem sowohl die Voraussetzungen des § 19 (7) als auch des § 20 erfüllt sind!

Schuldfähigkeit

LE 14 (1) (4) (5) (7)

(1)

205

seelischen Störungen (2) schuld unfähig (3) nicht bestraft werden reif genug sind, das Unrecht der Tat einzusehen und nach dieser Einsicht zu handeln Jugendlichen die Schuldfähigkeit (6) gegeben sein Etwa: Ein geisteskranker 9jähriger erschießt seinen Vater (o.a.).

Schwierigkeiten bereitet in der Praxis vor allem die Gruppe der Jugendlichen, also der bis .jährigen.

(2) Die Fälle der verzögerten Reife bei

sind gar nicht so selten.

Frühkindliche Erkrankungen, schwere Unfälle und Erbschäden, aber auch grobe Erziehungsmängel und Verwahrlosung können den Eintritt der seelischen Reife beträchtlich über die Vollendung des 14. Lebensjahres hinauszögern. Eine Kellnerin wird auf dem Heimweg von dem 17jährigen Spenglergehilfen Theo Macke (M) und von dem 13jährigen Gymnasiasten Ingo Kliigler (K) vergewaltigt (= § 177 (1)). Beim 17jährigen M stellt der Jugendpsychiater verzögerte Reife wegen Erbschäden und Verwahrlosung fest. Seine seelische Reife entspräche gerade jener eines 12jährigen. Ist M schuldfähig? (3) J a / Nein Begründung:

(4) M kann daher wegen Vergewaltigung bestraft werden / nicht bestraft werden. Beim 13jährigen K stellt derselbe Gutachter die seelische Reife eines Erwachsenen und damit volle Einsichtsfähigkeit fest. Er bescheinigt dem K außerdem einen Intelligenzquotienten von 138 (den nur wenige Menschen besitzen). Wird der 13jährige K wegen Vergewaltigung (§ 177 (1)) bestraft? (5) J a / Nein Begründung:

(6) Wer älter ist als § 20, als schuldfähig.

Jahre gilt prinzipiell, d.h. vorbehaltlich der Ausnahmen des

Das StGB kennt neben den Fällen der Schuldunfähigkeit des § 20 noch die Kategorie der verminderten Schuldfähigkeit. Lesen Sie bitte § 21! (7) Das StGB behandelt die v Schuldfähigen auf der Ebene der Schuld wie voll Gesunde. Verminderte Schuldfähigkeit ist Schuldfähigkeit und führt daher (8) zur Straflosigkeit / nicht zur Straflosigkeit des Täters. (9) Aber die Strafe muß / kann gemildert werden; § 21. Verminderte Schuldfähigkeit kann in Betracht kommen bei Psychopathen, Neurotikern, Triebgestörten, Alkohol- oder Drogenabhängigen, Betrunkenen, aber auch bei leichteren Formen des Schwachsinns oder des Affekts.

Schuldfähigkeit

206

LE 14

(1) 14-bis 18jährigen (2) Jugendlichen (3) Nein! M ist wegen verzögerter Reife (§ 3 Satz 1 JGG) schuldunfähig (o.ä.). (4) nicht bestraft werden. (Statt einer Strafe können über den 17jährigen M jedoch bestimmte Erziehungsmaßregeln verhängt werden. Als härteste Maßregel kommt die Anordnung von Fürsorgeerziehung in Betracht). (5) Nein! K kann noch so reif und intelligent sein. Bis zum 14. Lebensjahr gilt er als absolut schuldunfähtg.(§ 19). (Immerhin können über den 13jährigen K vom Vormundschaftsrichter geeignete Erziehungsmaßregeln verhängt werden. Eine Bestrafung scheidet bei ihm aber von vornherein aus.) (6) 18 (7) vermindert (8) nicht zur Straflosigkeit (9) kann (fakultative Strafmilderung) Das im vorherigen dargestellte gesetzliche System der Schuldfähigkeit und ihrer Ausnahmen führt in der Praxis meistens zu befriedigenden Ergebnissen. Zwar können gegen (1) Schuldunfähige keine verhängt werden. Wegen der Zweispurigkeit des Strafrechts treten aber im allgemeinen keine Lücken auf. Denn dort, wo es sich um (2) besonders gefährliche Schuldunfähige handelt, kommen anstelle der Strafe / neben der Strafe in der Regel in Betracht. „Meistens", „im allgemeinen", „in der Regel" und ähnliche Formulierungen sind für den geübten Juristen stets ein untrügliches Zeichen dafür, daß es Ausnahmen von dieser Regel gibt. In der Tat lassen sich für bestimmte Fallkonstellationen eben doch empfindliche Lücken im bisher dargestellten Strafschutz vor rechtswidrigen Taten Schuldunfähiger feststellen. Den beiden wichtigsten und auch praktisch sehr bedeutsamen Fallkonstellationen wollen wir uns im folgenden zuwenden. Fäustel trinkt zum ersten Mal in seinem Leben und dies gründlich. Im Vollrausch gerät er mit Lückerich in Streit und schlägt diesem den linken unteren Schneidezahn aus. Am selben Abend büßt Lückerich auch noch den rechten unteren Schneidezahn durch einen Schlag des Kneift ein. Kneifl, sonst ein Feind des Alkohols und von Natur aus eher ängstlich, hatte sich für die Tat extra Mut angetrunken. Auch Kneifl ist im Zeitpunkt des Zuschlagens veilchenblau. Für beide kommt Körperverletzung (§ 223 (1)) in Betracht. Rechtfertigungsgründe liegen (3) vor / nicht vor. Sowohl Fäustel als auch Kneifl sind im Zeitpunkt der Tat volltrunken. (4)

Was bedeutet dies für ihre Schuld?

L E 14

Schuldfähigkeit

207

(1) Strafen (2) anstelle der Strafe; Maßregeln d.B.u.S. (3) nicht vor (4) Beide waren bei Begehung der Tat infolge einer „tiefgreifenden Bewußtseinsstörung" nicht schuldfähig (§ 20). Für beide kommt daher eine Bestrafung wegen Körperverletzung an sich nicht in Betracht.

Es ist aber zu fragen, ob beide Taten wirklich straflos bleiben sollen. Beschränken wir uns zunächst auf Kneifl. Der an sich naheliegende Ausweg, über den schuldunfähigen Kneifl wenigstens eine Maßregel d.B.u.S. zu verhängen, kommt zwar generell, bei unserem Sachverhalt aber gerade nicht in Betracht? (1)

Warum nicht? (Der Grund ergibt sich aus dem Wortlaut des § 6 4 ( 1 ) ! )

Die zweite „ S p u r " versagt also; untersuchen wir deshalb die erste „ S p u r " , die Möglichkeit einer Bestrafung des Kneifl, etwas genauer: Über Kneifl wegen der Körperverletzung keine Strafe zu verhängen, erscheint deshalb ungerecht, weil er die Körperverletzung noch im nüchternen Zustand geplant und in die Wege geleitet hatte. Außerdem: Wer z.B. einen anderen straflos umbringen wollte, dem könnte man keinen (2) besseren Rat geben als (bitte ergänzen Sie den Gedanken!)

(3)

Bezüglich der Tat des Kneifl eine Straflücke anzunehmen, wäre daher kriminalpolitisch vertretbar / kriminalpolitisch äußerst unerwünscht und ein Hohn auf die Gerechtigkeit. Rechtsprechung und Wissenschaft haben hier nach Abhilfe gesucht und einen Ausweg gefunden. Dieser Ausweg verbindet sich mit dem Begriff der actio libera in causa und ergibt sich aus folgender Überlegung: Zwar kann dem Kneifl mangels Schuldfähigkeit kein Vorwurf zur Zeit des Zuschlagens (§ 2 0 ) gemacht werden. Der Vorwurf, der gegenüber Kneifl zu erheben ist, besteht aber darin, daß er sich gerade betrunken hat, um im Zustand der Schuldunfähigkeit ein Delikt, d.h. hier eine Körperverletzung, zu begehen.

(4)

Zur Zeit des Sichbetrinkens aber war Kneifl noch stocknüchtern und daher fähig. Auf diesen Zeitpunkt stellt die im Gesetz nicht ausdrücklich geregelte Rechtsfigur der

(5)

a

i

c

ab.

-

Schuldfähigkeit

208

LE 14

(1) Kneif] ist laut Sachverhalt „ein Feind des Alkohols". Daher kann von einem Hang, alkoholische Getränke im Übermaß (!) zu sich zu nehmen, was § 64 (1) ausdrücklich voraussetzt, nicht die Rede sein (o.a.). (2) sich zu betrinken und die Tat im Zustand der Volltrunkenheit (d.h. der Schuldunfähigkeit) zu begehen (o.a.) (3) kriminalpolitisch äufierst unerwünscht (4) schuldfähig (5) actio libera in causa

(1)

Der Begriff „actio libera in c a u s a " deutet vor allem auf den maßgeblichen Z e i t p u n k t : Der Täter war zur Zeit des Tatentschlusses noch „ f r e i " , d.h gewesen. Von einer vorsätzlichen actio libera in causa spricht man, wenn sich der Täter mit dem Vorsatz in den Zustand der Schuldunfähigkeit versetzt hat, in diesem Zustand eine rechtswidrige T a t zu begehen. Auf welche Weise der Täter seine Schuldunfähigkeit herbeigeführt h a t , z.B. d u r c h Alkohol, Narkotika, Obermüdung, Selbsthypnose u.ä., ist für die Rechtsfigur der „actio libera in c a u s a " gleichgültig. Die praktischen Konsequenzen dieser Rechtsfigur liegen in folgendem:

(2)

Tatbestandsmäßigkeit u n d bleiben nach wie vor auf das Zuschlagen, d.h. auf den Z e i t p u n k t der eigentlichen Durchführung der Tat bezogen. Die Frage der Schuld aber wird auf den Zeitpunkt vorprojiziert, in dem sich der Täter in den Zustand der Schuldunfähigkeit versetzt hat, hier auf den Z e i t p u n k t des Sich-Betrinkens. Auch die Schuldprüfung m u ß daher an diesem Z e i t p u n k t ansetzen.

(3)

Zu diesem Z e i t p u n k t sind bei Kneifl sowohl die gen Schuldelemente erfüllt.

(4)

Also ist Kneifl wegen der F o r m der vorsätzlichen

fähigkeit als auch alle übri-

(§ 223 (1)) zu bestrafen, begangen in in c

Wenden wir uns n u n m e h r dem Fäustel zu. (5)

Wie Kneifl ist auch Fäustel im Z e i t p u n k t der Tat volltrunken u n d daher schuldunfähig (§ 2 0 ) . Eine Bestrafung wegen § 2 2 3 (1) scheidet daher aus / nicht aus.

K a n n gegen Fäustel wenigstens die Maßregel d.B.u.S. des § 6 4 (1) (bitte lesen!) verhängt werden? (6) J a / Nein Begründung:

LE 14

Schuldfähigkeit

209

(1) schuldfähig (2) Rechtswidrigkeit (3) Schuldfähigkeit (4) Körperverletzung; actio libera in causa (5) scheidet daher aus (6) Nein! Fäustel (be)trinkt (sich) „zum ersten Mal in seinem Leben". Von einem Hang kann daher auch bei ihm nicht gesprochen werden (o.a.)'

Zwar k o m m t für Fäustel eine Bestrafung wegen vorsätzlicher Körperverletzung (§ 223 (1)) in der F o r m der actio libera in causa nicht in Betracht. (1) Warum nicht?

D e n n o c h geht Fäustel nicht straflos aus. Für seine Bestrafung ist j e d o c h ein anderer Aspekt als bei Kneifl maßgebend: Das Unrecht seiner Handlung liegt darin, daß er sich bis zur Gemeingefährlichkeit b e t r u n k e n hat. Verstehen Sie das n i c h t falsch! Das bloße Sich-Betrinken an sich ist in Deutschland wie in anderen L ä n d e r n selbstverständlich n o c h kein strafrechtliches Unrecht u n d daher straflos. Die Strafbarkeit des Sich-Betrinkens setzt aber in d e m M o m e n t ein, in dem der Täter im Z u s t a n d der Volltrunkenheit eine rechtswidrige Tat begeht. Sie ist der Anlaß, d e n Vollt r u n k e n e n wegen seiner Unmäßigkeit zur Rechenschaft zu ziehen. Hierfür gibt es ein besonderes Delikt. Lesen Sie bitte § 3 2 3 a (1)! (2) Dieses Delikt t r i f f t auf die Situation des Fäustel genau zu / nicht genau zu. (3) Schon die gesetzliche Bezeichnung dieses Delikts als „ " bringt z u m Ausdruck, daß gerade j e n e Fälle erfaßt werden sollen, in denen der Täter, weil er vollberauscht u n d d a h e r fähig ist, wegen d e r in diesem Zustand begangenen rechtswidrigen T a t nicht b e s t r a f t werden k a n n . (4) Wegen welchen Delikts ist Fäustel anzuklagen? •

Wie Kneifl wegen § 2 2 3 (1)



Wegen § 3 2 3 a (1) i.V.m. § 2 2 3 (1)

Beim Delikt des § 3 2 3 a (1) ist ähnlich wie bei der actio libera in causa die Schuld des Täters (also Schuldfähigkeit, Vorsatz, Unrechtsbewußtsein u n d keine Entschuldigungs(5) gründe) auf d e n Z e i t p u n k t des zu beziehen. (6) Z u diesem Z e i t p u n k t sind alle diese Schuldelemente bei Fäustel vorhanden / nicht vor(7) h a n d e n . Er ist somit wegen des Delikts des § 3 2 3 a (1) i.V.m. § 2 2 3 (1) nicht zu bestrafen / zu bestrafen. (8) Beschreiben Sie das Wesen der vorsätzlichen actio libera in causa!

210

Schuldfähigkeit (1) (2) (5) (8)

L E 14

Weil sich Fäustel nicht mit dem Vorsatz betrunken hat, Lückerich den Zahn auszuschlagen (o.a.). genau zu (3) Vollrausch; schuldunfähig (4) Wegen §323a (1) i.V.m. §223 (1) Sich-Betrinkens(d.h. auf den ftegj»» der Berauschung) (6) vorhanden (7) zu bestrafen Das Wesen der vorsätzlichen actio libera in causa besteht darin, daß sich der Täter mit dem Vorsatz in den Zustand der Schuldunfähigkeit versetzt hat, in diesem Zustand eine rechtswidrige Tat zu begehen (o.ä.).

ZUSAMMENFASSUNG A

Schuldfähigkeit

D i e S c h u l d f ä h i g k e i t des T ä t e r s ist ein essentielles E l e m e n t s o w o h l der V o r s a t z s c h u l d als a u c h d e r F a h r lässigkeitsschuld. E i n S c h u l d u n f ä h i g e r k a n n wegen d e r v o n i h m b e g a n g e n e n r e c h t s w i d r i g e n Tat im allg e m e i n e n nicht b e s t r a f t w e r d e n ( B e s o n d e r h e i t e n u n t e r C u n d D ) . I m § 2 0 ist die S c h u l d u n f ä h i g k e i t n e g a t i v b e s c h r i e b e n . A u s dieser V o r s c h r i f t e r g i b t sich d i e f o l g e n d e p o sitive D e f i n i t i o n d e r S c h u l d f ä h i g k e i t : S c h u l d f ä h i g k e i t ist die F ä h i g k e i t , das U n r e c h t der Tat e i n z u s e h e n u n d n a c h dieser E i n s i c h t z u h a n d e l n . D i e S c h u l d f ä h i g k e i t m u ß „bei B e g e h u n g d e r T a t " v o r h a n d e n sein; vgl. § § 19f. O b der Täter schuldfähig ist, hängt einmal von seinem Alter (§19), im übrigen aber vom Vorliegen bestimmter seelischer Störungen (§20) ab. Der Katalog des §20 ist abschließend. K i n d e r ( = bis 14jährige) g e l t e n a u s n a h m s l o s als s c h u l d u n f ä h i g (§19); J u g e n d l i c h e ( = 14 bis 18jährig e ) n u r bei v e r z ö g e r t e r Reife (§3 S a t z 1 J G G ) . Das J G G kennt darüber hinaus die Gruppe der Heranwachsenden (älter als 18, aber noch keine 21 Jahre alt). Es sieht bezüglich der Jugendlichen und unter bestimmten Voraussetzungen auch für die Heranwachsenden eine Reihe günstigerer Regelungen als das strengere StGB für Erwachsene vor; vgl. §§ 105, 106 J G G . D a s S t G B u n d das J G G g e h e n v o m Regelfall aus, d a ß J u g e n d l i c h e , H e r a n w a c h s e n d e u n d E r w a c h s e n e s c h u l d f ä h i g sind. D i e S c h u l d f ä h i g k e i t entfällt n u r bei b e s t i m m t e n im G e s e t z a u s d r ü c k l i c h a u f g e z ä h l t e n S a c h v e r h a l t e n :

Die Vorschriften des StGB und des J G G über die Schuldunfähigkeit beruhen auf der auch in der Psychiatrie anerkannten sog. gemischten (d.h. biologisch-psychologischen) Methode. Das bedeutet, daß zu einem „biologischen" Merkmal (z.B. Schwachsinn) kumulativ mindestens auch ein „psychologisches" Merkmal (entweder Einsichtsunfähigkeit oder Steuerungsunfähigkeit) hinzukommen muß, um die Schuldfähigkeit auszuschließen. Diese Methode garantiert ein Maximum an Rechtssicherheit in diesem Bereich; vgl. Jescheck A T §40 III 1.

L E 14

Schuldfähigkeit

211

1. Unter krankhafte seelische Störungen fallen nicht nur die echten Geisteskrankheiten wie Schizophrenie und manisch-depressives Irresein, sondern auch andere seelische Erkrankungen, etwa aufgrund von Infektionen (z.B. Syphilis), Alkoholmißbrauch, Tumoren. 2. Tiefgreifende Bewußtseinsstörung ist ein — meist alsbald vorübergehender — Zustand, bei dem der Täter völlig desorientiert ist und die ihn umgebende Wirklichkeit nicht mehr erfaßt. Den Hauptanteil bildet der hochgradige Affekt, egal ob dieser verschuldet war oder nicht; vgl. zu dieser StreitfrageJescheck AT §40 III 2 b. Im übrigen kann sich eine tiefgreifende Bewußtseinsstörung auch ergeben aus Volltrunkenheit, Rauschgifteinwirkung, Medikamentenmißhrauch, Hypnose, Schock, Schlaflosigkeit, Übermüdung u.a. 3. Schwachsinn ist die angeborene Intelligenzschwäche ohne nachweisbare Ursache. Nur hochgradiger Schwachsinn (Imbezillität, Idiotie u.a.) beseitigt die Schuldfähigkeit eo ipso. Bloße Debilität (Intelligenzquotient zwischen 50 und 69) fällt nur dann unter §20, wenn der Täter zur Tatzeit unfähig war, das Unrecht seiner Tat einzusehen oder danach zu handeln. 4. Eine schwere andere seelische Abartigkeit kann z.B. bei schweren Triebstörungen, schweren Neurosen oder schweren Psychopathien sowie bei Taubstummheit anzunehmen sein. Diesem häufigen Einwand des Verteidigers begegnet die Praxis sehr zurückhaltend. Mit Recht. Denn bei vielen „Dauerkunden" der Gerichte lassen sich asoziale Veranlagung, mehr oder weniger große Charakteranomalien, Willensschwäche, Haltlosigkeit etc. feststellen. Würde man schon das genügen lassen, müßte man die meisten Rechtsbrecher, vor allem die schweren, für schuldunfähig erklären. Deshalb beschränkt die Praxis die schwere andere seelische Abartigkeit auf extreme Ausnahmezustände; vgl. näher Schönke/Schröder/Lenckner §20 RN 23. 5. Die verzögerte Reife (§3 Satz 1 J G G ) spielt insb. bei milieugeschädigten Jugendlichen eine erhebliche Rolle in der Praxis und kann den Eintritt der Schuldfähigkeit über das 14. Lebensjahr hinausschieben. Schuldunfähigkeit wegen „verzögerter Reife" kann sich ergeben aus frühkindlichen len, groben Erziehungsmängeln, Verwahrlosung, Erbkrankheiten u.ä.

Erkrankungen, schweren Unfäl-

Im allgemeinen reicht die eigene Sachkunde des Richters nicht aus, um „Schizophrenie", hochgradigen „Schwachsinn" oder andere geistig-seelische Gebrechen oder „verzögerte Reife" bei Jugendlichen zu konstatieren. Er wird zur Beurteilung solcher Sachverhalte daher i.d.R. Sachverständige heranziehen. Entfällt die Schuldfähigkeit, so kommt zwar keine Strafe, in vielen Fällen aber die Verhängung einer Maßregel d.B.u.S. in Betracht. Straflücken werden durch die Rechtsfigur der actio libera in causa (vgl. unten C ) bzw. durch das Delikt des §323 a (vgl. unten D ) geschlossen. B Verminderte Schuldfähigkeit In vielen Fällen ist die Schuldfähigkeit des Täters bei Begehung der Tat zwar nicht ausgeschlossen, aber erheblich vermindert. Die verminderte Schuldfähigkeit bildet gem. §21 eine eigene dogmatische Kategorie. §21 hat vor allem bei Psychopathen, Neurotikern, Triebgestörten, Alkohol- oder Drogenabhängigen, Betrunkenen, aber auch bei leichteren Formen des Schwachsinns oder des Affekts erhebliche praktische Bedeutung; vgl. näher Mäurach! Zipf AT I §36 RN 72. Das gilt auch bei altersbedingtem Kräfteabbau; vgl. BGH StV 1983 13. Das Gesetz behandelt den vermindert Schuldfähigen wie einen voll Gesunden, nämlich als schuldfähig. Die verminderte Schuldfähigkeit bildet aber einen fakultativen Strafmilderungsgrund. Sie eröffnet dem Gericht die Möglichkeit, die Strafe gem. §49 (1) zu mildern. I.d.R. macht die Praxis von dieser Befugnis großzügigen Gebrauch.

212

Schuldfähigkeit

LE 14

C Actio libera in causa Die Rechtsfigur der actio libera in causa ist im StGB nicht ausdrücklich geregelt. Es handelt sich um eine in Lehre und Praxis seit langem anerkannte gewohnheitsrechtliche vgl. Jescheck AT §40 VI.

Einschränkung des §20;

Von einer vorsätzlichen actio libera in causa spricht man, wenn sich der Täter mit dem Vorsatz in den Zustand der Schuldunfähigkeit versetzt hat, in diesem Zustand eine rechtswidrige Tat zu begehen. Der Täter macht sich vorsätzlich zu seinem eigenen schuldunfähigen Werkzeug. Beispiele: A betrinkt sich, um in diesem Zustand z.B. einen Mord oder eine Brandstiftung zu begehen.

Daneben gibt es auch eine fahrlässige actio libera in causa. Beispiel: Diese Form der actio libera in causa kommt vor allem bei Trunkenheitsfahrten „passiert"; vgl. Schönke/Schröder/Lenckner §20 R N 36 m . N .

in Betracht, bei denen etwas

W i c h t i g ! Bei der actio libera in causa wird die gesamte Schuldprüfung (d.h. insb. die Prüfung der Schuldfähigkeit einschließlich der übrigen Schuldmerkmale) auf die actio praecedens, d.h. auf den Zeitpunkt vorverlegt, in dem sich der Täter in den Zustand der Schuldunfähigkeit versetzt hat. Tatbestandsmäßigkeit und Rechtswidrigkeit bleiben dagegen auf die spätere Tatausführung bezogen.

D Vollrausch (§323 a (1)) Nach dem StGB ist das bloße (= folgenlose) Sich-Berauschen straflos. Die Begehung einer rechtswidrigen Tat im Zustand rauschbedingter Schuldunfähigkeit hat der Gesetzgeber jedoch in §323 a (1) als selbständiges Delikt unter Strafe gestellt. W i c h t i g ! Zitieren Sie stets §323 a (1) i.V.m. §X, d.h. i.V.m. jenem Delikt, das der Täter im Zustand der vollen Berauschung begangen hat!

Sowohl die Rechtsfigur der actio libera in causa als auch das Delikt des §323 a (1) erfüllen im Prinzip ähnliche Funktion. Sie sollen bestimmte Sachverhalte erfassen, in denen mangels Schuldfähigkeit zur Zeit der eigentlichen Tat die Strafbarkeit des Täters „an sich" entfallen würde (Schuldprinzip!). Gäbe es beide Rechtsfiguren nicht, würden unerträgliche Straflücken entstehen. W i c h t i g ! Der wesentliche Unterschied zwischen beiden Rechtsfiguren besteht darin, daß sich bei der actio libera in causa Vorsatz oder Fahrlässigkeit stets auf eine bestimmte rechtswidrige Tat beziehen muß, während gem. §323a bestraft wird, wer die im Rausch begangene rechtswidrige Tat gerade weder gewollt noch vorausgesehen hat.

E Durchblick Zwischen den Sachverhalten, welche die Schuldfähigkeit und jenen, welche den Begriff der Handlung im strafrechtlichen Sinne ausschließen (vgl. S. 98f.), gibt es Berührungspunkte. Geht die tiefgreifende Bewußtseinsstörung (§20 2. Fall) in den Zustand der Bewußtlosigkeit oder des Schlafes über, was etwa bei Volltrunkenheit, Drogeneinwirkung, totaler Übermüdung etc. der Fall sein kann, entfällt bereits der strafrechtliche Handlungsbegriff. Diese Differenzierung bringt dem, der nicht einmal gehandelt hat, gegenüber dem „bloß" Schuldunfähigen den praktischen Vorteil, daß gegen ihn auch keine Maßregeln d.B.u.S. verhängt werden können. B e a c h t e ! Wer total übermüdet am Steuer einschläft und dadurch einen Verkehrsunfall verursacht (vgl. S. 98), geht aber schon deshalb nicht straflos aus, weil dieh.M. auch die Herbeiführung der eigenen Handlungsunfähigkeit As actio libera in causa ansieht; vgl. etwa RGSt 60 30. Auch Maßregeln d.B.u.S. können erforderlichenfalls angeordnet werden. W e i t e r f ü h r e n d e s S c h r i f t t u m : Zur Schuldfähigkeit vgl. Stratenwerth AT R N 515—543; eingehend Jescheck AT §401—III. Zur verminderten Schuldfähigkeit vgl. Jescheck A T §40IV; eingehend Maurach/Zipf A T I §36 R N 6 8 - 7 9 . Zur actio libera in causa vgl. Jescheck AT §40 VI. Zum Delikt des §323a vgl. Maurach/Zipf AT I §36 R N 64—67.

TE 14 1.1

Testfragen zur LE 14

213

Wenn der Täter zur Zeit der Tat schuldunfähig ist, kann er in der Regel nicht bestraft werden. Für welche beiden Fälle ist dieser Grundsatz durchbrochen? 1. 2.

1.2

Definieren Sie „Schuldfähigkeit"!

2.1

Am Tage vor seinem 14. Geburtstag klaut Felix ein Mofa (= § 242 (1)). Zwei Tage später schießt er mit seiner Steinschleuder ein Schaufenster ein (= § 303 (1)). 1. Kann er für den Diebstahl bestraft werden? J a / Nein Begründung:

2. Kann er für die Sachbeschädigung bestraft werden? (Aufpassen!) J a / Nein Begründung:

1.3

1. Kinder (= bis zu .jährige) gelten prinzipiell als schuldfähig / prinzipiell als schuldunfähig. Von dieser Regel gibt es Ausnahmen / keine Ausnahmen. 2. Jugendliche (= bis .jährige) sind nur dann schuldfähig, wenn sie zur Zeit der Tat nach ihrer sittlichen u n d geistigen Entwicklung in der Lage sind, (bitte ergänzen!)

3. Über 18jährige sind prinzipiell schuldfähig. Ausnahme: § 1.4

Was verstehen Sie unter einer vorsätzlichen actio Iibera in causa?

Testfragen

214

TE 14

2.2

Bilden Sie selbst einen Fall, in dem ein Vorsatzdelikt in Form einer actio libera in causa begangen wird!

1.5

Zählen Sie mindestens drei Sachverhalte auf, in denen wegen seelischer Störungen die Schuldfähigkeit entfällt!

2.3

Ein schizophrener 12jähriger sticht seiner 4jährigen Schwester mit der Schere die aus (= § 224 (1)).

Augen

Aus welchen beiden Gründen entfällt seine Schuldfähigkeit? 1. 2.

1.6

Nennen Sie mindestens drei Umstände, die zu einer tiefgreifenden Bewußtseinsstörung u n d damit zur Schuldunfähigkeit nach § 20 führen können!

2.4

Grimassen schneidend stolpert der geisteskranke Kuno Plemplem hinter dem schlafwandelnden Somnambul einher. Beide zerschlagen je eine kostbare Vase (= § 303 (1))1. Wird Kuno Plemplem wegen § 303 (1) bestraft? J a / Nein Begründung:

2. Wird Somnambul wegen § 303 (1) bestraft? (Vorsicht! Viele Bearbeiter kommen zwar zun richtigen Ergebnis, geben aber eine falsche Begründung.) J a / Nein Begründung:

TE 14 2.5

Testfragen

215

Um sich Mut für den Apothekeneinbruch (§ 243 (1) ZI) zu machen, fixt Mike Meskalin, was ihn „high" macht. Dann bricht er ein.

zunächst

Welcher der in § 20 geschilderten Sachverhalte liegt vor?

2.6

Sehen Sie im Falle 2.5 dennoch eine Möglichkeit, Mike zu bestrafen? J a / Nein Begründung:

5.1

Lesen Sie § 323 a (1)! Vergleichen Sie mit diesem Delikt die Rechtsfigur der vorsätzlichen actio libero in causa. Es gibt mehrere Übereinstimmungen zwischen beiden Rechtsfiguren. Nennen Sie zwei!

2.7

Blättern Sie bitte zurück auf S. 202 und lesen Sie das Flipper-Beispiel

noch

einmal!

Sie h a t t e n festgestellt, daß Flipper nicht wegen „Gefährlicher Körperverletzung" (§ 223 a (1)) bestraft werden kann. Dennoch bleibt seine Tat nicht straflos. Es besteht die Möglichkeit, ihn wegen Gefährlicher Körperverletzung (§ 223 a (1)) in der Form der actio libera in causa / wegen „Vollrausches" (§ 323 a (1) i.V.m. § 223 a (1)) zu bestrafen. 4.1

Kurz vor Mitternacht torkelt „Otte" Juhnke total betrunken aus einer Pinte in BerlinSteglitz. Es regnet. Verwundert starrt er auf den glänzenden nassen Asphalt und steckt überlegend den Finger in die Nase. Dann zieht er sich splitternackt aus, hebt die Arme wie ein Schwimmer beim Startsprung und springt. „ Verdammt!" schreit er, als er unsanft auf der Nase landet, „Ooch noch gefror'n!" Kann der Betrunkene wegen des Delikts des § 323 a (1) i.V.m. § 223 (1) bestraft werden? J a / Nein Begründung (bitte aufpassen!):

216

Antworten

TE 14

1.1

1. für den Fall der actio libera in causa 2. für § 323 a (1)

1.2

Schuldfähigkeit ist die Fähigkeit, das Unrecht der Tat einzusehen und nach dieser Einsicht zu handeln.

2.1

1. Nein! Felix hat das 14. Lebensjahr noch nicht vollendet. Da er bei Begehung der Tat noch schuldunfähig ist, kann er nicht bestraft werden (§ 19) o.ä. 2. Ja! Inzwischen ist er 14 Jahre alt und damit schuldfähig geworden (§ 19). („Nein!" nur dann, wenn er infolge verzögerter Reife unfähig wäre, das Unrecht seiner Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln; § 3 Satz 1 JGG).

1.3

1. 14jährige; prinzipiell als schuldunfähig; keine Ausnahmen 2. 14 bis 18jährige; das Unrecht der Tat einzusehen und nach dieser Einsicht zu handeln 3. § 20

1.4

Der Täter hat sich mit dem Vorsatz in den Zustand der Schuldunfähigkeit versetzt, in diesem Zustand eine rechtswidrige Tat zu begehen (o.a.).

2.2

Z.B. A betrinkt sich nach Strich und Faden mit dem Vorsatz, B in diesem Zustand zu töten, was er auch tut ( = § 2 1 2 ( 1 ) ) .

1.5

1. 2. 3. 4.

2.3

1. Wegen kindlichen Alters (= unter 14Jahren); § 19. 2. Wegen einer krankhaften seelischen Störung; § 20.

1.6

Z.B. Übermüdung, Medikamentenmißbrauch, Volltrunkenheit, Rauschgifteinwirkung, Schlaflosigkeit, Schock

2.4

1. Nein! Kuno Plemplem ist geisteskrank und daher nicht schuldfähig (§ 20). 2. Nein! Somnambul erfüllt schon nicht den strafrechtlichen Handlungsbegriff!

2.5

Eine „tiefgreifende Bewußtseinsstörung"

2.6

Ja! Und zwar unter dem Aspekt des Diebstahls, begangen in der Form der actio libera in causa; (daneben, d.h. zusätzlich kommt eventuell auch eine Unterbringung in einer Entziehungsanstalt (§ 64(1)) in Betracht.).

5.1

1. Bezüglich des Problems: Es geht in beiden Fällen um das Problem der Schuldfähigkeit. 2. Bezüglich der Vorverlegung des maßgeblichen Zeitpunkts: Denn bei der eigentlichen Durchführung der Tat ist der Täter in beiden Fällen schuldunfähig. 3. Bezüglich des Zwecks: Beide sollen unbillige Straflücken schließen.

2.7

wegen „Vollrausches" (§ 323 a (1) i.V.m. § 223 a (1))

4.1

Nein! Zwar hat sich der Betrunkene offensichtlich in einen seine Schuldfähigkeit ausschließenden Rausch versetzt. Aber in diesem Zustand hat er keine Körperverletzung gemäß § 223 (1) begangen. Denn bloße Selbstverletzungen werden von dieser Vorschrift („einen anderen") nicht erfaßt (o.a.).

krankhafte seelische Störung tiefgreifende Bewußtseinsstörung Schwachsinn schwere andere seelische Abartigkeit

W I

WIEDERHOLUNG 1

217

L e r n z i e l : Diese Einheit dient der Wiederholung und Vertiefung von wichtigen Wissens- und Verständnisfragen der vorangegangenen LE 1 — 14. Sie besteht aus einem Wissenstest und einem Verständnistest. Sie können sich selbst bewerten. Die Bewertungsgrundlagen werden für jeden der beiden Teile gesondert mitgeteilt.

WISSENSTEST:

FRAGEN

A Wichtige Definitionen 1.1

„ S t r a f e " ist ein mit

verbundenes Übel, das (bitte ergänzen!)

1.2

„ R e c h t s g ü t e r " sind (bitte ergänzen!)

1.3

„ U n r e c h t " ist jede Handlung, die (bitte ergänzen!)

1.4

„Rechtfertigungsgriinde" beschreiben die Voraussetzungen, (bitte ergänzen!)

1.5

„ S t r a f t a t " ist jede (bitte ergänzen!)

1.6

„ H a n d l u n g " ist ein menschliches

1.7

„ A u t o m a t i s i e r t e " Handlungen sind (bitte ergänzen!)

das (bitte ergänzen!)

218

Wiederholung 1

W1

1.8

„Subjektive Tatbestandsmerkmale" beziehen sich auf Umstände, die (bitte ergänzen!)

1.9

„Unterlassungsdelikte" sind Delikte, bei denen das Gesetz die mit Strafe bedroht.

1.10 „Erfolgsdelikte" sind Delikte, die (bitte ergänzen!)

Erfolgsdelikte bilden gemeinsam mit den beiden Untergruppen der

delikten die delikte.

1.11 Ein T u n ist Ursache für einen Erfolg im Sinne der (bitte ergänzen!)

theorie, wenn es

1.12 , A n g r i f f " i.S.d. § 32 (2) ist jedes menschliche Verhalten, das (bitte ergänzen!)

1.13 „Schuldfähigkeit" ist die Fähigkeit, das (bitte ergänzen!)

1.14 Man spricht von einer vorsätzlichen „actio 1. sich der Täter (bitte ergänzen!)

", wenn

W1

Wiederholung 1

219

B Sonstige Wissensfragen 1.15 „Sexuelle Handlungen" (z.B. in §§ 174 (1), 174 a (1), 176 (1)) ist ein normativer / deskriptiver Begriff, weil (bitte ergänzen!)

1.16 Im folgenden ist der § 242 (1) in seine einzelnen Elemente zergliedert. Setzen Sie bitte in das Schaubild die richtigen Begriffe ein! Wer eine fremde bewegliche Sache einem anderen wegnimmt in der Absicht, dieselbe sich rechtswidrig zuzueignen (sog. Zueignungsabsicht), wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf J a h r e n bestraft.

1.17 Setzen Sie bitte in das Schaubild die richtigen Begriffe ein! 0

Handlungsbegriff

+

I

Tatbestandsmäßigkeit

+

II

Rechtswidrigkeit

+

III

Schuld

1.18 Qualifizierte Delikte und eines

Delikte werden durch Abwandlung gebildet.

Definieren Sie „qualifiziertes Delikt"!

220

Wiederholung 1

W1

1.19 Tragen Sie in das Schaubild die Unterschiede zwischen Strafen und Maßregeln d.B.u.S. ein!

Strafen

M a ß r e g e l n d.B.u.S.

Zweck Voraussetzung und Grenze Übel Tadel

1.20 Auf welcher Stufe des Fallprüfungsschemas wird die Kausalität geprüft?

1.21 Befindet sich der Täter im Zeitpunkt der im Zustand „tiefgreifender Bewußtseinsstörung", so entfällt der Handlungsbegriff / die Tatbestandsmäßigkeit / die Rechtswidrigkeit / die Schuld. Nennen Sie einen Fall der „tiefgreifenden Bewußtseinsstörung"!

1.22 Grenzen Sie die Begriffe „ T a t o b j e k t " und „Rechtsgut" voneinander ab!

1.23 Geben Sie die beiden Bedeutungen des Schuldprinzips an!

1.24 Zeichnen Sie in das folgende Schaubild die Grobstruktur der Notwehr (§ 32 (2)) ein!

W1

Wiederholung 1

221

1.25 Zeichnen Sie in das folgende Schaubild die gesamte Struktur des rechtfertigenden Notstands (§ 34) ein!

1.26 Tragen Sie in das folgende Schaubild die Elemente der Vorsatzschuld in der richtigen Reihenfolge ein!

1.27 Am 3.5.1944 wurde das deutsche U-Boot U 52 vor den Orkney Islands getroffen. Kapitänleutnant Hansen ließ sofort die vorderen Schotten schließen, um das Boot und seine Besatzung zu retten, obwohl er wußte, daß er dadurch drei im Vorderschiff befindliche Matrosen unweigerlich dem Tode preisgab. Kann sich Hansen auf rechtfertigenden Notstand (§ 34) berufen? J a / Nein Begründung:

222

Wiederholung 1 WISSENSTEST:

W1

ANTWORTEN

Geben Sie sich für jede wörtlich oder zumindest dem Sinne nach richtige Antwort die maximale Punktezahl. Wenn Sie meinen, daß Sie die Frage mindestens zur Hälfte richtig beantwortet haben, geben Sie sich die Hälfte der maximalen PunktezahL Addieren Sie Ihre Punktezahl und vergleichen Sie Ihre Gesamtpunktezahl mit der Notenskala auf S.231. Max. Punkte

Musterantworten „Strafe" ist ein mit Tadel verbundenes Obel, das wegen einer strafbaren Handlung von einem Strafgericht aufgrund und nach Maßgabe der Schuld des Täters verhängt wird.

6

„Rechtsgüter" sind strafrechtlich schutzbedürftige Werte, Einrichtungen und Zustände, die für das geordnete menschliche Zusammenleben unentbehrlich sind.

6

„ U n r e c h t " ist jede Handlung, die gegen die Rechtsordnung als Ganzes verstößt.

2

„Rechtfertigungsgründe" beschreiben die Voraussetzungen, unter denen tatbestandsmäßige Handlungen von der Rechtsordnung gebilligt werden.

4

„ S t r a f t a t " ist jede tatbestandsmäßige, rechtswidrige und schuldhafte Handlung.

2

"Handlung" ist ein menschliches Verhalten, das vom Willen beherrschbar ist.

2

„Automatisierte" Handlungen sind eintrainierte, gleichförmige Verhaltensweisen, bei denen nicht jedes Mal der Wille eingeschaltet wird, die aber jederzeit vom Willen beherrschbar sind.

4

„Subjektive Tatbestandsmerkmale" beziehen sich auf Umstände, die im seelischen Bereich des Täters gelegen sind. (In der Regel beschreiben sie ein bestimmtes Ziel, das der Täter mit seiner Tat erreichen will).

4

„Unterlassungsdelikte" sind Delikte, bei denen das Gesetz die Nichtvornahme eines gebotenen Tuns mit Strafe bedroht.

4

„Erfolgsdelikte" sind Delikte, die den Eintritt einer von der Tathandlung zumindest gedanklich abtrennbaren Wirkung in der Außenwelt voraussetzen. Erfolgsdelikte bilden gemeinsam mit den schlichten Tätigkeitsdelikten die beiden Untergruppen der Begehungsdelikte.

4

Ein Tun ist Ursache für einen Erfolg im Sinne der Äquivalenztheorie, wenn es nicht weggedacht werden kann, ohne daß der Erfolg in seiner konkreten Gestalt entfiele.

2

1.12

„Angriff" ist jedes menschliche Verhalten, das Rechtsgüter beeinträchtigt.

2

1.13

„Schuldfähigkeit" ist die Fähigkeit, das Unrecht der Tat einzusehen und nach dieser Einsicht zu handeln.

2

Summe

44

1.1

1.2

1.3 1.4 1.5 1.6 1.7

1.8

1.9 1.10

1.11

Ihre Punkte

Wiederholung 1

223 Max. Ihre Punkte Punkte

Musterantworten 1.14

Man spricht von einer vorsätzlichen „actio libera in causa", wenn sich der Täter mit dem Vorsatz in den Zustand der Schuldunfähigkeit versetzt hat, in diesem Zustand eine rechtswidrige Tat zu begehen.

1.15

„Sexuelle Handlungen" (z.B. in §§ 174 (1), 174 a (1), 176 (1)) ist ein normativer Begriff, weil er der Ausfüllung anhand einer Werteordnung (nämlich der herrschenden Sittenordnung) bedarf.

1.16

Wer eine fremde bewegliche Sache einem anderen wegnimmt

objektiver = oder gesetzlicher Tatbestand = Tatbestand

in der Absicht, dieselbe sich rechtswidrig zuzueignen (sog. Zueignungsabsicht),

= subjektiver Tatbestand

wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf J a h r e n bestraft. 1.17

1.18

0

:

Tatbestandsmäßigkeit

II

Rechtswidrigkeit

III

Schuld

Delikt, strafbare Handlung (Synonyme)

Strafdrohung

Handlungsbegriff

I

:

:

+

Tat

= rechtswidrige Tat

= Straftat

privilegierte; Grunddelikts Bei einem qualifizierten Delikt knüpft das Gesetz an die Abwandlung des Grunddelikts eine schwerere Streife.

1.19

Strafen

Maßregeln

Zweck

Vergeltung + General- + Spezialprävention

Spezialprävention

Voraussetzung u. Grenze

Schuld des Täters

besondere Gefährlichkeit des Täters

Obel

ja (beabsichtigt)

ja (nicht beabsichtigt)

Tadel

ja

nein Summe

70

Wiederholung 1

224 Musterantworten 1.20

Auf der Stufe I, der Tatbestandsmäßigkeit

1.21

Befindet sich der Täter im Zeitpunkt der Begehung der Tat im Zustand „tiefgreifender Bewufitseinsstötung", so entfällt die Schuld. Anwendungsfälle: Volltrunkenheit, Rauschgifteinwirkung, Medikamentenmißbrauch, Schock, Schlaflosigkeit u.ä.

1.22

„Tatobjekt" ist der Gegenstand, an dem sich der Angriff auf ein geschütztes Rechtsgut in concreto auswirkt. „Rechtsgut" dagegen ist ein ideeller Wert.

1.23

Schuldprinzip bedeutet: 1. Schuld ist Voraussetzung der Strafe. 2. Das Maß der Strafe darf das Maß der Schuld nicht übersteigen.

1.24

Notwehrsituation Notwehr

Notwehrhandlung Verteidigungswille

1.25 Notstandssituation

gegenwärtige Gefahr für irgendein Rechtsgut Unabwendbarkeit der Gefahr auf andere Weise

Rechtfertigender Notstand

Notstandshandlung

wesentliches Oberwiegen des geschützten Interesses angemessenes Mittel

-

Rettungswille

1.26

Schuldfähigkeit

Vorsatzschuld

Vorsatz

_ n

Unrechtsbewufitsein

" u 3. 1.27

Wille, die Gefahr abzuwenden

Keine Entschuldigungsgründe

NeinI Lieben kann nicht gegen Leben abgewogen oder gar aufgerechnet werden. Mithin scheidet rechtfertigender Notstand aus. Ihre Gesamtpunktezahl

W1

Wiederholung 1 VERSTÄNDNISTEST:

225 FRAGEN

2.1

Lesen Sie bitte § 242 (1)! Was bezeichnen Sie bei diesem Tatbestand als Tatobjekt und was als Rechtsgut?

2.2

„Wer tatbestandsmäßig handelt, handelt immer unrecht". Ist diese Behauptung richtig? J a / Nein Begründung:

2.3

Der Geisteskranke G lebt in „wilder Ehe" (Konkubinat). Die „wilde Ehe " war früher strafbar. Ein solches Delikt gibt es heute in Deutschland nicht mehr. 1. Kann G bestraft werden? J a / Nein Begründung:

2. Kann G gemäß § 63 (1) in einem psychiatrischen Krankenhaus untergebracht werden? J a / Nein Begründung (aufpassen!):

2.4

An einem regnerischen Herbsttag fährt Benno Bueble (B) über die stark abschüssige Neue Weinsteige von Degerloch ins Büro nach Stuttgart, als unmittelbar vor ihm ein Motorradfahrer in der Straßenbahnschiene zum Sturz kommt. „Heilig's Blechle", denkt B und tritt sofort auf die Bremse. Er kann aber nicht verhindern, daß er mit seinem Wagen über den Gestürzten hinwegrutscht. Erfüllt die Bremsreaktion des B den Begriff der „Handlung"? J a / Nein Begründung:

2.5

Was ist der Grund dafür, daß für die Notstandshandlung strengere / mildere Maßstäbe als für die Notwehrhandlung gelten?

226

Wiederholung 1

2.6

Lesen Sie bitte § 249 (1)! Ordnen Sie die Tatbestandsmerkmale dieses Delikts in das nachfolgende Schaubild der Tatbestandsmerkmale ein! objektiv

subjektiv

mehr deskriptiv

W1

mehr normativ

geschrieben

ungeschrieben

Wer mit Gewalt etc. fremde bewegliche Sache wegnehmen Zueignungs absieht

2.7

Wie lautet der gesetzliche (= objektive) Tatbestand des § 249 (1)?

2.8

Ordnen Sie die nachfolgend angegebenen Delikte den jeweiligen Deliktsgruppen des Schaubildes zu! Begehungsdelikt

Unterlassungsdelikt

Erfolgsdelikt

Tätigkeitsdelikt

entfällt

entfällt

Vorsatzdelikt

Fahrlässigkeitsdelikt

§ 309 1. Halbsatz § 249 (1) § 323 c § 239 (1) § 222 § 154(1)

2.9

Sind Kausalität u n d Schuld dasselbe? (Hilfe: Um welche Frage geht es bei der Kausalität und um welche bei der Schuld?) J a / Nein Begründung:

Wiederholung 1

227

2.10 Beim Abschlußtraining zur Hahnenkammabfahrt kollidiert der österreichische Favorit und Weltcupleader Karl K („Downhill-Charly ") mit dem Zuschauer Z, der reglementswidrig die „Streif" überquert. Z erleidet einen Beinbruch. Der Lenker des Krankenwagens (L), mit dem Z ins Spital transportiert wird, prallt infolge überhöhter Geschwindigkeit gegen einen Baum. Dabei wird Z getötet. Kein Zweifel, daß L den Tod des Z verursacht hat. Hat aber auch K den Tod des Z i.S.d. theorie verursacht? J a / Nein Begründung:

2.11 Mit dem fremden Karnickel in der Hand rennt der Dieb D aus dem Stall des E auf die Straße. E setzt sich in seinen Wagen und fährt D nieder, um sein Kaninchen zu retten. 1. Ist der Angriff des D auf das Eigentum des E noch „gegenwärtig"? J a / Nein Begründung:

2. Ist diese Verteidigung „erforderlich"? J a / Nein Begründung:

2.12 A greift ohne Grund den B an. C sieht dies und sagt sich: „Ob B Prügel bekommt, ist mir gleichgültig. A ber eine so günstige Gelegenheit, dem A einen Denkzettel zu verpassen, kommt so schnell nicht wieder." Darum streckt er den A mit einem Fausthieb zu Boden. Kommt für C Nothilfe in Betracht? J a / Nein Begründung:

2.13 Notwehr und rechtfertigender Notstand unterscheiden sich in mehreren Punkten. Geben Sie mindestens drei dieser Unterschiede an!

228

Wiederholung 1

2.14 Der strafrechtliche Schuldvorwurf orientiert sich am Leitbild (Menschenbild) des Dem Täter wird vorgeworfen, daß er nicht so gehandelt hat, (bitte ergänzen!)

2.15 Der strafrechtliche Schuldvorwurf bei der Vorsatzschuld hat einen ganz speziellen Inhalt. Mit der Vorsatzschuld wird dem Täter vorgeworfen, (bitte ergänzen!)

2.16 Ordnen Sie die nachfolgend angeführten Umstände danach, ob sie den strafrechtlichen Handlungsbegriff oder die Schuldfähigkeit betreffen!

Handlungsbegriff

Schuldfähigkeit

Schwachsinn Vollnarkose Volltrunkenheit Bloßer Körperreflex Verzögerte Reife Hochgradige Affekte Vis absoluta Schizophrenie Bewußtlosigkeit Schwere Neurosen

2.17 Ein führerloser PKW ist von allein ins Rollen gekommen und droht ein spielendes Kind zu überfahren. A rammt den PKW mit seinem Bulldozer und rettet das Kind dadurch vor dem sicheren Tod. Wäre der Eigentümer E des PKW durch Notwehr gerechtfertigt, wenn er A vom Bulldozer schießen würde, um seinen PKW vor Beschädigung zu schützen? J a / Nein Begründung: (Gut überlegen!)

2.18 Ein Schwabe kommt jessasmäßig besoffen nach Hause. Bevor seine Frau den Mund zu einer Strafpredigt auftun kann, haut er ihr donderschlächtig aufs Maul. Sie kleinlaut: „Aber i han doch gar nix gsagt." Er: „ Aber wella!" Nehmen Sie an, Sie hätten diese Tat als Staatsanwalt anzuklagen. Es wäre Anklage zu erheben wegen vorsätzlicher Körperverletzung (§ 223 (1)) / wegen vorsätzlicher Körperverletzung (§ 223 (1)) in der Form der actio libera in causa / wegen Vollrausches (§ 323 a (1) i.V.m. § 223 (1)).

W1

Wiederholung 1 VERSTÄNDNISTEST:

229 ANTWORTEN

Für jede richtige Antwort können Sie sich je nach Richtigkeit, Vollständigkeit und Güte maximal die jeweils angegebene Punktezahl notieren. Für halb richtige Antworten geben Sie sich die Hälfte der maximalen Punktezahl. Addieren Sie die von Ihnen erreichten Punkte und vergleichen Sie Ihre Gesamtpunktezahl mit der anschließenden Notenskala. Max. Punkte

Musterantworten 2.1

Tatobjekt des § 242 (1) ist die gestohlene fremde Sache (z.B. die Geldbörse). Rechtsgut dagegen ist Eigentum.

2.2

Nein! Es kann ein Rechtfertigungsgrund vorliegen. Dann ist die Tat kein Unrecht.

2.3

1. Nein! Seine Bestrafung verstößt gegen § 1 1. Halbsatz. Nulla poena sine lege. (Die Antwort: „Nein, mangels Schuld" zählt nicht und ist falsch, weil strafrechtliche Schuld mindestens eine tatbestandsmäßige und rechtswidrige Handlung voraussetzt!) 2. Nein! § 1 1. Halbsatz gilt auch für die Verhängung von Maßregeln d.B.u.S. Oder: § 63 (1) setzt eine rechtswidrige Tat voraus.

2.4

J a ! Kein bloßer Körperreflex. Der Tritt auf die Bremse ist vielmehr eine automatisierte Handlung. Sie ist vom Willen beherrschbar. Der Autofahrer hätte auch anders reagieren können.

2.5

Strengere Maßstäbe. Denn häufig werden durch die Notstandshandlung Rechtsgüter unbeteiligter Personen in Mitleidenschaft gezogen.

2.6 obj.

mehr deskr.

mehr norm.

geschr.

X

mit Gewalt etc.

X

X

X

fremde

X

X

X

bewegliche

X

X

X

Sache

X

X

X

wegnehmen

X

X

X

ungeschr.

X

Wer

Zueignungsabsicht 2.7

subj.

X

X

X

X

Wer mit Gewalt gegen eine Person etc. eine fremde bewegliche Sache einem anderen wegnimmt.

Summe

24

Ihre Punkte

Wiederholung 1

230

Max. Punkte

Musterantworten 2.8

Begeh.- Unterl.- Erfolgs- Tätigk.- Vorsatz- Fahrl.delikt delikt delikt delikt delikt delikt § 309 1. Halbsatz

X

X

§ 249 (1)

X

X

§ 323 c

X

entf.

§ 239 (1)

X

X

§ 222

X

X

§ 154(1)

X

X X entf.

X X X

X

X

2.9

Nein! Bei der Frage der Kausalität geht es um einen Aspekt des Unrechts (Kausalität = objektives Tatbestandsmerkmal). Bei der Schuld geht es um die Vorwerfbarkeit einer rechtswidrigen Tat.

2.10

Äquivalenztheorie. Ja! Ohne Anfahren kein Krankentransport. Ohne Krankentransport kein Unfall. Mithin kann das Anfahren des Z durch K nicht weggedacht werden, ohne daß der Tod des Z entfiele. (Eine ganz andere Frage ist es, ob K diesen Tod des Z auch verschuldet hat.)

2.11

1. Ja! Denn der Angriff dauert noch an. 2. Nein! Diese Verteidigung ist unter den verfügbaren Mitteln nicht das schonendste, den Angriff sofort und endgültig abzuwehren.

2.12

Nein! Zwar liegt ein gegenwärtiger rechtswidriger Angriff auf einen Dritten vor. Die Verteidigungshandlung ist der Art und der Intensität des Angriffs angemessen. Dennoch keine Nothilfe. C handelt ohne Verteidigungswillen. Die Lösung dieses Falles ist aber strittig.

2.13

Notwehr

Rechtfertigender Notstand

1.

1.

2.

Notwehrsituation

Notstandssituation

Angriff auf irgendein Rechtsgut

Gefahr für irgendein Rechtsgut

gegenwärtig

gegenwärtig

rechtswidrig

diese Einschränkung entfällt

Notwehrhandlung

2.

erforderliche Verteidigung

Notstandshandlung Unabwendbarkeit der Gefahr auf andere Weise wesentliches Überwiegen des geschützten Interesses angemessenes Mittel

3. Verteidigungswille

3.

Rettungswille

Summe

Wiederholung 1

231

Musterantworten 2.14

mafigerechten Menschen. Dem Täter wird vorgeworfen, daß er nicht so gehandelt hat, wie an seiner Stelle ein maßgerechter Mensch gehandelt hätte.

2.15

Mit der Vorsatzschuld wird dem Täter vorgeworfen, daß er sich willentlich gegen das Recht und für das Unrecht entschieden hat.

2.16

Handlungsbegriff

Schuldfähigkeit X

Schwachsinn X

Vollnarkose Volltrunkenheit Bloßer Körperreflex

X X

Verzögerte Reife

X

Höchstgradige Affekte

X

Vis absoluta

X

Schizophrenie Bewußtlosigkeit

X X

Schwere Neurosen

X

2.17

Nein! Zwar läge ein Angriff des A auf das Eigentum des E vor. Aber dieser Angriff ist nicht rechtswidrig, da er durch rechtfertigenden Notstand (Rettung des Kindes) gedeckt ist. Gegen einen rechtmäßigen Angriff gibt es keine Notwehr.

2.18

wegen Vollrausches (§ 323 a (1) i.V.m. § 223 (1)), wenn Sie annehmen, daß unser wackerer Schwabe bis zur Schuldunfähigkeit betrunken war; sonst wegen vorsätzlicher Körperverletzung (§ 223 (1)). Ihre Gesamtpunktezahl

Notenskala für den Wissenstest über 85 = sehr gut 70 - 84 = gut 55 — 69 = befriedigend 40 — 54 = ausreichend 0 — 39 = nicht genügend

Notenskala für den Verständnistest über 65 = sehr gut 52 - 64 = gut 39 — 51 = befriedigend 26 - 38 = ausreichend 0 — 25 = nicht genügend

VORSATZ

232

LE 15

L e r n z i e l : Sie sollen Begriff und Arten des Vorsatzes kennen und mit den entsprechenden Definitionen umgehen lernen. Der Schwerpunkt dieser LE liegt auf den verschiedenen Einteilungen des „Vorsatzes". Hinzu kommt eine weitere Deliktsgruppe, die „Absichtsdelikte". „ V o r s a t z " bezeichnet eine bestimmte Schuldform. Es handelt sich beim Vorsatz u m die (1) Schuldform der delikte. Das StGB verwendet d e n Begriff „ V o r s a t z " an zahlreichen Stellen (z.B. §§ 15, 16 (1) u n d (2), 26, 27 (1), 3 3 0 a (1)). A b e r es definiert ihn nicht, sondern überläßt seine Festlegung Wissenschaft u n d Praxis. Das Lernprogramm legt (vgl. bereits LE 13) die folgende Definition des Vorsatzes zugrunde: Vorsätzlich handelt, wer einen Sachverhalt verwirklichen will, der einem gesetzlichen T a t b e s t a n d entspricht. Lesen Sie diese Definition mehrfach und prägen Sie sie sich wörtlich ein! Sie erinnern sich: (2) Gesetzlicher T a t b e s t a n d ist die S u m m e aller objektiven Tatbestandsmerkmale / aller objektiven u n d subjektiven Tatbestandsmerkmale eines Delikts. (3) Wie lautet der gesetzliche T a t b e s t a n d des Totschlags (§ 212 (1))?

Demnach handelt vorsätzlich im Sinne des Totschlags, wer „einen Menschen t ö t e n will". Teil legt an, um seinem Sohn den Apfel vom Haupt zu schießen. Apfel und trifft seinen Sohn tödlich.

Diesmal verfehlt er den

(4) Teil hat, k o n k r e t mit den Worten des § 212 (1) formuliert, „einen Menschen / keinen Menschen w ". Man kann dasselbe aber auch abstrakt mit der Formel der obigen Vorsatzdefinition ausdrücken: (5) Tel] hat einen Sachverhalt / keinen Sachverhalt verwirklichen der d e m gesetzlichen T a t b e s t a n d des § 212 (1) entspricht. (6) Teil hat seinen Sohn somit vorsätzlich getötet / nicht vorsätzlich getötet. Ob Teil seinen S o h n fahrlässig getötet hat, ist eine andere, hier nicht zu erörternde Frage. Sie kann o h n e Vorgriff auf den Fahrlässigkeitsbegriff (LE 25 bis 27) nicht b e a n t w o r t e t werden.

LE 15

233

Vorsatz

(1) Vorsatzdelikte (2) aller objektiven Tatbestandsmerkmale (3) „Wer einen Menschen tötet" (4) keinen Menschen töten wollen (5) keinen Sachverhalt; wollen (6) nicht vorsätzlich getötet (1)

Vorsätzlich handelt, wer einen Sachverhalt verwirklichen der einem bestimmten gesetzlichen Tatbestand entspricht, d.h. sämtliche objektiven / subjektiven Tatbestandsmerkmale dieses Delikts umfaßt. Bei der Geburt wurde Horst im Krankenhaus vertauscht. Zwanzig Jahre später verliebt er sich in Bettina und verkehrt mit ihr. Er ahnt nicht, daß Bettina seine leibliche Schwester ist. In Betracht kommt Beischlaf zwischen Verwandten (§ 173 (2) Satz 2). Lesen Sie § 173 (2) Satz 2 und subsumieren Sie sogleich mit!

(2) Horst hat mit seiner leiblichen Schwester den Beischlaf vollzogen. Damit ist der gesetzliche des § 173 (2) Satz 2 erfüllt / nicht erfüllt. Eine ganz andere Frage ist es, ob Horst mit dem Vorsatz der Blutschande gehandelt hat. Ohne Zweifel: Horst hat mit einer Frau den Beischlaf vollziehen wollen. Umfaßt dieser Vorsatz sämtliche objektiven Tatbestandsmerkmale des § 173 (2) Satz 2? (3) J a / Nein Begründung:

(4) Da Horst vorsätzlich / somit nicht vorsätzlich gehandelt hat, ist er gemäß § 173 (2) Satz 2 zu bestrafen / kann er gemäß § 173 (2) Satz 2 nicht bestraft werden. Der zerstreute Professor nimmt aus der Garderobe einen fremden mit, es sei sein eigener.

Schirm in der Meinung

Lesen Sie § 242 (1) sorgfältig und beantworten Sie die Frage: Umfaßt der Vorsatz des Professors sämtliche objektiven Tatbestandsmerkmale des Diebstahls? (5) J a I Nein Begründung:

Wir fassen zusammen und wiederholen! (6) Vorsätzlich handelt, wer einen einem bestimmten (7) muß der Vorsatz sämtliche Delikts umfassen.

verwirklichen der entspricht. Und zwar Tatbestandsmerkmale des betreffenden

234

Vorsatz

LE 15

(1) will; objektiven (2) Tatbestand; erfüllt (3) Nein! Der Sachverhalt, den Horst hat verwirklichen wollen, umfaßt zwar einige, aber nicht sämtliche objektiven Tatbestandsmerkmale des § 173 (2) Satz 2. Denn er hat nicht mit seiner Schwester verkehren wollen (o.a.). (4) somit nicht vorsätzlich; kann er gemäß § 173 (2) Satz 2 nicht bestraft werden (5) Nein! Er hat seine eigene Sache an sich nehmen, mithin keine fremde wegnehmen wollen, wie es der gesetzliche Tatbestand des Diebstahls voraussetzt (o.a.). Außerdem fehlt die Zueignungsabsicht. Aber danach war nicht gefragt. (6) Sachverhalt; will; gesetzlichen Tatbestand (7) sämtliche objektiven

Der Vorsatz besteht aus zwei K o m p o n e n t e n , d e m Wissen u n d d e m Wollen. (1) Die Vorsatzdefinition des Lernprogramms n i m m t mit den Worten „verwirklichen ausdrücklich auf die k o m p o n e n t e des Vorsatzes Bezug. Die Wissenskomponente ist j e d o c h mittelbar in dieser Definition enthalten. (2) D e n n jedes „Wollen" setzt d e n k n o t w e n d i g zunächst ein entsprechendes „W voraus; was m a n nicht kann m a n nicht (3) Vorsatz =

Wissen plus der Verwirklichung eines

Wollen

entspricht. (4)

Sowohl das als auch das bestandsmerkmale des Delikts umfassen. A richtet

seinen Revolver

auf die Brust des ihm verhaßten

m u ß sämtliche objektiven Tat-

B und drückt ab. B ist sofort

tot.

Der Sachverhalt, u m den es hier geht, das Erschießen des B, entspricht sämtlichen objektiven T a t b e s t a n d s m e r k m a l e n (= dem gesetzlichen Tatbestand) des § 212 (1), nämlich d e m (5) eines ". V o n diesem Sachverhalt hat A eine feste Vorstellung. Er weiß, daß der Schuß z u m T o d e (6) des B f ü h r t . Genau das will A auch. Da sowohl die k o m p o n e n t e als auch die Wollenskomponente des (Tötungs-) Vorsatzes gegeben sind, h a t A vorsätzlich gehandelt. Im Falle des Beischlafes, den Horst mit seiner Schwester Bettina vollzogen hat, entfallen (7) bezüglich des Tatbestandsmerkmals „ S c h w e s t e r " beide K o m p o n e n t e n des Vorsatzes / nur die Wissenskomponente / nur die Wollenskomponente. (8) Begründen Sie Ihre eben getroffene Entscheidung!

Begründen Sie dieselbe Entscheidung n u n m e h r u n t e r Verwendung der Vorsatzdefinition (9) des Lernprogramms! Horst hat nicht vorsätzlich gehandelt, weil er (bitte ergänzen!)

235

Vorsatz

LE 15

(1) will; Wollenskomponente (2) „Wissen"; weiß ¡wollen (3) Sachverhalts; gesetzlichen Tatbestand (4) Wissen; Wollen (5) „Töten eines Menschen" (6) Wissenskomponente (7) beide Komponenten des Vorsatzes (8) Horst weiß nicht, daß er mit seiner Schwester verkehrt. Wissen ist denknotwendige Voraussetzung des Wollens. Daher entfallen beide Vorsatzkomponenten (o.a.). (9) keinen Sachverhalt verwirklichen wollte, der dem gesetzlichen Tatbestand des § 173 (2) Satz 2 entspricht

Im folgenden wollen wir die beiden Komponenten des Vorsatzes näher betrachten und analysieren. Zunächst die Wissenskomponente. Um 9.30 h drückt Abdullah el Gamal, ein arabischer Freischärler, auf den Knopf seines Sprenggeräts und jagt die Schule des Kibbuz in die Luft. In einem großen Automobilwerk drückt der Fließbandarbeiter Franz Meier alle 12 Sekunden einen Knopf, der eine Lochstanze in Bewegung setzt. Beide betätigen einen Knopf. Beide wissen dies auch. Es ist ihnen jedoch in unterschiedlichem Grade bewußt. In Anlehnung an eine Richtung in der Psychologie unterscheidet die moderne Strafrechtslehre verschiedene Bewußtheitsgrade des Vorsatzes. Den Bedürfnissen des Strafrechts (1) genügen die beiden folgenden Bewußtheitsgrade des : aktuelles Wissen und Mitbewußtsein. (2) Der stärkere Bewußtheitsgrad des Vorsatzes ist das zeichnend für diesen Bewußtheitsgrad ist das „Darandenken".

Wissen. Kenn-

Beispiel: Der LKW-Fahrer L sieht auf seiner Fahrbahn einen großen Pappkarton liegen. Wegen der in der Nähe spielenden Kinder sagt er sich zwar, daß sich vielleicht ein Kind in der Schachtel versteckt haben könnte, weist aber diesen Gedanken gleich wieder von sich und fährt über den Karton hinweg. Tatsächlich befand sich der 5jährige Harald in der Schachtel. Er ist jetzt tot. (3) In diesem Fall hat L daran gedacht / nicht daran gedacht, daß er einen Sachverhalt verwirklichen könnte, der dem T eines Tötungsdelikts entspricht. (4) Bezüglich des Bewußtheitsgrades des Vorsatzes des L liegt somit vor. Steht damit bereits fest, daß L vorsätzlich gehandelt hat? J a / Nein Begründung: (Denken Sie daran, daß der Vorsatz aus zwei Komponenten (5) besteht!)

LE 15

Vorsatz

236

(1) Vorsatzes (2) aktuelle (3) daran gedacht; gesetzlichen Tatbestand ( 4 ) aktuelles Wissen (5) Nein! Zum Vorsatz gehört weiter die Wollenskomponente. Diese muß erst noch untersucht werden.

Der schwächere Bewußtheitsgrad des Vorsatzes ist das Mitbewußtsein. Es kommt häufig vor, daß der Täter an bestimmte Fakten des Sachverhalts nicht explizit (1) denkt. Nach den ganzen Begleitumständen der Tat sind sie ihm aber durchaus b In der Universitätsbibliothek reißt der Student S heimlich eine Seite aus einer BGH-Entscheidung, um sich das lästige Exzerpieren zu ersparen (= gemeinschädliche Sachbeschädigung i.S.d. § 304 (1)). S mag nicht ausdrücklich daran gedacht haben, daß er damit einen „Gegenstand der Wissenschaft" beschädigt, „der in einer öffentlichen Sammlung aufbewahrt wird". Dieser Umstand konnte ihm aber nicht verborgen geblieben sein und war ihm daher, zumindest am Rande, durchaus mitbewußt. (2)

Insoweit liegt bei S, wenn schon kein wenigstens M

so doch vor.

Der „rote Schorsch" wird anläßlich einer „Hausbesetzung" im Frankfurter Bockenheim festgenommen. Als er den Polizisten als „Scheißbulle" und beschimpft, gehen diesem die Nerven durch. Er schlägt zu.

Stadtteil „Stinkstiefel"

Natürlich denkt der Polizist in diesem Moment nicht explizit daran, daß er „Beamter" ist. Dennoch „weiß" er um seine Stellung als Beamter. Seine Beamteneigenschaft ist ihm zumindest latent bewußt. Zwischen „aktuellem Wissen" und bloßem „Mitbewußtsein" lassen sich naturgemäß keine scharfen Grenzen ziehen. Wesentlich erscheint jedoch, und dies ist festzahalten, daß das (3) Mitbewußtsein die unterste Grenze dessen darstellt, was man von der komponente her noch als bezeichnen kann. Der LKW-Fahrer L fährt über den Pappkarton hinweg, ohne daß ihm der mindeste danke käme, darin könne sich ein Kind versteckt haben. (4)

Ge-

L hat ein Kind getötet. „Daran gedacht" hat er nicht. Von einem " kann somit keine Rede sein. Aber auch bloßes „Mitbewußtsein" scheidet aus. Einmal hat L begleitende Wahrnehmungen gerade nicht gemacht. Die Vorstellung, daß sich ein Kind in der auf der Straße liegenden Schachtel versteckt haben könnte, gehört auch nicht zu dem bei jedem Autofahrer latent vorhandenen Wissen.

(5)

Mit der Wissenskomponente entfällt zugleich die W

(6)

L hat das Kind folglich vorsätzlich / nicht vorsätzlich getötet.

(7)

Erklären Sie „Mitbewußtsein"!

komponente.

Vorsatz

LE 15

237

(1) bewußt (2) aktuelles Wissen; Mitbewußtsein (3) Wissenskomponente; Vorsatz (4) „aktuellen Wissen" (5) Wollenskomponente (6) nicht vorsätzlich (7) Bestimmte Fakten des Sachverhalts sind dem Täter latent oder nach den Begleitumständen durchaus bewußt (o.ä.). Nun zur Wollenskomponente des Vorsatzes. Nach der Intensität des verbrecherischen Willens unterscheidet m a n drei Stärkegrade des Vorsatzes: bedingter Vorsatz ( S y n o n y m : dolus eventualis), Wissentlichkeit u n d Absichtlichkeit (1) Wegen ihrer großen praktischen Bedeutung werden diese drei Stärkegrade des im folgenden definiert. Es wird e m p f o h l e n , sich diese Beschreibungen möglichst wörtlich einzuprägen! Beginnen wir mit dem bedingten Vorsatz. (2) Der „bedingte V o r s a t z " ( S y n o n y m : ") bezeichnet aus der Sicht der k o m p o n e n t e die Untergrenze des Vorsatzes. Jenseits des bedingten Vorsatzes beginnt die Fahrlässigkeit. Mit bedingtem Vorsatz handelt, wer es ernstlich für möglich hält, daß er einen Sachverhalt verwirklicht, der einem gesetzlichen Tatbestand entspricht u n d sich damit abfindet. Der Jäger Hubertus hört es im Gebüsch rumoren und denkt:,,Eine Wildsau? Vielleicht aber auch ein Spaziergänger! Und wenn schon. Spaziergänger haben hier eben nichts zu suchen". Er drückt ab. Tödlich getroffen sinkt der Wandervogel Freddy Laetus zu Boden.

(3)

Hubertus hat mit bedingtem Vorsatz getötet, weil er es (nach nochmaliger Lektüre der Definition b i t t e selbst ergänzen!) daß er einen Menschen t ö t e t u n d sich damit hat. Im obigen Beispiel (S. 235) hatte der LKW-Fahrer L sich zwar gesagt, daß sich vielleicht ein Kind in der Schachtel versteckt haben könnte. Er hatte den Gedanken aber gleich wieder von sich gewiesen und war über den Karton hinweggefahren.

(4) Hat L den J u n g e n mit dolus (5) J a / Nein Begründung:

getötet?

Vorsatz

238

LE 15

(1) Vorsatzes (2) dolus eventualis; Wollenskomponente (3) ernstlich für möglich gehalten hat; abgefunden (4) eventualis (5) Nein! L hat die Tötung des Kindes nicht emstlich für möglich gehalten, geschweige denn sich damit abgefunden. Denn er sagt sich: „Es wird schon nicht" (o.a.). Eventuell kommt fahrlässige Tötung in Betracht. Die meisten Delikte des StGB sind, wie sich aus ihrem Wortlaut i.V.m. der allgemeinen (1) R e g e i d e s § 15 ergibt, Fahrlässigkeitsdelikte / Vorsatzdelikte. In engem Z u s a m m e n h a n g mit § 15 steht eine weitere wichtige Regel: Bei den meisten Vorsatzdelikten genügt bezüglich des StärkegTades des Vorsatzes bedingter Vorsatz. Aus § 15 i.V.m. dieser im StGB nicht ausdrücklich verankerten Regel folgt z.B., daß auch (2) derjenige wegen Totschlags (§ 212 (1)) zu bestrafen ist, der einen anderen nur mit Vorsatz getötet hat. Entsprechendes gilt für Diebstahl (§ 242 (1)), Freiheitsberaubung (§ 239 (1)), Sachbeschädigung (§ 3 0 3 (1)) u n d die meisten anderen Vorsatzdelikte. (3) In der Regel genügt d Es gibt aber A u s n a h m e n ! Bei einigen Delikten f o r d e r t das StGB ausdrücklich einen über den bedingten Vorsatz hinausgehenden intensiveren Vorsatz. Hierfür verwendet das StGB vorzugsweise den Begriff Wissentlichkeit. Wissentlich handelt, wer weiß oder als sicher voraussieht, daß er einen U m s t a n d verwirklicht, für den das Gesetz wissentliches Handeln voraussetzt. Zu jenen Delikten, bei d e n e n das StGB ausdrücklich zwischen den verschiedenen Stärkegraden des Vorsatzes differenziert, gehört z.B. der Aus Wanderungsbetrug (§ 144).

(4)

Für welches objektive Tatbestandsmerkmal ( „ U m s t a n d " ) verlangt das StGB bei diesem Delikt ausdrücklich „Wissentlichkeit"? (Bitte § 1 4 4 sorgfältig lesen!)

(5)

Hinsichtlich der übrigen objektiven Tatbestandsmerkmale des § 144, z.B. hinsichtlich der Tatsache, daß der zur Auswanderung Verleitete Deutscher ist, genügt nach der oben dargestellten Regel Am 1. April leistet sich der Münsteraner Student Robert Wittkamp (W) einen Jux. Er alarmiert das Überfallkommando: „Hilfe! Über den Prinzipalmarkt schleicht ein roter Löwe!" Wider Erwarten nimmt der Beamte diesen Anruf ernst. Das Überfallkommando rückt aus. Das grundlose Alamieren des Uberfallkommandos ist „Mißbrauch eines N o t r u f e s " i.S.d. § 145 (1) Z 1.

(6)

W h a t als sicher / nicht als sicher vorausgesehen, d a ß der Beamte seinen Anruf als echten „ N o t r u f " a u f f a ß t u n d daher wissentlich / nicht wissentlich gehandelt.

LE 15 (1) (3) (5) (6)

Vorsatz

239

Vorsatzdelikte (2) bedingtem Vorsatz bzw. dolus eventualis dolus eventualis (4) Bezüglich der „unbegründeten Angaben" bedingter Vorsatz bzw. dolus eventualis nicht als sicher vorausgesehen; nicht wissentlich (W ist straflos!)

Der intensivste Stärkegrad des Vorsatzes wird vom StGB als Absichtlichkeit bezeichnet. Absichtlich handelt, wem es darauf ankommt, einen Umstand zu verwirklichen, für den das Gesetz absichtliches Handeln voraussetzt. „Absichtlichkeit" verlangt das StGB ebenfalls nur bei vereinzelten Delikten. Nehmen wir das Delikt der „Störung einer Bestattungsfeier" (§ 167 a). Bei diesem Delikt fordert der Gesetzgeber für ein bestimmtes Tatbestandsmerkmal aus(1) drücklich keit" oder „ keit" und läßt damit erkennen, daß nicht genügt. (2) Für welches Tatbestandsmerkmal? (§ 167 a bitte sorgfaltig lesen!) (3) Für die übrigen objektiven Tatbestandsmerkmale des § 167 a dagegen genügt Wir wiederholen und prägen uns ein! (4) Vorsätzlich handelt, wer einen Sachverhalt (bitte ergänzen!)

(5) Bezüglich des Vorsatzes sind

Stärkegrade zu unterscheiden:

(6) Mit bedingtem Vorsatz handelt, wer es für m hält, daß er einen Sachverhalt verwirklicht, der einem gesetzlichen Tatbestand entspricht und sich damit (7) Bezüglich des Stärkegrades des Vorsatzes genügt in der Regel Ausnahmen gelten nur für jene Vorsatzdelikte, bei denen das Gesetz ausdrücklich eine (8) intensivere Form des Vorsatzes verlangt, nämlich entweder oder (9) Wissentlich handelt, wer w oder als s voraussieht, daß er einen Umstand verwirklicht, für den das Gesetz wissentliches Handeln voraussetzt. (10) Absichtlich handelt, wem es d a. für den das Gesetz absichtliches Handeln voraussetzt.

einen Umstand zu verwirklichen,

Im Juni wählt Robert Wittkamp (W) die 112 und alarmiert grundlos die Feuerwehr: „Bei 'Pinkus Müller' in der Kreuzstraße brennt's". Diesmal spekuliert W richtig. Die Feuerwehr kommt. (11) Bezüglich dieses Notrufes hat W mit bedingtem Vorsatz / wissentlich / absichtlich gehandelt. (12) Begründen Sie Ihre Ansicht!

240

Vorsatz (1) (3) (4) (5) (7) (9) (11) (12)

il)

LE 15

Absichtlichkeit oder Wissentlichkeit; bedingter Vorsatz (2) Nur für das Stören bedingter Vorsatz bzw. dolus eventualis verwirklichen will, der einem gesetzlichen Tatbestand entspricht drei (6) ernstlich für möglich hält; abfindet dolus eventualis (8) Wissentlichkeit; Absichtlichkeit weiß; sicher (10) darauf ankommt absichtlich (mindestens aber wissentlich) Es ist W darauf angekommen, dafi die Feuerwehr seinen Anruf als „ N o t r u f auffaßt und entsprechend „reagiert" (o.a.).

Das StGB verwendet d e n Begriff Absichtlichkeit bzw. Absicht aber nicht nur zur KennZeichnung der intensivsten Form des sondern auch als subjektives Tatb e s t a n d s m e r k m a l bei d e n sog. Absichtsdelikten. Als Absichtsdelikte ( S y n o n y m : Delikte m i t überschießender Innentendenz) bezeichnet man j e n e Delikte, bei d e n e n der Täter in einer bestimmten, über die Verwirklichung des gesetzlichen Tatbestandes hinausreichenden („überschießenden") Absicht handeln m u ß .

(2) Im StGB f i n d e n sich zahlreiche

delikte.

Beispiel: Diebstahl (§ 242 (1)). Der Diebstahlsvorsatz besteht darin, daß der Täter eine f r e m d e bewegliche Sache weg(3) n e h m e n w Die über d e n objektiven Tatbestand hinausgehende = überschießende I n n e n t e n d e n z (4) besteht beim Diebstahl darin, daß der Täter darüber hinaus mit der handeln m u ß , (§ 242 (1) bitte lesen und ergänzen!)

"

Daß der Täter d e n angestrebten Erfolg auch tatsächlich erreicht, gehört nicht mehr z u m T a t b e s t a n d des Absichtsdelikts. (5)

Sind Absichtsdelikte Begünstigung (§ 257 (1))? Ja / Betrug (§ 2 6 3 (1))? Ja / Sachbeschädigung (§ 3 0 3 (1))? Ja / Urkundenunterdrückung ( § 2 7 4 ( l ) Z l ) ? J a /

Nein Nein Nein Nein

Für d e n Stärkegrad der Absicht bei den Absichtsdelikten gilt im allgemeinen die Definition der Absichtlichkeit beim Vorsatz. (6)

Mit der Absicht i.S.d. Absichtsdelikte handelt daher, wem es den Erfolg herbeizuführen, für den das Gesetz absichtliches Handeln voraussetzt.

Wer eine f r e m d e bewegliche Sache wegnimmt, begeht folglich n u r dann einen Diebstahl, (7) w e n n es ihm darauf a n k o m m t (bitte § 242 (1) lesen u n d ergänzen!)

LE 15 (1) (4) (5) (6)

Vorsatz

241

Vorsatzes (2) Absichtsdelikte (3) will Absicht, dieselbe (d.h. Sache) sich rechtswidrig zuzueignen Begünstigung, Betrug und Urkundenunterdriickung: J a ! Sachbeschädigung: Nein! darauf ankommt (7) dieselbe sich rechtswidrig zuzueignen

Mit der Zueignungsabsicht u.a. beim Diebstahl sind Sie in dieser LE nicht zum ersten Mal konfrontiert worden. Die Zueignungsabsicht ist Ihnen erstmals in der LE 8 im Rahmen der Gegenüberstellung von objektiven und subjektiven Tatbestandsmerkmalen begegnet. (1) Sie hatten gelernt, daß die Zueignungsabsicht ein Tatbestandsmerkmal ist. Daran hat sich nichts geändert. Die Absicht beim Diebstahl und bei allen anderen Delikten (2) mit ü tendenz ist subjektives Tatbestandsmerkmal. Sie gehört also zu den Bausteinen des tatbestandlichen Unrechts und ist daher aufbau(3) mäßig unter I / II / III zu prüfen. Etwas anderes gilt für die Schuldform Vorsatz (bedingter Vorsatz, Wissentlichkeit, Absichtlichkeit). Die Schuldform Vorsatz ist ein Schuldelement und aufbaumäßig daher (4) unter I / II / III zu prüfen. Halten Sie somit fest! Psychologisch besteht zwischen der „Absicht" bei den Absichtsdelikten und der Schuldform „Absichtlichkeit" kein Unterschied. Die Definition der Absichtlichkeit gilt daher (5) auch für die Absicht bei den delikten. Wesens- und somit auch aufbaumäßig gehört die Absicht bei den Absichtsdelikten aber zu (6) den subjektiven Tatbestandsmerkmalen und ist daher auf der Stufe der zu prüfen. Dagegen ist der Vorsatz als Schuldform (bedingter Vorsatz, Wissent(7) lichkeit, Ab sichtlich keit) auf der Stufe der zu untersuchen. Ubersicht

242

Vorsatz (1) subjektives (5) Absichtsdelikten

(2) überschießender Innentendenz (6) Tatbestandsmäßigkeit

L E 15 (3)1

(4) I I I

(7) Schuld

ZUSAMMENFASSUNG A Vorsatz Vorsatz ist die Schuldform der Vorsatzdelikte. Vorsätzlich handelt, wer einen Sachverhalt verwirklichen will, der einem gesetzlichen Tatbestand entspricht. D e r Vorsatz muß sämtliche objektiven Tatbestandsmerkmale des Delikts umfassen. 1 Die Komponenten des Vorsatzes D e r Vorsatz besteht aus zwei Komponenten, der Wissenskomponente und der Wollenskomponente. Die Vorsatzdefinition des Lernprogramms erwähnt ausdrücklich nur die Wollenskomponente. Die Wissenskomponente ist in der Wollenskomponente aber denknotwendig mitenthalten. a) Wissenskomponente. Bezüglich der Wissenskomponente stellt sich die Frage, welche Anforderungen insoweit an die Vorstellung des Täters zu richten sind. aa) Sicheres Wissen ist beim Täter häufig nicht vorhanden und zudem nicht erforderlich. Auch undeutliche und unreflektierte Vorstellungen genügen den Anforderungen an das „Wissen". Aufbauend auf Platzgummer (1964) und Schewe (1967) unterscheidet die heutige h.L. zwei Bewußtheitsgrade (Bewußtseinsformen) des Vorsatzes: Das aktuelle Wissen und das Mitbewußtsein (Synonym: Begleitwissen); näher Stratenwerth A T R N 262ff.; Rudolphi SK R N 24f. m . N . Von aktuellem Wissen spricht man, wenn der Täter an die Verwirklichung des Tatbestands oder eines bestimmten Tatbestandsmerkmals explizit gedacht hat. Von Mitbewußtsein spricht man, wenn dem Täter die Verwirklichung eines bestimmten Tatbestandsmerkmals entweder aus den Begleitumständen oder sonst latent bewußt war. D a s Mitbewußtsein (Begleitwissen) ist die Untergrenze dessen, was von der Wissenskomponente her gesehen noch als Vorsatz bezeichnet werden kann. Jenseits des Begleitwissens beginnt die (unbewußte) Fahrlässigkeit.

bb) Bei einigen Tatbestandsmerkmalsgruppen sind unter dem Aspekt des „Wissens" Besonderheiten zu beachten: Bei normativen Tatbestandsmerkmalen ( z . B . „fremd", „ U r k u n d e " ; vgl. S. U 3 f . ) wird der T ä t e r die exakte rechtliche Bedeutung eines solchen Begriffes häufig nicht kennen. Wie sollte er auch? Nach h . L . genügt es, wenn seine laienmäßige Einschätzung dieses Tatumstandes der des Rechtes parallel läuft; sog. „Parallelwertung in der Laiensphäre" (Mezger); ebenso B G H S t 3 2 5 5 ; B G H S t 4 3 5 2 ; Maurach/Zipf A T I R N 49. B e i s p i e l : D a ß bereits das bloße Herauslassen von Luft aus Autoreifen von der neueren Judikatur rechtlich als „Beschädigung" einer Sache gem. § 3 0 3 (1) gewertet wird, braucht der Täter nicht zu wissen. E s genügt, daß er weiß, daß es einige M ü h e kostet, den Wagen wieder fahrbereit zu machen. Damit läuft seine eigene laienmäßige Beurteilung der rechtlichen durchaus parallel. Bezüglich des Kausalverlaufs kann im allgemeinen niemand den exakten Ablauf der Dinge voraussehen (d.h. wissen). D i e h . L . fordert insoweit daher auch keine Kenntnis dieser Einzelheiten, sondern läßt die Kenntnis des Kausalverlaufs

in seinen wesentlichen Umrissen genügen. Näheres LE 16.

b) Wollenskomponente. Das eigentliche Rückgrat des Vorsatzes ist das Wollen. Es kann von sehr unterschiedlicher Intensität sein. Das S t G B unterscheidet insoweit drei Stärkegrade des Vorsatzes: bedingter Vorsatz ( = dolus eventualis), Wissentlichkeit und Absichtlichkeit.

L E 15

Vorsatz

243

D e r unterste Stärkegrad des Vorsatzes ist der bedingte V o r s a t z . Bedingt vorsätzlich handelt, wer es ernstlich f ü r m ö g l i c h hält, d a ß e r einen S a c h v e r h a l t verwirklicht, der einem gesetzlichen Tatbestand entspricht u n d sich d a m i t abfindet. Der bedingte Vorsatz ist die Untergrenze dessen, was von der Wollenskomponente her gesehen noch als Vorsatz bezeichnet werden kann. Jenseits des bedingten Vorsatzes beginnt die (bewußte) Fahrlässigkeit. D e r mittlere Stärkegrad des Vorsatzes ist die Wissentlichkeit. Wissentlich handelt, w e r weiß o d e r als sicher voraussieht, daß e r einen U m s t a n d verwirklicht, für den das Gesetz wissentliches H a n d e l n v o r a u s s e t z t . A u c h was man als sicher voraussieht, ist gewollt, selbst wenn man es n i c h t w ü n s c h t . Beispiele: Wissentlichkeit (Schuldform) fordert das StGB etwa in den §§ 87 (1), 134, 144, 145, 258, 283a Z 2, 283c (1); 344. Statt „wissentlich" findet sich gelegentlich der Begriff „wider besseres Wissen"; vgl. etwa §§ 145d, 164, 187, 278. D e r intensivste Stärkegrad des Vorsatzes ist die Absichtlichkeit. Absichtlich handelt, w e m es d a r a u f a n k o m m t , einen U m s t a n d z u verwirklichen, für den das Gesetz absichtliches H a n d e l n v o r a u s s e t z t . Beispiele: Absichtlichkeit (Schuldform) setzt das StGB (meist in einem Atemzug mit Wissentlichkeit) etwa bei den §§ 87 (1), 145, 258, 283c (1), 344 voraus. F ü r die weitaus meisten Vorsatzdelikte g e n ü g t bedingter V o r s a t z . A u s n a h m e n gelten insb. dort, wo das Gesetz ausdrücklich Absichtlichkeit oder Wissentlichkeit fordert. W i c h t i g ! Der Hinweis, daß „in der Regel bedingter Vorsatz genügtwird häufig mißverstanden. Liegt im konkreten Fall ein graduell stärkerer Vorsatz (Wissentlichkeit, Absichtlichkeit) vor, so ist dieser auch als solcher zu prüfen und zu bejahen. Es wäre ein Fehler, sich z.B. bei einem absichtlich begangenen Mord mit der Feststellung zu begnügen, daß der Täter „wenigstens mit bedingtem Vorsatz" gehandelt hat. 2

Sonderprobleme

a) Bedingter Handlungswille. M i t dem bedingten Vorsatz darf nicht das P r o b l e m des bedingten H a n d lungswillens verwechselt werden. J e d e r Vorsatz (auch der bedingte) erfordert stets einen unbedingten Händlungswillen. W o dieser Handlungswille selbst n o c h bedingt ist, liegt begrifflich n o c h kein V o r s a t z vor. Beispiele: Wer beim Ergreifen der Waffe noch nicht weiß, ob er nur drohen oder schießen soll, hat in diesem Augenblick noch keinen unbedingten Handlungswillen. Mithin scheidet Vorsatz (d.h. auch bedingter Vorsatz) selbst dann aus, wenn sich in diesem Moment zufällig ein Schuß aus der Waffe löst; vgl. RGSt 68 341. Dagegen enthält der Entschluß, dem Mitzecher in der Kneipe „irgendwie, notfalls mit Gewalt" Geld abzunehmen, bereits den unbedingten Handlungswillen und ist daher (Raub-)Vorsatz; vgl. BGHSt 14 384. Zum Ganzen Jescheck AT §29 III 3e; Roxin JuS 1979 2. b) M a ß g e b e n d e r Z e i t p u n k t des Vorsatzes. D e r Vorsatz m u ß , wie alle Schuldmerkmale (vgl. S. 194), „bei B e g e h u n g der T a t " vorliegen; arg. § 1 6 (1) und (2). O b der Vorsatz schon lange vor oder erst mit der Tat, ob er „nach reiflicher Überlegung" oder „spontan" oder gar im Affekt gefaßt wurde, macht keinen Unterschied. A b e r : Ein erst nach Abschluß der Tat gefaßter „Vorsatz" (sog. dolus subsequens) fällt nicht unter die Vorsatzdefinition. Daher begeht keine Hehlerei (§259 (1)), wer erst nach dem Erwerb der wertvollen Jugendstilvase erkennt oder erfährt, daß diese aus einem Diebstahl stammt; vgl. aber Schönke/Schröder/Cramer §15 R N 50. Ebensowenig erfüllt ein „früherer", d.h. im fraglichen Zeitpunkt schon wieder aufgegebener Vorsatz (sog. cedens) den Vorsatzbegriff.

dolusante-

Vorsatz

244

LE 15

Bei den Erfolgsdelikten genügt es, wenn der Vorsatz bei Vornahme der Tathandlung vorliegt. Es wird nicht gefordert, daß er auch noch beim Erfolgseintritt besteht. B e i s p i e l : Schickt A dem O p f e r eine „Paketbombe", ist er auch dann wegen M o r d e s zu bestrafen, w e n n er sich z w i schenzeitlich vergeblich bemüht hat, das O p f e r zu warnen.

B Absichtsdelikte Absichtsdelikte (Synonym: Delikte mit überschießender Innentendenz) nennt man jene Delikte, bei denen der Täter mit einer bestimmten, über die Verwirklichung des gesetzlichen Tatbestandes hinausreichenden („überschießenden") Absicht handeln muß. Daß der vom Täter angestrebte Erfolg auch tatsächlich erreicht w i r d , gehört nicht m e h r z u m Tatbestand des Absichtsdelikts. Für die Verwirklichung des Diebstahls (§242 (1)) ist daher nicht erforderlich, daß die vom Täter angestrebte Zueignung tatsächlich eintritt. Erforderlich und genügend ist es, daß er bei der Wegnahme der fremden beweglichen Sache in dieser Absicht gehandelt hat.

Im StGB gibt es zahlreiche Absichtsdelikte. B e i s p i e l e : Diebstahl (§242 (1)); R a u b (§249 (1)); Begünstigung (§257 (1)); Betrug (§263 (1)). H i e r formuliert das Gesetz: „Wer in der A b s i c h t . . .". M a n c h m a l verwendet das StGB auch gleichbedeutende Formulierungen: „um z u " ( z . B . § § 2 5 3 (1); 259 (1)) oder „zur Täuschung im Rechtsverkehr" ( z . B . § § 267 (1); 268 (1)).

Im Gegensatz zur Schuldform „Absichtlichkeit" ist die „Absicht" bei den Absichtsdelikten ein subjektives Tatbestandsmerkmal und aufbaumäßig daher nicht unter III, sondern bereits unter I zu prüfen. Vgl. näher Warda Jura 1979 75. C Der Streit über die Stellung des Vorsatzes Eine berühmte Streitfrage lautet: Ist der Vorsatz wirklich nur Schuldform oder ist er ebenfalls subjektives Tatbestandsmerkmal wie die Absicht bei den Absichtsdelikten? Nach der traditionellen Auffassung (insb. v. Liszt, Mezger, Arzt, Baumann, Geerds, Naucke, Würtenberger) ¡st der Vorsatz ein Element der Schuld. Dieser Ansicht folgt auch der Verfasser. Eine maßgebliche Richtung der modernen Lehre (z.B. Welzel, Maurach/Zipf, Bockelmann, Geilen, Jescheck, Roxin, Rudolphi, Wessels) rechnet den Vorsatz dagegen zu den Elementen des Unrechts. Konsequenterweise wird dann der Vorsatz als subjektives Tatbestandsmerkmal aufgefaßt und bereits unter I geprüft (wie die Absicht bei den Absichtsdelikten). Zur wissenschaftlichen B e g r ü n d u n g beider Ansichten vgl. einerseits Jescheck A T §24 III 4; andererseits Kienapfel J Z 1972 575. Zur Lehre von der Doppelnatur des Vorsatzes (als Verhaltens- und als S c h u l d f o r m ) vgl. insb. Moos ZStW 1981 1031.

Die praktische Bedeutung dieses Meinungsstreites wird oft überschätzt. Beide Auffassungen werden heute als gleichwertig angesehen; vgl. Arzt Strafrechtsklausur 106; Geilen J u r a 1979 541; Kienapfel Strafrechtsfälle 30 F N 21. Im R a h m e n von Fallösungen ist die Entscheidung für die traditionelle Auffassung oder f ü r die moderne Lehre w e d e r zu begründen noch zu rechtfertigen.

W e i t e r f ü h r e n d e H i n w e i s e : Z u m Vorsatz vgl. Wessels A T § 7 II—IV; eingehend Baumann AT §291-111.

A T § 2 6 I—III-, Jescheck

TE 15

Testfragen zur LE 15

245

3.1

Tragen Sie die einzelnen Schuldelemente der Vorsatzschuld in das Schaubild ein!

1.1

„Vorsätzlich" handelt, wer (bitte ergänzen!)

2.1

Welcher Bewußtheitsgrad des „Wissens" liegt vor bei 1. automatisierten Handlungen (Schalten, Kuppeln, Bremsen etc. beim Autofahren)?

2. impulsiven Handlungen?

3. Abgabe eines gezielten Schusses auf einen Menschen?

1.2

Nennen Sie die drei Stärkegrade des Vorsatzes!

1.3

Mit „bedingtem Vorsatz" (= „d.

") handelt, wer (bitte ergänzen!)

246 2.2

Testfragen

TE 15

A wirft einen Teller aus dem Fenster auf die belebte Straße. Er sagt sich: „Wird jemand getroffen, hat er eben Pech gehabt". B ist der Pechvogel Ihm fällt der Teller auf den Kopf. 1. A hat die Körperverletzung des B (§ 223 (1)) absichtlich / wissentlich / mit bedingtem Vorsatz begangen. Begründen Sie Ihre Entscheidung!

2. Ihr Kommilitone ist der Meinung, daß A wegen Körperverletzung (§ 223 (1)) nur dann bestraft werden kann, wenn er die Tat „wissentlich" begangen hat. Ist diese Ansicht richtig?

2.3

Um seine Frau loszuwerden, schickt M ihr per Post eine Höllenmaschine zu. M geht „auf Nummer sicher"; denn die Sprengwirkung ist groß genug, um das ganze Haus in Schutt und Asche zu legen. In der Villa befindet sich neben der Gattin auch M's gelähmte und ständig bettlägerige Schwiegermutter. „Hoffentlich ist nicht auch noch zufällig das Hausmädchen anwesend, wenn der Sprengsatz detoniert", denkt M. „Aber selbst wenn es so sein sollte, kann ich es auch nicht ändern". Tatsächlich finden neben der Ehefrau auch die Schwiegermutter und die Hausperle bei der Detonation der Bombe den Tod. 1. Geben Sie jeweils den Stärkegrad des Tötungsvorsatzes des M an: a) Bezüglich der Ehefrau: bedingter Vorsatz / Wissentlichkeit / Absichtlichkeit. b) Bezüglich der Schwiegermutter: bedingter Vorsatz / Wissentlichkeit / Absichtlichkeit. 2. Bezüglich des Hausmädchens verteidigt sich M damit, daß er zumindest ihren Tod nicht gewollt habe und insoweit nicht wegen eines vorsätzlichen Tötungsdelikts bestraft werden könne. Wird M mit dieser Verteidigung Erfolg haben? J a / Nein Begründung:

1.4

Kann das Delikt des § 145 (1) auch mit bedingtem Vorsatz begangen werden? J a / Nein Begründung:

TE 15

Testfragen

247

1.5

„Absichtsdelikte" oder „Delikte mit überschießender I n n e n t e n d e n z " sind Delikte, welche voraussetzen, (bitte ergänzen!)

2.4

Lesen Sie das Delikt des räuberischen Diebstahls (§ 252)! Handelt es sich bei diesem Delikt u m ein Absichtsdelikt? J a / Nein Begründung:

1.6

Das Handeln „ u m sich im Besitz des gestohlenen Gutes zu e r h a l t e n " (§ 252) charakterisiert die spezifische bei diesem Delikt. Es handelt sich dabei um die Schuldform / das subjektive Tatbestandsmerkmal dieses Delikts. Die Absicht ist bei den Absichtsdelikten stets auf der S t u f e der Tatbestandsmäßigkeit / Rechtswidrigkeit / Schuld zu prüfen. Dagegen ist nach der im Lernprogramm zugrundegelegten Lehrmeinung der Vorsatz eine f o r m u n d daher auf der S t u f e I / II / III zu prüfen.

2.5

Drei Rocker der Hamburger Bande „Exis" (= bürgerliche Nichtrocker) Fuhlsbüttler Straße einen einsamen kenhaus stellt sich heraus, daß der Auge eingebüßt hat.

„Blue Devils" haben sich vorgenommen, in Barmbeck zu „ticken". Gegen 23.00 Uhr schlagen sie auf der Passanten mit Fahrradketten zusammen. Im KranÜberfallene durch die Schläge die Sehkraft auf einem

Lesen Sie b i t t e § 2 2 5 (1) i.V.m. § 2 2 4 (1)! 1. Bezüglich der Herbeiführung des Verlustes des Sehvermögens genügt dolus eventualis / genügt dolus eventualis nicht. 2. K ö n n e n die drei Rocker gemäß § 2 2 5 (1) i.V.m. § 2 2 4 (1) wegen „Beabsichtigter schwerer Körperverletzung" bestraft w e r d e n ? J a / Nein Begründung:

248

Antworten

TE 15

3.1

Von o. nach u.: 0 Schuldfähigkeit 1. Vorsatz 2. Unrechtsbewußtsein 3. keine Entschuldigungsgründe

1.1

Vorsätzlich handelt, wer einen Sachverhalt verwirklichen will, der einem gesetzlichen Tatbestand entspricht.

2.1

1. Mitbewußtsein 2. meist Mitbewußtsein 3. aktuelles Wissen

1.2

1. Bedingter Vorsatz 2. Wissentlichkeit 3. Absichtlichkeit

1.3

Mit „bedingtem Vorsatz" (= „dolus eventualis") handelt, wer es ernstlich für möglich hält, daß er einen Sachverhalt verwirklicht, der einem gesetzlichen Tatbestand entspricht und sich damit abfindet.

2.2

1. Mit bedingtem Vorsatz. Denn er hat die Körperverletzung eines anderen ernstlich für möglich gehalten und sich mit ihr abgefunden. 2. Nein! Nach allgemeiner Regel genügt auch für das Delikt der Körperverletzung dolus eventualis (o.ä.).

2.3

1. a) Absichtlichkeit (!) b) Wissentlichkeit (!) 2. Nein! M hat die Tötung des Hausmädchens ernstlich für möglich gehalten und sich damit abgefunden („Ich kann es auch nicht ändern"). M hat also mit bedingtem Vorsatz gehandelt. Für die Bestrafung wegen eines Tötungsdelikts genügt bedingter Vorsatz.

1.4

Nein! Weil das Gesetz ausdrücklich „Absichtlichkeit" oder „Wissentlichkeit" fordert (o.a.).

1.5

„Absichtsdelikte" oder „Delikte mit überschießender Innentendenz" sind Delikte, welche voraussetzen, daß der Täter mit einer bestimmten, über die Verwirklichung des gesetzlichen Tatbestandes hinausreichenden Absicht handelt (o.ä.).

2.4

Ja! Der Täter muß handeln, „um sich im Besitz des gestohlenen Gutes zu erhalten", d.h. er muß mit einer über die Verwirklichung des gesetzlichen Tatbestandes hinausreichenden Absicht handeln (o.a.).

1.6

Absicht; das subjektive Tatbestandsmerkmal; Tatbestandsmäßigkeit; Schuldform; Stufe III

2.5

1. genügt dolus eventualis nicht 2. Nein! „Absichtlich" handelt, wem es darauf ankommt, den Umstand zu verwirklichen, für den das Gesetz absichtliches Handeln voraussetzt. Aus dem Sachverhalt ergibt sich nichts dafür, daß es den drei Rockern darauf angekommen wäre, dem Opfer ein Auge auszuschlagen (o.ä.). Es bleibt daher bei der Bestrafung der Rocker gemäß § 224 (1).

LE 16

TATBESTANDSIRRTUM

249

L e r n z i e 1: Man bezeichnet den Tatbestandsirrtum als „Kehrseite des Vorsatzes". Nach dieser LE sollen Sie verstehen, warum. Sie werden Begriff, Bedeutung und Rechtsfolgen des Tatbestandsirrtums kennenlernen und sollen bei entsprechenden Sachverhalten Tatbestandsirrtümer „diagnostizieren" können.

Fall 1: Im „Schwärzloch"sitzt Gotthelf Lämmle aus Tübingen mit seinem Freunde beim „ Viertele". Der Strümpfelbacher Trollinger löst ihm allmählich die Zunge: „Jetzt han e emmer gmoint, bei meiner Lina sei's Leidaschaft, drweü isch's bloß Aschtina". (1) Lämmle irrte. Er hatte eine

Vorstellung von der Wirklichkeit.

Fall 2: Knülle braust mit 150 Sachen auf der Autobahn von Hamburg nach Hannover. Da hört er im Autoradio: „Achtung! Kurz vor der Ausfahrt Soltau-Ost fährt ein Wagen in der falschen Richtung!" Grinst Knülle: „Einer ist gut! Das sind doch Hunderte!" Knülle hatte überhaupt keine Vorstellung davon, daß er in der falschen Richtung fuhr. Auch wer überhaupt keine Vorstellung von der Wirklichkeit hat, irrt. Wer keine oder eine falsche Vorstellung von der Wirklichkeit hat, befindet sich in einem (2)

Fall 3: Wüstling stürzt sich hinterrücks auf eine langmähnige Blondine, um ihr Gewalt anzutun (= Vergewaltigung i.S.d. §177 (1)). Er irrte. Die Blondine erwies sich als Blondel. (3) Wüstling hat sich geirrt, weil (bitte ergänzen!)

Fall 4: Dickhoff (D) fährt mit seinem Sechzehntonner von Kettwig nach Düsseldorf. Als er bei Schloß Hugenpoet eine Baustelle passiert, wirbeln die Zwillingsreifen Kieselsteine auf. Dadurch geht die Frontscheibe des nachfolgenden PKW zu Bruch. Dessen Lenker bleibt aber unverletzt. D merkt von alldem nichts. (4) D hat eine fremde Windschutzscheibe zerstört und damit den Tatbestand des § (5) erfüllt. Rechtfertigungsgründe kommen in Betracht / kommen nicht in Betracht. (6) Das Problem des Falles liegt allein im Subjektiven. D hat gewußt / nicht gewußt, daß (bitte ergänzen!)

(7) D befand sich in einem beschädigung überhaupt

weil er bezüglich der von ihm verursachten SachVorstellung von der Wirklichkeit hatte.

(8) Ein Irrtum liegt vor, wenn jemand keine oder eine falsche (bitte ergänzen!)

Tatbestandsirrtum

250 (1) (3) (5) (7)

falsche (unrichtige o.a.) (2) Irrtum er eine falsche Vorstellung von der Wirklichkeit hatte (4) § 303 (1) nicht in Betracht (6) nicht gewußt, daß er eine fremde Sache zerstört (o.ä.) Irrtum; keine (8) Vorstellung von der Wirklichkeit hat

In der Dämmerung glaubt der kurzsichtige Jäger Hubertus (H), auf ein Reh zu Das „Reh" war in Wirklichkeit der Pilzsammler Parasol. Parasol ist tot. (1) (2)

LE 16

schießen.

Damit ist der gesetzliche Tatbestand / der Tatbestand des § 212 (1) erfüllt. Da keine Rechtfertigungsgründe ersichtlich sind, ist die Tat auch A u c h bei diesem Fall liegt das Problem im Subjektiven.

(3) Da H keine Vorstellung / eine falsche Vorstellung von der Wirklichkeit h a t t e , b e f a n d er sich o f f e n k u n d i g in einem Betrachten wir den Fall noch v o n einer anderen Seite. Hat H vorsätzlich gehandelt? Um diese Frage zu b e a n t w o r t e n , will ich zunächst die Definition des Vorsatzes in Ihre Erinnerung zurückrufen: (4)

Vorsätzlich handelt, wer einen Sachverhalt entspricht.

der einem

(5)

Hat H einen Sachverhalt verwirklichen wollen, der dem gesetzlichen Tatbestand des § 212 (1) entspricht? J a / Nein — Begründung:

(6)

Folglich hat H vorsätzlich gehandelt / nicht vorsätzlich gehandelt. Sie h a b e n soeben zwei bedeutsame Feststellungen g e t r o f f e n : 1. H hat sich geirrt. 2. H hat nicht vorsätzlich gehandelt. Es lohnt sich, beide Feststellungen zu überdenken. Denn bei beiden handelt es sich, genau besehen, u m ein u n d dieselbe Sache:

(7)

Wer nicht weiß, daß er einen Sachverhalt verwirklicht, der dem gesetzlichen Tatbestand eines Delikts entspricht, handelt nicht weil er sich in einem befindet. Ein solcher I r r t u m verhüllt dem T ä t e r die Tatbestandsmäßigkeit seiner Handlung. Das StGB bezeichnet diesen Irrtum als Irrtum über Tatumstände (bitte lesen Sie die Überschrift zu § 16!). In Rechtsprechung u n d Lehre hat sich der Begriff Tatbestandsirrtum eingebürgert. Ein Tatbestandsirrtum ( = Irrtum über Tatumstände) liegt vor, w e n n der Täter nicht e r k e n n t , d a ß er einen Sachverhalt verwirklicht, der einem gesetzlichen Tatbestand entspricht.

LE 16

Tatbestandsirrtum

251

(1) Beide Antworten sind richtig. Denn bei § 212 (1) sind Tatbestand und gesetzlicher Tatbestand identisch. (2) rechtswidrig (3) eine falsche Vorstellung; Irrtum (4) verwirklichen will; gesetzlichen Tatbestand (5) Nein! Weil man nicht wollen kann, was man nicht weiß. H hat nicht gewußt (und daher auch nicht gewollt), daß er einen Sachverhalt verwirklicht, der dem gesetzlichen Tatbestand des § 212 (1) entspricht (o.a.). (6) nicht vorsätzlich (7) vorsätzlich; Irrtum

Wer wissentlich und willentlich einen Sachverhalt verwirklicht, der dem gesetzlichen Tatbe(1) stand eines Delikts entspricht, handelt vorsätzlich und befindet sich daher in einem / in keinem Tatbestandsirrtum. (2) Die Lehre vom irrtum ist somit nichts anderes als ein Stück Vorsatzlehre — nur mit umgekehrtem Vorzeichen. Das eine ist die Kehrseite, die Negation des anderen. Eins schließt das andere aus: Entweder weiß der Täter vom Vorliegen eines Sachverhalts, der dem gesetzlichen Tatbestand (3) eines bestimmten Delikts entspricht. Dann handelt er und irrt sich nicht. (4) Oder er weiß es nicht. Dann handelt er nicht vorsätzlich, weil er sich in einem irrtum befindet. Das steht in § 16 (1) Satz 1. Bitte lesen!

-

(5) Ein Tatbestandsirrtum schließt den aus. Vorsatz schließt einen (6) aus. Es ist wie bei einer Münze. Sie präsentiert sich immer nur von einer Seite: entweder — oder.

-

Weil das so ist, hätte es der Regelung des § 16 (1) Satz 1 nicht unbedingt bedurft. Denn das Wesen des Tatbestandsirrtums ergibt sich bereits mittelbar aus der Definition (7) des Zur Definition des Tatbestandsirrtums verwenden Sie daher die Vorsatzdefinition des Lernprogramms — nur mit umgekehrtem Vorzeichen! Definieren Sie! (8) Ein Tatbestandsirrtum liegt vor, wenn der Täter daß er einen verwirklicht, der einem entspricht. (9) § 16 (1) Satz 1 stellt ausdrücklich klar, daß es hierfür schon genügt, wenn der Täter nicht kennt, der zum gehört. (10) Genau genommen ist der Tatbestandsirrtum die Kehrseite der W komponente des Vorsatzes. Anders ausgedrückt: Solange diese Vorsatzkomponente, sei es als aktuelles (11) Wissen, sei es als zu bejahen ist, kommt ein Tatbestandsirrtum in Betracht.

Tatbestandsirrtum

252 (I) (4) (8) (9) (II)

LE 16

in keinem Tatbestandsirrtum (2) Tatbestandsirrtum (3) vorsätzlich Tatbestandsirrtum (5) Vorsatz (6) Tatbestandsirrtum (7) Vorsatzes nicht erkennt; Sachverhalt; gesetzlichen Tatbestand einen Umstand; gesetzlichen Tatbestand (10) Wissenskomponente Mitbewußtsein; nicht

Sowohl Vorsatz als auch Tatbestandsirrtum beziehen sich ausschließlich auf die Verwirklichung eines Sachverhalts, der einem gesetzlichen Tatbestand entspricht und damit auf (1) die Kategorie der Tatbestandsmerkmale.

(2)

Dabei ist es gleichgültig, ob der Täter die Verwirklichung eines, mehrerer oder sämtlicher objektiver Tatbestandsmerkmale des gesetzlichen Tatbestands verkennt. Gemäß § läßt schon der Irrtum über ein einziges Tatbestandsmerkmal / nur der Irrtum über sämtliche Tatbestandsmerkmale den Vorsatz entfallen.

Uber die Verwirklichung welches objektiven Tatbestandsmerkmals des § 212 (1) hat sich (3) unser Jäger Hubertus geirrt?

(4) Dieser Irrtum ist ein (5) Ein derartiger Irrtum läßt den V

irrtum. entfallen.

Blättern Sie bitte zurück auf S. 249, Fall 4! Auch Dickhoff hat sich im Hinblick auf die Verwirklichung des § 303 (1) in einem Tatbestandsirrtum befunden. (6) Worüber hat er sich geirrt?

Wenden wir uns nunmehr den Rechtsfolgen des Tatbestandsirrtums zu. In diesem Zusammenhang interessiert vor allem die Frage, ob überhaupt und gegebenenfalls wie derjenige bestraft wird, der sich bei Begehung der Tat in einem Tatbestandsirrtum befunden hat. Lesen Sie bitte § 16 (1) Satz 1 erneut! (7) J e d e r Tatbestandsirrtum schließt den aus. Mit dem Vorsatz entfällt die Vorsatzschuld. Ohne Vorsatzschuld gibt es keine Strafe wegen eines Vorsatzdelikts. Mithin besteht die Rechtsfolge des Tatbestandsirrtums letztlich darin, daß eine Bestrafung (8) wegen eines Vorsatzdelikts möglich / ausgeschlossen ist. Bitte merken! Damit ist aber noch längst nicht gesagt, daß der Täter überhaupt nicht bestraft werden kann.

Tatbestandsirrtuni

LE 16 (1) (2) (3) (6)

253

objektiven § 16(1) Satz 1; schon der Irrtum Uber ein einziges Tatbestandsmerkmal („Umstand") über das Merkmal „ein Mensch" (4) Tatbestandsirrtum (5) Vorsatz Darüber, daß er „eine fremde Sache zerstört" (o.a.) (7) Vorsatz (8) ausgeschlossen

Lesen Sie bitte § 1 6 ( 1 ) Satz 2! Die Formulierung „bleibt unberührt" bedeutet: In allen Fällen eines Tatbestandsirrtums m u ß man sich die Frage stellen, ob nicht wenigstens eine Bestrafung wegen fahrlässiger Tat übrigbleibt! Daß eine Bestrafung wegen fahrlässiger Tat wirklich „übrigbleibt", ist möglich, aber nicht ohne weiteres der Fall. Dies ergibt sich aus folgender Überlegung. Die Bestrafung wegen fahrlässiger Tat setzt stets zweierlei voraus: Erstens: Ein entsprechendes Fahrlässigkeitsdelikt m u ß im Gesetz überhaupt vorgesehen (1) sein. Das trifft, wie bereits § 15 andeutet, in vielen Fällen / nur in wenigen Fällen zu. Zweitens: Der Täter muß tatsächlich fahrlässig gehandelt haben. Er hat fahrlässig gehandelt, wenn sein Irrtum auf Fahrlässigkeit beruht. Aber: Längst nicht alle Tatbestandsirrtümer beruhen auf Fahrlässigkeit. Kann der Jäger Hubertus wegen fahrlässiger Tat bestraft werden ? Beachten Sie, daß sich Ihre Überlegungen in solchen Fällen stets aus zwei gedanklichen Etappen zusammensetzen! Erstens: Gibt es für diese Tat überhaupt ein entsprechendes Fahrlässigkeitsdelikt? (2) J a / Nein — Wenn ja, welches?

Zweitens: Beruht der Irrtum des H auf Fahrlässigkeit? Diese Frage ist im Ergebnis zu bejahen. Die Einzelheiten wollen wir bis zur Behandlung der Fahrlässigkeitsdelikte zurückstellen. Muß Dickhoff wegen der Zerstörung der fremden Windschutzscheibe Bestrafung wegen fahrlässiger Tat gegenwärtigen? (Die Antwort ergibt sich aus § 303 (1) i.V.m. § 15!) (3) J a / Nein Begründung:

Der Verteidiger eines wegen vorsätzlicher Tat Beschuldigten wendet vor Gericht mit Vorliebe ein, daß sich sein Mandant in einem Tatbestandsiirtum befunden habe. Dies ist aus verschiedenen Gründen ein recht geschickter Schachzug. (4) Nennen Sie einen Grund!

254

Tatbestandsirrtüm

LE 16

(1) nur in wenigen Fällen (2) Ja! Neben dem Totschlag (§ 212 (1)) gibt es mit Rücksicht auf die Ranghöhe des Rechtsguts des Lebens ein entsprechendes Fahrlässigkeitsdelikt: § 222 = fahrlässige Tötung. (3) Nein! Sachbeschädigung ist nur bei vorsätzlichem Handeln strafbar. (4) 1. Weil es im StGB nur wenige Fahrlässigkeitsdelikte gibt. Gibt es keins, ist der Mandant schon deshalb straflos. 2. Weil immer noch die Frage bleibt, ob der Irrtum tatsächlich auf Fahrlässigkeit beruht. 3. Weil das Fahrlässigkeitsdelikt stets milder bestraft wird als das Vorsatzdelikt (prinzipiell niedrigere Strafrahmen!). 4. Weil man dem Täter die Behauptung, er habe sich in einem Tatbestandsirrtum befunden, oft nicht widerlegen kann. Man kann ja nicht in ihn hineinsehen. Es gibt zahlreiche Arten objektiver Tatbestandsmerkmale (= „ U m s t ä n d e " i.S.d. § 16 (1) Satz 1) bei den einzelnen Delikten. Dementsprechend vielgestaltig sind die Möglichkeiten des Irrtums. Ein solcher Irrtum kann sich z.B. auf die „ T a t h a n d l u n g " , das „ T a t o b j e k t " , den „Kausalverlauf", den „Erfolg", die „ T a t m o d a l i t ä t e n " etc. beziehen. (1)

In der Regel handelt es sich bei derartigen Irrtümern u m irrtümer. Besonderheiten gelten aber für den „Irrtum über das T a t o b j e k t " u n d den „ I r r t u m über den Kausalverlauf". Zunächst zum Irrtum über das Tatobjekt. Man nennt ihn auch error in persona vel objecto. Beispiel 1: Unser Fall vom Jäger Hubertus! Er glaubt, auf ein Reh zu schießen. vermeintlichen Rehs t r i f f t er den Pilzsammler Parasol tödlich.

Statt

des

(2) Hubertus hat auf das T a t o b j e k t „ S a c h e " gezielt, aber das T a t o b j e k t getroffen.

"

(3) Dieser Irrtum über das T a t o b j e k t ist ein Tatbestandsirrtum, weil (bitte ergänzen!)

Beispiel 2: Miguel will seinen Feind Juan erschießen, verwechselt heit mit seinem Freund Sancho. Sancho ist sofort tot. (4) Auch Miguels Irrtum ist ein I r r t u m über das spiel 1 ist dieser Irrtum aber kein Tatbestandsirrtum.

ihn aber in der

Dunkel-

Im Gegensatz z u m Bei-

(5)

Bitte lesen Sie § 212 (1) u n d begründen Sie, warum!

(6)

Wir halten also zunächst fest, d a ß jeder Irrtum über das T a t o b j e k t / nicht jeder Irrtum über das T a t o b j e k t auch zugleich ein ist.

Tatbestandsirrtum

LE 16 (1) (3) (4) (5) (6)

255

Tatbestandsirrtümer (2) „Mensch" H nicht gewußt hat, daß er „einen Menschen" tötet und dies daher auch nicht gewollt hat (o.ä.) Tatobjekt Tatobjekt des § 212 (1) ist „ein Mensch". Einen „Menschen" hat Miguel auch töten wollen (o.a.). nicht jeder Irrtum über das Tatobjekt; Tatbestandsirrtum

Der G r u n d dafür, daß im Beispiel 2 der Irrtum über die Identität des Opfers zwar ein Irrtum über das T a t o b j e k t , aber kein Tatbestandsirrtum ist, liegt in folgendem: Miguel tötet Sancho u n d nicht J u a n , den er eigentlich t ö t e n wollte. Z u m Sachverhalt, den (1) Miguel verwirklichen will, gehört auch / gehört nicht die Identität des Opfers. Aber dem Gesetz (§ 2 1 2 (1)) k o m m t es darauf nicht an. Denn § 212 (1) begnügt sich mit d e m allgemeinen Erfordernis, daß der Täter „einen M e n s c h e n " t ö t e t . Und genau das hat Miguel t u n wollen (und getan).

(2)

Bei Gleichartigkeit des T a t o b j e k t s berührt ein error in persona vel objecto d e n Vorsatz nicht. Anders ausgedrückt: Ein solcher I r r t u m begründet einen T a t b e s t a n d s i r r t u m / keinen Tatbestandsirrtum. Er ist schlechterdings unbeachtlich. Anders bei Ungleichartigkeit des Tatobjekts. Bei ungleichartigem T a t o b j e k t schließt ein

(3)

error in persona vel objecto d e n

(4)

Ein solcher Irrtum ist ein

(5)

Im Beispiel 1 ist das T a t o b j e k t

(6) Im Beispiel 2 ist das T a t o b j e k t (7)

Ein Tatbestandsirrtum liegt somit nur im Beispiel

aus.

artig. artig. vor.

(8) Welche Rechtsfolgen zieht ein Tatbestandsirrtum nach sich? (Sie ergeben sich aus § 16 (1)!)

Nach welcher Vorschrift ist zu bestrafen (9) Hubertus im Beispiel 1?

(10)

Miguel im Beispiel 2?

A will die preisgekrönte Rotbunte Berta des E von der Weide stehlen. erwischt er stattdessen die euterschwache Franziska.

In der

Dunkelheit

Ist A wegen Diebstahls gemäß § 2 4 2 (1) zu bestrafen? (Beschränken Sie sich auf den Irrtumsaspekt!) (11) J a / Nein Begründung:

256

Tatbestandsirrtum

L E 16

(I) gehörtauch (2) keinen Tatbestandsirrtum (3) Vorsatz (4) Tatbestandsirrtum (5) ungleichartig (6) gleichartig (7) im Beispiel 1 (8) Eine Bestrafung wegen des Vorsatzdelikts entfällt (o.a.). Doch erfolgt eine Bestreifung wegen fahrlässiger Tat, wenn es ein entsprechendes Fahrlässigkeitsdelikt gibt und der Täter fahrlässig gehandelt hat. (9) H gemäß § 222, wenn H fahrlässig gehandelt hat (10) M gemäß § 2 1 2 ( 1 ) (II) J a ! Es handelt sich um einen error in persona vel objecto bei gleichartigem Tatobjekt. Ein solcher Irrtum ist kein Tatbestandsirrtum. Er schließt den Vorsatz des A nicht aus (o.a.). Anders ausgedrückt: Der Wortlaut des § 242 (1) zeigt, daß es auf die Identität des Tatobjekts nicht ankommt. Das Gesetz fordert nur „die Wegnahme einer fremden beweglichen Sache". Eine solche hat A weggenommen. Diesen Sachverhalt hat A auch verwirklichen wollen.

Wenden wir uns nunmehr dem Irrtum Uber den Kausalverlauf zu. Beim Irrtum über den Kausalverlauf weicht der vorgestellte Kausalverlauf vom wirklichen Kausalverlauf mehr oder weniger ab. Beispiel 3 : A stößt den B von der Kölner Severinsbrücke, den Pylon der Hängebrücke. Sein Tod tritt bereits durch (1)

um ihn zu ertränken. Genickbruch ein.

B prallt

auf

Begründen Sie, warum es sich bei diesem Beispiel um einen Irrtum über den

-

handelt!

(2)

Der Kausalverlauf (= Kausalzusammenhang) ist ein

Tatbestandsmerkmal

der Tätigkeitsdelikte / Erfolgsdelikte. Man müßte daher eigentlich annehmen, daß der (3)

Irrtum über den Kausalverlauf unzweifelhaft ein Fall des

irrtums wäre.

(4)

Kausalverlaufs vom vorgestellten infolge eines Tatbestandsirrtums der Vorsatz

Diese Annahme hätte zur Folge, daß schon bei der geringsten Abweichung des wirklichen -

wäre. Da man den wirklichen Kausalverlauf aber fast nie in allen Einzelheiten antizipieren kann, würde das dazu führen, daß die Bestrafung wegen vorsätzlicher Tat in den meisten Fällen illusorisch würde. Dies wäre kriminalpolitisch unerträglich. (5)

Daher gelten unwesentliche Abweichungen des

Kausalverlaufs vom vor-

gestellten von vornherein als strafrechtlich unbeachtlich und berühren den Vorsatz des (6) (7)

Täters

Noch weniger begründen sie einen

irrtum.

Folglich ist A im Beispiel 3 wegen vorsätzlicher Tötung (= § 2 1 2 (1)) zu bestrafen / nicht zu bestrafen.

Halten Sie fest! Unwesentliche Abweichungen des wirklichen vom vorgestellten Kausalverlauf gelten als strafrechtlich unbeachtlich. (8)

Sie begründen daher

irrtum.

257

Tatbestandsirrtum

LE 16

(1) Kausalverlauf; A stellt sich vor, daß das Hinabstoßen des B dazu führt, daß B ertrinkt. In Wirklichkeit bricht sich B das Genick (o.a.). (2) objektives; Erfolgsdelikte (3) Tatbestandsirrtums (4) ausgeschlossen (5) wirklichen; nicht (6) Tatbestandsirrtum (7) zu bestrafen (8) keinen Tatbestandsirrtum

Beispiel 4: A stößt den B von der Kölner Severinsbrücke, um ihn zu ertränken. B übersteht den Sturz lebend und rettet sich schwimmend ans Ufer. Dort erschlägt ihn der Blitz. (1) A hatte sich vorgestellt, daß B den Tod durch (2) keit ist der Tod durch

findet. In Wirklicheingetreten.

(3) Eine solche Abweichung des wirklichen vom unwesentlich / wesentlich. (4) Maßstab dafür, ob die Abweichung des verlauf wesentlich oder

Kausalverlauf gilt als

vom vorgestellten Kausalist, ist die allgemeine Lebenserfahrung.

(5) Der im Beispiel 3 eingetretene Kausalverlauf liegt noch innerhalb / bereits außerhalb der allgemeinen Lebenserfahrung. Beispiel 4 ist anders zu beurteilen. Die Abweichung des wirklichen vom vorgestellten (6) Kausalverlauf liegt gänzlich außerhalb / noch innerhalb der

Mit einem Kausalverlauf, der gänzlich außerhalb der allgemeinen Lebenserfahrung liegt, braucht niemand zu rechnen. Ein solcher Kausalverlauf kann daher auch dem Täter billigerweise nicht mehr als vom Vorsatz umfaßt angelastet werden. Das aber bedeutet: Wesentliche Abweichungen des wirklichen vom vorgestellten Kausalverlauf schließen den Vorsatz aus. (7) Anders ausgedrückt: Wesentliche Abweichungen des

vom begründen einen

-

irrtum. Hat A im Beispiel 4 diesen Erfolg vorsätzlich herbeigeführt? (8) J a / Nein Begründung:

Daher ist A im Beispiel 4 (im Gegensatz zum Beispiel 3) wegen vollendeter vorsätzlicher (9) Tötung zu bestrafen / nicht zu bestrafen. Übrig bleibt aber seine Bestrafung wegen eines versuchten Tötungsdelikts. Halten Sie fest! Wesentliche Abweichungen des wirklichen vom vorgestellten Kausalverlauf gelten als vom (10) Vorsatz Sie schließen den Vorsatz und damit die Bestrafung des Täters wegen eines vollendeten Vorsatzdelikts aus.

Tatbestandsirrtum

258

L E 16

(1) (4) (6) (7) (8)

Ertrinken (2) den Blitzschlag (o.a.) (3) vorgestellten; wesentlich wirklichen; unwesentlich (5) noch innerhalb gänzlich außerhalb der allgemeinen Lebenserfahrung wirklichen vom vorgestellten Kausalverlauf; Tatbestandsirrtum Nein! Es handelt sich um eine wesentliche Abweichung des wirklichen vom vorgestellten Kausalverlauf. Sie begründet einen Tatbestandsirrtum i.S.d. §16 (1) (o.a.) (9) nicht zu bestrafen (10) nicht umfaßt

ZUSAMMENFASSUNG A Wesen des T a t b e s t a n d s i r r t u m s 1. G r u n d l a g e n . D e r Tatbestandsirrtum ist in §16 (1) geregelt. E r verhüllt dem T ä t e r die Tatbestandsmäßigkeit seiner H a n d l u n g . Mithin entfällt der V o r s a t z . Es genügt, daß sich der Täter über ein einziges von mehreren Tatbestandsmerkmalen irrt; vgl. §16 ( 1 ) : W e r „einen Umstand . Der T a t b e s t a n d s i r r t u m betrifft allein die W i s s e n s k o m p o n e n t e und ist aus dieser Sicht die Kehrseite, die N e g a t i o n des V o r s a t z e s . Entweder handelt der Täter in bezug auf den Sachverhalt, der einem gesetzlichen Tatbestand entspricht, vorsätzlich. Dann irrt er sich nicht. Folglich kommt ein Tatbestandsirrtum nicht in Betracht. Oder aber der Täter handelt bezüglich der Verwirklichung eines solchen Sachverhalts nicht vorsätzlich. Folglich befindet er sich in einem Tatbestandsirrtum. Das S t G B enthält keine Definition des Tatbestandsirrtums. Sie ergibt sich aber aus der Vorsatzdefinition des L e r n p r o g r a m m s , indem man diese u m k e h r t und mit n e g a t i v e m Vorzeichen versieht: Ein T a t b e s t a n d s i r r t u m liegt v o r , wenn der T ä t e r n i c h t e r k e n n t , d a ß er einen S a c h v e r h a l t v e r w i r k licht, der einem gesetzlichen T a t b e s t a n d entspricht. 2. S o n d e r p r o b l e m e . I m einzelnen ist wie folgt zu differenzieren:

a) Wenn dem T ä t e r die Verwirklichung eines bestimmten Tatbestandsmerkmals zumindest aus den B e gleitumständen o d e r jedenfalls sonst latent b e w u ß t ist (vgl. S. 2 4 2 ) , scheidet die A n n a h m e eines Tatbestandsirrtums aus. Beispiele: Deshalb kann §16(1) weder im Bibliotheksfall (S. 236) noch im Hausbesetzungsfall (S. 236) mit Aussicht auf Erfolg geltend gemacht werden. Anders dagegen im Pappkartonfall (S. 236). b) Wenn bei n o r m a t i v e n Tatbestandsmerkmalen die laienmäßige Einschätzung der des R e c h t s parallel läuft, entfällt ebenfalls die A n n a h m e eines Tatbestandsirrtums, z . B . im Autoreifenfall (S. 2 4 2 ) ; instruktiv Warda Jura 1 9 7 9 7 9 ; weiter Kienapfel Strafrechtsfälle 31. c) I r r t u m ü b e r den Kausalverlauf. Auszugehen ist davon, daß der V o r s a t z den K a u s a l v e r l a u f n i c h t in allen Einzelheiten, aber in den wesentlichen U m r i s s e n umfassen muß (S. 2 4 3 ) . Mithin lassen u n w e sentliche A b w e i c h u n g e n des wirklichen vom vorgestellten Kausalverlauf den Vorsatz von vornherein unberührt. A n d e r s ausgedrückt: Unwesentliche A b w e i c h u n g e n begründen keinen Tatbestandsirrtum. Sie sind strafrechtlich unbeachtlich. Eine A b w e i c h u n g ist unwesentlich, wenn sie sich i n n e r h a l b des n a c h allgemeiner L e b e n s e r f a h r u n g V o r a u s s e h b a r e n h ä l t ; h . M . ; vgl. etwa B G H S t 23 1 3 5 ; B G H G A 1955 125. Beispiele: Wenn A den im Haus befindlichen B dadurch töten will, daß er in das Zimmer, indem er B vermutet, eine Handgranate wirft, kann sich A nicht auf einen Tatbestandsirrtum über den Kausalverlauf berufen, wenn B nicht schon durch die Splitterwirkung der Granate, sondern durch herabstürzende Trümmer, durch Ersticken, durch Verbrennen oder durch Herabspringen vom brennenden Dach den Tod findet; vgl. weiter den Brückenfall (S. 256).

L E 16

Tatbestandsirrtum

259

A b e r a u c h w e s e n t l i c h e A b w e i c h u n g e n des w i r k l i c h e n v o m vorgestellten K a u s a l v e r l a u f schließen d e n V o r s a t z nicht aus. Sie gelten j e d o c h a u s B i l l i g k e i t s g r ü n d e n als s t r a f r e c h t l i c h b e a c h t l i c h . B e i wesentlic h e n A b w e i c h u n g e n liegt a l s o ebenfalls kein T a t b e s t a n d s i r r t u m v o r . D o c h g i l t d e r e i n g e t r e t e n e E r f o l g als n i c h t m e h r v o m V o r s a t z des T ä t e r s u m f a ß t . V g l . die B r ü c k e n f a l l v a r i a n t e S. 2 5 7 . In neuerer Zeit gerät diese überkommene „Irrtumslösung" (vgl. u.a. B G H S t 14 194; B G H S t 2 3 135) in zunehmendem Maß in das Kreuzfeuer der Kritik. Mit Recht weisen die Anhänger der Lehre von der objektiven Zurechnung (S. 142) daraufhin, daß bei einem atypischen Kausalverlauf schon die objektive Zurechenbarkeit des Erfolges entfalle; vgl. Maurach/Zipf A T I §23 R N 27—29; Wessels A T §7 IV 3. Sie plädieren insoweit für eine „Tatbestandslösung". Im praktischen Ergebnis besteht jedenfalls nach beiden Ansichten Einigkeit, daß bei einer wesentlichen Abweichung des wirklichen vom vorgestellten Kausalverlauf eine Bestrafung wegen eines vollendeten Vorsatzdelikts nicht in Betracht kommt. Zu erwägen bleibt aber die Bestrafung wegen eines versuchten Vorsatzdelikts. B R e c h t s f o l g e n des T a t b e s t a n d s i r r t u m s D e r T a t b e s t a n d s i r r t u m s c h l i e ß t d e n V o r s a t z a u s . D a m i t entfällt die M ö g l i c h k e i t d e r B e s t r a f u n g w e g e n v o r s ä t z l i c h e r T a t . B e i j e d e m T a t b e s t a n d s i r r t u m ist aber stets an die M ö g l i c h k e i t einer B e s t r a f u n g w e g e n f a h r l ä s s i g e r T a t z u d e n k e n ; vgl. § 1 6 (1) S a t z 2 . Voraussetzung hierfür ist: 1. daß es ein e n t s p r e c h e n d e s F a h r l ä s s i g k e i t s d e l i k t ü b e r h a u p t g i b t u n d 2. daß der I r r t u m a u f F a h r l ä s s i g k e i t b e r u h t . L e t z t e r e s ist stets g e n a u z u u n t e r s u c h e n .

C

Sonderfälle

1. I r r t u m ü b e r d a s T a t o b j e k t . B e i m I r r t u m ü b e r d a s T a t o b j e k t ( = O b j e k t s i r r t u m = e r r o r in p e r s o n a vel o b j e c t o ) irrt sich d e r T ä t e r ü b e r die I d e n t i t ä t o d e r s o n s t i g e E i g e n s c h a f t e n einer P e r s o n oder S a c h e . B e i g l e i c h a r t i g e m T a t o b j e k t b e r ü h r t ein s o l c h e r I r r t u m d e n V o r s a t z des T ä t e r s nicht u n d b e g r ü n d e t d a h e r k e i n e n T a t b e s t a n d s i r r t u m . E r ist strafrechtlich u n b e a c h t l i c h . B e i s p i e l e : Miguelfall (S. 254); Fall Rose-Rosahl; dazu Bemmann M e r k f o r m e l : D e r Täter sagt sich: „ W a r das d e r ? "

M D R 1958 817.

(Moos).

B e i u n g l e i c h a r t i g e m T a t o b j e k t schließt der I r r t u m ü b e r d a s T a t o b j e k t den V o r s a t z d e s T ä t e r s a u s . E s h a n d e l t sich u m einen T a t b e s t a n d s i r r t u m ; v g l . d e n H u b e r t u s f a l l S. 2 5 4 . 2. A b e r r a t i o ictus. Infolge A b i r r e n s ( „ F e h l g e h e n s " ) des A n g r i f f s (wörtlich „ictus" = Wurfgeschoß) t r i f f t dieser nicht d a s Z i e l o b j e k t , s o n d e r n ein a n d e r e s . B e i s p i e l : Da sich das Opfer rechtzeitig duckt, verfehlt der Täter sein Ziel. D a s Messer trifft den Hintermann. M e r k f o r m e l : Der Täter sagt sich: „ D e r n i c h t ! "

(Moos).

Die aberratio ictus ist weder ein Unterfall des Objektsirrtums noch des Irrtums über den Kausalverlauf. Vielmehr handelt es sich um eine eigenständige Rechtsfigur; und zwar ist — anders als beim Objektsirrtum — sowohl bei O b jektsgleichheit als auch bei Objektsungleichheit Versuch hinsichtlich des gewollten Erfolgs und u.U. fahrlässige Tat in bezug auf den tatsächlich eingetretenen Erfolg anzunehmen; vgl. fescheck A T §29 V 6c; Maurach/Zipf A T I §23 R N 30ff. 3. D o l u s g e n e r a l i s . D i e s e r h e u t e ü b e r h o l t e B e g r i f f b e z e i c h n e t einen S o n d e r f a l l d e s I r r t u m s ü b e r d e n Kausalverlauf. Klassisches B e i s p i e l : Der Mörder wirft sein vermeintlich zu Tode gewürgtes Opfer in die Jauchegrube, um einen Unfall vorzutäuschen. Der Tod tritt erst durch Ertrinken ein; vgl. B G H S t 14 193; ähnlicher Fall öst. O G H SSt 18/68. Bei so engem zeitlichem und aktionsmäßigem Zusammenhang ist ein einheitlicher Vorgang mit unwesentlicher Abweichung des wirklichen vom vorgestellten Kausalverlauf anzunehmen, mithin vollendeter M o r d ; h . M . ; vgl. etwa fescheck A T §29 V 6 d ; a.M. Maurach/Zipf A T I §23 R N 33ff. m . N .

Tatbestandsirrtum

260

TE 16

4. Irrtum über privilegierende Tatumstände. Dieser Irrtum ist in § 16 (2) ausdrücklich geregelt. Er kann sich nach h.M. nicht nur auf privilegierende Tatbestandsmerkmale (insoweit Sonderfall des § 16 (1)), sondern auch auf sonstige privilegierende Tatumstände beziehen. B e i s p i e l : Nach einem „Fehltritt" tötet die Ehefrau ihr vermeintlich uneheliches Kind. Damit verwirklicht sie „an sich" § 211; doch ist sie in (direkter) Anwendung des § 16 (2) nur gem. § 217 zu bestrafen; vgl. näher]escheck AT § 29 V 5 a; Warda Jura 1979 113.

Testfragen zur LE 16 2.1

In manchen Lehrbüchern liest man den Begriff „vorsatzausschließender Tatbestandsirrtum". Kritisieren Sie diese Begriffsbildung!

3.1

Stavros Choleros, ein bekannter Reeder, findet im Schlafzimmer eine grün-violett-geblümte Krawatte im Honolululook. „Wer wagt es, mir so etwas Scheußliches zu schenken?" ruft Choleros empört und wirft die Krawatte (die in Wirklichkeit dem Liebhaber seiner Frau gehört) angewidert in das Kaminfeuer. 1. Welcher Tatbestand ist erfüllt?

2. Handelt Stavros Choleros vorsätzlich? J a / Nein Begründung:

3. Uber welches Merkmal des betreffenden objektiven Tatbestands hat er sich geirrt?

4. Es handelt sich um einen

irrtum.

5. Beschreiben Sie das Wesen dieses Irrtums durch seine Definition!

1.1

Unter welchen beiden Voraussetzungen kann jemand, der sich in einem Tatbestandsirrtum befindet, doch bestraft werden? 1. 2.

Testfragen

TE 16

261

3.2

Kann Stavros Choleros wenigstens wegen fahrlässiger Tat bestraft werden? (Lesen Sie § 303 (1) und § 151) J a / Nein Begründung:

2.2

Man sagt: „Die Lehre vom Tatbestandsirrtum ist ein Stück Vorsatzlehre, nur mit umgekehrtem Vorzeichen". Erklären Sie diesen Satz!

2.3

A ist wegen vorsätzlicher Tat angeklagt. In der Hauptverhandlung stellt sich heraus, daß A sich in einem Tatbestandsirrtum befunden hat. Diese Feststellung ist für den Angeklagten aus mehreren Gründen günstig. Nennen Sie mindestens zwei dieser Gründe!

1.2

Der Tatbestandsirrtum ist in erster Linie die Negation der

2.4



Wollenskomponente des Vorsatzes



Wissenskomponente des Vorsatzes

Kurz vor dem 2. Durchgang des Damenslaloms in Madonna die Campiglio streut der italienische „Sportsfreund" F heimlich Asche auf die Laufflächen eines Paars Schi, das, wie er meint, der erstplacierten Deutschen gehört. Er kann es kaum fassen, daß diese auch im 2. Lauf Bestzeit fährt — weil er in Wirklichkeit die Bretter einer anderen Läuferin erwischt hatte. 1. In Betracht kommt das Delikt der



)•

2. Worin sehen Sie das Problem dieses Falles auf der Stufe der Schuld?

3. Wie lösen Sie dieses Problem?

262 2.5

Testfragen Dr. Murx verwechselt in der Eile die Injektionsspritzen. dies mit seinem Leben.

TE 16 Der bedauernswerte

Patient

bezahlt

1. Kann Dr. Murx wegen vorsätzlicher Tötung (= § 212 (1)) bestraft werden? J a / Nein Begründung:

2. Falls Sie Frage 1 verneint haben: Sehen Sie eine sonstige Möglichkeit, Dr. Murx zu bestrafen? J a / Nein Begründung:

2.6

Adam will Eva töten und stößt sie von der „Steinernen Brücke" in Regensburg in die Donau. Eva stirbt aber nicht, wie Adam angenommen hat, durch Ertrinken, sondern dadurch, daß sie auf einen Pfeiler aufschlägt und dabei eine Schädelbasisfraktur erleidet. 1. Zwar hat Adam Eva getötet. In Betracht kommt Totschlag (§ 212 (1)). Aber Adam hat sich geirrt. Worüber hat er sich geirrt?

2. Schließt dieser Irrtum den Vorsatz des Adam aus? J a / Nein Begründung:

2.7

Lösen Sie die folgenden Varianten des Falles 2.6! 1. Eva ist schon beim Hinabstoßen vor Schreck über das ihr Bevorstehende Herzschlag dahingerafft worden.

von einem

Dieser Irrtum schließt den Vorsatz des Adam aus / nicht aus. Adam wird wegen § 212 (1) bestraft / nicht bestraft, weil (bitte ergänzen!)

2. Eva hat sich zwar bei der „Historischen Wurstküche" schwimmend können, wird aber dort das Opfer eines Lustmörders.

ans Land

retten

Dieser Irrtum schließt den Vorsatz des Adam aus / nicht aus. Adam wird wegen § 212 (1) bestraft / nicht bestraft, weil (bitte ergänzen!)

TE 16

Antworten

263

2.1

Pleonasmus! Jeder Tatbestandsirrtum ist vorsatzausschließend (o.a.).

3.1

1. Sachbeschädigung (§ 303 (1)) 2. Nein! Denn er will keinen Sachverhalt verwirklichen, der dem gesetzlichen Tatbestand des § 303 (1) (bzw. dort dem Merkmal fremde Sache) entspricht (o.ä.). 3. Über die „Fremdheit" 4. Tatbestandsirrtum 5. Bei einem Tatbestandsirrtum erkennt der Täter nicht, daß er einen Sachverhalt verwirklicht, der einem gesetzlichen Tatbestand entspricht (o.a.).

1.1

1. Es muß überhaupt ein entsprechendes Fahrlässigkeitsdelikt existieren. 2. Der Irrtum muß auf Fahrlässigkeit beruhen.

3.2.

Nein! Die fahrlässige Tat ist bei § 303 nicht mit Strafe bedroht; § 303 (1) i.V.m. § 15.

2.2

Hier sind sehr viele richtige Antworten denkbar. Vergleichen Sie Ihre Antwort dem Sinne nach mit S. 251!

2.3

1. 2. 3. 4.

1.2

Wissenskomponente des Vorsatzes (damit automatisch auch der Wollenskomponente)

2.4

1. Sachbeschädigung (§ 303 (1)) 2. Allgemein: Kommt für F ein Tatbestandsirrtum in Betracht? (o.ä.) Speziell: Problematik des Irrtums über das Tatobjekt (o.ä.). 3. Die Schier, die F beschädigen wollte, und die, die er beschädigt hat, sind gleichartig, nämlich „fremde Sachen" ¡.S.d. § 303 (1). Ein solcher Irrtum ist kein Tatbestandsirrtum (o.ä.).

2.5

1. Verschiedene Antworten sind möglich und richtig: Nein! Dr. Murx will keinen Sachverhalt verwirklichen, der dem „Töten eines Menschen" (§ 212 (1)) entspricht. Dieser Tatbestandsirrtum schließt den Vorsatz aus (o.a.). Nein! Dr. Murx erkennt nicht, daß er einen Sachverhalt verwirklicht, der sämtlichen objektiven Tatbestandsmerkmalen (d.h. dem gesetzlichen Tatbestand) des § 2 1 2 ( 1 ) entspricht. Dieser Tatbestandsirrtum schließt den Vorsatz aus (o.ä.). Nein! Dr. Murx befindet sich in einem Tatbestandsirrtum. Dieser Tatbestandsirrtum schließt den Vorsatz aus (o.ä.).

A kann nicht wegen der ihm vorgeworfenen vorsätzlichen Tat bestraft werden. Es gibt nur wenige Fahrlässigkeitsdelikte im StGB. Es steht noch längst nicht fest, daß sein Irrtum auf Fahrlässigkeit beruht. Die fahrlässige Tat wird stets milder bestraft (niedrigerer Strafrahmen) als die vorsätzliche.

2. Ja! Unter Umständen gemäß § 222 wegen fahrlässiger Tötung 2.6

1. Ober den Kausalverlauf 2. Nein! Diese Abweichung des wirklichen vom vorgestellten Kausalverlauf liegt noch innerhalb der allgemeinen Lebenserfahrung. Schon deshalb ist der Vorsatz des Adam nicht in Frage gestellt (o.ä.).

2.7

1. nicht aus; bestraft, weil kein Tatbestandsirrtum vorliegt und auch diese Abweichung noch innerhalb der allgemeinen Lebenserfahrung liegt (o.a.). Darüberläßt sich aber streiten. 2. aus; nicht bestraft; weil diese Abweichung des wirklichen vom vorgestellten Kausalverlauf gänzlich außerhalb der allgemeinen Lebenserfahrung liegt und deshalb als vom Vorsatz des Adam nicht umfaßt gilt (o.a.). Allenfalls kommt Bestrafung wegen eines versuchten Tötungsdelikts in Betracht.

LE 17

UNRECHTSBEWUSSTSEIN

264

L e r n z i e l : Im Mittelpunkt dieser LE steht das dritte Element der Vorsatzschuld, das „Unrechtsbewußtsein". Sie werden die Gegenüberstellung von „aktuellem" und „potentiellem" Unrechtsbewufitsein kennenlernen und sich mit der Abgrenzung von Vorsatz und Unrechtsbewußtsein befassen.

Der Kaufhofdetektiv W sieht, wie eine gut gekleidete, etwa 35- bis 40jährige Dame in der Miederwarenabteilung einen BH des Modells „Poesie extra" an sich nimmt, sich erst unsicher nach allen Seiten umschaut und dann die Beute rasch in ihrer Einkaufstasche verschwinden läßt. Schnellen Schrittes verläßt sie das Warenhaus. W eilt hinter ihr her und stellt sie auf der Straße. Frau Z, übrigens die Gattin eines wohlsituierten höheren Beamten, zuckt sichtlich zusammen, wird abwechselnd rot und blaß, fängt an zu stottern und versucht, sich mit ihrer Vergeßlichkeit zu entschuldigen. (2)

Frau Z hat den Tatbestand des



) erfüllt. Es bestehen keine

Zweifel, d a ß ihre Tat rechtswidrig ist und daß Frau Z vorsätzlich gehandelt h a t . Wir beschränken uns auf die Frage, o b Frau Z mit Unrechtsbewußtsein gehandelt hat. Die Definition des Unrechtsbewußtseins b a u t auf jener des Unrechts auf. Unrecht ist j e d e Handlung, die gegen die R e c h t s o r d n u n g verstößt. (3)

Somit ist „ U n r e c h t s b e w u ß t s e i n " das Bewußtsein, daß die Handlung g verstößt.

die

Ist das Unrechtsbewußtsein bei Begehung der Tat vorhanden, spricht m a n von aktuellem Unrechtsbewußtsein. Mehrere U m s t ä n d e des geschilderten Sachverhalts d e u t e n nachdrücklich darauf hin, daß (4) bei Frau Z dieses Unrechtsbewußtsein sogar in sehr ausgeprägter F o r m vorhanden war. (5)

Nennen Sie mindestens drei dieser Umstände!

Frau Z hat mit aktuellem Unrechtsbewußtsein gehandelt, weil sie bei Begehung der Tat (6) das Bewußtsein h a t t e , d a ß (bitte ergänzen!)

LE 17

Unrechtsbewußtsein

265

(1) Von o. nach u.: Schuldfähigkeit; Vorsatz; keine Entschuldigungsgründe (2) Diebstahls (§ 242 (1)) (3) gegen die Rechtsordnung (4) aktuelle (5) Z.B. das unsichere Umschauen bei der Wegnahme, das rasche Verstecken der Beute, das schnelle Verlassen des Warenhauses, das Zusammenzucken, als W sie stellt, daß sie abwechselnd rot und blafi wird, zu stottern beginnt und nach einer Entschuldigung sucht (o.ä.) (6) ihre Handlung gegen die Rechtsordnung verstieB

Es kommt in der Praxis gar nicht so selten vor, daß jemand eine rechtswidrige Vorsatztat ohne aktuelles Unrechtsbewußtsein begangen hat oder daß ein aktuelles Unrechtsbewußtsein jedenfalls nicht nachweisbar ist. Es wäre jedoch ebenso voreilig wie verfehlt, daraus den Schluß zu ziehen, der Täter könne (1) in solchen Fällen mangels Schuld / mangels Vorwerfbarkeit nicht bestraft werden. Denn dem aktuellen Unrechtsbewußtsein steht jener Fall gleich, in welchem der Täter das Unrecht seiner Tat zwar nicht erkannt hat, es bei pflichtgemäßer Sorgfalt aber hätte erkennen können. Altona, Nähe Paulinenplatz. „Du muß eenfach tofahrn", ermuntert Karsten den 16jährigen Dirk (D), der noch nie mit dem neuen Mokick seines Freundes gefahren ist, „dann geit dat ook klohr". An der nächsten Straßenecke knattert D, der keine Fahrerlaubnis besitzt, einer Polizeistreife in die Arme. D wird gemäß § 21 (1) Z 1 StVG angezeigt (bitte lesen!). Er verteidigt sich damit, nicht gewußt zu haben, daß man zum Führen eines Mokicks überhaupt eine Fahrerlaubnis brauche und daß er sich deshalb keines Unrechts bewußt sei. (2) Selbst wenn man D glauben wollte, daß er ohne Unrechtsbewußtsein gehandelt habe, so hätte er sich jedenfalls erkundigen mässen, (bitte ergänzen!)

Wenn der Täter das Unrecht seiner Tat zwar nicht erkannt hat, es bei pflichtgemäßer Sorgfalt aber hätte erkennen können, spricht die Rechtslehre vom potentiellen Unrechtsbewußtsein. Zur Schuld der Vorsatzdelikte gehört als drittes Schuldelement, daß der Täter entweder (3) mit aktuellem oder jedenfalls mit Unrechtsbewußtsein handelt. Hat der Täter ohne aktuelles Unrechtsbewufitsein gehandelt oder läßt sich eine diesbe(4) zügliche Behauptung nicht widerlegen, ist stets zu prüfen, ob er (bitte ergänzen!) (5) Wenn ja, hat er jedenfalls mit delt und ist wegen vorsätzlicher Tat zu bestrafen.

(V)

Was bedeutet „potentielles Unrechtsbewußtsein"?

Unrechtsbewußtsein gehan-

LE 17

Unrechtsbewußtsein

266

(1) Schuld ist Vorwerfbarkeit. Beides ist also richtig. (2) aktuelles; ob man zum Führen eines Mokicks eine Fahrerlaubnis benötigt (o.a.). Man braucht die Fahrerlaubnis der Klasse 5; vgl. § 5 ( 1 ) StVZO (Schönfelder Nr. 35 b) (3) potentiellem (4) das Unrecht der Tat bei pflichtgemäßer Sorgfalt hätte erkennen können (5) potentiellem (6) aktuelles (7) Der Täter hat das Unrecht seiner Tat nicht erkannt; er hätte es aber bei pflichtgemäßer Sorgfalt erkennen können (o.ä.).

Im Kernbereich des Strafrechts, d.h. bei Mord, Vergewaltigung, Raub, Diebstahl, Betrug u n d den meisten anderen Delikten des StGB stellt sich das Problem des potentiellen Unrechtsbewußtseins weniger. D e n n wer einen Mord, eine Vergewaltigung, einen R a u b , einen Diebstahl etc. begeht, weiß in aller Regel, daß er Unrecht t u t . Er handelt daher (1) mit Allerdings darf der Begriff „ a k t u e l l e s " Unrechtsbewußtsein nicht zu eng verstanden werden. (2)

„AktuelT'ist das Unrechtsbewußtsein, wenn es (bitte ergänzen!)

Uber den Bewußtheitsgrad des Unrechtsbewußtseins ist damit nichts gesagt. Das Unrechtsbewußtsein wurzelt in der personalen Schicht des Menschen, in der von frühester Kindheit an Eindrücke von Recht u n d Unrecht gespeichert werden. Mögen die Umstände der Tat (z.B. Zorn, Erregung, Eile, TViebhaftigkeit) das Unrechtsbewußtsein häufig auch in den Hintergrund drängen, so ist es d e n n o c h vorhanden. Zumindest ist es latent vorhanden. (3) A u c h ein solches, im Z e i t p u n k t der Tat nur 1 sein ist aktuelles / potentielles Unrechtsbewußtsein.

vorhandenes Unrechtsbewußt-

Für den A f f e k t t ä t e r (z.B. den A f f e k t m ö r d e r ) ist charakteristisch, daß er sich im Augen(4) blick über das Unrecht seiner Tat Gedanken m a c h t / keine Gedanken m a c h t . Dennoch (5) handelt er in der Regel mit aktuellem Unrechtsbewußtsein, weil (bitte ergänzen!)

Ähnliches gilt für den Gewohnheitstäter.

(6)

Bei ihm ist das aktuelle Unrechtsbewußtsein häufig so a b g e s t u m p f t u n d verkümmert, daß er gar nicht m e h r darüber n a c h d e n k t , ob seine Handlung Recht oder Unrecht ist. Dennoch handelt er mit Unrechtsbewußtsein, u n d zwar mit potentiellem Unrechtsbewußtsein / aktuellem Unrechtsbewußtsein.

Uberhaupt kann m a n ganz allgemein sagen: Wer als Deutscher eines der im StGB geregelten Delikte begeht — m o r d e t , r a u b t , vergewaltigt, stiehlt, betrügt etc. — handelt, falls nicht besondere U m s t ä n d e vorliegen, auf die später in LE 18 einzugehen sein wird, in (7) der Regel m i t Unrechtsbewußtsein.

LE 17 (1) (S) (5) (6)

Unrechtsbewußtsein

267

aktuellem Unrechtsbewußtsein (2) tatsächlich vorhanden ist (o.ä.) latent; aktuelles Unrechtsbewußtsein (4) keine Gedanken macht das Unrechtsbewußtsein, wenn auch zurückgedrängt, doch latent vorhanden ist (o.ä.) aktuellem Unrechtsbewußtsein (7) aktuellem

In der Praxis bereitet die Feststellung des Unrechtsbewußtseins meist geringere Schwierigkeiten, als man annehmen könnte. Für den Kernbereich der herkömmlichen Delikte (Mord, Vergewaltigung, Raub, Diebstahl, (1) Betrug u.a.) ist das aktuelle Unrechtsbewußtsein / das potentielle Unrechtsbewußtsein beim Täter in aller Regel zu vermuten. Ausdrückliche Feststellungen zum Unrechtsbewußtsein des Täters sind in den Übungen und auch später in der Praxis nur zu treffen, wenn begründete Zweifel an seinem Unrechtsbewußtsein bestehen. Letzteres ist vornehmlich der Fall, wenn es sich um einen Ausländer handelt oder wenn die Auslegung des Delikts ungewiß ist oder wenn das Delikt nicht zum Kernbestand des Strafrechts gehört oder auch dann, wenn sich der Beschuldigte auf das Fehlen des Unrechtsbewußtseins explizit berufen hat. Felix Bückle (B) aus Ludwigshafen findet beim Pilzesammeln im Odenwald die stange eines Rehbocks und nimmt sie arglos nach Hause mit, um seinen kleinen damit zu überraschen.

AbwurfSohn

Damit hat er sich „unter Verletzung fremden Jagdrechts eine Sache zugeeignet, die dem Jagdrecht unterliegt", und gemäß § 292 (1) 2. Alt. Jagdwilderei begangen. Wußten Sie, daß man gefundene Abwurfstangen von Rechts wegen nicht behalten darf? (2) J a / N e i n (3) Offenbar hat auch B dies nicht gewußt („arglos") u n d daher ohne Unrechtsbewußtsein gehandelt. (4) Zu seiner Bestrafung gemäß § 292 (1) 2. Alt genügt es aber, wenn er mit Unrechtsbewußtsein gehandelt hat. (5)

-

Mithin lautet die entscheidende Frage, ob B bei pflichtgemäßer Sorgfalt daß er die im Wald gefundene Abwurfstange nicht ohne weiteres behalten durfte. Diese Frage läßt sich jetzt weder mit Sicherheit bejahen noch verneinen. Denn die Entscheidung hängt teils von der weiteren Aufklärung des Sachverhalts, teils von den Kriterien der Sorgfaltspflicht ab, auf die erst in LE 18 näher eingegangen werden kann. Hier kam es nur darauf an, Ihr Problembewußtsein zu wecken. Sie sehen! Delikte, die, wie dieser spezielle Fall der Jagdwilderei, nicht zum Kernbereich des Strafrechts gehören, sind weitgehend unbekannt. Der Täter verwirklicht sie häufig ohne aktuelles Unrechtsbewußtsein. Das gilt erst recht für zahlreiche Delikte außerhalb des StGB, d.h. die Delikte des Nebenstrafrechts.

Im Bereich des Nebenstrafrechts spielt daher insbesondere das aktuelle Unrechtsbewußt(6) sein / das potentielle Unrechtsbewußtsein eine große Rolle.

Unrechtsbewufitsein

268

LE 17

(1) das aktuelle Unrechtsbewußtsein (2) Ich vermute: nein (3) aktuelles (4) potentiellem (5) hätte erkennen können (6) das potentielle Unrechtsbewußtsein

Das Erfordernis des Unrechtsbewußtseins ist von grundlegender Bedeutung für das Selbstverständnis des Strafrechts. Das deutsche Strafrecht ist ein Schuldstrafrecht. (1) Strafbar ist nur, wer

haft handelt.

Schuldhaft handelt aber nur, wer vorwerfbar handelt. Schuld ist Vorwerfbarkeit. (2) Mit dem strafrechtlichen Begriff der Schuld verbindet sich stets ein sozial urteil. Dem Täter wird mit dem Unwerturteil der Schuld vorgeworfen, daß (3) er nicht so gehandelt hat, wie (bitte ergänzen!)

Wer gar nicht weiß und auch nicht zu wissen braucht, daß seine Handlung Unrecht ist, (4) dem kann man die rechtswidrige Tat vorwerfen / nicht vorwerfen. Der Schuldvorwurf (5) bleibt bestehen / entfällt. Der innere Grund des strafrechtlichen Schuldvorwurfs hängt eng mit dem Menschenbild zusammen, das unser Strafrecht zugrundelegt. Das deutsche Strafrecht geht von der Modellfigur des maßgerechten Menschen aus, d.h. (6) von einem Menschen, der (bitte ergänzen!)

(7) Ein solcher Mensch ist befähigt u n d verpflichtet, zwischen Recht und

zu

unterscheiden und sich für das Recht zu entscheiden. Die Betonung liegt auf verpflichtet. (8) Nur derjenige, der entweder weiß, daß seine Handlung Unrecht ist, oder jedenfalls wäre, es zu wissen, handelt vorwerfbar, wenn er gleichwohl Unrecht tut. Nur wer weiß oder wissen muß, daß seine Handlung Unrecht ist, verdient Strafe. Das ist der eigentliche Akzent des Satzes: Ohne Schuld keine Strafe. (9) Auf diese Weise rücken das a

u n d das in den Mittelpunkt der strafrechtlichen Schuldlehre.

Das Unrechtsbewußtsein bildet die Krönung des Schuldprinzips.

Unrechtsbewußtsein

LE 17 (1) (3) (4) (7)

269

schuldhaft (2) sozialethisches Unwerturteil an seiner Stelle ein maßgerechter Mensch gehandelt hätte (o.ä.) nicht vorwerfen (5) entfällt (6) auf dem Boden des Rechts steht (o.a.) Unrecht (8) verpflichtet (9) aktuelle; potentielle Unrechtsbewußtsein

Das Unrechtsbewußtsein ist ein selbständiges Schuldelement der Vorsatzschuld. Es m u ß (1) insbesondere von der S c h u l d f o r m , dem unterschieden werden. Sie erinnern sich an den Fall, in dem der frisch importierte Kannibale Nungu Bongo kleines Mädchen tötet, um es nach seines Stammes Sitte zu verspeisen (S. 191).

ein

Der Verteidiger dieses Kannibalen trägt n u n in der Hauptverhandlung vor: „Bongo stammt aus einem Rechtskreis mit gänzlich anderen Wertmaßstäben. Für ihn sind T ö t u n g und Verzehr eines Menschen das Selbstverständlichste auf der Welt. Daher h a t Nungu Bongo nicht vorsätzlich g e h a n d e l t ! " Hat er vorsätzlich gehandelt? (2) J a / Nein Begründung:

(3)

(4)

Wenn Sie der Anwalt Bongos wären, was würden Sie zu seiner Verteidigung geltend machen?

Der Verteidiger des Nungu Bongo hat offensichtlich miteinander verwechselt.

und



Allerdings ist die Verwechslung beider Schuldelemente leicht erklärlich. Denn zumindest (5) das Unrechtsbewußtsein ähnelt in seiner formalen S t r u k t u r der • k o m p o n e n t e beim Vorsatz. Betrachtet m a n Vorsatz u n d Unrechtsbewußtsein j e d o c h genauer, so bestehen zwischen beiden Schuldelementen auffällige Unterschiede:

(6)

Vorsatz ist stets Tatsachenkenntnis, nämlich Wissen u n d Verwirklichenwollen eines SachVerhalts, der (bitte ergänzen!)

Das Unrechtsbewufitsein dagegen b e z i e h t sich stets auf die rechtliche Seite dieses Sachverhalts, nämlich auf die rechtliche Würdigung, auf die Bewertung der Tat als Unrecht, (7) d.h. als Verstoß gegen die

270

Unrechtsbewußtsein

LE 17

(1) Vorsatz (2) Ja! Denn Bongo hat den Sachverhalt, der dem gesetzlichen Tatbestand des § 212(1) entspricht, nämlich die „Tötung eines Menschen", sehr wohl gekannt und auch verwirklichen wollen. (3) Der Kannibale habe ohne Unrechtsbewußtsein gehandelt. (4) Vorsatz und Unrechtsbewußtsein (5) aktuelle; Wissenskomponente (6) einem bestimmten gesetzlichen Tatbestand entspricht (7) Rechtsordnung Merken Sie sich bitte! Vorsatz u n d Unrechtsbewußtsein sind selbständige Schuldelemente. Zwischen ihnen bestehen prinzipielle Unterschiede. Einmal bezieht sich der Vorsatz stets auf die tatsächliche Seite der Tat (= den „Sachverhalt"), das Unrechtsbewußtsein dagegen stets auf ihre (1) Seite, nämlich auf die Bewertung der Tat als Unrecht. Zum anderen (2) muß nur das Unrechtsbewußtsein / nur der Vorsatz bei Begehung der Tat tatsächlich vorhanden sein. (3) Denn bezüglich des Vorsatzes / des Unrechtsbewußtseins genügt auch

(4) Was bedeutet potentielles Unrechtsbewußtsein?

Hat Nungu Bongo mit aktuellem Unrechtsbewußtsein gehandelt? (5) J a / Nein Begründung:

Hat Nungu Bongo mit potentiellem Unrechtsbewußtsein gehandelt? (6) J a / Nein Begründung:

So lehrreich der Fall des Kannibalen Nungu Bongo ist, so selten kommt er in der Praxis vor. Aktuell ist ein anderer Grenz- und Extremfall, der des Uberzeugungstäters. Der Revolutionär Rudi Putschke erschießt seinen politischen Gegner (§ 212 (1)). Er verteidigt sich wie folgt: „Eure Wertmaßstäbe sind für mich nicht gültig. Von meinem Standpunkt aus, vor meinem Gewissen, ist die Tat, die ich begangen habe, Recht". Hat Rudi Putschke die Tat vorsätzlich begangen? (7) J a / Nein Begründung:

(8) Er hat die Tat mit aktuellem Unrechtsbewußtsein / mit potentiellem Unrechtsbewußtsein begangen. Begründung:

LE 17

Unrechtsbewußtsein

271

(1) rechtliche (2) nur der Vorsatz (3) des Unrechtsbewußtseins; potentielles Unrechtsbewußtsein (4) Der Täter hat das Unrecht seiner Tat zwar nicht erkannt, hätte es aber bei pflichtgemäßer Sorgfalt erkennen können (o.a.). (5) Nein! Es liegt nicht einmal latentes Unrechtsbewußtsein vor (o.a.). (6) Nein! Wie hätte der „frisch importierte Kannibale" in Erfahrung bringen sollen, daß die Tötung eines Menschen bei uns Unrecht ist? (7) Ja! Er hat einen Sachverhalt verwirklichen wollen, der dem gesetzlichen Tatbestand des §212(1) entspricht (o.a.). (8) mit aktuellem Unrechtsbewußtsein. Denn daß er gegen die geltende Rechtsordnung verstößt, war ihm ganz genau bewußt (o.a.). Daß er seine Wertmaßstäbe an die Stelle jener der Rechtsordnung setzt, wird ihm nicht zugestanden. Das „Unrechtsbewußtsein" ist etwas anderes als das „Bewußtsein der Strafbarkeit". Es darf mit jenem weder identifiziert noch verwechselt werden. Als Bewußtsein der Strafbarkeit bezeichnet man das Bewußtsein, sich strafbar gemacht zu haben. (1) Schuld im Sinne von Vorwerfbarkeit setzt das aktuelle oder Bewußtsein des voraus, nicht dagegen das Bewußtsein der Strafbarkeit. Der 15jährige „Kalle" Gaffkus aus Berlin-Zehlendorf hat mit seinen Freunden die weinende 13jährige Sandra an der „Krummen Lanke" entkleidet und unzüchtig betastet (=§176 (1); bitte lesen!). Würde man anstelle des aktuellen oder potentiellen Unrechtsbewußtseins ganz allgemein (2) auf das B d Str abstellen, so könnte sich der Täter o f t unter den fadenscheinigsten Ausflüchten der Strafe entziehen. „Kalle" Gaffkus könnte etwa einwenden: „Ich habe § 176 (1) noch nie gelesen; woher soll ich wissen, daß ich mich strafbar gemacht habe". Oder: „Ich habe geglaubt, man könne sich erst mit 18 strafbar machen". (3) Alle diese Einwendungen lassen sich kaum widerlegen / leicht widerlegen und würden zu einer eklatanten Durchlöcherung / Uberdehnung des Strafschutzes führen. Bestraft werden würde nicht etwa derjenige, der schuldhaft gehandelt hat, sondern nur derjenige, der zu d u m m ist, sich plausible Ausreden bezüglich des Fehlens seines Bewußtseins der Strafbarkeit einfallen zu lassen. (4) Das Bewußtsein der Strafbarkeit ist daher ein geeignetes / kein geeignetes Kriterium, um vorwerfbare Taten von den nicht vorwerfbaren Taten abzugrenzen. Es ist strafrechtlich ohne jeden Belang. (5) Für die Frage der Schuld ist daher nur entscheidend, ob der Täter mit a oder gehandelt hat. Am 12. Dezember hat sich Willi Lumpp (L) vor Gericht wegen eines kurz zuvor begangenen Taschendiebstahls (§ 242 (1)) zu verantworten. „Ich habe geglaubt, daß meine Tat unter die Weihnachtsamnestie fällt", verteidigt sich L. Wird dem L dieser Einwand etwas nützen? (6) J a / Nein Begründung:

272

Unrechtsbewußtsein (1) (3) (5) (6)

LE17

potentielle ¡Unrechts (2) Bewußtsein der Strafbarkeit kaum widerlegen; Durchlöcherung (4) kein geeignetes Kriterium aktuellem oder potentiellem Unrechtsbewußtsein Nein! L hat mit aktuellem Unrechtsbewußtsein gehandelt. Auf das Bewußtsein der Strafbarkeit kommt es nicht an (o.a.).

ZUSAMMENFASSUNG A Das Unrechtsbewußtsein 1. G r u n d l a g e n . Vorwerfbar h a n d e l t , w e r u n r e c h t t u t , o b w o h l e r e n t w e d e r weiß, d a ß s e i n e H a n d l u n g U n r e c h t ist o d e r dies zumindest h ä t t e erkennen können. Vorwerfbar h a n d e l t n u r , w e r mit Unrechtsbewußtsein handelt. Unrechtsbewußtsein ( S y n o n y m : Bewußtsein der Rechtswidrigkeit) ist das Bewußtsein, daß die Tat gegen die Rechtsordnung verstößt. Das StGB und die h. L. folgen damit der seit der grundlegenden Entscheidung des Großen Senats BGHSt 2 200 auch in der Judikatur anerkannten Schuldtheorie. Diese Theorie verdankt ihren Namen dem Umstand, daß sie das Unrechtsbewußtsein nicht als Teil des Vorsatzes (so aber die darum so genannte Vorsatztheorie), sondern als eigenständiges Element der Schuld auffaßt und zwischen Vorsatz und Unrechtsbewußtsein einen scharfen Trennstrich zieht. Die Konsequenzen treten insb. beim Irrtum zutage; vgl. unten B. 2. Einteilungen. D i e W i s s e n s c h a f t u n t e r s c h e i d e t aktuelles Unrechtsbewußtsein u n d potentielles U n rechtsbewußtsein. a) Aktuelles Unrechtsbewußtsein ist wirklich vorhandenes Unrechtsbewußtsein. Das heißt aber nicht, daß der Täter sich über das Unrecht seiner Tat explizit „Gedanken gemacht" haben muß. Die Eindrücke von Recht und Unrecht sind bei jedem Menschen von frühester Kindheit an unverlierbar gespeichert. Auch ein in diesem Sinne latent vorhandenes Unrechtsbewußtsein ist aktuelles Unrechtsbewußtsein. Auch Affekt-, Gewohnheits- und Überzeugungstäter handeln daher i.d.R. mit aktuellem Unrechtsbewußtsein; vgl. Kienapfel OJZ 1976 115. Es genügt, wenn der Verstoß gegen die Rechtsordnung dem Täter wenigstens nach Laienart bewußt ist. Hierfür reicht i.d.R. das Bewußtsein, daß man etwas „von Rechtswegen nicht tun darf"; vgl. Maurach/Zipf A T I §38 RN 13; Kienapfel Ö]Z 1976 116. In Anlehnung an den bedingten Vorsatz ist von der Lehre die Figur des bedingten Unrechtsbewußtseins entwickelt worden. Auch die Rspr. anerkennt inzwischen, daß bereits bedingtes Unrechtsbewußtsein als aktuelles Unrechtsbewußtsein anzusehen ist; vgl. Rudolphi SK §17 RN \2,Jescheck AT §41 I 3b; Kienapfel ÖJZ 1976 116; BGHSt 4 4. Es gibt kein Unrechtsbewußtsein „an sich". Das Unrechtsbewußtsein ist vielmehr wie der Vorsatz tatbestandsbezogen und daher „teilbar". Es ist also denkbar, daß ein und derselbe Täter nur in bezug auf den Tatbestand A mit Unrechtsbewußtsein gehandelt hat, nicht dagegen hinsichtlich des Tatbestands B; h.M.; vgl. Jescheck AT §41 I 3d; instruktiv BGHSt 10 39. b) Von potentiellem Unrechtsbewußtsein spricht man, wenn der Täter das U n r e c h t seiner Tat zwar n i c h t e r k a n n t hat, es bei pflichtgemäßer Sorgfalt aber hätte erkennen können. Das potentielle Unrechtsbewußtsein hängt eng mit dem Menschenbild zusammen, das dem StGB zugrundeliegt. Dieses Menschenbild ist der maßgerechte, d.h. der auf dem Boden des Rechts stehende Mensch; vgl. bereits S. 194. Dieser maßgerechte Mensch ist verpflichtet, alle Erkenntnismöglichkeiten von Recht und Unrecht zu nutzen. Tut er das nicht, steht dieser vorwerfbare Mangel des Unrechtsbewußtseins (d.h. das potentielle Unrechtsbewußtsein) dem aktuellen Unrechtsbewußtsein gleich.

LEI 7

Unrechtsbewußtsein

273

3. Für sämtliche Delikte des StGB und des Nebenstrafrechts genügt potentielles Unrechtsbewußtsein; h.M.; vgl. Wessels AT §10 VI; Kienapfel Strafrechtsfälle 33. Wer ohne aktuelles Unrechtsbewußtsein und nicht einmal mit potentiellem Unrechtsbewußtsein handelt, handelt nicht vorwerfbar. Mit dem so verstandenen Schuldelement „Unrechtsbewußtsein" entfällt die Schuld schlechthin. In der Praxis bereitet die Feststellung des Unrechtsbewußtseins zumindest im Kernbereich der herkömmlichen Delikte (Mord, Diebstahl, Betrug u.ä.) meist keine großen Schwierigkeiten. Bezüglich solcher Delikte ist das aktuelle Unrechtsbewußtsein i.d.R. — zumindest latent — vorhanden. Das gilt nicht im gleichen Maße für das Nebenstrafrecht. Bei den Delikten des Nebenstrafrechts handelt der Täter häufig ohne aktuelles Unrechtsbewußtsein. In solchen Fällen stellt sich die Frage nach dem potentiellen Unrechtsbewußtsein. Wichtiger Hinweis! In den Übungen und in der späteren Praxis sind daher Ausführungen zum Unrechtsbewußtsein des Täters nur zu machen, wenn der Sachverhalt in dieser Hinsicht Zweifel nahelegt. Näheres in LE 18. B Unrechtsbewußtsein und Vorsatz Unrechtsbewußtsein und Vorsatz dürfen nicht miteinander verwechselt werden. Das Unrechtsbewußtsein bildet ein vom Vorsatz getrenntes selbständiges Schuldelement im systematischen Aufbau der Vorsatzschuld; sog. Schuldtheorie; h.M.; vgl. etwa Maurach/Zipf AT I §22 R N 9ff.; Wessels AT §11 13. Darin besteht der prinzipielle Unterschied zur (früheren) Vorsatztheorie. Diese betrachtet das Unrechtsbewußtsein als wesentlichen Bestandteil des Vorsatzes, geht mithin vom „bösen Vorsatz" aus. Fehlt das Unrechtsbewußtsein, so entfällt der Vorsatz; so noch heute Schmidhäuser AT 10/57. Diese Theorie ist jedoch durch die eindeutige Gesetzeslage überholt (arg. §17 Satz 1). Zwischen Vorsatz und Unrechtsbewußtsein bestehen mannigfaltige, insb. inhaltliche Unterschiede. Der Vorsatz bezieht sich auf die tatsächliche Seite der Tat (= „Sachverhalt" bzw. „Umstände" i.S.d. §16 (1) Satz 1). Das Unrechtsbewußtsein bezieht sich auf ihre rechtliche Seite, d.h. auf die Bewertung der Tat als Unrecht. Außerdem muß der Vorsatz im Zeitpunkt der Tat tatsächlich, das Unrechtsbewußtsein dagegen nur „potentiell" vorhanden sein. C Unrechtsbewußtsein und Bewußtsein der Strafbarkeit Das (aktuelle bzw. potentielle) Unrechtsbewußtsein darf schließlich nicht mit dem Bewußtsein der Strafbarkeit verwechselt werden. Letzteres ist weder Voraussetzung für die Schuld noch für die Bestrafung des Täters. Das Unrechtsbewußtsein ist als Schuldelement notwendiger Bestandteil jeder strafrechtlichen Schuldprüfung. O b dem Täter die Strafbarkeit seiner Handlung bewußt oder auch nur erkennbar war, ist dagegen für die Frage seiner Schuld gleichgültig. Wer das Unrecht seiner Handlung kennt oder zumindest zu kennen verpflichtet ist, handelt daher auch dann schuldhaft (und strafbar), wenn er sich der Strafbarkeit seiner Handlung nicht bewußt gewesen ist.

Weiterführendes Schrifttum: Zum Unrechtsbewußtsein vgl. näher Jescheck AT §41 I; Kienapfel ÖJZ 1976 113—117. Eingehend zur Schuld- bzw. Vorsatztheorie Baumann AT §27 III 2—3; Maurach/Zipf AT I §37 RN 10-23.

274

Testfragen zur LE 17

TE 17

2.1

Welcher inhaltliche Unterschied besteht zwischen Vorsatz und Unrechtsbewußtsein?

1.1

Nennen Sie die beiden Arten des Unrechtsbewußtseins!

1.2

Definieren Sie „potentielles Unrechtsbewußtsein"!

2.2

Wer eine Bank ausraubt (§ 249 (1)), ein Flugzeug entführt (§ 316 c (1)), Geiseln nimmt (§ 239 b (1)), wer Geld oder Urkunden fälscht (§§ 146 (1), 267 (1)), handelt daher wohl stets mit potentiellem Unrechtsbewußtsein / mit aktuellem Unrechtsbewußtsein.

1.3

Gewohnheitstäter und Affekttäter handeln in der Regel mit aktuellem Unrechtsbewußtsein / potentiellem Unrechtsbewußtsein, weil (bitte ergänzen!)

2.3

Weit verbreitet, aber irrig ist die Annahme, der Finder dürfe geringwertige Gegenstände behalten. In diesem Sinne hatte auch Frau Lutterbeck aus Mülheim/Ruhr ihre 15jährige Tochter Hedwig (H) instruiert. Als diese bei einem Besuch in der Essener Gruga ein Fünfmarkstück findet, steckt sie es daher guten Gewissens ein, um sich etwas dafür zu kaufen. In Wirklichkeit hat H damit den Tatbestand der „Unterschlagung" erfüllt. Lesen Sie bitte § 246 (1) 1 .Alt! 1. Hat H vorsätzlich gehandelt? J a / Nein Begründung:

2. Hat H mit aktuellem Unrechtsbewußtsein gehandelt? J a / Nein Begründung:

3. Dem Sachverhalt lassen sich einige Anhaltspunkte dafür entnehmen, daß bei H nicht einmal potentielles Unrechtsbewußtsein anzunehmen ist. Nennen Sie mindestens einen Anhaltspunkt!

4. Wer weder mit aktuellem noch mit potentiellem Unrechtsbewußtsein handelt, handelt und ist daher strafbar / straflos.

TE 17

Testfragen

275

2.4

Das Bewußtsein der Strafbarkeit gilt als beachtlich / als unbeachtlich. Warum?

2.5

Im Anschluß an eine Mitternachtsparty in der „ Tenne" in Kitzbühel erliegt die fesche Gattin des Wiener Kommerzialrates Schatzlmair dem Drängen des deutschen Herrenreiters Axel von Frauenlob. Als Schatzlmair von diesem Seitensprung seiner Gattin erfährt, erhebt er Privatanklage gegen Frauenlob wegen Ehebruchs bei einem österreichischen Gericht. Ehebruch ist nach österreichischem Strafrecht (§ 194 öst StGB) — im Gegensatz zum deutschen Strafrecht — strafbar. Frauenlob verteidigt sich wie folgt: 1. „Ich habe zwar gewußt, daß der Ehebruch in Österreich verboten ist. Mir war aber nicht bekannt, daß ich als deutscher Staatsangehöriger in diesem Falle österreichischer Gerichtsbarkeit unterliege und daher gemäß § 194 öst StGB bestraft werden kann". Dieser Einwand betrifft seinen Vorsatz / sein Unrechtsbewußtsein / sein Bewußtsein der Strafbarkeit und ist daher beachtlich / unbeachtlich. 2. Normalerweise wird sich Frauenlob allerdings wie folgt verteidigen: „Ich bin Deutscher. In Deutschland ist Ehebruch nicht mehr strafbar. Ich habe nicht gewußt, daß er in Österreich noch strafbar ist". Dieser Einwand scheint auf den ersten Blick nur das Bewußtsein der Strafbarkeit zu betreffen. In Wirklichkeit betrifft er aber bereits das Unrechtsbewußtsein des Frauenlob. Begründen Sie dies bitte!

1.4

In welchem Bereich des Strafrechts spielt die Frage des potentiellen Unrechtsbewußtseins in der Praxis die größte Rolle?

1.5

Können Sie einen Fall nennen oder bilden, in dem der Täter weder mit aktuellem noch mit potentiellem Unrechtsbewußtsein gehandelt hat und Ihrer Meinung nach überhaupt keine Strafe verdient?

Testfragen

276 2.6

TE 17

Der Göttinger Architekt Mies Bauhaus (B) ist nicht mehr ganz nüchtern, als er vom Richtfest in Roringen heimfährt. In Weende streift er einen abgestellten PKW und beschädigt diesen erheblich. B wartet das Eintreffen des von Dritten alarmierten Eigentümers nicht ab, sondern klemmt seine Visitenkarte unter den Scheibenwischer des anderen Wagens und fährt rasch weiter. 1. Hat B Ihrer Meinung nach den Tatbestand des „Unerlaubten Entfernens vom Unfallo r t " (§ 142 (1) Z 1; bitte lesen!) verwirklicht? J a / Nein

2. Lesen Sie bitte zunächst die Musterantwort zu 2.6 1! B bringt zu seiner Verteidigung vor, „er sei guten Glaubens gewesen. Denn er habe nicht gewußt, daß sein Verhalten unerlaubtes Entfernen vom Unfallort sei". Dieser Einwand betrifft den Vorsatz / das Unrechtsbewußtsein des B, weil (bitte ergänzen!)

2.7

Ihr Kommilitone behauptet: „Unrechtsbewußtsein ist identisch mit Paragraphenkenntnis". Ist diese Behauptung richtig? Ja / Nein Begründung:

4.1

Der Hund „Knurr" des K jagt den Kater „Murr" des M. Damit „Murr" nichts passiert, erschießt M den „Knurr" (§ 303 (1)). 1. Ist M durch rechtfertigenden Notstand gerechtfertigt? J a / Nein

Begründung:

2. M verteidigt sich damit, er habe geglaubt, den Hund unter diesen Umständen erschießen zu dürfen. Das Problem dieses Falles liegt beim Vorsatz / beim Unrechtsbewußtsein.

TE 17

Antworten

277

2.1

Der Vorsatz bezieht sich auf die tatsächliche Seite der Tat (= den Sachverhalt). Das Unrechtsbewußtsein auf die rechtliche Seite der Tat, d.h. darauf, daß die Tat als Unrecht bewertet wird (o.a.).

1.1

Aktuelles Unrechtsbewußtsein; potentielles Unrechtsbewußtsein

1.2

Vom potentiellen Unrechtsbewußtsein spricht man, wenn der Täter das Unrecht seiner Tat zwar nicht erkannt hat, es bei pflichtgemäßer Sorgfalt aber hätte erkennen können (o.ä.).

2.2

mit aktuellem Unrechtsbewußtsein

1.3

mit aktuellem Unrechtsbewußtsein; weil ihr Unrechtsbewußtsein meist wirklich (zumindest latent) vorhanden ist (o.ä.)

2.3

1. Ja! Konkret formuliert: Sie hat sich das fremde Fünfmarkstück, an dem sie Gewahrsam begründet hat, zueignen wollen. Oder abstrakt formuliert: Sie hat den Sachverhalt, der dem gesetzlichen Tatbestand des § 246 (1) l.Alt entspricht, verwirklichen wollen. 2. Nein! Sie handelte „guten Gewissens". Ihr war das Unrecht ihrer Tat nicht einmal latent bewußt (o.ä.). 3. Kinder beziehen die wesentlichen Informationen über Recht und Unrecht in der Regel von ihren Eltern. H konnte und durfte sich auf die, wenn auch falsche, Auskunft ihrer Mutter verlassen. Außerdem entspricht der Irrglaube einer verbreiteten Ansicht. 4. ohne Schuld = schuldlos = nicht schuldhaft = nicht vorwerfbar o.a.; straflos

2.4

Als unbeachtlich! Weil im gegenteiligen Falle die mannigfaltigsten Ausflüchte möglich wären und der Strafschutz durchlöchert würde (o.ä.).

2.5

1. sein Bewußtsein der Strafbarkeit; unbeachtlich 2. Wenn Frauenlob geglaubt hat, daß Ehebruch auch in Österreich nicht mehr strafbar sei, hat er notwendigerweise auch angenommen, daß -die Tat in Österreich kein strafrechtliches Unrecht mehr sei. Ihm fehlt daher nicht nur das Strafbarkeitsbewußtsein (das für sich allein wäre unbeachtlich), 'sondern auch das aktuelle Unrechtsbewußtsein. Immerhin bliebe die Frage des potentiellen Unrechtsbewußtseins zu prüfen.

1.4

Im Nebenstrafrecht

1.5

Z.B. Nungu Bongo; aber auch Hedwig Lutterbeck (s. oben 2.3)

2.6

1. Ja! Das Gesetz verlangt in § 142 (1) Z 1 ausdrücklich, daß B die erforderlichen Feststellungen „durch seine Anwesenheit" ermöglichen muß. Im übrigen ermöglicht das Hinterlassen der Visitenkarte nur die Feststellung der Person des Unfallbeteiligten, nicht aber die Feststellung der „Art seiner Beteiligung" (z.B. des Grades seiner Trunkenheit). 2. das Unrechtsbewußtsein des B, weil er nicht gewußt hat, „daß sein Verhalten unerlaubtes Entfernen vom Unfallort sei", d.h. Unrecht i.S.d. § 142 (1) Z 1 ist (o.a.). Der Vorsatz des B dagegen wird durch diesen Einwand nicht berührt. Denn B hat genau den Sachverhalt verwirklichen wollen, der dem gesetzlichen Tatbestand des § 142 (1) Z 1 entspricht.

2.7

Nein! Der Kommilitone verwechselt offenbar Unrechtsbewußtsein mit Bewußtsein der Strafbarkeit. Wäre diese Behauptung richtig, besäßen nur Juristen ein Unrechtsbewußtsein (o.ä.).

4.1

1. Nein! Möglicherweise noch keine „gegenwärtige" Gefahr (,.Damit Murr nichts passiert"). Bejaht man die „Gegenwärtigkeit" der Gefahr, ist möglicherweise „Abwendbarkeit der Gefahr auf andere Weise" anzunehmen. In jedem Falle wohl aber kein wesentliches Oberwiegen des geschützten Interesses. 2. Beim Unrechtsbewußtsein. Näheres in LE18.

278

VERBOTSIRRTUM

LE 18

L e r n z i e l : Der „Verbotsirrtum" bildet neben dem „Tatbestandsirrtum" die zweite strafrechtlich bedeutsame Irrtumskategorie. Sie werden seine beiden Erscheinungsformen, den „direkten Verbotsi r r t u m " und den „indirekten Verbotsirrtum" und seine Rechtsfolgen kennenlernen. Sie sollen diesen Irrtum bei entsprechenden Sachverhalten erkennen und ihn vom Tatbestandsirrtum und dem unbeachtlichen Irrtum Uber die Strafbarkeit abgrenzen lernen.

Sie erinnern sich an Nungu Bongo, den nach Bremen importierten Mädchen, um es nach seines Stammes Sitte zu verspeisen.

Kannibalen.

Er tötet

ein

Nungu Bongo hat keine Vorstellung davon, daß seine Tat nach deutschem Recht verboten und daher Unrecht ist. Wer eine falsche oder — wie Nungu Bongo — überhaupt keine Vorstellung von der Wirklichkeit (hier von der Rechtswirklichkeit) hat, befindet sich in (1) einem (2) Genau besehen hat sich Nungu Bongo über das

seiner Tat geirrt.

Einen solchen Irrtum nennt m a n Verbotsirrtum. Das StGB regelt den Verbotsirrtum in § 17. Bitte lesen! Es umschreibt diesen Irrtum etwas umständlich, daß dem Täter bei Begehung der Tat die (3) Einsicht fehlt, (bitte ergänzen!)

Im Lernprogramm wollen wir mit einer etwas kürzeren, inhaltlich aber übereinstimmenden Definition arbeiten: Ein Verbotsirrtum liegt vor, wenn der Täter das Unrecht seiner Tat nicht erkennt. (4) Nungu Bongo hat sich in einem Tatbestandsirrtum / Verbotsirrtum befunden, weil (bitte ergänzen!)

Für den Verbotsirrtum ist es gleichgültig, ob der Täter eine falsche Vorstellung oder über(5) haupt Vorstellung davon besitzt, daß seine Tat ist. (6) Von einem Verbotsirrtum spricht man, wenn der Täter (bitte ergänzen!)

Verbotsirrtum

LE 18

279

(1) Irrtum (2) Unrecht bzw. Verbotensein (3) Unrecht zu tun (4) Verbotsirrtum; er das Unrecht seiner Tat nicht erkannt hat (5) keine; Unrecht (6) das Unrecht seiner Tat nicht erkennt

(1)

In LE 17 h a t t e n wir im selben Fall bereits die Feststellung g e t r o f f e n : Nungu Bongo hat mit Unrechtsbewußtsein / ohne Unrechtsbewußtsein gehandelt.

(2) J e t z t h a b e n Sie festgestellt: Nungu Bongo hat sich in einem befunden. Welche von beiden Feststellungen ist n u n

richtig?

Richtig sind beide Feststellungen. Wer sich in einem Verbotsirrtum b e f i n d e t , handelt ohne (aktuelles) Unrechtsbewußtsein. (3)

Ein Verbotsirrtum schließt das (aktuelle)

aus.

Die Lehre vom Verbotsirrtum ist somit die Fortsetzung der Lehre v o m Unrechtsbewußtsein mit negativem Vorzeichen. Die Wissenschaft unterscheidet zwei Arten des Verbotsirrtums, den direkten Veifootsirrtum u n d d e n indirekten Verbotsirrtum. Das Gesetz selbst schweigt zu dieser Einteilung. Beginnen wir mit d e m „direkten V e r b o t s i r r t u m " . V o n einem direkten Verbotsirrtum spricht m a n , wenn der T ä t e r deshalb ohne Unrechtsbewußtsein handelt, weil er überhaupt nicht erkennt, d a ß seine Tat verboten u n d (4) daher ist.

(5) (6)

Der Fall des Kannibalen Nungu Bongo ist übrigens ein klassisches Beispiel für einen Verbotsirrtum. Warum?

Im Bereich der Delikte des StGB k o m m t der direkte Verbotsirrtum in der Praxis verhältnismäßig selten vor. Denn in der Regel „weiß m a n " , daß Mord, Vergewaltigung, Raub, Diebstahl, Betrug etc. verboten u n d daher Unrecht sind. Große praktische Bedeutung hat der direkte Verbotsirrtum j e d o c h außerhalb des Kernbereichs der herkömmlichen Delikte, vor allem im Nebenstrafrecht. Ein Beispiel für die praktische Relevanz des direkten Verbotsirrtums bildet etwa in LE 17 S. 2 6 7 d e r Fall des Felix BUckle, der nicht w u ß t e , daß m a n sich d u r c h Mitnahme von im Wald g e f u n d e n e n Abwurfstangen der Jagdwilderei (§ 2 9 2 (1) 2. Alt) strafbar macht. (7)

Bückte b e f a n d sich in einem direkten Verbotsirrtum / indirekten Verbotsirrtum u n d handelte deshalb o h n e aktuelles

LE 18

Verbotsirrtum

280 (1) (5) (6) (7)

ohne Unrechtsbewußtsein (2) Verbotsirrtum (3) Unrechtsbewußtsein (4) Unrecht direkten Weil Nungu Bongo überhaupt nicht erkannt hat, daß seine Tat verboten und daher Unrecht ist (o.a.). direkten Verbotsirrtum; Unrechtsbewußtsein

(1) Von erheblicher praktischer Bedeutung sowohl im StGB als auch im N ist der indirekte Verbotsirrtum.

strafrecht

Man nennt diesen Verbotsirrtum einen „indirekten", weil sich der Täter an sich nicht über das Verbot selbst (also nicht „direkt") irrt, sondern aus anderen Gründen das Unrecht seiner Tat nicht erkennt. Beim indirekten Verbotsirrtum erkennt der Täter zwar, daß seine Tat „an sich" (2) v und daher Unrecht ist, glaubt aber, im konkreten Fall gerechtfertigt zu sein und deshalb nicht unrecht zu handeln. (3) Genauer: Beim i

Verbotsirrtum irrt sich der Täter entweder

über die Existenz eines Rechtfertigungsgrundes oder über die Grenzen eines Rechtfertigungsgrundes und erkennt deshalb nicht, daß seine Tat

ist.

Hochwürden hält es mit Hebräer 12,6 „ Welchen der Herr liebhat, den züchtigt er" und verpaßt dem aufmüpfigen Ralph im Erstkommunionsunterricht eine saftige Ohrfeige (= § 223 (1)). Von den erzürnten Eltern gemäß § 223 (1) angezeigt, beruft sich der Geistliche auf sein Züchtigungsrecht als Seelsorger. Anders als das Züchtigungsrecht des Lehrers wird ein Züchtigungsrecht des Pfarrers von der Rechtsprechung heute verneint. (5) Der Pfarrer befindet sich daher in einem direkten Verbotsirrtum / in einem indirekten Verbotsirrtum über die -

(6) Daraus folgt für die Frage des Unrechtsbewufitseins: Der Pfarrer handelt ohne Unrechtsbewußtsein. (7)

Bei pflichtgemäßer Sorgfalt hätte er das Unrecht seiner Tat nicht erkennen / erkennen können.

(8) Er handelt also mit

Unrechtsbewußtsein.

LE 18

Verbotsintum

281

(1) Nebenstrafrecht (2) verboten (3) indirekten; Unrecht (4) Existenz; Grenzen (5). indirekten Verbotsirrtum über die Existenz eines Rechtfertigungsgrundes (6) aktuelles (7) erkennen können (8) potentiellem Bevor wir zu weiteren Beispielen k o m m e n , b e t r a c h t e n Sie zunächst das folgende Schau(1) bild u n d ergänzen Sie das Fehlende!

Aus TE 11 (S. 160):Ein Bauer sieht, wie ein Gänsedieb mit der Gans unterm Arm das Weite sucht. Der kräftige Bauer greift nach seiner alten Militärpistole, setzt dem gehbehinderten und eher schwächlichen Dieb nach und schießt ihm aus 5 m Entfernung in den Rücken. (2)

N o t w e h r kam für den Bauern nicht in Betracht, weil (bitte ergänzen!)

Immerhin hat der Bauer fest daran geglaubt, d a ß die Abgabe des Schusses d u r c h Notwehr (3) gedeckt war. Da diese Vorstellung m i t der Rechtswirklichkeit nicht übereinstimmt /übereinstimmt, war er einem erlegen. (4)

Bei diesem I r r t u m handelt es sich u m einen direkten Verbotsirrtum / indirekten Verbotsi r r t u m über die (5) Begründen Sie Ihre eben getroffene Entscheidung!

In TE 17 (S. 276) hatten Sie sich mit folgendem Fall befaßt: Der Hund „Knurr" des K jagt den Kater „Murr" des M. Damit „Murr" nichts passiert, erschießt M den „Knurr" (= § 303 (1)). M verteidigt sich damit, er habe geglaubt, den Hund unter diesen Umständen erschießen zu dürfen. (6)

Sie h a t t e n festgestellt, d a ß das Problem dieses Falles beim Vorsatz / beim Unrechtsbewußtsein liegt. J e t z t können Sie darüber bereits Genaueres aussagen.

(7) M befindet sich in einem indirektenVerbotsirrtum/ direkten Verbotsirrtum über die Grenzen / die Existenz eines b e s t i m m t e n Rechtfertigungsgrundes, nämlich des -

(8)

Beim direkten Verbotsirrtum erkennt der Täter überhaupt nicht, daß (bitte ergänzen!)

(9)

Beim indirekten Verbotsirrtum liegen die Dinge etwas anders. Hier irrt sich der Täter über (bitte ergänzen!)

282

Verbotsirrtum

LE 18

(1) (2) (4) (5) (6) (7)

direkter Verbotsirrtum; indirekter Verbotsirrtum; Grenzen diese Verteidigung nicht erforderlich war (o.ä.) (3) nicht übereinstimmt; Irrtum indirekten Verbotsirrtum über die Grenzen eines Rechtfertigungsgrundes (Notwehr) o.a. Der Bauer hatte die „Erforderlichkeit" der Verteidigung überdehnt (o.a.). beim Unrechtsbewußtsein indirekten Verbotsirrtum über die Grenzen eines bestimmten Rechtfertigungsgrundes, nämlich des rechtfertigenden Notstands (8) seine Tat verboten und daher Unrecht ist (9) die Existenz oder die Grenzen eines Rechtfertigungsgrundes (und erkennt deshalb nicht, daß er Unrecht tut) o.ä.

Grenzen wir den Verbotsirrtum zunächst von anderen Irrtumsarten ab. Eine ziemlich klare Grenze verläuft zwischen Verbotsirrtum ( § 1 7 ) u n d Tatbestandsirrtum (§ 16 (1)). Der wesentliche Unterschied liegt im Bezugsobjekt.

(1)

Der Tatbestandsirrtum bezieht sich auf die tatsächliche Seite der Tat. Infolge eines solchen Irrtums erkennt der Täter nicht, daß er einen verwirklicht, der (bitte ergänzen!)

(2)

Der Verbotsirrtum dagegen bezieht sich stets auf die

Seite der Tat.

(3) Infolge eines solchen Irrtums erkennt der Täter nicht, daß sein Verhalten

ist.

Bildlich gesprochen: Der Tatbestandsirrtum verhüllt dem Täter, daß er einen Sachverhalt verwirklicht, der einem gesetzlichen Tatbestand entspricht; der Verbotsirrtum verhüllt ihm das Unrecht. Blättern Sie bitte zurück auf S. 233 und lesen Sie das Beispiel des bei der Geburt ten Horst (H), der später mit seiner leiblichen Schwester Bettina verkehrt.

vertausch-

(4) Es handelt sich beim Irrtum des H um einen Verbotsirrtum / um einen Tatbestandsirrtum, weil (bitte ergänzen!)

An sich unproblematisch ist die Abgrenzung von Verbotsirrtum ( § 1 7 ) und dem prinzipiell (5) beachtlichen / prinzipiell unbeachtlichen Irrtum über die Strafbarkeit: (6)

Der Verbotsirrtum verhüllt dem Täter den Sachverhalt / das Unrecht, der Irrtum über die Strafbarkeit verhüllt dem Täter weder den noch das sondern allein die St

(7) Welche Rechtsfolgen zieht der Irrtum über die Strafbarkeit nach sich?

LE 18

283

Verbotsirrtum

(1) Sachverhalt; einem gesetzlichen Tatbestand entspricht (2) rechtliche (3) Unrecht (4) um einen Tatbestandsirrtum, weil H sich bereits über die tatsächliche Seite seiner Tat geirrt hat. Denn er hat nicht erkannt, daß er einen Sachverhalt verwirklicht, der dem gesetzlichen Tatbestand des § 173 (2) Satz 2 entspricht (o.a.). (5) prinzipiell unbeachtlichen (6) das Unrecht; Sachverhalt; Unrecht; Strafbarkeit (7) Keine! Der Täter wird also bestraft.

Aber hier heißt es aufpassen! Hinter einem scheinbar unbeachtlichen Irrtum über die Strafbarkeit verbirgt sich manchmal ein anderer, und zwar ein strafrechtlich beachtlicher Irrtum. Der Pensionsbesitzer Fucek aus Pörtschach in Kärnten ist seines Lebens überdrüssig. Die Gattin ist ihm nicht treu, die Tochter bekommt ein uneheliches Kind und weiß nicht von wem, und das Geschäft geht auch nicht mehr so wie früher. Er bittet seinen Feriengast Müller (M) aus Duisburg um einen „letzten Dienst", einen festen Strick. M verschafft dem Lebensmüden das Gewünschte. Fucek erhängt sich. Das Verhalten Müllers erfüllt nach österreichischem Recht das Delikt „Mitwirkung am Selbstmord" (§ 78 öst StGB). Anders bei uns. Es gibt kein dem § 78 öst StGB vergleichbares strafrechtliches Verbot. M verteidigt sich sehr pauschal: „Ich habe mein Verhalten nicht für strafbar

gehalten".

Diese Aussage ist mehrdeutig. Man muß ihr auf den Grund gehen (im Strafprozeß insbesondere durch Befragen des M). Sie kann z.B. bedeuten: Als Deutscher ist mir ein strafrechtliches gemäß gänzlich unbekannt.

Verbot der Mitwirkung

am Selbstmord

natur-

Bei dieser Auslegung verbirgt sich hinter der zunächst nicht spezifizierten Erklärung des M (1) ein Oder: Mir war das österreichische Delikt zwar bekannt, aber ich glaubte, durch die Einwilligung des Fucek gerechtfertigt zu sein. Mit dieser Spezifikation verbirgt sich hinter der Erklärung des M ein (bitte ergänzen, in(2) dem Sie diesen Irrtum des M so genau wie möglich bezeichnen!)

Oder: Ich habe Fucek zwar den Strick verschafft, aber das Ganze nur für Theater gehalten. (3)

gutgespieltes

Mit dieser Spezifikation verbirgt sich hinter der Erklärung des M ein

Prüfen Sie daher bei einem Irrtum, der Ihnen als schlichter und daher scheinbar unbeachtlicher Strafbarkeitsirrtum präsentiert wird, stets sehr genau, ob sich dahinter nicht ein (4) beachtlicher Irrtum, nämlich insbesondere ein irrtum oder ein irrtum verbirgt. Unbeachtlich ist nur ein solcher Irrtum über die Strafbarkeit, der nicht spezifiziert bzw. nicht spezifizierbar ist.

Verbotsirrtum

284

LE 18

(1) direkter Verbotsirrtum (2) indirekter Verbotsirrtum über die Grenzen eines Rechtfertigungsgrundes (nämlich der Einwilligung) (3) Tatbestandsirrtum (4) Verbotsirrtum; Tatbestandsirrtum Wenden wir uns n u n m e h r d e n Rechtsfolgen des Verbotsirrtums zu. Die Rechtsfolgen des Verbotsirrtums sind in § 17 sowohl für den indirekten als auch für (1) den Verbotsirrtum geregelt. Bitte lesen! Das Gesetz sieht keine einheitlichen Rechtsfolgen des Verbotsirrtums vor. Es differenziert bezüglich der Rechtsfolgen vielmehr zwischen d e m vermeidbaren Verbotsirrtum ( § 1 7 Satz 2) u n d dem (2)

nicht vermeidbaren Verbotsirrtum (§ 17 Satz

).

Die Rechtsfolgen des Verbotsirrtums: (3)

Bitte einsetzen!

(4)

Das für die Rechtsfolgen des Verbotsirrtums entscheidende Kriterium bildet somit die Frage nach der des Irrtums.

(5)

Völlige Straflosigkeit tritt bei einem Verbotsirrtum also nur dann ein, w e n n dieser Irrtum war. Die Praxis ist in der A n n a h m e eines nicht vermeidbaren Verbotsirrtums überaus zurückhaltend. Von den bisherigen Beispielen dieses Lernprogramms würde am ehesten im Kannibalen* Fall (S. 191) ein nicht vermeidbarer Verbotsirrtum u n d damit auch ein Entfallen von Schuld u n d Strafe in Betracht k o m m e n . Meist ist ein Verbotsirrtum vermeidbar.

(6) In diesen Fällen wird der Täter bei einem Vorsatzdelikt wegen Tat (7) b e s t r a f t . Aber es besteht die Möglichkeit der Strafverschärfung / Strafmilderung gemäß § i.V.m. §

LE 18

Verbotsintum

285

(1) direkten (2) § 1 7 Satz 1 (3) Strafmilderung; Strafe (4) Vermeidbarkeit (5) nicht vermeidbar (6) vorsätzlicher (7) Strafmilderung gemäß § 17 Satz 2 i.V.m. § 49 (1) Wann ist der Verbotsirrtum vermeidbar? Mit dieser Frage beginnen für die Praxis die eigentlichen Schwierigkeiten. Sie werden noch dadurch verstärkt, daß es sich bei der Vermeidbarkeit des Verbotsirrtums u m einen in h o h e m Maße normativen, d.h. also wertausfüllungsbedürftigen Begriff handelt. Allgemein läßt sich sagen: Ein Verbotsirrtum ist vermeidbar, w e n n der Täter h ä t t e erken(1) nen sollen und können,-daß seine Tat war. (2)

Die Frage ist nur, w a n n der Täter h ä t t e erkennen

und

daß

seine Tat Unrecht war. Diese Frage wird durch § 17 zwar aufgeworfen, aber nicht b e a n t w o r t e t . Folgende Kriterien k ö n n e n hier weiterhelfen. 1. Kriterium: Der Verbotsirrtum ist vermeidbar, w e n n das Unrecht für den Täter wie für j e d e r m a n n leicht erkennbar war. (3)

Beachten Sie den D o p p e l m a ß s t a b ! „Für den Täter wie für

"!

(4)

Das Kriterium führt im Kernbereich der strafrechtlichen Delikte (Mord, Raub, Betrug, Diebstahl etc.) im Regelfall zur A n n a h m e der Vermeidbarkeit / der Unvermeidbarkeit des

(5) Verbotsirrtums. Warum?

(6)

Es gibt jedoch Fälle, in d e n e n das j e d e r m a n n , aber nicht für d e n Täter leicht erkennbar war.

zwar für

S t a m m t der Täter etwa aus einem Rechtskreis, nach dem er von der allgemeinen (= „jederm a n n " möglichen) Einsicht in das Unrecht der Tat ausgeschlossen ist, so ist das Unrecht (7) seiner Tat für ihn nicht leicht erkennbar u n d der irrtum daher

(8) Im Kannibalen-Fall ist es zwar für leicht erkennbar, daß die T ö t u n g eines Mädchens, u m es zu verspeisen, Unrecht ist, nicht aber für

(9) Warum nicht?

(10)

Darum läßt sich mit Hilfe dieses Kriteriums die Vermeidbarkeit des Verbotsirrtums des Nungu Bongo begründen / nicht begründen.

(11) Es ist jedoch zu untersuchen, ob sich die Vermeidbarkeit des des Nungu Bongo mit Hilfe eines anderen Kriteriums begründen läßt.

286

Verbo tsirrtum

LE 18

(1) Unrecht (2) sollen und können (3) jedermann (4) der Vermeidbarkeit des Verbotsirrtums (5) Weil bei solchen Delikten das Unrecht der Tat für den Täter wie für jedermann leicht erkennbar ist (o.a.). (6) Unrecht der Tat (7) Verbotsirrtum; nicht vermeidbar (8) jedermann; Nungu Bongo (9) Weil Nungu Bongo aus einem Rechtskreis stammt, in dem das Tötungsverbot nicht mit jener Unbedingtheit gilt wie bei uns (o.a.). (10) nicht begründen (11) Verbotsirrtums

2. Kriterium: Der V e r b o t s i r r t u m ist auch dann vermeidbar, w e n n der Täter a u f g r u n d seines Berufs, seiner Stellung o d e r sonstiger Umstände verpflichtet gewesen wäre, sich nach den einschlägigen V o r s c h r i f t e n zu erkundigen. Der Sonntagsjäger Horrido schießt in seinem Garten (also nicht etwa in seinem die fremde Perserkatze Farahdiva ab (= § 303 (1)), als sie gerade Mäuse fängt.

Jagdrevier)

Nach dem Landesjagdrecht (z.B. § 22 (3) Z 2 J a g d G NRW) darf ein Jagdausübungsberechtigter, wie Sie bereits wissen, in seinem Jagdrevier „wildernde Katzen abschießen". Auf eben diesen Rechtfertigungsgrund beruft sich Horrido. Horrido irrt sich offenkundig. (1) Welcher Art von Irrtum ist Horrido erlegen?

(2) Dieser Irrtum war vermeidbar / unvermeidbar, weil (bitte ergänzen!)

(3)

Daher ist Horrido nach Maßgabe des § 17 Satz 1 / des § 17 Satz 2 wegen vorsätzlicher Sachbeschädigung (§ 3 0 3 (1)) zu bestrafen / nicht zu bestrafen. Das 2. Vermeidbarkeitskriterium erfaßt insbesondere auch Ausländer, etwa ausländische Studenten, Gastarbeiter etc., die sich in Deutschland a u f h a l t e n u n d schneidet ihnen im allgemeinen d e n E i n w a n d ab, sie hätten nicht gewußt, was hier Recht u n d Unrecht ist.

(4)

Sie sind wegen ihres A u f e n t h a l t s in Deutschland (= „auf G r u n d sonstiger U m s t ä n d e " ) verpflichtet, sich nach d e n in Deutschland gültigen Rechtsvorschriften -

Läßt sich etwa mit Hilfe des zweiten Kriteriums die Vermeidbarkeit des Verbotsirrtums des Nungu Bongo begründen? (Bedenken Sie, daß der frisch importierte Kannibale nicht einmal lesen kann u n d erst recht kein Deutsch versteht!) (5) J a / Nein Begründung:

(6) Nungu Bongo m u ß daher v o n der Anklage vorsätzlicher T ö t u n g (§ 212 (1)) mangels Tat-

(7)

bestandsmäßigkeit / mangels Rechtswidrigkeit / mangels Schuld freigesprochen werden. Das ergibt sich aus § 17 u n d ist eine Konsequenz des prinzips.

L E 18

Verbotsirrtum

287

(1) Einem indirekten Verbotsirrtum über die Grenzen eines Rechtfertigungsgrundes (2) vermeidbar, weil Horrido nach seinem (Neben-) Beruf als Jäger verpflichtet gewesen wäre, sich nach den maßgeblichen Jagdvorschriften zu erkundigen (o.a.). (3) nach Maßgabe des §17 Satz 2; zu bestrafen. (Da dieser Irrtum des Horrido seine Vorsatzschuld nicht mindert, kommt eine Strafmilderung gemäß §49 (1) kaum in Betracht.) (4) zu erkundigen (5) Nein! Nungu Bongo ist weder aufgrund seines Berufs, seiner Stellung oder sonst den Umständen nach verpflichtet, sich nach dem Tötungsverbot in Deutschland zu erkundigen. Er ist ja nicht freiwillig gekommen und kann nicht einmal lesen und Deutsch verstehen (o.a.). (6) mangels Schuld (7) §17 Satz 1; Schuldprinzips

ZUSAMMENFASSUNG A Wesen des V e r b o t s i r r t u m s D i e gesetzliche Regelung des V e r b o t s i r r t u m s findet sich in § 1 7 . Ein V e r b o t s i r r t u m liegt v o r , w e n n der T ä t e r nicht e r k e n n t , daß seine Tat U n r e c h t ist. Dabei ist es gleichgültig, ob er eine falsche oder gar keine Vorstellung davon hat, daß seine Tat Unrecht ist. In beiden Fällen fehlt ihm, wie §17 (1) Satz 1 ausdrücklich formuliert, die „Einsicht, Unrecht zu tun". M a ß g e b e n d e r Z e i t p u n k t für das Vorhandensein dieser Einsicht ist — wie bei allen Schuldmerkmalen (vgl. S. 194) - die B e g e h u n g der T a t ; vgl. § 1 7 (1).

B A r t e n des V e r b o t s i r r t u m s 1. E i n t e i l u n g e n . D i e Wissenschaft unterscheidet zwei Arten des Verbotsirrtums, den direkten Verbotsi r r t u m und den indirekten V e r b o t s i r r t u m ; v g l . J e s c h e c k A T §41 II 1 a; ebenso in Ö s t e r r e i c h ; vgl. Kienapfel öst. A T 287. D i e Regelung des § 1 7 bezieht sich auf beide Arten des Verbotsirrtums.

a) D i r e k t e r V e r b o t s i r r t u m . V o n einem direkten V e r b o t s i r r t u m spricht m a n , w e n n der T ä t e r ü b e r h a u p t n i c h t e r k e n n t , d a ß seine Tat v e r b o t e n u n d d a h e r U n r e c h t ist. Im Kernbereich der herkömmlichen Delikte (Mord, Vergewaltigung, Diebstahl, Betrug, Raub, Körperverletzung etc.) spielt der direkte Verbotsirrtum praktisch kaum eine Rolle (außer allenfalls bei Ausländem und Kindern ', vgl. dazu unten C). Um so größer ist die praktische Bedeutung des direkten Verbotsirrtums im Nebenstrafrecht mit seinen unzähligen, rasch wechselnden und vielfach unbekannten Delikten. Hier stellt sich mitunter die Frage, ob selbst ein maßgerechter Mensch das Unrecht der Tat erkennt bzw. erkennen muß; vgl. Maurach/Zipf AT I §38 R N 15 m.N.

b) I n d i r e k t e r V e r b o t s i r r t u m . B e i m indirekten V e r b o t s i r r t u m i r r t sich der T ä t e r entweder ü b e r die E x i s t e n z o d e r die G r e n z e n eines R e c h t f e r t i g u n g s g r u n d e s u n d e r k e n n t deshalb n i c h t , d a ß seine Tat U n r e c h t ist. D e r Täter w e i ß also, daß seine Tat „ a n sich" verboten ist; doch glaubt er, daß er sie „ausn a h m s w e i s e " doch begehen dürfe. D a b e i sind zwei Fälle des indirekten V e r b o t s i r r t u m s zu unterscheiden :

aa) I m ersten Falle n i m m t der T ä t e r zu seinen G u n s t e n irrtümlich die E x i s t e n z eines nicht oder nicht m e h r vorhandenen Rechtfertigungsgrundes an. B e i s p i e l e : Der „gehörnte" Ehemann meint, er dürfe den in flagranti überraschten Ehebrecher verprügeln. Der Pastor glaubt, er dürfe Konfirmanden züchtigen. Ein Offizier hält sich für berechtigt, Untergebene zu ohrfeigen. Ein Finder beruft sich auf „sein Recht", den gefundenen Ring zu behalten; vgl. S. 274.

288

Verbotsirrtum

L E 18

bb) I m anderen Falle überdehnt der T ä t e r die G r e n z e n eines an sich existenten Rechtfertigungsgrundes zu seinen G u n s t e n . Beispiele: Der Täter überdehnt die zeitlichen Schranken des Notwehrrechts (sog. extensiver Notwehrexzeß). Oder er glaubt, seine Abwehrhandlung liege noch innerhalb des „Erforderlichen" (sog. intensiver Notwehrexzeß). Oder er meint, rechtfertigender Notstand ermögliche notfalls auch „den Griff in die fremde Kasse" (vgl. S. 172), die „Verhaftung" eines Verkehrssünders (vgl. S. 170) oder berechtige gar zur Tötung eines Menschen (vgl. S. 172). Die — vielfältigen — Formen des indirekten Verbotsirrtums besitzen erhebliche praktische Bedeutung; aus der Rspr. vgl. etwa BGHSt 3 107; B G H J Z 1978 762. Klausurmaterie. 2. E i n s c h r ä n k u n g e n . D i e — vor allem in den Ü b u n g s - und Examensarbeiten — häufige B e r u f u n g des T ä ters auf einen Verbotsirrtum g e h t meist ins Leere. D a s hat folgende G r ü n d e : a) Insb. das aktuelle Unrechtsbewußtsein reicht viel weiter als mitunter angenommen wird. Denn schon ein bloß latentes, ebenso das bloß laienmäßig ausgeprägte, erst recht das bedingte Unrechtsbewußtsein (vgl. S. 272) sowie die besonderen Bewußtseinskonstellationen bei Uberzeugungs- und Gewohnheitstätern schließen i.d.R. die Annahme eines Verbotsirrtums aus. Zum Affekttäter vgl. S. 266. b) Außerdem ist zu berücksichtigen, daß §17 eine Ausnahmeregelung enthält. Denn für gewöhnlich handelt ein Vorsatztäter mit Unrechtsbewußtsein. Dies gilt zumindest für den Kernbestand des kriminellen Unrechts. Für diesen Bereich ist beim erwachsenen und schuldfähigen Täter die Verbots- bzw. Gebotskenntnis in der Regel zu vermuten. Ausdrückliche Ausführungen zum Unrechtsbewußtsein sind daher nur zu machen, wenn der Sachverhalt in dieser Hinsicht Zweifel nahelegt. Dies kann insb. dann der Fall sein, wenn der Täter Ausländer oder Jugendlicher, die Auslegung des Delikts ungewiß oder die Gültigkeit einer maßgeblichen Norm zweifelhaft ist, wenn der Täter eine falsche Rechtsauskunft erhalten hat, wenn das Delikt nicht zum Kernbestand des kriminellen Unrechts gehört, wenn der Täter seine Tat für gerechtfertigt gehalten hat oder ganz allgemein, wenn sich der Täter auf das Fehlen seines Unrechtsbewußtseins explizit berufen hat und dieser Einwand nicht schon als bloße Schutzbehauptung zurückzuweisen ist; ähnlich Jescheck A T §41 14; näher zum Ganzen Kienapfel Strafrechtsfälle 34; ders. OJZ 1976 116. C Rechtsfolgen des V e r b o t s i r r t u m s 1. G r u n d l a g e n . Bezüglich der R e c h t s f o l g e n des (direkten oder indirekten) Verbotsirrtums ist danach zu differenzieren, o b er v e r m e i d b a r oder n i c h t vermeidbar ist. N u r der n i c h t v e r m e i d b a r e V e r b o t s i r r t u m schließt jede Schuld u n d d a m i t jede Strafe a u s ; vgl. § 1 7 S a t z 1: „handelt er o h n e Schuld". Der nicht vermeidbare Verbotsirrtum zielt von vornherein auf Grenzfälle. Die Praxis handhabt dieses extrem tive Schuldkorrektiv dementsprechend zurückhaltend. Freisprüche gem. §17 Satz 1 sind selten.

norma-

Vor allem bei Jugendlichen ist wohlmeinende Anwendung des §17 Satz 1 vonnöten und mitunter unabweisbares kriminalpolitisches Gebot; vgl. Kienapfel O J Z 1976 117. Aber auch bei schwacher Intelligenz, bei falschen Auskünften kompetenter Stellen, bei Änderung der Judikatur, bei stillschweigender Duldung von Gesetzesverstößen durch die zuständigen Behörden und in ähnlichen Fällen, u.U. auch bei völlig überraschendem Geschehensablauf kann im Einzelfall ein Freispruch gem. §17Satz 1 geboten sein; näher zum Ganzen Kienapfel O J Z 1976 117; RudolphiSK%\7 R N 31 ff.; eingehend Schönke/Schröder/Cramer § 17 R N 16ff. m.N. zur Judikatur. Meist ist der Verbotsirrtum v e r m e i d b a r . D e r vermeidbare V e r b o t s i r r t u m läßt bei einem Vorsatzdelikt die Strafbarkeit wegen vorsätzlicher Tat bestehen (arg. § 1 7 Satz 1). Eventuell k o m m t a b e r g e m . § 1 7 S a t z 2 1. V . m . § 4 9 (1) S t r a f m i l d e r u n g in Betracht. 2 . Einzelheiten. D e r Maßstab der Vermeidbarkeit ist im G e s e t z nicht näher konkretisiert. Ausgangsp u n k t und Einzelheiten sind umstritten. Seit der grundlegenden Entscheidung BGHSt 2 201 stellt die Judikatur auf die zumutbare Gewissensanspannung ab. Das hört sich gut an, bringt aber wenig. Mit Recht schreibt Stratenwerth AT R N 584: „Rechtsvorschriften sind auf diesem Wege kaum in Erfahrung zu bringen". In der neueren Praxis i^nd Lehre rückt statt dessen mit Recht der Aspekt der Erkundigungspflicht in den Vordergrund; vgl. im folgenden 2 (2). Klausurmaterie!

LE18

Verbotsirrtum

In diesem L e r n p r o g r a m m w i r d ein zweistufiges P r ü f u n g s v e r f a h r e n vorgeschlagen (vgl. auch Strafrechtsfälle S. 36):

289 Kienapfel

(1) Der Verbotsirrtum ist vermeidbar, wenn das U n r e c h t der Tat f ü r den Täter wie f ü r jedermann leicht erkennbar w a r . Die leichte Erkennbarkeit des Unrechts für jedermann indiziert dessen leichte Erkennbarkeit auch für den Täter. Deshalb ist ein Verbotsirrtum im Kernbereich der herkömmlichen Delikte i.d.R. vermeidbar; das gilt vor allem für den direkten Verbotsirrtum Erwachsener. (2) Der Verbotsirrtum ist auch dann vermeidbar, wenn der Täter a u f g r u n d seines Berufs, seiner Beschäftigung oder sonst den Umständen nach dazu verpflichtet gewesen wäre, sich nach den einschlägigen Vorschriften zu erkundigen. Zu den Pflichten des maßgerechten Menschen gehört es, sich rechtzeitig nach den einschlägigen Rechtsvorschriften zu erkundigen. Das gilt vor allem, wenn Handlungen in Frage stehen, die erfahrungsgemäß rechtlich geregelt sind. Wer eine Auslandsreise unternimmt, muß sich deshalb auch über die einschlägigen Paß-, Zoll- und Devisenvorschriften des Gastlandes informieren. Erst recht ist man verpflichtet, sich mit den maßgeblichen Rechtsvorschriften seines Berufs- und sonstigen Lebenskreises vertraut zu machen. Deshalb muß sich der Jäger nach den einschlägigen Jagdvorschriften, der Gewerbetreibende nach den einschlägigen Gewerbevorschriften (BGHSt 9 172; BGHSt 21 20), der Autofahrer nach den Straßenverkehrsvorschriften, der Gastarbeiter nach den wichtigsten Rechtsvorschriften des Gastlandes (vgl. öst. OGH ZVR 1970/198) etc. erkundigen; näher Schönke/Schröder/Cramer § 17 R N 15; Rudolphi SK §17 RN 44. Die Praxis neigt dazu, die Anforderungen an die Vermeidbarkeit des Verbotsirrtums zu überspannen; krit. dazu Roxin Henkel-FS 187; Maurach/Zipf AT I §38 RN 37ff. Es muß zur Entschuldigung ausreichen, „wenn der Bürger den Ansprüchen normaler Rechtstreue genügt"; Roxin Bockelmann-FS 290. Enger die Judikatur; nach ihr kommt ein unvermeidbarer Verbotsirrtum u.U. (!) in Betracht, wenn man sich bei der zuständigen Behörde (BayObLG GA 1966 182), bei einem kompetenten Anwalt (OLG Bremen NStZ 1981 265) oder bei einem Notar (BGH GA 1959 88) erkundigt oder auf einschlägige Gerichtsurteile (vgl. Rudolphi SK § 17 R N 37ff. m.N.) verlassen hat. Zum Handeln auf falschen Rat vgl. Schick OJZ 1980 595. 3. Durchblick. D e r vermeidbare V e r b o t s i r r t u m ist nichts anderes als eine andere Bezeichnung, ein S y n o n y m f ü r das potentielle Unrechtsbewußtsein. Beide Begriffe bringen z u m A u s d r u c k , d a ß der T ä t e r das U n r e c h t seiner H a n d l u n g z w a r nicht erkannt hat, es aber bei pflichtgemäßer E r k u n d i g u n g hätte erkennen können. D A b g r e n z u n g gegenüber anderen I r r t u m s a r t e n D e r Tatbestandsirrtum bezieht sich auf die tatsächliche Seite der Tat. Er verhüllt d e m T ä t e r den Sachverhalt. D e r Täter erkennt gar nicht, d a ß er einen Sachverhalt v e r w i r k l i c h t , der einem gesetzlichen Tatbestand entspricht. B e i m V e r b o t s i r r t u m k e n n t der T ä t e r diesen Sachverhalt. Dieser Irrtum bezieht sich auf die rechtliche Seite der Tat u n d verhüllt d e m Täter das U n r e c h t . Schwierigkeiten bereitet die Abgrenzung von Tatbestands- und Verbotsirrtum insb. bei den normativen merkmalen; vgl. dazu instruktiv Maurach/Zipf AT I §37 RN 44—52; Klausurmaterie!

Tatbestands-

Der V e r b o t s i r r t u m darf nicht m i t dem I r r t u m über die Strafbarkeit verwechselt werden. Letzterer ist die Kehrseite des Bewußtseins der Strafbarkeit. D a das B e w u ß t s e i n der Strafbarkeit keine Voraussetz u n g f ü r die B e s t r a f u n g des Täters bildet, ist auch der Irrtum ü b e r die Strafbarkeit unbeachtlich. Er h a t keinen E i n f l u ß auf Schuld u n d Strafe. Beachte! Das gilt indessen nur für den unspezifizierten Irrtum über die Strafbarkeit. Hinter einem scheinbar schlichten Irrtum über die Strafbarkeit verbirgt sich u.U. ein Verbotsirrtum oder sogar ein Tatbestandsirrtum; vgl. S. 283. W e i t e r f ü h r e n d e s S c h r i f t t u m : Zum Verbotsirrtum vgl. Jescheck AT §41 II—III; eingehend Maurach/Zipf AT I §38 R N 1 - 4 1 ; speziell zur Frage der Vermeidbarkeit des Verbotsirrtums Kienapfel ÖJZ 1976 117-120; Rudolphi SK §17 R N 31 - 4 3 ; Schönke/Schröder/Cramer § 17 R N 11 - 1 9 .

290

Testfragen zur LE 18

TE 18

2.1

Ein Kommilitone behauptet: „Verbotsirrtum u n d Tatbestandsirrtum sind dasselbe". Ist das richtig? J a / Nein Begründung:

1.1

Ein „indirekter Verbotsirrtum" liegt vor, wenn der Täter (bitte ergänzen!)

2.2

Nennen oder bilden Sie ein Beispiel für einen direkten Verbotsirrtum!

2.3

Nennen oder bilden Sie ein Beispiel für einen indirekten Verbotsirrtum!

1.2

Nach den Rechtsfolgen unterscheidet man: Verbotsirrtum Verbotsirrtum

1.3

Tragen Sie bitte die Rechtsfolgen des Verbotsirrtums beim Vorsatzdelikt ein!

2.4

Der bewußtsein.

Verbotsirrtum ist identisch mit dem potentiellen Unrechts-

TE 18 2.5

Test fragen

291

In dem aufS. 274 geschilderten Beispiel hatte eine Mutter ihre 15jährige Tochter H fälschlich instruiert, daß man geringwertige Fundgegenstände behalten dürfe. Als H ein Fünfmarkstück findet, steckt sie es daher guten Gewissens ein, um sich etwas dafür zu kaufen. H hat zwar den Tatbestand der Unterschlagung (§ 246 (1) l.Alt) erfüllt, sich aber in einem irrtum befunden. War dieser Irrtum für H vermeidbar? J a / Nein Begründung:

Grundfall 1 (leicht): „Süchens de an! Ich verstonn nit, wie m'r sich esu besaufe kann", sagt Jupp Schmitz zu seiner Verlobten und deutet belustigt auf den total betrunkenen Schäng, der sich mühsam an der Straßenlaterne vor dem Gürzenich festklammert. „Du Knallkopp" — hicks — „kannst mir de Nache deue", lallt Schäng und streckt ihm die Zunge heraus. Ob dieser Beleidigung versetzt Schmitz dem Schäng einen Schlag ins Gesicht. Wegen Körperverletzung (§ 223 (1)) angeklagt, beruft sich Schmitz auf Notwehr (§ 32). 3.1

Zwar liegt ein Angriff auf die Ehre des Schmitz vor. Dennoch ist die Körperverletzung des Schäng nicht durch Notwehr gerechtfertigt. Warum nicht?

2.6

Schmitz glaubte aber, er sei durch Notwehr gerechtfertigt. Er befindet sich somit in einem unspezifizierten Irrtum über die Strafbarkeit / Tatbestandsirrtum / direkten Verbotsirrtum / indirekten Verbotsirrtum über die Existenz eines Rechtfertigungsgrundes / indirekten Verbotsirrtum über die Grenzen eines Rechtfertigungsgrundes.

1.4

Ob Schmitz wegen der an Schäng begangenen Körperverletzung (§ 223 (1)) bestraft wird, hängt gemäß § 17 davon ab, ob (bitte ergänzen!)

1.5

Die Praxis wird im Grundfall 1 die tums des Schmitz bejahen. Das hat zur Folge, daß Schmitz gemäß § wegen (§ zu bestrafen ist.

des VerbotsirrSatz )

292

Testfragen

TE 18

Grundfall 2 (schwer): Kurz vor Einbruch der Dunkelheit verirrt sich Franz Josef Vogel (V) aus Niederbayern nebst seinem treuen Hunde Wastl bei Passau über die österreichische Staatsgrenze. Auf österreichischem Staatshoheitsgebiet trifft er den Landesbediensteten Johann Nimmerfroh (N), der sich vor Gram darüber, daß man ihm den Führerschein abgenommen hat, aufhängen will. N bittet V, ihm bei seinem Selbstmord zu helfen. V hat ein Einsehen mit dem Mann und stellt ihm seine Hundeleine zur Verfügung. Mit ihr erhängt sich N. Sie wissen bereits, daß es in Osterreich das Delikt der „Mitwirkung am Selbstmord" ( § 7 8 öst StGB) gibt, das in der Bundesrepublik nicht bekannt ist. V wird vor einem österreichischen Gericht gemäß § 78 öst StGB wegen „Mitwirkung am Selbstmord" angeklagt. Unbeholfen verteidigt er sich damit, „er habe nicht gewußt, daß er sich strafbar gemacht habe". Legen Sie auch für das österreichische Strafrecht die Irrtumsregeln dieses Lernprogramms zugrunde! 1.6

Der Einwand des V scheint auf den ersten Blick auf einen unspezifizierten hinauszulaufen. Ein solcher Irrtum wäre strafrechtlich beachtlich / unbeachtlich.

2.7

Wenn Sie aber den Sachverhalt noch einmal lesen und genauer überdenken, werden Sie erkennen, daß sich hinter diesem Einwand — ähnlich wie im Falle des Herrenreiters Axel von Frauenlob (S. 275) — eine ganz andere Art von Irrtum verbirgt. Würden Sie einen Tatbestandsirrtum annehmen? J a / Nein Begründung:

2.8

Es handelt sich um einen direkten Verbotsirrtum / um einen indirekten Verbotsirrtum, weil (bitte fortfahren und möglichst genau begründen!)

2.9

Und jetzt müssen Sie Farbe bekennen! Würden Sie V bestrafen?Lesen Sie aber zuvor erst die Musterantwort zu 2.8! J a / Nein — Begründung:

TE 18

Antworten

293

2.1

Nein! Der Verbotsirrtum bezieht sich auf die rechtliche Seite der Tat. Er verhüllt dem Täter das Unrecht. Der Tatbestandsirrtum bezieht sich auf die tatsächliche Seite der Tat. Er verhüllt dem Täter den Sachverhalt (o.a.).

1.1

sich über Existenz oder Grenzen eines Rechtfertigungsgrundes irrt und deshalb nicht erkennt, daß seine Tat Unrecht ist (o.a.)

2.2

Z.B. Nungu Bongo (S. 191); FeUx Bückle (S. 267); Fünfmarkstück-Fall (S. 274); Axel von Frauenlob (S. 275 in der 2.Alt); Feriengast Müller aus Duisburg (S. 283 in der l.Alt); Mies Bauhaus (S. 276).

2.3

Z.B. das angebliche Züchtigungsrecht des Pfarrers (S. 280); Schuß auf den Apfeldieb (S. 153); Fall des Sonntagsjägers Horrido (S. 286); Gänsediebfall (S. 281); M erschießt den Hund „Knurr" in der Meinung, die Voraussetzungen des rechtfertigenden Notstands seien gegeben (S. 281); Feriengast Müller aus Duisburg (S. 283 in der 2.Alt).

1.2

vermeidbaren Verbotsirrtum; nicht vermeidbaren Verbotsirrtum

1.3

Beim nicht vermeidbaren Verbotsirrtum entfällt die Schuld und damit die Strafe ( § 1 7 Satz 1). Beim vermeidbaren Verbotsirrtum bleibt es bei der Bestrafung wegen vorsätzlicher Tat ( § 1 7 Satz 2). Die Strafe kann aber gemäß §, 49 (1) gemildert werden (o.ä.).

2.4

vermeidbare Verbotsirrtum

2.5

Verbotsirrtum. Nein! Das Unrecht ist zwar für jedermann, nicht aber für die falsch informierte 15jährige Hedwig erkennbar. Eine Erkundigungspflicht wäre nur anzunehmen, wenn sie Anlaß hätte, an der Richtigkeit der Auskunft ihrer Mutter zu zweifeln (o.ä.).

3.1

Möglicherweise ist der Angriff des Schäng auf die Ehre des Schmitz bereits abgeschlossen. Dann würde es schon an der Gegenwärtigkeit des Angriffs und damit an der Notwehrsituation fehlen. In jedem Falle aber ist hier ein Notwehrrecht gegen einen total Betrunkenen ausgeschlossen. Denn diese Verteidigung ist nicht erforderlich (o.üu).

2.6

indirekten Verbotsirrtum über die Grenzen eines Rechtfertigungsgrundes

1.4

der Verbotsirrtum vermeidbar war

1.5

Vermeidbarkeit; gemäß § 17 Satz 2 wegen vorsätzlicher Körperverletzung (§ 223 (1))

1.6

Irrtum über die Strafbarkeit; unbeachtlich

2.7

Nein! V kennt den Sachverhalt, den er verwirklicht, nämlich, daß er einem anderen Hilfe leistet, sich selbst zu töten. Dieser Sachverhalt entspricht dem gesetzlichen Tatbestand des § 78 öst StGB. Eben diesen Sachverhalt will V verwirklichen. Also handelt er vorsätzlich. Daher scheidet ein Tatbestandsirrtum aus (o.ä.).

2.8

einen direkten Verbotsirrtum, weil V nicht gewußt hat, daß seine Tat verboten und daher Unrecht ist. Denn er wähnte sich in Deutschland. Dort ist die Mitwirkung am Selbstmord aber kein strafrechtliches Unrecht (o.a.). Das zu erkennen, war zugegebenermaßen nicht ganz leicht.

2.9

Das Gericht nicht! Denn es handelt sich um einen nicht vermeidbaren Verbotsirrtum. Weder das 1. noch das 2. Vermeidbarkeitskriterium trifft zu (o.ä.). Es sei denn, Sie beziehen die Vermeidbarkeit auf die Tatsache, daß V sich über die österreichische Grenze verirrt hat. Aber das ha., mit dem Unrechtsbewußtsein bezüglich § 78 öst StGB nichts zu tun.

294

IRRTUM ÜBER EINEN RECHTFERTIGENDEN SACHVERHALT

LE 19

L e r n z i e l : Der „Irrtum über einen rechtfertigenden Sachverhalt" bildet eine weitere strafrechtlich bedeutsame Irrtumskategorie. Sie werden Eigenart und Rechtsfolgen dieses Irrtums kennenlernen, ihn bei entsprechenden Sachverhalten erkennen und ihn vom „Tatbestandsirrtum" und vom „Verbotsirrtum" unterscheiden lernen. „Feuer"! Dieser langgezogene Schrei hallt gegen 1 Uhr früh durch den Flur der Jugendherberge zu Rothenburg. Hans Hasenclever (H), der im großen Schlafsaal zu ebener Erde schläft, ist sofort hellwach. Er überlegt nicht lange und hechtet mit einem großen Satz durch die Fensterscheibe ins Freie. Es stellt sich alsbald heraus, daß sich ein anderer Herbergsgast einen „Jux"geleistet Von Feuer ist weit und breit keine Spur.

hatte.

(1) Mit seinem Satz durch die Scheibe hat H den Tatbestand des § erfüllt. Bezüglich (2) etwaiger Rechtfertigungsgründe wäre am ehesten an Notwehr / an rechtfertigenden Notstand zu denken. (3) Aber dieser Rechtfertigungsgrund scheidet aus, weil (bitte ergänzen!)

Die eigentliche Problematik dieses Falles liegt offenbar nicht auf der Stufe der Rechts(4) Widrigkeit, sondern auf der Stufe der H hatte angenommen, sein Leben sei durch Feuer bedroht. Er hatte demnach eine (5)

Vorstellung von der Wirklichkeit, d.h. er war einem

erlegen.

Die Frage ist nur, welcher Art dieser Irrtum ist? (6) Ein solcher Irrtum schließt den Vorsatz des H aus / nicht aus, weil (bitte ergänzen!)

(7) Demnach liegt bei H ein

(8)

irrtum nicht vor.

Der Irrtum betrifft vielmehr das Unrechtsbewußtsein des H. Begründung:

Ist der Irrtum des H ein direkter Verbotsirrtum? H hat — wie jeder andere — gewußt, daß Sachbeschädigung verboten und daher Unrecht (9) ist. Somit liegt ein direkter Verbotsirrtum vor / nicht vor. Der Irrtum des H ist aber auch kein indirekter Verbotsirrtum, d.h. kein Irrtum über (10) Existenz oder eines ! (11) Warum eigentlich nicht?

LE 19

Irrtum über einen rechtfertigenden Sachverhalt

295

(1) § 303(1) (2) an rechtfertigenden Notstand (3) eine Notstandssituation, d.h. eine gegenwärtige Gefahr für irgendein Rechtsgut objektiv überhaupt nicht gegeben ist! Das nimmt H doch nur an! (4) Schuld (5) falsche; Irrtum (6) nicht aus, weil H den Sachverhalt des § 303 (1), Zerstören einer fremden Sache, doch gerade verwirklichen will! (o.a.) (7) Tatbestandsirrtum (8) H weiß zwar, dafi Sachbeschädigung an sich verboten ist, hält seine Tat im konkreten Falle aber nicht für Unrecht (o.a.). (9) nicht vor (10) Grenzen eines Rechtfertigungsgrundes ( l l ) Wenn überhaupt, käme am ehesten ein Irrtum über die Grenzen des rechtfertigenden Notstandes in Betracht. Aber H irrte sich nicht über die rechtlichen Grenzen, sondern über die tatsächlichen Voraussetzungen dieses Rechtfertigungsgrundes (o.ä.).

Halten wir fest! H handelt ohne Unrechtsbewußtsein. Aber sein Irrtum ist kein Verbotsirrtum, und zwar (1) weder ein direkter noch ein Es handelt sich vielmehr um eine dritte, selbständige Kategorie eines strafrechtlich bedeutsamen Irrtums. Das Wesen dieses Irrtums liegt darin, daß der Täter einen Sachverhalt annimmt, der, wäre er gegeben, die tatsächlichen Voraussetzungen eines Rechtfertigungsgrundes erfüllen würde. (2) Kürzer: Der Täter irrt sich über einen r Sachverhalt. Dieser Irrtum ist im StGB nicht ausdrücklich geregelt. Im Schrifttum wird er häufig auch als „Erlaubnistatbestandsirrtum" oder als „Sachverhaltsirrtum" bezeichnet. Das Lernprogramm knüpft an den letzteren Begriff an und spricht vom Irrtum über einen rechtfertigenden Sachverhalt, weil diese Bezeichnung das Wesen dieses Irrtums am genauesten wiedergibt. Ein solcher Irrtum verhüllt dem Täter die Rechtswidrigkeit und damit das Unrecht seiner Handlung. (3) Wer sich in einem Irrtum über einen befindet, handelt daher ohne (4)

Ein Irrtum über einen rechtfertigenden Sachverhalt liegt vor, wenn der Täter irrig einen annimmt, welcher die der Tat ausschließen würde. Jedes Wort ist wichtig!

Begründen Sie mit Hilfe dieser Definition, warum bei Hasenclever gerade ein solcher (5) Irrtum gegeben ist!

(6) Der Irrtum über einen rechtfertigenden Sachverhalt läßt den V. unberührt, schließt aber das aus. Insoweit ähnelt dieser Irrtum (7) dem Tatbestandsirrtum / dem Verbotsirrtum.

296

Irrtum über einen rechtfertigenden Sachverhalt

LE 19

(1) indirekter (2) rechtfertigenden (3) rechtfertigenden Sachverhalt; Unrechtsbewußtsein (4) Sachverhalt; Rechtswidrigkeit (5) Wäre der Sachverhalt, den H angenommen hatte, tatsächlich gegeben, so wären sämtliche Voraussetzungen des rechtfertigenden Notstandes erfüllt und die Rechtswidrigkeit der Tat ausgeschlossen (o.ä.). (6) Vorsatz; Unrechtsbewu&tsein (7) dem Verbotsirrtum

(1) U n d zwar besteht die größere Ähnlichkeit mit dem direkten Verbotsirrtum / indirekten Verbotsirrtum. Diese Ähnlichkeit findet eine naheliegende Erklärung: Sowohl der Irrtum über einen rechtfertigenden Sachverhalt als auch der indirekte Verbotsirrtum beziehen sich auf das Vorliegen o d e r NichtVorliegen eines Rechtfertigungsgrundes. Der maßgebliche Unterschied liegt jedoch in folgendem: (2) (3)

(4)

Der indirekte Verbotsirrtum bezieht sich stets auf die rechtliche Seite des D e n n der Täter irrt sich entweder über die E oder über die (rechtlichen) G des Rechtfertigungsgrundes.

-

Der I r r t u m über einen rechtfertigenden Sachverhalt dagegen bezieht sich stets auf die tatsächliche Seite des Rechtfertigungsgrundes. Denn der Täter n i m m t irrig einen an, der einem Rechtfertigungsgrund entsprechen u n d daher die Rechtswidrigkeit der Tat würde.

Im Endergebnis laufen beide Irrtümer indessen auf dasselbe hinaus: Sowohl der indirekte (5) Verbotsirrtum als auch der I r r t u m über einen verhüllen dem Täter die R u n d damit das seiner Tat.

(6)

(7)

Bei einem Irrtum über einen rechtfertigenden Sachverhalt ist somit stets das aktuelle ausgeschlossen. A b e r : Während im „Parallelfall" des indirekten Verbotsirrtums wegen der unterschiedliehen Rechtsfolgen n u n m e h r d a n a c h zu differenzieren ist, o b der I r r t u m oder ist, beschreiten Praxis u n d Lehre beim Irrtum über einen rechtfertigenden Sachverhalt einen ganz anderen Weg. Wenden wir uns im folgenden d e n Rechtsfolgen des Irrtums über einen rechtfertigenden Sachverhalt zu.

LE 19

Irrtum Uber einen rechtfertigenden Sachverhalt

297

(1) indirekten Verbotsirrtum (2) Rechtfertigungsgrundes (S) Existenz; Grenzen (4) Sachverhalt; ausschließen (5) rechtfertigenden Sachverhalt; Rechtswidrigkeit; Unrecht (6) Unrechtsbewußtsein (7) vermeidbar; nicht vermeidbar

Wer sich über einen rechtfertigenden Sachverhalt irrt, kann nicht wegen vorsätzlicher Tat bestraft werden; er ist aber wegen fahrlässiger Tat zu bestrafen, wenn die beiden Ihnen bekannten Voraussetzungen für die Verhängung einer Fahrlässigkeitsstrafe erfüllt sind. (1) Erstens:

Zweitens: Der Täter muß tatsächlich fahrlässig gehandelt haben. Das ist dann der Fall, wenn sein Irrtum auf Fahrlässigkeit beruht. (2) Die Rechtsfolgen des Irrtums über einen sind demnach mit jenen des (indirekten) Verbotsirrtums identisch / nicht identisch. (3) Sie sind vielmehr identisch mit den Rechtsfolgen des Der innere Grund dafür, daß man Tatbestandsirrtum und Irrtum über einen rechtfertigenden Sachverhalt bezüglich der Rechtsfolgen gleich behandelt, liegt in folgendem: Das StGB geht von jenem Sachverhalt aus, den der Täter vor Augen hat. Dem Täter er(4) scheint seine Tat nicht als weil er einen rechtfertigenden Sachverhalt (z.B. Notwehr, rechtfertigenden Notstand etc.) für gegeben hält. Legt man aber diese seine Vorstellung zugrunde, so verdient er ebensowenig Bestrafung wegen vorsätz(5) licher Tat wie derjenige, dem tatsächlich ein grund zur Seite steht. Was man dem Täter allenfalls vorwerfen kann, ist, daß er diesen rechtfertigenden Sachverhalt vorschnell, ungeprüft angenommen hat. Die unsorgfältige Prüfung des Sachverhalts aber ist das Kennzeichen der Fahrlässigkeitstat und zugleich der innere Grund für die An(6) drohung der Fahrlässigkeits Wenden Sie nunmehr diese Regelung auf den Hasenclever-Fall an! Wird H wegen Sachbeschädigung (§ 303 (1)) bestraft? (7) J a / Nein — Begründung (gut überlegen!):

298

I r r t u m über einen rechtfertigenden Sachverhalt (1) (2) (5) (7)

LE 19

Es muß überhaupt ein entsprechendes Fahrlässigkeitsdelikt existieren (o.a.). rechtfertigenden Sachverhalt; nicht identisch (3) Tatbestandsirrtums (4) rechtswidrig Rechtfertigungsgrund (6) Fahrlässigkeitsstrafe Nein! Schon die erste Voraussetzung ist nicht erfüllt! Es gibt keine fahrlässige Sachbeschädigung (§ 303 (1) i.V.m. § 15) o.ä. Ob H's Irrtum wirklich auf Fahrlässigkeit beruhte (= zweite Voraussetzung) , braucht daher gar nicht untersucht zu werden.

Die Identität d e r Rechtsfolgen darf jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, daß sich Tatbestandsirrtum u n d I r r t u m Uber einen rechtfertigenden Sachverhalt im übrigen beträchtlich unterscheiden. (1) Beiden Irrtumsarten ist zwar gemeinsam, d a ß sie sich auf die rechtliche Seite / auf die tatsächliche Seite des Geschehens beziehen, d.h. auf einen b e s t i m m t e n Sachverhalt. Aber beim Tatbestandsirrtum irrt sich der Täter über einen Sachverhalt, der für die Kategorie der Tatbestandsmäßigkeit von Bedeutung ist. Beim Irrtum über einen rechtfertigenden Sachverhalt dagegen irrt sich der Täter über (2) einen Sachverhalt, der für die Kategorie der von Bedeutung ist.

(3)

Beide Irrtümer wirken sich unterschiedlich aus! Der Tatbestandsirrtum verhüllt d e m Täter die läßt daher seinen entfallen.

seiner Tat u n d

(4) Der I r r t u m über einen rechtfertigenden Sachverhalt verhüllt d e m Täter die seiner Tat u n d schließt daher sein

aus.

Merken Sie sich b i t t e ! Es gibt nur eine einzige Irrtumsart, durch die der Vorsatz ausgeschlossen wird: Dies ist der (5) Verbotsirrtum / I r r t u m über die Strafbarkeit / Tatbestandsirrtum / Irrtum über einen rechtfertigenden Sachverhalt.

(6)

Ein I r r t u m über einen rechtfertigenden Sachverhalt schließt den Vorsatz nie aus! Aber dieser Irrtum wird bezüglich seiner analog dem Tatbestandsirrtum behandelt.

Tatbestandsirrtum u n d I r r t u m über einen rechtfertigenden Sachverhalt ziehen somit dieselben Rechtsfolgen nach sich. (7) Nämlich welche?

Irrtum über einen rechtfertigenden Sachverhalt

LE 19 (1) (3) (5) (7)

299

auf die tatsächliche Seite (2) Rechtswidrigkeit (bzw. Rechtfertigungsgründe) Tatbestandsmäßigkeit; Vorsatz (4) Rechtswidrigkeit; Unrechtsbewußtsein Tatbestandsixrtum (6) Rechtsfolgen Es entfällt die Bestrafung wegen vorsätzlicher Tat; u.U. kommt Bestrafung wegen fahrlässiger Tat in Betracht (o.a.).

Ein Blinder (B) bekommt ein ungeladenes Gewehr in die Hand. Er legt es an und hält es zufällig genau in jene Richtung, in der C auftaucht. Die ganze Szene erweckt in C den sicheren Eindruck, daß jemand mit einem geladenen Gewehr auf ihn ziele und im nächsten Moment abdrücken wolle. Um diesen „Angriff" auf sein Leben abzuwehren, den vermeintlichen „Angreifer".

greift C zum Revolver und

(1) C erfüllt damit den Tatbestand des § Liegen für C die Voraussetzungen der Notwehr (§ 32) vor? (2) J a / Nein Begründung:

C ist einem Irrtum erlegen. Ist dieser Irrtum des C ein Tatbestandsirrtum? (3) J a / Nein Begründung:

Ist dieser Irrtum des C ein direkter Verbotsirrtum? (4) J a / Nein Begründung:

Ist dieser Irrtum des C ein indirekter Verbotsirrtum? (5) J a / Nein Begründung:

(6) Dieser Irrtum des C ist ein (bitte ergänzen!) (7) Begründung:

(8) Ein solcher Irrtum schließt den Vorsatz / das Unrechtsbewußtsein des C aus. (9) Kann C bestraft werden und gegebenenfalls aus welcher Vorschrift?

erschießt

LE 19

Irrtum über einen rechtfertigenden Sachverhalt

300

(1) § 2 1 2 ( 1 ) (2) Nein! Es liegt objektiv gar kein „Angriff" vor (o.a.). (3) Nein! Denn C handelt vorsätzlich. Er will B töten (o.a.). Für die Annahme eines Tatbestandsirrtums ist daher kein Raum. (4) Nein! Denn C weiß wie jeder andere, dafi die Tötung eines Menschen verboten und daher Unrecht ist (o.a.). (5) Nein! C irrt sich auch nicht über die Existenz oder die Grenzen der Notwehr. Die Notwehr ist ein anerkannter Rechtfertigungsgrund (§ 32). Die Tat des C würde auch die Grenzen der Notwehr nicht überschreiten (wenn er tatsächlich angegriffen wäre) o.ä. (6) Irrtum über einen rechtfertigenden Sachverhalt (7) C nimmt irrig einen Sachverhalt an (Notwehrsituation), der die Rechtswidrigkeit seiner Tat ausschließen würde (o.ä.). (8) das Unrechtsbewußtsein (9) Ja! Wegen fahrlässiger Tötung (§ 222), falls sein Irrtum auf Fahrlässigkeit beruht (o.ä.) Vergleichende Gegenüberstellung der Irrtumsarten

Tatbestandsirrtum

I r r t u m über einen rechtfertigenden Sachverhalt

indirekter Verbots irrtum

§ 16 (1)

keine

§

Irrtum über einen Sachverhalt, der einem

Irrtum über einen Sachverhalt, der

Irrtum über

entspricht. Dieser Irrtum verhüllt dem Täter die

entspricht. Dieser I r r t u m verhüllt d e m Täter die

seiner Tat.

seiner Tat.

Kehrseite des

Kehrseite des

Kehrseite des

Konsequenzen für d e n Vorsatz

Vorsatz entfällt / entfällt nicht

Vorsatz entfällt / entfällt nicht

Vorsatz entfällt / entfällt nicht

Konsequenzen für das Unrechtsbewußtsein

Unrechtsbewußtsein entfällt (bez. der vorsätzlichen Tat)

Unrechtsbewußtsein entfällt / entfällt nicht

Unrechts bewußtsein entfällt / entfällt nicht

u.U. Bestrafung wegen Tat

u.U. Bestrafung

1. Bei Vermeidbarkeit: Bestrafung wegen vorsätzlicher Tat; aber Möglich-

Bitte einsetzen!

gesetzliche Regelung

Wesen

eines Rechtfertigungsgrundes. Dieser Irrtum verhüllt d e m Täter die seiner Tat.

Um kehrverhältnis

Tat

Rechtsfolgen 2. Bei Unvermeid-

LE 1 9

I r r t u m ü b e r einen r e c h t f e r t i g e n d e n S a c h v e r h a l t

(1)

Vergleichende

Gegenüberstellung

der

301

Irrtumsarten

Tatbestandsirrtum

Irrtum über einen rechtfertigenden Sachverhalt

indirekter Verbotsirrtum

gesetzliche Regelung

§16(1)

keine

§17

Wesen

Irrtum über einen Sachverhalt, der einem gesetzlichen Tatbestand entspricht. Dieser Irrtum verhüllt dem Täter die Tatbestandsmäßigkeit seiner Tat.

Irrtum über einen Sachverhalt, der einem Rechtfertigungsgrund entspricht. Dieser Irrtum verhüllt dem Täter die Rechtswidrigkeit seiner Tat.

Irrtum über Existenz oder Grenzen eines Rechtfertigungsgrundes. Dieser Irrtum verhüllt dem Täter die Rechtswidrigkeit seiner Tat.

Umkehrverhältnis

Kehrseite des Vorsatzes

Kehrseite des Unrechtsbewußtseins

Kehrseite des Unrechtsbewußtseins

Konsequenzen für den Vorsatz

Vorsatz entfällt

Vorsatz entfällt nicht

Vorsatz entfällt nicht

Konsequenzen für das Unrechtsbewußtsein

Unrechtsbewußtsein entfällt (bezüglich der vorsätzlichen Tat)

Unrechtsbewußtsein entfällt

Unrechtsbewußtsein entfällt

Rechtsfolgen

u . U . Bestrafung wegen fahrlässiger Tat

u . U . Bestrafung wegen fahrlässiger Tat

1. Bei Vermeidbarkeit: Bestrafung wegen vorsätzlicher Tat; aber Möglichkeit der Strafmilderung. 2. Bei Unvermeidbarkeit: Schuld und Strafe entfallen (o.ä.).

ZUSAMMENFASSUNG A Wesen D e r I r r t u m ü b e r e i n e n r e c h t f e r t i g e n d e n S a c h v e r h a l t ist e i n e w e i t e r e , s t r a f r e c h t l i c h b e d e u t s a m e u n d d o g m a t i s c h eigenständige I r r t u m s a r t . Dieser Irrtum ist im StGB nicht ausdrücklich geregelt. Seine begrifflichen Voraussetzungen und seine Rechtsfolgen sind von Praxis und Lehre entwickelt worden. Die Terminologie ist uneinheitlich. Manche sprechen auch von Erlaubnistathestandsinrtum (z.B. Jescheck, Wessels). Die Bezeichnung Irrtum über einen rechtfertigenden Sachverhalt gibt das Wesen dieses Irrtums am exaktesten wieder und verdient daher den Vorzug. In e i n e m I r r t u m ü b e r einen r e c h t f e r t i g e n d e n S a c h v e r h a l t b e f i n d e t sich, w e r i r r i g einen S a c h v e r h a l t a n n i m m t , w e l c h e r die R e c h t s w i d r i g k e i t seiner Tat ausschließen w ü r d e . Anwendungsfälle dieser Irrtumskategorie sind insb. die sog. „Putativnotwehr", der sog. „Putativnotstand" und die sog. „Putativeinwilligung". W e r s i c h i n e i n e m s o l c h e n I r r t u m b e f i n d e t , h a n d e l t z w a r v o r s ä t z l i c h , d e n n e r will d a s D e l i k t b e g e h e n . S e i n I r r t u m v e r h ü l l t i h m a b e r d i e R e c h t s w i d r i g k e i t s e i n e r T a t . D e r T ä t e r e r k e n n t n i c h t , d a ß das, w a s e r t u t , i n W i r k l i c h k e i t U n r e c h t ist. D a h e r s c h l i e ß t d e r I r r t u m ü b e r e i n e n r e c h t f e r t i g e n d e n S a c h v e r h a l t d a s Unrechtsbewußtsein aus.

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Irrtum über einen rechtfertigenden Sachverhalt

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Die systematische Zuordnung des Irrtums über einen rechtfertigenden Sachverhalt ist ein „Zankapfel der Lehre" (Platzgummer). Nach der sog. eingeschränkten Schuldtheorie ist schon das Unrecht der vorsätzlichen Tat ausgeschlossen (etwa Blei, Eser, Roxin, Rudolphi, Stratenwerth). Das Lernprogramm macht demgegenüber deutlich, daß es in solchen Fällen erst am Unrechtsbewußtsein des Täters (und insoweit an der Vorsatzschuld) fehlt. Straflosigkeit ist dennoch nicht angebracht, sondern analoge Heranziehung des §16 (1) Satz 2 insoweit, als dessen Rechtsfolgen eintreten; sog. rechtsfolgenverweisende Schuldtheorie (Jescheck, Lackner, Wessels). Zur Begründung vgl. unten B. Beachte! Die Rechtsfolgen des §16 (1) Satz 2 treten nur ein, wenn der Täter, vom Irrtum über die rechtfertigende Situation abgesehen, alle objektiven und subjektiven Voraussetzungen des betreffenden Rechtfertigungsgrundes erfüllt;sonst bleibt es bei der Bestrafung wegen vorsätzlicher Tat; insb. muß sich die Notwehr-(Notstands-, Festnahme-, Züchtigungs-)fejn