Strafrecht Allgemeiner Teil [3 ed.] 3540245375, 9783540245377


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German Pages 598 [625] Year 2005

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Strafrecht Allgemeiner Teil [3 ed.]
 3540245375, 9783540245377

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Springer-Lehrbuch

Walter Gropp

Strafrecht Allgemeiner Teil Dritte, çberarbeitete und erweiterte Auflage

12

Professor Dr. Walter Gropp Justus-Liebig-Universitat Giefien Professur fur Strafrecht, Strafprozessrecht und Strafrechtsvergleichung Licher Strafie 76 35394 Giefien [email protected]

ISBN-10 ISBN-13

3-540-24537-5 Springer Berlin Heidelberg New York 978-3-540-24537-7 Springer Berlin Heidelberg New York

ISBN 3-540-41209-3 2. Auflage Springer Berlin Heidelberg New York

Bibliografische Information Der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet iiber abrufbar. Dieses Werk ist urheberrechtlich geschiitzt. Die dadurch begriindeten Rechte, insbesondere die der Ubersetzung, des Nachdrucks, des Vortrags, der Entnahme von Abbildungen und Tabellen, der Funksendung, der Mikroverfilmung oder der Vervielfaltigung auf anderen Wegen und der Speicherung in Datenverarbeitungsanlagen, bleiben, auch bei nur auszugsweiser Verwertung, vorbehalten. Eine Vervielfaltigung dieses Werkes oder von Teilen dieses Werkes ist auch im Einzelfall nur in den Grenzen der gesetzlichen Bestimmungen des Urheberrechtsgesetzes der Bundesrepublik Deutschland vom 9. September 1965 in der jeweils geltenden Fassung zulassig. Sie ist grundsatzlich vergiitungspflichtig. Zuwiderhandlungen unterliegen den Strafbestimmungen des Urheberrechtsgesetzes. Springer ist ein Unternehmen von Springer Science+Business Media springer.de © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 1998, 2001, 2005 Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten waren und daher von jedermann benutzt werden diirften. Umschlaggestaltung: Design & Production, Heidelberg SPIN 11385943

64/3153-5 4 3 2 1 0 - Gedruckt auf saurefreiem Papier

Filr Eva

Vorwort

Nach Ablauf von mehr als vier Jahren seit dem Erscheinen der zweiten Auflage lieB sich die Neuauflage trotz vieler entgegenstehender anderweitiger Verpflichtungen nicht langer hinausschieben. So gait es, Rechtsprechung und Literatur bis Ende 2004 (vereinzelt auch aktueller) einzuarbeiten und altere Falle durch neuere zu ersetzen. Ich habe dabei versucht, meiner Devise, die Schwerpunkte der Allgemeinen Lehren des Strafrectits an Hand pragnanter Falle aus Rechtsprechung und Lehre anschaulich darzustellen und dennoch nicht auf das wissenschaftliche Gesprach zu verzichten, treu zu bleiben. Bei der Auswahl der zu beriicksichtigenden Entscheidungen, insbesondere aber der wissenschaftlichen Beitrage, wurde deshalb auf Verstandlichkeit ein besonderer Wert gelegt. Die Neuauflage ist inhaltlich vollstandig iiberarbeitet und im Bereich der Schuldhaftigkeit (§ 7) und der Fahrlassigkeit (§ 12) weiterentwickelt worden. Zum „Europaischen Strafrecht" wurde ein kurzer Abschnitt eingefiigt, fiir dessen Konzeption ich Herrn Wiss. Ass. Dr. Arndt Sinn zu groBem Dank verpflichtet bin. Soweit mich Argumentationen iiberzeugt haben, habe ich nicht gezogert, meine Meinung zu andern. Auch freundliche Hinweise aus der Leserschaft habe ich dabei gerne aufgegriflfen. Mein herzlicher Dank richtet sich insoweit an Herrn KoUegen Wilfried Ktiper (Heidelberg), Herrn Rechtsreferendar Pierre Hauck (Saarbrucken) und Herrn stud. iur. Wolfgang Junge (Trier). Obwohl die Kompatibilitat der Randnummern mit der zweiten Auflage beibehalten wurde, bewahrt somit nur ein Blick in die Neuauflage vor Missverstandnissen. Fiir anregende Diskussionen und wertvolle Hilfe schulde ich auch den wissenschaftlichen und den studentischen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern am GieBener Lehrstuhl, die im Laufe der Arbeiten in wechselnden Besetzungen mitgewirkt haben, herzlichen Dank: Volker BUtzler^ Anne Demel^ Ruth Hangaly^ Osman Isfen, Til Kappen, Sandra Krey^ Christian Matejko^ Kirsten Schmidt^ Sabrina Staats, Yvonne Vaillant, Arndt Sinn und Liane Worner. Nicht zuletzt will ich mich bei meiner Frau von ganzem Herzen bedanken, die mich inrnier wieder mit Zuversicht erfiillt hat und mit der ich bei der Endredaktion durch manch finsteres Tal zum Licht schreiten durfte. Ihr ist die dritte Auflage in Liebe zugeeignet. GieBen, den 6. Juni 2005

Walter Gropp

VIII Vorwort

Aus dem Vorwort zur 1. Auflage: Der Allgemeine Teil des Strafrechts ist einer der interessantesten Gegenstande der universitaren Juristenausbildung. Bietet er doch die Moglichkeit, wie in einem Mikrokosmos nicht nur iiber menschliche und gesellschaftliche, sondern auch iiber rechtstheoretische und -systematische Fragen nachzudenken. Eine schone Ubung ist es zudem, dass der Allgemeine Teil im Studienplan vieler Fakultaten am Beginn des Studiums vorgesehen ist, ein Stadium, in dem die Studierenden gebannt von dem jedem Anfang innewohnenden „Zauber", „der uns beschiitzt und der uns hilft, zu leben" - ihre Denkfahigkeit noch unbehindert von den Lernzwangen der spateren Semester frei entfalten konnen. Von seiner Konzeption her wendet sich das Buch zunachst an Studierende in den ersten Semestern. Zur Vorbereitung auf die schriftliche und miindliche Priifung des Ersten Staatsexamens eignen sich vor allem die Paragraphen 5 bis 15. Stichprobenartige Wiederholungfragen mit Hinweisen auf die entsprechenden Textstellen sollen den Denk- und Lernerfolg bewusst machen. In § 16 werden diese Fragen kurz beantwortet, um einen „Schnelldurchgang" zur Priifiingsvorbereitung zu ermoglichen. Schon der begrenzte Umfang des Buches hat es erforderlich gemacht, die Darstellung wie ein Skelett auf die tragenden Strukturen zu reduzieren .... Ihr Verstehen erspart das stupide Auswendiglernen und befahigt zu Dialog und Diskussion. Was wirklich auswendig gelernt werden muss, ist am Rande der Seite mit einem groBen „L" gekennzeichnet. Inhaltlich orientiert sich die Darstellung an der „herrschenden Meinung", soweit sich eine solche iiberhaupt formulieren lasst. Bewusste Abweichungen werden kenntlich gemacht. Das Begreifen der Zusammenhange und ihrer Begriindung soil dazu befahigen, selbstandig iiber das Recht nachzudenken und es den gesellschaftlichen Veranderungen entsprechend weiterzuentwickeln und anzuwenden - eine Fahigkeit, die gerade der in der Praxis tatige Jurist dringend benotigt. Fragen aus der Praxis kann und will dieses Lehrbuch hingegen nur ganz am Rande ansprechen, denn die Praxis wird in der und durch die Praxis gelernt. Leipzig, im Oktober 1997

Walter Gropp

Inhaltsverzeichnis

Tabellenverzeichnis

XXXIII

Abbildungsverzeichnis

XXXV

Abkiirzungsverzeichnis

XXXVII

Abgekiirzt zitierte Literatur Abgekiirzt zitierte Fest- und Gedachtnisschriften

XLI XLV

TeilL Einfuhrung § 1. Strafrecht in Gesellschaft und Recht A. Strafrecht in der Gesellschaft - Erscheinungsformen strafrechtsrelevanter Sachverhalte I. Begehung von Straftaten II. Verfolgung von Straftaten 1. Erfassung und Verarbeitung von Straftaten als gesellschaftliches Problem a) Ermittlungsverfahren b) Hauptverhandlung, Verurteilung, Strafvollstreckung, StrafVollzug c) Unerkannte Straftaten 2. Verbrechen und Kriminalitat als individuelles Problem III. Zur Wiederholung IV. Literatur B. Strafrecht als Teil der Rechtsordnung I. Das Strafrecht im Rechtssystem 1. Strafrecht als oflfentliches Recht 2. Zur Entstehung des Strafrechts

3 3 4 5 5 5 7 9 11 12 12 12 12 13 13

X

Inhaltsverzeichnis

3.

Die Unterteilung des Strafrechts in materielles und formelles Reclit sowie in StrafvoUzugsrecht 15 a) Materielles Strafrecht 15 b) Formelles Strafrecht 16 c) StrafvoUzugsrecht 17 II. Der Anwendungsbereich des deutschen Strafrechts Strafanwendungsrecht („internationales Strafrecht") 18 1. Die Aufgabe des Strafanwendungsrechts 18 2. Die Prinzipien des Strafanwendungsrechts in den §§3-7StGB 18 a) Territorialitatsprinzip 19 b) Staatsschutzprinzip 19 c) Aktives Personalitatsprinzip 20 d) Passives Personalitatsprinzip 20 e) Universalitatsprinzip 20 f) Prinzip der stellvertretenden Strafrechtspflege 20 III. Europaisches Strafrecht 21 1. Einleitung 21 2. Der BegriflF„Europaisches Strafrecht'' 21 3. Gegenstande des Europaischen Strafrechts 22 4. Quellen und Institutionen des Europaischen Strafrechts 22 a) Europarat 22 b) Europaische Gemeinschaft und Europaische Union..... 22 5. Ausblick 27 IV. Die Konzeption des Strafgesetzbuches in formaler und materieller Hinsicht 27 1. Formale Ausgliederung eines AUgemeinen Teils 28 2. Die Beschreibung materieller UnwertverwirkHchungen im Besonderen Teil des StGB 29 V. Das materielle Strafrecht als Teilgebiet der gesamten Strafrechtswissenschaft 30 VI. Zur Wiederholung 31 VII. Literatur 32 C. Strafrecht und Gesellschaft 32 I. Gesellschaftsveranderung durch Strafrecht? - oder: Wirkt Strafrecht „sittenbildend"? .32 II. Die Sozialerheblichkeit des strafbaren Verhaltens als Legitimation fiir die Inkriminierung 33 D. Strafrecht in der Krise? 34 I. Straftatverfolgung (Repression) und Straftatverhtitung (Prevention) 34 II. Das Menschenbild des Strafrechts 36 E. Funktion und Legitimation von Strafrecht und Strafe 37 L Was ist Strafe? 37 II. Legitimation und Sinn der Strafe 37

Inhaltsverzeichnis

XI

1.

F.

Legitimation 37 a) Staatspolitischer Aspekt 38 b) Sozialpsychoiogischer Aspekt 38 c) Individual-ethischer Aspekt 39 2. Sinn der Strafe (Straftheorien) 39 a) „Absolute" Straftheorien: Vergeltung und Siihne als Sinn der Strafe - punitur, quia peccatum est 40 b) ^Relative" Straftheorien: punitur, ne peccetur 42 c) Vereinigungstheorien: Abschreckung und Erziehung im Rahmen ausgleichender Vergeltung: „punitur, quia peccatum est, ne peccetur" 46 3. Strafzwecke im StGB? 47 III. Legitimation des Strafrechts durch Rechtsgtiterschutz 47 IV. Zur Wiederholung 48 V. Literatur 48 Hinweise zumLeitfall 49

2. Prinzipien des Strafrechts 51 A. Das GesetzUchkeitsprinzip (Art. 103 II GG = § 1 StGB) als formale Komponente des Rechtsstaatsprinzips 51 I. Entstehungsgeschichte 52 II. Inhalt 53 III. Die vier Forderungen des GesetzUchkeitsprinzips im einzelnen. 55 1. Lex scripta: Ausschluss strafbegrundenden und strafscharfenden Gewohnheitsrechts 55 2. Lex stricta; Analogieverbot - Analogie und Auslegung 56 a) Die Auslegung als Gegenstand der juristischen Methodenlehre 56 b) Analogie 61 3. Lexcerta; Bestimmtheitsgebot 62 4. Lex praevia: Rtickwirkungsverbot - zeitliche Geltung Giinstigkeitsprinzip 63 a) Rtickwirkungsverbot im materiellen Strafrecht 63 b) Rtickwirkungsverbot im Strafverfahrensrecht? 64 c) Rtickwirkungsverbot beztigHch der Anderung hochstrichterlicher Rechtsprechung? 65 IV. Losung des Leitfalls 2/1 66 V. Zur Wiederholung 66 VI. Literatur 66 B. Das Schuldprinzip als materielle Ausformung des Rechtsstaatsprinzips 67 I. Nulla poena sine culpa - keine Strafe ohne Schuld 67 II. MaBregeln der Besserung und Sicherung 69 III. Losung des Leitfalls 2/2 70

XII

Inhaltsverzeichnis

IV. Zur Wiederholung V. Literatur C. Weitere Ausformungen des Rechtsstaatsprinzips D. Konkretisierung der Strafrechtsprinzipien durch Strafgesetz und Strafrechtsdogmatik I. Was ist Dogmatik? II. Strafrechtsdogmatik und Straftatsystem III. Grundelemente des Straftatsystems IV. Losung desLeitfalls V. Zur Wiederholung VI. Literatur

70 70 .71 71 72 73 73 74 75 :.75

§ 3. Die Straftat im System des Strafrechts 77 A. Formale Definition der Strafl:at als tatbestandsmaBige, mit Strafe bedrohte Handlung 78 I. Die TatbestandsmaBigkeit der Handlung - Rechtsquellen des Strafrechts 78 1. Strafgesetze 78 a) Das StGB von 1871 ..78 b) Das Jugendgerichtsgesetz (JGG) von 1953 81 c) Nebenstrafrecht 81 2. Verfassungsrecht als maB- und grenzsetzende Rechtsquelle des Strafrechts 82 3. Gewohnheitsrechts als strafrechtliche Rechtsquelle? 83 a) Gefestigte Auslegung zu Gunsten des Taters 84 b) Rechtsfortbildung zu Gunsten des Taters 84 c) Rechtsfortbildung zu Ungunsten des Taters 87 II. Die Strafbarkeit der Handlung 87 III. Losung desLeitfalls 88 IV. Zur Wiederholung 88 V. Literatur 88 B. Der materielle Gehalt der Straftat 89 I. Die Straftat als Verletzung „vergeistigter" abstrakter (Straf)Rechtsguter 89 II. Die Straftat als rechtswidrige und schuldhafte VerwirkHchung eines realen tatbestandhch beschriebenen Unwertes 90 1. Straftatbestande als Unwertbeschreibungen 91 a) Tatstrafrecht - Erfolgs- und Handlungsunwert 91 b) Taterstrafrecht - Gesinnungsunwert .91 c) Dualistischer Ansatz 92 2. Verbrechen und Vergehen als Stufen tatbestandsmaBiger Unwertverwirklichung (Dichotomic) 93 a) Die doppelte Bedeutung des BegriflFes „Verbrechen".. 93 b) Verbrechen i.e.S. und Vergehen .93

Inhaltsverzeichnis

c)

XIII

Die praktische Bedeutung der Unterscheidung von Verbrechen und Vergehen 94 d) Die maBgeblichen Abgrenzungskriterien 94 3. Grunddelikt, Privilegierung und Qualifizierung delictum sui generis 96 a) Grunddelikt, Privilegierung und Qualifizierung als unselbstandige tatbestandliche Abwandlungen 96 b) Das delictum sui generis als selbstandige tatbestandliche Abwandlung 97 4. Das erfolgsqualifizierte Delikt 98 a) Struktur und systematische Einordnung 98 b) Legitimation des erweiterten Strafi*ahmens 99 c) Der spezifische Gefahr-Zusammenhang zwischen Grunddelikt und Erfolg 100 d) „Wenigstens fahrlassige" Verursachung des qualifizierenden Erfolgs 101 e) Beteiligung mehrerer Personen 101 f) Aufbauschema fiir das erfolgsqualifizierte Delikt am Beispiel des § 227 102 5. Regelbeispiele 102 6. Die Rechtswidrigkeit als Widerspruch der tatbestandsmaCigen Unwertverwirklichung zur Gesamtrechtsordnung 104 7. Die Schuldhaftigkeit als VorwerflDarkeit der rechtswidrigen Unwertverwirklichung 105 III. Literatur 105 IV. Zur Wiederholung 106 C. DieBau-und Strukturelemente der Strafl:at 106 I. GrundmodellezumBegriflfder Straftat 107 1. Germanisches Erfolgsstrafrecht 107 2. Kanonisches Recht 108 3. Unterscheidung auBerer/objektiver und innerer/subjektiver Elemente 108 II. Modelle zur Strukturierung des dreistufigen Verbrechensbegriflfs 109 1. „Klassischer" Verbrechensbegriff und kausale Handlungslehre (v. Liszt 1851-1919; Beling 1866-1932). 109 2. „Neoklassischer" Verbrechensbegriff (M^zg^r 1883-1962) 110 3. Finaler Verbrechensbegriff und finale Handlungslehre {Welzel \90AA911) Ill 4. Vermittelnde Ansatze auf der Grundlage eines finalen Verbrechensbegriffs 112 5. Synopse 113 III. Zur Wiederholung 113

XIV

Inhaltsverzeichnis

IV.

Literatur

113

Teil II. Die Lehre von der Straftat am Beispiel des vorsatzlich begangenen Erfolgsdelikts §4.

DieHandlung A. Die Funktionen des Handlungsbegriffs im Verbrechensbegriff. I. Grundelement II. Grenzelement III. Verbindungselement B. Die Handlung als Grenzelement - Eliminierung der Nichthandlungen aus dem Verbrechensbegriff I. Nicht-Handlungen II. Abgrenzungsprobleme C. Die Handlung als Verbindungselement derHandlungsbegriff als Verbrechensbegriff I. Die Bedeutung des Handlungsbegriffs fiir den Aufbau der Straftat II. Die wichtigsten Handlungsbegriffe im einzelnen 1. Der kausale Handlungsbegriff als Kern des klassischen und des neoklassischen Verbrechensbegriffs a) Definition der Handlung b) Hintergrund c) Vertreter d) Starken e) Schwachen 2. Der finale Handlungsbegriff. a) Definition der Handlung b) Hintergrund c) Vertreter d) Starken e) Schwachen 3. Modifikationen des finalen/kausalen Handlungsbegriffs im „vermittelnden Verbrechensbegriff' a) Der soziale Handlungsbegriff b) Der negative Handlungsbegriff c) Der personale Handlungsbegriff. 4. Bilanz und eigene Uberlegungen - der rechtsgutsbezogene Handlungsbegriff als AuBerung der Nichtbeachtung rechtlich geschtitzter Werte III. Literatur D. Losung desLeitfalls E. Zur Wiederholung

117 117 118 118 119 119 119 121 122 122 124 124 124 125 125 125 126 127 127 128 129 129 130 131 133 134 135

136 137 138 139

Inhaltsverzeichnis

XV

§5. TatbestandsmaUigkeit 141 A. DieElemente des objektiven Tatbestandes 141 I. Taterfolg 141 II. Tatsubjekt 142 1. Nattirliche Personen 142 2. Juristische Personen und Personenvereinigungen? 143 a) Keine Strafbarkeit de lege lata 143 b) Uberlegungen zu einer Strafbarkeit de lege ferenda... 144 III. Die Tathandlung und weitere Tatmodalitaten 146 IV. Tatobjekt 146 V. Kausalitat zwischen Handlung und Erfolg Kausalitatstheorien 147 1. Aquivalenz-Theorie - condicio sine qua non: Kausalitat als Ergebnis einer hypothetischen Elimination 148 a) „Abgebrocliene" Kausalitat 150 b) „Uberholende" Kausalitat 151 c) Alternative Kausalitat 152 d) Kumulative Kausalitat 152 e) Irrelevanz der Reserveursache 153 2. Die Formel von der gesetzmaBigen Bedingung 154 3. Adaquanztheorie 155 4. Relevanztheorie 155 VI. Objektive Zurechnung 156 1. Fehlen eines rechtlich relevanten Risikos 157 2. Fehlender Risikozusammenhang (fehlender Schutzbereich der Norm) 157 3. Risikoverringerung 157 4. Fehlender Pflichtwidrigkeitszusammenhang (rechtmaBiges Alternatiwerhalten) 158 5. Zurechnungsverlagerung auf Dritte (Selbstverletzung; Regressverbot) 158 VII. Losung des Leitfalls 160 VIII. ZurWiederholung 160 IX. Literatur 161 B. Elemente des subjektiven Tatbestandes 161 I. Arten subjektiver Tatbestandselemente 161 II. DerVorsatz 162 1. Struktur und Stufen 162 2. Das Wissens-Element (cognitive Seite) des Vorsatzes 163 a) Die Tatumstande i.S.v. § 16 als Gegenstand des cognitiven Vorsatzelementes 163 b) Der Einfluss von Abweichungen des Kausalverlaufs und des Tatobjekts auf die Zurechung als vorsatzliche voUendete Tat - dolus generalis/aberratio ictus . 165

XVI

Inhaltsverzeichnis

III IV. V.

c) Vorsatzunabhangige Verbrechenselemente 167 d) Intensitat und Aktualitat des cognitiven Elementes ... 168 3. Das Willens-Element (voluntative Seite) des Vorsatzes ... 169 a) Gegenstand des voluntativen Vorsatzelementes 169 b) Intensitatsgrade der voluntativen Seite 170 Losung desLeitfalls 176 Zur Wiederholung 176 Literatur 177

§ 6. Rechtswidrigkeit und Rechtfertigungsgriinde 179 A. TatbestandsmaBigkeit, Rechtswidrigkeit und Rechtfertigung 179 I. Zum Verhaltnis von TatbestandsmaBigkeit und Rechtswidrigkeit 179 1. Die TatbestandsmaBigkeit als ratio essendi der Rechtswidrigkeit? - Die Lehre von den negativen Tatbestandsmerkmalen 180 2. Die TatbestandsmaBigkeit als Indiz der Rechtswidrigkeit. 182 3. Die TatbestandsmaBigkeit als ratio cognoscendi der Rechtswidrigkeit 182 4. Der materielle Gehalt der TatbestandsmaBigkeit 183 II. Suche nach einem allgemeinen Rechtfertigungsprinzip 185 1. Monistische Ansatze 185 2. Pluralistische Ansatze 185 3. Rechtfertigungsprinzipien als Rechtfertigungsstrukturen .186 III. Strukturelle Grundtypen der Rechtfertigung 186 1. Rechtfertigungsgrund aufgrund mangelnden Interesses ... 186 2. Rechtfertigungsgriinde aufgrund liberwiegenden/ weichenden Interesses 186 3. Rechtfertigung trotz der Erhaltung eines nur gleichwertigen Interesses 187 IV. Wirkungsgehalt und ethische Aussagekraft der Rechtfertigungsgriinde 187 V. Subjektives Rechtfertigungselement 188 VI. Losung des Leitfalls 6/1 189 VII. Zur Wiederholung 190 VIII. Literatur 191 B. Rechtfertigungsgriinde im einzelnen 191 I. Die erklarte EinwiUigung 191 1. Disponibilitat des Eingriffsguts 192 2. Einsichtsfahigkeit 192 3. Die Freiheit der Willensbildung und -entschlieBung 193 4. Einwilligungserklarung 194 5. Subjektives Rechtfertigungselement 194

Inhaltsverzeichnis

6.

II.

III.

XVII

Keine Sittenwidrigkeit der konsentierten Korperverletzung, § 228 195 7. Aufbau der Priifung der erklarten Einwilligung 196 8. Die systematische Einordnung der Einwilligung als Rechtfertigungsgrund 196 9. Einwilligung und Einverstandnis 197 a) Willensfahigkeit anstatt Einsichtsfahigkeit 198 b) Entbehrlichkeit der Einverstandniserklarung und Unbeachtlichkeit von Willensmangeln 198 c) Bemerkung zum Aufbau 198 10. Losung des Leitfalls 6/2 198 11. Literatur 198 Notwehr (§ 32) und andere Abwehrrechte (§§ 229, 8591, II BGB) 199 1. Notwehrlage 199 a) AngrifF 200 b) Notwehrfahigkeit des Rechtsguts 200 c) Rechtswidrigkeit des Angriffs 201 d) Gegenwartigkeit des Angriffs 202 2. Notwehr- oder Verteidigungshandlung 203 a) Erforderlichkeit 203 b) Sozialethische Schranken der Notwehr 205 c) Notwehr gegen Erpressung? .•»207 3. Verteidigungswille 208 4. Ausschluss/Einschrankung der Notwehr durch Verursachung der Notwehrlage 209 a) Absichtsprovokation 209 b) RechtmaBige sozialadaquate Verursachung des Angriffs 209 c) RechtmaBige, aber sozialethisch fragwurdige Verursachung des Angriffs 210 d) Rechtswidrige und schuldhafte Verursachung des Angriffs 210 5. Wirkung der Notwehr 212 6. Aufbau der Notwehr-Priifung 212 7. Zivilrechtliche Abwehrrechte - §§ 229, 859 I, II BGB 213 a) Selbsthilfe, §§229, 230 BGB 213 b) Besitzwehr und Besitzkehr, § 859 I, II BGB 213 8. Losung des Leitfalls 6/3 213 9. Literatur 216 Rechtfertigender Notstand (§ 34 StGB, §§ 228, 904 BGB)....216 1. Notstandslage 218 a) Gegenwartige Gefahr fiir ein Rechtsgut 218 b) Nichtabwendbarkeit der Gefahr auf andere Weise 218 c) Uberwiegen des Erhaltungsguts 219

XVIII

Inhaltsverzeichnis

d) Schuldhafte Herbeifiihrung der Notstandslage 221 Notstandshandlung222 a) Abwendung der dem Erhaltungsgut drohenden Gefahr 223 b) Angemessenheit desMittels 223 3. Subjektives Rechtfertigungselement 224 4. Aufbau der Notstands-Priifung 224 5. Losung desLeitfalls 6/4 225 6. Literatur 226 IV. Rechtfertigende PflichtenkoUision 227 1. Pflichtenkollisionen i.w. S. als Interessenkollisionen 227 2. Konstellationen formaler ^Pflichtenkollisionen'' 229 a) „Kollision" einer formalen Handlungspflicht mit einer formalen Unterlassungspflicht 229 b) KoUision von Unterlassungspflichten? 230 c) „Kollision" von Handlungspflichten 232 3. Die rechtfertigende „Kollision" gleichrangiger formaler Handlungspflichten (rechtfertigende PflichtenkoUision i.e.S.) 232 4. Losung derLeitfalle 6/5aund 6/5b 233 5. Literatur 234 V. Rechtfertigung straftatbestandsmaBiger Grundrechtseingriffe durch Amts-und Zwangsrechte 234 1. Eingiffsrechte von Amtstragern, insbesondere im Rahmender StrafVerfolgung 234 2. Handeln pro magistratu, §§ 229 bis 231 BOB, § 127StPO 235 a) Selbsthilferecht, §§ 229 bis 231 BOB 235 b) Das Recht zur vorlaufigen Festnahme fur jedermann, § 127 I 1 StPO 236 VI. Militarischer Befehl und dienstliche Anordnung 237 VII. Erziehungsrecht 239 1. Kein Ziichtigungsrecht als Amtsrecht des Lehrers 239 2. Das Erziehungsrecht der Eltern und anderer Personensorgeberechtigter 240 3. Literatur 240 VIIL Erlaubtes Risiko 241 1. MutmaBliche EinwiUigung 242 a) Die Nichteinholbarkeit der Einwilligungserklarung.... 243 b) Die Erwartbarkeit der EinwiUigung 243 c) Alle sonstigen Voraussetzungen der EinwiUigung 243 d) Aufbau der Priifung der mutmaBlichen EinwiUigung . 243 e) Losung des Leitfalls 6/7 244 2. Irrige Annahme der tatsachlichen bzw. normativen Voraussetzungen eines Eingiffsrechtes durch Amtstrager 244 2.

Inhaltsverzeichnis

a)

IX. X. XL

Irrige Annahme tatsachlicher EingrifFsvorauss etzungen b) Irrige Annahme eines EingrifFsrechts c) StrafrechtHcher oder „prozessualer" RechtmaBigkeitsbegriff? d) Losung des Leitfalls 6/8 3. Wahrnehmung berechtigter Interessen, § 193 a) Anwendungsbereich b) Voraussetzungen einer Straffreiheit nach § 193 im einzelnen c) Beleidigende Werturteile d) Losung der Leitfalle 4. Riskante Rettungshandlungen 5. Literatur Soziale Adaquanz als Rechtfertigungsgrund? Konkurrenz von Rechtfertigungsgriinden Zur Wiederholung

XIX

§ 7. Schuldhaftigkeit und Schuld - SchuldausschlieOungsgriinde Entschuldigungsgrunde A. Grundlagen: Schuldhaftigkeit und Schuld I. Die Schuldhaftigkeit der tatbestandsmaBigen und rechtswidrigen Handlung 1. Die Schuldhaftigkeit als Rechtsbegriff^ 2. Schuld(haftigkeits)begrifFe und Handlungslehren oder: die Voraussetzungen der Schuldhaftigkeit vor dem Hintergrund der Handlungslehren a) Psychologischer Schuld(haftigkeits)begriff. b) Der psychologisch-normative Schuld(haftigkeits)begrifF c) Der rein normative Schuld(haftigkeits)begriff d) Der normative Schuld(haftigkeits)begriff der h.M e) Modifikationen des Schuld(haftigkeits)begriffs der h.M. durch fiinktionale Elemente f) Die Schuldhaftigkeit als Element des Verbrechensbegriffs 3. Die Schuldhaftigkeit als Schuldhaftigkeit der Tat II. Schuld als Vorwurf der tatbestandsmaBigen, rechtswidrigen und schuldhaften Verwirklichung eines Unwertes (Strafzumessungsschuld) III. Willensfreiheit als Voraussetzung von Schuld? IV. Zur Wiederholung V. Literatur

245 245 245 247 248 248 249 250 250 250 250 251 252 253

255 255 256 256

257 257 258 259 259 260 261 262

262 264 266 266

XX

Inhaltsverzeichnis

B.

SchuldausschlieBungs- und -minderungsgrunde 267 I. Schuldunfahigkeit und verminderte Schuldfahigkeit (§§ 19, 20, 21; § IIIJGG) 267 1. Altersabhangige Schuld(un)fahigkeitsstufen 268 2. Biologisch und psychologisch bedingte Schuldunfahigkeit 268 a) Voile Schuldunfahigkeit, § 20 *268 b) Verminderte Schuldfahigkeit, § 21 270 3. Scheinbare Ausnahmen von der Straflosigkeit bei Schuldunfahigkeit 271 a) Actio libera in causa 271 b) VoUrausch, § 323a 274 II. Der unvermeidbare Verbotsirrtum, § 17 S. 1 275 III. Losung desLeitfalls 275 IV. Zur Wiederholung 276 V. Literatur 276 C. Entschuldigungsgriinde 276 I. Entschuldigender Notstand, § 35 276 1. Notstandslage 277 a) Gefahr fiir Leib, Leben oder Freiheit des Taters, eines Angehorigen oder nahestehender Personen 277 b) Nichtabwendbarkeit der Gefahr auf andere Weise (Erforderlichkeit) 278 c) Mangelndes Uberwiegen des Erhaltungsguts Proportionalitat 278 2. Notstandshandlung 279 3 Rettungswille als subjektives Entschuldigungselement 279 4. Priifungspflicht? 279 5. Wirkung 280 6. Einschrankung der Entschuldigung durch § 3 5 1 2 280 7. Aufbauschema zum entschuldigenden Notstand (§ 35) .... 280 II. Notwehrexzess, § 33 281 1. Notwehrexzess-Lage 281 2. Notwehrexzess-Handlung 282 a) Verteidigungshandlung gegen den Angreifer 282 b) Erforderlichkeit 282 c) Vorliegen der asthenischen Affekte 282 3. Subjektives Entschuldigungselement 283 4. Ausschluss von § 33 bei verschuldetem Notwehrexzess? . 283 5. Aufbauschema zum (intensiven) Notwehrexzess, § 33 283 III. Befolgung einer unverbindlichen Weisung (militarischer Befehl/dienstliche Anordnung), §§ 5, 22 WStG, § 56 BBG ...284 1. Unverbindlichkeit 284 2. Entschuldigung 284 3. Ausnahmen von der Entschuldigung 284

IV. V. VL VII. VIII.

Inhaltsverzeichnis

XXI

4. Entschuldigungsgrund „eigenerArt"? Ubergesetzlicher entschuldigender Notstand Unzumutbarkeit als allgemeiner Entschuldigungsgrund? Losung des Leitfalls 7/2 Zur Wiederholung Literatur

285 285 288 288 289 289

§ 8. Besondere Rechtsfolgevoraussetzungen und -hindernisse A. Besondere Rechtsfolgevoraussetzungen I. Objektive Bedingungen der Strafbarkeit II. Strafantrag, §§ 77 - 77 d III. Ermachtigung, § 77 e B. Besondere Rechtsfolgehindernisse I. Personliche StrafausschlieBungsgrunde 1. Personliche StrafausschlieBungsgrunde mit sachbezogenem Hintergrund a) Art. 46 I GG; §§ 36, 37, Indemnitat von Abgeordneten b) §§ 18, 19 GVG, Nichtverfolgung Exterritorialer 2. Personliche StrafausschlieBungsgrunde mit schuldbezogenem Hintergrund 3. Schuldbezogene personliche StrafausschUeBungsgriinde und Irrtumslehre II. Personliche Strafaufhebungsgriinde C. Losung des Leitfalls D. Zur Wiederholung E. Literatur

291 291 292 293 293 294 294 294 294 295 295 295 296 296 297 297

Teil IIL Weitere Erscheinungsformen der Straftat § 9. Versuch und Riicktritt - strafbare Vorbereitungshandlungen tatige Reue A. Der Versuch als Verwirklichungsstufe der Straftat I. „Entschluss" und „unmittelbares Ansetzen" als unwertbegriindende Elemente des Versuchs (§22 StGB) 1. Der Tat-Entschluss als subjektives Unwertelement des Versuchs a) Gegenstand, Gehalt und Unbedingtheit des Tatentschlusses b) Entschluss zum untauglichen Versuch einschlieBlich des grob unverstandigen Versuchs

303 303 305 306 306 307

XXII

Inhaltsverzeichnis

c) Kein Entschluss beim Wahndelikt, beim aberglaubischen Versuch und beim Felilen eines Vollendungswillens 2. Das unmittelbare Ansetzen als objektives Unwertelement des Versuclis a) Die formal-objektive Theorie b) Die materiell-objektive Tlieorie c) Die subj ektive Tiieorie d) Die heute lierrschende gemischt subjektivobjektive Theorie e) Das unmittelbare Ansetzen bei erweiterten Tatbestanden, insbesondere Qualifikationen, Regelbeispielen und Delikten mit mehreren Tathandlungen f) Das unmittelbare Ansetzen bei notwendiger Mitwirkung des Opfers g) Das unmittelbare Ansetzen zum Unterlassen II. Formale Begrenzungen der Versuchsstrafbarkeit (§ 23) III. Der Strafgrund des Versuchs IV. Sonderfragen 1. Versuch des erfolgsqualifizierten Delikts a) Vollendung des Grundtatbestandes und Versuch des qualifizierenden Erfolgs b) Versuch des Grundtatbestandes und Eintritt des qualifizierenden Erfolgs c) Versuch des Grundtatbestandes und Versuch des qualifizierenden Erfolgs d) Literatur 2. Versuch des Regelbeispiels a) Vollendung des Grundtatbestandes und „Versuch" des Regelbeispiels b) Versuch des Grundtatbestandes und VerwirkUchung des Regelbeispiels c) Versuch sowohl des Regelbeispiels als auch des Grundtatbestandes V. Der Aufbau der versuchten Straftat VI. Literatur B. Rticktritt (§ 24) I. Freiwilliges „Aufgeben der weiteren Tatausflihrung" bzw. „Verhindern der Tatvollendung" als unwertbegrenzende Elemente des Rticktritts 1. Die gesetzUche Unterscheidung zwischen unbeendetem und beendetem Versuch 2. Der maBgebliche Bezugspunkt fiir die Vorstellung des Taters vom Beendetsein des Versuchs

307 308 309 309 310 310

311 312 313 314 315 317 317 317 317 318 318 318 318 318 319 319 320 321

321 321 323

Inhaltsverzeichnis

XXIII

a) Die Lehre vom Tatplankriterium b) Die Lehre vom Riicktrittshorizont c) Einzelaktstheorie und Gesamtbetrachtungslehre 3. Der Irrtum des Taters iiber die Wirksamkeit des Getanen - beachtUch? 4. Unbeendetsein des Versuchs trotz Erreichens des aufiertatbestandHchen Ziels? 5. Riicktritt vom Unterlassungsversuch 6. Riicktritt vom Versuch eines erfolgsquaUfizierten Dehkts 7. FreiwiUigkeit und Endgiiltigkeit des Riicktritts 8. (Subjektiv) fehlgeschlagener Versuch II. Der Straffreiheitsgrund des Riicktritts 1. „Riicktrittsorientierte" Ansatze 2. „Aburteilungsorientierte" Ansatze III. Riicktritt bei TatbeteiHgung mehrerer (§ 24 II) IV. Folgen des Riicktritts V. Der Aufbau der Riicktrittspriifung VI. Literatur C. Strafbare Vorbereitungshandlungen/ Versuch der BeteiHgung (§§ 30 f.) I. Zum Begriff der strafbaren Vorbereitungshandlungen 1. Versuchte Anstiftung 2. Sonstige Vorbereitungshandlungen II. Aufbaufragen III. Riicktritt vom Versuch der Beteiligung/tatige Reue IV. Literatur D. Losung des Leitfalls I. Leitfall9a II. Leitfall9b E. Zur Wiederholung § 10. Taterschaft und Teilnahme A. Grundlagen I. Gesetzliche Vorgaben 1. § 25, Taterschaft 2. §§26, 27, Anstiftung und Beihilfe als gesetzliche Formen der Teilnahme - Akzessorietat II. Beteiligungsprinzipien und Taterbegriffe 1. Einheitstatersystem - extensiver Taterbegriff 2. Taterschafts- und Teilnahme-System (§§ 25-27) Restriktiver Taterbegriff III. Taterschaftstheorien 1. Objektive Taterschaftstheorien a) Die formal-objektive Theorie

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XXIV

Inhaltsverzeichnis

b) Die materiell-objektive Theorie Der animus auctoris als Kriterium der subjektiven Taterschaftlehre 3. Tatherrschaftsiehre B. Formen der Taterschaft, § 25 I. Unmittelbare Taterschaft, § 25 I 1. Alt. (Handlungsherrschaft) II. Mittelbare Taterschaft, § 25 I 2. Alt. (Willensherrschaft) 1. Kriterien mittelbarer Taterschaft a) Unterlegenheit des Tatmittlers b) Tatherrschaft des mittelbaren Taters c) Tatermerkmale des mittelbaren Taters 2. Typische Fallgruppen mittelbarer Taterschaft a) Tatbestandslos handelndes Werkzeug b) Vorsatzlos handelndes Werkzeug c) Vorsatzlich, aber absichtslos handelndes Werkzeug (sog. „absichtslos-doloses Werkzeug") d) RechtmaBig handelndes Werkzeug 3. Ausschluss mittelbarer Taterschaft 4. Sonderfragen a) Versuch in mittelbarer Taterschaft b) Mittelbare Taterschaft durch Unterlassen? c) Der Tater hinter dem Tater - Tatherrschaftsiehre oder Verantwortungsprinzip? d) Irrtumsfragen 5. Priifiingsschema bei mittelbarer Taterschaft III. Mittaterschaft, § 25 II (fiinktionelle Tatherrschaft) 1. Allgemeine Kriterien a) Gemeinsamer Tatentschluss (animus coauctoris) b) Gemeinsame Tatherrschaft c) Eigener Tatbeitrag d) Vorliegen der erft)rderlichen Taterqualifikationen 2. Zurechnung a) Gesamtzurechnung b) Grenzen der Gesamtzurechnung 3. Sonderfi-agen a) Versuch und Rucktritt b) Unterlassen c) Sukzessive Mittaterschaft d) Keine fahrlassige Erfolgsherbeifiihrung in Mittaterschaft 4. Aufbauschema zur Mittaterschaft C. Teilnahme I. Strafgrund der Teilnahme

355

2.

355 357 358 358 359 359 359 360 363 363 363 363 3 63 364 365 365 365 366 367 368 370 371 371 371 372 372 373 373 373 374 374 374 376 376 378 379 380 380

Inhaltsverzeichnis

1.

II.

III.

IV.

V.

XXV

Die akzessorietats-orientierte Verursachung fremden Unrechts 380 2. Verursachung fremder Schuld: kein Strafgrund der Teilnahme 382 Akzessorietat der Teilnahme (§§ 26 - 29) 382 1. Die Limitierung der Akzessorietat 382 2. Die Berucksichtigung „besonderer personlicher Merkmale" (§ 28) 382 3. §29 385 Anstiftung, §26 386 1. Haupttat 386 2. „Bestimmen" zur Tat 386 3. Anstiftungsmittel 387 4. Die doppelte Ausrichtung des Anstiftervorsatzes 388 a) Vorsatz beziiglich der Haupttat 388 b) Vorsatz beziiglich des Bestimmens 390 5. Sonderfragen 390 a) Anstiftung mehrerer Personen 390 b) Anstiften durch Unterlassen? 390 c) Abstiftung 390 6. Aufbauschema flir die Anstiftung 390 Beihilfe, § 27 391 1. Abgrenzung zur Mittaterschaft 391 2. Qualitat der Haupttat 391 3. Beihilfehandlung: „Hilfeleisten" 391 4. Kausalitat der Beihilfe 392 5. Die doppelte Ausrichtung des Gehilfenvorsatzes 3 93 6. Sonderfragen 394 a) Beihilfe durch Unterlassen 394 b) Versuchte Beihilfe? 394 c) Verselbstandigte Beihilfe? 394 d) Neutrale Beihilfehandlungen? 394 7. Strafmilderung 395 8. Aufbauschema der Beihilfepriifiing 396 Straffreie Sonderbeteiligung anstatt „Notwendige Teilnahme" 396 1. „Notwendige Teilnahme" 396 a) Konvergenzdelikte 396 b) Begegnungsdelikte 396 2. Straffreie Sonderbeteiligung 397 a) Die selbstverletzende Teilnahme des Dispositionsbefugten 397 b) Die selbstverletzende Teilnahme des Nichtdispositionsbefugten 398 c) Die periphere Beteiligung am Zentrifiigal- bzw. Zentripetaldelikt 399

XXVI

Inhaltsverzeichnis

d) Die Beteiligung des als Tater wegen einer personlichenberucksichtigungswiirdigen Zwangslage Ausgeschlossenen e) Die Beteiligung des als Tater wegen einer strafbaren Bezugstat Ausgeschlossenen D. Vorstufen der Beteiligung, § 30 E. Losung desLeitfalls F. Zur Wiederholung G. Literatur

400 401 403 403 404 404

§ 11. Unterlassen 407 A. Grundfragen 408 I. Echte und unechte Unterlassungsdelikte 408 II. Verfassungsrechtliche Zulassigkeit unechter Unterlassungsdelikte? 409 B. Die TatbestandsmaBigkeit des Unterlassungsdelikts die wesentlichen unwertbegriindenden Elemente 410 I. Die Garantenstellung des Taters - unechte Unterlassungsdelikte als Sonderdelikte 410 1. Die Funktion der Garantenstellung 410 2. Voraussetzungen von Garantenstellungen 411 a) Garantenstellungen aus rechtlichen bzw. tatsachlichen Gegebenheiten (erweiterte Garantentrias) 411 b) Kritik 413 c) Die Unterscheidung zwischen Beschiitzer- und Uberwachungsgaranten 413 II. Rechtlich relevantes Handeln in Form des Unterlassens 421 1. Ausscheiden von Unterlassen ohne Handlungsqualitat 421 a) Schlaf oderBewusstlosigkeit 421 b) Visabsoluta 422 c) Sonstige Unmoglichkeit der Erfolgsabwendung 422 2. Tatbestandsausschluss durch Unzumutbarkeit? 423 3. Nichterfiillung der Pflicht zu einem bestimmten Handeln . 425 a) Echte Unterlassungsdelikte 425 b) Unechte Unterlassungsdelikte 425 4. Abgrenzung von Tun und Unterlassen 425 a) DerPrimat desBegehens durch Tun 426 b) Vereitelung von Erfolgsverhinderungsversuchen (sog. Retterfalle) 427 III. Erfolg und Quasi-Kausalitat 429 1. Anforderungen an die Quasi-Kausalitat 429 2. Ablehnung eines gesonderten Pflichtwidrigkeitszusammenhangs 431 IV. Die Entsprechens-Formel, § 13 431

Inhaltsverzeichnis

C. D. E. F. G. H.

I. J.

1. Handlungsaquivalenz 2. Fakultative Strafmilderung V. Subjektiver Tatbestand 1. Besondere subjektive Tatbestandsmerkmale 2. Allgemeine subjektive Unrechtselemente VI. Fahrlassiges Unterlassen Rechtswidrigkeit Schuldhaftigkeit Besonderheiten beim echten Unterlassungsdelikt Irrtum iiber die Handlungspflicht: Gebotsirrtum Aufbau des vorsatzlichen unechten Unterlassungsdelikts Losung desLeitfalls I. TatbestandsmaBigkeit IL Rechtswidrigkeit III. Schuldhaftigkeit IV. Schlussbemerkung Zur Wiederholung Literatur

XXVII

431 433 433 433 433 43 4 434 435 43 6 43 7 43 8 439 439 439 439 440 440 440

§ 12. Fahrlassigkeit 443 Vorbemerkung 443 A. Der tatbestandUche Unwert der Fahrlassigkeitsdelikte amBeispiel der fahrlassigen Totung (§ 222) 445 I. Handlung und Erfolg 445 II. Fahrlassigkeit als Begrenzung einer reinen Erfolgshaftung 446 1. Der Fahrlassigkeitsbegriff" der h.M.: unvorsatzhche Verursachung eines objektiv vorhersehbaren und vermeidbaren tatbestandsmaBigen Sachverhalts duch Verletzung einer Sorgfaltspflicht 447 a) Unbewusste und bewusste Fahrlassigkeit, Leichtfertigkeit - Abgrenzung vom EventualVorsatz (dolus eventualis) - Vorsatz-FahrlassigkeitsKombinationen 447 b) Verletzung einer Sorgfaltspflicht (auBere Sorgfalt) ...448 c) Nichtvorliegen einer Sorgfaltspflicht(verletzung) in Fallen berechtigten Vertrauens auf die Rechtstreue Dritter (Vertrauensgrundsatz) 451 d) Begrenzung der Fahrlassigkeitshaftung durch das Erfordernis der objektiven Vorhersehbarkeit des Erfolgs (innere Sorgfalt) 454 e) Begrenzung der Fahrlassigkeitshaftung durch das Erfordernis der Vermeidbarkeit des Erfolgs bei pflichtgemaBem Verhalten (Lehre vom Pflichtwidrigkeitszusammenhang/ rechtmaBigen Alternatiwerhalten)... 45 5

XXVIII

Inhaltsverzeichnis

f)

B.

C.

D. E.

F. G.

Haftungsbegrenzung durch den Schutzzweck der die Sorgfaltspflicht begriindenden Norm 458 g) Haftungsbegrenzung durch eigenverantwortliche Selbstgefahrdung (Verantwortungsprinzip) 459 2. Uberlegungen zu einem gefahrbezogenen individuellen Fahrlassigkeitsbegriff. 460 a) VerstoB gegen Sorgfaltspflichten oder Schaftung einer erhohten Gefahr? 460 b) Genereller oder individueller Fahrlassigkeitsbegriff? die individuelle Vorhersehbarkeit als „personaler Fahrlassigkeitsunwert" 464 III. Der subjektive Tatbestand des Fahrlassigkeitsdelikts 468 Recht swidrigkeit 469 I. Fahrlassigkeitsunwert und Fahrlassigkeitsunrecht Fahrlassigkeitstatbestande als oflfene Tatbestande? 469 II. Rechtfertigungsgriinde 470 1. Unvorsatzliche Tatbestandsverwirklichung in Unkenntnis der Rechtfertigungslage am Beispiel der Notwehr 470 2. UngewoUte Auswirkungen eines Verhaltens in Wahrnehmung eines Rechtfertigungsgrundes 471 a) Notwehr, §32 471 b) Rechtfertigender Notstand, §34 472 c) MutmaBliche Einwilligung und Einwilligung in unvorsatzlich herbeigefiihrte Tatbestandsverwirklichungen 472 d) Erlaubtes Risiko 472 Schuldhaftigkeit 473 I. Ubereinstimmungen mit dem Vorsatzdelikt 473 II. Besonderheiten 473 1. Fahrlassigkeitals Schuldform 473 2. Die Unzumutbarkeit pflichtgemaBen Verhaltens/der Unterlassung der Gefahrerhohung als (iibergesetzlicher) Entschuldigungsgrund beim Fahrlassigkeitsdelikt? 473 Aufbau des Fahrlassigkeitsdelikts 474 Losung desLeitfalls 476 I. Leitfalll2/1 476 II. Leitfalll2/2 477 Zur Wiederholung 479 Literatur 479

Teil IV. Irrtumslehre § 13. Irrtum A. Ausgangsfragen

483 483

Inhaltsverzeichnis

I. IL

XXIX

Objekte des Irrtums 484 Unkenntnis und irrige Annahme als (Erscheinungs)Formen des Irrtums 484 III. Beachtlichkeit 485 1. Die fragmentarische Natur der geschriebenen Irrtumsregeln 485 2. Grundunterschiede der dogmatischen Folgen: Tatbestands- (§ 16) und Verbortsirrtum (§ 17) 486 3. Zusammenfassung 487 IV. Zur Methodik: Tatbestands- und Verbotsirrtum im Verbrechensaufbau 487 B. Entwicklungsschritte in Rechtsprechung und Lehre zur DifFerenzierung zwischen Tatbestands- und Verbotsirrtum 488 I. Error iuris (criminaUs) nocet - die UnbeachtUchkeit des strafrechtlichen Verbotsirrtums in der Rechtsprechung des Reichsgerichts 488 II. Die Anerkennung des unmittelbaren Verbotsirrtums und des Unrechtsbewusstseins als vom Vorsatz losgelostes selbstandiges Schuldmerkmal (Schuldtheorie) durch den Bundesgerichtshof 490 1. Die „Honorar-Entscheidung" BGHSt 2, 194 490 2. Zur Unvermeidbarkeit des Verbotsirrtums 493 3. Inhalt und Umfang des Unrechtsbewusstseins 493 a) Unrechtsbewusstsein als Bewusstsein des Unrechts .. 494 b) Unrechtsbewusstsein in Form einer Parallelwertung in der Laiensphare 494 c) Teilbarkeit des Unrechtsbewusstseins 495 C. Der Irrtum im Strafrecht - verbrechenssystematische Darstellung ....496 I. Irrtiimer iiber Elemente der TatbestandsmaBigkeit 496 1. Gegenstand: Tatbestandsmerkmal/deskriptiv 496 a) Form: Unkenntnis 496 b) Form: Irrige Annahme 497 2. Gegenstand: Tatbestandsmerkmal/normativ 497 a) Form: Unkenntnis 497 b) Form: Irrige Annahme 498 3. Irrtum iiber qualifizierende Tatbestandsmerkmale 499 a) Form: Unkenntnis 499 b) Form: Irrige Annahme 499 4. Irrtum iiber privilegierende Tatbestandsmerkmale 500 a) Form: Unkenntnis 500 b) Form: Irrige Annahme 500 5. Irrtum iiber den Geschehensablauf (Kausalabweichung)... 5 00 a) Form: Unkenntnis des eingetretenen Kausalverlaufs .501 b) Form: Irrige Annahme des erwarteten Kausalverlaufs 502

XXX

Inhaltsverzeichnis

6.

II.

III.

IV.

Irrtum iiber das AngrifFsobjekt - Fallgruppe: Irrtum iiber das Zielobjekt mit Tatbestandsirrtum a) Form: Unkenntnis der Verletzung des getroffenen Zielobjekts b) Form: Irrige Annahme der Verletzung des angepeilten Zielobjekts 7. Kausalabweichung in Form der aberratio ictus a) Form: Unkenntnis des getroffenen Obj ekts b) Form: Irrige Annahme 8. Irrtum iiber das Angriffsobjekt - Fallgruppe: Irrtum iiber die Identitat = error in persona vel obiecto a) Form: Unkenntnis der wahren Identitat b) Form: Irrige Annahme 9. Strafbarkeit des Anstifters bzw. Gehilfen bei error in obiecto/persona des Taters Irrtiimer iiber Elemente der Rechtswidrigkeit 1. Irrtum iiber die tatsachlichen Voraussetzungen eines Rechtfertigungsgrundes a) Form: Unkenntnis b) Form: Irrige Annahme - Erlaubmstatbestandsirrtum. 2. Irrtum iiber die rechtlichen Grenzen eines Rechtfertigungsgrundes - Erlaubnisgrenzirrtum a) Form: Unkenntnis der Erlaubnisgrenze b) Form: Irrige Annahme 3. Irrtum iiber die Existenz eines Rechtfertigungsgrundes Erlaubnisnormirrtum a) Form: Unkenntnis b) Form: Irrige Annahme 4. Irrtum iiber das „Verbotensein" - „unmittelbarer Verbotsirrtum" a) Form: Unkenntnis b) Form: Irrige Annahme Irrtiimer iiber Elemente der Schuldhaftigkeit 1. Irrtum iiber die tatsachlichen Voraussetzungen von Entschuldigungsgriinden a) Form: Unkenntnis b) Form: Irrige Annahme - „Entschuldigungstatbestandsirrtum" 2. Irrtum iiber die rechtlichen Grenzen eines Entschuldigungsgrundes - „Entschuldigungsgrenzirrtum" a) Form: Unkenntnis b) Form: Irrige Annahme 3. Irrtum iiber SchuldausschHeBungsgriinde - „SchuldausschlieBungsgrundirrtum" Irrtiimer iiber besondere Rechtsfolgevoraussetzungen

502 502 502 502 503 504 505 506 506 506 508 508 508 509 516 516 517 517 517 517 518 518 518 518 518 518 519 519 519 519 520 520

Inhaltsverzeichnis

1. 2.

Irrtiimer tiber objektive Bedingungen der Strafbarkeit Irrtiimer im Bereich personlicher StrafausschlieBungsgriinde D. Konkurrenz von Tatbestands- und Verbotsirrtum? E. Ubersicht iiber Gegenstande, Formen, Bezeichnungen und die BeachtUchkeit der wichtigsten Irrtiimer im Strafrecht F. Losung desLeitfalls a ZurWiederholung H. Literatur

XXXI

520 520 521 521 523 525 525

Teil V. Konkurrenzlehre und Strafrechtliche Sanktionen § 14 Gesetzeseinheit - Tateinheit (§ 52) - Tatmehrheit (§§ 53-55) 529 A. Uberblick 529 I. Die Aufgabe der Konkurrenzlehre 529 II. Tateinheit, Tatmehrheit und Gesetzeseinheit 530 B. Konkurrenzfragen in der Fallbearbeitung 531 L Erster Priifungsschritt: Gesetzeseinheit 532 1. Formen 532 a) Spezialitat 532 b) Konsumtion 532 c) Subsidiaritat 533 2. Wirkungen 534 a) Zuriicktreten 534 b) Verbleibende Wirkungen 534 11. Zweiter Priifungsschritt: Tat- bzw. Handlungseinheit (§ 52)? . 534 1. Im Vorfeld der Konkurrenzlehre: mehrere Handlungen, die nur einen Straftatbestand erfiillen („tatbestandliche Handlungseinheit") 534 a) Mehraktige und zusammengesetzte Delikte 535 b) Tatbestandslose Handlungen bei Dauerdelikten 535 c) Unterlassungsdelikte bei Identitat des Erfolgs 536 d) Wiederholende (iterative) oder schrittweise (sukzessive) Verwirklichung eines Tatbestandes zu Lasten desselben Rechtsgutstragers 536 2. Handlungseinheit als Grundlage fiir Tateinheit - Formen.. 536 a) „Dieselbe Handlung" als eine Handlung im natiirlichen Sinne 536 b) „Dieselbe Handlung" als eine Handlung „im rechtlichen Sinne" („rechtliche Handlungseinheit") 537 c) „Dieselbe Handlung" als „natiirliche Handlungs539 einheit i.w.S."? d) Die faktische Aufgabe der Handlungseinheit in Form der „fortgesetzten Handlung" durch den BGH 540

XXXII

Inhaltsverzeichnis

3. Formen der Tateinheit 4. Wirkungen der Tateinheit III. Dritter Priifungsschritt: Tatmehrheit (§ 53)? 1. Formen 2. Wirkungen a) Asperationsprinzip b) Kombinationsprinzip C. Losung desLeitfalls D. Zur Wiederholung E. Literatur F. Hinweis zu Leitfall 1 § 15. Strafrechtliche Sanktionen A. Schuldabhangige Sanktionen I. Strafen 1. Freiheitsstrafe und Strafaussetzung zur Bewahrung a) Freiheitsstrafe, §§ 38 f b) Abwendung der Strafvollstreckung und Strafaussetzung zur Bewahrung, §§ 55 aflf c) Freiheitsstrafe als ultima ratio 2. Geldstrafe, §§ 40 flf. 3. Fahrverbot, § 44 II. „Vergeistigte Strafen", §§ 59, 60 III. „Strafen" ohne Ubelszufugung? IV. Sanktionen des Jugendstrafrechts B. Schuldunabhangige MaBregeln der Besserung und Sicherung I. Freiheitsentziehende MaBregeln der Besserung und Sicherung II. MaBregeln ohne Freiheitsentzug C. Sanktionen gegen das Eigentum I. Verfall, §§ 73-73d II. Einziehung, §§ 74-76a III. Unbrauchbarmachung, § 74d D. Ausblick E. Zur Wiederholung F. Literatur

541 541 541 542 542 542 542 543 545 545 546 547 548 548 548 548 549 550 551 551 552 553 554 555 555 557 557 558 559 560 560 561 561

§ 16. Antworten auf die KontroUfragen

563

Fallregister

581

Sachverzeichnis

585

Tabellenverzeichnis

1 2 3 4 5 6 7

Polizeiliche Kriminalstatistik HaufigkeitszifFern Gerichtliche Kriminalstatistik/Verurteilungen Verurteiltenziffern Einsitzenden-ZSicherungsverwahrtenzahlen Einsitzenden-ZSicherungsverwahrtenzifFern Der Irrtum im Strafrecht: Formen und Folgen

6 6 8 8 9 9 522

Abbildungsverzeichnis

„Abgebrochene Kausalitat" „Uberholende Kausalitat" Dienstliche Anordnung/Befehl Beendetsein des Versuchs Erlaubmstatbestandsirrtum

150 151 238 322 515

Abkiirzungsverzeichnis

a. A. aaO abl Abs. a.F. Alt. Anm. ARSP Art. AT

anderer Ansicht am angegebenen Ort ablehnend Absatz alte Fassung Alternative Anmerkung Archiv fur Rechts- und Sozialphilosophie Artikel Allgemeiner Teil

BayObLG BBG betr. Bd. BGB BGBl. BGH BGHSt BGHZ BJagdG BRRG BT BT-Drs. BtMG BVerfG BVerfGE bzw.

Bayerisches Oberstes Landesgericht Bundesbeamtengesetz betrefifend Band Btirgerliches Gesetzbuch Bundesgesetzblatt (Teil, Seite) Bundesgerichtshof Entscheidungen des Bundesgerichtshofs in Strafsachen Entscheidungen des Bundesgerichtshofes in Zivilsachen Bundesjagdgesetz Beamtenrechtsrahmengesetz Besonderer Teil Bundestags-Drucksache (Legislaturperiode, Nummer) Betaubungsmittelgesetz Bundesverfassungsgericht Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts beziehungsweise

d.h. Diss. DJT

das heifit Dissertation Deutscher Juristentag

E1962 EGStGB Einl. Erg. EuGRZ evtl.

Entwurf eines Strafgesetzbuches (BT-Drucks. IV/650), 1962 Einfiihrungsgesetz zum Strafgesetzbuch Einleitung Ergebnis Europaische Grundrechte-Zeitschrift eventuell

XXXVIII

Abktirzungsverzeichnis

f. FamRZ ff. FN FS

folgende(r) Zeitschrift fixr das gesamte Familienrecht fortfolgende Fuiinote Festschrift

GA GerS GG GmbHG GrS GS GVG

Goltdammer's Archiv ftir Strafrecht Der Gerichtssaal Grundgesetz ftir die Bundesrepublik Deutschland Gesetz betr. die Gesellschaft mit beschrankter Haftung Groiier Senat ftir Strafsachen Gedachtnisschrift Gerichtsverfassungsgesetz

h.L. h.M. Hrsg. i.d.F. i.d.R. i.e.S. i.S. i.V.m. i.w.S.

herrschende Lehre herrschende Meinung Herausgeber in der Fassung in der Kegel im engeren Sinn im Sinn in Verbindung mit im weiteren Sinn

JA JAP JBl. JK JGG JR Jura JuS JW JZ

Juristische Arbeitsblatter Juristische Ausbildung und Praxis (Osterreich) Juristische Blatter (Osterreich) Jura-Kartei Jugendgerichtsgesetz Juristische Rundschau Juristische Ausbildung Juristische Schulung Juristische Wochenschrift Juristenzeitung

KastrG KG KO KrimZ krit.

Gesetz tiber diefi*eiwilligeKastration Kammergericht Konkursordnung Kriminologische Zentralstelle e.V. Wiesbaden kritisch

LB LG LKLKW

Lehrbuch Landgericht Leipziger Kommentar zum Strafgesetzbuch (-Bearbeiter) Lastkraftwagen

MDR MRK MschrKrim mwN

Monatsschrift ftir Deutsches Recht Konvention zum Schutz der Menschenrechte vom 4.11.1950 Monatsschrift ftir Kriminologie und Strafrechtsreft)rm mit weiteren Nachweisen

n.F. NJ

neue Fassung Neue Justiz

Abkurzungsverzeichnis

XXXIX

NJW NKNr. NStZ NStZ-RR

Neue Juristische Wochenschrifl Nomos-Kommentar zum Strafgesetzbuch (-Bearbeiter) Nummer Neue Zeitschrift fur Strafrecht NStZ Rechtsprechungs-Report Strafrecht

oBdS OGHSt

OWiG

objektive Bedingung der Strafbarkeit Entscheidungen des Obersten Gerichtshofes fur die Britische Zone in Strafsachen Osterreichische Juristenzeitung Oberlandesgericht Entscheidungen der Oberlandesgerichte zum Straf- und Strafverfahrensrecht (zitiert nach Paragraphen und Seite) Gesetz zur Bekampfung des illegalen Rauschgiflhandels und anderer Erscheinungsformen der Organisierten Kriminalitat vom 15.7.1992 Gesetz uber Ordnungswidrigkeiten

pSAG

personlicher StrafausschlieBungsgrund

RG RGBl. RGSt RN RPflG RVO

Reichsgericht Reichsgesetzblatt (Teil, Seite) Entscheidungen des Reichsgerichts in Strafsachen Randnummer Rechtspflegergesetz Reichsversicherungsordnung

s. S. SchwZStr SFHAndG SKsog. SoldG StGB StPO str. StrAndG StrRG StV StVG StVO StVollzG StVZO

siehe Satz, Seite Schweizerische Zeitschrift fur Strafrecht Schwangeren- und Familienhilfeanderungsgesetz vom 21.8.1995 Systematischer Kommentar zum Strafgesetzbuch (-Bearbeiter) sogenannte(r) Gesetz uber die Rechtsstellung der Soldaten Strafgesetzbuch StraJ^rozeBordnung streitig Gesetz zur Anderung des Strafrechts Gesetz zur Reform des Strafrechts Strafverteidiger StraBenverkehrsgesetz StraBenverkehrsordnung Strafvollzugsgesetz StraBenverkehrszulassungsordnung

u.a.m. u.a. usw. U.U.

und ahnliches mehr unter anderem, und andere und so weiter unter Umstanden

Var. vgl.

Variante vergleiche

OJZ OLG OLGSt OrgKG

XL

Abktirzungsverzeichnis

VRS WG

Verkehrsrechts-Sammlung (Band, Seite) Gesetz liber den Versicherungsvertrag

wistra WiKG WStG

Zeitschrift fiir Wirtschafls- und Steuerstrafrecht Gesetz zur Bekampfung der Wirtschaflskriminalitat Wehrstrafgesetz

z.B. ZPO ZRP ZStW zust. z.Z.

zumBeispiel ZivilprozeJiordnung Zeitschrifl fiir Rechtspolitik Zeitschrifl fur die gesamte Strafrechtswissenschaft zustimmend zur Zeit

Hinweis zum Sprachgebrauch Handlung = sowohl aktives Tun als auch Unterlassen Handlungspflicht = Pflicht zum aktiven Tun

Abgekurzt zitierte Literatur

AK-Bearbeiter

Alternativkommentar zum Strafgesetzbuch, Band I, 1990 hrsg. von Rudolf Wassermann Baumann/Weber/ Baumann, JtirgenAVeber, Ulrich/Mitsch, Wolfgang, StrafMitsch AT recht, Allgemeiner Teil, 11. Aufl. 2003 Beulke KKI Beulke, Werner, Klausurenkurs im Strafrecht I, 2. Aufl. 2003 Blei AT Blei, Hermann, Strafrecht I, Allgemeiner Teil, 18. Aufl. 1983 Bockelmann/Volk Bockelmann, Paul/Volk, Klaus, Strafrecht, Allgemeiner Teil, AT 4. Aufl. 1987 Ebert AT Ebert, Udo, Strafrecht, Allgemeiner Teil, 3. Aufl. 2001 Eser/Burkhardt Eser, Albin/Burkhardt, Bjorn, Juristischer Studienkurs, StKI Strafrecht I, 4. Aufl. 1992 Eser StK II Eser, Albin, Juristischer Studienkurs, Strafrecht II, 3. Aufl. 1980 Fallsammlung Gropp, Walter/Klipper, Georg/Mitsch, Wolfgang, Fallsammlung zum Strafrecht. Juristische ExamensKlausuren, 2003 Freund AT Freund, Georg, Strafrecht Allgemeiner Teil. Personale Straftatlehre, 1998 Hassemer Einflih- Hassemer, Winfried, Einflihrung in die Grundlagen des rung Strafrechts, 2. Aufl. 1990 Hillenkamp X. Pro- Hillenkamp, Thomas, 32 Probleme aus dem Strafrecht, blem Allgemeiner Teil, 11. Aufl. 2003 Hoyer, Andreas, Strafrecht Allgemeiner Teil I, 1996 Hoyer AT 1 Jakobs, Gtinther, Strafrecht, Allgemeiner Teil, 2. Aufl. 1991 Jakobs AT Jescheck/Weigend Jescheck, Hans-HeinrichAVeigend, Thomas, Lehrbuch des Strafrechts, Allgemeiner Teil, 5. Aufl. 1996 AT Joecks, Wolfgang, Strafgesetzbuch, Studienkommentar, Joecks StK 5. Aufl. 2004 Kindhduser AT Kindhauser, Urs, Strafrecht Allgemeiner Teil, 2005 Kindhduser Kindhauser, Urs, Strafgesetzbuch, Lehr- und Praxiskommentar, 2. Aufl. 2005 LPK-StGB Kohler, Michael, Strafrecht, Allgemeiner Teil, 1997 i:o/2/^r AT ^re;; AT 1 Krey, Volker, Deutsches Strafrecht, Allgemeiner Teil, Band 1, Grundlagen,.., 2. Aufl. 2004

XLII Krey AT 2

Abgektirzt zitierte Literatur

Krey, Volker, Deutsches Strafrecht, Allgemeiner Teil, Band 2, Taterschafl und Teilnahme..., 2. Aufl. 2005 KuhlAT Kiihl, Kristian, Strafrecht, Allgemeiner Teil, 4. Aufl. 2002 Kupper BT 1 Ktipper, Georg, Strafrecht Besonderer Teil 1, Delikte gegen Rechtsgiiter der Person und Gemeinschaft, 2. Aufl. 2001 Lackner/Kuhl Lackner, Karl/Kiihl, Kristian, Strafgesetzbuch, 25. Aufl. 2004 LK'Bearbeiter Leipziger Kommentar, Strafgesetzbuch, 11. Aufl. 1992 ff. hrsg. von Burkhard Jahnke u.a. LK-Bearbeiter Leipziger Kommentar, Strafgesetzbuch, 10. Aufl. 1978-89, (10. Aufl.) hrsg. von Hans-Heinrich Jescheck u.a. Maurach/Zipf AT 1 Maurach, Reinhart/Zipf, Heinz, Strafrecht, Allgemeiner Teil, Teilband 1, 8. Aufl. 1992 Maurach/Gossel Maurach, Reinhart/Gossel, Karl Heinz, Strafrecht, AllgeAT 2 meiner Teil, Teilband 2, 7. Aufl. 1989 Mayer AT Mayer, Hellmuth, Strafrecht Allgemeiner Teil, 1967 Mitsch BT 2/1 Mitsch, Wolfgang, Strafrecht Besonderer Teil 2, Vermogensdelikte, Teilband 1 (Kernbereich), 2. Aufl. 2003 MK-Bearbeiter Miinchener Kommentar zum Strafgesetzbuch, hrsg. von Wolfgang Joecks und Klaus Miebach, Bd. 1 2003, Bd. 2/1 2005, Bd. 2/2 2005, Bd. 3 2003 Naucke Einflihrung Naucke, Wolfgang, Strafrecht (Einflihrung), 10. Aufl. 2002 NK-Bearbeiter Nomos-Kommentar zum Strafgesetzbuch, Gesamtredaktion Ulfried Neumann, Ingeborg Puppe, Wolfgang Schild. Stand: 30.11.2003. Otto GK AT Otto, Harro, Grundkurs Strafrecht, Allgemeine Strafrechts lehre, 7. Aufl. 2004 Puppe AT 1 Puppe, Ingeborg, Strafrecht Allgemeiner Teil im Spiegel der Rechtsprechung, Band 1, 2002 Puppe, Ingeborg, Strafrecht Allgemeiner Teil im Spiegel der Puppe AT 2 Rechtsprechung, Band 2, 2005 Roxin, Claus, Strafrecht, Allgemeiner Teil, Band 1. Der Auf7?ox/>2 AT 1 bau der Verbrechenslehre, 3. Aufl. 1997 Roxin, Claus, Strafrecht, Allgemeiner Teil, Band 2. Roxin AT 2 Besondere Erscheinungsformen der Straflat, 2003 Rudolphi, Hans-Joachim, Falle zum Strafrecht, Allgemeiner Rudolphi Falle zum Strafrecht Teil, 5. Aufl. 2000 Samson, Erich, Strafrecht I, 7. Aufl. 1988 Samson AT Schliichter, Ellen, Fit im Recht, Strafrecht Allgemeiner Teil, Schlilchter AT 3. Aufl. 2000 Schmidhduser Schmidhauser, Eberhard, Strafrecht, Allgemeiner Teil, AT LB, AT StB Studienbuch, 2. Aufl. 1984. (StB), Lehrbuch, 2. Aufl. 1975 (LB)

Abgektirzt zitierte Literatur

XLIII

Schonke, Adolf/Schroder, Horst, Strafgesetzbuch, fortBearbeiter in: gefiihrt von Theodor Lenckner, Peter Cramer, Albin Eser, Schonke/SchroGiinter Heine, Walter Perron, Detlev Sternberg-Lieben der und Walter Stree, 26. Aufl. 2001 Stratenwerth/ Stratenwerth, Gunter/Kuhlen, Lothar, Strafrecht, Allgemei Kuhlen AT nerTeil 1,5. Aufl. 2004 SK'Bearbeiter Systematischer Kommentar zum Strafgesetzbuch, Allgemeiner Teil, 7., teilweise neu bearb. 8. Aufl., Stand: April 2003; Besonderer Teil, 8. Aufl., Stand: Oktober 2004; jew. bearbeitet von Hans-Joachim Rudolphi, Eckhard Horn, Erich Samson, Hans-Ludwig Gunther und Andreas Hoyer Trondle/Fischer Trondle, Herbert/Fischer, Thomas, Strafgesetzbuch, 52. Aufl. 2004 Tiedemann AnTiedemann, Klaus, Die Anfangeriibung im Strafrecht, fangeriibung 4. Aufl. 1999 WelzelUR Welzel, Hans, Das deutsche Strafrecht, 11. Aufl. 1969 Wessels/Beulke AT Wessels, Johannes/Beulke, Werner, Strafrecht, Allgemeiner Teil 34. Aufl. 2004

Abgekurzt zitierte Fest- und Gedachtnisschriften

Festschrift fiir Jiirgen Baumann, hrsg. von Gunther Arzt u.a., 1992 Festschrift fiir Guntor Bemmann, hrsg. von Joachim Schulz u.a., 1997 Festschrift fiir Paul Bockelmann^ hrsg. von Arthur Kaufinann, 1979 Fiihlende und denkende Kriminalwissenschaften. Ehrengabe fiir Anne-Eva Brauneck^ hrsg. von Arthur Kreuzer u.a., 1999 Philosophic und Recht: Festschrift zum 70. Geburtstag von Carl August Emge, hrsg. von Ulrich Klug, 1960 Festschrift fiir Karl Engisch, hrsg. von Paul Bockelmann u.a., 1969 Festschrift fiir Wilhelm Gallas, hrsg. von Karl Lackner u.a., 1973 Kriminalistik und Strafi*echt: Festschrift fiir Friedrich Geerds, hrsg. von Ellen Schltichter, 1995 Festschrift fiir Wolfgang Gitter zum 65. Geburtstag, hrsg. von Meinhard Heinze u.a., 1995 Festschrift fiir Gerald Grunwald^ hrsg. von Erich Samson u.a., 1999 Festschrift fiir Ernst-Walter Hanack^ hrsg. von Udo Ebert u.a., 1999 Festschrift fiir Ernst Heinitz^ hrsg. von Hans Ltittger u.a., 1972 Festschrift fiir Richard M. Honig zum 80. Geburtstag, hrsg. von der Juristischen Fakultat der Universitat Gottingen, 1970 Festschrift fiir Hans-Heinrich Jescheck, 2 Bande, hrsg. von Theo Vogler u.a., 1985 Internationale Perspektiven in Kriminologie und Strafrecht. Festschrift fiir GxmthQX Kaiser, 2 Bande, hrsg. von Hans-Jorg Albrecht u.a., 1998 Gedachtnisschrift fiir Armin Kaufmann, hrsg. von Gerhard Dornseifer u.a., 1989 Strafgerechtigkeit: Festschrift fiir Arthur Kaufmann, hrsg. von Fritjof Haft u. a., 1993 Gedachtnisschrift fiir Hilde Kaufmann, hrsg. von Hans Joachim Hirsch u.a., 1986 Festschrift fiir \]\x\c\iKlug, 2 Bande, hrsg. von Gtinter Kohlmann, 1983 Festschrift der RechtswissenschaftUchen Fakultat zur 600-Jahr-Feier der Universitat zu ^o/^, 1988 Festschrift fiir Karl Lackner, hrsg. von Wilfried Kiiper, 1987 Festschrift fiir Karl Larenz zum 80. Geburtstag, hrsg. von Claus-Wilhelm Canaris u.a., 1983 Festschrift fiir Theodor Lenckner, hrsg. von Albin Eser u.a., 1998 Festschrift fiir Waktr Mallmann, hrsg. von Otto Trifflerer u.a., 1978

XLVI

Abgektirzt zitierte Fest- und Gedachtnisschriften

Strafrecht - Freiheit - Rechtsstaat. Festschrift fiir G. A. Mangakis, hrsg. von G. Bemmannu.a., 1999 Festschrift fiir Reinhart Maurauch, hrsg. von Friedrich-Christian Schroeder u.a., 1972 Beitrage zur gesamten Strafrechtswissenschaft: Festschrift fiir Hellmuth Mayer, hrsg. von Friedrich Geerds u.a., 1966 Gedachtnisschrift fiir Karlheinz Meyer, hrsg. von Klaus Geppert u.a., 1990 Festschrift fiir Koichi Miyazawa: dem Wegbereiter des japanisch-deutschen Strafrechtsdiskurses, hrsg. von Hans-Heiner Ktihne, 1995 Festschrift fiir Haruo Nishihara, hrsg. von Albin Eser, 1998 Gedachtnisschrift fiir Peter Noll, hrsg. von Robert Hauser u.a., 1984 Festschrift fiir Walter Odersky zum 65. Geburtstag, hrsg. von Reinhard Bottcher u.a., 1996 Festschrift fiir Dietrich Oehler, hrsg. von Rolf Dietrich Herzberg u.a., 1985 Strafrecht, Unternehmensrecht, Anwaltsrecht: Festschrift fiir Gerd Pfeiffer zum Abschied aus dem Amt als Prasident des Bundesgerichtshofes, hrsg. von Otto Friedrich Frhr. von Gamm u.a., 1988 Straf- und StrafVerfahrensrecht..., Festschrift fiir Hannskarl Salger zum Abschied aus dem Amt als Vizeprasident des Bundesgerichtshofes, hrsg. von Albin Eser u.a., 1995 Festschrift fiir Wilhelm &w^r, 1949 Festschrift fiir Friedrich Schaffstein, hrsg. von Gerald Griinwald, 1975 Festschrift fiir Eberhard Schmidt, hrsg. von Paul Bockelmann u.a., Neudr. der Ausgabevon 1961, 1971 Festschrift fiir Hans Joachim Schneider, hrsg. von Hans-Dieter Schwind u.a., 1998 Gedachtnisschrift fiir Horst Schroder, hrsg. von Walter Stree u.a., 1978 Festschrift fiir Horst Schiiler-Springorum zum 65. Geburtstag, hrsg. von PeterAlexis Albrecht u.a., 1993 Festschrift fiir Giinter Spendel, hrsg. von Manfred Seebode, 1992 Festschrift fiir Erich Steffen zum 65. Geburtstag, hrsg. von Erwin Deutsch u.a., 1995 Beitrage zur Rechtswissenschaft: Festschrift fiir Walter Stree und Johannes Wessels, hrsg. von Wilfried Kiiper u.a., 1993 Festschrift fiir Ludwig Traeger, 1926 Festschrift fiir Otto Triffterer zum 65. Geburtstag, hrsg. von Kurt Schmoller, 1996 Festschrift fiir Herbert Trondle, hrsg. von Hans-Heinrich Jescheck u.a., 1989 Festschrift fiir Hans Welzel, hrsg. von Giinter Stratenwerth u.a., 1974 Festschrift fiir Ernst Amadeus Wolff, hrsg. von Rainer Zaczyk u.a., 1998 Gedachtnisschrift fiir Heinz Zipf hrsg. von Karl Heinz Gossel u.a., 1999

Teill

Einfiihrung

§ 1. Strafrecht in Gesellschaft und Recht

Leitfall 1 ^.Nathalie'': Im September 1996 wurde die 7 Jahre alte Nathalie aus Epfach/Bayern als vermisst gemeldet. Es bestand der Verdacht, dass sie Opfer eines Verbrechens geworden sein konnte. Auch ein Verdachtiger wurde alsbald gefasst. Aufgrund seines Hinweises wurde der Leichnam des Madchens in einem Fluss gefunden. Am 24. September 1996 schreibt die Frankfurter Allgemeine Zeitung: „Die 7 Jahre alte Nathalie aus Epfach ist vermutlich einem Sexualverbrechen zum Opfer gefallen. Die Anzeichen dafur hatten sich nach der Obduktion des Leichnams verstarkt, hieB es am Montag aus Justizkreisen in Augsburg. Das Verbrechen fachte die Diskussion tiber scharfere Strafen fiir Sexualtater an. Der CSU-Vorsitzende Waigel sagte, man mtisse tiber Konsequenzen fiir den Strafvollzug nachdenken. Der Tater ist wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern vorbestraft und wurde vor einem Jahr vorzeitig aus der Haft entlassen."^

A. Strafrecht in der Gesellschaft - Erscheinungsformen strafrechtsrelevanter Sachverhalte Das Strafrecht gehort zu jenen Rechtsgebieten, die auch dem juristischen Laien nicht unbekannt sind. Denn der Mittelpunkt des Strafrechts, die Straftat, sorgt nicht selten gesellschaftUch fiir auBerordentliches Aufsehen. Sie erzeugt Mitleid mit dem Opfer, Entsetzen, Zorn, ja vielleicht sogar Hass gegeniiber dem mutmaBHchen Tater und ein Interesse dafiir, wie mit dem Verdachtigen umgegangen wird. Nirgends in unserem Rechtsgefiige kann der Einzelne so unmittelbar die Wirkung des Rechts miterleben wie im Strafrecht und insbesondere im Strafverfahrensrecht. Dies ist auch erwtinscht, denn Transparenz ist gerade eines der wesenthchen AnHegen des modernen Strafprozesses. Deshalb kann grundsatzHch jeder, der Interesse hat, als Zuhorer an einem Strafverfahren teilnehmen. Und die Hauptverhandlung ist gerade darauf angelegt, dass samtUcher Prozessstoflf, der fiir die Entscheidung von Bedeutung ist, in der Hauptverhandlung vorgetragen werden muss. Der aufmerksame Zuhorer in einem Strafprozess sollte daher - genauso wie der Zuschauer eines „Krimis" im Fernsehen - am Ende sagen und verstehen konnen, weshalb der oder die Angeklagte verurteilt oder freigesprochen wird. Nimmt man die Formen, in denen Strafrecht fiir uns erlebbar in Erscheinung tritt, so lasst sich die Begehung (I) und die Verfolgung (II) von Straftaten unterscheiden.

§ 1.

I.

Strafrecht in Gesellschaft und Recht

Begehung von Straftaten

In unmittelbarste Beriihrung mit dem Strafrecht kommt derjenige, der Opfer einer Straftat wird: Nach dem Einkauf im Einkaufszentrum stellt man fest, dass das Auto auf dem Kundenparkplatz beschadigt worden ist, ohne dass sich der Schadiger feststellen lasst (unerlaubtes Sichentfernen vom Unfallort, § 142 StGB). Das vor der Haustur abgestellte Fahrrad ist plotzlich verschwunden und taucht nie wieder auf (Diebstahl, § 242 StGB). Bin „Bettler" bittet um eine milde Gabe. Man holt seine Geldborse heraus, um einen Euro zu entnehmen, bevor man dies jedoch tun kann, hat der „Bettler'' blitzschnell die Geldborse ergriffen und ist mit ihr verschwunden (Trickdiebstahl, § 242 StGB). Selbst solche, im Vergleich nicht einmal sehr schwerwiegenden Vorfalle werden von den Betroffenen als auBerst gravierend empfunden. Nicht nur, dass es Umstande macht, das Auto reparieren zu lassen, sich ein neues Fahrrad zu kaufen oder neue Ausweispapiere zu besorgen, und dass der fmanzielle Schaden schmerzt. Was wirklich verwundet, ist die Tatsache, dass man Opfer geworden ist, dass man jegliches Vertrauen in seine Mitmenschen verliert. Gerade die Opfer von Wohnungseinbriichen empfmden ihre Wohnung als „entweiht'' und wiirden am Hebsten in eine andere unberuhrte Wohnung umziehen. Das Opfer fiihlt sich somit seiner Unantastbarkeit und seiner Wlirde beraubt.^ Die Wahrscheinlichkeit, Opfer einer Straftat zu werden, ist indessen wesentlich geringer als die, Straftaten als AuBenstehender mitzuverfolgen.^ Dabei wird leicht vergessen, dass es zumeist nicht die Straftat als solche ist, welche miterlebt wird, sondern Informationen liber jene Straftat, sei es in der Presse oder im Fernsehen. Indem wir die Zeitungen lesen und Fernsehberichte anschauen, befriedigen wir unsere Neugier. Gerade dies ist aber nicht selten einer der Griinde dafiir, dass jene Berichte tiberhaupt gedruckt bzw. gesendet werden. Man sieht daran, dass Strafrecht in der Gesellschaft auch einen Unterhaltungswert besitzt, gleichgtiltig, ob man dies fiir gut halt oder nicht. Mit dem Strafrecht kommt der Einzelne aber auch dadurch in Beriihrung, dass er selbst Tater wird. Diese Erscheinungsform von Strafrecht wird nicht selten iibersehen. Denn Straftater ist in der Regel der andere, nicht man selbst. Man spricht in diesem Zusammenhang von sog. „Kavaliersdelikten", welche dann nicht mehr als Straftaten wahrgenommen werden, wenn man sie selbst begeht. Als typische Beispiele waren hier etwa der Betrug von Kaskoversicherungen sowie die Steuerhinterziehung zu nennen: Der von einem Unbekannten beschadigte Riickspiegel wird der Teilkaskoversicherung als gestohlen gemeldet, damit sie bezahlen muss. Dem Finanzamt geVgl. Jerouschek JZ 2000, 185 ff. Sie betragt bei Gewalttaten rein rechnerisch 0,1875% pro Jahr, wemi man von ca. 150.000 Fallen von Gewaltkriminalitat im Jahr und einer Bevolkerung von 80.000.000 in der Bundesrepublik ausgeht. Im statistischen Durchschnitt wird der einzelne damit alle 533 Jahre Opfer eines Gewaltverbrechens. Bei Annahme von 450 000 Gewalttaten unter Benicksichtigung des Dunkelfeldes betriige die Wahrscheinlichkeit 0,5625% pro Jahr oder 100%) alle 177 Jahre; vgl. Albrecht, Peter Alexis, Das Strafrecht im Zugriff populistischer Politik, Frankfurter Rundschau v. 12. 3. 1994, S. 14; Herzog, Felix, Frankfurter Rundschau vom 6. Dezember 1996, S. 14. Verschwindend gering ist diese Wahrscheinlichkeit allerdings nicht. Denn sie besagt, dass - bei Einbeziehung des Dunkelfeldes - von 177 Personen eine pro Jahr Opfer eines Gewaltdelikts wird.

A. Strafrecht in der Gesellschaft

genuber wird verschwiegen, dass man Mitglied einer Fahrgemeinschaft ist und deswegen das eigene Auto nur jeden vierten Tag benutzt, um zur Arbeitsstatte zu fahren. Wer in diesem Bereich dennoch ehrlich bleibt, wird nicht selten als der „Dumme" betrachtet. Es bedarf damit fur jeden Einzelnen von uns einer gewissen Charakterfestigkeit, um diesen Versuchungen nicht zu erliegen - ein Gesichtspunkt, den man im Umgang mit dem Straftater nicht ganz vergessen sollte.

Im Mittelpunkt der soeben erorterten Aspekte standen jeweils Verhaltensweisen, die strafbar sind, sog. Straftaten. Die Straftat ist der Ausgangs- und Mittelpunkt des Strafrechts. Dennoch erschopft sich das Strafrecht nicht in der Lehre von der Straftat. Vielmehr gehort zum Strafi-echt auch die Verfolgung von Straftaten. 11. Verfolgung von Straftaten Strafverfolgung bedeutet, dass Straftaten nach Moglichkeit aufgeklart und geahndet werden. Strafverfolgung hat damit eine gesellschaftliche (1) und eine individuelle (2) Komponente. 1.

Erfassung und Verarbeitung von Straftaten als gesellschaftliches Problem

a)

Ermittlungsverfahren

Die Strafverfolgung beginnt zunachst damit, dass die zustandigen Organe des Staates vom Vorliegen des Verdachts einer Straftat Kenntnis nehmen und den Sachverhalt ermitteln. Den Abschnitt der Kenntnisnahme und Sachverhaltsermittlung nennt man daher Ermittlungsverfahren (§ 160 StPO). „Herrin" dieses Ermittlungsverfahrens ist nach dem Gesetz die Staatsanwaltschaft (vgl. §§ 160 ff. StPO). Dabei bedient sie sich der Kriminalpolizei, um die Ermittlungen durchzufiihren. Der Kriminalpolizei kommt daher faktisch eine groBe Bedeutung bei der Ermittlung von Straftaten zu. In der Kegel ist es sogar die Kriminalpolizei, bei der Anzeigen tiber Straftaten eingehen. Das Ermittlungsverfahren dient dazu, den Sachverhalt hinreichend aufzuklaren, um die Frage zu beantworten, ob gegen einen Beschuldigten bei Gericht Anklage erhoben werden soil. Wenn wahrend des Ermittlungsverfahrens EingriflFe in grundrechtliche geschtitzte Interessen von Personen erforderlich sind, bedarf es in der Kegel der Mitwirkung eines Kichters, des sog. Ermittlungsrichters. So bestimmt z.B. Art. 104 II GG, dass iiber die Zulassigkeit und Fortdauer einer Freiheitsentziehung nur der Kichter zu entscheiden hat. Die Mitwirkung des Ermittlungsrichters ist daher insbesondere dann vonnoten, wenn iiber die Anordnung Oder die Fortdauer von Untersuchungshaft entschieden werden muss. Sobald die Polizei von der Begehung einer Straftat Kenntnis erlangt - sei es durch eine Strafanzeige oder durch eigene Wahrnehmung - in Leitfall 1 durch den Fund des toten Madchens -,

wird jene Straftat in einer Statistik festgehalten. Auf diesem Wege entsteht die sog. polizeiliche Kriminalstatistik, Die polizeiliche Kriminalstatistik wird seit

§ 1.

Strafrecht in Gesellschaft und Recht

1953 jahrlich vom Bundeskriminalamt in Wiesbaden verofFentlicht."^ Die Anzaiil der dort registrierten Straftaten nahm seit 1994 folgende Entwicklung: Tabelle 1:

Polizeiliche Kriminalstatistik

Jahr/Anzahl der registrierten Straftaten:^ 1994 6 537 748 1996 6 647 598 1998 6 456 996 2000 6 264 723 2002 6 507 394

10

1995 1997 1999 2001 2003

6 6 6 6 6

668 586 302 363 572

717 165 316 865 135

Nun gibt die polizeiliche Kriminalstatistik zwar einen gewissen Aufschluss tiber die Kriminalitat innerhalb einer Gesellschaft - so kann man Tabelle 1 entnehmen, dass mit der deutschen Einheit selbstverstandlich auch die Anzahl der vom Statistischen Bundesamt registrierten, polizeilich bekannt gewordenen Straftaten zugenommen hat. Der Nachteil der polizeilichen Kriminalstatistik liegt indessen darin, dass man keine mit anderen Landern vergleichbaren Zahlen hat. Die Vergleichbarkeit kann man jedoch herstellen, indem man die Anzahl der polizeilich bekannt gewordenen Falle strafbarer Handlungen zur GroBe der Bevolkerung eines Landes in eine Beziehung setzt. Man nennt diese Verhaltniszahl Haufigkeitsziffer. Sie enthalt die Anzahl der polizeilich bekannt gewordenen Straftaten pro 100.000 strafintindige Btirger, d.h. Burger, die das 14. Lebensjahr vollendet haben(vgl. § 19 StGB). Tabelle 2:

Haufigkeitsziffern

Jahr/Anzahl der polizeilich bekannt gewordenen Straftaten pro 100.000 Strafmtindige:^ 1994 8 038 1995 8 179 1996 8 125 1997 8 031 1998 7 869 1999 7 682 2000 7 625 2001 7 736 2002 7 893 2003 7 963

11

Tabelle 2 lasst sich entnehmen, dass die polizeilich festgestellten Straftaten nicht nur absolut, sondern auch im Verhaltnis zur Bevolkerung bis 2000 riicklaufig waren, seit 2001 aber leicht zugenommen haben. Aber selbst diese Feststellung fiihrt kaum weiter. Besagt sie doch nur, dass die Anzahl der polizeiHch bekannt gewordenen Straftaten seit 2001 zugenommen hat. Sie beweist indessen nicht, dass die Bevolkerung seit 2001 insgesamt krimineller geworden sei und umgekehrt. So kann der Anstieg der Haufigkeitsziffer z.B. auch darauf beruhen, dass die Polizei in der Lage ist, Kriminalitat besser zu Vgl. zu den Kriminalstatistiken WL-Hassemer RN 76 ff. vor § 1; Heinz Entwicklung, Aufgaben und Probleme der Kriminalstatistik ZStW 84 (1972), 806 ff.; Kaiser, Gunther Kriminologie (UTB-Taschenbuch), 10. Aufl. 1997, S. 162 flf. Bundeskriminalamt (Hrsg.), Polizeiliche Kriminalstatistik Bundesrepublik Deutschland; Berichtsjahr bis 2003, Erscheinungsjahr bis 2004, ohne Verkehrs- und Staatsschutzdelikte. Bundeskriminalamt (Hrsg.), Polizeiliche Kriminalstatistik Bundesrepublik Deutschland; Berichtsjahr bis 2003, Erscheinungsjahr bis 2004, ohne Verkehrs- und Staatsschutzdelikte.

A. Strafrecht in der Gesellschaft

erkennen. Es ist folglich nicht auszuschlieBen, dass die HaufigkeitszifFer in einer Bevolkerung aufgrund verbesserter Erkenntnismethoden der Strafverfolgungsbehorden ansteigt, obwohl die Menschen insgesamt weniger Straftaten begehen. Dies hangt mit der sog. Dunkelziffer (unten c) zusammen. Ist eine Straftat polizeilich bekannt geworden und eine verdachtige Person gefijnden, so hat die Staatsanwaltschaft zu klaren, ob die Erhebung einer Anklage gegen diese Person und die Durchfiihrung eines Strafprozesses moglich und zweckmaBig ist. Die Staatsanwaltschaft erhebt die Anklage bei Gericht dann, wenn aufgrund der gesammelten Beweismittel mit tiberwiegender Wahrscheinlichkeit davon auszugehen ist, dass dem Angeklagten die Tat im Laufe des Prozesses nachgewiesen und er darauftiin verurteilt werden kann (§ 170 I StPO). Liegt hingegen kein hinreichend belastendes Material vor, wird die Staatsanwaltschaft das Verfahren einstellen (§ 170 II). Auch aus Opportunitatsgriinden ist eine Einstellung mogHch (§§ 153ff^.StPO). Von dieser Einstellungsmoghchkeit wird sehr oft Gebrauch gemacht.^ Der Vollstandigkeit halber muss man hinzufiigen, dass jener Ablauf des Ermittlungsverfahrens ein Idealbild justizieller Verarbeitung erkannter Kriminalitat zeichnet. In der Praxis gibt es zahlreiche Moglichkeiten, Strafsachen „inft)rmeir' zu erledigen. Naucke^ spricht nicht zu Unrecht von einem „System prozessualer Entkriminalisierung".

12

b) Hauptverhandlung, Verurteilung, Strafvollstreckung, Strafvollzug Wenn die Staatsanwaltschaft Anklage erhoben und das angerufene Gericht das 13 Verfahren eroffnet hat (§ 203), kann sich im Laufe des Prozesses dennoch herausstellen, dass dem Angeklagten die Straftat nicht nachzuweisen ist. Jener Verfahrensabschnitt, in welchem die Beweise zur Kenntnis genommen und durch das Gericht gewiirdigt werden, nennt man Hauptverfahren mit der Hauptverhandlung als Kernstiick (§§ 199 flf., 226 ff., insbes. § 243 StPO). Reichen die Beweise hin, wird der Angeklagte zu einer Strafe verurteilt (§§ 260, 267 StPO). Die haufigsten Strafen sind Geldstrafe und Freiheitsstrafe (§§ 38 flf. StGB). Dass der Verurteilte die Geldstrafe auch wirklich bezaWt bzw. die Freiheitsstrafe antritt, ist Gegenstand der Strafvollstreckung. Fiir die Strafvollstreckung ist grundsatzUch die Staatsanwaltschaft zustandig. Die Durchfiihrung der Freiheitsstrafe im Gefangnis nennt man Strafvollzug. In der Rechtssprache heiBen die Gefangnisse daher Justizvollzugsanstalten. Von den von der Staatsanwaltschaft zur Anklage gebrachten Straftaten fiih- 14 ren nun ebenfalls nicht alle zu einer Verurteilung. Vielmehr kann das Gericht das Verfahren auch einstellen oder den Angeklagten freisprechen. Verurteilung zu einer Strafe und Freispruch werden unter dem Oberbegriflf der Aburteilung zusam-

Vgl. Goppinger, /fa^^'Kriminologie, 5. Aufl. 1997, S. 644: ,,1993 standen den688.128 nach allgemeinem Strafrecht formell - mit Geld oder Freiheitsstrafe - Sanktionierten, 589.113 informell Sanktionierte gegeniiber, bei etwa einem Drittel von ihnen war das Verfahren gegen eine Auflage nach § 153 a StPO eingestellt worden." Das System der strafjprozessualen Entkriminalisierung, FS fiir Griinwald, S, 403 ff.

§ 1.

Strafrecht in Gesellschaft und Recht

mengefasst. Uber die Einstellungen, Verurteilungen und Freispruche durch die Gerichte gibt die gerichtliche Kriminalstatistik Auskunft. Tabelle 3:

Gerichtliche Kriminalstatistik/Verurteilungen^

Jahr/Anzahl der wegen einer Straftat Verurteilten/Anzahl der Freispruche:^^

15 16

1994 765 397

24 667

1995 759 989

25 875

1996 763 690

26 022

1997 780 530

25 581 25 176

1998 791 549

25 556

1999 759 661

2000 732 733

24 201

2001 718 702

23 600

2002 719 751

23 666

2003 736 297

24 524

Tabelle 3 zeigt, dass z.B. im Jahre 1997 den 6 586 165 polizeilich bekannt gewordenen Straftaten 780 530 Verurteilungen gegeniiberstehen. Die Anzahl der Freispruche betrug in diesem Jahr 25 581. Der Haufigkeitsziffer bei der poUzeilichen Kriminalstatistik entsprechend wird aus der gerichtlichen Kriminalstatistik eine Verurteiltenziffer gebildet, indem man die Gesamtanzahl der Verurteilten zu jeweils 100.000 strafmiindigen Personen in eine Beziehung setzt. Tabelle 4:

Verurteiltenziffern

Jahr/Anzahl der verurteilten Straftater pro 100.000 Strafmlindige:^^

17

1994

1080^^

1995

1070

1996

1076

1997

1 102

1998

1 127

1999

1 083

2000 2002

1041 1 012

2001 2003

1015 1 032

Von der in die Personlichkeit des Straftaters am intensivsten eingreifenden Freiheitsstrafe machen die Gerichte nur zuriickhaltend Gebrauch. So wurden z.B. 1997 bei 780 530 Verurteilungen 143.408 Verurteilungen zu Freiheitsstrafe (§ 38 StGB), Strafarrest (§§ 9, 12 Wehrstrafgesetz) und Jugendstrafe (§ 17 JGG) ausgesprochen, von denen wiederum 98 342 zur Bewahrung ausgesetzt wurden. ^^ 6.586.165 polizeilich registrierten Straftaten im Jahr 1997 standen somit 45.066 freiheitsentziehende Verurteilungen ohne Aussetzung zur Bewahrung gegeniiber. Die Anzahl der im StrafVoUzug einsitzenden Personen und der Sicherungsverwahrten sowie die entsprechende Vergleichszahl wird ebenfalls statistisch erfasst: Nach allgemeinem und Jugendstrafrecht. Quelle: Statistisches Bundesamt (Hrsg.), Fachserie 10, Rechtspflege, Reihe 3, Strafverfolgung bis 2003, Wiesbaden bis 2004. Personen ab Vollendung des 14. Lebensjahres; ab 1993 nur noch fur die deutsche Wohnbevolkerung erfasst; Quelle: s.o. Tabelle 3. Ab 1994 einschlielilich Berlin-Ost. Vgl. Statistisches Bundesamt (Hrsg.), Fachserie 10, Rechtspflege, Reihe 3, Straiverfolgung 1997, 1998.

A. Strafrecht in der Gesellschaft

Tabelle 5:

Einsitzenden-ZSicherungsverwahrtenzahlen

Jahr/Anzahl der Strafgefangenen bzw. Sicherungsverwahrtenjew. am 31. 3. 46 515 1994 44 278 1995 1996 48 900 1997 51600 59 707 1999 1998 56 661 2001 60 678 2000 60 798 2003 62 594 2002 60 742 2004 62 307 Tabelle 6:

Einsitzenden-ZSichemngsverwahrtenziffern^^

Jahr/Anzahl der einsitzenden Straftater pro 100 000 Strafmtindige: 1992 1994 1996 1998 2000 2002

71,8 69,1 70,3 81,1 86,1 85,4

1993 1995 1997 1999 2001 2003

67,3^ 69,8

74 85 85,7 87,7

An den zuletzt genannten Zahlen kann man erkennen, dass die Freiheitsstrafe die ultima ratio der Strafen bildet. Man versucht, Freiheitsstrafe moglichst zu vermeiden, weil man iiber die ZweckmaBigkeit jener Strafart durchaus unterschiedlicher Meinung sein kann. Nicht wenige Stimmen sind der Auffassung, dass der Straftater durch den VoUzug der Freiheitsstrafe erst in das kriminelle Milieu eingefiihrt wird und dadurch der Gemeinschaft der rechtstreuen Burger verlorengeht.^^ Jedoch ist nicht zu iibersehen, dass die Tendenz zur unbedingten Freiheitsstrafe seit 1993 deutlich ansteigt.^^ c)

18

Unerkannte Straftaten

Die bisherigen Erorterungen haben sich auf Straftaten bezogen, die der Polizei bekannt geworden sind. Jeder weiB, dass nicht alle begangenen Straftaten auch Vgl. Statistisches Bundesamt (Hrsg.), Fachserie 10, Rechtspflege, Reihe 4.1 Strafvollzug. Berechnung nach folgendem Modus: Strafgefangenen- und Sicherungsverwahrtenziffer = Anzahl der Strafgefangenen und Sicherungsverwahrten mal 100.000 geteilt durch die Anzahl der Strafmlindigen; Angaben fiir 1999 It. mtindlicher Auskunft; zu den Gefangenenraten im internationalen Vergleich Dunkel/Morgenstern FS fiir Mtiller-Dietz, S. 133 ff. Seit 1993 konnen Einsitzendenziffern nur noch fiir die deutsche Wohnbevolkerung errechnet werden, da wegen des unkontroUierten Zuzugs von Auslandern keine verlasslichen Berechnungen mehr moglich sind. Vgl. Aschaffenburg, Gustav Das Verbrechen und seine Bekampfiing, 3. Aufl. 1923, S. 316: „Hochschule des Lasters"; Baumann/Weber/Mitsch AT § 3/42; Haffke in Liiderssen, Klaus/Sack, Fritz, Abweichendes Verhalten III, Bd 2, Stra^rozess und Strafvollzug, 1977, S. 291 ff./292, 302; Walter, Michael Strafv^oUzug, 2. Aufl. 1999, RN 272, 296 ff. Symptomatisch der Eindruck des scheidenden GieJiener Gefangnisseelsorgers Tobias Miiller-Monning angesichts der Uberbelegung sowie fehlender Arbeits- und Fortbildungsmoglichkeiten in der Justizvollzugsanstalt Gielien: „Wenn die Haftbedingungen dazu beitragen, dass Menschen gefahrlich bleiben oder gefahrlich werden, erweist sich die Gesellschaft einen Barendienst.", Gieiiener Allgemeine Zeitung vom 24. August 2000, S. 23.

19

10

20

§ 1.

Strafrecht in Gesellschaft und Recht

polizeibekannt werden. Und wir wissen nicht, wie hoch der Anteil der polizeilich bekanntgewordenen Straftaten an den insgesamt begangenen ist. Hinsichtlich der nicht polizeiHch bekanntgewordenen Straftaten spricht man vom sog. Dunkelfeld.^^ Als Dunkelziffer bezeichnet man den Anteil der nicht bekanntgewordenen Straftaten an den Straftaten eines bestimmten Kriminalitatsbereiches. Wiirden z.B. von alien Diebstahlen nur 2/3 polizeiHch bekannt, so betriige die Dunkelziffer in diesem Bereich 33,3 %. Weil sich zum Bereich der Dunkelziffer so schwer Aussagen tatigen lassen, hat sich hier eine spezielle Disziplin herausgebildet, die sog. Dunkelfeldforschung^^ Hauptanliegen jener Forschung ist es, zum Zwecke der Annaherung an die Kriminalitatswirklichkeit die Anzahl der wirklich begangenen Straftaten zu ermitteln. Dies geschieht vor allem durch Befragung von Personen.^^ SelbstverstandHch kann in diesem Lehrbuch nicht naher auf die Dunkelfeldproblematik eingegangen werden. Daher soil nur an Hand eines einfachen Beispiels erklart werden, wie Dunkelfeldforschung im Prinzip funktioniert: Beispiel 1/1: Um beispielsweise innerhalb eines bestimmten Gebietes, etwa einer Stadt, Aufschluss uber die Kriminalitat im Bereich der Fahrraddiebstahle zu erhalten, wlirde man Fragebogen an die Bevolkerung verteilen. Darin wiirden alle Personen anonym danach befragt, ob sie innerhalb eines bestimmten Zeitraumes ein Fahrrad im Befragungsgebiet gestohlen haben bzw. Opfer eines Fahrraddiebstahls geworden sind. Unter der Voraussetzung, dass alle Personen ehrlich antworten, alle befragten Personen im wesentlichen wissen, was man unter einem Diebstahl versteht und Fahrraddiebstahle ortsfremder Personen ausgeschlossen werden konnen, wird man nun eine Zahl erhalten, die beziiglich der Tater und der Opfer im wesentlichen ubereinstimmt. Sie muss es nicht, weil es beispielsweise moglich ist, dass nicht jedes Opfer auch wirklich weifi, dass es Opfer eines Fahrraddiebstahls geworden ist. Aus dem Vergleich dieser Anzahl mit der Anzahl der polizeilich registrierten Fahrraddiebstahle ergabe sich das Dunkelfeld. Selbst dieser einfachst und laienhaft konstniierte Fall macht aber bereits klar, dass die Feststellung von Kriminalitat mit sehr vielen unbekannten GroJ^en arbeiten muss, so dass hier immer nur Annaheamgswerte erzielt werden konnen.

21

Angesichts der Erscheinungsformen von Strafrecht in unserer Gesellschaft und dem beschrankten Instrumentarium der Wahrnehmungsmoglichkeit durch die Strafverft)lgungsorgane wird deutlich, dass die Beschaftigung mit Strafrecht zunachst mit einem gewissen Illusionsverlust einhergeht.^^ Strafverfolgung muss Itickenhaft sein. Die notwendige Liickenhaftigkeit fiihrt dazu, dass Strafrecht und Strafverfolgung zwangslaufig exemplikativer Natur sind. Es hat immer wieder Versuche gegeben, dagegen anzugehen. Doch mtissen alle Anstrengungen nach SchlieBung von Liicken auch mit einer Einschrankung der Freiheit der rechtstreuen Biirger einhergehen. Das Fortschreiten zu immer weniger Liickenhaftigkeit ware mit einem fortschreitenden Verlust von Biirgerfreiheit verbunden. In seiner gesellschaftlichen Funktion stellt sich Strafrecht damit als ein Balanceakt dar: im Interesse der Freiheit so wenig wie moghch einerseits, im Interesse der Sicherheit der Burger so viel wie notig andererseits. Zu Begriff und Bedeutung NK-Hassemer RN 85 ff. vor § 1. Vgl. Hassemer Einfuhrung, § 10 I; Kaiser Kriminologie, 10. Aufl. 1997, S. 169 ff. Anschaulich Kreuzer GieSener Delinquenzbefragung I, gmndsatzliche Fragen der Dunkelfeldforschung; Gorgen Gieiiener Delinquenzbefragung II, Ausweitung von Untersuchungsgegenstanden und Methoden, jew. Ehrengabe fiir Brauneck, S. 101 ff.: S. 117 ff. Vgl. auch Frisch GS fiir Schltichter, S. 686 f

A. Strafrecht in der Gesellschaft

11

Davon zu unterscheiden sind Lilcken in der Strafverfolgung. Selbstverstandlich mtissen den StrafVerfolgungsbehorden die erforderlichen Mittel in die Hand gegeben werden, erkannte Straftaten aufzuklaren. Die Grenze wird aber aucli insoweit durch die Freiheitsgarantien der Verfassung gesetzt. 2.

22

Verbrechen und Kriminalitat als individuelles Problem

Ftir den Beschuldigten stellt die Durchfuhrung des Ermittlungsverfahrens und der Hauptverhandlung eine groBe Belastung dar. Die verhangte Strafe soil als Antwort auf ein missbilligtes Verhalten von Natur aus den Charakter eines Ubels tragen. Von der StrafVerfolgung sind neben dem Beschuldigten gegebenenfalls aber auch seine Familie oder sonstige nahestehende Personen betrofFen. StrafVerfahren und Strafe wirken sich damit nicht nur auf den Beschuldigten selbst, sondern auch auf sein soziales Beziehungsfeld aus und fiihren so zu weiteren Beschadigungen. Aber auch die Tat wird von den Betroffenen nicht selten als Extremsituation erlebt. Zwar scheint es immer mehr Kriminalitat zu geben, bei der klug und kiihl kalkulierende Verbrecher Straftaten begehen - man denke nur an Wirtschafts- und organisiert begangene Straftaten. Nicht zu vergessen sind aber auch jene Situationen, in denen Menschen aus Verzweiflung Straftaten begehen, welche nicht rational erklarbar sind. Hierzu gehoren insbesondere die Straftaten im personUchen Nahbereich: Misshandlungen von Kindern, Totung von Familienangehorigen, Freunden und sonst nahestehenden Personen. Hier spielen nicht selten die personlichen Lebensumstande eine beherrschende RoUe. Sie bringen die betroffenen Menschen dazu, durch die Straftat, d.h. auf einem vollig ungeeigneten, irrationalen Weg eine „Losung" herbeizuflihren. In den meisten Fallen denken die Tater auch gar nicht dariiber nach, ob ihr Verhalten rational ist. Sie werden ihre Reaktion deshalb spater weder verstehen noch erklaren konnen. Niemand darf glauben, dass er gegen die Begehung von Straftaten immun sei.^^

23

24

Weltberiihrnt ist der Gehorsamsversuch nach Milgram von 1963:^"^ Dort wurden Probanden dazu verpflichtet, im Rahmen einer vorgetauschten Versuchsanordnung Versuchspersonen, die bestimmte Aufgaben nicht losen konnten oder wollten, durch Stromschlage zu „bestrafen". Im Rahmen jener simulierten Versuchsanordnung, die mehrfach verandert wurde, waren zwischen 48 und 65% aller Probanden sogar bereit, den fur sie, je nach Anordnung sichtbaren oder unsichtbaren, aber immer durch simuHerte Schmerzensschreie prasenten Versuchspersonen Stromschlage zu versetzen, die nach den ihnen gegebenen Informationen todhch sein mussten.

25

Selbst bei sog. Berufsverbrechern kann man nicht unbedingt davon ausgehen, dass diese Personen aus freien Stticken straffallig werden. Denn der Unrechtmaiiigkeit ihres Tuns sind

26

Vgl. Grimm, H. Goethe, 7. Aufl. 11 245: „Von Goethe wird das Bekenntnis berichtet, von alien Verbrechen konne er sich denken, dass er sie begangen habe", zitiert aus Welzel LB S. 187. Vgl. Milgram, Stanley Das Milgram-Experiment, Zur Gehorsamsbereitschaft gegentiber Autoritat, 1974.

12

§ 1.

Strafrecht in Gesellschaft und Recht

auch sie sich durchaus bewusst. Es gibt keine „Verbrecher", es gibt nur Menschen, die aus bekannten, unbekannten, verstandlichen oder unverstandlichen Griinden Straftatenbegehen.^^ III. Zur Wiederholung K lan mit Strafrecht in Beriihrung? 4J.

V

3. Is 4. Ai^'aru:

(RN 2 flf) (RN2fF., 6fF., 13fF.) ;? (RN 6 ff.) rioiguiig iioLwenuig iiickenhaft? (RN19ff.)

IV. Literatur Dunkel/Morgenstern Uberbelegung im Strafvollzug - Gefangenenraten im internationalen Vergleich, FS fiir Mtiller-Dietz, S. 133 ff.; Jescheck/Weigend AT § 5; Naucke Einfiihrung § 1 V; Schmidhauser, Eherhard'EmMmxng in das Strafrecht, 2. Aufl. 1984, S. 9 ff.

B. Strafrecht als Teil der Rechtsordnung I. 27

28

Das Strafrecht im Rechtssystem

Strafrecht dient der staatlichen Reaktion auf Zuwiderhandlungen der Rechtsunterworfenen. Die Storung des Rechtsfriedens wird beseitigt, indem der Tater als Storer in Anspruch genommen wird. In diesem Zusammenhang setzt das Strafrecht die Grenzen der staatlichen Reaktion fest. Franz von Liszt hat dies plastisch zum Ausdruck gebracht, indem er das Strafrecht als die „Magna Charta des Verbrechers " bezeichnet.^^ Im Mittelpunkt des Strafrechts steht somit der straffdllige Mensch. Die Befassung mit dem Verbrechensopfer und seiner Situation ist hingegen nicht, zumindest nicht primar, ein Anliegen des Strafrechts.^^ Trotz der Starkung der

Vgl. aber zu den Versuchen, eine Grenze zwischen krimineller und nichtkrimineller Population zu Ziehen, Hassemer Einfiihrung, 2. Kapitel. Vgl. Franz von Liszt Uber den Einfluss der soziologischen und anthropologischen Forschungen auf die Grundbegriffe des Strafrechts, in: Aufsatze und Vortrage, Bd. 11, 1905, S. 75 ff./80; V. Liszt knupft damit gedanklich an die magna charta libertatum von 1215 an. In dieser Urkunde musste sich der englische Konig Johann Ohneland nach dem Verlust der englischen Besitztiimer auf dem Festland den Baronen und Freien gegenuber verpflichten, die nach Lehnsrecht geltenden Rechte anzuerkennen und ein Widerstandsrecht bei Nichterfiillung der charta einzuraumen; vgl. auch ders. ZStW 3 (1883), 1 ff. „Marburger Programm". Vgl. auch Hassemer Einfiihrung, §§ 11 ff.; fiir eine verstarkte Einbeziehung viktimologischpsychotraumatischer Erkenntnisse in die straftheoretischen Uberlegungen Jerouschek JZ 2000, 185 ff.

B. Strafrecht als Teil der Rechtsordnung

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Rechte des Verletzten durch das Opferrechtsreformgesetz von 2004^^ spielt das Verbrechensopfer im Verfahren des Taters dennoch nur eine (Neben)Rolle bei der Wahrheitsfindung - sei es als Zeuge oder als Augenscheinsobjekt - und als Reprasentant des Genugtuungsinteresses. In diesem Zusammenhang gilt es jedoch, das Opfer auch als Person mit spezifischen Problemen und Erwartungen wahrzunehmen.^^ Die Befriedigung seiner materiellen Ersatzanspriiche ist hingegen eine primar zivilrechtliche Frage. Es diirfte daher auch in der Natur der Sache liegen, dass bisher alle gesetzgeberischen Versuche, ein Verfahren iiber die Ersatzanspriiche des geschadigten Opfers im Anhang an das StrafVerfahren zu etabheren (sog. Adhasionsverfahren, vgl. §§ 403 ff. StPO), in der Praxis auf wenig Gegenliebe gestoBen sind. 1. Strafrecht als oflFentUches Recht Innerhalb des Rechtssystems gehort das Strafrecht zum offentlichen Recht Denn fiir das Strafrecht ist es charakteristisch, dass die StrafVerfolgung von Amis wegen durch staatUche Organe^ die Strafverfolgungsbehorden, erfolgt (Ermittlungsgrundsatz). Sie werden hoheitlich tatig. Der Beschuldigte ist ihnen unterworfen. Insbesondere kann er im deutschen Strafverfahren nicht iiber den Prozessstoff bestimmen. Denn es besteht im Unterschied zum Privatrecht keine Disponibilitdt iiber den Prozessstoff, sondern es gilt das Prinzip der materiellen Wahrheit: Gericht und Staatsanwaltschafl erforschen den Sachverhalt so, wie er wirklich war, und nicht so, wie ihn etwa im Zivilprozess die Parteien vortragen. Der Verteidiger ist zwar nicht verpflichtet, sich an der Wahrheitssuche zu beteiligen. Es ist ihm jedoch untersagt, einen unwahren Sachverhalt vorzutauschen. Sowohl die Grundrechtseingriffe innerhalb des Ermittlungsverfahrens wie etwa Untersuchungshaft (§112 StPO) oder Telefoniiberwachung (§ 100a StPO) als auch die Rechtsfolgen (die Strafe, vor allem der Vollzug der Freiheitsstrafe in einer JustizvoUzugsanstalt) sind hoheitliche Eingriffe. Selbst im Falle einer Privatisierung der Gefangnisse wiirde die Strafe als staatUche Strafe vollstreckt und vollzogen. Gleiches gilt ftir die MaBregeln der Sicherung und Besserung, etwa die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus. 2.

29 30

31

Zur Entstehung des Strafrechts^^

Hervorgegangen ist unser „Strafrecht" aus vornehmlich drei Elementen: dem romischen, dem kanonischen und dem germanischen Recht. Das romische Recht bot beispielsweise einen recht diflferenzierten HaflungsmaBstab und es gilt als unbestritten, dass der Schuldbegriff wertvoUe Impulse aus dem kanonischen Opferrechtsreformgesetz BGBl. 2004 I S. 1354, informativ hierzu Hilger Uber das Opferrechtsreformgesetz, GA 2004, 478 ff. Informativ hierzu die Befragung von Betroffenen zu Opferschutz und Opferunterstiitzung von Baurmann, Michael C./Schddler, Wolfram Das Opfer nach der Straftat - seine Erwartungen und Perspektiven, 1991, Nachdruck 1999. Vgl. auch Kohler AT S. 59 ff.; Maurach/Zipf AT 1 § 4/1 ff; H. Mayer AT § 2; Otto GK AT § 3/1 ff.

32

14

33

34

35

36

§ 1.

Strafrecht in Gesellschaft und Recht

Recht erhielt.^^ Ankniipfongspunkt flir das germanische Recht, als archaisches Recht, v^ar die Person in ihrem Verband. In der germanischen und frdnkischen Zeit, d.h. etwa bis zur Mitte des 9. Jh., sind Haus, Sippe und Volkerschaft die Verbande, welche den faktischen und rechtlichen Schutz und Rahmen flir den Einzelnen bilden. Indem Welt und Religion als Einheit existieren, ist die Wahrung des Friedens Gotterdienst,^^ was sich in einer Unantastbarkeit des Einzelnen widerspiegelt. Der VerstoB gegen den gottlichen Frieden, die Missetat^ fiihrt zum Verlust jener Unantastbarkeit des Taters^^ und gibt dem Verletzten die Moglichkeit zur Rache, der Sippe die Moglichkeit zur Fehde. Mit der Entstehung von Herrschaftsstrukturen, die tiber die Sippe hinausgehen, difFerenziert sich das „Recht der Verbote" in Land- und Stadtrechte.^"^ Schadensvertiefende Rache und Fehde werden durch schdidensverlagernde Siihnevertrage und Wergeld abgelost. Es tritt damit die Wieder^wtoachung an die Stelle der ausgleichenden Schddigung. Der Ausgleich durch Entschadigung erfahrt eine Organisation in den sog. Kompositionensystemen der Frankischen Zeit. Sie legen fest, welche Entschadigungen flir welche Schadigungen zu leisten sind, und werden so zu einem wirksamen Instrument, die Fehde nach und nach voUig tiberfliissig zu machen.^^ Im Mittelalter versuchen die Landesherren, das Monopol flir die Reaktion auf Verletzungen der Friedenspflicht mehr und mehr an sich zu ziehen durch das Ausrufen von Landfrieden, wahrend derer die Fehde als Antwort auf Missetaten untersagt ist. Jene Landfrieden gelten zunachst nur befristet, bis schlieBlich von Kaiser Maximilian am 7. August 1495 auf dem Wormser Reichstag der sog. „ewige Landfriede" ausgerufen wird. Jetzt muss freilich an Stelle der Fehde eine Reaktion des Gemeinwesens erfolgen, um den gestorten Frieden wiederherzustellen.^^ AuBeres Zeichen hierflir ist u.a. 1495 die Einrichtung des Reichskammergerichts zunachst in Worms, seit 1527 in Speyer und seit 1689 in Wetzlar. Mit der Einrichtung jenes Gerichtes entsteht alsbald die Frage, nach welchen Regeln dort die Verfahren durchgeflihrt werden sollen. Die Forderung nach einer Verfahrensordnung fmdet bei Karl V., dem Kaiser des Heiligen Romischen Reiches deutscher Nation, Gehor, und es entsteht auf seine Initiative hin im Jahre 1532 die Constitutio Criminalis Carolina (CCC), zu deutsch: die PeinHche Gerichtsordnung (PGO) Kaiser Karls V. Mit der Einrichtung des Reichskammergerichts und der Einfiihrung der ^Carolina'' ist

Zum kanonischen Recht vgl. Blei AT § 6 IV; vgl. auch AK-Schild RN 3 vor § 13. Vgl. Schild, Wolfgang AltQ Gerichtsbarkeit, 1985, S. 8-14. Krit. zur sog. Friedlosigkeit als Produkt einer „gemianistischen Strafrechtsgeschichtsforschung" Nehlsen Entstehung des offentlichen Strafrechts bei den germanischen Stammen, in: Kroeschell, Karl (Hrsg.), Gerichtslauben-Vortrage, 1983, S. 3 ff. Vgl. Hattenhauer, //a^^* Europaische Rechtsgeschichte, 3.Auflage 1999, S.229 ff. mwN. Vgl. hiQrzanahQT Jescheck/WeigendAT § 10 II. Vgl. zur Begriindung offentlicher Straiverfolgung im Mittelalter auch Jerouschek Ne crimina remaneant impunita, Zeitschrift der Savigny-Stiftung fur Rechtsgeschichte, 2003, 323 ff.

B. Strafrecht als Teil der Rechtsordnung

15

das staatliche Strafrecht als offenthches Recht etabhert.^^ Korperliche Strafen und Geldstrafen sind nunmehr Unrechtsfolgen fiir satzungsmaBig festgesetzte Storungen, die zumindest ihrem Typus nach beschrieben werden. 3,

Die Unterteilung des Strafrechts in materielles und formelles Recht sowie in StrafvoUzugsrecht

a) Materielles Strafrecht Das materielle Strafrecht legt die tatsachlichen Voraussetzungen flir die Strafbarkeit eines Verhaltens sowie die Rechtsfolgen flir den Fall ihrer formlichen Feststellung fest.

37

aa) Strafbestimmungen des Besonderen Teils des StGB und des Nebenstrafrechts Die Festlegung, welche Lebenssachverhalte strafwiirdiges Unrecht darstellen sollen, findet sich in den Tatbestanden des Besonderen Teils des Strafgesetzbuches (§§ 80 ff.) und des sog. Nebenstrafrechts. In § 242 StGB ist z. B. festgelegt, dass strafbar ist, wer eine fremde bewegliche Sache einem anderen in der Absicht wegnimmt, dieselbe sich oder einem Dritten rechtswidrig zuzueignen (Diebstahl). Als Beispiel aus dem Nebenstrafrecht sei § 21 StraBenverkehrsgesetz (StVG)^^ genannt:^^ Es macht sich strafbar, wer im StraBenverkehr ein Krafltfahrzeug flihrt, ohne die erforderliche Fahrerlaubnis zu besitzen. Die rechtswidrige Verwirklichung von § 21 StVG bedeutet somit ein strafwiirdiges Unrecht. Ohne viel Phantasie kann man sich vorstellen, dass im Bereich der Unrechtsverwirklichungen immer wieder Fragen auflauchen, die alle Falle in gleicher Weise betreffen und deshalb gemeinsam beantwortet werden konnen. Um Festlegungen gemeinsamer Antworten dieser Art bemiiht sich der. Allgemeine Teil (§§l-79b).

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bb) Allgemeine Vorschriften zum staatlichen Strafen Im Allgemeinen Teil des StGB versucht der Gesetzgeber, Gemeinsamkeiten in den unterschiedlichen Erscheinungsformen strafbaren Verhaltens vor die Klammer zu ziehen."^^ Allgemeine Vorschriften zum staatlichen Strafen fmden sich aber auch in der Verfassung. So in Art. 103 II des Grundgesetzes (GG), der festlegt, dass eine Tat nur dann bestraft werden darf, wenn die Strafbarkeit vor der Tatbegehung gesetzlich bestimmt war.

Vertiefend hierzu Laufs, Adolf Rechtsentwicklung in Deutschland, 5. Auflage, 1996, S. 126 ff.; zum Schopfer der Carolina und ihrer Vorlauferin, der Bambergensis, Schutz Johann von Schwarzenberg und die Bambergensis, Jura 1998, 516 ff. StraBenverkehrsgesetz vom 19. Dezember 1952 BGBl. I 837. Naher zum Nebenstrafrecht § 3 A11 c. Naheruntenlll 1.

40 41

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§ 1.

Strafrecht in Gesellschait und Recht

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Jenes Bestimmtheitsgebot wird in der Weise interpretiert, dass die Strafbarkeit einer Tat schriftlich fixiert werden muss, dass der Unifang der Strafbarkeit moglichst genau umschrieben werden muss, dass eine Strafbarkeit nicht in Analogie zu einem bestehenden Tatbestand festgelegt werden darf und dass die gesetzliche Bestimmung tiber die Strafbarkeit vorhanden sein muss bevor die Straflat begangen war. Feuerbach (1775 bis 1833) hat jene strafrechtlichen Garantien auf die Kurzformel „nullum crimen sine lege" (keine Straflat ohne Gesetz), scripta (geschrieben), certa (sicher), stricta (eng, ohne Analogie), praevia (vorhergehend) gebracht.

43

Allgemeine Vorschriften zum staatlichen Strafen enthalt weiterhin das Jugendgerichtsgesetz (JGG), so z. B. in § 5 II, welcher bestimmt, dass ^Zuchtmittel" und Jugendstrafe als Rechtsfolgen nur verhangt werden dtirfen, wenn Erziehungsmaiiregeln nicht ausreichen.

cc) Rechtsfolgen: Strafen undMafiregeln der Besserung und Sicherung 44

Die Tatbestande des Besonderen Teils und des Nebenstrafrechts sehen vor, dass die VerwirkUchung eines verbotenen Verhaltens Strafe im Sinne der §§ 38 ff. (Freiheits- und Geldstrafe) nach sich zieht. Beispiel 1/2: § 222. Fahiiassige Totung. Wer durch Fahrlassigkeit den Tod eines Menschen verursacht, wird mit Freilieitsstrafe bis zu fiinf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.

45

Zum materiellen Strafrecht gehoren aber nicht nur diese, ein vorwerfbares Verhalten verge Itenden Sanktionen, sondern auch nichtvergeltende sog. Mafiregeln der Besserung und Sicherung^ vgl. §§ 61 fF. Sie dtirfen verhangt werden, obwohl dem Tater sein Verhalten nicht zum Vorwurf gemacht werden kann. Denn im Unterschied zu den Strafen sollen sie vor allem Gefahren abwehren, die vom later ausgehen. Beispiel 1/3: Die Entziehung der Fahrerlaubnis nach § 69 setzt u. a. voraus, dass jemand wegen einer rechtswidrigen Tat (§111 Nr. 5), die er bei oder im Zusammenhang mit dem Ftihren eines Kraftfahrzeugs begangen hat, verurteilt oder nur deshalb nicht verurteilt wird, well seine Schuldunfahigkeit erwiesen oder nicht auszuschlieiien ist. Das Gericht entzieht dem Betroffenen die Fahrerlaubnis dann, wenn sich aus der Tat ergibt, dass er zum Ftihren von Kraftfahrzeugen ungeeignet ist. Da verhindert werden soil, dass ungeeignete Kraftfahrzeugfuhrer am StraBenverkehr teilnehmen, kommt es auf die mangelnde Eignung, und nicht auf das Verschulden des Kraftfahrzeugfuhrers an.

b) Formelles Strafrecht 46

Das formelle Strafrecht regelt das Verfahren, den Prozess, nach dem die Voraussetzungen fur den Eintritt der Rechtsfolgen festgestellt und letztere festgesetzt werden. aa) Bestimmungen iiber die Organe der Strafrechtspflege

47

Bestimmungen dariiber, welche Strafrechtspflegeorgane im Verfahren unter welchen Voraussetzungen zustandig sind, enthalt vor allem das Gerichtsverfassungsgesetz (GVG). Es legt fest, welche Kategorie von Gerichten (Amtsgericht [AG], Landgericht [LG], Oberlandesgericht [OLG], Bundesgerichtshof [BGH]) iur die Aburteilung welcher Kategorie von Straftaten in welchem Verfahrensstadium

B. Strafrecht als Teil der Rechtsordnung

17

zustandig sind. AuBerdem bestimmt es die Zustandigkeiten der Staatsanwaltschaft. Das Jugendgerichtsgesetz (JGG) legt in den §§ 33 ff. („Jugendgerichtsverfassung") fest, unter welchen Voraussetzungen und wie gegen Jugendliche und Heranwachsende prozessiert werden kann. Das deutsche Richtergesetz (DRiG) legt die Rechtsstellung der Richter, insbesondere ihre fachliche und personliche Unabhangigkeit, fest. Die verfassungsrechtliche Grundlage der richterlichen Unabhangigkeit findet sich in Art. 97 I GG i.V.m. § 1 GVG. bb) Bestimmungen iiber das Strafverfahren Zum formellen Strafrecht gehoren weiterhin Bestimmungen liber das Strafverfah- 48 ren. Die Strafprozessordnung (StPO) legt fest, unter welchen Voraussetzungen der Verfahrensstoflf gesammelt werden darf Weiterhin enthalt sie Vorschriften liber die Hauptverhandlung sowie liber die Durchsetzung der Rechtsfolgen (Vollstreckung). Bestimmungen liber das StrafVerfahren fmden sich aber auch im Strafgesetz- 49 buch/^ wenn z.B. als Voraussetzung fiir die Strafverfolgung ein Strafantrag verlangt wird (vgl. z.B. § 247 StGB) oder eine Frist festgesetzt wird, nach deren Ablauf eine Straftat nicht mehr verfolgt werden kann (Verjahrung, §§ 78 flf.)"^^. Wie zum materiellen Strafrecht enthalt auch zum formellen Strafrecht das Verfassungsrecht wichtige Regelungen. Hervorzuheben ist hier vor allem Art. 103 I GG, welcher festlegt, dass jedermann Anspruch auf rechtUches Gehor hat. cc) Recht des Strafregisters (BZRG) Aus dem Bereich des formellen Strafrechts ware schlieBlich das Recht des Strafregisters (Bundeszentralregistergesetz, BZRG) zu nennen. Das Bundeszentralregister stellt das „Gedachtnis" bezliglich der verhangten Strafen und MaBregeln dar. Rlickgriffe auf das Strafregister sind vor alien Dingen dann angezeigt, wenn festgestellt werden soil, ob ein Angeklagter bereits einschlagig vorbestraft ist. Auch bei Einstellungen in den Staatsdienst informiert sich die einstellende Behorde an Hand eines Flihrungszeugnisses, ob der Bewerber mit einem Eintrag im Strafregister vertreten ist. c)

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Strafvollzugsrecht

Als dritte Saule des Strafrechts regelt das Strafvollzugsrecht die praktische und alltagliche Gestaltung"^^ der freiheitsentziehenden Rechtsfolgen (§§ 38 ff., 63 ff. StGB, 17 JGG) und zwar vornehmlich mit dem StVollzG von 1976 (s. auch §§ 91 f JGG und unten RN 71). "^^ Vgl. naher Perron Uberlegungen zum Verhaltnis von Strafrecht und Strafjprozessrecht, FS furHanack, S. 473ff. "^^ Zur Strafverfolgungsverjahmng als Verfahrenshindernis BGH 3 StR 114/97 BGHSt 43, 321/323. "^^ Zur Abgrenzung von der Straf^ollstreckung (oben RN 48) als Teil des Stra:^rozesses naher Seebode, Manfred Strafvollzug I, 1997, S. 38 ff.

50a

§ 1.

Strafrecht in Gesellschaft und Recht

IL Der Anwendungsbereich des deutschen Strafrechts Strafanwendungsrecht (^Internationales Strafrecht") Beispiel 1/4: A erschieBt B am 12. Mai 1997 in Leningrad. A ist Rumane, B war Deutscher. Am 12. August 1997 wird A in der Leipziger Bahnhofsunterftihrimg festgenommen, weil er ein ^Htitchenspiel" veranstaltet. Kann er wegen der Totung des B bestraft werden? 1. 51

52

Das Strafanwendungsrecht (missverstandhch als ^Internationales Strafrecht" bezeichnet) legt in den §§3-7 StGB fest, unter welchen Umstanden das deutsche Strafrecht von deutschen StrafVerfolgungsbehorden angewendet werden kann, und zwar selbst dann, wenn die Straftat im^z/5/a/7(i begangen worden ist."^"^ Damit deutsches Strafrecht anwendbar ist, bedarf es eines Anknupfungspunk-tes innerhalb des fraglichen Sachverhaltes. Ob ein solcher Punkt gegeben ist, beurteilt sich nach den in den §§ 3 flf. niedergelegten Prinzipien des internationalen Strafrechts. 2.

88

Die Aufgabe des Strafanwendungsrechts

Die Prinzipien des Strafanwendungsrechts in den § § 3 - 7 StGB"^^

§ ^- Geltung fiir Inlandstaten. Das deutsche Strafrecht gilt fur Taten, die im Inland begangen werden. § 4. Geltung fiir Taten auf deutschen Schiffen und Luftfahrzeugen. Das deutsche Strafrecht gilt, unabhangig vom Recht des Tatorts, fiir Taten, die auf einem Schiff oder Luftfahrzeug begangen werden, das berechtigt ist, die Bundesflagge oder das Staatszugehorigkeitszeichen der Bundesrepublik Deutschland zu flihren. § 5. Auslandstaten gegen inlandische Rechtsgiiten Das deutsche Strafrecht gih, unabhangig vom Recht des Tatorts, fur folgende Taten, die im Ausland begangen werden: 1. Vorbereitung eines Angriffskrieges (§ 80); 15. Organhandel (§18 des Transplantationsgesetzes), wenn der Tater zur Zeit der Tat Deutscher ist. § 6. Auslandstaten gegen international geschiitzte Rechtsgiiter. Das deutsche Strafrecht gilt weiter, unabhangig vom Recht des Tatorts, fLtr folgende Taten, die im Ausland begangen werden: 1. Volkermord (§ 220 a); 8. Subventionsbetrug (§ 264); 9. Taten, die aufgrund eines fur die Bundesrepublik Deutschland verbindlichen zwischenstaatlichen Abkommens auch dann zu verfolgen sind, wenn sie im Ausland begangen werden. § 7. Geltung fiir Auslandstaten in anderen Fallen. (1) Das deutsche Strafrecht gilt fiir Taten, die im Ausland gegen einen Deutschen begangen werden, wenn die Tat am Tatort mit Strafe bedroht ist oder der Tatort keiner Strafgewalt unterliegt.

Im Gegensatz hierzu ist es Aufgabe des internationalen Privatrechts festzulegen, welches von mehreren tangierten nationalen Rechten einem Zivilrechtsverhaltnis zugrunde gelegt wird. Naher hierzu Eser in: Schonke/Schroder RN 4-11 vor § 3 sowie die Kommentierung zu den §§ 3-7; Jescheck/Weigend AT § 18; Maurach/Zipf AT 1 § 11/5 ff; Trondle/Fischer RN 4 vor §§ 3-7.

B. Strafrecht als Teil der Rechtsordnung

19

(2) Ftir andere Taten, die im Ausland begangen werden, gilt das deutsche Strafrecht, wenn die Tat am Tatort mit Strafe bedroht ist oder der Tatort keiner Strafgewalt unterliegt und wenn der Tater 1. zur Zeit der Tat Deutscher war oder es nach der Tat geworden ist oder 2. zur Zeit der Tat Auslander war, im Inland betroffen und, obwohl das Auslieferungsgesetz seine Auslieferung nach der Art der Tat zulieBe, nicht ausgeliefert wird, weil ein Auslieferungsersuchen nicht gestellt oder abgelehnt wird oder die Auslieferung nicht ausfiihrbar ist. a)

Territorialitdtsprinzip

Die Gmndlage des Strafanwendungsrechts des StGB bildet das in § 3 verankerte Territorialitdtsprinzip. Danach erstreckt sich die Strafgewalt auf alle Taten, die im eigenen Staatsgebiet begangen werden, wahrend Inlander im Ausland grundsatzHch nur dem auslandischen Recht unterworfen sein soUen. Die Reichweite des Territorialitatsprinzips ist dadurch weit ausgedehnt, dass sich der Tatort nach § 9 sehr weit auf den Begehungs- bzw. Unterlassungsort und auf den tatsachhchen oder vorgestellten Erfolgsort erstreckt (sog. Ubiquitdtstheorie). Durch § 4 wird das Territorialitatsprinzip auch bei Straftaten auf deutschen Schiflfen oder Luftfahrzeugen angewandt (sog. Flaggenprinzip).

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Uneinigkeit herrscht hinsichtlich des Tatortes bei Aufierungsdelikten im Internet. Bisher wurde tiberwiegend davon ausgegangen, dass die Einspeisung illegaler Netzinhalte, die in Deutschland abrufbar sind, Inlandstaten seien, weil der Erfolg im Inland eintrete.''^ Dem hat sich der BGH in einer vielkritisierten Entscheidung zur Strafbarkeit der Verbreitung der sog. „Auschwitzluge" im Internet angeschlossen."*^ Dagegen wird zu Recht eingewandt, dass dann einerseits die deutschen Strafverfolgungsbehorden alle weltweit angebotenen und in Deutschland abrufbaren illegalen Netzangebote verfolgen mtissten und dass andererseits jeder deutsche Inhaber einer Homepage mit dem Risiko der Straf^erfolgung durch irgendein Land rechnen mtisste, in dem seine Daten abrufbar sind und gegen dessen Gesetze sie verstoBen.''^ Cornils^^ schlagt deshalb vor, an die Einspeisung als Tathandhmg anzukntipfen. Inlandstaten sind dann sowohl die Einspeisung illegaler Netzangebote von Deutschland aus und die gezielte Ablage illegaler Angebote auf einem in Deutschland installierten Server. Die Speicherung auf einem auslandischen Server ist hingegen Auslandstat, tiber deren Strafbarkeit in Deutschland das Internationale Strafrecht entscheidet.^^ b)

Staatsschutzprinzip

Unabhangig von der Strafbarkeit am auslandischen Tatort legt § 5 Nr. 1-5, 10-13 fest, dass bestimmte Auslandstaten gegen inlandische Rechtsgtiter zum Schutz des Staates in der Bundesrepublik verfolgt werden konnen, sog. Staatsschutzprinzip.

Vgl. die Nachweise bei Cornils JZ 1999, 394 f BGH 1 StR 184/00 BGHSt 46, 212, dazu mwN Koch JuS 2002, 123 If.; mit krit. Anm. Lagodny]Z2Q0l, 1198 ff. Cornils JZ 1999, 394 ff.; vgl. auch Velten FS fiir Rudolphi, S. 329 ff. JZ 1999, 396 ff. Naher zum Meinungsstand MK-Ambos/Ruegenberg § 9 RN 26 ff.; vgl. auch B. Heinrich Handlung und Erfolg bei Distanzdelikten, FS Weber, S. 96 ff.

54

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§L

Strafrecht in Gesellschafl und Recht

c) Aktives Personalitdtsprinzip 55

Nach dem aktiven Personalitdtsprinzip kommt es darauf an, dass der Tater zur Zeit der Tat Deutscher ist und seine Lebensgrundlage im raumlichen Geltungsbereich des StGB hat. Das aktive PersonaUtatsprinzip fmdet sich in § 5 Nr. 9 (Schwangerschaftsabbruch) d) Passives Personalitdtsprinzip

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Das passive PersonaUtatsprinzip kniipft daran an, dass sich die Tat gegen einen Deutschen richtet, der im Inland seinen Wohnsitz oder gewohnUchen Aufenthalt hat, vgi. § 5 Nr. 6 betrefFend Verschleppung und poUtische Verdachtigung, aber auch § 5 Nr. 7 und 8. An das passive PersonaUtatsprinzip kniipft auch § 7 I 2.Alt. an. e)

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§ 6 sieht die Geltung des deutschen Strafrechts zum Schutz der gemeinsamen Interessen der Kulturstaaten vor, ungeachtet der Staatsangehorigkeit des Taters oder Opfers und ungeachtet der Strafbarkeit am Tatort. § 6 beriicksichtigt vor allem die Verpflichtung der Bundesrepublik zur Bestrafiing bestimmter UnregelmaBigkeiten aufgrund internationaler Abkommen. f)

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Universalitdtsprinzip

Prinzip der stellvertretenden Strafrechtspflege

Das Prinzip der stellvertretenden Strafrechtspflege liegt § 7 I zugrunde. Ist die Tat am Tatort mit Strafe bedroht und richtet sich die Tat gegen einen Deutschen, so kann gegen den Tater deutsches Strafrecht angewendet werden. Im o.g. Beispiel konnte unter dem Gesichtspunkt der stellvertretenden Strafrechtspflege ein StraP^erfahren gegen A eingeleitet werden. Denn B war Deutscher und die vorsatzliche Totung des B ware auch in Russland strafbar.

59 60

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Bei der Frage der Strafbarkeit nach auslandischem Recht sind auch Rechtfertigungs- und Entschuldigungsgriinde zu beriicksichtigen. Auch § 7 II Uegt das Prinzip der stellvertretenden Strafrechtspflege zugrunde. Weil Art. 16 II 1 GG die AusUeferung Deutscher verbietet, bedarf es der Straf^erfolgung in Deutschland, die durch § 7 II Nr. 1 ermoglicht wird. Auch in den Fallen des § 7 II Nr. 2 scheitert die AusUeferung, weshalb die deutsche Strafrechtspflege stellvertretend tatig werden muss. Die Prinzipien des internationalen Strafrechts haben keinen exklusiven Charakter, konnen folgUch auch gleichzeitig zur Anwendung kommen. So beruht der Schutz von Betriebs- und Geschaftsgeheimnissen nach § 5 Nr. 7 sowohl auf dem Universalitats- als auch auf dem Staatsschutzprinzip, da auch die Interessen der deutschen Volkswirtschaft mitgeschiitzt werden. ^^

^^ Vgl. Jescheck/Weigend AT § 18 III 3.

B. Strafrecht als Teil der Rechtsordnung

21

III. Europaisches Strafrecht Beispiel 1/5: Der deutsche Fleischlieferant F verabreicht mehreren seiner Schlachttiere ein Medikament mit dem Wirkstoff Chloramphenicol zur Behandlung einer bakteriellen Infektion. Anlasslich einer Lebensmittelkontrolle wird das Medikament nachgewiesen und Anklage gegen F erhoben. Der Staatsanwalt wirfl ihm vor, gegen § 95 Abs. I Nr. 11 AMG (Arzneimittelgesetz) verstoBen zu haben: „Mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer l.(...) 11. entgegen Art. 5 Abs. 2 der Verordnung (EWG) Nr. 2377/90^^ einen Stoff einem dort genannten Tier verabreicht." Der Stoff Chloramphenicol gehort zu den in Anhang IV^^ der Verordnung genannten verbotenen Stoffen. F wendet gegen die Anklage ein, dass er als deutscher Staatsbitrger nicht von Verordnungen der EG betroffen sein konne und im Ubrigen die Vorschrift des § 95 Abs. 1 Nr. 11 AMG einen unzulassigen Blankettcharakter habe und deshalb gegen das Bestimmtheitsgebot verstoiie. Der Staatsanwalt ist dagegen der Ansicht, dass es wegen des Vorrangs des Gemeinschaftsrechts nicht einmal eines deutschen Gesetzes bedurft hatte, um Fs Verhalten strafrechtlich zu verfolgen.

1.

Einleitung

Ob die Einwande des F gegen die Anklage berechtigt sind, hangt davon ab, ob die vom Europaischen Gesetzgeber verabschiedete Verordnung die deutsche Strafgesetzgebungsgewalt beeinflussen kann. Dies zu klaren ist u.a. die Aufgabe des Europaischen Strafrechts. Obwohl „Europa" seit mehr als 50 Jahren das Recht der Mitgliedstaaten beeinflusst und pragt, ist das Europaische Strafrecht erst in den letzten Jahren als Strafrechtsdisziplin erkannt und wissenschaftlich begleitet worden. Die Griinde flir diese „Verspatung" dlirften wohl einerseits in dem erschwerten Zugang zu dieser sehr dynamischen Rechtsmaterie und andererseits in der begrifflichen Erfassung des Gegenstandes des Europaischen Strafrechts liegen. 2.

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61b

Der Begriff „Europaisches Strafrecht"^"^

Unter „Europaischem Strafrecht" wird nicht eine genuin von einem europaischen Gesetzgeber verabschiedete Rechtsmaterie verstanden, die dem Normenkanon des deutschen StGB vergleichbar ware. Vielmehr wird „Europaisches Strafrechf als ein Sammelbegriff flir eine ^Rechtsmaterie eigener Art verwendet, die sowohl strafrechtsrelevantes Gemeinschaftsrecht, Unionsrecht und Volkerrecht als auch gemeinschafts-, unions- und volkerrechtlich beeinflusstes nationales Strafrecht umfasst".^^

Vgl. ABl. L224vom 18.8.1990, S. 1. Vgl. VO EG Nr. 1430/94 ABl. L 156 vom 22.6.1994, S. 6 ff., 8. Vgl. insb. Hecker, Europaisches Strafrecht, § 1/4 ff.; Satzger, Internationales und Europaisches Strafrecht, § 7/1 ff. Hecker, Europaisches Strafrecht, § 1/5 mwN.

61c

22

3. 61d

61e

§ 1.

Strafrecht in Gesellschaft und Recht

Gegenstande des Europaischen Strafrechts

Die Wurzeln des Europaischen Strafrechts Uegen in den Gemeinschaftsvertragen (EGV, EAGV), dem Vertrag iiber die Europaische Union (EUV) und dem Volkerrecht (EMRK). Daneben geben beispielsweise die Gemeinschaftsvertrage und der Vertrag iiber die Europaische Union (Primarrecht) deren Institutionen bestimmte Handlungsinstrumentarien (z.B. Richtlinien, Verordnungen, Rahmenbeschliisse, Ubereinkommen = Sekundarrecht) in die Hand, um im Bereich des Strafrechts europaweit tatig werden zu konnen. Zum Bereich des Europaischen Strafrechts gehoren auch die Initiativen der supranationaien und internationalen Organisationen Europas (EG, EAG, Europarat, OECD). Auch innerstaatUches Recht kann Gegenstand des Europaischen Strafrechts sein, wenn die Regelungen durch europaisches Primar- oder Sekundarrecht tiberlagert werden („europaisiertes nationales Strafrecht").^^ SchUeBUch ist noch die einflussreiche Rechtsprechung der Europaischen Gerichtshofe in StraBburg (EGMR) und Luxemburg (EuGH) zu nennen. 4.

Quellen und Institutionen des Europaischen Strafrechts

a)

Europarat

In der Vergangenheit gingen vielfaltige, das Strafrecht betreffende Initiativen vom Europarat aus. Diese 1949 gegriindete Internationale Organisation arbeitet in erster Linie mit dem Ziel der Rechtsvereinheitlichung und der Forderung zwischenstaatlicher Zusammenarbeit. Ihm gehoren derzeit 46 Mitgliedstaaten (darunter auch alle 25 EU-Mitgliedstaaten) an. Am bedeutendsten fiir den strafrechtlichen Bereich ist die Verabschiedung der Europaischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) v. 4.11.1950,^^ die durch die Umsetzung durch das Gesetz vom 7.8.1952 nationales Recht geworden ist.=^ b) Europaische Gemeinschaft und Europaische Union

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Der gegenwartige Prozess eines „Europaischen Strafrechts" wird von der Europaischen Gemeinschaft (EG) und der Europaischen Union (EU) bestimmt. aa) Europaische Gemeinschaft (EG)

61g

Die Europaische Gemeinschaft (EG) ist aus der Europaischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) hervorgegangen. Sie ist neben der Europaischen Atomgemeinschaft (EAG) eine der Europaischen Gemeinschaften.^^ Die EG ist Hecker, Europaisches Strafrecht, § 1/6. BGBl. II 1952, S. 685 idF vom 17.5.2002 (BGBl II 1054). BGBl. II 1952, S. 685, 953. Zur Begrifflichkeit und Entstehungsgeschichte vgl. Hecker, Europaisches Strafrecht, § 4/1 ff. Die Europaische Gemeinschaft fur Kohle und Stahl (EGKS) besteht nach dem Wegfall des Montanunionsvertrages im Jahr 2002 heute nicht mehr.

B. Strafrecht als Teil der Rechtsordnung

23

auf der Grundlage eines volkerrechtlichen Vertrages errichtet worden und nimmt die ihr in den Grundungsvertragen und den dazugehorigen Dokumenten zugewiesenen Aufgaben durch besondere Organe im Rahmen bestimmter Kompetenzen wahr. aaa) Organe und deren Aufgaben x60

Der Rat der Europaischen Gemeinschaften (= Rat der Europaischen Union) ist das poUtische Entscheidungs- und Rechtsetzungsorgan und wird vor allem auf den Gebieten des Verbraucherschutzes, der Binnenmarkt- und Umweltschutzpolitik tatig. Demgegeniiber ist die Kommission der Europaischen Gemeinschaften das Exekutivorgan und als solches insbesondere mit der Ausarbeitung von neuen Rechtsakten bzw. der Uberwachung des Gemeinschaftsrechts („Huterin der Vertrage") betraut.^^ Das Europaische Parlament fimgiert bisher nur eingeschrankt als demokratisches Reprasentativorgan, hat es doch nur im sog. Mitentscheidungsverfahren (Art. 251 EGV) ein echtes Mitwirkungsrecht an Gesetzgebungsakten des Rates.^^ Die Uberpriifiing der Wahrung des Rechts bei der Auslegung und Anwendung der Vertrage ist dem Europaischen Gerichtshof in Luxemburg als gemeinsames Rechtsprechungsorgan der Europaischen Gemeinschaften zugewiesen, wahrend der Rechnungshof ohne eigene Exekutivbefiignisse die wirtschaftliche Ausfiihrung des Haushaltsplanes der Europaischen Gemeinschaften priift.

61 h

bbb) Kompetenzbereiche Die EG kann durch ihre Organe nur in den ihr in den Vertragen ausdriicklich oder 61i durch Auslegung zu ermittelnden zugewiesenen Bereichen tatig werden {Prinzip der begrenzten Einzelermdchtigung; vgl. Art. 5 Abs. 1, 7 Abs. 1, 249 Abs. 1 EGV). Die Sachgebietskompetenzen sind in den Art. 3 Abs. 1 lit. a-u EGV zusammengefasst. Insbesondere darf die EG im Bereich des Gesundheits- und Verbraucherschutzes tatig werden (Art. 3 Abs. 1 lit. p und t EGV). Im Beispiel 1/5 handelt es sich bei der Verordnung um den Bereich des Verbraucher- und Gesundheitsschutzes. Der Rat hatte also die Sachkompetenz, eine solche Verordnung zu erlassen. Verordnungen sind unmittelbar gtiltig und in alien Mitgliedstaaten rechtlich verbindlich, ohne dass es eines nationalen Umsetzungsaktes bedtirfte (vgl. Art. 249 Abs. 2 S. 1 EGV). Ob dem Staatsanwalt aber darin zu folgen ist, dass es des § 95 Abs. 1 AMG nicht bedurft hatte, hangt zunachst davon ab, ob der EG auch eine Strafrechtsetzungskompetenz zukommt.

Je nach den Themenbereichen, die auf der Tagesordnung stehen, ist jedes Land mit seinen zustandigen Fachministern vertreten (Auswartige Angelegenheiten, Finanzen, Soziales, Verkehr, Landwirtschaft usw.). Der Vorsitz des Rates wird von den Mitgliedstaaten im Halbjahreswechsel wahrgenommen. Die Kommission ist ein KoUegium aus zwanzig unabhangigen Mitgliedern einschlieBHch des Prasidenten und der Vizeprasidenten. Die Mitglieder werden im Einvernehmen mit den Mitgliedstaaten fur 5 Jahre ernannt. Die Kommission muss vom Europaischen Parlament, dem sie verantwortlich ist, bestatigt werden. Vgl. krit. deshalb Hecker, Europaisches Strafrecht, § 4/39.

24

§ 1.

Strafrecht in Gesellschaft und Recht

ccc) Origindre Kriminalstrafrechtsetzungskompetenz 61 j

61k

der EG?

Nach dem bereits genannten Prinzip der begrenzten Einzelermachtigung miisste sich die Befugnis der EG zur Setzung unmittelbar in den Mitghedstaaten wirkender Strafnormen aus den Vertragen ableiten lassen. Die h.M. vermag den Vertragen selbst beziighch des Schutzes der fmanziellen Interessen der EG (vgl. Art 280 Abs. IV EGV)/"^ keine solche Kompetenzgrundlage zu entnehmen.^^ Dem ist zuzustimmen, denn die Regelung des Kriminalstrafrechts ist weder nach dem EGV noch nach dem EUV auf die EG iibertragen worden. Vielmehr geht auch der EUV in Art. 29 ff. davon aus, dass das Kriminalstrafrecht eine der intergouvernementalen Zusammenarbeit^^ zugewiesene Materie sei. Die Mindermeinung^^ kann zwar darauf verweisen, dass das Kriminalstrafrecht eine mitzuregelnde Materie innerhalb der Sachkompetenz der EG ist und der Wortlaut der Vertrage gerade keine Begrenzung vorsehe. Allerdings wird man dem nicht folgen konnen, denn das Kriminalstrafrecht ist nicht bloBer Annex der Sachkompetenz sondern als ultima ratio ein besonders eingriflfsintensives Instrument der Friedenssicherung, das deshalb einer ausdriicklichen Ubertragung in die Hande des supranationalen Gesetzgebers entsprechend dem Subsidiaritatsgrundsatz bedarf ^^ Eine originare Strafrechtssetzungskompetenz kommt der EG nach h.M. also nicht zu. Es ist folglich ausgeschlossen, dass der Rat eine Verordnung erlassen kann, die strafbares Verhalten tatbestandsmaBig formuUert und unmittelbar in den Mitgliedstaaten Geltung beanspruchen konnte. ddd) Sanktionsbefugnisse der EG

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Trotz einer fehlenden originaren Kriminalstrafrechtsetzungskompetenz tibt die EG derzeit eine Reihe von Sanktionsbefugnissen aus. Dazu gehoren die GeldbuBen im europaischen Kartellrecht (Art. 83 Abs. 2 lit. a EGV) und die Zwangs- und Strafgelder (Art. 87 Abs. 2 lit. a, 110 Abs. 3 EGV). Die unter den Sammelbegriff „Europaisches Verwaltungssanktionenrecht"^^ fur die Bereiche des Agrar- und Fischereirecht fallenden Sanktionen der Subventionskiirzungen, Abzuge und

Vgl. zu den Kompetenzen der EG zur Rechtssetzung im Bereich des Strafrechts im weiteren Sinne und zur Verhangung nichtstrafrechtlicher Sanktionen vgl. Hecker, Europaisches Strafrecht, § 4/72 ff.; Satzger, Internationales und Europaisches Strafrecht, § 7/4 ff. Mit der Bekampfung der Kriminalitat zum Nachteil der EG ist das Europaische Amt fiir Betrugsbekampftmg (OLAF) betraut worden. Vgl. MK'Ambos Vor §§ 3-7 RN 9; Dannecker, Strafrechtsentwicklung in Europa, 1995, S. 40; Hecker, Europaisches Strafrecht, § 4/101 mwN RN 88; Satzger, Die Europaisierung des Strafrechts, 2001, S. 94, 143 f Zusammenarbeit der Regierungen. Vgl. Appel, in: Dannecker, Lebensmittelstrafrecht und Verwaltungssanktionen in der EU, 1994, S. 183; Bose, Strafen und Sanktionen im Europaischen Gemeinschaffsrecht, S. 56, 61 ff., 94; Heitzer, Punitive Sanktionen im Europaischen Gemeinschaftsrecht, 1997, S. 136 ff.; Pache, Der Schutz der fmanziellen Interessen der EG, 1994, S. 341. Vgl. weiterfuhrend Hecker, Europaisches Strafrecht, § 4/88 ff. Vgl. Dannecker, in: Handbuch des Wirtschafts- und Steuerstrafrecht, 2004, 2. Kap. RN 85; Heitzer, Punitive Sanktionen im Europaischen Gemeinschaftsrecht, 1997, S. 76 f

B. Strafrecht als Teil der Rechtsordnung

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Subventionssperren, Strafzuschlage und Kautionsverfall sind wegen ihres moglw. verdeckten Strafcharakters nicht unumstritten.^^ bb) Europaische Union (EU) Die Europaische Union wurde mit dem Vertrag von Maastricht 1992 gegrtindet. Sie besitzt keine eigene Rechtspersonlichkeit. Die Gemeinschaftsorgane (Rat, Kommission, Parlament, EuGH) werden in dem im EUV vorgegebenen Rahmen innerhalb der EU mit bestimmten Handlungsinstrumentarien (Gemeinsame Standpunkte, Ubereinkommen, Beschliisse, Rahmenbeschliisse, vgl. Art. 34 EUV) tatig. Eine eigene unmittelbar wirkende Strafgesetzgebungsgewalt kommt der EU nicht zu. Die EU handelt im Rahmen ihrer sog. „Dritten Saule"^^ in den Bereichen der polizeiHchen und justitiellen Zusammenarbeit in Strafsachen (Titel VI Art. 29 ff. EUV) zum Aufbau eines „Raums der Freiheit der Sicherheit und des Rechts".^^ „Dieses Ziel wird erreicht durch die Verhiitung und Bekampfung der - organisierten oder nicht organisierten - Kriminalitat, insbesondere des Terrorismus, des Menschenhandels und der Straftaten gegentiber Kindern, des illegalen Drogenund Waflfenhandels, der Bestechung und Bestechlichkeit sowie des Betrugs (...)."^^ Zu diesem Zweck sieht Art. 31 lit. e EUV hinsichtlich des materiellen Strafrechts „di^ schrittweise Annahme von MaBnahmen zur Festlegung von Mindestvorschriften (iber die Tatbestandsmerkmale strafbarer Handlungen und die Strafen in den Bereichen organisierte Kriminalitat, Terrorismus und illegaler Drogenhandel" vor. Der Einfluss der EU auf die nationalen Strafrechtsordnungen ist von enormer Bedeutung. So sind die heutigen Geldwasche- und Korruptionstatbestande (vgl. §§261, 299 flf. StGB), das Rechtshilfetibereinkommen^"^, der Europaische Haftbefehf^ sowie EUROPOL und EUROJUST Initiativen, die einen europaischen Ursprung haben. Der in Dublin unterzeichnete Vertrag iiber eine Verfassung fiir Europa sieht vor, dass die mit diesem neuen Regelungswerk errichtete EU an die Stelle der EG und der bisherigen EU tritt (Art. 1-7 EU-Verf.; IV-438 I EU-Verf). cc) Einflussnahmemoglichkeiten der EG/EUaufdas

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nationale Strafrecht

Trotz einer fehienden unmittelbaren Rechtssetzungskompetenz iibt die EG auf zweierlei Art und Weise ihren Einfluss auf die nationalen Strafrechtsordnungen aus: durch das Primarrecht (EGV) und durch das Sekundarrecht (Verordnungen Vgl. dazu Hecker, Europaisches Strafrecht, § 4/82; Satzger, Internationales und Europaisches Strafrecht, § 7/4 ff. Mit der sog. „Ersten Saule" wird die Zusammenarbeit durch das Gemeinschaftsrecht beschrieben. Die sog. „Zweite Saule" betrifft die Gemeinsame AuBen- und Sicherheitspolitik. Ausfiihrlicher vgl. Sinn, Europaische Gemeinschaften, in: Gropp/Huber (Hrsg.), Rechtliche Initiativen gegen organisierte Kriminalitat, Freiburg 2001, S. 295 ff. Vgl. Art. 29 EUV. Vgl. ABl. C 197 vom 12.07.2000, S. 1 ff. Vgl. ABl. L 190 vom 18.07.2002.

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§ 1.

Strafrecht in Gesellschaft und Recht

und Richtlinien). Durch das Primarrecht wird gewahrleistet, dass die Mitgliedstaaten ihr Strafrecht so gestalten, dass es Gemeinschaftsinteressen schtitzt bzw. gemeinschaftUchen Interessen nicht widerspricht. Das nationale Recht stellt sich hinsichtlich der Schutzweite und der Sanktionsscharfe^^ in den Dienst des Gemeinschaftsrechts (Assimilierungsprinzip; vgl. bspw. den Schutz der supranationalen Rechtspflege durch Art. 30 des ProtokoUs (iber die Satzung des EuGH innerhalb der §§ 153 fF. StGB)7^ Die Verpflichtung dazu wird aus dem allgemeinen Loyalitatsgebot des Art. 10 EGV abgeleitet.^^ Mangels originarer Strafrechtsetzungsgewalt der EG ist Zuriickhaltung mit der Assimilierung nationaler Strafrechtsnormen durch Sekundarrecht im Wege der Verordnung geboten.^^ Die Einflussnahme des Europaischen Gesetzgebers auf das nationale Strafrecht durch Sekundarrecht vollzieht sich durch die Wahrnehmung einer sog. Anweisungskompetenz^^ in der Form einer Verordnung, Richtlinie, eines Rahmenbeschluss oder eines tJbereinkommens. Das bedeutet, dass damit eine Handlungspflicht zur Festlegung bestimmter strafrechtlicher Mindeststandards der Mitgliedstaaten begriindet wird.^^ Die Grenzen einer solchen Kompetenz sind allein dem Gemeinschafts- oder Unionsrecht zu entnehmen und deshalb an die Prinzipien der Subsidiaritat (vgl. Art. 2 Abs. 2 EUV, 5 Abs. 2 EUV), der VerhaltnismaBigkeit (Art. 5 Abs. 3 EGV) und des strafrechtsspezifischen Schonungsgebots gebunden.^^ Von groBem Einfluss auf das nationale Strafrecht ist auch die Rechtsprechung des EuGH, die sich jedoch mangels ausreichender Rechtsschutzmoglichkeiten in der dritten Saule bisher nur in der ersten Saule etablieren konnte. Bei der Auslegung innerstaatUchen Strafrechts ist auf das Gemeinschaftsrecht Riicksicht zu nehmen (gemeinschaftsrechtskonforme Auslegung). Im Beispiel 1/5 war daher trotz des Verordnungscharakters einerseits ein deutsches Gesetz (§ 95 AMG) erforderhch, damit das vom europaischen Gesetzgeber festgelegte strafrechtliche Verbot innerstaatlich Geltung beanspmchen konnte.^^ Der deutsche Gesetzgeber war aber andererseits hinsichtlich Art. 10 EGV verpflichtet, eine entsprechende Norm zu schaffen. Ob die Struktur des § 95 AMG dem Bestimmtheitsgebot entspricht, ist eine weitere Frage. Zwar handeh es sich bei der gewahhen Gesetzgebungstechnik um eine sog. statische Verweisung, die

Die Sanktion muss wirksam, verhaltnismaiiig und abschreckend sein („Mindesttrias"). Vgl. Sartorms II Nr. 245; vgl. auch den Fall „Griechischer Mais", EuGHE 1989, 2965 = EuZW 1990, 99. Vgl. mhQX Hecker, Europaisches Strafrecht, § 7. Vgl. mhtr Hecker, Europaisches Strafrecht, § 7/18. Vgl. Hecker, Europaisches Strafrecht, § 8; Satzger, Internationales und Europaisches Strafrecht, § 8/31; kritisch Braum KritV 1998, 460, 471 f; Moll, Europaisches Strafrecht durch nationale Blankettstrafgesetzgebung, 1998, S. 207 ff., 215 ff. Vgl. etwa die Geldwascherichtlinie 91/308/EWG v. 10. 6. 1991, den Rahmenbeschluss zum Schutz des EURO ABl 2000, L 140, S. 1 oder den Rahmenbeschluss tiber den Europaischen Haftbefehl bzw. das Rechtshilfeubereinkommen, vgl. dazu Fn. 74 und 75. Vgl. Hecker, Europaisches Strafrecht, § 8/63 ff. Im Ubrigen wurde die Verordnung allein in ihrer gegenwartigen Fassung mangels ausreichender Bestimmtheit den verfassungsrechtlichen Anforderungen nicht gentigen.

B. Strafrecht als Teil der Rechtsordnung

27

grundsatzlich fur zulassig gehalten wird.^"^ Bedenken ergeben sich aber daraus, dass der Btirger Anhand des AMG und der urspriinglich am 18.8.1990 erlassenen VO 2377/90 nicht erkennen kann, welche Stoffe zu den verbotenen gehoren, denn beim Erlass der Verordnung war der Anhang IV noch nicht ausgearbeitet. Hinzu kommt, dass die VO 2377/90 hinsichtlich alter in den Anhangen I-IV aufgenommen Stoffen bis zum 11.1.2005 62 mal geandert bzw. erganzt wurde. Der Stoff Chloramphenicol wurde erst 1994 in den Anhang IV aufgenommen. Es muss also bezweifelt werden, ob der Burger angesichts der zahlreichen Anderungen die bestimmte strafrechtliche Verbotsmaterie aus dem AMG und der Verweisung auf die VO 2377/90 tiberhaupt erkennen kann. Der BGH teilt diese Bedenken nicht.^^ Seiner Meinung nach entspricht diese Art der Verweisung der tiblichen Regelungstechnik im Nebenstrafrecht und dient der luckenlosen Erfassung komplexer Materien.^^ 5.

Ausblick

Gegenwartig wird an einem „Modellstrafgesetzbucli" zum Schutz der fmanziellen Interessen der EU gearbeitet. Wegbereiter ist das sog. Corpus Juris der strafrechtlichen Regelungen zum Schutze der fmanziellen Interessen der EU aus dem Jahr 1997, das in iiberarbeiteter Fassung 1999 dem Europaischen Parlament vorgelegt wurde.^^ Das Corpus Juris schlagt spezielle Tatbestande (Besonderer Teil) mit entsprechenden Sanktionen vor. Ein Allgemeiner Teil legt die generellen Merkmale der Straftat (bspw. Vorsatz, Fahrlassigkeit, Irrtum, Versuch) fest. Verfahrensrechtlich wird die Schafiung einer Europaischen Staatsanwaltschaft und eines Freiheitsrichters angeregt. In Anlehnung an das Corpus Juris hat die Kommission 2001 ein „Grunbuch zum strafrechtUchen Schutz der fmanziellen Interessen der Europaischen Gemeinschaften und zur Schafiling einer Europaischen Staatsanwaltschaft'' vorgelegt. ^^

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IV. Die Konzeption des Strafgesetzbuchs in formaler und materieller Hinsicht Wie das Strafi'echt insgesamt, lasst sich auch das Strafgesetzbuch unter formellen und materiellen Aspekten betrachten.

Vgl. Hecker, Europaisches Strafrecht, § 7/85 ff. Vgl. zu den bedenkhcheren Regelungstechniken der „Rtickverweisungsklauseln" oder „Pauschalermachtigungen" Hecker, Europaisches Strafrecht, § 7/99fif.,108 f Vgl. BGH 1 StR 745/95 BGHSt 42, 219 ff. Vgl. BGHSt 42, 222. Vgl. http://europa.eu.int/comni/anti_fraud/green_paper/liiiks.html (Stand: 18.5.2005); vgl. auch den Uberblick bei Satzger, Internationales und Europaisches Strafrecht, § 7/33 ff.; vgl. zu einem Modellstrafgesetzbucli Sieber, Einheitliches europaisches Strafgesetzbuch als Ziel der Strafrechtsvergleichung, Gedachtnisschrift fiir Schltichter, S. 107 ff. Vgl. KOM (2001) 715. Kritisch dazu uns mwNw. Hecker, Europaisches Strafrecht, § 14/40 ff.

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1. 63 64

65

§ 1.

Strafrecht in Gesellschafl und Recht

Formale Ausgliederung eines AUgemeinen Teils

Ins Auge fallt zunachst die Unterteilung des StGB in €mQn AUgemeinen und einen Besonderen Teil. Die Bildung Allgemeiner Telle als Gesetzgebungstechnik ist typisch fur das deutsche Recht. Sie findet sich auch im Biirgerlichen Gesetzbuch von 1900 und stellt eine hohe Entwicklungsstufe in der Gesetzgebungstechnik dar. Die Bildung des AUgemeinen Teils des StGB dient dazu, aus Griinden der GesetzgebungsA:/arheit und -okonomie Gemeinsamkeiten aus den Deliktsbeschreibungen des Besonderen Teils „vor die Klammer" zu ziehen. So stellt sich bei alien Straftaten die Frage, ob das deutsche Strafrecht tiberhaupt anwendbar ist (vgl. § 3 flf.), ob der tatbestandlich vorausgesetzte Erfolg eingetreten ist oder ob sie im Versuchsstadium steckengebheben sind (vgl. §§22 ff.), ob ein Tater gehandelt hat oder ob mehrere beteiligt sind (vgl. §§ 25 flf.) oder ob der Tater etwa rechtmaBig, z.B. in Notwehr, gehandelt hat (vgl. § 32). Durch eine spezifische Ausgestaltung - z.B. die Beschrankung auf bestimmte Beteiligungsformen in den §§ 25 flf. - tritt der Allgemeine Teil zum Besonderen Teil in eine Wechselwirkung: Er prazisiert in Erganzung zu der Beschreibung des strafrechtlichen Unrechts im Besonderen Teil, unter welchen Voraussetzungen die in einem Straftatbestand beschriebene Unvi^er/verwirklichung strafwiirdiges und strafbares IJnrecht darstellt. In diesem Sinne legt der erste Abschnitt des StGB/AT fest, welche gesetzlichen, zeitlichen, ortlichen und personlichen Verhaltnisse gegeben sein mtissen, damit das deutsche Strafrecht auf die Tat einer Person tiberhaupt angewandt werden kann. Der zweite Abschnitt beschreibt zunachst, in welchen Erscheinungsformen und unter welchen naheren Voraussetzungen die Deliktbeschreibungen des Besonderen Teils strafbar sein konnen: Begehen durch Unterlassen, § 13, Strafbarkeit des Versuchs, §§ 22 ff., Festlegung zusatzlicher Beteiligungsformen (§§ 25 ff.) wie mittelbare Taterschaft, § 25 1 2. Alt., Anstiftung, § 26, oder Beihilfe, § 27. Weiterhin formuliert er Gegengriinde, bei deren Vorliegen eine Strafbarkeit trotz Verwirklichung des (straf)rechtserheblichen Unwertes zu verneinen ist: Rechtfertigungsgriinde wie etwa die Notwehr (§ 32) oder Entschuldigungsgriinde wie z.B. der entschuldigende Notstand (§35). Der dritte Abschnitt, §§ 38 ff., gibt Auskunft, welche Rechtsfolgen im Falle der Strafbarkeit eines Verhaltens generell eintreten konnen. ^^ Er enthalt einen Katalog von verschiedenen ?itx2£arten - insbes. Geld- und Freiheitsstrafe - und dartiber hinaus Kriterien, nach welchen sich das Strafmaii richtet (Strafzumessung). Als Rechtsfolgen werden auiierdem MaBregeln der Besserung und Sicherung genannt. Weitere Vorschriften betreffen die Abschopfting des durch die Straftat erlangten Gewinns (Verfall, § 73) sowie die Herausnahme der Tatmittel aus dem Gewahrsam des Taters (Einziehung, § 74). Der vierte Abschnitt, ,,Strafantrag'\ prazisiert, wie zu verfahren ist, wenn bestimmte Personen die Moglichkeit haben, die Einleitung eines Straf^erfahrens von der Stellung eines Strafantrags abhangig zu machen. DQifiinfte Abschnitt, „VerJahrung'\ bestimmt, innerhalb welchen Zeitraums die Strafverfolgungsbehorden eine Straftat noch ahnden konnen. Denn mit zunehmendem zeitlichen Abstand zur Tat verliert die Strafe allmahlich ihren Sinn, schwindet die Berechtigung des Staa-

Naher hierzu unten § 15.

B. Strafrecht als Teil der Rechtsordnung

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tes, Strafen zu verhangen,^^ und die Moglichkeiten fiir die StrafVerfolgimgsbehorden, die Voraussetzungen der Tat nachzuweisen, verschlechtern sich, z.B. weil Zeugen sterben.^^ So sehr die Extraktion allgemeiner Elemente aus den Unwertbeschreibungen des Besonderen Teils anerkannt ist, so wenig lassen sich Randunscharfen bei der Formulierung des Allgemeinen Teils vermeiden. Insbesondere besteht die Gefahr, dass Regeln in den Allgemeinen Teil gezogen werden, obwohl sie nicht fiir alle Tatbestande des Besonderen Teils gelten. Insoweit ist es Aufgabe des Gesetzesinterpreten, jene Falle einer iiberschiefienden Tendenz des Allgemeinen Teils zu erkennen.

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Beispiel 1/6: Vom Gesetzeswortlaut her bezieht sich § 25 I 2. Ah., die mittelbare Tdterschaft, auf alle Tatbestande des Besonderen Teils. Es ist indessen unumstritten, dass es auch Tatbestande gibt, die der Tater nur selbst begehen kann. Einer dieser Falle sind die Aussagedelikte, §§ 153 ff: Wer einen anderen tauscht und dadurch dessen irrtllmlichen Meineid herbeifiihrt (Strafbarkeit des fahrlassigen Falscheides nach § 163 i.V.m. § 154) kann nicht wegen eines vorsatzlichen Falscheides in mittelbarer Taterschaft - mit dem anderen als „Werkzeug" - belangt werden, weil der Falscheid nur eigenhandig begehbar ist. Die dadurch entstehende Lticke hat der Gesetzgeber durch § 160, Verleitung zur Falschaussage, geschlossen. 2.

Die Beschreibung materieller Unwertverwirklichungen im Besonderen Teil des StGB

In materieller Hinsicht liegt der Schwerpunkt des StGB im Besonderen Teil. 67 Er enthalt Beschreibungen der Verwirklichung unerwunschter Sachverhalte (Unwertbeschreibungen), welche fur so erheblich erachtet werden, dass sie bei Strafe verboten werden miissen. Die Unwertbeschreibungen des Besonderen Teils orientieren sich daran, wel- 68 che gesellschaftlich als werthaft beurteilten Interessen durch die Vermeidung der beschriebenen Sachverhalte geschtitzt werden soUen. Man spricht insoweit von Rechtsgtitern^^ Bin UberbUck uber die Abschnitte des Besonderen Teils zeigt, dass es sich dabei um unterschiedUche Rechtsgiiter handelt. Jedoch lassen sie sich grob aufteilen in solche, welche Unwertverwirklichungen zu Lasten der Gesamtheit und jene, welche Unwertverwirklichungen zu Lasten des Einzelnen beschreiben. In den ersten Abschnitten des StGB/BT werden Unwertverwirklichungen genannt, welche sich auf Rechtsgiiter der Gesamtheit beziehen: Die Tatbestande des Friedensverrats, des Hochverrats und der Gefahrdung des demokratischen Rechtsstaats schtitzen den auBeren Frieden und den Bestand des Staates. Die Tatbestande im vierten Abschnitt, welche Unwertverwirklichungen gegen Verfassungsorgane sowie bei Wahlen und Abstimmungen beschreiben, sollen dem Schutz der demokratischen Willensbildung und der Willensbetatigung der Verfassungsorgane dienen. Von den Individualguter schtitzenden Straftatbestanden waren insbesondere die Straftaten gegen das Leben im 16. Abschnitt zu nennen (§§ 211-222), aber auch die Delikte gegen Sog. materielle Verjahrungstheorie, vgl. Bloy, Rene, Die dogmatische Bedeutung der StrafausschlieBungs-und Strafaufhebungsgriinde, 1976, S. 251. Sog. formelle Verjahnmgstheorie, vgl. Stree/Sternberg-Lieben in: Schonke/Schroder RN 3 vor § 78; Maurach/Gossel/Zipf AT 2 § 75/15 sowie 1 StR 409/55 BGHSt 8, 269/270; zur heute wohl hQnschcTidQn gemischten Theorie Trondle/Fischer RN 4 vor § 78. Naher zum Begriff des Rechtsguts unten § 3 RN 27 ff.

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§ 1.

Strafrecht in Gesellschaft und Recht

Angriffe auf das Eigentum und das Vermogen wie etwa Diebstahl und Unterschlagung (Abschnitt, §§ 242-248 c). In Leitfall 1 ware im Katalog der strafbaren Unwertverwirklichungen dort zu suchen, wo es um Rechtsgiiter des Einzelnen geht. Da das Kind tot aufgefunden wurde, kommt insbesondere der Tatbestand des Totschlages im 16. Abschnitt (§212 StGB) und - falls die Totung erfolgt sein sollte, um eine andere Straftat zu verdecken - der Tatbestand des Mordes (§ 211 II 3. Fallgruppe „um eine andere Straftat zu verdecken") in Frage. Aufgrund der Information aus der Zeitung kommt als Straftat, die verdeckt werden soil, ein Delikt gegen die sexuelle Selbstbestimmung (13. Abschnitt) in Frage. Einschlagig konnte § 176 StGB sein. Dann mtisste der Tater an seinem Tjahrigen Opfer eine sexuelle Handlung vorgenommen haben.

V. Das materielle Strafrecht als Teilgebiet der gesamten Strafrechtswissenschaft 69

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Die wohl beruhmteste deutsche strafrechtUche Fachzeitschrift tragt den Namen „Zeitschrift fur die gesamte Strafrechtswissenschaft". Sie wurde von Franz von Liszt^ seinerzeit ord. Professor der Rechte in GieBen und Vetter des gleichnamigen Komponisten und Pianisten, und Adolf Dochow, ord. Professor der Rechte in Halle, 1881 gegriindet und existiert bis heute. Die Formuherung „gesamte Strafrechtswissenschaft" soil darauf hinweisen, dass das materielle Strafrecht nur ein Teilgebiet - wenn auch den Ausgangspunkt fiir alle weiteren Gebiete - der gesamten Strafrechtswissenschaft darstellt. Denn es geniigt nicht, nur festzuschreiben, welche Unwertverwirklichungen unter welchen Voraussetzungen mit Strafe bedroht sind. Vielmehr bedarf es auch der Entwicklung von Methoden, wie die Straftaten aufgeklart und einer bestimmten Person zugerechnet werden und wie diese Person ihre gerechte Strafe erhalt. Jene Regeln stellt - wie erwahnt - das Strafproze^^recht auf, welches im wesentlichen in der Strafprozessordnung (StPO) festgeschrieben ist. Die Verhangung einer gerechten Strafe erfordert darliber hinaus, dass die Schwere der Strafe der Schwere der Tat vor dem Hintergrund der Personlichkeit des Taters angemessen ist. Mit diesen Fragen beschaftigt sich das Strafzumessungsrecht. Gesetzlich fixiert ist jener Rechtsbereich in den § § 4 6 - 5 1 StGB. Um jene wenigen Paragraphen herum rankt sich eine weit verzweigte Lehre, die sich zum Ziel gesetzt hat, Kriterien zu entwickeln, anhand derer der von Natur aus mit einem Quantum von Unabwagbarkeit behaftete Bereich der Strafzumessung moglichst objektiviert werden kann. Eine weitere Saule der gesamten Strafrechtswissenschaft ist das Strafvollzugsrecht. Es legt fest, welchen Einschrankungen der Strafgefangene in der Justizvollzugsanstalt unterworfen werden darf und wie die Freiheitsstrafe so ausgestaltet werden kann, dass zwischen den Zielen der Wiedereingliederung in die Gemeinschaft einerseits und der Aufrechterhaltung der Ordnung in der Strafv^ollzugsanstalt andererseits ein optimales Verhaltnis hergestellt werden kann.^^

^^ Naher zum Strafvollzugsrecht Lauhenthal, Klaus StraiVollzug, 3. Aufl. 2002: Seebode, Manfred Strafvollzug 1, 1997.

B. Strafrecht als Tell der Rechtsordnung

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Rechtsgrundlage ist hier das Strafvollzugsgesetz (StVoUzG)^"^. Ftir den Vollzug der Untersuchungshaft fehlen bisher spezifische Rechtsgrundlagen, so dass insoweit auf wenige Vorschriften aus der Strafprozessordnung zuriickgegrifFen werden muss.^^ Als Bestandteil der gesamten Strafrechtswissenschaft sei des Weiteren das Jugendgerichtsgesetz (JGG) erwahnt^^. Es enthalt spezielle Regelungen liber die strafrechtliche Verantwortlichkeit Jugendlicher und Heranwachsender. Weiterhin sieht das JGG besondere Rechtsfolgen vor sowie spezielle Vorschriften liber die Gerichtsverfassung und das StrafVerfahren, wenn Jugendliche und Heranwachsende angeklagt sind. Einen ganz wesenthchen Bestandteil der gesamten Strafrechtswissenschaft stellt die Kriminologie dar. Als empirische Wissenschaft untersucht sie, weshalb Straftaten begangen werden, wer die Tater sind und wie man die Begehung von Straftaten und die Tater beeinflussen und kontroUieren kann.^^ Die Kriminologie bedient sich daher zahlreicher Hilfswissenschaften wie etwa Soziologie, Psychologic und Medizin. VL Zur Wiederholung Kontrollfragen 1. Nennen Si^ (F Lort das Strafrecht zum Gebiet des ojEfentlichen Rechts? 2. \^ (I - ^ - - ^ ^ 3. M al lJWl,t UV-.0 UC/UtOVllCn 4. M Si ) 1 Besonderen Teil 5. \^ U] ) 6. Si •' de AV

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Gesetz tiber den Vollzug der Freiheitsstrafen und der freiheitsentziehenden MaBregeln der Besserung und Sicherung - Strafvollzugsgesetz (StVoUzG) vom 16. Marz 1976 BGBl. I 581, berichtigt I 2088 und 1977 I 436 Vgl. § 119 StPO; naher zum Vollzug der Untersuchungshaft Seebode, Manfred, Der Vollzug der Untersuchungshaft, 1985. Jugendgerichtsgesetz (JGG) in der Fassung der Bekanntmachung vom 11. Dezember 1974 BGBl. I 3427; naher unten § 3/6 f. Vgl. Maurach/Zipf AT 1 § 3/10 ff.; Kaiser, Gunther Kriminologie, 10. Aufl. 1997; Kurzinger, Josef Kriminologie, 2. Aufl. 1996; zum Verhaltnis von Strafrecht und Kriminologie P.A. Albrecht Der Zugriff des Strafrechts auf die Kriminologie, FS ftir E.A. Wolff, S. 1 ff.

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§ 1.

Strafrecht in Gesellschaft und Recht

8. In welchen Bereichen kami die EG/EU derzeit strafrechtlich tatig werden? Q

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Literatur

Eisele, Jorg Einfiihmng in das Europaische Strafrecht - Sanktionskompetenzen anf europaischer Ebene, JA 2000, 896 ff.; ders. Europaisches Strafrecht - Systematik des Rechtsgiiterschutzes durch die Mitgliedstaaten, JA 2000, 991ff.;Hassemer, Winfried Einfuhrung in die Gmndlagen des Strafrechts, 2. Aufl. 1990; Hassemer, Winfried/Reemtsma, Jan Philipp Verbrechensopfer. Gesetz und Gerechtigkeit, 2002; Hecker, 5gm J Europaisches Strafrecht, 2005; ders. Europaisches Strafrecht als Antwort auf transnationale Kriminalitat, JA 2002, 723 ff.; Hirsch Internationalisierung des Strafrechts und Strafrechtswissenschaft, ZStW 116 (2004), 835 ff.; Jescheck/Weigend AT § 3 I, III; Jung Konturen und Perspektiven des europaischen Strafrechts, JuS 2000, 417 ff.; Kaiser, Gunther Kriminologie, 10. Aufl. 1997 (UTB-Taschenbuch); ders. Strafrecht und Kriminologie ohne Beruhrungsfurcht, ZStW 116 (2004), 855ff.;Naucke Einfiihrung § 6; Satzger, Helmut Internationales und Europaisches Strafrecht, 2004; Schmidhauser, Eberhard¥A\\Mmm% in das Strafrecht, 2. Aufl. 1984, S. 10-16; Schneider Die deutschsprachige Kriminologie der Gegenwart, GA 2004, 503 ff.; Vogel Europaische Kriminalpolitik - europaische Strafrechtsdogmatik, GA 2002, 517 ff.; Wasmeier, Martin (Hrsg.), Das Strafrecht der Europaischen Union, Textsammlung, 2003; Werle/Jefiherger Gmndfalle zum Strafanwendungsrecht, JuS 2001, 35ff., 141 ff.

C. Strafrecht und Gesellschaft I.

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Gesellschaftsveranderung durch Strafrecht? - oder: Wirkt Strafrecht „sittenbildend"?

Wenn es das Ziel des Strafrechts ist, bestimmte Interessen - „Rechtsguter" dadurch zu schiitzen, dass man bei Strafe zu vermeidende Unwertverwirklichungen festsetzt und beschreibt, dann ist eine Annaherung an jenes Ziel nur erreichbar, wenn die Rechtsunterworfenen auch zur Vermeidung der Unwertverwirklichungen bereit sind. Nach allgemeiner Lebenserfahrung sind sie es, wenn - ihnen das Ziel der jeweiligen strafrechtlichen Verbotssatze einleuchtet (NormAkzeptanz)^^ und

Diese Normakzeptanz durfte weit haufiger vorhanden sein, als allgemein angenommen wird: Auch der „gewdhnliche Verbrecher" weiii ganz genau, dass das, was er tut, eigentlich nicht richtig ist. Anders ist die Sachlage beim Uberzeugungstater. Aber deren durfte es viel weniger geben, als man denkt.

C. Strafrecht und Gesellschaft

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- eine gewisse Mindestwahrscheinlichkeit besteht, flir Zuwiderhandlungen zur Verantwortung gezogen zu werden (KontroUdiclite). Je mehr die Wertvorstellungen in der Gesellschaft und die des Strafgesetzgebers auseinanderfallen, desto weniger wird sich das Strafrecht verhaltensleitend einsetzen lassen. Strafrecht stiitzt sich daher in seiner Geltung eher auf ein gesellschaftliches Wertebewusstsein, als dass es dieses beeinflusst. Es ist eher Spiegel, weniger Motor gesellschaftUcher Wertvorstellungen. Es macht sich daher weitgehend Illusionen, wer meint, bereits durch Anderungen des Strafrechts bewusstseinsverandernd zu wirken.^^

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Beispiel 1/6: Selbst vor der Einiiihrung des Indikationsmodells zum Schwangerschaftsabbmch von 1976 in der ehemaligen Bundesrepublik stand der prinzipiellen Strafbarkeit trotz einer mutmaBlichen Anzahl von mehreren 100.000 Schwangerschaftsabbriichen die letztendliche Bestrafung von allenfalls einer Handvoll Frauen und Arzten gegentiber.^*^*^

Der Bereich, in dem Strafrecht wertQerhaltend wirken kann, ist somit weit, derjenige, in dem es werteZ?/7(i^^(i wirken kann, sehr begrenzt.

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11. Die Sozialerheblichkeit des strafbaren Verhaltens als Legitimation fiir die Inkriminierung Wenn sich mit den Mitteln des Strafrechts die Achtung vornehmlich solcher Werte durchsetzen lasst, die durch die gesellschaftlichen Anschauungen getragen werden, dann darf „reine", d.h. die Gesellschaft nicht beriihrende Unmoral nicht in die Unwertbeschreibungen des Besonderen Teils Eingang fmden. Diese Erkenntnis spielt gerade im Bereich der Sexualmoral eine wichtige Rolle. Sie fiihrte dazu, dass der Strafgesetzgeber der sozial-liberalen Koalition durch das Erste Gesetz zur Reform des Strafrechts von 1969^^^ nicht mehr VerstoBe gegen die Sittlichkeit als solche, sondern gegen die sexuelle Selbstbestimmung zum Gegenstand der Unwertbeschreibungen der Sexualdelikte machte. Konkret schaffle der Strafgesetzgeber deshalb z.B. die Strafbarkeit des Ehebruchs und homosexueller Handlungen unter erwachsenen Mannern ab. Denn dass hier die sexuelle Selbstbestimmung der handelnden Personen nicht betroffen ist, bedarf keiner weiteren Begriindung. Die Strafbarkeit homosexueller Handlungen unter Mannern hat der Strafgesetzgeber im Zuge der deutschen Rechtseinheit und aufgrund der Rechtslage in der ehemaligen DDR ganz aufgehoben und die Strafbarkeitsgrenze damit beim sexuellen Missbrauch von Kindern oder sonst schutzbedtirftigen Personen, vgl. §§ 174 ff., gezogen.

Die Erhohung der Strafrahmen fiir Gewalttaten durch das Verbrechensbekampfungsgesetz vom 28. 10. 1994 BGBl. I 3186 ist daher nur dann nicht illusionar und nur symbolisch, wenn auch in der Gesellschaft das Bewusstsein vorherrscht, dass die Anwendung von Gewalt nicht hingenommen werden darf. Vgl. Koch, Hans-Georg Landesbericht Bundesrepublik Deutschland, in: Eser/Koch (Hrsg.), Schwangerschaftsabbruch im internationalen Vergleich, 1988, S. 17 ff./234 ff. 1. StrRG vom 25. 6. 1969 BGBl. I 645; naher und mwN Lenckner/Perron in: Schonke/Schroder RN 1 f. vor § 174.

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§ 1.

Strafrecht in Gesellschaft und Recht

Freilich muss man sich dariiber im klaren sein, dass in einer pluralistischen Gesellschaft naturlich bereits die Ansichten liber die Unmoral eines Verhaltens geteilt sein konnen. Eine Frage des Strafrechts ist dies aber erst recht nicht.

D. Strafrecht in der Krise?^^^ 80

Schlagworte wie „Organisierte Kriminalitat", „Wirtschaftskriminalitat", „B^taubungsmittelkriminalitat" und „Kindesmissbrauch" beherrschen heute die Diskussion iiber die Wirksamkeit des Strafrechts. ^^^ Es hat den Anschein, als seien die StrafVerfolgungsbehorden der anwachsenden und veranderten Kriminalitat hilflos ausgeliefert. In der Tat ist es nicht zu leugnen, dass Kriminalitatsformen entstanden sind, die sich einer KontroUe durch die Strafverfolgungsorgane in besonderer Weise entziehen. So lassen sich Wirtschaftskriminelle von gewinnorientierten rechtstreuen Teilnehmern am Wirtschaftsleben kaum unterscheiden, organisiert begangene Kriminalitat bedient sich zur Erreichung ihrer Ziele nicht selten nach auBen hin gerade vollig unauffalliger Formen, und der „Kinderschander" erscheint nicht selten in der RoUe des „Moralapostels".^^'^ I.

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Straftatverfolgung (Repression) und Straftatverhiitung (Pravention)

Der Gesetzgeber reagiert auf diese Entwicklung zuweilen unbesonnen mittels eines „iiiflationierten und auf den generalpraventiven Zweck reduzierten Strafrechts," ^^^ anstatt iiber den Sinn und die (Un)Wirksamkeit sowie iiber die Fragwiirdigkeit der dem Strafrecht zur Verfiigung stehenden Mittel (Verhaltenssteuerung durch Einsperren?) nachzudenken. ^^^ Es droht vergessen zu werden, dass es Aufgabe des Strafrechts und des Strafprozessrechts sowie der Strafverfolgungsorgane ist, die Straft)arkeit von Sachverhalten festzulegen, strafbare Sachverhalte aufzuklaren und den later einer Verurteilung zuzufiihren. Strafrecht und StrafVerfahrensrecht kommen somit zwangslaufig erst dann zum Zug, wenn eine Straftat begangen worden^ wenn „das

Vgl. auch Frehsee Die Strafe auf dem Prufstand. Verunsicherungen des Strafrechts angesichts gesellschaftlicher Modemisierungsprozesse, StV 1996, 222 ff.; Roxin Hat das Strafrecht eine Zukunft? Gedachtnisschrift fur Zipf, S. 135 ff. Vgl. Alhrecht, P.-A. Das Strafrecht im Zugriff populistischer Politik, Frankfurter Rundschau V. 12. 3. 1994, S. 14; Herzog Uber die Grenzen der Wirksamkeit des Strafrechts. Eine Hommage an Wilhelm v. Humboldt, KritV 1993, 247 ff. Vgl. die Vorwtirfe gegen Paul Schafer, den Griinder der „Colonia Dignidad" in Chile, wegen des sexuellen Missbrauchs von Kindern, Badische Zeitung vom 22. 5. 1997 „Pohzisten durchsuchten die Htihnerstalle". Weigend Bewaltigung von Beweisschwierigkeiten durch Ausdehnung des materiellen Strafrechts, FS fur Triffterer, S. 695 ff./708 mit vielen erhellenden Beispielen aus der jtingeren Gesetzgebung. Erhellend Luderssen Freiheitsstrafe ohne Funktion, FS fiir Bemmann, S. 47 ff.

D. Strafrecht in der Krise

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Kind bereits in den Brunnen gefallen" ist. Strafverfolgung kann dem konkret betroffenen Opfer folglich gar nicht helfen, sondern nur insgesamt zur Stabilisierung der Verhaltensnormen beitragen, indem Straftater ihrer gerechten Strafe zugefiihrt werden. Das Strafrecht schtitzt damit potentielle Opfer allenfalls mittelbar. Denn tiber die StabiUsierung der Pflicht zur Vermeidung der Unwertverwirklichungen schtitzt es die durch das StGB reprasentierten Normen wie etwa das Verbot, zu toten, zu stehlen oder falsch zu schworen.^^^ Zu jener NormstabiHsierung ist es nun aber nicht erforderUch, dass alle Normiibertretungen geahndet werden. Es gentigt, den Rechtsunterworfenen zu zeigen, dass moglichst viel zur NormstabiHsierung durch Strafv^erfolgung getan wird. Dieses Optimum ist dem ohnehin nicht zu erreichenden Maximum auch aus rechtsstaatUchen Griinden vorzuziehen: Denn woUte man Straftaten bereits verhindern, bevor ein Schaden eingetreten ist, so wiirde dies zwar den potentiellen Opfern zugute kommen, es ware jedoch mit einem unvertretbaren Verlust an Freiheit verbunden. Wiirde es die wirksame Verhinderung von Straftaten doch erfordern, dass bereits die naheUegende Moglichkeit ihrer Begehung registriert wird, was eine hinreichende Uberwachung des Einzelnen voraussetzte. Durch jene „vorbeugende Verbrechensbekampfung" drohte Strafrecht sich in Polizeirecht umzuwandeln, dessen Aufgabe es ist, Gefahren abzuwehren.^^^ Der Strafgesetzgeber versucht, einen Mittelweg einzuschlagen, indeni er Straftatbestande formuliert, welche bereits die Gefahrdung eines eines werthaften Zustandes (z.B. der Sicherheit des StraBenverkehrs) oder eines Angriffsobjekts (z.B. eines Menschen) unter Strafe stellen.

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Beispiel 1/7: Nach § 316 kann wegen Trunkenheit im Strafienverkehr mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe bestraft werden, wer ein Fahrzeug fiihrt, obwohl er dazu infolge des Genusses alkoholischer Getranke...nicht in der Lage ist. Die konkrete Gefahrdung Dritter ist nicht erforderlich. Denn der Gesetzgeber geht davon aus, dass die Teilnahme eines betrunkenen Autofahrers am Stralienverkehr schon abstrakt eine Gefahr darstellt, die unabhangig von den weiteren Umstanden so unertraglich ist, dass ihre SchaHung strafwiirdig ist. Kommt es aufgrund der Trunkenheitsfahrt zu einer konkreten Gefahrdung eines anderen Verkehrsteilnehmers, ist § 315 c I Nr. 1 a anwendbar, welcher als Rechtsfolge Freiheitsstrafe bis zu flinf Jahren oder Geldstrafe vorsieht.

Die Einflihrung konkreter und erst recht die abstrakter GefahrdungsdeUkte ist nicht unumstritten,^^^ weil sie die Strafbarkeit in einen Bereich verlagert, welcher der unmittelbaren Gefahrdung des Angriffsobjekts, wie sie im Versuchsstadium voriiegt, noch vorgelagert ist. Von jener Bekdmpfung von Verbrechen - Verletzungen und Gefahrdungen ist die Verhutung von Kriminalitat (Kriminalpravention) zu unterscheiden, die sich Vgl. Jakobs AT 2/1 ff. Vgl. hierzu auch Kuhne, Hans Heiner Btirgerfreiheit und Verbrecherfreiheit. Der Staat zwischen Leviathan und Nachtwachter, 2004. Krit. Arthur Kaufmann JZ 1963, 432; Kohler AT S. 31 ff.; Naucke Einflihrung § 2/65; Schunemann JA 1975, 792/797; differenzierend Hirsch in: Ktihne/Miyazawa (Hrsg.), Neue Strafrechtsentwicklungen im deutsch-japanischen Vergleich, 1995, S. 11 ff./19 ff.; eine Strukturierung und Konkretisierung der Gefahrdungsdelikte unternimmt Zieschang, Frank Die Gefahrdungsdelikte, 1998; u.a. seien die abstrakten Gefdhrlichkeitsdelikte (S. 349 ff.) aus dem Kriminalstrafrecht zu streichen; zur Begriindbarkeit (auch) der (abstrakten) Gefahrdungsdelikte Koriath Zum Streit um die Gefahrdungsdelikte, GA 2001, 51 ff.; umfassend Wohlers, Wolfgang Deliktstypen des Praventionsstrafrechts - zur Dogmatik „moderner" Gefahrdungsdelikte, 2000.

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§ 1.

Strafrecht in Gesellschafl und Recht

vor allem der Analyse und Beeinflussung von Lebensbedingungen bedient.^^^ Freilich droht dieser Aspekt in der Kriminalpolitik der Gegenwart in Vergessenheit zu geraten. Stattdessen besteht eine Tendenz, Verbrechen „vorbeugend" zu bekdmpfen. Dies bedeutet freilich nur eine Vorverlagerung der Ytxhr^QhtTiSverfolgung und damit der Kriminalisierung, nicht aber eine Kriminalitatsverhutung. Die Folge ist eine ungltickliche Vermischung von Gefahrenabwehr und Verbrechensver/b/gung}^^ Ungliicklich deshalb, weil die Gefahrenabwehr in Deutschland eine originare Angelegenheit der Polizei ist, wdhrend die Verbrechensverfolgung der Justiz (Staatsanwaltschaften, Gerichte) obliegt - mag sich die Justiz bei der Aufgabenerledigung auch der Hilfe der Polizei bedienen. 11. Das Menschenbild des Strafrechts 86

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Der Ubergang von einem Strafrecht durch Strafv^erfolgung zu einem Strafrecht durch Gefahrenabwehr bedeutete jedoch, dass der Einzelne zunehmend als ein Gefahrenpotential begriflfen wird, welches es einzudammen gilt und gegeniiber dem die rechtsstaatlichen Garantien der StPO nicht eingehalten werden mtissen. Es wiirde dann auch nicht mehr an das Unrechtsbewusstsein und die Rechtstreue appelliert, sondern an das Kriterium der Gefahr angekntipft, welches den vernunftbegabten Menschen nicht mehr voraussetzt. Der Mensch ist aber ein verntinftiges, auf die Geltung des Rechts ansprechbares Wesen. Deshalb und wegen des ungeheuren materiellen Aufwandes, welchen eine Verpolizeilichung des Strafrechts mit sich bringt, gilt es, die Strafverfolgung als normstabilisierende GroBe auszubauen, ohne dass der qualitative Umschlag in eine praventivpolizeiliche Verbrechensbekampfung erfolgt.^^^ Es bleibt nur zu hoffen, dass auch die Kriminalpolitik diesen Gesichtspunkt nicht ganz aus den Augen verliert.^^^

Ill 112

Unifassend hierzu die vergleichende Analyse zur Inneren Sicherheit in den USA und in Deutschland Schneider, Hans Joachim KriminalpoHtik an der Schwelle zum 21. Jahrhundert, 1998; ders. Strategien der Verbrechensverhtitung und ihre Erfolgsaussichten, Universitas (Zeitschrift fur interdisziplinare Wissenschaft) 54 (1999), S. 819 ff.; vgl. auch Heinz Kriminalpravention, in: Kerner/Jehle/Marks (Hrsg.), Entwicklung der Kriminalpravention in Deutschland, Dokumentation des 3. Deutschen Praventionstages in Bonn 1997, S. 17 ff; Streng, Franz Das „broken windows"-Paradigma - Kriminologische Anmerkungen zu einem neuen Praventionsansatz, Erlanger Universitatsreden 57/1999. Vgl. mchMilller-Dietz Gibt es Fortschritt im Strafrecht? - FS fur Triffterer, S. 678, 691. Vgl. auch Hilgendorf Gibt es ein „Strafrecht der Risikogesellschaft"?, NStZ 1993, 10/13 ff. Vgl. Hassemer Perspektiven einer neuen Kriminalpolitik, StV 1995, 483; Kohler Unbegrenzte Ermittlung und justizffeie Bundesgeheimpolizei: Der neue Strafprozeii?, StV 1994, 386 ff.; Welp Kriminalpolitik in der Krise, StV 1994, 161; Zaczyk ProzeBsubjekte oder Storer? Die StrafjprozeBordnung nach dem OrgKG, StV 1993, 490 ff.

E. Funktion und Legitimation von Strafrecht und Strafe

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E. Funktion und Legitimation von Strafrecht und Strafe Wir haben bisher versucht, uns dem Strafrecht in der Weise zu nahern, dass wir fragten, in welcher Weise strafbares Verhalten in der Gesellschaft in Erscheinung tritt. Dabei haben wir festgestellt, dass Ausgangspunkt aller weiteren Aktivitaten der Strafverfolgungsorgane die Verwirklichung eines Lebenssachverhaites ist, der als so unertraghch empfunden wird, dass er mit der Rechtsfolge „Strafe'' versehen in einem Katalog abstrakt gesetzUch fixiert ist. Strafrecht erweist sich damit als Summe der Rechtsnormen, durch die die staatliche Reaktion auf kriminelle Rechtsbriiche geregeit wird/^"^ Kennzeichnend fiir das Strafrecht ist dabei die Strafe. Was aber gibt dem Staat das Recht zu strafen? Die Antwort konnen wir erst geben, wenn wir wissen, was Strafe ist. L

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Was ist Strafe?

Unter einer KriminaUStrafe versteht man - formell die Rechtsfolge aus der Verwirklichung eines von einem Tatbestand des Strafgesetzes in seinen Merkmalen festgelegten, mit Strafe bedrohten Unrechts, fur die der Tater einen Schuldvorwurf verdient. - materiell den „Ausgleich einer erheblichen Rechtsverletzung durch Auferlegung eines der Schwere von Unrecht und Schuld angemessenen Ubels, das eine offentliche Missbilligung der Tat ausdriickt und dadurch Rechtsbewahrung schaffl".^^^ Ob sie zwingend in der Auferlegung gerade eines Ubels bestehen muss, wird zunehmend diskutiert/^^ Strafrecht definiert sich aus der Strafe. Denn alle Rechtssatze, deren Rechtsfolge in einer Strafe besteht, sind solche des Strafrechts. Nur soweit diese Rechtsfolge legitim ist, ist Strafrecht legitim. Die Frage nach seiner Legitimation ist folgHch die Frage nach der Legitimation der Strafe.

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^1

IL Legitimation und Sinn der Strafe L

Legitimation

Die Frage nach der Legitimation der Strafe wird aus einem gesamtgesellschaftlichen Blickwinkel gestellt: Ist Strafe gesellschafllich iiberhaupt erforderlich und Vgl. Schmidhauser StB AT 1/2 ff. Jescheck/WQigQud § 2 II 1; Schreiber ZStW 94 (1982), 280; Seebode, Manfred Strafvollzug I, 1997, S. 78ff. Vgl. Roxin AT 1 § 3/45: Strafe als „Zwangseingrifr' des Staates; Schild SchwZStr 99 (1982), 364 fif./380 f, ders. ARSP 1984, 104 flf., 109: Vermeidung des Ausschlusses des Tatars aus der Gesellschaft, Versohnung durch Schuldspruch; Rossner Strafrechtsfolgen ohne Ubelszuiugung? NStZ 1992, 409 ff.

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§ 1.

Strafrecht in Gesellschaft und Recht

wenn ja, warum? Ware sie nicht verziclitbar? Die Antwort kann unter drei Aspekten gegeben werden: Einem staatspolitisclien (a), einem sozialpsychologischen (b) und einem individuai-ethischen (c). a) Staatspolitischer Aspekt 93

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Mit der Abschaffung der Fehde sowie der Stihnevertrage und der Ausrufung eines Ewigen Landfriedens 1495 geht das Gewaltmonopol auf die Zentralgewalt, den Staat, iiber/^^ NormverstoBe konnen nun nicht mehr durch den Einzelnen unmitteibar geahndet werden. Weil der Staat aber das Gewaltmonopol hat, muss er es auch einsetzen und normgerechtes Verhalten in irgendeiner Form erzwingen. Nur so kann er ein friedliches Zusammenleben gewahrleisten, d.h. den Einzelnen davon abhalten, zur Selbstjustiz zu schreiten. In diesem Sinne stellt die Kriminalstrafe das Instrument zur Durchsetzung normgerechten Verhaltens dar. FreiHch geschieht die Erzwingung normgerechten Verhaltens durch Strafe nur mittelbar. Denn Strafe stellt ja nur eine Reakiion auf normwidriges Verhalten dar. Dementsprechend entfaltet die Strafe auch nur eine mittelbare Schutzwirkung. Allerdings vermag dies die staatspolitische Legitimation der Strafe als Instrument zur Aufrechterhaltung der Friedensordnung nicht zu schmalern. Denn es geniigt zu zeigen, dass die hinter den Straftatbestanden stehenden Normen (Du soUst nicht stehlen, nicht toten ...) befolgt werden miissen. Indem diese Normen bestimmte Interessen schiitzen und das Strafrecht der Geltung der Normen dient, wirkt es somit auch hinreichend zum Schutz der durch die Normen geschiitzten Interessen. ^^^ Dieser mittelbare Schutz reicht augenscheinUch in der Kegel hin, um den Einzelnen davon abzuhalten, seinerseits gegen NormverstoBe zu reagieren. b) Sozialpsychologischer Aspekt

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Der sozialpsychologische Aspekt der Strafe hangt mit dem staatspoHtischen eng zusammen, bildet gewissermaBen das Spiegelbild zu ihm. Denn wahrend sich die staatspolitische Legitimation auf die potentiellen Opfer, d.h. die rechtstreuen Biirger bezieht, handelt die sozialpsychologische Seite von den potentiellen Tdtern: Wird bekannt, dass der Inhaber des Gewaltmonopols von seinem Monopol nicht Gebrauch macht, dann entsteht der Eindruck, dass NormverstoBe risikolos begangen werden konnen. Beispiel 1/8: Wenn das „Schwarzfahren" in offentlichen Verkehrsmitteln (strafbar nacli § 265 a StGB) risikolos nioglich ist, well nie kontrolliert wird, dann werden auch die rechtstreuen Burger nach einer gewissen Zeit nicht mehr einsehen, dass sie den Fahrpreis entrichten sollen, wahrend andere einfach unentgeltlich mitfahren. Die Betreibergesellschaft der Verkehrsbetriebe wird daher bestrebt sein, einerseits so viele Kontrolleure einzusetzen, dass moglichst viele der rechtstreuen Fahrgaste zur Entrichtung des Fahrpreises Vgl. auch Schild Fehde und Gewalt im Mittelalter - Anmerkungen zur mittelalterlichen Friedensbewegung und Gewaltentwicklung, in: Gehl/Reichertz (Hrsg.), Leben im Mittelalter, Bd. 2, 1998, S. 95 ff. Vgl. //. Mayer S. 52 f.; vgl. auch Jakobs 111 ff., 7 ff.: Enttauschungsfestigkeit der Normen als Strafrechtsgut und Rechtsgtiter als Schutzgegenstand der Norm.

E. Funktion und Legitimation von Strafrecht und Strafe

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bereit sind, andererseits aber moglichst wenige Kontrolleure, damit sich die fmanziellen Aufwendungen fiir die Kontrollen im Rahmen hahen.

c) Individual-ethischer Aspekt Unter individual-ethischem Aspekt legitimiert sich Strafe daraus, dass dem Einzelnen die MogUchkeit gegeben werden muss, trotz des NormverstoBes wieder als vollwertiges Mitglied der Gesellschaft anerkannt zu werden. Die Strafe dient hier als „Briicke zur Ruckkehr in die Gesellschaft". Der individual-ethische Aspekt gew^innt spatestens dann Bedeutung, wenn eine Gesellschaft davon Abstand nimmt, Mitglieder, die sich NormverstoBe haben zu Schulden kommen lassen, einfach aus ihr zu entfernen, sie z.B. vor die Stadtmauern zu jagen und fiir vogelfrei zu erklaren, sie zu verbannen, in Gefangnisse ohne ResoziaHsierungsbemtihungen wegzuschHeBen oder sie durch Totung auszuschlieBen, sie gewissermaBen wie ^Abfall" zu behandeln. Der individual-ethische Aspekt der Strafe hat einen religiosen, insbesondere christlich-neutestamentarischen Hintergrund: das Bild vom verlorenen Sohn (Evangelium nach Lukas, Kap. 15 Verse 11 flf), der wieder in die Gemeinschaft aufgenommen wird. Der individual-ethische Aspekt der Strafe ermoglicht so eine Art gesellschaftliches ^Recycling". !•

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Sinn der Strafe (Straftheorien)

Wahrend die Aspekte der Legitimation staatlichen Strafens Aufschluss dariiber geben, weshalb Strafe als solche auch in unserer Zeit gesellschaftUch erforderlich ist, versucht die Frage nach dem Sinn der Strafe zu erklaren, weshalb die Verhangung einer Strafe dem einzelnen Straftdter gegeniiber sinnvoll ist. Auch der Sinn der Strafe wird im wesentHchen unter drei Aspekten^^^ beantwortet: - gerechter Ausgleich fiir die Tat (Vergeltung), - Vorbeugemittel durch Abschreckung potentieller Tater (Generalpravention), - Mittel zur Besserung des Taters (Spezialpravention). Mit der Frage nach dem Sinn der Strafe beschaftigen sich die sog. Straftheorien}^^ Sie versuchen zu begriinden, welchem der o.g. Aspekte der Vorzug gebtihrt.

Vgl. aber auch die vier Aspekte bei Otto GK AT § 1/22 ff.: Warnfunktion, Rechtsbewahrung (Generalpravention), Sicherungsfunktion und Resozialisierung (Spezialpravention). Vgl. Baumann/Weber/Mitsch AT § 3/24 ff.; '^^-Hassemer RN 407 ff. vor § 1; Kohler AT S. 38 ff.; Maurach/Zipf AT 1 § 6; Schlilchter AT tJbersicht 3; zu kriminologischen Befunden vgl. Scheffler Jahrbuch fm Recht und Ethik Bd. 3 (1995), S. 375/377 ff.

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a)

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§ 1.

Strafrecht in Gesellschaft und Recht

„Absolute'' Straftheorien: Vergeltung und Siihne als Sinn der Strafe punitur, quia peccatum est^^^

„Absolut'' heiBen die absoluten Straftheorien deswegen, weil sie den Sinn der Strafe losgelost (lat.: absolutus) von jeder individuellen oder gesellschaftlichen Zweckerwagung in der Vergeltung der Tat sehen. Der Grund der Strafe ist die Achtung vor dem Verbot selbst. Dabei entspricht die Schwere der Strafe der Schwere der Tat. Die Strafe wird somit als gerechter Ausgleich der Tat verstanden. Deshalb werden die absoluten Straftheorien auch Gerechtigkeitstheorien genannt. Im Zusammenhang mit der zunehmenden Bedeutung der Rolle des Verbrechensopfers im Strafverfahren kommt auch dem Stihnegedanken wieder mehr Gewicht zu: Bestrafiing als Genugtuung fiir die Verbrechensopfer und ggf ihre Hinterbliebenen. ^^^ Innerhalb der absoluten Straftheorien ist der BegriflF der Vergeltung im wortwortlichen Sinne zu verstehen. Die Strafe soil deutlich machen, dass die Abweichung des Taters von der Norm keine Geltung besitzt. Vergelten bedeutet somit nicht gelten. Die absoluten Straftheorien werden gerne auf die von Seneca d. J. ^^^ entwickelte Kurzformel gebracht: punitur, quia peccatum est. Ihre Grundlegung haben die absoluten Straftheorien durch die Philosophic des deutschen IdeaUsmus,^^"^ insbesondere durch dessen Hauptvertreter Kant und Hegel erfahren. Immanuel Kant}^^ dessen Philosophie Abschluss und LFberwindung des Aufklamngszeitalters bedeutet, wurde am 22. 4. 1724 in Konigsberg als Sohn eines Sattlers geboren, wo er auch am 12. 2. 1804 starb. Seine akademische Laufbahn spielte sich ausnahmslos in Konigsberg ab. Pietistisch erzogen studierte er von 1740 bis 1746 Mathematik, Naturwissenschaften und Philosophie. Danach arbeitete er bis 1755 als Hauslehrer. 1755 promovierte er mit der Dissertation „Uber Form und Prinzipien der sinnlichen und intellegiblen Welt" („De mundi sensibilis atque intelligibilis forma et principiis", 1770). Im selben Jahr wurde er Privatdozent an der Universitat Konigsberg. Er hielt Vorlesungen in Philosophie, Naturwissenschaft, Geographie und Theologie. 1765 wurde er Bibliothekar an der koniglichen Schlossbibliothek in Konigsberg. Nachdem er 1769 Rufe an die Universitaten in Erlangen und Jena abgelehnt hatte, wurde er 1770 zum Ordentlichen Professor fur Metaphysik als der Lehre vom Sein bzw. Seienden und dessen Wesen^^^ und fur Logik ernannt. 1786 und 1788 war Kant Rektor der Konigsberger Universitat. 1797 beendete er seine akademische Lehrtatigkeit. Die Begriindung der Straftheorie Kants findet sich in der sog. „kritischen Phase",^^^ genauer: in der „Metaphysik der Sitten" (1797/98), Von lat. punire = bestrafen, peccare = stindigen: Es wird gestraft, weil gestindigt worden ist. Vgl. auch Schroeder Genugtuung fiir die Opfer - Reemtsma und der Sinn der Strafe, in: Hoyer, Andreas (Hrsg.) Friedrich-Christian Schroeder. Beitrage zur Gesetzgebungslehre und zur Strafrechtsdogmathik, 2001, S. 199 f. De ira 1, 16, 21 = 1, 19, 7 unter Berufung awfPlaton, nomoi 11, 12 g.E., vgl. Liebs, Detlef Lateinische Rechtsregeln und Rechtssprichworter, 5. Aufl. 1991, Nr. 132, 133. Naher Adomeit, Klaus Rechts- und Staatsphilosophie, Bd. II: Rechtsdenker der Neuzeit, 1995, S. 97ff. Zu Kant Naucke Rechtsphilosophische Grundbegriffe, RN 144ff.;zum weiteren Harzer in Stolleis (Hrsg.), Juristen. Ein biographisches Lexikon, 1995, Stichwort „Kant". „Metaphysik' war urspriinglich der Buchtitel einer Sammlung aristotelischer Schriften des Andronikos von Rhodos (1. Jh. v. Chr.), die sich an die Schriften uber die Natur, die „Physik', anschloss; im ubertragenen Sinne: das Verborgene hinter den Erscheinungen der bewusst wahrnehmbaren Welt. Die kritische Phase beginnt mit dem Werk Kritik der reinen Vernunft (1. Ausgabe 1781, 2. Ausgabe 1787). Ihr Ziel ist es, die Quellen und Grenzen der Erkenntnis durch kritische Prii-

E. Funktion und Legitimation von Strafrecht und Strafe

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und zwar in deren erstem Teil, uberschrieben „Methaphysische Anfangsgninde der Rechtslehre". Kant sieht das Recht als den „Inbegriff der Bedingungen, unter denen die Willktir des einen mit der Willktir des andern nach einem allgemeinen Gesetz der Freiheit zusammen vereinigt werden kann" (Methaphysik der Sitten, Rechtslehre, AB 33). Die Beurteilung einer Handlung, z.B. als Straftat, hat sich nach diesen Prinzipien zu richten. Die Kraft der einzelnen Willen, die sich autonom gegentxberstehen, hebt das auBere Verhaltnis der Beteiligten in die Qualitat des Rechtsverhaltnisses, das durch Freiheit, Gleichheit und Selbstandigkeit bestimmt wird. Die Aufrechterhaltung dieses Verhaltnisses ist Rechtspflicht alter Beteiligten. Indem sie dieser Rechtspflicht nachkommen, gehen sie von einem nattirlichen Zustand in einen rechtlichen Zustand tiber. Auf Grund der Bestimmung jenes Rechtsverhaltnisses durch Freiheit, Gleichheit und Selbstandigkeit muii jedem die Moglichkeit gegeben werden, sich zur Selbstandigkeit „empor zu arbeiten". Das freie Subjekt wird damit Mittelpunkt des (rechtlichen) Denkens. Dies bedeutet aber, daJi der Einzelne durch die Strafe nicht zum Mittel fiir einen Zweck gemacht werden darf. Entsprechend fiihrt Kant zur richterlichen Strafe (poena forensis) aus, sie durfe „niemals bloB als Mittel, ein anderes gutes zu befordern, fiir den Verbrecher selbst, oder fiir die btirgerliche Gesellschaft, sondern muB jederzeit nur darum wider ihn verhangt werden, weil er verbrochen hat; denn der Mensch kann nie bloii als Mittel zu den Absichten eines anderen gehandhabt und unter die Gegenstande des Sachenrechts gemengt werden ... Er muii vorher strafbar befunden seyn, ehe noch daran gedacht wird, aus dieser Strafe einige Nutzen fiir ihn selbst Oder seine Mitbtirger zu ziehen. Das Strafgesetz ist ein kategorischer Imperativ ..." (Kant, Samtliche Werke, herausgegeben von K. Rosenkranz und F. W. Schuber, Bd. 9, 1838, 180 f). Weil Strafe nun aber nur deshalb verhangt wird, weil der Tater verbrochen hat, muB Strafe auch immer dann verhangt werden, wenn der Tater verbrochen hat. Dazu fiihrt Kant in dem bertihmten Inselbeispiel aus (Methaphysik der Sitten, S. 455): „Wenn ein Volk seine Insel verMt, um auszuwandern, so mtifite zuvor der letzte Morder im Gefangnis gehangt werden, damit Gerechtigkeit walte." Nach Kant setzt die SchaHung von Gerechtigkeit eine absolute Gleichbehandlung voraus, wozu auch der Ausgleich fiir das Unrecht der Tat gehort. Es gilt also das sog. Talions-Prinzip: Aug' um Auge, Zahn um Zahn.

Neben Kant ist es Hegel, der zweite groBe Vertreter des deutschen Idealismus, fur den Vergeltung und Siihne der Strafe Sinn geben. Georg Wilhelm Friedrich HegeP^ wurde am 27.8.1770 in Stuttgart geboren und starb am 14.11.1831 in Berlin. Er studierte am Ttibinger Stift Theologie und wurde 1805 auiierordentlicher Professor in Jena. 1816 wurde er an die Universitat Heidelberg berufen und 1818 an die Universitat Berlin. Hegel gilt als der Schopfer des umfassendsten und einheitlichsten Systems der deutschen Philosophic. Im Mittelpunkt dieses Systems steht das Absolute, und zwar als absolute Idee, als Natur und als Geist. Weltgeschichte ist danach der notwendig fortschreitende Prozess des absoluten Geistes, in welchem er sich seiner Freiheit bewusst wird. Die Konkretisierung des Absoluten erfolgt als subjektiver Geist im menschlichen Individuum, als objektiver Geist in Familie, Gesellschaft und Staat, als absoluter Geist in Kunst, Religion und Philosophic. In den „Grundlinien der Philosophic des Rechts oder Naturrecht und Staatswissenschaft im Grundrisse" von 1821 fiihrt Hegel aus: „Der Boden des Rechts ist tiberhaupt das Geistige und seine Stelle und Ausgangspunkt der Wille, welcher frei ist ..." (Grundlinien, § 4). Die Grundlage des „abstrakten Rechts" ist das „Rechtsgebot": „... sei eine Person und respektiere die anderen als Personen" (Grundlinien, § 36).

fung der Verstandeskrafte zu bestimmen. Kant kommt zu dem Ergebnis, dass alles allgemeingultige Erkennen von im Verstand des Menschen wirksamen Erkenntnisformen abhangigist. Vgl. zum weiteren Harzer aaO, Stichwort „Heger\

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§1.

Strafrecht in Gesellschait und Recht

Durch die Straflat gibt der Tater nun zu erkennen, dass er den Anderen als Person gerade nicht respektiert. Die Existenz der Rechtsverletzung bildet somit den besonderen Willen des Verbrechers. Durch die Strafe wird der Verbrecher ernst genommen, „als Verntinftiges geehrt", sein besonderer Wille, d.h. das Verbrechen, das sonst gelten wiirde, aufgehoben und so das Recht wiederhergesteUt.^^^ Nach Hegel dient die Strafe dazu, zu zeigen, dass der Wille des Verbrechers nicht gilt.

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Gegen die absoluten Straftheorien wird vor allem eingewandt, dass ein modernes Strafrecht nicht absolute Gerechtigkeit erstreben kann und will, sondern nur so weit strafen kann und darf, als dies zur Aufrechterhaltung der Friedensordnung erforderlich ist. Der Staat wiirde „unertraglich iibersteigert, wenn ihm die Aufgabe der Verwirklichung absoluter Gerechtigkeit zugeschrieben wird"/^^ Auf der anderen Seite muss man aber auch sehen, dass die Strafe nach den absoluten Straftheorien nur eine ideelle, eine den Tater respektierende „Geltungs-Antwort'' auf die Tat darstellt.^^^ Davon zu unterscheiden ware die Frage, wie konkret bestraft werden soil. In diesem Sinne findet man bei Kant durchaus auch den Begriff der „pragmatischen", d.h. zweckgerichteten Strafen und bei Hegel den Begriflf der „Verwaltungsstrafen''.^^^ Strafzweckerwagungen sind folgUch auch Kant und Hegel nicht fremd. Sie werden jedoch auBerhalb der Idee der Strafe erortert. b) ,,Relative *' Straftheorien: punitur, nepeccetur^^^

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War bei Kant und Hegel das zentrale Anliegen des Strafens die von der Person des Taters losgeloste Vergeltung und spielten Zweckgedanken hier nur auBerhalb der Idee der Strafe eine Rolle, so werden sie durch die Vertreter der relativen Theorien ins Zentrum gertickt. Nach den relativen Straftheorien bezieht die staatliche Strafe ihre Legitimation aus der Aufgabe, die Gesellschaft durch Verhinderung zukiinftiger Straftaten zu schiitzen. Zweck der Bestrafiing des Einzelnen ist somit gleichzeitig die Verbrechensvorbeugung. Das Anliegen der relativen Straftheorien lasst sich auf die Kurzformel bringen: punitur, ne peccetur, es wird bestraft, damit nicht weiter gefehlt werde. Zu unterscheiden ist zwischen solchen relativen Theorien, deren Zweck in der Abschreckung liegt (aa) und solchen, die den Sinn der Strafe in der Resozialisierung des Taters sehen (bb).

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Vgl. Gans, E. (Hrsg.), Grundlinien der Philosophic des Rechts, 1833, § 90 ff., insbesondere §99. Schreiber ZStW 94 (1982), 281. Vgl. auch Schild in FS flir Gitter, S. 831/836 zum „moralischen" Begriff der Strafe bei Kant; Lesch, Heiko Hartmut, Der Verbrechensbegriff, 1999 zur Entwicklung einer genuin funktionalen Verbrechenslehre in hegelianischer Tradition.. Naher hierzu Schild ARSP 1984, 76 ff., 97 ff. „Es wird gestraft, damit nicht gesiindigt werde", Seneca, zitiert bei Grotius De iure belli ac pacis, libri tres, 2. Buch, 20. Kapitel IV 1, deutscher Text und Einleitung von Walter Schatzel, Tubingen 1950, S. 327 f

E. Funktion und Legitimation von Strafrecht und Strafe

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aa) Generalpravention: Abschreckung als Sinn der Strafe Generalpravention bedeutet, dass mit der BestrafUng des Einzelnen zugleich potentielle „Normverletzer'' abgeschreckt werden sollen. Als Begriinder der Generalpravention gilt Feuerbach, geb. am 14.11.1775 in Hainichen bei Jena, gest. am 29.5.1833 in Frankfurt am Main.

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Paul Johann Anselm von Feuerbach^^'^ war Zivilrechtler, Philosoph, Universitatslehrer, Gesetzgeber, Richter, Universalhistoriker des Rechts und Rechtssoziologe. In Jena studierte er mit 17 Jahren 1792 Philosophie, 1796 Jura. 1795 promovierte er zum Dr. phil. und 1799 zum Dr. iuris. 1800 wurde er auJierordentlicher Professor, 1801 Beisitzer des Jenaer Schoppenstuhls und Ordinarius. Im gleichen Jahr publizierte er die erste Auflage seines Lehrbuchs des gemeinen in Deutschland geltenden peinlichen Rechts. 1802 wurde er nach Kiel berufen, 1804 wechselte er nach Landshut, beauftragt, ein bayerisches Strafgesetzbuch zu entwerfen. Infolge eines Zerwtirfnisses mit Nicolaus Thaddaeus Conner (1764 - 1827), dem Rektor der Universitat Landshut, gab Feuerbach seine Landshuter Lehrtatigkeit auf und wurde 1805 in das Justiz-, Ministerial-, und Polizeidepartement in Mtxnchen berufen, wo er die noch 1806 in Kraft getretene Verordnung tiber die Abschaifung der Folter redigierte. Er wurde Mitglied des geheimen Rats (1808) und arbeitete intensiv an der Kodifikation des bayerischen Strafgesetzbuchs, welches 1813 in Kraft trat. 1814 wurde er Vizeprasident des Appellationsgerichts in Bamberg und 1817 Prasident des Appellationsgerichts Ansbach. Feuerbach vertrat - wie Kant - die Auifassung, dass das Strafrecht das Ziel habe, die „wechselseitige Freiheit alter Btirger zu schtitzen". Dies habe jedoch dadurch zu geschehen, dass durch Androhung von Strafe die potentiellen Tater von der Begehung von Straftaten abgeschreckt wtirden. Die Kenntnis der Rechtsunterworfenen liber Gegenstand und Umfang des Verbotenen wiirde davon abhalten, Straftaten zu begehen („Theorie des psychologischen Zwanges"). Dies setze jedoch Kenntnis des Strafgesetzbuches voraus und die genaue Festlegung der strafbaren Sachverhalte. Feuerbach versuchte deshalb, ein kurzes und verstandliches Strafgesetzbuch zu verfassen, das jeder moglichst mit sich „herumtragen" sollte. Auf seine Tatbestandsformulierungen sollte sich der potentielle Straftater berufen konnen. Nur das als strafbar Beschriebene dtirfe auch bestraft werden. Er brachte diese Garantiefiinktion des Strafgesetzes auf die Kurzformel ^nullum crimen, nulla poena sine lege". Damit war der Bestimmtheitsgrundsatz mit einer zweifachen Zielrichtung entwickelt: -

Abschreckung potentieller Tater durch genaueste Beschreibung dessen, was verboten ist; Beschrankung der staalichen Strafgewalt, indem nur das, was verboten ist, bestraft werden darf.

War jener Bestimmtheitsgrundsatz im Allgemeinen Landrecht fiir die preuBischen Staaten (1794) noch dazu da, die Kontrolle des Monarchen liber den rechtsanwendenden Richter zu ermoglichen/^^ so entwickelte er nun auch eine Garantiefunktion fiir die Rechtsunterworfenen, eine Situation, die noch heute zu den Grundsaulen des Strafrechts zahlt. Die Lehre vom psychologischen Zwang bedingte es, der Allgemeinheit daniber Kenntnis zu verschaffen, dass Verstoiie gegen das Strafgesetz auch geahndet werden. Daraus folgte die Forderung nach Offentlichkeit und Mlindlichkeit des Stra^rozesses, was es wiederum mit sich brachte, dass der Prozess, um gerecht zu sein, auch rechtsstaatlich durchgefiihrt werden musste. Ihre abschreckende Funktion erfiillt die Strafe damit nicht nur durch die Strafdrohung, sondern ^^^ Vgl. zum weiteren Mohnhaupt in Stolleis, Michael (Hrsg.), Juristen, 1995, Stichwort „Feuerbach". ^^^ Vgl. Gropp, r^a/^er Deliktstypen mit SonderbeteiHgung, 1992, S. 91 mwN.

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§ 1.

Strafrecht in Gesellschaft und Recht

auch durch das Strafverfahren, die Strafverhangung, die Strafvollstreckung und den StrafVollzug. 110

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Unter Feuerbach entwickelte sich das Strafgesetzbuch so zu einem „begrenzten Widerstandsrecht"/^^ dessen Grundlage eine gesetzespositivistische, d.h. streng am Wortlaut des Gesetzes als Rechtsquelle ansetzende Argumentation war. Feuerbach baute dabei auf die Kraft der menschlichen Vernunft im Sinne der Aufklarung. Da er Rechtswissenschaft auch als „Erfahrungswissenschaft" verstand, erhob er bereits 1810 die Forderung nach einer „vergleichenden Jurisprudenz". Feuerbach kann deshalb auch als Vater der modernen fiinktionalen Rechtsvergieichung gelten. Die Lehre von der Abschreckung als dem Sinn der Strafe birgt bei aller Uberzeugungskraft die Gefahr in sich, dass der Tater instrumentalisiert, d.h. zum Mittel fiir einen liber seine Tat hinausgehenden Zweck gemacht wird, indem die Strafe, um abschreckend zu wirken, in ihrer Hohe iiber die Vergeltung der Tatschwere hinaus festgesetzt wird.^^^ Die Gestaltung der Strafe nach den Regeln der Generalpravention bedarf folgUch einer begrenzenden Ergdnzung durch den ausgleichenden Vergeltungsgedanken der absoluten Straftheorien. ^^^ bb) Spezialprdvention: Resozialisierung als Sinn der Strafe

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Im Unterschied zur Abschreckungspravention hegt der Schwerpunkt der Spezialpravention darin, den Straftater nach begangener Tat zu bessern, um ihn vor zuktinftigen Tatbegehungen zu bewahren. Als Begriinder der Theorie von der Spezialpravention gilt Franz von Liszt, Kriminalist und Vetter des gleichnamigen Komponisten und Pianisten. Geboren wurde Franz von Liszt am 2.3.1851 in Wien. Er starb am 21.6.1919 in Seeheim/BergstraBe. v. Liszt studierte 1869 bis 1873 in Wien, Heidelberg und Gottingen. 1875 habilitierte er sich in Graz und wurde Professor in GieBen, Marburg, Halle und schlieJilich 1899 bis 1916 in Berlin. Ab 1909 war er Abgeordneter im preuBischen Landtag und ab 1912 im Reichstag. 1871 erschien sein Lehrbuch des deutschen Strafrechts, das bis 1932 insgesamt 26 Auflagen erreichte. Die kriminalpolitische Wirkungsgeschichte Franz von Liszts beginnt mit der Marburger Antrittsvorlesung von 1882 „Der Zweckgedanke im Strafrecht" {^Marburger Programm "^^^). Kann man die Lehre vom psychologischen Zwang bei Feuerbach eher als eine Weiterentwicklung der absoluten Straftheorien verstehen, so versucht die spezialpraventive Ausrichtung V. Liszts die Straftheorien Kants und Hegels zu uberwinden. Die Straftat soil mit Hilfe der Kriminologie^"^^ durch Erforschung der Ursachen fiir das Verhalten des Straftaters erklart werden. Verbrechen ist sozmlschadliches und sozialbedingtes Verhalten gleichermaiien. Gelange es, auf die soziale Bedingtheit des Taters einzuwirken, mtisste auch das sozialschadliche Verhalten vermieden bzw. verhindert werden konnen. Die Strafe dient danach der Warnung und der Besserung. Ist eine Besserung nicht moglich, bezweckt die Strafe die Sicherung, schlimmMohnhaupt aaO. Insofern nicht unbedenklich die Verhangung bis zu lebenslanger Freiheitsstrafe in den USA wegen der wiederholten Begehung relativ leichter Delikte, vgl. dazu krit. Grasberger „Three Strikes and You Are Out", ZStW 110 (1998), S. 796 ff. Hierzu naher unten c. ZStW 3 (1883), 1 ff.; fiir eine Ausrichtung des gesamten Strafrechts am Zweckgedanken im Interesse der Legitimation staatlicher Rechtseingriffe Freund GA 1995, 4 ff. Zur Kriminologie als Teildisziplin der „gesamten Strafrechtswissenschaft'' vgl. oben B IV.

E. Funktion und Legitimation von Strafrecht und Strafe

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stenfalls die Unschadlichmachung des Straftaters.^"^^ Gerecht ist nur die gesellschaftlich notwendige Strafe. Strafe darf nur im Rahmen des Erforderlichen verhangt werden. Soweit die gesellschaftlichen Umstande Strafe nicht erfordern, verliert sie ihren Sinn. Denkt man den spezialpraventiven Ansatz tlieoretisch weiter, wlirde dies bedeuten, dass mit den entspreclienden Umstanden auch die Notwendigkeit einer Bestrafong in Wegfall geraten wiirde. Dies mtisste bei konsequenter Anwendung zur Straflosigkeit des Gelegenheitstdters fuhren, so in dem etwas tiberspitzt formulierten und voUig frei erfundenen folgenden

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Beispiel 1/9: Kurz vor Ende des Zweiten Weltkrieges setzt sich der in einem Konzentrationslager als Aufseher an der grausamen Totung von Gefangenen beteiligte Y nach Argentinien ab. Dort heiratet er eine blonde und blauaugige deutschstammige Argentinierin, die ihm im Laufe der Jahre vier ebensolche Kinder schenkt. Y baut eine Farm auf, ztichtet Kinder far den Export in nordamerikanische und europaische T-Bone Steak-Restaurants. Er wird Mitglied im ortlichen Wohlfahrtsverein und Vorstand im argentinischen Wohlfahrtsverband. Anlasslich seines 80. Geburtstages wird er zum Ehrenmitglied des argentinischen Wohlfahtsverbands und zum Sonderbotschafter der argentinischen Fleischproduzentenliga ernannt. Auf seiner ersten Werbetour als Sonderbotschafter wird er wahrend einer kurzen Zwischenlandung auf dem Ben Gurion-Flughafen in Tel Aviv festgenommen. Auf den Vorwurf der Beteiligung am vielfachen Mord durch die israelischen Straft^erfolgungsorgane reagiert er ebenso mit Unverstandnis wie auf das Begehren der Bundesrepublik Deutschland nach Auslieferung. Sein Anwalt meint, selbst wenn die Vorwiirfe stichhaltig sein sollten, sei es vollig sinnlos, einen zur gesellschaftlichen Elite zahlenden, inzwischen gebrechlichen alten Mann mit solcherlei Vorwtirfen aus der tiefsten Vergangenheit zu konfrontieren. LieBe sich Strafe allein spezialpraventiv rechtfertigen, ware es unzulassig, weil tiberflussig, Y bestrafen zu wollen. Neben der Straflosigkeit des „Gelegenheitstaters" wiirde eine konsequent angewandte spezialpraventive Straftheorie auch dazu fiihren, Menschen bis in ein hohes Lebensalter zu „erziehen''. Dass von Liszt diese Art von Erziehung in der Tat im Blickfeld hatte, zeigt das „Marburger Programm" uberdeutlich.^'^^ Der zweite Einwand gegen die spezialpraventive Straftheorie geht deshalb dahin, dass ein modernes Strafrecht nicht das Recht hat, von dem Tater einen Gesinnungswandel zu verlangen. Es geniigt vielmehr, dass der Tater sich nach auBen gesellschaftskonfr)rm verhalt. Was er in seinem Internum denkt, ist unerheblich.

Vgl. V. Liszt Der Zweckgedanke im Strafrecht. „Marburger Universitatsprogramm 1882", ZStW 3 (1883), 1 ff. = V. Liszt, Strafrechtliche Vortrage und Aufsatze Bd. 1, 1970, S. 126 ff./166: ,,Gegen die Unverbesserlichen muss die Gesellschaft sich schiitzen; und da wir kopfen und hangen nicht wollen und deportieren nicht konnen, so bleibt nur die Einsperrung auf Lebenszeit (bzw. auf unbestimmte Zeit)." Vgl. V. Liszt aaO S. 171 zu den „Bessemngsbedurftigen": „Die kleinen Gefangnisse sind die Hauptwerbestellen; aber verlotterte Herbergen, Schnapsbuden und Bordelle machen ihnen den Rang streitig. Diese Anfanger auf der Verbrechenslaufbahn konnen in zahlreichen Fallen noch gerettet werden. Aber nur durch ernste und anhaltende Zucht. Das Minimum der hier eintretenden Freiheitsstrafe dtirfte daher meines Erachtens nicht unter ein Jahr herabsinken. Es gibt nichts Entsittlichenderes und Widersinnigeres als unsere kurzzeitigen Freiheitsstrafen gegen die Lehrlinge auf der Bahn des Verbrechens."

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§ 1.

Strafrecht in Gesellschaft und Recht

Vereinigungstheorien: Abschreckung undErziehung im Rahmen ausgleichender Vergeltung: „punitur, quiapeccatum est, nepeccetur"^'^^

Infolge der Kritik an den absoluten und den relativen Straftheorien haben sich die sogenannten ^Vereinigungstheorien" gebildet. Jedoch handelt es sich bei ihnen nicht einfachum eine Addition der jeweiligen Legitimationsansatze im Sinne eines Methodensynkretismus, sondern um ein an rechtsstaatUchen MaBstaben ausgerichtetes Ineinandergreifen, um eine „dial^ktische" Vereinigung^'^'^, eine „gestufte Verschrankung verschiedener Funktionen"^'^^ Die einzelnen Aspekte staatlichen Strafens erhalten dabei je nach dem Stadium der staatlichen Strafeinwirkung einen unterschiedlichen Stellenwert^"^^: Die staatliche Strafdrohung wirkt generalprdventiv, indem sie dem potentiellen Rechtsbrecher vor Augen halt, welche Verhaltensweisen er zu unterlassen Oder zu erbringen hat. Was die Verhangung und Zumessung der Strafe betriflft, sind generalprdventive Aspekte insofern von Bedeutung, als durch sie den rechtstreuen Burgern gegeniiber die Unverbriichlichkeit der Rechtsordnung dokumentiert wird (sog. positive Generalpravention bzw. Integrationspravention)''' Damit der Betroflfene jedoch nicht bloBes Mittel zum Zweck wird, hat - dem Vergeltungsgedanken der absoluten Straftheorien gemaB - bei der Strafverhdngung das StrafmaB grundsatzlich dem MaB des vorwerfbar verwirklichten Unrechts und damit der Schuld des Taters zu entsprechen. Die Schuld ist somit Voraussetzung und Begrenzung^"^^ der Strafe: keine Strafe ohne Schuld (sog. Schuldprinzip^"^^). Dies hindert freilich nicht, dass wegen der subsidiaren Natur der Strafe die schuldangemessene Strafe unterschritten werden darf, wenn sich im Einzelfall der Rechtsfrieden auch durch eine geringere Strafe wiederherstellen Im Strajvollzug erlangen schlieBHch vorrangig die spezialprdventiv orientierten Straftheorien Bedeutung.^^^ Denn der StrafvoUzug soil die Wiedereingliederung, die Resozialisierung, des Taters in die Gesellschaft ermoglichen. Bis zum Beginn der Strafrechtsreform konnte man im deutschen Strafrecht von einem IJberwiegen der absoluten Straftheorien ausgehen, wobei jedoch auch Zweckmaiiigkeitsgesichtspunkten Raum eingeraumt wurde. Eine Entwicklung zugunsten der Vereinigungstheorien lasst sich spatestens seit dem Bntwurf eines Strafgesetzbuches von 1962 (E 62) feststellen. Spezialpraventive Aspekte brachte insbesondere der Alternativentwurf eines Strafgesetzbuchs,

146 147

„Es wird gestraft, weil gefehlt worden ist, damit zuktinftig nicht gefehlt werde." Roxin AT 1 § 3/36. Eser/Burkhardt StK I Nr. 1 A 43. Vgl. zumfolgendeni^oxm JuS 1966, 38 Iff. Vgl. Jakobs AT 1/4 ff., 15 Theorie der positiven Generalpravention, „Eintibung in Rechtstreue''; ders. tJber die Behandlung von Wollensfehlern und von Wissensfehlern ZStW 101 (1989), 516 ff./517 „Eintxbung in Normanerkennung". Vgl. BVerfGE 54, 100/113; vgl. auch Hassemer Einige Bemerkungen tiber „positive Generalpravention", FS fiir Kazimir Buchala, Jagiellonen-Universitat Krakau 1994, S. 133 ff. Vgl. Roxin AT 1 § 3/48 f.; Lenckner bzw. Stree in: Schonke/Schroder RN 103 ff. vor § 13 bzw. 6ff.vor § 38 jew. mwN. Roxin AT 1 § 3/50. Vgl. § 2 StVollzG (Strafvollzugsgesetz) vom 16. 3. 1976 BGBl. I 581, 2088: 1977 I 436, 111 312-9-1, letztes AndG vom 26.8.1998 BGBl. I 2461.

E. Funktion und Legitimation von Strafrecht und Strafe

47

Allgemeiner Teil, 1966, hrsg. von J. Baumann u. a., in die Diskussion ein. Seit Mitte der 70er Jahre sind - insbesondere aus Italien, Skandinavien und Amerika kommend - Tendenzen weg von einer spezialpraventiven „Beliandlungsideologie" hin zur Vergeltung festzustellen (sog. Neoklassizismus)}^^ Im Vordergrund der Straftheorien dtirfte heute jedoch die Generalpravention im Sinne dinQX positiven Integrations-Pravention stehen.^^^

3.

Strafzwecke im StGB?

Dass auch der Allgemeine Teil des Strafgesetzbuchs von 1975 den Vereinigungstheorien zuneigt, ergibt sich u.a. aus den dort verankerten Strafzwecken: Nach § 46 I 2 sind bei der Strafzumessung die Wirkungen^ die von der Strafe auf das kunftige Lehen des Tdters in der Gesellschaft zu erwarten sind, also spezialprdventive Gesichtspunkte, zu beriicksichtigen. ^^"^ Daneben spielt nach h.M/^^ aber auch die Generalprdvention im geltenden Strafrecht eine Rolle, wenn „zur Verteidigung der Rechtsordnung" ausnahmsweise eine kurze Freiheitsstrafe verhangt werden (§ 47 I) oder eine Strafaussetzung zur Bewahrung (§ 56 III) sowie eine Verwarnung mit Strafvorbehalt abgelehnt werden kann (§ 59 I Nr. 3). Letztendlich sind aber auch Elemente der absoluten Straftheorien im geltenden Strafrecht zu erkennen, vs^enn nach § 46 I 1 StGB die Schuld des Taters die Grundlage fiir die Zumessung der Strafe ist/^^

120 121

III. Legitimation des Strafrechts durch Rechtsgiiterschutz Das Strafrecht erhalt seine Legitimation durch den Schutz von Rechtsglitern/^'^ Denn die Verwirklichung der in den Straftatbestanden beschriebenen Sachverhalte ist deshalb mit Strafe bedroht, well sie angesichts des friedlichen Zusammenlebens der Menschen fur wertvoll erachtete Lebensgiiter beeintrachtigt oder zerstort. Ein Strafrecht, das fiir das friedliche Zusammenleben sinnlose Handlungen bei Strafe gebietet oder unerhebliche Handlungen verbietet, ware ohne Legitimation.

Naher hierzu i^oxm AT 1 § 3/18; Schreiber ZStW 94 (1982), 291 ff. S.o. RN 17 sowie Baumann/Weber/Mitsch § 3/30 ff., 65; Jescheck/Weigend AT § 8 II 3 a mit FN 27. Vgl. zur gesetzlichen Verankerung der Spezialpravention im StGB, JGG und GG Dolling FS fur Lampe, S. 598 ff.; vgl. aber auch Kaiser Ist die Resozialisierung noch ein aktuelles Thema der Straijprozessreform?, FS fiir Lenckner, S. 781 ff. Vgl. Stree in: Schonke/Schroder RN 19 f vor § 38 mwN. Vgl. naher Stree in: Schonke/Schroder RN 7 vor § 38. Naher § 3 RN 27 ff.

122

48

§ 1.

Strafrecht in Gesellschaft und Recht

IV. Zur Wiederholung

^fF.) :

id

3. Vv Si

V. Literatur Baumann, Jurgen u.a. Alternativentwurf Wiedergutmachung, 1992; Bockelmann Vom Sinn der Strafe, in Heidelberger Jahrbticher, 1961, Heft V, S. 25 ff.; Dolling Zur spezialpraventiven Aufgabe des Strafrechts, FS fiir Lampe, S. 597 ff.; Hassemer Darf der strafende Staat Verurteilte bessem woUen? FS fiir Ltiderssen, S. 221 ff.; Jerouschek Straftat und Traumatisierung, JZ 2000, 185 ff.; Jung Was ist eine gerechte Strafe?, JZ 2004, 1155 fif.; Naucke, Wolfgang Rechtsphilosophische Grundbegriffe, 4. Aufl. 2000; Perron Vermogensstrafe und erweiterter Verfall, JZ 1993, 918fiF.; Rossner Strafrechtsfolgen ohne Obelszufiigung?, NStZ 1992, 409 ff.; Roxin Sinn und Grenzen staatlicher Strafe, JuS 1966, 377 ff.; ders. Wandlungen der Strafzwecklehre, FS fiir Miiller-Dietz, S. 701 ff.; ders. Kriminalpolitik und Strafrechtsdogmatik heute, in: Schunemann, Bernd (Hrsg.) Strafrechtssystem und Betrug, 2002, S. 21 ff.; Schild Strafbegriff und Grundgesetz, FS fiir Lenckner, S. 287 ff.; Eb. Schmidt Vergeltung, Stihne und Spezialpravention, ZStW 67 (1955), 177 ff.; Schreiher Widerspniche und Briiche in heutigen Strafkonzeptionen, ZStW 94 (1982), 279 ff.;

Zur Vertiefung Ancel, Marc Die Neue Sozialverteidigung (Defense Sociale Nouvelle), 1970; Callies Die Strafzwecke und ihre Funktion, FS fiir MuUer-Dietz, S. 99 ff.; Frisch Sicherheit durch Strafrecht, GS fiir Schltichter, S. 669 ff.; Kuhl, Kristian Die Bedeutung der Rechtsphilosophie fiir das Strafrecht, 2001; Herrmann Die Kompatibilitat zwischen normativen Straftheorien und Kriminalitatstheorien, GA 1992, 516; Kindhauser Personalitat, Schuld und Vergeltung. Zur rechtsethischen Legitimation und Begrenzung der Kriminalstrafe, GA 1989, 493ff.; Kohler, Michael Der Begriff der Strafe, 1986; v. Liszt Der Zweckgedanke im Strafrecht, ZStW 3 (1883), 1 ff.; V. Liszt, Der Zweckgedanke im Strafrecht (1882/83), mit einer Einfiihrung von Michael Kohler, 2002; Miehe Das Ende des Strafrechts, in: Peter-Christian MuUer-Graff/Herbert Roth, Recht und Rechtswissenschaft, 2001, S. 249 ff.; Mir Puig Die begriindende und die begrenzende Funktion der positiven Generalpravention, ZStW 102 (1990), 914 ff.; Montenhruck Religiose Wurzeln des sakularen Strafens und Zivilisation der Aggression, FS fiir Weber, S. 193 ff.; Muller Sanktionen in juristischer und sozialer Sicht, JZ 1977, 381; Miiller-Dietz Gibt es Fortschritt im Strafrecht?, FS fiir Triffterer, S. 677ff.; Prittwitz, Cornelius Strafrecht und Risiko. Untersuchungen zur Krise von Strafrecht und Kriminalpolitik in der Risikogesellschaft, 1993; Scheffler Prolegomena zu einer systematischen Straftheorielehre, Jahrbuch fiir Recht und Ethik Bd. 3 (1995), S. 375 ff.; Schild Strafe - Vergeltung oder Gnade?, SchwZStR 99 (1982), 364 ff; ders. Ende und Zukunft des Strafrechts, ARSP 1984, 71 ff.; ders. Anmerkungen zur Straf- und Verbrechensphilosophie Immanuel Kants, FS fiir Gitter, S. 831 ff.; Schmidhauser, Eberhard Vom Sinn der Strafe, 2. Auf. 1971; Schoch Empfehlen sich Anderungen und Erganzungen bei den strafrechtlichen Sanktionen ohne Freiheitsentzug? Gutachten C ftir den

F. Hinweise zum Leitfall

49

59. Deutschen Juristentag, 1992; Wacke Zwecke der Kriminalstrafe nach romischen Rechtsquellen, FS Weber, S. 155 ff.

F. Hinweise zum Leitfall Laut Auskunft der Staatsanwaltschaft Augsburg vom 23. 7. 1997 erhob die Staatsanwaltschaft Augsburg im Mai 1997 Anklage gegen den Beschuldigten wegen eines Verbrechens des Mordes in Verdeckungsabsicht (§ 211 II 3. Fallgruppe: Totung eines Menschen, um eine andere Straftat zu verdecken). Das Gericht Hel3 durch EroflFnungsbeschluss die Anklage zur Hauptverhandlung vor dem Schwurgericht zu (vgl. §§ 203, 207 StPO). Die Hauptverhandlung begann am 2. Dezember 1997 vor der 8. Strafkammer des Landgerichts Augsburg. Die Verurteilung erfolgte am 17. Dezember 1997;^^^ nahere Informationen zum Ausgang des Verfahrens in § 14/64 und § 15.

^^^ Vgl. hierzu§ URN 64.

123

§ 2. Prinzipien des Strafrechts

Das Gesetzlichkeitsprinzip (Art 103 II GG = § 1 StGB) als formale Komponente des Rechtsstaatsprinzips Leitfall 2/1 Verjahrungs-Verldngerungs-FSill BVerfGE 25, 269, Beschl. v. 26. Februar 1969:^ Am 30. Januar 1968 erhob die Staatsanwaltschaft Ttibingen gegen A Anklage wegen Beihilfe zum Mord an jtidischen Mitbtirgern, begangen ivnJuni und Juli 194L Die Strafkammer setzte das Verfahren vor Eroffnung des Hauptverfahrens aus und legte die Sache dem Bundesverfassungsgericht zur Entscheidung vor. Sie war der Meinung, dass der Fall verjahrt sei. Denn die Verjahrungsfrist fur Mord betrug damals gemaJi § 67 StGB a.F. 20 Jahre. Zwar sei der Fristablauf gemaB § 69 StGB a.F. bis zum 8. Mai 1945 gehemmt gewesen, jedoch sei die Frist anschlieBend ohne Unterbrechung am 8. Mai 1965 abgelaufen. Auch die Eroffnung der gerichtlichen Voruntersuchung am 9. Februar 1967 habe nicht mehr zu einer Unterbrechung der Verjahrung fiihren konnen.^ Auch § 1 des Gesetzes tiber die Berechnung strafrechtlicher Verjahrungsfristen vom 13. April 1965 (BGBl. 1 S. 315) andere an der Verjahrung nichts. § 1 des Gesetzes tiber die Berechnung strafrechthcher Verjahrungsfristen lautet: §1 Ruhen der Verfolgungsverjahrung (1) Bei der Berechnung der Verjahrungsfrist fur die Verfolgung von Verbrechen, die mit lebenslangem Zuchthaus bedroht sind, bleibt die Zeit vom 8. Mai 1945 bis zum 31. Dezember 1949 auBer Ansatz. In dieser Zeit hat die Verjahrung der Verfolgung dieser Verbrechen geruht. (2) Absatz 1 gilt nicht fur Taten, deren Verfolgung beim Inkrafttreten dieses Gesetzes bereits verjahrt ist. Zur Begriindung fiihrt die Strafkammer aus, dass die genannte Vorschrift mit Art. 103 II GG unvereinbar sei. Denn ebenso wie die riickwirkende Schaffung neuer Straftatbestande und riickwirkende Strafverscharfungen sei auch die riickwirkende Ausdehnung der Strafgewalt durch Anderung von Verjahrungsvorschriften mit Art. 103 II unvereinbar. Bei den Verjahrungsvorschriften handele es sich nicht nur um Verfahrensvorschriften betreffend die Verfolg-

Naher hierzu Eser/Burkhardt StK I Nr. 2; vgl. auch Clausnitzer The statute of limitations for murder in the Federal Republic of Germany, The International and Camparative Law Quarterly 1980, S. 473 ff. Zur Unterbrechung der Verjahrung durch ErmittlungsmaBnahmen vgl. zum geltenden Recht §78c.

52

§ 2.

Prinzipien des Strafrechts

barkeit von Taten, sondern auch um Normen mit materiellem Gehah, die besagten, dass eine Tat nach Ablauf einer bestimmten Zeit nicht mehr strafbar sein solle. 1st den Ausfuhrungen der Strafkammer zuzustimmen? §§

Art. 103 II GG = § 1 StGB. Eine Tat kann nur bestraft werden, wenn die Strafbarkeit gesetzlich bestimmt war, bevor die Tat begangen wurde. I.

Entstehungsgeschichte

Das in Art. 103 II GG festgeschriebene^ und in § 1 StGB bekraftigte Gesetzlichkeitsprinzip garantiert die Rechtsstaatlichkeit der Strafrechtspflege (Garantiefunktion des Strafgesetzes). Es bildet die formale Komponente eines der Menschenwiirde, der Freiheit, der Gleichheit, der VerhaltnismaBigkeit und dem Vorbehalt des Gesetzes verpflichteten rechtsstaatlichen Strafrechts. Als sein Begriinder gilt Paul Johann Anselm Feuerbach,^ der es in seinem Lehrbuch des peinHchen Rechts von 1801 auf die romanisierende Kurzformel ^nullum crimen, nulla poena sine lege" brachte.^ Fiir Feuerbach war jene Formel von der Selbstbindung der Staatsgewalt deshalb von ausschlaggebender Bedeutung, weil seine Straftheorie des psychologischen Zwangs nur dann funktionieren konnte, wenn der Bereich des Verbotenen moglichst genau umschrieben war. Denn der bei Strafe auferlegte Zwang, sich bestimmter Verhaltensweisen zu enthalten, wirkt nur, wenn jene Enthaltsamkeit auch verbindlich mit Straffreiheit verbunden ist. Freilich lasst sich eine Gesetzesbindung im Strafrecht bereits vor Feuerbach erkennen, wenn auch nicht als Freiheitsrecht der Normadressaten. So waren bereits die sakularisierten Naturrechtslehren nach Pufendorf, Thomasius und Christian Wolff um. einen klaren Gesetzesbegriff bemtiht, und der aufgeklarte Absolutismus war zu der Erkenntnis gelangt, dass ein positives Gesetz ein effektives Steuerungsinstmment fiir den Landesherren sei. Auch konnten die Gerichte durch eine strenge Gesetzesbindung besser kontrolliert werden.^ Im Ubergang zwischen Kontrolle und Selbstbindung dtirften dabei das osterreichische Strafgesetzbuch Josefs II. von 1787 und das preuiiische Allgemeine Landrecht von 1794 einzuordnen sein.^ Und dass das Gesetzlichkeitsprinzip selbst in dem von Feuerbach verfassten bayerischen StGB von 1813 nicht nur dem Adressaten als Garantie gegeben wurde, zeigt sich daran, dass sich der Monarch durch ein ausdriickliches Kommentienmgsverbot die Auslegung der Tatbestande durch die Richter in seinem Sinne sicherte.^

Zum Verfassungsrang des Grundsatzes nullum crimen sine lege auch im polnischen StGB Debski, i^j^^zar^i Pozaustawowe Znamiona Przestepstwa, Lodz 1995. Naher zu Feuerbach § 1/107. Vgl. Feuerbach, Paul Johann Anselm, Lehrbuch des gemeinen in Deutschland geltenden Peinlichen Rechts, 1801, S. 18 ff. Vgl. Otto GK AT § 2/30 sowie Gropp, Walter Deliktstypen mit Sonderbeteiligung, 1992, S. 91. Vgl. Roxin AT 1 § 5/14 Vgl. Gropp aaO, S. 94.

A. Das Gesetzlichkeitsprinzip

53

II. Inhalt Die Garantien des Gesetzlichkeitsprinzips beziehen sich auf jede geschriebene Rechtsnorm, neben dem formlichen Gesetz also auch auf BuBgeldtatbestande,^ sanktionsbewehrte Satzungen und Rechtsverordnungen. Bei geschriebenen Rechtsnormen unterhalb des formlichen Gesetzes ist jedoch erforderlich, dass die Ermachtigungsnorm bereits die Voraussetzungen der Strafbarkeit und die Art der Strafe erkennen lasst. ^^ Im einzelnen verlangt das Gesetzlichkeitsprinzip, dass die geschriebene Rechtsnorm certa (bestimmt), stricta (streng, d. h. ohne Analogiebildung zustande gekommen), praevia (vorheng, d. h. nicht riickwirkend) sowie scripta (geschrieben, d. h. nicht nur als Gewohnheitsrecht gliltig) sein muss. Bezugspunkt des Gesetzlichkeitsprinzips ist zum einen das crimen^ die Straftat, also der Lebenssachverhalt, welcher der gesetzlichen Unwertbeschreibung entsprechen muss, damit Strafbarkeit eintritt, zum andern die Strafe (poena) als Rechtsfolge. Letzteres ergibt sich aus der FormuHerung „Strafbarkeit" in Art. 103 II GG, weshalb § 2 insov^eit nur deklaratorischer Natur ist. Art. 103 II schiitzt davor, dass die Bewertung des Unrechtsgehalts einer Tat nachtragUch zumNachteil des Taters geandert wird.^^ Dem GesetzHchkeitsprinzip unterfallen nach der Rechtsprechung des BVerfG zur Strafbarkeit der Todesschtisse an der innerdeutschen Grenze deshalb auch Rechtfertigungsgriinde.^^ Vorschriften verfahrensrechtlicher Natur unterfallen hingegen nicht dem Gesetzlichkeitsprinzip.^^ Denn insoweit hegt von Natur aus eine Vielgestaltigkeit vor, welche nur begrenzt vorhersehbar ist.

Seine Wirkung entfaltet das Gesetzlichkeitsprinzip unterschiedlich stark, je nachdem, auf welche Vorschriften es sich bezieht. Generell lasst sich die Regel aufstellen, dass an die Genauigkeit der Voraussetzungen der Straft)arkeit umso hohere Anforderungen gestellt werden konnen, je geringer die Variabilitat der Falle ist, die einer Regel unterfallen. So beziehen sich die Beschreibungen in den Tatbestanden des Besonderen Teils des StGB auf zumindest dem Typus nach feststehende Sachverhalte. Die Vorschriften des Allgemeinen Teils hingegen sind bereits auf eine Vielzahl typisierend umschriebener Verhaltensformen - vor allem im Besonderen Teil des StGB - ausgerichtet. Schon von daher konnen sie nicht so genau formuhert w^erden wie die Tatbestande des Besonderen Teils. ^"^ Jene Einschrankung stellt die Geltung des Gesetzlichkeits/^n^z/p^* freilich nicht in Abrede.

Vgl. BVerfG 2 BvL 2/73 BVerfGE 41, 314/319; 1 BvR 1053/82 BVerfGE 71, 108. Naher und mit weiteren Nachweisen zur Rechtsprechung des BVerfG Jakobs AT 4/11. Vgl. BVerfG 2 BvR 689/76 BVerfGE 46, 188/193; zum Verhaltnis des verfassungsrechtlichen Tatbegriffs des Art. 103 II GG zum materiell-rechtlichen Tatbegriff des § 11 II Nr. 5 BGH 2 StR 520/96 BGHSt 43, 252/257. Vgl. BVerfG, Beschl. v. 24.10.1996 - 2 BvR 1851, 1853, 1875 u. 1852/94, BVerfGE 95, 96 ff./131 f; vgl. auch Erb ZStW 108 (1996), 266 ff.; naher zu den Rechtfertigungsgriinden unten § 6. 13 Vgl. Jescheck/Weigend AT § 15 IV 4. '' YglJakobs AT 4/15, 43 I

54

§ 2.

Prinzipien des Strafrechts

Sie zeigt nur, dass es sich auch hier um ein Prinzip, ein Optimierungsgebot^^ handelt. Eine weitere Einschrankung des Gesetzlichkeitsprinzips lasst sich der erwahnten Rechtsprechung des BVerfG zur Strafbarkeit der Todesschtisse an der innerdeutschen Grenze entnehmen. Zwar sei Art. 103 II GG eine Auspragung des Rechtsstaatsprinzips, welches den Gebrauch der Freiheitsrechte fundiert, „indeni es Rechtssicherheit gewahrt, die Staatsgewalt an das Gesetz bindet und Vertrauen schtitzt".^^ Da das Rechtsstaatsprinzip aber auch die Forderung nach materieller Gerechtigkeit unifasst, habe der absolute und strikte Vertrauensschutz nach Art. 103 II GG als Regelfall das Strafrecht im Blick, das unter den Bedingungen der Demokratie, der Gewaltenteilung und der Verpflichtung auf die Gmndrechte zustandegekommen ist und damit den Forderungen materieller Gerechtigkeit prinzipiell gentigt. Diese besondere Vertrauensgrundlage entfalle aber, wenn die ehemalige DDR fur den Bereich schwersten krimmellen Unrechts zwar Straftatbestande normiert, aber die Strafbarkeit gleichwohl durch Rechtfertigungsgriinde fiir Teilbereiche ausgeschlossen habe, indem sie „txber die geschriebenen Normen hinaus zu solchem Unrecht aufforderte, es begtinstigte und so die in der Volkerrechtsgemeinschaft allgemein anerkannten Menschenrechte in schwerwiegender Weise missachtete. Hierdurch setzte der Trager der Staatsmacht extremes staatliches Unrecht, das sich nur solange behaupten kann, wie die dafur verantwortliche Staatsmacht faktisch besteht."^^ Diese Rechtsprechung wurde durch die Entscheidung des Europaischen Gerichtshofs fm Menschenrechte (EuGHMR) vom 22.3.2001 bestatigt.^^

6

Getragen wird das Gesetzlichkeitsprinzip im wesentlichen von vier Saulen: ^^ - Freiheit Freiheit ist nur moglich, wenn der Normadressat sich darauf verlassen kann, dass nur das, was vorher als solches festgelegt und gekennzeichnet ist, auch strafbar ist. Ohne diese Sicherheit ware Handlungsfreiheit nicht mehr wahrnehmbar, weil die Konsequenzen eines Verhaltens nicht vorhersehbar waren.

Vgl. Alexy, Robert Rechtsregeln und Rechtsprinzipien, in: MacCormick, Neil u.a. (Hrsg.), Geltungs- und Erkenntnisbedingungen im modernen Rechtsdenken, Stuttgart 1985 (Beiheft 25 Archiv fur Rechts- und Sozialphilosophie), S. 13-29/19; vgl. auch Penski, Ulrich Rechtsgrundsatze und Rechtsregeln, JZ 1989, 106/109 f; eine faktisch nur untergeordnete Rolle spielt der Bestimmtheitsgrundsatz in der hochstrichterlichen Rechtsprechung nach Krahl Bestimmtheitsgrundsatz, S. 402 ff. BVerfG Beschl. v. 24.10.1996 2 BvR 1851, 1853, 1875 u.1852/94 BVerfGE 95, 96/130; bestatigt durch EGMR Urt. v. 22.3.2001, Beschw. Nr. 34044/96, 35532/97 und 44801/98 mit Bespr. Kadelbach Jura 2002, 329 ff. BVerfG 95, 96/133; zustimmend u.a. Starck JZ 1997, 147 mwN, vgl. aber auch krit. Arnold JuS 1997, 400 ff.; ders. tJberpositives Recht und Andeutungen volkerrechtsfreundlicher Auslegung von Strafrecht, FS fiir Griinwald, S. 31 ff.; Gropp Naturrecht oder Rtickwirkungsverbot? - Zur Strafbarkeit der Berhner „Mauerschutzen" NJ 1996, 393 ff., Luther Zum Gesetzlichkeitsprinzip im Strafrecht, FS fiir Bemmann, S. 202 ff./222 ff.; Zielinski Das strikte Rtickwirkungsverbot gilt absolut im Rechtssinne auch dann, wenn es nur relativ gilt, FS fiir Griinwald, S. 811 ff., jew. mwN; ausfiihrlich zur Mauerschtitzenproblematik Lackner/Kuhl § 2/16 ff.; rechtsphilosophisch Adomeit, Klaus Rechts- und Staatsphilosophie Bd. II: Rechtsdenker der Neuzeit, 1995, S. 152 ff.; differenzierend zwischen Mauerschtitzen und Hintermannern Ebert Strafrechtliche Bewaltigung des SED-Unrechts zwischen Politik, Strafrecht und Verfassungsrecht, FS fiir Hanack, S. 501 ff., 530, 534; zur Situation in Korea Cho, Byung-Sun Die Vergangenheitsaufarbeitung und die koreanische StraQustiz, FS fiir Nishihara, S. 339 ff. Dazu und zur gerichtlichen Aufarbeitung der Todesschtisse an der innerdeutschen Grenze Starck ]Zim\, 1102 ff. Vgl. hiQXzu Roxin AT 1 § 5/18 ff.

A. Das Gesetzlichkeitsprinzip

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Gewaltenteilung Der freiheitliche Rechtsstaat fordert, dass die ihn tragenden Gewalten geteilt und damit begrenzt sind. Die StrafVerfolgung und -veriiangung durcii Judikative und Exekutive bedarf daiier einer Begrenzung durch die Legislative. Es muss der Legislative vorbehalten bleiben, was unter welchen Umstanden strafbar sein soil. • generelle Erkennbarkeit der Ziele (Prevention) Wenn Strafrecht die zuklinftige Vermeidung strafbaren Verhaltens bezweckt, dann muss der angestrebte Zweck iiberhaupt erkennbar sein. Ein nicht verstandlich beschriebenes Ziel kann nicht vermieden werden. Dies gilt sowohl hinsichtlich der Orientierung fiir jene, welche als potentielle Straftater „abgeschreckt" werden (Generalpravention) als auch for den Tater (Spezialpravention), der zukunftig keine Straftaten mehr begehen soil. • individuelle Erkennbarkeit der Ziele (Schuldprinzip) Wenn Strafe die schuldhafte Verwirklichung eines verbotenen Lebenssachverhalts voraussetzt, dann muss dem Normadressaten der Inhalt des Verbots auch moglichst genau mitgeteilt werden. Wer den Befehl der Norm gar nicht erkennen kann, von dem kann auch nicht erwartet werden, dass er sich normgerecht verhalt. III. Die vier Forderungen des Gesetzlichkeitsprinzips im einzelnen 1.

Lex scripta: Ausschluss strafbegriindenden und strafscharfenden Gewohnheitsrechts

Als Gebot der lex scripta stellt das GesetzUchkeitsprinzip das Erfordernis einer schriftlichen Fixierung der Strafbarkeit vor der Tat auf Damit ist Gewohnheitsrecht als Rechtsquelle - beruhend auf der opinio necessitatis (Uberzeugung bezuglich seiner Geltung als Recht) und der consuetudo (Ubung) - ausgeschlossen, soweit es um die strafbegriindenden Unwertbeschreibungen im Strafrecht/Besonderer Teil und im Nebenstrafrecht geht, aber auch soweit Vorschriften des Allgemeinen Teils strafbegriindend wirken. Dass viele der allgemeinen strafbegriindenden Strafrechtslehren durch den Gesetzgeber offen gelassen und der Entscheidung durch Rechtsprechung und Literatur iiberlassen worden sind, verstoBt nicht gegen die lex scripta. Denn hier handelt es sich um Auslegung aus dem systematischen Zusammenhang,^^ nicht hingegen um Gewohnheitsrecht.^^ Gewohnheitsrechtliche Ausdehnungen der Strafbarkeit werden jedoch dort fiir zulassig gehalten, wo in Tatbestande und Reditfertignngsgriinde Begriffe aus anderen Rechtsgebieten tibernommen werden. Erfahren diese Begriffe gewohnheitsrechtliche Ausdehnungen oder Vgl. Jakobs AT 4/46; Lackner/Kuhl § 1 RN 3: „gewohnheitsrechtliche Verfestigung der Auslegung strafrechtlicher Begriffe". Gewohnheitsrecht mtisste auch deshalb verneint werden, weil angesichts der Umstrittenheit vieler Probleme eine allgemeine Rechtstiberzeugung fehlt, vgl. Roxin AT 1 § 5/47 f.; vgl. aber mch RudoIf Schmitt FS fiir Jescheck, S. 223 ff.; Maurach/Zipf AT 1 § 8/40 ff.

56

§ 2.

Prinzipien des Strafrechts

Einschrankungen, kann die Strafbarkeit Ausdehnungen erfahren. So erweitert sich z.B. mit der gewohnheitsrechtlichen Anerkennung eines Tieres aisjagdbar der Wilderei-Tatbestand.^^

2. 9

10

Lex stricta: Analogieverbot - Analogic und Auslegung

Der Satz „nullum crimen sine lege scripta - keine Straftat ohne geschriebenes Gesetz" enthalt bereits die Aussage, dass eine Strafbarkeit auBerhalb der im Gesetz beschriebenen Falle unzulassig ist. Das Analogieverbot prazisiert das Gebot der lex scripta, indem es festlegt, dass eine belastende gesetzliche Regelung auch auf solche Falle nicht zur Anwendung kommen darf, die zwar vom Wortlaut her nicht von ihr erfasst werden, die jedoch mit den ihr unterfallenden Sachverhalten vergleichbar sind (analogia in malam partem^^). Die analoge Anwendung einer begunstigenden Regelung (analogia in bonam partem) ist hingegen zulassig. Die Unzulassigkeit der analogia in malam partem im Strafrecht ist unbestritten und unproblematisch. Kopfzerbrechen bereitet vielmehr die Frage, ob die Regelung auf einen Sachverhalt anwendbar ist, ob man sie ohne Uberschreitung der Wortlautgrenze so auslegen kann, dass ihr der Sachverhalt unterfallt. Denn erst wenn dieser Bereich Ati Auslegung verlassen ist, beginnt iiberhaupt die Frage nach einer unzulassigen Analogie. Weil sich die Frage nach der Analogic somit erst stellt, wenn jene nach der Auslegung beantwortet ist, kann das Problem der Analogie (b) nicht erortert werden, ohne auf die Methode der Auslegung (a) einzugehen. a) Die Auslegung als Gegenstand der juristischen Methodenlehre Johann Wolfgang von Goethe: „Im Auslegen seid frisch und munter! Legt ihrs nicht aus, so legt was unter."^"*

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Als Bindeglied zwischen rechtlicher Regelung und Lebenswirklichkeit stellt die Auslegung den Kern einer jeden Rechtsanwendung dar. Sie bedarf daher der besonderen methodischen Durchdringung, eine Aufgabe, die im Mittelpunkt der juristischen Methodenlehre^^ steht. aa) Rechtssatz, Subsumtion und conclusio als Syllogismus

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Was wir bisher eher unspezifisch „rechtliche Regelung" genannt haben, heiBt im Sprachgebrauch der juristischen Methodenlehre Rechtssatz. Beispiel 2/1: Die Formulierung in § 212 „Wer einen Menschen totet,...wird mit Freiheitsstrafe nicht unter 5 Jahren bestraft" stellt einen Rechtssatz dar, bestehend aus einem

^^ Vgl. Roxin AT 1 § 5/49. ^^ Von lat. malus=schlecht, pars=der Teil. ^"^ Goethe, Johann Wolfgang von, Zahme Xenien, in: Werke. Neue Gesamtausgabe des Originalverlages. Erster Band. Stuttgart (ohne Jahresangabe), S. 646, zitiert in: Deutsche Epigramme, Reclam-Verlag Stuttgart 1969, S. 163. ^^ Hierzu insbesondere Larenz, Karl Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 6. Aufl. Berlin u.a. 1991; vgl. auch Tiedemann Anfangeriibung, S. 74 ff.

A. Das Gesetzlichkeitsprinzip

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Tatbestand („Wer einen Menschen totet") und einer Rechtsfolge („wird mit Freiheitsstrafe nicht unter 5 Jahren bestraft")-^^

Der Rechtssatz in § 212 enthalt die Aussage, dass fur einen konkreten Lebenssachverhalt die Rechtsfolge „Freiheitstrafe nicht unter 5 Jahren" gilt, wenn es sich um einen Fall des Tatbestandes, also um die Totung eines Menschen handelt.

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Beispiel 2/2: Wenn der A den B am Samstag, dem 19. Oktober 1996, um 9.58 Uhr mit einem Messer erstochen hat und wir wissen woUen, was nun mit A passieren soil, dann gibt uns § 212 die Auskunft, dass A mit Freiheitsstrafe nicht unter 5 Jahren bestraft werden soil, wenn das Erstechen des B mit dem Messer die Totung eines Menschen darstellt. Beztiglich unserer Frage, was konkret mit A passieren soil, bildet § 212 den sogenannten Obersatz: Wenn Tatbestand x, dann Rechtsfolge y. Ob das Erstechen des B durch den A zur Folge hat, dass A mit einer Freiheitsstrafe nicht unter 5 Jahren bestraft wird, hangt also davon ab, ob das Erstechen des B durch A die „T6tung eines Menschen" im Sinne von § 212 ist.

Nun verstehen wir unter dem „Toten eines Menschen'' jedes Verhalten, welches zu dessen Tod fiihrt, z.B. das Uberfahren mit dem Auto, das Ertranken, das Erhangen u.a. § 15, der bestimmt, dass strafbar nur vorsatzhches Handeln ist, wenn nicht das Gesetz fahrlassiges Handeln ausdriickUch mit Strafe bedroht, konnen wir auBerdem entnehmen, dass § 212 nur das vorsdtzliche zu Tode Bringen eines Menschen meint.

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Wenn wir also davon ausgehen, dass A nicht nur unglticklich gesttirzt ist und dabei dem B versehentlich den todlichen Stich versetzt, sondern dieses Messer wissentlich und willentlich in den Korper des B gestoBen hat, dann konnen wir sagen, dass die Totung des B durch A mit Hilfe des Messers dem Toten eines Menschen im Sinne von § 212 entspricht, anders ausgedriickt: dass die Totung des B durch den A mit Hilfe des Messers ein Fall von § 212 ist, den Tatbestand &QS § 212, den Obersatz, erfullt.

Die Aussage, dass ein Lebenssachverhalt (die Totung des B durch den A mit Hilfe des Messers) ein Fall des Obersatzes (§ 212: „Wer einen Menschen totet,...wird...bestraft'') ist, den Tatbestand des Obersatzes (§ 212: „Wer einen Menschen totet...") erfullt, nennt man Untersatz. Die Prtifung, ob der in Frage stehende Lebenssachverhalt ein Fall des Tatbestandes im Obersatz ist, d.h., ob man den konkreten Sachverhalt unter die abstrakten Falle des Obersatzes „nehmen'' kann, nennt man Subsumtion (sub = darunter; sumtion = das Nehmen). Hauptaufgabe des Rechtsanwenders - Studierende lernen, wie man Recht anwendet - ist jene Technik der Subsumtion, das „Darunternehmen" eines Lebenssachverhalts unter den in dem jeweiHgen Rechtssatz formuHerten Tatbestand, die Frage also, ob ein Lebenssachverhalt ein Fall eines gesetzUch umschriebenen Tatbestandes ist.

Naher zum Rechtssatz Going, Helmut Grundztige der Rechtsphilosophie, 4. Aufl. 1985, S. 277; Dubischar, Roland Vorstudium zur Rechtswissenschaft, 1974, S. 65 ff.; Engisch, Karl Einfiihrung in das juristische Denken, 9. Aufl. 1997, S. 12 ff.; Larenz Methodenlehre, S. 241; Zippelius, Heinz Juristische Methodenlehre, 7. Aufl. 1999, S. 28 ff.

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§ 2.

Prinzipien des Strafrechts

Wenn wir nun aber die Bedeutung des Obersatzes kennen und den Untersatz bilden konnen (Subsumtion), dann konnen wir schlussfolgern^ welche Rechtsfolge fiir den Lebenssachverhalt eintreten soil. Wenn „wer einen Menschen (vorsatzlich) totet" mit Freiheitsstrafe nicht unter 5 Jahren bestraft werden soil (Obersatz) und wenn die Totung des B durch den A ein Fall der Totung eines Menschen ist, dann wird A mit Freiheitsstrafe nicht unter 5 Jahren bestraft.

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Jene Schlussfolgerung mittels der Bildung eines Obersatzes und der Feststellung, dass der konkrete Fall ein Fall des Obersatzes ist (Untersatz) und deswegen auf ihn die Rechtsfolge des Obersatzes zutrifft, nennt man conclusio Das mettiodische Vorgetien mittels Obersatzes, Untersatzes und conclusio nennt man Syllogismus. bb) Die Auslegung des Tatbestandes

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Der entscheidende Schritt bei der juristischen Subsumtion ist nun aber interessanterweise nicht erst die Frage, ob der konkrete Lebenssachverhalt ein Fall des Tatbestandes als Teil des Obersatzes ist, sondern schon die abstrakte Frage, ob der Tatbestand des Obersatzes Falle dieser Art regelt. Um dies beurteilen zu konnen, haben sich im Laufe der Zeit im wesentlichen vier Kriterien herausgebildet: der Wortlaut^ die Gesetzes- und Ktohi^systematik^ die historische Auslegung sowie die objektiv-teleologische Auslegung. aaa) IVortlaut (gi^ammatische Auslegung)

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Ob der Wortlaut des Tatbestandes den zu priifenden Sachverhalt erfasst, wird an Hand des Sprachgebrauchs ermittelt, wobei hier sowohl die Alltags- als auch die jeweilige Fachsprache eine RoUe spielen. TatbestandsmaBig kann nur sein, was dem noch mogUchen WortsinrF^ unterfallt. In der Praxis hat sich gezeigt, dass die Gerichte dazu neigen, den „noch moglichen" Wortsinn recht weit zu fassen - nicht selten unter Hinweis auf die ratio legis (unten ddd). Beispiel 2/3 ,,Zueignungsabsicht'' beim Diebstahl: Der Tatbestand des Diebstahls, § 242, verlangt, dass der Tater die Sache in der Absicht wegnehmen muss, sie „sich oder einem Dritten rechtswidrig zuzueignen". Nach h.M. ist dieser Tatbestand auch dann erfullt, wenn der Tater eine Sache wegnimmt, um sie zu verkaufen. Denn mit der Formulierung „die Sache" sei nicht nur die Sachsubstanz, sondern auch der der Sache spezifisch innewohnende Wert als Gegenstand der beabsichtigten Zueignung gemeint.^^ Beispiel 2/4 Baustellen-F^ll BGH 4 StR 682/77 BGHSt 28, 129: Der Ang. A hatte beim Zunickstoiien einen hinter seinem LKW stehenden PKW nicht unerheblich beschadigt, ohne dies zu bemerken. Als er den LKW 300m entfernt an einer Baustelle abstellte, wurde er von einem nachfolgenden Autofahrer auf den Unfall aufmerksam gemacht. Entgegen

Vgl. Eser in: Schonke/Schroder § 1 RN 37; BVerfG 1 BvR 718/89, 1 BvR 179/89, 1 BvR 722/89, 1 BvR 723/89 BVerfGE 92, 1/12 (zum Begriff der Gewah bei der Notigung); zur Wortsinngrenze der Empfangnisfahigkeit Scheffler Jura 1996, 505 ff.; zu deren Uberschreitung in einem Fall eigenntitziger Stra^ereitelung durch den BGH Seebode JZ 1998, 781 ff. Vgl. Eser in: Schonke/Schroder § 242 RN 49f; Gropp JuS 1999, 1043 rechts f; Mitsch BT 2/1 § 1/140 ff.

A. Das Gesetzlichkeitsprinzip

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seiner Zusage ktimmerte er sich jedoch nicht um den entstandenen Schaden, sondern setzte seine Fahrt nach der Beladung seines LKW fort. In Beispiel 2/4 kam eine Strafbarkeit wegen unerlaubten Sichentfernens vom Unfallort („Fahrerflucht") nach § 142 I nicht in Frage, weil A beim Sichentfernen ohne Vorsatz gehandeh hatte. Jedoch bedroht § 142 II Nr. 2 auch denjenigen mit Strafe, der die Feststellungen nicht unverztiglich nachtraglich ermoglicht, nachdem er „sich berechtigt oder entschuldigt vom Unfallort entfernt hat'' Der BGH entschied, dass dieser Wortlaut auch auf Falle wie den Baustellen-Fall zutreffe, in denen sich der Tater unwissentlich, d.h. unvorsatzlich entfernt hat. Denn die Formulierung in § 142 II sei nicht formal-dogmatisch, sondern dem natiirlichen Wortsinn entsprechend zu verstehen. Die Pflicht zum nachtraglichen Ermoglichen der Feststellungen entspreche der „Rtickkehrpflicht" in § 142 a.F. Wie diese solle auch der gegenwartige Wortlaut wegen des Ziels der Sicherung der zivilrechtlichen Anspruche moglichst alle Falle des zunachst erlaubten Sichentfernens erfassen. Die Gefahr des Beweisverlustes entstehe aber unabhangig vom Grund des Sichentfernens. Eine unterschiedliche Behandlung des unvorsatzlichen und des berechtigten oder entschuldigten Sichentfernens widerspreche der kriminalpolitischen Zielsetzung auch der Neufassung. Ein VerstoB gegen das Analogieverbot sei nicht zu besorgen, denn es werde kein neuer Tatbestand geschaffen, sondern nur der gesetzgeberische Wille ermittelt. Die nicht unproblematische Entscheidung des BGH im Baustellen-Fsil ist nicht ohne Folgen geblieben: Im Gartenzaun-Fall BayObLG, NJW 1982, 1059 entschied das BayObLG unter Berufung auf die Argumentation des BGH, dass auch derjenige i.S.v. § 142 II „sich berechtigt oder entschuldigt entfernt", der nach dem Unfall als unfallbeteiligter Beifahrer (!) vom F^ihiQi gegen seinen Willen von der Unfallstelle entfernt wird und die Feststellungen nicht unverztiglich nachtraglich ermoglicht.

bbb) Systematische Auslegung Hinweise darauf, wie ein Tatbestand des Obersatzes zu verstehen ist, gibt auch die Gesetzes- sowie die 7?ec/2^^systematik. Von Gesetzessystematik spricht man, wenn sich die Auslegung an den systematischen Zusammenhang mehrerer Rechtsnormen anlehnt, von Rechtssystematik, wenn die Auslegung die systematischen Besonderheiten eines gesamten Rechtsgebietes beriicksichtigt, Beispiel 2/5 flir eine gesetzessystematische Auslegung: Wenn A an die Geldborse des B in der Weise kommt, dass er B niederschlagt und dem hilflos am Boden Liegenden die Geldborse aus der Tasche zieht, um sie sich rechtswidrig zuzueignen, dann ist fraglich, ob dieser Sachverhalt ein Fall des § 255 (rauberische Erpressung) ist. Der Wortlaut des § 255 wtirde dies nicht ausschlieBen. Denn A hatte den B durch Gewalt gegen eine Person (Niederschlagen) dazu genotigt, die Wegnahme der Geldborse zu dulden. Er hatte auch dem Vermogen des B einen Nachteil zugefiigt, um sich zu Unrecht zu bereichern. Und dennoch wtirden Rechtsprechung und Lehre in einem solchen Fall die Anwendung der §§ 255, 253 ablehnen. Denn beim Herausholen der Brieftasche handelt es sich um ein Wegnehmen i. S. von § 249 (Raub), nicht aber um em Weggeben i.S. von § 255, flir das die h.L. zudem eine Vermogensverfiigung verlangt. Die Einordnung als Raub schlieBt in diesem Fall somit die Einordnung als rauberische Erpressung aus.^^

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Vgl. Lackner/Kuhl § 255 RN 2 mwN; vgl. auch den Fall bei Mitsch BT 2/1 § 3/16.

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§ 2.

Prinzipien des Strafrechts

ccc) Historische Auslegung^^ 22

Nicht selten geben die GesetzgebungsmateriaHen und die rechtspolitische Diskussion im Zuge der Entstehung einer Rechtsvorschrift darliber Auskunft, ob ein Lebenssachverhalt ein Fall des Obersatzes ist. Beispiel 2/6: Wenn A mit Hilfe gefalschter Euro-Mtinzen einem Automaten eine Schachtel Zigaretten entnimmt, um sich dieselbe rechtwidrig zuzueignen, dann fragt es sich, ob dies ein Fall des § 265 a, Erschleichen von Leistungen, ist. Denn man konnte ja davon ausgehen, dass es sich hier um das Erschleichen der Leistungen eines Automaten handelt, in der Absicht, das Entgelt nicht zu entrichten. Die Gesetzgebungsgeschichte lehrt uns jedoch, dass § 265 a eingefuhrt worden war, um die Uberlistung sog. LeistungsdXi\om2iiQn (z.B. Mtinzfernsprecher, Wiegeautomaten u. a.) mittels Falschgeldes tatbestandlich zu erfassen. Denn hier hatte das Reichsgericht (RGSt 68, 65) entschieden, dass diese Falle insbesondere keine Betmgsfalle seien, weil es an einer Tauschung des Leistungsautomaten fehlt. Da es sich beim Zigarettenautomat jedoch um einen sog. Warenautomsit handelt, ist der hier geschilderte Sachverhalt kein Fall von § 265a. Er ist allerdings ein Fall von § 242, weil man davon ausgeht, dass der Tater den Gewahrsam des Automatenaufstellers an den Zigaretten bricht, also die Zigaretten wegnimmt, weil der Automatenaufsteller nur unter der Bedingung mit der Wegnahme durch den Bediener des Automaten einverstanden ist, dass echte Mtinzen eingeworfen werden. ddd) Objektiv - teleologische Auslegung (ratio legis)

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Weil sich der Wille des historischen Gesetzgebers indessen oft nicht mehr klaren lasst und weil sich die gesellschaftlichen Verhaltnisse in einer Weise andern konnen, welche es zvv^eifelhaft erscheinen lasst, ob er an seinem Willen wiirde festhalten woUen, kommt der Auslegung an Hand des Sinnes und Zweckes des Gesetzes, der ihm unter den gegenwartigen Verhaltnissen beigegeben werden kann, eine gewichtige Bedeutung zu. Beispiel 2/7 Diebstahl eines Sparbuches: Nimmt der A dem B ein Sparbuch weg, um das dort vorhandene Guthaben abzuheben und das Sparbuch anschlieliend wieder zuruckzugeben, so fragt es sich, ob darin ein Diebstahl zu sehen ist. Zweifelhaft ist es deshalb, weil der A ja nicht die Absicht hat, sich das fremde Sparbuch seiner Substanz nach zuzueignen. Und das im Sparbuch verkorperte Geld ist nicht identisch mit der Substanz des Buches. Die h.M. behilft sich damit, dass Gegenstand der beabsichtigten Zueignung nicht die Sache selbst in ihrer Substanz, sondern auch der spezifisch in ihr verkorperte Wert sein konne. Das Tatbestandsmerkmal „die Sache" in § 242 wird somit auch als der spezifische Sachwert interpretiert. Denn Sinn des § 242 mtisse es sein, nicht nur die Sache ihrer Substanz nach, sondern auch ihrem Wert nach vor Wegnahme zu schtitzen. Diese Interpretation erscheint beim Sparbuch deswegen noch vertretbar, weil dieses Buch als sog. „hinkendes" Inhaberpapier einen bestimmtem Wert verkorpert. Jene Korperlichkeit stellt die gedankliche Briicke zur Sacheigenschaft her. Der Fall des voriibergehend entwendeten Sparbuches ware dann nicht anders zu beurteilen als jener, in welchem der Tater eine fremde bewegliche Sache wegnimmt, um sie zu verkaufen. Auch hier wtirde sich die Zueignungsabsicht auf den Wert der Sache beziehen. Deshalb wird auch hier ein Diebstahl angenommen.^^

Zur Unterscheidung zwischen historischer und genetischer Auslegung Miiller, Friedrich Juristische Methodik, 6. Aufl. 1995, 205. Die genetische Auslegung hat danach die Gesetzgebungsmaterialien und die rechtspolitische Diskussion des fflr den konkreten Fall einschlagigen Normtextes zum Gegenstand. Die historische bezieht friihere, nicht mehr geltende Wortlaute des einschlagigen Normtextes in die Auslegung mit ein. Vgl. Eser in: Schonke/Schroder § 242 RN 50; Mitsch BT 2/1 § 1/144.

A. Das Gesetzlichkeitsprinzip

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Obwohl sich innerhalb der verschiedenen Auslegungsmethoden eine strenge Reihen- und Rangfolge nicht aufstellen lasst, kann man sagen, dass - vor allem aufgrund der sich rasch verandernden gesellschaftlichen Verhaltnisse und mit fortschreitendem Alter einer gesetzlichen Regelung - der objektiv-teleologischen Auslegung ein ausschlaggebendes Gewicht zuerkannt wird (sog. objektive Theorie).^^ b)

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Analogie

Analogic und Analogieverbot spielen erst dann eine Rolle, wenn die Auslegung ergibt, dass ein Lebenssachverhalt kein Fall des Tatbestandes ist, obwohl er mit den dort geregclten Sachverhalten vergleichbar ist. Man spricht dann davon, dass das Gesetz lilckenhaft, d.h. planwidrig unvollstdndig^^ sei. Im Unterschied zu den Fallen, in denen der Gesetzgeber einen vergleichbarcn Sachverhalt trotz vergleichbarer Pramissen der Regel bewusst nicht zuordnen woUte, liegt cine echte, ausfullungsbedurftige Lucke nur dann vor, wenn der vergleichbare Sachverhalt unbeabsichtigt ungeregelt geblieben ist. Hier besagt nun das strafrechtliche Analogieverbot, dass die Grenze fur die Anwendung des Tatbestandes auf einen Lebenssachverhalt dort liegt, wo der mogliche Wortsinn'^ iiberschritten wiirde. Abstriche am strafrechtlichen Analogieverbot mtissen aus rechtsstaatlicher Sicht auf groBte Skepsis stoBen. Nicht zufallig war es in Deutschland der nationalsozialistische Gesetzgeber, der das Analogieverbot nicht nur aufhob, sondern die MogHchkeit der Analogiebildung ausdriickhch in § 2 StGB a.F. vorsah: § 2 StGB i.d.F. aufgrund des Anderungsgesetzes vom 28. 06. 1935 lautete: § 2. [Entsprechende Anwendung der Strafgesetze] Bestraft wird, wer eine Tat begeht, die das Gesetz fiir strafbar erklart oder die nach dem Grundgedanken eines Strafgesetzes und nach gesundem Volksempfmden Bestrafung verdient. Findet auf die Tat kein bestimmtes Strafgesetz unmittelbar Anwendung, so wird die Tat nach dem Gesetz bestraft, dessen Grundgedanke auf sie am besten zutrifft. Die Folgen dieses Verfalls strafrechtlicher Kultur zeigt anschaulich Beispiel 2/8, Leichenbeschimpfungs-Fall, RGSt 71, 323 vom 13. September 1937: Die Leiche des Vaters der Angeklagten befand sich in der Leichenhalle des Friedhofs. Die Beschwerdefiihrer hatten den Deckel vom Sarg ihres Vaters heruntergehoben, „tranken in lauter und larmender Weise Schnaps, prosteten dem Toten zu und schickten sich an, der Leiche einen Becher mit Schnaps einzufloBen. Nur mit Mtihe konnten sie von ihrer Schwester an der Durchfiihrung ihres Vorhabens gehindert werden".^^ Aus dem Urteil des Tatgerichts ergab sich nicht, dass die Leichenhalle zugleich als Friedhofskapelle, also als ein Ort gedient hatte, der i. S. von § 168 StGB a.F. zu religiosen Versammlungen bestimmt gewesen war. Auch hatten die Angeklagten ihren beschimpfenden Unfug nicht „an einem Grabe" verubt, wie dies zum Tatbestand des § 168 StGB a.F. gehort hatte. '^ Vgl. Jescheck/Weigend AT § 17 IV 2 mwN. ^^ Zur Lticke als „planwidriger Unvollstandigkeit" Canaris, Claus-Wilhelm Die Feststellung von Liicken im Gesetz, 2. Aufl. 1983, S. 39. ^^ S.o. RN20. 35 RGSt 71, 324.

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§ 2.

Prinzipien des Strafrechts

Obwohl das Reichsgericht letztlich somit keinen Straftatbestand fand, welchen die Angeklagten erftillt hatten, bestatigte es die Verurteilung der Angeklagten durch das Landgericht aus § 168 StGB a.F. Zur Begriindung fuhrte das Gericht aus, dass § 168 zwar eine Lticke enthalte, dass der Gesetzgeber aber einen Vorgang wie den dargelegten, „der nach dem Grundgedanken des § 168 StGB und nach gesundem Volksempfmden Strafe verdient, in § 168 StGB mit Strafe bedroht haben (wtirde), wenn er an diesen Fall gedacht hatte. Die unbeabsichtigte Lucke des § 168 StGB ist somit, wie es das LG getan hat, gemaii dem § 2 StGB durch entsprechende Anwendung des § 168 StGB zu schlieBen, dessen Grundgedanke auf die Tat am besten zutriffl:."^^

3. 28

Lex certa: Bestimmtheitsgebot

Adressat des Bestimmtheitsgebots ist der Gesetzgeber. Er ist gehalten, die Voraussetzungen, unter denen bestraft werden darf („ob") und die QuaHtat der Rechtsfolge „ Strafe" („wie") moglichst genau festzulegen. VerstoBt der Gesetzgeber gegen jene Verpflichtung, formuliert er also auBerhalb der Bandbreite optimaler Bestimmtheit, so ist die betreffende Straf-„B^stimmung" wegen Unbestimmtheit verfassungswidrig. Dies schlieBt es nicht aus, dass der Strafgesetzgeber ausfullungsbedurftige Begriffe benutzt, wie etwa im Allgemeinen Teil.^^ Zulassig sind aber jene Begriffe nur dann, wenn sich eine genauere Formulierung nicht verwirklichen lasst. Dabei kommt dem Gesetzgeber eine gewisse Einschatzungsprarogative zu. Letzeres ist im Zusammenhang mit der Verwendung von Generalklauseln zu beachten.^^ Die verfassungsgerichtliche Rechtsprechung geht dahin, dass die gesetzliche Formulierung umso bestimmter sein mtisse, je schwerwiegender die angedrohten Rechtsfolgen sind.^^ Im Bereich der BuBgeldtatbestande mag dies angehen. Hinsichtlich der Formulierung von Straflatbestanden konnen vom Bestimmtheitserfordernis jedoch keine Abstriche gemacht werden, well auch im Bereich weniger schwerwiegender Rechtsfolgen der Spielraum der garantierten Handlungsfreiheit infolge der Gefahr einer Stigmatisierung als Straftater ohne triftigen Grund eingeschrankt wiirde. Auch eine Weitergabe an die Judikative vermag als tJbergang von der gesetzgebenden auf die rechtsprechende Gewalt keine Losung darzustellen."**^

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Roxin^^ schlagt vor, die Einhaltung des Bestimmtheitsgebotes aus hermeneutischer Sicht zu beurteilen: hinreichende Bestimmtheit der Vorschrifl dann, „wenn und soweit sich ihr ein klarer gesetzgeberischer Schutzzweck entnehmen lasst und der Wortlaut einer beliebigen Ausdehnung der Interpretation immerhin noch Grenzen setzf. Man wird dem zustimmen, jedoch hinzufiigen miissen, dass der Gesetzgeber gehalten ist, jenen Regelungsrahmen moglichst (Rechts/^rmz/p!) eng zu halten. Im Vergleich zur Formulierung des Tatbestandes sind die Moglichkeiten, die Rechtsfolgen moglichst vorher zu bestimmen^ wesentlich eingeschrankt, weil ihre Ausgestaltung sehr stark von den Verhaltnissen des Taters abhangt. Hier liegt die Festlegung eines Rahmens in der Natur der Sache. Und selbst was die richterliche RGSt71, 325. Vg\.JakobsAi:^IA3t Naher hiQizwRoxin AT 1 § 5/68. Vgl. BVerfG 2 BvL 4/62 BVerfGE 14, 245/251; BVerfG 2 BvR 238/68 BVerfGE 26, 41/43 (zum Begriff des „groben Unfugs"); naher auch hierzui^ox//? AT 1 § 5/70. Vgl. Roxin aaO. AT 1 § 5/75.

A. Das Gesetzlichkeitsprinzip

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Straffestsetzung im Einzelfall anbelangt, bieibt trotz aller Bemtihungen um Nachvollziehbarkeit und Transparenz ein Rest von Unabwagbarkeit, der sich auch einer gerichtlichen Nachpriifbarkeit entzieht. Wenn also schon im Einzelfall bei der Strafzumessung ein MaB an Unbestimmtheit unvermeidbar ist, dann muss dies erst recht fiir die gesetzliche Bestimmtheit gelten. 4.

Lex praevia: Riickwirkungsverbot - zeitliche Geltung Giinstigkeitsprinzip

§ 2 Zeitliche Geltung. (1) Die Strafe und ihre Nebenfolgen bestimmen sich nach dem Gesetz, das zur Zeit der Tat gilt. (2) Wird die Strafdrohung wahrend der Begehung der Tat geandert, so ist das Gesetz anzuwenden, das bei Beendigung der Tat gilt. (3) Wird das Gesetz, das bei Beendigung der Tat gilt, vor der Entscheidung geandert, so ist das mildeste Gesetz anzuwenden. (4) Ein Gesetz, das nur fiir eine bestimmte Zeit gelten soil, ist auf Taten, die wahrend seiner Geltung begangen sind, auch dann anzuwenden, wenn es auBer Kraft getreten ist. Dies gilt nicht, soweit ein Gesetz etwas anderes bestimmt (5) Fiir Verfall, Einziehung und Unbrauchbarmachung gelten die Absatze 1 bis 4 entsprechend. (6) Uber MaBregeln der Besserung und Sicherung ist, wenn gesetzlich nichts anderes bestimmt ist, nach dem Gesetz zu entscheiden, das zur Zeit der Entscheidung gih.

R^

a) Riickwirkungsverbot im materiellen Strafrecht Das Riickwirkungsverbot ist in Art. 103 II GG und in § 1 StGB normiert, in § 2 StGB ist es naher ausgefuhrt. Es bedeutet, dass weder eine Tat, die zur Zeit ihrer Begehung nicht strafbar war, riickwirkend unter Strafe gestellt noch riickwirkend eine schwerere Strafart angedroht (z. B. Freiheits- anstatt Geldstrafe) noch dass die Strafdrohung riickwirkend verscharft werden darf (z.B. Erweiterung des Strafrahmen nach oben). Wegen der MaBgebUchkeit des Begehungszeitpunktes der Tat lasst sich die Einhaltung des Rtickwirkungsverbots nur feststellen, wenn man weiB, welches Gesetz zur Zeit der Tat gilt. Die zeithche Geltung des Strafgesetzes ist damit eine Vorfrage fiir Uberlegungen zum Riickwirkungsverbot. Hinsichthch der zeitlichen Geltung legt § 2 I als Grundsatz fest, dass sich die Strafe und die Nebenfolgen nach dem Gesetz bestimmen, das zur Zeit der Tat nach § 8 der Zeitpunkt, zu welchem der Tater oder der Teilnehmer gehandelt hat Oder im Falle des Unterlassens hatte handeln miissen - gilt. § 2 II prazisiert dahin, dass das bei der Beendigung"^^ der Tat geltende Gesetz anzuwenden ist, wenn sich die Strafdrohung wahrend der Begehung der Tat andert. Das Risiko fiir eine Verscharfiing der Strafdrohung wahrend der Tatbegehung tragt damit der Tater. Bei Gesetzesanderungen zwischen der Beendigung der Tat und der Entscheidung iiber die Tat ist gem. § 2 III das mildeste Gesetz anzuwenden

Vgl. hierzu § 9/9.

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§ 2.

Prinzipien des Strafrechts

{Gunstigkeitsprinzip). Milder ist das Gesetz, das nach den besonderen Umstanden des Einzelfalls die mildere Beurteilung zulasst.'*^ Eine Ausnahme hiervon gilt nach § 2 IV bei sog. Zeitgesetzen^ Gesetzen, die nur fur eine bestimmte Zeit gelten soUen. Sie sind selbst dann anwendbar, wenn sie zum Zeitpunkt der Entscheidung nicht mehr in Kraft sind.'^'* Umstritten ist, ob ein Zeitgesetz nur ein solches ist, dessen Geltung kalendermaBig begrenzt ist, Oder ob ein solches geniigt, das seinem Inhalt nach eine nur als voriibergehend gedachte Regelung fiir wechselnde Zeitverhaltnisse trefFen will."^^ Ausdriicklich gilt das Ruckwirkungsverbot gem. § 2 V auch fiir Verfall, Einziehung und Unbrauchbarmachung. § 2 VI ordnet an, dass iiber MaBregeln der Besserung und Sicherung nach dem Gesetz zu entscheiden ist, das zur Zeit der Entscheidung gilt. Ausnahmen gelten nur, wenn sie gesetzUch bestimmt sind. Nach Art. 303 und 305 des Einfiihrungsgesetzes zum Strafgesetzbuch (EGStGB) vom 2. Marz 1974^^ ist fiir die Fuhrungsaufsicht (§ 68) und das Berufsverbot (§ 70) eine Rtickwirkung ausgeschlossen, nicht hingegen fiir die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus (§ 63), in einer Entziehungsanstalt (§ 64), die Unterbringung in der Sicherungsverwahrung (§ 66) und die Entziehung der Fahrerlaubnis (§ 69). Die rtickwirkende Moglichkeit der Einfiihrung bestimmter MaBregeln wird damit gerechtfertigt, dass die Verhangung von MaBregeln auch Sicherungscharakter habe und damit der Gefahrenabwehr diene. Dieses Ziel konnte allerdings auch mit den Mitteln des Polizeirechts verfolgt werden. Als Rechtsfolge fiir eine tatbestandsmaBige und rechtswidrige Handlung soUten hingegen auch MaBregeln der Besserung und Sicherung am Gesetzlichkeitsprinzip teilhaben."^^ Eine partielle Einschrankung hat das Gesetzlichkeitsprinzip als Ruckwirkungsverbot durch die Rechtsprechung des BVerfG zur Strafbarkeit der Todesschtisse an der innerdeutschen Grenze erfahren."*^

b) Ruckwirkungsverbot im Strafverfahrensrecht? 37

Im Unterschied zum materiellen Recht wird im Verfahrensrecht eine Rtickwirkung prinzipiell fiir moglich gehalten."^^ Ordnet man auBer dem Fehlen eines Strafantrags auch den Eintritt der Verjahrung^^ als Verfahrenshindtrnis ein, wtirde das strafrechtliche Ruckwirkungsverbot folglich insoweit nicht eingreifen. Vgl. Lackner/Kuhl § 2 RN 3 f. mwN; zum Begriff des „milderen Rechts" auch BGH 1 StR 326/98 BGHSt 44, 175/176 flf. Vgl. hierzu auch Tiedemann, Klaus in Zusammenarbeit mit Dannecker, Gerhard Die gesetzliche Milderung im Steuerstrafrecht: dargestellt am Beispiel der Abzugsfahigkeit von Parteispenden, 1985, insbes. S. 30 ff. So die Rechtsprechung; vgl. zum Streitstand Lackner/Kuhl § 2 RN 8. BGBl. I S. 469. Vgl. Roxin AT 1 § 5/56 mwN. S.o. AII. Vgl. Jescheck/Weigend AT § 15 IV 4; Trondle/Fischer § 2 RN 7; einschrankend Jakohs AT 4/57 hinsichtlich der Erweiterung der Katalogtaten bei Untersuchungshaft sowie zum griechischen Recht Fitrakis, Eftichis I apagorefsi tis anadromikotitas stin piniki dikonomia (Das Ruckwirkungsverbot im Strafjprozessrecht), Athen-Komotini 1998. Naher Jescheck/Weigend AT § 15 IV 4 mit FN 48.

A. Das Gesetzlichkeitsprinzip

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Beispiel: Zu Leitfall 2/1 entschied das Bundesverfassungsgericht, dass auch Verjahrungsvorschriften nicht vom Gesetzlichkeitsprinzip erfasst werden, und zwar ungeachtet der Frage, ob es sich hierbei um Vorschriften liber das Strafverfahren handelt (Verjahrung als Verfahrenshindernis). Denn Art. 103 II GO betreffe die Strafbarkeit, Verjahmngsvorschriften hingegen die Verfolgbarkeit einer Tat. Da der Unrechtscharakter einer strafbaren Handlung durch ihre Verfolgbarkeit aber nicht beriihrt werde, konne eine Anderung der Verjahrungsvorschriften auch nicht gegen Art. 103 II GG verstoBen. Dies gehe auch aus der Entstehungsgeschichte jener Vorschrifl hervor.^^ Durch das 9. StrAG vom 4.8.1969^^ v^rde die Verjahrungsfrist fur Mord von 20 auf 30 Jahre verlangert und durch das 16. StrAG vom 16.7.1979^^ ganz aufgehoben. Die Wiedereroffnung abgelaufener Verjahrungsfristen ist hingegen unzulassig. Ob der nachtragliche Wegfall eines Strafantragserfordernisses gegen das Riickwirkungsverbot verstoBt, ist umstritten. Die h.M. erhebt keine Einwande.^"^ c)

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Riickwirkungsverbot bezilglich der Anderung hochstrichterlicher Rechtsprechung?

Da hochstrichterliche Entscheidungen der Einheitlichkeit der Rechtsprechung dienen, konnen sie zum Orientierungspunkt fur die Normadressaten werden und dadurch faktisch wie gesetzliche Regelungen wirken. Jedoch ist selbst hochstrichterliche Rechtsprechung nicht unabanderlich. Es fragt sich daher, was geschehen soil, wenn sich zwischen Tatbegehung und Aburteilung eine gefestigte hochstrichterhche Auffassung zu ungunsten des Taters andert.

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Beispiel 2/9, Promillegrenze: Durch die Entscheidung BGH NStZ 1990, 491 vom 28. 6. 1990 - 4 StR 297/90 - wurde die Grenze fur die absolute (d.h. die ohne Nachweis tiber ihr konkretes Vorliegen anzunehmende) Fahmnttichtigkeit von 1,3 %o auf 1,1 %o Blutalkoholkonzentration (BAEC) gesenkt. Wahrend ein Autofahrer bis zur Senkung dieser Promille-Grenze davon ausgehen konnte, dass ihm bei einer BAK von 1,2 %o seine Fahmnttichtigkeit fiir eine Strafbarkeit nach § 316 nachgewiesen werden musste, gehen die Gerichte seither bei diesem Wert von einer absoluten Fahrtunttichtigkeit aus. Konnte sich der Autofahrer A in einer entsprechenden Situation gegen die Annahme seiner absoluten Fahmnttichtigkeit unter Hinweis auf das Riickwirkungsverbot erfolgreich zur Wehr setzen? Eine solche Wirkung des Rtickwirkungsverbots ist nicht anerkannt.^^ Hatte sich der Normadressat allerdings auf eine bestimmte Rechtsprechung verlassen

Vgl. BVerfG 2 BvL 15/68, 2 BvL 23/68 BVerfGE 25, 286 ff; im tibrigen vermochte das Gericht auch keine Verfassungswidrigkeit des Berechnungsgesetzes aus Grtinden einer rechtsstaatswidrigen unzulassigen rtickwirkenden Enttauschung schutzwtirdigenVertrauens festzustellen, vgl. BVerfGE 25, 289 ff.. BGBl. I 1065. BGBl. I 1046. Krit. hingegen i^(9x/>7 AT 1 § 5/59 f mwN. Vgl. Neumann ZStW 103 (1991), 331 ff.; Eser in: Schonke/Schroder § 2 RN 8 f mwN; vorsichtig einschrankend ders. RN 9; a.A. Ha, Tae-Young Belastende Rechtsprechungsandemngen durch die Strafgerichte unter dem Gesichtspunkt der positiven Generalpravention, Diss. Halle (Saale) 1996; Hettinger/Engldnder Taterbelastende Rechtsprechungsandemngen im Strafrecht, in: Strafverfahrensrecht in Theorie und Praxis, FS fiir Lutz Meyer-GoBner, hrsg. von Albin Eser u.a., 2001, S. 145 ff.

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§ 2.

Prinzipien des Strafrechts

und eigens Rechtsrat eingeholt, kann ihn u.U. § 17 (Verbotsirrtum) vor Strafe bewahren.^^ IV. Losung des Leitfalls 2/1 S.o. Ill 4 b RN 37 V. Zur Wiederholung

KontroUfrasen ips.

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VL Literatur NK-Hassemer § 1 RN 13 ff.; Hettinger Die zentrale Bedeutung des Bestimmtheitsgrundsatzes (Art. 103 II GG), JuS 1986, Lernbogen L 17 If., 33 ff.; Larenz, Karl Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 6. Aufl. 1991, S. 312 ff.; Meurer Systematische Strafrechtsanwendung Gesetz und Tatbestand/Tatbestand und Rechtsfolge, JuS 1992 Lernbogen L 17, 33; Neumann Rtickwirkungsverbot bei belastenden Rechtsprechungsanderungen der Strafgerichte? ZStW 103 (1991), 331 ff.; Petersen Typische Subsumtionsfehler in strafrechtlichen Gutachten, Jura 2002, 105 ff.; Vogel, Joachim Juristische Methodik, 1998

Zur Vertiefung Arnold Neue Fragen an den Satz „nullum crimen, nulla poena sine lege", in: Groschner, Rolf/Haney, Gerhard (Hrsg.), Die Bedeutung P.J.A. Feuerbachs (1775-1833) fiir die Gegenwart, ARSP-Beiheft 87 zur IVR-Tagung 2002, S. 107 ff. (insbes. zum Rtickwirkungsverbot nach pol. Systemwechsel); Duttge Zum. typologischen Denken im Strafrecht. Ein Beitrag zur „Wiederbelebung" der juristischen Methodenlehre, Jahrbuch fiir Recht und Ethik, 2003, 103 ff.; Ebert Volkerstrafrecht und Gesetzlichkeitsprinzip, FS fiir MuUer-Dietz, S. 171 ff.; Engisch, Karl Einfiihrung in das juristische Denken, 8. Aufl. 1983 insbes. S. 63 ff; Grunwald Die Entwicklung der Rechtsprechung zum Gesetzlichkeitsprinzip, FS fiir Arthur Kaufmann, S. 433 ff.; Krahl, Matthias Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und des Bundesgerichtshofs zum Bestimmtheitsgrundsatz im Strafrecht (Art. 103 Abs. 2 GG), 1986; Krey, Volker Studien zum Gesetzesvorbehalt im Strafrecht. Eine Einfiihrung in die Problematik des Analogieverbots, 1977; ders. Keine Strafe ohne Gesetz, 1983;

^^ So Roxin AT 1 § 5/61; naher zum Verbotsirrtum unten § 13/30 ff., 124.

B. Das Schuldprinzip als materielle Ausformung des Rechtsstaatsprinzips

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B. Das Schuldprinzip als materielle Ausformung des Rechtsstaatsprinzips Leitfall 2/2 VoIIrausch-Fail: Um die Jahreswende 1996/97 feuerte in Berlin ein betrunkener Kraftfahrer K bei einer Polizeikontrolle mehrere Schtisse auf Polizeibeamte ab. Ein Polizeibeamter starb, zwei weitere wurden verletzt. Eine Blutprobe ergab eine Blutalkoholkonzentration zum Tatzeitpunkt von 3 Promille. Weil nicht auszuschlielien war, dass K schuldunfahig war, kam nur eine Verurteilung nach § 323 a in Betracht. § 323 a sieht eine Hochststrafe von 5 Jahren Freiheitsstrafe vor. Im Februar 1997 legte der Bundesrat einen auf einen Vorschlag des Landes Berlin zuriickgehenden Gesetzesentwurf zur Verscharfung des § 323 a StGB vor.^^ Der Bundesrat verfolgte diesen Entwurf auch in der folgenden Legislaturperiode weiter.^^ Der Entwurf des Bundesrates sah vor, § 323a StGB um einen Qualifikationstatbestand zu erweitern. In Fallen, in denen der Tater im Rausch eine besonders schwerwiegende Straftat begeht, sollte eine Strafe zwischen drei Monaten und zehn Jahren verhangt werden konnen. Daruber hinaus brachte die CDU/CSU-Fraktion den Entwurf eines Rauschtaten-Strafscharfungsgesetzes ein.^^ Hiernach sollte die Strafe zuktinftig dem im Rausch erfullten Straftatbestand entnommen werden, wobei jedoch eine obligatorische Strafmilderung nach § 49 vorgesehen war. Zur Begriindung fiihrten beide Gesetzesentwiirfe ubereinstimmend an, dass die absolute Strafobergrenze des § 323a StGB von fiinf Jahren Freiheitsstrafe dem Gebot des gerechten Strafens sowie dem Gedanken der positiven Generalpravention nicht gerecht wurden. So sei beispielsweise in Fallen, in denen ein drogenabhangiger Amoklaufer im Rausch mehrere Menschen lebensgefahrlich verletze oder gar tote, weder den Opfern noch der Rechtsgemeinschaft die Verhangung einer Freiheitsstrafe unter fiinf Jahren zu vermitteln.^^ Der Rechtsausschuss des Bundestages empfahl dem Bundestag die Ablehnung beider Gesetzesentwiirfe mit der Begriindung, dass diese einen Bmch mit dem Schuldprinzip darstellten,^^ da sich die Strafdrohung an der Schwere bzw. am Strafrahmen der im Zustand der Schuldunfahigkeit begangenen Rauschtat orientiere. I.

Nulla poena sine culpa - keine Strafe ohne Schuld^^

Das Schuldprinzip bildet die materielle Komponente eines der Menschenwurde, Freiheit, Gleichheit, VerhaltnismaBigkeit und dem Vorbehalt des Gesetzes verpflichteten rechtsstaatUchen Strafrechts. Es besagt, dass eine tatbestandsmaBige und rechtswidrige Handlung nur bestraft werden darf, wenn dem Tater auch ein Schuldvorwurf gemacht werden kann, wenn davon auszugehen ist, dass das strafbare Verhalten vom Tater hatte vermieden werden konnen. Denn wenn Strafe ihren legitimierenden Sinn daraus schopft, dass sie im Falle einer normverletzenden Aktion als Re-Aktion und Ver-Geltung die Geltung der Norm zum Ausdruck bringt, dann hat Strafe dort keinen Sinn mehr, wo der Normadressat gar nicht in der Lage war, den Normbefehl zu erkennen bzw. zu befolgen. Denn dieser Normadressat stellt die Geltung der Norm nicht in Frage. Auch ware er infolge seiner Unfahigkeit nicht in der Lage, sich in einer die Norm Vgl. BR-Dr. 123/97. Vgl. BR-Dr. 97/99 = BT-Dr. 14/759. Vgl. BT-Dr. 14/545. Vgl. BR-Dr. 97/99 mit Verweis auf BR-Dr. 123/97 (Beschluss); BT-Dr. 14/759. Vgl. BT-Dr. 14/9148, S. 4. Umfassend Hirsch Das Schuldprinzip und seine Funktion im Strafrecht, ZStW 106 (1994), 746 ff.

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§ 2.

Prinzipien des Strafrechts

respektierenden Weise zu verhalten. Seine Bestrafung wurde damit nicht mehr von seinem vernunftgetragenen Willen abhangen. Durch die Verhangung einer staatlichen Strafe wiirde er zum Objekt staatlichen Handelns gemacht werden, was einen VerstoB gegen die Menschenwurde bedeutet.^^ Wollte man hingegen anf die an der Menschenwurde orientierte Schuld als Voraussetzung der Strafe verzichten, dann wiirde kein prinzipieller Unterschied bestehen zwischen der Dressur eines Tieres und der Bestrafung eines Menschen. Auch wiirde nichts entgegenstehen, ein Tier anzuklagen und zu bestrafen: Strafe als Dressur und Dressur als Strafe. Es verwundert daher nicht, dass man erst mit der Respektierung der Vernunft als einer das Menschsein pragenden Gabe von der „Bestrafung" von Tieren Abstand nahm.^"*

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Neben der Menschenwlirde ist es vor allem der Gleichheitssatz^ welcher Schuld als Bedingung fiir Strafe fordert. Denn wenn Strafe ausgleichende VerGeltung sein soil, dann muss es eine quantifizierbare GroBe geben, an der sich dieser Ausgleich orientiert. Diese GroBe besteht aber wiederum in der Schuld des Taters. Straftheoretisch bildet die Schuld damit nicht nur die Grundlage^ sondern auch die Grenze, an der sich die Strafe zu orientieren hat. Dass sich der deutsche Gesetzgeber fiir ein Straf-Recht entschieden hat, in dem der Schuld jene begriindende und begrenzende Funktion zukommt, lasst sich § 46 I 1 entnehmen: „Die Schuld ist die Grundlage fiir die Zumessung der Strafe."

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Umstritten ist, ob die Schuld nicht nur die Ober-, sondern auch die Untergrenze fiir die Strafe bildet. Die Antwort hangt auch hier davon ab, wie man die Strafe begriindet: legt man - wie die Rechtsprechung - den Schwerpunkt auf den Gesichtspunkt der Tai-Vergeltung, dann ist eine Unterschreitung der schuldangemessenen Strafe nicht mogUch.^^ Je mehr man hingegen einer relativen Begriindung der Strafe zuneigt, desto eher lasst sich eine Unterschreitung der „theoretisch" schuldangemessenen Strafe mit general- oder spezialpraventiven Argumenten begriinden.^^ Gegen das Schuldprinzip verstoBt die Unterschreitung der an sich schuldangemessenen Strafe nicht. Denn das Schuldprinzip lautet „keine Strafe ohne Schuld" und nicht umgekehrt. Wahrend die Strafe von der Schuld abhangt, hangt die ;5'c/2z//(i wiederum vom rechtswidrig verwirklichten Unwert der Tat ab, sei es dem Unwert im Erfolg der Tat (Erfolgsunwert), in dem Verhalten des Taters (Handlungsunwert) oder in der Gesinnung des Taters (Gesinnungsunwert). Die Quantifizierbarkeit dieser Unwertverwirklichungen bringt es mit sich, dass auch die Schuld eine quantifizierbare GroBe ist. Zur „Objektformel" BVerfG 1 BvR 197/53 BVerfGE 9, 167/171; BVerfG 1 BvR 698/89 BVerfGE 87, 209/228; vgl. auch Pieroth, Bodo/Schlink, Bernhard, Grundrechte. Staatsrecht II, 15. Aufl. 1999, RN 359 ff. mwN. Vgl. zu Strafverfahren gegen Tiere Schild, Wolfgang Alte Gerichtsbarkeit, 2. Aufl. 1989, S. 66. Vgl. BGH 2 StR 355/80 BGHSt 29, 319/320 f; BGH GSSt 1/86 BGHSt 34, 345. So Roxin AT 1 § 3/50; vgl. auch Amelung Zur Kritik des kriminalpolitischen Strafrechtssystems von Roxin JZ 1982, 617 ff./621; Schunemann Die deutschsprachige Strafrechtswissenschaft...GA 1986, 293/300.

B. Das Schuldprinzip als materielle Ausformung des Rechtsstaatsprinzips

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Haben wir uns nun einen ersten Uberblick iiber die rechtsstaatliche Funktion des Schuldprinzips verschaflft, so ist damit freilich noch nicht geklart was Schuld „ist" Oder „sein soil" - also der Schuldbegrijf.^^

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11. MaBregeln der Besserung und Sicherung^^ Wenn der Satz „keine Strafe ohne Schuld" ausnahmslos gelten soil, darf Strafe nicht (bzw. nicht in vollem Umfang) in Fallen verhangt werden, in denen jemand eine tatbestandsmaBige und rechtswidrige Handlung im Zustand der Schuldunfahigkeit (bzw. der verminderten Schuldfahigkeit) begeht. Das Strafgesetz kniipft daher insoweit nicht an die Schuld, sondern an die Gefahr an, die von solch einem Tater ausgeht, und sieht in den §§ 61 ff. eine Reihe sog. „MaBregeln" der Besserung und Sicherung vor (als wichtigste seien die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus, § 63, oder in einer Entziehungsanstalt, § 64,^^ und die Entziehung der Fahrerlaubnis, § 69, genannt). Wahrend die in den §§ 38 ff. ihrer Art nach festgelegten Strafen einen Schuldausgleich anstreben und somit auch hinsichtlich ihrer praventiven Zwecke durch die personliche Schuld getragen und zugleich begrenzt werden, ist bei den in den §§ 61 ff. festgelegten MaBregeln die Gefdhrlichkeit entscheidend.

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Im Unterschied zur allgemeinen Gefahrenabwehr nach Polizeirecht^^ setzen die MaBregeln der Besserung und Sicherung die Begehung einer tatbestandsmaJiigen und rechtswidrigen Handlung voraus und nehmen auf sie auch Bezug.

Die Ausgestaltung von MaBregeln neben den Strafen erfolgte durch das sog. Gewohnheitsverbrechergesetz vom 24. 11. 1933'^\ ohne dass es sich dabei um ein typisches nationalsozialistisches Gesetz gehandelt hatte.^^ Die Existenz von Strafen und MaBregeln als Rechtsfolgen einer rechtswidrigen Tat nennt man die Zweispurigkeit der strafrechtlichen Sanktionen. Vom Sprachgebrauch her unglticklich ist im Jugendstrafrecht die Bezeichnung der Weisungen und Erziehungshilfen nach den §§ 9 ff. JGG als ErziQhwigsmafiregeln im Unterschied zur freiheitsentziehenden Jugendstrafe. Denn wenn auch primar als erzieherische MaBnahmen und nicht als Vergeltung schuldhaft verwirklichten Unrechts gedacht, setzen diese Rechtsfolgen doch ebenso wie die Jugendstrafe und die Strafen des Erwachsenenstrafrechts eine schuldhaft hQg2ingQiiQ Straftat voraus.^^

Naher hierzu § 7. Vgl. naher Naucke Einfuhrung, § 3. Vgl. hierzu Dessecker Hat die strafrechtliche Unterbringung in einer Entziehungsanstalt eine Zukunft? NStZ 1995, 318; Miiller-Gerbes Auf dem Prufstand des BVerfG: das Recht der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt, StV 1996, 633 ff. Standardmaiinahmen der Gefahrbeseitigung sind Sicherstellung und Beschlagnahme, Gewahrsam und Festnahme sowie Platzverweisung, vgl. Gusy, Christoph Polizeirecht, 4. Aufl. 2000. RGBl. I 995. Naher zum Gewohnheitsverbrechergesetz Jescheck/Weigend AT § 9 I, dort FN 6 mwN; LKrro/7(i/^vor§38RN9. Naher zur Natur der Exziohungsmapregeln Schaffstein, Friedhch/Beidke, Werner Jugendstrafrecht, 13. Aufl. 1998, S. 95 ff.

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§ 2.

Prinzipien des Strafrechts

III. Losung des Leitfalls 2/2 (Hinweise) Die Gesetzesentwiirfe des Bundesrates und der CDU/CSU-Fraktion sahen ubereinstimmend in der Schwere der im Zustand der Schuldunfahigkeit begangenen Rauschtat den Grund fiir die angestrebte Strafscharfung des § 323 a StGB. Nur so konne eine „gerechte Strafe" fiir die Tat erreicht werden. Der Maiistab fiir eine gerechte Strafe ergibt sich jedoch aus der vom Tater durch die konkrete Straftat verwirklichten Schuld.^"* Im Rahmen des § 323a StGB stellt die Herbeifiihrung der Schuldunfahigkeit selbst das vertatbestandlichte Unrecht dar. Strafgrund ist bereits die besondere Gefahrlichkeit des Sich-Berauschens. Aufgrund dessen kann sich der Strafrahmen des Vollrauschtatbestandes allein aus der Schuld des Taters hinsichtlich des Berauschens und den Umstanden, unter denen dies geschieht, bemessen. Die Schwere der Rauschtat, die der Tater im Zustand der Schuldunfahigkeit begeht, muss hingegen bei der Bemessung der Strafe aufier Betracht bleiben. Denn beztiglich der Rauschtat kann den Tater gerade kein Schuldvorwurf treffen. Indem beide Gesetzesentwiirfe hinsichtlich der zu verhangenden Strafe an die Schwere einer Tat ankntlpften, die im Zustand der Schuldunfahigkeit begangen wurde, stellten sie somit einen Bmch mit dem Schuldprinzip dar.^^

IV. Zur Wiederholung KontroUfragen 1. W L. V

V.

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Literatur

Hassemer Alternativen zum Schuldprinzip?, in Baumgartner/Eser (Hrsg.), Schuld und Verantwortung, 1983, S. 89 ff.; Hirsch Das Schuldprinzip und seine Funktion im Strafrecht, ZStW 106 (1994), 746 ff.; Jakohs, Gunther Das Schuldprinzip, 1993; Jescheck/Weigend AT § 4 I; Kaufmann, Arthur Das Schuldprinzip, 2. Aufl. 1976; Renzikowski Die Verscharftmg des § 323 a StGB - Preisgabe des Schuldprinzips?, ZStW 112 (2000), 475 ff.; Roxin Das Schuldprinzip im Wandel, FS fur Arthur Kaufmann, S. 519 ff.;

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Vgl. Freund, ZRP 1999, S. 497 (479). Informativ hierzu und zu weitern Reformvorschlagen auch Renzikowski Die Verscharftmg des § 323a StGB - Preisgabe des Schuldprinzips?, ZStW 112 (2000), 475 ff.

C. Weitere Ausformungen des Rechtsstaatsprinzips

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C. Weitere Ausformungen des Rechtsstaatsprinzips Neben dem Gesetzlichkeitsprinzip als formaler und dem Schuldprinzip als materieller Komponente des Rechtsstaatsprinzips seien die folgenden, das Strafrecht ebenfalls pragenden Ausformungen des Rechtsstaatsprinzips wenigstens kurz erwahnt: Nicht nur als Grundlage des SchuldbegrifFs, sondern auch als Grundlage eines humanen, der gegenseitigen Verbundenheit der Menschen und der Bereitschaft zur sozialen Verantwortung fiir den straffalligen Menschen verpflichteten Strafrechts kommt dtr Menschenwurde, Art. 1 I GG, zentrale Bedeutung zu. Sie konkretisiert sich in dem Streben nach Rtickgewinnung verurteilter Straftater flir die Gesellschaft selbst im Falle der Verurteilung zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe/^ in der Abschafiling der Todesstrafe, der Zwangskastration sowie in dem Verzicht auf entehrende Strafen^^ Die Wahrung der Handlungsfreiheit^ Art. 2 I GG, bringt eine Beschrankung der staatlichen Strafe auf notwendige Eingriflfe mit sich. Das Gleichheitsprinzip^ Art. 3 GG, verbietet die Diskriminierung entlassener Strafgefangener. Das in Konkretisierung des Verhdltnismdfiigkeitsprinzips^ Art. 20 III GG, entwickelte Ubermajiverbot beeinflusst das gesamte Strafrecht und fmdet sich in besonders sensiblen Bereichen wie etwa im MaBregelrecht (§ 62) oder im Recht der Untersuchungshaft (§ 112 1 StPO) ausdriickhch formuUert.^^

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D. Konkretisierung der Strafrechtsprinzipien durch Strafgesetz und Strafrechtsdogmatik Obwohl die unter A-C dargestellten Prinzipien als begrenzende Grundlagen die Rechtsfmdung/z//7(ia/;^^^/a/ sind, geben sie keine naheren Hinweise, wie konkrete Entscheidungsfmdung vonstatten gehen soil. Die „Aufbereitung'' Prinzipien und der auf ihnen fiiBenden Strafgesetze fiir die Rechtsfindung konkreten Fall ist die Aufgabe der (StrafrechtS')Dogmatik

fiir 56 die der im

Vgl. das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 21. 6. 1977, 1 BvL 14/76 BVerfGE 45, 187, dem der Gesetzgeber durch die Moglichkeit der Aussetzung des Strafrestes bei lebenslanger Freiheitsstrafe nach § 57 a Rechnung getragen hat. Vgl. Art. 102 GG,dazuBVerfGlBvR 93/64 BVerfGE 18, 112/116-121; BGH 4 StR 379/63 BGHSt 19, 201 sowie die §§ 1, 2 KastrG vom 15.08.1969, BGBl. I S. 1143; zur Moglichkeit der Verwirkung von Gmndrechten vgl. Art. 18 GG, zum Verlust der Amtsfahigkeit, der Wahlbarkeit und des Stimmrechts als strafrechtliche Nebenfolge vgl. § 45 StGB. Vgl. zu § 62 BVerfG 1 BvR 513/65 BVerfGE 19, 343.

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I. 57

§ 2.

Prinzipien des Strafrechts

Was ist Dogmatik?

Studienanfanger versetzt der Begriff „Dogmatik" nur selten in helle Begeisterung. Vielleicht liegt der Grund darin, dass nicht wenige mit diesem Begriff die Vorstellung von unantastbaren Glaubenssatzen verbinden. Im Unterschied zu den Glaubensdogmen der katholischen Kirche handelt es sich bei den rechtlichen Dogmen'^^ um Lehrmeinungen, Lehr-Satze, die mit unterschiedlichem Erfolg um Anerkennung ringen, die kommen, bleiben und gehen. Strafrechtsdogmatik ist die wissenschaftliche „Disziplin, die sich mit der Auslegung, Systematisierung und Fortbildung der gesetzlichen Anordnungen und wissenschaftlichen Lehrmeinungen im Bereich des Strafrechts befasst".^^ Dogmatik ist damit vor allem eine Hilfsdisziplin der Auslegung, indem sie anerkannte Obersatze analysiert und ihnen erforderlichenfalls so lange weitere hinzujfligt, bis der Untersatz gebildet oder ausgeschlossen werdenkann.^^ Beispiel 2/10: Im benihmten Blutspenderfalf^ etwa lautet die Frage, ob einem zufallig anwesenden Dritten mit Gewalt Spenderblut abgezapft werden darf, um dadurch das Leben eines schwerverletzten Unfallopfers zu retten. Der Wortlaut des § 34 gibt hier als Obersatz die Auskunft, dass der lebensrettende Eingriff vorgenommen werden darf, wenn das Interesse an der Lebenserhaltung des Unfallopfers das Interesse an der korperlichen Unantastbarkeit des potentiellen Blutspenders wesentlich tiberwiegt und die gewaltsame Blutentnahme ein angemessenes Mittel ist. Dass zumindest jene Angemessenheit fehlt, ergibt sich aus der ganz tiberwiegend anerkannten Lehrmeinung, wonach in die korperliche Unantastbarkeit vor dem Hintergrund des Grundrechts auf korperliche Unversehrtheit aus Art. 2 II 1 GO auch im Falle eines abstrakten Uberwiegens des zu rettenden Interesses jedenfalls dann nicht eingegriffen werden darf, wenn der Betroffene keinerlei Anlass zur Notstandslage - etwa als UrJallverursacher - gegeben hat.^^

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Grundlage und Grenze der Strafrechtsdogmatik ist das Strafgesetz. Ihre Methode besteht darin, den Rechtsstoff in einem System zu ordnen, in welchem neben dem gesetzten Recht auch Gerichtsentscheidungen und Lehrmeinungen einen Standort fmden. Als Mittel zur Entscheidungsfmdung bedient sie sich formal insbesondere anerkannter Schlussverfahren^^"^ etwa des - argumentum a fortiori (erst-recht-Schluss), bestehend aus dem argumentum a maiore ad minus (Schlussfolgerung vom GroBeren zum Kleineren) und dem argumentum a minore admaius (Schlussfolgerung vom Kleineren zum GroBeren) Von griechisch TO dojyia = to dogma = die Lehrmeinung. Roxin AT 1 § 7/1; vgl. auch Otto GK AT § 2/62 ff.; zur Dogmatik als „Exportartikel" der deutschen Strafrechtswissenschaft Roxin in Eser u.a., Die deutsche Strafrechtswissenschaft vor der Jahrtausendwende, 2000, S. 370 ff. Zur juristischen Methodenlehre, insbesondere der Lehre vom Rechtssatz oben RN 12 ff. Naher unten § 6/143 ff. Vgl. Roxin Der durch Menschen ausgeloste Defensivnotstand, FS flir Jescheck, S. 456 ff./471. Anschaulich und mit weiteren Beispielen hierzu Koch, Hans-Joachim/Rufimann, Helmut Juristische Begnindungslehre, 1982, § 23 2; vgl. zur Juristischen Argumentationslehre auch Tiedemann Anfangeriibung, S. 86 ff.

D. Konkretisierung der Strafrechtsprinzipien

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Beispiel 2/11 fur ein argumentum a maiore ad minus: Weil man einem anderen zu dessen Suizid vorsatzlich Hilfe leisten darf, ohne sich strafbar zu machen (der Suizid ist keine tatbestandsmaBige Haupttat im Sinne der Teilnahmevorschriften §§ 26, 27), ist auch die fahrlassige Verursachung eines Suizids nicht strafbar, so BGH 5 StR 56/72 BGHSt 24, 342.

- argumentum a simili oder apart (Analogieschluss) - argumentum e contrario (Umkehrschluss) Materiell wirkt Dogmatik als Argumentationstechnik auf der Grundlage der geschiitzten Werte. Sie liefert so Begriindungen fiir fachgerechte, plausible, d.h. der Zustimmung fahige, einleuchtende, vertretbare Sachentscheidungen. Als juristische Facharbeit kann eine noch so ausgefeilte Dogmatik die rechtsphilosophische Grundlage fiir die Richtigkeit der Entscheidung freilich nicht ersetzen.^^ Der zentrale Wirkungsbereich der Strafrechtsdogmatik ist die Lehre von der Straftat^ die allgemeine Verbrechenslehre.

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II. Strafrechtsdogmatik und Straftatsystem Jedoch begniigt sich die Verbrechenslehre nicht damit, Lehrmeinungen zum VerbrechensbegrifF zu formulieren und beziehungslos nebeneinander zu stellen. Vielmehr strebt sie ein Strafrechts-, genauer: ein "^im^^itsystem an, ein Lehrg^bdude^ in dem alle zu Hause sind oder sich doch zurechtfmden konnen.^^ Wahlt man die Sprache weniger bildhaft und bevorzugt man eine abstrakte Ausdrucksweise, dann kann man anstatt von einem „Gebaude'' mit Kant von einem System des Strafrechts, d.h. der Einheit der mannigfaltigen Erkenntnisse unter einer Idee sprechen.^^

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III. Grundelemente des Straftatsystems Ohne den Ausfiihrungen in den § § 3 und 4 vorgreifen zu wollen, seien die im wesentlichen unumstrittenen Grundelemente jenes Straftatsystems im Uberblick dargestellt. Danach setzt sich das Verbrechen seiner Idee nach zusammen aus: 1. einer Handlung^ gedacht als - Tun oder Unterlassen - in der Aufienwelt erkennbar (im Unterschied zu rein inneren Gedanken und Gesinnungen) - beherrschbar bzv^. willensgetragen (im Unterschied zu den instinktiven Reaktionen von Tieren oder der rein rechtlichen Teilnahme von juristischen Personen [Gebietskorperschaften, Aktiengesellschaften u.a.] am Rechtsverkehr) Vgl. Naucke Rechtsphilosophische Grundbegriffe, RN 5 ff.; Rath, Jurgen Das Verhahnis des Wertes und des Sollens zum Sein, 2004, S. 104 f. Vgl. Jescheck/Weigend AT § 6 I 1. Vgl. Kant, Immanuel Kritik der reinen Vernunft, Werke, in: Preuiiische Akademie der Wissenschaften (Hrsg.), Kants gesammelte Schriften, 1912-1941, Erste Abteilung: Werke Bd. Ill, S. 538Zeilen28f.

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§ 2.

Prinzipien des Strafrechts

Fiir das Strafrecht ist eine solche Handlung aber nur im Fall ihrer 2. Tatbestandsmdfiigkeit von Bedeutung. Sie ist gegeben, wenn das konkrete vorsatzliche oder fahrldssige Verhalten einem abstrakt in den Deliktstatbestanden des Besonderen Teils oder des Nebenstrafrechts beschriebenen Verhalten entspricht. Damit ist ein strafrechtserheblicher Unwert verwirklicht. Weiterhin muss die 3. Rechtswidrigkeit dieser Handlung gegeben sein. Dies ist der Fall, wenn keine Rechtfertigungsgriinde vorHegen. Sind die Punkte 1-3 zu bejahen, ist strafrechtHches Unrecht verwirkhcht. Um strafbar zu sein, muss schHeBlich die 4. Schuldhaftigkeit der Handlung feststehen. Sie wird angenommen, wenn der later zur Zeit der Tat - (zumindest potenziell) mit Unrechtsbewusstsein, - in der Schuldform von Vorsatz oder Fahrldssigkeit gehandelt hat, - schuldfdhig war und - keine Entschuldigungsgrtinde gegeben waren. Um die Ordnung des Systems in den Nummern 1-4 nicht zu storen, wird scWieBHch eine Nummer 5. Sonstiges angelegt, in der alle diejenigen Gesichtspunkte abgelegt werden, die tiber die Strafbarkeit bestimmen, ohne dass man sie bisher den Punkten 1-4 hatte zuordnen konnen: - objektive Bedingungen der Strafbarkeit, z.B. die Nicht-ErweisUchkeit der behaupteten ehrenrtihrigen Tatsache bei der iiblen Nachrede (§ 186). Fehlen sie, kann trotz der rechtswidrigen und schuldhaften Begehung der Tat keine Strafe verhangt werden. - personliche oder objektive Strafausschliefiungsgrtinde^ z.B. dass es die Schwangere ist, die den Versuch begeht als Grund flir die StrafFreiheit des versuchten Schwangerschaftsabbruchs (§218 IV). Sind sie gegeben, kann der Tater nicht bestraft werden. IV. Losung des Leitfalls So. B III.

D. Konkretisierung der Strafrechtsprinzipien

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V. Zur Wiederholung J ^ fk t i f *T» 1IIV a CT A n

1. > 2. V

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VL Literatur Eser, Albin u.a. (Hrsg.) Die deutsche Strafrechtswissenschaft vor der Jahrtausendwende, 2000; Hirsch, Hans Joachim (Hrsg.) Krise des Strafrechts und der Kriminalwissenschaften?, 2001; Kilhne, Hans-Heiner/Miyazawa, Koichi (Hrsg.) Afte Strafrechtsstrukturen und neue gesellschaftliche Herausfordemngen in Japan und Deutschland, 2000; Naucke, Wolfgang Rechtsphilosophische Grundbegriffe, 4. Aufl. 2000; Roxin Die Strafrechtswissenschaft vor den Aufgaben der Zukunft, in: Eser, Albin u.a. (Hrsg.) Die deutsche Strafrechtswissenschaft vor der Jahrtausendwende, 2000, S. 369 ff.

§ 3. Die Straftat im System des Strafrechts

§ 1 sollte zeigen, wie Strafrecht in der Gesellschaft in Erscheinung tritt und wie von ihm Kenntnis genommen wird. § 2 hat uns mit den wichtigsten Prinzipien vertraut gemacht, denen das Strafrecht in einem freiheitUchen Rechtsstaat folgt. Damit sind die Betrachtungen zum Strafrecht abgeschlossen und unser BHck wendet sich dem Hauptgegenstand der weiteren Uberlegungen zu: der Straftat. Leitfall 3 Heimtucke-Fsill BGHSt 30, 105 - GSSt 1/81 vom 19. Mai 1981: „Im Januar 1978 drang Sahap S. in die Wohnung des Angeklagten, seines Neffen, ein und notigte dessen Ehefrau mit vorgehaltener Pistole zum auBerehelichen Beischlaf. Aufgrund dieser Vergevvaltigimg loste sich die Ehefrau des Angeklagten innerlich von ihm, well es sein Onkel war, der sich an ihr vergangen hatte. Sie versuchte, die Scheidung ihrer bis dahin harmonischen Ehe zu erreichen. Erst im Oktober 1978 offenbarte sie dem Angeklagten, was geschehen war. Der Angeklagte, wie sein Onkel ttirkischer Staatsangehoriger, war fassungslos, weinte vor Verzweiflung und sagte seiner Frau, er werde Rache nehmen. Er stellte seinen Onkel in der Folgezeit jedoch nicht zur Rede. Wegen der ihr angetanen Schmach unternahm die Frau des Angeklagten drei Selbstmordversuche, den letzten Ende Febmar 1979. Am Vormittag des 3. Marz 1979 trafen Sahap S. und der Angeklagte zufallig auf der Straiie zusammen. Der Angeklagte forderte die Rtickzahlung eines Restdarlehens. Sahap S. soil sich daraufhin mit der von ihm begangenen Vergewaltigung gebriistet und geauiiert haben, er werde auch den Angeklagten „v6geln" und ihn toten. Der Angeklagte soUe verschwinden. Es kann sein, dass Sahap S. dem Angeklagten eine in Papier gewickelte Pistole oder einen wie eine Pistole wirkenden anderen Gegenstand vor das Gesicht hielt und dabei sagte, der Angeklagte solle nach Hause gehen, er habe „noch zwei Wochen, zwei Tage oder zwei Stunden". Daheim uberdachte der Angeklagte die Situation. Er vergegenwartigte sich, dass Sahap S. eine Belastung fiir ihn und seine Ehe darstellte und dass der Onkel seine Ehre und die Ehre seiner Frau groblichst verletzt hatte. Der Angeklagte fasste den Entschluss, Sahap S. zu toten. Er steckte eine Selbstladepistole ein und eroffnete seiner Frau „Heute ist sein letzter Tag, ich werde ihn umbringen, wenn ich ihn treffe." Dann ging er zu einem Lokal, in dem er seinen Onkel vermutete und tatsachlich antraf. Sahap S. spielte mit drei tiirkischen Landsleuten Karten. Der Angeklagte griilite zu ihm hin und stellte sich an die Theke. Er nahm wahr, dass sein Onkel seine ungeteilte Aufmerksamkeit dem Kartenspiel widmete, und war sich bewusst, dass Sahap S. „keinerlei AngrifP' von ihm erwartete. Das war dem Angeklagten „durchaus recht". Er zog die Pistole und feuerte 14 bis 16 Schuss auf seinen Onkel ab, der todlich getroffen wurde. Das Schwurgericht hat den Angeklagten wegen Mordes zu lebenslanger Freiheitsstrafe vemrteilt. Es hat angenommen, dass er Sahap S. heimtilckisch totete, dass er eine Tat begangen hat, die nach § 211 II 2. Fallgmppe, 1. Modalitat mit lebenslanger Freiheitsstrafe bedroht ist." Die Feststeliung des Schwurgerichts, dass eine Straftat voriiegt, beruht auf zwei Aspekten: einem formalen (A) und einem materiellen (B).

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§ 3.

Die Straftat im System des Strafrechts

A. Formale Definition der Straftat als tatbestandsmafiige, mit Strafe bedrohte Handlung Formal besehen ist eine Straftat eine Handlung, welche einen Fall eines gesetzlich festgelegten Tatbestandes darstellt, dessen Rechtsfolge in einer Strafe besteht.^ Ob eine Handlung eine Straftat darstellt, hangt ft)lglich davon ab, ob es einen entsprechenden gesetzlichen Tatbestand gibt. Freilich verstofit der Tater bei naherer Betrachtung nicht gegen die gesetzlichen '&\x?£tatbestande. Vielmehr erfullt er sie - indem er sich entsprechendyQxhdlX, z.B. einen anderen Menschen totet - und verstolit damit gegen die Norm „Du sollst nicht toten", auf welche die strafbewehrte Verhaltensbeschreibung - hier: § 212 - aufbaut.^

Ein einschlagiger Tatbestand existiert aber wiederum nur dann, wenn eine Rechtsquelle des Strafrechts Falle dieser Art in den Bereich des Straft)aren einbezogen hat. I.

Die TatbestandsmaBigkeit der Handlung - Rechtsquellen des Strafrechts

1.

Strafgesetze

a) Das StGB von 1871 aa) Entstehungsgeschichte Den geistesgeschichtlichen Hintergrund unseres heutigen Strafgesetzbuches und der in ihm enthaltenen Straftatbestande bildet die Rezeption des oberitalienischen Strafrechts, welche in der Peinlichen Halsgerichtsordnung Kaiser Karls V. von 1532, der Constitutio Criminalis Carolina, ihren Abschluss und Hohepunkt fand. Ihre Vorlaufer sind die Wormser Reformation von 1498 und die Bambergische Halsgerichtsordnung von 1507 (Constitutio CriminaUs Bambergensis). Der Bambergische Hofrichter Freiherr Johann von Schwarzenberg und Hohenlandsberg war Urheber jenes Gesetzeswerkes, dessen Gedankengut zum Teil wortlich in die Constititio Criminalis Carolina tibernommen und dadurch flir das ganze Reich verbindlich wnrde. Aufgrund einer salvatorischen Klausel in der Carolina hatten die Gesetzgeber in den Territorialstaaten und in den Stadten die Moglichkeit, Strafrecht und Strafprozessrecht auch in partikularen Gesetzen festzuschreiben. Als partikulare Strafgesetzbiicher sind hier insbesondere das durch aufgeklarten Absolutismus, Spezialpravention und Perfektionismus gekennzeichnete Allge-

Vgl. T^oxm AT 1 § 1/1. Zum Verhaltnis von Tatbestand und Norm Binding, Karl Die Normen und ihre Ubertretung, 2. Aufl. 1890, Bd. 1 S. 3-7, 44 f, 58; vgl. auch Frisch, Wolfgang TatbestandsmaBiges Verhalten und Zurechnung des Erfolgs, 1988, S. 90 f: Freund, Georg Erfolgsdelikt und Unterlassen, 1990, S. 138 f.

A. Formale Definition der Straftat

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meine Landrecht Friedrichs des Grofienfur die Preufiischen Staaten von 1794^, das von Feuerbach und dessen Lehre vom psychologischen Zwang (Generalpravention!) gepragte bayerische StGB von 1813"^ sowie d?is preupische StGB von 1851^ zu nennen. Das durch den franzosischen Code Penal von 1810 beeinflusste und auf Generalpravention und Tatvergeltung aufbauende preuBische StGB von 1851, welches bereits im Hinblick auf ein allgemeines deutsches Strafgesetzbuch konzipiert worden war, kann als der unmittelbare Vorlaufer des StGB von 1871 angesehen werden. Dies zeigt auch die nahere Entstehungsgeschichte des StGB von 1871. Erste Ansatze zu einem allgemeinen deutschen Strafgesetzbuch zeichneten sich nach dem Sieg Tiber Napoleon in der Volkerschlacht bei Leipzig 1813 und mit der Grtindung des Deutschen Bundes nach dem Wiener Kongress von 1815 ab. Allerdings waren die Versuche, zu einem Bundesstrafrecht zu kommen, wahrend der Existenz des Deutschen Bundes nicht erfolgreich. Erst wahrend des Norddeutschen Bundes von 1866 bis 1870 als Ergebnis des Krieges zwischen Preulien und Osterreich trat die Begnindung eines Bundesstrafrechts in eine konkrete Phase. 1868 beschloss der 1867 gewahlte Reichstag, dass Entwiirfe zu einem StGB, einer StPO und einem Gerichtsverfassungsgesetz erstellt werden sollten. Nach mehreren Anlaufen wurde im Februar 1870 dem Reichstag der Entwurf eines Strafgesetzbuchs fur den Norddeutschen Bund vorgelegt, welcher im Mai 1870 beschlossen wurde. Am 31.5.1870 wurde das StGB fur den Norddeutschen Bund verktindet, sein Inkrafttreten auf den 1. Januar 1871 festgelegt. Wegen der Reichsgriindung am 18. Januar 1871 infolge des deutsch-franzosischen Krieges 1870/71 erfolgte die Verktindung dieses Strafgesetzbuches dann am 15. Mai 1871 als „Strafgesetzbuch fiir das Deutsche Reich".

bb) Reform des Strafgesetzbuchs Alsbald nach Inkrafttreten des Strafgesetzbuchs von 1871 ergab sich dessen Reformbediirftigkeit. So enthielt das sehr liberal geratene StGB z.B. keinen Wuchertatbestand, well man von einer entsprechenden Schutzbedtirftigkeit nicht ausgegangen war. Die Uberlegungen zu einer Uberarbeitung des Strafgesetzbuchs begannen mit einer umfassenden wissenschaftlichen vergleichenden Darstellung des deutschen und auslandischen Strafrechts, Allgemeiner/Besonderer Teil (VDA/VDB) die in den Jahren 1906 bis 1909 veroflfenthcht wurde.^ Es folgten bedeutsame Entwiirfe, auf die hier aber nicht naher eingegangen werden kann.^ Der Erwahnung bedarf jedoch die Einsetzung einer GroBen Strafrechtskommission durch das Bundesministerium der Justiz, welche von 1954 bis 1959 arbeitete und mit hervorragenden Wissenschaftlern und Praktikern besetzt war.^ Das

Naher hierzu Eb. Schmidt Einfuhrung § 241. Naher £^Z?. ^Sc/zz/^/W/Einfuhrung § 248. Naher £•/?. Schmidt mwmhmrvg §§ 276 ff., insbes. § 280. Birkmeyer, Karl v. u.a. (Hrsg.) Vergleichende Darstellung des Deutschen und Auslandischen Strafrechts. Vorarbeiten zur deutschen Strafrechtsreform, AUgemeiner Teil, BesondererTeil, 1906-1909. Informativ hierzu Baumann/Weber/Mitsch AT § 6 II; Jescheck/Weigend AT § 11; Maurach/Zipf AT 1 § 4/26 ff. Vgl. Niederschriflen liber die Sitzungen der GroBen Strafrechtskommission Bd. 1-14 19561960; Materialien zur Strafrechtsreform, Bd. 1, Gutachten der Strafrechtslehrer, 1954, Bd. 2 I Rechtsvergleichende Arbeiten zum AT 1954.

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§ 3.

Die Straftat im System des Strafrechts

Ergebnis ihrer Beratungen war der Entwurf eines Strafgesetzbuches von 1962 (E 62). Die Kritik an jenem Entwurf ging vor alien Dingen dahin, dass er zu restaurativ sei.^ Deshalb trat eine Gruppe von Hochschullehrern zusammen, die dem E 62 im Jahre 1966 als Alternatiworschlag zunachst einen Allgemeinen Teil gegeniiberstellte/^ Die aus jenem Kreis hervorgegangenen zahlreichen, bis heute in unregelmaBigen Abstanden vorgelegten „Alternativentwurfe" zum Strafgesetzbuch haben die Reformarbeiten maBgebUch und sehr konstruktiv beeinflusst.^^ 5

Von den vielfaltigen Veranderungen des Strafgesetzbuchs seien in aller Klirze folgende Entwicklungsschritte hervorgehoben: Entwicklungsschritte mit besonderen Beztigen zum Allgemeinen Teil: Erstes Gesetz zur Reform des Strafrechts (Strafrechtsreformgesetz, StrRG) vom 25.6.1969 (BGBl I 645) in Kraft seit 1.9.1969 bzw. 1.4.1970: insbesondere Abschafiung der Unterscheidung zwischen Zuchthaus und Gefangnis und Einfuhrung einer einheitlichen Freiheitsstrafe; Einschrankung der kurzen Freiheitsstrafen; Entkriminalisierung des Ehebruchs sowie der einfachen Homosexualitat; Einfuhrung einer Regelbeispielstechnik beim Diebstahl (§ 243); - Zweites StrRG vom 4.7.1969 (BGBl I 717) in Kraft seit 1.1.1975: im Rahmen der Neufassung des Allgemeinen Teils insbesondere Festschreibung des Verbotsirrtums (§ 17); des rechtfertigenden (§ 34) und des entschuldigenden Notstands (§ 35); Einfiihrung eines Tagessatzsystems bei Geldstrafen. Weitere Entwicklungsschritte: Drittes StrRG vom 20.5.1970 in Kraft seit 21.5.1970 (BGBl I 505): Regelung des Demonstrationsstrafrechts; Viertes StrRG vom 23.11.1973 in Kraft seit 24.11.1973 (BGBl I 1725): Neuordnung des Sexualstrafrechts, Ubergang vom Schutz der Sittlichkeit zum Schutz der sexuellen Selbstbestimmung als Gegenstand der Sexualstraftaten; EGStGB vom 15.8.1974, in Kraft seit 1.1.1975 (BGBl I 1942): Anpassung des Besonderen Teils an den neuen Allgemeinen Teil; punktuelle Anderungen im Besonderen Teil; Abschaffimg der (jbertretungen; Fmftes StrRG vom 18.6.1974, in Kraft seit 19.6.1974 (BGBl I 1297): Neuregelung des Schwangerschaftsabbmchs (Indikationsmodell); Erstes Gesetz zur Bekampfiing der Wirtschaftkriminalitat {Erstes WiKG) vom 29.7.1976, in Kraft seit 1.8.1976 (BGBl I 2034): Reform der Wirtschaftsstraftaten, insbesondere Einftihrung der Tatbestande Subventionsbetrug (§ 264), Kreditbetrug (§ 265 b), Bankrott (§ 283), Glaubigerbegtinstigung (§ 283 c), Schuldnerbegtinstigung (§ 283 d), Neufassung des Wuchertatbestandes (§ 302 a); Zweites WiKG vom 15.5.1986 1986, in Kraft seit 1.8.1986 (BGBl I 721): Einftihrung des Scheck-, Computer- und Kapitalanlagebetrugs (§§ 152 a, 266 b, 263 a, 264 a); Vgl. Eser in: Schonke/Schroder Einfiihrung RN 3. Baumann u.a. (Hrsg.) Alternativ-Entwurf zum StGB, Allgemeiner Teil, 1. Aufl. 1966. Vgl. u.a. AE-Gesetz gegen Ladendiebstahl, 1974; AE-Gesetz zur Regelung der Betriebsjustiz, 1975; AE BT Straftaten gegen die Wirtschaft, 1977; AE-Sterbehilfe {Baumann u.a. Alternativentwurf eines Gesetzes tiber Sterbehilfe), 1986.

A. Formale Definition der Straftat

Gesetz zur Bekdmpfung des illegalen Rauschgifthandels und anderer Erscheinungsformen der Organisierten Kriminalitdt (OrgKG) vom 15.7.1992, in Kraft seit 15.9.1992 (BGBl I 1301): Einfiihmng sog. „Besonderer ErmittlungsmaJinahmen" wie Rasterfahndung, Lauschangriff, Einsatz Verdeckter Ermittler, Ausschreibung zur polizeilichen Beobachtung, §§ 98 a, 100 c, 110 a, 163 e StPO; Einfuhrung eines Geldwaschetatbestandes, Einfiiihrung des erweiterten Verfalls sowie einer Vermogensstrafe, §§ 261, 73 d, 43 a StGB; Gesetz zur Anderung des Strafgesetzbuches, der Stra^rozessordnung und anderer Gesetze {Verbrechensbekampfungsgesetz) vom 28.10.1994, in Kraft seit 1.12.1994 (BGBl I 3186): Weiterfuhrung des OrgKG vom 15.7.1992, Einfuhrung der sog. „verdaclitslosen Rasterfahndung"; Sechstes StrRG vom 26.1.1998, in Kraft seit 1.4.1998 (BGBl. I 164): Harmonisierung (i.w. im Sinne einer Verscharfung) der Strafrahmen der Delikte gegen die Person und der Vermogensdelikte, Einfuhrung der Drittzueigriung{s2&)si(:]i\) in die Zueignungsdelikte, Modernisierung der Brandstiftungstatbestdnde,^^ Gesetz zur Einfuhrung des Volkerstrafgesetzbuches vom 26.6.2002, in Kraft seit 30.6.2002 (BGBl. I 2254): Statuierung Allgemeiner Regeln (u.a. Handeln auf Befehl, Verantwortlichkeit militarischer Befehlshaber) und Straftaten gegen das Volkerrecht (insbesondere Volkermord und Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Kriegsverbrechen) im Hinblick auf die Errichtung des Internationalen Strafgerichtshofs; Gesetz zur Anderung der Vorschriften uber die Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung und zur Anderung anderer Vorschriften vom 27.12.2003, in Kraft seit 1.4.2004 (BGBl. 1, 3007): Verscharfung der Straftatbestande zum Schutz von Kindern und Jugendlichen, Neuordnung der Pornographietatbestande. b)

Das Jugendgerichtsgesetz (JGG) von 1953^^

Der personliche Anwendungsbereich des JGG betrifft Jugendliche, d.h. Personen von der Vollendung des 14. bis zur VoUendung des 18. Lebensjahres und Heranwachsende, d.h. Personen von der Vollendung des 18. bis zur Vollendung des 21. Lebensjahres (§ 1 JGG). Sachlich ist das JGG auf alle Handlungen anwendbar, die nach allgemeinen Vorschriften mit Strafe bedroht sind. Das Jugendstrafrecht bestimmt, mit welchen Modifikationen Straftaten junger Menschen verfolgt und geahndet werden dtirfen. Dementsprechend sieht das Jugendgerichtsgesetz Sonderregelungen zum Strafverfahren und spezifische Rechtsfolgen^"^ vor. c)

6

7

Nebenstrafrecht

In staatlichen Gesetzen beschriebene und mit Strafe bedrohte Verhaltensweisen fmden sich nicht nur im StGB, sondern in zahlreichen weiteren Einzelgesetzen. Dazu informativ Schroeder Das neue Bild des Strafgesetzbuchs, in: Hoyer, Andreas (Hrsg.) Friedrich-Christian Schroeder. Beitrage zur Gesetzgebungslehre und zur Strafrechtsdogmatik, 2001, S. 27 ff. Jugendgerichtsgesetz vom 4.8.1953, BGBl I, S. 751, in der Fassung der Neubekanntmachung vom 1.1.1975, BGBl I S. 3427. Vgl. dazu § 15/26.

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82

9

§ 3.

Die Straftat im System des Strafrechts

Man spricht insoweit von Nebenstrafrecht. Es entstelit dadurch, dass gesetzliclie Regelungen iiber spezielle Lebensbereiche mit flankierenden Straftatbestanden ausgestattet sind. So enthalt z.B. das Gesetz liber den Verkehr mit Betaubungsmitteln (Betaubungsmittelgesetz - BtMG)^^ im seclisten Absclmitt (§§ 2934) Vorschriften, welche bestimmte Zuwiderliandlungen gegen das Betaubungsmittelgesetz mit Strafe oder - soweit es sicli um Ordnungswidrigkeiten^^ handeit - BuBgeld bedrohen. Aufgrund dieser Methode bleibt das StGB als „Kernstrafrecht'' iibersichtlictier. Die Qualitat als strafbares Verhalten ist im Nebenstrafrecht wie im Kernstrafrecht jedoch dieselbe. Die wichtigsten Straf- und BuBgeldtatbestande auBerhalb des StGB sind in einer Lose-Blatt-Sammlung in kommentierter Form zusammengestellt/^ Allein der Umfang jener Sammlung zeigt, dass sich die Rechtswirklichkeit von der Idealvorstellung eines Feuerbach inzv^ischen weit entfernt hat, wonach sich der Rechtsunterworfene durch die Kenntnis der Strafbarkeit einer Handlung von ihrer Begehung abhalten lasse (Lehre vom psychologischen Zwang). Diese Entwicklung ist deshalb nicht unproblematisch, weil als Voraussetzung der Strafbarkeit verlangt wird, dass der Tater mit Unrechtsbewusstsein gehandelt hat/^ Eine Bestrafung ist in diesen Fallen nur moglich, wenn man an die Intensitat des Unrechtsbewusstseins keine allzu hohen Anforderungen stellt. Uberlegungen zu Leitfall 3: Die Totung des Onkels erfullt den in staatlichen Gesetzen hier: § 211 - beschriebenen und mit Strafe bedrohten Tatbestand des „Mordes" u.a. dann, wenn der Angeklagte heimttickisch gehandelt hat. Nach h.M. liegt Heimtiicke vor, wenn der Tater die Arg- mid Wehrlosigkeit des Opfers bewusst ausnutzt. Arglosigkeit ist gegeben, wenn das Opfer sich keines Angriffs bewusst ist. Da der Onkel mit einem Angriff des Taters nicht rechnete, war er arglos. Aufgrund dieser Arglosigkeit hatte er auch keine MaBnahmen zur Abwehr eines Angriffs getroffen, war folglich wehrlos. Mit der h.M. mtisste man deshalb davon ausgehen, dass die Totung des Onkels heimttickisch erfolgte. Den Tater mtisste daher die Rechtsfolge „lebenslange Freiheitsstrafe" treffen.

2. 10

Verfassungsrecht als maB- und grenzsetzende Rechtsquelle des Strafrechts

Wie jedes einfachgesetzHche Recht unterliegt auch das Strafrecht den maB- und grenzsetzenden Wertungen des Verfassungsrechts.^^ Dies bedeutet z.B., dass das Strafrecht zum Schutz religioser Bekenntnisse, Empfindungen und Ansichten erst dann eingesetzt werden darf, wenn das strafbare Verhalten zur Storung auch des

Artikel 1 des Gesetzes zur Neuordnung des Betaubungsmittelrechts vom 28. Juli 1981 BGBl IS. 681,berichtigtS. 1187. Ordnungswidrigkeiten sind RechtsverstoBe ohne kriminellen Gehalt, die mit GeldbuJie geahndet werden konnen, vgl. § 1 OWiG. Bei den meisten VerkehrsverstoBen handeit es sich um Ordnungswidrigkeiten. Erbs, Georg/Kohlhaas, Max Strafrechtliche Nebengesetze, Bd. 1-4, bearbeitet von Fritz Ambsu. a., Loseblattausgabe, 5. Aufl., Stand: 135. Erg.-Lieferung 1999. 18 Naherhierzu§ 13/41 ff. ^^ Umfassend hierzu Lagodny, Otto Strafrecht vor den Schranken der Grundrechte, 1996.

A. Formale Definition der Straitat

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offentlichen Friedens geeignet ist.^^ Weil es somit Aufgabe des Strafrechts ist, den gesellschaftlichen, nicht jedoch den gottlichen Frieden herzustellen, ware z.B. die Strafbarkeit der Gotteslasterung im sakularen Strafrecht ein Fremdkorper. Neben der Entscheidung fur einen sakularen Staat ist es die Rechtsstaatlichkeit als Verfassungsprinzip, welche eine maBsetzende Wert- und Rahmenordnung flir das Strafrecht bildet. Aus dem Bereich der forme lien Rechtsstaatlichkeit sind fiir das Strafrecht die Organisation der Rechtsprechung (Art. 92 ff. GG) sowie die Rechtsanwendungsregeln in den Artikeln 103 ff von Bedeutung. Das tragende Element der materiellen Rechtsstaatlichkeit bildet die Wahrung der an der Menschenwiirde (Art. 1 GG) orientierten Grundrechte, insbesondere der allgemeinen Handlungsfreiheit (Art. 2 I GG) und Gleichheit (Art. 3 GG). Als weitere Saule des in Art. 20 GG niedergelegten Rechtsstaatsprinzips ist schlieBlich die Verhdltnismafiigkeit zu nennen. Die Orientierung des Strafrechts an Menschenwiirde, Freiheit, Gleichheit und VerhaltnismaBigkeit hat neben der Abschafiung der Todesstrafe (Art. 102 GG) vor allem das Verbot der korperlichen Misshandlung, die Ausrichtung der Strafe an der Hohe der Schuld (Schuldprinzip) sowie die Beschrankung der Strafdrohung auf solche Verhaltensweisen zur Folge, die von einigem Gewicht sind. Zu Leitfall 3 lieBe sich im Hinblick auf den Grundsatz der VerhaltnismaBigkeit und das Schuldprinzip nun ausfiihren, dass der Tater ohne eigene Schuld durch eine ihm von dem spater Getoteten zugefugte schwere Beleidigung zu der Tat veranlasst worden und die Art der Tatausfuhrung nicht Ausdruck von Verschlagenheit gewesen war. Diese Uberlegungen hatten den 4. Strafsenat, welcher den Sachverhalt dem GroBen Strafsenat des BGH vorgelegt hatte, veranlasst, an der Erfullung des Tatbestandsmerkmals „Heimtucke" zu zweifeln: Die Tat des Angeklagten konne nicht als besonders verwerflich (ttickisch oder hinterhaltig) gewertet werden. Sie vermoge deshalb die Verhangung einer lebenslangen Freiheitsstrafe nicht zu rechtfertigen, lasse sie als unverhaltnismafiig hoch erscheinen.^^ Der das Rechtsstaatsprinzip pragende VerhaltnismaBigkeitsgrundsatz ist im Leitfall vom GroBen Strafsenat in der Tat aufgegriffen und zur Vermeidung einer lebenslangen Freiheitsstrafe herangezogen worden. ^^

3.

11

12

Gewohnheitsrecht als strafrechtliche Rechtsquelle?

Gewohnheitsrecht gilt unter zwei Voraussetzungen: der Uberzeugung von seiner Notwendigkeit (opinio necessitatis) und dem Bestehen einer Ubung (consuetudo).^^ Weil der Grundsatz nullum crimen/nulla poena sine lege nur im Bereich der Tatbestandsmerkmale und der Rechtsfolgen und nur zu Lasten des BetroflFenen gih, miisste Gewohnheitsrecht zu Gunsten des Betroffenen ebenso moglich sein wie zu seinen Lasten auBerhalb der Tatbestandsmerkmale und der Rechtsfolgen.

So ausdriicklich § 166 hinsichtlich der Beschimpfung von Bekenntnissen, Religionsgesellschaften und Weltanschauungsvereinigungen; naher hierzu Fischer, Thomas Ofifentlicher Friede und GedankenauJierung, 1986; ders. GA 1989, 445 fif. Naher zur Auffassung des vorlegenden 4. Strafsenats BGH GSSt 1/81 BGHSt 30, 107 ff. BGHSt 30, 119 ff.; naher unten 3. b Vgl. Jescheck/Weigend AT § 12 IV 1.

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§ 3.

Die Straftat im System des Strafrechts

Dennoch ist die Anerkennung - selbst begiinstigenden - Gewohnheitsrechts im Strafrecht hochst umstritten. Denn sie lasst unberiicksichtigt, dass eine noch so gefestigte hochstrichterUche Rechtsprechung jederzeit geandert werden kann und der BetrofFene kein Recht auf Fortgeltung hat, sich insbesondere nicht auf GesetzHchkeitsgarantien berufen kann. Man kann daher allenfalls von Fallgruppen einer „gewohnheitsrechtUchen Verfestigung der Rechtsprechung"^"^ sprechen. Im strengen Sinne hegt jedoch kein Gewohnheitsrecht vor. Dennoch darf die faktische Bindungswirkung der hochstrichterlichen Rechtsprechung nicht unterschatzt werden. Hinzu kommt der Einfluss einer gefestigten hochstrichterlichen Rechtsprechung und einer anerkannten Dogmatik auf die Gesetzgebung. Dies flihrt zu einer mittelbaren Speisung der strafrechtHchen Rechtsquellen auch durch Praxis und Lehre. Derartige Vorstadien des Strafrechts betreflfen die Auslegung bestehender Rechtssatze (a) und die Fortbildung des Rechts (b). a)

Gefestigte Auslegung zu Gunsten des Tdters Beispiel 3/1: Der Leipziger A verdachtigt den im polnischen Krakau wohnenden B zu Unrecht einer in Krakau begangenen Straftat, indem er einen Brief mit der falschen Beschuldigung an die dortige Staatsanwaltschaft sendet. Diese leitet daraufhin ein Ermittlungsverfahren ein. Hat sich A nach § 164 strafbar gemacht, wenn er den Brief in Leipzig zur Post gegeben hat? Eine Verfolgbarkeit der Straftat nach § 164 wtirde zunachst voraussetzen, dass A seine Tat im Inland begangen hat (§ 3). Dies ist sogar der Fall, weil nach § 9 eine Tat an jedem Ort begangen ist, an dem der Tater gehandelt hat. Tatort ist somit auch Leipzig. Dennoch kann A nicht nach § 164 bestraft werden. Denn nach ganz unumstrittener Meinung schtitzt § 164 nur die deutsche Strafrechtspflege. Obwohl § 164 vom Wortlaut her auf A zutriffi, wird die Vorschrift mittels einer teleologischen Reduktion eingeschrankt.^^

b) 15

Rechtsfortbildung zu Gunsten des Tdters

Zur Rechtsfortbildung sieht sich die Praxis dann gezwungen, wenn es bei der Interpretation des Gesetzes oder bei der Liickenausfullung keine gesetzlichen Oder rechtlichen Festlegungen gibt, an denen sich die Entscheidung des Einzelfalles ausrichten konnte. Beispiel 3/2 Schwangerschaftsabbruch auf Grund Siiizidgefahr RGSt 61, 242 - I StS 105/26 vom 11.3.1927: Bei der unverheirateten R, die ein Liebesverhaltnis mit einem Reisevertreter unterhielt, blieb die Monatsblutung aus. Sowohl als der sie behandelnde Nervenarzt Dr. S die Moglichkeit einer Schwangerschaft erstmals erwahnte als auch bei der Mitteilung einer Schwangerschaft als Ergebnis einer frauenarztlichen Untersuchung erlitt R heftige Affektausbruche mit nachfolgendem dumpfen Briiten und auBerte Selbstmordgedanken. Dr. S diagnostizierte eine durch die Schwangerschaft hervorgerufene reaktive Depression und demzufolge eine gegenwartige ernstliche Gefahr der Selbsttotung und veranlasste Dr. W zu einem Schwangerschaftsabbruch, um die Selbstmordgefahr zu beseitigen. Handelten Dr. W und Dr. S rechtmaiiig? Eser in: Schonke/Schroder § 1 RN 10; vgl. auch Otto GK AT § 2/27 ff.; Roxin AT 1 § 5/47: immer nur Auslegung, niemals mit der normativen Verbindlichkeit von Gewohnheitsrecht; Stratenwerth/Kuhlen AT § 3/25: nur Ausfiillung des von den Vorschriften des Allgemeinen Teils geschaffenen Rahmens; fiir eine Einordnung als Gewohnheitsrecht hingegen Jescheck/Weigend AT § 12 IV 2; Trondle/Fischer § 1 RN 9. Zur teleologischen Reduktion im Rahmen des Territorialitatsprinzips vgl. Schluchter FS fiir Oehler, S. 307 ff.

A. Formale Definition der Straftat

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Das Reichsgericht erachtete das Vorgehen der Angeklagten fur rechtmaiiig, weil sie in einer nicht anders abwendbaren Gefahrenlage fur das Leben der Schwangeren diesem dem Vorzug gegeben batten vor dem Leben des Kindes und das Leben der Schwangeren hoher zu veranschlagen sei als das Leben des ungeborenen Kindes. Obwohl man sich durchaus dariiber streiten kann, ob eine solche Giiterabwagung in der vorliegenden Situation moglich ist und zur Rechtfertigung fiihrt,^^ kann jene Entscheidung als die „Geburtsstunde" des rechtfertigenden Notstandes angesehen werden, wie er sich heute als Norm des Allgemeinen Teils von 1975 in § 34 fmdet.^^ Beispiel 3/3 Ziichtigungs-Fsill BGH 1 StR 708/51 BGHSt 3, 105/107 (bestatigt fur die irrige Annahme von Notwehr in BGH 1 StR 119/52 BGHSt 3, 194/196): Den Angeklagten war vorgeworfen worden, als Erzieher in einem Landheim Fiirsorgezoglinge misshandelt zu haben. Das Landgericht hatte sie daraufhin nach den §§ 223, 224 und 225 auch deshalb verurteilt, weil ein beachtlicher Irrtum tiber ihr Ztichtigungsrecht nicht bestanden habe. Der BGH bestatigte zunachst - der Rechtslage von 1952 entsprechend - das Ztichtigungsrecht der Angeklagten. Zur Frage der Beachtlichkeit eines Irrtums der Angeklagten tiber ihr Ztichtigungsrecht machte der BGH unter Verweis auf BGH GSSt 2/51 BGHSt 2, 194 auf den Unterschied aufmerksam, ob die Angeklagten irrig einen Sachverhalt angenommen hatten, der ihnen ein Ztichtigungsrecht eingeraumt hatte, oder ihnen nur das Bewusstsein gefehlt habe, etwas Unrechtes zu tun. Im ersten Fall sei der Irrtum tiber einen Rechtfertigungsgrund auf der Grundlage eines Tatirrtums entsprechend §59 a. F. = §16 n.F. als Tatirrtum und nicht als Verbotsirrtum zu behandeln. Denn „der im Irrtum tiber den wahren Sachverhalt handelnde Tater ist...an sich rechtstreu; er will die Rechtsgebote befolgen und verfehlt dieses Ziel nur wegen seines Irrtums tiber die Sachlage, aus der sein Handeln erwachst. Dieser Irrtum hindert ihn in der Regel, die Gefahr eines Rechtsverstoiies tiberhaupt zu erkennen.... Auch der im Verbotsirrtum Handelnde verfehlt zwar bei seinem Tun das Richtige, aber durch einen Erkenntnisfehler auf dem Gebiet des rechtlichen Sollens. Die Erkennbarkeit eines RechtsverstoBes liegt hier im Allgemeinen naher als beim Irrtum tiber Tatsachen."^^ Wenn aber ein Sachverhaltsirrtum auch dann nach § 59 a.F. zu beurteilen sei, wenn er die Grundlage des Irrtums tiber einen Rechtfertigungsgrund bildet, mtisse nach § 59 a.F. bei den Angeklagten eine vorsatzliche Korperverletzung ausscheiden und es komme bei Vermeidbarkeit des Tatirrtums eine fahrlassige Begehung in Betracht. Der BGH bewertete die irrige Annahme der tatsachlichen Voraussetzungen des Ztichtigungsrechts damit wie einen Irrtum tiber ein Tatbestandsmerkmal, welcher den Vorsatz entfallen lasst und bei Vermeidbarkeit allenfalls eine Strafbarkeit aus dem Fahrlassigkeitsdehkt zulasst. Aus dieser Rechtssprechung des Bundesgerichtshofs hat sich letztendUch die sog. „eingeschrankte Schuldtheorie" entwickelt, die im Bereich der Irrtumslehre inzwischen allgemein anerkannt ist.^^ Auch die Entscheidung des BGH in Leitfall 3 stellt einen Fall richterlicher Rechtsfortbildung dar. Denn wenn man davon ausgeht, dass das Verhalten des Angeklagten das Merkmal „heimtuckisch" in § 211 II erfiillt, miisste er obligatorisch mit einer lebenslangen Freiheitsstrafe belegt werden, weil § 211 nur diese Rechtsfolge vorsieht. Indessen straubt sich unser Gerechtigkeitssinn^^ dagegen, Naher hierzu Gropp, Walter Der straflose Schwangerschaftsabbruch, 1981. Naherhierzu§6RN112ff. BGH 1 StR 708/51 BGHSt 3, 107. Umfassend zur Dogmengeschichte des sog. Erlaubnistatbestandsirrtums (irrige Annahme der Voraussetzungen eines Rechtfertigungsgrundes) Hirsch Negative Tatbestandsmerkmale, zur Rechtsprechung des BGH insbes. S. 164 ff., sowie unten § 13/110 ff. Es tritt hier ein grundlegendes rechtsphilosophisches Problem in den Vordergrund: das Spannungsverhaltnis zwischen Rechtssicherheit (Annahme von Heimtucke) und Gerechtigkeit (wesentlicher qualitativer Unterschied dieses Falles zu sonstigen, in denen Heimtucke angenommen wird), vgl. dazu Radbruch, Gustav Rechtsphilosophie III, S. 88 f, in Gustav Radbruch Gesamtausgabe IV, 1990, Bearb. Winfried Hassemer.

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§ 3.

Die Straftat im System des Strafrechts

hier eine solche Strafe zu verhangen, weil uns das Verhalten des Angeklagten wenn auch nicht akzeptabel, so doch zumindest verstandlich erscheint. In vergleichbaren Fallen hatte man einen Ausweg zunachst darin gesucht, dass man das Tatbestandsmerkmal der Heimtucke als nicht erfiillt betrachtete. Dies trifft zu in dem bekannten Beispiel 3/4 Vollziehungsbeamter-Fsdl BGH GSSt 1/56 v. 22.9.1956 BGHSt 9, 385/390:^^ Bin Vollziehungsbeamter hatte den Entschluss gefasst, Frau und Tochter zu toten, um ihnen die Schmach von Entehrung und Not zu ersparen. Denn es war entdeckt worden, dass er mit kriminellen Manipulationen versucht hatte, sich eine ihm vermeintlich rechtswidrig vorenthaltene Zulage zu verschaffen. Die Tochter starb, der Frau gelang die Flucht zur Polizei. Heimtucke wurde hier vom GroBen Strafsenat verneint, weil der Angeklagte nicht in feindseliger Willensrichtung gehandelt habe. Im Schrifltum hatte man sogar versucht, im Wege einer sog. negativen Typen- oder Tatbestandskorrektur trotz heimttickischer Begehungsweise Mord dann zu verneinen, wenn eine Totungshandlung aufgrund umfassender Gesamtwlirdigung aller Tatumstande und der Taterpersonlichkeit als nicht besonders verwerflich erscheint. ^^ Eine andere Losung ging dahin, Heimtticke jedenfalls dann abzulehnen, wenn der Tater durch seine Tat keinen ,,besonders verwerflichen Vertrauensbruch'' begangen hat.^^ An jene ^Vermeidungsstrategien"^"* ankntxpfend hatte das Bundesverfassungsgericht 1977^^ entschieden, dass die in § 211 vorgesehene lebenslange Freiheitsstrafe jedenfalls dann verfassungskonform sei, wenn eine „am verfassungsrechtlichen Verhaltnismaftigkeitsgrundsatz orientierte restriktive Auslegung" der Tatmodalitaten der „Heimtiicke" und der Totung „zur Verdeckung einer anderen Straftat" erfolge.^^

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Um zu einer tragbaren Entscheidung zu gelangen, wahlte der GroBe Senat flir Strafsachen einen neuen Weg iiber die Strafzumessung (GSSt 1/81 BGHSt 30, 105/119 fF.) in Form einer MogUchkeit zur Strafmilderung nach Versuchsgrundsatzen (§ 49 I Nr. 1: an Stelle lebenslanger Freiheitsstrafe Freiheitsstrafe nicht unter drei Jahren) beim Vorliegen auBergewohnhcher Umstande. Diese Losung habe den Vorteil, dass der Tatbestand der Heimtucke nicht weiter eingeengt werde und dadurch seine Bestimmtheit und die GleichmaBigkeit der ihn betreflfenden Rechtsanwendung nicht in Frage gestellt werde.^^ Die Losung des Leitfalls geht nach der Rechtsprechung des BGH somit dahin, dass der Angeklagte zwar wegen Mordes verurteilt wird, jedoch nicht zu einer lebenslangen, sondern nach § 49 zu einer Freiheitsstrafe, die aus einem Strafrahmen zwischen drei und 15 Jahren zu entnehmen ist.

Eingehend hierzu Eser StK III, 2. Aufl. 1981, Nr. 1. Vgl. statt aller Eser in: Schonke/Schroder § 211 RN 10 mwN; krit. Kupper BT 1 Teil 1 § 1/32, 34. Vgl. Eser in: Schonke/Schroder § 211 RN 26; Otto, Harro Grundkurs Strafrecht. Die einzelnen Delikte, 6. Aufl. 2002, § 4/25 f.; krit. Kupper BT 1 Teil I § 1/49. Vgl. Eser, Albin Empfiehlt es sich, die Straftatbestande des Mordes, des Totschlags und der Kindestotung... neu abzugrenzen?, Gutachten D zum 53. Deutschen Juristentag Berlin 1980, 1980, S. D 53 fl". BVerfG 1 BvL 14/76 BVerfGE 45, 187. BVerfGE 45, 187 Leitsatze 1 und 4. Krit. hierzu Gunther Das Mordnierkmal „Heimtiicke" nach dem BeschluB des GroBen Senats fur Strafsachen, NJW 1982, 353 K; Kupper BT 1 Teil I § 1/33; Muller-Dietz Das Verhaltnis von Gesetz und Richter - am Beispiel des § 211 StGB, FS fflr Nishihara, S. 248 ff./251 ff.; vgl. auch mit zahlr. Nachw. Eser in: Schonke/Schroder § 211/57, Lackner/Kiihl RN 20 vor § 211; Trondle/Fischer § 211 RN 22.

A. Formale Definition der Straftat

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c) Rechtsfortbildung zu Ungunsten des laters aa) Unechte Unterlassungsdelikte^^ Bis zur Einfiihrung von § 13 im Jahre 1975, welcher die Begehung durch Unterlassen der Begehung durch aktives Tun generell gleichstellte, beruhte die Strafbarkeit der Herbeifiihrung tatbestandsmdfiiger Erfolge durch Unterlassen allein auf einer gefestigten hochstrichterUchen Rechtsprechung:^^ So hielt man auch vor Einfiihrung von § 13 z.B. einen Personensorgeberechtigten, der sein Kind dadurch zu Tode brachte, dass er es verhungern UeB, nach § 212 wegen eines Totschlags durch Unterlassen fiir strafl^ar.

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bb) Actio libera in causa^^ Die actio Hbera in causa betrifft Falle, in denen sich der Tater in einen Zustand der Schuldunfahigkeit versetzt und dann eine Straftat begeht:

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A, der sich tiber den bellenden Hund des Nachbarn schon immer geargert hat, kauft sich eine Flasche Wodka und trinkt sich Mut an. Dann vergiftet er den Hund. Ein Sachverstandiger stellt fest, dass A zum Zeitpunkt der Vergiftung (strafbar als Sachbeschadigung nach § 303) schuldunfahig im Sinne von § 20 war. SchlieJit dies eine Strafbarkeit des A aus?

Uber die actio Ubera in causa kntipft man an den Zeitpunkt an, in welchem der Tater sichfi-eiin den Zustand der Schuldunfahigkeit versetzt hat. Dass dieses Vorgehen zumindest bei Tatbestanden, die sich nicht in der vorsatzHchen Herbeifiihrung eines Erfolges erschopfen, sondern ein bestimmtes Verhalten voraussetzen, fragHch ist und gegen Art. 103 II GG verstoBt, hat der BGH 1996 in einer vielbeachteten Entscheidung dargelegt."^^

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11. Die Strafbarkeit der Handlung Zur Straftat wird ein Verhalten nicht schon deshalb, weil es einen Tatbestand 24 erfiillt/^ sondern weil die Rechtsfolge jenes Tatbestandes Strafcharakter besitzt. UntQr formalen Gesichtspunkten liegt eine Strafe deshalb immer dann vor, wenn das Gesetz davon spricht, dass ein Verhalten „straft)ar" sei. Materiell ist Strafe der „Ausgleich einer erheblichen Rechtsverletzung durch Auferlegung eines der Schwere von Unrecht und Schuld angemessenen Ubels, das eine oflFentliche Missbilligung der Tat ausdriickt und dadurch Rechtsbewahrung schaflft""^^. Ob Strafe zwingend in der Auferlegung gerade eines Ubels bestehen muss oder ob

Naher§ llRNSff. Vgl. BGH GSSt 1/61 BGHSt 16, 155/158; Jescheck/Weigend AT § 58 IV 2. Lat. = „freie Handlung zum Zeitpunkt der Verursachung", naher § 7 RN 49 ff. Urt. V. 22.8.1996 - 4 StR 217/96 NJW 1997, 138 ff. = JZ 1997, 50; naher § 7 Leitfall 7/1. Einen Tatbestand erfullt auch ein deliktisches Verhalten im Zivihecht. Jescheck/Weigend AT § 2 II 1; vgl. auch oben § 1/90 sowie Schmidhauser AT StB 1/14; Schreiber ZStW 94 (1982), 280; naher hierzu unten B.

§ 3.

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Die Straftat im System des Strafrechts

nicht auch sonstigen missbilligenden Reaktionen Strafcharakter zukommen kann, ist allerdings umstritten.'^'^ Dass ein mit Strafe bedrohtes tatbestandsmaBiges Verhalten im konkreten Fall nicht bestraft werden kann, weil z.B. den later kein Schuldvorwurf trifft, andert am Charakter als Straftat nichts. Denn die u.U. mogliche Ersetzung der Strafe durch eine - schuldunabhangige - MaBregel der Besserung und Sicherung ist primar taterbezogen und lasst den Charakter der Tat unberiihrt. i n . Losung des Leitfalls: S o RN 19 f IV. Zur Wiederholung E l.W 2. M

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V. Literatur Zur formalen Definition der Straftat und zu den Rechtsquellen Baumann/Weber/Mitsch AT § 3 IV; Jescheck/Weigend AT § 12; Maurach/Zipf AT 1 § 8; Roxin AT 1 § 1.

Zu Entstehung und Geschichte des StGB Baumann/Weber/Mitsch AT § 6 I; Jescheck/Weigend AT § 10; Maurach/Zipf AT 1 § 4; Eb. Schmidt Einfiihrung in die Geschichte der deiitschen Strafrechtspflege, 3. Aiifl. 1965 (Nachdmcke 1983, 1995), insbes. S. 343 ff. 394 ff.

Zum JGG Bohm, Alexander Einfiihrung in das Jugendstrafrecht, 4. Aufl. 2004; Eisenberg, Ulrich Jugendgerichtsgesetz, 10. Aufl. 2003; Schaffstein, Friedrich/Beulke, Werner Jugendstrafrecht, 14. Aufl. 2002.

Zum Verfassungsrecht und zur jiingeren Strafrechtsreform Baumann/Weber/Mitsch AT § 6 II; Eser in: Schonke/Schroder, Einfiihrung vor § 1; Lackner/Kuhl vor § 1 RN 2 ff.; Maurach/Zipf AT 1 § 4 VII; Naucke Einfiihrung § 2 VI, § 6 V; Roxin AT 1 § 4 VI-VIII. Vgl. Roxin AT 1 § 3/45: Strafe als „Zwangseingriff' des Staates; Schild SchwZStr 99 (1982), 364 ff./380 f; ders. ARSP 1984, 104 ff., 109: Vermeidung des Ausschlusses des Taters aus der Gesellschaft, Versohnung durch Schuldspmch.

B. Der materielle Gehalt der Straftat

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B. Der materielle Gehalt der Straftat Der materielle Gehalt der Straftat soil dariiber Auskunft geben, was den Gesetzgeber legitimiert, ein Verhalten als straft)ar zu klassifizieren. Weitgehende Einigkeit besteht darin, dass die Erhaltung der fiir die Existenz des Einzelnen in/und der Gesellschaft als wertvoll eingeordneten Guter - wie z.B. Leben, Gesundheit, Freiheit, die fi*eie Verfiigbarkeit iiber sein Vermogen oder die Moglichkeit der friedlichen Entscheidung von Konflikten auf einem geregelten Weg - Grundlage ist, um die Aufstellung einer Strafdrohung fiir den Fall ihrer Gefahrdung und/oder Verletzung zu legitimieren."^^ Inft)lge der Wahrnehmung und der Wahrung jener Lebensgtiter durch das Recht werden sie zu sog. Rechtsgiltern. Diefi*eieVerfiigbarkeit iiber eigene Sachen wird „Eigentum", die Moglichkeit der friedlichen Entscheidung von Konflikten auf einem geregelten Weg wird „Rechtspflege". Erst die Verletzung, die Missachtung joner Rechtsgiiter legitimiert die Strafe. 1.

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Die Straftat als Verletzung „vergeistigter" abstrakter (Straf)Rechtsgiiter

Trotz (oder gerade wegen?) der Uberzeugung, dass der materielle Gehalt der Straftat in der Verletzung von Rechtsgiitern besteht, wird um den Begj'iff des Rechtsguts heftig gerungen. Wahrend man zunachst eher naturalistisch auf den Bestand der werthaften Zustande wie Leben, Gesundheit oder Freiheit abstellte/^ wird nunmehr erganzt, dass fiir die Werthaftigkeit jener Zustande auch die positive rechtliche Inschutznahme erforderlich sei."^^ Denn obwohl z.B. das Leben unstreitig ein strafrechthches Rechtsgut darstelle, sei nicht jede Lebensbeendigung - etwa der Tod infolge Altersschwache im Bett"^^ - von strafrechtlichem Interesse. Die Anerkennung eines Zustandes als werthaft ist somit eine notwendige^ nicht hingegen eine hinreichende Bedingung fiir seine Einordnung als Rechtsgut. Es bedarf daher im Hinblick auf Art. 103 II GG tmer positiven gesetzgeberischen Entscheidung, unter welchen Umstanden die Beeintrachtigung des werthaften Zustandes strafbar sein soll.^^ Die zweite Erkenntnis zur Natur des Rechtsguts lasst sich daraus gewinnen, dass an der Berechtigung zur Strafl3arerklarung (selbst) des (untauglichen) Versuchs keine ernstlichen Zweifel geauBert werden, obwohl die Begehung eines Versuchs an dem werthaften Zustand in der AuBenwelt im Ergebnis u.U. gar nichts verandert: der Mordanschlag scheitert, weil die Pistole nicht geladen ist oder die Kugel nicht das Opfer triflft, sondern vorbei geht. Dann kann es aber nicht erst die konkrete stoffliche Substanz der werthaften Zustande sein, an

Sog. systenikritische Funktion der Rechtsgutstheorie, vgl. A. v. Hirsch GA 2002, 2. Vgl. dazu NK-Hassemer RN 255 ff. vor § 1; Roxin AT 1 § 2/2 ff.; vgl. auch Unver Das Rechtsgut im Strafrecht, in: Annales de la Faculte de Droit dTstanbul, 2001, 933 ff./98. Naher zum Ganzcn Jakobs AT 2/12 ff.; vgl. auch MK-Joecks Einl. RN 33. Vgl. Jakobs AT 2/4. Vgl. auch SK'Rudolphi RN 4 ff. vor § 1.

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§ 3.

Die Straflat im System des Strafrechts

welche der BegrifF des Rechtsgutes gekntipft ist, sondern es gentigt bereits eine „vergeistigte", abstrakte Form. Mit der Verrechtlichung der Gliter geht damit eine Vergeistigung einher. Rechtsgiiter werden zu AchtungsanspruchenJ"^ Ihre Verletzung besteht in ihrer Nichtachtung und Missachtung und setzt die Beschadigung eines Angriffsobjekts deshalb gar niclit voraus. Die Strafbarkeit dieser Missachtung beginnt dort, wo sie auf eine Weise geschieht oder unmittelbar geschehen soil, die in einem Straftatbestand beschrieben ist. Nicht jede Rechtsgutsverletzung ist damit strafbar, aber jede Strafbarkeit rechtfertigt sich durch die Verletzung eines Rechtsguts, die Weigerung, einen werthaften Zustand anzuerkennen. Die Verpflichtung zu jener Anerkennung ergibt sich aus den hinter den Straftatbestanden stehenden Normen, z.B. dem Totungsverbot als Grundlage fiir die Beschreibung der strafbaren Handlung in § 212. Der materielle Gehalt der Straftat besteht somit in der Nicht-Anerkennung eines strafrechtlich geschtitzen Rechtsguts, in der Negierung des Geltungsanspruchs einer den Straftatbestand tragenden Norm. Jakob s defmiert das die Straftat pragende Rechtsgut aus seiner Funktion, der Auf gate zu zeigen, dass die hinter den Strafrechtssatzen stehenden Normen gelten, auch wenn sie durch den jeweiligen Straftater in Frage gestellt werden. Zu wahrendes Strafrechtsgut ist danach die „Enttauschungsfestigkeit der wesentlichen normativen Erwartungen".^^ Der Gehalt der Straftat ware dann die Enttauschung der jeweihgen normativen Erwartungen.

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Damit dem durch das Rechtsgut reprasentierten Geltungsanspruch der jeweiligen Norm aber gerade mit dem Mittel des Strafrechts Respekt verschafft werden darf, bedarf es unter dem Gesichtspunkt der VerhaltnismaBigkeit noch zweier Voraussetzungen: Zum einen muss es sich um einen Geltungsanspruch von einigem gesellschaftlichem Gewicht,^^ um unverzichtbare Werte handeln, und zum zweiten darf das scharfe Instrument der Strafe - seine Wirksamkeit vorausgesetzt^^ - erst eingesetzt werden, wenn sonstige weniger einschneidende Mittel der Verhaltensbeeinflussung nicht mehr weiterhelfen (Subsidiaritat des Strafrechts).^"^ 11. Die Straftat als rechtswidrige und schuldhafte Verwirklichung eines realen tatbestandlich beschriebenen Unwertes

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Durch die Formulierung von Straftatbestanden legt der Gesetzgeber fest, unter welchen Voraussetzungen er Normgeltungen flir so unverzichtbar halt, dass die

Vgl. NK'Hassemer RN 265 ff.; LK-Jescheck RN 3 vor § 13; Schmidhauser AT LB 2/30; Stratenwerth Zum Begriff des „Rechtsgutes", FS fur Lenckner, S. 377 ff./390; zum Rechtsgutsangriff auch beimuntauglichenVersuch 5/03; ZStW 113 (2001), 82 f. AT 2/3. Zur Sozialschadlichkeit Hassemer Einfiihrung, § 5 III. Vgl. zur Tauglichkeit des Strafrechts Muller-Dietz Pravention durch Strafrecht. Generalpraventive Wirkungen, KrimZ Bd. 17, Kriminalpravention und Strafjustiz, 1996, S. 228 ff.; Rossner Was kann das Strafrecht im Rahmen der Sozialkontrolle leisten?, KrimZ Bd. 17 1996, S. 203 ff. Vgl. Naucke Einfiihrung § 1/154 ff.

B. Der materielle Gehalt der Straftat

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Kundgabe ihrer Nichtachtung und Missachtung einer stigmatisierenden Missbilligung bedarf. 1.

Straftatbestande als Unwertbeschreibungen^^

Die Beschreibung der einen Unwert verwirklichenden Handlungen in den Tatbestanden des Besonderen Teils und den erganzenden Rechtssatzen des Allgemeinen Teils bildet als konkreter Anhaltspunkt fiir die jeweilige Rechtsgutsverletzung die Grundlage des materiellen Gehalts der Straftat. Der Unwert kann seine Pragung aus dem herbeigefiihrten Erfolg (z.B. Tod eines Menschen, § 212) oder aus der Handlung selbst (z.B. Fiihren eines Kraftfahrzeugs trotz alkoholbedingter Fahruntiichtigkeit, § 316) erhalten (a), er kann aber auch aus Eigenschaften des Taters abgeleitet werden (b). Das gegenwartige Strafrecht beriicksichtigt beide Gesichtspunkte (c). a)

Tatstrafrecht - Sachverhalts-, Erfolgs- und Handlungsunwert

Grundlage eines Tatstrafi-echts ist das Tatprinzip. Danach ist der materielle Gehalt der Straftat, die Tat, Grund und Grenze aller StrafVerft)lgung.^^ Von groBer Bedeutung ftir den Unwert der Tat ist dabei ihr Sachverhaltsunwert als die Gesamtheit der objektiven Tatumstande. Bei Straftaten, deren Vollendung die Verwirklichung eines Erfolgs voraussetzt, wird der Sachverhaltsunwert durch den Erfolgsunwert gepragt. Der Handlungsunwert bildet das subjektive Gegenstlick zum Sachverhaltsunwert. Dementsprechend hangt seine GroBe davon ab, inwieweit der Sachverhaltsunwert vom Willen umspannt wird.^^ b)

Beispiel 3/5 Volksschddlings-Fall RGSt 74, 199, Urteil vom 20. 5. 1940: Der Angeklagte war Beifahrer eines Wagens, dessen Fahrer einen Unfall (offenbar ohne Personenschaden) verursacht hatte und dennoch weiterfuhr. Der Angeklagte unternahm nichts, den Wagenlenker zum Anhalten zu bewegen. Vielmehr schlug er einem Radfahrer, der zum Halten auffordern wollte, die Wagenttir vor der Nase zu. Das Gericht nahm eine unterlassene

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Taterstrafrecht - Gesinnungsunwert

Das Gegenstlick zum Tatstrafrecht bildet ein „Taterstrafrecht". Uneingeschrankt angewandt wlirde es bedeuten, dass bezliglich der Strafbarkeit an Eigenschaften des Taters angeknlipft wird und die Straf/a/ den Anlass, nicht aber die Grundlage und Grenze fiir die Strafbarkeit des Taters darstellt.^^ Eine taterbezogene Ausrichtung des Gehalts von Straftatbestanden fmdet sich insbesondere in totalitaren Regimen.

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Zum Verhaltnis des Tatbestandes als UnwQYtbeschreibung zur Rechtswidrigkeit als Unwertbewertung naher unten § 6 RN 14 ff. Vgl. Kohler AT S. 26. Vgl. Hirsch GedS fiir Meurer, S. 3 ff. Naher zur Problematik eines Taterstrafrechts Jescheck/Weigend AT § 7 III; Lenckner in: Schonke/Schroder 3 ff., 105 vor § 13; Roxin AT 1 § 6/6 ff.

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§ 3.

Die Straftat im System des Strafrechts

Hilfeleistung an, VerstoB gegen § 330 c a.F. = § 323 c, also eine gemeingefahrliche Straftat. Fraglich war die Zulassigkeit einer Strafscharfung aufgrund von § 2 der sog. „Verordnung gegen Volksschadlinge" vom 5. September 1939, RGBl. I 1679. §2 Verbrechen bei Fliegergefahr Wer unter Ausnutzung der zur Abwehr von Fliegergefahr getroffenen MaJJnahmen ein Verbrechen oder Vergehen gegen Leib, Leben oder Eigentum begeht, wird mit Zuchthaus bis zu 15 Jahren oder mit lebenslangem Zuchthaus, in besonders schweren Falle mit dem Tode bestraft. Obwohl es sich bei der unterlassenen Hilfeleistung des Angeklagten um ein gemeingefahrliches Delikt und nicht um ein Verbrechen oder Vergehen gegen Leib, Leben oder Eigentum handelte und der Angeklagte noch nicht vorbestraft war, wandte das Reichsgericht § 2 der Verordnung an. Denn zum einen habe das Unterlassen der Hilfe Leib oder Leben gefahrden konnen und zum anderen sei entscheidend, dass der Angeklagte „Volksschadling" sei: „Bei der Auslegung des Begriffes der Straftat „gegen Leib oder Leben" (§ 2 VO) sind der Geist der Kriegsgesetzgebung und ihre Bedtirfnisse zu beriicksichtigen Dass der Angeklagte unbestraft und nach seinem Vorleben keine verbrecherische Personlichkeit ist, hindert nicht ohne weiteres, ihn wegen der Straftat, die er jetzt begangen hat, als VolksDenn aus der Verwirklischadling i.S. des § 2 VO. gQg. Volksschadlinge anzusehen chung des im § 2 aufgestellten besonderen Tatbestandes...wird sich in der Kegel ergeben, dass der Tater, auch wenn er unbestraft ist, doch durch die Tat eine Gesinnung gegentiber der vom Kriege betroffenen Volksgemeinschaft an den Tag gelegt hat, die zeigt, dass er ihr feindlich gegenubersteht, die Kriegsverhaltnisse selbstsiichtig ausntitzt und als Volksschadling anzusehen ist."^^ c) 35

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36a

36b

Dualistischer Ansatz

Fragt man, ob im deutschen Strafrecht das Tat- oder das Taterprinzip vorherrscht, so zeigt sich, dass Handlungs- und Erfolgsunwert zwar den Ankniipfungspunkt der Strafbarkeit bilden, dass sich der strafbarkeitsrelevante Unv^ert aber auch aus taterbezogenen Elementen, sog. Gesinnungsmerkmalen konstituiert. So ist etwa die GewerbsmaBigkeit bei der Hehlerei in § 260 nicht erst eine Frage der Schuld, sondern bereits eine Komponente des verwirkHchten Unrechts. Auch die besonderen personHchen taterbezogenen Merkmale in § 28 konnen unrechtsbegriindende Unwertelemente sein. Man denke etv^a an die Verdeckungsabsicht bei Mord oder an die Eigenschafl des Unterlassungstaters als Garant.^^ Uberwiegend wird angenommen, dass die Gesinnungsmerkmale^^ als „echte" Gesinnungsmerkmale - z.B. niedrige Beweggrunde beim Mord ( § 2 1 1 Abs. 2 StGB 1. Gruppe), Rucksichtslosigkeit bei der StraBenverkehrsgefahrdung (§315 c Abs. 1 Nr. 2 StGB) oder Boswilligkeit in den §§ 90a, 130 Nr. 3 und 225 StGB ausschlieBlich und unmittelbar die Schuldhafligkeit die Tatbegehung betrefFen.^^ Davon werden sog. „unechte" Gesinnungsmerkmale unterschieden, die teils das Unrecht teils die Schuldhafligkeit der Tat pragen wie z. B. die das RGSt74, 199/202. S.u. § llRNSff. Grundlegend zu den Gesinnungsmerkmalen Schmidhduser, Eberhard Gesinnungsmerkmale im Strafrecht, 1958. Vgl. Lenckner in: Schonke/Schroder 2001, RN 122 vor § 13.

B. Der materielle Gehalt der Straftat

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Mordmerkmal der „Grausamkeit" als Kennzeichen fur eine Totung „aus gefuhlloser unbarmherziger Gesinnung" (vgl. Roxin AT 1 1997 § 10 RN 79). Freilich wird man auch die sog. echten Gesinnungsmerkmale auf einen Gesinnungsunw^r/ beziehen miissen, der im Sinne einer personalen Unrechtslehre als subjektives Element der TatbestandsmaBigkeit zuzuordnen ist.^^ Damit sind alle Gesinnungsmerkmale unrechts- und schuldkonstituierend und die Unterscheidung von echten und unechten uberflussig.^"^ Fiir die Beteiligung an strafbaren Handlungen, die durch Gesinnungsmerkmale gepragt werden, ist § 28 StGB zu beriicksichtigen: Wirken die Merkmale strafbarkeitsbegriindend, ist die Strafe fiir Teilnehmer, bei denen sie fehlen, zu mildern (§ 28 I). Wirken sie strafsctiarfend, kann ein Beteiligter nur dann nach dem strafVerscharflen Delikt bestrafl werden, wenn das Merkmal bei ihm vorliegt (§ 28 II StGB). 2.

Verbrechen und Vergehen als Stufen tatbestandsmaOiger Unwertverwirklichung (Dichotomic)

Quantitativ unterscheidet der Gesetzgeber zwei Stufen tatbestandsmaBiger Unwertverwirklichung: Verbrechen und Vergehen. Dabei ist der Begriff „Verbrechen" doppeldeutig.

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a) Die doppelte Bedeutung des Begriffs „ Verbrechen " Der Ausdruck „Verbrechen" wird zunachst als Bezeichnung fiir jede Art von Straflat verwendet, unabhangig von der Schwere der Tat. In diesem Sinne spricht man von Verbrechensmxfbmx, Verbrechenslohre und VerbrechenshQgnif. Jenes umfassende Verstandnis von Straflat wird daher auch „Verbrechen i.w.S." genannt. b)

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Verbrechen i.e.S. und Vergehen

Das StGB und die weiteren strafrechtlichen Gesetze^^ verwenden die Begriffe „Verbrechen" und „Vergehen" allerdings in einem spezifischen, engeren Sinne: Nach § 12 I ist eine Straftat nur dann ein Verbrechen, wenn sie „im MindestmaB mit Freiheitsstrafe von einem Jahr oder dariiber" bedroht ist. Von den Verbrechen werden als weniger schwerwiegende Straftaten die Vergehen abgetrennt, die „im MindestmaB mit einer geringeren Freiheitsstrafe oder die mit Geldstrafe bedroht sind" (§12 II). Die Unterteilung der Verbrechen im weiteren Sinne in die Verbrechen im engeren Sinne (§ 12 1) und die Vergehen (§12 II) nennt man die Dichotomic^^ der Straftaten.

^^ VgLJakobsKim^rnvm. ^^ Vgl. auch Hirsch FS fur Ltiderssen, S. 258. ^' Vgl. z.B. die §§ 153 I, 153 a StPO, §§ 25, 74 11, II GVG. ^^ Von griech. 5xxa = dicha = entzwei; xejav© = temno = ich schneide.

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§ 3.

Die Straftat im System des Strafrechts

Bis zum EGStGB 1974 gab es neben den Vergehen noch eine dritte Gruppe besonders leichter Straftaten, die sog. Ubertretungen wie etwa die Entwendung oder Unterschlagung geringwertiger Gegenstande aus Not (Notentwendung, § 248 a StGB a.F.). Durch das EGStGB wurden jene Ubertretungen entweder zu Vergehen aufgestuft (so die Notentwendung, die jetzt in § 248 a als Vergehen mit Antragserfordernis ausgestaltet ist) oder zu Ordnungswidrigkeiten abgestuft. c)

40

Die praktische Vergehen

Bedeutung

der

Unterscheidung

von

Verbrechen und

Die Einordnung einer Straflat als Verbrechen oder Vergehen ist mit Folgen verbunden, die in der Praxis der Fallbearbeitung und -entscheidung eine wichtige Rolle spielen: -

Strafbarkeit des Versuchs Nur bei Verbrechen i.e.S. ist der Versuch stets strafbar. Bei Vergehen hingegen bedarf es einer ausdriicklichen gesetzgeberischen Festlegung (§ 23 I). Beispiel 3/6: Der Versuch eines Totschlags (§ 212, Verbrechen) ist stets strafbar, der Versuch eines Diebstahls (§ 242, Vergehen) hingegen nur, well § 242 II die Strafbarkeit des Versuchs ausdnicklich festlegt.

-

Versuch der Beteiligung Der in § 30 beschriebene Versuch der Beteiligung ist nur als Versuch der Beteiligung am Verbrechen strafbar.

-

SachUche Zustdndigkeit Nach § 25 GVG beschrankt sich die sachliche Zustandigkeit des Richters beim Amtsgericht als Strafrichter (Einzelrichter) auf die Aburteilung von Vergehen; die Strafkammern der Landgerichte sind als erkennende Gerichte des ersten Rechtszugs hingegen gmndsatzlich flir alle Verbrechen zustandig (§ 74 I 1 GVG).

-

Opportunitdtsprinzip Die §§153 und 153 a StPO ermoglichen aus Opportunitdtsgriinden ein Absehen von der Verfolgung wegen Geringfugigkeit bzw. eine Einstellung des Verfahrens bei Erfullung von Auflagen und Weisungen, wenn das Verfahren ein Vergehen zum Gegenstand hat.

-

Strafbefehl Die Festsetzung der Rechtsfolgen der Tat auf schriftlichen Antrag der Staatsanwaltschaft durch schriftlichen Strafbefehl ohne Hauptverhandlung nach § 407 StPO ist nur zulassig, wenn Gegenstand des Verfahrens ein Vergehen ist.

d) 41

Die mafigebUchen A bgrenzungskriterien

Die Einordnung einer Straflat als Verbrechen oder Vergehen ist in § 12 1 und II festgeschrieben und vwrde oben (b) bereits kurz erwahnt. Eingangskriterium ist somit das gesetzHch angedrohte MindeststrafmaB als Rechtsfolge des jeweiUgen Straftatbestandes. Dieses darf bei Verbrechen nicht weniger als ein Jahr

B. Der materielle Gehalt der Straftat

95

Freiheitsstrafe betragen. Ein Vergehen liegt vor, wenn die Mindeststrafandrohung unter einem Jahr liegt oder nur Geldstrafe angedroht ist. Das StGB bevorzugt somit eine abstrakte Methode bei der Festlegung der Einordnung als Verbrechen oder Vergehen. Auf die konkrete Strafzumessung im Einzelfall kommt es somit nicht an. Nach § 12 III bleiben zunachst Strafscharfungen oder -milderungen fur die Einteilung auBer Betracht, wenn sie nach den Vorschriflen des Allgemeinen Teils (z.B. die Strafmilderungen bei Versuch [§ 23 II] oder bei der Beihilfe [§ 27 II]) vorgesehen sind.

42

3/7: Die Beihilfe zum Raub (§ 249, Verbrechen) bleibt Verbrechen, obwohl sich das MindestmaB der angedrohten Strafe gemaB §§ 27 II i. V. m. 49 I Nr. 3 von einem Jahr auf drei Monate reduziert.

Unberticksichtigt bleiben nach § 12 III fiir die Einteilung in Verbrechen oder Vergehen aber auch Scharfungen oder Milderungen fiir besonders schwere oder minder schwere Falle. Jene Formulierung ist wortlich zu nehmen und bezieht sich auf alle Stellen, an denen sie innerhalb der Deliktsbeschreibung Verwendung fmdet, z.B. in § 253 IV oder § 226 III: Der besonders schwere Fall der Erpressung bleibt trotz einer angedrohten Freiheitsstrafe von nicht unter einem Jahr Vergehen, weil § 253 I (Mindeststrafe ein Monat) ein Vergehen ist. Der minder schwere Fall der schweren Korperverletzung bleibt trotz der Bewehrung mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fiinf Jahren Verbrechen, weil § 226 I mit Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren bedroht ist (Verbrechen). Weil Strafrahmenverschiebungen allein aufgrund der Formulierung „besonders schwere" oder „minder schwere Falle" gemaB § 12 III unbeachtlich sein sollen, es also auf die generelle Festlegung der Strafrahmen ankommt, spricht man insoweit von einer „generellen Betrachtungsweise". Insgesamt ergibt sich aus § 12 somit eine „generell-abstrakte Betrachtungsweise". Die Unbeachtlichkeit in § 12 III bezieht sich freihch nur auf sog. unbenannte Milderungen oder Scharfungen. Sobald der Gesetzgeber in Form von Tatbestandsmerkmalen festlegt, wann eine Milderung oder Strafscharfung eintritt, handelt es sich nicht mehr um Falle von § 12 III, sondern um eigenstandige Tatbestande, welche nach § 12 I und II als Verbrechen bzw. Vergehen eingeordnet werden, so z.B. die schwere Korperverletzung in § 226 I und die besonders schwere Korperverletzung in § 226 II als Verbrechen (im Unterschied zu § 223, der nur ein Vergehen darstellt). Nun gibt es allerdings Deliktsbeschreibungen im Besonderen Teil, die wie benannte Milderungs- oder Scharfungsgriinde aussehen, jedoch nur unbenannte Strafmodifizierungen nach § 12 III darstellen. Zu ihnen gehort vor allem § 213 (minder schwerer Fall des Totschlags). Denn dort werden zwar Kriterien genannt, bei deren Vorliegen ein minder schwerer Fall gegeben sein soil (der Tater war ohne eigene Schuld durch eine ihm oder einem Angehorigen zugefligte Misshandlung oder schwere Beleidigung von dem getoteten Menschen zum Zorn gereizt und hierdurch auf der Stelle zur Tat hingerissen worden). Jedoch sind die genannten Voraussetzungen nur Beispiele dafiir, dass „sonst ein minder schwerer Fall"

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44

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§ 3.

Die Straftat im System des Strafrechts

vorliegt, und somit lediglich Illustrationen zu einem unbenannten minder schweren Fall bilden. Damit erweist sich § 213 als eine Strafzumessungsvorschrift zu § 212 ohne tatbestandliche Qualitat, weshalb auch bei Vorliegen von § 213 ein Verbrechen des Totschlags gegeben ist.^^ Beispiel 3/8: Als A von einer Dienstreise einen Tag friiher als geplant nach Hause zuruckkehrt, muss er feststellen, dass seine Frau F nicht allein ist. Denn als er das eheliche Schlafzimmer betritt, fmdet er sie und seinen Vorgesetzten V in einer unzweideutigen Situation vor. Auf die Bemerkung von V hin, dass er offenbar nicht nur als Mitarbeiter, sondern auch im tibrigen ein totaler Versager sei, platzt A der Kragen. Er holt seine Pistole aus dem Nachtkastchen, um V umzubringen. Als er den Abzug betatigt, erweist sich die Pistole jedoch als ungeladen, well die F schon vor langerer Zeit vorsorglich das Magazin geleert hatte. Selbst wenn man annimmt, dass A durch eine schwere Beleidigung seitens des V zum Zorn gereizt und hierdurch auf der Stelle zur Tat hingerissen worden ist, liegt der strafbare Versuch eines Totschlags im minder schweren Fall vor.

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45b

3.

Grunddelikt, Privilegierung und Qualifizierung - delictum sui generis

a)

Grunddelikt, Privilegierung und Qualifizierung als unselbstdndige tatbestandliche Abwandlungen^^

Innerhalb einer Gruppe von Tatbestanden bildet derjenige Tatbestand, dessen Merkmale auch in alien anderen Tatbestanden enthalten sind, das Grunddelikt. Enthalt ein Tatbestand der Gruppe zusatzliche unwertsteigernde Merkmale, liegt eine Qualifizierung vor, die zu einer Strafscharfung fiihrt. Haben die Merkmale hingegen unwertreduzierenden Charakter, ist eine Privilegierung gegeben, die zur Strafmilderung fiihrt. So stellt z.B. innerhalb der Straftaten gegen die korperliche Unversehrtheit § 223 (Korperverletzung) das Grunddelikt dar. Die gefahrliche Korperverletzung (§ 224), die Misshandlung von Schutzbefohlenen (§ 225) aber auch die schwere Korperverletzung (§ 226) und die Korperverletzung mit Todesfolge (§ 227) sind unselbstandige Qualifizierungen. Einen unselbstandigen Privilegierungstatbestand gibt es unter den Straftaten gegen die korperliche Unversehrtheit hingegen nicht. Anders ist die rechtliche Situation beim Schwangerschaftsabbruch: Hier bildet § 218 I 1 den Grundtatbestand, wahrend die Privilegierung nach §218 111 gegeben ist, wenn die Schwangere den Tatbestand verwirklicht. Ein „Tatbestandsgefuge" von Grundtatbestand, Qualifizierung und Privilegierung hat zur Folge, dass erganzende Vorschriften grundsatzlich fiir alle tatbestandHchen Abwandlungen in Frage kommen. So gilt das Strafantragserfordernis in § 247^^ fur alle Formen des Diebstahls, d.h. sowohl fiir den Grundtatbestand in § 242 als auch ftir die Qualifizierungen in § 244 und § 244 a. Beruht eine Privile-

Vgl. Kupper BT 1 Teil I § 1/28. Vgl. Baumann/Weber/Mitsch AT § 8 III 8; Jescheck/Weigend AT § 26 III 1; Roxin AT 1 § 10/131 ff. Aufgrund des eindeutigen Wortlauts in § 248 a gilt das Strafantragserfordernis beim Diebstahl geringwertiger Sachen jedoch nur fiir den Diebstahl nach § 242, vgl. RGSt 74, 373/374.

B. Der materielle Gehalt der Straftat

97

gierung/Qualifizierung indessen auf besonderen personlichen taterbezogenen Merkmalen, wirken diese nur fiir diejenige Person privilegierend/qualifizierend, bei der sie vorliegen (vgl. § 28 11)7^ In der Fallbearbeitung empfiehlt es sich, grundsatzlich zunachst eine Strafbarkeit nach dem Grundtatbestand zu priifen. Erst wenn diese angenommen werden kann, wird die Privilegierung bzw. Qualifizierung gepriift. Dieses Vorgehen ermoglicht es, uberfliissige Erorterungen zu vermeiden. b) Das delictum sui generis als selbstdndige tatbestandliche Abwandlung^^ Wie eine tatbestandliche Qualifizierung bzw. Privilegierung enthalt auch das delictum sui generis alle Merkmale eines „scheinbaren Grundtatbestandes", es befindet sich jedoch nicht mit diesem Tatbestand in derselben Deliktsgruppe. Die Selbstandigkeit einer Abwandlung leuchtet dann unmittelbar ein, wenn der jeweils verwirklichte Unwert trotz der Identitat des Erfolges nicht vergleichbar ist. Dies gilt z.B. fiir das Verhaltnis zwischen vorsatzlicher und fahrlassiger Tatbegehung. So spielt es vom Ergebnis her zwar keine Rolle, ob A den B vorsatzlich oder fahrlassig getotet hat. Unter dem Aspekt des Handlungsunwertes liegen indessen vollig verschiedene Sachverhalte vor. Deshalb ist der Totschlag (§ 212) keine Qualifikation einer fahrlassigen Totung nach § 222.^^ In vielen Fallen lasst es sich aber nicht so eindeutig sagen, ob eine tatbestandliche Abwandlung selbstandig oder unselbstandig ist. So ordnet die h.M. z.B. den Raub (§ 249) als delictum sui generis im Verhaltnis zum Diebstahl (§ 242) ein,^^ weshalb beim Raub gegen Familienangehorige § 247 (Strafantragserfordernis) nicht anwendbar ist.^"^ Bestechlichkeit (§ 332) wird als eigenstandig gegeniiber der Vorteilsannahme (§ 331) angesehen, nicht jedoch der Meineid (§ 154) gegeniiber der uneidlichen Falschaussage (§ 153).^^ Fast zu einer „Glaubensfi'age" ist die Einordnung des Mordes gem. § 211 als selbstandige oder unselbstandige Abwandlung im Verhaltnis zum Totschlag (§212) geworden. Wahrend die Rechtsprechung seit der Entscheidung BGH 2StR 296/51 BGHSt 1, 370 annimmt, dass Mord eine selbstandige tatbestandliche Abwandlung (delictum sui generis) zum Totschlag sei,^^ geht die Lehre davon aus, dass § 212 den Grundtatbestand und § 211 eine unselbstandige Qualifizierung bildet. Soweit es sich bei den Mordmerkmalen um besondere personliche taterbezogene Merkmale handelt, werden sie von der Rechtsprechung folglich als stmibdiTkdtsbegrtindende Merkmale i.S.v. §28 1 eingeordnet. Die Naher hierzu unten § 10/111 ff. Vgl. Jescheck/Weigend § 26 III 3; Roxin AT 1 § 10/134 f. Vgl. ?i\ic]i Jescheck/Weigend Kl § 26 III 2. Vgl. Roxin AT 1 § 10/134. Indessen ware es theoretisch nicht ausgeschlossen, § 249 als unselbstandige Qualifikation zu § 242 zu verstehen. Zu den Merkmalen des Diebstahls trate dann beim Raub als Mittel der Wegnahme die Notigung mit Gewalt gegen die Person oder unter Anwendung von Drohungen mit gegenwartiger Gefahr fur Leib oder Leben als qualifizierendes Merkmal hinzu. Vgl. 2cach Jescheck/Weigend NX § 26 III 1; Roxin AT 1 § 10/135. Vgl. auch die Nachweise bei Eser in: Schonke/Schroder RN 5 vor § 211.

45c

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98

§ 3.

Die Straftat im System des Strafrechts

Lehre hingegen nimmt hier zu Recht eine unselbstandige Strafscharfung i.S.v. § 28 II an7^ § 28 I bzw. II zeigt, dass die Einordnung als selbstandige oder als unselbstandige tatbestandliche Abwandlung im konkreten Fall bei der Beteiligung mehrerer in der konkreten Strafzumessung zu erhebliclien Unterschieden fiiliren kann7^ Fiir die Fallbearbeitung ist die Einordnung als selbstandige tatbestandliche Abwandlung insofern von Bedeutung, als das delictum sui generis als solches Gegenstand der Bearbeitung ist und die in ihm enthaltenen Tatbestande konkludent mit gepriift werden. Kommt z.B. eine Strafbarkeit wegen Raubes in Frage, ist § 249 zu prlifen, in dessen Rahmen die Merkmale des Diebstahls sowie der Notigung mit Raubmitteln erortert werden. Es ware unzweckmaiiig und daher fehlerhaft, zunachst auf Diebstahl und Notigung einzugehen, um im Anschluss daran festzustellen, dass die Notigung mit Raubmitteln erfolgt ist und deshalb auch der Tatbestand des Raubes erfiillt ist. Etwas anderes gilt dann, wenn die Komponenten des delictum sui generis zu unterschiedlichen Zeitpunkten verwirklicht werden: Beim rauberischen Diebstahl (§ 252) wird man zunachst den Diebstahl (§ 242) als Vortat prufen und erst im Anschluss daran erortern, ob der auf frischer Tat betroffene Tater des § 242 Raubmittel anwendet, um sich den Besitz des gestohlenen Gutes zu erhalten. 4.

Das erfolgsqualifizierte Delikt

a) Struktur und systematische Einordnung des erfolgsqualifizierten Delikts 45f

45g

Wahrend es sehr viele Straftatbestande gibt, die einen Erfolg beschreiben, den der Tater vorsatzlich herbeifiihren muss - man denke etwa an § 223 (Korperverletzung) -, fmdet man eine kleinere Gruppe, bei der sich an einen vorsatzlich herbeigefiihrten „Erfolg 1" ein zumindest fahrlassig verursachter „Erfolg 2" anschheBt: die Korperverletzung mit Todesfolge (§ 227) setzt z.B. voraus, dass der Tater „durch die Korperverletzung" den Tod der verletzten Person verursacht. Man spricht hier von sog. Vorsatz-FahrlassigkeitsKombinationen, die der Gesetzgeber in § 11 II den Vorsatzdelikten zugeordnet hat und die somit grundsatzlich nach den Regeln des Vorsatzdeliktes zu behandeln sind. In der Regel ist - wie bei § 227 - bereits der Vorsatz-Bestandteil der VorsatzFahrlassigkeits-Kombination fur sich besehen eine Straftat (§§ 223 bis 226), und die Fahrlassigkeitskomponente wirkt strafscharfend (sog. uneigentliche VorsatzFahrlassigkeits-Kombinationen).^^ Es ist aber auch moglich, dass die Fahrlassigkeitskomponente selbst im Hinblick auf den Vorsatz-Bestandteil strafbegrundend wirkt (sog. eigentliche Vorsatz-Fahrlassigkeits-Kombinationen). So ist etwa die grob verkehrswidrige und riicksichtslose Nichtbeachtung der Vorfahrt erst dann strafbar, wenn dadurch zumindest fahrlassig Leib oder Leben eines anderen ^^ Vgl. Eser in: Schonke/Schroder RN 3 ff. vor § 211. ^^ Naher hierzu § 10 RN 116-118. ^^ Jescheck/Weigend AT § 26 II 1.

B. Der materielle Gehalt der Straftat

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Menschen oder fremde Sachen von bedeutendem Wert gefahrdet werden (§ 315 c I Nr. 2 a, III Nr. 1). Im RStGB von 1871 wurde die Strafscharfung des erfolgsqualifizierten Delikts allein an die Verursachung des Erfolges gekniipft.^^ Dies fiihrte jedoch zu unverstandlich harten Strafen, wenn etwa die schwere Folge nicht auf der spezifischen Gefahrlichkeit der Vorsatzhandlung beruhte, sondern das Ergebnis zufdlliger, nicht einmal vorhersehbarer Umstande war, wie etwa im sog. Gesichtsschlag-Fall^^ Dies konnte auch § 18 (= § 56 a.F.), der fiir den Zusammenhang zwischen Vorsatzhandlung und Erfolg allein Kausalitat i.S. einer condicio sine qua non verlangte, nicht verhindern. Deshalb wurde sein Wortlaut durch das 3. StRAG vom 04.08.1953^^ dahin geandert, dass die erhohte Strafe den later nur triffl, wenn er die Folge wenigstens fahrldssig herbeigefiihrt hat.^^

45h

b) Legitimation des erweiterten Strafrahmens Im Vergleich mit der tateinheitlichen^"^ Begehung des vorsatzlich verwirkhchten Grundtatbestands und der fahrlassig herbeigefiihrt en Folge wird das erfolgsqualifizierte Delikt erheblich hoher bestraft. So sieht etwa die Korperverletzung mit Todesfolge (§ 227) Beispiel 3/8a: A schieJit B mit Korperverletzungsvorsatz in den Bauch, B stirbt jedoch an der Schussverletzung. einen Strafrahmen von drei bis 15 Jahren Freiheitsstrafe vor. Werden hingegen Korperverletzung (z.B. § 224 I Nr. 2) und fahrlassige Totung (§ 222) in sonstiger Weise durch eine Handlung verwirklicht, Beispiel 3/8b: In dem soeben genannten Beispiel schieBt A dem B in den Bauch. Die Kugel durchschlagt den Korper des B und verletzt dadurch den C, der sich hinter dem B versteckt hatte, todlich.

dann ist der Strafrahmen nach § 52 II 1 dem § 224 zu entnehmen. Er betragt somit sechs Monate bis 10 Jahre. Rechtspolitisch ist diese Erhohung des Strafrahmens unter dem Aspekt des Gleichheitssatzes auf Kritik gestoBen.^^ Man versucht, dieser Kritik durch die Formulierung von Umstanden zu begegnen, die auf ein erhohtes Mai3 an Strafwiirdigkeit der Tat hindeuten. Sie konnten insbesondere darin gesehen werden, dass sich im Erfolg eine gerade in dem vorsatzH-

Jescheck/Weigend AT § 26 II 1; vgl. auch Haft AT 6. Teil § 4 2; zur historischen Entwicklung insgesamt vgl. z.B. Kohler Beteiligung..., S. 6 ff.; Sowada Jura 1994, 643/644. Naher hierzu § 5 Leitfall 5; vgl. michJescheck/Weigend AT § 26 II 1. BGBl. I S. 735/739. Vgl. auch Kiipper ZStW 111 (1999), 785/797 ff.; 1^^-Paeffgen RN 1 ff. vor § 18; krit. Kohler BQtQiligwig..., S. 32 ff. Zur Tateinheit unten § 14/25 ff. Vgl. z.B. Wolter JuS 1981, 168 ff.; Roxin AT 1 § 10/110 f; Kiipper ZStW 111 (1999), 785/801 ff.

45i

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§ 3.

Die Straftat im System des Strafrechts

chen Grunddelikt angelegte spezifische, besonders naheliegende Gefahr realisiert und der Tater das entsprechende Risiko zumindest hatte erkennen konnen.^^ c) Der spezifische Gefahr-Zusammenhang zwischen Grunddelikt und Erfolg 45j

Zwar ist sich zumindest die Lehre darin einig, den Anwendungsbereich des erfolgsqualifizierten Delikts mogHchst eng zu halten.^^ Keine Einigkeit besteht jedoch hinsichtUch der Frage, worin die strafbarkeitsbegrenzenden unrechts- und schulderhohenden Umstande im einzelnen bestehen sollen. 45k Bin Teil der Lehre^^ interpretiert die Formulierung in § 18 „besondere Folge der Tat" dahingehend, dass der Erfolg des Grundtatbestandes („Erfolg 1") die Grundlage flir die qualifizierende Folge („Erfolg 2") bilden muss. Die qualifizierende Folge muss sich aus dem Erfolg des Grunddelikts („Erfolg 1") entwickelt haben (sog. Letalitatsthese). 451 Ein anderer Teil der Lehre halt diesen Ansatz flir zu eng und kniipfl an die spezifische Gefdhrlichkeit der Verwirklichung des gesamten Grundtatbestandes an. Damit wird der Zusammenhang zwischen der spezifischen Gefahr der „Handlung 1" und dem quahfizierenden „Erfolg T' zum haftungskonstituierenden Element.^^ Auch die Rechtsprechung,^^ die zunachst eher konturlos die Unmittelbarkeit und die Vorhersehbarkeit als Verkntipfung zwischen der VerwirkHchung des Grundtatbestandes und der besonderen Folge verlangte,^^ fordert nunmehr auf Grund zweifelhafler und z.T. heflig kritisierter Ergebnisse^^ zunehmend, dass sich in dem besonderen Erfolg gerade eine solche Gefahr verwirkHcht hat, die der Tathandlung des Grundtatbestandes in spezifischer Weise anhaftet.^^

Wolter]uS 1981, 168/169. Naher Kohler Beteihgung..., S. 106 ff., 138; vgl. auch Sowada Jura 1994, 643/646 mwN. Vgl. die Nachweise bei Otto GK AT § 11/5. Vgl. Otto GK AT § 11/6 ff.; vgl. auch das Erfordernis der „Todes-Leichtfertigkeit" nach "m^-Paeffgen § 18 RN 45 ff. Vgl. Nachweise bei Sowada Jura 1994, 643 ff. FN 47. RGSt 44, 139; BGH 1 StR 14/60 BGHSt 14, 112; 1 StR 216/64 BGH19, 382/387; 3 StR 146/71 BGHSt 24, 213 ff.; 4 StR 143/78 BGHSt 28, 18/20; 5 StR 407/81 NStZ 1982, 27; vgl. hierzu auch Sowada Jura 1994, 646 ff. Vgl. zu einer txbersichtlichen Analyse der Rechtsprechung Roxin AT 1 § 10/112 ff. Vgl. BGH 2 StR 150/83 BGHSt 32, 25/28; Otto GK AT § 11/9 mit Rspr.-Nachweisen; das Abstellen auf die Realisierung der spezifischen Gefahr des Grundtatbestandes im Erfolg ist nur eine von mehreren Fallgruppen, ohne dass sich ein System erkenne lieBe. Es dtirfte daher kaum moglich sein, eine abschlieliende Antwort auf die Zurechnungsvoraussetzungen der erfolgsqualifizierten Delikte zu formuHeren, vgl. auch Sowada Jura 1994, 643/645. Nach BGH 3 StR 66/98 NJW 1998, 3361 liegt ein versuchter Raub mit Todesfolge (§§ 251, 22) auch dann vor, wenn die den Tod des Opfers herbeifiihrende Handlung zwar nicht melir in finaler Verkntipfung mit der Wegnahme steht, mit dem Raubgeschehen aber derart eng verbunden ist, dass sich in der Todesfolge die dem Raubversuch eigenttimliche besondere Gefahrlichkeit verwirklicht.

B. Der materielle Gehalt der StraJftat

d)

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„ Wenigstens fahrldssige " Verursachung des qualifizierenden Erfolgs

Hinsichtlich des qualifizierenden „Erfolgs 2" ist zu beachten, dass die unrechtsund schulderhohenden Umstande, insbesondere die Gefahrerhohung bzw. Sorgfaltspflichtverletzung^"^ regelmaBig schon mit der vorsatzlichen Tat vorliegen. Dementsprechend wird sich bei erfolgsqualifizierten Delikten die Priifung zumeist auf die objektive und subjektive Vorhersehbarkeit der besonderen Tatfolge beziehen.^^ Teilweise wird dariiber hinaus zu Recht gefordert, dass auch der Zusammenhang zwischen Grunddelikt und der ihm innewohnenden tatbestandsspezifischen Gefahr in die (konkrete) Vorhersehbarkeit einbezogen werden muss.^^ Sofern das Gesetz eine leichtfertige Herbeifiihrung der besonderen Tatfolge voraussetzt - und hiervon macht der Gesetzgeber zunehmend Gebrauch -, ist eine gesteigerte erfolgsspezifische Gefahrerhohung bzw. Sorgfaltspflichtverletzung zu fordern.^^ Selbst die vorsdtzliche Herbeifiihrung der qualifizierenden Folge durch den Tater erflillt den Tatbestand des erfolgsqualifizierten Delikts, well § 18 „wenigstens" Fahrlassigkeit verlangt.^^

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e) Beteiligung mehrerer Personen^^ Sind an der Verwirklichung des Grunddelikts mehrere Personen beteiligt, trifft nach dem Wortlaut des § 18 nur denjenigen die Strafscharfung des erfolgsqualifizierten DeUkts, dem hinsichtUch der schweren Folge ein Verschulden vorgeworfen werden kann. So ist, wenn z.B. flir den Tater, nicht aber flir den Anstifter der Tod des Opfers vorhersehbar war, der Tater aus § 227, der Anstifter dagegen aus §§ 223, 26 strafbar. Im umgekehrten Fall ist der Tater gem. § 223, der Anstifter gem. §§ 227, 26 strafbar.^^^ Oder anders ausgedriickt: Die Beteiligungsform richtet sich nach der Mitwirkung am Grunddelikt, die Haftung des Beteiligten flir die schwere Folge ausschheBHch nach seiner Fahrlassigkeit. ^^^

95

^^ ^^ ^^ ^^ ^^ °^

Zu Gefahrerhohung und Sorgfaltspflichtsverletzung unten § 12/66 ff. Jescheck/Weigend AT § 26 II; BGH 3 StR 146/71 BGHSt 24, 213. Wessels/Beulke AT RN 693; SK-Rudolphi § 18 RN 3; Walter JuS 1981, 168 ff./170 ff.; i^^/7gz^r Erfolgsqualifizierte Delikte, S. 151; ygl mchKiipper ZStW 111 (1999), 785/796. Wessels/Beulke AT "RN 693. Vgl. BGH GSSt 1/92 BGHSt 39, 100. Ausfuhrlich zur Teilnahme am erfolgsqualifizierten Delikt Kudlich JA 2000, 511 ff.; Kohler Beteiligung..., S. 140 ff. Vgl. Blei AT, S. 308; Wessels/Beulke AT RN 693; Jescheck/Weigend AT § 54 III 2. Vgl. Kohler Beteiligung..., S. 57; Sowada Jura 1995, 644 ff.

45p

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§ 3.

Die Straftat im System des Strafrechts

f)

Aufbauschemafur das erfolgsqualifizierte Delikt - am Beispiel des §227

I.

Tatbestandsmafiigkeit 1. Gmnddelikt, § 223 - oTB: Handlung - Kausalitat - Erfolg 1 etc. - sTB 2.

Schwere Folge - Eintritt des qualifizierenden Erfolgs 2 (Tod) - Kausalitat und objektive Zurechung - Realisierung der spezifischen Gefahr aus dem Grunddelikt (Handlung/Erfolg 1) im Erfolg 2

3.

§ 18beztiglicliErfolg2

II. Rechtswidrigkeit III. Schuldhaftigkeit - Schuldfahigkeit... - Vorsatz-/Fahrlassigkeitsschuld-> Grunddelikt - Vorsatz-ZFahrlassigkeitsschuld^ Erfolg 2 - keine Entschuldigungsgriinde - Umechtsbewusstsein

5. 45q

45r

45s

Regelbeispiele

Regelbeispiele liegen vor, wenn der Gesetzgeber in Bezug auf „minder schwere" oder „besonders schwere" Falle ausfiihrt, dass ein solcher Fall „in der Regel" vorliegt, wenn... Ein anschauliches Beispiel flir eine Regelbeispielstechnik bildet § 243 StGB, der besonders schwere Fall des Diebstahls. ^^^ Im Unterschied zu den unbenannten minder schweren (wie etwa die Reizung zum Zorn in § 213) oder besonders schweren Fallen,^^^ die zwingenden Charakter haben, entfalten die Regelbeispiele nur eine Indizwirkung. In der konkreten Anwendung bedeutet dies, dass der Richter bei Vorliegen eines Regelbeispiels ohne nahere Begriindung einen besonders schweren oder einen minder schweren Fall annehmen kann. In atypischen Fallen kann er jedoch einen solchen Fall verneinen, obwohl ein Regelbeispiel gegeben ist, und er kann ihn trotz Fehlens eines Regelbeispiels bejahen. Er muss dann nur plausibel begriinden, weshalb er von der Regel abweicht. Jene atypischen Falle sind auf Kritik gestoBen. Der Haupteinwand geht dahin, dass insoweit die Strafbarkeit nicht im Sinne von Art. 103 GG „gesetzlich bestimmt" sei, weil die atypischen Falle inhaltlich unbestimmt seien und nicht der Gesetzgeber, sondern der Richter ihre Voraussetzungen von Fall zu Fall festlege.^^"^ Es finde eine verfassungswidrige Vermischung von tatbestandlichem

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Naher hierzu Gropp JuS 1999, 1041 ff.; Rengier Erfolgsqualifizierte Delikte, S. 250. S.o. RN 44 f ^^^ Vgl. z.B. Zieschang Jura 1999, 561/563 f.

B. Der materielle Gehalt der Straftat

103

Unrecht und Strafzumessung statt.^^^ Die h.M. hingegen halt die Regelbeispielstechnik nicht fiir eine Frage der Tatbestandsformulierung, sondern fiir eine besondere Ausgestaltung und Prazisierung der Strafzumessung. In diesem Rahmen reichten jedoch die in § 46 niedergelegten aligemeinen Strafzumessungskriterien fur die atypischen Falle hin^^^. Und auBerdem sei die Strafzumessung ohnehin die Domane des Richters, und nicht die des Gesetzgebers. Nun muss man freiHch den formalen Charakter jener Argumentation sehen. Denn es ist nur ein kleiner Schritt, ob man ein Merkmal als qualifizierendes oder privilegierendes TatbestandsmQrkmai ausgestaltet, oder es der Strafzumessung zuschlagt. So hat der Gesetzgeber im 6. Strafrechtsreformgesetz den Wohnungseinbruchsdiebstahl aus dem Bereich der Regelbeispiele in § 243 a.F. herausgenommen und in § 244 I Nr. 3 als Qualifikation eingefiigt. In der Sache lasst es sich daher nur schwer begriinden, dass dem Straftater allein auf Grund der Einordnung als Strafzumessungskriterium die Garantien des Gesetzlichkeitsprinzips in Art. 103 II GGgenommen werden sollen. Eine vordringende Meinung fordert daher nicht zu Unrecht, den innerhalb der Regelbeispiele genannten Merkmalen den Charakter von Tatbestandsmerkmalen („Quasi-Tatbestandsmerkmale") zuzuschreiben, soweit Entscheidungen zu Lasten des Taters in Frage stehen.^^^ Es bedarf somit einer verfassungskonformen, am nullum crimen sine lege-Grundsatz ausgerichteten restriktiven Interpretation der Regelbeispiele. Sie schlieBt die atypische Bejahung eines besonders schweren Falles trotz Fehlens eines Regelbeispiels sowie die Verneinung eines minder schweren Falls trotz VorHegens eines Regelbeispiels aus.^^^ Im tibrigen sollte es nachdenkhch machen, dass auch die h.M. die Merkmale der Regelbeispiele hinsichthch der aligemeinen Lehren des Strafrechts im Grunde ohnehin wie Tatbestandsmerkmale behandelt.^^^ So konnen z.B. die den Regelbeispielen zugrundeliegenden Umstande einem Beteiligten nur dann zugerechnet werden, wenn er sie kennt.^^^ Wer die Regelbeispiele mit der h.M. als Strafzumessungsindizien versteht, miisste sie in der Fallbearbeitung im Anschluss an die Schuldhaftigkeit auf der Stufe der Strafzumessung priifen. Werden die Regelbeispiele hingegen als „QuasiTatbestandsmerkmale" behandelt, miissten sie im Rahmen des Tatbestandes zur Sprache kommen. Wie bei den Privilegierungen und Qualifizierungen empfiehlt es

So Gossel Uber die sog. Regelbeispielstechnik und die Abgrenzung zwischen Straftat und Strafzumessung, FS fiir Hirsch, S. 183 ff./198. Die h.M. verweist in diesem Zusammenhang auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur Regelbeispielstechnik in § 94 II 1 und 2 Nr. 2 StGB, vgl. BVerfG 2 BvR 308/77 BVerfGE 45, 363/372. Vgl. Gropp JuS 1999, 1049 links; fur unmittelbare Einordnung der Regelbeispiele als Tatbestande Kindhauser AT § 8/9. Vgl. Arzt JuS 1972, 580 ff.; Ca///e^NJW 1998, 929, 935 ff.; fflr Einordnung der Regelbeispiele in § 243 als qualifizierende Tatbestandsmerkmale Kindhauser Zm Anwendbarkeit der Regeln des Aligemeinen Teils auf den besonders schweren Fall des Diebstahls, FS fur Triffterer, S. 123 ff./ 136; ATra/z/Tatbestand und Rechtsfolge, S. 146 ff.,154, 159 ff. Naher Kindhauser, FS fiir Triffterer, S. 123 ff. Vgl. BGH 3 StR 422/75 BGHSt 26, 244; Lackner/Kuhl § 46/16 mwN.

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104

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§ 3.

Die Straftat im System des Strafrechts

sich aber auch hier, dieser Frage aus dem Weg zu gehen, indem man die Regelbeispiele erortert, nachdem die Strafbarkeit des „Grunddelikts" bejaht worden ist. Kommt neben einem Regelbeispiel auch noch eine Strafbarkeit aus einer tatbestandlichen Qualifikation in Frage, verUert die Priifong der Regelbeispiele ihren Sinn, wenn der durch die Qualifikation eroflfnete Strafi^ahmen iiber denjenigen des Regelbeispiels hinausgeht. Hier empfiehlt sich im Anschluss an die Prufung der Qualifikation die kurze Bemerkung, dass zwar auch ein Regelbeispiel vorhegt, dieses jedoch infolge Eingreifens des Strafirahmens der Qualifikation keine Rolle mehr spielt. Steht z.B. ein Diebstahl mit WafFen zur Diskussion, bei dem der Tater in einen Geschafl:sraum einbricht, ist zunachst § 242 zu priifen und im Anschluss daran § 244 I Nr. 1 a. Es folgt dann die kurze Bemerkung, dass an sich auch das Regelbeispiel in § 243 I Nr. 1 gegeben ist, der durch § 243 eroflfnete Strafi^ahmen angesichts der Strafbarkeit nach § 244 aber keine Rolle mehr spielt. Die Beteiligung an einem Delikt mit Regelbeispiel setzt die Verwirklichung des Regelbeispiels durch den Beteiligten nicht voraus. Jedoch ist zu difFerenzieren: Kniipfl ein Regelbeispiel an die besonders gefahrliche Tatbegehung an, erstreckt sich die Regelwirkung auf alle Beteiligten, die die Verwirklichung des Regelbeispiels kennen.^^^ Personenbezogene Erschwerungsgriinde wie z.B. die gewerbsmaBige Tatbegehung (vgl. z.B. § 243 I 2 Nr. 3) mtissen bei dem Beteiligten hingegen analog § 28 II selbst voriiegen.^^^ Zum Versuch des Regelbeispiels und zu Irrtumsfragen vgl. unten § 9/49e ff. sowie § 13/60. 6.

46

Die Rechtswidrigkeit als Widerspruch der tatbestandsmafiigen Unwertverwirklichung zur Gesamtrechtsordnung

Die tatbestandsmaBige Handlung ist rechtswidrig, wenn sie im Widerspruch zur Gesamtrechtsordnung steht. Dass die Handlung des Taters der im Tatbestand beschriebenen UnwertverwirkHchung entspricht, besagt noch nichts iiber ihren Widerspruch zur Gesamtrechtsordnung. Denn es gibt Situationen, in denen die Handlung rechtmaBig ist (Rechtfertigungsgriinde)/^^ obwohl der tatbestandsmaBige Unwert verwirkHcht wird. Dies gilt z.B. fiir den Fall der Notwehr (§ 32). Hier darf der Tater einen Dritten u.U. sogar toten, wenn er von diesem angegriffen wird und der AngrifF nicht anders abgewehrt werden kann. Der Widerspruch der Unwertverwirklichung zur Gesamtrechtsordnung kann deshalb erst dann bejaht werden, wenn keine Rechtfertigungsgriinde eingreifen. VerwirkHcht ein Mittater ein benanntes Regelbeispiel, nimmt die Rechtsprechung grundsatzhch einen unbenannten besonders schweren Fall an, vgl. BGH 1 StR 730/96 BGHSt 43, 237/240 mwN. Vgl. Eser in: Schonke/Schroder § 243 RN 47; hK-Rufi § 243 RN 39; Gropp JuS 1999, 1041, 1051; krit. zur Anwendbarkeit des § 28 II Bruns GA 1988, 339/350; vgl. auch Maiwald NStZ 1984, 433/437, 439. Naher zu den Rechtfertigungsgriinden unten § 6.

B. Der materielle Gehalt der Straftat

7.

105

Die Schuldhaftigkeit als Vorwerfbarkeit der rechtswidrigen Unwertverwirklichung

Im Rahmen der Straftheorien hatte es sich ergeben, dass Strafe nur Sinn hat, wenn dem Tater sein Verhalten zum Vorwurf gemacht werden kann, wenn er schuldhaft gehandelt hat. Neben der VerwirkHchung eines tatbestandsmaBigen Unwertes, der im Widerspruch zur Rechtsordnung steht, zahlt somit auch die Schuldhaftigkeit der Handlung^^"^ zu den Elementen des strafbaren Verhaltens. Sie muss folgUch auch innerhalb des sog. Verbrechensaufbaus eine Rolle spielen. III. Literatur Zu Rechtsgut, Unwertverwirklichung, Tat-/Tdterstrafrecht, Verbrechen/Vergehen: Amelung, Knut Rechtsguterschutz und Schutz der Gesellschaft, 1972; Baumann/Weber/Mitsch AT §§ 3 II 2, IV 3, § 11; Bottke Das Straftaterfordernis der Rechtsgutsverletzung, FS fiir Lampe, S. 463 ff.; Hassemer, WiIfried ThQoiiQ und Soziologie des Verbrechens, 1973; Hirsch Handlungs-, Sachverhalts- und Erfolgsunwert, GedS fur Meurer, S. 3 ff.; Hirsch Tatstrafrecht ein hinreichend beachtetes Grundprinzip?, FS fur Ltiderssen, S. 253 ff.; Kohler, Christian Beteiligung und Unterlassen beim erfolgsqualifizierten Delikt am Beispiel der Korperverletzung mit Todesfolge (§ 227 I StGB), 2000; Hirsch, A.v./Wohlers/Hefendehl Rechtsgutstheorie und Deliktsstruktur: Ein Annaherung von drei Seiten, GA 2002, 2 ff.; Koriath Zum Streit um den Begriff des Rechtsguts, GA 1999, 561 ff.; Kriiger, Matthias Die Entmaterialisierungstendenz beim Rechtsgutsbegriff, 2000; Kuhl AT § 1/4 ff.; Zum erfolgsqualifizierten Delikt: Ambos Praterintentionalitat und Erfolgsqualifikation - Rechtsvergleichende Uberlegungen, GA 2002, 455; Gossel Dogmatische Uberlegungen zur Teilnahme am erfolgsqualifizierten Delikt nach § 18 StGB, Lange-FS, S.219; Kohler, Christian Beteiligung und Unterlassen beim erfolgsqualifizierten Delikt am Beispiel der Korperverletzung mit Todesfolge (§ 227 1 StGB), 2000; Kiihl Das erfolgsqualifizierte Delikt (Teil I): Das vollendete erfolgsqualifizierte Delikt, Jura 2002, 810 ff.; Kupper, Georg Der „unmittelbare" Zusammenhang zwischen Grunddelikt und schwerer Folge beim erfolgsqualifizierten Delikt, 1982; ders. Zur Entwicklung der erfolgsqualifizierten Delikte, ZStW 111 (1999), 785 ff.; Paeffgen Die erfolgsqualifizierten Delikte - eine in die allgemeine Unrechtslehre integrierbare Deliktsgruppe?, JZ 1989, 220 ff.; Rengier, Rudolf Erfolgsqualifizierte Delikte und verwandte Erscheinungsformen, 1986; Schroeder, Friedrich-Christian Verborgene Probleme der erfolgsqualifizierten Delikte, FS fiir Liiderssen, S. 599 ff.; Sowada Das sog. „Unmittelbarkeits"-Erfordernis als zentrales Problem der erfolgsqualifizierten Delikte, Jura 1994, 643 ff.; Wo Iter Zur Struktur der erfolgsqualifizierten Delikte, JuS 1981, 168 ff. Zu don Regelbeispielen: Callies Der Rechtscharakter der Regelbeispiele im Strafrecht, NJW 1998, 929 ff.; Gropp Der Diebstahlstatbestand unter besonderer Berticksichtigung der Regelbeispiele, JuS 1999, 1041 ff.; Krahl, Matthias Tatbestand und Rechtsfolge. Untersuchungen zu ihrem dogmatisch-methodologischen Verhaltnis im Strafrecht, 1999; Maiwald Zur Problematik der „besonders schweren

Naher zur Schuldhaftigkeit unten § 7 RN 2.

47

106

§ 3.

Die Straitat im System des Strafrechts

Falle" im Strafrecht, NStZ 1984, 433 ff.; Wessels Zur Indizwirkung der Regelbeispiele fiir besonders schwere Falle einer Straitat, FS fur Lackner, S. 423 ff.

IV. Zur Wiederholung

E 1. L J(

ern. will A mit einem Stein =iterscheibe des B einwerfen. Lii piiiiit vuii u« Hauswand ab. Liegt

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jr quaiiiizierenae Jirioig mit aem ? AT 1 § 12/39. Vgl. Schmidhduser JuS 1980, 241; Otto Anmerkung NJW 1979, 2412; ^Amlich Morkel NStZ 1981, 176. Vgl. Wessels/Beulke AT RN 217. Vgl. Hellmuth Mayer StrafTQcht AT 1967, S. 121.

104

174

105

106

§ 5.

Tatbestandsmaliigkeit

Moglichkeitskriterium. Andererseits bedeutet „wahrscheinlich" aber auch weniger als „uberwiegend wahrscheinlich", um den Anwendungsbereich des dolus eventualis nicht allzusehr einzuschranken. Ein leichtsinniges Verhalten ware auch nach der WahrscheinHchkeitstheorie nicht vorsatzUch. Hinter der nicht leicht zu erfassenden Formel Mayers steht der Versuch, das „Rechnen mit dem Eintritt" (Vorsatz) und das „Vertrauen auf das Ausbleiben" (Fahrlassigkeit) des Erfolgs abzugrenzen, Auf ein Ausbleiben des Erfolgs - so die Konkretisierung der Mayer'schen Formel durch Welzel^^^ - kann der Tater vertrauen, wenn er entweder aufgrund eigener Fahigkeiten glaubt, den Erfolg vermeiden zu konnen, oder wenn er den Eintritt der moglichen Nebenfolge nicht beeinflussen zu konnen glaubt, aber mit ihrem Eintritt dennoch nicht rechnet, sondern nur entfernte Zweifel hat. Nach der WahrscheinHchkeitstheorie wiirde die Annahme von bewusster Fahrlassigkeit im Benzin-¥a\l davon abhangen, dass die Angeklagte entweder darauf vertraut hatte, dass der Erfolg ausbleiben wiirde, oder trotz entfernter Zweifel mit seinem Eintritt nicht gerechnet hatte. Zwar gelingt es der WahrscheinHchkeitstheorie, die Hauptschwache der Moglichkeitstheorie insofern zu beheben, als das voluntative Element in Form des Vertrauens auf das Ausbleiben zum Tragen kommt und dadurch der Anwendungsbereich des Vorsatzes eingeschrankt wird. Die Schwache der WahrscheinHchkeitstheorie besteht - trotz der o.g. Konkretisierung durch Welzel - hingegen in der mangelnden Praktikabilitat. Denn es lasst sich nicht nur schwer feststellen, ob ein Tater mit dem Eintritt des Erfolges rechnete bzw. auf sein Ausbleiben vertraute, vielmehr besteht die Schwierigkeit darin, dass der Tater jederzeit behaupten kann, auf das Ausbleiben des Erfolges vertraut zu haben, ohne dass ihm das Gegenteil nachgewiesen werden konnte. cccJDie Theorie von der Manifestation des Vermeidewillens^^^

107

Die Theorie von der Manifestation des Vermeidewillens sucht die Schwache der WahrscheinHchkeitstheorie unter Praktikabilitatsgesichtspunkten auszugleichen. Ein Vertrauen auf das Ausbleiben des Erfolgs und die Annahme von Fahrlassigkeit soil nur dann angenommen werden konnen, wenn sich die Manifestation eines entsprechenden Vermeidewillens feststellen lasst. Beispiel 5/28 ^/otwehr 4. Wod ;h die Notwehrlage und NntstanHsla^e? (I d. 6. h 7. V^ 8 T" y,

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§ 7. Schuldhaftigkeit und Schuld SchuldausschlieBungsgriinde Entschuldigungsgrunde

Leitfall 7/1 Lieferwagen-Fall NJW 1997, 138=JZ 1997, 50=NStZ 1997, 228 - BGH Urt. vom 22.8.1996 - 4 StR 217/96:^ Der Angeklagte A, der keine giiltige Fahrerlaubnis besali, fuhr mil seinem Lieferwagen von Danemark durch das Bundesgebiet in die Niederlande, um dort Kunden aufzusuchen. Unmittelbar nach der Einreise in die Niederlande, wo er fur die Nacht ein Hotel suchen wollte, kaufte der bis dahin ntichterne A kurz nach 18 Uhr alkoholische Getranke. In der Folgezeit trank er etwa fiinf Liter Bier sowie Schnaps in nicht feststellbarer Menge. Zwischen 21.15 und 21.30 Uhr fuhr der zu dieser Zeit erheblich alkoholisierte A in deutlichen Schlangenlinien auf der niederlandischen Autobahn in Richtung der deutschen Grenze. Gegen 21.30 Uhr erreichte er den Grenzubergang Bad Bentheim. Er fiihr mit einer Geschwindigkeit von mindestens 70 km/h auf die Kontrollstelle zu. Dabei uberfuhr er zunachst einige Leitkegel, mit denen die rechte Fahrspur abgesperrt war. Sodann stieJi er - mit unverminderter Geschwindigkeit - mit der rechten vorderen Seite seines Fahrzeugs gegen die hintere linke Seite eines auf der rechten Spur stehenden Personenkraftwagens. Dabei erfasste er zwei Grenzschutzbeamte, die dieses Fahrzeug kontrollierten. Die Beamten erlitten todliche Verletzungen und starben an der Unfallstelle. Eine dem A um 22.30 Uhr entnommene Blutprobe ergab eine Blutalkoholkonzentration von 1,95 %o. Das Landgericht Osnabriick verurteilte den Angeklagten wegen fahrlassiger Totung (§ 222), vorsatzlicher Gefahrdung des Straftenverkehrs (§ 315 c 1 Nr. 1 a) und vorsatzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis (§211 StVG). Zu Recht?

A. Grundlagen: Schuldhaftigkeit und Schuld Die dritte Stufe des Verbrechensbegriffs dient der Klarung, ob die Handlung des Taters schuldhaft war, ob der later schuldig ist. Genau besehen gilt es hier, zwei Fragen zu beantworten:^ Die erste lautet, ob dem Tater sein Verhalten zum Vorwurf gemacht werden kann, ob er schuldhaft gehandelt hat, ob er strafbar ist. Diese Frage betrifft die personHche Zurechenbarkeit,^ die sog. Strafbegrundungsschuld,^ d.h. die schuldhafte Begehung (Schuldhaftigkeit) der strafbaren Handlung (I). Die zweite Frage lautet, was dem later vorgeworfen

Mit krit. Anm. Hirsch NStZ 1997, 230 ff.; vgl. auch Geppert JK 1997 § 20/2; Hruschka JZ 1997, 22 ff.; Otto Jura 1999, 217 ff. Vgl. zur Strafbegriindungs- und Strafzumessungsschuld auch MK-Schlehofer vor § 32 RN 176 ff. Maurach/Zipf AT 1 § 30 RN 2. Hirsch ZStW 106 (1994), 748.

256

§ 7.

Schuldhaftigkeit und Schuld

werden soil, was als Kriterium fur seine Bestrafung dienen soil, wie er bestraft werden kann. Hier wird nach der Stmfzumessungsschulc^ gefragt (II 1). I.

Die Schuldhaftigkeit der tatbestandsmafiigen und rechtswidrigen Handlung (Strafbegriindungsschuld)

Spricht man nicht vereinfachend von „Schuld", sondern unterscheidet man genauer zwischen „Schuld" und „Schuldhaftigkeit",^ so wird deutlich, dass auch die dritte Stufe des Verbrechensaufbaus durch die strafrechtsrelevante Handlung gepragt ist. Welche Eigenschaflen jene Handlung haben muss, um als schuldhaft bezeichnet werden zu konnen, ist Gegenstand der Diskussion zum Schuldbegriff der somit auch und vor allem ein Schuldhaftigkeitsbegriff ist (2, 3). Die Schuldhaftigkeit der Handlung ist dabei rechtlich zu beurteilen (1). 1.

Die Schuldhaftigkeit als Rechtsbegriff

Die Schuldhaftigkeit der tatbestandsmaBigen und rechtswidrigen Handlung ist ein strafrechtlicher Begriff. Folglich ist eine Betrugshandlung nicht etwa deshalb ein schuldhaftes Verhalten, weil sie - wie etwa die Ltige - unsittlich ist, sondern weil sie Bestandteil eines Verhaltens ist, das in § 263 straftatbestandlich erfasst wird. Weil nur die Schuldhaftigkeit der tatbestandsmaBigen Handlung interessiert, fehlt jede Schuldhaftigkeit der Handlung dort, wo der Handelnde - aus welchen Motiven und wie trickreich auch immer - die Verwirklichung tatbestandsmaBigen Verhaltens vermeidet, mag er auch einen noch so tiblen Charakter haben. Was die tatbestandsmaBige und rechtswidrige Handlung zu einer schuldhaften macht, ist umstritten und hangt von dem jeweiligen HandlungsbegrifFab.^

Maurach/Zipf AT 1 § 30/2. Ygl auch Jakobs AT 17/20; AK-Schildl^N 161, 204 vor § 13; SchildGA 1995, 102; die Uberlegung, zwischen Schuldhaftigkeit und Schuld zu unterscheiden, ist naheliegend und fmdet sich bereits bei Beling; naher zum Ganzen Schild, Wolfgang Die „Merkmale" der Straftat und ihres Begriffs, 1979, insbes. S. 104 ff., 124 ff.; ob die heutige Unterscheidung der h.M. zwischen Strafbegriindungsschuld und Strafzumessungsschuld (vgl. dazu die Nachweise bei Hornle JZ 1999, 1082) zur Begriffsklarheit beitragt, muss bezweifelt werden. Naucke Einfiihrung § 7/123 ff.

A. Grundlagen

2.

257

Schuld(haftigkeits)begriffe und Handlungsiehren oder: die Voraussetzungen der Schuldhaftigkeit vor dem Hintergrund der Handlungsiehren

a) Psychologischer Schuld(haftigkeits) begriff ^ Nimmt man mit der kausalen Handlungslehre an, dass das Unrecht der vorsatzHchen Straftat allein durch die willentliche Verursachung der rechtswidrigen Verwirkhchung eines Straftatbestandes begriindet wird, dann werden Vorsatz und Fahrlassigkeit als subjektive Beziehungen des Taters zur Tat zu Elementen der Schuldhaftigkeit. Die tatbestandsmaBige und rechtswidrige Handlung ist schuldhaft, wenn und weil der Tater den Tatbestand vorsdtzlich oder fahrldssig verwirkHcht. Die Schuldhaftigkeit als Vorsatzlichkeit bzw. Fahrlassigkeit und damit als psychische Beziehung zwischen Tater und Tat gab jener Grundform der Schuldhaftigkeit im Rahmen des kausalen VerbrechensbegrifFs ihren Namen als psychologisch begriindete Schuldhaftigkeit, kurz: psychologischer Schuld(haftigkeits)begriff Verbrechensbegriff/klassisch^^ I. Tatbestandsmafiigkeit II. Rechtswidrigkeit III Schuldhaftigkeit (psychologisch) Zurechnungsfahigkeit als „Schuldvoraiissetzung"^^ Schuldbestandteile: 12

- Vorsatz (Unrechtsbewusstsein str. ) u.a.m. - Fehlen von „SchuldausschlieBungsgrunden" (Notstand u.a.m.)

Jener psychologisch-naturwissenschaftlich begriindete Schuld(haftigkeits)be-grifF war jedoch in dreierlei Hinsicht unvollstandig:^^ - Zunachst konnte man mit seiner Hilfe nicht erklaren, weshalb die Handlung eines Geisteskranken nicht schuldhaft sein soUte, wenn die Zurechnungsfahigkeit nur Voraussetzung der Schuld ist und der Geisteskranke doch in einem natiirlichen Sinne vorsatzlich handeln kann. Der geisteskranke Amoklaufer weiB durch-

Vgl. auch Baumann/Weber/Mitsch § 18/7 fF., Moos Der SchuldbegrifF im osterreichischen StGB, FS ffir Trififterer, S. 169 sowie &/z/W Widmungsschrift fur Rehbinder, S. 119 ff. Vgl. Beling, Ernst Die Lehre vom Verbrechen, 1906, S. 10, 178 ff.; v. Liszt Lehrbuch des Deutschen Strafrechts, 14./15. Aufl. 1905, §§ 36 ff. (= S. 157 ff); Radbruch, Gustav Der Handlungsbegriff in seiner Bedeutung fiir das Strafrechtssystem, 1903; vgl. auch Naucke Einflihrung § 7/136. S.o. § 3/58, § 4/27. Vgl. V. Liszt, Franz Lehrbuch des Deutschen Strafrechts, 3. Aufl. 1888, § 35: Die Zurechnungsfahigkeit, § 36: Die Falle der Zurechnungsunfahigkeit, § 37: Die Schuld (Vorsatz und Fahrlassigkeit). Ftir Anerkennung des Unrechtsbewusstseins als notwendigem Bestandteil des Vorsatzes Beling aaO S. 180 ff.; dagegen v. Liszt, Franz Das Deutsche Reichsstrafrecht, 1881 § 28 II. (S. 109). Naher Frank, Reinhard IJber den Aufbau des Schuldbegriffs, in Frank (Hrsg.), FS fur die juristische Fakultat in Giessen, 1907, 519/522 ff.; Roxin AT 1 § 19/11.

258

§ 7.

Schuldhaftigkeit und Schuld

aus, dass er Menschen totet und will dies auch. Allenfalls diirfte ihm die Einsicht fehlen, Unrecht zu tun. - VorsatzUch handelt auch derjenige, der sich im Notstand befindet. Auch seine Straffreiheit lieB sich mit dem psychologischen Schuld(haftigkeits)begriff nicht erklaren. - SchlieBlich war der rein psychologische Schuld(haftigkeits)begriff umgekehrt nicht in der Lage, die Schuldhaftigkeit einer unbewusst fahrlassigen Handlung zu erklaren, da insoweit eine psychische Beziehung zwischen Tater und Tat nicht vorhanden ist. b) Der psychologisch-normative Schuld(haftigkeits)begriff ^^ 8

9

10

Die Lticken des psychologischen Schuld(haftigkeits)begriffs suchte Reinhard Frank^^ durch eine Auswahl relevanter Gesichtspunkte auszuflillen, welche im Rahmen eines neoklassischen Verbrechensbegriffs die Bewertung der tatbestandsmaBigen und rechtswidrigen Handlung als „schuldhaft" rechtfertigten. Jene Elemente waren: - die normale geistige BeschafFenheit des Taters („Zurechnungsfahigkeit", nach heutiger Terminologie: Schuldfahigkeit, Unrechtsbewusstsein) - die konkrete psychische Beziehung des Taters zur Tat (Vorsatz) oder die Moglichkeit einer solchen (Fahrlassigkeit) - die „normale BeschafFenheit der Umstande" (nach heutiger Terminologie: Notstand, Fehlen von Entschuldigungsgriinden) Zusammengenommen bilden die drei Elemente die Bewertung der Handlung als schuldhaft. Damit wird dem Tater zum Vorwurf gemacht, dass er die Handlung trotz seiner normalen geistigen BeschafFenheit und der normalen BeschafFenheit der Umstande vorsatzlich oder Fahrlassig begangen hat. Uber die Bewertung der Handlung hinaus gelingt es dem von Frank gebildeten BegrifF der Schuld(haftigkeit), die Schwachen des rein psychologischen Schuld(haftigkeits)begrifFs zu iiberwinden: - Trotz Vorsatzes entfallt die Schuldhaftigkeit als Vorwerfbarkeit, wenn der Tater schuldunfahig ist oder im entschuldigenden Notstand handelt. - Trotz objektiver Verletzung der SorgFaltspflicht entfallt die Schuld, wenn der Tater die SorgFaltspflicht subjektiv nicht erflillen kann. Verbrechensbegriff/neo-klassisch^^ I. TatbestandsmaJiigkeit II. Rechtswidrigkeit III. Schuldhaftigkeit (normativ-psychologisch) - Schuldfahigkeit - Vorsatz (einschl. Unrechtsbewusstsein str.) - Fehlen von Entschuldigungsgriinden Vgl. Mezger, Edmund Strafrecht, 3. Aufl. 1949, S. 247 fif. Frank aaO S. 530; vgl. mch Jescheck/Weigend AT § 22 III 2 d, Roxin AT 1 § 19/12; zur weiterenEntwicklungMoo^-ZStW 116 (2004), 893. S.o. § 3/61, § 4/40.

A. Grundlagen

259

c) Der rein normative Schuld(haftigkeits)begriff Nach der finalen Handlungslehre ist menschliches Handeln Zwecktatigkeit, weshalb das Unrecht der strafrechtserheblichen Handlung auch durch Zwecktatigkeit begriindet wird. Der Vorsatz wird damit als subjektives Unrechtselement zum Bestandteil des Tatbestandes^ das Unrecht wird personales Unrecht. Durch Eliminierung des Vorsatzes aus den Elementen, welche die Schuldhaftigkeit konstituieren, enthalt diese nur noch normative^ wertende Elemente, deren Objekt das personale Unrecht ist.^^ Die Bewertung der Handlung als „schuldhaft" ist damit das Ergebnis einer Bewertung der objektiven Pflichtwidrigkeit der Willensbildung, die Wertung des Objekts.

11

Verbrechensbegriff/final^^ I. Tatbestandsmaiiigkeit: II. Rechtswidrigkeit: III. Schuldhaftigkeit (rein normativ) - Schuldfahigkeit - Unrechtsbewusstsein - Fehlen von Entschuldigungsgriinden

d) Der normative Schuld(haftigkeits)begriff der h.M. Der normative Schuld(haftigkeits)begrifF als Bestandteil des vermittelnden Verbrechensbegriffs der h.M. ordnet zwar Vorsatz und Fahrlassigkeit als Bestandteile des Unrechts und damit als Objekt der Wertung der Handlung als schuldhaft ein. Er sieht Vorsatz und Fahrlassigkeit aber auch innerhalb der Strafzumessungsschuld als Schuld/brm^/2. Daneben werden besondere subjektive Merkmale beriicksichtigt, insbesondere sog. Gesinnungsmerkmale.^^ Uberwiegend wird angenommen, dass diese Merkmale als „echte'' Gesinnungsmerkmale - z.B. die niedrigen Beweggriinde beim Mord (§211 II 1. Gruppe 4. Mod.), die Riicksichtslosigkeit bei der StraBenverkehrsgefahrdung (§315 c I Nr. 2) oder die Boswilligkeit in den §§ 90 a, 130 Nr. 3 und 225 - ausschUeBlich und unmittelbar die Schuldhaftigkeit der Tatbegehung betrefFen.^^ Davon werden sog. „unechte'' Gesinnungsmerkmale unterschieden, die teils das Unrecht, teils die Schuldhaftigkeit der Tat pragen wie z.B. das Mordmerkmal der „Grausamkeit" als Kennzeichen fiir eine Totung „aus gefiihlloser unbarmherziger Gesinnung".^^ Freihch wird man auch die sog. echten Gesinnungsmerkmale auf einen Gesinnungsun>i^^r/ beZiehen miissen, der im Sinne einer personalen Unrechtslehre als subjektives Element der TatbestandsmaBigkeit zuzuordnen ist.^^ Damit sind alle GesinnungsVgl. Dohna, Alexander Grafzu Aufbau der Verbrechenslehre, 3. Aufl. 1947, S. 22, 39; ders. ZStW 32 (1911), 323, 66 (1954), 505. S.o. § 3/62, § 4/42. Vgl. Lenckner in: Schonke/Schroder RN 122 vor § 13; Hake, Manfred Beteiligtenstrafbarkeit und „besondere personliche Merkmale", 1994, S. 118 ff.; gmndlegend zu den Gesinmxng'smtxkm.dilQn Schmidhduser, Eberhard GtsmnungsmQikmalt im Strafrecht, 1958. Vgl. Jescheck/Weigend AT § 42 1; Lenckner in: Schonke/Schroder RN 122 vor § 13. Vgl. Roxin AT 1 § 10/79. Vgl. Jakobs AT 8/98 mwN.

12

260

13

§ 7.

Schuldhaftigkeit und Schuld

merkmale unrechts- und schuldkonstituierend und die Unterscheidung von ecliten und unechten iiberfltissig. Der normative Schuld(haftigkeits)begriff der vermittelnden Handlungslehre besteht somit aus folgenden Elementen: Verbrechensbegriff/vermittelnd

I

I. Tatbestanbdsmaiiigkeit II. Rechtswidrigkeit III. Schuldhaftigkeit (normativ) - SzYvvLUfahigkeit (§§ 19-21) - Vorsatz bzw. Fahrlassigkeit als ^chviV&formen - bes. subj. Merkmale (insb. Gesinnungsmerkmale) 23

- (potenzielles) Unrechtsbewusstsein - Fehlen von Entschuldigungsgriinden

e) Modifikationen des Schuld(haftigkeits)begriffs der h.M. durch funktionale Elemente 14

15

16

Im Sinne einer funktionalen Betrachtungsweise werden die Elemente der Schuldhaftigkeit der Handlung in der Weise modifiziert, dass Schuldhaftigkeit nur dann vorliegen soil, wenn dies im Sinne einer Zweckhaftigkeit der Strafe liegt. Nach Roxin verlangt strafrechtliche Verantwortlichkeit mehr als nur die Schuldhaftigkeit der Handlung. Zur Schuldhaftigkeit muss die prdventive Notwendigkeit der Strafe hinzutreten.^"^ Diese fehlt z.B. beim entschuldigenden Notstand (§ 35) sowie bei sonstigen Entschuldigungsgriinden. Sie fehlt aber auch bei den SchuldausschHeBungsgriinden wie etwa bei der Schuldunfahigkeit (§ 20) oder beim unvermeidbaren Verbotsirrtum (§ 17), wenn man zu einer quantitativen Abschichtung der Einsichtsfahigkeit oder der Unvermeidbarkeit bereit ist. ^^ Das Hinzufiigen der praventiven Notwendigkeit ermoglicht es Roxin, die Straflosigkeit infolge entschuldigenden Notstandes^^ oder Verbotsirrtums zu begriinden, auch wenn in diesen Fallen die Schuld nur vermindert und nicht restlos beseitigt ist: Der Gesetzgeber halt eine Bestrafiang in Fallen dieser Art fiir nicht erforderlich Fraglich ist jedoch, ob die praventive Notwendigkeit ein Element der Schuldhaftigkeit ist. Es hat eher den Anschein, dass sie als Element der Strafbediirftigkeit zur Schuldhaftigkeit hinzutritt, ohne selbst Teil der Schuldhaftigkeit zu sein:^^

Naher zum Unrechtsbewusstsein unten § 13/41 ff. Da auch der Tater im vermeidbaren Verbotsirrtum nach § 17 S. 2 als vorsatzlich-schuldhaft Handelnder klassifiziert wird, geniigt fiir die Begriindung der Schuldhaftigkeit ein potentielles Unrechtsbewusstsein, vgl. Wessels/Beulke AT RN 429. Roxin AT 1 § 19/3 ff.; ders. Zur kriminalpolitischen Fundierung des Strafrechtssystems, FS fiir Kaiser, S. 885 ff./889 ff. Vgl. Roxin AT 1 § 19/5, 53, § 21/39 ff.; vgl. auch ders. FS fiir Arthur Kaufmann, S. 519 ff. Burkhardt in: Eser/Burkhardt StK I Nr. 14 A 26 erklart die Straffreiheit infolge entschuldigenden Notstandes damit, dass strafrechtliche Schuld nicht nur subjektive Freiheit, sondern auch eine relative Freiheit als „Freisein von ganz bestimmten inneren und auBeren Zwangen" voraussetze. Vgl. diVichHirsch ZStW 106 (1994), 757.

A. Grundlagen

261

Strafrechtliche Verantwortlichkeit = Schuldhaftigkeit der Handlung + praventive Notwendigkeit der Strafe

Bildet die praventive Notwendigkeit der Strafe bei Roxin eine zusdtzliche Bestrafungsvoraussetzung neben der Schuldhaftigkeit der Handlung, so findet bei Jakobs eine Modifizierung der Schuldhaftigkeit durch generalprdventive Gesichtspunkte, durch „Einubung in Rechtstreue"^^ statt. Das generalpraventive Erfordernis der Eintibung in Rechtstreue ist das Ergebnis der Bewertung der tatbestandsmaBigen und rechtswidrigen Handlung: Eintibung in Rechtstreue ist nicht erforderlich, wenn dem Tater die Schuldfahigkeit fehlt und der gesellschaftliche Frieden durch Einweisung in eine Heilanstalt wiederhergestellt werden kann. Sie ist auch dann nicht erforderlich, wenn der Tater weder vorsatzlich noch fahrlassig gehandelt hat oder wenn ein Entschuldigungsgrund gegeben ist. Das Erfordernis der Eintibung in Rechtstreue ist hier nur eine andere Bezeichnung fiir die Eigenschaft der vorsatzlichen und rechtswidrigen Handlung als schuldhaft. Es driickt die Skepsis gegeniiber der Auflfassung aus, „Schuld" empirisch feststellen zu konnen. Die Eintibung in Rechtstreue verselbstandigt sich jedoch, wenn der schuldunfahige Tater im Interesse der Eintibung in Rechtstreue deshalb fiir „schuldig" erklart wird, weil er nicht behandlungsfahig ist und der gesellschaftliche Frieden nur durch eine „Bestrafijng" erhalten werden kann.^^ j)

17

Die Schuldhaftigkeit als Element des Verbrechensbegriffs

Aus den heute anerkannten Elementen der Schuldhaftigkeit lasst sich zweierlei ablesen: Zum einen wird erkennbar, dass die Schuldhaftigkeit der tatbestandsmaBigen und rechtswidrigen Handlung die Regel darstellt. Die Elemente der Schuldhaftigkeit sind somit grundsatzlich als vorliegend anzunehmen, der Begriindung bedarf folglich der Ausnahmefall ihres Fehlens. In der Fallpriifiing wirkt sich dies so aus, dass auf die Elemente der Schuldhaftigkeit der Handlung nur eingegangen wird, wenn Anlass zur Annahme besteht, dass ein Element fehlt bzw. Entschuldigungsoder SchuldausschlieBungsgriinde vorliegen. Zum anderen zeigen die Elemente der Schuldhaftigkeit, dass mit der Schuldhaftigkeit als Eigenschaft der Handlung eine materielle, quantifizierbare GroBe korrespondieren muss, wie dies auch bei Rechtswidrigkeit und Unrecht der Fall ist. Denn wenn z.B. beim entschuldigenden Notstand etwas vermindert wird, so kann dieses „Etwas" nicht die Schuldhaftigkeit sein, weil eine Eigenschaft als klassifikatorische GroBe entweder vorliegt oder nicht: die Schuldhaftigkeit kann nicht vermindert werden, sie kann nur entfallen. Die gesuchte GroBe ist die Schuld,

Jakobs, Gunther Schuld und Pravention, S. 10; vgl. auch ders. AT 17/1 ff.; krit. Kohler ATS. 317. Vgl. Jakobs Schuld und Pravention, S. 11 t, ders. AT 17/18 ff.; krit. hierzu Arthur Kaufmann Jura 1986, 229; Roxin Ehrengabe fiir Anne-Eva Brauneck, S. 391; ders. FS fiir Mangakis, S. 243.

18 19

20

§ 7.

262 21

Damit korrespondieren in den Stufen des Verbrechensbegriffs folgende klassifikatorischen und quantifizierbaren GroBen:

1. Stufe 2. Stufe 3. Stufe 3. 22

Schuldhaftigkeit und Schuld

Eigenschaft der Handlung strqfbarkeitshozogQn

Gehalt straffzumessungsJhQzogon

TatbestandsmaBigkeit Rechtswidrigkeit Schuldhaftigkeit

Unwert Unrecht Schuld

Die Schuldhaftigkeit als Schuldhaftigkeit der Tat

Indem wir zwischen Schuldhaftigkeit und Schuld unterschieden haben und die Schuldhaftigkeit als Eigenschaft der tatbestandsmaBigen und rechtswidrigen Handlung erkannt haben, bezieht sich die Schuldhaftigkeit auf die jeweilige konkrete Tat, einschlieBlich der Gesinnungsfaktoren'^, die in der Einzeltat Ausdruck gefiinden haben. In Leitfall 7/1 bestand die Schuldunfahigkeit zum Zeitpunkt der Totungshandlung. Sie kann A folglich nicht als schuldhaft verwirklichte „Taf' vorgeworfen werden.

11. Schuld als Vorwurf der tatbestandsmaOigen, rechtswidrigen und schuldhaften Verwirklichung eines Unwertes (Strafzumessungsschuld) 23

Trotz aller Unsicherheit iiber den Begriff der materiellen Schuld^^ (im Unterschied zur Schuldhaftigkeit der Handlung) kann man sich ihm nahern, wenn man sich an Hand der oben nach RN 21 dargestellten Ubersicht in Erinnerung ruft, wie die Schuld als Strafrechtsbegriff Bestandteil des Verbrechensbegriffs ist. Dann gilt aber folgendes: - Weil Unrecht die tatbestandsmaBige und rechtswidrige Verwirklichung eines Unwertes darstellt und - Schuld die schuldhafte Verwirklichung von Unrecht ist, - ist Schuld die tatbestandsmaBige, rechtswidrige und schuldhafte Verwirklichung eines Unwertes Beispiel 7/1: Wenn A den B vorsatzlich totet und keine Anhaltspunkte vorliegen, welche die Rechtswidrigkeit und die Schuldhaftigkeit dieser Handlung ausschliefien, dann besteht die Schuld des A in der Totung, im Tod des B. Die Unwertverwirklichung „Tod des B", die tatbestandsmaftig, rechtswidrig und schuldhaft herbeigefiihrt worden ist, ist die Schuld des A. A ist des Todes des B schuldig. Es werden ihm die Totung und der Tod des B vorgeworfen.

24

Schuld ist somit Unwertverwirklichung, wenn diese Unwertverwirklichung tatbestandsmaBig, rechtswidrig und schuldhaft erfolgt. Man kann dieser ^^ Vgl. Gallas ZStW 67 (1955), 45; Jescheck/Weigend AT § 38 II 5. ^^ Vgl. zum materiellen Schuldbegrifif Cerezo Mir ZStW 108 (1996), 9 ff.; Hirsch ZStW 106 (1994), 746 ff.

A. Grundlagen

263

Uberlegung keine Zirkelschltissigkeit vorwerfen. Denn ebenso wie Unrecht darauf beruht, dass eine tatbestandsmaBige Handlung rechtswidrig ist, beruht Schuld darauf, dass eine tatbestandsmaBige und rechtswidrige Handlung das Pradikat ^^schuldhaff tragt. Schuld ist qualifizierte Unwertverwirklichung.^^ Oft wird Schuld als Vorwerfbarkeit von etwas, als ein „Dafiir-K6nnen",^^ also klassifikatorisch und nicht quantitativ beschrieben. Vorwerfbar ist indessen die Handlung. Die Vorwerfbarkeit beschreibt somit gar nicht die Schuld, sondern die Handlung. Dies erstaunt nicht. Denn wenn wir von TatbestandsmaBigkeit, Rechtswidrigkeit und „Schuld" als den Stufen des Verbrechensaufbaus sprechen, dann benutzen wir nur eine ungenaue Sprache fiir „TatbestandsmaBigkeit, Rechtswidrigkeit und Schuldhaftigkeit".^"^ Und genauso wie sich die Strafi'echtsdogmatik mit den Kategorien der TatbestandsmaBigkeit und Rechtswidrigkeit beschaftigt, ist es die Schuldhaftigkeit^ die den Gegenstand der Erorterungen innerhalb der dritten Stufe des Verbrechensbegriffs bildet. Die Schuld des Taters besteht hingegen nur noch darin, dass er einen tatbestandlich umschriebenen Unwert rechtswidrig und schuldhaft verwirklicht hat. Strafrechtliche Schuld bedeutet damit die schuldhafte Verwirklichung von Unrecht. Sie selbst ist aber nicht Vorwerfbarkeit als Eigenschaft des Unrechts, sondern der Vorwurf, dessen Objekt das Unrecht ist.^^ In unserer Sprache kommt dieser Zusammenhang deutUch zum Ausdruck. Denn wir sprechen von Schuldvorwurf Was dem Tater vorgeworfen wird, ist aber nicht die Schuld, sondern die Tat, z.B. die Totung eines Menschen. Wir werfen ihm den Leichnam vor die FtiBe und beschuldigen ihn seiner Tat. Weil die Schuld des Taters somit der Vorwurf des durch ihn schuldhaft verwirklichten Unrechts ist, ist Schuld quantifizierbar und ihr MaB vom MaB des verwirklichten Unrechts abhdngig. Sie ist nicht klassifikatorische Vorwerfbarkeit, sondern substantieller quantifizierbarer Vorwurf Weil das in der Tat verwirklichte Unrecht aber auch personales Unrecht ist, hangt die Schuld auch von der Person des Taters ab. Dies ist insoweit unproblematisch, als die Person und die Personlichkeit des Taters in der tatbestandlichen Unwertbeschreibung - etwa als Mordmerkmal - zum Ausdruck kommt. AuBerhalb dieses Bereichs ist die Beriicksichtigung der Taterpersonlichkeit jedoch nicht mogHch, weil die Einzeltat nicht nur den Ankniipftmgsgrund, sondern auch die Grenze der Bewertung der Tat als schuldhaft bildet. Man tiberlegt deshalb, neben

Nicht zu Unrecht spricht sich Hornle, JZ 1999, 1087 f, daher fur eine Anbindung des Strafzumessungsrechts an die Verbrechenslehre aus. Vgl. Welzel LB S. 140; Wessels/Beulke AT RN 401 sowie die Nachweise bei Roxin AT 1 § 19/18. Vgl. auch Lenckner in: Schonke/Schroder RN 114 vor § 13; Roxin AT 1 § 19/15. Vgl. auch Lenckner didiO\ Maurach/Zipf AT 1 § 30 RN 2; AK-Schild RN 129 vor § 13: „Schuld' ist nur die Straftarkeit als Ganzes."

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§ 7.

Schuldhaftigkeit und Schuld

der Einzeltatschuld auf eine Lebensfiihrungsschuld oder Charakterschuld^^ bzw. eine „Dispositionsschuld"^^ zuriickzugreifen. Uberiegungen dieser Art sind insofern berechtigt, als die quantifizierbare Schuld die „Grundlage fiir die Zumessung der Strafe" (§ 46 I) ist und in diesem Zusammenhang auch die „Umstande, die fur und gegen den Tater sprechen", gegeneinander abzuwagen sind (§ 46 II). Dennoch dtirfen diese Umstande nicht dazu fuhren, dass die Grenze der aus der Verwirklichung der gesetzlich beschriebenen Tat resuitierenden Schuld und Strafe iiberschritten wird.^^ Sie konnen und miissen jedoch innerhalb dieser Grenze bei der Festsetzung der fur den konkreten Tater erforderlichen Strafe beriicksichtigt werden.^^ Fiir die Strafzumessungsschuld spielt es schlieBlich auch eine RoUe, ob der Erfolg vorsatzUch oder fahrlassig herbeigeflihrt worden ist. Es ist deshalb der h.M. zuzustimmen, die Vorsatz und Fahrlassigkeit nicht nur als Elemente des Unrechts, sondern auch als Kriterien fiir die GroBe des Schuldvorwurfs versteht. Der Vorwurf vorsatzlichen Handelns wird daher nach der herrschenden sog. eingeschrankten Schuldtheorie zu Recht verneint, wenn der Tater zwar vorsatzlich einen Straflatbestand erfiillt hat, dies aber in der irrigen Annahme geschehen ist, dass ein Rechtfertigungsgrund vorliege, wie z.B. bei Putativnotwehr."^^ III. Wiilensfreiheit als Voraussetzung von Schuld?

30 31

32

Strafe setzt Schuld voraus {nulla poena sine culpa, Schuldprinzip)/^ keine Strafe ohne schuldhafle Verwirklichung tatbestandsmaBigen Unrechts. Als Vorwurf an den Tater, tatbestandliches Unrecht schuldhafl verwirklicht zu haben, setzt Schuld als GroBe innerhalb eines an Vernunflt und Menschenwiirde orientierten Strafrechts voraus, dass der Tater die Tat tiberhaupt hatte vermeiden konnen. Dies wiederum ist aber nur moglich, wenn ein Mensch tiberhaupt in der Lage ist, sich frei fiir oder gegen ein Handeln zu entscheiden, wenn von einer Wiilensfreiheit auszugehen ist."^^ Gegen eine freie Willensentscheidung spricht - unter Hinweis auf die neuere Hirnforschung"^^ - die Auffassung des Determinismus^ wonach alles Geschehen in Vgl. Mezger Die Strafe als Ganzes ZStW 57 (1938), 675/688 ff.; Engisch Zur Idee der Taterschuld ZStW 61 (1942), 166/170 £f. Vgl. Maihofer Objektive Schuldelemente, in FS fiir Hellmuth Mayer, S. 185/215: objektive Schuldelemente als Gegenindikationen fur bestimmte Falle der Anormalitat von „Umwelt" und „Anlage" nach dem Prinzip der Sozialschuld und Dispositionsschuld. Sog. strafbegrenzende Wirkung des Schuldprinzips, Hirsch ZStW 106 (1994), 748. (9//oGKAT§ 12/23. Naherunten§ 13/110 ff. S.o. § 2/42 ff. Umfassend zu Determinismus und Indeterminismus Dreher Wiilensfreiheit, 1987; vgl. auch Lenckner in: Schonke/Schroder RN 108 ff. vor § 13, Mezger, Edmund Strafrecht, 2. Aufl. 1933, S. 251 ff.; WelzelhB S. 142 ff. Roth Forschung und Lehre, 2004, S. 132 t ders. Wiilensfreiheit, Verantwortlichkeit und Verhaltensautonomiedes Menschen aus Sicht der Hirnforschung, FS fur Lampe, S. 43 ff.; Singer, Wolf Ein neues Menschenbild? Gesprache tiber Hirnforschung, 2003; krit. zur Verneinung der Wiilensfreiheit Rath Freiheit der Hirnforschung, Zeitschrift fur

A. Grundlagen

265

der Welt eine zwingende Ursache habe. Auch fur die Entscheidung eines Menschen gibt es nach dieser Auffassung immer eine zwingende Erklarung. Selbst Spontanreaktionen sind nicht Ausdruck von Willensfreiheit, sondern das Ergebnis zwangsiaufiger Stoffwechselvorgange im Gehirn des Menschen. Die Straftat ware danach ein naturhafter Vorgang, der menschHche Wille nicht frei, sondern Ausdruck von Zwang. Aus dieser Sicht des Determinismus ware auch die Straftat das Ergebnis eines zwangslaufigen Vorgangs. Sie konnte dem Tater nicht zum Vorwurf gemacht werden, weil er sein Verhalten gar nicht vermeiden kann. Demgegeniiber vertreten Anhanger eines sog. Indeterminismus die Ansicht, 33 dass Kausalvorgange die Natur betrefFen, die Willensfreiheit hingegen ein Ausdruck menschlichen Gestaltens ist, welches der Natur entzogen ist. Ob dies eine iiberzeugende Losung darstellt, mag bezweifelt werden. Denn sie widerlegt nicht, dass auch Spontaneitat, Kreativitat und Personlichkeit naturgesetzlich erklarbar sind. Burkhardf"^ versucht deshalb, Willensfreiheit - gesttitzt 2iv£ Haddenbrock^^ - subjektiv-prospektiv mit dem Bewusstsein des Anderskonnens zu begriinden: Wir sind frei, weil wir in dem Bewusstsein leben, in der jeweils konkreten Situation auch anders handeln zu konnen. Nach Schild^^ hat Freiheit immer mit Verantwortung vor sich selbst (seinem Gewissen) oder vor den anderen, mit denen man in Rechtsverhaltnissen lebt, zu tun. Indeterminismus und Determinismus stellen als abstrakte Theorien jeweils ein Moment der wirklichen, endlichen, sich selbstbestimmenden Freiheit als Praxis einseitig heraus. Sie theoretisieren und verfehlen daher die immer vorausgesetzte Einheit der Freiheit als Praxis. Tiemeye/^ kommt zu dem Ergebnis, dass das strafrechtliche Normengefiige eine Systematik aufweise, die es vom Indeterminismus unabhangig mache. Nach der kurzlich von Guss^^ vorgelegten „ontogenischen Theorie der Willensfreiheit" sind Determinismus und Indeterminismus physikalische Modellvorstellungen, die sich nicht auf seelische Sachverhalte ubertragen lassen. Die Kontroverse zwischen Determinismus und Indeterminismus gehe daher am Problem der Willenfreiheit vollkommen vorbei. Willensfreiheit ist nach Guss eine fundamentale Gewissheit (Evidenztheorem), die sich in alien Handlungen und Schopfungen des Menschen manifestiert (Kreativitatstheorem). Sie entspringt der menschlichen Fahigkeit, die Ich-Grenze zu uberschreiten (Transzendenztheorem). Willensfreiheit lasst sich ontologisch nicht „feststellen"; sie ist nichts Hervorgebrachtes, sondern die Bedingung des Hervorbringens. Uberwiegend geht man heute davon aus, dass eine Entscheidung zwischen den abstrakten Theorien des Determinismus und des Indeterminismus nicht getrofFen werden kann, weil keine der beiden Auffassungen beweisbar ist."^^ Statt

Rechtsphilosophie 2004, 164 ff.; vgl. auch Luderssen Andert die Hirnforschung das Strafrecht?, Frankfurter AUgemeine Zeitung v. 4.11.2003, S. 33. FS fiir Lenckner, S.3/6, 24 sowie in Eser/Burkardt StK I Nr. 14 A 25 f., 31; vgl. auch Hirsch ZStW 106 (1994), 763. Haddenbrock, Strafrechtliche Handlungsfahigkeit und „Schuldfahigkeit" (Verantwortlichkeit), in: Goppinger/Witter (Hrsg.), Handbuch der forensischen Psychiatric Bd. II, 1972, S. 886 ff./105 ff., 116, 244flf.;ders, GA 2003, 529. AK Vorbemerkungen zu §§ 20, 21 RN 68 ff. ZStW 105 (1993), 483/519 ff.; vgl. auch Griffel GA 1996, 457 ff.; Haddenbrock NStZ 1995, 581; vgl. mch Krumpelmann GA 1983, 337 ff. Guss Willensfreiheit, 2002. Vgl. auch Lenckner in: Schonke/Schroder RNUO vor §13; Naucke Einfuhrung, §7 RN32ff.

34

266

§ 7.

Schuldhailigkeit und Schuld

dessen versucht man, die Freiheitsfrage aus den Uberlegungen zu eliminieren, indem man Wege sucht, das Schuidhaftigkeitsurteil als Vorwurf zu begrunden, ohne auf den Nachweis der Willensfreiheit angewiesen zu sein.^^ Die Losung liegt darin, dass man nicht mehr auf Freiheit als absolute GroBe abstellt, sondern sich feststellbaren und beweisbaren strafzweckorientiert mit einer vergleichend Beeinflussbarkeit begntigt.^^ Es geniigt die MogHchkeit einer Uberdetermination^ die nicht als Freiheit von auBeren Einflussen, wohl aber als Freiheit zu eigener Mitgestaltung der Zukunft aufzufassen ist. Beispiel 7/2: Wenn durch entsprechende Schilder die Hochstgeschwindigkeit in einer StraBe von 50 auf 30 km/h reduziert wird, lasst sich durch Geschwindigkeitsmessungen feststellen, dass ein gewisser Anteil der Kraftfahrer die Geschwindigkeit in der Tat reduziert. Sekundar ist es nun, ob diese Kraftfahrer freiwillig oder unfreiwillig ihre Geschwindigkeit reduzieren, ob sie unter einem Zwang handeln oder nicht. Entscheidend bleibt, dass man durch die Geschwindigkeitsbegrenzung das Verhalten der Kraftfahrzeugfiihrer beeinflussen kann. 35

Wenn man somit von einer Beeinflussbarkeit ausgehen kann, dann kann man dem tatbestandsmaBig und rechtswidrig Handelnden, bei dem sonstige, die Schuldhaftigkeit einschrankende Gesichtspunkte nicht vorliegen, in der Tat vorwerfen, dass er sein Handeln nicht durch die strafrechtlich verstarkte Verbaltensnorm hat beeinflussen lassen, obwohl ihm dies moglich gewesen ware. IV. Zur Wiederholung K'^~^"'^llfragen ichem Ziel c

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Literatur

Dreher, Eduard Die Willensfreiheit, 1987; Eser/Burkhardt StK 1 Nr. 14, 17; Griffel Willensfreiheit und Strafrecht, GA 1996, 457 ff.; Guss, Kurt Willensfreiheit oder: Beruht das deutsche Strafrecht auf einer Illusion?, 2002; Arthur Kaufmann Unzeitgemalie Betrachtungen zum Schuldgmndsatz im Strafrecht, Jura 1986, 225 ff.; Maurach/Zipf AT 1 §§ 30-36; Roth Kant und die Hirnforschung, Forschung und Lehre, 2004, S. 132 f.; ders. Willensfreiheit, Vgl. Burgstaller JAP 1995/96, 83 ff./86 links. Vgl. Roxin Das Schuldprinzip im Wandel, FS f(ir Arthur Kaufmann, S. 519 ff.; zur Diskussion in Japan Ida, Makoto Die heutige japanische Diskussion tiber das Strafrechtssystem, 1991, S. 151 f Arthur Kaufmann Jura 1986, 226.

B. SchuldausschlieBungs- und -mindeningsgriinde

267

Verantwortlichkeit und Verhaltensautonomie des Menschen aus Sicht der Hirnforschung, FS fur Lampe, S. 43 ff.; Roxin AT 1 §§ 19, 20; ders. Das Schuldprinzip im Wandel, FS fur Arthur Kaufmann, S. 519 ff.; Singer, Wolf Em neues Menschenbild? Gesprache tiber Hirnforschung, 2003; SK-Rudolphi Vorbem. § 19 sowie die Kommentierung zu §§ 19, 20, 21.

Zur Vertiefung Achenbach, Hans Historische und dogmatische Grundlagen der strafrechtssystematischen Schuldlehre, 1974; Cerezo Mir, Jose Der materielle Schuldbegriff, ZStW 108 (1996), 9 ff. = Leipziger Juristische Vortrage, Heft 31 1997; Engisch, KarlDiQ Lehre von der Willensfreiheit in der strafrechtsphilosophischen Doktrin der Gegenwart, 2. Aufl. 1965; Haddenbrock Geistesfreiheit und Geisteskrankheit, NStZ 1995, 581; Hirsch Das Schuldprinzip und seine Funktion im Strafrecht, ZStW 106 (1994), 746 fif.; Jakobs, Giinther Schuld und Pravention, 1976; ders. AT 17., 18. Abschn.; Krumpelmann Dogmatische und empirische Probleme des sozialen Schuldbegriffs, GA 1983, 337 ff.; Lenckner in: Schonke/Schroder RN 103-123 vor § 13; Lenckner/Perron in: Schonke/Schroder §§ 19-21; Schunemann Die Entwicklung der Schuldlehre in der Bundesrepublik Deutschland, in: Hirsch/Weigend (Hrsg.), Strafrecht und Kriminalpolitik in Japan und Deutschland, 1989, S. 147 ff.; Tiemeyer Der „relative Indeterminismus" und seine Bedeutung fur das Strafrecht, ZStW 105 (1993), 483 ff.; Trondle/Fischer § 20 RN 2 ff.

B. SchuldausschlieBungs- und -minderungsgrunde Damit die Handlung schuldhaft ist, diirfen keine SchuIdausschlieBungsgriinde eingreifen. Schuldausschliepungsgrunde sind vom Gesetzgeber abschliefiend (numerus clausus) festgelegte Sachverhalte, bei deren Vorliegen zugunsten des Taters Nachsicht geiibt werden und die tatbestandsmaBige und rechtswidrige Handlung deshalb von vornherein nicht schuldhaft sein soil (§§ 17 S. 1, 20). Bei den Schuldminderungsgriinden ist die Handlung zwar schuldhaft, der Schuldvorwurf an den Tater jedoch gemindert (§§ 17 S. 2, 21). Der numerus clausus der SchuldausschlieBungs- und -minderungsgrunde hat seinen Grund darin, dass die Anerkennung der Falle, in denen dem Tater sein rechtswidriges Handeln dennoch nicht oder nur eingeschrankt zum Vorwurf gemacht werden soil, das Ergebnis eines in Gesetzesform gegossenen gesellschaftlichen Konsenses bildet. Die Erweiterung oder Einschrankung ist ohne jene formliche Konsensbildung nicht moglich, well sich ein natiirlicher Konsens in Fragen des Ubens von Nachsicht erfahrungsgemaB nicht ergibt. I.

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Schuldunfahigkeit und verminderte Schuldfahigkeit (§§ 19, 20, 21; § 1IIJGG)

Das Strafgesetz geht von der Schuldfahigkeit des Menschen als Kegel aus und beschrankt sich auf die Beschreibung von Sachverhalten in den §§20 und 21, bei deren Vorliegen sie ausnahmsweise nicht gegeben ist. Dementsprechend reduziert

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268

§ 7.

Schuldhaftigkeit und Schuld

sich die Perspektive der Praxis bei gegebenem Anlass auf die Prlifung, ob das Strafgesetz die Schuldhaftigkeit der Tatbegehung im konkreten Fall ausnahmsweise verneint. ^^ Dies kann darauf beruhen, dass der individuelle Tater unfahig ist, das Unrecht der Tat einzusehen (Einsichtsfdhigkeit) oder nach dieser Einsicht zu handeln (Steuerungsfdhigkeit als Fahigkeit, seinen Willen unter Aufbietung aller Widerstandskrafte durch verntinftige Erwagungen zu bestimmen) (s.u. 2). Die Ausnahme kann ihre Grundlage aber auch darin haben, dass das Gesetz bei bestimmten Personengruppen generell von einer Schuldunfahigkeit ausgeht (s.u. 1). 1. 39 40

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Altersabhangige Schuid(un)fahigkeitsstufen

Nach § 19 sind Kinder, d.h. Personen, die bei Begehung der Tat noch nicht 14 Jahre alt sind, schuldunfahig.^"* Ausschlaggebend ist allein das Alter. Jugendliche, d.h. Personen, die z.Z. der Tat 14, aber noch nicht 18 Jahre alt sind (vgl. § 1 II JGG) sind gemaB § 3 JGG nur dann strafrechtlich verantwortlich, wenn sie z.Z. der Tat nach ihrer „sittlichen und geistigen Entwicklung" reif genug sind, das Unrecht der Tat einzusehen und nach dieser Einsicht zu handeln. § 3 JGG ist so formuliert, dass die Schuldfahigkeit eines Jugendlichen an Hand der gesetzHchen Kriterien/>05'/Y/v festgestellt werden muss. Ist jene Feststellung nicht moglich, muss von Schuldunfahigkeit ausgegangen werden. Man spricht insoweit von einer bedingten Schuldfdhigkeit Jugendlicher. Personen, die z.Z. der Tat 18, aber noch nicht 21 Jahre alt sind {Heranwachsende, vgl. § 1 II JGG) sind schuldfdhig wie Erwachsene. Zwar kann auf sie nach den §§ 105, 106 JGG Jugendstrafrecht angewandt bzw. die Rechtsfolgen nach allgemeinem Strafrecht gemildert werden, ihre Schuldfahigkeit bleibt von diesen Vorschriften jedoch unbertihrt. 2.

Biologisch und psychologisch bedingte Schuldunfahigkeit

a) Voile Schuldunfdhigkeit, § 20 RR ^^

§ 20 Schuldunfahigkeit wegen seelischer Storungen. Ohne Schuld handelt, wer bei Begehung der Tat wegen einer krankhaften seelischen Stoning, wegen einer tiefgreifenden Bewusstseinsstorung Oder wegen Schwachsinns oder einer schweren anderen seelischen Abartigkeit unfahig ist, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln.

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Bei der Bestimmung der Schuldunfahigkeit wegen seehscher Storungen spielen biologische und psychologische Gesichtspunkte eine RoUe, wobei die psychologische Komponente auf der biologischen beruhen muss. Man spricht deshalb schlagwortartig von einer biologisch-psychologischen Methode.

^^ Hirsch ZStW 106 (1994), 750. ^^ Zum Hintergrund dieser Altei Altersgrenze Wolfslast Strafrecht fur Kinder? Zur Frage einer Herabsetzung der Strafmiindigkeitsgrenze, FS fur Bemmann, S. 274 ff.

B. Schuldausschlieiiungs- und -minderungsgninde

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aa) Biologische Komponente In biologischer Hinsicht enthalt § 20 drei Gruppen anomaler Zustande: - krankhafte seelische Storungen'^

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43

Der Schwerpunkt jener Fallgmppe liegt anf dem Eigenschaftswort „krankhaft". Denn es muss sich um psychische Anomalien handeln, die „korperlich-krankhaft" (somatisch-pathologisch) bedingt sind. Hierunter fallen „von auBen kommend" exogene Hirnverletzungen, exogene Psychosen (z.B. Epilepsie, Hirnarteriosklerose) oder von innen kommende (endogene) Anomalien wie endogene Psychosen, insbesondere Schizophrenie (Bewusstseinsspaltung) Oder Zyklothymie (manisch-depressives Irresein). Die endogenen psychischen Anomalien werden deshalb zu den krankhaften seelischen Storungen gerechnet, weil die Psychiatric insoweit cine somatische Ursache postuliert.^^ Schlielilich werden zu den krankhaften seelischen Storungen auch Rauschzustande durch Vergiftung gerechnet. Bin Teil der Lehre nimmt auch bei alkoholbedingten Rauschzustanden eine krankhafte seelische Stoning (Vergiftung!) an.^^ Die Rechtsprechung und ein anderer Teil der Lehre bevorzugen hier hingegen die Einordnung als tiefgreifende Bewusstseinsstorung.^^ Was die Hohe der Blutalkoholkonzentration anbelangt nimmt die neuere Rechtsprechung des BGH^^ allenfalls eine widerlegbare Vermutung dahingehend an, dass bei einer BAK von 2 %o die Schuldfahigkeit erheblich beeintrachtigt und ab einer BAK von 3 %o vollstandig aufgehoben ist.^^ Dies bedeutet eine Aufgabe der Entscheidung BGH 4 StR 117/90 BGHSt 37, 231, die noch davon ausging, dass ohne Rucksicht auf psychodiagnostische Beurteilungskriterien allein wegen einer bestimmten Blutalkoholkonzentration zur Tatzeit in aller Regel das Vorliegen einer erheblich verminderten Steuerungsfahigkeit anzunehmen ist.

- tiefgreifende Bewusstseinsstorungen^^ Da die krankhaften seelischen Storungen bereits der ersten Fallgmppe zugeordnet werden, hat die tiefgreifende Bewusstseinsstorung bei nichtkrankhaften Zustanden Bedeutung, d.h. Storungen, die nicht auf nachweisbaren oder postulierbaren organischen Defekten beruhen. Insbesondere gehoren hierzu Erschopfung, tjbermtidung, Schlaftrunkenheit oder Hypnose, nach der Rechtsprechung und einem Teil der Lehre auch der alkoholbedingte Rausch. Zwar ist anerkannt, dass auch hochgradige Affekte^^ die Voraussetzungen einer tiefgreifenden Bewusstseinsstorung erfiillen konnen, jedoch ist man sich uneins daruber, ob der Affekt nur dann als tiefgreifende Bewusstseinsstorung anerkannt werden kann, wenn der Tater nicht imstande war, unter den konkreten Umstanden den Aufbau des Affekts zu verhindern und Vgl. auch LK-Jdhnke § 20 RN 14fif.,20 ff. Naher hierzu LK (10. AvUyiange § 21 RN 14fif.mwN. Vgl. LK (10. Awfl.yiange § 21 RN 19; umfassend und krit. zum „somatischen" Ansatz AKSchild § 20 RN 4, zu den Psychosen RN 111 ff. Vgl. LK-Jdhnke § 20/24, 42; Lackner/Kuhl § 20 RN 4; Trondle/Fischer § 20 RN 11. Naher LK (10. Aufl.)-La/7g^ § 21 RN 24 ff.; vgl. auch die Nachweise bei Lackner/Kuhl § 20 RN4, 6. BGH 1 StR 511/95 BGHSt 43, 67; 4 StR 147/97 NStZ 1997, 591. Vgl. Richter am BGH Maatz StV 1998, 279 ff./281, 283; zur Starke der alkoholischen Beeinflussung als Beweisanzeichen fiir die Schuld(un)fahigkeit BGH 3 StR 144/97 NStZ 1997, 592; zur RoUe der fiir eine uneingeschrankte Steuerungsfahigkeit trotz Alkoholisierung herangezogenen psycho-diagnostischen Kriterien BGH 4 StR 521/99 NStZ 2000, 136. vgl. auch BGH, Vorlagebeschluss v. 9. 7. 1996, 1 StR 511/95 StV 1996, 593 ff. Naher hierzu LK(10. Kv^.yiange § 21 RN 21 ff. Zur Problematik der forensischen Begutachtung von Affektdelikten Endres JZ 1998, 674 ff.; zum Affekt aus rechtsphilosophischer Sicht Kohler Zur Zurechnung von Affekt und Leidenschaft - Gesichtspunkte der praktischen Philosophic, in: Diethelm Klesczewski (Hrsg.), Affekt und Strafrecht, 2004, S. 9 ff.

43 a

270

§ 7.

Schuldhaftigkeit und Schuld

die Folgen seiner Entladung einschlieBlich der Affekttat vorauszusehen.^"^ Tiefgreifend ist die Bewusstseinsstorung, wenn sie das Personlichkeitsgefiige in vergleichbar schwerwiegender Weise beeintrachtigt wie eine krankhafte seelische Stoning. ^^ -

Schwachsinn und andere seelische Abartigkeiterf^ Auch jener Fallgruppe gehoren - im Gegensatz zur ersten Fallgruppe - nichtkrankhafte seelische Storungen an. Beim Schwachsinn handeh es sich um eine angeborene oder auf seehscher Fehlentwicklung beruhende Intelligenzschwache. Zu den „anderen schweren seelischen Abartigkeiten" werden insbesondere Psychopathien und Neurosen, aber auch Fehlentwicklungen wie Kleptomanie oder Fetischismus gerechnet.^^ Auch hier ist die Schwere in der Vergleichbarkeit mit der krankhaften seelischen Stoning in der ersten Fallgruppe zu bestimmen. Die Stoning muss ein solches Gewicht haben, dass sie den Tater im Kern seiner Personlichkeit beeintrachtigt und damit seine Fahigkeit zu sinnvollem Handeln vollig oder in gewissen Beziehungen zerstort.^^

bb) Psychologische Komponente 44

Die psychologische Komponente der Schuldunfahigkeit besteht in der Unfahigkeit, - das Unrecht der Tat einzusehen (mangelnde Einsichtsfdhigkeii) oder - nach dieser Einsicht zu handeln (mangelnde Steuerungsfdhigkeii)

45

Unter mangelnder Steuemngsfahigkeit versteht man die Unfahigkeit, seinen Willen trotz Aufbietung aller Widerstandskrafte durch verniinftige Erwagungen zu bestimmen. b)

46

47

Verminderte Schuldfdhigkeit, §21

Fiir Falle erhebhch verminderter Einsichts- oder Steuemngsfahigkeit auf der biologischen Basis des § 20 sieht § 21 die Moglichkeit einer Strafmildemng nach Versuchsgmndsatzen vor. Die Handlung ist hier schuldhaft, jedoch ist der gegen den Tater erhobene Schuldvorwurf gemindert. Das Merkmal der Erheblichkeit dient dazu, Falle auszuschlieBen, die noch innerhalb des „Normalbereiches" eingeordnet werden konnen. Der Schwerpunkt des Anwendungsbereichs von § 21 liegt im Bereich alkoholbedingter Rauschzustande.^^ Allerdings verneint der BGH eine Strafmildemng nach §§ 21, 49 I, wenn der Tater den Rauschzustand in vorwerfbarer Weise herbeigefuhrt hat.^^ Naher hiQizn Lackner/Kuhl § 20 RN. 7; Theune NStZ 1999, 273 ff. Vgl. BGH 3 StR 500/82 NStZ 1983, 280; 3 StR 370/89 NStZ 1990, 231. Ein Ausdruck aus dem Sprachgebrauch des Dritten Reiches (Lingua Tertii Imperii, vgl. Klemperer, Victor LTI. Notizbuch eines Philologen, 16. Aufl. 1996), dessen Verwendung auch als Fachterminus unertraglich sein soUte; vgl. auch Jakobs AT 18/19 mit FN 47. Naher Lenckner/Perron in: Schonke/Schroder § 20 RN 21 ff.; MK-Streng § 20 RN 40 fif. Vgl. BGH 4 StR 153/97 StV 1997, 628 f. Vgl. Lackner/Kuhl § 21 RN 2; Lenckner/Perron in: Schonke/Schroder § 21 RN 9 mwN. Weil die Blutentnahme nach der Tat erfolgt, muss die BAK fur den Tatzeitpunkt riickgerechnet werden. Lasst sich der individuelle Abbauwert nicht feststellen, muss zu Gunsten des Angeklagten von einem moglichst hohen (0,2 %o pro Stunde, z.B. bei Zweifeln liber die Schuldfahigkeit) bzw. von einem moglichst niedrigen (0,1 %o pro Stunde, z.B. beim

43b

B. Schuldausschlieiiungs- und -minderungsgriinde

271

Obwohl der Wortlaut von § 21 eine Strafmilderung zulasst, wenn die 48 Einsichts/a/2/gfe// oder die StQUQUxngsfdhigkeit erheblich vermindert sind, halt die h.M. § 21 dann fiir nicht anwendbar, wenn der Tater trotz verminderter Einsichtsfahigkeit das Unrecht der Tat eingesehen hat^^ In Leitfall 7/1 nahm der BGH an, dass der Tater zur Tatzeit schuldunfahig war. Denn die Blutalkoholkonzentration von 1,95 %o habe bei A zu einer tiefgreifenden Bewusstseinsstorung gefuhrt, auf der wiedemm die Unfahigkeit beruht habe, das Unrecht einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln. 3.

Scheinbare Ausnahmen von der Straflosigkeit bei Schuldunfahigkeit

a)

Actio libera in causa'^ Beispiel 7/3: A will B umbringen, trinkt sich Mut an und totet B im schuldunfahigen Zustand aufgrund mangelnder Einsichtsfahigkeit infolge einer durch eine Blutalkoholkonzentration von 3,3 %o verursachten krankhaflen seelischen Stoning bzw. tiefgreifenden Bewusstseinsstorung.

Unter einer actio libera in causa versteht man das verantwortliche Ingangsetzen eines Verhaltens, das zur Tatbestandsverwirkhchung im Zustand der Schuldunfahigkeit fuhrt.^^ Die Bestrafung erfolgt dann so, als ob der Tater zum Tatzeitpunkt einsichts- und steuerungsfahig gewesen ware. Im Beispiel 7/3 beruht diese Erstreckung des strafrechtlichen Vorwurfs darauf, dass der Tater in noch verantwortlichem Zustand eine vorwerjbare innere Beziehung zur spateren Tat hergestellt hat. Denn er liell sich trotz der Vorstellung, dass er im Rausch voraussichtlich eine bestimmte Straftat begehen werde, nicht vom tibermaJiigen Alkoholgenuss abhalten.^"* Die Ankniipfung der Verantwortlichkeit an den Zeitpunkt der Schuldfahigkeit droht freilich mit dem Schuldprinzip zu kolhdieren, dessen Konkretisierung in § 20 verlangt, dass der Tater ,,bei Begehung der Tat" schuldhaft gehandelt hat. Nach einem Ausweg suchen im wesenthchen folgende Begriindungsansatze:^^ aa) Mittelbare

49

50

Taterschaft i.76

Bei der mittelbaren Taterschaft bedient sich der Tater eines Werkzeugs zur Begehung der Tat. Bei der actio libera in causa wiirde der Tater sich selbst als Verdacht einer Trunkenheitsfahrt) Abbauwert ausgegangen werden, vgl. Wessels/Beulke AT RN412. Vgl. BGH 3 StR 435/02 NStZ 2003, 480 sowie bei Baier JA 2003, 104 ff. Vgl. Lackner/Kuhl § 21 RN 1 mwN. Wortlich ubersetzt: die in der Ursache freie Handlung. Umfassend zur actio hbera, auch unter Einbeziehung des rechtshistorischen und des rechtsvergleichenden Aspektes Hettinger Die „actio libera in causa"..., 1988; vgl. auch Ebert AT S. 99 ff.; Hillenkamp 13. Problem; Jerouscheck JuS 1991, 385 ff.; i^w/z/AT § 11/6 ff.; Lenckner/Perron in: Schonke/Schroder § 20 RN 33 ff.; kritisch und i.E. ablehnend Sydow Die actio libera in causa, 2002. Vgl. BGH 4 StR 500/67 BGHSt 21, 381; zur Rolle des actio libera-Gedankens auch im Bereich „alltaglicher" Straflatbegehung Schild FS ftir Triffterer, S. 203/215 ff. Vgl. BGH 4 StR 217/96 NJW 1997, 138/139; vgl. auch BGH 4 StR 88/62 BGHSt 17, 333/334 f; Lenckner/Perron in: Schonke/Schroder § 20 RN 33. Vgl. Hettinger actio libera in causa, S. 436 ff.; LK-Jdhnke § 20 RN 76 ff.; Sydow, S. 49 ff. Naher zur mittelbaren Taterschaft § 10 RN 46 ff.

51

272

§ 7.

Schuldhafligkeit und Schuld

Werkzeug benutzen^^ Jene Konstmktion ist dann unproblematisch, wenn sich der Tater eines Dritten bedient. So konnte A im Beispiel 7/3 seine Tat auch dadurch begehen, dass er den infolge Trunkenheit schuldunfahigen C mit einer Pistole versieht und ihn auf den Weg schickt, den B zu toten.

52

Dass der Tater sich selbst als Werkzeug benutzt, bildet inhaWich keinen wesenthchen Unterschied. Und dennoch ist die Konstmktion tiber die mitteibare Taterschaft nicht unproblematisch, widerspricht sie doch dem Wortlaut von § 25 I 2. Alt. Denn dieser „mittelbare Tater" begeht die Tat eben nicht „durch einen anderen" sondern durch sich selbst. Wenn man mittels eines streng restriktiven Taterbegriffs^^ § 25 I 2. Alt. als Strafausdehnungsgrund versteht/^ dann hatte die Konstmktion einer mittelbaren Taterschaft „durch sich selbst" in § 25 I 2. Alt. keine gesetzliche Gmndlage. AuBerdem erscheint die Konstmktion „mittelbare Taterschaft" bei eigenhandigen und Sonderdelikten nicht tragfahig. Im Zusammenhang mit der actio libera in causa kann es somit nur um die ubertragene Anwendung des Losungsansatzes der Rechtsfigur der mittelbaren Taterschaft gehen,^^ die letztUch zur iiberwiegend vertretenen Tatbestandslosung (dd) fiihrt. bb) Ausdehnungsmodell

53

54

Die „Ausdehnung" im Rahmen dieses Modells bezieht sich auf den BegrifF der „Tat" i.S. von § 20. Wahrend die h.M. hiemnter das tatbestandsmaBige Verhalten, die Tathandlung im Sinne von § 8 versteht,^^ soil der BegrifF im prozessualen Sinne auf den Lebensvorgang ausgeweitet werden, der Gegenstand der Anklage ist. Damit wiirden das auf die Tatbestandsverwirklichung bezogene Vorverhalten und schlieBlich sogar das Vorbereitungsstadium der „Tat" zugerechnet werden. ^^ Dagegen ist jedoch einzuwenden, dass solch eine Ausdehnung dem in den §§16 und 17 verwendeten Tatbegriff widerspricht und - weit gravierender - eine Starke Einschrankung der Anwendbarkeit von § 20 zur Folge hatte. Denn aufgmnd der weiten Ausdehnung des Tatbegriffs waren kaum noch Sachverhalte vorstellbar, bei denen der Tater nicht zu irgend einem Zeitpunkt der „Tat" schuldfahig i.S. von § 20 gewesen ist. cc) Ausnahmemodell

55

Das Ausnahmemodell nimmt eine Vorverlagemng des Schuldvorwurfs an und gibt damit den Gmndsatz vom Erfordernis der Schuldfahigkeit bei Begehung der

Vgl. RGSt 22, 413, 415; Jakobs AT 17/64; kritisch jedoch Eser/Burkhardt StK I Nr. 17 A 8; LK-Jahnke § 20 RN 77; Roxin AT 1 § 20/60 mit FN 124. Vgl. Cramer/Heine in: Schonke/Schroder RN 6 vor § 25 sowie unten § 10/18 ff. Vgl. § 10/103. Vgl. Hirsch FS fur Nishihara, S. 95 ff. Vgl. Trondle/Fischer § 20 RN 2. Vgl. Streng JZ 1994, 709/711; a.A. Roxin AT 1 § 20/68; Neumann FS fiir Arthur Kaufmann S. 581/587 ff.

B. Schuldausschlieiiungs- und -mindemngsgriinde

273

Tat (sog. Koinzidenz) in § 20 auf. Auf diesem Wege wird dem later das schuldhafte Vorverhalten als schuldhafte Tatbegehung angelastet.^^ Gegen das Ausnahmemodell spricht der Wortlaut des § 20. Dem Vorwurf eines VerstoBes gegen § 20 konnte auch nicht die Annahme richterlichen Gewohnheitsrechts^"^ entgegengehalten werden. Vielmehr dtirfte die Grenze von Art. 103 II GG (Wortlautgrenze, Verbot strafbegriindenden Gewohnheitsrechts) iiberschritten sein.^^

56

dd) Tatbestandslosung Nach der Tatbestandslosung stellt das Sichbetrinken die eigentliche Tatbestandshandlung dar.^^

57

Im Beispiel 7/3 wtirde A mit der Totung des B beginnen, indem er sich Mut antrinkt.

Im Vergleich betrachtet scheint die Tatbestandslosung noch am ehesten mit dem Schuldprinzip in Einklang zu stehen, weil sie dem Wortlaut von § 20 nicht oflfen widerspricht. Auch fmdet sie in sonstigen Fallen eine Parallele, in denen der Tater im schuldfahigen Zustand ein Geschehen zurechenbar in Gang setzt, das im tatbestandsmaBigen Erfolg endet: Das Toten mittels Betatigung des Abzugs am Gewehr unterscheidet sich nicht wesentUch vom Toten in Beispiel 7/3. Es ist als solches ebensowenig ein Toten wie das Sichbetrinken. Und dennoch sind beide Handlungen ein vorsatzlich-zurechenbares Verursachen des Todes eines Menschen.^^ Andererseits vermag diese Argumentation bei den Delikten nicht zu uberzeugen, deren Tatbestand nicht (nur) die Verwirklichung eines Erfolgs verlangt, sondern ein spezifisches Verhalten. Deshalb lehnte der BGH im Leitfall auch die Anwendbarkeit der Tatbestandslosung ab:

58

ee) Losung des Leitfalls (Hinweise) In Leitfall 7/1 stutzte sich das Landgericht Osnabriick auf die actio libera in causa und verurteilte A wegen fahrlassiger Totung (§ 222), vorsatzlicher Gefahrdung des StraBenverkehrs (§ 315 c I Nr. 1 a) sowie vorsatzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis (§211 StVG). Vgl. LK-Jdhnke § 20 RN 77 ff.; Jescheck/Weigend § 40 VI 1; Lenckner/Perron in: Schonke/Schroder § 20 RN 35 a; Wessels/Beulke AT RN 415; Beulke KKI RN 384. Vgl. hierzu oben § 2/7 f. a.A. Otto Jura 1986, 426 ff., 431; deshalb nur fur eine Anwendbarkeit auf § 21 durch Verzichtauf dieyaA:w//a^/v^ Stre^rmldQmng Lenckner/Perron in: Schonke/Schroder § 20 RN 35 a. Vgl. BGH 4 StR 88/62 BGHSt 17, 333/335; BayObLG bei Janiszewski NStZ 1988, 264; vgl. auch Hirsch NStZ 1997, 230 ff.; Jakobs FS fflr Nishihara, S. 117 ff., 120 f.; Lackner/Kuhl § 20 RN 25; SK-Rudolphi § 20 RN 28 d.; Maurach/Zipf AT 1 § 36/57; Puppe JuS 1980, 346/347 ff.; Roxin AT 1 § 20/58 ff.; Schliichter Zur vorsatzlichen actio libera in causa bei Erfolgsdelikten, FS fur Hirsch, S. 345 ff./348 ff.; Spendel Actio libera in causa und kein Ende, FS fiir Hirsch, S. 379 ff. Vgl. auch Jakobs FS fur Nishihara, S. 109 ff.; Schild Die Straftat als „actio libera in causa", FS fiiir Triffterer, S. 203 ff./204, 206; bemerkenswert in diesem Zusammenhang auch der Vergleich zwischen § 17 und actio libera in causa bei Streng JZ 2000, 20 ff. - allerdings im Rahmen des von ihm bevorzugten Ausdehnungsmodells.

^^

274

§ 7.

Schuldhaftigkeit und Schuld

Der BGH bestatigte allein die Verurteilung nach § 222, die jedoch einer Anwendung der actio libera in causa nicht bediirfe, weil Gegenstand des strafrechtlichen Vorwurfs beim fahrlassigen Erfolgsdelikt „jedes in Bezug auf den tatbestandsmaBigen ,Erfolg' sorgfaltswidrige Verhalten des Taters" sei.^^ Es bestiinden deshalb keine Bedenken, den Fahrlassigkeitsvorwurf an ein zeitlich fruheres Verhalten anzukniipfen, das dem Tater - anders als das spatere - auch als schuldhaft verwirklicht vorgeworfen werden kann. Hingegen konne die Verurteilung wegen vorsatzlicher Gefahrdung des StraBenverkehrs und vorsatzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis keinen Bestand haben. Denn zum Zeitpunkt der Tat sei A laut Gutachten des Sachverstandigen mangels Steuerungsfahigkeit schuldunfahig gewesen, und ein Vorgehen tiber eine actio libera in causa sei nicht moglich. Denn wegen VerstoBes gegen das Schuldprinzip lasse sich die actio libera in causa weder tiber das Ausdehnungs- noch das Ausnahmemodell begriinden. Die Tatbestandslosung sowie das Vorgehen tiber mittelbare Taterschaft seien zwar noch akzeptabel, jedoch im vorUegenden Fall nicht tragfahig: Die Tatbestandslosung sei nicht auf Tatbestande anwendbar, die wie die hier fraglichen ein Verhalten verbieten, das nicht auch als die Herbeifiihrung eines vom Verhalten trennbaren Erfolges begriffen werden kann.^^ Ein Fahrzeug Fuhren sei nicht gleich bedeutend mit Verursachen der Bewegung. Denn zur Erflillung des Tatbestandes sei nach der Rechtsprechung des BGH der Bewegungsvorgang selbst erforderhch. Das Anlassen und das Einschalten des Abblendlichtes gentigten hingegen nicht. ^^ Nach dem Ansatz iiber mittelbare Taterschaft miisste das tatbestandsmaBige Handeln letztlich das Sichberauschen sein. Ein Fuhren eines Fahrzeugs konne darin aber auch nicht gesehen werden.^^ SchlieBlich ist auch zu beriicksichtigen, dass es sich bei der StraBenverkehrsgefahrdung um ein eigenhandiges Delikt handelt, das nicht in mittelbarer Taterschaft begangen werden kann. 60

Im Ergebnis kommt der BGH zu einer Strafbarkeit wegen Vollrausches nach § 323 a. Die Folgen der Entscheidung des BGH fiir sonstige Tatigkeitsdelikte sind noch nicht abzusehen.^^ b)

Vollrausch, § 323

§ 323 a. Vollrausch. (1) Wer sich vorsatzlich oder fahrlassig durch alkoholische Getranke oder andere berauschende Mittel in einen Rausch versetzt, wird ... bestraft, wenn er in diesem

BGH 4 StR 217/96 NJW 1997, 139 links; vgl. auch Sternberg-Lieben GS ffir Schliichter, S. 217 ff. Vgl. auch Hettinger actio libera in causa, S. 442, 451 ff. Vgl. BGH 4 StR 259/88 BGHSt 35, 390/394. Vgl. BGH 4 StR 217/96 NJW 1997, 139 rechts; vgl. aber auch mit bedenkenswerten Argumentenffir^-c/zNStZ 1997, 230/231. Vgl. Hruschka JZ 1997, 22; vgl. auch Salger NStZ 1993, 561; auf die begrenzte Reichweite der Entscheidung macht allerdings zu Recht Otto Jura 1999, 217 ff. aufmerksam. Vgl. zu § 323 a auch Kilpper BT 1 Teil II § 5/62 ff.

B. Schuldausschlieiiungs- und -minderungsgrunde

275

Zustand eine rechtswidrige Tat begeht und ihretwegen nicht bestrafl werden kann, weil er infolge des Rausches schuldunfahig war oder weil dies nicht auszuschlielien ist. Eine Ausnahme vom Erfordernis der Schuldfahigkeit stellt § 323a gerade nicht dar. Denn die StraRvurdigkeit des Vollrausches wird bereits darin gesehen, dass sich der Tater in einen Rausch versetzt. Die Rauschtat ist demgegeniiber nur sog. objektive Bedingung der Strafbarkeit.^"* Der Unterschied zur actio libera in causa besteht darin, dass zwischen dem Sichbetrinken und der Rauschtat kein psychischer Zusammenhang besteht. Die Rauschtat bildet nur den Anlass, die Trunkenheit als solche zu bestrafen.

61

II. Der unvermeidbare Verbotsirrtum, § 17 S. 1 Wie die Schuldunfahigkeit bildet auch der unvermeidbare Verbotsirrtum einen SchuldausschlieBungsgrund, weil er die Handlung von vornherein als nicht schuldhaft einstuft.^^ Neben der Unvermeidbarkeit des Verbotsirrtums^^ setzt § 17 S. 1 voraus, dass dem Tater bei Begehung der Tat die Einsicht fehlt, Unrecht zu tun. Wie § 20 stellt damit auch § 17 S. 1 auf eine fehlende Einsicht ab. Der Unterschied zu § 20 besteht jedoch darin, dass jene fehlende Einsicht nicht auf einer biologischen Storung beruhen muss.

62

Erorterungsbedtirftig ist das gesetzessystematische Verhaltnis zwischen § 17 und § 20. 63 Zunachst hat es den Anschein, als sei § 17 hinsichtlich der fehlenden Einsicht lex generalis, weil § 20 uber jenes Tatbestandsmerkmal hinaus weitere Anforderungen stellt. In diesem Sinne versteht die h.M. die §§ 20 und 21 in der Tat als Unterfalle des Verbotsirrtums nach § 17.^"^ Wenn somit die §§ 20, 21 Irrtumsfalle darstellen, dann ist § 21 nicht anwendbar, wenn der vermindert einsichtsfahige Tater mit Unrechtseinsicht handelt. Diesem vermindert einsichtsfahigen Tater wird damit die Strafmilderung nach § 21 versagt, obwohl eine Anwendbarkeit nach dem Wortlaut nicht ausgeschlossen ist. Deshalb schlagt Schilcf^ mit guten Griinden vor, die §§ 20, 21 als eigenstandige Regelungen im Verhaltnis zu § 17 anzusehen, wobei § 17 der Entstehungsgeschichte entsprechend auf Sozialisationsdefekte, die §§ 20, 21 auf seelische Storungen Bezug nehmen. Weil damit die §§ 20, 21 nicht zugleich Irrtumsfalle sein mtissen, ist § 21 nach jener tiberzeugenden Ansicht auch in Fallen von Unrechtseinsicht trotz verminderter Einsichtsfahigkeit anzuwenden. i n . Losung des Leitfalls S. o. RN59.

Vgl. § 8/5 ff. Ftir einen Wegfall der Vorsatzschuld Lenckner in: Schonke/Schroder RN 121 vor § 13. Naher hierzu sowie zum vermeidbaren Verbotsirrtum § 13/39 ff. Vgl. Keiser Jura 2001, 376/378 links sowie MK-Streng § 20 RN 17 mwN. AK-Schild §§ 20, 21 RN 175.

276

§ 7.

Schuldhaftigkeit und Schuld

IV. Zur Wiederholung

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Literatur

Siehe unten Teil C VIII.

C. Entschuldigungsgriinde 64

65

Von den individuellen SchuldausschlieBungs- und -minderungsgriinden unterscheiden sich die Entschuldigungsgninde dadurch, dass die Schuldminderung hier aufgrund einer Unrechtsminderung in Verbindung mit dem Bestehen eines generell beriicksichtigungswurdigen Motivationsdruck^^ eintritt. Die Schuldminderung braucht nicht bis zum Ausschluss der Schuld zu reichen. Es geniigt, wenn die Schuld auf ein solches MaB gemindert wird, dass eine Bestrafling trotz Schuldhaftigkeit der Handlung nicht mehr erforderlich ist. Wie bei den SchuldausschUeBungsgriinden besteht auch hinsichtlich der Entschuldigungsgriinde einnumerus clausus/^^ I.

S8

Entschuldigender Notstand, § 35

§ 35. Entschuldigender Notstand. (1) Wer in einer gegenwartigen, nicht anders abwendbaren Gefahr fur Leben, Leib oder Freiheit eine rechtswidrige Tat begeht, um die Gefahr von sich, einem Angehdrigen oder einer anderen ihm nahestehenden Person abzuwenden, handeh ohne Schuld. Dies gih nicht, soweit dem Tater nach den Umstanden, namentUch weil er die Gefahr selbst verursacht hat oder weil er in einem besonderen Rechtsverhaltnis stand, zugemutet werden konnte, die Gefahr hinzunehmen; jedoch kann die Strafe nach § 49 Abs. 1 gemildert werden, wenn der Tater nicht mit Rticksicht auf ein besonderes Rechtsverhaltnis die Gefahr hinzunehmen hatte. Sog. „doppelte Schuldminderung", krit. dazu Pawlik Jahrbuch fiir Recht und Ethik, 2003, S. 294 ff.; zum sachlichen Unterschied zwischen SchuldausschlieBungs- und Entschuldigungsgriinden auch Tiedemann Anfangerubung, S. 139; krit. Frister Voluntatives Schuldelement, S. 206 fif. Vgl. obenRN36f.

C. Entschuldigungsgrlinde

277

(2) Nimmt der Tater bei Begehung der Tat irrig Umstande an, welche ihn nach Absatz 1 entschuldigen wtirden, so wird er nur dann bestraft, wenn er den Irrtum vermeiden konnte. Die Strafe ist nach § 49 Abs. 1 zu mildern. Leitfall 7/2-}^^ A hat X im Streit getotet. Um nicht wegen Totschlags verurteih zu werden, droht A der B, sie ebenfalls umzubringen, falls sie nicht vor Gericht aussage, mit A am Tatabend im Kino gewesen zu sein. Aus Angst vor der Drohung des A sagt B falsch aus. B's Verhalten erfullt den Tatbestand des § 153 (falsche uneidliche Aussage). Eine Rechtfertigung nach § 32 scheidet aus, weil die Abwehr sich nicht gegen den Angreifer A richtet. Auch § 34 ist nicht einschlagig, weil das Erhaltungsinteresse (Leben der B) das Eingriffsinteresse (Funktionsttichtigkeit der Rechtspflege) nicht uberwiegt, da B - wenn auch gezwungenermaiien - auf die Seite des Unrechts tritt/^^ Schlielilich greift auch § 157 (Aussagenotstand) nicht ein, weil B nicht gehandelt hat, um die Gefahr abzuwenden, bestraft zu werden. Konnte eine Straffreiheit tiber entschuldigenden Notstand, § 35, in Frage kommen?

Der entschuldigende Notstand weist insoweit Parallelen zum rechtfertigenden Notstand auf, als auch hier eine Gefahr fUr ein Erhaltungsgut vorliegt, welche die Inanspruchnahme eines Eingriffsgutes erforderiich macht. Im Unterschied zu § 34 Hegt jedoch kein Uberwiegen des Erhaltungsgutes vor. Da die Tat jedoch im Interesse des Erhaltungsgutes begangen wird, ist ihr Unwert und damit auch das Unrecht vermindert. Mangels eines Uberwiegens ist das Verhalten rechtswidrig. Der zweite Unterschied zum rechtfertigenden Notstand besteht im Motivationsdruck des im entschuldigenden Notstand Handelnden. Wie beim rechtfertigenden Notstand ist auch beim entschuldigenden Notstand zwischen einer Notstandslage (1) und einer Notstandshandlung (2) zu unterscheiden. Als subjektives Element ist ein Rettungswille erforderiich (3). Umstritten ist, ob die Straffreiheit auf Grund entschuldigenden Notstandes eine pflichtgemaBe Priifung voraussetzt (4). 1.

Notstandslage

a)

Gefahr fur Leib, Leben oder Freiheit des Taters, eines Angehorigen oder nahestehender Personen

Die Herkunft jener Gefahr^^^ ist irrelevant. Auch Naturgewalten oder Sachen konnen „Gefahren" i.S. von § 35 sein. Sogar von Menschen kann Gefahr ausgehen, solange kein Angriflfi.S. von § 32 voriiegt. Soweit die Gefahr fiir die Freiheit des Taters bestehen muss, ist die Bewegungsfreiheit gemeint.^^"^ Die Angehorigeneigenschaft wird in § 11 Nr. 1 defmiert. Auch der Begriff der nahestehenden Person orientiert sich am Angehorigenbegriflf, indem die Person mit dem Tater in Hausgemeinschaft leben oder mit ihm in ahnhcher Weise wie ein Angehoriger personlich verbunden sein muss.^^^

104 105

Zur Anwendbarkeit von § 35 im Falle eines sog. „FamiHentyrannen" BGH 1 StR 483/02 JZ 2004, 44 ff. mit Anm. Hillenkamp JZ 2004, 48 ff. Vgl. Lenckner/Perron in: Schonke/Schroder § 34 RN 41b. Zum Begriff der Gefahr s.o. § 6/118. Vgl. LK-Hirsch § 35 RN 14. Vgl. LK-Hirsch § 35 RN 33-35 mwN.

66

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69

Nichtabwendbarkeit

der Gefahr aufandere

Weise

Rechtsgii-

(Erforderlichkeit)

Wie beim rechtfertigenden Notstand muss auch bei § 35 der Eingriflf in das Eingriffsgut erforderiich sein. Er muss somit zur Gefahrenabwehr geeignet und das mildeste der konkret zur Verfiigung stehenden Mittel sein. In Leitfall 7/2 ware zu uberlegen, ob die Zeugin B anstatt durch eine Falschaussage durch Anrufung gerichtUchen oder polizeiUchen Schutzes oder durch Verweigerung der Aussage die Gefahr hatte beseitigen konnen. Fragen dieser Art hat auch das Reichsgericht im sog. Zeugeneinschuchterungs-Fall^^^ erortert. HinsichtHch der Anrufung gerichtlichen und polizeilichen Schutzes verwies es darauf, dass es sich hier nur um eine voriibergehende Moglichkeit gehandelt habe, welche die Gegenwartigkeit der Gefahr nicht ausgeschlossen hatte. Die Verweigerung der Aussage auf die Gefahr der Verhangung von Zwangsmitteln nach § 70 SfPO (Ordnungsgeld, -haft) sah das Reichsgericht hingegen als das kleinere Ubel gegentiber der Verletzung der Eidespflicht und damit wohl auch der Wahrheitspflicht an, was aus heutiger Sicht wohl bezweifeU werden mtisste. In Leitfall 7/2 ware auBerdem die Tauglichkeit einer schlichten Aussageverweigerung in Frage zu stellen, da das von A geforderte Verhalten eindeutig in Richtung Falschaussage geht. c)

71

Schnldhaitigkeit und Schuld

Wie beim rechtfertigenden Notstand ist somit auch bei § 35 eine terkollision erforderiich. b)

70

§ 7.

Mangelndes

Uberwiegen des Erhaltungsguts

-

Proportionalitat

Im Unterschied zum rechtfertigenden Notstand muss die Abwagung der kolUdierenden Interessen beim entschuldigenden Notstand nicht zu einem Ubenviegen des Erhaltungsgutes fiihren. Dies bedeutet indessen nicht, dass die Gewichtigkeit des Erhaltungsgutes nicht an eine Untergrenze stoBen wiirde. Denn da die Straffreiheit aufgrund entschuldigenden Notstandes auch auf einer Unrechtsminderung beruht, darf jene Unrechtsminderung nicht vollig unbedeutendes Gewicht haben. MaBstab ist insoweit das verfassungsrechtliche Verhdltnismafiigkeitsprinzip, das auch den entschuldigenden Notstand mitpragt. Es darf somit das Gewicht des Erhaltungsgutes gegentiber dem Verlust beim Eingriffsgut nicht unverhaltnismaBig gering sein. Konkret bedeutet dies z.B., dass Totungen im Notstand nicht bereits aufgrund geringfiigiger Leibesgefahren entschuldigt werden konnen. Beispiel 7/4 Meineid-VdW - RGSt 66, 397: Die Angeklagte A hatte den von ihr geleisteten Meineid im Rahmen eines Verfahrens wegen Beamtenbeleidigung damit entschuldigt, dass der wegen Beamtenbeleidigung angeklagte H ihr gedroht habe, er werde sie schlagen und nicht mehr fiir den Unterhalt ihres von ihm erzeugten Kindes sorgen, wenn sie zu seinen Ungunsten aussage. Wie erheblich die Leibesgefahr sein mtisse, um die Begehung eines Meineids zu entschuldigen, hange von den tatsachlichen Umstanden ab, fiihrte das Reichsgericht aus. Da jedoch im Verhaltnis der A zu dem Angeklagten H die Drohung mit Schlagen nichts Auliergewohnliches gewesen sei, sei die Annahme eines Notstandes nicht moglich. Indem in Leitfall 7/2 der B nicht nur mit Schlagen, sondern mit dem Tode gedroht wurde und der von B gesuchte Ausweg nur in einer uneidlichen Falschaussage bestand, darf von der Proportionalitat der koUidierenden Gtiter ausgegangen werden. ^^^ RGSt 66, 222; hierzu Eser/Burkhardt StK I Nr. 18.

C. Entschuldigungsgriinde

2.

279

Notstandshandlung

Die Notstandshandlung besteht in einem rechtswidrigen Verhalten, „um die Gefahr von sich, einem Angehorigen oder einer anderen ... nahestehenden Person abzuwenden." 3.

Rettungswille als subjektives Entschuldigungseiement

Schon die gesetzliche FormuUerung der Notstandshandlung lasst erkennen, dass der Tater zur Gefahrabwendung handeln muss. Er muss somit die Notstandslage kennen und zur Abwendung der Gefahr handeln, wobei jener Gefahrabwendungswille bei Kenntnis der Sachlage anzunehmen ist.^^^ 4.

72

73

Priifungspflicht?

Ahnlich wie bei § 34 wird auch beim entschuldigenden Notstand die Frage erortert, ob die Straffreiheit voraussetzt, dass der Tater das Vorliegen der Notstandsvoraussetzungen gewissenhaft priift.

74

So nahm im KZ-Wachmann-Fall - BGH 4 StR 500/62 BGHSt 18, 311 - der BGH eine Priifungspflicht an: „Wer sich darauf beruft, durch unwiderstehliche Drohung (§ 52 StGB [a.F.]) zu der Straftat genotigt worden zu sein, ist nur entschuldigt, wenn er sich nach dem Mali aller seiner Krafte bemtiht hat, der (hier vermeintlichen) Gefahr auf andere, die Straftat vermeidende Weise zu entgehen. In dieser Richtung muss er alle Moglichkeiten gewissenhaft gepruft haben ... Je schwerer die ihm (vermeintlich) abgenotigte Straftat ist, um so sorgfaltiger muss die Priifiing sein."^^^ Findet der Tater trotz jener Priifiing aus Fahrlassigkeit keinen gangbaren Ausweg „so mag er, was den Vorwurf vorsatzlichen Handelns angeht, entschuldigt sein."^^^

Da es auch hier wie bei § 34 um die irrige Annahme der tatsachlichen Voraussetzungen des Notstandes geht, kann die Priifungspflicht allenfalls im Rahmen der Irrtumsregeln eine RoUe spielen, wobei beim entschuldigenden Notstand § 35 II als lex speciahs zu beriicksichtigen ist. Danach spielt die Priifungspflicht bei der Frage eine RoUe, ob die irrige Annahme der tatsachlichen Voraussetzungen des entschuldigenden Notstandes vermeidbar war.^^^ Fehlt die gewissenhafle Priifiing der Voraussetzungen, wird man nicht von einer Unvermeidbarkeit des Irrtums ausgehen konnen. Ist die Notstandslage hingegen gegeben, schadet das Nichtvorhegen der Priifiing nicht. Denn beztiglich des Motivationsdrucks geniigt es, wenn der Tater in Kenntnis der Notstandslage handelt. Befmdet sich der Tater hingegen in Unkenntnis der Notstandslage, kann ihm § 35 mangels einer entsprechenden Motivation nicht zugute kommen.^^^

107 108 109 110 111

Vgl. Lenckner/Perron in: Schonke/Schroder § 35 RN 16; SK-Rudolphi § 35 RN 10a. BGH 4 StR 562 BGHSt 18, 311 f. BGHSt 18,311/312. Vgl. Jescheck/Weigend AT § 44 V 1 b; Lenckner/Perron in: Schonke/Schroder § 35 RN 43. Vgl. Lenckner/Perron in: Schonke/Schroder § 35 RN 16.

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280

5. 77

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Schuldhaftigkeit und Schuld

Wirkung

Die Rechtsfolge des § 35 besteht zunachst in einer voUstandigen strafbefreienden Entschuldigung, wenn Notstandslage, Notstandshandlung und Rettungswille gegeben sind. Jene Entschuldigung beruht auf der aus der Unrechtsminderung und dem Motivationsdruck herriihrenden doppelten Schuldminderung. Ledighch eine obligatorische Strafmilderung nach Versuchsgrundsatzen tritt im Falle des vermeidbaren „Entschuldigungs-Tatbestands-Irrtums" nach § 35 II ein. 6.

79

§ 7.

Einschrankung der Entschuldigung durch § 35 I 2

Die entschuldigende Wirkung wird zunachst eingeschrankt, wenn der Tater die Gefahr „selbst verursacht" hat. Einigkeit besteht dariiber, dass jene Formulierung zumindest i.S. von ^fibjektiv und subjektiv pflichtwidrig herbeigefuhrf zu verstehen ist.^^^ Hat der Tater die Gefahr pflichtwidrig herbeigeflihrt, ist ihm zuzumuten, die Gefahr hinzunehmen. Gleiches gilt, wenn der Tater in einem besonderen Rechtsverhaltnis steht. Erforderlich ist, dass ihm infolge dieses Rechtsverhaltnisses eine Schutzpflicht gegentiber der Allgemeinheit auferlegt ist. Dies triffi z.B. auf Angehorige der Feuerwehr oder auf Soldaten zu. Da dem in einem besonderen Rechtsverhaltnis Stehenden aber nur die Hinnahme der Gefahr zugemutet wird, endet die Zumutbarkeitsgrenze, wo das Bestehen der Gefahr den sicheren Tod bedeuten wiirde. Ein besonderes Rechtsverhaltnis wird nicht dadurch begriindet, dass sich der Tater dem Opfer gegentiber in einer Garantenstellung befindet. Denn die daraus resultierende Garantenpflicht ist die Pflicht zum Tdtigwerden^ nicht hingegen eine erhohte Gefahrtragungspfticht, Beispiel 7/5: Wenn der mit seinem Sohn im Meer badende und in eine gefahrliche Stromung geratene Vater es unterlasst, den Sohn aus den Wogen zu retten, dann macht die Garantenstellung den Vater zum Tater eines Unterlassungsdelikts, sie verpflichtet ihn jedoch nicht zu einer erhohten Gefahrtragung.

7.

Aufbauschema zum entschuldigenden Notstand (§ 35)

1. Notstands/a^^ a) Gefahr fur eines der in § 35 genannten Erhaltungsgliter b) Nichtabwendbarkeit der Gefahr auf andere Weise (Erforderlichkeit des Eingriffs) c) Nicht'Uberwiegen des Erhaltungsgutes, Proportionalitat der kollidierenden Rechtsgtiter 2.

^oi^X?in&^handlung Erhaltung des gefahrdeten Interesses durch eine rechtswidrige Handlung

3. Rettungswille als subjektives Entschuldigungselement 112

Vgl. IK-Hirsch § 35 RN 49; mi-Neumann § 35 RN 34 ff.; im Hinblick auf die Entstehungsgeschichte fordern ein Verschulden Lenckner/Perron in: Schonke/Schroder § 35 RN 20, Roxin AT 1 § 22/44 £f., Jescheck/Weigend AT § 44 III 2 a mwN.

C. Entschuldigungsgrtinde

281

II. Notwehrexzess, § 33 § 33. Uberschreitung der Notwehr. tJberschreitet der Tater die Grenzen der Notwehr aus Verwirrung, Furcht oder Schrecken, so wird er nicht bestraft.

&S

Beispiel 7/6: Die riistige Rentnerin R sieht sich plotzlich dem Angriff des Handtaschenraubers H gegentlber. Obwohl sie dadurch ganz furchtbar erschrickt, kann sie gerade noch ihren Spazierstock umklammern und H damit einen kraftigen Schlag auf den Kopf versetzen. H bricht daranfhin besinnungslos zusammen und bleibt am Boden liegen. Obwohl H sich nicht mehr riihrt, versetzt R ihm noch zwei kraftige Schlage mit dem Spazierstock in die Rippengegend. Dann ruft sie laut um Hilfe. Bei H hat der erste Stockschlag eine Gehirnerschtitterung, die beiden folgenden Rippenbriiche hervorgerufen.

82 Im Unterschied zur Notwehr als Rechtfertigungsgrund handelt es sich beim Notwehrexzess um einen Entschuldigungsgrund. Der Tater kann nicht gerechtfertigt sein, weil er iiber die Grenzen der zulassigen Notwehr hinausgeht. Welche Grenze der Notwehr beim Notwehrexzess iiberschritten wird, ist umstritten. Die h.M.^^^ geht davon aus, dass § 33 die Falle regelt, in denen der Tater innerhalb der Notwehrhandlung die Erforderlichkeit der Abwehr iiberschreitet (sog. intensiver Notwehrexzess). Nach anderer Ansicht soil § 33 auch dann eingreifen, wenn der Tater zu einem Zeitpunkt handelt, zu dem eine Notwehr/ag-e nicht mehr besteht (nachzeitiger extensiver Notwehrexzess)/^"^ Dieser Streit wirkt sich auf die Elemente der Notwehrexzess-Lage aus. 1.

83

Notwehrexzess-Lage

Die Notwehrexzess-Lage setzt zunachst einen rechtswidrigen Angriff vomxx^. Mit 84 der h.M., welche die Anwendung von § 33 auf den extensiven Notwehrexzess verneint, mtisste der Angriff gegenwdrtig sein, d.h. unmittelbar bevorstehen, stattfmden oder noch andauern. Das Hauptargument der h.M. besteht darin, dass § 33, als Entschuldigungsgrund gedacht, eine Unrechtsminderung in Form der Abwehr eines Angriflfes voraussetze. Dem wird entgegnet, dass es unter kriminalpolitischen Gesichtspunkten keinen wesentlichen Unterschied mache, ob der Tater wahrend des Angriffs oder erst nach dessen Beendigung iiber die Grenzen der Notwehr hinausgeht. Gegen die Anerkennung eines extensiven Notwehrexzesses sprechen indessen 85 neben dem Erfordernis der Unrechtsminderung bei Entschuldigungsgriinden, die zum Zeitpunkt der Handlung gegeben sein muss, folgende Uberlegungen: Ist sich der Tater der Beendigung des Angriffs bewusst^ so ist nicht einzuse- 86 hen, dass er hinsichtlich eines erneuten Zuschlagens straflfrei bleiben soil. Vgl. Jescheck/Weigend AT § 45 II 3; BGH 3 StR 356/92 BGHSt 39, 133/139; BGH 3 StR 269/86 NStZ 1987, 20; vgl. mchHillenkamp 12. Problem. Vgl. Baumann/Weber/Mitsch AT § 23/42 f.; Kindhauser LPK-StGB § 33 RN 7; Kohler AT SA13t\Motsch Der straflose Notwehrexzess, 2003, S. 92 ff.; Otto Jura 1987, 604, Lenckner/Perron in: Schonke/Schroder § 33 RN 7; Roxin AT 1 § 22/88; Wessels/Beulke AT RN447.

282

§ 7.

Schuldhaftigkeit und Schuld

Hat die R im Beispiel 7/6 erkannt, dass der Angreifer zu einem weiteren Angriff nicht mehr fahig ist, dann kann ein emeutes Zusclilagen nicht entschuldigt werden.

87

Hat der Tater die Beendigung des AngrifFs hingegen nicht erkannt^ so konnen die Regeln des Erlaubnistatbestands-Irrtums angewandt werden. Die Strafbarkeit wegen fahrlassiger Korperverletzung bei Vermeidbarkeit des Irrtums erscheint liier als sachgerechte Losung. Die Erstreckung des Notwehrexzesses nacli § 33 auf diese Falle ist somit nicht erforderUch

88

Ftir die Unanwendbarkeit von § 33 auf den extensiven Notwehrexzess spricht auch, dass § 33 unbestrittenermaBen auf Falle der Putativnotwehr nicht anwendbar ist. Nimmt der Tater also nur irrig an, dass ein Angriff vorliege, gelten die Regeln des Erlaubnistatbestandsirrtums.^^^

89

2,

Notwehrexzess-Handlung

a)

Verteidigungshandlung gegen den Angreifer

Insofern unterscheidet sicli die Handlung beim Notwehrexzess nicht von der Handlung bei der Notwehr. b)

90

Erforderlichkeit

Der Unterschied zur Notwehr liegt hier darin, dass die StrafFreiheit nach § 33 auch dann eintritt, wenn der Tater hinsichtlich der Notwehrhandlung iiber das MaB der Erforderlichkeit hinausgeht. Hatte im Beispiel 7/6 die R die beiden Schlage in die Rippengegend des H wahrend der Fortdauer des Angriffs gefiihrt, obwohl sie zur Abwehr nicht erforderlich waren, so ware § 33 insoweit anwendbar.

c) 91

Vorliegen der asthenischen Affekte

Um straffrei zu bleiben, muss der in Notwehrexzess Handelnde aus Verwirrung, Furcht oder Schrecken die Grenzen der Notwehr iiberschreiten. Es handelt sich hierbei um sog. asthenische/^^ d.h. Schwache-Affekte.^^^ Umstritten ist, ob diese Affekte zu einer unbewussten Uberschreitung der Notwehrgrenzen fiihren miissen.^^^ Entscheidend diirfle insoweit sein, dass die in § 33 genannten Affekte als solche jedenfalls gegeben sein mtissen.^^^ Da asthenische Affekte aber ohnehin mit einer Bevmsstseinstriibung einhergehen, diirfle mit dem Erfordernis des Affektes gleichzeitig auch dem Erfordernis des unbewussten Vorgehens Geniige

Andernfalls entsttinden Widerspriiche zur eingeschrankten Schuldtheorie beim Erlaubnistatbestandsirrtum (s.u. § 13/96 ff.); zum sog. Putativ-Notwehrexzess s.u. § 13/137 ff. Von griech. da6evr|g = asthenas = schwach. Im Unterschied zu den sthenischen Affekten wie Wut oder Zorn, die nicht § 33 unterfallen; vgl. BGH 3 StR 306/92 BGHSt 39, 133/139 f So Frister, Helmut Die Struktur des „voluntativen Schuldelements", 1993, S. 229 ff.: Deutung des § 33 als typisierte Erlaubnistatbestandsregelung; vgl. auch Welzel LB S. 88; zur Anwendbarkeit bei bewusster tjberschreitung BGH 1 StR 244/94 NStZ 1995, 76. Zur „Furcht" bei bewusster tjberschreitung der Notwehrgrenzen BGH NStZ 1995, 76.

C. Entschuldigungsgriinde

283

getan sein. Wer dem Angreifer kaltblutig einen zusatzlichen Schlag versetzt, handelt nicht aus Verwirrung, Furcht oder Schrecken. 3.

Subjektives Entschuldigungselement

Wie alle Entschuldigungsgrtinde erfordert auch der Notwehrexzess, dass der later in Kenntnis der Voraussetzungen des Entschuldigungsgrundes handelt. 4.

92

Ausschluss von § 33 bei verschuldetem Notwehrexzess? Beispiel 7/6a Bordell-Fsill BGH 3 StR 306/92 BGHSt 39, 133: Die angeklagten Zuhalter A und B hatten sich entschlossen, einen bevorstehenden Angriff mehrerer Jugendlicher auf das Bordell nicht mit Hilfe der Polizei, sondern selbst abzuwehren. Dies gelang zwar zunachst mittels Drohens mit einer Schrotflinte. Als A und B in ihrem Fahrzeug wieder wegfahren woUten, naherte sich S - mit einem Messer in der Hand - dem halb auf dem Beifahrersitz sitzenden A bis auf 1 m. Auch mehrere Anhanger von S waren aus der Deckung bis auf wenige Meter an das Fahrzeug herangekommen. Um den offensichtlich bevorstehenden Angriff abzuwehren, spriihte B an A vorbei zunachst Reizgas auf S. Gleich darauf schoss A mit bedingtem Totungsvorsatz auf den Kopf von S und verletzte ihn todlich. Den Freispruch durch das Tatgericht auf Grund von § 33 hob der BGH auf. Denn die Ang. hatten die Konfrontation planmaiiig gesucht, um gegen die Rechtsradikalen vorzugehen. Ursache f(ir die Notwehruberschreitung seien daher nicht asthenische Affekte in der Notwehrsituation, sondern sthenische Affekte bei deren Herbeifiihrung.

Als Parallele zur Einschrankung der Notwehr bei Notwehrprovokation ist die Entscheidung des BGH immerhin folgerichtig.^^^ 5.

Aufbauschema zum (intensiven) Notwehrexzess, § 33

1. Notwehrexzess-Lage a) Angriff, rechtswidrig b) gegenwartig (str., h.M. +) 2. Notwehrexzess-//a^\eichwQisQhQiJescheck/Weigend AT § 49 II 1. Frank, Reinhard DsiS Strafgesetzbuch flir das Deutsche Reich, 18. Aufl. 1931, § 43 Anm. II 2 b.

33

310

§9

Versuch und Rticktritt

unmittelbaren Ansetzen, sondern im Strafgrund untauglichen Versuch wird unmittelbar angesetzt.

des Versuchs.^^ Auch zum

c) Die subjektive Theorie 34

35

Den Gegenpol zu den objektiven Theorien bildete die vor allem in der friiheren Rechtsprechung^^ vorherrschende subjektive Theorie. Danach soUte das Vorstellungsbild des Tdters der MaBstab fiir den Eintritt in das Versuchsstadium sein. Das entsprechende Vorstellungsbild sollte der Tater im Sinne eines „Jetzt geht's los"^^ z.B. habea v^enn er sich zwecks Begehung eines Raubes vorstellte, dass „das Opfer jeden Augenblick komme".^^ Freilich hatte auch diese Auflfassung ihre Schwachen: Zum einen loste sie durch das Kriterium der Tatervorstellung fur den Tatbeginn den Zusammenhang zwischen dem Beginn der Tat und der Verwirklichung der Tatbestandsmerkmale auf. Je nach Vorstellung des Taters geriet der Bereich des strafbaren Versuchens eng Oder weit. Es sollte deshalb nicht die Vorstellung des individuellen Taters entscheidend sein, sondern die „naturUche Auffassung".^^ Damit erhielt aber auch die subjektive Versuchtstheorie normativen Charakter, ohne allerdings den Makel der Unbestimmtheit zu verlieren. d) Die heute herrschende gemischt subjektiv-objektive Theorie

36

Die soeben aufgezeigten Liicken sucht die heute herrschende gemischt subjektivobjektive Theorie auszugleichen. Sie nimmt einen Versuch an, wenn nach der „Vorstellung von der Tat"^"^ nach dem Gesamtplan des Taters (subjektiv) eine so enge Verkniipfung des Taterverhaltens mit der tatbestandlichen Ausfiihrungshandlung besteht (Frank!), dass es bei ungestortem Fortgang der Dinge unmittelbar zur Verwirklichung des gesamten Straftatbestandes kommt (zeitlicher Aspekt der objektiven Komponente). Handlungen, wie sie im gesetzlichen Tatbestand beschrieben werden, mtissen noch nicht begangen worden sein.^^ Indiz fur jene enge Verkniipfung und Unmittelbarkeit ist eine konkrete Gefahrdung des Angriflfs-Objekts aus Tatersicht (Gefahrdungsaspekt der objektiven Komponente).^^ Bei jener Tatersicht kann es im Rahmen der Gefahrdung als BeurteilungsmaBstab jedoch nicht auf die Vorstellung des Taters zum Zeitpunkt der Planung ankommen, sondern auf die Vorstellung zum Zeitpunkt der AusfUhrung der Tat. Wie es im Falle S.u. RN 45 ff. Vgl. BGH 4 StR 274/54 BGHSt 6, 302; 2 StR 282/55 BGHSt 9, 62; Modifizierung in BGH 4 StR 76/99 NStZ 1999, 395 = JuS 1999, 1134: subjektiv Jetzt geht's los" und objektiv Ansetzen zur tatbestandsmaBigen Angriffshandlung, so dass der Ubergang in die Tatbestandserfiillung ohne weitere Zwischenschritte erfolgt. Vgl. zu dieser Formel als subjektive Komponente in der neueren Rechtsprechung BGH 1 StR 351/86 NStZ 1987, 20; vgl. auch BGH 3 StR 108/80 NJW 1980, 1759. Vgl. BGH bei Dallinger MDR 1966, 726 links. Vgl. BGHSt 9, 62/64. Vgl. zu dieser Ausrichtung der „Vorstellungs"-Formel auf das unmittelbare Ansetzen Hillenkamp FS fur Roxin, S. 696 ff. Vgl. BGH 1 StR 234/97 StV 1997, 632. Vgl. mchRoxin AT 2 § 29/139.

A. Der Versuch als Verwirklichungsstufe der Straftat

311

des Rucktritts auf den sog. „Rucktrittshorizont" ankommt, kann im Falle des Versuchs erst dann ein unmittelbares Ansetzen angenommen werden, wenn sich der Tater zum Zeitpunkt der Tatausfuhrung vorstellt, das AngrifFsobjekt unmittelbar zu gefahrden (sog. Versuchshorizonf^). Damit schafft die gemischt subjektiv-objektive Theorie einen Freiraum, um 37 im Interesse des Rechtsgiiterschutzes einen Versuch auch dann annehmen zu konnen, wenn objektiv weder ein Tatbestandsmerkmai betroffen noch eine Gefahrdung des Angriffsobjekts eingetreten ist, weshalb - seine Strafwiirdigkeit unterstellt^^ - auch zum absolut untaugUchen Versuch unmittelbar angesetzt werden kann. Andererseits ist eine Formel gefunden, welche zwar auf der Vorstellung des Taters aufbaut, das Stadium des Versuchs jedoch moghchst eng an die Verwirklichung des Tatbestandes anbindet. Betrachtet man daranfhin Leitfall 9 Var. a, so ist das Versuchsstadium nicht erst mit dem Offnen des Gatters erreicht, sondern bereits dann, wenn B auf das Gatter zuschreitet, um es zu offnen. Variante b ist hingegen dem straflosen Vorbereitungsbereich zuzuordnen, selbst wenn sich B bereits bei der Abfahrt von seinem Hof gesagt haben soUte:,jetzt geht es los".^^ e) Das unmittelbare Ansetzen bei erweiterten Tatbestdnden, insbesondere Qualifikationen, Regelbeispielen und Delikten mitmehreren Tathandlungen Die gemischt subjektiv-objektive Theorie beurteilt das unmittelbare Ansetzen nach einem raum-zeitlichen MaBstab aus Tatersicht. Erweiterungen des Tatbestandes konnen daher nur insoweit von Bedeutung fur das unmittelbare Ansetzen sein, als sie sich auf die vorgestellte raum-zeitliche Gefahrdung des Angriffsobjekts beziehen. Tatbestandselemente, die Qualifikationen begriinden oder tatbestandsahnliche Elemente, die die Grundlage fiir Regelbeispiele darstellen, konnen daher nur dann das unmittelbare Ansetzen beeinflussen, wenn sie sich auf die vorgestellte raum-zeitliche Gefahrdung des Angriffsobjekts auswirken. Das Mitflihren eines gefahrUchen Werkzeuges nach § 244 INr. la hat folglich keine Auswirkungen auf den Beginn des Versuchs, solange der Tater nicht zur Tathandlung, der Wegnahme, unmittelbar ansetzt. Hingegen liegt ein Versuch des § 244 I Nr. 3 bereits mit dem Einbrechen oder Einsteigen in eine Wohnung vor, wenn dies eine Lockerung des Gewahrsams als Element der Wegnahmehandlung darstellt. Gleiches gilt flir die Regelbeispiele in § 243 I. Zwar hat der BGH angenommen, dass das unmittelbare Ansetzen zur Verwirklichung eines Regelbeispiels die Schwelle zum strafbaren Versuchsstadium iiberschreitet."^^ Von der h.L. wird dies im Hinblick darauf abgelehnt, dass die Regelbeispiele keine Tatbe-

Vgl. Gropp FS flir Gossel, S. 175 ff., insbes. 186 ff. Vgl. unten RN 46 ff. Vgl. als Beispiel fur die Abgrenzung zwischen Vorbereitung und Versuch auch den LenkradschlosS'¥dl\BGY{ 4 StR 559/67 BGHSt22, 80 (naher Eser StK II Nr. 32, insbes. A 1-12, 27-34) sowie den Schliisselbeschaffungs-Fall BGH 4 StR 429/78 BGHSt 28, 162 (naher Eser StK II Nr. 21 A 41 a). Vgl. BGH 3 StR 291/85 BGHSt 33, 370.

37a

312

37b

37c

§9

Versuch und Rlicktritt

standsmerkmale sind und daher in unmittelbares Ansetzen erst recht nicht begriinden konnen."^^ Nicht so eindeutig ist die Lage bei Tatbestanden mit mehreren Tathandlungen wie z.B. § 249, Raub, mit den Komponenten „Notigung mit Raubmitteln" und „Wegnahme''. Hier wird iiberwiegend vertreten, dass mit dem unmittelbaren Ansetzen zu einer Tathandlung bereits das unmittelbare Ansetzen zum gesamten Tatbestand vorliege."^^ Jedoch wird man darauf abstellen miissen, ob nach der Vorstellung des Taters eine unmittelbare Gefahrdung aller durch den zusammengesetzten Tatbestand geschiitzten Rechtsgiiter gegeben ist. Ist im unmittelbaren Ansetzen zur Notigung bei § 249 aus Tatersicht zugleich auch eine Gefahrdung des Eigentums durch Gewahrsamslockerung zu sehen, dann liegt ein Versuch des Raubes vor. Hat der Tater hingegen mit der Wegnahme begonnen, ohne dass nach seiner Vorstellung eine unmittelbare Gefahrdung der Person gegeben ist (weil z.B. der Berechtigte die Wegnahme der Sache noch gar nicht entdeckt hat), dann scheidet ein Versuch des Raubes mangels einer Gefahrdung aller tatbestandlich geschiitzten Rechtsgiiter aus. Nicht um Delikte mit mehreren Tathandlungen handelt es sich bei Tatbestanden, die die Verwirklichung eines anderen Tatbestandes voraussetzen, wie z.B. der rauberische Diebstahl nach § 252. Denn hier wird an einen vollendeten Diebstahl als Vortat angekniipft. Zum rauberischen Diebstahl setzt daher nicht schon an, wer zum Diebstahl ansetzt, sondern erst der, der nach der Vollendung des Diebstahls nach seiner Vorstellung dazu ansetzt, sich gem. § 252 den Besitz der Sache mittels Raubmitteln zu erhalten. f)

Das unmittelbare Ansetzen bei notwendiger Mitwirkung des Offers Beispiel 9/7a Bayerwaldbdrwurz-Fail (auch Giftfallen"-F2Al genannt) - BGH 1 StR 234/97 BGHSt 43, 177 = NStZ 1998, 241:^^ In das Einfamilienhaus des A waren Unbekannte eingedrungen, hatten sich in der Kliche warme Speisen zubereitet und auch dort vorhandene Flaschen mit verschiedenen Getranken ausgetrunken. Auch war Beute in das Dachgeschoss des Hauses verbracht worden. Die von A verstandigte Polizei ging deshalb davon aus, dass die Tater in den folgenden Tagen noch einmal zuriickkehren wtirden, um die Beute abzuholen. In der Nacht vom 8. zum 9. 3. 1994 hielten sich deshalb vier Polizeibeamte in dem Haus auf, um dort mogliche Einbrecher ergreifen zu konnen. A hatte zugleich am Nachmittag des 8.3. aus Verargerung tiber den Einbruch im Flur des Erdgeschosses eine handelsubliche Steingutflasche mit der Aufschrift „Echter Hiekes Bayerwaldbarwurz" aufgestellt, die er mit einer hochgiftigen Fltissigkeit geflillt und wieder verschlossen hatte. A, der im Haus blieb, wusste, dass bereits der Konsum geringster Mengen rasch zum Tode fuhren konnte. Er nahm es beim Aufstellen dieser Flasche aber in Vgl. KM AT § 15 RN 52 f. sowie^rz^ JuS 1972, 518 links: Die Behandlung der Regelbeispiele wie Tatbestandsmerkmale habe ihre Begriindung darin, dass der Vorsatz des Taters auf jene Merkmale bezogen sein muss. Im librigen jedoch konnten die Regelbeispiele in ihrer Wirkung nicht uber das hinausgehen, was unbenannte minder schwere oder besonders schwere Falle hinsichtlich des Versuchsstadiums vermogen. Insoweit bestehe jedoch Einigkeit, dass die unbenannten schweren Falle auf den Beginn des Versuchsstadiums keine Auswirkung haben. Dies konne nicht deshalb anders sein, weil jene Sachverhalte, auf denen die besondere Schwere beruhen kann, eigens beispielhaft beschrieben werden. Vgl. KM AT § 15/48 mwN. Hierzu Bose JA 1999, 342flf.;Geppert JK 1998 § 22/18; Heckler NStZ 1999, 79 f; Kudlich JuS 1998, 596 flf.; Otto NStZ 1998, 243 f; Puppe AT 2 § 35/44; Roxin ]Z 1998, 211 f; ro/Z^r^NJW 1998, 578 flf.

A. Der Versuch als Verwirklichungsstufe der Straftat

313

Kauf, dass moglicherweise emeut Einbrecher im Hans erscheinen, aus der Flasche trinken und todliche Vergiftungen erleiden konnten. Hat sich A wegen eines versnchten Totnngsdelikts strafbar gemacht?

Der Bayerwaldbdrwurz-Fdill betrifft die Frage, wann ein unmittelbares Anset- 37d zen zum Versuch anzunehmen ist, wenn zur Tatbestandsverwirklichung die Mitwirkung des Opfers zwingend erforderlich ist. In der Lehre wird hier ein Versuch bejaht, wenn der Tater entweder den Geschehensverlauf aus seinem eigenen Herrschaftsbereich entlassen hat oder das Opfer nach seiner Vorstellung in der Weise gefahrdet wird, dass in engem raumzeitlichem Zusammenhang mit der Tatbestandsverwirklichung auf seine Sphare eingewirkt wird."^"^ Strukturell ist die Vergleichbarkeit mit dem Versuchsbeginn bei mittelbarer Taterschaft ofFensichtlich."^^ Beide Kriterien vermogen im Beispielsfall eine Versuchsstrafbarkeit nicht zu begriinden. Auch der BGH lehnt einen Versuch ab. Das Kriterium der vorgestellten 37e Opfergefahrdung soil maCgeblich sein, wenn der Tater das Erscheinen des Opfers lediglich flir mogHch, aber noch ungewiss halt. Steht flir den Tater das Erscheinen des Opfers hingegen fest, liege eine unmittelbare Gefahrdung bereits mit Abschluss der Tathandlung vor. Die Kriterien der Lehre erscheinen tiberzeugender, weil sie - ausgehend von der Vorstellung des Taters - auf einer objektiv zu beurteilenden Gefahrdungsintensitat des Opfers als Grundlage jeder Versuchsstrafbarkeit aufbauen. Diese entsteht entweder mangels Kontrolle durch den Tater oder infolge der Annaherung durch das Opfer. Das Abstellen auf die Intensitat des Vorsatzes seitens des Taters beim Abschluss der Tathandlung lasst jene Gefahrdung dagegen auBer Acht. Denn die Vorstellung des sicheren Erscheinens gefahrdet das noch abwesende Opfer nicht, wohl aber der Verlust von Kontrolle. Und die Vorstellung von der Ungewissheit des Erscheinens verringert die Gefahrdung nicht, wenn der Tater die Kontrolle aufgibt."^^ g) Das unmittelbare Ansetzen zum Unterlassen Auch der Tater eines Versuchs durch Unterlassen muss nach seiner Vorstellung unmittelbar zur Verwirklichung des Unterlassungsdelikts ansetzen. Die Feststellung dieses Zeitpunktes ist jedoch nicht unproblematisch:"^^ Beispiel 9/8 Kemptener Te^-Fall - BGH 1 StR 357/94 BGHSt 40, 257:^^ Der behandelnde Arzt A beschloss, die alte, hirngeschadigte Patientin, die nicht ansprechbar war, auf Schmerzreize nur mit Lidbewegungen, auf Lichtreize mit einer Blickwendung und auf Starke Lautreize mit einem Zusammenzucken reagierte, ktinftig nicht mehr mit Sondennahrung, sondern nur noch mit Tee zu versorgen und sie dadurch verhungern zu Vgl.i^oxmJZ 1998, 211. Vgl. § 10/64. Zu weiteren Kritikpunkten Roxin ]Z 1998, 212; vgl. auch Streng Wie „objektiV ist der objektive Versuchstatbestand?, Gedachtnisschrift flir Zipf, S. 330 ff. Vgl. zu diesem Problem in der Fallbearbeitung Frisch/Murmann JuS 1999, 1196 ff./l 199. Dazu Schoch NStZ 1995, 153 ff.; Lilie Hilfe zum Sterben, FS flir Steffen, S. 273 ff./285; SKRudolphi RN 51 vor § 13; Staffers Jura 1998, 580 ff. mwN FN 2; aus arztlicher Sicht Hiersche Der „Kemptener Fall"- cui bono? Aus der Sicht des Arztes, FS flir Hanack, S. 697 ff.; zum Versuch des Unterlassens auch Hillenkamp 14. Problem.

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§9

Versuch und Rticktritt

lassen. Freihch bheb es beim Versuch, well sich das Pflegepersonal weigerte, die Sondennahrung abzusetzen. Hat A zum Versuch des Totschlags durch Unterlassen unmittelbar angesetzt, wenn er a) zum ersten Mai anstatt der Sondennahrung hatte Tee verabreichen lassen? b) nach fortdauernder Absetzung der Sondennahrung nicht die letzte Moglichkeit wahrgenommen hatte, das Leben der Patientin durch Wiederaufnahme der Sondenernahrung zu retten? c) die Patientin infolge des Absetzens der Sondenernahrung nach seiner Vorstellung in eine konkrete Lebensgefahr gebracht hatte?

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Die iiberwiegend vertretene Variante (c) - Eintritt einer konkreten Lebensgefahr nach der Vorstellung des Taters - hat den Vorzug, dass sie mit dem Gefahrdungskriterium beim aktiven Tun korrespondiert. Die Annahme eines unmittelbaren Ansetzens mit der ersten Unterlassungshandlung (a) dehnt demgegeniiber den Bereich der Strafbarkeit sehr weit nach vorne aus, wahrend die Nichtwahrnehmung der letzten Moglichkeit nach der Vorstellung des Taters als Zeitpunkt flir das unmittelbare Ansetzen (b) den Bereich des Versuchs durch Unterlassen auf Falle beschranken wiirde, in denen die Vorstellung des Taters fehlgeht, also ein untaugHcher Versuch voriiegt, weil ja ansonsten der Erfolg eintreten mtisste."^^ Die 1. Strafkammer des Landgerichts Kempten verurteilte A wegen eines versuchten Totschlags durch Unterlassen^^ in einem minderschweren Fall, §§ 212, 213, 22, 23, 13. Der BGH konnte darin keinen Rechtsfehler erkennen, verwies aber zur weiteren Sachaufklarung an die 2. Strafkammer des Landgerichts Kempten zurlick. Die 2. Strafkammer sprach A frei, weil das Vorgehen des A dem Willen der Patientin entsprochen habe.^^

11. Formale Begrenzungen der Versuchsstrafbarkeit (§ 23) 40

Nicht jede Verwirklichung eines unter I beschriebenen materiellen Versuchsunwerts ermoglicht eine Bestrafong, und selbst im Falle der Strafbarkeit bestehen Einschrankungen gegeniiber dem vollendeten DeUkt. Begrenzend wirkt hier § 23:

&S

§ 23. Strafbarkeit des Versuchs. (1) Der Versuch eines Verbrechens ist stets strafbar, der Versuch eines Vergehens nur dann, wenn das Gesetz es ausdriicklich bestimmt. (2) Der Versuch kann milder bestraft werden als die voUendete Tat (§ 49 Abs. 1). (3) Hat der Tater aus grobem Unverstand verkannt, dass der Versuch nach der Art des Gegenstandes, an dem, oder des Mittels, mit dem die Tat begangen werden sollte, tiberhaupt nicht zur Vollendung fuhren konnte, so kann das Gericht von Strafe absehen oder die Strafe nach seinem Ermessen mildern (§ 49 Abs. 2).

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§ 23 I legt den Bereich fest, innerhalb dessen Obersatze aus einer Kombination aus Delikts- und Versuchstatbestand tiberhaupt gebildet werden konnen. AuBerhalb dieses Bereichs ist die VerwirkHchung eines Versuchsunwertes folglich schon tatbestandlich nicht erfasst. So bleibt z.B. derjenige, der den Versuchsunwert einer uneidHchen Falschaussage (§ 153) verwirkhcht, deshalb straffrei, weil infolge von § 23 I ein aus den §§153 und 22 gebildeter Rechtssatz

Vgl. zum Meinungsspektrum auch Maurach/Gossel AT 2 § 40/98 ff.; Joecks StK § 13/73 f NKSeelmann § 13 RN 82 ff. jew. mwN. Zweifelnd an der Einordnung als Unterlassen Staffers Jura 1998, 580 ff. Naher Hiersche FS fiir Hanack, S. 700 f, 714 f

A. Der Versuch als Verwirklichungsstufe der Straftat

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„Wer nach seiner Vorstellung von der Tat unmittelbar ansetzt, vor Gericht...als Zeuge oder Sachverstandiger uneidlich falsch auszusagen, wird bestraft" nicht existiert. Die Absatze 2 und 3 beziehen sich hingegen auf die Rechtsfolgen versuchter Straftaten. Die generelle fakultative Strafmilderung beim Versuch (Abs. 2) riihrt daher, dass dem Tater der versuchten Straftat schon definitionsgemaB kein Erfolgsunwert zugerechnet werden kann, was die Strafwiirdigkeit herabsetzt. Die Strafmilderung beim Versuch aus grobem Unverstand, die bis zum Absehen von Strafe (§ 60, Schuldspruch ohne Strafausspruch) reichen kann, beruht hingegen auch auf StrafbediirftigkeitserwagungQn, hat auch einen (general-)prdventiven Hintergrund: gerade weil der Tater hier aus grobem Unverstand handelt, ist sein AngriflF auf das Rechtsgut und die Geltung der Rechtsordnung fiir jedermann sichtbar nicht ernstzunehmen: Die Schwangere, die meint, mittels Kamillentees abtreiben zu konnen, wird ebensowenig ernstgenommen wie der Bauer beim Giftmordversuch mittels einer weiBen Substanz aus einer Dose mit der Aufschrift „Natriumchlorid" (=Kochsalz). Es bedarf hier daher nur abgeschwachter oder gar keiner Anstrengungen, um die Geltung der Rechtsordnung deutlich zu machen.

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III. Der Strafgrund des Versuchs^^ Mit Hilfe des in den §§22 und 23 festgelegten gesetzHchen Rahmens der Versuchsstrafbarkeit lassen sich nun Erkenntnisse dariiber gewinnen, weshalb und wann eine Tat strafbar sein soil, obwohl der tatbestandliche Erfolg iiberhaupt nicht eingetreten ist. In Widerspruch zu den §§ 22, 23 stehen objektive Versuchslehren, welche den Strafgrund des Versuchs jedenfalls auch in der konkreten Gefahrdung des geschtitzten Handlungsobjekts erbUcken.^^ Nach ihnen hatte der Versuch die Struktur eines konkreten Gefahrdungsdeliktes, der „Erfolg" des Versuchs ware die Verursachung einer konkreten Gefahr fiir das Angriflfsobjekt. Gegen diese Auflfassung spricht vor allem die Strafbarkeit des untauglichen (§ 23 I, II) und die des grob unverstandigen Versuchs (§ 23 III). Denn in diesen Fallen liegt eine objektive Gefahrdung des Angriflfsobjekts nicht vor - man denke nur an den Schuss auf die Vogelscheuche, die der Tater in der Dunkelheit fiir einen Menschen halt -, und dennoch werden sie mit Strafe bedroht. Man konnte daraus schlieBen, dass der Strafgrund des Totungsversuchs in Form des Schusses auf die Vogelscheuche zwar nicht in der Gefahrdung des Umfassend hierzu Zaczyk, Rainer Das Unrecht der versuchten Tat, 1989, der das angegriffene Rechtsgut, das Verhaltnis des Taters zu diesem, den die Nichtvollendung begriindenden Mangel und den den Mangel ausgleichenden Willen als Kriterien fur die Konstituierung des Versuchsunrechts entwickelt. Informativ zur objektiven Versuchslehre mvjapanischen Strafrecht Kawaguchi ZStW 110 (1998), 561 ff.

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§9

Versuch und Rticktritt

Angriffsobjektes, wohl aber darin zu setien sei, dass der Tater das Leben als abstraktes Rechtsgut"^ durch Nichtbeachtung angreife. Aber auch diese am Handlungsurrwert orientierte subjektive Versuchstheorie vermag nicht zu liberzeugen. Denn dann miisste - selbst bei Wahrung der Freiheit der rechtsgutsfeindUchen Gedanken - schon jede betdtigte Nichtbeachtung des geschiitzten Rechtsguts, d.h. die betatigte rechtsgutsfeindHche Gesinnung des Taters, den Versuchsunwert begriinden. Diese Sicht hingegen wiirde den Bereich der Versuchsstrafbarkeit auf a//e Verhaltensweisen ausdehnen, mittels derer der Tater seine rechtsgutsfeindHche Gesinnung zu betatigen meint. Materielle Vorbereitungshandlungen wiirden so zu Versuchen umfonktioniert, weil die Betatigung der rechtsfeindUchen Gesinnung bereits vor der Gefahrdung des Angriffsobjekts die Strafbarkeit begriindete. Um dies zu vermeiden, bedarf es einer Restriktion, welche die Gesinnung des Taters in eine Beziehung zum Angriflfsobjekt im Sinne eines unmittelbaren Ansetzens bringt. Der Strafgrund des Versuchs wird deshalb angesichts der Strafbarkeit auch des untaugHchen Versuchs^^ einerseits und des Erfordernisses eines unmittelbaren Ansetzens zur TatbestandsverwirkHchung andererseits gemischt subjektivobjektiv darin gesehen, dass der Tater sich aus einer rechtsfeindUchen Gesinnung heraus („nach seiner Vorstellung'\ subjektiv) in der Weise nach aufien betatigt, dass das tatbestandliche Angriffsobjekt unmittelbar gefdhrdet erscheint (objektiv). Die zusatzUche StrafmilderungsmogHchkeit beim Versuch aus grobem Unverstand (§ 23 III)^^ und die Straflfreiheit des aberglaubischen Versuchs zeigen dartiber hinaus, dass nur ein solches Versuchen strafbar sein soil, welches einen Eindruck hinterlasst, der das Vertrauen der Allgemeinheit auf die Geltung der Rechtsordnung erschtittern und den Rechtsfrieden beeintrachtigen kann. Die subjektiv-objektive Legitimation der Strafbarkeit des Versuchs wird daher auch als Eindruckstheorie bezeichnet.^^ Ein so beschriebener Strafgrund des Versuchs entspricht nicht nur den §§ 22, 23, er vermag auch der Aufgabe des Strafrechts, der Achtung der Rechtsgliter durch den Schutz der Angriffsobjekte Geltung zu verschaffen, am ehesten gerecht zu werden. Denn soweit wir ex ante noch nicht wissen, ob ein Versuch untauglich ist oder nicht, stellt auch ein Versuch, von dem man spater weiB, dass er untauglich war, zunachst eine objektiv gefahrliche Situation dar. Und selbst wenn wir im Unterschied zum Tater wissen, dass sein Verhalten vollig ungefahrlich ist, stellt zumindest der Tater dieses untauglichen Versuchs eine objektive Gefahr dar, weil er bei der nachsten Betatigung seiner rechtsfeindUchen GesinZum Begriff des Rechtsguts § 3/27 ff. Zur Legitimation der Strafbarkeit des untauglichen Versuchs Bloy ZStW 113 (2001), 79 ff. mwN. S.o. RN 43 sowie zum groben Unverstand als „Kriterium fehlender Rechtsfriedensstorung" Bloy ZStW 113 (2001), 98 ff. Vgl. Lackner/Kuhl § 22 RN 11; Maurach/Gossel AT 2 § 40 RN 41; nach der neueren Gefdhrlichkeitstheorie soil hingegen die konkrete Gefahrlichkeit des WQXsuchsverhaltens die Strafbarkeit des Versuchs begriinden, was sich einschrankend auf die Strafbarkeit des untauglichen Versuchs auswirkt, informativ und mwN hierzu Bloy Besprechung von Malitz, Kirsten Der untaugliche Versuch beim unechten UnterlassungsdeUkt. Zum Strafgrund des Versuchs, 1998, GA 2000, 498 ff.

A. Der Versuch als Verwirklichungsstufe der Straftat

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nung durchaus „erfolgreicher" sein kann. Sein Verhalten stellt daher bereits einen Hdindlungsunwert und somit zu Recht einen Fall des Obersatzes in § 22 dar. IV. Sonderfragen 1.

Versuch des erfolgsqualifizierten Delikts^^

Der „Versuch des erfolgsqualifizierten Delikts" ist grundsatzlich anerkannt,^^ wobei im einzelnen die drei folgenden Fallgruppen unterschieden werden: Vollendung des Grundtatbestandes und Versuch des qualifizierenden Erfolgs (a), Versuch des Grundtatbestandes und Eintritt des qualifizierenden Erfolgs (b) sowie Versuch des Grundtatbestandes und Versuch des qualifizierenden Erfolgs (c). a)

Vollendung des Grundtatbestandes und Versuch des qualifizierenden Erfolgs

Ein sog. „Versuch der Erfolgsqualifikation'' Hegt vor, wenn der Tater bei vollendetem GrunddeUkt die qualifizierende Folge in seinen Vorsatz aufgenommen hat, ihr Eintritt aber ausbleibt.^^ Der Versuch der Erfolgsqualifikation steht dann mit dem vollendeten GrunddeUkt in Tateinheit.^^ b)

49a

49b

Versuch des Grundtatbestandes und Eintritt des qualifizierenden Erfolgs

FragUch ist die Entscheidung in den Fallen des sog. ^erfolgsqualifizierten Versuchs": Der Tater fiihrt die qualifizierende Folge schon durch den Versuch des Grunddelikts herbei und handelt hinsichtlich der besonderen Folge fahrlassig bzw. leichtfertig. Auszuscheiden sind hier zunachst die Falle, in denen der Versuch des Grundtatbestandes als solcher nicht strafbar ist (z.B. § 221 III).^^ Denn dann ware die qualifizierende Folge nicht strafscharfend i.S.v. § 18, sondern stmfbegrtindend. Im Ubrigen diflferenziert die h.M. hier zu Recht nach der Struktur des Strafl:atbestandes: Wenn der qualifizierende Erfolg mit der Taihandlung verkntipft ist, ist Raum flir einen erfolgsqualifizierten Versuch,^^ denn dann kniipft der Erfolg an ein HandlungsunvQcht an. Anders ist zu entscheiden, wenn die

Vgl. auch KM FS fiir Gossel, S. 191 ff.; Joecks StK § 18/4 ff.; Aufbauschemata bei Schluchter AT Kap. 17 A. Vgl. Baumann/Weber/Mitsch AT § 26/41 f; Rengier, i^Wf:/(9//Erfblgsqualifizierte Delikte und verwandte Erscheinungsformen, 1986, S. 234 ff. Vgl. BGH 3 StR 99/01 NStZ 2001, 534; WesselslBeulke AT RN 617; Hillenkamp, 16. ATProblem. BGH 1 StR 640/66 BGHSt 21, 194. A.A. Otto GK AT § 18/88 t mwN. So z.B. bei § 178, vgl. RGSt 69, 332, oder bei § 251, vgl. RGSt 62,422, BGH 1 StR 51/96 BGHSt 42, 158, BGH 4 StR 204/98 NStZ 1998, 511; zu § 227 BGH 5 StR 42/02 BGHSt 48, 34 im sog. Glasscheiben-Fsill mit Bespr. Laue JuS 2003, 743.

49c

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§9

Versuch nnd Rticktritt

Erfolgsqualifikation nach der Konzeption des Tatbestandes auf dem Erfolg des Grunddelikts aufbaut (z.B. § 313 II i.V.m. § 308 III).^^ c) 49d

Versuch des Grundtatbestandes und Versuch des quaUfizierenden Erfolgs

Auch der Versuch eines erfolgsqualifizierten DeUkts in der Form, dass sowohl das Grunddelikt als auch die quahfizierende Folge im Versuchsstadium steckenbleiben, ist anerkannt.^^ Neben den unter b) genannten Voraussetzungen ist jedoch erforderlich, dass fiir beide Komponenten bereits das unmittelbare Ansetzen bejaht werden kann. d)

Literatur

Hardtung, Bernhard Versuch und Rticktritt bei den Teilvorsatzdelikten des § 11 Abs. 2 StGB, 2002; Hillenkamp 16. Problem; Jescheck/Weigend AT § 49 VII; Laue Ist der erfolgsqualifizierte Versuch einer Korper^erletzung mit Todesfolge moghch? - BGH, NJW 2003, 150, JuS 2003, 743 ff.

2. 49e

In Bezug auf Grundtatbestand und Regelbeispiel lasst die Verwirklichungsstufe des Versuchs drei Kombinationsmoglichkeiten zu (a.-c): a)

49f

Vollendung des Grundtatbestandes und,, Versuch " des Regelbeispiels

Ein voUendeter Grundtatbestand mit einem „versuchten" Regelbeispiel ist z.B. gegeben, wenn der Tater zur Begehung eines Diebstahls in ein Gebaude einbrechen will, die Tiir jedoch wider Erwarten unverschlossen ist. Begeht der later den beabsichtigten Diebstahl, so nimmt die h.L. an, dass der Versuch des Regelbeispiels nicht eigens ins Gewicht fallt und allenfalls aufgrund einer Gesamtbewertung ein Diebstahl in einem besonders schweren Fall angenommen werden kann.^^ b)

49g

Versuch des Regelbeispiels^^

Versuch des Grundtatbestandes und VerwirkUchung des Regelbeispiels

Ist der Grundtatbestand versucht, das Regelbeispiel hingegen verwirklicht, nimmt die tiberwiegende Meinung den Versuch eines Diebstahls in einem besonders schweren Fall an, sieht die Regelwirkung folghch gegeben.^^

Vgl. auch Wessels/Beulke AT RN 617. Vgl. Jescheck/Weigend AT § 49 VII 2 b mwN. Vgl. auch Graul JuS 1999, 852 ff. zu BGH 5 StR 232/97 NStZ RR 1997, 293; umfassend zu den Regelbeispielen des Diebstahls in einem besonders schwere Fall Wessels/HHlenkamp BT 2, 22. Aufl. 1999, RN 204 ff.; Maurach/Schroeder/Maiwald BT 1, § 33 RN 105 ff., jew. mwN; vgl. auch^rz/JuS 1972, 1517. Vgl. Eser in: Schonke/Schroder § 243 RN 44 mwN; a.A. OLG Koln MDR 1973, 779; Zipf JR 1981, 121; krit zur BGH-Rspr. auch Zieschang Jura 1999, 561/565. Vgl. Eser aaO mwN.

A. Der Versuch als Verwirklichungsstufe der Straftat

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Beispiel 9/8a Der Tater ist in ein Gebaude eingebrochen, fmdet aber nichts und verlasst unverrichteter Dinge den Tatort. c)

Versuch sowohl des Regelbeispiels als auch des Grundtatbestandes Beispiel 9/8b Der Tater findet die Ttir wider Erwarten unverschlossen, kann in dem Gebaude auch keine Diebesbeute fmden und geht unverrichteter Dinge wieder von dannen.

Der BGH nimmt hier eine Regelwirkung an und verurteih wegen eines versuchten Diebstahls in einem besonders schweren FaU.^^ Eine sachgerechte Behandlung der in a.-c. beschriebenen Problematik hat zunachst zu beriicksichtigen, dass es nur darum geht, ob ein besonders schwerer Fall als RegelWixknng angenommen werden kann oder ob seine Annahme einer besonderen Begriindung bedarf. Da die Regelbeispiele, gleich ob tat- oder taterbezogen, einen Sachverhalt beschreiben, der einen gesteigerten Unwert aufweist, wird es zur Begriindung der Regelwirkung darauf ankommen, ob jener Unwert im Verhaltnis zu dem Grundtatbestand ins Gewicht fallt. Das ist dann der Fall, wenn der Grundtatbestand nicht vollendet ist. Es ist daher sachgerecht, in den Fallgruppen b) und c) eine Regelwirkung zu bejahen. V. Der Aufbau der versuchten Straftat Vorprufung - Ist der nach der Vorstellung des Taters in Frage kommende Tatbestand unvollstandig geblieben bzw. ist ein Tatbestandsmerkmal, insbesondere der Erfolg, dem Tater nicht zuzurechnen?, falls ja: - Ist der Versuch dieser Tat nach § 23 I liberhaupt strafbar?, falls ja: /. Tatbestandsmdfiigkeit 1. ,, Entschluss'' (subjektiver Tatbestand) Die gedankliche Vorwegnahme aller die objektiven und subjektiven Tatbestandsmerkmale ausfiillenden Tatumstande durch den Tater, d.h. - Vorsatz, der vorgestellten Tat entsprechend - Vorliegen der personlichen Merkmale (Absichten u.a.) 2 Unmittelbares Ansetzen (objektiver Tatbestand) Die Betatigung des Tatentschlusses, die nach dem Gesamtplan des Taters das betroffene Angriffsobjekt bereits unmittelbar gefahrdet, d.h. keine weiteren wesentlichen Zwischenschritte fiir die Beeintrachtigung eifordert. //. Rechtswidrigkeit wie beim vollendeten Delikt ///. Schuldhaftigkeit wie beim vollendeten Delikt, wobei jedoch der Vorsatz selbst nach der kausalen Handlungslehre Bestandteil des Entschlusses ist.

Vgl. BGH 3 StR 291/85 BGHSt 33, 370; ebs. Maurach/Schroeder/Maiwald BT 1, § 33 RN 107; gegen eine Indizwirkung hingegen die iiberwiegende Meinung, vgl. Eser in: Schonke/Schroder, § 243 RN 44 mwN.

49h 49i

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§9

Versuch und Rticktritt

VI. Literatur Berz Grundlagen des Versuchsbeginns, Jura 1984, 511 ff,; Bloy Unrechtsgehalt und Strafbarkeit des grob unverstandigen Versuchs, ZStW 113 (2001), 76 KEngldnder Der Versuchsbeginn bei der Elektrofalle - BGH, NStZ 2001, 475, JuS 2003, 330; Gropp Vom Riicktrittshorizont zum Versuchshorizont, FS fur Gossel, S. 175 ff.; Heinrich Die Abgrenzung von untauglichem, grob unverstandigem und aberglaubischem Versuch, Jura 1998, 393 ff.; Herzberg Zur Strafbarkeit des untauglichen Versuchs, GA 2001, 257 ff.; Hillenkamp Zur „Vorstellung von der Tat" im Tatbestand des Versuchs, FS Roxin, S. 689 ff.; Kuhl Grundfalle zu Vorbereitung, Versuch, Vollendung und Beendigung, JuS 1979, 718, 874; 1980, 120, 273, 506, 650, 811; 1981, 193; 1982, 110, 189 jew. ff.; ders. Die Beendigung des vollendeten Delikts, FS fiir Roxin, S. 665 ff.; ders. Das erfolgsqualifizierte Delikt (Teil II): Versuch des erfolgsqualifizierten Delikts und Rticktritt, Jura 2003, 19 ff.; Kiiper Versuchs- und Rucktrittsprobleme bei mehreren Tatbeteiligten, JZ 1979, 775 ff.; Rath Grundfalle zum Unrecht des Versuchs, JuS 1998, 1006, 1106; JuS 1999, 32, 140 jeweils ff.; Seier/Gaude Untaugliche, grob unverstandige und aberglaubische Versuche, JuS 1999, 456 ff.

Zur Vertiefung Alwart, Heiner Strafwiirdiges Versuchen, 1982; Hirsch Untauglicher Versuch und Tatstrafrecht, FS fiir Roxin, S. 711 ff. Kuhl Der Versuch des erfolgsqualifizierten Delikts, FS fur Gossel, S. 191 ff.; Momsen Das „unmittelbare Ansetzen" als Ausdruck generalpraventiver Strafbedtirftigkeit, in: Momsen, Carsten u.a. (Hrsg.) Fragmentarisches Strafrecht, 2003, S. 61 ff.; Murmann, Uwe Versuchsunrecht und Rticktritt, 1999; Struensee Verursachungsvorsatz und Wahnkausalitat, ZStW 102 (1990), 21 ff.; Vogler Der Beginn des Versuchs, FS fiir Stree/Wessels, S. 285 ff.; Weigend Die Entwicklung der deutschen Versuchslehre, in: Hirsch/Weigend, Strafrecht und Kriminalpolitik in Deutschland und Japan, 1989, 113 ff.; Walters Die Milderung des Strafrahmens wegen versuchter Tat beim echten Unternehmensdelikt, FS fiir Rudolphi, S. 347 ff.; Zaczyk, Rainer Das Unrecht der versuchten Tat, 1989.

B. Rucktritt (§ 24)

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B. Rucktritt (§ 24) § 24 Rucktritt. (1) Wegen Versuchs wird nicht bestraft, wer freiwillig die weitere Ausfuhrung der Tat aufgibt oder deren VoUendung verhindert. Wird die Tat ohne Zutun des Zurticktretenden nicht voUendet, so wird er straflos, wenn er sich freiwillig und ernsthaft bemtiht, die VoUendung zu verhindern. I.

Freiwilliges „Aufgeben der weiteren Tatausfiihrung" bzw. ^Verhindern der Tatvollendung" als unwertbegrenzende Elemente des Riicktritts

1.

Die gesetzliche Unterscheidung zwischen unbeendetem und beendetem Versuch

Nach § 24 I 1 wird der Tater des versuchten Dehkts^^ strafFrei, wenn er die Tat „aufgibt" bzw. den „Erfolg verhindert". Unter „Aufgeben" ist die Abstandnahme von der weiteren Verwirklichung des Tatentschlusses zu verstehen. Das Motiv fur das Aufgeben ist irrelevant. Nach BGH 2 StR 665/87 BGHSt 35, 184 ist es daher unschadHch, wenn der Tater nur deshalb aufgibt, um eine andere, gleich schwere oder schwerere Straftat zu begehen.^^ Eine „Verhinderung des Erfolgs" hegt hingegen vor, wenn der Tater berechenbare Aktivitdten entfaltet, welche den Eintritt des Erfolgs zurechenbar abwenden, d.h. das Ausbleiben des Erfolges nicht als zufallig erscheinen lassen.^^ Die reine Verhinderungskausalitat gentigt flir den strafbefreienden Rucktritt folglich nicht. Nach der von Roxiri^^ entwickelten sog. Differenzierungstheorie^^ wird man im Falle einer eigenhandigen Erfolgsverhinderung verlangen nitissen, dass der Erfolg aufgrund einer vom Zunicktretenden eroffneten Rettungschance verhindert worden ist (Chanceneroffnungstheorie). Bei fremdhandiger Erfolgsverhinderung darf er sich nicht mit RettungsmaJinahmen begntigen, die moglicherweise unzureichend sind.^^ Eine (aus seiner Sicht) optimale Leistung muss der Zuriicktretende nicht erbringen (so aber die sog. Bestleistungstheorie^^). Das Ergreifen erforderlicher MaJinahmen gentigt.'^^

Zum „Rucktritt" von Tatbeitragen im Vorbereitungsstadium vgl. Anger er, Veronika Rucktritt im Vorbereitungsstadium, 2004. Nach Angerer beruht die Straffreiheit hier auf der fehlenden Zurechenbarkeit, fehlendem Vorsatz oder - falls es zum Versuch kommt - auf einer analogen Anwendung von § 24. Krit. hierzu Schluchter AT 14. Kap. B Frage 47. Zieschang GA 2003, 358; umfassend zu den Anforderungen an das Verhindern Bofi Der halbherzige Rucktritt, 2001. Die Verhinderung der VoUendung als Rucktritt vom beendeten Versuch, FS flir Hirsch, S. 327 ff./335 ff. mwN und erhellenden Beispielen aus der neueren Rechtsprechung sowie AT 2 § 30/243 ff. Krit. B075 2002, S. 141 f Ahnlich differenzierend zwischen einer quasi-taterschaftlichen und einer anstiftungsgleichen fremdhandigen Erfolgsabwendung Engldnder JuS 2003, 641 ff. Vgl. auch BGH 4 StR 49/97 StV 1997, 518 sowie Roxin AT 2 § 30/247 f. So wohl BGH 5 StR 584/98 StV 1999, 204 sowie BGH 2 StR 251/02 BGHSt 48, 147 mit krit. Anm. Jakobs JZ 2003, 743 ff., zust. Englander JuS 2003, 641 ff. und ZwiehoffStY 2003, 631 ff; vgl. auch Bofi Der halbherzige Rucktritt, S. 143 ff., 196 f; Herzberg NJW 1989, 862ff.;Puppe AT 2 § 36/72; Meinungstibersicht bei Otto JK 1999 § 24/28.

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§9

Versuch und Rticktritt

Nach § 24 I 2 ist auf der anderen Seite nicht erforderlich, dass das Ausbleiben des Erfolgs gerade auf den Verhinderungsbemiihungen des Zuriicktretenden bemht. Denn es geniigt hier bereits ein ernsthaftes^^ Bemiilien, den Erfolg zu verhindern. Die irrtumliche Annahme der Verhinderungskausalitat ist in diesem Rahmen folglich unschadlich, wenn der Erfolg nur anderweitig tatsachlich verhindert wird7^ Mit dem Ankniipfen an das Aufgeben einerseits sowie das Verhindern der Tatvollendung andererseits als Voraussetzung des obligatorisch strafbefreienden Riicktritts macht § 24 I die Straffreiheit von dem Entwicklungsstadium des Versuchs abhangig. Dabei korrespondiert mit dem Aufgeben der sog. unbeendete^ mit der Erfolgsverhinderung der sog. beendete Versuch. Abbildung 4. Beendetsein des Versuchs

Erfolg

beendeter Versuch

I 52

\y-j^

Erfolg

=Tatbeitrag

BeurteiiungsmaBstab fiir die Einordnung des Versuchs als beendet oder unbeendet ist die Vorstellung des Tdters. Dies ergibt sich schon aus § 22. Stellt man nun die gedankliche Verbindung zwischen der Vorstellung des Taters nach § 22 und dem Aufgeben bzw. Verhindern in § 24 I her, dann liegt ein unbeendeter Versuch vor, wenn der Tater glaubt, noch nicht alles getan zu haben, was fiir die Herbeifiihrung dieses Erfolges erforderlich ist. Beendet ist der Versuch hingegen,

Umfassend zur Ernsthaftigkeit Maiwald Das Erfordernis des ernsthaften Bemtihens beim fehlgeschlagenen oder beendeten Versuch (§ 24 Abs. 1 Satz 2 StGB), FS fiir E.A. Wolff, S. 337 ff. Es wirken auch grob unverstandige, nicht hingegen aberglaubische Bemtihungen strafbefreiend. Voraussetzung ist jedoch, dass das Bemtihen nicht „halbherzig" ist. Auch ein Unterlassen kann genugen; zust. Kupper JuS 2000, 229 hnks. Vgl. Luminal-Fall BGH 5 StR 28/58 BGHSt 11, 324 (Rticktritt vom untaugl.Versuch), hierzu Eser StK II Nr. 34 A 23-35b; vgl. auch Wessels/Beulke AT RN 646 f.

B.I. Unwertbegrenzende Elemente des Rticktritts

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wenn der Tater der Ansicht ist, bereits alles fur die Herbeifiihrung des tatbestandlichen Erfolgs getan zu haben. Beispiel 9/9: Glaubt der Tater A, es sei die Beibringung von 10 Tropfen Gift erforderlich, um sein Opfer B zu toten, dann liegt nach Beibringung von funf Tropfen ein unbeendeter, nach der Gabe von 10 Tropfen ein beendeter Totungsversuch vor. Anschlieiiend verselbstandigt sich nach der Vorstellung des Taters der Geschehensablauf und fiihrt ohne weiteres Zutun zum Erfolg.

Allerdings wird diese Vorstellung insoweit „normativ tiberlagert", als sie durch die allgemeine Lebenserfahrung mitbeurteilt wird: von einem Beendetsein wird ausgegangen, wenn der later die tatsachlichen Umstande erkennt, die den Erfolgseintritt nach der Lebenserfahrung nahelegen. An die Annahme eines Unbeendetseins werden deshalb strenge Anforderungen gestellt.^^ Macht der later sich keine Vorstellungen iiber die Folgen seines Tuns, nimmt der BGH einen beendeten Versuch an. Denn dann rechne der Tater auch mit der Moglichkeit, dass der angestrebte oder in Kauf genommene Erfolg eintritt.^^ Diese Rechtsprechung steht in Einklang mit der Annahme von dolus eventualis bei Gleichgliltigkeit beziiglich des Erfolgseintritts.^^ Allerdings ist nicht unumstritten, welches der mafigebliche Zeitpunkt fiir die Vorstellung des Taters sein soil. 2.

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Der mafigebliche Bezugspunkt fiir die Vorstellung des Taters vom Beendetsein des Versuchs Beispiel 9/10: In Beispiel 9/9 habe der Tater cine kleine Flasche Gift gekauft. Davon bringt er dem Opfer 10 Tropfen mit Totungsvorsatz bei. Var. a: Wider Erwarten reichen die 10 Tropfen nicht aus. A erkennt dies. Er konnte B weiteres Gift beibringen, nimmt davon jedoch Abstand, weil er ein besserer Mensch werden will, wodurch B vollig genest. Var. b: A bricht sein Vorhaben nach 8 Tropfen ab, weil er Gewissensbisse bekommt. Sicherheitshalber alarmiert er sogar einen Arzt. Jedoch stirbt B wider Erwarten am nachsten Tag infolge des Giftes, weil dieses doch eine starkere Wirkung gehabt hatte.

In Frage kommen insoweit im wesentlichen zwei Bezugspunkte: die Planungsphase (a) und das Ende der Tatausfiihrung (b).

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a) Die Lehre vom Tatplankriterium Nach der Lehre vom Tatplankriterium soil es fiir das Beendetsein des Versuchs darauf ankommen, was der later geplant hat. Hat der later den Plan erfiillt, im Beispiel 9/10 Var. a die Beibringung von 10 Tropfen Gift, dann ist der Versuch beendet^^ Um zuriickzutreten, miisste der Tater den Erfolg aktiv verhindern, selbst wenn die 10 Tropfen gar nicht ausreichen und er dies erkennt.

Vgl. BGH GSSt 1/93 BGHSt 39, 221; 5 StR 434/93 NStZ 1994, 76. Vgl. BGH 2 StR 449/94 BGHSt 40, 304m. Anm. Puppe NStZ 1995, 403; BGH 3 StR 618/98 NStZ 1999, 300. Vgl. BGH 5 StR 131/60 NJW 1960, 1821/1822. Vgl. Stilett-Fall BGH 2 StR 537/68 BGHSt 22, 330.

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§9

Versuch und Rticktritt

Umgekehrt ntitzt es dem Tater niclits, wenn sein Plan wie in Beispiel 9/10 Var. b die Beibringung von 10 Tropfen vorsieht, er nach 8 Tropfen aufhort und das Opfer dennoch stirbt. Denn mit dem Eintritt des Erfolgs schneidet ihm die h.M. jede Rticktrittsmoglichkeit ab, weshalb er sich nicht darauf berufen kann, dass seiner Vorstellung entsprechend ein unbeendeter Versuch vorgelegen habe, von dem er strafbefreiend durch Aufgeben zuriickgetreten sei. Die Lehre vom Tatplankriterium benachteiligt damit den Riicktrittswilligen in jeder Hinsicht. AuBerdem privilegiert sie denjenigen, der schon zu Beginn seiner Aktivitaten einen weitreichenden Tatplan fasst. Denn je umfangreicher der Tatplan, desto eher ist der Versuch unbeendet. Die Tatplanlehre fiihrt daher zu unsachlichen Ungleichbehandlungen und wird deshalb nicht mehr vertreten. b) Die Lehre vom Rucktrittshorizont

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Inzwischen hat sich die Lehre vom Rucktrittshorizont etabliert^"^. Uber das Beendetsein des Versuchs entscheidet danach die Vorstellung des Taters tiber die Moglichkeit des Erfolgseintritts zum Zeitpunkt der Rticktrittshandlung, genauer: zum Zeitpunkt der Entscheidung dariiber, ob weitergehandelt werden soil oder nicht. Der Tater muss sich zu diesem Zeitpunkt ein Urteil uber die Wirksamkeit des bereits Getanen bilden. Danach richtet sich, ob der Versuch beendet ist oder nicht. Der Vorteil der Lehre vom Rucktrittshorizont besteht darin, dass die Rlicktrittsaktivitaten dem Entscheidungszeitpunkt angepasst sind und damit der Tatplan den Tater weder unangemessen privilegiert, noch einer Wiirdigung des Riicktrittsverhaltens im Wege steht. In Beispiel 9/10 Var. a kann der Tater deshalb auch nach der Verabreichung von 10 Tropfen durch Aufgeben strafbefreiend zurucktreten. Aus der Flexibilitat jenes Entscheidungszeitpunktes folgt, dass sich der Rucktrittshorizont des Taters bei fortbestehender Tatsituation, d.h. solange eine zeitliche Zasur noch nicht vorliegt, auch wieder verandern kann (sog. Korrektur des Riicktrittshorizonts). So liegt beispielsweise ein unbeendeter Totungsversuch auch dann vor, wenn der Tater bei unverandert fortbestehender Handlungsmoglichkeit zunachst glaubt, alles zur Totung Erforderliche getan zu haben, aber unmittelbar darauf erkennt, dass mit einer todlichen Wirkung doch nicht zu rechnenist.^^

Vgl Wurgungs-Fall BGH 2 StR 550/82 BGHSt 31, 170; 4 StR 326/85 BGHSt 33, 295; 4 StR 541/87 BGHSt 35, 90; BGH 3 StR 25/86 NStZ 1986, 264; 1 StR 390/89 NStZ 1990, 30; 2 StR 540/98 NStZ 1999, 299 links/rechts, 300; 4 StR 56/99 StV 1999, 594. Vgl. BGH 5 StR 189/98 NStZ 1998, 614 = NStZ 1999, 608 m. Anm. Jager, vgl. auch LKLilie/Albrecht § 24 RN 116fif;Otto JK 2000 StGB § 24/29; zum umgekehrten Fall - spateres Erkennen der hinreichenden Wirkung BGH NStZ 1998, 614 („Butterfly-Messer") mit Bespr. Otto JK 1999 §24/26.

B.L Unwertbegrenzende Elemente des Rucktritts

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c) Einzelaktstheorie und Gesamtbetrachtungslehre Tatplantheorie und Rucktrittshorizont beziehen sich auf Falle, in denen die Aktivitaten des Taters kumulativ auf den tatbestandlichen Erfolg zulaufen. Wahlt der Tater hingegen ein Vorgehen, welches aus mehreren, jeweils zur Herbeifohrung des Erfolgs geeigneten Handlungen besteht,

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Beispiel 9/11: A will B erschieUen und ladt den Trommelrevolver mit sechs Patronen, nimmt sich also die Abgabe von erforderlichenfalls sechs Schtissen vor. werden Tatplan und Rticktrittshorizont durch das Begriffspaar Einzelaktstheorie und Gesamtbetrachtungslehre abgelost. Geht im genannten Beispiel der erste Schuss fehl und schiefit der later noch einmal daneben, so ware er vom ersten Totungsversuch mangels einer Riicktrittshandlung nicht zuriickgetreten und konnte auch nach dem zweiten Schuss nicht mehr zurticktreten. Dieses Ergebnis vermeidet die Gesamtbetrachtungslehre, indem sie - dem Rucktrittshorizont entsprechend - darauf abstellt, ob der later nach dem letzten Teilakt aufgibt, obwohl er meint, den Erfolg noch herbeifohren zu konnen. Voraussetzung ist jedoch, dass die vorausgegangenen erfolglosen Teilakte mit dem neuen Anlauf, auf den der later verzichtet, einen einheitlichen Lebensvorgang bilden.^^ Der Irrtum des Taters uber die Wirksamkeit des Getanen^^ beachtlich? Noch keiner abschlieBenden Klarung ist die Frage zugefohrt, ob und wie ein Irrtum des Taters Uber die Wirksamkeit des Getanen in Form der Unkenntnis der Erfolgsgeeignetheit beachtlich ist.

gj^

3.

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Beispiel 9/12: Der Tater glaubt, dass zur Herbeifiihmng des Todes durch Vergiftung 10 Tropfen Gift erforderlich seien. Nach Gabe von ftinf Tropfen stellen sich bei dem Opfer deutliche Krankheitszeichen ein, was den reuigen Tater zur Aufgabe veranlasst. Wider Erwarten genugt jedoch bereits die Verabreichung der fiinf Tropfen zur Herbeifiihmng des Erfolgs. Das Opfer stirbt.

Die h.M. halt den Irrtum for unbeachtlich, versagt dem later die Berufong auf § 24 und bestraft ihn wegen eines vorsatzlich vollendeten Delikts, weil der Erfolg eingetreten ist und damit ein Rticktritt nicht mehr in Frage komme.^^ Nach einer Mindermeinung^^ hingegen ist der Irrtum jedenfalls dann beachtlich, wenn der Tater zu einem Zeitpunkt aufgibt, zu dem der Erfolg noch nicht eingetreten ist. Mit dem Aufgeben entfalle dann der Vorsatz, weshalb der Erfolg allenfalls als fahrlassig herbeigefohrt zugerechnet werden konne. Gegen diese Meinung wird wiederum geltend gemacht, dass auch bei sonstigen Erfolgsdelikten ein Fortdauern des Vorsatzes bis zum Eintritt des Erfolges nicht gefordert werde: schicke Vgl. Wessels/Beulke AT RN 629 f Vgl. BGH 1 StR 33/94 NStZ 1994, 535 mit Anm. /fa/?NStZ 1994, 536. Naher Gropp Jura 1988, 542/546 links. Vgl. Jescheck/Weigend AT § 51 III 3; Lackner/Kuhl § 24 RN 20; Otto Jura 2001, 341 ff./344; SK-Rudolphi § 24 RN 16. Vgl. Bottke 1979, S. 556 f; Eser in: Schonke/Schroder § 24 RN 22 ff.; ders. StK II Nr. 33 A 45 ff.; Herzberg FS flir Oehler, S. 163 ff./173; Jakobs AT 26/13; "LK-Schroeder § 16 RN 34; Wolter ZStW 89 (1977), 649/697; fiir objektive Zurechnung als Abgrenzungsmalistab Kuhl AT § 16/79 ff.; krit. zu dieser Lehre vom „Mangel des Vollendungsvorsatzes" Kiiper ZStW 112(2000), Iff.

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§9

Versuch und Rticktritt

der Tater z.B. eine Briefbombe mit Totungsvorsatz an das Opfer ab, so entfalle die Zurechnung des Erfolges als vorsatzlich vemrsacht nicht deshalb, weil der Tater nach dem Absenden seine Tat bereut und vergeblich versucht hat, den Erfolg zu verhindern. Freilich vermag dieses Argument aus zwei Griinden nicht zu tiberzeugen: Der Tater, der sich vorstellt, durch schlichtes Aufgeben zuriicktreten zu konnen, geht gerade nicht davon aus, dass der Erfolg eintreten wird. Er hat damit zum Zeitpunkt seines Handelns keinen Totungsvorsatz mehr, was ihn von dem Briefbombenversender unterscheidet. Denn dieser geht davon aus, dass der todliche Erfolg eintreten wird. Sein subjektives Wissen (cognitives Element) verhindert aber ein Entfallen seines Vorsatzes, denn das Fehlen des voluntativen Elementes vermag den Tater nicht zu entlasten.^^ 66

Dass es auf dieses Fehlen eines Totungsvorsatzes ankommt, ergibt sich aus dem folgenden Argument, welches fiir die Mindermeinung spricht: Die Basis fiir die Versuchsstrafbarkeit ist der Entschluss des Taters, den er in einer Weise betatigt, welche das tatbestandliche Angriffsobjekt nach seiner Vorstellung als unmittelbar gefahrdet erscheinen lasst. Die Vorstellung ist aber auch fur das Beendetsein des Versuchs maligeblich. Dann aber kann sie im Hinblick auf das Beendetsein nicht falsch sein. Ein Irrtum tiber das vorstellungsbezogene Beendetsein ist somit denkgesetzlich ausgeschlossen. Stellt sich der Tater zum Zeitpunkt des Rucktritts („Rucktrittshorizont") vor, noch nicht alles Erforderliche fiir die Herbeifiihrung des Erfolgs getan zu haben, liegt folglich selbst dann ein unbeendeter Versuch vor, wenn der Tater in Wirklichkeit alles Erforderliche getan hat. Gibt der Tater auf, endet das Unrecht des Versuchs, welches sich - seiner Natur entsprechend - in einem vorsatzlichen HandlungsnnrQchi erschopft. Das dennoch eintretende Erfolgsunrecht ist vom Handlungsunrecht des Versuchs aber vollig unabhangig. War der Erfolgseintritt vorhersehbar, kommt eine Verantwortlichkeit wegen Fahrlassigkeit in Betracht. Andernfalls bleibt der Tater insoweit straffrei.

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Wenn die h.M. demgegeniiber wegen vorsatzlicher Herbeifiihrung des Erfolgs bestraft, dann verkniipft sie unzulassigerweise ein durch Rticktritt aufgehobenes Handlungsunrecht mit einem gesondert zuzurechnenden Erfolgsunrecht. Die Ausfiihrungen zur Beachtlichkeit des Irrtums tiber die Wirksamkeit des Getanen gelten nicht bei Irrtiimern tiber die Wirksamkeit des Unterlassens. Nimmt in Beispiel 9/13 a (RN 72) der Bademeister irrtiimUch an, den N durch einfaches Bergen aus dem Wasser retten zu konnen, so fehlt bereits das „Verhindern des Erfolgs" als notwendige Rucktrittsvoraussetzung.^^

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4. 68

Unbeendetsein des Versuchs trotz Erreichens des aufiertatbestandlichen Ziels?

Eine rege Diskussion ist seit 1993 dariiber im Gange, ob von einem unbeendeten Versuch auch der zuriicktreten konne, der bereits sein Ziel erreicht hat, obwohl der tatbestandliche Erfolg noch nicht eingetreten ist. Beispiel 9/13 Denkzettel-YdM - BGH GSSt 1/93 BGHSt 39, 221:'' Der Tater T stieB dem Opfer O, um ihm einen ^Denkzettel" zu verpassen, mit Totungsvorsatz (dolus eventualis)

Naher § 5/97 f. So im Ergebnis auch KiXper ZStW 112 (2000), 41, allerdings in Folge der Annahme eines Vollendungsvorsatzes. Mit krit. Anm. Roxin JZ 1993, 896; gegen strafbefreienden Rticktritt BGH 2 StR 251/89 NStZ 1990, 77, BGH 5 StR 480/90 NStZ 1991, 127, dazu Fuppe NStZ 1990, 433; dies. JZ 1993, 361 und krit. AT 2 § 36/28, Rudolphi Anm. JZ 1991, 525; SK-Rudolphi § 24 RN 14 a, b; fur strafbefreienden Rticktritt hingegen BGH 1 StR 273/92 JZ 1993, 359, BGH 1 StR

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ein Messer in den Bauch. Weil er sein Ziel, den Denkzettel, erreicht sah, lieB er von O ab, wobei er (unwiderlegbar) davon ausging, noch nicht alles zur Herbeifiihrung des Todes Erforderliche getan zu haben. O uberlebte. Der Groiie Strafsenat des BGH nahm einen strafbefreienden Rticktritt durch Aufgeben des Totungsversuchs an.^"*

Da Orientierungspunkt fiir die Bewertung eines Verhaltens aus strafrechtlicher Sicht dessen TatbestandsmaBigkeit ist und da der Entschluss des T sich auch darauf bezog, ist der Entscheidung des BGH beizupflichten, soweit ein unbeendeter Versuch eines Totungsdelikts angenommen wird. Denn die Vorstellung des T ging ja in der Tat dahin, noch nicht alles Erforderliche fiir die Herbeifiihrung des Todes des O getan zu haben. FragHch ist aber, ob T i.S.v. § 24 aufgegeben hat. Man miisste dies verneinen, wenn sich das Aufgeben auch auf auBertatbestandliche Ziele erstreckte, was wegen der Tatbestandsbezogenheit des § 24 aber nicht zutrifft. Der Annahme eines Aufgebens steht auch nicht entgegen, dass T sein tatbestandliches Ziel, die Totung des O, nur mit dolus eventualis verfolgte. Denn andernfalls ware ein Rticktritt von einem mit dolus eventualis begangenen unbeendeten Versuch nie mogUch. Von einem Aufgeben ist daher auch in Fallen dieser Art auszugehen. Da der strafbefreiende Rticktritt auBer dem Aufgeben nur noch Freiwilligkeit erfordert, war der Rticktritt des T wirksam. Dass T nicht aus Treue zum Recht, sondern wegen des erfolgreich verabreichten Denkzettels zuriickgetreten war, mag dem Rechtsgefiihl widersprechen, darf im Hinblick auf die Formulierung des Riicktritts aber keine RoUe spielen. AuBerdem ist zu bedenken, dass die Strafbarkeit des T wegen gefahrlicher Korperverletzung (§ 224) nicht vom Rticktritt erfasst wird. 5.

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Rticktritt vom Unterlassungsversuch

Auch vom Unterlassungsversuch ist ein strafbefreiender Rticktritt moglich. Die 72 Besonderheit besteht jedoch darin, dass das Rticktrittsverhalten hier in der Vornahme der zur Abwendung des Erfolgs erforderlichen Handlung bestehen muss, weshalb nur die Verhinderung^dlitrndAiyQ in Frage kommt.^^ Unbeendet ist der Versuch, wenn der Tater glaubt, den Erfolg durch Vornahme der ursprilnglich erforderlichen Handlung verhindern zu konnen; beendet ist er, wenn der Tater nunmehr weitere MaBnahmen fiir erforderiich halt.^^ Vom Beendetsein des Unterlassungsversuchs hangt es ab, welche Aktivitaten vom Tater als Voraussetzung des Riicktritts vom Unterlassungsversuchs zu fordern sind. Beispiel 9/13a: Der Bademeister B hat beschlossen, den ihm verhassten Nichtschwimmer N, der sich in der Wassertiefe verschatzt hat, ertrinken zu lassen. Eine schwimmbegeisterte Jurastudentin redet ihm jedoch ins Gewissen, den bereits auf den Boden des Hallenbades gesunkenen N zu retten. 390/89 NStZ 1990, 30; BGH 1 StR 36/89 NStZ 1989, 317; vgl. zum Ganzen auch Pahlke 1993, S. 117; Streng^?i{Z 1993, 257. In diesem Sinne auch der Portemonnaie-Fall BGH 4 StR 29/02 NStZ 2002, 427. Vgl. Jescheck/Weigend § 60 II 3; Kuhl AT § 18/152; Maihofer GA 1958, 289/298. Vgl. Eser StK II Nr. 33 A 51; Wessels/Beulke AT RN 743 f.; umfassend und krit. zu diesem differenzierenden Ansatz Kiiper ZStW 112 (2000), 1fif;vgl. auch Roxin AT 2 § 29/270.

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§9

Versuch und Rticktritt

Var. 1: B rettet N sofort. N geht nach einem Hustenanfall nach Hause: Rticktritt vom unbeendeten Unterlassungsversuch. Var. 2: B gibt seinen todbringenden Entschluss erst nach Ablauf von 3 Minuten auf. Dann rettet er N, indem er mittlerweile notwendig gewordene Wiederbelebungsmalinahmen durchfiihrt: Rticktritt vom beendeten Unterlassungsversuch. In beiden Fallen erfolgt der Rticktritt zwar nach § 24 I 1 2. Alt. Der Unterschied besteht aber darin, dass der Tater beim beendeten Unterlassungsversuch davon ausgeht, weitere Verhinderungsaktivitaten entfalten zu mtissen. Entfaltet er sie nicht, kommt ein Rticktritt selbst dann nicht in Frage, wenn N auf sonstige Weise gerettet wird. Ein Irrtum des B tiber die Wirksamkeit des bisherigen Unterlassens ist - im Unterschied zum unbeendeten Versuch durch aktives Tun (s.u. RN 72) - auch in Variante 1 unbeachtlich: Zwar geht B in Var. 1 davon aus, N durch einfaches Einschreiten noch retten zu konnen und handelt daher im Falle des Einschreitens ohne Vollendungsvorsatz.^^ Jedoch kann B die geforderte Rticktrittshandlung, die Verhinderung des Erfolgs (im Unterschied zum „Aufgeben" beim aktiven Tun), nicht erbringen. 72a

Umstritten ist, ob ein Rticktritt vom Unterlassungsversuch auch dann moglich ist, wenn es sich um einen untauglichen Unterlassungsversuch handelt, weil der later selbst bei sofortigem Eingreifen den Erfolg nicht mehr verhindern konnte: Beispiel 9/13b Heizkorper-F^ill - BGH 5 StR 127/97 NStZ 1997, 485:^^ Das Opfer G hatte sich vor dem Ang. A in eine Nische hinter einem heiJien Heizkorper gefltichtet, aus der sie sich nicht mehr selbst befreien konnte, weil A sie dort noch weiter hinuntergedrtickt hatte. A lieli G stecken und legte sich schlafen. Am nachsten Morgen gegen 7 Uhr fand A die G in unveranderter Lage vor und verlieli das Haus. G war zu diesem Zeitpunkt zwar noch am Leben, aber bereits todlich verletzt. Dreieinhalb Stunden spater ermoglichte A auf Zureden des E die Befreiung der G aus ihrer Lage. G verstarb am tibernachsten Tag. Das LG verurteilte A wegen Korperverletzung mit Todesfolge in Tateinheit mit Freiheitsberaubung. Der BGH nahm u.a. eine Strafbarkeit wegen versuchten Mordes durch Unterlassen an. Denn als A sich um 7 Uhr der moglicherweise todlichen Folge seines Verhaltens bewusst geworden sei, habe er den Tod nicht mehr verhindern konnen. Es fehle deshalb die Quasikausalitat des Unterlassens, weshalb eine Vollendung durch Unterlassen ausscheide. Allerdings sei A vom Versuch durch Unterlassen trotz seiner Aktivitaten nicht strafbefreiend zurtickgetreten, „weil er die Vollendung der Tat nicht mehr verhindern konnte".

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Kilpper^^ wendet zu Recht ein, dass nach dieser Rechtsprechung ein Rticktritt vom untauglichen Unterlassungsversuch generell nicht moglich ware, und schlagt eine Losung iiber § 24 I 2 vor. Voraussetzung ware eine „Nichtvollendung der Tat ohne Zutun des Zurucktretenden". Davon ist in der Tat auszugehen, denn der Unterlassungsversuch konnte den Tod der G nicht herbeiflihren, weil dieser Tod ohnehin unvermeidbar war. So besehen trat der Tod der G in einer Weise ein, die dem Unterlassen des A um 7 Uhr nicht zurechenbar ist. Aus der Sicht des Taters kann es aber keinen Unterschied machen, ob die Tat „nicht vollendet" wird, weil der Erfolg nicht eintritt oder weil er nicht in einer dem Tater zurechenbaren Weise eintritt.^^' Gegen die Verneinung einer Riicktrittsmoglichkeit durch den BGH spricht weiterhin, dass selbst der fehlgeschlagene Versuch als subjektiv fehlgeschlagener von der Vorstellung des Taters abhangt. Wer sich vorstellt, den Erfolg durch Ftir einen Vollendungsvorsatz hingegen Kuper ZStW 2000, 41. Mit Besprechung Kupper JuS 2000, 225fif.;mit Anm. Brand/Fett NStZ 1998, 507 sowie Kudlich/Hannich StV 1998, 370 ff. JuS 2000, 229 links. Vgl. mch Kudlich/Hannich StV 1998, 371 links.

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aktives Tun noch verhindern zu konnen, geht nicht von einem fehlgeschlagenen Versuch aus und kann unter den Voraussetzungen des § 24 zurucktreten.^^^ Allein die Untauglichkeit des Unterlassungsversuchs kann die Moglichkeit des Rticktritts nicht hindern. Dies bedeutet indessen nicht zwingend, dass im Heizkorper-Fall A strafbefreiend zuriickgetreten ware. Denn vieles spricht gegen eine Ernsthaftigkeit und Freiwilligkeit der Riicktrittsbemiihungen des A.^^^ 6.

Riicktritt vom Versuch eines erfolgsqualifizierten Delikts

Nach h.M.^^^ ist der Riicktritt von einem strafbaren Versuch eines erfolgsqualifizierten Delikts moglich. Dies gilt sogar dann, wenn der Tater in Kenntnis des eingetretenen qualifizierenden Erfolgs vom Grunddelikt zuriicktritt. Dementsprechend nahm der BGH^^"^ eine Strafbarkeit lediglich nach § 222 (fahrlassige Totung) und nicht nach § 251 (Raub mit Todesfolge) in einem Fall an, in dem der Tater einen Raub begehen wollte. Er hatte zur Tatausfiihrung die Pistole auf das Opfer gerichtet, um den moglichen Widerstand gegen die beabsichtigte Wegnahmehandlung zu brechen. Dabei loste sich ein Schuss, der das Opfer totete. Der Tater brach die weitere Tatausfiihrung ab und verlieB den Tatort ohne Beute. 7.

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Freiwilligkeit und Endgiiltigkeit des Rticktritts

Um straft)efreiend zu wirken, muss der Riicktritt/r^w/7//g sein. Dies ist der Fall, 73 wenn die Abstandnahme von der Tat aus autonomen Motiven erfolgt. ^^^ Reinhard Frank^^^ hat hierzu die Faustformel gepragt, der Tater mtisse sich sagen „Ich will nicht zum Ziele kommen, selbst wenn ich es konnte". Im konkreten Fall kann die Unterscheidung aber erhebliche Probleme aufwerfen. Letztendlich kommt es darauf an, dass der Tater sich nicht zum Riicktritt gezwungen sehen darf Dass aber auch diese Umschreibung nicht einfach ein Sein beschreibt, sondern auf ein Sollen abstellt und damit auf einer normativen Betrachtung beruht,^^^ zeigt die Angst vor Strafe, welche als Motiv zur Umkehr die Freiwilligkeit nach h.M. nicht ausschlieBt. Beherrschen den Tater hingegen heteronome Motive („Ich kann nicht

104 105

Vgl. oben RN 52 sowie Brand/Fett NStZ 1998, 507 rechts t So auch Kudlich/Hannich StV 1998, 372; Kupper JuS 2000, 229 links. So Kiiper JZ 1977, 229 ff., BGH 1 StR 61/96 BGHSt 42, 158; Blei AT S. 308, Anders GA 2000, 64 ff.; anders Ulsenheimer Zur Problematik des Rticktritts vom Versuch erfolgsqualifizierter Delikte, FS fur Bockelmann, S. 405 ff./414. BGHSt 42, 158; krit. zur Entscheidung des BGU Jager NStZ 1998, 161 ff. Vgl. hierzu den Lilo-Fall BGH 5 StR 352/55 BGHSt 9, 48 sowie BGH 1 StR 402/03 StV 2004, 595 f; zu an Taterschaftsgrundsatzen orientierten Fallgmppen ausgeschlossener Freiwilligkeit mangels Autonomie Jager ZStW 112 (2000), 783 ff., 794 ff. Frank, Reinhard DsiS Strafgesetzbuch fiir das Deutsche Reich, 18. AuQ. 1931, § 45/46 Anm. II. Dass aber auch diQ psychologisierende Betrachtung der Freiwilligkeit seitens der Rechtsprechung normative Zuge aufweist, hat Maiwald Psychologie und Norm beim Riicktritt vom Versuch, Gedachtnisschrift fiir Zipf, S. 255 ff. dargelegt; umfassend zur psychologisierenden und normativen Betrachtungsweise LK-Lilie/Albrecht § 24 RN 147 ff.

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§9

Versuch und Rticktritt

zum Ziele kommen, selbst wenn ich es woUte"), ist Freiwilligkeit und damit ein strafbefreiender Rucktritt zu verneinen. Da § 24 11 das Aufgeben bzw. das Verhindern der Vollendung der Tat verlangt, gentigt es nicht, dass der Tater nur von der konkreten Ausfuhrungs/za^^i/w^g ablasst oder den Erfolgseintritt zum konkreten Zeitpunkt verhindert, um die Tathandlung durch eine andere Begehungsweise zu ersetzen oder den Erfolg auf andere Weise eintreten zu lassen. Die Riickkehr in die Legalitat und der Opferschutz erfordern vielmehr, dass der Tater von der Beeintrdchtigung des konkreten Tatobjekts zumindest so ^Ntii Abstand mmmi, dass im Falle spaterer AngrifFe das Geschehen nicht mehr als einheitlicher Lebensvorgang, sondern als neuer Entschluss erscheint. ^^^ Beispiel 9/14: Der Tater beschlieJit, die fremde bewegliche Sache nicht mit Gewah gegen die Person, sondern mittels Tauschung wegzunehmen, indem er dem Opfer als angeblicher Kriminalbeamter vorgaukelt, zur Beschlagnahme der Sache berechtigt zu sein. Hier lage ein strafbefreiender Rucktritt vom versuchten Raub vor, die Strafbarkeit wegen Diebstahls bhebe freilich bestehen. Denn das getauschte Opfer gibt die Sache nicht freiwillig, sondern nur wegen der angebhchen Beschlagnahme heraus. 8.

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(Subjektiv) fehlgeschlagener Versuch

Im Rahmen der vor allem von der Rechtsprechung 109 favorisierten Lehre vom fehlgeschlagenen Versuch stellt sich die Frage eines freiwilligen Aufgebens oder Verhinderns des Erfolgs von vornherein nicht, weil der Rucktritt ausgeschlossen ist. Fehlgeschlagen ist der Versuch, wenn der Tater erkennt bzw. irrig annimmt, dass er mit keinem der ihm zur Verfiigung stehenden Mittel den Erfolg mehr herbeiflihren kann: sei es, dass sich z.B. das Tatwerkzeug als untauglich erweist (die Pistole ist nicht geladen und andere Totungsmittel stehen nicht zur Verfugung) oder der erstrebte Erfolg bereits eingetreten ist (das Opfer ist bereits von einem Dritten umgebracht worden). Beispiel 9/15 Afe^5^^-Fall - BGH 1 SIR 389/65 BGHSt 20, 279/280: Der Angeklagte sah sich an einer geplanten Vergewaltigung gehindert, weil das Opfer gerade seine Menses hatte. Dazu der BGH: „Dem Angeklagten erwies sich die Uberfallene wegen ihres Zustandes fiir den von ihm ... erstrebten Geschlechtsverkehr als ungeeignet. Dieser Umstand war fur ihn ein zwingender Grund, die Durchfuhrung seines Vorhabens aufzugeben (Fall des fehlgeschlagenen Versuchs; delit manque)."

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Wie bei der Frage nach dem Beendetsein spielt auch beim Fehlschlagen der Rucktrittshorizont bzw. die Gesamtbetrachtuns eine Rolle.^^^ So betriffl die Lehre vom fehlgeschlagenen Versuch nur jene Falle, in denen der Tater zum Zeitpunkt des Rucktritts meint, den Erfolg in keiner Weise mehr herbeiflihren zu konnen, in denen ansonsten also ein unbeendeter Versuch vorlage.

'^' Vgl. BGH 1 StR 33/94 BGHSt 40, 75/77; Wessels/Beulke AT RN 641 mwN; vgl. auch Hillenkamp 17. Pro-blem. ^^^ Vgl. BGH 4 StR 89/86 BGHSt 34, 53; 4 StR 541/87 BGHSt 35, 90; 4 StR 33/93 BGHSt 39, 244; sowie LK-Lilie/Albrecht § 24 RN 61 ff.; Maurach/Gossel AT 2 § 41/36 ff.; Otto Jura 1992, 423 ff.; Roxin JuS 1981, 1 ff.; SK-Rudolphi § 24 RN 8 ff. '^^ S.o. RN59ff.

B.L Unwertbegrenzende Elemente des Rticktritts

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Beispiel 9/16: A will B mittels eines Pistolenschusses toten. Der Schuss geht fehl. Eine weitere Moglichkeit, zum Ziel zu kommen, sieht der dem B korperlich unterlegene A nicht. Der Versuch ist fehlgeschlagen. Bin strafbefreiender Rucktritt kommt nicht in Frage. Beispiel 9/17: A will B mittels eines Pistolenschusses toten. Der Schuss geht fehl. A konnte B aber auch mittels der Pistole erschlagen. Der Versuch ist daher nicht fehleeschlagen. A kann vom unbeendeten Versuch durch freiwilliges Aufgeben zuriicktreten.^

Die Lehre vom fehlgeschlagenen Versuch ist der Konstruktion tiber einen unfreiwilligen Rucktritt vom unbeendeten Versuch dogmatisch nicht iiberlegen, deshalb entbehrUch und somit auch nicht iiberzeugend.^^^ Sie bietet allenfalls prozess- und prufungsokonomische Vorteile: Uberlegungen, ob der Versuch beendet ist und der Rucktritt freiwillig erfolgt, sind nicht erforderlich. Begriinden wird jene Lehre vor allem damit, dass der Tater einen Erfolg, der nach seiner Vorstellung nicht mehr eintreten kann oder bereits eingetreten ist, weder „aufgeben" noch „verhindern" kann.^^^ Diese Auffassung ist dann konsequent, wenn man - wie die Rechtsprechung im Denkzettel-Fall - davon ausgeht, dass ein Aufgeben der weiteren Ausflihrung der Tat als Aufgabe der „VerwirkHchung der gesetzlichen Tatbestandsmerkmale" zu verstehen ist.^^"^ Denn dann ist ein Aufgeben nicht mehr moglich, wenn jene Tatbestandsmerkmale nicht mehr verwirklicht werden konnen. Freilich Uefie es der Wortlaut des § 24 I - Aufgeben der „weiteren Ausflihrung der Taf - auch zu, das Aufgeben auf Umstande auBerhalb der Verwirklichung des tatbestandlichen Erfolgs zu beziehen. Denn nach dem allgemeinen Sprachgebrauch kann ja auch die Erkenntnis der Nicht-Erreichbarkeit zur Aufgabe fiihren: der Sportier gibt auf, well er keine Kraft mehr hat, der Schachspieler, weil er keine Gewinnchance mehr sieht. Vermutlich fmdet ein Aufgeben sogar iiberwiegend in aussichtslosen Situationen statt. Gegenstand des Aufgebens ist dann das Handeln, nicht das unerreichbare Ziel. Es lage folglich ein Aufgeben im Rahmen eines unbeendeten Versuchs vor. Jedoch ware dieses Aufgeben nicht freiwillig und ein strafbefreiender Rucktritt folgHch ausgeschlossen.^^^ Trotz tJbereinstimmung im Ergebnis sieht sich die Annahme eines unfreiwilligen Rticktritts vom unbeendeten Versuch dem Einwand ausgesetzt, dass ein eigentlicher Riicktritt hier gar nicht vorliege.^^^ Denn der Tater entschlieBe sich nicht unfreiwillig zur Aufgabe, kehre nicht unfreiwillig in die Legalitat zuriick, sondern er ftige sich schlicht in die aus seiner Sieht unabdnderliche Sachlage. Nur fragt es sich, ob dies nicht ohnehin ein Merkmal der Unfreiwilligkeit darstellt.

Zur Bedeutungslosigkeit des fehlgeschlagenen Versuchs in der Praxis Schluchter AT Kap. 14 B Frage 35. Vgl. MK-Herzberg § 24 RN mwN. Vgl. Jescheck/Weigend § 51 III 6. BGH GSSt 1/93 BGHSt 39, 221. So Welzel LB S. 197; vgl. auch die Bespr. von BGH 1 StR 433/96 StV 1997, 128 durch Otto JK 1997 § 24/24; krit. Roxin AT 2 § 30/80. Vgl. Eser in: Schonke/Schroder § 24 RN 7.

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§9

Versuch und Rticktritt

II. Der Straffreiheitsgrund des Riicktritts 81

Fragt man nach dem Grund flir die strafbefreiende Wirkung des Riicktritts, so wird eine Vielzahl von Erklarungen angeboten/^^ die sich im wesentUchen in zwei Richtungen einteilen lassen: Erklarungen, die die strafbefreiende Wirkung im Zeitpunkt des Riicktritts verankern (1) und solche, die auf die Situation im Zeitpunkt der Aburteilung eingehen (2): 1.

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Zu den riicktrittsorientierten Ansatzen gehort insbesondere jene Ansicht, welche die Straffreiheit durch Riicktritt als eine ,,goldene Briicke'' zum rechtstreuen Verhalten versteht, zu deren Uberschreitung der Tater durch die Aussicht auf Straffreiheit motiviert werden soll.^^^ Diese Ansicht vermag zwar die Schutzwirkung^^^ des Riicktritts zugunsten des Angriflfsobjekts und des dahinterstehenden Rechtsguts recht einleuchtend zu beschreiben. Ihr entscheidender Nachteil liegt indessen darin, dass sie die Wirklichkeit zum Zeitpunkt der Tat kaum angemessen wiedergibt. Denn es leuchtet wenig ein, dass sich der Tater z.B. durch das Totungsverbot des § 212 zwar nicht von der Tat abhalten lasst, sich durch die InAussicht-Stellung von Straffreiheit durch Riicktritt hingegen von deren Vollendung abhalten lassen soil. Es wird deshalb zu Recht bezweifelt, dass der Tater in der Ausnahmesituation der Tat iiberhaupt motivierbar ist. 2.

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^Riicktrittsorientierte'' Ansatze

„Aburteilungsorientierte'' Ansatze

Die aburteilungsorientierten Ansatze lassen sich wiederum in solche aufteilen, welche - riickwartsgewandt - ein Verhalten belohnen („Pramientheorie": Belohnung flir den Riicktritt ^^^) und solche, die - vorwartsgewandt - fragen, welchen Zweck eine Strafe angesichts des Riicktritts noch zur erfiillen vermag^^V Herzberg^^^ favorisiert eine einheitliche Betrachtung von Versuch und Riicktritt, indem er den Versuch als Betatigung einer rechtsfeindlichen Gesinnung beschreibt, die subjektiv rechtsgutsgefahrdend wirkt, den Riicktritt hingegen als zurechenbare Leistung zur Erfiillung der Schuld.

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Umfassend Eser in: Schonke/Schroder § 24 RN 2 ff. mwN. So vor allem die Rechtsprechung des Reichsgerichts, vgl. RGSt6, 341; 17, 244; 39, 39;63, 159; 72, 350; 73, 60. Zum Opferschutz als Legitimiemng fur das Rticktrittsprivileg LK-Lilie/Albrecht § 24 RN 19 ff. Vgl. Bockelmann/Volk AT § 27 V 4; Jescheck/Weigend AT § 511 3.. Kriminalpolitische Begriindung der Straffreiheit: Wegfall der Strajwurdigkeit oder der Strafbedurftigkeit, vgl. Roxin FS flir Heinitz, S. 251/269 ff.; SK-Rudolphi § 24 RN 4; Eser in: Schonke/Schroder § 24 RN 2 b. Grund und Grenzen der Strafbefreiung beim Riicktritt vom Versuch. Von der Strafzwecklehre zur Schulderfullungstheorie, FS fiir Lackner, S. 325/349 ff.; dazu Rudolphi NStZ 1989, 508 ff. mit Entgegnung Herzberg NStZ 1990, 172 ff.

B.IL Der Straifreiheitsgrund des Rticktritts

333

Zusammenhange zwischen den aburteilungsorientierten Begriindungen und den Straftheorien sind nicht zu iibersehen. Bei konsequenter Anwendung dieses Ansatzes muss dann aber auch hier eine Vereinigungstheorie gelten:^^^ wie die Strafe mit absoluten und reiativen Elementen begriindet werden kann, so mlisste dies auch hinsichtUch der Straffreiheit des Versuchs moglich sein: der Versuch bleibt straffrei, weil der later zuriickgetreten ist (absolute Straftheorien, Vergeltungsgedanke), aber auch deshalb, weil der later seine rechtstreue Gesinnung unter Beweis gestellt hat und deshalb keiner Bestrafijng bedarf (Spezialpravention) und weil er durch sein Verhalten die Geltungskraft der Norm bestatigt hat, was eine Dokumentation der Normgeltung der Allgemeinheit gegentiber nicht mehr erforderlich macht (Integrationspravention). Die genannten Erklarungsversuche fur die Straffreiheit durch Rucktritt wirken sich auf den verbrechenssystematischen Standort der Straffreiheit aus: Wer den Rucktritt als eine Art „Verrechnungsposten" innerhalb der Vorwerfbarkeitsbilanz aus Versuch und Rucktritt auffasst, gelangt zu einer Struktur, die wir bereits aus § 35 kennen: Reduktion der Schuld auf ein MaB, welches Strafe nicht mehr erforderiich macht. ^^"^ So verstanden wiirde es sich beim Rucktritt um einen Ent-Schuldig\x)igsgvu.nA handeln^^^ Legt man - wie die h.M/^^ - das Schwergewicht der Straffreiheitsbegriindung hingegen kriminalpolitisch darauf, dass der Tater sowohl spezial- als auch generalprdventiv keiner Strafe mehr bedurfe (Strafzweck- oder Indiztheorie als Pendant zur strafbegriindenden Eindruckstheorie), weil sich weder der verbrecherische noch der rechtserschtitternde Eindruck als hinreichend stark erwiesen haben/^^ dann treten Schuldaspekte in den Hintergrund und der Rucktritt ware ein bloBer Strafaufhebungsgrund. Fiir die h.M. diirfte folgende Uberlegung sprechen: Zwar lasst es sich nicht leugnen, dass auch die Straffreiheit infolge Rticktritts auf Unrechts- und darauf beruhenden Schuldmmcii^rw^g^saspekten beruht. Jedoch fehlt im Unterschied zu § 35 ein tatbestandsspezifischer Erfolgsunwert sowie ein schuldmindernder Motivationsdruck^ welcher den Tater dazu bringt, das Erhaltungsgut auf Kosten des Eingriffsgutes zu bevorzugen. Die Entscheidung des Zuriicktretenden wird daher nicht nur nachgesehen, sie ist im Ergebnis sogar erwtinscht, geht also iiber eine bloBe Entschuldigung hinaus.

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III. Rucktritt bei Tatbeteiligung mehrerer (§ 24 II) § 24. Rucktritt. (2) Sind an der Tat mehrere beteiligt, so wird wegen Versuchs nicht bestraJft, wer freiwillig die VoUendung verhindert. Jedoch gentigt zu seiner Straflosigkeit sein freiwilliges

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Vgl. auch Eser in: Schonke/Schroder § 24 RN 2 b sowie Baumann/Weber/Mitsch AT § 27/8. Vgl. oben § 7/64 sowiQRoxin AT 1 § 23/17. Vgl. SK-Rudolphi § 24 RN 6. Vgl. Eser in: Schonke/Schroder § 24 RN 2 b, 4; UL-Lilie/Albrecht § 24 RN 43; BGH 5 StR 352/55 BGHSt 9, 48/52. Konsequent unter diesem Gesichtspunkt die Auffassung von Burkhardt 1975, den Rucktritt als Element der Strafzumessung zu verstehen.

&S

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§9

Versuch und Rticktritt

und ernsthaftes Bemtihen, die Vollendung der Tat zu verhindern, wenn sie ohne sein Zutun nicht vollendet oder unabhangig von seinem friiheren Tatbeitrag begangen wird.

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Weil der Rticktritt als personlicher Strafaufliebungsgrund wirkt, ist die Straffreiheit jeweils auf den zurucktretenden Tatbeteiligten beschrankt. Um straffrei zu bleiben, muss ein Beteiligter folglich selbst zurticktreten. Da eine Tatbegehung durch mehrere jedoch eine komplexe Eigendynamik entwickeln kann, welche die Erfolgskausalitat wenig durchschaubar macht/^^ kann der Zuriicktretende nicht mehr davon ausgehen, dass ein einfaches Aufgeben als Riicktrittsverhalten hinreicht, selbst wenn er sich vorstellt, selbst noch nicht alles fiir die Herbeifuhrung des Erfolgs Erforderliche getan zu haben. Diesen Gesichtspunkt greift § 24 II auf, indem er bestimmt, dass der Riicktrittswillige bei der Tatbeteiligung mehrerer grundsatzlich die Tat verhindern muss. Unumstritten ist, dass § 24 II auf Mittater, Anstifter und Gehilfen zutrifft. Hingegen wird bei angestifteten oder unterstlitzten Einzeltatern § 24 II zugunsten einer Anwendung von § 24 I abgelehnt. ^^^ Im Hinblick auf den klaren Wortlaut des § 24 II erscheint es jedoch vorzugswurdig, § 24 II dahingehend restriktiv auszulegen, dass in jenen Konstellationen auch ein Aufgeben hinreicht. Ein Aufgeben geniigt danach auch im Rahmen von § 24 II - ausnahmsweise zunachst dann, wenn die mehreren Beteiligten gemeinschaftlich (u.U. durch konkludent erklartes Einverstandnis) vereinbaren, die Tat aufzugeben. ^^^ Beispiel 9/18: A, B, C lauern D auf, um ihn zu toten. D kommt aber nicht. Man beschlieBt deshalb, nicht mehr langer zu warten und das Vorhaben insgesamt aufzugeben.

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Ein Rticktritt eines Tatbeteiligten durch einfaches Aufgeben ist weiterhin dann moghch, wenn der Beteiligte die Faden so in der Hand hat, dass ohne sein Zutun die Tat nicht mehr vollendet werden kann (sog. „erfolgskontrolliertes" Unterlassen). Beispiel 9/19: Nur der Beteiligte B kennt die Kombination des Zahlenschlosses am fest eingebauten Tresor.

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SchliefiUch ist diese Fallgruppe auch dann gegeben, wenn der Haupttater die Tat so beherrscht, dass er davon ausgehen kann, sein Aufgeben werde auch den Anstifter oder Gehilfen von weiteren Aktivitaten abhalten.^^^ Ansonsten gibt § 24 II dem Tatbeteiligten drei Moglichkeiten zum Rticktritt: 1. § 24 II 1: NoW^nAxmgsverhinderung, z.B. durch Eingreifen der vom Beteiligten alarmierten Polizei oder durch erfolgreiches Abstiften der tibrigen Beteiligten. Vgl. LK-Lilie/Albrecht § 24 RN 238. Vgl. LK-Lilie/Albrecht § 24 RN 240; Roxin Der Rticktritt bei Beteiligung mehrerer, FS ffir Lenckner, S. 267 ff./269 f mwN. Vgl. BGH 4 StR 125/89 NStZ 1989, 317; BGH 5 StR 176/98 BGHSt 44, 204, dazu krit. Rotsch GA 2002, 165, der zumindest eine mitkausale Rettungshandlung des Zurucktretenden fordert. Vgl. hierzu mchMitsch FS fiir Baumann, S. 89 ff. sowie BGH 4 StR 39/97 NStZ-RR 1997, 289 mit Bespr. Otto JK 1998 § 31/3.

B.IIL Rticktritt bei Tatbeteiligung mehrerer (§ 24 II)

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Im Rahmen einer Totungsanordnung innerhalb eines organisierten Systems kommt ein Rticktritt auf Gnind einer Anordnung, das Opfer eines (beendeten) Totungsversuchs moglichst zu retten, alien Beteiligten zugute/^^ § 24 II 2 1. Alt.: Entfaltung nichtkausaler Verhinderungsbemuhungen, wenn die Tat aus sonstigen Grunden nicht vollendet wird. In diesen Fallen ist es fiir den Beteiligten einfach nur ein glucklicher Zufall dass der Erfolg nicht eingetreten ist. Es gentigt dann sein ernstliches Bemuhen, um Straffreiheit zu erlangen. Ernstlich ist sein Bemtihen dann, wenn er das aus seiner Sicht optimale Mittel emsetzt. § 24 II 2 1. Alt. betriffl Falle des Rucktritts vom untauglichen Versuch, der Rettung von dritter Seite sowie des Rucktritts eines anderen Tatbeteiligten. § 24 II 2 2. Alt.: Verhinderungsbemiiliungen bei VoUendung unabhangig von einem friiheren Tatbeitrag, Beispiel 9/20: A stellt das Fluchtauto nicht mehr zur Verfugung und versucht, die Ubrigen von der geplanten Tat abzubringen. Diese begehen die Tat aber am nachsten Tag mit einem anderen Fluchtauto. IV, Folgen des Riicktritts Sind die Voraussetzungen des § 24 erfullt, bleibt der Zurucktretende obligatorisch straffrei. Diese Folge tritt aber nur hinsichtlich des Versuchs als solchem ein. Sonstige gleichzeitig verwirklichte Tatbestande bleiben in der Kegel strafbar. ^^"^ Man spricht dann von einem sog. ,,qualifizierten VersucH\ Der auf die versuchte Straftat gerichtete Vorsatz sowie ausschlieBlich darauf bezogene Tathandlungen diirfen nicht strafscharfend beriicksichtigt werden.^^^ Dies gilt auch beim Rticktritt von der Verwirklichung eines Regelbeispiels. Als personlicher Strafaufhebungsgrund wirkt der Rticktritt nur flir den Beteiligten, der zuriickgetreten ist.

V.

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Der Aufbau der Riicktrittspriifung

Verbrechenssystematisch erfolgt die Priifung des Riicktritts nach h.M. als Strafaufhebungsgrund^ nachdem festgestellt worden ist, dass ein schuldhaft verwirklichter Versuch vorliegt. Kommt ein fehlgeschlagener Versuch in Frage, ist dies zu prtifen und im Falle eines positiven Ergebnisses Rticktritt zu verneinen, ohne dass auf Fragen des

Vgl. BGH 5 StR 176/98 BGHSt 44, 204/206 f. mit Bespr. Otto JK 1999 § 24/27. Vgl. Roxin Der Rticktritt bei Beteiligung mehrerer, FS fur Lenckner, S. 267 ff./280 t Zur Frage der Strafbarkeit aus dem voUendeten Gefahrdungsdelikt (§ 310 a I a.F.= § 306 f n.F., Herbeifiihren einer Brandgefahr) trotz Riicktritts vom versuchten Verletzungsdelikt (§ 308 a.F.= § 306 n.F., Brandstiftung) BGH 4 StR 638/92 StV 1994, 18 mit krit. Anm. Gropengiefier StV 1994, 19 ff. Vgl. BGH 2 StR 225/00 StV 2000, 554.

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§9

Versuch und Rtxcktritt

Beendetseins oder der Freiwilligkeit eingegangen werden muss. 96

Im iibrigen sind folgende Prtifungsschritte moglich: - 1st der Rlicktritt eines Tatbeteiligten zu priifen? (dann weiter bei 1) - 1st der Rlicktritt unter mehreren Tatbeteiligten zu priifen? (dann weiter bei 2) 1. 1st der Versuch unbeendet (dann weiter bei a) oder beendetl (dann weiter beib) a) Hat der Zuriicktretende aufgegeben? (falls nein, scheidet Rlicktritt aus, falls ja, weiter bei c) b) Hat der Zuriicktretende den Erfolg verhindert? (falls nein, scheidet Rlicktritt aus, falls ja, weiter bei c) c) Hat der Zuriicktretendeyrew/7//g" aufgegeben/verhindert? (falls ja, Straffreiheit im Rahmen des Versuchs; falls nein, scheidet Rticktritt aus) 2. Hat der Zuriicktretende den Erfolg verhindert - sei es durch aktives Tun, sei es durch Aufgeben in Form des „erfolgskontrollierten" Unterlassens? (falls nein, weiter bei 2 a; falls ja, weiter oben 1 c) a) Hat der Zuriicktretende sich ernstlich um die Erfolgsverhinderung bemiiht, ohne dass sein Verhalten jedoch ursachlich geworden ware fiir die Verhinderung des Erfolgs? (falls nein, weiter bei 2 b; falls ja, StraflFreiheit im Rahmen des Versuchs). b) Hat der Zuriicktretende sich ernstlich um die Erfolgsverhinderung bemiiht, und beruht der Erfolg nicht auf dem Tatbeitrag des Zuriicktretenden? (falls ja, Straffreiheit im Rahmen des Versuchs; falls nein, scheidet Rticktritt aus) VI. Literatur Anders Zur Moglichkeit des Rticktritts vom erfolgsqualifizierten Versuch, GA 2000, S. 64 ff.; Bauer AuBertatbestandliche Handlungsziele beim strafbefreienden Rticktritt, MDR 1994, 132 ff.; Englander Die himeichende Verhinderung der Tatvollendung - BGH, NJW 2003, 1058, JuS 2003, 641 ff.; Fahl Freiwilligkeit beim Rticktritt, JA 2003, 757 ff.; Herzberg Zum Grundgedanken des § 24 StGB, NStZ 1989, 49 ff.; ders. Aufgeben durch bloiies Aufhoren? JuS 1990, 273 ff.; Jager Der Rticktritt vom erfolgsqualifzierten Versuch, NStZ 1998, 161 ff.; Kiihl Grundfalle zu Vorbereitung, Versuch, Vollendung und Beendigung, JuS 1979, 718, 874; 1980, 120, 273, 506, 650, 811; 1981, 193; 1982, 110, 189 jew. ff.; ders. Das erfolgsqualifizierte Delikt (Teil II): Versuch des erfolgsqualifizierten Delikts und Rticktritt, Jura 2003, 19 ff.; Kiiper Versuchs- und Rticktrittsprobleme bei mehreren Tatbeteiligten, JZ 1979, 775 ff.; ders. Der Rticktritt vom „erfolgsqualifiziertenVersuch", JZ 1997, 229 ff.; Lenckner FrohlQmQ beim Rticktritt des Beteiligten, FS fiir Gallas, S. 281 ff.; Loos Beteiligung und Rticktritt, Jura 1996, 518 f; MitschDQi Rticktritt des angestifteten oder untersttitzten Taters, FS fur Baumann, S. 89ff.; Oto Fehlgeschlagener Versuch und Rticktritt, Jura 1992, 423 ff.; Roxin Dei fehlgeschlagene Versuch, JuS 1981, 1 ff.; Schluchter Normkonkretisierung am Beispiel des Rticktrittshorizonts, FS Ftir Baumann, S. 71 ff.; Streng Handlungsziel, Vollendungsneigung und Rticktrittshorizont, NStZ 1993, 257 ff.; Zwiehoff T>2is Rticktrittsverhalten beim beendeten Versuch, StV 2003, 631 ff.; lipoid, Alexander Rticktritt und Reue - Rticktritt vom Versuch und verwandte Bestimmungen, 2002.

C. Strafbare Vorbereitungshandlungen/Versuch der Beteiligung (§§ 30 f.)

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Zur Vertiefung Bloy, Rene Die dogmatische Bedeutung der StrafausschlieBungs- und Strafaufhebungsgninde, 1976; Bofi, Hendrik Der halbherzige Rtxcktritt, 2002; Bottke, Wilfried Strafrechtswissenschaftliche Methodik und Systematik bei der Lehre vom strafbefreienden und strafmildernden Taterverhalten, 1979; Burkhardt, Bjorn Der „Rucktritt" als Rechtsfolgebestimmung, 1975; Gossel Uber den fehlgeschlagenen Versuch, ZStW 87 (1975), 3 ff.; Herzberg Der Rticktritt vom Versuch als sorgfaltiges Bemtihen, FS fur Kohlmann, S. 37 ff.; Jakobs ^^(MriXi als Tatanderung versus allgemeines Nachtatverhalten, ZStW 104 (1992), 82 ff.; Meyer, M.-K. Das Unmittelbarkeitsprinzip am Beispiel des Versuchs, GA 2002, 367ff.;Murmann, Uwe Versuchsunrecht und Rticktritt, 1999; Pahlke, 5erw(i Rucktritt bei dolus eventualis, 1993; ders. Rticktritt nach Zielerreichung, GA 1995, 72ff.;Puppe Zur Unterscheidung von unbeendetem und beendetem Versuch beim Rticktritt, NStZ 1986, 14ff.;Rotsch Rticktritt durch Einverstandnis, GA 2002, 165 ff.; Roxin Uber den Rticktritt vom unbeendeten Versuch, FS fiir Heinitz, S. 251 ff.; ders. Der Rticktritt bei Beteiligung mehrerer, FS fiir Lenckner, S. 267ff.;Zieschang Anforderungen an die Vollendungsverhinderung beim beendeten Versuch gemafi § 24 I 1, 2. Alt. StGB, GA 2003, 353 ff.

C. Strafbare VorbereitungshandlungenA^ersuch der Beteiligung (§§30f.) § 30. Versuch der Beteiligung. (1) Wer einen anderen zu bestimmen versucht, ein Verbrechen zu begehen oder zu ihm anzustiften, wird nach den Vorschriften tiber den Versuch des Verbrechens bestraft. Jedoch ist die Strafe nach § 49 Abs. 1 zu mildern. § 23 Abs. 3 gilt entsprechend. (2) Ebenso wird bestraft, wer sich bereit erklart, wer das Erbieten eines anderen annimmt Oder wer mit einem anderen verabredet, ein Verbrechen zu begehen oder zu ihm anzustiften. I.

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Zum Begriff der strafbaren Vorbereitungshandlungen

Strafbare Vorbereitungshandlungen sind Verhaltensweisen, die mit Strafe bedroht sind, obwohl der Tater noch nicht einmal im Sinne des Versuchs (§ 22) unmittelbar zur Verwirklichung des Deliktstatbestandes angesetzt hat. Die Strafbarkeit dieser Verhaltensweisen ist in § 30 als „Versuch der Beteiligung" gesetzlich festgelegt.

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Zwar findet man im Besonderen Teil des StGB Deliktsumschreibungen, welche ein Verhalten unter Strafe stellen, das das Vorfeld der Gefahrdung des Angriffsobjekts betrifft, und die deshalb materiell ebenfalls als Vorbereitungshandlungen verstanden werden, z.B. § 80 (Vorbereitung eines Angriffskrieges), § 83 (Vorbereitung eines hochverraterischen Unternehmens), § 310 (Vorbereitung eines Explosions- oder Strahlungsverbrechens). Dennoch interessieren diese Vorbereitungshandlungen hier nicht. Denn formal sind sie als selbstandige Tatbestande ausgestaltet, stellen folglich keine Noih^xQiXungsstadien dar. Deshalb konnen auch diese Tatbestande wiederum in der Erscheinungsform des Versuchs, ja sogar der Vorbereitung i.S. der §§ 30 f. vorliegen. Da sich die Vorbereitungshandlungen defimtionsgemaB noch im Vorfeld der 98 eigentlichen Deliktshandlung abspielen, geht der Gesetzgeber beziiglich des

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Versuch und Rticktritt

Androhens von Strafe in diesem Bereich sehr zuriickhaltend vor.^^^ Jene Zuriickhaltung bezieht sich zum einen auf die mit einem strafbaren Vorbereitungsstadium versehenen Deliktstatbestdnde - nur die Vorbereitung schwerwiegender Unrechtsverwirklichungen soil unter Strafe gestellt werden - zum anderen auf die Begehungsformen der Vorbereitung. Hinsichtlich &QX Deliktstatbestdnde legt § 30 I, II fest, dass nur die Vorbereitung von Verbrechen (vgl. § 12)^^^ strafbar ist. Dariiber hinaus sind nur bestimmte Formen der Verbrechensvorbereitung strafbar: nach § 30 I die versuchte Anstiftung („Wer...zu bestimmen versucht") zum Verbrechen oder zu dessen Anstiflung, nach § 30 II das Sichbereiterklaren, die Annahme des Erbietens und die Verabredung, nicht hingegen die versuchte Beihilfe. 1.

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§9

Versuchte Anstiftung

Eine versuchte Anstiftung ist in drei Formen denkbar: - Es geHngt nicht, im potentiellen Tater bzw. Anstifter des angesonnenen Verbrechens einen entsprechenden Tatentschluss hervorzurufen, weil dieser sich nicht bestimmen Idsst. - Es gelingt nicht, im potentiellen Tater bzw. Anstifter des angesonnenen Verbrechens einen entsprechenden Tatentschluss hervorzurufen, weil dieser bereits zur Begehung des Verbrechens entschlossen ist (sog. omnimodo facturus) - Zwar kann der Entschluss im potentiellen Tater bzw. Anstifter hervorgerufen werden, jedoch ist die vorbereitete Haupttat nicht einmal bis zum Versuchsstadium verwirklicht worden und scheidet deshalb als Haupttat i.S.v. § 26 aus. In dieser Fallgruppe fiillt § 30 im Bereich der Verbrechen die StrafbarkeitsIticke aus, die infolge der Akzessorietat der Teilnahme entsteht, wenn die Haupttat nicht einmal versucht wird.

101a 101b

Was die Bestimmtheit der angesonnen Tat anbelangt, geniigt es, dass ein Tatplan vorliegt, der das Tatopfer, den Tatort, das Tatwerkzeug und den Tater so konkretisiert, dass der Haupttater die Tat begehen konnte, wenn er wollte.^^^ In subjektiver Hinsicht geniigt es, dass der verhinderte Anstifter hinsichtlich der Entschlussfassung und Tatbegehung durch den prasumtiven Haupttater mit dolus eventualis handelt, d.h. die Verwirklichung des Verbrechens ernstlich fiir

Zur verfassungsrechtlichen Zulassigkeit von Vorbereitungshandlungen Lagodny, Otto Strafrecht vor den Schranken der Grundrechte, 1996, S. 231 ff. Naher zum Begriff des Verbrechens i.e.S. oben § 3/37 ff.; hinsichtlich s\x2£begrundender taterbezogener Merkmale (§ 28 I) ist beztiglich des Verbrechenscharakters die Person des in Aussicht genommenen Taters maJigeblich, hinsichtlich strafmodifizierender taterbezogener Merkmale (§ 28 II) die Person des Teilnehmers, vgl. Wessels/Beulke AT RN 562, naher zur i.e. umstrittenen Problematik UL-Roxin § 30 RN 34 ff. Vgl. BGH 2 StR 239/97 NStZ 1998, 347 mit Anm. Kretschmer NStZ 1998, 401 ff.; Graul JR 1999, 249 ff.

C. Strafbare Vorbereitungshandlungen/Versuch der Beteiligung (§§ 30 f.)

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moglich halt und sich mit ihr abfindet. Ein dariiber hinausgehendes, ungeschriebenes Merkmal der „Ernstlichkeit" des Anstiftungsversuchs ist nicht erforderlich. ^^^ Wird die angesonnene Tat versucht oder vollendet, so tritt die versuchte Anstiftung in Gesetzeskonkurrenz dahinter zuriick/"^^ Anders hingegen im Fall BGH 1 StR 635/96 BGHSt 44, 91 fF.^^^: Hier war der Tater in dem der Versuch, einen Killer zu beauftragen, zunachst gescheitert. Auf Grund eines neuen Entschlusses lieB er einen anderen Killer beauftragen, der beziiglich desselben Opfers einen Mordversuch beging. Der BGH entschied, dass die versuchte Anstiftung und die Anstiftung zum Versuch trotz Identitat des Opfers aufgrund des neuen Entschlusses und des neuen Adressaten der Anstiftung selbstandige Handlungen in materieller (§ 53) und prozessualer Hinsicht seien. Obwohl der Ang. bereits rechtskraftig wegen versuchter Anstiftung zum Mord verurteilt worden war, konnte er in einem neuen Verfahren wegen Anstiftung zum versuchten Mord verurteilt werden. 2.

101c

Sonstige Vorbereitungshandlungen

Ein Sichbereiterklaren liegt vor, wenn der Beteiligte ernsthaft kund gibt, zur Begehung willens zu sein, sei es, dass er sich erbietet, sei es, dass er eine Aufforderung zur Begehung annimmt. Von der Annahme eines Erbietens spricht man, wenn der Beteiligte die erklarte Bereitschaft eines Dritten zur Begehung ausdriicklich und ernstUch

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142

annimmt. Eine Verabredung ist gegeben, wenn mindestens zwei Personen ernstlich^"^^ 104 zumindest stillschweigend iibereinkommen, ein bestimmtes Verbrechen als Mittdter zu begehen oder als Mittdter zu ihm anzustiften. Die Verabredung bildet damit eine Vorstufe zur Mittaterschaft. Es bietet sich an, die bei RN 101a genannte Rechtsprechung des BGH zur „ErnstHchkeit" der versuchten Anstiftung auf die sonstigen Vorbereitungshandlungen zu ubertragen. AuBerungen hierzu liegen aber noch nicht vor.

II. Aufbaufragen Hinsichtlich der versuchten Anstiftung liegt der Auft)au als Versuch auf der Hand: I. Tatbestandsmdfiigkeit - Vorpntfung: - Nichtv^orliegen einer Anstiftung/ einer taughchen Haupttat i.S.v. § 26 - Strafbarkeit der versuchten Beteiligung Vgl. den Fufiball-Hooligan-Fall BGH 3 StR 113/98 BGHSt 44, 99/101 mit Anm. Roxin NStZ 1998, 616 f.; Bloy JZ 1999, 157 ff.; Otto JK 1999 § 30/5. Vgl. Lackner/Kiihl § 30 RN 10. Mit zust. Anm. Beulke NStZ 1999, 26 ff.; vgl. dazu auch den Anfragebeschluss BGH 1 StR 635/96 NStZ 1998, 189 mit zust. Anm. Geppert NStZ 1998, 190 f. Vgl. Lackner/Kuhl § 30 RN 2. Naher zur Ernstlichkeit insoweit BGH 1 StR 801/97 NStZ 1998, 403.

105

340

§9

Versuch und Rticktritt

- subjektiver Tatbestand:

144

Entschluss = Vorsatz beztiglich der angesonnenen vollendeten Haupttat und der Beteiligung an ihr - objektiver Tatbestand: unmittelbares Ansetzen zur Anstiftung II. Rechtswidrigkeit III. Schuldhaftigkeit IV. Strafaufhebungsgrunde - Rticktritt gem. § 311 Nr. 1

106

Hinsichtlich der sonstigen Vorbereitungshandlungen ist ebenfalls von einer Versuchsstruktur, d.h. einem an einem subjektiven Tatbestand orientierten Aufbau auszugehen. ^"^^ Denn die sonstigen Vorbereitungshandlungen sind Erscheinungsformen von Straftatbestanden und nicht selbst Straftatbestande. Dafiir spricht - die Verankerung der versuchten Beteiligung im Allgemeinen Teil - dass § 30 II nur einen Teil des intendierten Unrechts beschreibt - dass § 30 II seinen typischen Unwertgehalt erst durch den Bezug auf einen Deliktstatbestand erhalt. - dass die Modalitaten in § 30 II auf Deliktstatbestande bezogen sind, die nicht einmal in der VerwirkHchungsstufe des Versuchs vorliegen, weshalb sich das intendierte Unrecht nur beschreiben lasst, wenn zunachst gepruft wird, was sich der Beteiligte vorgestellt hat. I. Tatb estandsmafiigkeit - Vorpriifung: - Nichtvorliegen einer Beteiligung - Strafbarkeit der versuchten Beteiligung - subj. Tatbestand: Entschluss = Vorsatz beztiglich der angesonnenen Haupttat und der Beteiligung an ihr - objektiver Tatbestand: Verwirklichung einer der Beteiligungsformen im Vorbereitungsstadium nach § 30 II. II. Rechtswidrigkeit III. Schuldhaftigkeit IV. Strafaufhebungsgrunde - Rticktritt gem. § 31 I Nr. 2, 3

IIL Rticktritt vom Versuch der Beteiligung/tatige Reue

§§

§ 31. Rucktritt vom Versuch der Beteiligung. (1) Nach § 30 wird nicht bestraft, wer freiwillig 1. den Versuch aufgibt, einen anderen zu einem Verbrechen zu bestimmen, und eine etwa bestehende Gefahr, dass der andere die Tat begeht, abwendet, 2. nachdem er sich zu einem Verbrechen bereit erklart hatte, sein Vorhaben aufgibt oder Zur Moglichkeit der versuchten Anstiftung mit bedingtem Vorsatz BGH 3 StR 113/98 BGHSt 44,99 mit Anm. Roxin NStZ 1998, 616 f Vgl. auch Cramer/Heine in: Schonke/Schroder § 30 RN 2; hK-Roxin § 30 RN 1; a.A. Schluchter AT Kap. 15 A.

D. Losung des Leitfalls

341

3. nachdem er ein Verbrechen verabredet oder das Erbieten eines anderen zu einem Verbrechen angenommen hatte, die Tat verhindert. (2) Unterbleibt die Tat ohne Zutun des Zurticktretenden oder wird sie unabhangig von seinem friiheren Verhalten begangen, so gentigt zu seiner Straflosigkeit sein freiwilliges und ernsthaftes Bemtihen, die Tat zu verhindern.

Weil § 30 die Strafbarkeit materiell in die Verwirklichungsstufe der Vorbereitung vorverlegt und die Regelungen des Versuchs deshalb nicht anwendbar sind, sieht § 31 spezifische Riicktrittsregeln zur Aufhebung einer Strafbarkeit wegen versuchter Beteiligung vor.^^^ Wie § 24 wirkt auch § 31 als Strafaufhebungsgrund.

107

Auch viele Deliktstatbestande im Besonderen Teil, die materiell Vorbereitungshandlungen unter Strafe stellen und deshalb sehr friihzeitig formell voUendet sind, enthalten eigene „Rucktrittsklauseln" in Form „tatiger Reue" vom formal vollendeten Delikt, vgl. §§ 83 a, 314 a III Nr. 1, IV. Allerdings wirken diese Klauseln nur strafmildernd bis zum Absehen von Strafe.

Hinsichtlich des freiwilligen Aufgebens und Verhinderns als Rticktrittshandlungen gelten die Ausfiihrungen zum Riicktritt vom Versuch entsprechend.^"^^

108

IV. Literatur Bottke Riicktritt vom Versuch der Beteiligung nach § 31 StGB, 1980; Jakobs Kriminalisierung im Vorfeld einer Rechtsgutsverletzung, ZStW 97 (1985), 751 ff.

D. Losung des Leitfalls (Gutachtenstil) I.

Leitfali 9 a:

Strafbarkeit wegen Diebstahls, § 242 Indem B den Jungbullen auf den Viehtransporter trieb, um ihn dem W zu verkaufen, konnte er einen Diebstahl gem. § 242 begangen haben. 1.

TatbestandsmaOigkeit

a)

Objektiv

B miisste zunachst eine fremde bewegliche Sache weggenommen haben. Der JungbuUe, der trotz der Einfiihrung von § 90 a BGB im strafrechtHchen Sinne Sachquahtat besitzt, war fiir B fremd, denn er stand weder im Alleineigentum des B noch v^ar er herrenlos. Vielmehr hatte C Eigentum an dem Tier. Weil man den Bullen abtransportieren kann, ist er eine bewegliche Sache. ^"^^ Zu Fragen der Abstandnahme vor der Tat vor Versuchsbeginn bei mehreren Beteihgten auiierhalb der „Sonderkonstellation" in § 31 Eisele ZStW 112 (2000), 745 ff. ^^^ Vgl. oben RN 68 ff.

109

342

§9

Versuch und Rticktritt

Die Wegnahme des Bullen setzt voraus, dass der Gewahrsam des Berechtigten gebrochen und neuer begriindet wird. Gewahrsam ist ein tatsacWiches Herrschaftsverhaltnis iiber die Sache. Ein solches Herrschaftsverhaitnis liber den Bullen lag bei C vor. Denn C konnte jederzeit iiber den Bullen verfiigen. Dass das Tier auf der Weide steht, schadet nicht. Entscheidend ist die Moglichkeit des Berechtigten, seine Sachherrschaft jederzeit ungehindert ausiiben zu konnen. B miisste den Gewahrsam gebrochen haben. Dies setzt voraus, dass der Gewahrsam gegen bzw. ohne den Willen des Berechtigten aufgehoben wird. C wollte seine Sachherrschaft iiber den Bullen nicht aufgeben. Ein Gewahrsamsbruch ist somit gegeben. Die Vollendung des Diebstahls setzt die Begriindung neuen, nicht notwendig tatereigenen, Gewahrsams voraus. Spatestens zu dem Zeitpunkt, als B den Bullen auf den Viehtransporter getrieben hatte, hatte C die Sachherrschaft verloren und B neue begriindet. Die Wegnahme einer fremden bewegUchen Sache liegt somit vor. b) 110

B miisste in Bezug auf die Umstande des objektiven Tatbestandes vorsatzlich, d.h. willentlich und wissentUch gehandelt haben. B kannte den wesentlichen Sachverhalt und wollte den Bullen auch wegnehmen. AuBerdem miisste B in der Absicht gehandelt haben, den Bullen sich oder einem Dritten rechtswidrig zuzueignen. Zueignungsabsicht setzt voraus, dass es dem Tater darauf ankommt, sich die einem Eigentiimer zustehenden Rechte an der Sache anzumaBen (Aneignung, dolus directus I) und er zumindest billigend in Kauf nimmt, dass die Eigentumsrechte dem/den Berechtigten auf Dauer vorenthalten werden (Enteignung, dolus eventualis). Die von B beabsichtigte Aneignung ist darin zu sehen, dass er so tat, als sei er Eigentiimer des Bullen, vor allem, indem er gegeniiber W als Berechtigter auftrat. AuBerdem ging B bei der Wegnahme davon aus, dass C seine Eigentumsrechte an dem Tier nicht mehr wiirde ausiiben konnen. Somit ist auch eine Zueignungsabsicht gegeben. Sie ist rechtswidrig, wenn der Tater keinen falligen und einredefreien Anspruch auf Ubereignung der Sache hat. Dies ist bei B der Fall, denn C war nicht verpflichtet, B den Bullen zu iibereignen. 2.

111

Subjektiv

Rechtswidrigkeit/Schuldhaftigkeit

Durch sein tatbestandsmaBiges Handeln hat B den Unwert eines Diebstahls verwirklicht. Weil kein Rechtfertigungsgrund zugunsten des B eingreift, ist seine Tat auch rechtswidrig. Mangels eines einschlagigen Entschuldigungsgrundes ist auch Schuldhaftigkeit gegeben.

D. Losung des Leitfalls

3.

343

Vorliegen eines besonders schweren Falls nach § 243 I Nr. 2

Fraglich ist, ob bei der Zumessung der Strafe der Strafrahmen eines besonders schweren Falles nach § 243 I zu Grunde zu legen ist. Dies ware der Fall, wenn B zur Begehung der Tat in einen umschlossenen Raum eingebrochen ware. Dies ist jedoch nicht der Fall. Denn zum einen ist es Aufgabe des Weidezaunes des C, die Tiere zusammenzuhalten, nicht aber Diebe fernzuhalten. Dafiir spricht vor allem die Tatsache, dass das Gatter nicht verschlossen ist. Zum anderen aber setzt ein Einbrechen das gewaltsame Oflfnen von UmschlieBungen voraus. Da auch sonstige Regelbeispiele nicht vorliegen und B nicht mit besonderer krimineller Energie vorgegangen ist, kommt eine Anwendung von § 243 nicht in Betracht. Ergebnis: B ist strafbar wegen eines Vergehens des Diebstahls, § 242.

112

IL Leitfall9b: Strafbarkeit wegen eines versuchten Diebstahls, §§ 242 /, //, 22, 231 B konnte sich wegen eines versuchten Diebstahls, §§ 242 I, II, 22, 23 I strafbar gemacht haben, indem er den Riegel am Weidegatter zuriickschieben wollte, um einen Jungbullen auf den Viehtransporter zu treiben. Vorpriifung Ein voUendeter Diebstahl liegt nicht vor, denn B hat keinen BuUen weggenommen, keinen neuen Gewahrsam begriindet. Der Versuch des Diebstahls ist gem. §§ 23 I 2. Alt., 242 II strafbar. 1.

TatbestandsmaBigkeit

a)

Subjektiv

B mtisste den Entschluss gefasst haben, einen Diebstahl zu begehen. Er mtisste somit den Vorsatz gehabt haben, eine fremde bewegliche Sache einem anderen wegzunehmen. AuBerdem mtisste er die Absicht gehabt haben, sich die wegzunehmende Sache rechtswidrig zuzueignen. Der zu stehlende Jungbulle, der trotz der Einfiihrung von § 90a BGB im strafrechtlichen Sinne Sachqualitat besitzt, ware fiir B fremd gewesen, denn er hatte weder im Alleineigentum des B gestanden noch ware er herrenlos gewesen ... (vgl. oben I 1) ... denn C ware nicht verpflichtet, B den zu entwendenden Bullen zu tibereignen. Ein Entschluss zum Diebstahl, zur Wegnahme ... in Zueignungsabsicht liegt somit vor. b)

Objektiv

B mtisste nach seiner Vorstellung unmittelbar zur Verwirklichung des Tatbestandes angesetzt haben. Nach der herrschenden subjektiv-objektiven

113

3 44

§9

Versuch und Rucktritt

Versuchstheorie diirften nach der Vorstellung des B keine weiteren wesentlichen Zwischenschritte zur VerwirkHchung des Tatbestandes des Diebstahls erforderUch gewesen sein. Das Oflfnen des Gatters bedeutete eine Lockerung des Gewahrsams des C, denn dieser wird gerade dadurch begriindet, dass sich die Bullen nicht von der Weide entfernen konnen. Die Gewahrsamslockerung wiirde bereits den Beginn der Wegnahmehandlung darstellen. Jedoch erkennt B schon vor dem OfFnen des Gatters, dass keine Bullen da sind. Damit ist es nicht zur Gewahrsamslockerung gekommen. Es Hegt nur eine straflose Vorbereitungshandlung vor. 2.

Rechtswidrigkeit/Schuldhaftigkeit

Hier gelten die Ausflihrungen unter I 2 entsprechend. 3. 114

Riicktritt?

Ein strafaufhebender Rucktritt ware zu verneinen, wenn ein fehlgeschlagener Versuch vorliegt, d.h. wenn es B mit keinem der ihm zur Verfiigung stehenden Mittel moglich erschienen ware, den Erfolg - Wegnahme eines Bullen - herbeizufiihren. Da B feststellen musste, dass gar keine Bullen auf der Weide sind, ist dies der Fall. Hinweis Wenn man einen fehlgeschlagenen Versuch ablehnt, mtisste man zunachst prufen, ob ein unbeendeter Versuch vorliegt, von dem B durch freiwilliges Aufgeben zurtickgetreten sein konnte. B nahm an, noch nicht alles zur Herbeifuhrung des Erfolgs Erforderliche getan zu haben. Es liegt somit ein unbeendeter Versuch vor. B mtisste aufgegeben haben, d.h. seinen Plan zur Wegnahme eines Bullen endgultig verworfen haben. Dies geht aus dem Sachverhalt nicht eindeutig hervor. Allerdings kann die Frage auf sich beruhen, wenn es an einem freiwilligen Aufgeben fehlte. B gab auf, weil keine Bullen da waren. Eine Rtickkehr zur Legalitat aus autonomen Motiven ist darin nicht zu erkennen. Vielmehr machten es B die Umstande unmoglich, sein Ziel zu erreichen. B gab somit nicht freiwillig auf. Ein strafbefreiender Riicktritt scheidet aus.

Ergebnis: B hat sich eines versuchten Diebstahls gem. §§ 242 II, 22, 23 schuldig gemacht.

E. Zur Wiederholung

345

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5. V

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§ 10. Taterschaft und Teilnahme

Leitfall 10 Katzenkonig-Fail BGHSt 35, 347 - 4 StR 352/88 vom 15. 9. 1988:^ - Die Angeklagten H, P und R lebten in einem von „Mystizismus, Scheinerkenntnis und Irrglauben" gepragten „neurotischen Beziehungsgeflecht" zusammen. H und P gelang es schlieJilich, den leicht beeinflussbaren R von der Existenz eines „Katzenkonigs" zu tiberzeugen, der seit Jahrtausenden das Bose verkorpere und die Welt bedrohe. R sei auserkoren, gemeinsam mit H und P den Kampf gegen den „Katzenkonig" aufzunehmen. Als die Angeklagte H von der Heirat ihres friiheren Freundes N eriuhr, entschloss sie sich aus Hass und Eifersucht, dessen Frau Annemarie N von R unter Ausnutzung seines Aberglaubens toten zu lassen. Im Einverstandnis mit P spiegelte sie R vor, dass der Katzenkonig wegen der vielen von ihm begangenen Fehler ein Menschenopfer in Gestalt der Frau N fordere. Falls R die Tat nicht binnen kurzer Frist ausfiihre, wiirde die Menschheit oder Millionen von Menschen vom „Katzenk6nig" vernichtet. R erkannte zwar, dass die von ihm verlangte Tat Mord sei, und hatte starke Gewissensbisse. Jedoch wog er die Gefahr fur Millionen Menschen ab, die er durch das Opfern von Frau N retten konne. Er suchte deshalb Frau N in ihren Blumenladen auf und stach der ahnungs- und wehrlosen Frau entsprechend dem ihm von P im Einverstandnis mit H gegebenen Rat mit einem ihm zu diesem Zweck von P tiberlassenen Fahrtenmesser hinterriicks in den Hals, in das Gesicht und den Korper, um sie zu toten. Dabei rechnete er mit dem Tod seines Opfers, der jedoch ausblieb. In der bisherigen Erorterung der Straftat standen Fragen zu TatbestandsmaBigkeit, Rechtswidrigkeit und Schuldhaftigkeit der Handlung im Vordergrund. Ob diese durch eine oder mehrere Personen verwirklicht wurde und in welchem Verhaltnis mehrere Personen zusammenwirkten, war zweitrangig. Der Schwerpunkt der folgenden Uberlegungen soil nun dem Subjekt der strafbaren Handlung gewidmet sein: Wer handelt tatbestandsmaBig, rechtswidrig und schuldhaft und wie sind bei mehreren Mitwirkenden die RoUen bei der Verwirklichung des strafbaren Sachverhalts verteilt?^ Oberbegriff^r die Mitwirkung an der Verwirklichung eines strafbaren Sachverhaltes ist die Beteiligung. Die Beteiligung zerfallt wiederum in die Unterbegriffe der Taterschaft und der Teilnahme. Die Lehre von Taterschaft und Teilnahme mtisste daher BeteiUgungslehre heiBen. Jedoch nennt man sie etwas ungenau „Teilnahmelehre". Wenn daher im Folgenden von „Teilnahmelehre" gesprochen wird, so ist damit eigenthch „Beteiligungslehre" gemeint.

Anmerkungen hierzu u.a. von Herzberg Jura 1990, 16 ff.; Kuper ]Z 1989, 617 ff.; Nibbeling JA 1995, 216 f; Schaffstein NStZ 1989, 153 ff.; Schumann NStZ 1990, 32 ff.; Spendel FS fiir Ltiderssen, S. 608 ff. Demgegentiber zweifelt NK-Schild RN 131 ff., 133 vor §§ 25 ff. bereits den Sinn eines Taterbegriffs an, denn strafrechtsdogmatisch existierten nur StrsStaten, nicht hingegen Straftater.

348

§10. Taterschaft und Teilnahme

Zunachst soUen die Grundlagen der im Allgemeinen Teil des StGB vorzufindenden Teilnahmelehre dargestellt werden (A). Es schlieBt sich dann eine Betrachtung der Lehren zu Taterschaft (B) und Teilnahme i.e.S. (C) an.

A. Grundlagen

8S

4

I.

Gesetzliche Vorgaben

1.

§ 25, Taterschaft

§ 25. Taterschaft. (1) Als Tater wird bestraft, wer die Straftat selbst oder durch einen anderen begeht. (2) Begehen mehrere die Straftat gemeinschafthch, so wird jeder als Tater bestraft (Mittater). § 25 I 1. Alt. (... wer die Straftat selbst ... begeht) regelt die Alleintdterschaft Form der Selbsttdterschaft.

in

Beispiel 10/1: A erschieBt B mit Totungsvorsatz. A ist Alleintater in Form der Selbsttaterschaft eines Totungsdeliktes zum Nachteil des B. § 25 I 1. Alt. bildet aber auch die gesetzhche Grundlage fiir die Nebentdterschaft in Form der Selbsttdterschaft. Hierunter versteht man ein tatbestandsmaBiges Verhalten mehrerer Personen im Hinblick auf denselben Erfolg, die jedoch unabhangig voneinander handeln. Beispiel 10/2: A und B schielien mit Totungsvorsatz auf C, ohne voneinander zu wissen. Hier sind A und B Nebentater. Unwichtig ist, ob der Erfolg eintritt. Denn auch der Tater eines Versuchs ist Tater. § 25 I 2. Alt. (... wer die Straftat ... durch einen anderen begeht) beschreibt die Alleintaterschaft in Form der mittelbaren Tdterschaft. Der mittelbare Tater begeht die Tat durch einen anderen. Den „anderen" nennt man „Werkzeug". Beispiel 10/3: A schuttet B mit Totungsvorsatz Gift in den Tee. B trinkt und stirbt. § 25 II enthalt eine Legaldefinition dor Mittdterschafl Diese Form der Beteiligung ist gegeben, wenn mehrere gemeinschaftlich die Straftat begehen. Unter einem gemeinschaftlichen Begehen versteht man ein bewusstes und gewolltes Zusammenwirken, Beispiel 10/4: A und B wollen C toten und ausrauben. A kauft eine Pistole, B die Munition. Dann gehen sie zur Wohnung des C. Wie verabredet, lautet A an der Wohnungstur. Als C offnet, wird er von B erschossen. A und B betreten die Wohnung und nehmen das vorhandene Bargeld sowie eine Rolex-Uhr mit. In Leitfall 7^ ist R Tater einer versuchten Totung der N in Form der Selbsttaterschaft. H und P konnten in Bezug auf R mittelbare Tater sein, wenn sie die Tat durch R begangen haben, R ihr Werkzeug gewesen ist. Aulierdem konnten H und P wegen ihres Zusammenwirkens in Mittdterschaft gehandelt haben. H und P waren dann mittelbare Mittater.

A. Grundlagen

349

§ 25 enthalt nur Festlegungen zu den Formen der Taterschaft. Wer Tater einer Straftat sein kann - nattirliche Personen oder auch juristische Personen? - ist eine davon unabhangig zu erorternde Frage. Sie wird im Rahmen der TatbestandsmaBigkeit/Tatsubjekt aufgeworfen.^

2* §§ 26, 27, Anstiftung und Beihilfe als gesetzliche Formen der Teilnahme - Akzessorietat § 26. Anstiftung. Als Anstifter wird gleich einem Tater bestraft, wer vorsatzlich einen anderen zu dessen vorsatzlich begangener rechtswidriger Tat bestimmt hat.

SS

§ 27. Beihilfe. (1) Als Gehilfe wird bestraft, wer vorsatzlich einem anderen zu dessen vorsatzlich begangener rechtswidriger Tat Hilfe geleistet hat. (2) Die Strafe fixr den Gehilfen richtet sich nach der Strafdrohung fiir den Tater. Sie ist nach § 49 Abs. 1 zu mildern.

Unter einer Anstiftung versteht man das vorsatzliche Hervorrufen des Tatentschlusses in einem anderen. Beihilfe bedeutet Hilfe Leisten zur Tat. Weil sowohl die Straft^arkeit des Anstifters als auch die Strafbarkeit des Gehilfen vom Voriiegen einer vorsatzlich begangenen rechtswidrigen Tat eines anderen (= Haupttat) abhangen, spricht man von der Abhangigkeit, d. h. Akzessorietat^ der Teilnahme. Weil die Haupttat nicht schuldhaft sein muss, ist diese Akzessorietat nicht voUstandig, sondern begrenzt, d.h. limitierl Die Haupttat muss nicht vollendet sein. Ein strafbarer Versuch"^ gentigt. Ist sie nur versucht, liegt eine Teilnahme am Versuch - genauer: eine Teilnahme an einer im Versuch steckengebliebenen Haupttat - vor.^

8 9

9a

In Leitfall 10 ware unter dem Gesichtspunkt der Teilnahme zu erwagen, ob H und P anstatt mittelbare Tater der versuchten Totung der N durch R nur Anstifter zur Haupttat des R gewesen sind.

Weil das StGB bei den Beteiligungsformen der Straftat zwischen Erscheinungsformen taterschaftlicher Natur und solchen mit Teilnahmecharakter unterscheidet, spricht man von einem {Tdterschafts- und) Teilnahme-System. Ein solches System setzt voraus, dass man eine Beteiligung als Tater und eine Beteiligung als Teilnehmer unterscheiden kann. Dies hangt davon ab, ob die gewdhlte Beteiligungslehre fiir Beteiligungsformen nichttaterschaftlicher Art iiberhaupt Raum lasst. Denn selbst wenn man davon ausgeht, dass die Aufgliederung der Erscheinungsformen der Beteiligung durch feststehende Strukturen S.oben§5AII. Zur Strafbarkeit des Versuchs oben § 9/40 ff. Davon streng zu unterscheiden ist die versuchte Beteiligung (naher oben § 9/97 ff.), bei der die Verwirklichung einer strafbaren Haupttat gerade fehlt und die nur in Form der versuchten Anstiftung (s.o. § 9/101 ff.) strafbar ist. Den Uberlegungen von Stratenwerth/Kuhlen AT § 12/166, 169, auch die Teilnahme am Versuch als versuchte Teilnahme einzuordnen, wahrend die versuchte Teilnahme i.S. von § 30 als „erfolglose Teilnahme" bezeichnet werden soil, kann daher nicht gefolgt werden. Sie widersprechen der Begriffswahl des Gesetzes in § 30, tibergehen das Erfordernis einer Haupttat i.S.d. §§ 26, 27 und leisten damit Fehlern in der Fallbearbeitung Vorschub.

10

11

350

§10. Taterschaft und Teilnahme

sozialer Beziehungen vorgepragt ist,^ ist die gesetzgeberische Entscheidung fiir ein Taterschafts- und Teilnahmesystem zwar eine gesellschaftlich naheliegende, aber keineswegs die einzig denkbare. IL Beteiligungsprinzipien und Taterbegriffe 12

Wirken mehrere an einer Straftat mit, so lasst sich die Verwirklichung des tatbestandsmaBigen Unwertes grundsatzlich auf zwei Wegen zurechnen:^ - Jede Mitwirkung ist Taterschaft. Soil ein Mitwirkender ausnahmsweise nicht als later verantwortUch sein, so muss dies ausdriickHch festgelegt werden. Die Taterschaft wird somit als Regelform auf alle Erscheinungsformen strafbaren Verhaltens ausgedehnt (extensiver TdterbegrifJ). Nichttaterschaftliche Mitwirkungsformen bilden demgegeniiber Beschrankungen der Zurechnung {Strafeinschrdnkungsgrunde). Mit dem extensiven TaterbegrifF korrespondiert ein Einheitstatersystem. - Eine Mitwirkung ist nur in den Beteiligungsformen zurechenbar, die ausdrtickUch gesetzUch festgelegt sind (restriktiver TaterbegrifF). Dadurch werden die gesetzlich beschriebenen Beteiligungsformen zu Strafausdehnungsgriinden. Mit dem restriktiven TaterbegrifF korrespondiert ein Taterschafts- und Teilnahmesystem, 1.

88

13 14

15

Einheitstatersystem - extensiver Taterbegriff^

§ 14 OWiG. Beteiligung. (1) Beteiligen sich mehrere an einer Ordnungswidrigkeit, so handelt jeder von ihnen ordnungswidrig.

§ 14 I 1 OWiG stellt den Versuch dar, ein Einheitstatersystem im deutschen Ordnungswidrigkeitenrecht zu formulieren. Jede Beteihgung an einer Ordnungswidrigkeit ist Taterschaft. Da BeteiHgung im Sinne von Verursachung verstanden wird, ist Tater der Ordnungswidrigkeit jeder, dessen Handlung fur die Begehung einer vollendeten oder versuchten Ordnungswidrigkeit kausal wird. Es wird also nicht danach gefragt, wer in welcher Intensitat zur Verwirklichung des Tatbestandes beigetragen hat. Diflferenzierangen werden nicht auf der Unrechtsebene, sondern erst bei der Bemessung der GeldbuBe vorgenommen. Auf der Grundlage eines Einheitstatersystems waren in Leitfall 10 Y{,V und R Jewells Tater einer versuchten Totung zu Lasten der N. Die undiflferenzierte Ausdehnung der Taterschaft auf Mitwirkungen jeder Art zur VerwirkHchung des Tatbestandes hat weitreichende Folgen: -

Eine Akzessorietat der Teilnahme existiert nicht. ^ Vgl. Jescheck/Weigend AT § 611 3 ^ Zum restriktiven und extensiven Taterbegriff vgl. Maiwald FS fur Bockelmann, S. 343 ff.; krit. hierzujedocliNK-5'c/z/7^RN 133 ff. vor §§ 25 ff. ^ Naher M'to/z, Wolfgang Recht der Ordnungswidrigkeiten, 2. Aufl. 2005, § 13/10 ff., 28 ff.

A. Grundlagen

351

-

Es entstehen keine Strafbarkeitslucken, well jeder, der irgendwie zur Verwirklichung des Tatbestandes beigetragen hat, Beteiligter ist. - Das reale Gewicht der Beteiligung, insbesondere die Beriicksichtigung des speziellen Handlungsunrechts, erfolgt nicht auf Tatbestandsebene, sondern kann nur bei der Gestaltung der Rechtsfolgen Beachtung fmden. - Eine Unterscheidung zwischen versuchter Teilnahme (z. B. versuchte Anstiftung) und Versuch der Tat entfallt, well versuchte Teilnahme versuchte Taterschaft (Verursachung) ist. - Eine obligatorische strafrahmenorientierte Strafmilderung bei bestimmten Teilnahmeformen ist nicht moglich, weil diese Teilnahmeformen nicht tatbestandlich vertypt werden konnen. Insgesamt ist das auf dem extensiven Taterbegriff aufbauende Einheitstatersystem und die daraus folgende Vermeidung von Strafbarkeitsliicken mit einem Verlust an Differenzierung verbunden, der im Bereich des Ordnungsw^idrigkeitenrechts hingenommen werden kann.

16

Ein praktisches Bedtirfnis nach Differenzierung kann man indessen daraus ersehen, dass sogar im Bereich des Ordnungswidrigkeitenrechts das reine Einheitstaterprinzip durch die Rechtsprechung aufgelockert worden ist, indem auch dort fiir die „Beteiligung" an der Ordnungswidrigkeit eines anderen gemaii § 14 I OWiG vorausgesetzt wird, dass der andere vorsatzlich handelt.^

17

Auch Leitfall 10 lasst Differenzierungen sachgerecht erscheinen. So ware zu wtirdigen, dass R in seiner Wahnidee Frau N nicht aus selbstsiichtigen Motiven toten will, sondern zur Rettung der Menschheit. Bei H und P liegen hingegen durchaus verachtenswerte Motive vor: Hass und Eifersucht. AuBerdem haben H und P den „leicht beeinflussbaren" R durch die Vorspiegelung der Existenz des Katzenkonigs in der Hand. Die eigentlichen „Bosewichte" sind damit H und P. Diese Verteilung der RoUen mtisste sich auch in einem strafrechtlichen BeteiligungssysX^m widerspiegeln. Als Einheitstatersystem sind auch die §§ 12-15 oStGB gedacht, v^obei den Ansatzpunkt die „strafbare Handlung" in § 12 bildet: § 12 oStGB: „Nicht nur der unmittelbare Tater begeht die strafbare Handlung, sondern auch jeder, der einen anderen dazu bestimmt, sie auszufiihren, oder der sonst zu ihrer Ausfiihrung beitragt."

17a

Da jedoch das Gesetz auch die fiir die Strafzumessung bedeutsamen Formen der Bestimmungstaterschaft und der Beitragstaterschaft kennt, wird in Osterreich lebhaft dartiber diskutiert, ob die §§ 12-14 auch im Sinne eines akzessorischen Teilnahmesystems ausgelegt werden konnen. ^^

17b

So BGH 2 StR 547/82 BGHSt 31, 309; vgl. auch Rengier Karlsruher Kommentar zum Ordnungswidrigkeitengesetz, 2. Auf. 2000, § 14 RN 4 ff., 16 ff. sowie Mitsch, Wolfgang Recht der Ordnungswidrigkeiten, 2. Aufl. 2005, § 13/19. Ftir ein Einheitstatersystem vor allem Kienapfel, Diethelm Der Einheitstater im Strafrecht, 1971, mit umfassenden Informationen zur Dogmengeschichte und zu den unterschiedlichen der Einheitstaterschaft; Triffterer Die osterreichische Erscheinungsformen Beteiligungslehre, 1983; krit. insbesondere Burgstaller Zur Taterschaftsregelung im neuen StGB, Osterreichische Richterzeitung 1975, 13 ff./16; Fuchs, Helmut Osterreichisches Strafrecht, Allg. Teil I, 2. Aufl. 1997, 32. Kap. II, III AT I; instruktiv zum Ganzen Friedrich Strafbare Beteiligung - akzessorische oder originare Taterschaft?, FS fiir Trifilerer, S. 43 ff.

352

2. 18

19

§ 10. Taterschaft und Teilnahme

Taterschafts- und Teilnahme-System (§§ 25 - 27) - Restriktiver Taterbegriff

Aufbauend auf die Teilnahmevorschriften des preuBischen StGB von 1851 und somit auf die Teilnahmesystematik des franzosischen Code Penal von 1810 (Art. 60) hatte schon das StGB von 1871 einem Taterschafts- und Teilnahmesystem den Vorzug gegeben, bei dem zwischen unterschiedlichen Formen der Beteiligung bereits auf Tatbestandsebene differenziert wird. In der Vorbereitung der Reform des Allgemeinen Teils wurde die Wahl eines Einheitstatersystems ernsthaft und griindlich erwogen, letztendlich aber doch verworfen.^^ Einer der Griinde hierfiir diirfte darin zu sehen sein, dass durch eine tatbestandliche Diflferenzierung dem durch die verschiedenen Mitwirkungsformen diflferenzierten Unrecht Rechnung getragen werden kann, was letztendlich zu einer gleichmaBigeren Bestrafiing und damit zur Rechtssicherheit beitragt. Die Entscheidung fiir einen restriktiven TaterbegriflF und eine Diflferenzierung zwischen Taterschaft und Teilnahme zeigt sich darin, dass nichtjede Mitwirkung^ sondern nur eine der in den §§ 25 flf. festgelegten Formen zur Verantwortlichkeit des Beteiligten fiihrt. Die §§ 25 flf. bilden somit „Strafbarkeits-Inseln", wobei faktisch zwischen diesen Inseln jedoch nicht das oflfene Meer wogt, sondern alienfalls schmale Rinnsale der Straflfreiheit begrenzend wirken. Allerdings gilt auch im Bereich des Strafgesetzbuchs der restriktive Taterbegriff nicht ausnahmslos. Denn durch die Beschrankung der §§26 und 27 auf vorsatzliche Delikte als Haupttaten ist im Rahmen der Fahrldssigkeit JQdQ Verursachung der Tatbestandsverwirklichung eine taterschafthche.^^

20

21 22

Der restriktive Taterbegriff des Taterschafts- und Teilnahmesystems ist zugleich Qin primdrer Taterbegriff. Denn es gilt der Satz: Wer Tdter ist, ist nicht Teilnehmer, ^^ Oder: Teilnehmer kann nur sein, wer nicht Tdter ist. Und wegen der Akzessorietat der Teilnahme gilt: Keine Teilnahme ohne Tdterschaft. Der primare Taterbegriflf macht den Tater zur Zentralgestalt^"^ des tatbestandlichen Geschehens. Weil von der Zentralgestalt des Taters alle weiteren Einfltisse auf das Beziehungsgeflecht der Beteiligung ausgehen, steht am Anfang eines jeden Taterschaft- und Teilnahmesystems die Frage, wer Tater ist, genauer: Welche Kriterien dartiber entscheiden, dass ein Beteiligter Tater ist. Vgl. Niederschriften tiber die Sitzungen der Groiien Strafrechtskommission, Bd. 2, 1958, S. 67/94 ff.; sowie IK-Roxin RN 3 vor § 25. Ftir eine Erstreckung des restriktiven Taterbegriffs auch auf die Fahrlassigkeit Renzikowski, Joachim Restriktiver Taterbegriff und fahrlassige Beteiligung, 1997; zu erhohten Anforderungen an eine taterschaftliche Verantwortlichkeit beim Fahrlassigkeitsdelikt Walther, 1991, S. 68 f; Diskussionsbedarf signalisieren auch die Uberlegungen von Cramer/Heine in: Schonke/Schroder RN 112 ff. vor § 25. Im Hinblick auf dieselbe tatbestandsmaliige Handlung. Vgl. Roxin AT 2 § 25/10.

A. Grundlagen

353

Vor der Erorterung jener Kriterien sei angemerkt, dass gerade die TaterschaftsmaBigkeit einer Handlung untrennbar mit ihrer TatbestandsmaBigkeit verbunden ist und umgekehrt. Es gilt:

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Keine Tdterschaft(smafiigkeit) ohne Tatbestand(smafiigkeit), kem(e) Tatbestand(smdpigkeit) ohne Taterschaft(smafiigkeit). ^^ Dies bedeutet zum einen, dass Taterschaft ein (Straf-)RechtsbegrifF ist, der wie alles Strafrecht seine Grundlage in der TatbestandsmaBigkeit hat.^^ Taterschaft im straf- bzw. ordnungsrechtUchen Sinne ist folgHch nur gegeben, wenn das Handeln der in Frage stehenden Person tatbestandsmaBig ist, d.h. die objektiven und subjektiven Elemente der Handlungsbeschreibung erfiillt, sei es als Straftat, sei es als Ordnungswidrigkeit. Eine Binsenweisheit? Dass man durch das Spielen einer Bach-Sonate nicht zum Tater wird, leuchtet unmittelbar ein. Dass man aber auch nicht „Tater" eines Suizids sein kann, miisste den iiberraschen, der das Reichen des Strickes an den Lebensmiiden allein deshalb (i.E. zutrefFend) fiir straflos erklaren will, well dies eine „Beihilfe" zum tatbestandslosen Suizid sei. Zum anderen bedeutet der Satz „kein(e) Tatbestand(smaBigkeit) ohne Taterschaft(smaBigkeit)", dass es im Rahmen der Begehung einer tatbestandsmaBigen Handlung zumindest einen Beteiligten geben muss, der Tater ist. Keine Tat ohne Tater. Ftir die TaterschaftsmaBigkeit ist es dabei voUig irrelevant, ob der tatbestandsmaBig Handelnde dariiber hinaus auch rechtswidrig oder schuldhaft handelt:^^ Auch der straflos Handelnde bleibt Tater, soweit er die Tatbestandsmerkmale vorsatzlich bzw. fahrlassig verwirklicht. Beispiel 10/5: A erschlagt B in Putativnotwehr. Nach der herrschenden eingeschrankten Schuldtheorie/Fallgruppe Rechtsfolgenanalogie zu § 16 I^^ ist A Tater eines Totschlags, fur den er bei Vermeidbarkeit aus dem Fahrlassigkeitsdelikt bestrafl werden kann. Bei direkter Anwendung von § 16 I ware A Tater einer fahrlassigen Totung. Wie auch immer: A ist Tater, denn B kann nicht durch das tatbestandsmaBige Handeln eines Menschen zu Tode gekommen sein, ohne dass ein Tater zu dieser Tat existiert.^^

Dabei wird TatbestandsmaBigkeit unter Einschluss des subjektiven Tatbestandes verstanden, vgl. auch Trondle/Fischer RN 9 vor § 13; die Taterschaft bedarf insoweit zu ihrer Begriindung nicht der Tatherrschaft, vgl. auch Schild Taterschaft, insbes. S. 47 f. mfassend zur Entwicklung der Taterschaftsdogmatik WL-Schild 14. Lieferung 11/2003 Vorbemerkungen vor §§ 25 ff.; anders Stein, 1988, insbes. S. 238 ff., der als MaBstab ftir die unterschiedlichen Beteiligungsformen nicht die Beschreibungen in den Tatbestanden der §§25 ff., sondern die unterschiedliche „Dringlichkeit" der hinter den Rechtssatzen stehenden Tater-, Anstifter- und Gehilfenverhaltensnormen heranzieht. Hinsichtlich der besseren Geeignetheit jener Kriterien zu Recht zweifelnd LK-Roxin § 25 RN 13; zu Unscharfen des Taterbegriffs im Ermittlungsverfahren, insbesondere in der Abgrenzung zum Verdachtigen, Diercks Anwaltsblatt 1999, 311 ff. Vgl. Jescheck/Weigend AT § 61 I 2: „Tater ist ..., wer in eigener Person alle Tatbestandsmerkmale der strafbaren Handlung verwirklicht..."; vgl. auch Lackner/Kuhl RN 6 vor § 13; Trondle/Fischer RN 2 vor § 13. Naherunten§ 13/112 ff. Vgl. aber i^oxm Taterschaft und Tatherrschaft, S. 329.

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25

354

§ 10. Taterschaft und Teilnahme

III. Taterschaftstheorien Die Suche nach Kriterien fiir die Bestimmung der Taterschaft steht im Mittelpunkt der Taterschaftstheorien. Die praktische Bedeutung jener Theorien erhellt das beriihmte Beispiel 10/6 Badewannen-Fail (RGSt 74, 84): Auf Verlangen der M, die gerade ein nichteheliches Kind geboren hatte, ertrankte ihre Schwester S das Kind in der Badewanne, um der M die Schande zu ersparen. 1st die S Taterin eines Totungsdelikts und hat M hierzu angestiftet? Oder ist M Taterin eines Totungsdelikts und S Gehilfin? Sind S und M Mittaterinnen?

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Die Taterschaftstheorien lassen sich in objektive (1) und subjektive (2) einteilen. 1.

Objektive Taterschaftstheorien

a) Die formal-objektive Theorie 28

29

Nach der vornehmUch von v. Liszt/Schmidt^^ und von v. Hippef'^ vertretenen formal-objektiven Theorie ist Tater nur, abtr jedenfalls, wer die Straftat, d.h. die tatbestandsmaBige Handlung, (wenigstens zum Teil) selbst begeht. Auf das faktische Gewicht seiner Mitwirkung kommt es nicht an. Wer nicht Tater ist, kann Teilnehmer sein, wenn er die entsprechenden Voraussetzungen erfiillt. Die Starke der ft)rmal-objektiven Taterschaftstheorie besteht in der klaren Abgrenzung der Taterschaft. In der damit notwendig verbundenen LUckenhaftigkeit liegt zugleich ihre Schwdche: - Eine mittelbare Taterschaft ist auf der Basis einer formal-objektiven Taterschaftslehre nicht moglich. Beispiel 10/7: A lasst sich von dem nichtsahnenden B aus dem Bticherregal des C ein Buch bringen, das er. A, dem C geliehen habe. In Wirklichkeit handelt es sich um ein Buch des C. Obwohl A den gutglaubigen B als Werkzeug benutzt, konnte er nicht mittelbarer Tater eines Diebstahls sein, weil er die Wegnahmehandlung nicht selbst ausfuhrt.

- Bd Mittdterschqft konnte nur der Tater sein, der selbst wenigstens Telle des gesetzlichen Tatbestandes erfiillt. Beispiel 10/8: Wie mit C verabredet, lockt A den B an eine einsame Stelle, wo B von C ausgeraubt wird. Nach der formal-objektiven Theorie konnte A nur Gehilfe des C sein. Im Badewannenfall ware nach der formal-objektiven Taterschaftslehre die Schwester S die Taterin des Totungsdelikts. Die Mutter ware Anstifterin. In Leitfall 10 konnten auf der Grundlage der formal-objektiven Theorie nur R, nicht hingegen H und P Tater der versuchten Totung der N sein.

Lehrbuch des deutschen Strafrechts, 25. Aufl. 1927 (bearb. v. Eb. Schmidt), S. 334 f V.Hippel, Robert Deutsches Strafrecht, Bd. II: Das Verbrechen. Allgemeine Lehren, 1930, S. 453 ff.

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A. Grundlagen

b)

355

Die materiell-objektive Theorie

Die materiell-objektive Theorie^^ vermeidet die Liickenhaftigkeit der formalobjektiven Theorie dadurch, dass anstatt auf die Ausfuhrung der tatbestandsmaBigen Handlung auf die Gefdhrlichkeit des Tatbeitrages abgestellt wird. Dies ermoglicht die Anerkennung mittelbarer Taterschaft sowie die Anerkennung von Mittaterschaft auch desjenigen, der die Tathandlung nicht selbst begeht. Die materiell-objektive Theorie wiirde in Leitfall 10 die Moglichkeit fiir eine mittelbare Taterschaft von H und P einraumen. 2.

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Der animus auctoris als Kriterium der subjektiven Taterschaftslehre

Die vor allem von der Rechtsprechung bis in die jtingere Zeit favorisierte subjek- 31 tive „animus-Theorie" baut zunachst objektiv auf einem extensiven Taterbegriff auf Tater ist jeder, der fiir die Verwirklichung des Tatbestandes ursdchlich ist. Die Abschichtung erfolgt dann nach subjektiven Kriterien: Tater ist, wer mit Taterwillen (animus auctoris), Teilnehmer hingegen, wer nur mit Teilnehmerwillen (animus socii) verursacht hat. Im Beispiel 10/6 Badewannen-Fall betrachtete das Reichsgericht demgemaft die S als Gehilfm der M, weil sie nicht im eigenen Interesse handeln, sondern der M die Schande ersparen wollte. Auch im sog. Staschinsky-Fall (BGH 9 StE 4/62 BGHSt 18, 87) spielte der animus socii die entscheidende Rolle: Auf Befehl des Ministeriums fiir Staatssicherheit beim Ministerrat der UdSSR ermordete Staschinsky zwei russische Emigranten. Die Tatmodalitaten waren durch die Auftraggeber in alien Einzelheiten festgelegt worden. Nach der Tat wurde Staschinsky mit einem Orden ausgezeichnet. Auch hier nimmt der BGH eine Gehilfenschaft des S an: MaBgebend sei die innere Haltung zur Tat. Danach komme als Tater auch in Betracht, wer die Tat voUstandig durch einen anderen ausfiihren lasst, andererseits als blolier Gehilfe auch derjenige, der alle Tatbestandsmerkmale eigenhandig erfiillt. Die innere Haltung des Angeklagten bei beiden Attentaten ergebe unter Berticksichtigung aller Umstande, dass er diese Taten nicht als eigene gewollt, dass er kein eigenes Interesse an ihnen und keinen eigenen Tatwillen gehabt, dass er sich fremdem Taterwillen nur widerstrebend gebeugt, dass er sich letztlich der Autoritat seiner damaligen politischen Ftihrung wider seinem Gewissen unterworfen und dass er die Tatausfiihrungen in keinem wesentlichen Punkt selber bestimmt habe. Ein eigenes materielles oder politisches Interesse als Indiz fiir seinen Taterwillen habe nicht bestanden. Es sei ihm kein Tatlohn versprochen worden, wie einem gedungenen Handlanger, und er habe auch keinen erhalten. Die Ordensverleihung habe ihn tiberrascht und abgestoBen. Er habe sich jedoch nicht entziehen konnen.^^ In der im Badewannen-Fall sowie im Staschinsky-Fall in Erscheinung tretenden Stringenz wird die animus-Theorie heute selbst von der Rechtsprechung nicht mehr aufrechterhalten, sondern in einer Art „normativen Kombinationstheorie'' weitergefuhrt.^"^ Gegen die animus-Theorie spricht insbesondere § 25 I 1, wonach Vgl. Feuerbach, Johann Paul Anselm Ritter v. Lehrbuch des gemeinen in Deutschland gultigen Peinlichen Rechts, 14. Aufl. 1847, S. 80 ff. sowie die umfassende Darstellung bei Roxin Taterschaft und Tatherrschaft, S. 38 ff. Vgl. BGH 9 StE BGHSt 18, 87/89 f, 95. Naher Roxin AT 2 § 25/22 ff.

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356

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§10. Taterschaft und Teilnahme

die Selbstbegehung der Tat, d.h. die Verwirklichung aller Tatbestandsmerkmale, zwingend Taterschaft ist. Unabhangig davon ist auch in der Rechtsprechung seit jeher anerkannt, dass selbst ein noch so ausgepragter animus auctoris nicht Taterschaft begriindet, wenn der Handelnde bestimmte Merkmale des Tatbestandes gar nicht erfullen kann. Dies trifft fiir die eigenhdndigen sowie fiir die Sonderdelikte zu. Beispiel 10/9: Tater tmQS Aussagedelikts kann nur sein, wer selbst falsch aussagt, well die §§ 153 ff. nur eigenhandig begangen werden konnen. Deshalb kann auch derjenige, der einen anderen tauscht und dadurch zu einer Falschaussage veranlasst, nicht mittelbarer Tater dieser Falschaussage sein. Um die dadurch entstehende Ltxcke zu fiillen, sieht § 160 die Strafbarkeit der Verleitung zur Falschaussage vor. Beispiel 10/10: Straftaten im Amt kann nur begehen, wer selbst Amtstrager oder einem solchen gleichgestellt ist, weil es sich hier um Sonderdelikte handelt. Deshalb ist auch hier eine mittelbare Taterschaft durch Nicht-Amtstrager nicht moglich. Wer eine Falschbeurkundung im Amt (§ 348) durch Tauschung des Amtstragers vemrsacht, wird folglich nicht mittelbarer Tater dieser Falschbeurkundung, sondern er bleibt Tater einer mittelbaren Falschbeurkundung nach § 271. Im Leitfall 10 ware auf der Basis einer strengen animus-Theorie eine Taterschaft von H und P hinsichtlich der versuchten Totung der N aus Hass und Eifersucht sowie eine Gehilfenschaft des leichtglaubigen R anzunehmen.

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Mehr und mehr grenzt die Rechtsprechung indessen Taterschaft und Teilnahme anhand einer Gesamtbewertung der Tat ab und „weicht" so die animus-Theorie auf. Die zu Grande zu legenden Kriterien sind danach der Grad des eigenen Interesses am Erfolg, der Umfang der Tatbeteiligung und die Tatherrschaft oder wenigstens der Wille zur Tatherrschaft.^^ Eine rechtsgutsorientierte Taterschaftslehre h2iX i\m.gsX Manfred Heinrich^^ entwickelt. Auf Grund einer Zusammenfiihrung der Kriterien der Einwilligungsdogmatik und der tatherrschaftsorientierten Tdterschaftsdogmatik kommt Heinrich zu dem Ergebnis, dass Tater ist, wer Entscheidungstrdger ist. Entscheidungstrager ist, wer als Normadressat eine tatbestandsgerichtete Entscheidung trifft, „als gerade deren unmittelbare Umsetzung das in Rede stehende tatbestandsberiihrende Geschehen anzusprechen ist."^^ Tater ist aber auch (nur), wer einen Rechtsgutszugriff, d.h. ein gegen firemde Rechtsguter gerichtetes Verhalten verwirklicht.^'^ Dieser Ansatz ermoglicht es, die Taterschaft insbesondere ftir solche Konstellationen tragfahig zu begriinden und abzugrenzen, in denen mehrere Personen zusammenwirken (Mitwirkung an Selbstverletzung oder mittelbare Fremdverletzung?^^, Tater hinter dem Tater oder Anstiftung?^*^). Freilich steht und fallt dieser Ansatz mit der nicht unumstrittenen^^ Ansicht, dass eine Einwilligung bereits die Tatbestandsmaliigkeit und nicht erst die Rechtswidrigkeit entfallen lasst. Denn nur dann fehlt es in Folge der Entscheidungstragerschaft des Einwilligenden an einem tatbestandsgerichteten Rechtsgutszugriff des Handelnden.^^

Vgl. BGH 2 StR 300/03 NStZ-RR 2004, 40 f, 41. Rechtsgutszugriff und Entscheidungstragerschaft, 2002. Heinrich aaO, S. 182. Heinrich aaO, S. 352. S.u. § 10/56 sowie § 5/48 f., § 6/43 ff. S.u. § 10/70 ff. Vgl. § 6/56 ff. Zu weiterer Kritik vgl. Roxin AT 2 § 25/183 ff., 263 ff.

A. Grundlagen

3.

357

Tatherrschaftslehre Beispiel 10/11: Fahrtenschreiber-F^ll (OLG Stuttgart NJW 1978, 715):^^ In einem Fuhrbetrieb mit mehreren Lastkraftwagen kam es in einer Vielzahl von Fallen zu tJberschreitungen der vorgeschriebenen Lenkzeiten. Diese Uberschreitungen konnten aus den Fahrtenschreiberblattern der einzelnen Lastkraftwagen ersehen werden. Als die Staatsanwaltschaft anlasslich von Ermittlungen gegen einen Fahrer der Firma, der Manipulationen an einem Fahrtenschreiber vorgenommen hatte, die Sicherstellung samtlicher bei der Firma vorhandenen Fahrtenschreiberblatter anordnete, beauftragten die Inhaber der Firma die Angeklagte A, in alle Schaublatter, aus denen eine Uberschreitung der Lenkzeit hervorging, den Namen eines zusatzlichen Fahrers einzutragen. Die A, der Sinn und Zweck dieser Anweisung klar war, verfuhr entsprechend und setzte in tiber 100 Schaublatter den Namen eines weiteren Aushilfsfahrers ein. Das Amtsgericht verurteilte die A wegen Beihilfe zur Urkundenfalschung, §§ 267, 27. Das OLG Stuttgart berichtigte den Schuldspruch dahingehend, dass A nicht nur einer gehilfenschaftlichen, sondern einer (mit)taterscliaftlichen Urkundenfalschung schuldig sei.

Nach der zu ihrer heutigen Form im wesentlichen durch Roxin fortentwickelten^"^ Tatherrschaftslehre ist im Mehrpersonenverhaltnis Tater, wer die Tatherrschaft besitzt. Nach einer von Maurach gepragten Formel bedeutet Tatherrschaft in diesem Sinne „das vom Vorsatz umfasste In-den-Handen-Halten des tatbestandsmaOigen Geschehensablaufes''.^^

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Ausgangspunkt jener Formel ist ein restriktiver TaterbegrifF, der mit der tatbestandsmaBigen Handlung als einer objektiv-subjektiven Sinneinheit korrespondiert. Die Tat ist das Werk eines das Geschehen steuernden Willens i.V.m. einer Mitbeherrschung des Tatablaufs. Der Trager des das Geschehen steuernden Willens und (Mit)Beherrscher des Tatablaufs ist der Tater. In der Lehre hat sich die Tatherrschaftslehre inzwischen durchgesetzt. Beispiel 10/11, der Fahrtenschreiber-¥dll, ist ein schoner Beleg dafiir, dass mittlerweile auch die Rechtsprechung um eine Beriicksichtigung von Tatherrschaftsgesichtspunkten nicht mehr herumkommt: „Die Angekl. ist Taterin i.S. von § 25 StGB, weil sie alle Merkmale des § 267 StGB in eigener Person verwirklicht hat. Dass diese Tatbestandserfiillung aus ihrer Sicht nur ,Hilfe' fur die (frtiheren mitangekl.) Mittater gewesen sein mag, rechtfertigt keine andere Beurteilung. Ftir eine rein subjektive Abgrenzung von Taterschaft und Teilnahme ... lasst § 25 I StGB jedenfalls bei voller Tatbestandsverwirklichung in eigener Person keinen Raum mehr."^^

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Die Rechtsprechung stellt somit innerhalb einer Gesamtwertung auf das Taiinteresse und die Tatherrschaft oder wenigstens den Willen zur Tatherrschaft als „Anhaltspunkte" fiir eine Taterschaft ab,^^ wobei die Selbsttaterschaft in § 25 I 1. Alt. den Kernbereich der Taterschaft bildet. Naher hierzu auch Eser StK IV Nr. 19. Taterschaft und Tatherrschaft, 1. Aufl. 1963; mittlerweile erschienen in der 7. Aufl. 2000, ders. LK § 25 RN 30 ff.; krit. Stein Beteiligungsformenlehre, S. 189 ff. Maurach, Reinhart DmtschQS Strafrecht, Allgemeiner Teil, 1. Aufl. 1954, § 47 III B 2.b), § 49 II C 2; vgl. mch Maurach/Gossel AT 2 § 47 RN 89; krit. Schild Taterschaft, insbes. S. 47 £

OLG Stuttgart NJW 1978, 715/716 links. Vgl. BGH 1 StR 35/84 GA 1984, 287 zu Mittaterschaft; naher hierzu und mwN Jescheck/Weigend AT § 61 III 4.

L

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§ lO.B. Formen der Taterschaft

Auf der Basis der Tatherrschaftslehre ware in Leitfall 10 von einer Tatbeherrschung durch H und P auszugehen. AUerdings ist zu bedenken, dass auch R trotz seines Glaubens an den Katzenkonig die Verwirklichung der Totung der N „vom Totungsvorsatz umfasst in den Handen halt". Sollten deshalb alle drei Personen Tatherrschaft besitzen und somit Tater sein ? Naher hierzu unten RN 70 ff.

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Die Attraktivitat der Tatherrschaftslehre als MaBstab fiir die Zuordnung der Taterschaft im Mehrpersonenverhaltnis geht vor allem auf die Systematisierung durch Roxin in seiner Monographie „Taterschaft und Tatherrschaft"^^ zuriick. Nach jener als offenes System aufzufassenden Systematik ruht die Tatherrschaft auf folgenden Grundlagen: - Handlungsherrschaft (betreffend den Seibsttater) - Willensherrschaft (betreffend den mittelbaren Tater), insbesondere kraft tiberlegenen Wissens infolge eines Irrtums des Werkzeugs - Funktionale Handlungsherrschaft (betreffend Mittaterschaft)

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Neben jene Fallgruppen einer faktisch durch Tatherrschaft begriindeten Taterschaft tritt eine rechtlich durch eine spezifische Pflichtenstellung begriindete Taterschaft (betreffend Sonderdelikte und Unterlassungsdelikte). Die genannten Fallgruppen einer tatherrschafts- bzw. pflichtbegriindeten Taterschaft bilden das Programm fiir die Spezifizierung der verschiedenen Taterschaft sformen in § 25 und ihre Abgrenzung zu den Teilnahmeformen in den §§ 26 f

B. Formen der Taterschaft, § 25 I. §§ 41

Unmittelbare Taterschaft, § 25 11. Alt. (Handlungsherrschaft)39

§ 25. Taterschaft. (1) Als Tater wird bestraft, wer die Straftat selbst.. .begeht. Unmittelbarer Tater ist aufgrund seiner Handlungsherrschaft, wer die Tat selbst, d.h. ohne Mitwirkung eines Dritten, begeht, so § 25 I 1. Alt. Die objektiv gepragte Taterschaftslehre kann sich damit durch den Gesetzgeber bestatigt sehen, weshalb § 25 I 1. Alt. insoweit nur deklaratorische Bedeutung zukommt. Von inhaltlichem Gewicht ist jene Vorschrift daher in Bezug auf subjektive Taterlehren.

' ' S.o. RN34. ^^ Vgl. i^oxm AT 2 § 25/38 fif.

B.II.

Mittelbare Taterschaft

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Als Selbst- bzw. unmittelbarer Tater kommt zunachst der Alleintater in Betracht, d.h. derjenige, der den Tatbestand in eigener Person allein erfullt. Tater ist aber auch der unmittelbar handelnde Vordermann bei mittelbarer Taterschaft, der Tatmittler, das Werkzeug des mittelbaren Taters. Voraussetzung ist allerdings, dass er trotz seiner Qualitat als Werkzeug taterschaftliche Merkmale erfullt (z.B. die Zueignungsabsicht beim Diebstahl) und die Verwirklichung des Tatbestandes bewusst in den Handen halt. Das getauschte Werkzeug ist deshalb nicht Tater des Vorsatzdelikts, wenn die Tauschung den Verlust des Vorsatzes zur Folge hat, was auf das genotigte Werkzeug nicht zutrifft.

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Beispiel 10/12 fiir Taterschaft trotz Notigung: Eiskunstlauferin A droht B zu erschieBen, falls B nicht die Konkurrentin C mittels eines Schlages mit einem Eisenrohr gegen das Knie „kampftinfahig" macht und dadurch die Chancen fiir Eiskunstlauferin A erhoht.

Hier ist B Tater einer gefahrlichen Korperverletzung, mag er auch infolge entschuldigenden Notstandes strafFrei bleiben. A ist mittelbare Taterin jener Korp erverletzung.

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Beispiel 10/13 fiir Taterschaft trotz Tauschung: A will B auf die Probe stellen und stiftet ihn scheinbar an, unter Vortauschung eines Jagdunfalls den Nebenbuhler N zu toten. Als man im Gebtisch eine Gestalt entdeckt, redet A dem B ein, das sei der N, und tiberredet B zu schieJien. Wie A erkannt hat, handelt es sich bei der Gestalt um eine Vogelscheuche.

Wenn B schieBt und trifft, hat er als Tater ein versuchtes Totungsdelikt begangen. Seine Unkenntnis beztiglich der Sachbeschadigung macht A zum mittelbaren Tater nur des § 303."^^

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In Leitfall 10 befindet sich R zwar im Irrtum uber die Existenz des Katzenkonigs und dessen Forderung nach einem Menschenopfer. Dennoch weiii R zum Zeitpunkt der Tat, dass er einen Menschen toten wird und will dies auch. R ist Tater eines versuchten Totungsdelikts.

Unmittelbarer Tater ist schlieBhch auch der Nebentdter, der in unbewusstem Zusammenwirken mit einem Dritten die tatbestandsmaBige Handlung verwirkUcht.

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II. Mittelbare Taterschaft, § 25 I 2. Alt. (Wiilensherrschaft)^^ § 25. Taterschaft. (1) Als Tater wird bestraft, wer die Straftat...durch einen anderen begeht.

1.

Kriterien mittelbarer Taterschaft

a)

Unterlegenheit des Tatmittlers

§ 25 I 2. Alt. ordnet denjenigen als Tater ein, der die Tat „durch einen anderen" begeht. Der Tater bedient sich hier zur Ausfiihrung der tatbestandsmaBigen Handlung einer weiteren Person, des Tatmittlers^ weshalb Eser in diesem Zusam"^^ Eine Teilnahme des A am Totungsversuch des B scheidet mangels Vollendungsvorsatzes aus, vgl. Jescheck/Weigend AT § 64 II 2 b sowie unten RN 130. ^^ Vgl. i^oxm AT 2 § 25/45 ff.

S&

46

360

§ lO.B. Formen der Taterschaft

menhang von einem Zwischenschaltungselemenf^ spricht. Um mittelbare Taterschaft begrtinden zu konnen, muss das Wirken des Tatmittlers zumindest Handlungsqualitat haben/^ weil es anderenfalls keinen Unterschied macht, ob sich der Tater eines Menschen oder einer Sache als Werkzeug bedient, um die Tat auszufiihren. b) 47

Tatherrschaft des mittelbaren Taters

Da die mittelbare Taterschaft darauf beruht, dass der mittelbare Tater faktisch Tatherrschaft besitzt, muss der mittelbare Tater den Tatmittler steuern^^ konnen. Es gilt daher, den Bereich abzustecken, innerhalb dessen von der Unterlegenheit des Tatmittlers ausgegangen und eine Steuerung durch den mittelbaren Tater angenommen werden kann."^^ aa) Straftatbezogene Irrtiimer des Tatmittlers

48

Mittelbare Taterschaft Uegt aufgrund tiberlegenen Wissens des Hintermanns"^^ zunachst vor, wenn der Tatmittler gerade iiber solche straftatbezogenen Tatsachen getauscht wird, von denen er sein Verhalten abhangig macht (Irrtumsherrschaft): Im sog. Sirius-Fall BGH 1 StR 168/83 BGHSt 32, 38/42 hatte der Tater einen Suizidversuch des Opfers bewirkt. Er hatte der Frau vorgespiegelt, dass sie sich - nach einer Selbsttotung mittels eines StromstoJies in der Badewanne - als Kiinstlerin am Genfer See wiederfinden werde, wo in einem roten Raum fur sie ein neuer Korper bereitstehe. In der Tauschung daruber, dass das Opfer - obgleich es scheinbar als Leichnam in der Wanne liege - zunachst als Mensch seinen irdischen Lebensweg fortsetzen werde, wenn auch korperlich und geistig so gewandelt, dass die Hoherentwicklung zum astralen Wesen gewahrleistet sei, sah der BGH jenes uberlegene Wissen, welches die Tatherrschaft als Grundlage der mittelbaren Taterschaft herstelle."*^

49

Unproblematisch ist mittelbare Taterschaft auch dann gegeben, wenn der Tatmittler Tatsachen nicht kennt, die sein eigenes Verhalten tatbestandsmaBig bzw. rechtswidrig machen. bb) Notigung des Tatmittlers

50

Anerkannt ist weiterhin die Willensherrschaft aufgrund einer gegen die in § 35 genannten Erhaltungsguter (Leib, Leben, Freiheit) gerichteten Notigung, obwohl

E'^^rStKIINr. 38A4. Vgl. Ktipper GA 1998, 520. Vgl. Eser StK II Nr. 38 A 5 ff.: Steuerungselement. Vgl. hierzu umfassend SK-Hoyer § 25 RN 42 ff. Vgl. aber auch Jakobs GA 1997, 553 ff.: Nicht die Vorsatzlosigkeit des Ausfiihrenden entscheide tiber die mittelbare Taterschaft, sondern die Unzustandigkeit fur seine Orientierung und umgekehrt die Zustandigkeit des Hintermanns fur die Unzustandigkeit des Ausfiihrenden. Mittelbare Taterschaft sei eine der Formen objektiver Zurechenbarkeit. BGH 1 StR 168/83 BGHSt 32, 38/42; gegen mittelbare Taterschaft hingegen Spendel FS fiir Ltiderssen, S. 605 ff.

B.IL

Mittelbare Taterschaft

3 61

der Tatmittler in diesen Fallen weiB, was er tut und von daher selbst unmittelbarer Tater ist."^^ cc) Steuerbarkeit des Tatmittlers aufgrund (staatlicher) Organisationsherrschaft Umstritten ist die mittelbare Taterschaft aufgrund einer sog. Organisationsherrschaft!^^ Jene von Roxin^^ entwickelte Fallgruppe unterscheidet sich von den Fallen des Notigungsnotstandes dadurch, dass in der konkreten Tatsituation eine Notigung i.S. von § 240 nicht vorliegt. Auf der anderen Seite erscheint der Tatmittler als Radchen in einem „d^liktsspezifisch rechtsgelosten"^^ staatlichen Organisationssystem jedoch so lenk- und manipuHerbar, dass ihn der Hintermann mit Hilfe der Organisationsherrschaft jederzeit steuern kann.^^ Wahrend Roxin hier urspriinglich an Falle nationalsozialistischen Unrechts gedacht hatte, hat der BGH auf die Organisationsherrschaft zur Begriindung mittelbarer Taterschaft im Zusammenhang mit der Verantwortlichkeit fiir die Totung von Fltichtlingen an der Grenze zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der DDR zuriickgegriffen (sog. Mauerschiitzen-Falle).^^ So nimmt der BGH in den Mauerschtitzen-Fallen (BGH 5 StR 98/94 BGHSt 40, 218) eine Organisationsherrschaft der Mitgheder des Nationalen Verteidigungsrats der DDR an, weil sie durch Organisationsstrukturen bestimmte Rahmenbedingungen ausgenutzt hatten, innerhalb derer der Tatbeitrag regelhafte Ablaiife ausgelost habe. „Derartige Rahmenbedingungen mit regelhaften Ablaufen kommen insbesondere bei staathchen, unternehmerischen oder geschaftsahnlichen Organisationsstrukturen und bei Befehlshierarchien in Betracht."^"* Demgegenuber sieht der BGH trotz der hierarchischen Struktur der DDR-Grenztruppen in der Vergatterung der Grenzsoldaten durch die Vorgesetzten lediglich eine Beihilfe zum Totschlag, da der Tatentschluss ledigHch bestarkt worden sei.^^ Hinsichtlich der Mitgheder des Politbtiros der DDR bejahte der BGH eine Pflicht aus § 9 StGB-DDR, in diesem Gremium darauf hinzuwirken, dass Totungen an der innerdeutschen Siehe auch unten RN 70 ff. Umfassend zum Streitstand Herzberg Mittelbare Taterschaft und Anstiftung in formalen Organisationen, in: Amelung (Hrsg.), Individuelle Verantwortung ..., S. 7 ff. Vgl. Taterschaft und Tatherrschaft, S. 242 ff.; l^^-Roxin § 25 RN 128 ff.; Uberlegungen zu einer Weiterentwicklung bei Ambos GA 1998, 226 ff.; zur unterschiedlichen Beurteilung von NS- und DDR-Unrecht insoweit Heine ]Z 2000, 920 ff. Naher Roxin in: Amelung (Hrsg.), Individuelle Verantwortung, S. 55; gegen eine Ausdehnung der Organisationsherrschaft auf wirtschaftliche Unternehmungen i^ox/T? AT 2 § 25/129 ff. Zweifelnd Herzberg in: Amelung (Hrsg.), Individuelle Verantwortung..., S. 39ff.;wahrend Roxin in einer Replik S. 55 auf eine „Verflechtung empirischer und normativer Gegebenheiten" verweist, ware es uberlegenswert, jedenfalls in den Fallen, in denen die Tatmittler geschossen haben, von einer Tatherrschaft der Hintermanner auszugehen. Vergleicht man die „mittelbare Taterschaft kraft Organisationsherrschaft" mit der Dogmatik der klassischen mittelbaren Taterschaft, so ist eine sehr weitgehende Normativierung dieser Taterschaftslehre nicht zu tibersehen. Dieser Gegensatz zwischen „Tatherrschaft" und „Organisationsherrschaft" lieiie sich allerdings uberbriicken, wenn man die Taterschaft von (staatlichen oder wirtschaftlichen) Leitungsorganen auf die Rechtsfigur einer „mittelbaren Taterschaft kraft sozialer Tatherrschaft" stiitzt. BGH 5 StR 98/94 BGHSt 40, 218/236; Anmerkungen hierzu u.a. von Gropp JuS 1996, 13; Jakobs NStZ 1995, 26; Roxin JZ 1995, 49; ebenfalls fiir mittelbare Taterschaft Ktipper GA 1998, 523 f; Bestatigung dieser Rechtsprechung durch BGH 5 StR 632/98 BGHSt 45, 270 sowie BGH 5 StR 281/01 JZ 2003, 575 m. krit. Anm. Ranft JZ 2003, 582. Vgl. BGH 5 StR 259/01 BGHSt 47, 100ff.,104.

51

362

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§ lO.B. Formen der Taterschaft

Grenze unterbleiben. Dementsprechend erfolgte eine Vemrteilung wegen Beihilfe durch Unterlassen zu den Totungen an der innerdeutschen Grenze. ^^ Eine Mindermeinung^^ sieht hingegen Mittaterschaft der Tatausflihrenden mit den Hintermannern gegeben. Dagegen wird jedoch zutrefFend geltend gemacht, dass die Mittaterschaft eine horizontale Struktur aufweist, wahrend die organisatorischen Machtapparate vertikal funktionieren.^^ dd) Verbotsirrtum des Tatmittlers

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Nicht unumstritten ist die mittelbare Taterschaft auch dann, wenn der Tatmittler im Verbotsirrtum handelt. Wahrend bei einem unvermeidbaren Verbotsirrtum hier iiberwiegend mittelbare Taterschaft angenommen wird,^^ gibt es Stimmen, die beim vermeidbaren Verbotsirrtum des Tatmittlers die Steuerung durch den mittelbaren Tater verneinen.^^ Auch in Leitfall 10 hat der BGH eine mittelbare Taterschaft der Angeklagten H und P angenommen. Denn obwohl R als Werkzeug gewusst habe, dass er einen Menschen tote, und auch hinsichtlich des Verbotenseins der Totung eines Menschen tiber die Einsichtsfahigkeit verfiigt habe, hatten die Angeklagten H und P die Tatherrschaft gehabt. Denn sie hatten bei R die Wahnideen hervorgerufen, die sie spater ausgenutzt hatten, und auf diese psychologische Weise die Tatplanung gesteuert. Auch hatten sie wesentHche Teile der Tatausfiihrung

ee) Keine mittelbare Taterschaft bei Irrtum des Werkzeugs aufierhalb von Tatbestandsmdfiigkeit, Rechtswidrigkeit und Schuldhaftigkeit 53

Keine mittelbare Taterschaft liegt vor, soweit der scheinbare Tatmittler Defekte aufweist, die mit der Begehung seiner tatbestandsmaBigen, rechtswidrigen und schuldhaften Handlung in keiner Weise zusammenhangen, sondern sein volldeliktisches Verhalten unberiihrt lassen. Beispiel 10/14: Jurastudent J holt seinen Kommilitonen C von der mtindlichen Priiftxng ab. Dieser ist voUig frustriert, weil er durchgefallen ist, und der Ansicht, dass dies nur aitf den total unmoglichen Prufungsstil des Prufers P zuriickzufiihren sei. Als man nun gerade an dem nagelneuen Mercedes-Coupe des Zivilrechtsprofessors X vorbeikommt, iiber den J sich sehr geargert hatte, spiegelt J dem C vor, dass dies „die neue Kutsche" des Prufers P sei. Daraiifhin zerkratzt C, wie von J erhoffi, die eine Seite des Fahrzeugs. Da C trotz seines Irrtums iiber den Eigenttimer des Wagens volldeliktisch handeh, wird J nicht zum mittelbaren Tater einer Sachbeschadigung, sondern ist Anstifter.

54

Gleiches gilt, wenn der Hintermann im Vordermann einen error in obiecto vel persona verursacht. Beispiel 10/15: A weiii, dass B den C toten will, sobald er seiner habhaft wird. A seinerseits hasst den D. An Fastnacht behauptet er nun B gegentiber, C werde zum FastVgl. BGH 5 StR 281/01 BGHSt 48, 77. Vgl. Baumann/Weber/Mitsch AT § 29/147; Otto Jura 2001, 759 sowie die Nachweise bei Kiipper GA 1998, 524 FN 34. So Kupper GA 1998, 524; vgl. auch Gropp JuS 1996, 17. Vgl. Jakobs AT 21/94; Jescheck/Weigend § 62 II 5; Kilhl AT § 20/69 mwN. Vgl. Jakobs AT 21/94; vgl. mchMaurach/Gossel AT 2 § 48/ 81 mwN. BGH 4 StR 352/88 BGHSt 35, 347/354.

B.IL

Mittelbare Taterschaft

363

nachtsumzug unter einer Lowenmaske erscheinen. In Wahrheit kommt D als Lowe verkleidet und wird von B getotet. c)

Tdtermerkmale

des mittelbaren

Taters

Mittelharer Tater kann nur sein, wer auch unmittelbarer Tater der durch den Tatmittler begangenen Tat sein kann, d.h. die erforderlichen Tatermerkmale aufweist. 1st dies der Fall, so ist der Hintermann so zu behandeln, als ob er selbst die Tat ausgefiilirt hatte.

L 55

Beispiel 10/16: Der Amtstrager, der sich eines Nichtamtstragers zur Begehung einer Korperverletzung im Amt bedient, ist wegen Korperverletzung im Amt in mittelharer Taterschaft strafbar (§§ 340, 25 12. Alt.), obwohl der Tatmittler allenfalls wegen einfacher Korperverletzung strafbar sein kann. Umgekehrt kann nicht mittelbarer Tater einer Falschbeurkundung im Amt sein, wer nicht selbst Amtstrager ist. 2.

Typische Fallgruppen mittelbarer Taterschaft

a)

Tatbestandslos

handelndes

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Werkzeug

Beispiel 10/17: Dr. A bewirkt mittels der bewussten Falschdiagnose „Krebs'\ dass sich sein Patient B schlielilich, wie von Dr. A erhofft, das Leben nimmt. B: Ungeachtet seines Todes: tatbestandslose Selbsttotung, keine (Haupt-)Tat, keine Taterschaft. A: Totschlag in mittelbarer Taterschaft, §§ 212, 25 I 2. Ah.

57 b)

Vorsatzlos handelndes

Werkzeug

Beispiel 10/18: Bauuntemehmer A bittet mit Zueignungsabsicht den nichtsahnenden Angestellten B, ihm von der Baustelle des C eine angeblich ihm (A) gehorende Tischkreissage zu holen. In Wahrheit gehort die Kreissage dem C. A: Diebstahl in mittelbarer Taterschaft, §§ 242, 25 I 2. Ah. B: Straffreiheit, da B davon ausgeht, die Kreissage gehore dem A (Ausscheiden von Beihilfe infolge Unkenntnis des B von der Fremdheit der fur A entwendeten Sache). c)

Vorsdtzlich, aber absichtslos handelndes doloses Werkzeug'')

Werkzeug (sog. „ absichtslos-

Mit der Einfiigung der Drittzueignung(sabsicht) in die Zueignungsdelikte durch das 6. StrRG ist die Problematik des absichtslos-dolosen Werkzeugs fiir die Falle weggefallen, in denen der Wegnehmende zw^ar nicht mit Selbst-, wohl aber mit Drittzueigungsabsicht handelt. In jenem vielzitierten Gummiball-Fall,^^ in dem A mit Zueignungsabsicht den B gebeten hatte, ihm aus dem Garten des C einen dem C gehorenden Gummiball zu holen, lage nach § 242 n.F. ein Diebstahl des B in Drittzueignungsabsicht und eine Anstiftung des A hierzu vor. Dass sich die Problematik des absichtslos-dolosen Werkzeugs aber auch trotz Drittzueignungsabsicht nicht erledigt hat, zeigen Falle, in denen die Absicht der Drittzueigung fehlt: RGSt 39, 37, hierzu Eser StK II Nr. 35, insbesondere A 1 - 4.

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364

§ lO.B. Formen der Taterschaft

Beispiel 10/19: A, Inhaber einer schlecht laufenden Baufirma, beauftragt den Angestellten B, ihm von der GroJibaustelle des Unternehmers C heimlich die dem C gehorende Tischkreissage zu holen. B nimmt den Auftrag des A nur mit Widerwillen entgegen. Er erfullt ihn aber dennoch, um sich weitere Scherereien zu ersparen. Weil es B nicht darauf ankommt, die Kreissage sich oder A zuzueignen,^^ handelt er ohne ZMQigmrngsahsicht (absichtslos). Auf Grund seiner Kenntnis davon, dass A sich die fremde Maschine zueignen will, handelt er vorsatzlich (dolos). Weil A nicht selbst wegnimmt, ist Selbsttaterschaft ausgeschlossen. Eine mittelbare Taterschaft des A wiirde voraussetzen, dass er B steuern kann. Dem widerspricht jedoch die Kenntnis des B von der Wegnahme einer fremden beweglichen Sache sowie die Tatsache, dass B von A nicht so unter Druck gesetzt worden ist, dass er ihn „in der Hand" hatte.^"^ Man konnte nun behaupten, dass zum Zeitpunkt der Wegnahme der Maschine keiner der Beteiligten den Tatbestand des § 242 selbst erfullt. Dies nimmt eine durchaus beachtenswerte Mindermeinung zum Anlass, ein strafbares Verhalten erst zum Zeitpunkt der Ubergabe der Kreissage an A anzunehmen, wobei A Tater einer Unterschlagung mittels Selbstzueignung (§ 246 I 1. Alt.) und B Tater einer Unterschlagung mittels Drittzueignung ist (§ 246 I 2. Alt.).^^ Auch eine Mittaterschaft von A und B erscheint nicht ausgeschlossen.^^ 59

Die h.M. zum absichtslos-dolosen Werkzeug nimmt eine Steuerbarkeit des B durch den A an. Allerdings ist diese nicht faktischer, sondern rechtlicher Art, indem sie in der Zueignungsabsicht des A bestehen soil, die bei B nicht vorliegt.^^ Jene voluntativ-normative Uberlegenheit mutet denn doch eher wie eine Hilfskonstruktion an, wenn man die Tatherrschaft des mittelbaren Taters primar nach den tatsachHchen Umstanden und nur bei den Sonderdelikten und den eigenhandigen Delikten nach rechtlichen Gesichtspunkten bestimmt. d)

Rechtmdfiig handelndes

Werkzeug

Beispiel 10/20 Denunziantin-Fdll BGH 1 StR 123/51 BGHSt 3, 110:^^ Die Angeklagte hatte im Jahre 1943 an die LuftwaJBfeneinheit, bei der ihr Schwiegersohn St als Unteroffizier und Flugzeugwart stand, geschrieben, „St. treibe Sabotage, er nehme Handgriffe an Flugzeugen vor, damit sie abstiirzten, er gehore an die Wand gestellt. St. wurde daraufhin von der geheimen Feldpolizei festgenommen und befand sich 15 bis 20 Tage in Haft. Vom Kriegsgericht wurde er dann freigesprochen. Die Angeklagte wusste, dass ihre Anzeige wahrscheinlich unbegriindet war. Sie woUte durch sie ihrem Schwiegersohn Ungelegenheitenbereiten..." 60

Werden StrafVerfolgungsorgane aufgrund falscher Anzeigen zu Aktivitaten veranlasst, die einen Straftatbestand erfuUen, insbesondere den der Freiheitsberaubung (§ 239), so handeln sie rechtmaBig, soweit sie entsprechend den gesetzHchen Grundlagen fur strafprozessuale Grundrechtseingriffe vorgehen. An einer mittelbaren Taterschaft des Anzeigeerstatters andert dies allerdings nichts. Denn Zum dolus directus I bei Zueignungabsicht M/Y^-c/z BT 2/1 § 1/96 ff. Vgl. hierzu oben RN 46 ff. Vgl. auch Krey, Volker Strafirecht Besonderer Teil Bd. 2, 11. Aufl. 1997, RN 82 ff.; Maiwald, Manfred Der Zueignungsbegriff im System der Eigentumsdelikte, 1970, S. 236 ff. Vgl. Lackner/Kuhl § 242 RN 26a; Mitsch BT 2/1 § 1 RN 127; fiir Teilnahme an der Unterschlagung des Hintermannes jedoch WesseIs/Hillenkamp Strafrecht BT 2, 22. Aufl. 1999 RN 153. Vgl. Lackner/Kuhl § 242 RN 26; Wessels/Beulke AT RN 537; Eser in: Schonke/Schroder § 242 RN 72 zur Rechtslage nach dem 6. StrRG; vgl. zum Ganzen auch UL-Roxin § 25 RN 141, auch zu dem ebenfalls zweifelhaften Vorschlag, eine Zueignung und damit Untersclilagung (§ 246) des Wegnehmenden bei Ubergabe an den Hintermann anzunehmen. Vgl. Eser StK II Nr. 38, insbes. A 20 - 24.

B.II.

Mittelbare Taterschaft

365

die Willensherrschaft liegt bei dem Tauschenden, unabhangig davon, ob der Getauschte rechtmaCig oder rechtswidrig handelt. Voraussetzung fiir die mittelbare Taterschaft bei rechtmaBig handelnden Strafverfolgungsorganen ist jedoch, dass der Anzeigeerstatter hinsichtlich der Unrichtigkeit seiner Anzeige zumindest vorsatzlich handelt. 3.

Ausschluss mittelbarer Taterschaft

Weil mittelbarer Tater nur sein kann, wer Tater sein kann, ist mittelbare Taterschaft bei eigenhandigen Delikten^^ und Sonderdelikten ausgeschlossen.^^ Ebenso kann nicht mittelbarer Tater sein, wer fahrlassig handelt. Denn die Bildung einer Willensherrschaft ist im Rahmen fahrlassigen Handelns nicht moglich. Im Ubrigen bedarf es des Ruckgriflfs auf die mittelbare Taterschaft im Bereich der Fahrlassigkeit auch deshalb nicht, well aufgrund des dort geltenden Einheitstaterbegriffs ohnehin jeder (unmittelbarer) Tater ist, der zur Verwirklichung des Tatbestandes einen ursachlichen Beitrag leistet. 4.

Sonderfragen

a)

Versuch in mittelbarer Taterschaft^^

61 62

Beispiel 10/21 Vergiftungs-Fail (RGSt 59, 1): Die Angeklagte hatte ohne Totungsvorsatz die Absicht, ihrer Schwiegertochter einen Stoff beizubringen, den sie fur geeignet und ausreichend hielt, deren Gesundheit zu zerstoren. „Diesen Entschluss hat sie dadurch betatigt, dass sie dem fur ihre erkrankte Schwiegertochter bestimmten Pfefferminztee, den deren Mutter bereits auf dem Ktichenherd bereit gestellt hatte, um ihn der Kranken zu bringen, - heimUch einen Aufguss von Nachtschattenbeeren zusetzte. Dabei erwartete sie, das Getrank werde alsbald durch einen gutglaubigen Dritten (durch die mit der Pflege befasste Mutter) der Kranken zum Genuss verabfolgt und von dieser getrunken werden. Hierzu ist es jedoch nicht gekommen."

Die Problematik des Versuchs in mittelbarer Taterschaft liegt in der Frage, wann der objektive Tatbestand des Versuchs, das unmittelbare Ansetzen, beginnt und damit die Schwelle von der straflosen Vorbereitung zum strafbaren Versuch tiberschritten wird.^^

63

Im Beispiel 10/21 Vergiftungs-Fall bestatigte das Reichsgericht die Ablehnung einer nur vorbereitenden Handlung durch das Schwurgericht. Denn die Angeklagte habe nach der nattirHchen Auffassung durch die Herstellung des Tranks mit dessen Beibringung begonnen, und die von ihr entfahete Tatigkeit hatte bei ungestortem Fortgang unmittelbar zur Verwirkhchung des Tatbestandsmerkmals des Beibringens gefiihrt, dessen Vollendung nur durch die Entdeckung der Tat verhtitet worden sei. Unter den festgesteUten Umstanden habe die Bereitstellung des Tranks als Bestandteil der Ausfiihrungshandlung angesehen werden konnen.

Das Stadium strafbaren Versuchens beginnt fiir den mittelbaren Tater somit spatestens beim unmittelbaren Ansetzen des Tatmittlers (Gesamtlosung).^^ Es Vgl. oben § 5/4. Vgl. oben § 5/4. Vgl. auch Fallsammlung Fall 4 sowie Herzberg FS fur Roxin, S. 749 ff.; Hillenkamp 15. Problem; Joecks StK § 25/54. Vgl. § 9/28 ff. Vgl. KrackZStW 110 (1998), 611/625 ff.

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§ lO.B. Formen der Taterschaft

beginnt nach h.M. sogar schon dann, wenn der mittelbare Tater das Tatgeschehen derart aus der Hand gibt, dass es ohne langere zeitHche Unterbrechung oder andere Hemmnisse unmittelbar in die Tatbestandsverwirklichung einmtinden soil (Einzellosung).^"^ Diese Auffassung harmoniert mit der subjektiv-objektiven Theorie beim Versuch in Selbsttaterschaft, nach der die Vorstellung des Taters von der Tat die Basis fur das Urteil iiber die Gefahrdung des Rechtsgutes bildet. In Leitfall 10 wiirde das strafbare Versuchsstadium fur H und P als mittelbare Tater somit beginnen, sobald R mit dem Messer loszieht, um N zu toten. Aus der Sicht des R als Selbsttater erfolgt das unmittelbare Ansetzen hingegen erst mit der Annaherung an N. Zu Fragen des Rticktritts siehe § 9 RN 87 fF. b) Mittelbare Taterschaft durch Unterlassen?

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Weil Tatherrschaftsgesichtspunkte im Rahmen eines Unterlassens nicht zum Tragen kommen, konnte Tater und damit auch mittelbarer Tater durch Unterlassen nur sein, wer ein zur Abwendung des Erfolgs durch aktives Tun besonders Verpflichteter ist. Jedoch ware zwischen mittelbarer Taterschaft zum Unterlassen und mittelbarer Taterschaft durch Unterlassen zu unterscheiden. Beispiel 10/22: A tauscht dem Rettungssanitater B vor, C sei bereits tot. Daraufhin unterlasst B weitere RettungsmaBnahmen, wodurch C stirbt. In diesem Fall liegt nicht mittelbare Taterschaft durch Unterlassen, sondern eine mittelbare Taterschaft zum Unterlassen vor, und zwar in Form des Tuns. Beispiel 10/23: Psychiatriepfleger P lasst die strafbare Handlung eines Geisteskranken geschehen. Nun handelt es sich in der Tat um eine Tatbestandserfiillung seitens des Krankenpflegers durch Unterlassen. AUerdings ist die Taterschaft des Pflegers keine mittelbare, sondern eine unmittelbare Unterlassungstaterschaft wobei der Pfleger als Uberwachungsgarant zur Verhinderung des Erfolgs verpflichtet ist.^

69

Die Beispiele bestatigen, dass mittelbare Taterschaft durch Unterlassen nicht moglich ist. Denn die mittelbare Taterschaft beruht auf der tatsdchlichen Tatherrschaft, die Unterlassungstaterschaft des Garanten hingegen auf der durch die rechtliche Senderstellung begriindeten Handlungspflicht.^^

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Vgl. Wessels/Beulke AT RN 613; Jescheck/Weigend AT § 62 IV 1. Vgl. Jescheck/Weigend AT § 62 IV 2. Vgl. mchRoxin AT 2 § 31/175; Otto Jura 2001, 759.

B.II.

Mittelbare Taterschaft

367

c) Der later hinter dem Tdter^^ - Tatherrschaftslehre oder Verantwortungsprinzip? Die Annahme einer mittelbaren Taterschaft bei gleichzeitiger Taterschaft des Tatmittlers^^ stoBt vor allem dann auf Kritik, wenn der Tatmittler nicht nur als Tater, sondern dariiber hinaus verantwortlich^ ja sogar strafbar handelt. Im wesentlichen unumstritten sind die folgenden Fallgruppen:^^

70

- Irrtum des Vordermanns iiber die Qualitat (Wert, Identitat) des Tatobjekts^^ - Handeln des Vordermanns im vermeidbaren Verbotsirrtum (§ 17 S. 2)^^ - Tatherrschaft des Hintermanns mittels rechtsgeloster organisatorischer Machtapparate.^^ Gegen eine Taterschaft des Hintermanns wird eingewandt, dass infolge der VerantwortUchkeit des Vordermanns nur dieser Tater sein konne.^^ Begriindet wird diese AufFassung mit normativen Uberlegungen, insbesondere mit der Lehre vom Verantwortungsprinzip. Nach der Lehre vom Verantwortungsprinzip^"^ wird die Verantwortung fiir 71 die Tat den verschiedenen Beteiligten streng nach den §§ 25ft*,zugeteilt. Sinn des Verantwortungsprinzips ist es, Verantwortung auf bestimmte zustandige Personen zu biindeln und andere aus der Verantwortung zu entlassen. Zuordnungskriterium ist die grundsatzliche VerantwortUchkeit fiir eigenes Verhalten. Als Begrenzungsprinzip vermag das Verantwortungsprinzip allerdings nicht 72 positiv zu begriinden, was Taterschaft ist: es wird nur gefi*agt, wer den „Schwarzen Peter" (die Verantwortung als Tater) hat, nicht, was der „Schwarze Peter" ist. Nimmt man jedoch an, dass Taterschaft in jedem Fall durch ein tatbestandsmaBiges Handeln begriindet wird, dann verstoBt eine Anerkennung mehrerer Mitwirkender als verantwortliche Tater auch auBerhalb der Mittaterschaft, eine „abgestufte" Taterschaft mehrerer, nicht gegen das Verantwortungsprinzip: Grundlegend hierzu Schroeder, Friedrich-Christian Der Tater hinter dem Tater, 1965; vgl. auch ders. Der Sprung des Taters hinter dem Tater aus der Theorie in die Praxis, in: Hoyer, Andreas (Hrsg.) Friedrich-Christian Schroeder. Beitrage zur Gesetzgebungslehre und zur Strafrechtsdogmatik, 2001, S. 189 ff. Vgl oben RN 50 ff. Zu diesen und weiteren Fallgruppen Schluchter AT Kap. 11 B Frage 33. Vgl. LK-Roxin § 25 RN 96 ff. Irrttimer tiber den konkreten Handlungssinn. S. 0. Leitfall 10; die Annahme von mittelbarer Taterschaft ist zutreffend, weil die Vermeidbarkeit des Verbotsirrtums ein Handeln im Verbotsirrtum nicht ausschlieBt, vgl. auch Otto FS fur Roxin, S. 501; fur AnsiiftungJQdoch Jescheck/Weigend AT § 62 II 5 mwN. Hierzu Roxin JZ 1995, 49; fur Mittaterschaft Jescheck/Weigend AT § 62 II 8; fur Nebentaterschaft Bockelmann/Volk AT § 24; vgl. auch Gropp JuS 1996, 13/15 f.; BGH 5 StR 632/98 NJW 2000, 443; zur Ubertragbarkeit der rechtsgelosten organisatorischen Machtapparate auf organisiert begangene Straftaten Roxin Probleme von Taterschaft und Teilnahme bei organisierter Kriminalitat, FS fiir Griinwald, S. 549 ff.; zur tFbertragbarkeit auf wirtschaftliche Organisationsstrukturen BGH 4 StR 323/97 NJW 1998, 767, 769 sowie Hefendehl GA 2004, 575/586; krit. Munos Conde FS fiir Roxin, S. 624; Rotsch NStZ 1998, 491 ff. Vgl. z.B. Herzberg in: Amelung (Hrsg.), Individuelle Verantwortung, S. 50: „Zwischenschaltung eines fremden Verhaltens..., welches als verantwortliche Begehung des Vorsatzdelikts erfasst werden kann;" vgl. auch Krey AT 2 RN 152. Vgl. hierzu umfassend Hillenkamp 21. Problem mwN; Lenckner in: Schonke/Schroder RN 100ff.vor §13.

368

73

74

§ lO.B. Formen der Taterschaft

an der Selbsttaterschaft des Vordermanns vermag auch das Verantwortungsprinzip nichts zu andern, und die Verantwortlichkeit des den Vordermann beherrschenden Hintermanns als Tater widerspricht dem Verantwortungsprinzip nicht. Der mittelbare Tater wird somit nicht dadurch Tater, dass der Tatmittler nicht Tater ist, sondern dadurch, dass er ihn beherrschen, steuern kann, unabhangig davon, ob der Tatmittler selbst Tater ist.^^ Dass es fiir die Taterschaft des Hintermanns auf die Taterschaft des Tatmittlers nicht ankommen kann, zeigen im iibrigen die den Mittelpunkt der Verantwortungslehre bildenden Falle, in denen der Tatmittler schon deshalb gar nicht Tater sein kann, weil aus seiner Sicht eine tatbestandslose Selbstverletzung^^ vorliegt: Beispiel 10/24: A tiberredet B zum Suizid, B nimmt sich das Leben. Obwohl in diesem Fall B mangels Tatbestandsmaliigkeit tiberhaupt nicht Tater sein kann, scheidet eine Totung seitens des A in mittelbarer Taterschaft mit B als Werkzeug aus, wenn B sich freiverantwortlich zum Suizid entschlossen hat. Teils wird angenommen, dass die Freiverantwortlichkeit erst dann entfalle, wenn sich der Suizident im Zustand der Schuldunfahigkeit (§ 20) oder in einer dem entschuldigenden Notstand (§ 35) vergleichbaren Zwangslage befinde, teils wird auf die Regeln der wirksamen Einwilligung zuriickgegriffen.^^ Die freiverantwortliche Preisgabe seiner Interessen fuhrt dazu, dem Hintermann den Tod des Vordermanns nicht als Fremdtotung zuzurechnen. Die fehlende Freiverantwortlichkeit ermoglicht die Verantwortlichkeit des Hintermanns als mittelbarer Tater einer Fremdtotung. d)

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Irrtumsfragen

Wie sonst im Bereich der Irrtumsdogmatik^^ ist auch im Rahmen von Irrtumern zur mittelbaren Taterschaft zwischen der Unkenntnis der Tatherrschaft als mittelbarer Tater (aa) und ihrer irrigen Annahme (bb) zu unterscheiden.

Vgl. hierzu die - nach Hillenkamp 21. Problem II - „eingeschrankte Verantwortungstheorie"; ob der Tatmittler vollverantwortlich, ja sogar strafbar ist, hat mit seiner Taterschaft gar nichts zu tun. Nach dem von Hassemer - Freistellung des Taters aufgrund von Drittverhalten, FS fiir Lenckner, S. 97 ff./llO f. - favorisierten Prinzip der Verteilung von Autonomie entscheidet tiber die Hierarchic innerhalb der strafrechtlichen Zurechnung die reale Chance, die eigene Entscheidung autonom zu bilden und sie folgenreich durchzusetzen; zum Verhaltnis der Begriffe „Freiheit" und „Verantwortung" insbesondere im Rahmen einer „mittelbaren Taterschaft kraft sozialer Tatherrschaft" Schlosser Soziale Tatherrschaft, F III 2. Vgl. Lenckner in: Schonke/SchroderRN 101/101 avor § 13. Naher hierzu Gropp Zur Freiverantwortlichkeit des Suizids aus juristisch-strafrechtlicher Sicht, in Pohlmeier, Hermann u.a. (Hrsg.), Suizid zwischen Medizin und Recht, 1996, S. 13 ff., insbes. S. 24 ff.; die Einwilligungslosung verdient Zustimmung, weil man in jenen Fallen existentieller Entscheidung nicht vom Grundsatz der Freiverantwortlichkeit ausgehen kann, sondern in jedem Einzelfall die Wirksamkeit der Entscheidung nach EinwilligungsmaBstaben wird feststellen mtissen, vgl. auch Amelung Zum Verantwortlichkeitsmalistab bei der mittelbaren Taterschaft durch Beherrschung eines nicht verantwortlichen Selbstschadigers, in: Schtinemann, Bernd u.a. (Hrsg.), Bausteine des europaischen Strafrechts 1995, S. 247 ff.; Otto Eigenverantwortliche Selbstschadigung und -gefahrdung sowie einverstandliche Fremdschadigung und -gefahrdung, FS fiir Trondle, S. 157 ff.; Wessels/Beulke AT RN 539; BGH 1 StR 168/83 BGHSt 32, 38. Vgl. § 13/4 ff.

B.II.

aa) Unkenntnis des Hintermannes

Mittelbare Taterschaft

von der Beherrschung

des

369

Tatmittlers

Kennt der Hintermann seine faktische Beherrschung des Tatmittlers nicht, so nimmt die iiberwiegende Meinung eine Anstiftung als Minus im Verhaltnis zur mittelbaren Taterschaft an, was allerdings wegen § 26 voraussetzte, dass der Tatmittler vorsatzlich handelt.^^ Soweit Anstiftung danach nicht in Frage kommt, ware allenfalls noch die Moglichkeit einer versuchten Anstiftung oder einer fahrlassigen Erft)lgsherbeifuhrung zu erwagen.^^

76

Beispiel 10/25: A will die Krankenschwester B anstiften, den C mittels einer Giftspritze zu toten. Er glaubt, die B habe bemerkt, was er vorhat. B geht aber davon aus, dass die Spritze ein ungefahrliches Kreislanfmittel enthalte. Eine Strafbarkeit wegen versuchter Anstiftung, § 30 I, ware damit zu begriinden, dass sich der Vorsatz des A lediglich darauf bezog, die B anzustiften. Damit fehlte ihm die Kenntnis seiner eigenenbeherrschenden Stellung, ein „Tatumstand" i.S. von § 16 I. bb) Irrige Annahme einer Tatherrschaft als mittelbarer Hintermann

Tater durch den

Beispiel 10/26: A tibergibt der Krankenschwester B eine Tablette, die angeblich ein Kreislanfmittel enthalt, um sie dem C zu verabreichen. In Wahrheit enthalt die Tablette ein schnell wirkendes todliches Gift, weil A den ihm verhassten C toten will. Obwohl B die Wahrheit erkannt hat, verabreicht sie C die Tablette, weil C sie tags zuvor beleidigt hat. C stirbt. Nimmt ein Beteiligter nur irrig an, eine Tatherrschaft als mittelbarer Tater 77 inne zu haben, so geht die iiberwiegende Meinung^^ von einer Anstiftung aus, weil der Anstifter-Vorsatz als Minus im Tatervorsatz enthalten sei. Dies ist jedoch fi-agUch. Cfberzeugender dtirfte deshalb die von Herzberg^^ favorisierte Annahme einer versuchten Tatbegehung in mittelbarer Taterschaft sein. Ftir die Strafbarkeit ware insoweit jedoch Voraussetzung, dass der Beteiligte nach seiner Vorstellung als mittelbarer Tater zur Verwirklichung des Tatbestandes unmittelbar angesetzt hat. Die friiher vertretene Auffassung, dass allein aufgrund des Taterwillens des Beteiligten in Fallen dieser Art eine mittelbare Taterschaft angenommen werden konne,^^ ist hingegen nur auf der Grundlage einer subjektiven Taterschaftstheorie moglich, die vor dem Hintergrund der Tatherrschaftslehre nicht mehr zu tiberzeugen vermag. cc) Error in obiecto velpersona

des

Werkzeugs

Beispiel 10/27: Der Arzt A beauftragt die Krankenschwester S, der Patientin P eine „Insulinspritze" zu verabreichen. Die von A an S libergebene Spritze enthalt jedoch - was die S nicht weiii - ein todliches Gift. Aufgrund einer Verwechslung der Patientinnen verabreicht S die todliche Spritze jedoch nicht der P, sondern der Patientin X, die alsbald stirbt.

Vgl. Lackner/Kuhl RN 10 vor § 25; Jescheck/Weigend AT § 62 111 1 mwN. Vgl. auch Kretschmer Jura 2003, 535 ff./536 links mwN. Vgl. Jescheck/Weigend AT § 62 III 1; Lackner/Kuhl § 25 RN 5 jew. mwN. Herzberg Taterschaft und Teilnahme, S. 45; ebenso Kretschmer Jura 2003, 535 ff./537. Vgl. RGSt 57, 274 f.; Baumann JZ 1958, 230/233 links.

370

§ lO.B. Formen der Taterschaft

Ein Teil der Lehre^"^ will im Falle des error in persona beim Werkzeug hinsichtlich des Hintermannes eine aberratio ictus annehmen, wenn das Werkzeug unvorsatzlich handelt. Nach h.M. soil dies sogar bei Bosglaubigkeit des Werkzeugs zutrefFen.^^ Begrtindet wird diese AufFassung damit, dass der Vorsatz des Hintermannes den Erfolg mit umfassen mtisse.^^ Im Beispielsfall ware Dr. A somit wegen eines versuchten Totschlags in mittelbarer Taterschaft zu Lasten der Patientin P und einer fahrlassigen Totung zu Lasten der Patientin X strafbar.

79

Beide Auffassungen vermogen indessen nicht zu iiberzeugen. Denn hier gilt dasselbe wie im Falle des error in persona beim Haupttater hinsichtlich des Anstifters.^^ Unabhangig davon, ob das Werkzeug gut- oder bosglaubig ist, hat Dr. A ein Werkzeug losgeschickt, welches ein Angriffsobjekt ansteuert, das der Hintermann in tatbestandlicher Hinsicht fixiert hat: einen Menschen. Die von Dr. A bewerkstelligte Konstellation ist damit darauf angelegt, dass jenes tatbestandlich umschriebene Ziel erreicht wird. Dies unterscheidet die Situation gmndlegend von der Lage bei der aberratio ictus, wo nur zufdllig ein demselben Tatbestandsmerkmal unterfallendes Angriffsobjekt getroffen wird. Der error in persona des Tatmittlers ist folglich fiir die Strafbarkeit des Hintermannes unbeachtlich, wenn nicht sonst eine wesentliche Abweichung des Geschehensablaufs vorliegt. Im Beispielsfall ware Dr. A somit wegen eines voUendeten Totschlags in mittelbarer Taterschaft zu Lasten der Patientin X strafbar.

5. 80

Priifungsschema bei mittelbarer Taterschaft

Vorbemerkung'. Die Priifung der mittelbaren Taterschaft kann wegen der Tatherrschaftsfragen erst nach der Priifiing des mutmaBlichen Tatmittlers erfolgen! a. Feststellung, dass der objektive Tatbestand von dem als mittelbarer Tater in Frage kommenden Beteiligten nicht vollstandig selbst erfiillt wird; b. Priifiing, ob die fehlenden Tatbestandsmerkmale durch einen Dritten erfiillt werden, der Werkzeug des tatbeherrschenden Beteiligten ist (vgl. hierzu RN 46 ff.); falls ja: c. Priifiing, ob der betreflfende Beteiligte alle sonstigen Voraussetzungen fiir eine Taterschaft erfiillt (betrifft eigenhandige Delikte, Sonderdelikte); falls ja: mittelbare Taterschaft Uegt vor. Falls b/c nein: Priifiing einer Anstiftung (§ 26) oder Beihilfe (§ 27) an der Tat des Dritten.

Vgl. Welzel LB S. 75; differenzierend Ja^oZ)^ AT 21/106. Vgl. Hillenkamp Vorsatzkonkretisierungen, S. 49 ff.; Roxin Taterschaft und Tatherrschaft, S. 215; Jescheck/Weigend AT § 62 III 2; diff. Wessels/Beulke AT RN 550. So Jescheck/Weigend AT § 62 III 2. Vgl. § 13/84 ff. sowieuntenRN 134.

Bill.

Mittaterschaft

371

III. Mittaterschaft, § 25 H (funktionelle Tatherrschaft) § 25. Taterschaft (1) (2) Begehen mehrere die Straftat gemeinschaftlich, so wird jeder als Tater bestrafl (Mittater).

§§

Die Zurechnungsform der Mittaterschaft beruht auf dem Prinzip des arbeitsteiligen Handelns und der funktionellen Rollenverteilung, § 25 II beschreibt Mittaterschaft als „gemeinschaftUche" Tatbegehung. Auf eine Kurzformel gebracht, versteht man darunter ein

81

Handeln aller in bewusstem und gewoUtem Zusammenwirken^^ aufgrund eines gemeinsamen Tatplans.

L

1.

Allgemeine Kriterien

a)

Gemeinsamer Tatentschluss (animus coauctoris)

Durch den gemeinsamen Tatentschluss - d.h. die Bildung eines Willens, die Merkmale des objektiven Tatbestandes der geplanten Straftat zu verwirklichen machen die Mittater sich die fremden Tatbeitrage jeweils gegenseitig zu eigen.

82

Der Tatentschluss muss auf die gemeinschaftliche Begehung „der Straftaf gerichtet sein. Es gentigt daher nicht, dass sich die Tater entschlieBen, jeweils eine gesonderte Straftat zu begehen, z.B. unterschiedliche Opfer zu verpriigeln.^^

Das Erfordernis des gemeinsamen Tatentschlusses ist einer der Griinde dafiir, dass bei Fahrldssigkeit eine Mittaterschaft bisher nicht anerkannt wird.^^^ Denn wahrend sich jener Tatentschluss auf das bewusste und gewoUte Zusammenwirken bezieht, fehlt es bei der Fahrlassigkeit defmitionsgemaB zumindest am Willen zur Verwirklichung des Tatbestandes. Wegen des Exklusivitatsverhaltnisses zwischen Mittaterschaft und mittelbarer Taterschaft ist ein gemeinsamer Tatentschluss auch dann nicht gegeben, wenn eine der beteiligten Personen einen Defekt aufweist, der die mittelbare Taterschaft einer anderen Person begrtindet.^^^ Der Unterschiedzur Beihilfe^^^ Uegt darin, dass der Mittater - mchi fremdes Tunfordern^ sondern sich im Gegenteil das fremde Tun zu eigen machen will. - keine untergeordnete Tatigkeit austibt, sondern selbst bei einer Mitwirkung von geringerem Gewicht als Gleichgeordneter beteiligt ist.^^^

99 100

101 102

RGSt 8, 42/44; BGH 4 StRb350/54 BGHSt 6, 248/249; vgl. 2iVio\\Jescheck/Weigend AT § 63 II 1; Jakobs AT 21/40 ff.; Wessels/Beulke AT RN 524 ff. So aber BGH 4 StR 343/96 StV 1997, 5811 mit zu Recht krit. Anm. Stein StV 1997, 582 f And. Renzikowski Restriktiver Taterbegriff, S. 284 ff., 288 ff.; Weifier JZ 1998, 230 ff.; Lesch JA 2000, 73 ff./78, der einen gemeinsamen Tatentschluss als Voraussetzung der Mittaterschaft ablehnt; naher unten RN 97b. Vgl. Schlosser Soziale Tatherrschaft, Teil G. Zur Beihilfe unten RN 141 fif. Naher BGH 5 StR 153/86 BGHSt 34, 124/125.

82a

82b

*3

372

§ lO.B. Formen der Taterschaft

b) Gemeinsame Tatherrschaft 84

Auf der Basis der Tatherrschaftslehre miissen die Mittater auch gemeinsam die Tatherrschaft ausiiben. Es geniigt daher jedenfalls nicht, dass ein Beteiligter aufgrund eines gemeinsamen Tatentschlusses fiir die Ausfiihrung der Tat ursdchlich ist, wie dies auf der Basis der subjektiven Teilnahmelehre moglich war/^"^ Ansonsten geht die iiberwiegende Meinung davon aus, dass der Mittater zumindest an der VerwirkUchung eines wesentlichen Teilsttickes des Gesamtplans beteiligt sein miisse.^^^ Praktische Bedeutung erlangen die Erfordernisse an die Tatherrschaft der Mittater bei der Frage, ob Mittaterschaft eine Mitwirkung an der Durchftihrung voraussetzt. Nach einer engeren Ansicht^^^ soil dies erforderlich sein. Die iiberwiegende Meinung geht jedoch davon aus, dass die Gewichtung der Tatplanung und der Tatausfiihrung bei der Mittaterschaft in einem Erganzungsverhaltnis stehen: Je starker die Mitwirkung bei der Tatplanung, desto eher ist die Anwesenheit bei der Tatausfiihrung verzichtbar und umgekehrt/^^ Jene Auifassung fiihrt zu plausiblen Ergebnissen. Sie ermoglicht es, den Mafia-Boss im Hintergrund auch dann als Mittater zur Verantwortung zu Ziehen, wenn er aus der sicheren Deckung „die Faden zieht", wahrend sich die untergeordneten Mitglieder der Organisation „die Finger schmutzig machen".

c) Eigener Tatbeitrag 85

85a

Weil Mittaterschaft als bewusstes und gewolltes Zusammenwirken zu verstehen ist, muss jeder Mittater einen eigenen Tatbeitrag leisten, der als Teil der Tatigkeit des anderen erscheint.^^^ Umstritten ist jedoch, in welchem Verwirklichungsstadium und in welcher Tatnahe die Mitwirkung erfolgen muss/^^ Die Rechtsprechung und ein Teil der Literatur halt es fiir irrelevant, ob dieser Tatbeitrag im Vorbereitungsstadium, im Versuchsstadium, bei der Tatausfiihrung oder zwischen Vollendung und Beendigung geleistet wird. Nach der Rechtsprechung des BGH soil dabei schon die Mitwirkung bei der Verabredung der Tat als Beitrag ausreichen konnen.^^^ Nach anderer Ansicht muss der Tatbeitrag zwischen Versuchsbeginn und materieller Beendigung liegen, jedoch nicht unbedingt am Tatort geleistet werden, wenn der abwesende Mittater die Durchfiihrung der Tat koordinieren und steuern kann.^^^ Vorzugswiirdig ist die letztgenannte Ansicht, weil sie dem Taterschafts- und Teilnahmesystem des StGB angemessen ist, Strafl)arkeitslucken durch Ruckgriff auf Teilnahmeformen vermeiden kann und nicht wie die erstgenannte Ansicht uber 104 105 106 107

Vgl LK-Roxin § 25 RN 181; vgl auch Z/^^c/^^wg ZStW 107 (1995), 361. Vgl. Jescheck/Weigend AT § 63 I 1 a. YglRoxin, 1994,299. Vgl Haft AT 8. Teil § 3 3 b; Jescheck/Weigend AT § 63 III 1; Wessels/Beulke AT RN 528 f; ders. KK 1 RN 353; BGH 2 StR 470/84 St 33, 50/53; BGH 3 StR 438/84 JZ 1985, 100; BGH 2 StR 482/94 NStZ 1995, 285; vgl. auch BGH 1 StR 769/93 NStZ 1995, 122 m. krit. Anm. Kupper^^XL 1995, 331 ff. Vgl. BGH 1 StR 430/97 StV 1998, 540. Umfassende Darstellung des Streitstandes bei Zieschang ZStW 107 (1995), 361 ff.; zu Fallen mit Lossagung im Vorbereitungsstadium Graul GS Meurer, S. 91 ff. Vgl. BGH 5 StR 492/90 St 37, 289/292, krit. hierzu Puppe NStZ 1991, 571; BGH 1 StR 769/93 NStZ 1995, 122 m. krit. Anm. Kiipper^StZ 1995, 331. Vgl. LK'Roxin § 25 RN 183; enger Herzherg Taterschaft und Teilnahme, S. 68.

B.IIL

Mittaterschaft

373

eine extensive Annahme von Mittaterschaft zu einer Verwischung der Grenzen von Taterschaft und Teilnahme fiihrt/^^ d)

Vorliegen der erforderlichen Tdterqualifikationen

Wie bei der mittelbaren Taterschaft gilt auch bei der Mittaterschaft, dass Mittater nur sein kann, wer Tater sein kann. Mittater am eigenhandigen Delikt kann folglich nur sein, wer die tatbestandsmafiige Handlung selbst mitbegeht, am Sonderdelikt nur, wer selbst die Taterqualifikationen erfiillt.^^^ Auch taterschaftsbegriindende Absichten mtissen bei alien Mitwirkenden gegeben sein, damit Mittaterschaft angenommen werden kann.

86

Beispiel 10/28: Mittater eines Raubes kann nur sein wer mit Zueignungsabsicht handelt, die Sache also sich oder einem Dritten zueignen will. ^^ 2.

Zurechnung

a)

Gesamtzurechnung

Die Annahme von Mittaterschaft hat zur Folge, dass das gesamte Tatgeschehen jedem der Mittater zugerechnet wird. Weil das gesamte Tatgeschehen zugerechnet wird, konnen Mittater fiir Handlungen verantwortlich gemacht werden, die sie selbst nicht einmal begrifflich hatten begehen konnen. Beispiel 10/29 Fer/o/ger-Fall BGH 4 StR 613/57 BGHSt 11, 268:^^^ Die Komplizen P, M und Th hatten versucht, nachts in ein Lebensmittelgeschaft einzudringen. Jeder von ihnen war dabei mit einer geladenen Pistole bewaifnet. Hinsichtlich der Verwendung der Pistolen hatten sie abgesprochen, dass auch auf Menschen gefeuert werden soUe, wenn die Gefahr der Festnahme eines der Teilnehmer drohe. Als die Mittater von dem Inhaber des Lebensmittelgeschafts tiberrascht wurden, gaben M und Th je einen Schuss ab. Danach versuchten sich die Mittater in Sicherheit zu bringen. „An der...Hausecke bemerkte M riickwartsschauend, dass ihm in einer Entfernung von niclit mehr als zwei bis drei Metern eine Person folgte. Diese war der Angeklagte P. Ihn hielt M aber fur einen Verfolger und furchtete, von ihm ergriffen zu werden. Um der vermeintlich drohenden Festnahme und der Aufdeckung seiner Taterschaft zu entgehen, schoss er auf die hinter ihm hergehende Person. Dabei rechnete er mit einer todlichen Wirkung seines Schusses und billigte diese Moglichkeit. Das Geschoss traf P am rechten Oberarm, durchschlug aber nur den gefutterten Armel seines Rockes und verfmg sich im aufgekrempelten Hemdsarmel."^^^ Der BGH bestatigte die Verurteilung des Angeklagten P durch das Landgericht wegen versuchten Mordes. Denn P mtisse sich die Tat des M zurechnen lassen. Auch bei Verwirklichung unterschiedlicher Deliktstatbestande durch die verschiedenen Beteiligten ist Mittaterschaft moglich, wenn auch das gemeinsam begangene Unrecht einen Tatbestand erfullt, wie etwa § 212 bei gemeinschaftlicher Begehung von Totschlag

112 113

114 115 116 117

Vgl. auch die tiberzeugende Begriindung bei Zieschang ZStW 107 (1995), 377 ff. Deshalb kann nicht Mittater einer Unterlassungstat sein, wer nicht selbst Garant ist: auch der gemeinschaftlich mit dem Garanten gefasste Entschluss zum Unterlassen begriindet eine Garantenstellung nicht, vgl. BGH 1 StR 430/97 StV 1998, 126. Vgl. BGH 4 StR 44/99 NStZ 1999, 510. Vgl. diud^Puppe AT 2 § 35/41. BGH 4 StR 613/57 BGHSt 11, 268/269. So der Tante-Fall BGH 1 StR 479/88 BGHSt 36, 231, dazu Beulke NStZ 1990, 278 f.; Hassemer JuS 1990, 148 f.; Kiipper JuS 1991, 639 ff.

87

374

§ lO.B. Formen der Taterschaft

b) Grenzen der Gesamtzurechnung 88

89

90

91

Der Verfolger-Fall tiberrascht zunachst, well P. - im Ergebnis zu Recht! - wegen einer Tat verantwortlich gemacht wird, die zu seinen Lasten geht. Fast wird dabei libersehen, dass die Entscheidung zugleich bilderbuchartig die Grenzen der Gesamtzurechnung fiir Mittater deutlich macht. Eine Grenze der Gesamtzurechnung liegt zunachst dort, wo der Mittater nicht fiir Beitrage verantwortlich gemacht werden kann, die er in eigener Person nicht verwirklichen konnte. Dies trifft auch im Verfolger-Fall zu. Denn nur durch die spezifische Konstellation jenes Falles wird dem P das gesamte von M verwirklichte Unrecht zugerechnet. Hatte M dem P eine Verletzung beigefligt, so ware M wegen einer gefahrlichen Korperverletzung, P hingegen nur wegen versuchter gefahrlicher Korperverletzung strafbar. Dies beruht darauf, dass P - an die Stelle des M gedacht - nie eine tatbestandsmaBige, d.h. fremdverletzende vollendete gefahrliche Korperverletzung an sich selbst hatte begehen konnen. Insofern stellt sich aus der Sicht des P die Verletzung seiner eigenen Interessen durch M als eine tatbestandslose Selbstverletzung dar, die allenfalls als untauglicher Versuch einer strafbaren Fremdverletzung zu Buche schlagen kann. Eine weitere Grenze der Gesamtzurechnung liegt darin, dass Mittater fiir Exzesse anderer Mittater nicht haften miissen. Was nicht verabredet ist, braucht sich der Mittater nicht zurechnen zu lassen. 3.

Sonderfragen

a)

Versuch undRucktritt

Die Gesamtzurechnung im Rahmen der Mittaterschaft hat unmittelbare Auswirkungen auf den Beginn des Versuchsstadiums i.S. von § 22. So beginnt das ^unmittelbare Ansetzen" als Ubergang von der straflosen Vorbereitung zum strafbaren Versuch dann, wenn auch nur einer der Mittater das Tatgeschehen soweit vorangebracht hat, dass die VerwirkHchung des Tatbestandes ohne wesentliche weitere Zwischenschritte unmittelbar zu erwarten ist (sog. Gesamtlosung).^^^ Nach der subjektiv-objektiven Versuchstheorie ist dieser Zeitpunkt unter Zugrundelegung des Tatplans zu bestimmen.^^^ In Fallen des untaugUchen Versuchs in Mittaterschaft geniigt sogar die bloBe Vorstellung vom unmittelbaren Ansetzen eines der vermeintlichen Mittater. Aufschlussreich sind hierzu zwei vom BGH unterschiedlich bzw. widerspriichHch entschiedene Falle:^^^

Vgl. Wessels/Beulke AT RN 611; Krack ZStW 110 (1998), 611 ff. sowie Buser, Torsten Zurechnungsfragen beim mittaterschaftlichen Versuch, 1998; krit. Roxin FS fiir Odersky, S. 489 ff., insbes. S. 491 ff. Naher zur Gesamtlosung Kiiper, Wilfried Versuchsbeginn und Mittaterschaft, 1978; zum unmittelbaren Ansetzen § 9/28 ff. Lesenswert zu beiden Entscheidungen Fallsammlung Fall 1 sowie Erb NStZ 1995, 424, nach dessen Auffassung eine vermeintliche Manifestation des deliktischen Willens fiir eine Strafbarkeit nicht ausreichen soil, was sich mit der Vorstellung des Taters als Grundlage einer Versuchsstrafbarkeit allerdings schwerlich vereinbaren lasst; vgl. auch Heckler GA

Bill.

Mittaterschafl

375

Beispiel 10/29aMiinzhdndler-FeAl - BGH 4 StR 173/94 BGHSt 40, 299:^^^ C erzahlte dem B, der Mtinzhandler A woUe seine Versicherung betrtigen. C und B konnten A daher mit A s Einverstandnis uberfallen und berauben. C versprach B fur seine Mitwirkung 50.000.DM, von denen 15.000.- im voraus gezahlt werden sollten. Die restlichen 35.000.- sollte sich B aus dem Tresor des A nehmen dtirfen. B erklarte sich daraufhin zum Uberfall bereit. Die zum Schein zu raubenden Mtinzen sollten C tibergeben werden. C wies den B an, A gegenuber nicht zu erkennen zu geben, dass er die Zustimmung des A kenne. Einige Tage vor der Ausfuhrung zahlte C dem B 15.000.- DM und teilte ihm Namen und Adresse des A mit. B uberfiel zusammen mit einem Dritten den nichtsahnenden A unter Verwendung einer Scheinwaffe. A wurde gefesselt und in den Waschkeller des Hauses verbracht. Es wurde eine Beute im Wert von 350 000 bis 400 000.- DM gemacht. A konnte sich befreien und meldete seiner Versicherung den Schadensfall. Der BGH bestatigte die Verurteilung des B wegen versuchten Betruges in Mittaterschafl zulasten der Versicherung. ^^^ Dem ist auf Grund der subjektiv-objektiven Versuchstheorie zuzustimmen, bei der die Basis der objektiven Komponente die subjektive Vorstellung bildet. Denn dass objektiv A nicht Mittater war und sein Versicherungsanspruch zu Recht bestand, andert nichts an der Vorstellung des B, dass A Mittater sei. Diese subjektive Vorstellung bildet jedoch die Grundlage fur die rechtliche Beurteilung der Versuchs-Tat des B. Indem A den Schaden der Versicherung meldete, setzte A - und nach der Gesamtzurechnung auch B und C - nach der Vorstellung des B zum gemeinschaftlichen Betrug unmittelbar an.^^^ Eine Strafbarkeit wegen Versuchs lehnte der BGH jedoch ab im

91a

91b

Beispiel 10/29b Turklingel-FsLll - BGH 2 StR 158/93 BGHSt 39, 236: B und C hatten vereinbart, ein Ehepaar in dessen Haus zu uberfallen und auszurauben. Spater wollten sie A als Mittater gewinnen. A sagte zunachst zu, offenbarte sich aber spater der Polizei, die er uber den Stand der Planung informierte. B und C lieB A im Glauben an seine Mittaterschafl:. A sollte an der Hausttir klingeln und die voraussichtlich offnende Ehefrau tiberwaltigen. B sollte dann den Ehemann in der Wohnung tiberwaltigen, wahrend C die Eheleute zur Herausgabe des Tresorschltissels und zur Offenbarung der Zahlenkombination zwingen sollte. Wie verabredet khngelte A. Dies war das Zeichen fur die durch A alarmierte Polizei zur Festnahme von B, C und A. Der BGH verneinte eine Strafbarkeit von B und C wegen versuchten Raubes. Denn A habe mangels Vollendungsvorsatzes nicht mehr mit dem Willen gehandelt, mit B und C zum Zwecke der Tatausfuhrung zusammenzuwirken.^^"^ Auch hier ist jedoch zu beriicksichtigen, dass es fiir die Versuchsstrafbarkeit von B und C als Mittater nur auf ihre Vorstellung ankommt. Danach aber hatten B und C aufgrund des von ihnen unterstellten Tatplans zum Versuch in Mittaterschafl unmittelbar angesetzt. ^^^

^^^ ^^^ ^^^ ^^"^ ^^^

1997, 72 ff., Roxin FS fur Odersky, S. 498 ff. sowie Weber Probleme der Versuchsstrafbarkeit bei mehreren Tatbeteiligten, FS fur Lenckner, S. 435 ff. Mit krit. Besprechung Kilpper/Moshacher JuS 1995, 488 ff. und Anfrage-Beschluss BGH 4 StR 173/94 NStZ 1994, 534. In der Literatur ist die Entscheidung jedoch vorwiegend auf Ablehnung gestolien, vgl. die Nachweise bei Weber FS fur Lenckner, S. 447 FN 36. Naher und tiberzeugend hierzu Weber FS fiir Lenckner, S. 446 ff.; krit. zur Entscheidung des BGH im Mtinzhandler-Fall LK-Hillenkamp § 22 RN 176, Streng Wie „objektiv" ist der objektive Versuchstatbestand?, Gedachtnisschrift fur Zipf, S. 325 ff. I.E. zustimmend u.a. Eser in: Schonke/Schroder § 22 RN 55 a sowie die bei Weber FS fiir Lenckner, S. 443 FN 24 Genannten. Vgl. auch Weber FS fur Lenckner, S. 441, 446 sowie Buser, Torsten Zurechnungsfragen beim mittaterschaftlichen Versuch, 1998, S. 114, 150 f

91c

376

92

Die Voraussetzungen fiir einen wirksamen Rucktritt bestimmen sich nach den erhohten Anforderungen bei Beteiligung mehrerer in § 24 II/^^ b)

93

§ lO.B. Formen der Taterschail

Unterlassen

Weil auf Unterlassungsdelikte die Regeln iiber die Tatherrschaft nicht anwendbar sind, sondern die Taterschaft auf einer besonderen Pflichtenstellung beruht, kann sich auch ein mittaterschaftliches Unterlassen nur auf die gemeinschaftliche Pflichtenstellung beziehen. Ein anschauliches Beispiel fiir das mittaterschaftliche Nichterfullen einer gemeinschaftlichen Handlungspflicht findet sich bei Jescheck/ Weigend:^^^ Die zur Einkommenssteuer zusammen Veranlagten - z.B. Eheleute im gesetzlichen Gtiterstand - sind verpflichtet, eine gemeinsame Steuererklarung abzugeben. Entschlielien sie sich in bewusstem und gewolltem Zusammenwirken, diese Pflicht nicht zu erfiillen, liegt eine gemeinschaftliche Steuerhinterziehung durch Unterlassen vor.

94

In den meisten Fallen, in denen mehrere Personen scheinbar „gemeinschaftlich" unterlassen, Uegt hingegen jeweils eine selbstandige Selbsttaterschaft durch Unterlassen vor, ohne dass es der Zurechnung der beiderseitigen Unterlassungs„Beitrage" bediirfte. Beispiel 10/30: Die Eltem beschlieJien, ihr Kleinkind verhungern zu lassen. Zwar mag hier ein bewusstes und gewoUtes Zusammenwirken vorliegen, zu einer Zurechnung einzelner Beitrage kommt es jedoch nicht. Vielmehr sind sowohl Vater als auch Mutter jeweils Tater eines Totungsdelikts durch Unterlassen, wenn es zum Tode des Kindes kommt. c)

95

Sukzessive

Mittdterschaft

Eine in ihrer praktischen Bedeutung kaum zu iiberschatzende Problematik der Zurechnung fremden Unrechts ist die Anerkennung der sog. sukzessiven Mittdterschaft. Darunter versteht man, dass Bestandteile des Tatgeschehens, an denen ein spater Hinzutretender keinerlei Anteil hat, ihm auch dann zugerechnet werden, wenn er von ihnen Kenntnis hat, in dieser Kenntnis dem gemeinsamen Tatplan beitritt und einen fiir die Tatbestandsverwirklichung ursdchlichen Tatbeitrag leistet.'^'. Beispiel 10/31 2. Verkaufsbuden-YdM'}^'^ P war unter Mitfuhrung einer Handfeuerwaffe in eine Verkaufsbude eingebrochen, hatte eine groiiere Menge Lebensmittel entwendet und diese in die Wohnung des Angeklagten N gebracht. Er weckte den Angeklagten, teilte ihm den Diebstahl mit und bemerkte, dass in der Verkaufsbude noch weitere Ware lagere. Die Pistole wolle er zu Hause lassen, weil sich in der Verkaufsbude niemand befinde und offenbar auch keine Alarmanlage vorhanden sei. Daraufhin begaben sich P und der Angeklagte N an den Tatort und entwendeten dort gemeinsam groiiere Mengen Lebensmittel. Zu Hause wurde die Gesamtbeute, also auch der von P allein herbeigeschaffte Teil, zwischen beiden geteilt. Naher § 9/87 ff. AT §63 IV 2. Vgl. BGH 2 StR 664/97 NStZ 1998, 565 mit Bespr. Geppert JK 1999 § 25 11/12. Der Fall ist dem Verkaufsbuden-YdXl BGH 3 StR 48/52 BGHSt 2, 344 nachgebildet und hinsichtlich der in Frage kommenden Tatbestande auf die heutige Rechtslage angepasst; zum 1. Verkaufsbuden-Fall naher Eser StK II Nr. 40.

B.IIL

Mittaterschaft

377

Die Problematik des geschilderten Sachverhalts liegt in der Frage, ob dem Angeklagten N durch das bewusste und gewoUte Zusammenwirken mit P beim erneuten Aufsuchen der Verkaufsbude und dem Teilen der insgesamt erbeuteten Waren auch das Mitfuhren der Handfeuerwaffe des P beim ersten Aufsuchen der Verkaufsbude zugerechnet werden kann. In diesem Falle ware N wegen eines gemeinschaftlichen Diebstahls mit Waffen, §§ 244 I Nr. 1 a, 25 II strafbar, anderenfalls nur wegen eines gemeinschaftlichen Diebstahls nach §§ 242, 25 11.^^' Bei der Zurechnung von Tatbestandsverwirklichungen, die vor Eintritt des sukzessiven Mittaters liegen, wird foigendermaBen unterschieden: „Wenn jemand in Kenntnis und Billigung des bisher Geschehenen als Mittater eintritt, so bezieht sich sein Einverstandnis auf einen verbrecherischen Gesamtplan und das Einverstandnis hat die Kraft, dass ihm auch das einheitliche Verbrechen als solches strafrechtHch zugerechnet wird. Nur flir das, was schon voUstandig abgeschlossen voriiegt, vermag das Einverstandnis trotz Kenntnis, BilHgung oder Ausnutzung der durch den anderen Mittater geschafFenen Lage die strafbare VerantwortUchkeit nicht zu begriinden. Besteht der Gesamtplan aus mehreren selbstandigen, zeitlich aufeinanderfolgenden Straftaten und tritt der Mittater erst nach vollstandigen Abschluss der ersten dieser strafbaren Handlungen ein, so wird also hierfur keine strafrechtliche Haftung durch das Einverstandnis herbeigefiihrt."^^^ Dieser Rechtsprechung ist zumindest insoweit zuzustimmen, als eine sukzessive Mittaterschaft nach der materiellen Beendigung einer Straftat nicht mehr moglich ist. ^^^

96 97

Im 2. Verkaufsbuden-Fall kam es somit darauf an, ob der P, als er mit dem Angeklagten beschloss, die Verkaufsbude erneut aufzusuchen und nochmals Lebensmittel zu stehlen, einen neuen Entschluss gefasst hatte, oder ob er die Absicht hatte, die Entwendung in Teilhandlungen durchzufuhren. Im ersten Fall lage eine vollstandig abgeschlossene Tat vor, was eine Zurechnung des Mitfuhrens der Schusswaffe dem Angeklagten N gegenuber abschnitte. Im zweiten Fall wtirde N im Rahmen eines einheitlichen Diebstahls mit Schusswaffen der qualifizierende Umstand zugerechnet und er ware wegen eines mittaterschaftlichen Diebstahls mit Schusswaffen strafbar. In der Literatur wird eine sukzessive Mittaterschaft mit guten Griinden tiberwiegend hingegen nur bis zum Zeitpunkt der Vollendung fiir zulassig gehalten.^^^ Und selbst dann wird die Moglichkeit sukzessiver Mittaterschaft insoweit enger gezogen, als dem spater Hinzutretenden bereits vorgenommene Gewalttatigkeiten - insbesondere Wegnahme mit Gewalt gegen die Person beim Raub - nicht zugerechnet werden. Stattdessen wird Beihilfe angenommen. ^^"^ Auch nach dem tatbestandsbezogenen Beendigungsbegriff kommt eine sukzessive

133 134

Wobei das Problem der Anwendbarkeit von § 243 I Nr. 1 auch auf N ausgeklammert sei. Da die h.M. die Strafzumessungsmerkmale in § 243 wie Tatbestandsmerkmale behandelt, dtirfte sich auch insoweit die Frage einer Zurechnung jener Strafzumessungskriterien mittels sukzessiver Mittaterschaft stellen; vgl. hierzu Eser in: Schonke/Schroder § 243 RN 47. BGHSt 2, 344/346; vgl. auch BGH 2 StR 620/96 NStZ 1997, 336. Vgl. Roxin AT 2 § 25/223 Vgl. Roxin AT 2 § 25/220 f Vgl. Baumann/Weber/Mitsch AT § 29/107 mwN; zur Unvereinbarkeit einer sukzessiven Beteiligung mit dem osterreichischen Einheitstatersystem Schmoller Sukzessive Beteiligung und Einheitstaterschaft, Gedachtnisschrift flir Zipf, S. 295 ff.

97a

378

§ lO.B. Formen der Taterschaft

Beteiligung nur dann in Betracht, tatbestandsmaBig gehandelt wird.^^^

wenn

auch

nach

der

Vollendung

d) Keine fahrldssige Erfolgsherbeifuhrung in Mittdterschaft Beispiel 10/31a:^^^ Zwei jugendliche Bergsteiger A und B vertreiben sich die Zeit damit, schwere Felsbrocken einen Steilhang hinunter zu werfen, ohne sehen zu konnen, wo die Steine auftreffen. Einer der Brocken trifft den X todlich. Es lasst sich nicht feststellen, wer den todlichen Stein geworfen hat. Var. a.: A und B haben sich durch gegenseitiges Anspornenbeim Spiel beeinflusst. Var. b.: A und B haben unabhangig voneinander gehandelt

97b

Die Strafbarkeit von A und B in Var, a wird zum Teil damit begriindet, dass A und B bewusst und gewoUt, d.h. als Mittdter gehandelt hatten. Der Erfolg sei deshalb beiden zuzurechnen, ohne dass die Einzelkausalitat nachgewiesen werden 137

musse. Dem wird zunachst zu Recht entgegnet, dass im Rahmen eines restriktiven TaterbegrifFs § 25 II die einzige Grundlage fur eine Mittaterschaft bildet. Jedoch lasse § 25 II die Konstruktion einer solchen Zurechnung im Bereich der Fahrlassigkeit selbst bei weitester Ausschopfung des noch moglichen Wortsinns nicht zu.^^^ AuBerdem setzten alle Beteiligungsformen subjektiv Vorsatz voraus. ^^^ Beide Positionen iiberzeugen nur zum Teil. Richtig ist zwar, dass in Var, a das nicht tatbestandsbezogene^"^^ bewusste und gewoUte Zusammenwirken die Verbindung bildete, mittels derer beiden „B^teiligten" der Erfolg zugerechnet werden konnte. Auch kann diese Zurechnung in der Tat nicht iiber die vorsatzbezogenen Beteiligungsformen der §§ 25 fif. erfolgen. Dennoch muss dies eine Zurechnung im Rahmen der Fahrlassigkeit aber nicht ausschlieBen. Denn hier ist die Vorhersehbarkeit (und Vermeidbarkeit) als Zurechnungselement anerkannt: Ftir A wie fur B ist es in Var. a vorhersehbar, dass ihr Wetteifern im Steine Werfen zur Schadigung Dritter fiihren kann, unabhangig davon, wessen Stein gerade trifft. Beide konnten die Gefahr dadurch bannen, dass sie ihr ^SpieF' beenden. Beide sind daher Tater einer fahrlassigen Totung.^"^^ Das Wetteifern begriindet als .faktische" Mittaterschaft auCerhalb der TatbestandsmaBigkeit folglich rechtlich die Vorhersehbarkeit im Rahmen der Fahrlassigkeit. Die Konstruktion einer „fahrlassigen Mittaterschaft" ist somit im Rahmen der Vgl, oben § 9/9a. ^2iQ\iRenzikowski, Fahrlassige Beteiligung, S. 1. Vgl. SY^-Hoyer § 25 RN 154; Lesch JA 2000, 73, 78; St. Pfeiffer Jura 2004, 519 ff.; Renzikowski Fahrlassige Beteiligung, S. 288 ff., MK-Joecks § 25 RN 240; nach Kamm, Simone Die fahrlassige Mittaterschaft, 1999, soil indessen erforderlich sein, dass der Erfolg nur durch das Zusammenwirken der Mittater verwirklicht werden konnte. tFberzeugend Bottke GA 2001, 463 ff. Vgl. Bringewat, Peter Grundbegriffe des Strafrechts, 2003, RN 714. Zum auJiertatbestandlichen Handlungssinn der mittaterschaftlichen Komponente bei der fahrlassigen Erfolgsherbeifiihmng Bloy Besprechung Simone Kamm GA 2000, 392/394 f Vgl. mohRoxin AT 2 § 25/240 f

B.m.

Mittaterschaft

379

Fahrlassigkeitsdogmatik weder zulassig noch erforderlich - auch nicht zur Begriindung einer Kausalitat - und deshalb abzulehnen.^"^^ In Var. b fehlt die „faktische Verbindung" von A und B. In dubio pro reo konnte weder A noch B wegen fahrlassiger Totung bestraft werden. 4.

Aufbauschema zur Mittaterschaft

Die Vorschlage zum Priifungsablauf bei Mittaterschaft sind nicht einheitlich. Teilweise wird der Priifiing der gemeinsame Tatentschluss vorangestellt/"^^ teilweise wird empfohlen, die Mittaterschaft im Bereich des objektiven Tatbestandes zu priifen, sobald sich herausstellt, dass einer der Beteiligten zwar Tater ist, aber nicht alle Tatbestandsmerkmale selbst verwirklicht/'^'^ ZweckmaBigerweise wird man den Aufbau danach ausrichten mtissen, wie sich das bewusste und gewollte Zusammenwirken nach auCen hin darstellt. Dabei lassen sich drei Fallgruppen unterscheiden: L Fallgruppe: Gemeinschaftliche Ausfiihrung der Tathandlung

98

99

Beispiel 10/32: Wie besprochen begeben sich die BeteiUgten gemeinsam zum Tatort und verpriigeln dort ihr Opfer.

Hier empfiehlt sich zunachst eine Erorterung des Entschlusses zum bewussten und gewoUten Zusammenwirken mit anschlieBender gemeinsamer Priifijng der Tatbeteiligten bezuglich TatbestandsmaBigkeit, Rechtswidrigkeit und Schuldhaftigkeit ihrer Handlungen. 2. Fallgruppe: Bei alien Beteiligten ist nur eine anteilige Verwirklichung der tatbestandsmaBigen Handlung gegeben. Beispiel 10/33: Beim Raub (§ 249 = Wegnahme einer freniden bewegHchen Sache mit Gewalt gegen die Person in Zueignungsabsicht) hah einer der BeteiUgten das Opfer absprachegemaB fest (Gewalt), der andere nimmt ihm die Beute weg (Wegnahme).

Hier ist es zweckmaBiger, die Strafbarkeit der Beteiligten getrennt zu priifen. Die Prufiing beginnt mit dem Tatnaheren, d.h. mit dem Beteiligten, der den Tatbestand selbst am liickenlosesten verwirklicht: a. Feststellung, dass der objektive Tatbestand nicht voUstandig vom gepriiften Beteiligten selbst erfiillt wird

142 143 144

Vgl. mchMitsch JuS 2001, 110 links. Vgl. Haft, Fn7/o/Strafrecht Allgemeiner Teil, 8. Aufl. 1998, 8. Teil § 3 3 b. Vgl. Wessels/Beulke AT RN 882.

100

380

§ 10.C. Teilnahme

b. Priifung, ob die Tatbeitrage des/der weiteren Beteiligten dem gepriiften Beteiligten aufgrund Mittaterschaft zugerechnet werden konnen, d.h. aufgrund eines - gemeinschaftlichen Tatentschlusses, sowie einer - gemeinschaftlichen Tatherrschaft c. Priifung, ob der gepriifte Beteiligte alle sonstigen Voraussetzungen fiir eine Taterschaft erfiillt. Falls die unter a-c genannten Voraussetzungen vorliegen, ist Mittaterschaft gegeben, und die Tatbeitrage der Mittater konnen dem gepriiften Beteiligten zugerechnet werden.

101

5. Fallgruppe: Mitwirkung von Beteiligten, die den Tatbestand selbst oder durch einen anderen verwirklichen und solchen, die ihn nur teilweise selbst oder durch einen anderen verwirklichen Zunachst erfolgt die Priifung derjenigen Beteiligten, die die Tatbestandsmerkmale selbst oder durch einen anderen verwirklichen. Dann werden die iibrigen Beteiligten wie in der 2. Fall-Gruppe unter a - c beschrieben, gepriift.

C. Teilnahme

102 103

I.

Strafgrund der Teilnahme

1.

Die akzessorietats-orientierte Verursachung fremden Unrechts

Die Teilnahme ist straft)ar, weil der TQ\\viQ\m\Qr fremdes Unrecht verursacht^^"^^ indem er einen Tatentschluss weckt (Anstiftung) oder die fremde Tat mittels Rat oder Tat unterstiitzt (Beihilfe). Im Rahmen eines restriktiven Taterbegriffs, der primar selbst verwirklichtes tatbestandliches Unrecht zurechnet, sind die Vorschriften iiber die strafbare Teilnahme Strafausdehnungsgriinde. Denn nicht jede Verursachung fremden Unrechts ist straft)ar, sondern nur die den §§ 26ft*,entsprechende. Da die Strafbarkeit der Teilnahme auBerdem davon abhangt, dass eine Haupttat begangen worden ist, bildet den Strafgrund der Teilnahme eine eingeschrankte, akzessorietats-orientierte Verursachung fremden Unrechts; (nur) akzessorietats-one^rier^ (und nicht streng akzessorisch) deshalb, weil die Abhangigkeit der Teilnahme durch die §§ 28, 29 in spezifischer Weise durchbrochen wird.^"^^

^^^ Naher zu den Verursachungstheorien Luderssen, 1967, S. 61 If.; krit. auch Stein Beteiligungsformenlehre, S. 100 ff. ^^^ Naher hierzu Lackner/Kuhl RN 8 vor § 25 mwN.

CI.

Strafgrund der Teilnahme

3 81

Nach der von Luderssen^^^ vertretenen „reinen Verursachungstheorie" ist es nicht die VerursachungyremJew Unrechts, die den Strafgrund der Teilnahme ausmacht, sondern das vom Teilnehmer selbst verwirklichte. Danach liegt der Strafgrund der Teilnahme unbeschadet der Akzessorietatsvorschriften in den §§ 26 ff. im eigenen Unrecht des Teilnehmers. Die Straffreiheit der „Teilnahme" am Suizid lielie sich dann nicht damit begriinden, dass der Suizid nicht straftatbestandlich vertypt isx}^^ Vielmehr ware der „Gehilfe" des Suizidenten Tater eines Totschlages und damit einer Fremdtotung, die mit Hilfe des Suizidenten ausgefiihrt wird.^"*^ Dem ist im Fall der „Teilnahme" am Suizid insoweit zuzustimmen, als der Suizid als nicht strafrechtlich vertyptes Verhalten keine straflose „Haupttat", sondern schlicht ein strafrechtliches nullum darstellt. Was als Haupttat nicht existiert, kann aber auch die Straffreiheit der „Teilnahme" nicht begriinden. Weil es keinen taterschaftlichen Suizid gibt, gibt es auch keine Teilnahme am Suizid. Die Verursachung des Todes eines Menschen durch diesen selbst ware somit eine (mittelbare) Fremdtotung mit Hilfe eines tatbestandslos handelnden Werkzeugs, tatbestandlich ein Totschlag i. S. v. § 212. Dass die h.M. die „Teilnahme" am Suizid straffrei lasst/^^ ist im Ergebnis aber dennoch sachgerecht. Denn die Mitwirkung am Suizid ist nicht straflos, weil sie „Teilnahme" an einem nichtbestehenden Tatbestand ware. Vielmehr beruht die Straffreiheit der Verursachung des Todes des Suizidenten durch den Mitwirkenden auf einer restriktiven Interpretation des § 212. Mittels eines argumentum a fortiori^ ^^ wird geschlossen, dass die Nichtvertypung der Selbsttotung auch die Straffreiheit einer Mitwirkung hieran einschlieiien mtisse.^^^ Mag die Verursachungstheorie im Falle des tatbestandslosen Suizids von der Konstruktion her uberzeugen, gerat sie mit dem Gesetz in Konflikt, sobald dort die §§ 25 fF. begrenzend wirken. Uber die Suizid-Problematik hinaus weist Luderssen jedoch auf einen wichtigen Aspekt des Unrechts der Teilnahme hin:^^^ Das durch den Teilnehmer hervorgerufene Unrecht beim Haupttater ist auch Unrecht des Teilnehmers. Als ein solches Unrecht muss es dem Unrecht des Haupttaters entsprechen. Der Strafgrund der Teilnahme liegt somit darin, dass der Teilnehmer eigenes^ dem Unrecht der Haupttat entsprechendes Unrecht, verwirklicht.^^"^ Aus diesem Grunde kann sich auch derjenige nicht strafbar machen, der einen Dritten i. S. v. § 216 bittet, ihn selbst umzubringen. Beispiel 10/34: A bittet B, ihn zu erschieiien. B will A die Bitte erfiillen, schieBt aber versehentlich vorbei. A macht sich nicht wegen Anstiftung zu einer im Versuch steckengebliebenen Totung auf Verlangen (§§ 216, 22, 26) strafbar, weil A nicht ein der Tat des B entsprechendes Unrecht verwirklicht, sondern im Unterschied zu B eine nichtvertypte Selbsttotung begehen wtirde.

149 150 151 152 153

Zum Strafgrund der Teilnahme, 1967; ders. FS fiir Miyazawa, S. 449 ff., 459; krit. MaurachlGossel AT 2 § 47/21 sowie Roxin FS fiir Stree/Wessels, S. 365 ff. und AT 2 § 26/12 ff. Vgl. Schmidhauser Selbstmord und Beteiligung am Selbstmord in strafrechtlicher Sicht, FS fiir Welzel, 1974, S. 801 ff./819; BringewatZStW 87 (1975), 623 ff. Vgl. Luderssen Strafgrund der Teilnahme, S. 168, 214 f Vgl. Eser in: Schonke/Schroder RN 35 vor § 211 mwN. Vgl. oben § 2/59. Naher Gropp Sonderbeteiligung, S. 172 ff., 176 ff. Vgl. Luderssen Strafgrund der Teilnahme, S. 25 f, 168. Vgl. auch die Formel vom akzessorischen Rechtsgutsangriff, LK-Roxin RN 7 vor § 26; sowie ders. Zu den Unrechtsminimalia der Teilnahme, FS fiir Stree/Wessels S. 370ff.; Schumann Selbstverantwortung, S. 58, 60 legt das Schwergewicht insoweit auf die Solidarisierung mit dem Haupttater, krit. hierzu Niedermair ZStW 107 (1995), 507/512 f

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382

2. 107

§ lO.C. Teilnahme

Die Verursachung fremder Schuld: kein Strafgrund der Teilnahme

Strafgrund der Teilnahme ist nicht die Verursachung fremder Schuld i.S. der sog. 155 Korrumpierungstheorie. Beispiel 10/35: Wenn A den schuldunfahigen B zum Diebstahl anstiflet, ist A dennoch strafbar, well die Tat des B eine vorsatzliche und rechtswidrige Tat i.S. von § 26 darstellt. Die Limitierung der Akzessorietat durch Bntbindung der Haupttat vom Erfordernis der Schuldhaftigkeit erfolgte 1943 (Einfuhrung von § 50 I a. F. = § 29 n. F. durch Verordnung vom 29. 5. 1943 RGBl. I S. 341.) und entschied den Streit um den Strafgrund der Teilnahme im Sinne einer Unrechtsteilnahme. 11. Akzessorietat der Teilnahme (§§ 26 - 29) 1.

Die Limitierung der Akzessorietat

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Die soeben erwahnte Limitierung der Akzessorietat von 1943 kommt in den §§26 und 27 als Erfordernis einer vorsatzlichen Haupttat und als Verzicht auf die Schuldhaftigkeit der Haupttat zum Ausdruck. Der Verzicht auf das Schuldhaftigkeitserfordernis beruht auf dem Gedanken, der heute § 29 zu entnehmen ist: „Jeder Beteiligte wird ohne Riicksicht auf die Schuld des anderen nach seiner Schuld bestraft."

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Im Unterschied zur limitierten Akzessorietat ware auch eine Abhangigkeit von der Strafbarkeit der Haupttat oder von einer schuldhaft begangen Haupttat denkbar. Im ersten Fall wiirde der Rticktritt des Haupttaters dem Teilnehmer zugute kommen, im zweiten Fall bliebe der Teilnehmer bei fehlender Schuldhaftigkeit der Tat des Haupttaters straffrei. Dass der Gesetzgeber Abhangigkeiten dieser Art gerade nicht schaffen woUte, liegt daran, dass der Teilnehmer nicht aus einer Straffreiheit Vorteile Ziehen soil, die in der Person des Haupttaters begnindet ist und mit dem Teilnehmer nichts zu tun hat.

110

Die in §§ 26, 27 gewahlte Limitierung der Akzessorietat flihrt zwar zu Liicken, wenn dem in eigener Person Handelnden nur Fahrlassigkeit zur Last faUt und der Mitwirkende nicht Tater sein kann, well es sich z. B. um ein eigenhandiges Delikt handelt. Diese Lticken werden jedoch im Sinne einer fragmentarischen Natur des Strafrechts als „Preis der Freiheit" in Kauf genommen. 2.

111

Die Beriicksichtigung „besonderer personlicher Merkmale'' (§ 28)^^^

Um jeden Beteihgten nach seiner Schuld zu bestrafen und so der unterschiedlichen PersonHchkeit des jeweiligen Beteiligten gerecht zu werden, schreibt § 28 die Beriicksichtigung besondererpersonlicher (tdterbezogene/^^) Merkmale vor.

155 156

1^2ihQX Jescheck/Weigend Pil § 64 I 1. Vgl. auch Hake Beteiligtenstrafbarkeit und „besondere personliche Merkmale", dazu Mitsch ZStW 110 (1998), 187 ff.; Hirsch FS fur Schreiber, S. 153 ff; zu § 28 I in der praktischen Fallbearbeitung instruktiv Seier JuS 2000, Lernbogen L 85 ff. sowie zur Teilnahme an Mord und Totschlag Englander JA 2004, 410 ff. Nahere Beispiele zur Tat-/Taterbezogenheit bei SK-Rudolphi § 28 RN 20 f; zu den Merkmalen in § 28 I als „Sonderpflichtmerkmalen" naher Otto Jura 2004, 469/472 f

C.II. Akzessorietat der Teilnahme

383

Trotz des Verweises in § 28 I auf § 14 I ist die Bedeutung dieser Merkmale in § 28 und § 14 unterschiedlich.^^^ § 14 bezieht sich auf einen besonderen Status des Vertretenen, der auf den Vertreter projiziert wird.^^^ § 28 bezieht sich hingegen auf Merkmale von hochstpersonUchem Charakter^^^ und greift daher nur bei tdterbezogenen Merkmalen ein. Strafbegrtindend sind z.B. die Tatereigenschaften bei den echten SonderdeUkten wie die Soldateneigenschaft bei militarischen Straftaten oder die Amtstragerschaft, aber auch das Treueverhaltnis in § 266 L Strafscharfend wirken die Amtstragerschaft bei den unechten AmtsdeUkten/^^ die gewohnheitsmaBige oder die bandenmaBige Begehung, strafmildernd die Motivierung durch das ernstUche Verlangen in § 216.^^^

112

Als besondere personliche taterbezogene Merkmale waren hier insbesondere auch die Mordmerkmale der ersten und dritten Gruppe in § 211 zu nennen/^^ Nicht hierher gehoren die Garantenpflichten, weil sich aus ihnen eine Handlungspflicht ergibt, welche der allgemeinen Unterlassungspflicht beim Begehungsdelikt entspricht, die sich jedoch an alle richtet und von der Personlichkeit des Taters unabhangig ist. Auch die die Handlungspflicht begriindende Garantenstellung ist personlichkeitsunabhangig/^"*

§ 28 ist deshalb nicht ganz leicht zu verstehen, weil er trotz des sehr ahnUch kUngenden Wortlauts in Abs. 1 und Abs. 2 volUg verschiedene Voraussetzungen und Rechtsfolgen aufweist.^^^ Abs. 1 bezieht sich auf besondere personUche taterbezogene Merkmale, welche die Strafbarkeit des Taters begrunden und ist nur anwendbar, falls diese besonderen personlichen Merkmale fehlen. Abs. 2 hingegen hat besondere personHche taterbezogene Merkmale zum Gegenstand, welche die Strafe schdrfen, mildern oder ausschliefien. § 28 Iwahrt die Akzessorietdt der Teilnahme: Fehlen die besonderen personlichen taterbezogenen strafbarkeitsbegriindenden Merkmale beim Teilnehmer, so ist dieser dennoch wegen Teilnahme an der Tat des Haupttaters strafbar, wenn er die besonderen personHchen taterbezogenen Merkmale des Haupttaters zur Tatzeit nicht selbst erfiillte, ihr Vorhandensein aber kannte. Allerdings ist seine Strafe nach Versuchsgrundsatzen zu mildern. § 28 II durchbricht hingegen die Akzessorietdt und sieht eine Strafbarkeit entsprechend dem Voriiegen scharfender, mildernder oder strafausschlieBender besonderer personlicher Merkmale bei dem Beteiligten vor, der sie erfUUt. Die Handhabung von § 28 wird dadurch erschwert, dass bei manchen besonderen personlichen taterbezogenen Merkmalen umstritten ist, ob sie die Strafbarkeit des Taters begrunden (§ 28 I) bzw. scharfen, mildern oder ausschlieBen 159 160

162 163

Vgl. Joecks StK § 14/4 ff.; Y^-Marxen § 14 RN 24 mwN; and. noch hier die 1. Aufl. lar. Selbstverstandlich tragt auch die individuelle Erkennbarkeit normativen Charakter, weil sie von dem ausgeht, was der individuelle Tater unter den konkreten Umstanden kann. Niemand ist gezwungen, fur ihn/sie uberdurchschnittliche Anstrengungen zu unternehmen, um zu erkennen. Deshalb ist das Argument, dass ein objektiver Malistab erforderlich sei, um festzulegen, in welchem Umfang sich der Tater um die Erlangung nicht vorhandener Kenntnisse bemtihen mtisse, kein stichhaltiger Einwand gegen die rein individuelle Erkennbarkeit.^*^ Wer angesichts der Umstande und seiner Fahigkeiten nur aus Nachlassigkeit nicht erkennt, der kann erkennen. Ftir ihn liegt ¥xkQrmharkeit vor. Schon der Begriff der Erkennbarkeit zeigt den normativen Charakter - im Unterschied zum Wissen beim Vorsatz.

Kann der Tater vorhersehen, so trifft ihn die Pflicht, jene Verwirklichung zu vermeiden. Diese Pflicht ist freihch nichts anderes, als die hinter jedem Begehungsdelikt stehende Pflicht, die Verwirklichung des Tatbestandes zu unterlassen. Fiir die Beurteilung der Erkennbarkeit und Vermeidbarkeit nach individuellen Kriterien sprechen im iibrigen vor allem folgende Argumente: - Weil es MaBstabe fiir die Strafbarkeit fahrlassigen Handelns zu formulieren gilt, ist die Orientierung an dem auf die Sicherheit des Geschdftsverkehrs ausgerichteten MaBstab in § 276 BGB nicht zwingend.^^ Gleiches gilt fiir den an der Optimierung des StraBenverkehrs ausgerichteten FahrlassigkeitsmaBstab in § 7 II StVG. - Es gibt keine Tat ohne Tater. Damit gibt es auch keine tatbestandsmaBige Unwertverwirklichung, die nicht an einen Tater gebunden ist. Jede tatbestandsmaBige Unwertverwirklichung ist damit individuelle Unwertverwirklichung.^^ - Ob Vorsatz gegeben ist, hangt davon ab, ob der Tater wissentlich und willenthch handelt. Zwar ist das Opfer des vollendeten Totungsdelikts auch dann tot, wenn der Tater unvorsatzlich gehandelt hat. Die Errungenschafl der Abkehr vom reinen Erfolgsstrafrecht liegt aber gerade darin, dass der Tater dennoch nicht wie ein vorsatzlich Handelnder bestrafl wird. Aber auch die Vorhersehbarkeit ist die Vorhersehbarkeit des Taters und hangt davon ab, ob dieser Tater zumindest hatte vorhersehen konnen. Sie kann schon bei der Begriindung einer personalen Unwertverwirklichung nicht einfach untersteht NaheruntenRN88flf. So aber Kindhauser LPK-StGB § 15 RN 60 f Vgl./f. Mayer ATS. 130 f Vgl. Jakobs AT 9/8 zur Individualitat des Handlungsbegriffs.

83

466

§ 12. Fahrlassigkeit

werden, falls sie fehlt. Deshalb tiberzeugt die Bemerkung von Jakobs^^^ dass die Annahme einer objektiven Vorhersehbarkeit ebenso unrichtig ist wie die eines objektiven Vorsatzes. - Die objektive Vorhersehbarkeit geht bereits in der objektiven Zurechnung auf. Denn was objektiv nicht vorhersehbar ist, kann auch nicht objektiv zugerechnet werden. 84

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Roxir^^ weist zutrefFend darauf hin, dass die Unterschiede zwischen einem individuellen und einem objektiven Fahrlassigkeitsbegriff im Ergebnis geringer ausfallen, als man dies erwarten mag. Denn auch nach der objektiven Lehre gelten fiir SpeziaUsten besondere Mafistabsfiguren. Da auch nach der objektiven Lehre somit Sonderwissen und Sonderfahigkeiten eingesetzt werden mtissen, fmdet eine taterbezogene Steigerung der Anforderungen bereits statt.^^ Der Unterschied zwischen dem objektiven und dem individuellen Fahrlassigkeitsbegriff besteht somit nur noch darin, dass nach dem individuellen Fahrlassigkeitsbegriff unterdurchschnittliche Fahigkeiten den personalen Handlungsunwert mindern oder ausschlieBen: Wer aufgrund unterdurchschnittlicher Fahigkeiten nicht vorhersehen kann, verwirklicht schon nicht den Unwert des Fahrlassigkeitsdelikts. Das Abstellen auf einen generellen Mafistab wird damit begriindet, dass gegenuber der Rechtsgemeinschafl die Frage des Unrechts nicht davon abhangen konne, wozu der Tater des Fahrlassigkeitsdelikts fahig ist oder nicht. Hier mtisse das Unrecht vielmehr nach bestimmten Standards festgelegt sein.^^ Diese Meinung verkennt indessen, dass es im Strafrecht immer um die Strafbarkeit eines Taters geht. Wir empfinden es als selbstverstandlich, dass der Tater eines Vorsatzdeliktes, der hinsichtlich der TatbestandserfuUung nicht mit Wissen und Wollen handelt, auch nicht aus dem Vorsatzdelikt bestraft werden kann, dass insoweit also ein deliktstypischer Unwert, ein strafbares Unrecht fehh. Es ist daher nur konsequent, dass auch ein strafbarer Unwert des Fahrlassigkeitsdelikts nur dann verwirklicht ist, wenn es fiir den Tater nach seinen Fahigkeiten vorhersehbar gewesen ist, dass aufgrund seines Verhaltens der Tatbestand eines Fahrlassigkeitsdelikts erflillt werden kann. Beispiel 12/20: Der unerkannt an morbus Alzheimer erkrankte Witwer A holt am Ostersonntag seinen alten gepflegten Opel „Kapitan" aus der Garage und fahrt zum Gottesdienst. Am ersten Zebrastreifen ist es fiir ihn aufgrund seiner Krankheit nicht vorhersehbar, dass ein herannahender FuBganger den Zebrastreifen benutzen will. Er setzt deshalb seine Fahrt mit unverminderter Geschwindigkeit fort. Am Zebrastreifen erfasst er den

Jakobs AT 9/12; vgl. auch WL-Duttge § 15 RN 92, 94 zur „kategorialen Parallelitat der Fahrlassigkeit zum Vorsatz". AT 1 § 24/49. Jene Annaherung lasst sich im tibrigen auch dadurch erzielen, dass man seitens der objektiven Fahrlassigkeitslehre das Raster der „besonnenen und gewissenhaften Menschen in einer konkreten Situation" immer differenzierter gestaltet. Denn dann fmdet sich der Trager des Sonderwissens und der Sonderfahigkeit plotzlich innerhalb einer besonders befahigten Gruppe, deren Anforderungen er wiederum als „Durchschnittsangehoriger" erfiillen muss. Wenn man diesen Weg weitergeht, gibt es letztendlich tiberhaupt keine Sonderfahigkeiten mehr; zum „individuellen Leistungsoptimum" auch Heine, Gunter Die strafrechtliche Verantwortlichkeit von Unternehmen, 1995, S. 139 f Vgl. Bockelmann/Volk AT B I 4 b dd; Jescheck/Weigend AT § 54 I 3; LK-Schroeder § 16 RN 147 ff.

A. Der tatbestandliche Unwert des Fahrlassigkeitsdelikts

467

FuBganger F und verletzt ihn schwer. Selbstverstandlich greift in diesem Fall die zivilrechtliche Gefahrdungshaftung nach § 7 I StVG ein. Ftir eine Strafbarkeit nach § 229 fehlt aber nicht erst die Schuldhaftigkeit der Handlung, sondern bereits das personale Fahrlassigkeitsunrecht in Form der individuellen Vorhersehbarkeit.

Es ist somit jener Meinung zuzustimmen, welche das Fahrlassigkeitsunrecht individuell bestimmt. Individuelle Fahigkeiten und individuelles Wissen mtissen eingesetzt werden, individuelle Defizite lassen die Zurechnung und damit die TatbestandsmaBigkeit entfallen. Dass das Verhalten deshalb insgesamt auch rechtmdfiig wird, ist damit nicht gesagt.^^ Denn wie in § 6 erortert, bedeutet Ausschluss der TatbestandsmaBigkeit nicht zugleich Ausschluss der Rechtswidrigkeit.^^ Und schlieBlich stellt es auch keinen Widerspruch dar, ein Verhalten zwar nicht als tatbestandsmaBig im strafrechtlichen Sinne einzuordnen, dies aber im Bereich des Zivilrechts in Rticksicht auf die Gewahrung von Qualitatsstandards zu tun. Auch Einwande im Hinblick auf eine Unanwendbarkeit von MaBregeln der Besserung und Sicherung nach §§ 63 flf. und § 323a^^ schlagen letztlich nicht durch. Was die MaBregeln anbelangt, hat Stratenwerth dargelegt, dass sie - wegen des ausschlieBlichen Bezugs auf die Schuldfahigkeit - auch im Rahmen des objektiven Fahrlassigkeitsbegriflfs in Fallen individueller Unfahigkeit nicht eingreifen. ^^^ AuBerdem bedarf es in den meisten Fallen auch deshalb nicht des Rtickgriffs auf das Strafrecht, weil bereits die verwaltungsrechtliche Gefahrenabwehr eingreift. So konnte A im Beispiel 12/20 die Fahrerlaubnis mangels einer rechtswidrigen Tat zwar nicht auf strafrechtlicher Grundlage (§ 69 I) entzogen werden, wohl aber nach Verwaltungsrecht (§ 3 StraBenverkehrsgesetz) wegen Ungeeignetheit zum Ftihren von Kraftfahrzeugen. Im Bereich der vorsatzlichen Rauschtat verlangt § 323 a nach h.M. ein entsprechendes individuelles cognitives und voluntatives Element des rauschbedingt schuldunfahigen Taters.^^^ Es ist daher nur konsequent, im Bereich der Fahrlassigkeit eine individuelle Vorhersehbarkeit und Vermeidbarkeit des Erfolgs trotz Schuldunfahigkeit fiir eine Strafbarkeit nach § 323 a zu verlangen. Diesbeziigliche Strafbarkeitsliicken, die sich in der Praxis freilich auBerst selten zeigen diirften sind nicht auf Kosten des individuellen Fahrlassigkeitsbegriflfs zu schlieBen, sondern durch eine angemessene Interpretation des § 323 a^^^ sowie durch MaBnahmen auBerhalb des strafrechtlichen Bereichs.

Naher Weigend¥'S> fur Gossel, S. 142 f. Vgl. § 6/7, 17 sowie Stratenwerth FS ftr Jescheck, S. 293. Vgl. Hirsch ZStW 94 (1982), 272; Jescheck/Weigend AT § 54 I 3; Sternberg-Lieben in: Schonke/Schroder § 15 RN 142; Schunemann JA 1975, 515; Wolter FS fur Schaffstein, S. 265 Vgl. Stratenwerth FS fur Jescheck, S. 298. Vgl. Sternberg-Lieben in: Schonke/Schroder § 323 a RN 17. So Stratenwerth FS fiir Jescheck, S. 299.

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87a

468

§ 12. Fahrlassigkeit

IIL Der subjektive Tatbestand des Fahrlassigkeitsdelikts 88 89

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Wenn von einem personalen Fahrlassigkeitsunwert bzw. -unrecht die Rede ist, liegt die Frage nach einem subjektiven Tatbestand des Fahrlassigkeitsdelikts nahe. Der Erwahnung bedarf in diesem Zusammenhang der Vorschlag, bei bewusster Fahrlassigkeit hinsichtlich der gefahrbegriindenden Umstande einen subjektiven Tatbestand anzunehmen.^^^ Die Folge ware, dass immer dann, wenn sich der Tater der gefahrbegriindenden oder -steigernden Umstande nicht bewusst ist, der subjektive Tatbestand der bewussten Fahrlassigkeit entfiele. Weitergehend will Struensee^^^ alle Umstande, die dem Urteil iiber das Vorhandensein einer erhohten Gefahr zugrunde liegen, als Bezugspunkte eines subjektiven Tatbestandes auch bei unbewusster Fahrlassigkeit einordnen. Um rechtlich von Bedeutung zu sein, miissten die Bezugspunkte des subjektiven Fahrlassigkeitstatbestandes jedoch Teil des Tatbestandes sein oder doch zumindest Merkmale des Tatbestandes betrefFen. Denn auch beim Vorsatzdelikt muss sich das relevante Wissen und Wollen auf Tatumstdnde beziehen, die zum gesetzlichen Tatbestand gehoren (§16 I). Ubertragt man diese Uberlegungen auf das Fahrlassigkeitsdelikt, so kommen im Tatbestand des Fahrlassigkeitsdelikts Handlung und Kausalitat sowie die Elemente der Fahrlassigkeit - nach der h.M. die objektive Verletzung der Sorgfaltspflicht sowie die objektive Vorhersehbarkeit und Vermeidbarkeit des Erfolgs, nach der hier vertretenen Ansicht die individuell vorhersehbare und vermeidbare Schafiung einer erhohten Gefahr - in Frage. Da sich das Fahrlassigkeitsdelikt vom Vorsatzdehkt nun aber gerade dadurch unterscheidet, dass Wissen und Wollen beziiglich der Tatbestandsverwirklichung als solcher fehlen, konnen entsprechende Defizite nur die Elemente betreflfen, welche sich auf die Moglichkeit und Wahrscheinlichkeit der Tatbestandserfiillung, also auf die Gefdhrlichkeit der Handlung und damit auf die Vorhersehbarkeit und Vermeidbarkeit der Tatbestandserfiillung beziehen. Die Vertreter der h.M. miissten konsequenterweise fragen, ob der individuelle later die Tatsachen kannte oder kennen konnte, welche die Sorgfaltspflichtverletzung und die damit verbundene objektive Vorhersehbarkeit und Vermeidbarkeit der Verwirklichung des Tatbestandes begriinden. Dies ist aber nichts anderes als die individuelle Vorhersehbarkeit und die damit verbundene individuelle Vermeidbarkeit. Die individuelle Vorhersehbarkeit der Tatbestandsverwirklichung (z.B. Verletzung eines FuBgangers) setzt nach der hier vertretenen Ansicht somit die Kenntnis bzw. die individuelle Moglichkeit der Kenntnis jener Umstande voraus, welche der Gefahrerhohung zugrunde Uegen (cognitives Element), z.B. das Lenken eines PKW mit tiberhohter Geschwindigkeit. Die individuelle Vermeidbarkeit der Tatbestandsverwirklichung setzt neben der (potentiellen) Kenntnis der gefahrerhohenden Umstande die Moglichkeit voraus, die Gefahrerhohung zu ^^^ Vgl. Kohler AT S. 200; Roxin AT 1 § 24/66. ^^^ Struensee JZ 1987, 53 flf./60 mit krit. Anmerkung Herzberg JZ 1987, 536 ff. und Replik Struensee JZ 1987, 541 ff.; vgl. mchMitsch JuS 2001, 108 links; Renzikowski, Fahrlassige Beteiligung, S. 323.

B. Rechtswidrigkeit

469

beseitigen. Wer diese Moglichkeit nicht ergreifen kann (plotzlicher epileptischer Anfali), handelt nicht fahrlassig. Wer sie nicht ergreifen will^ findet sich zumindest mit der Gefahrerhohung ab (voluntatives Element) und handelt fahrlassig. Wer nicht einmal erkennen kann (und deshalb auch nicht vermeiden kann), handelt nicht fahrlassig. Nach der hier vertretenen Ansicht sind Vorhersehbarkeit und Vermeidbarkeit ohnehin auch individuell zu bestimmen. Individuelle Vorhersehbarkeit und Vermeidbarkeit bilden damit den subjektiven Tatbestand des Fahrlassigkeitsdelikts.^^'

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B. Rechtswidrigkeit I.

Fahrlassigkeitsunwert und Fahrlassigkeitsunrecht - Fahriassigkeitstatbestande als offene Tatbestande?

Beim vorsatzlichen BegehungsdeUkt hatten wir gesehen, dass die Tatbestande Sachverhalte beschreiben, welche einen tatbestandlich beschriebenen und damit strafrechtserheblichen Unwert verwirklichen. Ob die Verwirklichung dieses Unwertes auch Unrecht darstellt, hangt davon ab, ob Rechtfertigungsgriinde voriiegen. Ob jenes Verhaltnis von Unwert und Unrecht auch beim Fahrlassigkeitsdelikt gegeben ist, wird bezweifelt. Vor allem wird geltend gemacht, dass die Tatbestande der Fahrlassigkeitsdelikte deren Unwert gar nicht hinreichend beschreiben wlirden. Es handele sich vielmehr um offene Tatbestande, die erst noch durch die Konkretisierung verletzter Sorgfaltspflichten bzw. die Beschreibung der strafrechtsrelevanten Gefahr geschlossen werden miissten. Es sei die Bildung eines Deliktstypus, der fiir Rechtfertigungsgriinde Raum lasst, erschwert.^^^ Wie beim vorsatzlichen Erfolgsdelikt ist der Deliktstypus des fahrlassigen Erfolgsdelikts jedoch durch die folgenden Elemente abschlieBend festgelegt: - Handlung (als AuBerung der Nichtbeachtung der tatbestandlich geschtitzten Werte), - Erfolg, - Kausalitat, - Schaffung einer erhohten Gefahr, - objektive Zurechenbarkeit, - individuelle Vorhersehbarkeit und Vermeidbarkeit.

Vgl. zur Vorhersehbarkeit auch Kindhauser AT § 33/77 f.; Maurach/Gossel AT 2 § 43/7, 112; krit. zum Ganzen Hirsch FS fur Lampe, S. 524 ff. Vgl. Roxin AT 1 § 24/91; Schone Gedachtnisschrift ffir Hilde Kaufmann, S. 656 ff.; vgl. mohStruensee GA 1987, 97/105.

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Dass dem Tater die Verwirklichung des Tatbestandes u.U. objektiv nicht zugerechnet werden kann, andert an der abgeschlossenen Unwertbeschreibung des fahrlassigen Delikts nichts/^^ IL

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§ 12. Fahrlassigkeit

Rechtfertigungsgriinde

Bei der Behandlung von Rechtfertigungsgrunden bei FahrlassigkeitsdeUkten empfiehlt es sich, zwei Grundkonstellationen zu unterscheiden: Die vorsatzlose Verwirklichung des Tatbestandes in Unkenntnis der rechtfertigenden Situation (1.) und die ungewollte Auswirkung beim Handeln in Kenntnis der rechtfertigenden Situation (2). 1.

Unvorsatzliche Tatbestandsverwirklichung in Unkenntnis der Rechtfertigungslage am Beispiel der Notwehr Beispiel 12/21: Forster F sitzt gerade vor dem Forsthaus und putzt sein Gewehr. Entgegen der Dienstvorschrift hat er es beim Putzen nicht gesichert. Als er den Abzug reinigt, lost sich ein Schuss, welcher den A todlich triffl. F wusste nicht, dass jener A, der sich hinter einem Busch versteckt hatte, gerade auf F angelegt hatte, um ihn aus Eifersucht zu toten.

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Hatte F den A wissentUch und willentUch getotet, ohne zu bemerken, dass A gerade auf ihn selbst angelegt hatte, dann ware ein Irrtum in Form der Unkenntnis der tatsachHchen Voraussetzungen eines Rechtfertigungsgrundes gegeben. ^^^ Halt man - wie die h.M. beim Vorsatzdelikt - auch beim Fahrlassigkeitsdelikt einen konkreten Rechtfertigungswillen fur erforderlich, ^^^ dann mtisste F wegen fahrlassiger Totung bestraft werden. Halt man mit einer Mindermeinung beim Vorsatzdelikt ein subjektives Rechtfertigungselement hingegen fur nicht erforderlich^ ^^, dann mtisste dasselbe auch im Falle der Fahrlassigkeit gelten und F gerechtfertigt sein.

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Argumentiert man - wie beim Vorsatzdelikt - hingegen mit dem Zusammenspiel von Handlungs- und Erfolgsunrecht, dann lasst sich die Straffreiheit dessen, der unvorsatzlich einen gerechtfertigten Erfolg herbeifuhrt, mit Uberlegungen begriinden, die von Roxin aufgegriflfen worden sind:^^^ Liegen die tatsachlichen Voraussetzungen einer Notwehrlage vor, ist ein Erfolgsunrecht des Verhaltens nicht gegeben. Was bleibt, ware das „Handlungsunrecht" in Form eines Verhaltens, welches die AuBerung der Geringschatzung des tatbestandlich geschiitzten Wertes - hier: des Lebens Dritter - darstellt und den Eintritt eines Erfolges i.S.v. § 222 vorhersehbar und vermeidbar erscheinen lasst. Beim fahrlassigen Erfolgsdelikt liegt das Typische nun aber darin, dass die Strafbarkeit das Voriiegen des Handlungs- und des Erfolgsunrechtes voraussetzt. Liegt das Erfolgsunrecht nicht vor, entfallt eine notwendige Voraussetzung fur Vgl. auch Jakobs AT 9/12; Lenckner in: Schonke/Schroder RN 66 vor § 13. Vgl. hierzu unten § 13/92 ff. Vgl. Alwart GA 1983, 433 ff./455. Vgl. oben§ 6/33. Vgl. Roxin AT 1 § 24/96; Jescheck/Weigend AT § 56 I 3; Lenckner in: Schonke/Schroder RN 97 ff. vor § 32.

B. Rechtswidrigkeit

471

die Strafbarkeit nach § 222. Das verbleibende Handlungsunrecht ist aber ebenfalls nicht strafbar, weil ein Versuch des Fahrlassigkeitsdelikts nicht anerkannt ist. Gibt man der Versuchslosung beim Fehlen des subjektiven Rechtfertigungselementes mit guten Griinden den Vorzug/^^ folgt hieraus die Straffreiheit der unvorsatzlichen Herbeifuhrung eines tatbestandsmaBigen Erfolges in Unkenntnis der Notwehrlage. 2.

102

UngewoUte Auswirkungen eines Verhaltens in Wahrnehmung eines Rechtfertigungsgrundes

In den hier zu behandelnden Fallen weiB der later, dass er in einer rechtfertigenden Situation handelt. Jedoch kommt es in Wahrnehmung des Rechtfertigungsgrundes zu ungewoUten Auswirkungen. Die Folgen seien an Hand der wichtigsten Rechtfertigungsgrlinde dargestellt.

103

a) Notwehr, § 32 Beispiel 12/22 Warnschuss-¥?1\ BGH 1 StR 48/01 NStZ 2001, 591:^^^ Urn weitere Korperverletzungshandlungen des V. gegen die P. zu verhindern, richtete der Angeklagte A. aus einer Entfernung von weniger als zwei Metern einen Revolver auf den Gesichtsbereich des V. und zog den Abzug schnell hintereinander durch. Er hoffte, V. werde erschrecken und von P. ablassen. A ging falschlicherweise davon aus, dass der Revolver nicht geladen sei. Ihm war in der konkreten Situation nicht bewusst, dass er vor mehreren Jahren eine Patrone in den Revolver geladen hatte. Bei der wiederholten Betatigung des Abzugs loste sich ein Schuss, der V. unmittelbar unter der Nase traf und binnen kurzer Zeit zu dessen Tod fiihrte. Der BGH hob die Verurteilung durch das LG wegen fahrlassiger Totung auf. Die nur fahrlassige, aber letztlich ebenfalls vom Verteidigungswillen des A getragene Herbeifuhrung der Todesfolge beim Einsatz der Schusswaffe als Drohmittel konne nach § 32 gerechtfertigt sein, wenn A in der gegebenen besonderen Lage auch einen gezielten, moglicherweise todlichen Schuss auf V hatte abgeben dtirfen. Dann sei die Herbeifiihrung des Erfolgs auch dann gerechtfertigt, wenn er konkret vom Abwehrenden nicht gewollt war und bei Anwendung der ihm moglichen Sorgfalt hatte vermieden werden konnte.

Nach h.M. geniigt in Fallen dieser Art jedenfalls ein genereller Verteidigungsvv^ille.^^'* Bei bevmsster Fahrlassigkeit wird man davon in der Regel ausgehen konnen. Gleiches gilt aber auch bei unbewusster Fahrlassigkeit. Denn unbewojsst ist insoweit nur die ungewoUte Folge, nicht hingegen die rechtfertigende Situation. Neben dem generellen Verteidigungswillen ist allerdings vorauszusetzen, dass sich auch die ungewollt herbeigeflihrte Folge noch im Rahmen des Erforderlichen halt.

112 113 114

Hierzu § 13/95. Mit Anm. Otto, vgl. auch Kretschmer Jura 2002, 114 ff. Vgl. Eser StK II Nr. 21 A 21 b; Lenckner in: Schonke/Schroder RN 97 f vor § 32; Maurach/Gossel BT 2 § 44 RN 18.

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b)

§ 12. Fahrlassigkeit

Rechtfertigender

Notstand, § 34

Beispiel 12/23:^^^ Um einer schwerkranken Patientin das Leben zu retten, unternimmt der einzig verfiigbare Arzt eine Trunkenheitsfahrt, in deren Verlauf er einen anderen Verkehrsteilnehmer verletzt.

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Eine Rechtfertigung tritt hier wie beim VorsatzdeHkt nach § 34 dann ein, wenn das Erhaltungsinteresse (das Leben der Patientin) das EingrifFsinteresse (die Gefahrdung anderer Verkehrsteilnehmer) wesentUch iiberwiegt. Dies ware der Fall, wenn die Trunkenheit des Arztes nicht sehr erheblich ist. Beziiglich des subjektiven Rechtfertigungselementes wurde es hinreichen, dass der Arzt jedenfalls in dem Bewusstsein handelt, etwas zur Rettung der Patientin zu unternehmen. c) Mutmajiliche Einwilligung und Einwilligung in unvorsdtzlich herbeigefuhrte Tatbestandsverwirklichungen^^^

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Der besonderen Aufmerksamkeit bedarf hier die Frage, was Gegenstand der Einwilligung ist. So wird es viele Falle geben, in denen das Opfer nicht in den Erfolg^ sondern nur in die Gefahrdung seiner Interessen einwilligt. In diesen Fallen kann auf die Einwilligung als Rechtfertigungsgrund fur fahrlassig herbeigefuhrte Erfolge nicht zuriickgegriffen werden.^^^ d) Erlaubtes Risiko

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Wenn man mit der h.M. Fahrlassigkeit als Verletzung einer Sorgfaltspflicht definiert, dann miisste ein Handeln im erlaubten Risiko ausgeschlossen sein. Denn der Tater kann nicht gegen eine Sorgfaltspflicht verstoBen und zugleich liber ein erlaubtes Risiko gerechtfertigt sein. Die Einhaltung des erlaubten Risikos wurde einen Verstofi gegen eine Sorgfaltspflicht ausschheBen. Die h.M. lehnt daher - aus ihrer Sicht konsequent - das erlaubte Risiko als Rechtfertigungsgrund bei Fahrlassigkeitsdelikten ab.^^^ Versteht man unter Fahrlassigkeit die unvorsatzHche, zurechenbare Verwirklichung eines Tatbestandes durch Schaffling einer erhohten Gefahr trotz individueller Vorhersehbarkeit und Vermeidbarkeit, dann ware ein Rechtfertigungsgrund des erlaubten Risikos anzuerkennen. Jedoch gilt es zu beriicksichtigen, dass das erlaubte Risiko lediglich einen Oberbegriff fur eine Reihe von Rechtfertigungsgriinden darstellt, bei denen der Tater auf einer unsicheren Tatsachenbasis handelt.^^^ Da das erlaubte Risiko die betreffenden Rechtfertigungsgninde klassifizieren, sie aber nicht ersetzen kann, ist auch im Rahmen der Rechtfertigung der Fahrlassigkeitstat das erlaubte Risiko als solches nicht als selbstandiger Rechtfertigungsgrund anzuerken115 116

Nach i^oxm ATI §24/97. Naher hiQxzM Roxin AT 1 § 24/100 f; ndiohRoxin wirkt die Einwilligung allerdings tatbestandsausschlieftend. Vgl. mch Lackner/Ktihl § 228 RN 2; krit. Rudolphi Falle zum Strafrecht, S.181 mwN. Vgl. Jescheck/Weigend AT § 56 III; Schunemann GS Meurer, S. 40. Vgl. § 6/198.

C. Schuldhafligkeit

473

C. Schuldhaftigkeit I.

Ubereinstimmungen mit dem Vorsatzdelikt

Wie beim Vorsatzdelikt sind auch beim Fahrlassigkeitsdehkt die anerkannten SchuidausschlieBungs- und Entschuldigungsgriinde anwendbar: Schuldunfahigkeit und verminderte Schuldfahigkeit (§§ 20, 21), Verbotsirrtum (§ 17), entschuldigender Notstand (§ 35) und Notwehrexzess (§ 33).

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II. Besonderheiten 1.

Fahrlassigkeit als Schuldform

Da die h.M. die Vorhersehbarkeit und Vermeidbarkeit im Tatbestand des Fahr- 110 lassigkeitsdelikts nach objektiven MaBstaben beurteilt, findet sich im Rahmen der Schuldhaftigkeit fahrlassigen Handelns eine Bewertung jener objektiven Gegebenheiten dahingehend, ob sie dem later zum Vorwurf gemacht werden konnen. Dieser Vorwurf entfallt, wenn die Erfiillung des Tatbestandes fiir den later weder vorhersehbar noch vermeidbar war.^^^ Als Beispiele werden hier der unerfahrene Fahrschtiler, der gegen Verkehrsvorschriften verstoBt oder das altersbedingte Versagen des Kurzzeitgedachtnisses genannt.^^^ Die Grenze wird im Ubernahmeverschulden bzw. in Charaktermangeln des 111 Taters gesehen. Sonderwissenbelastet.^^^ Aber auch die individuelle Interpretation von Vorhersehbarkeit und 112 Vermeidbarkeit im Tatbestand hindert nicht daran, wie beim Vorsatz so auch hier eine Schuldhaftigkeit anzuerkennen, die in der Bewertung der individuellen Vorhersehbarkeit im Tatbestand besteht. Die individuelle Vorhersehbarkeit beim Fahrlassigkeitsdehkt ware dann sowohl als Element des Tatbestandes als auch als Element der Schuldhaftigkeit der Handlung zu verstehen. 2.

Die Unzumutbarkeit pflichtgemaOen Verhaltens/der Unterlassung der Gefahrerhohung als (iibergesetziicher) Entschuldigungsgrund beim Fahrlassigkeitsdelikt? Beispiel 12/24 Leinenfdnger-Fall RGSt 30, 25:^^^ Der Angeklagte stand seit Oktober 1895 als Kutscher im Dienst eines Droschkenbesitzers. „Erfiihrtewahrend dieser Zeit eine mit zwei Pferden bespannte Droschke. Eines der Pferde war ein sog. ,Leinenfanger', d.h. es hatte zeitweise die Gewohnheit, den Schweif tiber die Fahrleine zu schlagen und diese mit demselben herunter- und fest an den Korper zu dnicken. Dieser Fehler war sowohl dem Angeklagten als auch dem Dienstherren bekannt. Bei einer am 19. Mi 1896 vom Angeklagten ausgefiihrten Fahrt gelang es dem erwahnten Pferde auf der Chaussee von P. nach Vgl. Jescheck/Weigend AT § 57 II, III; Kiihl AT § 17/89 ff.; zum osterreichischen Recht Burgstaller, 1974, S. 182 ff. Vgl. Roxin AT 1 § 24/107 fif. Vgl. Jescheck/Weigend AT § 57 III 2. Vgl. auch Eser StK II Nr. 24; Maiwald FS fiir Schtiler-Springorum; S. 474 ff./481 ff.

474

§ 12. Fahrlassigkeit

G., die Leine mit dem Schwanze einzukneifen. Bei den vergeblichen Versuchen des Angeklagten, die Leine hervorzuziehen, warden die Pferde wild; der Angeklagte verlor vollig die Herrschaft tiber das Gespann, welches beim Weitergaloppieren den an der Seite der Chaussee gehenden Schmied B. umwarf, so dass dieser unter den Wagen geriet und einen Beinbruch erlitt." Das Reichsgericht nahm an, dass der Erfolg in Form der Korperverletzung des Schmiedes fiir den Angeklagten durchaus vorhersehbar gewesen sei. Um den Begriff der Fahrlassigkeit herzustellen, mtisse jedoch ein Weiteres hinzukommen: die Nichterfullung desjenigen Malies von Aufmerksamkeit und von Rucksicht auf das Allgemeinwohl, dessen Aufbringung von dem Handelnden gefordert werden darf. Danach sei zu erwagen, ob es dem Angeklagten als Pflicht zugemutet werden konnte, eher dem Befehle seines Dienstherren sich zu entziehen und den Verlust seiner Stellung auf sich zu nehmen, als durch Benutzung des ihm zugewiesenen Pferdes zum Fahren bewusst die korperliche Verletzung eines anderen zu riskieren. Das Reichsgericht bestatigte das freisprechende Urteil des Landgerichts Gleiwitz, welches der Pflicht, dem Befehl des Dienstherrn Folge zu leisten, den Vorzug gegeben hatte. 113

114

Die tiberwiegende Meinung tendiert dazu, in Fallen wie diesem einen Schuldvorwurf aus Griinden der Unzumutbarkeit zu verneinen^^"^ oder eine Analogie zu § 35 anzunehmen. Sie beruhe darauf, dass wie dort so auch hier eine Unrechtsminderung in Form eines Erhaltungsinteresses (hier: Erhaltung des Arbeitsplatzes) vorliegt und der later unter Motivationsdruck gehandelt hat. ^^^ Ahnliches soil flir Falle gelten, in denen die Schuld des Angeklagten nicht infolge einer Unrechtsminderung, sondern auch aus Griinden vermindert erscheint, welche in der Psyche des Taters Uegen, so im Rahmen von Schock- und Paniksituationen. ^^^ Fraghch ist allerdings, ob es sich hier um entschuldigende Situationen handelt, oder ob nicht vielmehr die Frage im Vordergmnd steht, inwieweit ein Handeln im erlaubten Risiko gegeben oder tiberschritten ist^^^ bzw. minimales fahrlassiges Verschulden liberhaupt tatbestandlich erfasst werden soil. ^^^

D. Aufbau des Fahrlassigkeitsdelikts Siehe S. 475

124 125

127 128

Vgl. Lackner/Kuhl § 15 RN 51. Vgl. Roxin AT 1 § 24/116; fiir eine generelle Entschuldigung Trondle/Fischer RN 30 vor §13. Vgl. i^oxw ATI §24/117. Vgl. MaiwaldFS fiir Schtiler-Springorum, S. 487, 491. Zu dieser bisher ungelosten Problematik naher Schliichter Grenzen strafbarer Fahrlassigkeit, 1996; vgl. auch Koch, Arnd Die Entkriminalisierung im Bereich der fahrlassigen Korperverletzung und Totung, 1998.

I. TatbestandsmaRigk - Objektive Elemen - Handlung - Unvorsatzliche V - Kausalitat: c.s.q - Schaffiing einer - objektive Zurech - Subjektive Elemen - Individuelle Vor - Individuelle Ver (=Gefahrerhohu II. Rechtswidrigkeit Rechtfertigungsgr „generelles Recht III. Schuldhafligkeit - Allgemeine Schu - Fahrlassigkeit al - Handeln trot - Handeln trot 3. Zumutbarkeit d

I. Tatbestandsmafiigkeit

Vgl. auchi^oxm AT 1 § 24. Zur Doppelstellung von Deliktsmerkmalen Lenckner in: Schonke/Schroder RN 120 vor § 13. Wie FN 2.

- objektive Vorhersehbarkeit, aber: Sonderwissen verpflichtet - objektive Vermeidbarkeit bei pflichtgemaliem Handeln (=Pflichtwidrigkeitszusammenhang), aber: Sonderfahigkeiten verpflichten II. Rechtswidrigkeit Rechtfertigungsgriinde: „generelles Rechtfertigungsbewusstsein" ausreichend III. Schuldhafligkeit - Allgemeine Schuldelemente - Fahrlassigkeit als Schuldform^ - Handeln trotz individueller Vorhersehbarkeit - Handeln trotz individueller Vermeidbarkeit 3. Zumutbarkeit pflichtgemaJien Verhaltens

- Handlung - Unvorsatzliche Verwirklichung des gesetzlichen Tatbestandes - Kausalitat: c.s.q.n. - Verletzung einer Sorgfaltspflicht - objektive Zurechnung, u.a.

D/2 Aufbau des F individueller

D/1 Aufbau des Fahrlassigkeitsdelikts (h.M.)

476

§ 12. Fahrlassigkeit

E. Losung des Leitfalls (Gutachtenstil) 129 L

Leitfall 12/1

Der LKW-Fahrer (L) konnte sich wegen fahrlassiger Totung (§ 222) des Radfahrers R strafbar gemacht haben.

115

1,

Darstellung auf der Basis einer Sorgfaltspflichtsverletzung (h.M.)

a)

Tatbestandsmdfiigkeit

L miisste den Tod des R „durch Fahrlassigkeit verursacht" haben. Das dichte Vorbeifahren an R kann nicht hinweggedacht werden, ohne dass der Erfolg, der Tod des R, entfiele, weshalb die Handlung des L fur den Tod des R kausal ist. Eine Sorgfaltspflichtverletzung ist darin zu sehen, dass L den nach § 5 IV 2 StVO erforderlichen „ausreichenden" Seitenabstand nicht einhielt. Jedoch miisste § 5 IV 2 StVO gerade den Sinn haben, Gefahrdungen und Verletzungen von Zweiradfahrern zu vermeiden {Schutzzweck der Norm). § 5 IV 2 StVO dient gerade dem Schutz von FuBgangern und Radfahrern. Indem R wegen des zu geringen Abstands unsicher wurde und dadurch einen Fahrfehler beging, hat sich die Gefahr realisiert, deren Verhinderung die Abstandspflicht des § 5 IV 2 StVO bezweckt. SchlieBlich miisste der eingetretene Kausalverlauf im Bereich objektiver Vorhersehbarkeit liegen, und der Erfolg miisste gerade auf der Verletzung der Sorgfaltspflicht beruhen, bei sorgfaltsgerechtem Handeln also vermeidbar gewesen sein (Pflichtwidrigkeitszusammenhang). Dass Radfahrer Pendelbewegungen ausfiihren und von Fahrzeugen, die ohne ausreichenden Seitenabstand iiberholen, erfasst werden, liegt im Bereich des nach allgemeiner Lebenserfahrung Vorhersehbaren. Bei Einhaltung des erforderlichen Abstands hatte der Erfolg auch vermieden werden konnen, der Pflichtwidrigkeitszusammenhang liegt somit vor. b) Rechtswidrigkeit und Schuldhaftigkeit Rechtfertigungsgriinde zugunsten des L sind nicht ersichtlich. Zur Bejahung der Schuldhaftigkeit ware erforderlich, dass L den Unfall hatte vorhersehen und vermeiden konnen. Fiir L war der Radfahrer erkennbar. Auch ware es L durch Einhaltung des Sicherheitsabstandes moglich gewesen, den Erfolg zu vermeiden. Ergebnis: L ist wegen fahrlassiger Totung gemaB § 222 strafbar.

Vgl. zu Fahrlassigkeitsproblemen in der Fallbearbeitung auch Fallsammlung Fall 5.

E. Losung des Leitfalls

2.

Darstellung auf der Basis einer nicht unerheblichen Gefahrerhohung und eines individuellen Fahrlassigkeitsbegriffs

a)

Tatbestandsmdfiigkeit

477

L mtisste den Tod des R „durch Fahrlassigkeit verursacht" haben. Das dichte Vorbeifahren an R kann nicht hinweggedacht werden, ohne dass der Erfolg, der Tod des R, entfiele, weshalb die Handlung des L fiir den Tod des R kausal ist. Die nicht unerhebliche Gefahrerhohung ist darin zu sehen, dass L den nach § 5 IV 2 StVO erforderlichen „ausreichenden" Seitenabstand nicht einhielt. Jedoch mtisste § 5 IV 2 StVO gerade den Sinn haben, Gefahrdungen und Verletzungen von Zweiradfahrern zu vermeiden (Schutzzweck der Norm). § 5 IV 2 StVO dient gerade auch dem Schutz von FuBgangern und Radfahrern. Indem der R wegen des zu geringen Abstands unsicher wurde und dadurch einen Fahrfehler beging, hat sich die Gefahr realisiert, deren Verhinderung die Abstandspflicht des § 5 IV 2 StVO bezweckt. SchHeBUch mtisste der eingetretene Kausalverlauf auch fur L vorhersehbar und der Erfolg durch Unterlassen der Gefahrerhohung vermeidbar gewesen sein {Gefahrerhohungszusammenhang). Da L den Radfahrer als solchen erkennen konnte und wusste, dass Radfahrer Pendelbewegungen ausfuhren und von Fahrzeugen, die ohne ausreichenden Seitenabstand tiberholen, erfasst werden konnen, liegt die individuelle Vorhersehbarkeit vor. Auch hatte L den erforderlichen Seitenabstand einhalten konnen. Dadurch ware der Unfall mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit vermieden worden. Individuelle Vorhersehbarkeit und Vermeidbarkeit liegen damit vor.

116

b) Rechtswidrigkeit und Schuldhaftigkeit Rechtfertigungsgriinde zugunsten des L sind nicht ersichtlich. Auch Entschuldigungsgriinde oder SchuldausschlieBungsgrtinde liegen nicht vor. Hinsichtlich der Vorwerfbarkeit ist zu berticksichtigen, dass L mit zu geringem Seitenabstand an R vorbeifuhr, obwohl er die daraus erwachsenen Folgen hatte vorhersehen und durch Einhaltung des erforderlichen Abstandes vermeiden konnen. Ergebnis: L ist wegen fahrlassiger Totung gemaB § 222 strafbar. II. Leitfall 12/2 Der LKW-Fahrer (L) konnte sich wegen fahrlassiger Totung (§ 222) des Radfahrers R strafbar gemacht haben. 1.

Darstellung auf der Basis einer Sorgfaltspflichtverletzung (h.M,)

Tatbestandsmafiigkeit L mtisste den Tod des R „durch Fahrlassigkeit verursacht" haben. Das dichte Vorbeifahren an R kann nicht hinweggedacht werden, ohne dass der Erfolg, der

117

478

§ 12. Fahrlassigkeit

Tod des R, entfiele, weshalb die Handlung des L fiir den Tod des R kausal ist. Eine Sorgfaltspflichtverletzung ist darin zu sehen, dass L den nach § 5 IV 2 StVO erforderlichen „ausreichenden" Seitenabstand nicht einhielt. Jedoch mtisste § 5 IV 2 StVO gerade den Sinn haben, Gefahrdungen und Verletzungen von Zweiradfahrern zu vermeiden (Schutzzweck der Norm). § 5 IV 2 StVO dient gerade dem Schutz von FuBgangern und Radfahrern. Indem der R wegen des zu geringen Abstands unsicher wurde und dadurch einen Fahrfehler beging, hat sich die Gefahr reaUsiert, deren Verhinderung die Abstandspflicht des § 5 IV 2 StVO bezweckt. SchhefiUch mtisste der eingetretene Kausalverlauf im Bereich objektiver Vorhersehbarkeit liegen, und der Erfolg mtisste gerade auf der Verletzung der Sorgfaltspflicht beruhen, bei sorgfaltigem Handeln also vermeidbar sein (Pflichtwidrigkeitszusammenhang). Dass Radfahrer Pendelbewegungen ausflihren und von Fahrzeugen, die ohne ausreichenden Seitenabstand tiberholen, erfasst werden, liegt im Bereich des nach allgemeiner Lebenserfahrung Vorhersehbaren. Fraglich ist aber, ob der Erfolg bei sorgfaltigem Handeln, d.h. bei Einhaltung des ansonsten erforderlichen Abstands hatte vermieden v^erden konnen. Daran bestehen nach dem Sachverstandigengutachten aufgrund der Trunkenheit des Radfahrers erhebliche Zweifel. Da dieses nicht ausgeraumt werden konnte, ist zugunsten des L davon auszugehen, dass R auch bei Einhaltung des ansonsten erforderlichen Seitenabstandes erfasst worden ware. Damit fehlt der den Unwert des Fahrlassigkeitsdelikts begrtindende Pflichtwidrigkeitszusammenhang. Ergebnis: L ist straflfrei. 1.

Darstellung auf der Basis einer nicht unerheblichen Gefahrerhohung und eines individuellen FahrlassigkeitsbegriflTs

Tatbestandsmdfiigkeit 118

L mtisste den Tod des R „durch Fahrlassigkeit verursacht" haben. Das dichte Vorbeifahren an R kann nicht hinweggedacht werden, ohne dass der Erfolg, der Tod des R, entfiele, weshalb die Handlung des L fiir den Tod des R kausal ist. Die nicht unerhebliche Gefahrerhohung ist darin zu sehen, dass L den nach § 5 IV 2 StVO erforderlichen „ausreichenden" Seitenabstand nicht einhielt. Jedoch mtisste § 5 IV 2 StVO gerade den Sinn haben, Gefahrdungen und Verletzungen von Zweiradfahrern zu vermeiden {Schutzzweck der Norm). § 5 IV 2 StVO dient gerade dem Schutz von FuBgangern und Radfahrern. Indem der R wegen des zu geringen Abstands unsicher wurde und dadurch einen Fahrfehler beging, hat sich die Gefahr realisiert, deren Verhinderung die Abstandspflicht des § 5 IV 2 StVO bezweckt. SchlieBlich mtisste der eingetretene Kausalverlauf auch fur L vorhersehbar und der Erfolg durch Unterlassen der Gefahrerhohung vermeidbar gewesen sein (Gefahrerhohungszusammenhang).

F./G. Kontrollfragen/Literatur

479

Da L den Radfahrer als solchen erkennen konnte und wusste, dass Radfahrer Pendelbewegungen ausfiihren und von Fahrzeugen, die ohne ausreichenden Seitenabstand iiberholen, erfasst werden konnen, Hegt die individuelle Vorhersehbarkeit vor. Fraglich ist aber, ob L den Erfolg durch Unterlassen der Gefahrerhohung, d.h. bei Einhaltung des ansonsten erforderlichen Abstands hatte vermeiden konnen. Daran bestehen nach dem Sachverstandigengutachten aufgrund der Trunkenheit des Radfahrers erhebhche Zweifel. Da diese nicht ausgeraumt werden konnten, ist zugunsten des L davon auszugehen, dass R auch bei Einhaltung des ansonsten erforderlichen Seitenabstandes erfasst worden ware. Damit fehlt der den Unwert des Fahrlassigkeitsdelikts begriindende Gefahrerhohungszusammenhang. Ergebnis: L ist strafFrei.

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Literatur

Dolling Fahrlassige Tdtung bei Selbstgefahrdung des Opfers, GA 1984, 17ff.;Hirsch Zur Problematik des erfolgsqualifizierten Delikts, GA 1972, 65 ff.; ders. Notwehr bei Fahrlassigkeitsdelikten, Jura 2002, 114ff.;Kuper Pflichtwidrigkeitszusammenhang beim Fahrlassigkeitsdelikt, FS fur Lackner, S. 247 ff.; Kretschmer Das Fahrlassigkeitsdelikt, Jura 2000, 267ff.;Maiwald Die Unzumutbarkeit - strafbegrenzendes Prinzip bei den Fahrlassigkeitsdelikten?, FS fur ScMler-Springorum, S. 475ff.;Otto Eigenverantwortliche Selbstschadigung und -gefahrdung, FS fiir Trondle, S. 157ff.;Puppe Die Beziehung zwischen Sorgfaltswidrigkeit und Erfolg ..., ZStW 99 (1987), 595ff.;Schmitt Subjektive Rechtfertigungselemente bei Fahrlassigkeitsdelikten?, JuS 1963, 64 ff.; Schone Fahrlassigkeit, Tatbestand und Strafgesetz, FS fiir Hilde Kaufmann, S. 649 ff.; Weigend Zum Verhaltensunrecht der fahrlassigen Straftat, FS fur Gossel, S. 129 ff.

480

§ 12. Fahrlassigkeit

Zur Vertiefung Burgstaller, Manfred Das Fahrlassigkeitsdelikt im Strafrecht, 1974; Burkhardt Tatbestandsmaliiges Verhalten und ex-ante-Betrachtung - Zugleich ein Beitrag wider die „Verwirrung zwischen dem Subjektiven und dem Objektiven", in Wolter, Jtirgen u.a. (Hrsg.), Straftat, Strafzumessung und Stral^rozess im gesamten Strafrechtssystem, 1996, S. 99 ff.; Christmann Eigenverantwortliche Selbstgefahrdung und Selbstschadigung, Jura 2002, 679 ff.; Duttge Fahrlassigkeit und Bestimmtheitsgebot, FS fur Kohlmann, S. 13 ff.; Erb, Volker RechtmaBiges Alternativverhalten und seine Auswirkungen auf das Strafrecht, 1991; Frisch, Wolfgang TatbestandsmaBiges Verhalten und Zurechnung des Erfolgs, 1988; Funfsinn, Helmut Der Aufbau des fahrlassigen Verletzungsdelikts durch Unterlassen, 1985; Hirsch Zum Unrecht des fahrlassigen Delikts, FS fiir Lampe, S. 515 ff.; Jakobs, Gunther Studien zum fahrlassigen Erfolgsdelikt, 1972; ders. Tatervorstellung und objektive Zurechnung, Gedachnisschrift fur Armin Kaufmann, S. 271 ff.; Kahlo, Michael Das Problem des Pflichtwidrigkeitszusammenhanges bei den unechten Unterlassungsdelikten, 1990; Kaminski, RalfDoi objektive MaBstab im Tatbestand des Fahrlassigkeitsdelikts, 1992; Kaufmann, Armin Zum Stande der Lehre vom personalen Unrecht, FS fiir Welzel, S. 393 ff.; Laue Der Tatbestand des fahrlassigen Erfolgsdelikts, JA 2000, 666 ff.; Mitsch Fahrlassigkeit imd Straftatsystem, JuS 2001, 105 ff.; Otto Grundlagen der strafrechtlichen Haftung fur fahrlassiges Verhalten, GS fur Schltichter, S. 77 ff.; Puppe Brauchen wir eine Risikoerhohungstheorie?, FS fur Roxin, S. 387 ff.; Rengier, i^wJoZ/'Erfolgsqualifizierte Delikte und verwandte Erscheinungsformen, 1986; Renzikowski, Joachim Restriktiver Taterbegriff und fahrlassige Beteiligung, 1997; Schaffstein Handlungsunwert, Erfolgsunwert und Rechtfertigung bei den Fahrlassigkeitsdelikten, FS fur Welzel, S. 557 ff.; Schltichter, Ellen Grenzen strafbarer Fahrlassigkeit, 1996; Schmidhduser Fahrlassige Straftat ohne Sorgfaltspflichtverletzung, FS fur Schaffstein, S. 129 ff.; Schunemann Unzulanglichkeiten des Fahrlassigkeitsdelikts in der modernen Industriegesellschaft, GedS fiir Meurer, S. 37 ff.; Schumann, Heribert Strafrechtliches Handlungsunrecht und das Prinzip der Selbstv^erantwortung der Anderen, 1986; Stratenwerth Zur Individualisierung des SorgfaltsmaJistabes beim Fahrlassigkeitsdelikt, FS fiir Jescheck, S. 285 ff.; Struensee Der subjektive Tatbestand des fahrlassigen Delikts, JZ 1987, 53 ff.; Triffterer Die „objektive Voraussehbarkeit" (des Erfolges und des Kausalverlaufs) ..., FS fiir Bockelmann, S. 201 ff.; Walther, Susanne Eigenverantwortlichkeit und strafrechtliche Zurechnung, 1991; Yamanaka Die Entwicklung der japanischen Fahrlassigkeitsdogmatik ..., ZStW 102 (1990), 928 ff.; Zipf Heinz Einwilligung und Risikoiibernahme im Strafrecht, 1970.

Teil IV

Irrtumslehre

§ 13. Irrtum

Leitfall 13: Auf dem abendlichen Heimweg vom ScMtzenverein hort Sportschutze A Schritte hinter sich, die schnell naher kommen. Als er sich umdreht, sieht er den ihm unbekannten B mit hoch erhobener Pistole auf sich zukommen. Er nimmt an, dass B ihn toten wolle. Var. a: Um den Angriff abzuwehren, totet er B mit einem gezielten Schuss ins Herz. Dabei nimmt er an, rechtmaliig zu handeln, obwohl er als geubter Schtitze auch in die Hand des B hatte schieBen konnen. Auch ware es ihm trotz der kritischen Situation moglich gewesen, seine Fehleinschatzung zu erkennen und zu vermeiden. Als er dem Toten die Waffe wegnimmt, stellt er zu seinem Erstaunen fest, dass es seine Ersatzpistole ist. Sie war ihm beim Gehen aus dem Halfter gerutscht. Der hinter ihm gehende B hatte es bemerkt und A die Pistole zurtickbringen wollen. Var. b: Wie Var. a, jedoch schieJit A in die Hand des B, um den vermeintlichen Angriff abzuwehren. B erleidet eine schwere Handverletzung, die eine langdauernde arztliche Behandlung erforderlich macht. Strafbarkeit des A? § 16. Irrtum iiber Tatumstande. (1) Wer bei Begehung der Tat einen Umstand nicht kennt, der zum gesetzlichen Tatbestand gehort, handelt nicht vorsatzlich. Die Strafbarkeit wegen fahrlassiger Begehung bleibt unberiihrt.

§§

(2) Wer bei Begehung der Tat irrig Umstande annimmt, welche den Tatbestand eines milderen Gesetzes verwirklichen wUrden, kann wegen vorsatzlicher Begehung nur nach dem milderen Gesetz bestraft werden. § 17. Verbotsirrtum. Fehlt dem Tater bei Begehung der Tat die Einsicht, Unrecht zu tun, so handelt er ohne Schuld, wenn er diesen Irrtum nicht vermeiden konnte. Konnte der Tater den Irrtum vermeiden, so kann die Strafe nach § 49 Abs. 1 gemildert werden.

§§

§ 35. Entschuldigender Notstand. (1)

§§

(2) Nimmt der Tater bei Begehung der Tat irrig Umstande an, welche ihn nach Absatz 1 entschuldigen wtirden, so wird er nur dann bestraft, wenn er den Irrtum vermeiden konnte. Die Strafe ist nach § 49 Abs. 1 zu mildern.

A. Ausgangsfragen Die Irrtumsiehre erschlieBt sich demjenigen am schnellsten, der ihre Struktur begrifFen hat. Es ist dann auch nicht mehr notig, die verschiedenen Erscheinungsformen des Irrtums deduktiv iiber Worthiilsen wie z.B. „Erlaubnistatbestandsirrtum", „Erlaubnisnormirrtum", „Erlaubnisgrenzirrtum", „Doppelirrtum", „Verbots-

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§ 13. Irrtum

irrtum" ... auswendig zu lernen. Wichtiger ist es, zu wissen, was sich hinter diesen Bezeichnungen verbirgt. Es ist deshalb ein AnHegen der folgenden Darstellung, eine Systematik des Irrtums im Strafrecht zu entwickeln, welche sich an dem Gegenstand, der Form und der Beachtlichkeit des jeweiUgen Irrtums orientiert. Die gesamte strafrechtliche Irrtumslehre wird von drei Fragen durchzogen: 1. Was ist Gegenstand (Objekt) des Irrtums? 2. In welcher Form wird geirrt? 3. Ist der Irrtum beachtlichl I.

Objekte des Irrtums

Gegenstand eines Irrtums kann alles sein. Aus strafrechtlicher Sicht reduzieren sich die moglichen Objekte eines Irrtums jedoch auf die Elemente des Verbrechensaufbaus. Irrtiimer, die sich auf Gegenstande auBerhalb dieser „Buhne des Strafrechts" beziehen, sind von vornherein unbeachtlich und interessieren daher nicht. Gegenstand des strafrechtlich relevanten Irrtums konnen folglich alle Elemente des Tatbestandes, der Rechtswidrigkeit und der Schuld sein, aber auch sonstige Voraussetzungen der Strafbarkeit. II. Unkenntnis und irrige Annahme als (Erscheinungs)Formen des Irrtums Irren ist nur in zwei Formen moglich: Man kann entweder etwas nicht wissen (Unkenntnis) oder etwas irrig^ annehmen (irrige Annahme). Dieses „etwas", das Objekt des Irrtums, bestimmt dariiber, ob in Form der Unkenntnis oder der irrigen Annahme geirrt wird. Und well man den Gegenstand des Irrtums genau bezeichnen kann (vgl. I), kann man auch eindeutig sagen, welche Form des Irrtums Unkenntnis oder irrige Annahme - vorliegt. An dieser Stelle wird von Studierenden nicht selten eingewandt, dass die Einordnung eines Irrtums als Unkenntnis oder irrige Annahme beliebig sei und nur davon abhange, wie man den Gegenstand des Irrtums formuliere. Dies ist jedoch nicht richtig, weil der Gegenstand des Irrtums durch den jeweiligen Tatbestand als Obersatz festgelegt ist. Hierzu folgendes Beispiel 13/1: A beschlieJit, den B zu toten und schieJlt in der Dunkelheit auf „etwas", was er fur B halt. Jedoch stellt sich bei Licht besehen heraus, dass er irrtiimhch auf eine Vogelscheuche geschossen hat. Prufen wir zunachst einen Irrtum des A im Hinblick auf das SchieBen auf den vermeinthchen B. MaBgeblicher Tatbestand des Besonderen Teils ist § 212. Zwar konnte keine Vollendung eintreten, weil eine Vogelscheuche kein Mensch ist. Jedoch hat A sich vorgestellt, einen Menschen zu toten, weshalb ein Versuch in Frage kommt. Gegenstand des Irrtums ist das Tatbestandsmerkmal „Mensch". Beziiglich dieses Tatbestandsmerkmals So die Wortwahl des Gesetzgebers, vgl. § 16 II.

A. Ausgangsfragen

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lasst sich nun eindeutig feststellen, dass insoweit eine irrige Annahme des A vorliegt. Sie lasst sich auch nicht in eine Unkenntnis beztiglich der Vogelscheuche umformulieren, weil die Beschadigung der Vogelscheuche nicht den Tatbestand des § 212 betriffi. Im Hinblick auf die Vogelscheuche ist § 303 (Sachbeschadigung) der einschlagige Tatbestand. A hat eine fremde Sache, die Vogelscheuche, beschadigt. Jedoch wusste er gar nicht, dass es sich um eine Vogelscheuche handelt. Folglich liegt ein Irrtum hinsichtlich des Tatbestandsmerkmals „Sache" in § 303 in Form der Unkenntnis yox. III. Beachtiichkeit Die Herbeifiihrung einer Entsctieidung, ob ein Irrtum beachtlich ist oder nicht, ist das Ziel der Irrtumslehre. Denn nur ein beachtHcher Irrtum ist rechtHch iiberhaupt von Bedeutung. Dabei kann die Beachtiichkeit sowohl von Vorteil (z.B. Unkenntnis eines strafbegrundenden Tatbestandsmerkmals) als auch von Nachteil (z.B. Unkenntnis eines privilegierenden Tatbestandsmerkmals) flir den Tater sein. Im Beispiel 13/1 (Vogelscheuche) ist die Beachtiichkeit der irrigen Annahme des A, dass es sich bei dem Ziel des Schusses um einen Menschen handele, fur den A von Nachteil hinsichtlich des Totungsdelikts, weil sie zur Strafbarkeit wegen eines versuchten Totschlags fuhrt. Beztiglich der Vogelscheuche ist die Beachtiichkeit der Unkenntnis der Sachqualitat hingegen von Vorteil, weil sie den Vorsatz beztiglich der Sachbeschadigung (§ 303) entfallen lasst und eine fahrlassige Sachbeschadigung nicht strafbar ist.

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Ob und in welcher Weise ein Irrtum beachtlich ist, hat der Gesetzgeber in Bruchstiicken festgelegt: § § 1 6 (Irrtum tiber Tatumstande), 17 (Verbotsirrtum) und 35 II (irrige Annahme der tatsachhchen Voraussetzungen des entschuldigendenNotstandes).

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1,

Die fragmentarische Natur der geschriebenen Irrtumsregeln

Wenn Irren in Form der Unkenntnis und der irrigen Annahme moglich ist und 8 Gegenstand des Irrtums grundsatzUch alle Rechtsfolgevoraussetzungen sein konnen, dann hegt die fragmentarische Natur der gesetzhchen Irrtumsvorschriften auf der Hand: Denn § 16 I regelt nur die Unkenntnis von Umstanden des gesetzhchen 9 Tatbestandes. § 16 II betrifft nur die irrige Annahme von privilegierenden Umstanden. Nicht von § 16 erfasst wird die Unkenntnis von Umstanden, die die Voraussetzungen eines Rechtfertigungsgrundes bilden, ebensowenig die Unkenntnis von Umstanden, welche die Voraussetzung eines Entschuldigungsgrundes bilden. Aber auch die Unkenntnis sonstiger Voraussetzungen der Strafbarkeit wird in § 16 nicht geregelt. § 16 II gibt keine Auskunft tiber die Beachtiichkeit der irrigen Annahme qualifizierender Tatumstande oder der tatsachhchen Voraussetzungen von Rechtfertigungsgriinden. Auch die irrige Annahme der tatsachhchen Voraussetzungen von Entschuldigungsgriinden wird in § 16 II nicht geregelt. Beztiglich der irrigen Annahme der tatsachhchen Voraussetzungen des entschuldigenden Notstandes wird die Lticke jedoch durch § 35 II geschlossen. Gegenstand des Irrtums nach § 17 ist ganz allgemein das Verbotensein als solches. Die Form des Irrtums besteht in der Unkenntnis. Soweit der Irrtum nach § 16 dazu fiihrt, dass der Tater glaubt, rechtmaBig zu handeln (= Unkenntnis des

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§ 13. Irrtum

Verbotenseins), weil er z.B. Merkmale des gesetzlichen Tatbestandes nicht kennt, wtirde gleichzeitig ein Irrtum nach § 16 und nach § 17 vorUegen.^ Indem jedoch § 16 zusatzlich festlegt, auf welcher falschen Vorstellung von Tatsachen die Unkenntnis des Taters vom Verbotensein seines Verhaltens beruht, ist § 16 insoweit die speziellere Regelung im Verhaltnis zu § 17 und geht diesem vor. § 17 bildet damit eine „AufFangregelung" als unmittelbarer Verbotsirrtum^ wenn der Tater das Verbotensein nicht kennt, ohne dass diese Unkenntnis auf einem speziell als beachtlich anerkannten Irrtum iiber Tatsachen beruht. Nicht geregelt ist in § 17 die irrige Annahme des Verbotenseins eines Verhaltens. Beispiel 13/2: A betriigt seine Ehefrau E mit seiner Freundin F. Dabei weiJi A nicht, dass der Tatbestand des Ehebruchs durch das 1. Strafrechtsreformgesetz vom 25. 6. 1969 aufgehoben worden ist. Er nimmt deshalb irrig an, rechtswidrig und strafbar zu handeln. Allerdings kann diese Annahme nicht zu einer Strafbarkeit wegen eines versuchten Ehebruchs fiihren. Denn dies wiirde voraussetzen, dass A glaubt, einen Sachverhalt verwirklicht zu haben, der strafbar ist. In Wirklichikeit aber irrt er in Form der irrigen Annahme uber das bei Strafe Verbotensein seines Verhaltens. Irrtiimer dieser Art, in denen der Tater die Tatsachen kennt, jedoch irrttimlich von einem Verbotensein seines Verhaltens ausgeht, sind unbeachtlich. MaiJgeblich ist die objektive straQose Sachlage. Bei A liegt ein sog. strafloses Wahndelikt YOI.

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Beim straflosen Wahndelikt kennt der Tater den wahren Sachverhalt, nimmt aber irrig die Strafbarkeit dieses Sachverhalts an.^ Beim untauglichen Versuch nimmt er irrig einen Sachverhalt an^ der strafbar ist.^ Die fragmentarische Natur der gesetzlich geregelten Irrtiimer stellt uns indessen nicht vor unlosbare Probleme: Denn zum einen lassen sich Llicken zu Gunsten des Taters mit den Elementen von Handlungs- und Erfolgsunrecht vor dem Hintergrund des Gleichheitssatzes^ fullen und zum anderen gibt vielfach die allgemeine Strafrechtsdogmatik Auskunft iiber die Beachtlichkeit der Irrtiimer.^ 2.

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Grundunterschiede der dogmatischen Folgen: Tatbestands- (§ 16) und Verbotsirrtum (§ 17)

Schon die Tatsache, dass der Irrtum iiber Tatsachen im Sinne von § 16 zugleich zu einer Unkenntnis des Verbotenseins nach § 17 fiihren kann, zeigt, dass der entscheidende Unterschied der Regelungen in den §§16 und 17 nicht immer in den Voraussetzungen, sondern in den Wirkungen liegt: Vgl. auch Haft AT 10. Tell § 7. Vgl. diViohRoxin AT 1 § 21/3. Zu schwierigen Abgrenzungsfragen bei der Verkennung der Bedeutung eines normativen Tatbestandsmerkmals Herzberg GS flir Schltichter, S. 189 ff. Oben § 9/22. S.u. RN 47 ff. Naher hierzu die Ubersicht unter Abschnitt E. Jakobs AT 4/43 erwagt bei Fehlen einer spezifischen Irrtumsregelung eine Entscheidung zugunsten des Betroffenen. Allerdings ist diese Schlussfolgerung nicht zwingend. Vielmehr lieBe sich auch in der Weise entscheiden, dass dann eine Beachtlichkeit eines Irrtums zu verneinen ist. Letztlich erscheint aber der Rtickgriff auf die allgemeinen dogmatischen Gnindsatze am ehesten zu tragfahigen Losungen zu fiihren.

A. Ausgangsfragen

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Der Irrtum nach § 16 wirkt sich auf den Vorsatz aus, indem er ihn im Rahmen der Unkenntnis verneint und ihn im Rahmen der irrigen Annahme von Tatumstanden annimmt. Die Unkenntnis des Verbotenseins nach § 17 hingegen lasst den Vorsatz unberiihrt und fiihrt bei Vermeidbarkeit des Irrtums zu einer fakultativen Strafmilderung nach § 49 I (vgl. § 17 S. 2). Im Falle der Unvermeidbarkeit der Unkenntnis des Verbotenseins schlieBt § 17 die Schuld dQS Taters aus. Faktisch bildet die vollige StrafFreiheit aufgrund eines Verbotsirrtums im Sinne von § 17 die grofle Ausnahme.^ Beim Tatbestandsirrtum nach § 16 ist dies anders: Denn soweit der Vorsatz verneint wird, ist allenfalls eine Strafbarkeit aus dem Fahrlassigkeitstatbestand mogUch, wenn ein solcher tiberhaupt existiert. Aber auch dann wiirde die Strafbarkeit voraussetzen, dass die Unkenntnis auf Fahrlassigkeit beruht. 3.

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Zusammenfassung

Die Voraussetzungen des Tatbestandsirrtums nach § 16 sind spezifischer als die des Verbotsirrtums nach § 17, weil es in § 16 auf Tatumstande als Gegenstand des Irrtums ankommt. AuBerdem sind die Folgen bei Vorliegen eines Irrtums nach § 16 giinstiger, weil bei Unkenntnis eine Bestrafung aus dem objektiv vorliegenden voUendeten Vorsatzdelikt ausscheidet und die irrige Annahme privilegierender Umstande zur Privilegierung fuhrt. Die Voraussetzungen des Verbotsirrtums sind hingegen unspezifisch (Unkenntnis des Verbotenseins insgesamt) und ihr Vorliegen fiihrt in der Regel nur zu einer Strafmilderung, nur ausnahmsweise zu einem Strafausschluss mangels Schuld. Methodisch ist es daher notwendig, zunachst nach dem Vorliegen eines Tatbestandsirrtums zu fragen. Erst wenn ein solcher nicht gegeben ist, ist die Pnifung eines Verbotsirrtums sachgerecht. Liegt sowohl ein Irrtum iiber Tatumstande als auch unabhangig davon ein Irrtum iiber das Verbotensein vor (sog. Doppelirrtum), so sind beide Irrtiimer unabhangig voneinander zu bewerten. Einer spezifischen Irrtumsdogmatik bedarf es hier nicht.^

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IV. Zur Methodik: Tatbestands- und Verbotsirrtum im Verbrechensaufbau Die PrufUng eines Irrtums erfolgt im Verbrechensaufbau an der Stelle, an der er sich innerhalb der Pnifungsstufen erstmals auswirkt oder auswirken konnte. Die Unkenntnis eines Merkmals des objektiven Tatbestandes wird wegen ihrer Auswirkungen auf den Vorsatz somit im Rahmen der Pnifung des Vorsatzes erortert. Die irrige Annahme der tatsdchUchen Voraussetzungen eines Rechtfer

^ Zu einer moglichen Begnindung vgl. Hassemer Freistellung des Taters aufgrund von Drittverhalten, FS fur Lenckner, S. 97 ff7116. ^ Vgl. auch Plaschke Jura 2001, 235 ff./239.

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§13. Irrtum

tigungsgrundes wird gepriift, nachdem das Vorliegen der tatsachlichen Voraussetzungen eines Rechtfertigungsgrundes verneint worden ist, also entweder am Ende der Rechtswidrigkeit oder - weil das Unrechtsbewusstsein ausschlieBend zu Beginn der Schuldpriifung/^ Die irrige Annahme der tatsachlichen Voraussetzungen eines Entschuldigungsgrundes nach § 35 II wird relevant, nachdem das objektive VorUegen des Entschuldigungsgrundes verneint worden ist, d.h. innerhalb der Schuld. Auch die Priifung eines Verbotsirrtums nach § 17 erfolgt an der jeweils betroffenen Stelle des Dehktsaufbaus: Der Irrtum iiber die Grenzen eines Rechtfertigungsgrundes bedarf somit der Erorterung, nachdem festgestellt worden ist, dass die Grenzen des Rechtfertigungsgrundes iiberschritten worden sind, die irrige Annahme eines Rechtfertigungsgrundes, den es gar nicht gibt (Erlaubnisnormirrtum), zu Beginn der Priifung der Schuld (Unrechtsbewusstsein), nachdem innerhalb der Rechtswidrigkeit festgestellt worden ist, dass jener vom Tater angenommene Erlaubnistatbestand nicht existiert. AusschlieBUch im Rahmen des Unrechtsbewusstseins erfolgt die Priifung eines Verbotsirrtums dann, wenn der later ganz allgemein in Unkenntnis bezilglich des Verbotenseins ist, ohne dass sich im einzelnen feststellen lieBe, welches spezifische Verbrechenselement Gegenstand des Irrtums sein konnte.

B. Entwicklungsschritte in Rechtsprechung und Lehre zur Differenzierung zwischen Tatbestands- und Verbotsirrtum^^ 22

Die Verankemng des Verbotsirrtums in § 17 StGB erfolgte erst im Rahmen des 2. Strafrechtsreformgesetzes 1975. Sie dokumentiert, dass auch der Irrtum in Form der Unkenntnis des Verbotenseins beachtlich ist. Bis zur Verankerung im StGB war seine BeachtUchkeit jedoch auBerst umstritten. Uberwiegend ging man davon aus, dass ein Verbotsirrtum in jeder Hinsicht unbeachtlich sei:^^ Eine falsche Wertung im Bereich des Strafrechts (error iuris criminalis) konne den Tater nicht entlasten. So die Rechtsprechung des Reichsgerichts: I.

Error iuris (criminalis) nocet^^ - die Unbeachtlichkeit des strafrechtlichen Verbotsirrtums in der Rechtsprechung des Reichsgerichts Beispiel 13/3 Testaments-^dH RGSt 57, 235 vom 6. Februar 1923: „Im Nachlass der Frau R. Sch. wurde vom Ortsgericht B. eine mit ,Mein letzter Wille' uberschriebene und unter dem Datum ,B-, den 23. August 1916' die voile Namensunterschrift der Erblasserin Etwas anderes gilt, wenn man die Lehre von den negativen Tatbestandsmerkmalen bevorzugt. Denn dann mtisste das Nichtvorliegen jener Elemente bereits im objektiven Tatbestand gepruft werden und im Anschluss daran die Unkenntnis des Taters beztiglich des Nichtvorliegens jener Elemente. Vgl. hierzu auch U. Schroth Vorsatz und Irrtum, 1998, S. 15 ff. Naher Frisch in Eser/Perron, S. 223 f. Wortlich tibersetzt: Der Irrtum uber das (Straf-)Recht schadet.

B. Entwicklungsschritte in Rechtsprechung und Lehre

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tragende Urkunde vorgefunden, in welcher der Eliemann der Angeklagten und bei dessen vorherigem Tod diese selbst fiir den Fall, dass die Erblasserin ihren Mann liberleben wurde, zu Erben eingesetzt waren. Nach tatrichterlicher Annahme hat die Angeklagte dieses Schriftsttick ,im Anftrag' der Erblasserin fiir diese ,niedergeschrieben', ohne dass ihr zu widerlegen war, dass sie nicht das Bewusstsein hatte, damit ,etwas Unrechtes zu tun'. Die Stra&ammer ist hiernach zur Freisprechung gelangt, indem sie tiberdies eihe Tauschungsabsicht der Angeklagten bei der Testamentsniederschrift und ein Gebrauchmachen von dem Testamente zum Zweck der Tauschung fiir nicht nachgewiesen hielt." Ist der Irrtum der Angeklagten in Form der Unkenntnis, „etwas Unrechtes zu tun", beachtlich? Die Irrtumslehre des Reichsgerichts^"^ beruhte auf § 59 StGB a.F., der gewisse Ahnlichkeiten mit § 16 StGB aufwies: § 59 [Irrtum] (1) Wenn jemand bei Begehung einer strafbaren Handlung das Vorhandensein von Tatumstanden nicht kannte, welche zum gesetzlichen Tatbestande gehoren oder die Strafbarkeit erhohen, so sind ihm diese Umstande nicht zuzurechnen. (2) Bei der Bestrafiing fahrlassig begangener Handlungen gilt diese Bestimmung nur insoweit, als die Unkenntnis selbst nicht durch Fahrlassigkeit verschuldet ist.

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Von § 59 a.F. ausgehend entwickelte das Reichsgericht die Unterscheidung zwischen einem error facti (= Tatirrtum) und einem error iuris (= Rechtsirrtum). Der error facti sollte - aufbauend auf § 59 a.F. - in der Weise beachtlich sein, dass der Vorsatz entfiel, wenn ein Irrtum iiber sinnlich wahrnehmbare Tatsachen der auBeren Erscheinungswelt vorlag.

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Beispiel 13/4: Falls der Tater in der Dunkelheit auf eine Vogelscheuche zu schieBen glaubte, in Wirklichkeit aber auf einen Menschen schoss und diesen zu Tode brachte, so lag ein beachtlicher error facti vor, welcher zu einer Strafbarkeit allenfalls wegen fahrlassiger Totung fiihrte. Jeder andere Irrtum hingegen sollte ein Rechtsirrtum (error iuris) sein. Innerhalb der Fallgruppe des error iuris wurde nun wiederum diflferenziert in einen strafrechtlichen und einen aufierstrafrechtlichen Rechtsirrtum. Der strafrechtliche Rechtsirrtum (error iuris criminalis) sollte Rechte, Rechtsbegriflfe, Rechtsverhaltnisse und Rechtsbeziehungen strafrechtlicher Natur zum Gegenstand haben und im Unterschied zum auBerstrafrechtlichen Rechtsirrtum unbeachtlich sein. Diesem Gedankengang folgen auch die tJberlegungen des Reichsgerichts - RGSt 57, 236 f - im Testaments-Y^iV. „Ein Irrtum des eine solche Testamentsurkunde Niederschreibenden tiber die btirgerlichrechtliche Wirksamkeit des ihm erteilten Auftrags des Erblassers ware allerdings, weil auiierstrafrechtlicher Art, nach § 59 StGB geeignet, das Bewusstsein von der Anfertigung einer falschen Urkunde auszuschlieJien. Dagegen gentigte dazu die Annahme noch nicht, ein auf GeheiJi des letztwillig Verfiigenden von fremder Hand fiir ihn niedergeschriebenes Testament sei auch dann schon formgerecht errichtet und gultig, wenn es nur den wahren und vom Recht nicht aus sonstigem Grund missbilligten Willen des Erblassers zum unverfalschten Ausdruck bringe. Hierbei handelte es sich zwar gleichfalls noch um eine auf dem Gebiet des Privatrechts liegende unrichtige Vorstellung; diese bezoge sich aber nicht mehr auf einen zum gesetzlichen Tatbestand des § 267 StGB gehorenden Tatumstand, sondern nur auf den strafrechtlichen Begrifif der Urkundenfalschung, fiir den es weder auf die Richtigkeit oder Wahrheit des Urkundeninhalts noch auf die Rechtsbestandigkeit des damit verbrieften Geschafts, sondern allein auf die Echtheit der schriftlichen Beglaubigungsform, das heiUt darauf ankommt, ob die Urkunde so, wie sie vorliegt, wirklich von der Person hernihrt, die als ihr Aussteller erscheint. Umfassend hiQXzu Kaufmann Unrechtsbewusstsein, S. 46 ff.

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§ 13. Irrtum

Ein bloii in dieser Richtung gelegener Irrtum ware, wie tiberhaupt jeder Irrtum uber die strafrechtlichen Erfordernisse des gesetzlichen Tatbestandes des § 267 StGB, fiir die Schuldfrage belanglos ..." Das Reichsgericht hielt somit die Unkenntnis der Angeklagten, dass es verboten sei, im Namen des Erblassers ein Testament fiir diesen zu errichten und mit dessen Namen zu unterschreiben, als strafrechtlichen Rechtsirrtum fiir unbeachtlich.

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Die Irrtumslehre des Reichsgerichts envies sich jedoch schon von ihrem eigenen Ansatzpunkt her in dreierlei Hinsicht als unpraktikabel, ja sogar untaugHch: Zum einen gibt es Falle, in denen nicht hinreichend genau entschieden werden kann, ob der Gegenstand des Irrtums ein sinnlich wahrnehmbarer Tatumstand ist. So UeBe sich z.B. trefflich dariiber streiten, ob das Bestehen der ersten Ehe im Tatbestand der Doppelehe (§ 172) solch einen Umstand darstellt, ob es sich somit um einen beachthchen Irrtum handelt, wenn der Tater insoweit in Unkenntnis ist, weil er irrtumhch annimmt, dass der Ehemann seiner Braut verstorben sei. Das zweite Abgrenzungsproblem entstand dort, wo Unsicherheit beziigUch der ^/rq/techthchen oder der aw/erstrafrechtlichen Natur des Irrtums herrscht. Zu nennen ware hier z.B. die Unkenntnis des Taters iiber die Fremdheit der Sache in § 242. Als Unkenntnis eines strafrechtlichen Tatbestandsmerkmals miisste hier einerseits ein unbeachtlicher error iuris criminalis vorliegen. Andererseits ist die eigentumsrechtliche Zuordnung der Sache eine sachenrechtliche Angelegenheit und damit eine zivilrechtliche Frage, was einen auf sie bezogenen Irrtum als error iuris civilis beachtlich sein lassen miisste. Schliefilich aber erschien die Irrelevanz der schlichten Verbotsunkenntnis aus Gleichheitsgriinden ungerecht: dass es voUig gleichgiiltig sein soUte, ob der Tater eine Tat begangen hatte, obwohl er sich der Rechtswidrigkeit seines Vorgehens bewusst war, oder er ohne naheren Bezug auf Tatumstande schhcht der Auflfassung war, so handeln zu diirfen. 11. Die Anerkennung des unmittelbaren^^ Verbotsirrtums und des Unrechtsbewusstseins als vom Vorsatz losgelostes selbstandiges Schuldmerkmal (Schuldtheorie) durch den Bundesgerichtshof 1.

Die „Honorar-Entscheidung'' BGHSt 2,194 Beispiel 13/5 Die .flonorar-Entscheidung"' des GroBen Senats fur Strafsachen vom 18. Marz 1952, BGH GSSt 2/51 BGHSt 2, 194: Der Angeklagte, ein Rechtsanwah, hatte die Verteidigung in einer auf mehrere Verhandlungstage berechneten Strafsache gegen Frau W. tibernommen, ohne ein bestimmtes Honorar zu vereinbaren. Am ersten Verhandlungstag trat ein anderer Rechtsanwalt (B) fur den anderweit in Anspruch genommenen Angeklagten auf. Das hatte er Frau W. vorher mitgeteilt. „In der ersten Verhandlungspause verlangte der Angeklagte von Frau W. mit der Drohung, anderenfalls die Verteidigung nicht weiterzufuhren, Zahlung von 50 DM zunachst noch am selben Tage und schlieBlich bis zum nachsten Morgen 8:30 Uhr. Unter dem Druck der Drohung „Unmittelbar" sei der Verbotsirrtum genannt, der nicht auf einem Irrtum iiber Tatsachen, sondern ausschlieUlich auf einer unzutreffenden Wertung beruht, vgl. auch Roxin AT 1 § 21/3 sowie oben RN 10; eine Ubersicht zu Fragen des Verbotsirrtums gibt Lesch JA 1996, 346, 504, 607 jew. ff.

B. Entwicklungsschritte in Rechtsprechung und Lehre

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lieh sich Frau W. das Geld. Als sie am nachsten Morgen an den Angeklagten in seinem Btiro zahlte, notigte er sie mit der gleichen Drohung, einen Honorarschein tiber 400 DM zu unterzeichnen. Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Notigung in zwei Fallen verurteilt..." Die Verurteilung begriindete das Landgericht mit der Irrtumslehre des Reichsgerichts: Wenn der Angeklagte geglaubt habe, zu diesem Vorgehen gegen Frau W. berechtigt zu sein, so ware das ein unbeachtlicher Strafrechtsirrtum, der sich auf die Wertung und Bewertung seiner ihm in tatsachlicher Beziehung in vollem Umfange bekannten Handlungsweise beziehe. Auch der BGH betrachtete den vorliegenden Fall zunachst aus der Perspektive der Rechtsprechung des Reichsgerichts, nach der ein Irrtum iiber die Rechtswidrigkeit der Notigung vorliege, der als Irrtum tiber das Strafgesetz unbeachtlich sei.^^ Jedoch lehnte der BGH jene Lehre und mit ihr die Unbeachtlichkeit eines Rechtsirrtums in Form der Unkenntnis des Verbotenseins ab. Denn Strafe setze Schuld und damit Vorwerfbarkeit voraus: „Mit dem Unwerturteil der Schuld wird dem Tater vorgeworfen, dass er sich nicht rechtmaBig verhalten, dass er sich fiir das Unrecht entschieden hat, obwohl er sich rechtmaliig verhalten, sich fiir das Recht hatte entscheiden konnen. Der innere Grund des Schuldvorwurfs liegt darin, dass der Mensch auf freie, verantwortliche, sittliche Selbstbestimmung angelegt und deshalb befahigt ist, sich fiir das Recht und gegen das Unrecht zu entscheiden, sein Verhalten nach den Normen des rechtlichen SoUens einzurichten und das rechtlich Verbotene zu vermeiden, sobald er die sittliche Reife erlangt hat und solange die Anlage zur freien sittlichen Selbstbestimmung nicht ... gelahmt oder auf Dauer zerstort ist ... Das Bewusstsein, Unrecht zu tun, kann im einzelnen Falle auch beim zurechnungsfahigen Menschen fehlen, weil er die Verbotsnorm nicht kennt oder verkennt. Auch in diesem Fall des Verbotsirrtums ist der later nicht in der Lage, sich gegen das Unrecht zu entscheiden".^^

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Damit meinte der BGH indessen nur, dass das fehlende Unrechtsbewusstsein die Schuld des Taters ausschlieBen kann. Denn: „... nicht jeder Verbotsirrtum schlieJit den Vorwurf der Schuld aus. Mangel im Wissen sind bis zu einem gewissen Grad behebbar. Der Mensch ist, weil er auf freie, sittliche Selbstbestimmung angelegt ist, auch jederzeit in die verantwortliche Entscheidung gerufen, sich als Teilhaber der Rechtsgemeinschaft rechtmaiiig zu verhalten und das Unrecht zu vermeiden. Dieser Pflicht gentigt er nicht, wenn er nur das nicht tut, was ihm als Unrecht klar vor Augen steht. Vielmehr hat er bei allem, was er zu tun im Begriff steht, sich bewusst zu machen, ob es mit den Satzen des rechtlichen SoUens in Einklang steht. Zweifel hat er durch Nachdenken oder Erkundigung zu beseitigen. Hierzu bedarf es der Anspannung des Gewissens, ihr Mali richtet sich nach den Umstanden des Falles und nach dem Lebens- und Berufskreis des Einzelnen. Wenn er trotz der ihm danach zuzumutenden Anspannung des Gewissens die Einsicht in das UnrechtmaBige seines Tuns nicht zu gewinnen vermochte, war der Irrtum untiberwindlich, die Tat fiir ihn nicht vermeidbar. In diesem Falle kann ein Schuldvorwurf gegen ihn nicht erhoben werden."^^

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Damit hatte der BGH die zum Schuldausschluss fuhrende Beachtlichkeit des Verbotsirrtums anerkannt, wenn dieser Irrtum unvermeidbar war. Im Falle der Vermeidbarkeit des Verbotsirrtums sei die Schuld nicht ausgeschlossen, der Schuldvorwurf aber gemindert.^^ Dies bedeutet, dass u.U. auch der schuldhaft

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BGH GSSt 2/51 BGHSt 2, 198. BGHSt 2, 200 f. BGHSt 2, 201. BGHSt 2, 20 If.

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§ 13. Irrtum

handelt, der ohne Unrechtsbewusstsein handelt. Fiir die Begriindung der Sctiuldhafligkeit geniigt damit bereits einpotentielles Unrechtsbewusstsein. Die Entscheidung des BGH fur die BeachtUchkeit des Verbotsirrtums - kein Schuldvorwurf bei Unvermeidbarkeit; verminderte Schuld bei Vermeidbarkeit schHeBt aber eine zweite Entscheidung ein, die in dem Beschluss des BGH nicht ausdriicklich angesprochen wird: Die Entscheidung fur die Trennung der „siamesischen Zwillinge" Unrechtsbewusstsein und Vorsatz, genauer: fiir die Anerkennung des Unrechtsbewusstseins als selbstandiges Element des Schuldbegriffs (sog. Schuldtheorie). Dies bedeutete zugleich eine Absage an die sog. Vorsatztheorie^ welche infolge einer unlosbaren Einheit von Vorsatz und Unrechtsbewusstsein in Fallen mangelnden Unrechtsbewusstseins auch einen Wegfall des Vorsatzes annahm.^^ Seine Entscheidung fiir die Schuldtheorie begriindete der BGH im wesentlichen mit den beiden folgenden Argumenten: -

Die Vorsatztheorie mtisse in alien Fallen zum Ausschluss des Vorsatzes fiihren, in denen der Tater im Augenblick der Tatbestandsverwirklichung ohne Unrechtsbewusstsein handele, was nach der Erfahrung des taglichen Lebens haufig der Fall sei. Der Gesetzgeber habe aber auch in solchen Fallen (z.B. vorsatzliche Totung zur Befriedigung des Geschlechtstriebs, § 211; vorsatzliche Totung im asthenischen Affekt, § 213) an der Vorsatzstrafe festgehalten. - Angesichts der groiien Zahl der nur vorsatzlich begehbaren Straftatbestande mtisse die Vorsatztheorie zwangslaufig zu Strafbarkeitslticken fiihren.^^

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Die Anerkennung des Unrechtsbewusstseins als selbstandiges Schuldelement und die dadurch ermoglichte Vorsatzstrafbarkeit helfe nicht nur iiber die Mangel der Vorsatztheorie hinweg, sondern habe dariiber hinaus noch folgende Vorteile: -

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Eine Strafbarkeit aus dem Vorsatzdelikt werde moglich, ohne dass ein Unrechtsbewusstsein schlicht unterstellt werden mtisse. Die Strafbarkeit auch des tJberzeugungstaters sei bruchlos erklarbar.^^

Der Gesetzgeber des 2. Strafrechtsreformgesetzes hat sich dieser Argumentation, die i.ii. auch eine Stiitze im rein normativen Schuldbegriff der finalen Handlungslehre findet,^^ durch die Einftihrung von § 17 angeschlossen.^"^ Die darin zum Ausdruck kommende Beibehaltung des Vorsatzes beim Verbotsirrtum lasst ein Festhalten an der Vorsatztheorie ohne gesetzliche Grundlage. Die Entscheidung des Gesetzgebers in § 17 erscheint tragbar.^^ Denn es ist ein grundlegender Unterschied, ob der Tater infolge der Unkenntnis von Tatsachen ohne Unrechtsbewusstsein ist oder ob er in Kenntnis der Tatsachen nur falsch wertet und infolgedessen kein Unrechtsbewusstsein hat.^^ Im zweiten Fall Naher zur Vorsatztheorie Baumann/Weber/Mitsch AT § 21/40 ff.; Langer GA 1976, 193 ff.; Schmidhauser JZ 1979, 361 ff. Naher zum ganzen BGHSt 2, 206 f BGHSt 2, 208. S.o. §7/11. Zur Verfassungsmaiiigkeit der Verbotsirrtumsregelung BVerfG 1 BvL 24/75 BVerfGE 41, 121. Kritisch hingegen Baumann/Weber/Mitsch AT § 21/40. Die Sachgerechtigkeit einer differenzierenden Betrachtungsweise wird dann besonders deutlich, wenn, trotz identischer Rechtsfolge (FahrlassigkeitshaJftung), in den Irrtumsvoraussetzungen Kategorien gebildet werden, wie dies z.B. in und zu § 9 des osterreichischen Finanzstrafgesetzes geschieht, vgl. Moos Die Irrtumsproblematik im Finanzstrafrecht, in: Leitner (Hrsg.), Aktuelles zum Finanzstrafrecht, Wien 1998, S. 103 ff.

B. Entwicklungsschritte in Rechtsprechung und Lehre

493

weiB er, was er tut und verwirklicht diesen Sachverhalt auch willentlich. Das Fehlen seines Unrechtsbewusstseins beruht allein auf der unrichtigen Bewertung ihm bekannter Tatsachen. Gesehen werden muss aber auch, dass mit der Entscheidung fiir Schuldtheorie und Verbotsirrtum die Anforderungen an das Unrechtsbewusstsein herabgesetzt werden. Nicht mehr aktuelles Unrechtsbewusstsein ist erforderlich, sondern potentielles (YermQidbarkeit) Unrechtsbewusstsein reicht fiir die Bejahung der Schuldhaftigkeit aus.^^

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Wendet man die Rechtsprechung des BGH auf Beispiel 13/5 Honorar-Fail an, so kommt es nach § 17 darauf an, ob der Rechtsanwalt seinen Irrtum vermeiden konnte oder nicht. Im ersten Fall konnte die Strafe gemildert werden, im zweiten Fall ware er straffrei.

2.

Zur Unvermeidbarkeit des Verbotsirrtums^^

Weil der Verbotsirrtum nur bei Unvermeidbarkeit zur Straflosigkeit fiihrt, kommt dieser eine entscheidende Bedeutung zu. Von einer Unvermeidbarkeit geht die Rechtsprechung nur dann aus, wenn der Tater trotz einer Prufung unter Anspannung seines Gewissens den Irrtum nicht vermeiden konnte. Der Tater ist danach verpflichtet, alle seine geistigen Erkenntniskrafte und sittlichen Wertvorstellungen einzusetzen, um sich ein Urteil iiber die Rechtswidrigkeit seines Verhaltens zu bilden.^^ Im Zweifelsfalle ist der Tater verpflichtet, Rechtsrat einzuholen. LedigUch bei Unterlassungsdelikten legt der BGH weniger hohe MaBstabe an.^^ Insgesamt lasst sich feststellen, dass die Praxis extrem selten eine Unvermeidbarkeit des Verbotsirrtums annimmt.^^ Aufgrund dieser restriktiven Handhabung ist die Rechtsprechung zur Unvermeidbarkeit des Verbotsirrtums nicht zu Unrecht in die Kritik geraten. Zum einen werde gerade der Zweifelnde dem Sorglosen gegeniiber benachteiligt. Denn wer nicht zweifle, dem werde auch die Einholung von Erkundigungen nicht zur Pflicht gemacht. Zum anderen fiahrten die iiberzogenen Anft)rderungen an die Unvermeidbarkeit dazu, dass der Irrtum in Form der Unkenntnis des Verbotenseins faktisch wie der error iuris criminalis in der Reichsgerichtsrechtsprechung behandelt werde - wenn man einmal von der MogUchkeit der Strafmilderung nach § 17 Satz 2 i. V. m. § 49 absieht.^^ 3.

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40

Inhalt und Umfang des Unrechtsbewusstseins^^

Weil die Beachthchkeit des Verbotsirrtums davon abhangt, dass der Tater ohne Unrechtsbevmsstsein - d.h. in Unkenntnis iiber das Verbotensein seines VerhalAber auch Vertreter der Schuldtheorie woUen ein sachgedankliches Unrechtsbewusstsein hinreichen lassen, vgl. Schmidhduser AT LB 10/60 f. Naher Zaczyk JuS 1990, 889 ff.; Puppe FS fur Rudolphi, S. 231 ff. Vgl. BGH 2 StR 612/52 BGHSt 4, 1/5. Vgl. BGH GSSt 1/61 BGHSt 16, 155/160; BGH 1 StR 26/64 NJW 1964, 1330/1331. Aus der jtingeren Rechtsprechung BGH 5 StR 494/97 BGHSt 44, 52/60; zu Nachweisen iiber die Zunickhaltung der Praxis bei der Annahme unvermeidbarer Verbotsirrttimer vgl. Baumann/Weber/Mitsch AT § 21 FN 128. Vgl. Baumann/Weber/Mitsch AT § 21/63; Roxin AT 1 § 21/51 ff. Umfassend zu Unrechtsbewusstsein und Verbotsirrtum Neumann JuS 1993, 793 ff.

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§ 13. Irrtum

tens - ist, bedarf es der naheren Klarung, was man unter „Unrechtsbewusstsein" verstehen soil. a) 42

Mit Unrechtsbewusstsein handelt der Tater nur dann, wenn er sich dessen bewusst ist, dass sein Verhalten der RechtsoidiXmxs% widerspricht.^"^ Dies bedeutet einerseits, dass das bloBe Bewusstsein, xmmoralisch zu handeln, ftir die Annahme eines Unrechtsbewusstseins nicht hinreicht. Auf der anderen Seite ist es nicht erforderUch, dass sich der Tater die Strafbarkeit seines Verhaltens vorstellt oder dass er die das Verbot enthaltende gesetzliche Vorschrift kennt. Ein Unrechtsbewusstsein ist daher z.B. auch dann vorhanden, wenn der Tater zwar nicht die Strafbarkeit seines Verhaltens als Diebstahl (§ 242) kennt, wohl aber in dem Bewusstsein handelt, gegen die Zivilrechtsordnung (z.B. in Form von verbotener Eigenmacht, § 858 BGB) zu verstoBen. Es gentigt das „Bewusstsein des VerstoBes gegen ein sanktionsbewehrtes rechtliches Verbot".^^ Da in diesen Fallen ein Unrechtsbewusstsein gegeben ist, fehlt bereits jede Voraussetzung fiir die Annahme eines Verbotsirrtums. b)

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Unrechtsbewusstsein als Bewusstsein des Unrechts

Unrechtsbewusstsein in Form einer Parallelwertung in der Laiensphare

Eine weitere Fallgruppe, in der ein Verbotsirrtum ausscheidet, weil ein Unrechtsbewusstsein gegeben ist, findet sich im Rahmen der Irrtumer iiber normative Tatbestandsmerkmale, d.h. Merkmale, deren Bedeutung sich nicht ohne weiteres erschlieBt, sondern eine bestimmte Bewertung erfordert, wie etwa die „Urkunde" in § 267 oder die „Wegnalime" in § 242.^^. Erfasst der Tater wertend die Bedeutung eines normativen Tatbestandsmerkmals, so ist es unbeachtlich, ob er die im Tatbestand verwendete Bezeichnung mit der Bedeutung in Verbindung bringt. Ausschlaggebend ist hier die sog. ,,Parallelwertung in der Laiensphare''^^ welche zur Begriindung des Unrechtsbewusstseins hinreicht. Beispiel 13/6 Parteiverrats-V2i[\ BGH 4 StR 381/54 BGHSt 7, 261: Der angeklagte Rechtsanwalt R wurde in folgender Weise tatig: - Er verteidigte F gegen den Vorwurf der fahrlassigen Korperverletzung wegen eines Verkehrsunfalls, bei dem Beifahrer A verletzt wurde. Vgl. BGH GSSt 2/51 BGHSt 2, 194/202; hY^Schroeder § 17 RN 6 mwN; Otto GK AT § 7/67 ff., 75 unterscheidet neben diesem „formellen Unrechtsbewusstsein" ein „materielles", bezogen auf die Sozialschadlichkeit des Verhaltens und als Bestandteil des Unrechts (= Gesinnungsunwert). ^NK'Neumann § 17 vor RN 20. Der LFbergang von beschreibenden (deskriptiven) und bewertenden (normativen) Merkmalen ist flieiiend. Bei sehr enger Betrachtung konnte man nahezu jedes Tatbestandsmerkmal als normatives Merkmal einordnen. In diesem Sinne hat bereits die Festlegung der Menschqualitat normativen Charakter: Im Bereich des Strafrechts beginnt das Menschsein im Sinne der Totungsdelikte mit dem Beginn, im Sinne des Zivilrechts mit der Vollendung der Geburt. Vgl. Jescheck/Weigend AT § 29 II 3; umfassend Kaufmann, Arthur Die Parallelwertung in der Laiensphare, 1982; fur Verzichtbarkeit des Terminus Schulz Parallelwertung in der Laiensphare und Vorsatzbegriff. Skizzen zur Dogmengeschichte eines dogmatischen Kuriosums, FS fur Bemmann, S. 246 ff.

B. Entwicklungsschritte in Rechtsprechung und Lehre

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- Er vertrat F im Zivilprozess wegen einer Schadensersatzforderung gegen den Verkehrsunfallgegner K. - Er vertrat den Beifahrer A wegen Schadensersatzanspnichen gegen die Versicherung vonF. - Er vertrat A im Rechtsstreit mit F, weil die Versicherung des F nicht zahlte. Nach § 356 (Parteiverrat) macht sich ein Anwalt strafbar, „welcher bei den ihm in dieser Eigenschaft anvertrauten Angelegenheiten in derselben Rechtssache beiden Parteien durch Rat Oder Beistand pflichtwidrig dient". Sinn der Vorschrift ist es, die Treuepflicht gegentiber dem Anftraggeber und damit das Vertrauen der Rechtssuchenden in die Rechtspflege zu scMtzen. R rechtfertigte sich damit, dass es sich bei dem Anspruch des A gegen F nicht um „dieselbe Rechtssache" im Sinne von § 356 (Parteiverrat) gehandeh habe wie bei der Verteidigung des F. Der BGH ging hingegen von „derselben Sache" aus, weil derselbe Lebenssachverhah zugmnde lag. Auch ein Interessengegensatz habe vorgelegen, weil es sich um Anspniche gegen F handelte. Der BGH (St 7, 263) verneinte einen beachtlichen Irrtum des R: „Wie der Zusammenhang der Urteilsgrtinde ergibt, erkannte der Angeklagte den ihm von F anvertrauten Sachverhalt in dem neuen Auftrag wieder; er sah die gemeinsame Grundlage, die in dem von F mitverursachten Verkehrsunfall bestand. Er meinte aber, dass die „tatsachlichen Gegebenheiten in objektiver Hinsicht das Tatbestandsmerkmal derselben Rechtssache nicht erfullten", weil er glaubte, der gesetzliche Begriff der „Rechtssache" sei dem der „Prozesssache" gleichzustellen, da die Interessen der Parteien im Strafverfahren ganz anders seien als im Zivilprozess. Sein Irrtum beruhte also auf einer Verkennung des gesetzlichen Tatbestandsmerkmals."...

Die bloBe Unkenntnis der Moglichkeit, einen Sachverhalt unter ein Tatbestandsmerkmal zu subsumieren, lasst bei Vorliegen einer zutrefFenden Wertung somit das Unrechtsbewusstsein unberiihrt und ist daher als sog. Subsumtionsirrtum unbeachtlich. c)

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Teilbarkeit des Unrechtsbewusstseins

Das Unrechtsbewusstsein ist teilbar. So ist es bei komplexen Handlungen moglich, dass der Tater beziigUch des einen beeintrachtigten Rechtsguts mit, bezuglich des anderen ohne Unrechtsbewusstsein handelt. Beispiel 13/7: Im Fall BGH 4 StR 234/56 BGHSt 10, 35 hatte der Angeklagte, der als Volksdeutscher in der Nahe von Belgrad geboren, nach dem Balkanfeldzug 1941 deutscher Soldat geworden und nach der Entlassung aus der Kriegsgefangenschaft in Deutschland geblieben war, 1955 mit seiner damals 17 Jahre alten Stieftochter den Geschlechtsverkehr ausgefiihrt. Er war sich dabei des zwischen ihm und seiner Stieftochter bestehenden Abhangigkeitsverhaltnisses im Sinne des § 174 Nr. 1 StGB a.F. bewusst. Auch war ihm bekannt, dass der Beischlaf mit seiner Stieftochter als einer ihm anvertrauten Person verboten war und dass er einen (damals noch strafbaren) Ehebruch beging. Fraglich blieb jedoch, ob der Angeklagte auch mit Unrechtsbewusstsein hinsichtlich des Vergehens gegen § 173 II S. 2 StGB a.F. (Beischlaf zwischen Verschwagerten^^ auf- und absteigender Linie) gehandelt hatte. Denn die Revision machte geltend, dass der Angeklagte als Volksdeutscher auf dem Balkan unter fremden, insbesondere vom orientalischen Recht beein-

Schwagerschaft ist eine besondere familienrechtliche Beziehung zwischen zwei Menschen, die durch eine Verwandtschaft und eine Ehe hergestellt wird, z.B. des Bruders mit dem Ehemann seiner Schwester; hier: des Angeklagten mit der Tochter, die seine Frau mit in die Ehe gebracht hatte.

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§ 13. Irrtum

flussten Rechtsbegriffen aufgewachsen sei und daher nicht gewusst habe, dass der Geschlechtsverkehr mit seiner Stieftochter strafbar sei. Der BGH nahm - in Abandemng seiner Rechtsprechung^^ - eine Teilbarkeit des Unrechtsbewusstseins an. Denn der jeweilige Schuldvorwurf hange davon ab, anf welchen Tatbestand sich das Unrechtsbewusstsein bezieht, wenn in den Tatbestanden Formen des Unrechts enthalten sind, die sich nach Art und Schwere unterscheiden. Weder das allgemeine Bewusstsein, etwas Unrechtes zu tun, noch das auf einen anderen Tatbestand bezogene Unrechtsbewusstsein konne den besonderen Schuldvorwurf fur den vom Tater verwirklichten Tatbestand rechtfertigen. Das einem bestimmten Tatbestand zugeordnete Unrechtsbewusstsein konne durch ein allgemeines oder anderes nicht ersetzt werden. Das Unrechtsbewusstsein mtisse daher tatbestandsbezogen sein, sich also auf das dem jeweiligen Tatbestand zugrunde liegende Verbot erstrecken."*^ 46

Diese Rechtsprechung des BGH iiberzeugt auch insoweit, als auf den jeweils spezifischen Straftatbestand im Sinne eines Unrechtstypus abgestellt wird. Denn dies ist auch bei sonstigen Elementen der Irrtumslehre der Fall. Es ist daher auch moglich, dass innerhalb von verwandten Tatbestandsgruppen, z.B. Vermogensdelikten, Unrechtsbevrasstsein beztiglich des einen Tatbestandes vorhanden ist, wahrend es bezughch des anderen fehlt."^^

C. Der Irrtum im Strafrecht - verbrechenssystematische Darstellung 47

Die doch recht abstrakten Uberlegungen zur Struktur des Irrtums in Teil A und zur Unterscheidung zwischen Tatbestands- und Verbotsirrtum in Teil B seien nun - dem Verbrechensaufbau folgend (I-IV) - durch konkrete Beispielsfalle erganzt. Dabei wird jeweils die Frage nach dem Gegenstand{\.,), der Form (a...) und der Beachtlichkeit des Irrtums gestellt: I.

Irrtiimer iiber Elemente der TatbestandsmaOigkeit

1.

Gegenstand: Tatbestandsmerkmal/deskriptiv

a)

Form:

Unkenntnis

Beispiel 13/8: In der Morgendammerung schielit der Jager J auf ein sich bewegendes „Etwas" im Unterholz, das er fur ein Reh halt. Als er das Reh aus dem Unterholz hervorholen will, entdeckt er zu seinem Entsetzen, dass es sich bei dem „Etwas" um einen Pilzsammler gehandelt hat, den er getotet hat. 48

Der Irrtum ist als Fall von § 16 I beachtlich. Ergebnis: J § 212 (-); § 222 (+), wenn die Unkenntnis auf Fahrlassigkeit beruhte.

^^ Ftir Unteilbarkeit des Unrechtsbewusstseins noch BGH 1 StR 495/52 BGHSt 3, 342. ^^ BGH 4 StR 234/56 BGHSt 10, 39. ^^ Ftir die Bildung von Rechtsgiitergruppen Baumann/Weber/Mitsch AT § 21/53.

C.I. Irrttimer tiber Elemente der Tatbestandsmaliigkeit

b)

Form: Irrige

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Annahme

Beispiel 13/9: In der Morgendammerung legt der Jager J mit Totungsvorsatz auf ein sich bewegendes „Etwas" im Unterholz an, das er fiir einen Pilzsammler halt. Nachdem er geschossen hat, bemerkt er, dass es sich bei dem „Etwas" im Unterholz um ein (nunmehr getotetes) Reh und nicht um den Pilzsammler gehandelt hat. Beziiglich des Pilzsammlers liegt ein Entschluss des J vor, einen anderen zu toten, zu dem er unmittelbar angesetzt hat. Der Irrtum ist folglich beachtlich, ohne dass es einer ausdriicklichen Regelung bedarf. Ergebnis: J §§ 212, 22, 23 (+). Die Totung des Rehs ist, da allenfalls „fahrlassige Sachbeschadigung", strafrechtlich irrelevant. 2.

Gegenstand: Tatbestandsmerkmal/normativ

a)

Form: Unkenntnis

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Beispiel 13/10: Ktinstler K vertauscht die Preisetiketten einer teuren und einer billigen Sektflasche. Den zutreffenden Vorwurf, Urkundsdelikte (vgl. § 267) begangen zu haben, weist er briisk von sich, well die Etiketten nach seiner Ansicht keine Urkunden seien. Zum Verstandnis: Eine Urkunde ist eine „verk6rperte Gedankenerklarung, die allgemein Oder fur Eingeweihte verstandlich ist und einen Aussteller erkennen lasst und die zum Beweis einer rechtlich erheblichen Tatsache geeignet und bestimmt ist, gleichviel ob ihr die Bestimmung schon bei der Ausstellung oder erst spater gegeben wird." ^ Hier spielt es eine Rolle, ob der Tater die dem normativen Tatbestandsmerkmal (hier: „Urkunde") innewohnende Wertung kennt und nachvoUzieht oder ob er sie missversteht.

51

aa) Zutreffende Parallelwertung Wenn er die Wertung kennt und nachvoUzieht, kommt es nicht darauf an, ob er sie mit dem im Gesetz verwendeten BegrifF verbindet. Meint K etwa, dass die Urkundenqualitat eine Gedankenerklarung in Worten voraussetze, was bei einer bloBen Preisangabe nicht gegeben sei, dann irrt er nicht tiber die Bedeutung, sondern nur tiber die vom Gesetzgeber verwendete Bezeichnung. Dieser Irrtum ist unbeachtUch. So auch in dem hier geschilderten Fall: Der Tater weili, dass es sich bei dem Etikett in Verbindung mit der Flasche um die Gedankenerklarung handelt, dass die mit dem Etikett versehene Flasche zu dem auf dem Etikett abgedruckten Preis verkauft werden soil. Es handelt sich um einen unbeachtlichen Subsumtionsirrtum."*^ Ergebnis: K § 267 (+).

Lackner/Kilhl § 267 RN 2 mwN. Vgl. auch Heidingsfelder, Thomas Der umgekehrte Subsumtionsirrtum, 1991 mit Bespr. Mitsch ZStW 110 (1998), 171 ff.

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§ 13. Irrtum

bb) Unzutreffende Parallelwertung 53

Verkennt der Tater hingegen die Bedeutung des im gesetzlichen Tatbestand verwendeten Begriflfs, so liegt ein nach § 16 I beachtlicher Irrtum vor. Beispiel 13/11: Ktinstler K meint, dass es sich bei den Aufklebern um Endkontrollmarken des Sektherstellers handele, denen nach der Auslieferung kein Erklarungswert mehr zukomme und die er aus Griinden der farblichen Gestaltung vertauschen dtirfe, um die Flasche als Beispiel fur eine besonders gelungene Gestaltung im Ktinstlerseminar zu prasentieren.

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Hier erkennt A die Bedeutung der Aufkleber als Urkunden im Sinn von §§ 267, 274 (Urkundenvernichtung) nicht. Ergebnis: K gem. § 16 I; § 267 (-), eine fahrlassige Urkundenfalschung ist nicht unter Strafe gestellt. Eine unzutreffende Parallelwertung liegt insbesondere dann nahe, wenn dem normativen Tatbestandsmerkmal rechtliche Wertungen zugrunde liegen. Dies ware etwa der Fall, wenn der Tater auf Grund einer unzutreffenden rechtlichen Bewertung annimmt, Eigentum an einer Sache erworben zu haben. Hier Uegt Unkenntnis nach § 16 I 1 beziigHch des Tatbestandsmerkmals „fremd" im Sinne von § 242 auch dann vor, wenn der Tater die Fakten kennt, aber dennoch irrig annimmt, Eigentiimer geworden zu sein. Entscheidend ist, dass der Irrtum dem Tater den Blick fiir die Erfassung der Bedeutung des normativen Merkmals verstellt."^"^ Ein beriihmtes Beispiel bildet hier der sog. Moos-raus-VdW, BGH 4 StR 346/61 BGHSt 17, 87, betreffend die Unkenntnis des normativen Tatbestandsmerkmals „Rechtswidrigkeit der beabsichtigten Zueignung" beim Diebstahl."^^ b) Form: Irrige Annahme Beispiel 13/12: A lasst den Kanarienvogel seines Nachbarn aus dem Kafig entweichen und meint, dadurch den Tatbestand des § 120 I (Gefangenenbefreiung) erfuUt zu haben.

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Indem A den Kanarienvogel fiir einen „Gefangenen" i.S.v. § 120 halt, verkennt er den Gefangenenbegriff des StGB. Die Parallelwertung in der Laiensphare des A ist im Hinblick auf § 120 unzutreffend. A stellt sich folghch die Strafbarkeit eines Sachverhaltes vor, der nicht nach § 120 strafbar ist. Er begeht damit im HinbUck auf § 120 ein strafloses Wahndelikt.^^ Sein Irrtum ist beachtlich. Ergebnis: A bleibt straflfrei. Nimmt der Tater hingegen irrig das Vorliegen eines normativen Tatbestandsmerkmals an und wertet er zutreffend, so ist Versuchsstrafbarkeit gegeben: Vgl. \n.Qxz\xSchluchter\ui\xm, 1983, S. 121. Hierzu Gropp FS fur Weber, S. 127 ff., vgl. auch Kudlich JuS 2003, 243 ff.; Puppe AT 1 § 32/9. Wenn man annimmt, dass der entflogene Kanarienvogel in der Freiheit nicht tiberlebensfahig ist, lage zugleich eine Sachbeschadigung vor. Insoweit wiirde eine zutreffende Parallelwertung in der Laiensphare des A wohl vorliegen. Am straflosen Wahndelikt im Hinblick auf § 120 andert dies aber nichts. Vielmehr zeigt es, dass Beachtlichkeit und Folgen des Irrtums nur im Hinblick auf den jeweils in Frage stehenden Tatbestand entschieden werden konnen.

C.I. Irrttimer tiber Elemente der Tatbestandsmaiiigkeit

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Beispiel 13/13: A halt die KontroUmarken des Sektherstellers auf den Flaschen fur Preisetiketten des Ladeninhabers und tauscht die vermeintlichen Etiketten aus, um eine teure Flasche zum niedrigeren Preis kaufen zu konnen.

Da A hier zutreffend wertet, liegt das Handlungsunrecht einer Urkundenfalschung vor, auch wenn A der Meinung ist, dass auf Flaschen aufgeklebte Preisetiketten keine Urkunden seien. Ergebnis: Versuch einer Urkundenfalschung, §§ 267, 22, 23; auBerdem Strafbarkeit wegen Betrugs, § 263. 3.

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Irrtum tiber qualifizierende Tatbestandsmerkmale

a) Form: Unkenntnis Beispiel 13/14: A weiB nicht, dass sein Komplize B bei Begehung des Diebstahls eine Pistole mit sich fuhrt. B ist strafbar wegen eines Diebstahls mit Waffen, § 244 I Nr. 1 a. Der Irrtum ist als Fall von § 16 I 1 beachtlich. Ergebnis: A kann nur wegen Beteiligung an einem einfachen Diebstahl bestraft werden, §§ 242, 25 II.

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b) Form: Irrige Annahme Beispiel 13/15: A nimmt irrig an, dass sein Komplize B bei der Begehung des Diebstahls eine Pistole mit sich fiihrt. Falle dieser Art sind gesetzlich nicht ausdriicklich geregelt. Jedoch bedarf es auch keiner Regelung, well die allgemeinen Regeln der Strafrechtsdogmatik ausreichen. Neben dem Unrecht des § 242 liegt gleichzeitig das Handlungsunrecht des § 244 vor, ohne dass freilich das entsprechende Erfolgsunrecht gegeben ist. Hinsichtlich des Mitsichfiihrens einer SchusswafFe liegt folghch nur ein Versuch vor, wobei beide Tatbestande durch eine Handlung erfiillt werden, also in Tateinheit zueinander stehen (§ 52). Ergebnis: A §§ 242; 244 I Nr. 1 a, 22, 23 I; 52; B § 242. Da auch die straferhohenden Umstande der Regelbeispiele^"^ fur besonders schwere Falle (z.B. § 243) vom Vorsatz umfasst sein mtissen, wirkt eine sie betreffende Unkenntnis im Sinne von § 16 I 1 (analog) vorsatzausschlieBend. Auf diese Umstande darf die Annahme eines besonders schweren Falles dann nicht gesttitzt werden."^^ Umstritten ist, wie die irrige Annahme eines Regelbeispiels zu wiirdigen ist, d.h. ob der „Versuch" eines Regelbeispiels neben einem vollendeten „Grundtatbestand" eine Regelwirkung fur die Annahme eines besonders schweren Falles entfaltet. Dies wird von einer Mindermeinung angenommen."^^ Die tiberwiegende Meinung halt hier hingegen die Annahme eines besonders schweren Falles nur aufgrund einer erganzenden Gesamtbewertung fur moglich."*^ Der iiberwiegenden Meinung ist zuzustimmen, Zur Rechtsnatur der Regelbeispiele naher oben § 3 B II 5. Vgl. Eser in: Schonke/Schroder § 243 RN 43; Mitsch BT 2/1 § 1/175. Vgl. OLG Koln MDR 1973, 779 mit Anmerkung Dreher MDR 1974, 57;'S>K-Hoyer§ 243 RN 49; Z/>/JR 1981, 119/121. Vgl. BayObLGNJW 1980, 2207; OLG Stuttgart Justiz 1981, 135, 366; Maurach/Schroeder BT I § 33 RN 107; Mitsch BT 2/1 § 1/178; Otto Jura 1989, 201; Wessels/Hillenkamp BT 2, 22. Aufl. 1999, RN 207 f.

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§ 13. Irrtum

well der Versuch des Regelbeispiels neben der VoUendung des Grundtatbestandes nicht eigens ins Gewicht fallt. Werden hingegen sowohl der Diebstahl als auch das Regelbeispiel nur versucht, erlangt das Regelbeispiel Bedeutung und entfaltet eine Regelwirkung. Dem BGH, der in diesem Fall einen versuchten Diebstahl in einem besonders schweren Fall annimmt, ist daher zuzustimmen."^^

4.

Irrtum iiber priviiegierende Tatbestandsmerkmale

a) Form: Unkenntnis Beispiel 13/16: Krankenschwester K totet den schwerleidenden Patienten P aus Mitleid. Sie weiii nicht, dass P kurz zuvor den Arzt Dr. A ausdrixcklich und ernstlich um seine Totung ersucht hatte.

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Objektiv verwirklicht K den Tatbestand der Totung auf Verlangen, § 216, subjektiv geht sie jedoch davon aus, einen Totschlag (§ 212) zu begehen, ein Irrtum, der in § 16 nicht eigens beriicksichtigt ist. Die Unkenntnis der M vom Totungsverlangen des P ist insofern beachtlich, als sie zu einer Strafbarkeit wegen versuchten Totschlags (§§ 212, 22) in Tateinheit mit einer vollendeten Totung auf Verlangen fiihrt. Denn hinsichtlich § 212 ist nur das Handlungs-, nicht aber das Erfolgsunrecht gegeben, es Hegt nur ein entsprechender Entschluss vor. § 216 ist sowohl hinsichtlich des (im Entschluss zu § 212 enthaltenen) Handlungsunrechts als auch des Erfolgsunrechts erfiillt."*^ Ergebnis: K §§ 212, 22, 23; 216; 52. b) Form: Irrige Annahme^^ Beispiel 13/17: K nimmt irrig an, dass Patient P ernstlich und ausdnicklich seine Totung verlangt habe und verabreicht ihm eine todliche Injektion.

63

Der Irrtum ist als Fall von § 16 II beachtUch. Ergebnis: M § 216. 5.

64

Irrtum iiber den Geschehensablauf (Kausalabweichung)

Hier betriflft die Kausalabweichung ausschheBlich den Weg, auf dem der Erfolg bei dem ins Auge gefassten Angriflfsobjekt eintritt. Es besteht somit eine Kausalabweichung bei Identitat des Angriffsobjekts. Beispiel 13/18: A schieBt in Totungsabsicht auf B. B wird jedoch nur leicht verletzt und von einem Krankenwagen abgeholt. Auf dem Weg ins Krankenhaus verungltickt der Krankenwagen und B erleidet todliche Verletzungen.

Vgl. BGH 3 StR 291/85 BGHSt 33, 370 sowie oben § 9/49h f Vgl. Cramer/Sternberg-Lieben in: Schonke/Schroder § 16 RN 28; Jescheck/Weigend § 29 V 5 b; Roxin AT 1 § 12/127; fiir VoUendung des Grundtatbestandes (§ 212) jedoch Ebert AT 3. Teil 2. Abschnitt F II; Eser in: Schonke/Schroder § 216 RN 14/15 (mangels „Bestimmens" zur Tat in § 216). Vgl. auch Schluchter AT 6. Kap. B Frage 40.

C.I. Irrttimer uber Elemente der Tatbestandsmaiiigkeit

501

a) Form: Unkenntnis des eingetretenen Kausalverlaufs Uber die Beachtlichkeit der Unkenntnis des Taters iiber den eingetretenen Kausalveriauf bzw. die Zurechnung des Erfolgs lasst sich auf zwei Wegen entscheiden:

65

aa) Objektive Zurechnung Uber den Ansatz der objektiven Zurechnung^^ kame es auf den Irrtum gar nicht 66 an. Vielmehr ware zu fragen, ob die Kausalabweichung die objektive Zurechnung ausschlieBt. Legt man den Maiistab der objektiven Zurechnung an, so ware in Beispiel 13/18 die Herbeifuhrung des Erfolgs infolge des Verungltickens des Krankenwagens dem Tater nicht mehr als sein Werk zurechenbar (Fallgmppe: atypische Kausalveriaufe). Ergebnis: A warefiirden Tod des B nicht verantwortlich. bb) Subjektive Zurechnung Der etwas „aitmodischere" Ansatz iiber eine ..subjektive Zurechnung'' in Form des Irrtums iiber den Kausalveriauf, der auch heute noch von der Rechtsprechung vertreten wird,^^ nimmt eine Beachtlichkeit der Unkenntnis des wirklichen Kausalverlaufs mit der Folge einer Verneinung des Vorsatzes nach § 16 I (Kausalveriauf als Tatumstand) dann an, wenn der eingetretene Kausalveriauf von der urspriinglichen Vorstellung des Taters wesentlich abweicht. „Wesentlichkeit" soil dabei vorliegen, wenn der eingetretene Kausalveriauf aufierhalb des nach allgemeiner Lebenserfahrung Vorhersehbaren liegt oder einer abweichenden Bewertung bedarf ^^

67

Im Beispiel 13/18 ware die Vorhersehbarkeit wohl zu verneinen, weshalb die Unkenntnis des A beachtlich ware mit der Folge eines Irrtums nach § 16 I. Ergebnis: A § 212 (-), § 222 (-). Uber § 16 I fehlt ein Vorsatz des A beztiglich § 212. Weil der eingetretene Kausalveriauf auiierhalb des nach allgemeiner Lebenserfahrung Vorhersehbaren liegt, kommt auch eine Strafbarkeit wegen fahrlassiger Erfolgsverursachung nicht in Betracht.

Beispiel 13/18 zeigt anschauhch, dass im Bereich atypischer Kausalverlaufe Irrtumslehre und objektive Zurechnung nicht nur zu demselben Ergebnis kommen, sondern dariiber hinaus auch identische Argumentationsmuster benutzen.

Zur objektiven Zurechnung oben § 5/40 ff. Vgl. BGH 5 StR 131/60 NJW 1960, 1822; BGH 2 StR 383/91 b. Miebach NStZ 1992, 227 Nr. 59. Naher § 5/63 ff., 67.

68

502

§ 13. Irrtum

b) Form: Irrige Annahme des erwarteten Kausalverlaufs 69 70

Bezog sich die Unkenntnis im Beispiel 13/18 auf den eingetretenen Kausalverlauf, so betrifft die irrige Annahme den vorgestellten Kausalverlauf Eintritt des Todes unmittelbar durch den Pistolenschuss. Auch dieser Irrtum ist nicht explizit gesetzlich geregelt. Jedoch fiihrt der unmittelbare RuckgriflF auf allgemeine dogmatische Regeln zu tiberzeugenden Ergebnissen: A hat den Entschluss gefasst, B zu toten. Er hat hierzu auch unmittelbar angesetzt. Ausgeblieben ist lediglich der Erfolg. Damit liegt das Handlungsunrecht des Versuchs vor. Ergebnis:

6.

A^^lll,ll,l?>.

Irrtum iiber das Angriffsobjekt - Fallgruppe: Irrtum uber das Zieiobjekt mil Tatbestandsirrtum Beispiel 13/19: A schielit in Totungsabsicht auf B, trifft aber den neben B sitzenden Hund desB.

a) Form: Unkenntnis der Verletzung des getroffenen Zielobjekts 71

Bezlighch des Hundes als Angriffsobjekt des § 303 handelt A in Unkenntnis. Der Hund ist nicht nur ein von B verschiedenes Angriffsobjekt. Er erfiillt auch ein anderes Tatbestandsmerkmal (Sache). Es hegt ein Irrtum der oben in RN 48 dargestellten Gruppe vor, geregelt in § 161. Ergebnis: Kein Vorsatz beziighch § 303. Eine Fahrlassigkeitstrafbarkeit kommt mangels Strafbarkeit der fahrlassigen Sachbeschadigung nicht in Betracht. Nach tiberwiegender Meinung soil bereits hier ein Fall einer aberratio ictus vorhegen.^"^ Da in diesen Fallen jedoch bereits die Regeln des Tatbestandsirrtums eingreifen, ist dieser Ruckgriff nicht erforderhch.

b) Form: Irrige Annahme der Verletzung des angepeilten Zielobjekts 11

Bezuglich des B hegt ein Totungsentschluss vor, zu dem A unmittelbar angesetzt hat. A ist deshalb wegen Totungsversuchs zu Lasten des B strafbar. Ergebnis: A §§ 212, 22, 23, naher oben RN 49 f. 7.

Kausalabweichung in Form der aberratio ictus^^ Beispiel 13/20 Wanderstock-Fall RGSt 58, 27:^^ Der Schreiner L. drang urn Mitternacht in stark betninkenem Zustande nach Aufsprengung der Tur in das eheliche SchMzimmer Vgl. Jescheck/Weigend § 59 V 6 c. Die Bezeichnung „aberratio ictus" ist zusammengesetzt aus dem weiblichen Substantiv „aberratio" (das Abirren) und „ictus" (des Hiebes), dem Genitiv Singular des mannlichen Substantivs ictus = der Hieb. Weil ictus = der Hieb der u-Deklination folgt, wird das u im Genitiv lang gesprochen. Die genannte Irrtums-Konstellation kann man deutsch bezeichnen als das Fehlgehen des Hiebes oder lateinisch als die aberratio ictus. Siehe zur aberratio ictus auch oben § 5/75; sowie Hillenkamp 9. Problem. Vgl. Eser/Burkhardt StK I Nr. 18; Roxin AT 1 § 12/149 ff. mwN.

C.I. Irrtiimer liber Elemente der Tatbestandsmaliigkeit

503

seines Untermieters S. ein, obwohl ihn seine Frau zur Verhtitung eines Unglticks fest umklammerte und zuriickzuhalten suchte. L. sttirzte sich in rasender Wucht auf S.,. der bloii die Hose anzuziehen und seinen mit einer Eisenspitze versehenen Wanderstock zu ergreifen vermocht hatte, und auf dessen noch im Bette sitzende Ehefrau los, um beide zu treten und zu wurgen. Da von dem an Kdrperkraft weit uberlegenen L. in seiner Aufregung jede Gewalttatigkeit und sogar das AUerschlimmste zu befiirchten war, schlug S. mit seinem Stock auf ihn zu, traf aber mit dem ersten Streich bloJi Frau L., deren Anwesenheit er bei der Dunkelheit des nur schwach durch einen Kerzenschimmer tiber den Flur her erhellten Zimmers in seiner Besttirzung nicht bemerkt hatte, und zwar so unglticklich auf das rechte Auge, dass es erblindete. Hinsichtlich der Verletzung der Frau L. nimmt das Reichsgericht eine Beachtlichkeit des Irrtums an, obwohl Frau L. als „Angriffsobjekt Mensch" ihrem Ehemann gleicht. Denn: „Verwirklicht sich der dem Tater erwiinschte Erfolg anstatt an dem von ihm allein ins Auge gefassten Gegenstand an einem diesen zwar gleichgearteten, von ihm aber nicht vorgestellten Gegenstand - ohne Verwechslung beider^^- lediglich in Folge des Dazwischentretens von Umstanden, die den von ihn gedachten Ursachenverlauf anderten (aberratio ictus), so liegt nur ein Versuch der beabsichtigten Straftat vor, mit dem sich je nach Lage des Falles bloii noch eine strafbare Fahrlassigkeitstat hinsichtlich des verletzten Gegenstandes verbinden kann ... denn trotz Verursachung hat der Tater den getroffenen Gegenstand weder treffen woUen noch dass dies geschah, flir eine notwendige Folge seines Handelns angesehen; eine ihm nicht einmal bewusst gewordene Verletzung kann ihm aber niemals zum Vorsatz angerechnet werden und hieran vermag auch der Umstand nichts zu andern, dass die beiden in Betracht kommenden Gegenstande gleichen Rechtsschutz genieiien."^^ Auch die aberratio ictus lasst sich als Kausalabweichung konstruieren. Ihre Besonderheit besteht darin, dass jene Abweichung auch das Angriffsobjekt betrifft. a)

73

Form: Unkenntnis des getroffenen Objekts (hier: Frau L)

Hinsichtlich der Verletzung der Frau L handelt S in Unkenntnis. Fraglich ist jedoch, ob dieser Irrtum als Tatbestandsirrtum i.S. von § 16 I beachtlich ist, ob er zur Verneinung des Verletzungsvorsatzes beziighch der Frau L flihrt. § 16 I ware dann einschlagig, wenn es sich hinsichtlich der Verletzung von Frau L um einen Umstand handelt, der zum gesetzHchen Tatbestand des § 223 gehort und den S nicht kennt. Die Tatobjekte nach § 223 sind aber lediglich abstrakt ihrer Gattung nach bestimmt, d.h. Tatobjekt ksinnjeder andere Mensch sein, also auch Frau L als Angehorigen der Gattung „]V[ensch". Wenn aber § 223 auch Frau L einbezieht, dann Uegt beziiglich des Tatbestandsmerkmals „andere Person" in § 223 gar keine Unkenntnis des S vor.^^ An diese gattungsmafiige Identitat der AngrifFsobjekte Herr L/Frau L kniipft die sog. Gleichwertigkeitstheorie^^ an und gelangt zu einer Strafbarkeit des S wegen einer vorsatzlichen Korperverletzung zu Lasten der Frau L.

Damit ist das Nichtvorliegen eines error in persona gemeint. RGSt 58, 27/28, Hervorhebungen im Original. Die nach Hillenkamp 9. Problem I sog. „formelle Gleichwertigkeitstheorie" nimmt dies zum Anlass, eine Beachtlichkeit des Irrtums tiberhaupt abzulehnen und aus dem vollendeten Vorsatzdelikt zubestrafen, vgl. Kuhlen Unterscheidung, S. 491 ff. Puppe GA 1981, 1 ff; dies. JZ 1989, 730 ff.; Kuhlen Unterscheidung, S. 480 ff., 491 ff.

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78

Die herrschende sog. Konkretisierungstheorie^^ nimmt hingegen eine Konkretisierung des Vorsatzes des S auf Herrn L an und verneint deshalb einen Vorsatz bezuglich Frau L. Roxirf^ kommt zu demselben Ergebnis. Er kniipft an die Natur der aberratio ictus als Form einer Kausalabweichung an, bejaht die objektive Zurechnung, verneint dann aber die subjektive Zurechnung mittels des Kriteriums der Tatplanabweichung: der Tatplan sei an das vom Tater ausgewdhlte Handlungsobjekt gebunden. So sehr dies im Ergebnis iiberzeugt, ist dennoch ein Weg vorzuziehen, der direkt tiber eine Verneinung der objektiven Zurechnung ftihrt: Wtirde der Tater anstatt des anvisierten ein nicht demselben, sondern ein einem anderen Tatbestand unterfallendes anderes Tatobjekt treffen - wie im Beispiel 13/19 den Hund anstatt des Menschen - dann ware die Beachtlichkeit der Kausalabweichung und des auf ihr beruhenden Irrtums unumstritten. Denn dieser Irrtum tiber Tatumstande schlagt unmittelbar auf das Tatbestandsmerkmal als Gattungsbegriff durch. Weil es aber im wesentlichen vom Zufall abhangt, ob der Tater, der auf einen Menschen zielt, einen daneben stehenden Menschen, einen Hund Oder gar nichts trifft, wtirde die Zurechnung zur vorsatzlichen Begehung letztiich auf Zufall beruhen.^^ Mit Zufall lasst sich Strafbarkeit aber nicht begriinden, well fiir Zufalle niemand verantwortlich gemacht werden kann. Es ist deshalb sachgerecht, bereits die objektive Zurechnung einer vorsatzlichen Verletzung der Frau L zu verneinen. Ergebnis : Die Verletzung der Frau L kann S nicht als vorsatzlich verwirklicht zugerechnet werden. Eine mogliche Strafbarkeit wegen fahrlassiger Korperverletzung (§ 229) bleibt davon unberiihrt. Teilweise wird vorgeschlagen, eine Beachtlichkeit der Unkenntnis im Rahmen der aberratio ictus nur dann anzunehmen, wenn die betroffenen Angriffsobjekte hochstpersonlicher Natur (Leib, Leben, Freiheit) sind.^"* Wtirde der Tater z.B. auf die Blumenvase A zielen, versehentlich jedoch die Blumenvase B treffen, dann ware danach das Fehlgehen des Schusses eine unwesentliche Kausalabweichung. Weil der blofie Zufall jedoch auch auBerhalb betroffener hochstpersonlicher Gtiter eine Strafbarkeit nicht begriinden kann, kann auch in diesen Fallen nicht von einer Unbeachtlichkeit ausgegangen werden. Auf Grund derselben Uberlegung kann es fiir die Beachtlichkeit der Abweichung auch keine Rolle spielen, ob der Tater das erstrebte Tatobjekt sinnlich wahrnimmt.^^ b)

79

§ 13. Irrtum

Form: Irrige Annahme

Hinsichtlich des nicht getroffenen Herrn L liegt bei S eine irrige Annahme vor. Eine Strafbarkeit wegen Versuchs kommt insoweit schon nach allgemeinen Grundsatzen in Frage, well S den Entschluss gefasst hat, Herrn L zu verletzen, und hierzu auch unmittelbar angesetzt hat. Erganzender Hinweis: Vgl. Eser/Burkhardt StK I Nr. 9 A 22; Hettinger GA 1990, 531; Beulke KK I RN 169 f; Wessels/Beulke AT RN 250fif.mwN. AT 1 § 12/154 f Naher Gropp Der Zufall als Merkmal der aberratio ictus, Festschrift fiir Lenckner, S. 55 ff.; vgl. auch Blei AT § 33 I 1 c (S. 123) sowie Hillenkamp 26. Problem II; vgl. auch Herzberg NStZ 1999, 217/218 links. So die „materielle Gleichwertigkeitstheorie", vgl. Hillenkamp 9. Problem II. Vgl. aber BGH 1 StR 635/96 NStZ 1998, 294; Toepel JA 1997, 948 ff.; Prittwitz GA 1983, 110/134 ff.

C.I. Irrttimer iiber Elemente der Tatbestandsmaliigkeit

505

Die aberratio ictus ist nur dann anwendbar, wenn beim Tater nicht auch beztiglich des Erreichten Vorsatz (insbesondere dolus eventualis) vorliegt. Denn dann wiirde der Tater mit alternativem Tatentschluss hinsichtlich beider Angriffsobjekte handeln und ihm deshalb die Tat hinsichtlich des getroffenen Angriffsobjekts als vorsatzlich voUendet zugerechnet werden.

8.

OQ

Irrtum iiber das Angriffsobjekt - Fallgruppe: Irrtum uber die Identitat = error in persona vei obiecto^^

Beim error in persona vel obiecto fiihrt der Tater den Erfolg an der Person/dem Objekt herbei, die/das er treffen will. Er irrt jedoch tiber die Identitat: A schieBt mit Totungsvorsatz auf eine Person B, glaubt aber irrttimlich, dass es sich um C handele. Dieser Irrtum ist als sog. error on persona unbeachtlich, weil A den vor ihm stehenden „Menschen" im Sinne der §§ 211, 212 toten wollte und getotet hat. A ist wegen einer vollendeten vorsatzHchen Totung zum Nachteil des B strafbar. Es ist nicht einzusehen, dass A wegen seines bloBen Identitatsirrtums durch die Annahme eines Versuchs bezuglich des C in Tateinheit mit einer fahrlassigen Totung bezuglich des B im Strafmafi gtinstiger gestellt werden soil, wie dies im Falle der aberratio ictus geschieht.^^ Denn die Tatbestande der vorsatzHchen Totung schtitzen abstrakt jeden Menschen in gleicher Weise davor, vorsatzHch getotet zu werden, unabhangig davon, wer er ist oder/i/r wen er vom Tater gehalten wird. Trotz seiner einfachen Struktur fuhrt der error in persona vel obiecto in konkreten Fallen zu komplizierten Fragestellungen, so im Beispiel 13/21 Verfolger-FsAl BGH 4 StR 613/57 BGHSt 11, 268:^^ - Der Angeklagte P hatte zusammen mit den friiheren Mitangeklagten M und Th versucht, nachts in ein Lebensmittelgeschaft einzudringen, um dort zu stehlen. Jeder von ihnen war dabei mit einer geladenen Pistole bewaffnet. Als sie von A entdeckt wurden, flohen sie. An einer Hausecke bemerkte M riickwartsschauend, dass ihm in einer Entfernung von nicht mehr als zwei bis drei Metern eine Person folgte. Diese war der Angeklagte P. M hielt P fiir einen Verfolger (A) und furchtete, von ihm ergriffen zu werden. Um der vermeintlich drohenden Festnahme und der Aufdeckung seiner Taterschaft zu entgehen, schoss er auf die hinter ihm hergehende Person. Dabei rechnete er mit einer todlichen Wirkung seines Schusses und billigte diese Moglichkeit. Das Geschoss traf P am rechten Oberarm, durchschlug aber nur den gefixtterten Armel seines Jacketts und verfmg sich im aufgekrempelten Hemdsarmel. Die Verurteilung wegen versuchten Mordes durch das Landgericht wurde vom BGH bestatigt. Einer Bestrafting wegen eines versuchten Mordes in Mittaterschaft stehe nicht entgegen, dass das deutsche Strafrecht nur die Vernichtung fremden menschlichen Lebens ahndet. Denn es habe bei M der Entschluss vorgelegen, seinen vermeintlichen Verfolger zu toten, was sich der Angeklagte als Mittater zurechnen lassen mtisse. Dass M einer Objektsverwechslung zum Opfer gefallen sei, sei angesichts der Gleichwertigkeit der angegriffenen Rechtsgtiter strafrechtlich ohne Bedeutung.

Allerdings liegt hinsichtlich der Mittaterschaft des P insofern eine besondere Situation vor, als der Entschluss des M zur Totung des P eine Fremdtotungshandlung betrifft, die bezuglich des P materiell eine nichtvertypte Selbsttotungshandlung darstellt. Aus der Sicht des P ist P somit ein untaugliches Objekt fur die Vgl. mchKoriath JuS 1998, 215 ff. Vgl.oben Beispiel 13/20. Vgl. Eser StK II Nr. 39 vor allem A 13 f.; Roxin AT 1 § 12/173 ff.

81

506

§ 13. Irrtum

Durchfiihrung einer mittaterschaftlichen Fremdtotung. Auch eine aus der Sicht des M vollendete Tat - etwa in Form einer gefahrlichen Korperverletzung nach § 224 - wiirde hinsichtlich des P deshalb nur zu einer Strafbarkeit als Mittater wegen Versuchs fiihren, weil er selbst kein taugliches Objekt einer Fremdverletzung sein kann. Es gilt hier der aus der Teilnahmelehre bekannte Satz: Mittater kann nur sein, wer selbst Tater sein kann. Tater einer Selbstverletzung konnte P indessen nicht sein. Mittater des Fremdverletzungsversuchs kann er hingegen •

sem.

69

a) Form: Unkenntnis der wahren Identitdt 82

Im Unterschied zur aberratio ictus ist der Identitatsirrtum unbeachtlich. Denn es liegt in Fallen wie diesen zunachst kein Irrtum tiber Tatumstande vor, die zum gesetzHchen Tatbestand gehoren (§ 16 I).^^ Aber auch das „Zufalls-Argument" spielt - anders als bei der aberratio ictus - hier keine Rolle. Denn der intendierte bzw. eingetretene Erfolg - die Totung des Verfolgers - ist in seiner Tatbestandsmdfiigkeit tiberhaupt nicht zufallig, sondern von M, Th und P als Mittater wissentlich und willentlich herbeigefiihrt. Ergebnis: P §§ 212, 211, 22, 23 zumNachteil des „Verfolgers". b) Form: Irrige Annahme

83

Weil der Irrtum des M unbeachtlich ist, kommt auch eine Strafbarkeit wegen eines Versuches zum Nachteil des A nicht in Betracht. Vielmehr wird M so behandelt, als ob Entschluss und Erfolg iibereinstimmen vmrden, was im Rahmen der Kategorie des Tatbestandes ja auch zutrifft. 9.

Strafbarkeit des Anstifters bzw. Gehilfen bei error in obiecto vei persona des Taters Beispiel 13/22 Rose-Rosahl-¥di\\ Preuliisches Obertribunal GA 7 (1859), 322 ff.: Der Holzhandler Rosahl hatte seinen Mitarbeiter Rose angestiftet, Rosahls Glaubiger Schliebe aufzulauern und ihn umzubringen. Rose totete eine Person, die erfiirSchliebe hielt, die in Wirklichkeit aber der zufallig vorbeikommende Gymnasiast Harnisch war. Das Obertribunal bestatigte die Verurteilung des Rosahl durch das Schwurgericht wegen Anstiftung zum Mord. Einen ahnlichen Sachverhalt betriffl die Entscheidung BGH 4 StR 371/90 BGHSt 37, 214 vom 25.10.1990, der sog. Hoferben-¥?M'J^ Bauer A stiftet den St. an, seinen Sohn, den Hoferben, zu toten. A beschrieb das Opfer und zeigte St. sogar ein Bild des Sohnes, um eine Verwechslung zu vermeiden. Aufgrund unglticklicher Umstande totete St. in der Dunkelheit am vereinbarten Ort zur vereinbarten Zeit eine Person, die er fur den Sohn hielt, die jedoch der Nachbar Zur entsprechenden Situation bei Teilnahme Cramer/Heine in: Schonke/Schroder RN 45 vor §25. Vgl. oben bei der aberratio ictus RN 73. Inzwischen bestatigt durch den Sprengfallen-¥2i\\ BGH 1 StR 635/96 NStZ 1998, 249 mit Anm. Herzberg JuS 1999, 224 ff.; Geppert JK 1998 § 16/4; vgl. auch Puppe AT 1 § 20/22 und 34, AT 2 § 43/5.

C.I. Irrttimer tiber Elemente der Tatbestandsmaiiigkeit

5 07

Sch. war. Wie das PreuBische Obertribunal nahm der BGH eine Strafbarkeit des A wegen Anstiftung zum Mord an. Die Entscheidung BGHSt 37, 214 stieii auf ein lebhaftes Echo in der Literatur.^^ Einigkeit besteht zunachst darin, dass jedenfalls beim Tater (Rose bzw. St.) ein unbeachtUcher error in persona gegeben ist. Insoweit wird ein vollendetes Totungsdelikt angenommen. Die Strafbarkeit des Hintermannes ist hingegen lebhaft umstritten. Im wesentlichen bestehen drei Auffassungen: Nicht selten wird beim Hintermann eine aberratio ictus angenommen, d.h. eine versuchte Anstiftung bzw. eine Anstiftung zum Versuch hinsichtlich des vermeintlichen und eine fahrlassige Totung hinsichtlich des getoteten Opfers.^^ Als Begnindung wird im Wesentlichen darauf verwiesen, dass die Verwechslung des Taters einen Irrtum des Hintermannes tiber den Kausalverlauf darstelle. Die aberratio ictus sei als Spezialfall eines Irrtums tiber den Kausalverlauf anwendbar, wenn infolge der Kausalabweichung dasselbe Rechtsgut verletzt werde. Eine Anstiftung zum Versuch nehmen jene an, die trotz des error in persona beim Tater einen Versuch hinsichtlich des angestrebten Opfers sehen.^"* Andere weisen darauf hin, dass es gerade der Sinn des error in persona des Haupttaters sei, eine Vollendung und nicht einen Versuch zu konstruieren. Wenn aber gerade keine versuchte Haupttat existiere, dann konne dazu auch keine Anstiftung vorliegen.^^ Gegen eine Anstiftung zur vollendeten Totung wird vor allem ein Argument Bindings^^ geltend gemacht: Tote der Vordermann zusatzlich das „richtige" Opfer, mtisse der Hintermann flir zwei vollendete Totungen verantwortlich gemacht werden, obwohl er nur eine wollte (sog. „Gemetzer'-Argument). Eine zweite AufFassung geht ebenfalls von einem Irrtum des Hintermanns liber den Kausalverlauf aus, lehnt jedoch die Anwendung der aberratio ictus zu Gunsten der allgemeinen Grundsatze zum Irrtum tiber den Kausalverlauf ab. Danach ist die Personenverwechslung des Vordermannes fiir den Hintermann beachthch, wenn sie eine wesentliche Abweichung des Kausalverlaufs darstellt. Ist die Abweichung wesentlich, gelten die Folgen der aberratio ictus. Der BGH hielt die Abweichung fiir unwesentlich, was zu einer Anstiftung zur vollendeten Totung fiihrt. Diese von Hillenkamp^^ so genannte „Wesentlichkeitstheorie" kann fiir sich geltend machen, dass die aberratio ictus auf Falle zugeschnitten ist, in denen der Erfolg zufallig an einem tatbestandlich gleichen Angriffsobjekt eintritt. Eine solche Situation ist hier indessen gerade nicht gegeben. Es ist deshalb sachgerecht, die Spezialregel der aberratio ictus nicht anzuwenden.

Vgl. Bemmann Festschrift fiir Stree/Wessels, S. 397 ff.; Geppert Jura 1992, 163 ff.; Hillenkamp 26. Problem; Kupper JR 1992, 294 ff.; Miiller MDR 1991, 830 f; Puppe NStZ 1991, 124; W

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F. Literatur Eser Zur Entwicklung von Mafiregeln der Bessemng und Sicherung als zweite Spur im Strafrecht, FS fiiir Mtiller-Dietz, S. 213 ff.; Gohler Die neue Regelung zum Verfall, Wistra 1992, 133 ff.; Heinz Sanktionierungspraxis in der Bundesrepublik Deutschland im Spiegel der Rechtspflegestatistik, ZStW 111 (1999), 461 ff.; Herzog Gewinnabschopfixng unter der Flagge der positiven Generalpravention, JR 2004, 494 ff.; Katholnigg Die Neuregelungen beim Verfall, JR 1994, 353 ff.; Meier, Bernd-Dieter Strafrechtliche Sanktionen, 2001; KM Neues strafrechtliches Sanktionensystem, in: BurkhardHeB (Hrsg.), Wandel der Rechtsordnung, 2003, S. 141 ff.; Laubenthal 1st das deutsche Jugendstrafrecht noch zeitgemaii?, JZ 2002, 807 ff.; Nack Aktuelle Rechtsprechung des Bundesgerichtshof zum Verfall, GA 2003, 879 ff.; Perron Vermogensstrafe und erweiterter Verfall, JZ 1993, 919 ff.; Roxin Strafe und Wiedergutmachung, in: Thomas Rauscher/Heinz-Peter Mansel, FS fiir Werner Lorenz, 2001, S. 51 ff.; ScMtz Die Rechtsfolgen der Straftat, Jura 1995, 399 ff., 460 ff.; Stein Tater-OpferAusgleich und Schuldprinzip. Uberlegungen zur geringen Akzeptanz des Tater-OpferAusgleichs fur Erwachsene in der Praxis, NStZ 2000, 393 ff.; Streng, Franz Strafrechtliche Sanktionen. Die Strafzumessung und ihre Grundlagen, 2. Aufl. 2002; Weigend Wiedergutmachung als, neben oder statt Strafe? FS fiir Mtiller-Dietz, S. 975 ff.

Zur Vertiefung Dolling Gerechtigkeit, Hilfe und KontroUe - tJber Entwicklungen bei der Schuldfahigkeitsbeurteilung und bei der Anordnung von Maiiregeln der Bessemng und Sichemng, FS fiir Rolinski, S. 55 ff.; Eser, Albin Die strafrechtlichen Sanktionen gegen das Eigentum, 1969; ders. Neue Wege der Gewinnabschopfiing, FS fiir Stree/Wessels, S. 833 ff.; Hanack Nachtragliche Anordnung von Sichemngsverwahmng?, FS fur Peter RieJi, hrsg. von Ernst-Walter Hanack u.a., 2002, S. 709 ff.; Hoyer Die Rechtsnatur des Verfalls, GA 1993, 406 ff.; Kinzig Schrankenlose Sicherheit? - Das Bundesverfassungsgericht vor der Entscheidung uber die Geltung des Rtickwirkungsverbots im Maiiregelrecht, StV 2000, 331 ff.; ders. Neues von der Sichemngsverwahmng, StV 2002, 500 ff.; Schultehinrichs Gewinnabschopfiing bei

562

§ 15. Strafrechtliche Sanktionen

Betaubungsmitteldelikten - Erweiterter Verfall, 1991; Streng Modernes Sanktionenrecht?, ZStW 111 (1999), 827 ff.; Walther Was soil „Strafe"?, ZStW 111 (1999), 123 ff.

§ 16. Antworten auf die KontroUfragen

Antworten auf die Fragen in § 1 A III 1. Als later, - - - ^ - -' ' als auBenstehender Dritter (§ 1 RN 2 ff.). blgung und als StrafVollstreokung (§ 1 RN 2 fF.J 2, Als Strafti 6ff., 13 ff ' -It. T7--1 ._..__ -_ J-. entsprechenden 3. D' ^ " R lurch 4. D L

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564

§16. Antworten auf die Kontrollfragen

Antworten auf die Fragen in § 1 B VI, Fortsetzung 5. Die Bildung des Allgemeine "" '' ' " GB dient dazu, aus Grunden der GesetzgebungsA/arA^/^ und • 'einsamkeiten aus den DeliktsbeKlammer" zu Ziehen. Der schreibungen des Besonder Bi ^ - - " whter S' •

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Antworten auf die Fragen in § 1 E V 1. Unter einem staatsp dual-ethischen Aspe 2. Vergeltung und Siil

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(§ l R N r i 6 f E ) .

§ 16. Antworten auf die KontroUfragen

Antworten auf die Fragen in § 2 A V 1. - Freiheit - Gewaltenteilung - generelle Erkennbarkeit der Ziele (Pravention) - individuelle E 2. - nullum crime Gesetz, d.h. Ai

565

ichriebenes

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(§ 2 RN 19 fF.).

Antworten auf die Fragen in § 2 B ^ 1. Die Moglichkeit der Verhangung einert ""genundrec 2. Ftir d - einer M" entSClxV/HJ-V^JliU,

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§16. Antworten auf die Kontrollf ragen

Antworten auf die Fragen in § 2 D V 1. Strafi A ' UI

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Antworten auf die Fragen in § 3 A I V 1. Formal ist eine Sti festgelegte" Tntha^ (§ 3 RN 1) 2. Weil sich sind auch richtsgeset 3. Nach liber Rechtsprec Garantiefti 4. Das 2. Str] 5. Nebenstrai Lebensberi Dadurch b strafbares dieselbe (§ 3 RN 8).

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Antworten auf die Fragen in § 3 C HI 1. - ^te^/^cA^r Verbrechensbegriflf 7-7 "' ""7/2^r Verbrechensbegriflf brechensbegrifF -^ ^erbrechensbegriff (§ 3 RN 57 ff). 2. Ir ^"' ' "— ^"^ -^'-^ Konstituierung des tatbestandlich + moglich mittels einer willentlib(

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§16. Antworten auf die KontroUfragen

569

Antworten auf die Fragen in § 4 £ ID .-. . 2. Z

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Antworten auf die Fragen in § 5 A VIII 1. -Teiterfolg - TdiXsubjekt - Taihandlung - Taiobjekt 2. DieAquiv Danac Herbe 13ffO 3. -Fehl

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570

§16. Antworten auf die Kontrollfragen

Antworten auf die Fragen in § 5 B IV :us I (Absicht) 1- -< ic TT /cipViAff^s Wissen) -( „gendes Inkaufnehmen) (§ 5 RN 61), -( 2. - ] 1

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16. Antworten auf die Kontrollfragen

571

Antworten aiif die Fragen in § 6 B XI 1. Einsichtsfahigkeit liegt vor, wenn de: sen i^r in AxrAlrhem Umfang preisgib si itsfafaigkeit ist nicht k

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§16. Antworten auf die Kontrollfragen

573

Antworten auf die Fragen in § 7 C VII 1. Von den 5 Af^ U*^^-oM

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§16. Antworten auf die Kontrollfragen

Antworten auf die Fragen in § 15 E 1. HJ n, die allein verhangt werden konnen, gibt es T^^SanktR) (e ^ ^ 39, J ^ U -^:^ a, .uno nach § 44 E-uzi^ai^anKus. oas ranrveroot G (§ 2

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