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German Pages 839 [840] Year 1974
Petters-Preisendanz Strafgesetzbuch 28. Auflage
Petters-Preisendanz
Strafgesetzbuch Lehrkommentar mit Erläuterungen und Beispielen, ausgewählten Nebengesetzen sowie je einem Anhang über Jugendstrafrecht, Jugendschutz und Strafprozeßrecht
28., überarbeitete und ergänzte Auflage von
HOLGER PREISEN DANZ Erster Staatsanwalt in Heidelberg
1974
J. Schweitzer Verlag Berlin
ISBN 3 8059 0343 X ©
1973 by. J . Schweitzer Verlag Berlin
Alle Rechte, insbesondere das Hecht der Vervielfältigung und Verbreitung sowie der Übersetzung, vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Photokopie, Mikrofilm oder ein anderes Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden. Satz, Druck und buchbinderische Verarbeitung: Sellier GmbH Freising.— Printed in Germany.
Vorwort zur 28. Auflage Bei der jetzt vorliegenden 28. Auflage handelt es sich u m eine Sonderausgabe aus Anlaß des 4. S t r R G u n d des 0,8-Promille-Gesetzes sowie weiterer Änderungen des Strafgesetzbuchs, die seit der im Herbst 1971 erschienenen Vorauflage in K r a f t getreten sind. I m Vordergrund der nur in limitierter Höhe aufgelegten Sonderausgabe steht das 4. StrRG, durch das insbesondere das Sexualstrafrecht einer grundlegenden Umgestaltung unterzogen wurde. Daneben wurden nicht weniger als 37 weitere Vorschriften des Strafgesetzbuchs teils geändert, teils ersatzlos aufgehoben oder in Ordnungswidrigkeiten umgewandelt. Allein die Auswirkungen dieses Gesetzes ließen es geboten erscheinen, die Neuauflage schon jetzt herauszubringen u n d das 2. StrRG,das 1975 in K r a f t treten soll, wie bisher nur im Anhang abzudrucken. Der Gesetzestext der durch das 4. S t r R G neu gefaßten Tatbestände wurde in der vom Bundestag a m 7. 6. 1973 auf der Grundlage der BT-Drucksache 7/514 (Bericht u n d Antrag des Sonderausschusses f ü r die Strafrechtsreform) verabschiedeten Fassung wiedergegeben. Die Ergebnisse der Beratungen des Vermittlungsausschusses konnten noch eingearbeitet w e r d e n . U m dem interessierten Leserkreis die neuen Bestimmungen möglichst frühzeitig zugänglich zu machen, sowie m i t Rücksicht darauf, daß die Vorauflage schon seit Monaten vergriffen ist, war es jedoch nicht möglich, die Neuauflage bis z u m Abschluß des diesmal außergewöhnlich langwierigen Gesetzgebungsverfahrens zurückzustellen. F ü r den Fall, daß sich in der Bndphase der parlamentarischen Beratungen wider E r w a r t e n noch sachliche Änderungen ergeben sollten, werden diese durch ein Einlageblatt berücksichtigt werden. Bei den übrigen n e u eingearbeiteten Gesetzen handelt es sich u m das f ü r die Praxis besonders wichtige 0,8-Promille-Gesetz, das mit einer ausführlichen Kommentierung im Anschluß an die Ausführungen zu § 316 StGB abgedruckt wurde, ferner u m die durch das 11. u n d 12. StrÄndG eingefügten §§ 239a, 239b, 316c StGB (erpresserischer Menschenraub, Geiselnahme u n d Luftpiraterie) sowie u m die neue Strafvorschrift gegen den Mietwucher (§ 302f StGB). Abgesehen von diesen durch die Reformgesetzgebung der letzten beiden J a h r e bedingten Änderungen wurde das Werk auch sonst einer gründlichen Überarbeitimg unterzogen. I n F o r t f ü h r u n g der seit der 25. Auflage verfolgten Tendenz, das früher nur äußerst k n a p p kommentierte Erläuterungsbuch in einen echten K o m m e n t a r umzuwandeln, wurden die Problemkreise, die erfahrungsgemäß f ü r Studium u n d Praxis von besonderer Bedeutimg sind,
weiter ausgebaut u n d wissenschaftlich vertieft. Hierbei handelt es sich vor allem u m die Irrtumslehre (vgl. § 59 Anm. 2), den sog. dolus generalis (§59 Anm. 5b), die Behandlung des Notwehrrechts bei fahrlässig provoziertem Angriff (§ 53 Anm. I I 6) u n d die sog. notwendige Teilnahme (Abschn. H V I der Vorbemerkungen zum Allg. Teil). Neben der höchstrichterlichen R e c h t sprechung wurde auch das Schrifttum bei der Behandlung der dogmatischen Schwerpunkte mehr als bisher berücksichtigt. I m Anhang finden sich neben dem bereits erwähnten 2. S t r l t G eine kurzgefaßte Darstellung des Jugendstrafrechts u n d des Strafprozeßrechts sowie verschiedene strafrechtliche Nebengesetze, u . a . die neuen Bußgeldvorschrift e n des 4. S t r R G u n d das durch das 4. S t r R G geänderte Gesetz über die Verbreitung jugendgefährdender Schriften. Ich möchte an dieser Stelle auch nicht versäumen, all denen zu danken, die mich durch ihre Anregungen bei der Fertigstellung des Manuskripts sowie durch ihre Hilfe bei der technischen Gestaltung der Neuauflage t a t kräftig unterstützt haben. Mein D a n k gilt dabei insbesondere H e r r n Gerichtsreferendar Kitz. Nicht zuletzt danke ich aber auch dem Verlag, der es ungeachtet der durch die derzeitige Strafrechtsreform bedingten Risiken übernommen h a t , die Neuauflage zum jetzigen Zeitpunkt herauszubringen. D a ß der außergewöhnlich günstige Preis der Vorauflage nicht gehalten werden konnte, ist zwar äußerst bedauerlich, war aber mit Rücksicht auf die ständig steigenden Herstellungskosten u n d den gegenüber der Vorauflage u m ca. 80 Seiten vermehrten U m f a n g nicht zu vermeiden. Heidelberg, im Oktober 1973 Holger Preisendanz
Inhalt
v
Vorwort Abkürzungsverzeichnis
XII
Vorbemerkungen zum Allgemeinen Teil A . Einleitung I . D a s V e r b r e c h e n u n d s e i n e F o l g e n (allg. Grundsätze) 1. Die Schutzfunktion des Strafrechts 2. Der Verbrechensbegriff 3. Die Aufgabe der gesetzlichen Tatbestände 4. Die Aufgabe des Strafrechts 5. Die Kriminalstrafe 6. Die Maßregeln der Sicherung und Besserung II. Die g e s e t z l i c h e n G r u n d l a g e n 1. Das Strafgesetzbuch 2. Die Novellen 3. Die strafrechtlichen Nebengesetze 4. Die Gliederung des Strafgesetzbuchs
.
B . Die strafbare Handlung I. D i e E i n t e i l u n g der s t r a f b a r e n H a n d l u n g e n 1. Die Dreiteilung nach der Strafdrohung 2. Begehungs- und Unterlassungsdelikte 3. Verletzungs- und Gefährdungsdelikte 4. Erfolgs- und Tätigkeitsdelikte 5. Die erfolgsqualifizierten Delikte 6. Die eigenhändigen Delikte 7. Die Sonderdelikte 8. Offizial- und Antragsdelikte 9. Die Privatklagedelikte II. D e r V e r b r e c h e n s a u f b a u 1. Die Verbrechenselemente 2. Die persönlichen Strafausschließungsgründe 3. Die objektiven Strafbarkeitsbedingungen 4. Die Verfahrenshindernisse III. Der H a n d l u n g s b e g r i f f 1. Die Handlung als Willensbetätigung 2. Verhaltensweisen, die nicht zu den Handlungen gehören . . . IV. D e r K a u s a l z u s a m m e n h a n g 1. Die Bedeutung des Kausalzusammenhangs 2. Die Bestimmung des Kausalzusammenhangs nach der Äquivalenztheorie 3. Besonderheiten bei den unechten Unterlassungsdelikten und bei den Fahrlässigkeitsdelikten 4. Atypische Geschehnisabläufe
2 2 4 5 5 5 7 7 9 9 9 9 9 10 10 11 11 12 12 13 13 13 13 13 13 13 14 15 15 15 16 16
VII
Inhalt V. D i e T a t b e s t a n d s m ä ß i g k e i t 1. Begriff 2. Der objektive T a t b e s t a n d 3. Der subjektive T a t b e s t a n d VI. D i e R e c h t s w i d r i g k e i t 1. Die Indizwirkung des T a t b e s t a n d s 2. Die offenen T a t b e s t ä n d e 3. D a s System der Rechtfertigungsgründe 4. Übersicht über die wichtigsten Rechtfertigungsgründe 5. Gemeinsame Regeln f ü r alle Rechtfertigungsgründe VII. D i e S c h u l d 1. D a s Wesen der Schuld 2. Die einzelnen Schuldelemente 3. Gemeinsame Regeln f ü r alle Schuldausschließungsgründe . . . C. Besondere Erscheinungsformen des Verbrechens I. D i e u n e c h t e n U n t e r l a s s u n g s d e l i k t e 1. Begriff u n d Abgrenzung 2. Die Bedeutung der Garantenstellung 3. Die Garantenstellung im einzelnen 4. Die K a u s a l i t ä t s p r ü f u n g 5. Der A u f b a u der unechten Unterlassungsdelikte 6. Die Behandlung der I r r t u m s p r o b l e m e II. Die F a h r l ä s s i g k e i t s d e l i k t e 1. Begriff u n d Abgrenzung 2. Der A u f b a u der Fahrlässigkeitstat 3. Die K a u s a l i t ä t s p r ü f u n g
17 17 17 18 21 21 21 22 22 24 25 25 25 27 29 29 29 30 31 36 37 38 39 39 40 41
D . D i e persönlichen Strafausschließungsgründe 1. Begriff u n d Abgrenzung 2. Übersicht 3. Die f a k u l t a t i v e n Strafausschließungsgründe 4. Gemeinsame Regeln 5. Behandlung im Prozeß
43 43 43 44 44 44
E . D i e objektiven Strafbarkeitsbedingungen 1. Begriff u n d Wesen 2. Übersicht 3. Gemeinsame Regeln 4. Behandlung im Prozeß
46 46 46 46 47
F . D i e Prozeßvoraussetzungen u n d Prozeßhindernisse 1. Begriff u n d Wesen 2. Die Prozeß Voraussetzungen 3. Die Prozeßhindernisse 4. Gemeinsame Regeln 5. Behandlung im Prozeß
48 48 49 49 49 49
6 . D i e einzelnen Verbrechensabschnitte ( Ü b e r s i c h t )
50
H . Täterschaft u n d Teilnahme I. B e g r i f f u n d A b g r e n z u n g 1. Die einzelnen Teilnahmeformen
51 51 51
VIII
Inhalt 2. Der Täterbegriff 3. Einzelheiten und Beispiele II. Die mittelbare T ä t e r s c h a f t 1. Begriff 2. Das Verhältnis zur Anstiftung 3. Die einzelnen Fälle der mittelbaren Täterschaft 4. Ausschluß der mittelbaren Täterschaft 5. Der Versuch der mittelbaren Täterschaft III. Die Mittäterschaft IV. D i e N e b e n t ä t e r s c h a f t V. D i e A k z e s s o r i e t ä t v o n T ä t e r s c h a f t und T e i l n a h m e . 1. Begriff 2. Die sog. limitierte Akzessorietät 3. Die Bedeutung von § 50 Abs. 2 4. Die Bedeutung von § 50 Abs. 3 5. Die versuchte Teilnahme VI. Die n o t w e n d i g e T e i l n a h m e 1. Begriff und Problemstellung 2. Grundsatz 3. Ausnahmen J . Die Lehre von der Konkurrenz I. H a n d l u n g s e i n h e i t und H a n d l u n g s m e h r h e i t 1. Handlungseinheit 2. Handlungsmehrheit II. I d e a l k o n k u r r e n z und R e a l k o n k u r r e n z 1. Idealkonkurrenz 2. Realkonkurrenz 3. Terminologie III. Die sogenannte Gesetzeskonkurrenz 1. Begriff 2. Die einzelnen Erscheinungsformen der Gesetzeskonkurrenz . . IV. Die f o r t g e s e t z t e T a t 1. Begriff 2. Voraussetzungen 3. Rechtsfolgen . . . " V. D a s D a u e r d e l i k t
Strafgesetzbuch für das Deutsche Reich
Einleitende Bestimmungen (§§ 1—12)
1. Abschnitt. l a . Abschnitt. 2. Abschnitt. 3. Abschnitt. 4. Abschnitt. 5. Abschnitt.
Erster Teil Von der Bestrafung der Verbrechen, Vergehen und Übertretungen im allgemeinen Strafen (§§ 13—42) Maßregeln der Sicherung und Besserung (§§ 42a—42p) Versuch (§§ 43—46a) Teilnahme (§§ 47—50a) Gründe, welche die Strafe ausschließen oder mildern (§5 51—72) Strafbemessung bei mehreren Gesetzesverletzungen (§§ 73—77)
51 52 54 54 54 55 57 58 59 59 60 60 60 62 64 66 67 67 68 68 71 71 71 72 72 72 72 72 73 73 73 77 77 77 80 81 85
93 145 164 177 189 230
IX
Inhalt Zweiter Teil Von den einzelnen Verbrechen, Vergehen und Übertretungen und deren Bestrafung 1. Abschnitt. Friedensverrat, Hochverrat u n d Gefährdung des demokratischen Rechtsstaats bei denen der Hintermann den Verbotsirrtum bzw. die Zwangslage des Tatausführenden entweder nicht kannte oder — wenn er sie schon kannte — ohne Täterwillen handelte. 3. Die Bedeutung von § 50 Abs. 2 a) § 50 Abs. 2 a.F. befaßte sich nur mit den Fällen, bei denen besondere persönliche Verhältnisse oder Eigenschaften die Strafe s c h ä r f e n , m i l d e r n oder a u s s c h l i e ß e n . Solche Merkmale sind sowohl nach alter als auch nach neuer Fassung des § 50 (jetzt: Abs. 3) nur bei dem Täter oder Teilnehmer zu berücksichtigen, in dessen Person sie begründet sind. Nicht besonders geregelt war dagegen die Strafbarkeit des Teilnehmers an einer Tat, bei der bestimmte persönliche Merkmale die Strafbarkeit des Täters überhaupt erst b e g r ü n d e n . Hierher gehört insbesondere die Teilnahme eines Nichtbeamten an einem sog. echten Amtsdelikt, d. h. an einem Amtsdelikt, bei dem sich die Amtseigenschaft nicht strafschärfend, sondern strafbegründend auswirkt, z.B. bei der Rechtsbeugung (§ 336) oder bei der Falschbeurkundung im Amt (§ 348 Abs. 1). b) Nach der früheren Rechtslage bestand keine Möglichkeit, den Umstand, daß bestimmte strafbegründende persönliche Merkmale, die nur beim Täter, nicht aber beim Teilnehmer vorliegen, bei der Strafbarkeit des Teilnehmers irgendwie strafmildernd zu berücksichtigen. So war z.B. im Falle der Rechtsbeugung auch der nichtbeamtete Anstifter mit Zuchthaus bis zu 5 Jahren zu bestrafen. Diesen offensichtlichen Mangel hat die Neufassung des § 50 Abs. 2 durch das EGOWiG v. 24. 5. 1968 behoben: Liegen besondere persönliche Merkmale ( = persönliche Eigenschaften, Verhältnisse oder Umstände), die die Strafbarkeit des Täters begründen, beim Teilnehmer nicht vor, so ist die Strafe des Teilnehmers nach Versuchsgrundsätzen (§§ 44, 45) zu mildern. 62
Täterschaft und Teilnahme
c) Als besondere persönliche Merkmale im. Sinne der Absätze 2 und 3 gelten alle persönlichen Eigenschaften, Verhältnisse und Umstände, durch die der Täter charakterisiert wird. Hierbei macht es keinen Unterschied, ob es sich um Merkmale von bestimmter D a u e r handelt (z.B. die Amtseigenschaft bei den Amtsdelikten oder die verwandtschaftlichen Beziehungen bei § 247) oder ob die in der Person des Täters begründeten ( = täterbezogenen) Merkmale nur v o r ü b e r g e h e n d e r Art sind, wie dies z.B. bei der Notlage in den §§ 248a, 264a oder bei bestimmten Absichten und Motiven der Fall sein kann. Unerheblich ist auch, ob die besonderen persönlichen Merkmale tatsächlicher oder rechtlicher Natur sind. Eine wirtschaftliche Notlage im Falle der §§ 248a, 264a oder das Bestehen einer Schwangerschaft im Falle des § 218 Abs. 1 gehören deshalb ebenso hierher wie die Amtseigenschaft bei den Amtsdelikten oder die Soldateneigenschaft im WStG. d) Nicht alle subjektiven Tatbestandsmerkmale sind zugleich auch besondere persönliche Merkmale i.S. von § 50 Abs. 2 oder 3. Nicht hierher gehören vor allem der Vorsatz und diejenigen subj. Unrechtselemente, in denen sich lediglich die innere Einstellung des Täters zu dem von ihm erreichten oder erstrebten rechtswidrigen Erfolg widerspiegelt. Solche Merkmale sind nicht täter-, sondern tatbezogen (vgl. BGH 22, 375, 380, Schönke-Schröder § 50 Rn. 16). Nicht unter § 50 Abs. 2 oder Abs. 3 fallen daher die Zueignungsabsicht bei Diebstahl und Raub, die Bereicherungsabsicht bei Betrug und Erpressung, die Täuschungsabsicht bei der Urkundenfälschung, die Verbreitungsabsicht bei den Münzdelikten sowie die Schädigungsabsicht bei der schweren mittelbaren Falschbeurkundung. I n all diesen Fällen handelt es sich lediglich um die subjektive Kehrseite des im objektiven Tatbestand beschriebenen rechtswidrigen Erfolgs, nicht um besondere persönliche Merkmale (vgl. SchönkeSchröder a.a.O.). e) Die besonderen persönlichen Merkmale müssen im Falle des § 50 Abs. 2 strafbegründend sein. Strafmodifizierende (erschwerende oder mildernde) persönliche Merkmale unterliegen der Regelung des Abs. 3. Zu den strafbegründenden persönlichen Merkmalen i.S. von § 50 Abs. 2 gehören insbesondere die A m t s e i g e n s c h a f t bei den echten Amtsdelikten (vgl. Vorbem. 4 vor § 331), die Soldateneigenschaft bei echten militärischen Straftaten (§ 2 Nr. 1 W S t G ) , d i e G e w e r b s - oder G e w o h n h e i t s m ä ß i g k e i t e n bei Delikten, die nur bei gewerbs- oder gewohnheitsmäßiger Begehung strafbar sind (z. B. in den Fällen der §§ 180 a Abs. 1—3, 181a Abs. 2, 285, 302e), ferner die V o r t e i l s a b s i c h t bei der Hehlerei in § 259 (vgl. Schönke-Schröder § 50 Rn. 19; Mezger-Blei AT 258) und die Garantenstellung bei den unechten Unterlassungsdelikten (vgl. Roxin 515; a. A. Geppert ZStW 82, 40; Lackner-Maassen 4a). 63
Vorbemerkungen zum Allgemeinen Teil
f) Sehr bestritten ist die Einordnung der Mordmerkmale. Folgt man der hier im Anschluß an die h.L. im Schrifttum vertretenen Ansicht, derzufolge es sich bei den Mordmerkmalen um S t r a f s c h ä r f u n g s gründe gegenüber dem Totschlag handelt (vgl. Vorbem. I I vor § 211), so sind die Motivmerkmale der 1. Gruppe in §211 Abs. 2 („aus Mordlust, zur Befriedigung des Geschlechtstriebs, aus Habgier oder aus sonstigen niedrigen Beweggründen") und die Absichtsmerkmale der 3. Gruppe (,,um eine andere Straftat zu ermöglichen oder zu verdecken") besondere persönliche Merkmale i.S. von § 50 Abs. 3 (vgl. Blei J A 1969, StR S. 3, Schröder J Z 1969, 132, Koffka J R 1969, 41). Die abweichende Ansicht des KG in J R 1969, 63, wonach die niedrigen Beweggründe in § 211 tatbezogene Merkmale sein sollen, ist entschieden abzulehnen (vgl. BGH 22, 375f.; 23, 39; Koffka a.a.O., Blei J A 1969, StR S. 52). Tat bezogen sind dagegen die Mordmerkmale der 2. Gruppe in § 211 („heimtückisch, grausam, mit gemeingefährlichen Mitteln"). Sie unterliegen weder der Regelung des § 50 Abs. 2 noch der des Abs. 3 (vgl. Blei J A 1969, StR S. 3, sachlich übereinstimmend in allen Punkten auch Maurach JuS 1969, 249). Zu einer anderen Beurteilung des Komplexes gelangt man nur dann, wenn man den Mordtatbestand gegenüber dem Tatbestand des Totschlags als einen selbständigen Tatbestand mit eigenem Unrechtsgehalt ansieht (st. Rspr. des BGH seit BGH 1, 368, 372). Dann sind alle Mordmerkmale nicht strafschärfend, sondern strafbegründend, und damit der Regelung des § 50 Abs. 3 entzogen. Sie unterliegen jedoch, soweit sie täterbezogen sind (1. und 3. Gruppe), der Regelung des § 50 Abs. 2 (vgl. BGH22, 375ff.; 23, 39 sowieNJW1969,1765; Jakobs NJW 1970, 1089; Blei J A 1969, StR S. 3). Die Unterschiede zwischen beiden Auffassungen zeigen sich besonders auffällig bei der V e r j ä h r u n g s f r a g e . Siehe hierzu ausführlich § 67 Anm. Ib. 4. Die Bedeutung von § 50 Abs. 3 a) Nach reinen Akzessorietätsgrundsätzen ist die Strafe des Teilnehmers immer dem Gesetz zu entnehmen, das auch auf die Handlung des Täters Anwendung findet (vgl. §§ 48 Abs. 2, 49 Abs. 2). Dieser Grundsatz wird durch § 50 Abs. 3 unter bestimmten Voraussetzungen durchbrochen. Nach § 50 Abs. 3 (früher § 50 Abs. 2) belasten besondere persönliche Merkmale (zumBegriff s.o. Abschn. 4 c), die die Strafe schärfen, nur den Täter oder Teilnehmer, bei dem sie vorliegen. Umgekehrt kommen besondere persönliche Merkmale, die die Strafe mildern oder ausschließen, nur dem zugute, in dessen Person sie begründet sind. Die durch § 50 Abs. 3 bewirkte Lockerung der Akzessorietät von Täterschaft und Teilnahme hat zur Folge, daß bei mehreren Tatbeteiligten 64
Täterschaft und Teilnahme
unter bestimmten, in ihrer Person begründeten (oder fehlenden) Voraussetzungen v e r s c h i e d e n e Straftatbestände zur Anwendung kommen. B e i s p i e l : Der Hilfsarbeiter A stiftet den Ratschreiber R an, aus einer ihm amtlich anvertrauten Kasse Geld zu unterschlagen. Nach reinen Akzessorietätsgrundsätzen müßte A wegen Anstiftung zur Amtsunterschlagung aus dem erhöhten Strafrahmen des § 350 bestraft werden. Dies soll durch § 60 Abs. 3 verhindert werden. Die Amtseigenschaft ist ein besonderes persönliches Merkmal, durch das die Strafe gegenüber der Unterschlagung des § 246 verschärft wird. Sie belastet demzufolge nur den R, nicht auch den A. Dieser ist als Anstifter gemäß §§ 246, 48 zu bestrafen.
b) Zu den strafschärfenden Merkmalen i.S. von §50 Abs. 3 gehören insbesondere die A m t s e i g e n s c h a f t bei den unechten Amtsdelikten (vgl. Vorbem. 4 vor §331), die G e w e r b s - oder G e w o h n h e i t s m ä ß i g k e i t bei Delikten in den Fällen, in denen sie sich nicht strafbegründend, sondern erschwerend auswirkt (vgl. §§ 260, 292 Abs. 3, 293 Abs. 3, 302d), die Rückfalls Voraussetzungen in den Fällen des § 17, die v e r w a n d t s c h a f t l i c h e n Beziehungen in den Fällen der §§ 221 Abs. 2, 223 Abs. 2, das A n v e r t r a u t s e i n bei der Veruntreuung in § 246 sowie die täterbezogenen Mordmerkmale (siehe hierzu ausführlich oben 3f). c) Zu den strafmildernden Merkmalen i.S. von § 50 Abs. 3 gehören insbesondere die Eigenschaft als uneheliche Mutter in § 217 und die Schwangerschaft in § 218 Abs. 1. Die im Schrifttum in diesem Zusammenhang verschiedentlich erwähnte verminderte Zurechnungsfähigkeit (§51 Abs. 2) und die Fälle des verschuldeten Verbotsirrtums enthalten dagegen keine tatbestandsmäßigen Abwandlungen und sind daher nicht dem Anwendungsbereich des § 50 Abs. 3, sondern dem des § 50 Abs. 1 zu unterstellen. d) Zu den strafausschließenden persönlichen Umständen gehören insbesondere die Angehörigeneigenschaft in § 247 Abs. 2 und § 257 Abs. 2, der Rücktritt vom Versuch (§46), ferner die Exemtion (z.B. der Stationierungsstreitkräfte nach dem Truppenvertrag) und die Indemnität (vgl. Art. 46 Abs. 1 GG, § 11 StBG). e) Nicht hierher gehören alle s t r a f b e g r ü n d e n d e n persönlichen Merkmale (siehe jedoch § 50 Abs. 2 und die Ausführungen oben unter 3) sowie alle t a t b e z o g e n e n Merkmale, die die Strafe schärfen oder mildern, z.B. die tatbezogenen Mordmerkmale (§211 Abs. 2, mittlere Gruppe), alle Fälle des schweren Raubs (§250) sowie alle erfolgsqualifizierten Delikte (siehe hierzu oben B I 5 sowie die Anmerkungen zu §56). f) Bestritten ist, ob besondere persönliche Merkmale auch dann der Regelung des §50 Abs. 3 unterliegen, wenn es sich um einen die Straf5
Pettera-Preisendanz, StOB, 28. Aufl.
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Vorbemerkungen zum Allgemeinen Teil
barkeit erhöhenden oder mildernden Sondertatbestand (delictum sui generis) handelt. Diese Streitfrage ist vor allem für die täterbezogenen Mordmerkmale von Bedeutung, wenn man — entgegen der hier im Anschluß an die h.L. vertretenen Ansicht — mit dem BGH Sonderdeliktsnatur des §211 gegenüber §212 annimmt (vgl. Vorbem. I I vor § 211). Ein weiterer Schwerpunkt des Problems liegt im Bereich von Notdiebstahl (§ 248a) und Notbetrug (§ 264a). Beide Tatbestände werden überwiegend nicht als unselbständige Abwandlungen des Diebstahls bzw. Betrugs, sondern als Sondertatbestände angesehen (vgl. Schönke-Schröder § 248 a Rn. 1, Maurach BT 228, LK § 248a Anm. 1; a.A. Mezger-Blei BT 149). Die h. L. zieht hieraus den Schluß, daß die strafmildernden Merkmale dieser Tatbestände s t r a f b e g r ü n d e n d sind und daher der Regelung des § 50 Abs. 3 nicht unterliegen (so konsequent Baumann 577, Maurach AT 716, BT 229 zu § 50 Abs. 2 a.F.). Demgegenüber wird neuerdings vereinzelt der Standpunkt vertreten, § 50 Abs. 3 finde auch auf selbständige Qualifizierungen und Privilegierungen Anwendung (vgl. Schönke-Schröder §50 Rn. 22, §248a Rn. 13, Mezger-Blei AT 283f.). Die letztgenannte Ansicht kann für sich in Anspruch nehmen, daß sie in allen Fällen zu befriedigenden Ergebnissen führt und dem Anliegen des § 50 Abs. 3 mehr gerecht wird als die formale Betrachtungsweise der herrschenden Lehre. Hinzu kommt, daß sich oft nur schwer feststellen läßt, ob ein qualifizierender bzw. privilegierender Tatbestand eine selbständige oder unselbständige Abwandlung eines anderen Tatbestandes darstellt. Der von Schönke-Schröder und Mezger-Blei vertretenen Ansicht ist daher der Vorzug zu geben. g) § 28 i.d.F. des 2. StrRG bringt gegenüber der derzeitigen Regelung sachlich keine Änderung. 5. Die versuchte Teilnahme a) Die e r f o l g l o s e A n s t i f t u n g ist nur unter den Voraussetzungen des § 49a strafbar, d.h. wenn die Tat, zu der angestiftet werden sollte, für den in Aussicht genommenen Täter ein Verbrechen gewesen wäre (Einzelheiten und Beispiele siehe die Ausführungen zu § 49 a). b) Die v e r s u c h t e B e i h i l f e ist grundsätzlich s t r a f l o s . Eine gesetzlich geregelte Ausnahme enthält jedoch der Sondertatbestand des § 218 Abs. 4, der infolge seiner subsidiären Bedeutung nur dann zur Anwendung kommt, wenn die Schwangere das ihr von dritter Seite beschaffte Abtreibungsmittel nicht einnimmt, Beihilfe zur vollendeten oder versuchten Abtreibung daher nicht vorliegt.
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Täterschaft und Teilnahme
VI. Die notwendige Teilnahme 1. Begriff und Problemstellung Im Regelfall ist zur Verwirklichung eines gesetzlichen Tatbestands das Zusammenwirken mehrerer Personen nicht erforderlich. Es gibt jedoch eine ganze Reihe von Tatbeständen, die schon begrifflich nur durch das Zusammenwirken mehrerer Personen verwirklicht werden können. In diesem Fall spricht man von einer notwendigen Teilnahme. Völlig unproblematisch sind dabei die Fälle, bei denen alle Beteiligten unter gleicher Strafdrohung stehen. Dies gilt insbesondere für die sog. K o n v e r g e n z d e l i k t e , d.h. für die Tatbestände, bei denen mehrere Beteiligte auf ein bestimmtes, gemeinsames Ziel hinwirken. Hierher gehören u.a. die Gefangenenmeuterei (§ 122), der gemeinschaftlich begangene Hausfriedensbruch (§ 123 Abs. 2), der schwere Hausfriedensbruch (§ 124), der Landfriedensbruch (§125) sowie der Bandendiebstahl (§244 Abs. 1 Nr.3). Von den Konvergenzdelikten zu unterscheiden sind die sogenannten B e g e g n u n g s d e l i k t e . Diese zeichnen sich dadurch aus, daß der Tatbestand nur durch sich gegenseitig ergänzende Handlungen mehrerer Personen erfüllt werden kann. Hierher gehören vor allem Bigamie (§171), Beischlaf unter Verwandten (§ 173 Abs. 1, 2), sexueller Mißbrauch von Schutzbefohlenen, von Gefangenen usw. oder unter Ausnutzung einer Amtsstellung (§§ 174, 174a, 174b), homosexuelle Handlungen mit einem Jugendlichen (§ 175), Bestechung (§§ 331, 332, 333), Gefangenenbefreiung (§ 120) und Begünstigung (§§ 257, 258). Soweit bei diesen Begegnungsdelikten alle Beteiligte unter gleicher Strafdrohung stehen, z. B. beim Beischlaf unter Geschwistern (§ 173 Abs. 2), ergeben sich ebensowenig Schwierigkeiten wie bei den Konvergenzdelikten. Problematisch ist lediglich die Behandlung der Fälle, bei denen das Gesetz die notwendig an einer Straftat Beteiligten unter verschiedene Strafdrohungen stellt oder gar nur einen als Täter erwähnt. Hierher gehören u. a. der Beischlaf mit Verwandten absteigender Linie (§ 173 Abs. 1), sexuelle Handlungen mit Schutzbefohlenen, Gefangenen usw. sowie unter Ausnutzung einer Amtsstellung (§§ 174, 174a, 174b), Gefangenenbefreiung (§ 120) und Begünstigung (§§ 257, 258). Hier wirft sich die Frage auf, ob der an einer Straftat notwendig Beteiligte, den das Gesetz überhaupt nicht erwähnt oder für den das Gesetz im Falle seiner Täterschaft eine geringere Strafe vorsieht, nach Teilnahmegrundsätzen auf die gleiche Stufe wie der andere notwendig Beteiligte gestellt werden kann, z. B. ob der nach der Tat fliehende Mörder noch zusätzlich wegen Anstiftung zur Begünstigung bestraft werden kann, wenn er bei einem Freund Zuflucht sucht. 6*
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Vorbemerkungen zum Allgemeinen Teil
2. Grundsatz Beschränkt sich der an einer Straftat notwendig Beteiligte auf den Tatbeitrag, der erforderlich ist, damit es überhaupt zur Tatbestandsverwirklichung kommen kann, so darf er über den Umweg der Teilnahme keiner Bestrafung zugeführt werden, die seiner Rolle als notwendigem Teilnehmer nicht entspricht. B e i s p i e l e : Ein Gefangener (G), der wegen gefährlicher Körperverletzung eine längere Freiheitsstrafe zu verbüßen hat, wird von seinem Freund (F) aus dem Gefängnis befreit, ohne selbst mehr zu t u n als mitzugehen, nachdem sich die Tore f ü r ihn geöffnet haben. Hier wäre es verfehlt, G wegen Beihilfe zur Gefangenenbefreiung oder zur Begünstigung (§§ 120, 257, 49, 73) zu bestrafen (vgl. BGH 4, 396, 400). Niemand erwartet, daß G sich seiner Befreiung widersetzt. — O d e r : Wer einen Beamten f ü r eine pflichtwidrige Amtshandlung ein Geschenk gewährt, kann nur als Täter eines Vergehens nach § 333, nicht noch zusätzlich wegen Anstiftung zu einem Verbrechen nach § 332 bestraft werden.
Dasselbe gilt, wenn sich der notwendig Beteiligte zwar nicht nur rein passiv verhält, sondern aktiv an der Tatbestandsverwirklichung mitwirkt oder gar zu dieser anstiftet, aber der T a t b e s t a n d , um den es geht, s e i n e m S c h u t z d i e n t . B e i s p i e l : Eine 15jährige Schülerin (S) gibt ihrem Lehrer (L) zu verstehen, daß sie zu einem Liebesabenteuer mit ihm bereit wäre. Wenn sich L hierauf dazu hinreißen läßt, der lockenden Versuchung nachzugeben, so macht er sich eines Vergehens gemäß § 174 Abs. 1 Nr. 1 schuldig. Die Einwilligung der S schließt weder die Tatbestandsmäßigkeit noch die Rechtswidrigkeit aus (vgl. B G H 7, 312; 8, 278). Es wäre jedoch verfehlt, wollte man auch die S wegen Anstiftung oder Beihilfe zur Verantwortung ziehen. Sinn und Zweck des § 174 ist es, Jugendliche in bestimmten Abhängigkeitsverhältnissen vor schädlichen sexuellen Einflüssen zu schützen (vgl. § 174 Anm. 1). Dieser Gesetzeszweck verbietet es, auch den Abhängigen selbst in den Strafbarkeitsbereich einzubeziehen.
3. Bestrittene Grenzfälle a) Zu den S c h u t z g e s e t z e n , die eine strafbare Beteiligung desjenigen, dessen Schutz das Gesetz bezweckt, nach den oben dargelegten Grundsätzen der notwendigen Teilnahme schlechthin ausschließen, gehören seit der Neufassung des 13. Abschnitts durch das 4. StrRG auch die §§ 180, 180a, 181a. So bleibt z. B. eine jugendliche Prostituierte auch dann straflos, wenn sie aus eigener Initiative einen Zuhälter veranlaßt, sie unter Verstoß gegen § 180 Abs. 1 und Abs. 2 in einem ErosCenter unterzubringen, in dem sie in persönlicher und wirtschaftlicher Abhängigkeit gehalten wird. Die Entscheidungen BGH 10, 386 und BGH 19, 107 sind durch die Neufassung der §§ 180ff. gegenstandslos geworden. b) Straflose notwendige Teilnahme liegt weiter dann vor, wenn der jeweilige Tb. eine besondere persönliche Situation des notwendig Beteiligten, insbesondere eine notstandsähnliche Motivationslage p r i v i 68
Täterschaft und Teilnahme
legiert (vgl. Welzel 123). Hierher gehören die bereits oben ("VT 2) erwähnten Tatbestände der §§ 120, 257, deren Strafdrohung sich nur gegen den Außenstehenden, nicht aber gegen den in seiner Freiheit beschränkten Gefangenen bzw. den durch ein Strafverfahren bedrohten Beschuldigten, Angeklagten oder Verurteilten richtet. Ein. Gefangener bleibt deshalb auch dann straflos, wenn er — insoweit über die Rolle hinausgehend, die ihm die §§ 120, 257 als handlungsmäßiges Minimum zugedacht haben — einen anderen anstiftet, ihn aus der Vollzugsanstalt zu befreien (vgl. Welzel 123; Deubner NJW 1962, 2260; Schröder Rn. 44 sowie J R 1962, 427; a. A. BGH 17, 236; hier die Vorauflage). Materiell gesehen kann es nämlich keinen Unterschied machen, ob der Gefangene sich selbst befreit oder ob er sich hierzu der Hilfe eines Dritten bedient. Daß er im letztgenannten Fall einen Dritten zu schuldhaftem Verhalten verleitet, ist für die Strafbarkeit unerheblich, da der Strafgrund der Teilnahme nach h. M. ausschließlich darin besteht, daß eine rechtswidrige Tat veranlaßt oder gefördert wird (sog. Verarsachungstheorie im Gegensatz zur sog. Schuldteilnahmetheorie, vgl. Maurach AT 680; LacknerMaassen 3 vor § 47). Für den Bereich des § 257 Abs. 2 wird dies auch vom BGH anerkannt. So bleibt nach BGH 14, 172 (m. Anm. Schröder JR 1960, 348) ein Angehöriger des Täters gemäß § 257 Abs. 2 auch dann straflos, wenn er den Täter nicht selbst begünstigt, sondern einen Dritten dazu anstiftet. Für die Straflosigkeit des an der Begünstigung beteiligten Vortäters spricht schließlich auch die Existenz des § 257 Abs. 3: War die Begünstigung schon vor der Tat zugesagt, so ist sie gemäß § 257 Abs. 3 als Beihilfe strafbar. Der Täter, der sich schon vor der Tat um die spätere Begünstigung bemüht hat, macht sich in diesem Fall zwar der Anstiftung zur Beihilfe schuldig; diese ist jedoch im Verhältnis zur eigenen Täterschaft mitbestrafte Vortat und kann ihn nicht als selbständige Straftat, sondern nur im Strafmaß belasten. Der planmäßig vorgehende Täter, der sich schon vor der Tat absichert, stünde also, wenn man der Entscheidung BGH 17, 236 folgen wollte, besser da als der Täter, der sich erst nach der Tat um Schutz vor der Strafverfolgung bemüht. Zum Ganzen siehe auch Lange, Die notwendige Teilnahme, 1939; Börker J R 1956, 286; Zöller, Die notwendige Teilnahme, 1970; Herzberg, Anstiftung und Beihilfe als Straftatbestände, GA 1971, 1, 7. c) Straflose notwendige Teilnahme liegt schließlich auch dann vor, wenn die über das notwendige Mindestmaß hinausgehende Beteiligung die nach dem jeweiligen Tb. typische Beteiligungsform darstellt (vgl. Welzel 123). Hierher gehört z. B. der Fall, daß eine Hausfrau einen Kaufmann dazu überredet, ihr eine Ware unter Verstoß gegen das LadenschlußG oder unter Verstoß gegen Preisbindungsvorschriften zu verkaufen (vgl. Maurach AT 669; a. A. RG 70,344,347 m. weit. Nachw.). 69
Vorbemerkungen zum Allgemeinen Teil
d) Liegen die Voraussetzungen der lit. a)—c) nicht vor, so richtet sich die Strafbarkeit des notwendig Beteiligten, der über das notwendige Mindestmaß der Beteiligung hinausgeht, nach allgemeinen Teilnahmegrundsätzen. Strafbar ist deshalb, wer einen anderen — gleich aus welchen Gründen — anstiftet, ihn zu Unrecht einer strafbaren Handlung zu verdächtigen (§ 164 schützt nicht nur Individualinteressen, sondern auch die Rechtspflege, ist also nicht nur „Schutzgesetz" zugunsten des zu Unrecht Verdächtigten, vgl. BGH 5, 66). Strafbar ist weiter auch der Mandant, der einen Rechtsanwalt anstiftet, ihn unter Verletzung des § 356 (Parteiverrat) anwaltschaftlich zu beraten (vgl. RG 71, 114 m. Anm. Schwinge JW 1937, 1810; Schönke-Schröder § 356 Rn. 25).
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J. D I E L E H R E VON D E R
KONKURRENZ
I. Handlungseinheit und Handlungsmehrheit 1. Werden mehrere Tatbestände durch eine Handlung verwirklicht, so spricht man von Handlungseinheit. Hierbei ist zunächst ohne Bedeutung, ob nach dem Ergebnis der weiteren rechtlichen Würdigung die Verurteilung unter mehreren rechtlichen Gesichtspunkten zu erfolgen hat (sogenannte I d e a l k o n k u r r e n z , s.u. I I 1) oder ob bereits ein Tatbestand ausreicht, um den Unrechtsgehalt der Tat zu erfassen (sogenannte G e s e t z e s k o n k u r r e n z , s.u. III). Handlungseinheit in diesem Sinn liegt auch dann vor, wenn durch eine Handlung derselbe Tatbestand mehrfach verwirklicht wird, z.B. wenn jemand durch den Wurf einer Handgranate mehrere Personen tötet. Eine besondere Erscheinungsform der Handlungseinheit ist die natürliche Handlungseinheit, die terminologisch nicht mit der fortgesetzten Tat verwechselt werden darf. (Zur fortgesetzten Tat s.u. IV.) Eine natürliche Handlungseinheit liegt zunächst dann vor, wenn zur Erreichung eines bestimmten Erfolgs mehrere gleichgeartete Handlungen von einem einheitlichen Handlungswillen getragen werden und auf Grund eines engen örtlichen und zeitlichen Zusammenhangs derart zusammen gehören, daß sie bei natürlicher Betrachtungsweise eine einheitliche Handlung büden (vgl. BGH 10, 230; NJW 1967, 61). B e i s p i e l : A hat die Absicht, den Kirschbaum seines Nachbarn zu plündern. Da der Baum voll hängt, muß er die Leiter mehrfach umstellen, bis er schließlich mehrere Körbe gefüllt hat. Hier stellt sich das Abernten des Baums, auch wenn es sich über Stunden erstrecken sollte, bei natürlicher Betrachtungsweise als eine einheitliche Handlung dar, ohne daß auf die Konstruktion einer fortgesetzten Tat zurückgegriffen werden müßte.
Eine natürliche Handlungseinheit kann auch dann vorliegen, wenn der Täter seinen Tatplan mit dem zunächst gewählten Mittel nicht verwirklichen kann und er deshalb im unmittelbaren Anschluß an den zunächst mißglückten Versuch zu einem anderen Mittel greift. Dies gilt selbst dann, wenn durch die verschiedenen Anstrengungen zur Verwirklichung desselben Tatplans verschiedene Straftatbestände verwirklicht werden. Kommt das Delikt schließlich zur Vollendung, so sind diejenigen Betätigungen, die sich lediglich als Versuchshandlungen darstellen, in der Regel nicht selbständig strafbar (BGH a.a.O.). 71
Vorbemerkungen zum Allgemeinen Teil B e i s p i e l : A fordert den B auf, ihm die Brieftasche herauszugeben. Zur Unterstützung seiner Forderung schlägt er ihm mit der Faust ins Gesicht. Als B trotz dieser massiven Einwirkimg sich immer noch weigert, die Brieftasche herauszugeben, schlägt A ihn nieder und zieht ihm die Brieftasche aus der Rocktasche. Hier stellen sich die versuchte räuberische Erpressung und der vollendete Kaub bei natürlicher Betrachtungsweise als einheitliche Handlung dar. A ist daher nur wegen vollendeten Raubs zu bestrafen. Die versuchte räuberische Erpressung, die sich gegen die gleichen Rechtsgüter richtet, geht in der Bestrafung auf (vgl. BGH N J W 1967, 60f.).
2. Werden mehrere Tatbestände durch mehrere Handlungen verwirklicht oder wird ein Tatbestand wiederholt verwirklicht, so spricht man von Handlungsmehrheit. Auch hier ist es zunächst ohne Bedeutung, zu welchem Ergebnis die weitere rechtliche Wertung führt. Entscheidend ist allein, ob bei natürlicher Betrachtungsweise mehrere Handlungen vorliegen. Ist dies der Fall, so ist weiter zu prüfen, ob die einzelnen Handlungen rechtlich als selbständige Taten zu beurteilen sind (sog. R e a l konkurrenz, s.u. 112), ob ein Fall der Gesetzeskonkurrenz vorliegt (z.B. ob eine Handlung sich als mitbestrafte Vor- oder Nachtat darstellt, s.u. I I I 2) oder ob die Voraussetzungen einer r e c h t l i c h e n Handlungseinheit vorliegen, wie dies allgemein bei der f o r t g e setzten T a t anerkannt ist (s.u. IV). II. Idealkonkurrenz und Realkonkurrenz 1. Von Idealkonkurrenz spricht man, wenn durch eine Handlung mehrere verschiedene Tatbestände verwirklicht werden und die rechtliche Wertung ergibt, daß ein Tatbestand allein nicht in der Lage ist, den Unrechtsgehalt der Tat zu erfassen. Die Strafe ist in diesem Fall dem Gesetz zu entnehmen, das die schwerste Strafe androht (vgl. § 73 Abs. 2). Von einer g l e i c h a r t i g e n IdK. spricht man, wenn durch eine Handlung dasselbe Gesetz mehrfach verwirklicht wird, z.B. wenn jemand durch den Wurf einer Handgranate mehrere Personen verletzt. Einzelheiten siehe die Ausführungen zu § 73. 2. Von Realkonkurrenz spricht man, wenn durch mehrere Handlungen mehrere Tatbestände verwirklicht werden und die rechtliche Wertung ergibt, daß Gesetzeskonkurrenz in der Form einer straflosen Vor- oder Nachtat (s. unten I I I 2 d und e) nicht in Betracht kommt. In diesem Fall ist die Strafe nach den §§ 74—77 zu bilden. Entsprechendes gilt, wenn derselbe Tatbestand mehrfach verwirklicht ist und kein Fall einer rechtlichen Handlungseinheit im Sinn einer fortgesetzten Tatbegehung vorliegt. 3. Terminologie. Während die Begriffe Handlungseinheit und Handlungsmehrheit sich nur mit der Frage befassen, wieviele Handlungen im natürlichen Sinn vorliegen, befassen sich die Begriffe Idealkonkurrenz 72
Die Lehre von der Konkurrenz
und Realkonkurrenz (verschiedentlich auch als Tateinheit bzw. Tatmehrheit bezeichnet) mit bestimmten Rechtsfolgen bei Handlungseinheit und Handlungsmehrheit. Handlungseinheit muß nicht immer zu Idealkonkurrenz ( = Tateinheit), Handlungsmehrheit nicht immer zu Realkonkurrenz ( = Tatmehrheit) führen. Sowohl Handlungseinheit als auch Handlungsmehrheit können auch dann vorliegen, wenn die rechtliche Würdigung zu dem Ergebnis führt, daß die jeweils verwirklichten Tatbestände in Gesetzeskonkurrenz stehen. (Zum Ganzen siehe Geerds, Zur Lehre von der Konkurrenz im Strafrecht, Kieler rechtswissenschaftliche Abhandlungen, 1961, S. 240ff.) HL Die sogenannte Gesetzeskonkurrenz 1. Begriff Von Gesetzeskonkurrenz spricht man, wenn durch eine oder mehrere Handlungen mehrere verschiedene Tatbestände oder derselbe Tatbestand mehrfach verwirklicht wird, die Rechtsfolgen der §§ 73, 74 jedoch nicht eintreten. Es liegt somit, genau genommen, gar keine echte, sondern nur eine s c h e i n b a r e K o n k u r r e n z der verwirklichten Tatbestände vor. Der Begriff Gesetzeskonkurrenz hat sich jedoch im Sprachgebrauch des neueren Schrifttums und der Rechtsprechung allgemein durchgesetzt, so daß er auch dieser Darstellung zugrunde gelegt werden soll. 2. Die einzelnen Erscheinungsformen der Gesetzeskonkurrenz In den Fällen der H a n d l u n g s e i n h e i t tritt die Gesetzeskonkurrenz in den Erscheinungsformen der S p e z i a l i t ä t , der K o n s u m t i o n oder der S u b s i d i a r i t ä t auf, in den Fällen der H a n d l u n g s m e h r h e i t begegnet sie hauptsächlich als mitbestrafte Vor- oder N a c h t a t , ausnahmsweise auch (z.B. beim räuberischen Diebstahl, §252) in der Form der Spezialität. Im einzelnen: a) Von Spezialität spricht man, wenn mehrere Tatbestände sich mit der gleichen Verbotsmaterie befassen und sich nur dadurch unterscheiden, daß das eine Gesetz die Materie spezieller behandelt als das andere. Spezialität besteht insbesondere zugunsten der tatbestandlichen Abwandlungen eines G r u n d t a t b e s t a n d s , wobei es in diesem Zusammenhang unerheblich ist, ob es sich um selbständige oder unselbständige Abwandlungen handelt. Es besteht kein Grund, die sog. Sondertatbestände (z.B. §§248a, 370 Abs. 1 Nr. 5) anders zu behandeln als die echten Qualifizierungen und Privilegierungen (z.B. § 244 einerseits, §§ 216, 217 andererseits). Bei m e h r e r e n Q u a l i f i z i e r u n g e n desselben Grundtatbestands wird das Gesamtbild der Tat immer durch die schwerste Begehungsform bestimmt. Die minder schweren Qualifizierungen haben keine rechtlich 73
Vorbemerkungen zum Allgemeinen Teil
selbständige Bedeutung und sind nur bei der Strafzumessung zu berücksichtigen (BGH 21, 183, 185; h.L.). So kann z.B. bei einem besonders schweren Raub (§251) strafschärfend berücksichtigt werden, daß die Tat auf einem öffentlichen Weg und mittels einer Waffe begangen wurde. § 250 erscheint jedoch, da keine IdK. vorhegt, nicht im Urteilstenor (vgl. BGH a.a.O.). Treffen m e h r e r e P r i v i l e g i e r u n g e n desselben Grundtatbestands zusammen, so ist der Täter nur aus dem mildesten Gesetz zu bestrafen. Wenn beispielsweise A aus Not ein Stück Brot entwendet, so ist er nur wegen einer Übertretung gemäß § 370 Abs. 1 Nr. 5 zu bestrafen. § 248 a wird verdrängt (vgl. Welzel 236; Maurach BT 230). Diese sogenannte S p e r r w i r k u n g des m i l d e r e n G e s e t z e s ist auch dann zu beachten, wenn eine Qualifizierung mit einer Privilegierung zusammentrifft, z. B. § 244 mit § 370 Abs. 1 Nr. 5 (vgl. Mäurach AT 754). Die h.L. im Schrifttum (z.B. Schönke-Schröder Rn. 64 vor §73, Mezger-Blei AT 324) rechnet zur Spezialität weiterhin die Fälle, in denen ein Tatbestand durch die Z u s a m m e n f ü g u n g zweier a n d e r e r T a t b e s t ä n d e gebildet wird, die nicht als Grundtatbestand des neugebildeten Tatbestands angesehen werden können. Hierher gehört z.B. der Raub, der konstruktiv ein durch Nötigung erzwungener Diebstahl ist (vgl. Mezger-Blei a.a.O.). Andererseits ist der Raub weder eine unselbständige Qualifizierung noch ein Sondertatbestand des Diebstahls, sondern ein eigener Tatbestand mit eigenem Unrechtsgehalt und eigenen Abwandlungen. Eine Minderheit im Schrifttum (z.B. Maurach, weitere Nachweise bei Geerds a.a.O. Seite 197 Fußnote 276) behandelt deshalb das Verhältnis zwischen Raub und Diebstahl zu Recht nicht unter dem Gesichtspunkt der Spezialität, sondern unter dem der Konsumtion. Entsprechendes gilt für das Verhältnis von § 226 zu § 222. Die Streitfrage hat indes nur systematische, keine praktische Bedeutung; die Rechtsfolgen sind die gleichen. b) Von Konsumtion spricht man, wenn ein Tatbestand notwendig, zumindest aber regelmäßig die Begehung eines anderen Tatbestands voraussetzt und dessen Unrechtsgehalt mitumfaßt, ohne daß dieser andere Tatbestand als Grundtatbestand angesehen werden kann. Beispiele: aa) Jede A b t r e i b u n g enthält notwendig einen vorsätzlichen Eingriff in die körperliche Integrität der Schwangeren. § 223 wird daher von § 218 konsumiert (vgl. BGH 10, 312). bb) Jede Vergewaltigung enthält notwendig eine Beleidigung der durch die Tat betroffenen Frau. § 185 wird daher durch § 177 konsumiert. cc) Jeder K a u b enthält notwendig alle Merkmale des Diebstahls und der Nötigung. Diese Tatbestände werden daher von § 249 konsumiert, obwohl sie nicht zum selben Deliktstypus gehören und daher nicht als Grundtatbestand angesehen werden können. 74
Die Lehre von der Konkurrenz dd) Jede K ö r p e r v e r l e t z u n g m i t T o d e s f o l g e enthält gemäß § 56 alle Elemente der fahrlässigen Tötung. § 222 wird daher von § 226 konsumiert (vgl. BGH 8, 54). Entsprechendes gilt für das Verhältnis der fahrlässigen Tötung zur A u s s e t z u n g m i t T o d e s f o l g e (§ 221 Abs. 3 und zu allen übrigen erfolgsqualifizierten Delikten, soweit diese den Tod des Opfers als schwere Folge berücksichtigen (a.A. BGH 20, 269 sowie die h. L. im Schrifttum, wonach § 222 zu diesen Tatbeständen in IdK. treten kann; zum Ganzen s. ausführlich § 56 Anm. 4). ee) Jede v o r s ä t z l i c h e T ö t u n g enthält als notwendiges Durchgangsstadium eine vorsätzliche Körperverletzung. Eine Bestrafung wegen vorsätzlicher Körperverletzung kommt daher nach den Grundsätzen der Gesetzeskonkurrenz nur dann in Betracht, wenn keine Möglichkeit besteht, wegen vollendeter oder versuchter vorsätzlicher Tötung zu bestrafen (st. Rspr. seit BGH 16, 122).
c) Von Subsidiarität spricht man, wenn von mehreren Gesetzen das eine nur hilfsweise zur Anwendung kommt für den Fall, daß nicht bereits ein anderes, ebenfalls verwirklichtes Gesetz eingreift. I n einigen Fällen ist die Subsidiarität im Gesetz ausdrücklich vorgesehen, in anderen ergibt sie sich nur aus dem Sinn des Gesetzes (sogenannte stillschweigende Subsidiarität, vgl. Maurach AT 752; Geerds a.a.O. 183). aa) Beispiele für Tatbestände, die eine S u b s i d i a r i t ä t s k l a u s e l enthalten: § 145d (Vortäuschung einer Straftat); § 183a (Erregung öffentlichen Ärgernisses), § 248 b (unbefugte Benutzung von Kraftfahrzeugen und Fahrrädern); § 265a (Automatenmißbrauch und Erschleichung freien Eintritts); § 316 (Trunkenheit am Steuer); § 17 OWiG (Subsidiarit ä t der Ordnungswidrigkeit, wenn sich die Tat gleichzeitig als Straftat darstellt). Bei einigen der mit einer Subsidiaritätsklausel ausgestatteten Tatbestände ist zu beachten, daß die Subsidiarität nur dann zur Geltung kommt, wenn der andere, gleichfalls verwirklichte Tatbestand die Tat mit schwererer Strafe bedroht. Man spricht hier von einer sogenannten r e l a t i v e n S u b s i d i a r i t ä t . So tritt § 145d (Vortäuschung einer Straftat) als subsidiär zurück, wenn gleichzeitig die Tatbestände der §§ 153,154 oder 164 erfüllt sind oder ein Fall der eigennützigen oder schweren Begünstigung (§§ 257 Abs. 1 letzte Alternative, 258) vorliegt, nicht dagegen, wenn es sich um eine einfache Begünstigung (§257 Abs. 1 erste Alternative) oder eine Verleitung zur Abgabe einer falschen Versicherung an Eides Statt oder einer falschen uneidlichen Aussage (§ 160, zweite Alternative) handelt. I n den letztgenannten Fällen ist Idealkonkurrenz möglich. bb) Infolge s t i l l s c h w e i g e n d e r S u b s i d i a r i t ä t treten zurück: a) die T e i l n a h m e (Anstiftung und Beihilfe) hinter der Täterschaft, innerhalb der Teilnahme die Beihilfe hinter der Anstiftung. ß) die e c h t e n U n t e r l a s s u n g s d e l i k t e hinter den unechten, da letztere die sich aus der jeweiligen Garantenstellung ergebende speziellere Rechtspflicht berücksichtigen (s.o. Abschn. C I 2, S. 30ff.). 75
Vorbemerkungen zum Allgemeinen Teil
y) V o r b e r e i t u n g s h a n d l u n g e n , soweit diese ausnahmsweise wegen ihrer besonderen Gefährlichkeit unter Strafe gestellt sind (z.B. bei §§ 49a Abs. 2, 81, 151, 218 Abs. 4, 234a Abs. 3 und 265), hinter Versuch und Vollendung; der V e r s u c h wiederum tritt als subsidiär zurück, wenn es zur Vollendung gekommen ist. Entsprechendes gilt für die v e r s u c h t e A n s t i f t u n g (§49a Abs. 1) i.V. zur vollendeten Anstiftung. (Beispiel: Wenn A den B zunächst vergeblich, dann aber schließlich doch mit Erfolg zu einem Raub anstiftet, ist A im Ergebnis nur wegen vollendeter Anstiftimg zu bestrafen.) d) die k o n k r e t e n G e f ä h r d u n g s d e l i k t e (s.o. Abschn. B I 3b, S. 10) gegenüber den Verletzungsdelikten, sofern sich die Handlung gegen dasselbe Rechtsgut richtet (z.B. § 221 i.V. zu den §§ 211ff.); die abstrakten Gefährdungsdelikte behalten demgegenüber ihre selbständige Bedeutung zumindest dann, wenn sie präventiv-polizeilicher Art sind, somit gegen Rechtsgüter der Allgemeinheit gerichtet sind (vgl. Maurach AT 753; Geerds a.a.O. 213). So kommt eine Bestrafung wegen Raufhandels (§ 227) auch dann in Betracht, wenn dem Beschuldigten nachgewiesen werden kann, daß er es war, der den Tod oder die schwere Verletzung eines an der Schlägerei Beteiligten verursacht hat. § 227 Abs. 1 steht in diesem Fall zu den §§211 ff. bzw. 224ff. in Idealkonkurrenz. d) Von einer mitbestraften Vortat spricht man, wenn bei einer M e h r h e i t von strafbaren Handlungen der Unrechtsgehalt der früheren Handlung von dem der späteren mit umfaßt wird. Es handelt sich hierbei im wesentlichen um Fälle, die sich auch in der Erscheinungsform der Subsidiarität unter die Gesetzeskonkurrenz einordnen lassen. So verliert insbesondere die V o r b e r e i t u n g s h a n d l u n g ihre selbständige Bedeutung, wenn es zum Versuch kommt; dieser wiederum tritt hinter der Vollendung zurück. e) Von einer mitbestraften Nachtat spricht man, wenn bei einer Mehrheit von strafbaren Handlungen der Schwerpunkt auf der früheren Handlung, der sogenannten Haupttat, liegt, und die spätere Handlung nur eine Vertiefung des bereits eingetretenen Schadens darstellt. Dies gilt insbesondere für den sog. S i c h e r u n g s b e t r u g , d.h. in den Fällen, in denen der Täter einen deliktisch erlangten Vermögensvorteil durch Täuschungsmanöver festigt, z.B. wenn der ungetreue Buchhalter falsche Belege vorlegt, um seine Unterschlagungen zu verdecken. Der Betrug verliert in diesem Fall auch dann seine selbständige Bedeutung, wenn er dazu dient, ein leichteres Delikt zu verdecken, z.B. eine Genußmittelentwendung (§370 Abs. 1 Nr. 5) oder einen Notdiebstahl (§248a). E n t s c h e i d e n d i s t i m m e r d i e F r a g e n a c h d e m m a t e r i e l l e n S c h w e r p u n k t d e r T a t (vgl. Schröder MDR 1950,398f.; Geerds a.a.O. 207, Welzel 235; a.A. Maurach AT 777 m. weit. Nachw.). 76
Die Lehre von der Konkurrenz
Verfehlt wäre es, auch dort von einer mitbestraften Nachtat zu sprechen, wo das der Haupttat nachfolgende Verhalten schon gar nicht den Tatbestand einer strafbaren Handlung erfüllt. Dies gilt insbesondere für die Fälle der Verwertung deliktisch erworbener Sachen. Wer sich durch eine strafbare Handlung, z.B. durch Diebstahl, Raub, Erpressung, Betrug oder Unterschlagung, den Besitz einer Sache verschafft hat, erfüllt nicht mehr den Tatbestand der Unterschlagung, wenn er die Sache später verwertet. Zueignung i.S. von § 246 ist nämlich schon nach dem Wortsinn nur die H e r s t e l l u n g der H e r r s c h a f t über die Sache oder die e r s t m a l i g e V e r f ü g u n g über sie, nicht dagegen die bloße Ausnutzung der Herrschaftsstellung (vgl. BGH [GrSen] 14, 38; LacknerMaassen Anm. VI 1 vor § 73; bestr.). Die mitbestrafte Nachtat hat teilweise dieselben Folgen wie ein persönlicher S t r a f a u s s c h l i e ß u n g s g r u n d , d.h. ihre selbständige Bedeutung geht nur für den Täter oder Teilnehmer verloren, der auch an derHaupttat in strafbarer Weise beteiligt war. Wenn z.B. ein Buchhalter seinen Freund bittet, ihm zur Verdeckung seiner Unterschlagungen unrichtige Belege zu liefern, etwa fingierte Rechnungen zu schreiben, so kann der Freund wegen Beihilfe zum Betrug bestraft werden, obwohl dieser Betrug für den Buchhalter selbst eine straflose Nachtat ist. Keine mitbestrafte Nachtat liegt vor, wenn durch die Nachtat entweder ein neues R e c h t s g u t oder ein neuer R e c h t s g u t t r ä g e r verletzt wird, z.B. wenn der Dieb die gestohlene Sache an einen gutgläubigen Dritten verkauft, der im Hinblick auf § 935 BGB kein Eigentum erlangen kann, somit um den Kaufpreis geschädigt ist. In diesem Fall tritt der in dem Verkauf der Sache liegende Betrug realkonkurrierend, d.h. rechtlich selbständig, neben den Diebstahl. Die Strafe ist gemäß §§ 74ff. zu bilden. Die Nachtat bleibt schließlich auch dann selbständig strafbar, wenn die Vortat wegen V e r j ä h r u n g nicht mehr verfolgt werden kann BGH NJW 1968, 2115, h. L.; a.A. Schönke-Schröder 70 vor § 73).
IV. Die fortgesetzte Tat 1. Begriff Der Begriff der fortgesetzten Tat wurde einem praktischen Bedürfnis folgend entwickelt. Er eimöglicht es, mehrere g l e i c h a r t i g e Straft a t e n , die sich möglicherweise über einen längeren Zeitraum erstrecken und daher oft nur schwer in allen Einzelheiten aufzuklären sind, als einheitliche S t r a f t a t im R e c h t s s i n n zu behandeln, obwohl in rein tatsächlicher Hinsicht mehrere selbständige Handlungen vorliegen. Man spricht daher auch von einer r e c h t l i c h e n H a n d l u n g s e i n h e i t (vgl. Schönke-Schröder Rn. 16 vor § 73; Maurach AT 747). 77
Vorbemerkungen zum Allgemeinen Teil 2. Voraussetzungen a) Entsprechend den von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätzen ist zunächst erforderlich, daß sich die Einzelakte der fortgesetzten Tat gegen dasselbe Rechtsgut richten. Bei h ö c h s t p e r s ö n l i c h e n R e c h t s g ü t e r n ist darüber hinaus erforderlich, daß sich die Einzelakte gegen d e n s e l b e n R e c h t s g u t t r ä g e r richten. Beispiele: aa) W e n n der Q u e r u l a n t Q auf G r u n d einheitlichen, auf f o r t g e s e t z t e T a t b e g e h u n g gerichteten Willensentschlusses in m e h r e r e n Briefen d e n gleichen S t a a t s a n w a l t bes c h i m p f t , so k a n n er wegen fortgesetzter B e l e i d i g u n g b e s t r a f t w e r d e n . Beleidigt er jedoch in m e h r e r e n Briefen der Reihe n a c h alle m i t seinem V e r f a h r e n b e f a ß t e n Polizeibeamten, S t a a t s a n w ä l t e u n d R i c h t e r , so ist R e a l k o n k u r r e n z gegeben. b b ) W e n n sich ein V a t e r V m e h r f a c h a n seiner in seinem H a u s h a l t l e b e n d e n 15jährigen T o c h t e r vergreift, so liegt ein fortgesetztes Vergehen g e m ä ß §§ 173 Abs. 1, 174 Abs. 1—3, 73 v o r . V e r g e h t er sich dagegen a n m e h r e r e n T ö c h t e r n , so ist die Möglichkeit einer B e s t r a f u n g wegen fortgesetzter T a t b e g e h i m g ausgeschlossen. E s hegen in diesem Fall m e h r e r e in tatsächlicher u n d rechtlicher H i n s i c h t selbständige H a n d l u n g e n vor. cc) E n t s p r e c h e n d ist die Rechtslage bei M o r d u n d T o t s c h l a g , A b t r e i b u n g , B e s t e c h u n g u n d E r p r e s s u n g (vgl. B G H N J W 1954, 483; M a u r a c h A T 745). Auch bei R a u b k o m m t m i t R ü c k s i c h t d a r a u f , d a ß sich der Angriff n i c h t n u r gegen d a s E i g e n t u m , sondern auch gegen höchstpersönliche R e c h t s g ü t e r r i c h t e t , F o r t s e t z u n g s z u s a m m e n h a n g n u r d a n n in B e t r a c h t , w e n n die gleiche P e r s o n wiederholt betroffen wird, nicht dagegen, w e n n sich die wiederholten Angriffe gegen verschiedene Personen r i c h t e n (vgl. M a u r a c h A T 745; a.A. B G H bei Dallinger M D R 1968, 727). Die gleiche Differenzierung ist seit d e r N e u f a s s u n g des 13. A b s c h n i t t s d u r c h d a s 4. S t r R G auch bei § 180a ( F ö r d e r u n g d e r P r o s t i t u t i o n ) u n d bei §181a ( Z u h ä l t e r e i ) v o r z u n e h m e n (vgl. § 180a A n m . 10, § 181a A n m . 9).
b) Weitere Voraussetzung für die Annahme einer fortgesetzten Tat ist die Gleichartigkeit der Begehungsform. Es ist zwar nicht erforderlich, daß die Einzelakte denselben Tatbestand verwirklichen; die in Frage stehenden Tatbestände müssen aber zumindest d e m s e l b e n D e l i k t s t y p u s angehören. So ist Fortsetzungszusammenhang m ö g l i c h bei allen Qualifizierungen und Privilegierungen des Diebstahls, z.B. bei einfachem und schwerem Diebstahl, bei Notdiebstahl und § 370 Abs. 1 Nr. 5, ferner bei uneidlicher Falschaussage und Meineid, bei leichter und gefährlicher Körperverletzung, n i c h t d a g e g e n bei Diebstahl und Unterschlagung, bei Diebstahl und Raub (BGH NJW 1968,1292), bei Diebstahl und Betrug oder bei Diebstahl und Hehlerei. Die Gleichartigkeit der Tatbegehung fehlt ferner — auch wenn es sich um- denselben oder einen strukturell verwandten Tatbestand handelt — bei Vorsatz und Fahrlässigkeit, bei positivem Tun und Unterlassen sowie bei Täterschaft und Teilnahme. c) Dritte objektive Voraussetzung ist ein gewisser zeitlicher und räumlicher Zusammenhang der Einzelakte. Wenn beispielsweise ein betrügerischer Grußbesteller innerhalb einer Woche die in seiner Heimat78
Die Lehre von der Konkurrenz
stadt wohnenden Angehörigen von drei ehemaligen Kriegskameraden um Unterstützungsdarlehen angeht, so bestehen bei Vorliegen eines einheitlichen Willensentschhisses (s.u. Abschn. d) keine Bedenken gegen die Annahme einer fortgesetzten Tat. Wenn derselbe Täter dann aber nach einem Jahr in einer anderen Stadt auf ähnliche Weise die Familien anderer ehemaliger Kameraden schädigt, so ist diese zweite Gruppe von Einzelakten als rechtlich selbständige Handlung anzusehen. Fortsetzungszusammenhang ist abzulehnen. Die Strafe ist gemäß § 74 zu bilden. d) In subjektiver Hinsicht müssen alle Einzelakte einer fortgesetzten Tat auf einem einheitlichen Willensentschluß beruhen. Nach st. Rspr. (vgl. BGH 1, 313, 315, zuletzt BGH 23, 33f.) ist dabei erforderlich, daß der Vorsatz des Täters bereits vor, spätestens aber bis zur Beendigung des ersten Teilakts alle späteren Teilakte in ihren wesentlichen Grundzügen umfaßt. Dieser sog. G e s ä m t v o r s a t z muß sich insbesondere auf das zu verletzende Rechtsgut und seine Träger, ferner auf Ort, Zeit und die ungefähre Art der Tatbegehung erstrecken. Diese Voraussetzungen sind z.B. gegeben, wenn ein Mechanikerlehrling vorgefaßtem Tatentschluß entsprechend seinem Meister jeden Freitag Werkzeuge und Kleinmaterial entwendet, um damit am Wochenende Schwarzarbeiten ausführen zu können. Keine ausreichende Grundlage für die Annahme einer fortgesetzten Tat ist dagegen der im einzelnen noch unbestimmte Wille, bei jeder sich bietenden Gelegenheit gleichartige Straftaten,Z.B.Diebstähle, zu begehen. Nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung ist Fortsetzungszusammenhang aber auch dann abzulehnen, wenn der Täter sich bei jeder Tat vornimmt, in Zukunft keine weiteren Taten zu begehen, dann aber doch wieder der Versuchimg unterliegt. Dies erscheint unbefriedigend. Im Schrifttum wird daher vielfach der Einwand erhoben, die auf den Gesamtvorsatz abstellende Ansicht der höchstrichterlichen Rechtsprechung privilegiere den planmäßig vorgehenden Täter gegenüber dem Augenblickstäter, der einer sich bietenden Versuchung nicht widerstehen kann (vgl. Schönke-Schröder Vorbem. 29 vor § 73). Diese Bedenken erweisen sich jedoch bei genauerer Betrachtung als imbegründet, da auch bei Annahme einer rechtlichen Handlungseinheit die Möglichkeit besteht, die besondere Intensität des verbrecherischen Willens strafschärfend zu berücksichtigen. Es besteht daher kein praktisches Bedürfnis, den von der Rechtsprechung für die Annahme einer fortgesetzten Tat geforderten Gesamtvorsatz durch den im Schrifttum als Abgrenzungsmerkmal empfohlenen F o r t s e t z u n g s v o r s a t z zu ersetzen. (Von Fortsetzungsvorsatz in diesem Sinn spricht man dann, wenn der Täter sich von Fall zu Fall neu entschließt, sein früheres strafbares Verhalten in gleicher oder ähnlicher Weise fortzusetzen.) Es wirft sich jedoch die Frage auf, ob man 79
Vorbemerkungen zum Allgemeinen Teil
den Fortsetzungsvorsatz nicht neben dem Gesamtvorsatz als gleichwertiges Kriterium für die Annahme einer fortgesetzten Tat ausreichen lassen sollte. Es wäre lebensfremd und jedem Laien unverständlich, wollte man in dem oben erörterten Beispiel den Lehrling wegen eines fortgesetzten Diebstahls in 50 Fällen zu einer Einheitsstrafe verurteilen, wenn es ihm gelingt, planmäßig etwa ein Jahr lang seinen Meister zu schädigen, ihn andererseits aber wegen 50 rechtlich selbständiger Diebstahlshandlungen zu einer gemäß § 74 zu bildenden Gesamtstrafe zu verurteilen, wenn er nicht planmäßig zu Werke ging, sondern nur immer wieder Woche für Woche der sich ihm bietenden Versuchung erlag. Dogmatisch bestehen keine Bedenken, auch diese Fälle als rechtliche Handlungseinheit zu behandeln. Die fortgesetzte Tat würde damit im Interesse der Praxis auf eine breitere Basis gestellt. 3. Rechtsfolgen Aus dem Wesen der fortgesetzten Tat als einer Handlungseinheit im Rechtssinn ergeben sich materiellrechtlich und prozessual folgende Rechtsfolgen : a) Die Vorschriften über die Realkonkurrenz (§§ 74—77) finden bei der S t r a f b i l d u n g keine Anwendung. b) Mehrere Einzelakte einer fortgesetzten Tat reichen für sich allein nicht aus, um gemäß § 42 e Abs. 2 die Unterbringung in Sicherungsverwahrung anzuordnen. c) Bei der Prüfung, ob eine fortgesetzte Tat unter eine Amnestie fällt, kommt es in zeitlicher Beziehung immer auf den letzten Teilakt an. Entsprechendes gilt für die Verjährung. Eine fortgesetzte Tat verjährt erst dann, wenn der letzte Teilakt verjährt ist. Bis dahin können alle Teilakte verfolgt werden, auch wenn sie ohne das Band des Fortsetzungszusammenhangs bereits verjährt wären. d) Steht ein Teilakt einer fortgesetzten Tat mit einem anderen Tatbestand in Idealkonkurrenz, so steht die ganze fortgesetzte Tat mit diesem Tatbestand in Idealkonkurrenz. Wenn beispielsweise A auf Grund einheitlichen Willensentschlusses mehrere Urkunden fälscht, aber nur eine dieser Urkunden zur Begehung eines Betrugs benutzt, so steht dieser Betrug mit der fortgesetzten Urkundenfälschung in Idealkonkurrenz. e) Von einer K l a m m e r w i r k u n g der f o r t g e s e t z t e n T a t spricht man, wenn mehrere selbständige Handlungen, die wegen der Verschiedenartigkeit ihrer Begehungsweise oder der angegriffenen Rechtsgüter untereinander nicht in Fortsetzungszusammenhang stehen können, jeweils mit Teilakten einer fortgesetzten Tat zusammentreffen. Wenn beispielsweise bei einer fortgesetzten Untreue (§ 266) ein Teilakt zugleich den Tatbestand der Unterschlagung, ein anderer den Tatbestand des Diebstahls 80
Die Lehre von der Konkurrenz
erfüllt, so erfolgt die Bestrafung wegen fortgesetzter Untreue in Idealkonkurrenz mit Unterschlagung und Diebstahl (§§266, 246, 242, 73). Diese Klammerwirkung setzt jedoch nach BGH 3, 165 voraus, daß die fortgesetzte Tat mindestens ebenso schwerwiegend ist wie die durch sie zu verbindenden Handlungen. So ist ein fortgesetztes Vergehen nicht in der Lage, zwei rechtlich selbständige Verbrechen untereinander oder ein Verbrechen mit einem Vergehen zu einer Handlungseinheit zu verbinden. Wenn A beispielsweise auf Grund einheitlichen Willensentschlusses mehrfach mit seiner Tochter T geschlechtlich verkehrt und dabei einmal den Widerstand der T mit Gewalt bricht, ihr bei einer anderen Gelegenheit jedoch lediglich droht, er werde ihr ihre Ersparnisse wegnehmen, falls sie sich ihm nicht freiwillig preisgebe, so kann das im ersten Fall vorliegende Verbrechen der Vergewaltigung (§ 177) mit der im zweiten Fall vorliegenden Nötigung (§ 240) durch das gemeinsame Band des in beiden Fällen vorliegenden Vergehens gemäß § 173 Abs. 1 nicht zu einer Handlungseinheit verbunden werden. Die Bestrafung hat vielmehr wegen zweier rechtlich selbständiger Handlungen zu erfolgen. f) Die R e c h t s k r a f t eines wegen einer fortgesetzten Tat ergangenen Urteils erfaßt alle vor der Verkündung begangenen Teilakte der fortgesetzten Tat. Hierbei macht es keinen Unterschied, ob diese Teilakte dem Gericht bekannt waren oder nicht (vgl. BGH 6, 92, 95). Dasselbe gilt, wenn wegen einer fortgesetzten Tat ein rechtskräftiger Strafbefehl erlassen worden ist (vgl. BGH 6,122). ( B e a c h t e : Die für die fortgesetzte Tat entwickelten Grundsätze finden nach RG 72, 164 und BGH 1, 41 entgegen der früheren Rechtsprechung des Reichsgerichts und einer im Schrifttum teilweise noch heute vertretenen Ansicht keine entsprechende Anwendung bei den sogenannten Sammelstraftaten oder K o l l e k t i v d e l i k t e n , d.h. durch das Band der G e w e r b s m ä ß i g k e i t , Gewohnheitsm ä ß i g k e i t oder G e s c h ä f t s m ä ß i g k e i t wird keine rechtliche Handlungseinheit gebildet, sofern nicht zufällig im Einzelfall auch die Voraussetzungen des Fortsetzungszusammenhangs gegeben sind. Zur Begründung wird darauf hingewiesen, daß die Anerkennung der Sammelstraftat als rechtliche Handlungseinheit durch den Gesetzeswortlaut nicht geboten ist und zu einer Privilegierung des Gewohnheitsverbrechertums, somit zu kriminalpolitisch unerträglichen Folgen führen kann. Diese liegen z.T. in unerwünschten Rechtskraftfolgen, z.T. aber auch in der fehlenden Möglichkeit, auf § 42e Abs. 2 zurückzugreifen.)
V. Das Dauerdelikt 1. Auch das Dauerdelikt ist ein Fall der r e c h t l i c h e n Handlungseinheit (vgl. Schönke-Schröder Rn. 45 vor § 73). Zu den Dauerdelikten gehören alle Straftaten, bei denen der Täter einen rechtswidrigen Zustand nicht nur in strafbarer Weise herstellt, sondern auch in strafbarer Weise aufrecht erhält. Hierher gehören z.B. die Freiheitsberaubung 6
Petters-Preisendanz, StGB, 28. Aufl.
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Vorbemerkungen zum Allgemeinen Teil
(§ 239), das Fahren ohne Fahrerlaubnis (§ 21 StVG) sowie die Trunkenheit am Steuer (§ 316). 2. Das begriffliche Gegenstück zum Dauerdelikt ist das Z u s t a n d s d e l i k t . Hierher gehören alle Delikte, durch die ein rechtswidriger Zustand in strafbarer Weise hergestellt wird, ohne daß auch die Aufrechterhaltung des rechtswidrigen Zustands mit Strafe bedroht ist. So ist bei der Bigamie (§171) nur die Schließung der bigamischen Ehe, nicht aber deren Aufrechterhaltung strafbar. 3. V e r j ä h r u n g . Während bei den Zuständsdelikten die Verjährungsfrist bereits mit der Herstellung des rechtswidrigen Zustands beginnt, richtet sich bei den Dauerdelikten die Verjährung nach der Beendigung des rechtswidrigen Zustands. Das Dauerdelikt weist insoweit deutliche Parallelen zur fortgesetzten Tat auf (s. o. IV 3). 4. Konkurrenzen. Nicht jede strafbare Handlung, die während eines Dauerdelikts begangen wird, steht mit diesem in Idealkonkurrenz. Das zeitlich-räumliche Zusammentreffen mehrerer strafbarer Handlungen kann für sich allein noch keine IdK begründen. Dies gilt nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung selbst dann, wenn das Dauerdelikt (z.B. ein Hausfriedensbruch) begangen wurde, um eine andere Straftat (z.B. eine Vergewaltigung oder einen Diebstahl) zu ermöglichen (vgl. RG 32, 137,140; BGH 18, 29, 32f.). Ein Teil des Schrifttums neigt demgegenüber immer schon dann zur Annahme von Idealkonkurrenz, wenn zwischen den im gleichen zeitlichen und örtlichen Zusammenhang begangenen Delikten nicht nur ein äußerer, sondern auch ein innerer Zusammenhang besteht. Dies ist nicht nur dann der Fall, wenn der Täter ein Dauerdelikt begeht, um ein Zustandsdelikt zu ermöglichen (z.B. er dringt in eine Wohnung ein, um die Bewohner zu erpressen), sondern auch dann, wenn er ein Zustandsdelikt begeht, um ein Dauerdelikt zu ermöglichen (z.B. er schlägt die Bewohner nieder, um sich weiter in der Wohnung aufhalten zu können). Die letztgenannte Ansicht, die im Schrifttum u. a. von Schönke-Schröder (Rn. 46a vor § 73) und Welzel (S. 232) vertreten wird, verdient schon deshalb den Vorzug, weil sie in der Lage ist, einen einheitlichen Vorgang auch einheitlich zu erfassen. Unstreitig hegt IdK in den Fällen vor, in denen die Handlung, die den einen Tatbestand verwirklicht, wenigstens teilweise auch den anderen Tatbestand verwirklicht. So hat es der BGH in der bereits oben zitierten Entscheidung BGH 18, 29 für möglich angesehen, zwischen den Tatbeständen der Entführung (§ 237) und der Vergewaltigung (§177) IdK anzu nehmen, weil einmal die zur Entführung erforderlichen Handlungen tatbestandsmäßige Ausführungshandlungen i.S. von § 177 sein können (z.B. wenn der Täter sein Opfer gewaltsam an den Ort der Vergewaltigung schleppt) und zum anderen der durch die Entführung geschaffene Zu82
Die Lehre von der Konkurrenz
stand der Unfreiheit und Verängstigung des Opfers gleichzeitig Mittel zur Vergewaltigung ist. Weitere Beispiele: IdK zwischen Diebstahl (§242) und Fahren ohne Fahrerlaubnis (§ 21 StVG), wenn der Täter ein Kfz entwendet und damit ohne Fahrerlaubnis fährt (vgl. BGH 18, 66). Die IdK wird in diesem Fall dadurch begründet, daß erst durch das Wegfahren der Gewahrsam gebrochen wird. Mit der gleichen Begründung ist auch IdK zwischen Diebstahl und Trunkenheit am Steuer (§ 316) anzunehmen, wenn der Dieb eines Kfz bei Tatbegehung angetrunken war. Über das Verhältnis von Trunkenheit am Steuer und Unfallflucht siehe § 142 Anm. 16.
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Strafgesetzbuch für das Deutsche Reich vom 15. Mai X87X i . d . F . der Bekanntmachung vom 1. September 1969 (BGBl. I 1445), letztes ÄndG v. 20. 7. 1973 (BGBl. I 870)
Einleitende Bestimmungen § I
[Dreiteilung: d e r S t r a f t a t e n ]
(1) Verbrechen sind Handlungen, die i m Mindestmaß mit Freiheitsstrafe von einem Jahr oder darüber bedroht sind. (2) Übertretungen sind Handlungen, die mit Freiheitsstrafe bis zu sechs Wochen oder mit Geldstrafe bis zu fünfhundert Deutsche Mark bedroht sind. (3) Vergehen sind alle übrigen mit Freiheitsstrafe oder mit Geldstrafe bedrohten Handlungen. (4) Milderungen oder Schärfungen, die nach den Vorschriften des Ersten Teils oder bei mildernden Umständen, minder schweren, besonders schweren oder ähnlichen allgemein umschriebenen Fällen vorgesehen sind, bleiben für die Einteilung außer Betracht. 1. Die vom Gesetz in § 1 vorgenommene Einteilung der strafbaren Handlungen nach dem Grad ihrer Schwere in V e r b r e c h e n , V e r g e h e n u n d Ü b e r t r e t u n g e n ist u.a. von Bedeutung: a) für die Strafbarkeit des V e r s u c h s (nur strafbar bei Verbrechen und bestimmten Vergehen, vgl. § 43), b) für die Strafbarkeit der B e i h i l f e und der B e g ü n s t i g u n g (nur strafbar bei Verbrechen und Vergehen, vgl. §§ 49, 257), c) für die Strafbarkeit der v e r s u c h t e n A n s t i f t u n g (nur strafbar bei Verbrechen, vgl. § 49 a Abs. 1), d) für die Bemessung der V e r j ä h r u n g s f r i s t e n (vgl. § 67). 2. Ob eine strafbare Handlung als V e r b r e c h e n oder V e r g e h e n anzusehen ist, bestimmt sich nach Einführung der einheitlichen Freiheitsstrafe durch das 1. StrRG mit Wirkung vom 1.4.1970 nicht mehr nach der angedrohten Strafart, sondern nach dem Mindestmaß der angedrohten Freiheitsstrafe (vgl. Abs. 1 i.V. mit Abs. 3). Auch die Ü b e r t r e t u n g e n unterscheiden sich von den übrigen Deliktsarten nicht mehr durch die Strafart, sondern ausschließlich durch die Höhe der gesetzlich angedrohten Strafe (vgl. Abs. 2). 3. Auch nach der Neufassung des § 1 durch das 1. StrRG kommt es für die Einteilung der Straftaten in Verbrechen, Vergehen oder Übertretungen nicht auf die im Einzelfall verwirkte, sondern ausschließlich auf die allgemein a n g e d r o h t e Strafe an (sog. abstrakte Betrachtungsweise). Abs. 4 stellt jetzt ausdrücklich klar, daß allgemein umschriebene M i l d e r u n g e n oder S c h ä r f u n g e n für die Einteilung der Straftaten ohne Einfluß sind. Hierbei macht es keinen Unterschied, ob sich die Milderungen oder Schärfungen aus dem Allgemeinen Teil des StGB ergeben (vgl. z.B. die Strafmilderungsmöglichkeit beim Versuch, bei der Beihilfe und bei der verminderten Zurechnungsfähigkeit des § 61 Abs. 2 sowie die zwingend vorgeschriebene
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Strafgesetzbuch Strafmilderung in den Fällen des § 50 Abs. 2) oder ob es sich um Vorschriften des Besonderen Teils handelt (vgl. z.B. die Berücksichtigung mildernder Umstände in §§ 154 Abs. 2, 177 Abs. 2 und § 213 oder die Annahme eines besonders schweren Falles in den §§ 218 Abs. 2, 266 Abs. 2 und § 267 Abs. 2). Eine Abtreibung wird deshalb nicht dadurch zum Verbrechen, daß ein besonders schwerer Fall (z.B. eine gewerbsmäßig begangene Abtreibung) vorliegt; umgekehrt bleibt ein Raub auch dann ein Verbrechen, wenn das Gericht unter Zubilligung mildernder Umstände nach § 249 Abs. 2 auf eine Freiheitsstrafe von unter einem J a h r erkennt. Entscheidend ist also immer der allgemeine Strafrahmen, nicht der Strafrahmen im Einzelfall. Dies gilt auch für die sog. K e g e l b e i s p i e l e , d.h. für solche Fälle, bei deren Vorliegen i.d.R. ein besonders schwerer Fall anzunehmen ist (vgl. z.B. §§94 Abs. 2, 95 Abs. 3, 99 Abs. 2). 4. Nach Inkrafttreten des 2. StrRG wird es nur noch Verbrechen und Vergehen geben (vgl. § 12). Die bisherigen Übertretungen werden überwiegend zu Ordnungswidrigkeiten umgestaltet. § 2
[Rückwirkungrsverfoot und zeitlicher Geltungsbereich der Strafgesetze] (1) Eine Tat kann nur bestraft werden, wenn die Strafbarkeit gesetzlich bestimmt war, bevor die Tat begangen wurde. (2) Die Strafe bestimmt sich nach dem Gesetz, das zur Zeit der Tat gilt. Bei Verschiedenheit der Gesetze von der Zeit der begangenen Handlung bis zu deren Aburteilung ist das mildeste Gesetz anzuwenden. (3) Ein Gesetz, das nur für eine bestimmte Zeit erlassen ist, ist auf die während seiner Geltung begangenen Straftaten auch dann anzuwenden, wenn es außer Kraft getreten ist. (4) Über Maßregeln der Sicherung und Besserung ist nach dem Gesetz zu entscheiden, das zur Zeit der Entscheidung gilt. 1. Das in Abs. 1 für alle Straftatbestände festgelegte Rückwirkungs- und Analogieverbot ist eine der wesentlichsten Garantien, die der moderne Rechtsstaat seinem Bürger zu bieten hat. N u l l u m c r i m e n , n u l l a p o e n a s i n e l e g e ! Siehe auch Art. 103 Abs. 2 GG und Art. 7 MRK (abgedruckt im Anhang 2). 2. Eine A u s n a h m e von dem Verbot der Rückwirkung gilt f ü r den Fall, daß zwischen der Tatzeit und dem Zeitpunkt der Aburteilung eine Änderung der Gesetzgebung eingetreten ist. I n diesem Fall ist immer das m i l d e s t e G e s e t z anzuwenden und zwar in jeder Lage des Verfahrens, d.h. auch in der Revisionsinstanz (BGH 20, 77) und wenn der Schuldspruch rechtskräftig geworden ist (BGH 20, 116). Welches Gesetz das mildeste ist, bemißt sich nach den Umständen des Einzelfalls ( k o n k r e t e B e t r a c h t u n g s w e i s e ) . Entscheidend sind dabei zunächst die Hauptstrafen, dann erst etwaige Nebenstrafen. Sieht das auf Grund der milderen Hauptstrafe mildere Gesetz eine Nebenstrafe oder Nebenfolge vor (z.B. die Einziehung einer Schrift), so kann diese auch dann ausgesprochen werden, wenn sie nach früherem Recht nicht zulässig war (vgl. BGH N J W 1965, 1723 m. Anm. Schröder J R 1966, 68). 3. § 2 Abs. 3 befaßt sich mit den sogenannten Zeitgesetzen. Diese kommen entgegen der in Abs. 2 Satz 2 getroffenen Regelung auf die während ihrer Geltung begangenen Straftaten auch noch dann zur Anwendung, wenn sie z.Z. der Aburteilung bereits außer Kraft getreten sind. Als Zeitgesetz gilt jedes Gesetz, dessen Geltungsdauer entweder kraft ausdrücklicher Regelung kalendermäßig befristet ist oder das seinem Inhalt nach nur als vorübergehende Regelung eines außergewöhnlichen Zustands gedacht war (vgl. BGH N J W 1952, 72;BGH 6, 30, 37). Typische B e i s p i e l e
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Einleitende Bestimmungen
§
3 b
f ü r Zeitgesetze sind die B e w i r t s c h a f t u n g s v o r s c h r i f t e n in Kriegs- und sonstigen Notzeiten. K e i n e Z e i t g e s e t z e sind dagegen die in der Straßenverkehrsordnung festgelegten a l l g e m e i n e n G e s c h w i n d i g k e i t s b e s c h r ä n k u n g e n . Eine Aufhebung oder Änderung dieser Bestimmungen wäre also nach § 2 Abs. 2 Satz 2 und nicht nach § 2 Abs. 3 zu beurteilen (vgl. BGH 6, 30ff. zu § 9 a. F.). Als Zeitgesetze dagegen sind solche Geschwindigkeitsbeschränkungen anzusehen, die nur aus einem konkreten Anlaß bestimmt wurden. Wer z. B. eine Baustelle, f ü r die eine Geschwindigkeitsbegrenzung von 60 km/h vorgeschrieben ist, mit einer Geschwindigkeit von 100 km/h durchrast, kann sich später nicht darauf berufen, daß inzwischen — nach Beendigung der Bauarbeiten — keine Beschränkung mehr besteht. Dieses letzte Beispiel zeigt a m klarsten den Sinn und Zweck des § 2 Abs. 3. 4. F ü r Maßregeln der Sicherung und Besserung (§ 42 a) gilt gemäß § 2 Abs. 4 das Rückwirkungsverbot nicht. Hier kommt es z.Z. noch ausschließlich auf den Zeitp u n k t der Aburteilung an. Nach Inkrafttreten des 2. StrRG wird sieh das Rückwirkungsverbot allerdings auch auf die Sicherungsverwahrung und die neu eingeführten Einrichtungen der Unterbringung in einer sozialtherapeutischen Anstalt (§ 65) sowie der sogenannten Führungsaufsicht (§ 68) beziehen, vgl. § 2 Abs. 6 idF. des 2. StrRG. 5. Das Rückwirkungsverbot bezieht sich nur auf das „Gesetz" und die „Strafbarkeit", nicht auch auf Auslegungsregeln (vgl. Händel N J W 1967, 537f. m. weit. Nachw.). Es bestehen daher keine durchgreifenden Bedenken, den vom BGH durch Beschluß vom 9. 12. 1966 (BGH 21, 157) neu festgesetzten Beweisgrenzwert von l,3°/00 auch auf solche Trunkenheitsfahrten anzuwenden, die vor dem 9. 12. 1966 liegen (vgl. Händel a . a . O . ; Riese N J W 1969, 549; KG N J W 1967, 1766; OLG K r h e N J W 1967, 2167; Dreher § 316 Anm. 4 B). 6. Die neuere Gesetzgebung neigt dazu, die Frage der Rückwirkung von Gesetzesänderungen in der Form ausdrücklicher Ü b e r g a n g s v o r s c h r i f t e n klar zu regeln. So enthält auch das 1. StrRG in den Art. 86 ff. eine Reihe ausdrücklicher Sondervorschriften, die der allgemeinen Regelung des § 2 vorgehen. Ahnlich Art. 7 ff. des 4. StrRG. § 3 b [Walilfeststellungr] 1. Der durch das Kontrollratsgesetz Nr. 11 aufgehobene frühere § 2 b bot die Möglichkeit, auch dort zu einer Verurteilung zu gelangen, wo sich der Geschehnisablauf zwar nicht mehr eindeutig ermitteln läßt, andererseits aber feststeht, daß der Angeklagte sich auf jeden Fall strafbar gemacht hat. Waren diese Voraussetzungen gegeben, so h a t t e die Bestrafung aus dem jeweils mildesten der in Frage kommenden Gesetze zu erfolgen. Ob diese rechtsethisch und psychologisch vergleichbar sind, war unerheblich. 2. Nach Aufhebung des § 2 b h a t die Rechtsprechung eine Wahlfeststellung (auch w a h l d e u t i g e oder d o p p e l d e u t i g e T a t f e s t s t e l l u n g genannt) nur noch dort zugelassen, wo die in Frage kommenden Tatbestände rechtsethisch und psychologisch vergleichbar sind, d.h. wenn es sich u m Tatbestände handelt, die miteinander verwandt sind, dasselbe oder ein ähnliches Rechtsgut schützen und keine unterschiedliche Bewertung in der sittlichen Mißbilligung fordern (st. Rspr., zuletzt B G H 22, 12ff.; 154ff.; 23, 360). Diese Einschränkung gegenüber dem aufgehobenen § 2 b entspricht der Rechtslage aus der Zeit vor dessen Inkrafttreten (1935). Sie ist geboten, u m den Angeklagten vor einem Schuldspruch zu bewahren, der seiner Tat und seiner Persönlichkeit nicht gerecht wird. 3. Wahlfeststellung ist zulässig a) innerhalb der einzelnen Ausführungsarten desselben Tatbestands, z.B. innerhalb der Mordmerkmale (BGH 22, 12) oder wenn sich nicht mehr feststellen
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läßt, ob der Beamte ein Geschenk gefordert oder ob er ein entsprechendes Angebot angenommen h a t ; b) zwischen Täterschaft und Anstiftung (BGH 1, 127, in B G H 23, 203, 208 allerdings offen gelassen) sowie zwischen den einzelnen Erscheinungsformen der Täterschaft (BGH 11, 18), nicht jedoch zwischen Täterschaft und Beihilfe (siehe hierzu unten 5 c); c) zwischen Diebstahl und Hehlerei (BGH 1, 302), zwischen Diebstahl und sachlicher Begünstigung (BGH 23, 360 m. Anm. Hruschka N J W 1971, 1392 und Schröder J Z 1971, 141) sowie zwischen Diebstahl und Amtsunterschlagung (BayObLG N J W 1958, 560); d) zwischen R a u b und räuberischer Erpressung (BGH 5, 280) oder räuberischem Diebstahl; e) zwischen § 316 u n d § 2 StVZO, wenn sich nicht mehr feststellen läßt, ob der angetrunkene Halter eines P K W diesen selbst gesteuert h a t oder ob er ihn einem anderen überlassen h a t , der ebenfalls fahruntüchtig war, dessen Zustand er aber infolge seiner eigenen Trunkenheit nicht erkannt h a t (OLG Celle N J W 1965, 1773; a. A. OLG Koblenz N J W 1965, 1928 m . Anm. Möhl). 3a. Von einer gleichartigen Wahlfeststellung oder Sachverhaltsalternativität spricht man, wenn eine von mehreren Handlungen einen bestimmten Tb. verwirklicht haben muß, ohne daß sieh klären läßt, welche Handlung dies ist, z . B . wenn zwei sich widersprechende Aussagen eines Zeugen vorliegen (BGH 2, 351) oder wenn sich nicht klären läßt, welcher von mehreren Schüssen desselben Täters tödlich war (BGH N J W 1957, 1643). Auch in diesen Fällen ist eine wahldeutige Tatfeststellung zulässig (vgl. BGH a.a.O., Schönke-Schröder 10, Dreher 3 A, Lackner-Maassen lc).
4. Wahlfeststellung ist dagegen unzulässig a) zwischen R a u b und Hehlerei (BGH 21, 152) sowie zwischen R a u b und Unterschlagung (BGH N J W 1973, 1466). I m ersten Fall kommt dann allerdings auf der Grundlage wahldeutiger Tatfeststellung Verurteilung wegen Diebstahls oder Hehlerei, im zweiten Fall Verurteilung wegen Diebstahls oder Unterschlagung in Betracht, da jeder R a u b begriffsnotwendig auch die Elemente des Diebstahls enthält (BGH N J W 1963, 1466); b) zwischen Betrug und Abtreibung (BGH bei Daliinger MDR 1958, 739) sowie zwischen Betrug und Diebstahl (Krhe D J 1973, 57); c) Zwischen Diebstahl und Erpressung (BGH DRiZ 1972, 30), wobei dann allerdings § 246 als „Auffangtatbestand" in Betracht kommt (vgl. Blei J A 1972, StR 49); d) zwischen Blutschande und falscher Anschuldigung; e) zwischen § 330a und der Rauschtat, wo sich die Ablehnung der Wahlfeststellung allerdings praktisch nicht auswirkt, da in den Fällen, bei denen unklar bleibt, ob der Angeklagte bei Tatbegehung infolge vorangegangenen Alkoholgenusses nur vermindert zurechnungsfähig war oder ob seine Zurechnungsfähigkeit ganz ausgeschlossen war, immer unmittelbar auf § 330a zurückgegriffen werden kann. Nach B G H 9, 390 besteht nämlich die Aufgabe des § 330 a darin, alle Fälle zu erfassen, bei denen der Angeklagte sonst wegen erwiesener oder möglicher (!) Zurechnungsunfähigkeit freigesprochen werden müßte. Eine Wahlfeststellung ist also gar nicht erforderlich. 5. Nicht erforderlich ist eine Wahlfeststellung a) zwischen Vollendung und Versuch (hier ist zugunsten des Täters davon auszugehen, daß die Tat im Versuchsstadium geblieben ist);
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Einleitende Bestimmungen b) zwischen Vorsatz und Fahrlässigkeit (BGH 17, 210). Die Fahrlässigkeitstatbestände haben nämlich nicht nur die Aufgabe, die Fälle zu erfassen, bei denen mit Sicherheit Fahrlässigkeit vorliegt. Sie sollen darüber hinaus auch solche Fälle erfassen, bei denen der Verdacht vorsätzlicher Tatbegehung offen bleibt, der Täter aber z u m i n d e s t f a h r l ä s s i g gehandelt hat (vgl. BGH 17, 210 unter ausdrücklicher Aufgabe von BGH 4, 340); c) zwischen Täterschaft und Beihilfe (BGH 23, 203; BayObLG N J W 1967,361). Auch hier ist bei Zweifeln in entsprechender Anwendung des Grundsatzes „in dubio pro reo" immer auf die Strafvorschriften für die Beihilfe zurückzugreifen, ohne daß ea einer Wahlfeststellung bedarf. 6. Bei zulässiger Wahlfeststellung ist der Bestrafung das mildeste Gesetz zugrundezulegen. Welches Gesetz diese Voraussetzungen erfüllt, richtet sich nach den Umständen des Einzelfalls ( k o n k r e t e B e t r a c h t u n g s w e i s e ) . 7. Die Formulierung des Urteilstenors ist in das Ermessen des Gerichts gestellt (vgl. BGH 1, 302, 304). Es empfiehlt sich jedoch, grundsätzlich a l l e T a t b e s t ä n d e , zwischen denen die Wahlfeststellung getroffen wird, in den Urteilstenor aufzunehmen. Dies gilt insbesondere dort, wo keiner der Tatbestände als der mildere angesehen werden kann. Bei Zugrundelegung dieser Ansicht wäre beispielsweise ein Angeklagter, bei dem sich nicht klären läßt, ob er die bei ihm sichergestellte Sache durch Diebstahl oder Hehlerei in seinen Besitz gebracht hat, wegen „Diebstahls oder Hehlerei" zu verurteilen. Andererseits ist es unschädlich, wenn nur das mildere Gesetz in den Urteilstenor aufgenommen wird (vgl. BGH 1, 302, 304).
§ 3
[Geltung: f ü r Deutsche]
(1) Das deutsche Strafrecht gilt für die Tat eines deutschen Staatsangehörigen, einerlei, ob er sie im Inland oder im Ausland begeht. (2) Für eine im Ausland begangene Tat, die nach dem Recht des Tatorts nicht mit Strafe bedroht ist, gilt das deutsche Strafrecht nicht, wenn die Tat wegen der besonderen Verhältnisse am Tatort kein strafwürdiges Unrecht ist. (3) Eine Tat ist an jedem Ort begangen, an dem der Täter gehandelt hat oder im Falle des Unterlassens hätte handeln sollen, oder an dem der Erfolg eingetreten ist oder eintreten sollte. 1. Nach § 3 Abs. 1 gilt das deutsche Strafrecht auch für Taten eines deutschen Staatsangehörigen, die dieser im Ausland begangen hat (sogenanntes Personalitätsprinzip). Hierbei kommt es grundsätzlich nicht darauf an, ob die Tat auch nach dem Recht des Tatorts mit Strafe bedroht ist. Begibt sich z. B. eine Deutsche zum Zwecke einer Schwangerschaftsunterbrechung ins Ausland, so kann sie nach ihrer Rückkehr in die Bundesrepublik auch dann bestraft werden, wenn in dem Land, in dem sie den Eingriff vornehmen ließ, die Abtreibung nicht unter Strafe gestellt ist. 2. Eine Ausnahme von diesem Grundsatz bringt § 3 Abs. 2 für den Fall, daß die im Ausland begangene Tat wegen der b e s o n d e r e n V e r h ä l t n i s s e am T a t ort kein strafwürdiges Unrecht darstellt. So kann der Geschlechtsverkehr mit einem frühentwickelten 13 jährigen Mädchen in einem Land, das die Strafbarkeitsgrenze auf 12 Jahre festgesetzt hat, nicht als Vergehen nach § 176 Abs. 3 bestraft werden (vgl. Maurach A T 123). Entsprechendes gilt für gewerbsmäßiges Glücksspiel oder Bestechung in Ländern, in denen diese nach deutschem Recht strafbaren Tatbestände sozusagen an der Tagesordnung sind. Die Anwendimg des deutschen Strafrechts bleibt dagegen unberührt, wenn die von einem Deutschen im Ausland begangene Tat lediglich auf Grund einer anderen rechtlichen Würdigung straflos bleibt, ohne daß hierfür besondere Verhältnisse am Tatort bestimmend sind. Dies gilt insbesondere für Abtreibimg und gleichgeschlechtliche Handlungen (vgl. Hamm MDR 1959,
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§4
Strafgesetzbuch
1028). Hieran wird sich auch in Zukunft nichts ändern (vgl. § 5 Nr. 5 und Nr. 6 idF. des 2. StrRG). Ein „strafwürdiges Unrecht" i.S. der Vorschrift liegt nicht nur dann vor, wenn die Tat nach dem Recht des Tatorts mit einer Kriminalstrafe bedroht ist; es genügt, wenn sie als Verwaltungsübertretung unter Strafe steht (z. B. Verkehrsübertretungen in Österreich, vgl. BGH 21, 277f. mit Anm. Schröder N J W 1968, 283). 3. Nach § 3 Abs. 3 gilt als T a t o r t sowohl der Ort der Handlung bzw. Unterlassung als auch der Ort, an dem der Erfolg eintritt. Wird beispielsweise ein Erpresserbrief im Inland an eine Person im Ausland geschrieben oder umgekehrt, so ist in beiden Fällen die Tat im Inland begangen. Bei der Anstiftung gilt dementsprechend als Tatort nicht nur der Ort, an dem der Anstifter in dem Täter den Tatentschluß hervorgerufen hat, sondern auch der Ort, an dem dann die Tat begangen wurde (RG 25, 426; Schönke-Schröder Rn. 9). 4. Die DDR gilt zwar nach der in der Bundesrepublik herrschenden Ansicht als Inland (vgl. BGH 5, 364); da die faktischen Verhältnisse jedoch nicht mehr einfach ignoriert werden können, werden weitgehend praktisch die Regeln des internationalen Strafrechts analog angewandt (vgl. Müller-Emmert in der BT-Debatte v. 7. 5. 1969 über d. Strafrechtsreform, Lackner-Maassen Vorbem. 5 b vor § 3; sehr bestr.). Zur Problematik siehe auch Schultz J R 1968, 41, 127. 5. P r o z e s s u a l ist zu beachten, daß nach § 153b StPO bei allen Auslandstaten von Strafverfolgung abgesehen werden kann. 6. Das 2. StrRG hat die Materie in den §§ 3—7 grundlegend umgestaltet (vgl. Anh. 8).
§ 4
[Geltung: f ü r A u s l ä n d e r ]
(1) Das deutsche Strafrecht gilt auch für Taten, die ein Ausländer im Inland begeht. (2) Für eine von einem Ausländer im Ausland begangene Straftat gilt das deutsche Strafrecht, wenn sie durch das Recht des Tatorts mit Strafe bedroht oder der Tatort keiner Strafgewalt unterworfen ist und wenn 1. der Täter die deutsche Staatsangehörigkeit nach der Tat erworben hat oder 2. die Straftat gegen das deutsche Volk oder gegen einen deutschen Staatsangehörigen gerichtet ist oder 3. der Täter im Inland betroffen und nicht ausgeliefert wird, obwohl die Auslieferung nach der Art der Straftat zulässig wäre. ( 3 ) Unabhängig von dem Recht des Tatorts gilt das deutsche Strafrecht für folgende Straftaten, die ein Ausländer im Ausland begeht: 1. Straftaten, die er als Träger eines deutschen staatlichen Amtes oder als Soldat der Bundeswehr oder die er gegen den Träger eines solchen Amtes oder gegen einen Soldaten der Bundeswehr während der Ausübung ihres Dienstes oder in Beziehung auf ihren Dienst begeht; 2. Straftaten des Friedensverrats nach § 80, des Hochverrats sowie des Landesverrats und der Gefährdung der äußeren Sicherheit; 3. Sprengstoffverbrechen; 3a. Straftaten gegen den Luftverkehr nach § 316c; 4. Förderung der Prostitution in den Fällen des § 180a Abs. 3 bis 5 und Menschenhandel (§ 181); 5. Verrat eines Betriebs- oder Geschäftsgeheimnisses eines deutschen Betriebes;
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Einleitende Bestimmungen 6. Meineid in einem Verfahren, das bei einem deutschen Gericht oder einer anderen zur Abnahme von Eiden zuständigen deutschen Stelle anhängig ist; 7. Münzverbrechen und Münzvergehen; 8. unbefugter Vertrieb von Betäubungsmitteln; 9. Verbreitung pornographischer Schriften in den Fällen des § 184 Abs. 3; 10. Taten, die auf Grund eines für die Bundesrepublik Deutschland verbindlichen zwischenstaatlichen Abkommens auch dann zu verfolgen sind, wenn sie im Ausland begangen werden. 1. Nach § 4 Abs. 1 gilt das deutsche Strafrecht für alle Straftaten, die im Inland begangen werden, und zwar auch dann, wenn als Täter ein A u s l ä n d e r oder ein S t a a t e n l o s e r in Betracht kommt (sogenanntesTerritorialitätsprinzip). Als I n l a n d gilt nach st. Rspr. das gesamte Staatsgebiet des Deutschen Reichs innerhalb der Grenzen vom 31. 12. 1937 (vgl. BGH 5, 364; 7, 55; 8, 170); siehe jedoch §3 A n m . 4 . 2. Abs. 2 und Abs. 3 befassen sich mit der Frage, unter welchen Voraussetzungen das deutsche Strafrecht auch für Taten eines Ausländers im Ausland gilt. Dies ist nur ausnahmsweise der Fall, nämlich a) wenn d e u t s c h e I n t e r e s s e n v e r l e t z t werden (sogenanntes Schutzprinzip, vgl. | 4 Abs. 2 Ziff. 2 sowie Abs. 3 Ziff. 1, 2, 5, 6); b) wenn die K u l t u r i n t e r e s s e n a l l e r S t a a t e n b e r ü h r t werden (sogenanntes Weltrechtsprinzip, vgl. § 4 Abs. 3 Ziff. 3, 3a, 4, 7—10); c) wenn der Tatort keiner Strafgewalt unterworfen ist oder wenn die Tat zwar nach dem Recht des Tatorts mit Strafe bedroht ist, die für die Strafverfolgung zuständigen Behörden jedoch nicht tätig werden können oder wollen (sogenannter Grundsatz der stellvertretenden Strafrechtspflege, vgl. § 4 Abs. 2). Beispiele: aa) Wenn ein Italiener in Italien einen Mord begeht, nach der T a t in die Bundesrepublik flüchtet und dort die deutsche Staatsangehörigkeit erwirbt, so kann er gemäß Art. 16 Abs. 2 Grundgesetz nicht ausgeliefert werden. In diesem Fall ergibt sich aus § 4 Abs. 2 Ziff. 1 die Möglichkeit, ihn nach deutschem Recht durch deutsche Gerichte abzuurteilen. Die Vorschrift will verhindern, daß der Rechtsbruch des Täters, der als Deutscher — wie erwähnt — nicht ausgeliefert werden kann, ungesühnt bleibt (BGH 20, 23). Sie ist nicht verfassungswidrig (BGH a.a.O.). bb) Wenn ein Deutscher im Ausland bei einem Verkehrsunfall durch Verschulden eines Ausländers getötet wird, unterliegt diese Tat dem Anwendungsbereich des deutschen Strafrechts gemäß § 4 Abs. 2 Ziff. 2. — Der in der Vorauf!, im Zusammenhang mit § 4 Abs. 2 Ziff. 2 unter Bezugnahme auf BGH 18, 283 und BGH 19, 107 näher erörterte Fall, daß ein deutsches Mädchen im Ausland in die Hände eines ausländischen Zuhälters fällt und von diesem zur Prostitution gezwungen wird, fällt seit der Neufassung der §§ 180 ff. durch das 4. StrRG ebenfalls unter den Anwendungsbereich des § 4 Abs. 2 Ziff. 2, da das in den §§ 180ff. geschützte Rechtsgut jetzt eindeutig ein Schutzgesetz zugunsten der jeweils betroffenen Person ist. Die Entscheidungen BGH 18, 283; 19, 107 sind insoweit gegenstandslos geworden. Außerdem würde die Tat, soweit die §§ 180 a Abs. 3—5, 181 in Frage stehen, unter den Anwendungsbereich des § 4 Abs. 3 Ziff. 4 fallen. cc) Die Voraussetzungen des § 4 Abs. 2 Ziff. 3 liegen z.B. vor, wenn ein Staatenloser, der in der Schweiz einen Einbruch begangen hat, sich nach der Tat den deutschen Strafverfolgungsbehörden stellt und die Schweiz auf Auslieferung verzichtet.
§ 5
[Geltung: auf deutschen Schiffen und Luftfahrzeugren]
Das deutsche Strafrecht gilt, unabhängig von dem Recht des Tatorts, für Taten, die auf einem deutschen Schiff oder Luftfahrzeug begangen werden.
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§§
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6—13
Die Vorschrift bringt eine Erweiterung des in § 4 Abs. 1 enthaltenen Territorialitätsprinzips. Für Straftaten, die auf einem a u s l ä n d i s c h e n S c h i f f oder L u f t f a h r z e u g auf bzw. über deutschem Hoheitsgebiet begangen werden, gilt § 4 Abs. 1 unmittelbar. Für Straftaten d e u t s c h e r S t a a t s a n g e h ö r i g e r a u f fremden Schiffen in fremden Gewässern bzw. in fremden Flugzeugen über fremdem Hoheitsgebiet güt §3. § 6 Lt) b e r t r e t a n g e n i m A u s l a n d ] I m Ausland begangene Übertretungen sind nur dann zu bestrafen, wenn dies durch besondere Gesetze oder durch Verträge angeordnet ist. Die Vorschrift enthält eine Ausnahme von der Regelung der §§ 3, 4 H , 111, 6. So ist es gemäß Art. 18 Abs. 1 Satz 2 des Rechtshilfevertrags mit Österreich vom 22. 9. 1958 (BGBl. 1960 I I 1347) zulässig, Verkehrsübertretungen eines Deutschen auch in der BRD zu verfolgen. § V [ A n r e c h n u n g von A u s l a n d s t r a f e n ] Die Vorschrift wurde durch das 1. StrRG mit Wirkung vom 1. 9. 1969 aufgehoben. Der Sachverhalt wird nunmehr durch § 60 Abs. 3 geregelt. § 8— l O
[aufgehoben]
§ 11 [ I n d e m n i t ä t d e r Landtagrsabgreordneten] Mitglieder eines Gesetzgebungsorgans eines zur Bundesrepublik Deutschland gehörigen Landes dürfen zu keiner Zeit wegen ihrer Abstimmung oder wegen einer Äußerung, die sie in der Körperschaft oder einem ihrer Ausschüsse getan haben, außerhalb der Körperschaft zur Verantwortung gezogen werden. Dies gilt nicht für verleumderische Beleidigungen. 1. § 11 enthält einen persönlichen S t r a f a u s s c h l i e ß u n g s g r u n d f ü r Landtagsabgeordnete. Die Vorschrift entspricht der in Art. 46 Abs. 1 Grundgesetz für Bundestagsabgeordnete getroffenen Regelung. Über das Wesen der persönlichen Strafausschließungsgründe s. o. Vorbem. AT, Abschn. D. 2. Die in § 11 geregelte Indemnität, die sich nur auf Äußerungen im Plenum oder in einem Ausschuß der jeweiligen gesetzgebenden Körperschaft bezieht, darf nicht verwechselt werden mit der allgemeinen I m m u n i t ä t der Abgeordneten, die sich nur als Verfahrenshindernis auswirkt. Die Vorschriften über die Immunität sind in den Landesverfassungen geregelt, müssen aber im ganzen Bundesgebiet beachtet werden (vgl. § 152a StPO). Über das Wesen der Verfahrenshindernisse s.o. Vorbem. AT, Abschn. F. §12
[Indemnität der Parlamentsberichte]
Wahrheitsgetreue Berichte über die öffentlichen Sitzungen der in § 11 bezeichneten Gesetzgebungsorgane oder ihrer Ausschüsse bleiben von jeder Verantwortlichkeit frei. Die Vorschrift enthält im Gegensatz zu § 11 nicht nur einen Strafausschließungs-, sondern einen R e c h t f e r t i g u n g s g r u n d . Sie entspricht der in Art. 42 I I I GG für den Bundestag getroffenen Regelung.
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Erster Teil Von der Bestrafung der Verbrechen, Vergehen und Übertretungen im Allgemeinen Erster Abschnitt: Strafen (§§ 13—42) Vorbemerkung 1. Das Gesetz unterscheidet Haupt- und Nebenstrafen. Die H a u p t s t r a f e n können f ü r sich allein, die N e b e n s t r a f e n nur in Verbindung mit einer Hauptstrafe ausgesprochen werden. Die M a ß r e g e l n d e r S i c h e r u n g u n d B e s s e r u n g (§§ 42äff.) sind keine Strafen, sondern treten ergänzend neben diese. Über die Aufgaben der Strafe siehe Einleitung, Abschn. A I 5, S. 2. 2. Als Hauptstrafen kennt das Gesetz nach Einführung der einheitlichen Freiheitsstrafe durch das 1. StrRG nur noch a) Freiheitsstrafe (§18). b) Geldstrafe (§ 27). 3. Als Nebenstrafen können ausgesprochen werden: a) die Unfähigkeit zur Bekleidung öffentlicher Ämter und Verlust der Wählbarkeit (§ 31 Abs. 2), b) der Verlust des Wahl- und Stimmrechts (§ 31 Abs. 5), c) die Einziehung, soweit sie n u r bei solchen Gegenständen zulässig ist, die im Eigentum des Täters oder eines Teilnehmers stehen. Diese Voraussetzungen sind insbesondere bei § 40 Abs. 2 Nr. 1 gegeben. Ist die Einziehung dagegen auch bei täterfremden Sachen möglich (siehe hierzu vor allem § 40 Abs. 2 Nr. 2), so handelt es sich um Sicherungsmaßnahmen. d) die Verfallerklärung gemäß § 335, e) die öffentliche Bekanntmachimg der Verurteilung in den Fällen der §§ 165, 200, f) das Fahrverbot (§ 37). B e a c h t e : Keine Nebenstrafen, sondern Sicherungsmaßregeln sind die Polizeiaufsicht (§ 38f.) und die Unbrauchbarmachung (§ 41). 4. I m Jugendstrafrecht h a t nur die J u g e n d s t r a f e (§§ 17ff. JGG) den Charakter einer Kriminalstrafe, nicht dagegen die Erziehungsmaßregeln (§ 9ff. JGG) und die Zuchtmittel (§§ 13ff. JGG); im Wehrstrafrecht gehört nur der in § 9 WStG (abgedruckt in Anh. 3) geregelte Strafarrest zu den Kriminalstrafen (vgl. § 8 WStG). § 1 3
[Grundsätze der
Strafznmessung:]
(1) Die Schuld des Täters ist Grundlage für die Zumessung der Strafe. Die Wirkungen, die von der Strafe für das künftige Leben des Täters in der Gesellschaft zu erwarten sind, sind zu berücksichtigen. (2) Bei der Zumessung wägt das Gericht die Umstände, die für und gegen den Täter sprechen, gegeneinander ab. Dabei kommen namentlich i n Betracht:
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§
13
Strafgesetzbuch
die Beweggründe und die Ziele des Täters, die Gesinnung, die aus der Tat spricht, und der bei der Tat aufgewendete Wille, das Maß der Pflichtwidrigkeit, die Art der Ausführung und die verschuldeten Auswirkungen der Tat, das Vorleben des Täters, seine persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse sowie sein Verhalten nach der Tat, besonders sein Bemühen, den Schaden wiedergutzumachen. (3) Umstände, die schon Merkmale des gesetzlichen Tatbestandes sind, dürfen nicht berücksichtigt werden. 1. Die durch das 1. StrRG eingeführte Vorschrift, die mit § 46 idF. des 2. StrRG übereinstimmt, bekennt sich ausdrücklich zum Schuldstrafrecht, d.h. Strafen dürfen nur dann und nur insoweit verhängt werden, als dem Täter sein Handeln zum Vorwurf gemacht werden kann (vgl. Vorbem. AT, Abschn. B V I I 1, S. 25). Die Schuld des Täters ist also — wie bisher — die Grundlage jeder Strafzumessung. Über den Zweck der Strafe, der in Abs. 1 S. 2 nur gestreift wird, siehe ausführlich Vorbem. AT Abschn. A I 5a, S. 2. 2. Die Zumessung der Strafe im einzelnen richtet sich primär nach der Schwere des individuellen Schuldvorwurfs (Abs. 1 Satz 1). Während für den Nachweis des Schuldvorwurfs selbst nur der Zeitpunkt der Tatbegehung entscheidend ist, spielen für das Ausmaß der Schuld auch solche Umstände eine Rolle, die zwar nicht in der Tatbestandsverwirklichung selbst, sondern zeitlich vor oder nach dieser liegen, aber ebenfalls das Maß der Vorwerfbarkeit beeinflussen. 3. Die in Abs. 2 aufgeführten Ermessensrichtlinien sollen dem Richter Hinweise auf die Tatumstände geben, die bei der Strafzumessung innerhalb des durch die Tatschuld abgegrenzten Strafrahmens von besonderer Bedeutung sein können. Der Katalog des Abs. 2 ist weder abschließend noch zwingend. E r kann und will den Richter in seiner Bewertung f ü r und wider den Täter auch keinesfalls festlegen. a) Die B e w e g g r ü n d e und Z i e l e des Täters sind vor allem bei vorsätzlichen Delikten zu beachten. So werden sich einerseits Habgier, Gewinnsucht und ähnliche niedrige Beweggründe in der Regel strafschärfend auswirken (sofern sie nicht schon zum gesetzlichen Tatbestand gehören, vgl. Abs. 3); andererseits können z. B. ethisch beachtenswerte politische Motive die T a t in einem günstigeren Licht erscheinen lassen. b) Auch die aus der T a t sprechende G e s i n n u n g und der bei der Tat aufgewendete W i l l e können sich teils zu Gunsten, teils zum Nachteil des Täters auswirken. So macht es z. B. einen Unterschied, ob jemand aus Gewinnsucht oder aus einer staatsfeindlichen Gesinnung heraus fortgesetzt Steuern hinterzieht oder ob er seinen Verbindlichkeiten nur deshalb nicht nachkommt, weil er sich gerade in finanziellen Schwierigkeiten befindet. Des weiteren wird man z.B. bei einem Bandendiebstahl zu differenzieren haben, ob alle Beteiligten mit gleicher verbrecherischer Intensität auf die Bildung der Bande und die einzelnen Taten hingewirkt haben oder ob einige der Beteiligten sich nur aufgrund ihrer eigenen Willensschwäche zur Mitwirkung haben verführen lassen. c) Das Maß der P f l i c h t w i d r i g k e i t wird vor allem bei Fahrlässigkeitsdelikten zu beachten sein. So macht es z. B. einen Unterschied, ob sich ein Schrankenwärter durch einen dringenden Anruf oder durch übermäßigen Alkoholgenuß von seiner Pflicht, die Schranke rechtzeitig zu schließen, hat abhalten lassen. — Oder: Alkoholgenuß vor Antritt der Fahrt kann sich bei einem Kraftfahrer auch dann straferschwerend auswirken, wenn die Alkoholwirkung f ü r das spätere Unfallgeschehen nicht ursächlich war, der Alkoholgenuß aber Schlüsse auf die persönliche Unzuverlässigkeit zuläßt (BGH VerkMitt. 1972 Nr. 104).
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Strafen
§
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d) Auch die Art der T a t a u s f ü h r u n g kann von Einfluß auf die Strafzumessung sein. Es kann z. B. nicht unerheblich sein, ob der Täter sich spontan zu einem Einbruch entschließt und diesen mit den Werkzeugen begeht, die er gerade am Tatort findet, oder ob er die Tat von langer Hand vorbereitet und mit SpezialWerkzeugen begeht, die er vorher erst noch beschaffen muß. Von Bedeutung ist ferner, ob sich die Tat als einmalige Verfehlung oder als fortgesetztes Verbrechen oder Vergehen darstellt. So ist die gesetzliche Mindeststrafe dann nicht mehr angemessen, wenn der Tatbestand mehrmals verwirklicht und zugleich ein anderes Strafgesetz verletzt wird (vgl. Stgt DJ 1972, 207). A u s w i r k u n g e n der Tat, insbesondere schwere Tatfolgen, können dem Täter nur dann strafschärfend zur Last fallen, wenn' er sie vorausgesehen hat, zumindest aber hätte voraussehen können. Dies hindert allerdings nicht, auch solche Folgen zu berücksichtigen, die als solche zwar nicht voraussehbar waren, aber aus einer vom Täter schuldhaft herbeigeführten Gefahr resultierten (vgl. B G H [Gr. Sen.] 10, 259 sowie Begründung zu § 60 E 1962, Str.). e) Von besonderer Bedeutung sind das V o r l e b e n des Täters sowie seine p e r s ö n l i c h e n und w i r t s c h a f t l i c h e n V e r h ä l t n i s s e . Hierher gehört vor allem die sog. Lebensführungssohuld, die sich dann strafschärfend auswirkt, wenn sie die Vorwerfbarkeit der Tat steigert (vgl. Begründung zu § 60 E 1962). Es muß selbstverständlich einen Unterschied machen, ob ein Gelegenheits- oder Konfliktstäter vor Gericht steht, oder ob es sich um einen Berufs- und Gewohnheitsverbrecher handelt, der sich durch alle bisherigen Strafen von seinem kriminellen Lebenswandel nicht hat abhalten lassen. aa) Die w i r t s c h a f t l i c h e n V e r h ä l t n i s s e spielen besonders bei Eigentumsund Vcrmögensdelikten eine Rolle. So macht es z. B. einen Unterschied, ob ein ungelernter Gelegenheitsarbeiter einen Diebstahl begeht, weil sein Verdienst nicht ausreicht, um den täglichen Lebensbedarf zu decken, oder ob ein gut bezahlter Prokurist Gelder unterschlägt, um sich eine Fotosafari in Afrika leisten zu können. bb) Vorstrafen können auch dann strafschärfend berücksichtigt werden, wenn sie nicht einschlägig sind ( B G H 24, 198). Getilgte oder tilgungsreife Vorstrafen dürfen allerdings seit Inkrafttreten des B Z R G gemäß §§ 49 Abs. 1, 61 B Z R G auch dann nicht zum Nachteil des Angeklagten verwertet werden, wenn die Akten noch vorliegen. Strafschärfend kann jedoch berücksichtigt werden, daß der Angeklagte sich durch ein früheres, durch Einstellung oder Freispruch abgeschlossenes Verfahren nicht hat warnen lassen (vgl. B G H 25, 64; Krhe N J W 1973, 291). Erklärter Zweck des § 49 B Z R G ist es nämlich, dem Verurteilten die Resozialisierung zu erleichtern. Außerdem ist das Verwertungsverbot Ausdruck des Gedankens der „entsühnenden Wirkung" einer Strafe (vgl. B G H 24, 378, 381). Beide Gesichtspunkte entfallen jedoch bei einem Freispruch oder einer Einstellung des Verfahrens (vgl. Krhe a.a.O.). Über die oft recht unbefriedigenden Konsequenzen dieser Rechtslage siehe Händel J R 1973, 265) sowie Middendorf, Die Schizophrenie des Strafrichter3, B A 1973, 149. f ) Zu dem V e r h a l t e n nach d e r T a t gehört vor allem die Bereitschaft, den Schaden wiedergutzumachen. Diese wirkt sich selbstverständlich — wenn sie gegeben ist — strafmildernd aus. Andererseits kann man von einem die Tat bestreitenden Angeklagten nicht verlangen, daß er sich zur Wiedergutmachung des Schadens verpflichtet. Strafschärfend darf ein nach der Straftat liegendes Verhalten nur dann verwertet werden, wenn es Schlüsse auf ihren Unrechtsgehalt zuläßt oder Einblick in die (zu mißbilligende) Einstellung des Täters zu seiner Tat zuläßt ( B G H N J W 1971, 1758). So ist es z.B. unzulässig, straferschwerend zu berücksichtigen, daß der Täter, um die Tat zu verheimlichen, sein Opfer im Wald vergraben hat ( B G H a.a.O.).
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Zum Verhalten nach der T a t gehört auch das Verhalten im Strafverfahren, soweit es auf die Persönlichkeit des Täters und den Grad der Tatschuld Rückschlüsse zuläßt. Ein einsichtiges G e s t ä n d n i s wird grundsätzlich strafmildernd zu berücksichtigen sein. Andererseits darf die Tatsache, daß der Angeklagte die T a t leugnet oder von seinem Recht auf Aussageverweigerung Gebrauch macht, nicht strafschärfend berücksichtigt werden. Schließlich darf sich auch u n g e b ü h r l i c h e s B e n e h m e n vor Gericht nicht in einer Erhöhung der Strafe niederschlagen. Hierfür stehen dem Gericht andere Möglichkeiten offen (vgl. § 178 GVG). Zur Bewertung des Nachtrunks bei einem Unfall unter Alkoholeinwirkung siehe § 142 Anm. 4. 4. Das in Abs. 3 aufgestellte Verbot der mehrfachen Verwertung von Tatumständen, die bereits Merkmale des gesetzlichen Tatbestands sind, will verhindern, daß der Schutzgedanke einer Vorschrift in unzulässiger Weise zu Gunsten oder zu Lasten des Täters überbetont wird. So ist es unzulässig, bei einem Notdiebstahl strafmildernd zu berücksichtigen, daß der Täter aus einer echten wirtschaftlichen Not heraus gehandelt h a t ; bei einem Versuch darf nicht strafmildernd hervorgehoben werden, daß der vom Täter erstrebte Erfolg nicht eingetreten ist. Umgekehrt wäre es unzulässig, bei einem Meineid strafschärfend zu berücksichtigen, daß die Rechtspflege erheblich gefährdet wurde. Ebenso dürfen Vorstrafen, die rückfallbegründend i.S. von § 17 sind, bei der Strafzumessung innerhalb des Strafrahmens von § 17 nicht nochmals strafschärfend herangezogen werden. 5. Die gesetzliche Mindeststrafe ist nur dann angemessen, wenn die Schuld des Täters an der unteren Grenze der Durehschnittsfälle liegt. Hiervon kann jedenfalls dann keine Rede sein, wenn der Tb. mehrmals verwirklicht ist (z.B. bei einer fortgesetzten Tat) und zugleich noch ein anderes Strafgesetz verletzt wird (vgl. Stgt DJ 1972, 207). § 1 4 [Kurzfristigre
Freiheitsstrafen]
(1) Eine Freiheitsstrafe unter sechs Monaten verhängt das Gericht nur, wenn besondere Umstände, die in der Tat oder der Persönlichkeit des Täters liegen, die Verhängung einer Freiheitsstrafe zur Einwirkung auf den Täter oder zur Verteidigung der Rechtsordnung unerläßlich machen. (2) Droht das Gesetz Geldstrafe nicht oder nur neben Freiheitsstrafe a n und kommt eine Freiheitsstrafe von sechs Monaten oder darüber nicht in Betracht, so verhängt das Gericht eine Geldstrafe, wenn nicht die Verhängung einer Freiheitsstrafe nach Absatz 1 unerläßlich ist. 1. Die durch das 1. StrRG mit Wirkung vom 1. 4. 1970 neu eingefügte Vorschrift verfolgt den Zweck, die Verhängung von Freiheitsstrafen unter 6 Monaten nur noch auf Ausnahmefälle zu beschränken. Hierfür war ausschlaggebend, daß kurzzeitige Freiheitsstrafen sich zur Verbrechensbekämpfung vielfach als ungeeignet erwiesen haben, da die Dauer ihres Vollzugs nicht ausreicht, um eine erzieherische Wirkung zu erzielen. Zudem wird der Täter in sozial schädlicher Weise aus der Gesellschaft herausgerissen und in seiner Umgebung oft zum Kriminellen gestempelt. Hinzu kommt die Gefahr der kriminellen Infektion durch die Berührung mit anderen Straffälligen. Unter diesen Gesichtspunkten sind die vom Vollzug einer kurzfristigen Freiheitsstrafe ausgehenden Gefahren vielfach größer als der durch den Vollzug erstrebte spezialpräventive Nutzen, der allenfalls in einer Abschreckung des Täters bestehen kann. 2. § 14 schränkt zwar die Entscheidung des Richters in der W a h l der Strafart gegenüber der früheren Rechtslage erheblich ein, ist deshalb jedoch nicht verfassungswidrig (BVerfG N J W 1970, 1453).
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3. Bei realkonkurrierenden Taten k o m m t es f ü r die A n w e n d b a r k e i t des § 14 nicht auf die Gesamtstrafe, sondern darauf an, ob die verhängten Einzelstrafen u n t e r der Grenze von sechs Monaten liegen (BGH 24, 165; K o f f k a L K 6). 4. N a c h Abs. 1 können n u r besondere Umstände die Verhängung kurzfristiger Freiheitsstrafen rechtfertigen. Eine kurzfristige Freiheitsstrafe k o m m t n u r dann in Betracht, wenn sie als letzte Möglichkeit erscheint, u m auf den Täter einzuwirken oder u m den Bestand der Rechtsordnung zu schützen. Generalpräventive Erwägungen sollen dabei n u r in einem engen Bereich zur Begründung der kurzfristigen Freiheitsstrafe herangezogen werden (vgl. Begründimg des Sonderausschusses, Seite 6 der BT-Drucksache V/4094). Die besonderen Umstände, die ausnahmsweise zu einer kurzfristigen Freiheitsstrafe führen, können sowohl in der T a t als auch in der Persönlichkeit des Täters liegen. Ein solcher in der „Persönlichkeit" des Täters liegender besonderer U m s t a n d k a n n aber nicht allein schon darin gesehen werden, daß der Angeklagte mittellos ist und eine Geldstrafe nicht bezahlen k a n n . Schlechte wirtschaftliche Verhältnisse sind vornehmlich bei der Bemessung der Geldstrafe selbst zu berücksichtigen u n d nicht d a f ü r maßgebend, ob Geldstrafe oder Freiheitsstrafe zu verhängen ist. 5. Die bisher veröffentlichte höchstrichterliche Rspr. zu § 14 b e f a ß t sich überwiegend m i t der Strafzumessung bei Trunkenheit a m Steuer. Gerade auf diesem f ü r die tägliche Praxis äußerst wichtigen Gebiet h a t die in d e n §§ 14, 23 d u r c h d a s 1. S t r R G getroffene Neuregelung die Gerichte zu einem einschneidenden U m d e n k prozeß gezwungen, der sicher noch nicht beendet ist u n d dessen Auswirkungen sowohl auf die Rückfallquote als auch auf das allgemeine Ansteigen d e r Alkoholkriminalität noch nicht abschließend beurteilt werden können ( F f m N J W 1971, 666). Fest steht nur, daß sich die Zahl der schweren Verkehrsunfälle, bei denen Alkoholeinfluß als Unfallursache oder mitwirkende Ursache festgestellt wurde, in bes t i m m t e n Bezirken seit I n k r a f t t r e t e n des 1. S t r R G wesentlich erhöht h a t . So ist beispielsweise in N R W die Zahl der Verkehrsunfälle m i t Personenschaden, f ü r die Alkoholbeeinflussung ursächlich war, in den ersten vier Monaten des J a h r e s 1970 gegenüber 1969 u m 34,8% gestiegen (vgl. H a m m B A 1971, 144). Ü b e r eine ä h n liche Entwicklung in Südbaden berichtet H ä n d e l (vgl. BA 1971, 114). Fest s t e h t weiter, daß Geldstrafen, selbst wenn sie noch so hoch sind, entgegen allen Vermutungen der Theorie in der Praxis von den betroffenen K r a f t f a h r e r n doch weit weniger gefürchtet werden als die n a c h f r ü h e r e m R e c h t drohende Freiheitsstrafe, selbst wenn diese zur Bewährung auszusetzen ist (vgl. H ä n d e l a . a . O . 115). E s wird Aufgabe der Rechtsprechung sein, dieser Tendenz entgegenzuwirken u n d das P r o blem wieder in den Griff zu bekommen, u m in der Öffentlichkeit nicht den E i n d r u c k entstehen zu lassen, daß die Trunkenheit a m Steuer ungeachtet ihrer offensichtlichen Sozialschädlichkeit nicht mehr als kriminelles U n r e c h t angesehen u n d deshalb nicht mehr m i t der erforderlichen I n t e n s i t ä t verfolgt wird. Diesem Ziel dienen a u c h die ausgewogenen u n d maßvollen Empfehlungen des 8. Verkehrsgerichtstags 1970 in Goslar (abgedruckt in k + v 1970, 39). Die gegen diese E m p f e h l u n g e n gerichteten Angriffe von J a g u s c h (vgl. N J W 1970, 401, 1865) w u r d e n inzwischen von Middendorff (BA 1970, 257; 1971, 26), Seib (BA 1970, 405; 1971, 18), K r u s e (BA 1971, 15) u n d Tröndle (BA 1971, 73) mit überzeugender B e g r ü n d u n g zurückgewiesen. Derartige Empfehlungen sind ein unerläßliches u n d legitimes Mittel z u r H e r b e i f ü h r u n g einer gerechten Harmonisierung bei der A h n d u n g vergleichbarer Fälle, insbesondere wenn diese in zunehmend steigender Zahl a u f t r e t e n . Fehlende Einheitlichkeit k a n n zur Willkür u n d d a m i t zu groben Ungerechtigkeiten f ü h r e n . Hinzu k o m m t , daß der Richter a n die Empfehlungen nicht gebunden, in seiner Entscheidungsfreiheit also nicht eingeschränkt ist. Vor allem aber ist er, auch wenn er den Empfehlungen folgt, nach wie vor verpflichtet, bei jedem Einzelfall gewissen7
Petters-Preisendanz, StGB, 28. Aufl.
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h a f t zu prüfen, ob auch wirklich ein Durchschnittsfall i. S. der Empfehlungen vorliegt. Folgt man diesen Empfehlungen, so ergibt sich unter Berücksichtigung der bisher veröffentlichten Rspr. folgendes Bild: a) Ob eine Freiheitsstrafe zur Einwirkung auf den Täter unerläßlich ist, richtet sich vor allem nach der Schwere der Schuld und der Strafempfindlichkeit (Saarbrücken DAR 1970, 164). Bei Ersttätern mit günstiger Sozialprognose wird idR. eine angemessene Geldstrafe (1—2 Monatsgehälter) iV. mit einem empfindlichen Entzug der Fahrerlaubnis (Sperrfrist 6—12 Monate) sowohl die Gefahr des Rückfalls ausräumen als auch die erforderliche generalpräventive Wirkung zeitigen und d a m i t den Strafzweck erreichen (vgl. F f m N J W 1971, 669; Köln BA 1971, 61). Schlechte Einkommens- und Vermögensverhältnisse können sich n u r auf die Höhe der Geldstrafe und die Gewährung von Ratenzahlung auswirken, keinesfalls aber dazu führen, nur aus diesem Grund auf eine Freiheitsstrafe zu erkennen (Ffm a.a.O). Ernster zu beurteilen sind die Fälle, in denen der Täter zwar noch nicht einschlägig, wohl aber wegen anderer Taten bereits wiederholt in Erscheinung getreten ist und deshalb als allgemein unzuverlässig beurteilt werden muß. I n diesen Fällen kann eine, im Durchschnittsfall allerdings noch zur Bewährung ausgesetzte Freiheitsstrafe durchaus „unerläßlich" sein, u m dem Täter die Bedeutung seiner T a t und die Folgen eines etwaigen Rückfalls nachhaltig ins Bewußtsein zu bringen. Dasselbe gilt, wenn der Täter die Trunkenheitsfahrt ohne Führerschein durchgeführt, hierbei einen Unfall verschuldet und anschließend noch Unfallflucht begangen hat. Hier muß schon deshalb an eine Freiheitsstrafe gedacht werden, weil die neben der Strafe auszusprechende Führerscheinsperrfrist den Täter, der noch keine Fahrerlaubnis besitzt, idR. weniger h a r t trifft als einen Kraftfahrer, dem aus Anlaß der Tat eine bereits vorhandene Fahrerlaubnis entzogen wird. Eine Freiheitsstrafe kann ferner dann unerläßlich sein, wenn ein auf einer Zechtour betroffener Kraftfahrer hartnäckig versucht, dem ihn verfolgenden Polizeieinsatzwagen zu entfliehen, und hierbei andere Verkehrsteilnehmer verantwortungslos gefährdet (vgl. F f m DAR 1972, 48). Keinesfalls sollte bei einem nicht einschlägig vorbestraften Täter schematisch, ohne Berücksichtigung der besonderen Umstände des Einzelfalls, nur auf Geldstrafe erkannt werden (vgl. Spiegel BA 1970, 28 ff.). Bei Wiederholungstätern ist eine Geldstrafe zwar nicht generell ausgeschlossen (vgl. F f m N J W 1970, 956; Zweibrücken DAR 1970, 164; BayObLG N J W 1970, 871; Krhe D J 1970, 162; Celle MDR 1970,521), jedoch wird sie im Durchschnittsfall nur ausnahmsweise in Betracht kommen, z.B. wenn die einschlägige Vorstrafe schon mehrere J a h r e zurückliegt, der Täter aus Anlaß der T a t selbst schwer verletzt wurde oder besondere Umstände seine Schuld als außergewöhnlich gering erscheinen lassen. I m übrigen jedoch, insbesondere bei wiederholtem oder schnellem Rückfall (siehe hierzu vor allem Seib BA 1970, 409), bei einer F a h r t ohne F a h r erlaubnis oder trotz entzogener Fahrerlaubnis, bei einer Trunkenheitsfahrt i.V. mit Unfallflucht, wird zur Einwirkung auf den durch mildere Maßnahmen offensichtlicht nicht beeindruckbaren Täter eine Freiheitsstrafe unerläßlich sein (vgl. H a m m N J W 1971, 670; Seib a.a.O.). Dies gilt auch dann, wenn es zu keinem Unfall gekommen ist (vgl. Köln DAR 1970, 246). Allerdings muß das Gericht auch in diesen Fällen in der Urteilsbegründung klar zum Ausdruck bringen, weshalb eine Geldstrafe nach seiner Überzeugung nicht mehr in Betracht kommen kann (vgl. F f m N J W 1971, 666; Koffka L K 12). Die Verhängung einer Freiheitsstrafe besagt im übrigen noch nicht, daß diese auch zu verbüßen sein wird. Siehe hierzu ausführlich § 23. b) Bei der Frage, ob die Verteidigung der Rechtsordnung eine Freiheitsstrafe als unerläßlich erscheinen läßt, kommt es grundsätzlich weder auf den Gesichtsp u n k t der Sühne noch — zumindest nicht allein — auf die Schwere der Schuld a n ;
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auch das Genugtuungsinteresse des Verletzen und seiner Angehörigen ist grundsätzlich auszuklammern (vgl. BGH 24,40ff.,64ff. zum gleichen Begriff in §23 Abs.2). Bei der Bestimmung dieses Begriffs ist vielmehr nach Auffassung des BGH (a.a.O. 44) davon auszugehen, daß es zur Aufgabe der Strafe gehört, „das R e c h t gegenüber dem vom Täter begangenen Unrecht durchzusetzen, die Unverbrüchlichkeit der Rechtsordnung damit vor der Rechtsgemeinschaft zu erweisen u n d zugleich ähnlichen Rechtsverletzungen potentieller Täter vorzubeugen ( s p e z i e l l e G e n e r a l p r ä v e n t i o n ) " . Unter Berücksichtigung dieser Gesichtspunkte ist die Verhängung einer kurzfristigen Freiheitsstrafe zur Verteidigung der Rechtsordnung nur dann unerläßlich, wenn zu befürchten ist, daß die Verhängung nur einer Geldstrafe die Rechtstreue der Bevölkerung gefährden könnte (vgl. Celle N J W 1970, 872; Stgt D J 1970, 237). Diese Voraussetzungen liegen einmal bei den bereits erwähnten Wiederholungstätern vor (vgl. Celle a.a.O.); sie können aber auch bei besonders schweren Tatfolgen gegeben sein. Bei fahrlässiger Tötung unter Alkoholeinwirkung wird deshalb eine Geldstrafe nur ganz ausnahmsweise in Betracht kommen, z.B. wenn der Getötete ein naher Angehöriger des Täters war oder der Täter durch den Unfall selbst schwer verletzt wurde. I n allen übrigen Fällen geht es dann weniger um die Frage, ob die Verhängung einer Freiheitsstrafe unerläßlich ist, als vielmehr darum, ob die verhängte Freiheitsstrafe, die in der Praxis allgemein über der Grenze von sechs Monaten liegt, noch zur Bewährung ausgesetzt werden kann (vgl. B G H 24, 64; Koblenz DAR 1971, 106; Oldenburg BA 1970, 246; 1971, 139; H a m m BA 1971, 140, 144 m. Anm. Schneble sowie die Ausführungen zu § 23). Zum Ganzen siehe auch Martin BA 1970, 13; Spiegel BA 1970, 28; Zabel BA 1970, 132; Händel BA 1970, 204. Die Verhängung einer Freiheitsstrafe zur Verteidigung der Rechtsordnung kann auch dann erforderlich sein, wenn ein angetrunkener Kraftfahrer auf der Flucht vor der ihn verfolgenden Polizei leichtfertig und verantwortungslos andere Verkehrsteilnehmer gefährdet (vgl. F f m DAR 1972, 48). 6. I m Bereich der allgemeinen Kriminalität kann eine kurzfristige Freiheitsstrafe zur Einwirkung auf den Täter oder zur Verteidigung der Rechtsordnung vor allem dann unerläßlich sein (vgl. Koffka L K 12, 13), wenn der Täter a) bereits wiederholt, insbesondere einschlägig, vorbestraft ist, b) sich in sozial besonders gefährdender Umgebung befindet (wichtig z.B. f ü r Rauschgiftsüchtige), c) sich nach Überzeugung des Gerichts der Vollstreckung der Geldstrafe entziehen wird (zu beachten vor allem bei Wohnsitzlosen und solchen Personen, die ständig Wohnsitz und Arbeitsstelle wechseln, sobald eine Pfändung droht), d) die Geldstrafe nach der Überzeugung des Gerichts nicht selbst aufbringen wird, sondern voraussichtlich ein Dritter die Zahlung f ü r ihn übernehmen wird (z.B. der Arbeitgeber, in dessen Auftrag der Täter die T a t begangen h a t , oder eine mit dem Täter sympathisierende Gruppe), o d e r e) wenn eine Geldstrafe von der Bevölkerung als unverständliches Zurückweichen des Staates vor dem Verbrechen empfunden werden müßte und hierdurch die Gefahr entsteht, daß einerseits das Vertrauen in eine wirksame Verbrechensbekämpfung schwindet und andererseits potentielle weitere Täter eine zu milde Beurteilung als Anreiz zur Nachahmung empfinden werden. 7. Abs. 2 befaßt sich mit den Fällen, in denen das Gesetz eine Geldstrafe nicht oder nur neben einer Freiheitsstrafe vorsieht. Während der frühere § 27 b f ü r die Umwandlung von Freiheitsstrafe in Geldstrafe die positive Feststellung vorausgesetzt h a t , daß der Strafzweck auch durch eine Geldstrafe erreicht werden kann, liegt diese Annahme dem neuen § 14 Abs. 2 als Regel zugrunde. Deshalb ist auch in den Fällen, in denen die gesetzliche Strafdrohung Geldstrafe überhaupt nicht vorsieht (z.B. beim Diebstahl, vgl. § 242), an Stelle einer Freiheitsstrafe von weniger als 6 7«
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Monaten primär auf Geldstrafe zu erkennen. Nur ausnahmsweise, nämlich unter den Voraussetzungen des Abs. 1, darf Freiheitsstrafe verhängt werden. a) Anders als nach der Regelung des früheren § 27 b findet nach dem neuen § 14 Abs. 2 keine U m w a n d l u n g einer an sich verwirkten und bereits genau bestimmten Freiheitsstrafe in Geldstrafe mehr statt; der Richter prüft vielmehr lediglich, ob eine Freiheitsstrafe von 6 Monaten oder mehr in Betracht kommt. Verneint er diese Frage, so hat er die nach Abs. 2 zu verhängende Geldstrafe so zu bemessen wie jede andere Geldstrafe, ohne sich an einer hypothetischen Freiheitsstrafe zu orientieren (vgl. Begründung des Sonderausschusses, S. 14 der BT-Drucksache V/4094). b) Ist für eine Tat neben einer Freiheitsstrafe die Verhängung einer Geldstrafe zwingend vorgeschrieben (z.B. bei Untreue, vgl. § 266), so darf bei Anwendung dos § 14 Abs. 2 nur auf eine einheitliche Geldstrafe erkannt werden (vgl. BGH 24, 230). c) Sieht das Gesetz eine Geldstrafe wahlweise neben einer Freiheitsstrafe vor (z.B. in den Fällen der §§ 230, 246 Abs. 1, 263 Abs. 1, 330c), so güt unmittelbar die Regelung des § 14 Abs. 1. 8. Prozessual ist folgendes zu beachten: a) Wird im Falle des § 14 Abs. 2 auf Geldstrafe erkannt (Normalfall), so erscheint im U r t e i l s t e n o r nur die Geldstrafe. Auf den Anspruch einer E r s a t z f r e i h e i t s s t r a f e (siehe hierzu § 29) kann allerdings ebensowenig verzichtet werden wie im Falle des Abs. 1. b) Wird ausnahmsweise eine kurzfristige Freiheitsstrafe verhängt, so müssen die Urteilsgründe ergeben, weshalb das Gericht die kurzfristige Freiheitsstrafe für unerläßlich hält (§ 267 Abs. 3 Satz 2 StPO). c) Ein Verstoß gegen § 14 begründet die Revision. Mit Rücksicht auf die vorhandenen Wechselwirkungen erfaßt die Revision auch die nach §§ 42m und 42n angeordneten Maßregeln (Hamm BA 1971, 140; Ffm N J W 1971, 666).
§ 1 5 [Strafmilderung: nach Ermessen] Darf das Gericht nach einem Gesetz, das auf diese Vorschrift verweist, die Strafe nach seinem Ermessen mildern, so kann es bis zum gesetzlichen Mindestmaß der angedrohten Strafe herabgehen oder statt auf Freiheitsstrafe auf Geldstrafe erkennen. Die Vorschrift gibt den Maßstab der S t r a f r a h m e n ä n d e r u n g für die Fälle an, in denen das Gesetz dem Gericht die Möglichkeit einer unbeschränkten Milderung der Strafe einräumt. Zur einfacheren Fassung der hierfür in Frage kommenden Tatbestände des Besonderen Teils wird dort lediglich das Ermessen des Gerichts angedeutet und auf § 15 verwiesen. Bestimmungen dieser Art finden sich im StBG in den §§ 83a Abs. 1, 84 Abs. 4 und 5, 87 Abs. 3, 90 Abs. 2, 98 Abs. 2, 129 Abs. 5 und 6, 157 Abs. 1 und 2, 158 Abs. 1, 233, 311 b Abs. 1, 315 Abs. 6, 316a Abs. 2 und 316c Abs. 4.
§ 16 [Absehen von Strafe bei schweren Tatfolgren] Das Gericht sieht von Strafe ab, wenn die Folgen der Tat, die den Täter getroffen haben, so schwer sind, daß die Verhängung einer Strafe offensichtlich verfehlt wäre. Dies gilt nicht, wenn der Täter für die Tat eine Freiheitsstrafe von mehr als einem Jahr verwirkt hat. 1. Auszugehen ist von den Folgen der Tat, soweit sie den Täter selbst getroffen haben. Entscheidend sind dabei ausschließlich die o b j e k t i v e n Folgen; innerer Wandel und Reue oder ernsthafte Gewissensbisse fallen für sich allein nicht unter den Anwendungsbereich der Vorschrift (vgl. Begr. d. Sonderausschusses, S. 7 der BT-Drucksache V/4094).
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Strafen
§ 16
Der strafähnliche Charakter der Folgen für den Täter kann sich ergeben a) aus der T ä t e r - O p f e r - B e z i e h u n g , z.B. wenn eine Mutter durch Fahrlässigkeit den Tod ihres Kindes verursacht oder wenn die Ehefrau das einzige Opfer eines von ihrem Mann fahrlässig verschuldeten Verkehrsunfalls ist, b) aus einem s c h w e r e n S c h a d e n , den die Tat für den Täter selbst mit sich bringt, so z.B. erhebliche eigene Verletzungen oder Invalidität des Täters. Bei finanziellem Schaden wird darauf zu achten sein, daß ihn der Täter als solchen selbst verspürt, z.B. bei Totalschaden des eigenen, nicht vollkasko-versicherten Fahrzeuges infolge eines geringfügigen Verkehrsverstoßes. 2. Offensichtlich verfehlt ist die Verhängung der Strafe, wenn die Tatfolgen so stark und intensiv sind, daß eine Strafe daneben keine eigene Wirkung mehr hätte. Dieses Urteil muß sich aber unmittelbar aufdrängen; es darf sich nicht erst aufgrund eines minutiösen Abwägens ergeben (vgl. Begr. d. Sonderausschusses). Die Vorschrift kommt deshalb nur in seltenen Ausnahmefällen zur Anwendung. Es genügt nicht, daß die nach dem Schuldgehalt der Tat in Betracht kommende Strafe gegenüber dem wirtschaftlichen Schaden, der den Täter trifft, nicht ins Gewicht fällt ( v g l . S t g t D J 1970,423). Dies ist vor allem bei fahrlässigen Brandstiftungen und Verkehrsunfällen zu beachten, bei denen § 16 im Regelfall nicht schon deshalb zur Anwendung kommt, weil der Täter selbst wirtschaftlichen Schaden erlitten hat (Stgt a.a.O. betr. einem Dachstuhlbrand mit einem Schaden von 25000 DM). Andererseits wird § 16 nicht schon dadurch ausgeschlossen, daß durch die Tat auch andere schwer geschädigt wurden. So hat das OLG Celle zu Recht eine Entscheidung nach § 16 in einem Fall bestätigt, bei dem es durch geringes Verschulden des Angeklagten zu einem folgenschweren Frontalzusammenstoß zweier Fahrzeuge gekommen war: im PKW des Angeklagten wurden die Ehefrau des Angeklagten getötet, seine drei Kinder schwer verletzt; in dem mitbeteiligten PKW wurde der Fahrer verletzt, seine Ehefrau getötet (vgl. N J W 1972, 575). Ähnlich Ffm N J W 1971, 767: Sind die eigenen Verletzungen des Angeklagten so schwer, daß selbst eine Strafe von einigen tausend DM keine größere Abschreckung erzielen könnte als die Tatsache des Unfalls mit seinen Folgen, so wird § 16 nicht dadurch ausgeschlossen, daß eine Beifahrerin des Angeklagten getötet und in einem anderen Fahrzeug zwei weitere Personen verletzt wurden. Selbst bei fahrlässiger Tötung i. V. mit Trunkenheit am Steuer ist eine Anwendung von § 16 nicht schlechthin ausgeschlossen (vgl. Köln BA 1972, 75). 3. Nach Satz 2 kann die Vorschrift nur angewandt werden, soweit für die Tat» aus der sich die schweren Folgen ergeben, Freiheitsstrafe von nicht mehr als einem Jahr zu erwarten wäre. Bei mehreren rechtlich selbständigen Handlungen ist vor der Gesamtstrafenbildung zu prüfen, ob hinsichtlich der Einzelstrafen die Voraussetzungen des § 16 vorliegen. Liegen die Voraussetzungen des § 16 nur hinsichtlich e i n e r von mehreren rechtlich selbständigen Handlungen vor, so kann hinsichtlich einer anderen rechtlich selbständigen Handlung auch dann nach § 16 von Strafe abgesehen werden, wenn ein enger äußerer und innerer Zusammenhang zwischen beiden Taten besteht, z.B. zwischen einem Unfall, bei dem ein Angehöriger getötet wurde, und einer sich hieran anschließenden Unfallflucht. 4. Entgegen dem Vorschlag des Alternativentwurfs (§ 58 Abs. 2 AE) hat der Gesetzgeber des 1. StrRG bei vollendeten vorsätzlichen Straftaten gegen das Leben die Anwendung dieser Vorschrift nicht ausgeschlossen, weil sich möglicherweise auch hier in besonderen Ausnahmefällen, BO Z.B. bei der Tötung auf Verlangen (§ 216), ein Bedürfnis für ein Absehen von Strafe ergeben könnte. 5. Wegen der Behandlung im Prozeß siehe Vorbem. AT, Absehn. D 5d, S. 45. Ergänzend ist folgendes zu beachten: Satz 2 zwingt den Richter nicht, die an sich
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§
1?
Strafgesetzbuch
verwirkte Strafe auszuwerfen, sondern läßt die Feststellung genügen, daß eine Strafe von mehr als einem J a h r für diese Tat jedenfalls nicht in Betracht kommt. 6. Sieht das Gericht von Strafe ab, so bleiben etwa erforderliche Maßregeln der Sicherung und Besserimg (z.B. §§ 42 b, 42 m) hiervon unberührt (vgl. BayObLG VerkMitt. 1972 Nr. 41).
§ IV [Rückfall] (1) Begeht j e m a n d , n a c h d e m er 1. schon mindestens zweimal i m räumlichen Geltungsbereich dieses Gesetzes wegen eines Verbrechens oder vorsätzlichen Vergehens zu Strafe verurteilt worden ist und 2. wegen einer oder mehrerer dieser Taten f ü r die Zeit von mindestens drei Monaten Freiheitsstrafe verbüßt h a t , eine m i t Freiheitsstrafe bedrohte vorsätzliche Straftat und ist i h m i m H i n blick auf A r t u n d Umstände der Straftaten vorzuwerfen, daß er sich die f r ü h e r e n Verurteilungen nicht h a t zur W a r n i m g dienen lassen, so ist die Mindeststrafe Freiheitsstrafe von sechs Monaten, w e n n die Tat nicht ohnehin m i t einer höheren Mindeststrafe bedroht ist. Das Höchstmaß der angedrohten Freiheitsstrafe bleibt u n b e r ü h r t . (2) Absatz 1 gilt nicht, w e n n das H ö c h s t m a ß der f ü r die n e u e T a t a n g e drohten Freiheitsstrafe weniger als ein J a h r beträgt. (3) I m Sinne des Absatzes 1 Nr. 1 gilt eine Verurteilung zu Gesamtstrafe als eine einzige Verurteilung. Ist U n t e r s u c h u n g s h a f t oder eine andere Freiheitsentziehung auf Freiheitsstrafe angerechnet, so gilt sie als verbüßte Strafe i m Sinne des Absatzes 1 Nr. 2. (4) Eine f r ü h e r e Tat bleibt außer Betracht, w e n n zwischen ihr u n d der folgenden Tat m e h r als f ü n f J a h r e verstrichen sind. I n die Frist wird die Zeit nicht eingerechnet, in welcher der Täter auf behördliche A n o r d n u n g in einer Anstalt verwahrt worden ist. 1. I m Gegensatz zum früher geltenden Recht, nach dem Rückfälligkeit nur bei einigen wenigen Straftaten, nämlich bei Diebstahl (§ 244 a.F.), R a u b (§ 250 Abs. 1 Ziff. 5 a.F.), Hehlerei (§ 261 a.F.) und Betrug (§ 264 a.F.) zur Strafschärfung führte, sieht § 17 eine allgemeine Strafschärfung bei wiederholter, auch ungleichartiger vorsätzlicher Straffälligkeit vor. 2. Die Voraussetzungen der Rückfallschärfimg. a) Der Täter muß mindestens zweimal wegen eines Verbrechens oder vorsätzlichen Vergehens zu Strafe verurteilt worden sein (sog. Vorverurteilungen). Eine G e s a m t s t r a f e gilt dabei immer nur als eine Verurteilung (vgl. Abs. 3 S. 1). Art und Begehungsform der Vortat sind unerheblich. Rückfallbegründend sind demnach auch V e r s u c h , A n s t i f t u n g , B e i h i l f e und v e r s u c h t e A n s t i f t u n g . Die Vorverurteilung muß im räumlichen G e l t u n g s b e r e i c h des StGB erfolgt sein. Entgegen der früheren Rechtslage in den §§ 244, 250 I 6,261 a . F . und § 261 a.F., wo eine Vorverurteilung im „Inland" verlangt wurde, genügen also Verurteilungen in der DDR nicht mehr, auch wenn man diese mit der h.L. als „Inland" ansieht. Dies hindert andererseits natürlich nicht, auch solche Vorstrafen — ebenso wie Auslandsvorstrafen — allgemein als erschwerend zu berücksichtigen. Vorstrafen, die getilgt oder tilgungsreif sind oder nach § 60 BZRG nicht in das BZR zu übernehmen sind, scheiden als rückfallbegründende Vorverurteilungen aus und dürfen auch sonst im Rahmen der Strafzumessung nicht straferschwerend berücksichtigt werden (vgl. Krhe D J 1972, 361).
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Strafen
§
IV
b) Der T ä t e r m u ß aufgrund einer oder mehrerer der f r ü h e r abgeurteilten Straft a t e n mindestens 3 Monate Freiheitsstrafe v e r b ü ß t h a b e n (sog. Vorverbüßungszeit). W u r d e in d e m früheren Verfahren die U - H a f t oder eine andere A r t der Freiheitsentziehung auf die Strafe angerechnet, so s t e h t dies der V e r b ü ß u n g gleich (vgl. Abs. 3 S. 2). E n t g e g e n der früheren Rechtslage in den §§ 244, 264 a. F . liegen die RückfallVoraussetzungen nicht vor, wenn der T ä t e r in den früheren Verfahren n u r zu G e l d s t r a f e verurteilt wurde u n d diese auch b e z a h l t h a t . Auch die Verbüßimg einer E r s a t z f r e i h e i t s s t r a f e ist keine Verbüßung einer „Freiheitsstrafe" (vgl. Seib D A R 1971, 225, 228; a. A. Dreher 2 A b ; Lackner-Maassen A n m . 3 b). Setzt sich eine Gesamtfreiheitsstrafe aus Einzelstrafen zusammen, die sowohl f ü r eine vorsätzliche als auch f ü r eine fahrlässige S t r a f t a t ausgesprochen wurden (z.B. Verurteilung wegen fahrlässiger Straßenverkehrsgefährdung [und anschließender Unfallflucht zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 3 Monaten, gebildet aus Einzelstrafen von je 2 Monaten), so ist die Gesamtstrafe n u r d a n n rückfallbegründend, wenn die Einzelstrafe f ü r die vorsätzliche T a t mindestens 3 Monate beträgt. (In d e m soeben gebrachten Beispiel wäre die Gesamtstrafe-demnach nicht rückfallbegründend.) c) Die neu zur Aburteilung stehende Tat m u ß wiederum eine v o r s ä t z l i c h e S t r a f t a t sein. E s darf sich dabei auch u m kein B a g a t e l l d e l i k t handeln. Die Folgen des § 17 werden nicht ausgelöst, wenn die neu abzuurteilende Tat m i t einer Strafe bedroht ist, deren Höchstmaß u n t e r 1 J a h r Freiheitsstrafe liegt (Abs. 2). Bei sonstigen Fällen der Kleinkriminalität, z.B. einem Zechbetrug oder einem Warenhausdiebstahl, wird jedoch § 17 nach h.M. nicht d a d u r c h ausgeschlossen, d a ß der Schuldgehalt der T a t , wenn m a n der Rückfälligkeit absieht, an der untersten Grenze liegt (vgl. Stgt D J 1971, 357; H a m m N J W 1972, 1381). Dies f ü h r t zwar, wie gerade der Sachverhalt der Entscheidung N J W 1972, 1381 zeigt (Schadenssumme bei vier Einzeltaten zusammen nicht einmal 5,— DM), verschiedentlich zu unbefriedigenden Ergebnissen, ist jedoch auf der Grundlage der nicht ganz glücklich gefaßten Vorschrift unabweisbar (vgl. Blei J A 1972, S t R 183). d) Neben diesen formellen Voraussetzungen ist weiterhin erforderlich, d a ß den T ä t e r ein erhöhter Schuldvorwurf trifft. Dieser k a n n im Falle des § 17 schon darin gesehen werden, d a ß der Täter sich die Vorverurteilungen offensichtlich nicht h a t zur W a r n u n g dienen lassen u n d deshalb — schon aus spezialpräventiven E r w ä gungen — besonders empfindlich b e s t r a f t werden m u ß . E i n Verstoß gegen das Schuldprinzip k a n n in der Regelung des § 17 auch d a n n nicht gesehen werden, wenn m a n berücksichtigt, daß ein nicht oder n u r wenig vorbestrafter T ä t e r f ü r d i e „gleiche" T a t weniger h a r t b e s t r a f t würde. Die T a t des R ü c k f a l l t ä t e r s ist eben n i c h t die „gleiche" T a t , sondern zeichnet sich d u r c h erhöhten Schuldvorwurf aus. Trotzdem sind die Bedenken von H o r s t k o t t e (vgl. J Z 1970, 162) nicht ganz unbegründet, wenn m a n berücksichtigt, daß z . B . ein Zechpreller, der einen Gastwirt u m 3.80 DM geschädigt h a t , zwingend zu einer Freiheitsstrafe von mindestens sechs Monaten verurteilt werden m u ß (s.o. lit. c). e) Aus der Formulierung „ i m Hinblick auf A r t u n d U m s t ä n d e der S t r a f t a t e n " ist weiter zu schließen, d a ß zwischen der neu abzuurteilenden T a t u n d den rückfallbegründenden V o r t a t e n ein gewisser innerer Z u s a m m e n h a n g bestehen m u ß . Bei völlig verschiedenartigen S t r a f t a t e n , z . B . einer Unterhaltspflichtverletzimg, einer Unfallflucht u n d einem Diebstahl, d ü r f t e n diese Voraussetzungen i. d. R . fehlen. Erforderlich, aber ausreichend ist immer ein kriminologisch faßbarer Z u s a m m e n h a n g , der eine b e s t i m m t e kriminelle K o n t i n u i t ä t erkennen läßt (vgl. Börtzler N J W 1971, 682, 684). f) Die neue T a t m u ß den Schluß zulassen, daß der T ä t e r die früheren Verurteilungen nicht h a t „zur W a r n u n g dienen lassen". Diese Voraussetzungen können —
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§§ 18, 19
Strafgesetzbuch
von Ausnahmen abgesehen — auch dann vorliegen, wenn soziale Hilflosigkeit oder fehlende Eingliederungshilfe die neue Tat begünstigt haben (vgl. Stgt DJ 1971, 357). 3. Die Folge des Rückfalls besteht darin, daß durch § 17 eine beim verwirklichten Tatbestand vorgesehene niedrigere Strafuntergrenze auf 6 Monate angehoben wird. 4. Abs. 4 befaßt sich mit der sog. Bückfallverjährung. Die Vorschrift entspricht dem früheren § 245, ist aber wesentlich einfacher (und auch täterfreundlicher) gefaßt. Entscheidend ist nur, ob zwischen zwei für den Rückfall in Betracht kommenden Taten mehr als 5 Jahre verstrichen sind. In diese Frist nicht eingerechnet wird die Zeit, während der der Täter auf behördliche Anordnung jeder Art in einer Anstalt (auch einer ausländischen, vgl. BGH 24, 62) verwahrt wurde und deshalb nicht zeigen konnte, ob er sich in der Freiheit zu bewähren vermag (vgl. Begründung zu §61 Abs. 2E 1962). Hat der Täter nach der Vorverurteilung mehrere neue Straftaten begangen, so ist die Rückfallverjährung für jede von ihnen selbständig festzustellen (BGH 24, 94 gegen Hamm N J W 1971, 2073). Über getilgte und tilgungsreife Vorverurteilungen s. o. 2a. 5. Frezessual ist folgendes zu beachten: a) Im U r t e i l s t e n o r ist die Verurteilung unter den Voraussetzungen des § 17 nicht besonders zum Ausdruck zu bringen (BGH 23, 237; h.L., vgl. BörtzlerNJW 1971, 682 f., Koffka L K 31). b) Die U r t e i l s g r ü n d e müssen die Voraussetzungen des § 17 klar erkennen lassen. Eine Bezugnahme auf Anklage, Strafliste oder Vorstrafakten ist unzulässig. c) Ergeben sich die Voraussetzungen des § 17 erst in der Hauptverhandlung, so ist ein Hinweis nach § 265 StPO erforderlich. d) Da die Rückfallvoraussetzungen nach § 263 Abs. 3 StPO nicht zur Schuldfrage gehören, besteht die Möglichkeit einer R e c h t s m i t t e l b e s c h r ä n k u n g gemäß §§ 318, 344 StPO (vgl. Koffka L K 31).
§ I S [ D a u e r der Freiheitsstrafe] (1) Die Freiheitsstrafe ist zeitig, wenn das Gesetz nicht lebenslange Freiheitsstrafe androht. (2) Das Höchstmaß der zeitigen Freiheitsstrafe ist fünfzehn Jahre, ihr Mindestmaß ein Tag. 1. L e b e n s l a n g e Freiheitsstrafe ist angedroht in den §§ 80, 81, 178, 211, 212, 220a, 229 Abs. 2, 239 a Abs. 2, 251, 307, 312, 316a, 316 c Abs. 2, 324. 2. Der Höchstbetrag der z e i t i g e n Freiheitsstrafe (15 Jahre) darf auch dann nicht überschritten werden, wenn gemäß §§ 74, 76 eine Gesamtstrafe zu bilden ist. Liegen die Voraussetzungen einer Gesamtstrafenbildung nicht vor, so bestehen keine Bedenken, mehrere zeitige Freiheitstrafen auch dann ohne Unterbrechung zu vollstrecken, wenn ihre Summe 15 Jahre überschreitet (vgl. Hamm N J W 1971, 1373; a. A. Schönke-Schröder § 74 Rn. 8). 3. Das derzeitige M i n d e s t m a ß der Freiheitsstrafe (ein Tag) wird mit der Beseitigung der Übertretungen durch das 2. StrRG auf einen Monat angehoben werden (vgl. § 38 i.d.F. des 2. StrRG, abgedruckt in Anhang 8).
§ 19 [Bemessung: der Freiheitsstrafe] Freiheitsstrafe unter einem Jahr wird nach vollen Tagen, Wochen und Monaten, Freiheitsstrafe von längerer Dauer nach vollen Monaten und Jahren bemessen.
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Strafen
§§ 2 0 - 2 1
§ 2 0 [Berechnung: der Vollzugrszeit] Bei Freiheitsstrafen wird der Tag zu vierundzw anzig Stunden, die Woche zu sieben Tagen, der Monat und das Jahr nach der Kalenderzeit gerechnet. Während sich § 19 mit der Frage befaßt, in welcher Weise Freiheitsstrafen auszusprechen sind, gibt § 20 den Strafvollstreckungsbehörden Anweisungen für die Vollstreckung dieser Strafen.
§ 2 0 a [Strafschärfung: bei gefährlichen Gewohnheitsverbrechern] Die Vorschrift wurde durch das 1. StrRG mit Wirkung vom 1. 4. 1970 aufgehoben.
§ 2 1 [Beschäftigung:] (1) Die zu Freiheitsstrafe Verurteilten können in einer Strafanstalt auf eine ihren Fähigkeiten angemessene Weise beschäftigt werden. (2) Sie können mit ihrer Zustimmung auch außerhalb der Anstalt beschäftigt werden. (3) Die Freiheitsstrafe kann sowohl für die ganze Dauer wie für einen Teil der erkannten Strafzeit in der Weise in Einzelhaft vollzogen werden, daß der Gefangene unausgesetzt von anderen Gefangenen gesondert gehalten wird, wenn dies aus Gründen, die in der Person des Gefangenen liegen, namentlich aus Gründen der Gesundheit, unerläßlich ist. Die Einzelhaft darf ohne Z u stimmimg des Gefangenen die Dauer von insgesamt drei Jahren nicht übersteigen. 1. Die durch das 1. StrRG mit Wirkung vom 1. 4. 1970 neu eingeführte Vorschrift ersetzt die früher in den §§ 15, 16, 22 a. F. enthaltenen Vorschriften über die rechtliche Grundlage für die A r b e i t im Strafvollzug und die E i n z e l h a f t . 2. Die Arbeit in der Anstalt steht im Ermessen der Anstaltsverwaltung. Im Gegensatz zu § 16 Abs. 2 a.F. besteht kein Anspruch auf eine Beschäftigung, die den Fähigkeiten und Verhältnissen des Verurteilten entspricht. Umgekehrt kann ein Verurteilter auch nicht zu Arbeiten eingesetzt werden, die seinen F ä h i g k e i t e n nicht entsprechen. Er darf insbesondere nicht überfordert werden. Darüber hinaus werden jedoch die besonderen persönlichen und s o z i a l e n V e r h ä l t n i s s e des Verurteilten nicht mehr berücksichtigt. Man will vermeiden, daß durch die Berücksichtigung persönlicher Verhältnisse bei der Arbeitszuteilung die außerhalb der Anstalten bestehenden sozialen Unterschiede in die Anstalten hineingetragen werden. Außerdem wäre nach Ansicht des Sonderausschusses der Strafvollzug überfordert, wenn man für den gesamten Bereich der Freiheitsstrafe zwingend vorschreiben wollte, bei Heranziehung des Verurteilten zur Arbeit nicht nur seine Fähigkeiten, sondern auch noch seine Verhältnisse zu berücksichtigen (vgl. BT-Drucksache V/4094, S. 9). 3. Abs. 2 befaßt sich mit der Außenarbeit, Abs. 3 mit der Einzelhaft (siehe hierzu auch Nr. 67 Abs. 2 DVollzO). 4. Der Strafgefangene kann verlangen, daß sein Arbeitsverdienst von der Anstalt auf einem Bankkonto in der Weise verzinslich angelegt wird, daß die den Bestimmungen der DVollzO entsprechende Verwendung des Guthabens gewährleistet bleibt (OLG Braunschweig N J W 1968, 1344 zu Nr. 97 Abs. 2 DVollzO).
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§§
22,23
§ 22
Strafgesetzbuch
[Einzelhaft]
Die Vorschrift wurde durch das 1. StrRG mit Wirkung vom 1. 4. 1970 aufgehoben. Die Materie wird jetzt in § 21 Abs. 3 geregelt. § 23
[Siralaussetziuig zur
Bewährung:]
(1) Bei der Verurteilung zu Freiheitsstrafe von nicht mehr als einem Jahr setzt das Gericht die Vollstreckung der Strafe zur Bewährung aus, wenn zu erwarten ist, daß der Verurteilte sich schon die Verurteilung zur Warnung dienen lassen und künftig auch ohne die Einwirkung des Strafvollzugs keine Straftaten mehr begehen wird. Dabei sind namentlich die Persönlichkeit des Verurteilten, sein Vorleben, die Umstände seiner Tat, sein Verhalten nach der Tat, seine Lebensverhältnisse und die Wirkungen zu berücksichtigen, die von der Aussetzung für ihn zu erwarten sind. (2) Das Gericht kann unter den Voraussetzungen des Absatzes 1 auch die Vollstreckung einer höheren Freiheitsstrafe, die zwei Jahre nicht übersteigt, zur Bewährung aussetzen, wenn besondere Umstände in der Tat und in der Persönlichkeit des Verurteilten vorliegen. (3) Bei der Verurteilung zu Freiheitsstrafe von mindestens sechs Monaten wird die Vollstreckung nicht ausgesetzt, wenn die Verteidigimg der Rechtsordnung sie gebietet. (4) Die Strafaussetzung kann nicht auf einen Teil der Strafe beschränkt werden. Sie wird durch eine Anrechnung von Untersuchungshaft oder einer anderen Freiheitsentziehung nicht ausgeschlossen. 1. Entsprechend der Zielsetzung der Strafrechtsreform, Strafe nicht allein als Schuldvergeltung um der Vergeltung willen, sondern als Maßnahme zur sozialen Anpassung des Täters zu begreifen, hat das 1. StrRG mit Wirkung vom 1. 4. 1970 einen erweiterten Anwendungsbereich der Strafaussetzung zur Bewährung gebracht. Als wesentliche Neuerungen sind dabei zu nennen: die Aussetzung von Freiheitsstrafen bis zu einem Jahr, ausnahmsweise sogar bis zu zwei Jahren, die grundsätzliche Verpflichtung des Gerichts, Freiheitsstrafen auszusetzen und eine stärkere Differenzierung der Maßnahmen, die das Gericht im Rahmen der Strafaussetzung anordnen kann. Mit diesen Neuerungen soll erreicht werden, daß sich das Rechtsinstitut nicht in der Drohung künftiger Strafvollstreckung erschöpft. An Stelle der kriminalpädagogisch wenig wirkungsvollen und mitunter sozial schädlichen Vollstreckung kurz- oder mittelfristiger Freiheitsstrafen soll dem besserungswilligen Gelegenheitstäter die Aussicht auf Straferlaß eingeräumt und dem bereits kriminell gefährdeten Täter zugleich eine wirksame Hilfe zu künftig rechtmäßigem Verhalten gegeben werden. Von einer Strafaussetzung für Geldstrafen wurde wie bisher abgesehen. 2. Die Tendenz der §§ 14, 23 geht eindeutig dahin, kurzfristige Freiheitsstrafen, wenn irgend möglich, zu vermeiden (BGH 24, 40ff., 164ff.). a) Freiheitsstrafen unter 6 Monaten dürfen nur ausnahmsweise verhängt werden, wenn dies „zur Einwirkung auf den Täter" oder „zur Verteidigung der Rechtsordnung" unerläßlich ist (vgl. § 14). Liegt ein solcher Ausnahmefall vor, so ist bei günstiger Täterprognose (s. o. 2) die Strafe gemäß § 23 Abs. 1 zur Bewährung auszusetzen. Die Strafaussetzung darf nicht mit der Begründung versagt werden, die Verteidigung der Rechtsordnung erfordere den Vollzug der Strafe. Eine solche Argumentation ist nur bei Freiheitsstrafen von 6 Monaten bis zu 1 Jahr zulässig (vgl. Abs. 3).
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Strafen
§ 33
b) Auch Freiheitsstrafen von 6 Monaten bis zu 1 J a h r sind bei guter Sozialprognose grundsätzlich zur Bewährung auszusetzen. Strafaussetzung kann jedoch versagt werden, wenn die Verteidigung der Rechtsordnung dies — ausnahmsweise — gebietet (Abs. 3). Siehe hierzu ausführlich Anm. 4. c) Freiheitsstrafen von über 1 J a h r bis zu 2 J a h r e n können n u r unter ganz bestimmten, sehr strengen Voraussetzungen zur Bewährung ausgesetzt werden (siehe Abs. 3 sowie Anm. 5). 3. Entscheidende Voraussetzung f ü r die Strafaussetzung in materieller Hinsicht ist eine günstige Täterprognose. E s muß eine begründete Aussicht dafür bestehen, daß sich der Täter schon durch die Verurteilung auch ohne die Einwirkung des Strafvollzugs künftig von Straftaten abhalten läßt. Entgegen der früheren Regelung ist eine positive, über den strafrechtlichen Gehalt hinausgehende Prognose, der Täter werde ein gesetzmäßiges und geordnetes Leben führen, nicht mehr erforderlich. Als G r u n d l a g e d e r P r o g n o s e sind die in Abs. 1 Satz 2 aus Gründen der Vereinheitlichung der gerichtlichen Praxis — jedoch nicht abschließend — aufgeführten Gesichtspunkte heranzuziehen, und zwar so, wie sie sich im Zeitpunkt der Urteilsfindung darstellen. Dabei ist es unschädlich, daß die gleichen Kriterien bereits für die Strafzumessung ausschlaggebend waren. Soweit die Wirkungen der Aussetzung berücksichtigt werden sollen, bringt schon der Gesetzeswortlaut („für ihn") zum Ausdruck, daß nur solche mit spezialpräventivem Charakter zu beachten sind. Bei vorbestraften Tätern wird die Prognose sehr oft ungünstig sein, und zwar auch dann, wenn es sich um ungleichartige Vorstrafen handelt (Köln BA 1973, 267). Jedoch dürfen die Vorstrafen für sich allein ohne Abwägung weiterer Umstände nicht maßgeblich sein, zumal die neue Regelung nach dem Vorbild des JGG bewußt auf die formellen Versagungsgründe der früheren § 23 Abs. 3 Ziff. 2 und Ziff. 3 verzichtet hat. Bei Rückfalltätern, die innerhalb der Bewährungszeit erneut einschlägig in Erscheinung getreten sind, darf eine Strafaussetzung zwar nicht schlechthin versagt werden; sie bedarf in diesem Fall jedoch besonders eingehender Darlegungen (vgl. H a m m DAR 1972, 245). H a t der Täter schon einmal wegen einer ähnlich gelagerten Straftat eine kurze Freiheitsstrafe verbüßt, so bedarf die Nichtaussetzung einer neuen, nicht wesentlich höheren kurzfristigen Freiheitsstrafe besonders sorgfältiger Begründung, da der nach neuerem Recht bei kurzen Freiheitsstrafen allein maßgebliche spezialpräventive Erfolg mit diesem Reaktionsmittel bisher offensichtlich nicht erzielt werden konnte (vgl. F f m N J W 1970, 956). Auch kann eine günstige Erwartung nicht mit der Begründung versagt werden, daß der Angeklagte die T a t leugnet (dies ist sein Recht) oder die Wiedergutmachung des Schadens ablehnt (vgl. H a m m N J W 1960, 61; BGH 5, 238 zu § 23 a.F.). 4. Wie bereits oben (Anm. 2b) erwähnt, sind auch Freiheitsstrafen von 6 Monaten bis zu 1 Jahr bei guter Prognose grundsätzlich zur Bewährung auszusetzen. Eine Ausnahme von diesem Grundsatz sieht Abs. 3 lediglich f ü r den Fall vor, daß die Verteidigung der Rechtsordnung die Vollstreckung gebietet. Dieser Begriff, der sich bereits in § 14 findet (siehe dort Anm. 5b), wurde erst bei der 2. Lesung der Reformgesetze im Plenum des BT eingeführt, und zwar als Ersatz f ü r den zunächst vorgeschlagenen Begriff „Bewährung der Rechtsordnung". Die Gesetzesmaterialien geben keine eindeutigen Richtlinien f ü r die Auslegung beider Begriffe. Unbestritten ist jedoch, daß sie generalpräventive Elemente enthalten, auf die auch in einem modernen Schuldstrafrecht nicht verzichtet werden kann (vgl. Vorbem. AT, Abschn. A I 5a). I m übrigen haben Auslegung und Anwendimg des Begriffs „Verteidigung der Rechtsordnung" in den ersten Monaten nach I n k r a f t t r e t e n des 1. StrRG zu erheblichen Differenzen geführt. a) In seiner Grundsatzentscheidung vom 8. 12. 1970 (BGH 24, 40) h a t der 1. Senat des B G H inzwischen zu dem Begriff wie folgt Stellung genommen (S. 43ff.):
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§ 23
Strafgesetzbuch
aa) Zu den Aufgaben der Strafe gehört es, das Recht gegenüber dem vom Täter begangenen Unrecht durchzusetzen, die Unverbrüchlichkeit der Rechtsordnung damit vor der Rechtsgemeinschaft zu erweisen und zugleich künftigen ähnlichen Rechtsverletzungen potentieller Täter vorzubeugen (sog. spezielle Generalprävention). Beide Zweckgesichtspunkte liegen dem Begriff der Verteidigung der Rechtsordnung zugrunde. I m Bereich der kleineren und mittleren Kriminalität erfüllt im allgemeinen bereits die V e r h ä n g u n g der Freiheitsstrafe die Zwecke der Rechtsdurchsetzung und der Abschreckung potentieller Täter, so daß der Rechtsgüterschutz hier im Regelfall eine Strafvollstreckung nicht erfordert. Die V o l l s t r e c k u n g der Freiheitsstrafe ist daher nur geboten, wenn andernfalls eine ernstliche Gefährdung der rechtlichen Gesinnung der Bevölkerung ( = „Rechtstreue des Volkes") als Folge des schwindenden Vertrauens in die Funktion der Rechtspflege zu besorgen wäre. Eine solche Gefährdung ist gegeben, wenn der bloße Strafausspruch ohne Vollstreckung von der Bevölkerung angesichts der außergewöhnlichen konkreten Fallgestaltung als ungerechtfertigte Nachgiebigkeit und unsicheres Zurückweichen vor dem Verbrechen verstanden werden könnte. Die Vollstreckung ist somit nur geboten, wenn eine Aussetzung im Hinblick auf schwerwiegende Besonderheiten des Einzelfalls f ü r das allgemeine Rechtsempfinden schlechthin unverständlich erscheinen müßte und das Vertrauen der Bevölkerung in die Unverbrüchlichkeit des Rechts und in den Schutz der Rechtsordnung vor kriminellen Angriffen dadurch erschüttert werden könnte. bb) Als besondere Umstände, die eine Versagung der Strafaussetzung rechtfertigen können, nennt der BGH b e i s p i e l s w e i s e besonders schwere Tatfolgen (siehe hierzu auch unten lit. d), eine sich aus der Art der Tatausführung ergebende erhebliche verbrecherische Intensität, ein hartnäckiges rechtsmißachtendes Verhalten, ungewöhnliche Gleichgültigkeit gegenüber den verletzten Rechtsgütern, dreistes Spekulieren auf Strafaussetzung bereits bei der Tatbegehung, f e r n e r rasche Wiederholungstaten, einschlägige Vorstrafen, insbesondere Rückfall in der Bewährungszeit. Eine Versagung der Strafaussetzung kann schließlich auch dann geboten sein, wenn die T a t Ausdruck einer verbreiteten Einstellung ist, die eine durch einen erheblichen Unwertgehalt gekennzeichnete Norm nicht ernst nimmt und von vornherein auf die Aussetzung einer etwaigen Freiheitsstrafe vertraut. cc) U n z u l ä s s i g ist es dagegen, die Versagung der Strafaussetzung mit dem Sühnegedanken oder ausschließlich mit der Schwere der Schuld zu begründen. Auch die Belange des Verletzten und seiner Angehörigen, also deren persönliches Genugtuungsinteresse, sind grundsätzlich auszuklammern (S. 43, 44). dd) Unzulässig ist es ferner, bestimmte Tatbestände oder Tatbestandsgruppen generell von der Strafaussetzung auszuschließen, b) Weitere Beispiele aus der höchstrichterl. Rspr.: aa) Die vorstehend entwickelten Grundsätze gelten auch f ü r Fälle der fahrlässigen Tötung durch Trunkenheit am Steuer (vgl. BGH 24, 64). Auch hier wäre es verfehlt, die Aussetzimg einer Freiheitsstrafe zwischen 6 Monaten und 1 J a h r schon „in der Regel" nach § 23 Abs. 3 auszuschließen. Vielmehr sind — wie auch sonst — alle Umstände des Einzelfalls gewissenhaft zu prüfen (so schon früher BayObLG VerkMitt. 1971 Nr. 14; Stgt. N J W 1970, 258; F f m N J W 1970, 957; Celle N J W 1970, 1152; Koblenz DAR 1971, 106 und H a m m BA 1971, 140, 144 mit zust. Anm. Schneble, während nach Oldenburg N J W 1970, 820 eine Strafaussetzung „in der Regel" nicht mehr in Betracht kommen konnte). Zugunsten des Täters kann sich z.B. auswirken, daß er selbst schwer verletzt wurde oder sein Verschulden geringer war als das des verunglückten Opfers (BGH a.a. O.). Zugunsten des Täters kann sich weiter auswirken, daß der bei dem Unfall getötete Beifahrer sich zur Mitfahrt entschlossen hatte, obwohl er die Alkoholbeeinflussung des Fahrers kannte und auch wußte, daß der Fahrer mit dem Fahrzeug nicht vertraut war (vgl. Zweibrücken BA
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Strafen
§ 23
1973, 274). Sonst aber wird in „den meisten Fällen die Aussetzung auch bei strafaussetzungswürdigen T ä t e r n auf Unverständnis stoßen u n d das Rechtsgefühl der Bevölkerung ernstlich g e f ä h r d e n " (BGH a.a.O.). bb) Die Vollstreckung der Freiheitsstrafe ist insbesondere d a n n geboten, wenn die T a t sich durch eine außergewöhnliche verbrecherische Intensität auszeichnet, z. B. wenn ein K r a f t f a h r e r die Polizeibeamten, die seinen Führerschein einbehalten haben, in einen Hinterhalt lockt u n d m i t Waffengewalt zur Rückgabe seines Führerscheins zwingt ( F f m N J W 1971, 1813). c) Gebietet die Verteidigung der Rechtsordnung die Vollstreckung der Strafe, so k o m m t d e m U m s t a n d , daß der sozial angepaßte T ä t e r durch die Vollstreckung aus der sozialen Ordnung herausgerissen wird, keine entscheidende B e d e u t u n g zu ( F f m N J W 1971, 1813). 5. Freiheitsstrafen von über 1 Jahr bis zu 2 Jahren können nach Abs. 2 n u r d a n n zur Bewährung ausgesetzt werden, wenn „besondere U m s t ä n d e in der T a t u n d in der Persönlichkeit des T ä t e r s vorliegen". E s handelt sich hierbei u m eine A u s n a h m e v o r s c h r i f t , die vor allem die Berücksichtigung einer besonderen Konfliktslage ermöglichen soll (BGH 24, 2). Keinesfalls genügt wie in Abs. 1 eine günstige Sozialprognose zur Gewährung von Strafaussetzung. Als B e i s p i e l e f ü r „einmalige T a t e n , die in einer ganz besonderen Konfliktslage begangen worden sind", werden in den Gesetzesmaterialien e r w ä h n t : Fälle des mißglückten Doppelselbstmordes, die K i n d s t ö t u n g sowie die T ö t u n g eines unheilbar K r a n k e n auf dessen Verlangen (vgl. B G H a . a . O . sowie K o f f k a L K 39ff., jeweils m.Nachw.). Bei Gewaltverbrechen wie schwerer R a u b oder schwere räuberische Erpressung (so der Sachverhalt der Entscheidung), aber auch bei fahrlässiger T ö t u n g d u r c h T r u n k e n heit a m Steuer werden die Voraussetzungen des Abs. 2 i d R . a u c h bei E r s t t ä t e r n nicht vorliegen.) Besondere Umstände, die erst nach der T a t eintreten (z.B. jahrelange Erpressung des Täters duch das Opfer), fallen ebenfalls nicht u n t e r den Anwendungsbereich der Vorschrift, können sich jedoch strafmildernd auswirken (vgl. K r h e M D R 1972, 240 m. krit. A n m . Blei J A 1973, S t R 79). Auch der Verlust der Fahrerlaubnis, der f ü r den Täter erhebliche Nachteile h a b e n mag, begründet keine „besonderen U m s t ä n d e " i.S. von § 23 Abs. 2 (vgl. B G H V R S 44 [1973], 266). 6. Eine Beschränkung der Strafaussetzung auf einen Teil der Strafe ist wie bisher unzulässig. Soll die durch den Vollzug der Strafe drohende soziale u n d psychische Belastung des Verurteilten vermieden u n d seine Wiedereingliederung in die Rechtsgemeinschaft erreicht werden, so m u ß die Strafaussetzung f ü r die gesamte Strafe vollständig gewährt werden (Abs. 4). Andernfalls ist sie in vollem U m f a n g zu versagen. So können bei einer Verurteilung zu einer Gesamtstrafe nicht Einzelstrafen hiervon gesondert zur Bewährung ausgesetzt werden, etwa weil sie im Gegensatz zur Gesamtstrafe u n t e r einem J a h r liegen. Maßgebend ist allein die H ö h e der Gesamtstrafe (siehe § 77 Abs. 1). 7. Wird eine zur Bewährung ausgesetzte Strafe gemäß § 76 oder gemäß § 460 S t P O in eine nachträgliche Gesamtstrafe einbezogen, so h a t d a s m i t d e r Gesamtstrafenbildung befaßte Gericht erneut über die Strafaussetzung zu entscheiden (vgl. § 77 A n m . 2 sowie B G H 7, 180 zu § 79 a . F . ) . B e t r ä g t die Gesamtstrafe mehr als ein J a h r u n d liegen nicht die Voraussetzungen des Abs. 2 vor, so k o m m t die bisher gewährte Strafaussetzung automatisch in Wegfall. 8. W e n n auch die Anrechnung der Untersuchungshaft oder einer anderen Freiheitsentziehung als teilweise S t r a f v e r b ü ß u n g die Strafaussetzung nicht prinzipiell ausschließt (Abs. 4 Satz 2), so kann, doch eine Strafaussetzung d a n n nicht mehr erfolgen, wenn n u r a u f g r u n d der Anrechnung der U n t e r s u c h u n g s h a f t der noch zu verbüßende Strafrest unter der Höchstgrenze des Abs. 1 bzw. des Abs. 2 liegt (vgl. B G H 5, 377 zu § 2 3 a . F . ) .
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§ 23
Strafgesetzbuch
9. Prozessual ist folgendes zu brachten: a) Die Strafaussetzung, über die gem. § 263 Abs. 4 StPO mit e i n f a c h e r Mehrheit entschieden wird, ist bereits im U r t e i l s t e n o r zum Ausdruck zu bringen (vgl. § 260 Abs. 4 StPO). Sie darf weder den Urteilsgründen noch einem gesonderten Beschluß vorbehalten werden. Lediglich die Bewährungsfrist sowie etwaige Auflagen und Weisungen (§§ 24—24c) worden in einem gesonderten Beschluß, der mit dem Urteil verkündet wird, zusammengefaßt. b) Die Frage der Strafaussetzung ist v o n A m t s w e g e n zu prüfen. Hat das Gericht Z w e i f e l , ob der Angekl. sich in Zukunft straffrei führen wird, so darf Strafaussetzung nicht gewährt werden; der Grundsatz „im Zweifel für den Angeklagten" gilt hier nicht (h.L., vgl. Koffka L K 10 m.Nachw.). c) Nach § 267 Abs. 3 StPO müssen die U r t e i l s g r ü n d e erkennen lassen, weshalb die Strafe ausgesetzt oder entgegen einem in der Verhandlung gestellten Antrag nicht ausgesetzt wurde. Ein Verstoß gegen diese Bestimmung begründet in aller Regel die R e v i s i o n , es sei denn, daß nach den Festellungen des Urteils schon die äußeren Voraussetzungen für eine Strafaussetzung fehlen. d) Eine R e c h t s m i t t e l b e s c h r ä n k u n g auf die Frage der Strafaussetzung ist entgegen der noch in der Voraufl. vertretenen Ansicht grundsätzlich möglich (vgl. B G H 24, 165; Ffm N J W 1971,1814; h. L.). Mit Rücksicht auf die bestehenden Wechselwirkungen erfaßt das Rechtsmittel jedoch immer zugleich auch etwaige Sicherungsmaßregeln, insbesondere solche nach §§ 42 m, 42 n (vgl. F f m N J W 1970, 957; 1971, 666; Hamm BA 1971, 140). Eine Berufungsbeschränkung ist jedoch dann unzulässig, wenn zum Schuldspruch nur lückenhafte Feststellungen getroffen sind, die den Unrechts- oder Schuldgehalt der Tat nicht ausreichend erkennen lassen (vgl. Hamm DAR 1972, 245). Die Berufungsbeschränkung ist in solchen Fällen unbeachtlich. e) Der Begriff „Verteidigung der Rechtsordnung" ist ein u n b e s t i m m t e r R e c h t s b e g r i f f (vgl. B G H 24, 41; Stgt D J 1970, 163) und unterliegt als solcher der Nachprüfung des Revisionsgerichts. Dem Ermessen des Tatrichters sind dabei verhältnismäßig enge Grenzen gesetzt (vgl. Koffka L K 53, teilweise aA. Stgt. a. a.O.). f) Das R e v i s i o n s g e r i c h t darf die Feststellungen des Tatrichters zur Sozialprognose nicht durch eigene ersetzen, sondern lediglich prüfen, ob der Tatrichter ausreichende Feststellungen getroffen und die richtige Konsequenz aus seinen Feststellungen gezogen hat. Sind die getroffenen Feststellungen unzulänglich oder widerspruchsvoll, so ist die Sache gem. § 354 Abs. 2 StPO unter Aufhebung des Urteils zur erneuten Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen. Hat der Tatrichter nach Auffassung des Revisionsgerichts den Begriff der Verteidigimg der Rechtsordnung fehlerhaft interpretiert, so kann das Revisionsgericht, falls keine weiteren Feststellungen mehr zu treffen sind, in der Sache selbst entscheiden und — je nach Sachlage — die zu Unrecht gewährte Strafaussetzung in Wegfall bringen oder die zu Unrecht versagte Strafaussetzung gewähren (vgl. K o f f k a L K 53, Dreher 5, jeweils m.weit.Nachw.). Im letzteren Fall ist die Sache jedoch grundsätzlich zur Festsetzung der Bewährungszeit sowie etwaiger Auflagen und Weisungen an den Tatrichter zurückzuverweisen (vgl. BayObLG 1 b St. 221/69 vom 25. 2. 1970 bei Wagner DRiZ 1970, 279; aA. Koffka a . a . O . ) . g) Aus dem V e r b o t d e r S c h l e c h t e r s t e l l u n g (sog. reformatio in peius, vgl. §§ 331, 358 Abs. 2 StPO) folgt, daß die Strafe auch dann nicht erhöht werden darf, wenn dem Angeklagten auf sein Rechtsmittel die zunächst versagte Strafaussetzung gewährt wird. Umgekehrt darf die bereits gewährte Strafaussetzung auch dann nicht versagt werden, wenn die Höhe der Strafe auf ein Rechtsmittel des Angeklagten ermäßigt wird (vgl. Armin Kaufmann J Z 1958,297; Koffka L K 51, SchönkeSchröder 56).
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Strafen
§ 24
§ 134 [ B e w ä h r u n g s z e i t ] (1) Das Gericht bestimmt die Dauer der Bewährungszeit. Sie darf fünf Jahre nicht überschreiten und zwei Jahre nicht unterschreiten. (2) Die Bewährungszeit beginnt mit der Rechtskraft der Entscheidung über die Strafaussetzung. Sie kann nachträglich bis auf das Mindestmaß verkürzt oder vor ihrem Ablauf bis auf das Höchstmaß verlängert werden. (3) Während der Bewährungszeit ruht die Verjährung der Strafvollstrekkung. 1. Die durch das 1. StrRG neu gefaßte und ab 1. 4. 1970 wirksame Vorschrift entspricht der Regelung des § 24 Abs. 4 a. F. Sie gilt auch für Taten, die vor dem 1. 4. 1970 begangen, aber erst später abgeurteilt wurden (vgl. Art. 88 Abs. 1 des 1. StrRG). 2. Mit der „Entscheidung über die Strafaussetzung", mit deren Rechtskraft die Bewährungszeit zu laufen beginnt, ist nur das Urteil gemeint, in dem die Strafaussetzung angeordnet wird, nicht etwa der Beschluß, in dem die Bewährungszeit festgesetzt wird. 3. Eine Verlängerung der Bewährungszeit ist nach dem eindeutigen Gesetzeswortlaut (Abs. 2 Satz 2) grundsätzlich nur bis zum Ablauf der Bewährungszeit möglich. Dies erscheint insoweit unbefriedigend, als die für den Verurteilten wesentlich einschneidendere Maßnahme, nämlich der Widerruf der Strafaussetzung, auch noch nach Ablauf der Bewährungszeit beschlossen werden kann (vgl. § 25 Anm. 4). Man wird deshalb zumindest in den Fällen, in denen ein Widerruf nach § 25 an sich in Betracht kommt, im Einzelfall aber zu hart erscheint, eine Verlängerung der Bewährungsfrist ausnahmsweise auch noch nach Ablauf der zunächst ausgesprochenen Bewährungszeit für zulässig erachten müssen (vgl. OLG Hamm N J W 1971, 719 im Anschluß an OLG Oldenburg N J W 1964, 2434). Auf jeden Fall aber ist den Gerichten zu empfehlen, die Entscheidung gemäß § 25 so rechtzeitig einzuleiten, daß die Bewährungszeit, falls erforderlich, noch vor ihrem Ablauf verlängert werden kann. Dies kommt vor allem dann in Betracht, wenn sich während der Bewährungszeit Führungsmängel zeigen, die einerseits die bei der Verurteilung angenommene günstige Prognose in Frage stellen, andererseits aber als Grund zum Widerruf nicht ausreichend erscheinen (vgl. § 25 Abs. 2). 4. Prozessual ist zu beachten: a) Die Entscheidung über die Bewährungszeit sowie über die Bewährungsauflagen und Weisungen erfolgt durch einen Beschluß des Gerichts, das die Strafaussetzung anordnet. Der Beschluß ist gemäß § 268 a StPO zusammen mit dem Urteil zu verkünden bzw. mit dem Strafbefehl zuzustellen. Er unterliegt gemäß § 305a StPO der Beschwerde, die allerdings nur darauf gestützt werden kann, daß eine in dem Beschluß getroffene Anordnung gesetzwidrig ist. Dies ist z.B. dann der Fall, wenn sie einen unzumutbaren Eingriff in die Lebensführung des Beschwerdeführers darstellt (vgl. §§ 24a Abs. 1 Satz 2, 24b Abs. 1 Satz 2). b) Gemäß § 268 a Abs. 2 StPO ist der Angeklagte über das Wesen der Strafaussetzung, die Bewährungszeit, Auflagen und Weisungen sowie über die Möglichkeiten des Widerrufs der Strafaussetzung zu b e l e h r e n . Die Belehrung erfolgt grundsätzlich mündlich, nur ausnahmsweise schriftlich (vgl. §§ 268a, 453a StPO). Dies gilt auch für das Strafbefehlsverfahren. Hier ist der Beschuldigte zwecks Belehrung einzubestellen, sofern kein Fall geringerer Bedeutung vorliegt, bei dem die Belehrung gemäß § 453 a Abs. 2 StPO auch schriftlich erfolgen kann.
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§
24a
Strafgesetzbuch
§ 24 a [Auflagen] (1) Das Gericht kann dem Verurteilten Auflagen erteilen, die der Genugtuung für das begangene Unrecht dienen. Dabei dürfen an den Verurteilten keine unzumutbaren Anforderungen gestellt werden. (2) Das Gericht kann dem Verurteilten auferlegen, 1. nach Kräften den durch die Tat verursachten Schaden wiedergutzumachen, 2. einen Geldbetrag zugunsten einer gemeinnützigen Einrichtung oder der Staatskasse zu zahlen oder 3. sonst gemeinnützige Leistungen zu erbringen. (3) Erbietet sich der Verurteilte zu angemessenen Leistungen, die der Genugtuung für das begangene Unrecht dienen, so sieht das Gericht in der Regel von Auflagen vorläufig ab, wenn die Erfüllung des Anerbietens zu erwarten ist. 1. In den Vorschriften §§ 24a bis 24c, die durch das 1. StrRG mit Wirkung vom 1. 4. 1970 neu eingeführt worden sind, werden die Maßnahmen, die im Rahmen der Bewährungszeit angeordnet werden können, klar gegeneinander abgegrenzt. a) § 24 a beinhaltet nur solche Maßnahmen, die der G e n u g t u u n g für das begangene Unrecht dienen (Auflagen). Diese Regelung betrifft hauptsächlich die Gelegenheitsund Konfliktstäter, die einer nachhaltigen Aufsicht und Einwirkung während der Bewährungszeit nicht bedürfen, denen aber dennoch ihre Verurteilung fühlbar gemacht werden muß. b) Die Erteilung von Auflagen ist in das E r m e s s e n des Gerichts gestellt. Die angeordneten Auflagen dürfen jedoch an den Verurteilten weder im Hinblick auf seine Lebensführung noch auf seine Rechtsstellung unzumutbare Anforderungen stellen. Dieser Grundsatz, der bisher nur im Verfahrensrecht zum Ausdruck kam (vgl. §§ 305 a, 453 Abs. 3 StPO), ist nunmehr als sachliche Voraussetzung der Anordnung von Auflagen auch in das materielle Recht eingefügt worden. Die in § 24a Abs. 2 generell für zulässig erklärten Auflagen können daher im Einzelfall unzulässig, da unzumutbar sein, z.B. wenn ein nach Abs. 2 Nr. 2 festgesetzter Geldbetrag die Vermögens- und Einkommensverhältnisse des Angeklagten überfordert. 2. Der in Abs. 2 aufgeführte Katalog enthält im Gegensatz zum früheren Recht eine abschließende Aufzählung der zulässigen Auflagen. a) Zur W i e d e r g u t m a c h u n g d e s S c h a d e n s (Nr. 1) kann auch die Auflage gehören, Schadensersatz in Geld zu leisten, falls die Herstellung des früheren Zustands nicht mehr möglich ist, ferner die Auflage, bestimmte ehrenrührige Äußerungen zu widerrufen. Weitergehende Ansprüche des Verletzten, die sich aus der Tat ergeben, z.B. der Anspruch auf Unterlassung künftiger Rechtsverletzungen, können nicht zur Auflage gemacht werden. b) Nach Nr. 2 können G e l d b u ß e n jetzt nicht nur (wie schon bisher) zugunsten gemeinnütziger Vereinigungen, sondern auch zugunsten der Staatskasse auferlegt werden. Dies gilt vor allem bei solchen Straftaten, bei denen es „tatadäquate" gemeinnützige Einrichtungen, die als Empfängerinnen in Betracht kommen könnten, nicht gibt (vgl. Begründung des Sonderausschusses, S. 12 d. BT-Drucksache V/4094). Außerdem ist es ja gerade die Staatskasse, die auch die Kosten der Strafrechtspflege zu tragen hat. Andererseits muß es wie bisher (vgl. BGH 9, 365 zu § 24 a.F.) als unzulässig angesehen werden, dem Angeklagten die Auflage zu erteilen, die K o s t e n des Verfahrens zu begleichen. c) Bei den in Nr. 3 als Auflage vorgesehenen g e m e i n n ü t z i g e n L e i s t u n g e n ist in erster Linie an Arbeitsleistungen in Krankenhäusern, Heimen und ähnlichen
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Strafen
§§ 3 4 b
Einrichtungen gedacht. Sie kann aber auch in Sachleistungen zugunsten gemeinnütziger Organisationen bestehen. 3. Abs. 3 verfolgt den Zweck, den Verurteilten im Rahmen der Strafaussetzung zur freiwilligen Mitarbeit anzuregen. Dabei müssen die selbstgewählten Leistungen zwar Auflagencharakter haben, aber nicht unbedingt unter den Katalog des Abs. 2 fallen. Bietet der Verurteilte angemessene Leistungen an und ist ihre Erfüllung auch zu erwarten, so ist das Gericht grundsätzlich verpflichtet, von gerichtlichen Auflagen abzusehen, es sei denn, besondere Umstände rechtfertigten die Ausnahme von dieser gesetzlichen Regel. Erfüllt der Verurteilte seine freiwillig übernommenen Pflichten nicht, so kann das Gericht gemäß § 24d nachträglich Auflagen anordnen; ein sofortiger Widerruf der Strafaussetzung sollte allein deswegen jedoch noch nicht erfolgen (vgl. § 25 Abs. 2). § 134 b [ W e i s u n g e n ] (1) Das Gericht erteilt dem Verurteilten für die Dauer der Bewährungszeit Weisungen, wenn er dieser Hilfe bedarf, u m keine Straftaten mehr zu begehen. Dabei dürfen an die Lebensführung des Verurteilten keine unzumutbaren Anforderungen gestellt werden. (2) Das Gericht kann den Verurteilten namentlich anweisen, 1. Anordnungen zu befolgen, die sich auf Aufenthalt, Ausbildung, Arbeit oder Freizeit oder auf die Ordnung seiner wirtschaftlichen Verhältnisse beziehen, 2. sich zu bestimmten Zeiten bei Gericht oder einer anderen Stelle zu melden, 3. mit bestimmten Personen oder mit Personen einer bestimmten Gruppe, die ihm Gelegenheit oder Anreiz zu weiteren Straftaten bieten können, nicht zu verkehren, sie nicht zu beschäftigen, auszubilden oder zu beherbergen, 4. bestimmte Gegenstände, die ihm Gelegenheit oder Anreiz zu weiteren Straftaten bieten können, nicht zu besitzen, bei sich zu führen oder verwahren zu lassen oder 5. Unterhaltspflichten nachzukommen. (3) Die Weisung, 1. sich einer Heilbehandlung oder einer Entziehungskur zu unterziehen oder 2. in einem geeigneten Heim oder einer geeigneten Anstalt Aufenthalt zu nehmen, darf nur mit Einwilligung des Verurteilten erteilt werden. (4) Macht der Verurteilte entsprechende Zusagen für seine künftige Lebensführung, so sieht das Gericht in der Regel von Weisungen vorläufig ab, wenn die Einhaltung der Zusagen zu erwarten ist. 1. Weisungen sind G e b o t e und V e r b o t e mit dem Ziel, dem Verurteilten zu helfen, keine weiteren Straftaten mehr zu begehen. Während die Auflagen des § 24a dem Verurteilten eine Genugtuung für das begangene Unrecht abverlangen, dienen die Weisungen ausschließlich spezialpräventiven Zwecken. Soweit andere Wirkungen (z.B. die Erfüllung sittlicher oder durch den Anstand gebotener Pflichten oder die Genugtuung für das begangene Unrecht) nur als Nebenfolgen der Weisungen auftreten, berühren sie deren Zulässigkeit nicht. Wie die Auflagen müssen sich jedoch auch die Weisungen, die sich hauptsächlich auf die Lebensführung des Verurteilten beziehen, im Rahmen des Zumutbaren halten (vgl. § 24a Anm. 1 b). Sie können nicht nur für sich allein, sondern auch neben Auflagen ausgesprochen werden. Weisungen, 8 Petters-Prelsendanz, StGB, 28. Aufl.
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§ 34 c
Strafgesetzbuch
die in den Ermessensbereich einer Behörde eingreifen, sind unzulässig. So ist z. B. die von AG Berlin-Tiergarten einem fünfmal wegen Kfz-Diebstahls und Fahrens ohne Fahrerlaubnis vorbestraften Angeklagten erteilte Weisung, seiner Neigung zum unerlaubten Führen von Kraftfahrzeugen durch Erlangung einer Fahrerlaubnis entgegenzuwirken (vgl. DAR 1971, 21) sicher gut gemeint, aber rechtlich unzulässig. Die Führerscheinbehörde kann auf diese Weise nicht gezwungen werden, einem Mann, den sie aufgrund seiner Vorstrafen für unzuverlässig hält, eine Fahrerlaubnis zu erteilen. Außerdem dürfte die Gefahr weiterer Kfz-Diebstähle durch den Erwerb einer Fahrerlaubnis nicht ausgeräumt werden. 2. Der in Abs. 2 aufgeführte Katalog bringt im Gegensatz zum Katalog der Auflagen nur eine beispielhafte Aufzählung. Eine schematische, wenn auch noch so ausführliche Aufstellung der einzelnen Weisungen könnte der mit ihnen verfolgten fürsorgerischen Tätigkeit nicht gerecht werden. Diese setzt vielmehr vielfältige, dem jeweiligen Einzelfall angepaßte Reaktionsmittel voraus. Rechtsstaatliche Bedenken wegen dieser Unbestimmtheit der Weisungen (Art. 103 Abs. 2 GG) dürften aber deswegen kaum mehr bestehen, weil die Weisungen anders als die der Genugtuung dienenden Auflagen keinen strafähnlichen Charakter mehr besitzen. Unzulässig wären allerdings Weisungen, die mit dem Grundgesetz, insbesondere den Grundrechten, nicht in Einklang ständen, z.B. wenn jemand die Weisung bekäme, regelmäßig die Kirche zu besuchen (vgl. Art. 4 GG, siehe auch Dreher 2). Andererseits verstößt es nicht gegen rechtsstaatliche Grundsätze, wenn ein wegen Verletzung der Unterhaltspflicht verurteilter Handwerksmeister angewiesen wird, seinen unrentabel gewordenen Einmannbetrieb aufzugeben und ein abhängiges Arbeitsverhältnis im gleichen Handwerk einzugehen, damit er künftig durch gesicherte Verdienstmöglichkeit seinen Unterhaltsverpflichtungen nachkommen kann (vgl. Celle N J W 1971, 718). Verfassungsrechtlich zulässig ist auch die Weisung, nicht im Gaststättengewerbe tätig zu sein, sofern gerade diese Tätigkeit aufgrund einer besonderen Veranlagung des Täters schwere Gefahren für die Allgemeinheit mit sich bringen kann (vgl. Hamburg N J W 1972, 168). 3. Das Erfordernis der Einwilligung zu einer besonderen Weisung nach Abs. 3 (Heilbehandlung, Entziehungskur usw.) beseitigt die verfassungsrechtlichen Bedenken gegen die bisherige Regelung und schließt sich der Erkenntnis an, daß eine psychiatrische oder medizinische Behandlung gegen den Willen des Betroffenen ohnehin keinen Erfolg verspricht. 4. Die Regelung des Abs. 4 entspricht der des § 24a Abs. 3 und will wie dieser den Verurteilten im Rahmen einer der sozialen Anpassung dienenden Strafaussetzung zur freiwilligen Mitarbeit anregen. Zum Ganzen siehe auch § 24a Anm. 3. § 34 c
[Bcwähriingrshilfe]
(1) Das Gericht unterstellt den Verurteilten für die Dauer der Bewährungszeit der Aufsicht und Leitung eines Bewährungshelfers, w e n n dies angezeigt ist, u m ihn von Straftaten abzuhalten. (2) Eine Weisung nach Absatz 1 erteilt das Gericht in der Regel, w e n n es eine Freiheitsstrafe von mehr als neun Monaten aussetzt und der Verurteilte noch nicht siebenundzwanzig Jahre alt ist. (3) Der Bewährungshelfer steht dem Verurteilten helfend und betreuend zur Seite. Er überwacht i m Einvernehmen mit dem Gericht die Erfüllung der Auflagen und Weisungen sowie der Anerbieten und Zusagen. Er berichtet über die Lebensführung des Verurteilten in Zeitabständen, die das Gericht bestimmt. Gröbliche oder beharrliche Verstöße gegen Auflagen oder Weisungen teilt er dem Gericht mit.
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Strafen
§ 34 d
(4) Der Bewährungshelfer wird vom Gericht bestellt. Es kann ihm für seine Tätigkeit nach Absatz 3 Anweisungen erteilen. (5) Die Tätigkeit des Bewährungshelfers wird haupt- oder ehrenamtlich ausgeübt. 1. Die Bewährungshilfe ist durch das 1. StrRG neu ausgestaltet worden. Nach den Vorstellungen des Gesetzgebers handelt es sich dabei um eine Art „ambulanter Behandlung". Der Bewährungshilfe wird in Zukunft schon deshalb größere Bedeutung als bisher zukommen, weil mit Sicherheit mehr Freiheitsstrafen als bisher zur Bewährung ausgesetzt werden. Berücksichtigt man weiter, daß entgegen der bisherigen Rechtslage auch verhältnismäßig hohe Freiheitsstrafen (bis zu 1 Jahr, ausnahmsweise sogar bis zu 2 Jahren) ausgesetzt werden können, so zeigt sich, daß der Bewährungshelfer in Zukunft noch wesentlich schwierigere und verantwortungsvollere Aufgaben zu bewältigen hat als bisher. Er ist gewissermaßen der Mittler zwischen dem Rechtsbrecher und der Gesellschaft. Von seinem Wirken und dem Verständnis, das die Gesellschaft für seine verantwortungsvolle Arbeit aufbringt, wird es abhängen, ob die mit dem neuen Strafrecht verbundenen Erwartungen erfüllt werden (vgl. Hohler NJW1969,1225,1227). Hier wird sich zeigen, ob das 1. StrRG wirklich nur — wie vielfach befürchtet — eine „weiche Welle" eingeleitet hat oder einen Ansatz zu echter Reform darstellt. 2. Rechtlich gesehen handelt es sich bei der Unterstellung unter die Aufsicht eines Bewährungshelfers nm eine Weisung. Da sie regelmäßig einen recht nachhaltigen Eingriff in die Lebensführung des Verurteilten darstellt, kommt sie nur in solchen Fällen zur Anwendung, in denen andere, weniger einschneidende Weisungen nicht oder nur weniger geeignet sind, den Verurteilten zu einer Lebensführung zu bringen, die ihn von neuen Straftaten abhält. 3. Nach Abs. 2 kommt die Bewährungshilfe vor allem für jüngere Rechtsbrecher (sog. Jungerwachsene bis zu 27 Jahren) in Betracht, die zu einer Freiheitsstrafe von 9 Monaten oder mehr verurteilt wurden und deshalb besonders gefährdet erscheinen. In diesen Fällen soll Bewährungshilfe in der Regel angeordnet werden. 4. Abs. 3 umschreibt die Pflichten des Bewährungshelfers und sein Verhältnis zum Gericht, das ihn bestellt (siehe auch Abs. 4). Der Bewährungshelfer ist iD seiner verantwortungsvollen Tätigkeit (s.o. 1) freier gestellt als früher. Er kann dem Verurteilten (Probanden) allerdings selbst keine Auflagen oder Weisungen nach §§ 24a, 24b erteilen. Hält er solche für notwendig, so hat er seine Anregungen zur Vorbereitung einer Entscheidung nach § 24 d dem Gericht zu unterbreiten. Dasselbe gilt, wenn er erteilte Auflagen oder Weisungen für überholt hält. 5. Abs. 5, der sich mit der Rechtsstellung des Bewährungshelfors befaßt, entspricht dem früheren Art. 5 des 3. StrÄndG, der durch Art. 85 Nr. 8 des 1. StrRG außer Kraft gesetzt worden ist. Die nähere Regelung bleibt der Landesgesetzgebung vorbehalten.
§ 3 4 d [Nachträgliche Entscheidungen] Das Gericht kann Entscheidungen nach den §§ 24 a bis 24 c auch nachträglich treffen, ändern oder aufheben. 1. Die Vorschrift setzt voraus, daß nach Verkündung des ursprünglichen Beschlusses neue Umstände bekannt werden oder eintreten (vgl. Stgt. N J W 1969, 1220; h. L.). Stand der Verurteilte bereits unter Bewährungsaufsicht, so wird das Gericht vor jeder nachträglichen Entscheidung vor allem auch den Bewährungshelfer hören. 2. P r o z e s s u a l siehe §§453, 453b StPO. 8'
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§ § 2 5 , 35 a
Strafgesetzbuch
§ 35 [Widerruf der Strafaussetzung:] (1) Das Gericht widerruft die Strafaussetzung, wenn der Verurteilte 1. in der Bewährungszeit eine Straftat begeht, 2. gegen Auflagen oder Weisungen gröblich oder beharrlich verstößt oder 3. sich der Aufsicht und Leitung des Bewährungshelfers beharrlich entzieht und dadurch zeigt, daß die Erwartung, die der Strafaussetzung zugrunde lag, sich nicht erfüllt hat. (2) Das Gericht sieht jedoch von dem Widerruf ab, wenn es ausreicht, die Bewährungszeit z u verlängern ( § 2 4 Abs. 2) oder weitere Auflagen oder Weisungen z u erteilen, namentlich den Verurteilten einem Bewährungshelfer zu unterstellen (§ 24 d). (3) Leistungen, die der Verurteilte zur Erfüllung von Auflagen, Anerbieten, Weisungen oder Zusagen erbracht hat, werden nicht erstattet. D a s Gericht kann jedoch, wenn es die Strafaussetzung widerruft, Leistungen, die der Verurteilte zur Erfüllung von Auflagen nach § 24 a Abs. 2 Nr. 2, 3 oder entsprechenden Anerbieten nach § 24 a Abs. 3 erbracht hat, auf die Strafe anrechnen. 1. Die durch das 1. StrRG neu gefaßte Vorschrift enthält gegenüber der früheren Rechtslage eine weniger starre, täterfreundlichere Regelung. Die Widerrufsgründe sind zwar im wesentlichen die gleichen (in Abs. 1 Nr. 1 wird sogar auf ein Verbrechen oder vorsätzliches Vergehen verzichtet, es genügt vielmehr jede Straftat innerhalb der Bewährungszeit); der Widerrufszwang ist jedoch gelockert. Zu den formellen Voraussetzungen muß noch materiell hinzukommen, daß der Proband die in ihn gesetzten Erwartungen in v o r w e r f b a r e r Weise nicht erfüllt h a t (vgl. Begründung des Sonderausschusses, S. 13 des BT-Drucksache V/4094). 2. Nach Abs. 2 hat das Gericht vom Widerruf selbst dann abzusehen, wenn dessen Voraussetzungen nach Abs. 1 zwar vorliegen, das Gericht aber glaubt, daß auch mildere Maßnahmen ausreichen, um den offensichtlich labilen Frobanden vielleicht doch noch ohne den Vollzug der Strafe zu resozialisieren. Zu den milderen Maßnahmen gehört insbesondere auch die Auferlegung einer (weiteren) Geldbuße (vgl. F f m N J W 1971, 720). 3. Nach Abs. 3 Satz 1 ist eine Rückerstattung von Leistungen, die im Rahmen von Auflagen und Leistungen nach §§ 24 a, 24 b erbracht wurden, grundsätzlich ausgeschlossen. F ü r Leistungen nach § 24a Abs. 2 Nr. 2 und 3 oder § 24a Abs. 3 sieht § 25 Abs. 3 Satz 2 allerdings aus Gründen der B i l l i g k e i t die Möglichkeit einer Ausnahme vor. 4. Der Widerruf kann während, aber auch erst nach Ablauf der Bewährungsfrist erfolgen. Die Umstände, die Anlaß zum Widerruf geben, müssen jedenfalls vor Ablauf der Bewährungsfrist eingetreten sein. Nicht erforderlich ist dagegen, daß sie auch vor Ablauf der Bewährungszeit bekannt werden. Es genügt, daß sie zum Zeitpunkt der Entscheidung bekannt sind (vgl. Krhe D J 1964, 44; SchönkeSchröder 11, Dreher 2). I m Falle des Abs. 1 Nr. 1 ist Widerrufsgrund die B e g e h u n g einer Straftat in der Bewährungszeit, n i c h t deren A b u r t e i l u n g . Ist das Gericht — etwa auf Grund eines Geständnisses — davon überzeugt, der Verurteilte habe eine neue Tat verübt, die den Widerruf rechtfertigt, so braucht es mit dieser Entscheidung nicht zuzuwarten, bis die Tat rechtskräftig abgeurteilt ist (Stgt D J 1972, 318). 5. Der Widerruf der Strafaussetzung ist mit der sofortigen Beschwerde anfechtbar (§ 453 Abs. 3 StPO).
§ 35 a [Straferlaß] (1) Widerruft das Gericht die Strafaussetzung nicht, so erläßt es die Strafe nach Ablauf der Bewährungszeit. § 25 Abs. 3 Satz 1 ist anzuwenden.
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Strafen
§ 26
(2) D a s Gericht k a n n den Straferlaß widerrufen, w e n n der Verurteilte i m räumlichen Geltungsbereich dieses Gesetzes wegen einer in der Bewährungszeit begangenen vorsätzlichen Straftat zu Freiheitsstrafe von mindestens sechs Monaten verurteilt wird. Der Widerruf ist n u r innerhalb von einem J a h r n a c h Ablauf der Bewährungszeit u n d von sechs Monaten n a c h Rechtskraft der Verurteilung zulässig. § 25 Abs. 3 gilt entsprechend. 1. Der Erlaß der Strafe nach dem Ablauf der Bewährungszeit beruht nicht mehr wie früher auf der positiven Feststellung, daß sich der Verurteilte bewährt habe, sondern geht vom nicht erfolgten Widerruf der Strafaussetzung aus. Somit hat das Gericht nach Ablauf der Bewährungszeit zunächst die Frage des Widerrufs der Strafaussetzung (§ 25 Abs. 1) abschließend zu prüfen. Ergibt sich dabei, daß die Voraussetzungen des Widerrufs der Strafaussetzung nicht erfüllt sind, so hat es die Strafe zu erlassen. 2. Ein Widerruf des Straferlasses kommt nur dann in Betracht, wenn sich erstnach dem Erlaß der Strafe (§ 25a Abs. 1) ergibt, daß der Verurteilte innerhalb der Bewährungszeit erneut in erheblichem Maß straffällig geworden ist. Da die Widerrufsentscheidung eine bereits rechtskräftige Entscheidung gegenstandslos werden läßt, ist sie nur aus schwerwiegendem Anlaß (vorsätzliche Straftat, Freiheitsstrafe von mindestens 6 Monaten) und nur zeitlich beschränkt (spätestens 1 Jahr nach Ablauf der Bewährungszeit) zulässig. 4. Prozessual beachte § 453 Abs. 3 StPO (sofortige Beschwerde). § 2 6 [Aussetzung: des Strafrestes] (1) Das Gericht setzt die Vollstreckung des Restes einer zeitigen Freiheitss t r a f e zur B e w ä h r u n g aus, w e n n 1. zwei Drittel der verhängten Strafe, mindestens jedoch zwei Monate, verbüßt sind, 2. verantwortet werden k a n n zu erproben, ob der Verurteilte außerhalb des Strafvollzugs keine Straftaten m e h r begehen wird, u n d 3. der Verurteilte einwilligt. Bei der Entscheidung sind namentlich die Persönlichkeit des Verurteilten, sein Vorleben, die Umstände seiner Tat, sein Verhalten i m Vollzug, seine Lebensverhältnisse u n d die Wirkimgen zu berücksichtigen, die von der Aussetzung f ü r i h n zu erwarten sind. (2) Schon n a c h Verbiißung der H ä l f t e einer zeitigen Freiheitsstrafe k a n n das Gericht die Vollstreckung des Restes zur B e w ä h r u n g aussetzen, wenn 1. mindestens ein J a h r der Freiheitsstrafe verbüßt ist, 2. besondere Umstände in der Tat u n d in der Persönlichkeit des Verurteilten vorliegen u n d 3. die übrigen Voraussetzungen des Absatzes 1 erfüllt sind. (3) Die § § 2 4 bis 2 5 a gelten entsprechend; die Bewährungszeit darf, a u c h w e n n sie nachträglich verkürzt wird, die Dauer des Strafrestes nicht u n t e r schreiten. H a t der Verurteilte mindestens ein J a h r seiner Strafe verbüßt, bevor deren Rest zur B e w ä h r u n g ausgesetzt wird, so unterstellt i h n das Gericht in der Regel f ü r die Dauer der Bewährungszeit der Aufsicht u n d Leitung eines Bewährungshelfers. (4) Ist Untersuchungshaft oder eine andere Freiheitsentziehung angerechnet, so gelten sie als verbüßte Strafe i m Sinne der Absätze 1 bis 3. (5) Das Gericht k a n n Fristen von höchstens sechs Monaten festsetzen, vor deren Ablauf ein A n t r a g des Verurteilten, den Strafrest zur B e w ä h r u n g a u s zusetzen, unzulässig ist. 117
§
36
Strafgesetzbuch
1. Die durch das 1. StrRG mit Wirkung vom 1. 4. 1970 neu gefaßte Vorschrift steht ähnlich wie die Strafaussetzung unter dem Bestreben, den Vollzug einer Freiheitsstrafe auf das notwendige Mindestmaß zu beschränken. Der Vollzug der Strafe soll so bald wie möglich in eine „ambulante Behandlung" umgewandelt werden. Entsprechende Auflagen und Weisungen, vor allem auch die Bestellung eines Bewährungshelfers (vgl. Abs. 3), sollen dem Verurteilten die Rückkehr in die Freiheit und die Resozialisierung erleichtern. (Zur Frage, wie es ermöglicht werden kann, auch einem Verurteilten, der seine Strafe voll verbüßt h a t , eine wirksame Lebenshilfe zu geben, siehe § 68 i . d . F . des 2. StrRG, abgedruckt in Anhang 8.) 2. Die formellen Voraussetzungen: a) Der Verurteilte muß zwei Drittel der Freiheitsstrafe (auch Ersatzfreiheitsstrafe, vgl. Schönke-Schröder 5; Lackner-Maassen 2; Dreher 2; a.A. AG Berlin-Tiergarten N J W 1972, 457 m. abl. Bespr. Blei J A 1972, StR 83), mindestens jedoch 2 Monate, verbüßt haben (Abs. 1 Nr. 1). Bei längerfristigen Freiheitsstrafen kann der Strafrest ausnahmsweise schon nach der Hälfte erlassen werden, sofern der Verurteilte bis dahin bereits mindestens 1 J a h r verbüßt hat (vgl. Abs. 2). Diese weitergehende Regelung kommt also nur bei Freiheitsstrafen von 2 Jahren oder darüber in Betracht (vgl. Dreher 2). Die U - H a f t und andere Formen der Freiheitsentziehung (z.B. Unterbringung nach §§ 81, 126a StPO) gelten, soweit im Urteil auf die erkannte Strafe angerechnet, als Strafverbüßung. Die formellen Voraussetzungen des § 26 können deshalb schon im Zeitpunkt des Urteils vorliegen. Beispiel: A wird unter Anrechnung von 10 Monaten U - H a f t zu einer Freiheitsstrafe von 1 J a h r verurteilt. Bei l e b e n s l a n g e r Freiheitsstrafe kann allenfalls eine Begnadigung zur vorzeitigen Entlassung führen. b) I m Jugendstrafrecht sind für den Bereich der Jugendstrafe die §§ 88,89 JGG zu beachten, im Wehrstrafrecht § 14 WStG (Vollstreckung des Strafarrests). c) Die Aussetzung des Strafrestes darf nur mit Einwilligung des Verurteilten erfolgen. Der Verurteilte h a t einen Anspruch darauf, seine Strafe voll zu verbüßen (so schon BGH N J W 1969, 244 zu § 26 a. F.). Die Zustimmung des Verurteilten muß noch bis zur Rechtskraft des Beschlusses vorliegen. So ist es denkbar, daß der Verurteilte zunächst selbst die Aussetzung des Strafrestes beantragt, dann aber gegen den seine Entlassung aussprechenden Beschluß sofortige Beschwerde (vgl. § 454 Abs. 2 StPO) einlegt mit der Begründung, er wolle lieber die ganze Strafe verbüßen, als sich unter die Aufsicht eines Bewährungshelfers stellen. I n diesem Fall h a t das Beschwerdegericht die Aussetzung des Strafrestes wieder aufzuheben (vgl. OLG Celle N J W 1956, 1608; Krhe Besohl, vom 16. 7. 1963, 2 Ws 139/63 zu § 26 a. F.). 3. Materielle Voraussetzung a) Eine Aussetzung des Strafrests nach Abs. 1 kommt vor allem bei guter Prognose in Betracht. Aber auch bei unsicherer Prognose ist eine Strafaussetzung nach § 26 nicht ausgeschlossen. Schon nach früherem Recht wurde keine so gute Prognose verlangt, daß jeder Zweifel an dem künftigen Wohlverhalten des Verurteilten ausgeschlossen war (vgl. B G H 7, 6, 10). Das mit jeder vorzeitigen Entlassung verbundene Wagnis ist durch die Neufassung des § 26 lediglich größer geworden. Der Gesetzgeber h a t es bewußt auf sich genommen, der Gesellschaft mit der Entscheidung nach § 26 ein gewisses R i s i k o zuzumuten. Der Strafrest muß schon dann zur Bewährung ausgesetzt werden, wenn es „verantwortet werden kann, zu erproben, ob der Verurteilte außerhalb des Strafvollzugs keine Straftaten mehr begehen wird" (vgl. Abs. 1 Nr. 2). Wie sich aus der Aufzählung der für die E n t scheidung maßgeblichen Gesichtspunkte in Abs. 1 Satz 2 ergibt, können n u r s p e z i a l p r ä v e n t i v e Kriterien einer Aussetzung der Reststrafe entgegenstehen, wenn die formellen Voraussetzungen des § 26 vorliegen. Der Sühnegedanke oder 118
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§ 3 «
generalpräventive Erwägungen dürfen — anders als nach früherem Recht — keine Holle mehr spielen (Begründung des Sonderausschusses, S. 13 der BT-Drucksache V/4094). b) Nicht zu verantworten ist die Aussetzung des Strafrests bei ausgesprochen ungünstiger Prognose. Sind weitere Straftaten mit einiger Sicherheit zu erwarten, so kommt eine Aussetzung nicht in Betracht (vgl. Begründimg des Sonderausschusses, S. 13 der BT-Drucksache V/4094; K . H. Meyer J R 1970,348; abzulehnen dagegen B G H J R 1970,347, wonach eine Aussetzung des Strafrests auch dann zulässig sein soll, wenn der Erfolg der Aussetzung „nicht eben wahrscheinlich erscheint"). Daß bei unsicherer Prognose eine Aussetzung des Strafrests nicht schlechthin ausgeschlossen ist, wurde bereits unter a) dargelegt. Eine Strafaussetzung ist jedoch nicht zu verantworten — und damit unzulässig —, wenn die Gefahr besteht, daß der Täter nach der Entlassung möglicherweise erneut s c h w e r e R e c h t s b r ü c h e begehen wird (vgl. K . H. Meyer J R 1970, 348; Dreher 3). 4. Nach Abs. 2 steht es im pflichtgemäßen Ermessen des Gerichts, ob es — ausnahmsweise — schon nach Verbüßung der Hälfte die Reststrafe zur Bewährung aussetzt. Bei Abs. 2 können alle Strafzwecke berücksichtigt werden (Begründung des Sonderausschusses, S. 14 a.a.O). Im Gegensatz zur Entscheidimg nach Abs. 1 können deshalb auch der Sühnegedanke und generalpräventive Erwägungen die Entscheidung maßgeblich beeinflussen. Die schon im Urteil eingeschlagene kriminalpolitische Linie ist dabei nach Möglichkeit beizubehalten. 5. Abs. 3 verweist auf die §§ 24—25a. Hat sich der Verurteilte längere Zeit (mindestens 1 Jahr) nicht mehr in Freiheit befunden, so ist die Bestellung eines B e w ä h r u n g s h e l f e r s zwingend. In den übrigen Fällen steht sie im Ermessen des Gerichts. Erscheint der Widerruf der bedingten Entlassung im Einzelfall als zu hart, so kann an seine Stelle die Auferlegung einer Geldbuße treten (vgl. Ffm N J W 1971, 720). 6. Abs. ß, der dem § 88 Abs. 4 J G G nachgebildet ist, will verhindern, daß Gericht und Vollstreckungsbehörden durch ständige Wiederholung offensichtlich aussichtsloser Anträge mit unfruchtbarer Mehrarbeit überlastet werden. Maßgebend für den Beginn der Sperrfrist, innerhalb der kein neuer Antrag zulässig ist, ist der Zeitpunkt der Entscheidung, nicht deren Rechtskraft (Hamm N J W 1971, 949). 7. Das Verfahren ist in § 454 StPO geregelt. Die Aussetzung dos Strafrests ist von Amts wegen zu prüfen, setzt also keinen Antrag des Verurteilten voraus. Entgegen der früher üblichen Praxis und einem Teil des Schrifttums (vgl. Celle N J W 1972, 2054; Koffka L K 29, Dreher 6) ist ein förmlicher, demVerurteilten zuzustellender Beschluß nicht nur dann erforderlich, wenn das Gericht den Strafrest zur Bewährung aussetzen will oder ein dahingehender Antrag vorliegt, sondern auch in den Fällen, in denen die Prüfung von Amts wegen erfolgt und eine Aussetzung des Strafrests nach Sachlage nicht in Betracht kommt (vgl. K G J R 1973, 120 m. insoweit zust. Anm. Peters; Hamm N J W 1973, 337 m. zust. Anm. Blei J A 1973, S t R 63). Auch sollte dem Verurteilten gemäß § 33 Abs. 3 StPO in allen Fällen vor der Entscheidung Gelegenheit zur Äußerung gegeben werden (vgl. Peters a.a.O.). Die Aussetzung des Strafrests zur Bewährung ist nicht Gnade oder Belohnung für Wohlverhalten im Strafvollzug, sondern ein Mittel zu Resozialisierung, dessen Anwendung nicht davon abhängig sein darf, ob der Verurteilte sie selbst begehrt (vgl. Blei a.a.O.). Die Stellungnahme der Vollzugsanstalt ist dem Verurteilten nur dann mitzuteilen, wenn er selbst Antrag auf Aussetzung des Strafrests gestellt hat und die (nachteilige) Stellungnahme für den Beschluß von Bedeutung sein kann oder wenn er gegen einen ablehnenden Beschluß des Gerichts Beschwerde einlegt und der Be-
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ZV — ZVh
Strafgesetzbuch
Schluß sich — ohne Einzelheiten wiederzugeben — auf die Stellungnahme der Anstalt stützt. In diesem Fall hat der Verurteilte Anspruch darauf, die Tatsachen zu erfahren, mit denen die Anstalt ihre ablehnende Stellungnahme begründet hat (vgl. BVerfG MDR 1964, 293; Krhe DJ 1968, 146; Hamm GA 1970, 221; Koffka L K 29). 8. Rechtsmittel: sofortige Beschwerde (§ 454 Abs. 2 StPO). Diese hat nur dann aufschiebende Wirkung, wenn sie von der Staatsanwaltschaft gegen einen die Aussetzung des Strafrestes aussprechenden Beschluß eingelegt wird.
§ 27
[Geldstrafe]
(1) Die Geldstrafe ist in Deutsche Mark festzusetzen. (2) Sie beträgt 1. bei Verbrechen und Vergehen, soweit nicht höhere Beträge oder Geldstrafe in unbeschränkter Höhe angedroht sind oder werden, mindestens fünf Deutsche Mark und höchstens zehntausend Deutsche Mark; 2. bei Übertretungen mindestens fünf Deutsche Mark, soweit nicht ein höherer Mindestbetrag angedroht ist oder wird, und höchstens fünfhundert Deutsche Mark. (3) Die Vorschriften des Absatzes 2 über Höchstbeträge gelten nicht, soweit die angedrohte Strafe in dem Mehrfachen, dem Einfachen oder dem Bruchteil eines bestimmten Betrages besteht. Ist dieser nicht auf Deutsche Mark gestellt, so ist er für die Festsetzung der Geldstrafe in Deutsche Mark umzurechnen. 1. Der Höchstbetrag der Geldstrafe beläuft sich bei Ü b e r t r e t u n g e n auf DM 600,—, bei Verbrechen und V e r g e h e n auf DM 10000,—, soweit daa Gesetz nicht ausdrücklich eine andere Regelung vorsieht (vgl. §§ 27a, 27b, 92a, 101). 2. Der Mindestbetrag der Geldstrafe beträgt jetzt allgemein 5,— DM. 3. Gegen Jugendliche ist die Geldstrafe unzulässig (vgl. § 17 JGG). Siehe jedoch §§ 15 I Nr. 3, 75 JGG. 4. Die Vollstreckung der Geldstrafe erfolgt gemäß § 463 StPO nach den Vorschriften, die für die Vollstreckung von Urteilen im Zivilprozeß gelten. Einzelheiten siehe §§ 48ff. StrafvollstrO. 5. Aus dem Schrifttum siehe besonders Zipf ZStW 77, 526 sowie Tröndle L K Vorbem. vor § 27.
§ 27 a
[Geldstrafe bei Gewinnsucht]
Bei einem Verbrechen oder Vergehen, das auf Gewinnsucht beruht, kann die Geldstrafe auf einhunderttausend Deutsche Mark erhöht und auf eine solche Geldstrafe neben Freiheitsstrafe auch in denjenigen Fällen erkannt werden, in denen das Gesetz eine Geldstrafe nicht androht. Als Gewinnsucht kann nicht schon jedes Streben nach Vorteil angesehen werden. Es ist vielmehr erforderlich, daß der Täter seinen Erwerbssinn in einem ungewöhnlich ungesunden und sittlich anstößigen Maß betätigt (vgl. BGH 1, 389).
§ 27 b [Bemessung: der Geldstrafe] (1) Die Geldstrafe soll das Entgelt, das der Täter für die Tat empfangen, und den Gewinn, den er aus der Tat gezogen hat, übersteigen.
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88 87 c, 2 8
( 2 ) Reicht das gesetzliche Höchstmaß hierzu nicht aus, so darf es überschritten werden. 1. Die Vorschrift wurde durch das 1. S t r R G mit Wirkung vom 1. 4. 1970 neu gefaßt. Auf § 27 b a . F . konnte verzichtet werden, da in § 14 Abs. 2 eine entsprechende Regelung neu geschaffen wurde. 2. Die Neufassung des § 27 b entspricht wörtlich dem Abs. 2 und 3 des früheren § 27c. Dagegen konnte auf Abs. 1 des früheren § 27c (Berücksichtigung der wirtschaftlichen Verhältnisse des Täters) mit Bücksicht auf die Neufassung des § 13 in diesem Zusammenhang verzichtet werden.
§ 29 c [Bemessung: der Geldstrafe im Falle des § 14 Abs. 2] Verhängt das Gerioht eine Geldstrafe nach § 14 Abs. 2 , so sind die § § 2 7 bis 27 b anzuwenden. Ist Freiheitsstrafe mit einem erhöhten Mindestmaß angedroht, so ist die Geldstrafe so zu bemessen, daß die Ersatzfreiheitsstrafe dieses Mindestmal) nicht unterschreitet. 1. Satz 1 verdeutlicht durch den Hinweis auf die Bemessungsgrundsätze für die Geldstrafe, daß im Falle des § 14 Abs. 2 die Geldstrafe o r i g i n ä r festgesetzt werden muß, also nicht mehr wie beim früheren § 27 b in Anlehnung an eine an sich verwirkte Freiheitsstrafe (siehe § 14 Anm. 7). 2. Satz 2 betrifft die Tatbestände, bei denen eine Geldstrafe nicht oder nur neben Freiheitsstrafe angedroht wird und das Mindestmaß der angedrohten Freiheitsstrafe das gesetzliche Mindestmaß von 1 Tag (§ 18 Abs. 2) übersteigt (vgl. z . B . § 153, wo die gesetzliche Mindeststrafe drei Monate beträgt). Verhängt der Richter in einem solchen Fall nach § 14 Abs. 2 eine Geldstrafe, so soll er ebenso wie bei der Verhängimg einer Freiheitsstrafe an ein bestimmtes Mindestmaß gebunden sein. Dieses wird bestimmt auf dem Umweg über die Ersatzfreiheitsstrafe (§ 29), die daher ausnahmsweise vor der Geldstrafe festzusetzen ist. Ihre Dauer darf das Mindestmaß der angedrohten Freiheitsstrafe nicht unterschreiten. D a die Höhe der Geldstrafe zu der jeweiligen Ersatzfreiheitsstrafe in einem angemessenen Verhältnis zu stehen hat, muß auch die Geldstrafe zumindest so hoch bemessen werden, daß sie dem Mindestmaß der angedrohten Freiheitsstrafe entspricht. I n den Fällen des § 27 c Satz 2 wird der Richter also zweckmäßigerweise zunächst die Ersatzfreiheitsstrafe, die das Mindestmaß der angedrohten Mindeststrafe nicht unterschreiten darf, zumessen und sodann die dieser Freiheitsstrafe entsprechende Geldstrafe ermitteln. Dieser umständliche Weg wird mit dem durch das 2. S t r R G eingeführten Tagessatzsystement fallen (vgl. § 47 Abs. 2 AT 75, abgedruckt in Anhang 8).
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[Stundung:, Teilzahlung]
( 1 ) Ist dem Verurteilten n a c h seinen wirtschaftlichen Verhältnissen nicht zuzumuten, daß er die Geldstrafe sofort zahlt, so h a t i h m das Gericht eine Frist zu bewilligen oder i h m zu gestatten, die Strafe in bestimmten Teilbeträgen zu zahlen. ( 2 ) D a s Gericht kann diese Vergünstigungen a u c h n a c h dem Urteil bewilligen. E s kann seine Entschließungen nachträglich ändern. Leistet der V e r urteilte die Teilzahlungen nicht rechtzeitig oder bessern sich seine wirtschaftlichen Verhältnisse wesentlich, so kann das Gericht die Vergünstigung widerrufen. Die Entscheidung über die Gewährung von Stundung oder Teilzahlungen (Ratenzahlungen) ist grundsätzlich bereits im Urteil bzw. Strafbefehl zu treffen, und zwar 121
§§ 38a—29
Strafgesetzbuch
im Urteilstenor (vgl. HG 60, 16; Lackner-Maassen 3). Wird dies—gleich aus welchem Grunde — versäumt oder ergeben sieh die wirtschaftlichen Schwierigkeiten des Verurteilten erst nachträglich, so ist für die gemäß Abs. 2 zu treffende Entscheidung grundsätzlich der Rechtspfleger zuständig (vgl. § 22 RPflG). Siehe auch § 49 Abs. 2 StrafvoIlstrO und die Gnadenordnungen der Länder, z . B . § 4 der GnadenO vom 23. 3. 1971 für Bad.-Wttbg.; für die nachträglichen Entscheidungen nach Abs. 2 siehe wie bisher § 462 StPO.
§ 28 a [Beitreibung: von Geldstrafen] (1) Soweit die Geldstrafe nicht gezahlt wird, ist sie beizutreiben. (2) Der Versuch, die Geldstrafe beizutreiben, kann unterbleiben, wenn mit Sicherheit vorauszusehen ist, daß sie aus dem beweglichen Vermögen des Verurteilten nicht beigetrieben werden kann. Die Beitreibung erfolgt nach den Grundsätzen der ZPO über die Zwangsvollstreckung, vgl. § 463 StPO. Siehe auch §§ 48ff. StrafvoIlstrO.
§ 281) [Tilgung durch freie Arbeit] (1) Die Vollstreckungsbehörde kann dem Verurteilten gestatten, eine uneinbringliche Geldstrafe durch freie Arbeit zu tilgen. (2) Das Nähere regelt die Bundesregierung mit Zustimmung des Bundesrates. Soweit dies nicht geschieht, sind die obersten Landesbehörden ermächtigt, das Nähere zu regeln. 1. § 28 b kommt nur in Betracht, wenn alle Versuche, die Geldstrafe beizutreiben (§ 28 a), fehlgeschlagen sind. Ein Recht, der Ersatzfreiheitsstrafe durch freie Arbeit zu entgehen, besteht nicht (vgl. Dreher 1). 2. Eine n ä h e r e R e g e l u n g durch die Bundesregierung steht noch aus. Zur Ermächtigung nach Abs. 2 Satz 2 siehe § 1 des Ges. vom 1. 7. 1960, BGBl. I 481.
§ 29 [Ersatzfreiheitsstrafe] (1) An die Stelle einer uneinbringlichen Geldstrafe tritt Freiheitsstrafe. (2) Die Dauer der Ersatzfreiheitsstrafe ist mindestens ein Tag und bei Verurteilung wegen eines Verbrechens oder Vergehens höchstens ein Jahr, bei Verurteilung wegen einer Übertretung höchstens sechs Wochen. Ist neben der Geldstrafe wahlweise Freiheitsstrafe von geringerer Höhe angedroht, so darf die Ersatzfreiheitsstrafe deren Höchstmaß nicht Ubersteigen. Die Ersatzfreiheitsstrafe darf nur nach vollen Tagen bemessen werden. (3) Der Verurteilte kann die Vollstreckung der Ersatzfreiheitsstrafe jederzeit dadurch abwenden, daß er den noch zu zahlenden Betrag der Geldstrafe entrichtet. (4) Kann die Geldstrafe ohne Verschulden des Verurteilten nicht eingebracht werden, so kann das Gericht anordnen, daß die Vollstreckung der Ersatzfreiheitsstrafe unterbleibt. 1. Die durch das 1. StrRG vorgenomennen Änderungen dieser Vorschrift sind in erster Linie auf die Einführung der Einheitsstrafe zurückzuführen. 2. Für die Bemessung der Ersatzfreiheitsstrafe ist die allgemeine Strafzumessungsregel des § 13 anzuwenden. Nach § 43 idF. des 2. StrRG (abgedruckt in Anhang 8) entspricht einem sog. Tagessatz ein Tag Freiheitsstrafe. An dieser Regelung kann sich die Praxis schon heute ausrichten.
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Strafen
§§ 3 0 , 3 1
3. Die Ersatzfreiheitsstrafe ist bereits im Urteil festzusetzen. Wird dies versäumt, so ist nach §§ 459, 462 StPO zu verfahren. 4. Da die Ersatzfreiheitsstrafe eine echte Kriminalstrafe ist, findet § 29 nur auf die Geldstrafen des StGB und der strafrechtlichen Nebengesetze Anwendimg, nicht dagegen auf Zwangs-, Ordnungs- und Wertersatzstrafen (vgl. Tröndle L K 5, Dreher 1, Lackner-Maassen 1, jew. m. weit. Nachw.). 5. Der Vollzug der Ersatzfreiheitsstrafe darf erst angeordnet werden, wenn die Geldstrafe nicht beigetrieben werden kann. Er kann jedoch jederzeit, also auch noch nach Antritt der Ersatzfreiheitsstrafe, durch Zahlung abgewendet werden (Abs. 3). Bei der Vollstreckung der Ersatzfreiheitsstrafe ist außerdem § 26 zu beachten (vgl. § 26 Anm. 2 a). 6. Die Regelung des Abs. 4 entspricht dem früheren Abs. 6. Die Entscheidung steht im E r m e s s e n des Gerichts. Die Vollstreckung der Ersatzfreiheitsstrafe sollte vor allem dann unterbleiben, wenn der Täter wegen Krankheit nicht in der Lage ist, die Geldstrafe zu bezahlen. Allgemeine Zahlungsunfähigkeit genügt dagegen nicht. Ebenso ist grundsätzlich kein Raum für eine Entscheidung nach § 29 Abs. 4, wenn der Täter infolge Verbüßung einer Freiheitsstrafe keine Verdienstmöglichkeiten hat. Kommt der Verurteilte später wieder zu Geld, so kann die Geldstrafe auch dann eingetrieben werden, wenn bereits eine Entscheidung nach Abs. 4 vorliegt (vgl. § 49 Abs. 2 StrVollstrO). 7. Rechtsmittel: sofortige Beschwerde (vgl. § 462 Abs. 1 S. 2 StPO).
§ 30
[Vollstreckung: in den Nachlaß]
In den Nachlaß kann eine Geldstrafe nur dann vollstreckt werden, wenn das Urteil bei Lebzeiten des Verurteilten rechtskräftig geworden war. Die Geldstrafe kann auch im N a c h l a ß k o n k u r s geltend gemacht werden (vgl. § 226 Abs. 2 Nr. 2 KO). Nach Inkrafttreten des 2. StrRG entfällt die Vorschrift ersatzlos.
§ 3 1 [Verlust d e r A m t s f ä h i g k e i t , der W ä h l b a r k e i t und des Stimmrechts] (1) Wer wegen eines Verbrechens zu Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt wird, verliert für die Dauer von fünf Jahren die Fähigkeit, öffentliche Ämter zu bekleiden und Rechte aus öffentlichen Wahlen zu erlangen. (2) Das Gericht kann dem Verurteilten für die Dauer von zwei bis zu f ü n f Jahren die in Absatz 1 bezeichneten Fähigkeiten aberkennen, soweit das Gesetz es besonders vorsieht. (3) Mit dem Verlust der Fähigkeit, öffentliche Ämter zu bekleiden, verliert der Verurteilte zugleich die entsprechenden Rechtsstellungen und Rechte, die er innehat. (4) Mit dem Verlust der Fähigkeit, Rechte aus öffentlichen Wahlen zu erlangen, verliert der Verurteilte zugleich die entsprechenden Rechtsstellungen und Rechte, die er innehat, soweit das Gesetz nichts anderes bestimmt. (5) Das Gericht kann dem Verurteilten für die Dauer von zwei bis zu fünf Jahren das Recht, in öffentlichen Angelegenheiten zu wählen oder zu stimmen, aberkennen, soweit das Gesetz es besonders vorsieht. 1. Die Vorschriften der §§ 31 bis 33 wurden durch das 1. StrRG neu gestaltet. Völlig beseitigt wurde die Nebenstrafe des Verlusts der bürgerlichen Ehrenrechte.
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§ 31
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Daneben ist eine allgemeine Milderung der Nebenfolgen zum Zwecke besserer Resozialisierung und die Möglichkeit einer flexibleren Handhabung zu verzeichnen (vgl. z. B . die zeitliche Begrenzung des Verlustes der Amtsfähigkeit und der Wählbarkeit in § 31 Abs. 1 oder die Möglichkeit der Wiederverleihung der verlorenen Rechte in § 33). Notwendig erschien andererseits auch weiterhin der automatische Verlust der Amtsfähigkeit und Wählbarkeit (nicht aber des Wahl- und Stimmrechts) in den Fällen, in denen für Verbrechen Freiheitsstrafen von mindestens einem J a h r ausgesprochen werden. Für eine solche zwingende Rechtsfolge sprechen gewichtige Interessen der Allgemeinheit an einer absoluten Sperre gegen die Betrauung von Tätern erheblicher Straftaten mit öffentlichen Aufgaben. 2. Unter öffentlichen Amtern sind alle Stellungen zu verstehen, in denen Dienstverrichtungen wahrzunehmen sind, die sich aus der Staatsgewalt ableiten und staatlichen Zwecken dienen (vgl. R G 62, 26). Hierher gehören insbesondere alle Ämter in der staatlichen V e r w a l t u n g und in der J u s t i z , aber auch Ämter in der Gemeindeverwaltung sowie in Anstalten und Körperschaften des öffentlichen Rechts, soweit diese staatlichen Zwecken dienen. Dies ist z.B. auch der Fall bei den Landesversicherungsanstalten. Nicht hierher gehören Ämter im Bereich der Kirchenverwaltung, da diese nicht staatlichen Zwecken dient. Die neue Regelung der Nebenstrafen hat auf die frühere Fassung des § 31 Abs. 2, wonach Anwaltschaft, Notariat sowie Geschworenen- und Schöffendienst ausdrücklich zu den öffentlichen Ämtern gezählt wurden, verzichtet. Dies ist sachlich gerechtfertigt, da der N o t a r , dem zahlreiche hoheitliche Befugnisse zustehen, ebenso wie die Schöffen und Geschworenen, die Aufgaben der rechtsprechenden Gewalt wahrnehmen, bereits nach der allgemeinen Definition (siehe oben) Träger öffentlicher Ämter sind (vgl. § 1 BNotO, §§ 30ff., 84 GVG). Der A n w a l t kann jedoch nach Wegfall des früheren § 31 Abs. 2 nicht mehr als Träger eines öffentlichen Amtes in dem hier verwendeten Sinn angesehen werden. Von dieser Auffassung ging auch bereits § 45 E 62 aus. Wie in vielen anderen Fällen ist aber die Zulassung als Rechtsanwalt von der Fähigkeit zur Bekleidung öffentlicher Ämter abhängig (§ 7 Ziff. 2 B R A O ) . Nach § 16 B R A O bedarf der Verlust der anwaltschaftlichen Rechtsstellung aus Gründen der Aberkennung der Amtsfähigkeit einer besonderen Verfügung der Landesjustizverwaltung, fällt also nicht unter die Regelung des neuen § 31 Abs. 3. 3. Die Rechtsfolge des § 31 Abs. 1 ist eine echte Nebenstrafe. Da sie von Rechts wegen eintritt, ist ein besonderer Ausspruch im Urteil nicht erforderlich. I m Gegensatz zur bisherigen Rechtslage tritt der Verlust aber nicht für immer, sondern nur auf die Dauer von 5 Jahren ein. Außerdem besteht die Möglichkeit einer vorzeitigen Wiederverleihung nach § 33. 4. Während die zwingende Folge des Abs. 1 nur bei Verbrechen eintritt, derentwegen der Täter zu einer Freiheitsstrafe von mindestens 1 J a h r verurteilt worden ist, bringt Abs. 2 einen erweiterten Anwendungsbereich der Vorschrift für die Fälle der §§ 92a Nr. 3, 101 Abs. 1 Nr. 3, 104b Abs. 1, 109i Nr. 2 sowie § 358. I m Nebenstrafrecht ist die Aberkennung der Amtsfähigkeit und der Wählbarkeit z . B . in § 401 RAO vorgesehen. Die Entscheidung steht in diesen Fällen jedoch—anders als bei Abs. 1 — im E r m e s s e n des Gerichts. Die Höhe der jeweiligen Freiheitsstrafe, neben der auf Amtsunfähigkeit erkannt werden kann, ist unterschiedlich. 5. Die Absätze 3 und 4 stellen klar, daß Entscheidungen nach Abs. 1 und Abs. 2 sich auch auf solche Rechtsstellungen und Rechte beziehen, die der Verurteilte bereits innehat. Der Verlust dieser Rechtsstellungen und Rechte ist zwingend. Zu beachten ist lediglich der Vorbehalt des Abs. 4, der sich auf § 47 Abs. 1 Nr. 2 Bundeswahlgesetz bezieht. Nach dieser Vorschrift entscheidet über den Verlust der Mitgliedschaft im Bundestag als Folge des Verlusts der Wählbarkeit infolge eines Gerichtsurteils der Vorstand des Bundestags.
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Strafen
§§ 33, 33
6. Der Verlust des Wahl- und Stimmrechts ist nur unter engen Voraussetzungen and nur zeitlich begrenzt möglich (vgl. Abs. 5). Lediglich die §§ 92 a Nr. 3, 101 Abs. 1 Nr. 3, 104b Abs. 1 und § 109i Nr. 2 sehen diese Rechtsfolge vor. Die Entscheidung steht im E r m e s s e n des Gerichts. 7. I m Urteilstenor müssen die Nebenfolgen des § 31 nur in den Fällen erscheinen, in denen die Entscheidimg im Ermessen des Gerichts steht, nämlich bei Abs. 2 und Abs. 5. I m Falle des Abs. 1, wo es sich um zwingendes Recht handelt, bedarf es dagegen keiner ausdrücklichen Erwähnung im Urteil. § 33 [Eintritt und Berechnung? des Verlustes] (1) Der Verlust der Fähigkeiten, Rechtsstellungen und Rechte wird mit der Rechtskraft des Urteils wirksam. (2) Die Dauer des Verlustes einer Fähigkeit oder eines Rechtes wird von dem Tage an gerechnet, an dem die Freiheitsstrafe verbüßt, verjährt oder erlassen ist. Ist neben der Freiheitsstrafe eine freiheitsentziehende Maßregel der Sicherimg und Besserung angeordnet worden, so wird die Frist erst von dem Tage an gerechnet, an dem auch die Maßregel erledigt ist. (3) War die Vollstreckung der Strafe, des Strafrestes oder der Maßregel gerichtlich oder i m Gnadenwege ausgesetzt, so wird in die Frist die Zeit der Aussetzung eingerechnet, wenn nach deren Ablauf die Strafe oder der Strafrest erlassen wird oder die Maßregel erledigt ist. 1. Die Regelung des Abs. 1 bezieht sich auf jede Art des Verlusts nach § 31, gleichgültig, ob er befristet (§ 31 Abs. 1, 2 und 5) oder endgültig ist (§ 31 Abs. 3 und 4), während die Abs. 2 und 3 nur den befristeten Verlust betreffen. 2. Da die die Aberkennung von Fähigkeiten und Rechten begrenzenden Fristen gemäß Abs. 2 erst zu laufen beginnen, wenn die Freiheitsstrafe verbüßt ist, sind einem zu lebenslanger Freiheitsstrafe Verurteilten die in § 31 Abs. 1 bezeichneten Fähigkeiten praktisch auch lebenslang aberkannt. Die in § 31 Abs. 1 enthaltene zeitliche Beschränkung wird in diesem Falle nicht wirksam. 3. Beispiel: Der Beamte A wird wegen einer schweren passiven Bestechimg unter Zubilligung mildernder Umstände zu einer Freiheitsstrafe von 10 Monaten verurteilt. Außerdem wird ihm gemäß §§ 358, 31 Abs. 2 auf die Dauer von 3 Jahren die Fähigkeit aberkannt, öffentliche Ämter zu bekleiden. Verbüßt er die Strafe voll, so beginnt die dreijährige Frist mit der Entlassung aus der Strafanstalt (Abs. 2 Satz 1). Wird ihm dagegen nach einer Verbüßung von 7 Monaten der Strafrest gemäß § 26 auf zwei Jahre zur Bewährung ausgesetzt, so beginnt die Laufzeit der Amtsunfähigkeit erst mit dem endgültigen Erlaß der Strafe gemäß §§ 26 Abs. 3, 25a Abs. 1. Wird der Strafrest nach dem Ende der Bewährungszeit erlassen, so wird'nach Abs. 3 die Bewährungszeit auf die Dauer der Amtsunfähigkeit angerechnet, so daß die Fähigkeit, ein öffentliches Amt zu bekleiden, vom Ende seiner Bewährungszeit an noch ein J a h r aberkannt bleibt. A kann sich also 3 Monate früher um ein neues öffentliches Amt bewerben, als wenn er die Strafe voll verbüßt hätte. § 3 3 [Wiederverleihungr von Fähigkeiten und Rechten] (1) Das Gericht kann nach § 31 Abs. 1, 2 verlorene Fähigkeiten und nach § 31 Abs. 5 verlorene Rechte wiederverleihen, wenn 1. der Verlust die Hälfte der Zeit, für die er dauern sollte, wirksam war und 2. zu erwarten ist, daß der Verurteilte künftig keine vorsätzlichen Straftaten mehr begehen wird.
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§§ 34 — 37
Strafgesetzbuch
(2) In die Fristen wird die Zeit nicht eingerechnet, in welcher der Verurteilte auf behördliche Anordnung in einer Anstalt verwahrt worden ist. 1. Die Entscheidung nach § 33, die im Ermessen des Gerichts steht, dient der K e s o z i a l i s i e r u n g des Verurteilten. 2. Formelle Voraussetzung f ü r eine vorzeitige Wiederverleihung der nach § 31 Abs. 1, 2 oder 5 aberkannten Fähigkeiten und Rechte ist, daß der Verlust bereits mindestens die Hälfte der ursprünglich vorgesehenen Frist wirksam gewesen ist (Abs. 1 Nr. 1). Wegen der Berechnung der Frist siehe § 32 Abs. 2 und 3 sowie § 33 Abs. 2. 3. M a t e r i e l l e V o r a u s s e t z u n g ist eine günstige Täterprognose. 4. Die Wiederverleihung bezieht sich nicht auf solche Rechte und Rechtsstellungen, die der Täter bereits vor der Verurteilung innegehabt, aber als Folge des Verlusts der Amtsfähigkeit und der Wählbarkeit nach § 31 Abs. 3 und 4 eingebüßt hat. U m solche Rechte und Rechtsstellungen muß er sich neu bemühen. Die Möglichkeit einer Wiederverleihung im G n a d e n w e g wird hierdurch allerdings nicht berührt. § § 3 4 — 3 6 [aufgehoben durch das 1. StrRG]
§ 3 7
[Fahrverbot]
(1) Wird jemand wegen einer strafbaren Handlung, die er bei oder im Zusammenhang mit dem Führen eines Kraftfahrzeugs oder unter Verletzung der Pflichten eines Kraftfahrzeugführers begangen hat, zu einer Freiheitsstrafe oder einer Geldstrafe verurteilt, so kann i h m das Gericht für die Dauer von einem Monat bis zu drei Monaten verbieten, i m Straßenverkehr Kraftfahrzeuge jeder oder einer bestimmten Art zu führen. Ein Fahrverbot ist in der Regel anzuordnen, wenn in den Fällen einer Verurteilung nach § 315c Abs. 1 Nr. 1 Buchstabe a, Abs. 3 oder § 316 die Entziehung der Fahrerlaubnis nach § 42 m unterbleibt. (2) Darf der Täter nach den für den internationalen Kraftfahrzeugverkehr geltenden Vorschriften i m Inland Kraftfahrzeuge führen, ohne daß ihm von einer deutschen Behörde ein Führerschein erteilt worden ist, so ist das Fahrverbot nur zulässig, w e n n die Tat gegen Verkehrsvorschriften verstößt. (3) Das Fahrverbot wird mit der Rechtskraft des Urteils wirksam. Für seine Dauer wird ein von einer deutschen Behörde erteilter Führerschein amtlich verwahrt. In ausländischen Fahrausweisen wird das Fahrverbot vermerkt. (4) Ist ein Führerschein amtlich zu verwahren oder das Fahrverbot in einem ausländischen Fahrausweis zu vermerken, so wird die Verbotsfrist erst von dem Tage an gerechnet, an dem dies geschieht. In die Verbotsfrist wird die Zeit nicht eingerechnet, in welcher der Täter auf behördliche Anordnung in einer Anstalt verwahrt wird. I. Die durch das 2. VerkSichG vom 26. 11. 1964 eingefügte, zuletzt durch das Ges. v. 20. 7. 1973 geänderte Vorschrift enthält, wie sich schon aus der Stellung im Gesetz ergibt, eine echte Nebenstrafe. Sie bietet die Möglichkeit, leichtsinnige und nachlässige Kraftfahrer, die durch erhebliche Verkehrsverstöße oder besondere Unzuverlässigkeit im Zusammenhang mit dem Führen von Kraftfahrzeugen in Erscheinung getreten sind, ohne daß man jedoch schon von einer mangelnden Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen sprechen kann, in der Form eines „Denkzettels" (amtl. Begründung) eindringlich auf ihre Pflichten im Straßenverkehr hinzuweisen.
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Strafen
§ 3 7
Das Fahrverbot (FV) des § 37 und die Fahrerlaubnisentziehung (FE) gemäß § 42m schließen sich grundsätzlich aus. H a t sich der Täter durch die T a t als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen erwiesen, so ist ihm gemäß § 42 m die Fahrerlaubnis zu entziehen. Ein F V neben einer F E ist praktisch nur f ü r den Fall denkbar, daß der Täter ohnehin nur eine gemäß § 42n Abs. 2 beschränkte Fahrerlaubnis besitzt. Beispiel: Dem Landwirt L wird wegen Trunkenheit am Steuer seines P K W die Fahrerlaubnis gemäß § 42m entzogen. Gemäß § 42n Abs. 1 wird eine Sperrfrist von 1 J a h r festgesetzt. Mit Rücksicht auf die Erfordernisse der von L betriebenen Landwirtschaft nimmt das Gericht jedoch gemäß § 42n Abs. 2 landwirtschaftliche Fahrzeuge von der Sperre aus. L erhält daraufhin vom Landratsa m t eine neue Fahrerlaubnis f ü r Fahrzeuge der Führerscheinklasse 4, beschränkt auf Kraftfahrzeuge mit einer Höchstgeschwindigkeit von 20 km/h. Wenig später verschuldet er mit seinem Traktor einen Unfall, der ein F V erfordert. II. Die Voraussetzungen im einzelnen: 1. Der Täter muß eine strafbare Handlung begangen haben. § 37 entfällt daher, wenn der Täter sich auf einen Rechtfertigungs- oder Schuldausschließungsgrund (z.B. § 51 Abs. 1) berufen kann. Nachdem die Verkehrsübertretungen durch Art. 3 des EGOWiG vom 24. 5. 1968 aus dem Bereich der strafbaren Handlungen herausgenommen und zu Ordnungswidrigkeiten umgewandelt wurden, fallen sie nicht mehr unter den Anwendungsbereich des § 37. U m auch weiterhin ein F V aussprechen zu können, wurde die Materie in § 25 StVG einer gesonderten Regelung unterzogen, die jedoch sachlich im wesentlichen dem § 37 StGB entspricht. Ein Unterschied besteht lediglich insofern, als bei Ordnungswidrigkeiten ein F V nur bei „groben oder beharrlichen" Verkehrsverstößen zulässig ist ( s.u. I I I 2), während § 37 diese Einschränkung nicht enthält (vgl. B G H DAR 1972, 246). Die Verfassungsmäßigkeit des § 25 StVG ist inzwischen durch das BVerfG bestätigt worden (vgl. N J W 1969, 1623). 2. Die strafbare Handlung muß entweder beim Führen eines Kraftfahrzeugs oder im Zusammenhang damit oder unter Verletzung der Pflichten eines Kfz-Führers begangen worden sein. a) Als K r a f t f a h r z e u g gilt jedes Fahrzeug i.S. der §§ 1 Abs. 2 StVG, 4 StVZO, also auch Mopeds und die nicht führerscheinpflichtigen sog. Mofas (vgl. BGH VerkMitt. 1972 Nr. 25). b) Zu den strafbaren Handlungen beim F ü h r e n v o n K r a f t f a h r z e u g e n gehören insbesondere alle Verkehrsvergehen nach dem StGB, z.B. fahrlässige Tötung, fahrlässige Körperverletzung, Unfallflucht sowie alle Formen der Straßenverkehrsgefährdung, außerdem die in den strafrechtlichen Nebengesetzen enthaltenen Verkehrsvergehen, z.B. Fahren mit einem nicht versicherten Fahrzeug (§6PflVersG). Für die Verkehrsordnungswidrigkeiten ist § 25 StVG zu beachten (s.o. I I 1). Als „ F ü h r e n " gelten alle nach §§2 StVG, 4 StVZO führerscheinpflichtigen Vorgänge. Hierher gehört nach der Rspr. nicht nur das eigentliche Fahren mit Motorkraft. Es genügt vielmehr schon, daß jemand in der Absicht, das Fahrzeug in Bewegung zu setzen, das Fahr- oder Triebwerk betätigt, z.B. durch Lösen der H a n d bremse, Einschalten der Zündung oder Betätigung des Anlassers (BGH 7, 315). Auch das Rollenlassen eines Kfz auf abschüssiger Straße ist eine führerscheinpflichtige Teilnahme am Straßenverkehr (BGH 14, 185, Maurach AT 907; a . A . Schönke-Schröder § 42m R n . 14, der in diesen Fällen jedoch auf die Alternative „Verletzung der Pflichten eines Kfz-Führers" zurückgreift). c) I m Z u s a m m e n h a n g mit dem Führen eines Kfz ist eine Tat z.B. dann begangen, wenn der Täter das K f z zur Begehung vorsätzlicher Taten wie Diebstahl, Zollvergehen oder Sittlichkeitsdelikten benutzt. Zum Ganzen siehe auch § 42 m Anm. I I 1 a.
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§37
Strafgesetzbuch
d) Eine V e r l e t z u n g d e r P f l i c h t e n e i n e s K f z - F ü h r e r s liegt z.B. vor, wenn ein Kfz-Führer einem betrunkenen Beifahrer das Steuer seines Fahrzeugs überläßt (vgl. BGH VerkMitt. 1963 Nr. 93). Das gleiche gilt für die Überlassung eines Kfz an eine Person ohne Führerschein und Verstöße gegen das PflVersG (vgl. Hamm VSR 12,272; Braunschweig VRS 18, 342 sowie OVG Lüneburg DAR 1972, 65). Auch Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte bei Entnahme einer Blutprobe kann hierher gerechnet werden (OLG H a m m VRS 8, 46). 3. Anliegen des durch Gesetz v. 20. 7. 1973 (BGBl. I 870) neu eingefügten Abs. 1 Satz 2 ist es, die Fälle befriedigend zu erfassen, in denen sich der Täter einer fahrlässigen Straßenverkehrsgefährdung durch Trunkenheit am Steuer oder einer folgenlosen Trunkenheitsfahrt (§§ 315 c Abs. 1 Nr. 1 a, Abs. 3, 316) schuldig gemacht hat, das Gericht ihn aber ausnahmsweise — obwohl ein. sog. Regelfall i.S. von § 42 m Abs. 2 vorliegt — nicht als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen hält und deshalb von einem Entzug der Fahrerlaubnis absieht. Hierher gehören vor allem die in Anm. I I 1 b zu § 42 m aufgeführten Beispiele. Die neuen Bestimmungen dürfen jedoch nicht dazu führen, daß die Gerichte in Zukunft in allen „Härtefällen" auf den Ausspruch eines FV „ausweichen", obwohl ein Regelfall i.S. von § 42 m Abs. 2 vorliegt. Das sog. 0,8-Promillegesetz, auf das § 37 Abs. 1 S. 2 zurückgeht, wollte keinesfalls eine Aufweichung der bisherigen Rspr. zu § 42 m ermöglichen, sondern im Gegenteil den Komplex der Trunkenheit am Steuer wegen seiner besonderen Sozialschädlichkeit fester als bisher unter Kontrolle bringen. Deshalb ist in allen Fällen, in denen bisher gemäß § 42 m auf F E erkannt wurde, auch in Zukunft auf diese Maßregel zu erkennen. 4. Der Täter muß aus Anlaß der Tat zu einer Freiheits- oder Geldstrafe verurteilt worden sein. G e l d b u ß e n nach dem OWiG führen nur unter den Voraussetzungen der §§ 25, 25 a StVG zu einem Fahrverbot. Über die Möglichkeit eines FV gegen Jugendliche und Heranwachsende, gegen die nach J u g e n d s t r a f r e c h t nur Erziehungsmaßregeln und Zuchtmittel verhängt werden, siehe §§ 75 Abs. 1, 76 Abs. 1 JGG. Kein FV kann ausgesprochen werden, wenn das Gericht ungeachtet des Schuldspruchs von Strafe absieht (z.B. bei straf befreiender tätiger Reue in den Fällen der §§ 315 Abs. 6, 316b Abs. 6, 316a Abs. 2) oder wenn die Strafverfolgung verjährt ist. III. Ausspruch und Dauer des Fahrverbots. 1. Das FV kann sowohl durch Urteil als auch im Strafbefehlsverfahren ausgesprochen werden (§ 407 Abs. 2 Nr. 1 StPO). Auch im StrafverfSgungsverfahren ist der Ausspruch zulässig (§ 413 Abs. 2 StPO). Nachdem allerdings die früheren Verkehrsübertretungen jetzt als Ordnungswidrigkeiten durch Bußgeldbescheid geahndet werden, hat das Strafverfügungsverfahren für das FV nur noch geringe Bedeutung, z.B. für den Fall, daß jemand zur Nachtzeit mit seinem Kfz ruhestörenden Lärm verursacht. (Siehe hierzu die unter Anm. l b zu § 360 Nr. 11 gebrachten Beispiele.) I m Jugendgerichtsverfahren kann das FV sowohl durch jugendrichterliche Verfügung (§75 Abs. 1 JGG) als auch im vereinfachten Jugendverfahren (§76 Abs. 1 JGG) angeordnet werden. 2. Die Verhängung des FV steht im pflichtgemäßen Ermessen des Gerichts. Durch § 25 StVG ist klargestellt worden, daß im Verfahren wegen einer Verkehrsordnungswidrigkeit (bei Verkehrsvergehen gelten die sich aus § 25 StVG ergebenden Beschränkungen nicht, vgl. BGH 24, 348) nur grobe „oder beharrliche" Verkehrsverstöße oder Pflichtverletzungen eines Kfz-Führers zu einem FV führen können. Ein grober Verstoß, der „in der Regel" zu einem FV führt, liegt vor, wenn der Betroffene ein Kraftfahrzeug geführt hat, obwohl seine Blutalkoholkonzentration die 0,8-Promille-Grenze erreicht oder überschritten hatte (vgl. § 25 Abs. 1 S. 2 StVG
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Strafen
§ 3 7
i.V. mit § 24 a StVG, abgedruckt nach § 316 StGB). Aber auch sonst kann schon eine einmalige Pflichtverletzung die Verhängung eines FV rechtfertigen, wenn der Verkehrsverstoß wegen besonderer Gefahrenträchtigkeit auf einen erhöhten Grad an Leichtfertigkeit des Kraftfahrers schließen läßt, z. B. wenn ein Kraftfahrer zu verkehrsreicher Zeit auf einer Ausfallstraße die hochstzulässige Geschwindigkeit von 50 km/h um 32 km/h überschritten hat (Hamm DAR 1969, 187) oder wenn er, u m sein repariertes Fahrzeug zu testen, in geschlossener Ortschaft eine längere Strecke mit 100 km/h gefahren ist (Hamm VerkMitt. 1970 Nr. 35). Nach dem bundeseinheitlichen Bußgeldkatalog ist bei einer Ordnungswidrigkeit neben der Geldbuße ein Fahrverbot außer in den bereits erörterten Fällen (erhebliche Geschwindigkeitsüberschreitung) in der Regel dann auszusprechen, wenn ein K r a f t f a h r e r an unübersichtlichen Stellen unter Nichtbeachtung eines Überholverbotszeichens oder einer ununterbrochenen weißen Linie verbotswidrig überholt, wenn er an Fußgängerüberwegen falsch überholt oder vorbeifährt oder wenn er auf einer Autobahn verbotswidrig wendet oder rückwärts fährt. (Aus dem Schrifttum hierzu siehe besonders Janiszewski DAR 1970, 85.) Ungeachtet des Bußgeldkatalogs darf jedoch von der Möglichkeit des FV erst dann Gebrauch gemacht werden, wenn nach der Überzeugung dos Gerichts feststeht, daß der mit dieser Nebenstrafe angestrebte Erfolg — die Spezialprävention — im Einzelfall auch mit einer empfindlichen und im Wiederholungsfall auch mit einer verschärften Geldstrafe nicht erreicht werden kann (vgl. BVerfG VerkMitt. 1969 Nr. 116, H a m m VerkMitt. 1971 Nr. 38.) Andererseits kann auch ein erstmaliger Verkehrsverstoß eines Kraftfahrers, der seit Jahrzehnten die Fahrerlaubnis besitzt, ein FV rechtfertigen, wenn der Verkehrsverstoß besonders gefahrenträchtig war und auf eine besondere Verantwortungslosigkeit schließen läßt (vgl. Ddf VerkMitt. 1971 Nr. 117 betr. Verkehrsbehinderung durch Zurücksetzen, Anhalten und Wendeversuch auf einem BAB-Verteilerring). Da das FV eine echte Nebenstrafe ist (s.o. I), sind bei der Entscheidimg über seinen Anspruch alle S t r a f z w e c k e zu berücksichtigen, so auch der Strafzweck der Abschreckung anderer (sog. Generalprävention, vgl. BayObLG VRS 32, 347). I m Vordergrund müssen jedoch spezialpräventive Gesichtspunkte stehen (Hamm VerkMitt 1970 Nr. 35). 3. Die Dauer des FV beträgt mindestens 1 Monat, höchstens 3 Monate. Es unterscheidet sich dadurch wesentlich von der F E gemäß § 42 m, die mit einer Sperrfrist von mindestens 6 Monaten verbunden ist. Die Höchstdauer von 3 Monaten kommt z. B. dann in Betracht, wenn ein Kraftfahrer die höchstzulässige Geschwindigkeit wiederholt erheblich überschritten hat (vgl. Ddf VerkMitt. 1971 Nr. 89) oder wenn ein Kraftfahrer durch dichtes Auffahren auf seinen Vordermann bei hoher Geschwindigkeit und über eine längere Strecke die Freigabe der Überholfahrbahn erzwingt (vgl. Ddf VerkMitt. 1972 Nr. 92). War dem Beschuldigten im Ermittlungsverfahren die Fahrerlaubnis gemäß § 111 a StPO vorläufig entzogen worden, so ist die Dauer der vorläufigen F E gemäß § 60 Abs. 4 auf das FV ganz oder teilweise grundsätzlich anzurechnen. Dasselbe gilt, wenn der Führerschein vor der Entscheidung über das F V oder die F E in amtliche Verwahrung genommen, sichergestellt oder beschlagnahmt worden war, ohne daß ein förmlicher Gerichtsbeschluß nach § l i l a StPO ergangen war (vgl. § 60 Abs. 4 S. 2 i.V. mit § 42n Abs. 6). Es ist in diesen Fällen sogar denkbar, daß das ausgesprochene FV nur noch deklaratorische Bedeutung hat, z.B. wenn ein F V ausgesprochen wird, das durch die vorläufige F E oder Sicherstellung des Führerscheins als verbüßt gilt. Auch wenn der Verurteilung m e h r e r e r e c h t l i c h s e l b s t ä n d i g e H a n d l u n g e n zugrunde liegen, kann das FV nur bis zu einer Höhe von 3 Monaten ausgesprochen werden (vgl. Schönke-Schröder Rn. 18, 28). Erscheinen 3 Monate FV 9 Petters-Preisendanz, StGB, 28. Aua.
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§ 3 ?
Strafgesetzbuch
nicht ausreichend, so ist an eine F E gemäß § 42 m zu denken, sofern sich ein entsprechender Eignungsmangel nachweisen läßt. IV. Wirkung des Fahrverbots, Berechnung der Verbotsfrist. 1. Gem. § 37 Abs. 3 wird das FV mit der R e c h t s k r a f t des Urteils (Strafbefehls, Strafverfügung) wirksam. Der Führerschein wird jedoch — anders als bei der F E des § 42m — nicht eingezogen, sondern lediglich a m t l i c h v e r w a h r t (Abs. 3 S. 2). 2. Die V e r b o t s f r i s t wird erst von dem Tage an gerechnet, an dem der Verurteilte seinen Führerschein, in amtliche Verwahrung gegeben hat. Versäumt er es, seinen Führerschein nach Rechtskraft des Urteils (Strafbefehls usw.) unverzüglich in amtliche Verwahrung zu geben, so läuft er Gefahr, daß sich die festgesetzte Verbotsfrist zu seinem Nachteil automatisch verlängert. Sie beginnt nämlich, wie dargelegt, schon mit Eintritt der Rechtskraft, wird aber erst von dem Tag an gerechnet, an dem der Führerschein in amtliche Verwahrung genommen werden kann. Durch diese Regelung soll verhindert werden, daß der Verurteilte durch eine planmäßige Verzögerung der Herausgabe seines Führerscheins die Wirkungen des F V praktisch umgeht. Bei der jetzigen gesetzlichen Regelung aber h a t er ein Interesse daran, seinen Führerschein möglichst schon am Tage der Rechtskraft in amtliche Verwahrung zu geben. U m ihn vor unbegründeten Nachteilen, die sich aus der Berechnung der Verbotsfrist ergeben können, möglichst zu bewahren, ist er gem. § 268c StPO über den Beginn der Verbotsfrist zu b e l e h r e n (siehe auch §§ 409 Abs. 1 S. 2 StPO, 25 Abs. 7 StVG). 3. Die Zeit, während der der Verurteilte sich aufgrund einer behördlichen Anordnung in einer Anstalt befindet (z.B. zur Verbüßung einer Freiheitsstrafe), wird in die Verbotsfrist nicht eingerechnet (Abs. 4 S. 2). F ü r das FV bei Verkehrsordnungswidrigkeiten ergibt sich eine entsprechende Regelung aus § 26 Abs. 4 S. 2 StVG. 4. War dem Verurteilten vor der Entscheidung über das F V gemäß § 111 a StPO die Fahrerlaubnis vorläufig entzogen worden oder befand sich sein Führerschein sonst schon in amtlicher Verwahrung, so ist die Zeit v o r Erlaß des Urteils (Strafbefehls usw.), wie oben unter I I I 3 erwähnt, gemäß § 60 Abs. 4 grundsätzlich ganz oder teilweise anzurechnen. Dem Beschuldigten ist dabei gleichzeitig mit der Entscheidung über das F V der Führerschein bis zur Rechtskraft grundsätzlich wieder auszuhändigen (§ l i l a Abs. 5 S. 1 StPO). Das Gericht kann jedoch, wenn es eine Verbotsfrist ausspricht, die noch nicht durch die Zeit der vorläufigen F E verbüßt ist, die R ü c k g a b e a u f s c h i e b e n , wenn der Beschuldigte dem nicht widerspricht (§ l i l a Abs. 5 S. 2 StPO). Der Beschuldigte wird diese Regelung vor allem dann akzeptieren, wenn er beabsichtigt, gegen das Urteil (Strafbefehl, Bußgeldbescheid usw.) kein Rechtsmittel einzulegen. In diesem Fall ist die Zeit zwischen Erlaß und Rechtskraft der Entscheidung gem. § 450 Abs. 3 StPO unverkürzt anzurechnen. Besteht der Verurteilte auf Rückgabe des Führerscheins und legt er gleichzeitig Rechtsmittel ein, so kann er bis zum Eintritt der Rechtskraft von seiner Fahrerlaubnis rechtmäßig Gebrauch machen. V. Eine Beschränkung des FV auf Fahrzeuge bestimmter Arten ist nach Abs. 1 möglich, kommt aber nur als Ausnahme in Betracht, z.B. um einem Landwirt,der bei einer Vergnügungsfahrt einen schweren Unfall verschuldet hat, die Möglichkeit zu geben, wenigstens noch seine landwirtschaftlichen Nutzfahrzeuge zu führen, ihm andererseits aber doch einen „Denkzettel" zu verabfolgen, indem man ihm die Benutzung aller übrigen Fahrzeuge verbietet. Die „Fahrzeugart" bestimmt sich nach dem Verwendungszweck des Fahrzeugs. Unzulässig ist es dagegen, das Eigentum an einem Fahrzeug als Bestimmungsmerkmal der Fahrzeugart aufzufassen (vgl. Saarbrücken N J W 1970, 1053).
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Strafen
§ 3 7
VI. Bei ausländischen Führerscheinen sind — ähnlich wie bei der F E gemäß § 42m — folgende Besonderheiten zu beachten: 1. Ein F V kann gem. § 37 Abs. 2 nur bei Verstößen gegen Verkehrsvorschriften ausgesprochen werden, nicht auch bei solchen Delikten, die nur im Zusammenhang mit dem Führen eines Fahrzeugs begangen wurden oder gegen sonstige Pflichten eines Kfz-Führers verstoßen (s.o. I I 2c, d). 2. Das F V wird in dem ausländischen Fahrausweis lediglich vermerkt (Abs. 3 S. 3); der Führerschein wird also n i c h t a m t l i c h v e r w a h r t . Die Verbotsfrist beginnt mit dem Tage der Eintragung. Zum Zwecke der Eintragung kann der Führerschein beschlagnahmt werden (§ 463b Abs. 2 StPO). 3. F ü r die Verkehrsordnungswidrigkeiten sieht § 25 Abs. 3 StVG eine dem § 37 entsprechende Regelung vor. VII. Zuwiderhandlungen gegen ein FV nach § 37 StGB oder § 25 StVG sind nach § 21 StVG als V e r g e h e n unter Strafe gestellt. Unter den dort näher bestimmten Voraussetzungen ist auch die E i n z i e h u n g des Fahrzeugs zulässig. VIII. Ein FV wird nicht dadurch ausgeschlossen, daß in einem anderen Verfahren bereits wegen einer anderen Straftat ein F V ausgesprochen wurde (vgl. SchönkeSchröder E n . 26f.). Dies kann zur Folge haben, daß der betroffene Kraftfahrer insgesamt länger als 3 Monate kein Fahrzeug führen darf. I m Falle einer nachträglichen G e s a m t s t r a f e n b i l d u n g gemäß §§ 76 StGB, 460 StPO darf jedoch eine Verbotsfrist von 3 Monaten insgesamt nicht überschritten werden (vgl. Schönke-Schröder § 37 R n . 27). IX. Prozessual ist folgendes zu beachten: a) Sowohl im Strafverfahren als auch im Bußgeldverfahren nach dem OWiG muß der Angeklagte bzw. Betroffene gemäß § 265 StPO auf die Möglichkeit der Verhängung eines FV hingewiesen werden, wenn diese Nebenfolge in der Anklage (Strafbefehl) bzw. im Bußgeldbescheid vorher noch nicht angedroht oder verhängt worden war (vgl. H a m m MDR 1971, 776; Stgt VerkMitt. 1972 Nr. 112 in entsprechender Anwendung von § 265 Abs. 2 StPO). Wegen der unterschiedlichen Voraussetzungen gilt dies auch dann, wenn der Angeklagte zuvor auf die Möglichkeit einer F E gemäß § 42 m hingewiesen worden war (a. A. Ddf VerkMitt. 1973 Nr. 16). b) I m Rechtsmittelverfahren ist eine Beschränkung des Rechtsmittels auf die Verhängung des FV nur dann möglich, wenn im Einzelfall kein innerer Zusammenhang mit der ausgesprochenen Strafe oder Geldbuße besteht (vgl. Celle N J W 1969, 1187; Schäfer L K 39; Dreher 7; Lackner-Maassen 7). Wegen der bestehenden Wechselwirkung zwischen Strafe (Buße) und Nebenstrafe bzw. Nebenfolge (siehe hierzu vor allem BGH 24, 11) wird dies allerdings n u r ganz ausnahmsweise der Fall sein (vgl. Händel N J W 1971, 1473). c) Wird dem Täter in I. Instanz gemäß § 42 m die Fahrerlaubnis entzogen, so steht das Veschlechterungsverbot der §§ 331, 358 Abs. 2 StPO (sog. Verbot der reformatio in peius) dem Aussprach eines FV in der Berufungsinstanz oder — nach Zurückverweisung durch das Revisionsgericht — in der erneuten Hauptverhandlung nicht entgegen (vgl. C r a m e r N J W 1968, 1764; st. Rspr., vgl. BGH VRS 40, 54). Das FV ist zwar im Gegensatz zur F E keine Sicherungsmaßregel, sondern eine echte Nebenstrafe. Beide Institutionen sind aber in ihrer praktischen und kriminalpolitischen Zielsetzung so wesensähnlich, daß man das FV nicht als ein völlig andersartiges, sondern als ein milderes Reaktionsmittel ansehen muß. d) Wird ein neben einer Geldstrafe oder Geldbuße angeordnetes FV in der Rechtsmittelinstanz aufgehoben, so ist der erneut mit der Sache befaßte Tatrichter durch das Verschlechterungsverbot nicht gehindert, die ursprünglich festgesetzte Geld9*
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§§ 38, 39
Strafgesetzbuch
strafe oder Geldbuße angemessen zu erhöhen (vgl. BGH 24, 11; Hamm Ve rkMitt. 1971 Nr. 38; Köln VerkMitt. 1971 Nr. 48; Hbg MDR 1971, 510; a.A. Peters J R 1971, 251. § 38
[Polizeiaufsicht]
(1) Neben einer Freiheitsstrafe kann in den durch das Gesetz vorgesehenen Fällen auf die Zulässigkeit von Polizeiaufsicht erkannt werden. (2) Die höhere Landespolizeibehörde erhält durch ein solches Erkenntnis die Befugnis, nach Anhörung der Strafvollzugsverwaltung den Verurteilten auf die Zeit von höchstens fünf Jahren unter Polizeiaufsicht zu stellen. (3) Diese Zeit wird von dem Tage an berechnet, an welchem die Freiheitsstrafe verbüßt, verjährt oder erlassen ist. 1. Die Polizeiaufsicht ist keine Nebenstrafe, sondern eine Sicherungsmaßregel (BGH 18, 66) und untersteht als solche nicht dem Rückwirkungsverbot (vgl. § 2 Abs. 4 sowie BGH 24, 103). Sie kann gem. Abs. 1 nur neben einer Freiheitsstrafe und nur in bestimmten, vom Gesetz ausdrücklich vorgesehenen Fällen f ü r zulässig erklärt werden, z. B. bei schwerem Diebstahl, Raub und Erpressung, sofern auf Freiheitsstrafe von mindestens 1 J a h r erkannt worden ist (§§ 248, 256). Gegen J u g e n d l i c h e ist die Polizeiaufsicht unzulässig (§ 6 JGG). 2. Die Entscheidung über die Zulässigkeit der Polizeiaufsicht steht im Ermessen des Gerichts. Siehe hierzu BGH 18, 66. 3. Durchführung, Art und Dauer der Polizeiaufsicht stehen im pflichtgemäßen Ermessen der höheren Landespolizeibehörde, der gemäß § 58 StrafvollstrO das Urteil, auf dem die Zulässigkeit der Polizeiaufsicht beruht, mitzuteilen ist. § 38 Abs. 2 bestimmt lediglich, daß die Dauer von f ü n f J a h r e n nicht überschritten werden darf. Gegen die Verfügung der höheren Landespolizeibehörde (als solche kommen z.B. die Regierungspräsidien in Bad.-Wttbg. in Betracht) ist als Rechtsmittel die Anfechtungsklage vor dem Verwaltungsgericht zulässig. 4. Die Wirkungen der Polizeiaufsicht ergeben sich aus § 39. 5. Das 2. StrRG hat die Polizeiaufsicht durch die neue Maßregel der Führungsaufsicht ersetzt (vgl. §§ 68 ff.), von der man sich eine größere praktische Wirkung verspricht. § 39
[Wirkung: der Polizeiaufsicht]
Die Polizeiaufsicht hat folgende Wirkungen: 1. D e m Verurteilten kann der Aufenthalt an einzelnen bestimmten Orten von der höheren Landespolizeibehörde untersagt werden; 2. Haussuchungen unterliegen keiner Beschränkung hinsichtlich der Zeit, zu welcher sie stattfinden dürfen. 1. Das Aufenthaltsverbot (Nr. 1) erstreckt sich nicht nur auf bestimmte Straßen, Stadtteile, Dirnenunterkünfte oder Wirtshäuser, sondern kann sich auch auf ganze Ortschaften, selbst auf den Heimatort des Verurteilten beziehen. V e r s t ö ß e gegen die dem Verurteilten auferlegten Beschränkungen können gem. § 361 Nr. 1 bestraft werden. 2. Haussuchungen (Nr. 2) unterliegen entgegen § 104 StPO keiner zeitlichen Beschränkung. Siehe ferner §§ 103 I I , 105 I I , 106 I I , 113 StPO, 43, 57, 62 GewO, 17 I I Nr. 3 BJagdG, 15 I I Nr. 4 WaffenG sowie § 5 PresseG.
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Strafen § 40
§ 4©
[Einziehung:]
(1) Ist ein Verbrechen oder ein vorsätzliches Vergehen begangen worden, so können Gegenstände, die durch die Tat hervorgebracht oder z u ihrer Begehung oder Vorbereitung gebraucht worden oder bestimmt gewesen sind, eingezogen werden. (2) Die Einziehung ist nur zulässig, wenn 1. die Gegenstände zur Zeit der Entscheidung dem Täter oder Teilnehmer gehören oder zustehen oder 2. die Gegenstände nach ihrer Art und den Umständen die Allgemeinheit gefährden oder die Gefahr besteht, daß sie der Begehung mit Strafe bedrohter Handlungen dienen werden. (3) Unter den Voraussetzungen des Absatzes 2 Nr. 2 ist die Einziehung der Gegenstände auch zulässig, wenn der Täter nur eine als Verbrechen oder vorsätzliches Vergehen mit Strafe bedrohte Handlung begangen hat. (4) Wird die Einziehung durch eine besondere Vorschrift Uber Absatz 1 hinaus vorgeschrieben oder zugelassen, so gelten die Absätze 2 und 3 entsprechend. I. Die Vorschriften über Einziehung und Unbrauchbarmachung wurden im Vorgriff auf die Große Strafrechtsreform durch Art. 1 des EGOWiG vom 24. 6. 1968 neu gefaßt. Aus dem Schrifttum siehe besonders Bode N J W 1969,1052 sowie Eser, Die strafrechtlichen Sanktionen gegen das Eigentum, 1969. 1. Während nach § 40 a . F . eine Sache nur dann eingezogen werden konnte, wenn sie dem Täter oder Teilnehmer gehörte, ist eine Einziehung jetzt allgemein auch bei t ä t e r f r e m d e n Sachen zulässig, sofern sie die Allgemeinheit gefährden oder die Gefahr besteht, daß sie zur Begehung mit Strafe bedrohter Handlungen benutzt werden. Durch die Einbeziehung täterfremder Gegenstände, wie sie früher nur ausnahmsweise zulässig war (z.B. bei §§ 152, 245a Abs. 3, 295 a.F.), hat § 40 seinen früheren Charakter als reine Nebenstrafe verloren. Die Vorschrift ist jetzt teils Nebenstrafe (soweit sie sich auf tätereigene Sachen bezieht), teils Sicherungsmaßregel (soweit sie sich auf täterfremde Sachen bezieht). 2. I m Gegensatz zu § 40 a. F. unterliegen nicht nur Sachen, d.h. körperliche Gegenstände, der Einziehung, sondern Gegenstände aller Art, d.h. auch Rechte. Dies ergibt sich zweifelsfrei aus der ausdrücklichen Erwähnung der eingezogenen Rechte in §§ 41a und 41 b. Einziehbar sind demnach auch Forderungen, Bankguthaben und dergleichen, soweit sie durch die Tat hervorgebracht oder zu ihrer Begehung oder Vorbereitung gebraucht worden sind (vgl. Meyer J R 1972, 385 f.), ferner Anwaltschaftsrechte des Täters in den Fällen, in denen die Einziehung der Sache selbst nur deshalb nicht möglich ist, weil der Täter die Sache unter Eigentumsvorbehalt gekauft oder nach dem Erwerb einem Dritten zur Sicherung übereignet hat (vgl. BGH 25, 10 mit krit. Anm. Eser J Z 1973, 171; K . Meyer J R 1973, 337). 3. Wie früher ist die Einziehung nach § 40 nicht obligatorisch, sondern fakultativ. Es steht also im pflichtgemäßen E r m e s s e n des Gerichts, ob es die der Einziehimg unterliegende Sache tatsächlich einzieht, auf eine mildere Maßnahme erkennt (siehe hierzu § 40 b Abs. 2) oder ganz von der Einziehung absieht. Die Einziehung ist unzulässig, wenn sie gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verstoßen würde (vgl. § 40b Abs. 1). H. I. a) (sog.
Die Voraussetzungen im einzelnen: Der Einziehung unterliegen Gegenstände, die entweder durch ein vorsätzliches Verbrechen oder Vergehen hervorgebracht wurden producta sceleris) oder 133
§ 40
Strafgesetzbuch
b) zur Begehung oder Vorbereitung eines vorsätzlichen Verbrechens oder Vergehens gebraucht oder bestimmt waren (sog. instrumenta sceleris). Zu a): Nur die u n m i t t e l b a r durch die T a t h e r v o r g e b r a c h t e n Sachen, z . B . gefälschte Urkunden oder Münzen, unterliegen der Einziehung, n i c h t auch die durch die strafbare Handlung e r w o r b e n e n Sachen, z . B . gestohlenes Geld oder gewilderte Tiere. Zu b): Gegenstände, die nur dazu verwendet wurden, um die T a t v o r z u b e r e i t e n , unterliegen wie bisher nur dann der Einziehung, wenn auch die Vorbereitung der T a t selbständig strafbar ist. So ist es zulässig, bei einer Verurteilung wegen Verabredung zum Straßenraub (§ 49a Abs. 2 i.V. mit §§249,250 I N r . I u n d 3 ) die zur Tatbegehung bestimmten Waffen einzuziehen (BGH 13, 311). Siehe auch B G H 8, 205; 22, 108, 111. Praktisch bedeutsam ist die Einziehung von Kraftfahrzeugen. Diese ist nur dann zulässig, wenn der Täter das Fahrzeug als M i t t e l z u r B e g e h u n g e i n e r ü b e r d i e b l o ß e B e n u t z u n g h i n a u s g e h e n d e n S t r a f t a t benutzt h a t , z.B. um die Diebesbeute vom Tatort wegzuschaffen (BGH N J W 1952, 892) oder um das Opfer an einen zur Verübimg eines Sittlichkeitsdelikts geeigneten Ort zu Entführen (BGH N J W 1955, 1327), aber auch zur Begehung von Unfallflucht (BGH 10, 337). Bei Fahren ohne Fahrerlaubnis ist die Sonderregelung des § 21 StVG zu beachten. 2. Der einzuziehende Gegenstand muß entweder a) im Zeitpunkt der Entscheidung dem Täter oder einem Teilnehmer gehören oder zustehen (Abs. 2 Nr. 1) o d e r b) nach Art und Umständen die Allgemeinheit gefährden oder die Gefahr begründen, daß er zur Begehimg einer mit Strafe bedrohten Handlung benutzt werden könnte (Abs. 2 Nr. 2). Zu a): Bei Gegenständen, die dem Täter oder Teilnehmer gehören oder zustehen (Abs. 2 Nr. 1), kommt es nicht darauf an, ob die Maßnahme zum Schutz der Allgemeinheit erforderlich ist. Die Eigentumsverhältnisse richten sich nach bürgerlichem Recht (vgl. BGH 24, 222 m. zust. Anm. K . Meyer J R 1972, 385; Jescheck AT 598; Schäfer L K 29ff.; a.A. Eser a.a.O. 309; Schönke-Schröder R n . 24). Ein vom Täter unter Eigentumsvorbehalt gekaufter oder zur Sicherung übereigneter P K W kann deshalb nur unter den engeren Voraussetzungen des Abs. 2 N r . 2 oder des § 40 a eingezogen werden. Liegen diese Voraussetzungen nicht vor, so kann nur die Anwartschaft des Täters auf Erwerb des Eigentums an der Sache eingezogen werden (BGH 25, 10 mit krit. Anm. Eser J Z 1973, 171; K . Meyer J R 1973, 337). Die Formulierung „Gegenstände, die dem Täter oder Teilnehmer . . . zustehen" bezieht sich auf einzuziehende Rechte (s.o. I 2). Zu b): Abs. 2 Nr. 2 dient dem Schutz der Allgemeinheit vor weiteren Straftaten und sonstigen Gefahren, die von den zu einer bereits begangenen S t r a f t a t verwendeten oder aus ihr hervorgegangenen Gegenständen drohen. Hierher gehören z. B. gefälschte Urkunden, Diebeswerkzeuge, pornographische Bilder oder Rauschgift. Die E i g e n t u m s v e r h ä l t n i s s e sind dabei grundsätzlich u n e r h e b l i c h . Wegen der Möglichkeit einer E n t s c h ä d i g u n g siehe unten § 41c. m . Abs. 3 hat den Charakter einer reinen Sicherungsmaßregel. Die Vorschrift bringt unter den Voraussetzungen des Abs. 2 Nr. 2 (Gefährdung der Allgemeinheit, Gefahr der Begehung von Straftaten) eine Erweiterung f ü r den Fall, daß der Täter „nur eine als Verbrechen oder vorsätzliches Vergehen mit Strafe bedrohte Handlung begangen h a t " . Hierher gehören die Fälle, in denen der Täter sich auf einen S c h u l d a u s s c h l i e ß u n g s g r u n d (z. B. § 51 Abs. 1) oder einen persönlichenS t r a f a u s s c h l i e ß u n g s g r u n d (z.B. §§46, 247 Abs. 2) berufen kann. Eine Bestrafung scheidet in diesen Fällen aus. Andererseits kann das Bedürfnis auftreten, die
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Strafen
§ 40 a
Tatwerkzeuge (z. B. daa von einem Geisteskranken bei einer Messerstecherei benutzte Messer) im Interesse der Allgemeinheit einzuziehen. Steht bereits nach Abschluß der Ermittlungen fest, daß eine Strafverfolgung des Täters nicht möglich ist, so kann die Einziehung im sog. o b j e k t i v e n V e r f a h r e n betrieben werden (siehe unten § 41b Abs. 2 sowie § 440 StPO). IV. Abs. 4 bezieht sich auf Vorschriften des Besonderen Teils und des Nebenstrafrechts, in denen Sonderregelungen der Einziehung enthalten sind, die über den Anwendungsbereich des Abs. 1 hinausgehen. So gibt es im Besonderen Teil sowie im Nebenstrafrecht eine ganze Reihe von Vorschriften, in denen die Einziehimg z w i n g e n d vorgeschrieben ist oder in denen sie statt oder neben den „instrumenta et producta sceleris" Gegenstände erfaßt, auf die sich die T a t nur „bezieht" (sog. Beziehungsgegenstände). Hierher gehören z.B. die §§ 152, 184, Abs. 2, 219 Abs. 3, 282, 285 b, 295. § 40 Abs. 4 stellt klar, daß auch in diesen Fällen die Einziehung nur unter den Voraussetzungen des § 40 Abs. 2 oder 3 zulässig ist. V. Eine Rechtsmittelbeschränkung auf die Frage der Einziehung ist zulässig (Oldenburg N J W 1971, 769).
§ 4 0 a [Erweiterte
Einzichungüniögliclikcit]
Verweist das Gesetz auf diese Vorschrift, so dürfen die Gegenstände abweichend von § 40 Abs. 2 Nr. 1 auch dann eingezogen werden, wenn derjenige, dem sie zur Zeit der Entscheidung gehören oder zustehen, 1. wenigstens leichtfertig dazu beigetragen hat, daß die Sache oder das Recht Mittel oder Gegenstand der Tat oder ihrer Vorbereitung gewesen ist, oder 2. die Gegenstände in Kenntnis der Umstände, welche die Einziehung zugelassen hätten, in verwerflicher Weise erworben hat. 1. Einziehungsvorschriften, in denen auf § 40a verwiesen wird, finden sich u . a . bei den Staatsschutzdelikten (vgl. §§ 86, 98a, 109k), ferner in § 285b (Einziehung von Spieleinrichtungen usw.), § 295 (Einziehung von Jagd- und Fischereigeräten usw.), § 296a (Einziehung von Fanggeräten usw.) sowie in verschiedenen, durch das EGOWiG neu gefaßten Nebengesetzen. 2. Die praktische Bedeutung der Vorschrift besteht darin, daß bei täterfremden Gegenständen eine Einziehung auch dann ausgesprochen werden kann, wenn der Schutz der Allgemeinheit dies an sich nicht erfordert, die Einziehung also nicht auf § 40 Abs. 2 Nr. 2 gestützt werden kann, ihre Anordnung aber gleichwohl kriminalpolitisch geboten erscheint. Im einzelnen ist folgendes zu beachten: a) I m Falle der Nr. 1 genügt es nicht, daß der Eigentümer die Straftat kannte oder hätte kennen können; er muß vielmehr l e i c h t f e r t i g dazu beigetragen haben, daß die ihm gehörende Sache (bzw. das ihm zustehende Recht) Mittel oder Gegenstand der Tat oder ihrer (strafbaren) Vorbereitung gewesen ist. Leichtfertig bedeutet einen erhöhten Grad von Fahrlässigkeit, der vergleichbar ist mit dem Begriff der groben Fahrlässigkeit im Zivilrecht (vgl. BGH 14, 240, 255) b) Nr. 2 erfaßt in erster Linie H e h l e r und solche Personen, die den Täter b e g ü n s t i g t haben. Hierher gehört aber auch der Fall, daß jemand — ohne selbst Hehler oder Täter einer Begünstigung zu sein — ein Tatwerkzeug, z.B. einen bei einer Wilderei verwendeten PKW, in kollusivem Zusammenwirken mit dem Täter nur deshalb erworben hat, um ihn der drohenden Einziehung zu entziehen. Bedingter Vorsatz hinsichtlich der Umstände, welche die Einziehung zugelassen hätten, genügt (vgl. Schäfer L K 17; Lackner-Maassen 4; str.).
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§ 4 0 b
Strafgesetzbuch
§ 4 0 b [Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, mildere M a ß n a h m e n ] (1) Ist die Einziehung nicht vorgeschrieben, so darf sie in den Fällen des § 40 Abs. 2 Nr. 1 und des § 40a nicht angeordnet werden, wenn sie zur Bedeutung der begangenen Tat und zum Vorwurf, der den von der Einziehung betroffenen Täter oder Teilnehmer oder in den Fällen des § 40 a den Dritten trifft, außer Verhältnis steht. (2) Das Gericht ordnet in den Fällen der §§40 und 40 a an, daß die Einziehung vorbehalten bleibt, und trifft eine weniger einschneidende Maßnahme, wenn der Zweck der Einziehung auch durch sie erreicht werden kann. In Betracht kommt namentlich die Anweisung, 1. die Gegenstände unbrauchbar zu machen, 2. an den Gegenständen bestimmte Einrichtungen oder Kennzeichen zu beseitigen oder die Gegenstände sonst zu ändern oder 3. Uber die Gegenstände in bestimmter Weise zu verfügen. Wird die Anweisung befolgt, so wird der Vorbehalt der Einziehung aufgehoben ; andernfalls ordnet das Gericht die Einziehung nachträglich an. (3) Ist die Einziehung nicht vorgeschrieben, so kann sie auf einen Teil der Gegenstände beschränkt werden. 1. Abs. 1 bringt für den Anwendungsbereich der §§ 40 Abs. 2 Nr. 1 und 40a den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit für die Fälle, in denen die Einziehung nicht zwingend vorgeschrieben ist. § 40 Abs. 2 Nr. 2 (Einziehung zum Schutz der Allgemeinheit) wird durch § 40 b Abs. 1 nicht berührt. Zwingend vorgeschrieben ist die Einziehung z.B. in § 152 (Einziehung von Falschgeld usw.). Es ist jedoch zu beachten, daß auch ihre Anordnung nur unter den Voraussetzungen des § 40 Abs. 2 Nr. 1 oder Nr. 2 zulässig ist (vgl. § 40 Abs. 4). Voraussetzung ist also auch hier, daß die Gegenstände entweder im Eigentum des Täters oder Teilnehmers stehen oder ihre Einziehung zum Schutz der Allgemeinheit geboten ist. 2. Abs. 2 dient ebenfalls dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. a) Die Vorschrift will verhindern, daß eine Einziehung auch dort ausgesprochen werden muß, wo sie bei Würdigung aller Umstände für den Betroffenen eine unzumutbare Härte darstellen würde. Bei tätereigenen Gegenständen, bei denen sich die Einziehung, wie dargelegt, als Nebenstrafe auswirkt, wird dies wohl kaum in Betracht kommen. Der eigentliche Anwendungsbereich des § 40 b Abs. 2 dürften die Fälle sein, bei denen die Einziehung täterfremder Gegenstände nach § 40 Abs. 2 Nr. 2 zum Schutz der Allgemeinheit geboten ist. b) Die vom Gesetz erwähnten weniger einschneidenden Maßnahmen (Unbrauchbarmachung usw.), durch welche die Einziehung ersetzt werden kann, sind nur beispielhaft aufgeführt. Weitere, ähnlich wirkende Maßnahmen bleiben der freien Gestaltung des Richters vorbehalten. So kann z.B. einem Angeklagten, der trotz entzogener Fahrerlaubnis mit seinem Fahrzeug am Straßenverkehr teilgenommen hat, anstelle der ihm nach § 21 Abs. 3 Nr. 1 StVG drohenden Einziehung zur Auflage gemacht werden, sein Fahrzeug bis zur Wiedererlangung der Fahrerlaubnis bei der Zulassungsbehörde abzumelden. Diese Auflage wäre noch weniger einschneidend als die nach Abs. 2 Nr. 3 mögliche Auflage, das Fahrzeug innerhalb einer bestimmten Frist zu veräußern.
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Strafen
§ 40 c
c) Form der nach Abs. 2 zu treffenden Entscheidungen: Die Anordnung, daß die Einziehung vorbehalten bleibt, erfolgt durch U r t e i l (Strafbefehl). Die spätere Entscheidung (Aufhebung des Vorbehalts bzw. nachträgliche Anordnung der Einziehung) ergeht dann im B e s c h l u ß v e r f a h r e n gemäß §462 Abs. 1 Satz 2 StPO.
§ 4 0 c [Einziehung: des Wertersatzes]
(1) H a t der Täter oder Teilnehmer den Gegenstand, der i h m zur Zeit der Tat gehörte oder zustand und a u f dessen Einziehung hätte erkannt werden können, vor der Entscheidung über die Einziehung verwertet, namentlich veräußert oder verbraucht, oder hat er die Einziehung des Gegenstandes sonst vereitelt, so kann d a s Gericht die Einziehung eines Geldbetrages gegen den Täter oder Teilnehmer bis zu der Höhe anordnen, die d e m Wert des Gegenstandes entspricht. (2) Eine solche Anordnung k a n n d a s Gericht auch neben der Einziehung eines Gegenstandes oder a n deren Stelle treffen, wenn ihn der Täter oder Teilnehmer vor der Entscheidung über die Einziehung mit dem Recht eines Dritten belastet hat, dessen Erlöschen ohne Entschädigung nicht angeordnet werden kann oder i m Falle der Einziehung nicht angeordnet werden könnte (§ 4 1 a Abs. 2, § 41 c ) ; trifft d a s Gericht die Anordnung neben der Einziehung, s o bemißt sich die Höhe des Wertersatzes nach d e m Wert der B e l a s t u n g des Gegenstandes. (3) Der Wert des Gegenstandes und der Belastung k a n n geschätzt werden. (4) Ist die Anordnung der Einziehung eines Gegenstandes nicht a u s f ü h r b a r oder unzureichend, weil nach der Anordnung eine der in den Absätzen 1 oder 2 bezeichneten Voraussetzungen eingetreten oder bekanntgeworden ist, so kann d a s Gericht die Einziehung des Wertersatzes nachträglich anordnen. (5) F ü r die Bewilligung von Zahlungserleichterungen gilt § 28. 1. Hat der Täter oder Teilnehmer den ihm zur Tatzeit gehörenden oder zustehenden Gegenstand nach der Tat veräußert, verbraucht oder sonst verwertet, so ist eine Einziehung nach § 40 Abs. 2 Nr. 1 nicht mehr möglich. Ob sie nach § 40 Abs. 2 Nr. 2 oder § 40a zum Schutz der Allgemeinheit möglich ist, richtet sich nach den Umständen des Einzelfalls. Aufgabe des § 40 c Abs. 1 ist es, die sich hieraus ergebenden Unzuträglichkeiten zu vermeiden, indem er dem Gericht die Möglichkeit gibt, anstelle des an sich der Einziehung unterliegenden Gegenstands die Einziehung eines G e l d b e t r a g s anzuordnen, dessen Höhe sich nach dem Wert des Gegenstands richtet. Dieser kann g e s c h ä t z t werden (Abs. 3). 2. § 40c Abs. 1 trifft ferner den Fall, daß der Täter auf andere Weise als durch Veräußerung, Verbrauch oder sonstige Verwertung die Einziehung vereitelt, z . B . dadurch, daß er den der Einziehung unterliegenden Gegenstand z e r s t ö r t oder b e i s e i t e s c h a f f t . Ob der Gegenstand aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen nicht mehr eingezogen werden kann, ist also unerheblich. E s genügt, daß die zur Tatzeit noch möglich gewesene Einziehung im Zeitpunkt der Entscheidung nicht mehr ausgesprochen werden kann. 3. Nach Abs. 2 kommt eine Einziehung des Wertersatzes auch dann in Betracht, wenn der Täter die der Einziehung unterliegende Sache nach der T a t mit dem Recht eines Dritten belastet hat und dieses Recht im Falle der Einziehung nur gegen Entschädigung oder überhaupt nicht zum Erlöschen gebracht werden kann (vgl. §§ 41a Abs. 2, 41c Abs. 1). Das Gericht hat dabei die Wahl, ob es die Einziehung des Wertersatzes neben oder anstelle der des Gegenstands anordnen will. Ordnet es die Einziehung des Wertersatzes n e b e n der Einziehung des Gegenstands an, so richtet sich die Höhe des Wertersatzes naturgemäß nach dem Wert der Belastung. In dieser
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§ 4 1
Strafgesetzbuch
Weise h a t da s Gericht v o r allem in den Fällen zu verfahren, in denen die Einziehung des Gegenstands n a c h besonderen Vorschriften zwingend vorgeschrieben ist (s.o. § 40 b A n m . 1), oder w e n n die Einziehung n a c h § 40 Abs. 2 N r . 2 zum Schutz der Allgemeinheit geboten erscheint. I n allen übrigen Fällen k a n n d a s Gericht d e m T ä t e r die belastete Sache belassen u n d die Einziehung eines Wertersatzes aussprechen, der ü b e r d e n W e r t der B e l a s t u n g hinausgehend d e m G e s a m t w e r t des einzuziehenden Gegenstands entspricht. 4. Abs. 4 t r i f f t den Fall, d a ß die Einziehung z u n ä c h s t in zulässiger Weise angeo r d n e t wurde, der T ä t e r d a n n a b e r nachträglich — oder schon vorher, a b e r ohne Wissen des Gerichts — die A u s f ü h r u n g d u r c h V e r ä u ß e r u n g oder auf sonstige Weise vereitelt oder d u r c h B e l a s t u n g erschwert h a t .
§ 4 1 [Einziehung: u n d Unbrauchbarmachung: von Schriften, T o n t r ä g e r n u s w . ] (1) Schriften, Ton- und Bildträger, Abbildungen und Darstellungen, die einen solchen Inhalt haben, daß jede vorsätzliche Verbreitung in Kenntnis ihres Inhalts den Tatbestand eines Strafgesetzes verwirklichen würde, werden eingezogen, wenn mindestens ein Stück durch eine mit Strafe bedrohte Handlung verbreitet oder zur Verbreitung bestimmt worden ist. Zugleich wird angeordnet, daß die zur Herstellung gebrauchten oder bestimmten Vorrichtungen, wie Platten, Formen, Drucksätze, Druckstöcke, Negative oder Matrizen, unbrauchbar gemacht werden. (2) Die Einziehung erstreckt sich nur auf die Stücke, die sich im Besitz der bei ihrer Verbreitung oder deren Vorbereitung mitwirkenden Personen befinden oder öffentlich ausgelegt oder beim Verbreiten durch Versenden noch nicht dem Empfänger ausgehändigt worden sind. (3) Absatz 1 gilt entsprechend bei Schriften, Ton- und Bildträgern, Abbildungen und Darstellungen, die einen solchen Inhalt haben, daß die vorsätzliche Verbreitung in Kenntnis ihres Inhalts nur bei Hinzutreten weiterer Tatumstände den Tatbestand eines Strafgesetzes verwirklichen würde. Die Einziehung und Unbrauchbarmachung werden jedoch nur angeordnet, soweit 1. die Stücke und die in Absatz 1 Satz 2 bezeichneten Gegenstände sich im Besitz des Täters, Teilnehmers oder eines anderen befinden, f ü r den der Täter oder Teilnehmer gehandelt hat, oder von diesen Personen zur Verbreitung bestimmt sind und 2. die Maßnahmen erforderlich sind, u m ein gesetzwidriges Verbreiten durch diese Personen zu verhindern. (4) Dem Verbreiten im Sinne der Absätze 1 bis 3 steht es gleich, wenn mindestens ein Stück durch Ausstellen, Anschlagen, Vorführen oder in anderer Weise öffentlich zugänglich gemacht wird. (5) § 40 b Abs. 2, 3 gilt entsprechend. 1. D e m Anwendungsbereich d e r d u r c h d a s E G O W i G eingefügten, zuletzt d u r c h d a s 4. S t r R G geänderton Vorschrift unterliegen Schriften (durch B u c h s t a b e n , Bilder oder andere stoffliche Zeichen v e r k ö r p e r t e Gedankenerklärungen, die d u r c h Augen oder T a s t s i n n w a h r n e h m b a r sind, z . B . a u c h Geheim-, K u r z - , Bilder- oder Blindenschrift, vgl. R G 47, 224; B G H 13, 376; Lackner-Maassen 3), Tonträger, d . h . technisch gespeicherte Tonfolgen, die akustisch w a h r n e h m b a r sind (vgl. R G 47, 223), z . B . Schallplatten u n d T o n b ä n d e r , Bildträger, d . h . technisch gespeicherte Bilder u n d Bilderfolgen (z.B. B ä n d e r f ü r Video-Recorder), Abbildungen, d . h . d u r c h
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Strafen
§ 4 1
Augen oder Tastsinn wahrnehmbare Wiedergaben der Außenwelt (z.B. Gemälde, Skizzen, Fotos, Dias u n d Filme) sowie sonstige Darstellungen (z.B. a b s t r a k t e Bilder u n d Plastiken, die nicht als „Abbildungen" bezeichnet werden können. a) Der Inhalt der genannten Erzeugnisse m u ß dergestalt sein, d a ß jede vorsätzliche Verbreitung in K e n n t n i s des I n h a l t s einen S t r a f t a t b e s t a n d erfüllen würde, z . B . den Tb. des § 184 (Verbreitung pornographischer Schriften); b) E s m u ß wenigstens ein Stück durch eine m i t Strafe bedrohte (d.h. nicht notwendig strafbare) H a n d l u n g v e r b r e i t e t oder z u r V e r b r e i t u n g b e s t i m m t gewesen sein. Ein Erzeugnis ist verbreitet, wenn es einem größeren, nicht notwendig unbestimmten Personenkreis zugänglich gemacht wird (BGH 13, 257). Weitergabe a n eine Einzelperson genügt, wenn mit einer Weitergabe an weitere Personen gerechnet werden m u ß (BGH 19, 63, 71). Auch der Verkauf oder Verleih im R a h m e n eines gerade zu diesem Zweck gegründeten Vereins ist ein Verbreiten (BGH 13, 257), nicht jedoch das Ausleihen im engeren Familien- oder Freundeskreis. Entscheidend ist immer, ob der Täter den Personenkreis, d e m er das Erzeugnis zugänglich m a c h t , kontrollieren kann (BGH a.a.O.). c) Sind die Voraussetzungen der Einziehung nach Abs. 1 Satz 1 gegeben, so wird neben der Einziehung der Schriften usw. gleichzeitig die Unbrauchbarmachung der zur Herstellung gebrauchten oder bestimmten Vorrichtungen anzuordnen sein (Abs. 1 Satz 2). 2. Die Vorschrift enthält zwingendes Recht. F ü r eine Ermessensentscheidung des Gerichts ist daher auch d a n n kein B a u m , wenn sie nach anderen, ergänzenden Vorschriften (z.B. § 92b Abs. 1) möglich wäre (BGH 23, 208). D a s Gericht ist jedoch u n t e r verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten (Art. 5 Abs. 1 GG) zur A b wägung verpflichtet, ob der Einziehung ein berechtigtes I n f o r m a t i o n s b e d ü r f n i s des Bürgers entgegensteht (BGH a . a . O . ) . 3. Die Einziehung bzw. U n b r a u c h b a r m a c h u n g wird durch Urteil angeordnet. Dieses m u ß nicht notwendig auf Verurteilung lauten. D a Abs. 1 S. 1 n u r die Verbreitung durch eine „ m i t Strafe bedrohte H a n d l u n g " verlangt, können die Einzieh u n g bzw. U n b r a u c h b a r m a c h u n g z.B. auch neben einem Freispruch aus subjektiven Gründen angeordnet werden. Steht schon nach Abschluß des Ermittlungsverfahrens fest, d a ß eine Verurteilung wegen Vorliegens eines Schuldausschließungs- oder Strafausschließungsgrunds nicht möglich ist, so ist die Einziehimg bzw. Unbrauchb a r m a c h u n g im sog. selbständigen oder objektiven Verfahren zu betreiben (vgl. §§ 4 1 b StGB, 440 StPO). 4. Abs. 2 schränkt zunächst den Personenkreis ein, in dessen Rechte eingegriffen werden darf. Hierher gehören alle Personen, die a n der Verbreitung oder Vorbereitimg mitgewirkt haben, z . B . Verfasser, Drucker, Herausgeber, Verleger, Buchhändler, Theaterbesitzer. Nicht erforderlich ist eine s t r a f b a r e Mitwirkung. Als B e s i t z gilt auch der mittelbare Besitz. Besitzt ein Verfasser, Herausgeber usw. eine Schrift (Tonträger, Bildträger, Abbildung oder Darstellung) p r i v a t , so unterliegt diese nicht der Einziehung. Abs. 2 gibt weiter die Möglichkeit, alle öffentlich ausgelegten sowie solche Gegenstände einzuziehen, die sich noch auf d e m Versand befinden u n d d e m E m p f ä n g e r noch nicht ausgehändigt worden sind. 5. Abs. 3 betrifft den Fall, daß die Verbreitung einer Schrift usw. a n sich noch nicht s t r a f b a r ist, sondern dies n u r bei H i n z u t r e t e n w e i t e r e r U m s t ä n d e würde. Hierher gehört z.B. der Fall, daß eine zwar nicht pornographische, aber jugendgefährdende Schrift u n t e r Verstoß gegen die §§ 4, 21 GjS vertrieben wird (vgl. B G H 23, 40). Die Einziehungsmöglichkeiten sind hier enger als in Abs. 1. Die Einziehung bzw. U n b r a u c h b a r m a c h u n g darf n u r angeordnet werden, wenn sich der
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§ 41 a
Strafgesetzbuch
fragliche Gegenstand im Besitz des Täters, Teilnehmers oder eines Hintermanns befindet oder von diesen Personen zur Verbreitung bestimmt ist u n d die Maßnahme zur Verhinderung eines gesetzwidrigen Verbreitens erforderlich ist. Die Gefahr einer gesetzwidrigen Verbreitung durch a n d e r e Personen rechtfertigt die Maßnahme dagegen noch nicht. 6. Nach Abs. 4 kann eine Einziehung oder Unbrauchbarmachung von Schriften, Tonträgern usw. auch dann ausgesprochen werden, wenn mindestens ein Stück durch Ausstellen, Anschlagen, Vorführen oder in anderer Weise öffentlich (siehe hierzu § 80a Anm. 2a, § 111 Anm. 2) zugänglich gemacht wird. B e i s p i e l : Ein Gastwirt führt seinen Stammgästen im Nebenzimmer einen pornographischen Film vor. Nicht ausreichend wäre es dagegen, wenn der Gastwirt den Film nur im engsten Familienkreis vorgeführt hätte. I n diesem Fall wäre der Film nicht „öffentlich zugänglich gemacht" worden. 7. Durch die in Abs. 5 enthaltene Verweisung auf § 40 b Abs. 2 und 3 wird klargestellt, daß in geeigneten Fällen anstelle der Einziehimg auch mildere Maßnahmen angeordnet werden können, z . B . das Herausschneiden einer sadistischen Szene aus einem im übrigen nicht zu beanstandenden Film. § 4 1 a [Wirkung: der Einziehung:, Rechte Dritter] ( 1 ) Wird ein Gegenstand eingezogen, so geht das Eigentum an der Sache oder das eingezogene Recht mit der Rechtskraft der Entscheidung auf den Staat Uber. ( 2 ) Rechte Dritter an dem Gegenstand bleiben bestehen. Das Gericht ordnet jedoch das Erlöschen dieser Rechte an, wenn es die Einziehimg darauf stützt, daß die Voraussetzungen des § 40 Abs. 2 Nr. 2 vorliegen. Es kann das Erlöschen des Rechtes eines Dritten auch dann anordnen, wenn diesem eine Entschädigung nach § 41 c Abs. 2 Nr. 1 oder 2 nicht zu gewähren ist. ( 3 ) Vor der Rechtskraft wirkt die Anordnung der Einziehung als Veräußerungsverbot im Sinne des § 136 des Bürgerlichen Gesetzbuches. Die gleiche Wirkung hat die Anordnung des Vorbehalts der Einziehung, auch wenn sie noch nicht rechtskräftig ist. 1. Die Vorschrift befaßt sich mit den Rechtsfolgen der Einziehung. Wird ein Gegenstand (Sache oder Recht) eingezogen, so tritt nach Abs. 1 der Staat an die Stelle des bisherigen Rechtsinhabers. Der Rechtsübergang tritt auch dann ein, wenn der Täter den Gegenstand nach der Anordnung, aber vor Rechtskraft der Entscheidung an einen Dritten veräußert hat. Hierbei lassen sich jedoch Fälle denken, in denen der Dritte nicht erreichbar ist oder den eingezogenen Gegenstand anderweitig verwertet hat, so daß die Einziehung praktisch nicht mehr realisierbar ist. In diesen Fällen ist dann gemäß § 40c Abs. 4 nachträglich (durch Beschluß) die Einziehung des W e r t e r s a t z e s anzuordnen. Der Rechtsübergang auf den Staat tritt auch dann ein, wenn das Gericht bei der Beurteilung der rechtlichen Voraussetzungen der Einziehung einem Irrtum erlegen ist, z.B. wenn die Einziehung eines Tatwerkzeugs auf § 40 Abs. 2 Nr. 1 gestützt wurde in der irrigen Annahme, der Täter sei selbst Eigentümer des Werkzeugs gewesen. In diesem Fall ist der Dritte, der durch die Einziehung einen sachlich nicht gerechtfertigten Reclitsverlust erleidet, gemäß § 4 1 c zu e n t s c h ä d i g e n , sofern keine Ausnahme i. S. von § 41c Abs. 2 vorliegt. 2. Nach Abs. 2 bleiben Rechte Dritter an dem eingezogenen Gegenstand grundsätzlich unberührt. Eine Entschädigung kommt in diesen Fällen nicht in Betracht. Als Rechte Dritter gelten dabei nach der Begründang des Entwurfs zum EGOWiG 1968 nur die sog. b e s c h r ä n k t d i n g l i c h e n R e c h t e , d.h. N u t z u n g s r e c h t e 140
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(z.B. Erbbaurechte, Dienstbarkeiten, Dauerwohnrechte), sog. V e r w e r t u n g s r e c h t e (z.B. Reallasten, Grundpfandrechte und Pfandrechte) sowie E r w e r b s r e c h t e (z.B. Vorkaufsrechte nach §§ 1094ff. BGB und Aneignungsrechte nach §§ 927 Abs. 2, 928 Abs. 2 BGB). In der täglichen Gerichtspraxis dürften vor allem die Pfandrechte nach §§ 1204ff. BGB zu beachten sein. Das Erlöschen dieser Rechte kann nur ausnahmsweise angeordnet werden, nämlich einmal dann, wenn die Einziehung gemäß § 40 Abs. 2 Nr. 2 zum S c h u t z d e r A l l g e m e i n h e i t angeordnet wird (§ 41 a Abs. 2 Satz 2) oder wenn den Rechtsinhaber ein Schuldvorwurf trifft, der dem Eigentümer gegenüber die Einziehung rechtfertigen würde (vgl. § 41a Abs. 2 Satz 3 i.V. mit § 41c Abs. 2 Nr. 1 und 2). Der schuldbehaftete Rechtsinhaber wird in diesem Fall dem Eigentümer gleichgestellt. Er geht entschädigungslos seines Rechtes verlustig. 3. Abs. 3 soll die Durchführung der Einziehungsanordnung sicherstellen. Das Veräußerungsverbot hat zur Folge, daß eine nach Anordnung der Einziehung erfolgte Veräußerung keinen Rechtsübergang bewirken kann. Das gleiche gilt nach Abs. 3 Satz 2 für den Fall, daß nach § 40 b Abs. 2 nur der Vorbehalt der Einziehung angeordnet worden war. Gutgläubige Dritte, die von der Einziehimg keine Kenntnis hatten, sind jedoch gemäß §§ 135 Abs. 2, 136 BGB geschützt. Sie verlieren zwar mit der Rechtskraft der Entscheidung nach Abs. 1 das Eigentum an dem eingezogenen Gegenstand, sind aber nach § 41 c zu entschädigen.
§ 4 1 b [Objektives V e r f a h r e n ] (1) Kann wegen der Straftat aus tatsächlichen Gründen keine bestimmte Person verfolgt oder verurteilt werden, so muß oder kann auf Einziehung des Gegenstandes oder des Wertersatzes oder auf Unbrauchbarmachung selbständig erkannt werden, wenn die Voraussetzungen, unter denen die Maßnahme vorgeschrieben oder zugelassen ist, im übrigen vorliegen. (2) In den Fällen des § 40 Abs. 2 Nr. 2, Abs. 3 und des § 41 ist Absatz 1 auch dann anzuwenden, wenn aus rechtlichen Gründen keine bestimmte Person verfolgt werden kann und das Gesetz nichts anderes bestimmt. Einziehung oder Unbrauchbarmachung dürfen jedoch nicht angeordnet werden, wenn Antrag, Ermächtigung, Strafverlangen, Anordnimg der Strafverfolgung oder.die Zustimmung zu ihr fehlen. (3) Absatz 1 ist auch anzuwenden, wenn das Gericht von Strafe absieht oder wenn das Verfahren nach einer Vorschrift eingestellt wird, die dies nach dem Ermessen der Staatsanwaltschaft oder des Gerichts oder i m Einvernehmen beider zuläßt. 1. Das sog. objektive oder selbständige Einziehungsverfahren betrifft die Fälle, in denen der Täter einerseits aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen nicht strafrechtlich zur Verantwortung gezogen werden kann, andererseits aber die Einziehung eines bestimmten Gegenstands gesetzlich geboten ist oder aus Sicherheitsgründen erforderlich erscheint. Die Vorschrift hat den Charakter einer reinen Sicherungsmaßregel. 2. Unter Abs. 1 (tatsächliche Gründe, die der Verfolgung oder Aburteilung entgegenstehen) sind z.B. die Fälle einzuordnen, in denen der Täter nicht ermittelt werden konnte oder in denen er wegen Abwesenheit, Krankheit oder Tod nicht zur Verantwortimg gezogen werden kann. Abs. 2 erfaßt dagegen die Fälle, in denen die Verfolgung des Täters aus rechtlichen Gründen nicht möglich ist, z.B. mangels Verschuldens, wegen Verjährung (BGH 23, 67; LK 10) oder aufgrund einer Amnestie (BGH 23, 64). In diesen Fällen kommt die Einziehung jedoch nur unter den 141
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Voraussetzungen des § 40 Abs. 2 Nr. 2 und Abs. 3 sowie Im Falle des § 41 in Betracht, d.h. also in den Fällen, in denen ein besonderes öffentliches Interesse die Einziehung erfordert. A u s g e s c h l o s s e n ist das objektive Verfahren immer dann, wenn der Täter nur deshalb nicht verfolgt werden kann, weil der zur Verfolgung erforderliche S t r a f a n t r a g , e i n e erforderliche E r m ä c h t i g u n g oder ähnliche Prozeßvoraussetzungen fehlen (siehe Abs. 2 Satz 2). B e i s p i e l : Wenn A mit einer Brechstange den P K W des B zertrümmert, B aber keinen Strafantrag stellt, so kann die Brechstange — obwohl als Tatwerkzeug verwandt — weder im Strafverfahren noch im objektiven Verfahren eingezogen werden. 3. Nach Abs. 3 ist es möglich, auch dort im objektiven Verfahren die Einziehung anzuordnen, wo das Strafverfahren im Rahmen des sog. Opportunitätsprinzips eingestellt worden ist. Hierher gehören vor allem Einstellungen wegen Geringfügigkeit gemäß § 153 StPO und §§ 45, 47 JGG. In den meisten dieser Fälle dürfte der Täter allerdings, wenn das Verfahren eingestellt wird, mit einer außergerichtlichen Einziehung des Gegenstands einverstanden sein, so daß sich ein förmliches Verfahren erübrigt. 4. Die prozessualen Vorschriften über die Einziehung finden sich in den §§ 430ff. StPO. Sie wurden durch das EGOWiG 1968 ebenfalls völlig neu gefaßt. § 440 befaßt sich mit dem sog. objektiven Verfahren. § 41 c [Entschädigung: Dritter] (1) Stand das Eigentum an der Sache oder das eingezogene Recht zur Zeit der Rechtskraft der Entscheidung über die Einziehung oder Unbrauchbarmachung einem Dritten zu oder war der Gegenstand mit dem Recht eines Dritten belastet, das durch die Entscheidung erloschen oder beeinträchtigt ist, so wird der Dritte aus der Staatskasse unter Berücksichtigung des Verkehrswertes angemessen in Geld entschädigt. (2) Eine Entschädigung wird nicht gewährt, wenn 1. der Dritte wenigstens leichtfertig dazu beigetragen hat, daß die Sache oder das Recht Mittel oder Gegenstand der Tat oder ihrer Vorbereitimg gewesen ist, 2. der Dritte den Gegenstand oder das Recht an dem Gegenstand in Kenntnis der Umstände, welche die Einziehung oder Unbrauchbarmachung zulassen, in verwerflicher Weise erworben hat oder 3. es nach den Umständen, welche die Einziehung oder Unbrauchbarmachung begründet haben, auf Grund von Rechtsvorschriften außerhalb des Strafrechts zulässig wäre, den Gegenstand dem Dritten ohne Entschädigung dauernd zu entziehen. (3) In den Fällen des Absatzes 2 kann eine Entschädigung gewährt werden, soweit es eine unbillige Härte wäre, sie zu versagen. 1. Während eine Entschädigung Dritter bisher nur ausnahmsweise gesetzlich vorgesehen war (z.B.in§§ 86 Abs. 2 StGB, 23 OWiG a . F . und 414b RAO), ist sie jetzt allgemein zu gewähren, sofern kein Ausnahmefall gemäß § 41 c Abs. 2 vorliegt. Eine Entschädigung nach Abs. 1 kommt sowohl dann in Betracht, wenn der durch die Einziehung betroffene, an der Tat unbeteiligte Dritte gemäß § 41a Abs. 1 sein Eigentum verliert als auch dann, wenn er nach § 41a Abs. 2 Satz 2 nur eines beschränkt dinglichen Rechtes verlustig geht. 2. Abs. 2 befaßt sich mit bestimmten Ausnahmesituationen, unter denen eine Entschädigung nicht gewährt wird. Die Nummern 1 und 2 entsprechen dabei den Voraussetzungen, unter denen das Gesetz in § 40 a eine erweiterte Einziehungsmöglichkeit bei täterfremden Gegenständen vorsieht. Ergibt sich die Einziehung aus
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Strafen
§43
§ 40 a, so kommt auch eine Entschädigung grundsätzlich nicht in Betracht. Ausnahmen sind nur in Härtefällen denkbar (vgl. Abs. 3). Nach Abs. 2 Nr. 3 entfällt die Pflicht zur Entschädigung ferner dann, wenn es im konkreten Fall auch aufgrund anderer als strafrechtlicher Vorschriften zulässig gewesen wäre, dem durch die Einziehung betroffenen Dritten den Gegenstand ohne Entschädigung dauernd zu entziehen. Fälle dieser Art finden sich z.B. in der RAO (vgl. § 200a i.V. mit § 200), im Branntweinmonopole (vgl. § 51o i.V. mit § 51b) sowie in den Polizeigesetzen der Länder. 3. Abs. 3 gibt die Möglichkeit, im Einzelfall unbillige Härten, die durch eine entschädigungslose Einziehung täterfremder Gegenstände eintreten können, zu vermeiden. Die Vorschrift bringt damit eine gewisse Angleichung an § 40a, wonach die Entscheidung über die Anordnung der Einziehung unter den gleichen Voraussetzungen nicht zwingend vorgeschrieben ist, sondern im pflichtgemäßen Ermessen des Gerichts steht. Eine ausnahmsweise Entschädigung nach § 41 c Abs. 3 kommt vor allem dann in Betracht, wenn die Bedeutung der Tat oder die Schuld des Dritten gering ist. In Grenzfällen kann auch auf eine nur teilweise Entschädigung erkannt werden. 4. Der Entschädigungsanspruch ist grundsätzlich nicht im Strafverfahren, sondern im Zivilrechtsweg geltend zu machen (vgl. Begründung des Entwurfs zum EGOWiG). Lediglich im Falle des Abs. 3 (Entschädigung in Härtefällen) entscheidet der Strafrichter nicht nur darüber, ob überhaupt eine Entschädigung gewährt werden soll, sondern auch darüber, in welcher Höhe sie zu gewähren ist (vgl. § 436 Abs. 3 StPO). § 4 3 [Sondervorschrift für Organe und Vertreter] (1) Hat jemand 1. als vertretungsberechtigtes Organ einer juristischen Person oder als Mitglied eines solchen Organs, 2. als Vorstand eines nicht rechtsfähigen Vereins oder als Mitglied eines solchen Vorstandes oder 3. als vertretungsberechtigter Gesellschafter einer Personenhandelsgesellschaft eine Handlung vorgenommen, die ihm gegenüber unter den übrigen Voraussetzungen der §§ 40 bis 40 c und 4 1 c die Einziehung eines Gegenstandes oder des Wertersatzes zulassen oder den Ausschluß der Entschädigung begründen würde, so -wird seine Handlung bei Anwendung dieser Vorschriften dem Vertretenen zugerechnet. (2) § 50 a Abs. 3 gilt entsprechend. 1. Abs. 1 will verhindern, daß eine Einziehung oder die Versagung einer Entschädigung nur deshalb entfallen müßte, weil die Person, deren Handeln eine Rechtsfolge nach §§ 40ff. ausgelöst hat, nicht für sich selbst, sondern als Vertreter einer juristischen Person (Nr. 1), eines nicht rechtsfähigen Vereins (Nr. 2) oder einer Personenhandelsgesellschaft (Nr. 3) gehandelt hat. Die juristische Person bzw. die ihr in Nr. 2 und Nr. 3 gleichgestellte Personengemeinschaft muß in diesem Fall die sich aus §§ 40ff. ergebenden Rechtsfolgen gegen sich gelten lassen. 2. Juristische Personen (Nr. 1) sind Organisationen, die von der Rechtsordnung unter bestimmten gesetzlichen Voraussetzungen in vermögensrechtlicher Hinsicht wie Einzelpersonen behandelt werden. Solche Organisationen können entweder P e r s o n e n v e r e i n i g u n g e n (Vereine, Körperschaften) oder V e r m ö g e n s m a s s e n (Anstalten, Stiftungen) sein. 143
§ 4 2
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Juristische Personen des P r i v a t r e c h t s gibt es nur in den Formen des Vereins (vgl. §§ 21—79 BGB) oder der Stiftung (vgl. §§ 80—88 BGB). Vereine fallen nur dann unter den Begriff der juristischen Person, wenn sie r e c h t s f ä h i g sind. Hierbei sind die sog. Idealvereine von den sog. wirtschaftlichen Vereinen zu unterscheiden. Zu den I d e a l v e r e i n e n gehören solche Vereine, die nicht auf einen wirtschaftlichen Erwerbsbetrieb gerichtet sind, sondern z.B. wissenschaftlichen, künstlerischen, wohltätigen oder religiösen Zwecken dienen. Hierher gehören auch Sportvereine. Idealvereine erhalten ihre Rechtsfähigkeit gemäß § 21 BGB durch Eintragung in das Vereinsregister. Demgegenüber erhalten die w i r t s c h a f t l i c h e n V e r e i n e (Vereine, deren Zweck auf einen wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb gerichtet ist, vgl. § 22 BGB) ihre Rechtsfähigkeit durch staatliche Verleihung, soweit nicht aufgrund besonderer Vorschriften ebenfalls das Eintragungsprinzip gilt (vgl. § 22 BGB). Zu den letztgenannten gehören die wichtigsten wirtschaftlichen Vereine außerhalb des BGB, nämlich die im Handels- und Genossenschaftsregister eingetragene Aktiengesellschaft (AG), die Gesellschaft mit beschränkter H a f t u n g (GmbH), die eingetragene Genossenschaft mit beschränkter oder unbeschränkter Haftung (eGmbH, eGmuH) und die Kommanditgesellschaft auf Aktien (KAG). Sie alle sind juristische Personen. Zu den juristischen Personen des ö f f e n t l i c h e n R e c h t s zählen alle staatlichen oder staatlich anerkannten Organisationen mit hoheitsrechtlichen oder gemeinwichtigen Aufgaben, deren Rechtsfähigkeit und Organisation durch das öffentliche Recht geregelt sind. Hierunter fallen z.B. Gebietskörperschaften wie Länder, Gemeinden und Kreise, Gemeindeverbände, Religionsgemeinschaften, ferner Stiftungen und Anstalten des öffentlichen Rechts. 3. Die in Abs. 1 Nr. 2 erwähnten nicht rechtsfähigen Vereine haben zwar wie rechtsfähige Vereine eine körperschaftliche Verfassung, sind aber mangels Eintragung im Vereinsregister nicht rechtsfähig und damit auch keine juristischen Personen. 4. Personenhandelsgesellschaften i.S. von Abs. 1 Nr. 3 sind die offene Handelsgesellschaft (oHG) und die Kommanditgesellschaft (KG). 5. Beispiel f ü r den Anwendungsbereich der Vorschrift: A befaßt sich als vertretungsberechtigter Gesellschafter eines in der Form einer GmbH betriebenen Verlags mit der Herstellung und dem Vertrieb pornographischer Schriften. Wird daraufhin gegen ihn ein Verfahren gemäß § 184 eingeleitet, so scheitern die nach § 41 zulässigen Maßregeln (Einziehung und Unbrauchbarmachung) nicht daran, daß nicht A, sondern die von ihm vertretene GmbH Eigentümer der Schriften, Drucksätze, Druckstöcke usw. ist. N i c h t h i e r h e r gehört dagegen der Fall, daß'eine unter § 42 fallende Person, z.B. der Gesellschafter einer GmbH, eine strafbare oder sonst zur Einziehung führende Handlung vornimmt, die er nicht in seiner Eigenschaft als Repräsentant der Gesellschaft begeht. So ist es beispielsweise unzulässig, entschädigungslos einen firmeneigenen P K W einzuziehen, den ein Gesellschafter am Wochenende beim Wildern benutzt hat. 6. Der in Abs. 2 enthaltene Hinweis auf § 50 a Abs. 3 besagt, daß die juristische Person oder die ihr in § 42 gleichgestellte Personengemeinschaft das Verhalten ihres Repräsentanten auch dann gegen sich gelten lassen muß, wenn der Vertrag, auf dem die Vertretungsbefugnis beruht, aus irgendeinem Grund unwirksam gewesen sein sollte.
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Maßregeln der Sicherung und Besserung
1 a. Abschnitt: Maßregeln der Sicherung und Besserung (§§42a—42p) Vorbemerkung 1. Die durch das sog. G e w o h n h e i t s v e r b r e c h e r G vom 24. I I . 1933 erstmals eingeführten Maßregeln der Sicherung und Besserung sind k e i n e S t r a f e n , sondern Maßregeln eigener Art, die die Strafen ergänzen (sogenanntes zweispuriges System). Während die Strafe in erster Linie eine Reaktion auf b e g a n g e n e Verbrechen darstellt, bezwecken die Maßregeln der Sicherung und Besserung, k ü n f t i g e Straftaten zu verhindern. Die hierfür in Frage kommenden Mittel wollen kein Übel zufügen (mögen sie auch als solches empfunden werden), sondern in anderer Weise die Begehung künftiger Verbrechen verhüten. Dies geschieht entweder durch B e s s e r u n g s m a ß n a h m e n (Unterbringung in einer Heil- oder Pflegeanstalt, Trinkerheilanstalt) oder durch A b s o n d e r u n g aus der Allgemeinheit, sei es der Person selbst (Sicherungsverwahrung), sei es ihrer Tätigkeit (Berufsverbot) oder schließlich durch Entziehung der Fahrerlaubnis. Die Institution des A r b e i t s h a u s e s (§ 42d) wurde durch das 1. StrRG mit Wirkung vom 1. 4. 1970 aufgehoben. Das 2. StrRG bringt dagegen eine völlig neue Maßregel, nämlich die s o z i a l t h e r a p e u t i s c h e A n s t a l t (vgl. § 65 i . d . F . des 2. StrRG, abgedruckt in Anhang 8). 2. Die Maßregeln der Sicherung und Besserung können grundsätzlich nur neben einer Strafe verhängt werden. Lediglich die Unterbringung in einer Heil- oder Pflegeanstalt (§ 42 b) und die Entziehung der Fahrerlaubnis (§ 42 m) können auch ohne gleichzeitige Verurteilung zu Strafe ausgesprochen werden, nämlich dann, wenn der Täter wegen Zurechnungsunfähigkeit freigesprochen werden muß. (Siehe auch § 429a StPO.) 3. Alle Maßregeln der Sicherung und Besserung unterliegen nach § 42 a Abs. 2 dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Ihre Anordnung ist durchweg so einschneidend, daß sie nur aus schwerwiegendem Anlaß getroffen werden darf. Lediglich bei der Fahrerlaubnisentziehung nach § 42 m bedarf es keiner weiteren P r ü f u n g mehr, wenn die Voraussetzungen des Abs. 1 S. 1 vorliegen (vgl. § 42m Abs. 1 S. 2). 4. Vollstreckung. Wirdeine Maßregel der Sicherungund Besserung n e b e n e i n e r S t r a f e ausgesprochen, so ist grundsätzlich z u e r s t d i e S t r a f e , dann die Maßregel der Sicherang und Besserung zu vollstrecken. Siehe hierzu und wegen der Möglichkeit von A u s n a h m e n § 456b StPO. Die Vollstreckung selbst erfolgt gemäß §§ 53—56 StrafvollstrO. 5. Gemäß § 42 p besteht die Möglichkeit, mehrere Maßregeln der Sicherung und Besserung nebeneinander anzuordnen. 6. Der mit einer Maßregel der Sicherung oder Besserung verbundene F r e i h e i t s e n t z u g (zulässig in den Fällen der §§ 42b—-42e) wird als Unterbringung bezeichnet. Ihre D a u e r richtet sich nach § 42f. Über den V o l l z u g siehe Nr. 244£f. DVollzO, über die Beschäftigung § 42 i. 7. Nach § 42 h gilt die Entlassung des Untergebrachten vor dem Ablauf der angeordneten Dauer nur als b e d i n g t e A u s s e t z u n g . Sie kann jederzeit widerrufen werden, wenn der Verurteilte sich in der Freiheit nicht bewährt. 8. D a die Maßregeln der Sicherung und Besserung keine Strafen sind, unterliegen sie w e d e r dem Grundsatz „ i n d u b i o p r o r e o " (siehe hierzu Bruns J Z 1958, 647), n o c h dem V e r b o t d e r R ü c k w i r k u n g (vgl. § 2 Abs. 4).
10 Pettere-Preisendanz, StGB, 28. Aufl.
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§§ 4 3 a—43 b
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9. Verjährung. Mit der Verjährung der Strafverfolgung erlischt auch die B e f u g n i s z u r A n o r d n u n g von Maßregeln der Sicherung und Besserung (§ 67 Abs. 5). Wegen der V o l l s t r e c k u n g s v e r j ä h r u n g siehe §§ 70 Abs. 2, 71, 72. 10. Ebenso wie die Strafen werden auch die Maßregeln der Sicherung und Besserung in das Bundeszentralregister eingetragen (vgl. § 4 I Abs. 1 Nr. 2 BZRG). 11. Gegen Jugendliche können gemäß § 7 JGG grundsätzlich k e i n e Maßnahmen der Sicherung und Besserung angeordnet werden. A u s n a h m e n : Unterbringung in einer Heil- oder Pflegeanstalt (§ 42b) und Fahrerlaubnisentziehung (§ 42m). 12. Die D u r c h f ü h r u n g der Maßregeln ist s t r a f r e c h t l i c h g e s c h ü t z t durch §§ 122a, 122b, 257a, 330b, 346, 361 Nr. 1. § 4 3 a [Übersicht] (1) Maßregeln der Sicherung und Besserung sind 1. die Unterbringung in einer Heil- oder Pflegeanstalt, 2. die Unterbringung in einer Trinkerheilanstalt oder einer Entziehungsanstalt, 3. aufgehoben (betraf Unterbringung in einem Arbeitshaus), 4. die Sicherungsverwahrung, 5. aufgehoben (betraf Entmannung), 6. die Untersagung der Berufsausübung, 7. die Entziehung der Erlaubnis zum Führen von Kraftfahrzeugen. (2) Eine Maßregel der Sicherung und Besserung darf nicht angeordnet werden, wenn sie zur Bedeutung der vom Täter begangenen und zu erwartenden Taten sowie zu dem Grade der von ihm ausgehenden Gefahr außer Verhältnis steht. Als w e i t e r e S i c h e r u n g s m a ß r e g e l n haben zu gelten: a) die Polizeiaufsicht (§§ 38, 39), b) die Einziehung und Unbrauchbarmachung, soweit sie sich gegen a n der Tat unbeteiligte Personen richten. § 43 b
[Heil- oder Pflegreanstalt]
(1) Hat jemand eine mit Strafe bedrohte Handlung i m Zustand der Zurechnungsunfähigkeit (§ 51 Abs. 1, § 55 Abs. 1) oder der verminderten Zurechnungsfähigkeit ( § 5 1 Abs. 2, § 55 Abs. 2) begangen, so ordnet das Gericht seine Unterbringung in einer Heil- oder Pflegeanstalt an, wenn die öffentliche Sicherheit es erfordert. Dies gilt nicht bei Übertretungen. (2) Bei vermindert Zurechnungsfähigen tritt die Unterbringung neben die Strafe. 1. Bei der Unterbringung in einer Heil- oder Pflegeanstalt sind z w e i F ä l l e zu unterscheiden, nämlich die Unterbringung eines Zurechnungsunfähigen und die Unterbringung eines vermindert Zurechnungsfähigen. a) Bei vermindert Zurechnungsfähigen tritt die Unterbringung n e b e n d i e S t r a f e und wird grundsätzlich nach dieser vollzogen (vgl. § 456b StPO). b) Bei Zurechnungsunfähigen tritt die Unterbringung a n s t e l l e d e r S t r a f e . Bei Zurechnungsunfähigen, deren Zustand von vornherein feststeht, ist ein besonderes Sicherungsverfahren (§§ 429a ff. StPO) vorgesehen. 2. Es muß eine als Verbrechen oder Vergehen mit Strafe bedrohte Handlung vorliegen. Eine Übertretung genügt nicht (Abs. 1 Satz 2). 3. D i e V o r a u s s e t z u n g e n d e s § 5 1 A b s . 1 o d e r A b s . 2 m ü s s e n p o s i t i v f e s t g e s t e l l t s e i n . Bleibt unklar, ob der Angeklagte bei Tatbegehung voll oder 146
Maßregeln der Sicherung und Besserung
§ 43 b
nur vermindert zurechnungsfähig war, so kann zwar nach dem Grundsatz „in dubio pro r e o " die S t r a f e gemäß § 51 Abs. 2 gemildert werden; eine U n t e r b r i n g u n g gemäß § 4 2 b kommt dagegen nicht in Betracht. Anders ist die Rechtslage, wenn unklar ist, ob die Zurechnungsfähigkeit ausgeschlossen oder nur vermindert war. Hier kann zwar nicht auf S t r a f e erkannt werden; gegen die Anordnung einer U n t e r b r i n g u n g bestehen dagegen keine Bedenken, da diese sowohl unter den Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 als auch unter denen des § 51 Abs. 2 angeordnet werden kann (vgl. B G H 18, 167). 4. Die öffentliche Sicherheit muß die Unterbringimg erfordern, d.h. es muß die W a h r s c h e i n l i c h k e i t vorliegen, daß der Täter durch weitere Handlungen die öffentliche Sicherheit gefährden wird. a) Von einer G e f ä h r d u n g in diesem Sinn kann nicht gesprochen werden, wenn der Angeklagte die Allgemeinheit nur durch kleinere Delikte b e l ä s t i g t . Dies ergibt sich jetzt eindeutig aus dem in § 4 2 a Abs. 2 verankerten G r u n d s a t z d e r V e r h ä l t n i s m ä ß i g k e i t . Entscheidend sind immer die Umstände des Einzelfalls. Sehr differenziert war bisher die Rspr. zu der Frage, inwieweit Z e c h p r e l l e r e i e n ausreichen, um eine Unterbringung anzuordnen. So wurde die Zulässigkeit der Unterbringung verneint bei einem Angeklagten, bei dem nur kleinere Zechprellereien zu befürchten waren, die aus seiner von einem Pfleger verwalteten Rente beglichen werden konnten (BGH Beschl. vom 3. 1. 1967 — 5 S t R 661/66) sowie bei einem Angeklagten, dessen Betrügereien in Höhe von DM 7.10 und DM 7.50 noch als Notbetrug gewertet werden konnten (BGH 20, 232). Andererseits hielt der 2. Senat in einer Entscheidung vom 28. 9 . 1 9 6 6 ( N J W 1967, 292) die Unterbringung eines Angeklagten, der einen Taxifahrer um DM 14.— und eine Kellnerin um DM 5.10 geprellt hatte, aber schon wegen Hausfriedensbruchs, Widerstands, Vollrauschs und sechsmal wegen Betrugs vorbestraft war, für unbedenklich. An dieser sehr weitgehenden Entscheidung kann heute jedoch nicht mehr festgehalten werden (vgl. Bogr. d. Sonderausschusses, S. 17 d. BT-Drucksache V/4094). Die Anordnung der Unterbringung wird jedoch nicht schlechthin dadurch ausgeschlossen, daß die den Anlaß des Verfahrens bildende Tat nur von geringer Bedeutung ist. So kann z . B . auch ein Einbruch, bei dem nur 100,— DM aus einem Büroschrank erbeutet wurden, zur Anordnung der Unterbringung führen, wenn bei Würdigung aller Umstände in Zukunft Taten von erheblicher Schwere zu erwarten sind (BGH 24, 134). b) Wegen ihrer einschneidenden Bedeutung kommt eine Unterbringung nur als ä u ß e r s t e s M i t t e l in Betracht. Sie darf also nicht angeordnet werden, wenn die Wiederholungsgefahr sich durch andere, mildere Maßnahmen vermeiden läßt, z . B . durch Bestellung eines Vormunds, durch private Heimunterbringung oder durch psychotherapeutische Behandlung (BGH N J W 1951, 969). Andererseits darf von einer Unterbringung nur dann abgesehen werden, wenn das Gericht überzeugt sein darf, daß andere, mildere Maßnahmen tatsächlich geeignet sind, die sonst erforderliche Anordnung der Unterbringimg zu ersetzen (BGH 15, 279). Z w e i f e l in dieser Hinsicht gehen zu Lasten des Angeklagten. c) Die Frage, wann ein vermindert Zurechnungsfähiger in einer Heil- oder Pflegeanstalt und wann er in S i c h e r u n g s v e r w a h r u n g unterzubringen ist, darf nicht allein unter dem Gesichtspunkt der öffentlichen Sicherheit entschieden werden. Der Richter muß vielmehr auch die Gesamtpersönlichkeit des Angeklagten sowie die unterschiedlichen Ziele und die Behandlungsmethoden beider Anstalten berücksichtigen. Die Unterbringung in einer Heil- oder Pflegeanstalt ist k e i n g e r i n g e r e s , sondern ein a n d e r e s Ü b e l gegenüber der Sicherungsverwahrung (vgl. B G H 5, 312). 5. Maßgebender Zeitpunkt für die Beurteilung der Wiederholungsgefahr ist der Zeitpunkt der Urteilsfällung. Dies gilt seit der Einführung des § 42 g i . d . F . des 10*
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§§ 4 3 c—42 e
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1. StrRG auch für die Unterbringung vermindert Zurechnungsfähiger, bei denen früher auf den Zeitpunkt der Entlassung aus der Strafhaft abgestellt wurde (vgl. BGH 25, 59 m. Anm. Schröder J R 1973, 160). 6. Die Befreiung eines nach § 42 b Untergebrachten ist nach § 122 b strafbar. Siehe ferner §§ 257 a, 346. § 4 2 c [Trinkerheilanstalt] Wird jemand, der gewohnheitsmäßig i m Übermaß geistige Getränke oder andere berauschende Mittel z u sich nimmt, wegen eines Verbrechens oder Vergehens, das er im Rausch begangen hat oder das mit einer solchen Gewöhnimg in ursächlichem Zusammenhang steht, oder wegen Volltrunkenheit (§ 330 a) zu einer Strafe verurteilt und ist seine Unterbringung in einer Trinkerheilanstalt oder einer Entziehungsanstalt erforderlich, u m ihn an ein gesetzmäßiges und geordnetes Leben zu gewöhnen, so ordnet das Gericht neben der Strafe die Unterbringung an. 1. Die Maßnahme ist eine echte B e s s e r u n g s m a ß r e g e l , keine Sicherungsmaßregel. Sie darf daher nur angeordnet werden, wenn ihr Vollzug wenigstens eine gewisse A u s s i c h t a u f E r f o l g verspricht. Steht zweifelsfrei fest, daß eine Unterbringung absolut ungeeignet ist, den Süchtigen wieder an ein gesetzmäßiges und geordnetes Leben zu gewöhnen (z.B. nach wiederholter, ergebnislos gebliebener Unterbringung), so ist eine Anordnung nach § 42c unzulässig. Es sollte jedoch jede Möglichkeit einer Heilung wahrgenommen werden (vgl. OLG Neustadt N J W 1964, 2435). 2. Die Unterbringung darf nur angeordnet werden, wenn andere Mittel, insbesondere freiwillige Entziehungskuren, nicht in Betracht kommen. Sie ist unzulässig, wenn schon im Zeitpunkt der HV mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist, daß der Täter während des Strafvollzugs von seinem Hang zum Alkoholmißbrauch befreit wird (BGH N J W 1972, 347 bei einer Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe von 4 Jahren). 3. P r o z e s s u a l sind die §§ 80a, 246a StPO zu beachten (Anhörung eines S a c h v e r s t ä n d i g e n vor Anordnung der Unterbringung), ferner § 456b StPO (Reihenfolge der Vollstreckung). 4. Bei B e f r e i u n g aus einer Trinkerheilanstalt siehe § 122b, ferner §§ 257a, 346. § 4 3 d [Arbeitshaus] Die Vorschrift wurde durch das 1. StrRG mit Wirkung vom 1. 9. 1969 aufgehoben. § 43 e [Sicherungsverwahrung:] (1) Wird jemand wegen einer vorsätzlichen Straftat zu zeitiger Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren verurteilt, so ordnet das Gericht neben der Strafe die Sicherungsverwahrung an, wenn 1. der Täter wegen vorsätzlicher Straftaten, die er vor der neuen Tat begangen hat, schon zweimal jeweils zu einer Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist, 2. er wegen einer oder mehrerer dieser Taten vor der neuen Tat für die Zeit von mindestens zwei Jahren Freiheitsstrafe verbüßt oder sich im Vollzug einer freiheitsentziehenden Maßregel der Sicherung und Besserung befunden hat und 3. die Gesamtwürdigung des Täters und seiner Taten ergibt, daß er infolge eines Hanges zu erheblichen Straftaten, namentlich zu solchen, durch
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§42e
welche die Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt werden oder schwerer wirtschaftlicher Schaden angerichtet wird, für die Allgemeinheit gefährlich ist. (2) Hat jemand drei vorsätzliche Straftaten begangen, durch die er jeweils Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr verwirkt hat, und wird er wegen einer oder mehrerer dieser Taten zu zeitiger Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt, so kann das Gericht unter der im Absatz 1 Nr. 3 bezeichneten Voraussetzung neben der Strafe die Sicherungsverwahrung auch ohne frühere Verurteilung oder Freiheitsentziehung (Absatz 1 Nr. 1, 2) anordnen. (3) § 17 Abs. 3, 4 gilt sinngemäß. (4) Eine Tat, die außerhalb des räumlichen Geltungsbereichs dieses Gesetzes abgeurteilt worden ist, steht einer innerhalb dieses Bereichs abgeurteilten Tat gleich, wenn sie nach deutschem Strafrecht eine vorsätzliche Straftat wäre. I. Die Sicherungsverwahrung (SV) wurde durch das 1. StrRG ipit Wirkung vom 1. 4. 1970 grundlegend umgestaltet. Die Zulässigkeit der Vollstreckung einer schon vor dem 1. 4. 1970 rechtskräftig angeordneten Sicherungsverwahrung wird durch die Neufassung nicht berührt (Celle N J W 1970, 1199; Stgt D J 1971, 61). Die Neufassung wirkt sich auf solche Fälle nur im Kähmen der bedingten Entlassung aus. Siehe hierzu Anm. 2 zu § 42 f. —Aus dem Schrifttum siehe besonders Lang-Hinrichsen, Maurach-Festschr. S. 311. 1. Nach der früheren Kechtslage durfte die SV nur dann angeordnet werden, wenn schon im Zeitpunkt der Aburteilung festgestellt werden konnte, daß der Täter auch n a c h dem Vollzug der Freiheitsstrafe noch so gefährlich sein würde, daß die öffentliche Sicherheit seine anschließende Unterbringung in der SV erforderte. Durch eine solche Gefährlichkeitsprognose, die zwangsläufig auf einen oft in ferner Zukunft liegenden Zeitpunkt abstellen mußte, waren die Gerichte vielfach überfordert. Nach der Neufassimg kommt es f ü r die Gefährlichkeitsprognose allein auf den Zeitpunkt der Aburteilung an (BGH 24, 160, 164). Liegen die formellen Voraussetzungen des Abs. 1 Nr. 1 oder 2 vor und ergibt die Gesamtwürdigung des Täters und seiner Taten, daß er infolge seines Hangs für die Allgemeinheit gefährlich ist, so ist die SV ohne Rücksicht darauf anzuordnen, ob der Vollzug der Strafe nicht doch noch eine resozialisierende Wirkung haben könnte. Ergibt sich dann allerdings gegen Ende des Strafvollzugs, daß der Vollzug der bereits angeordneten SV nicht mehr notwendig ist, so ordnet das Gericht nach § 42 g Abs. 1 an, daß die Unterbringung nicht zu vollstrecken ist. 2. Während durch die unter I 1 dargelegte Schwerpunktsverlagerung die Anordnung der SV erleichtert worden ist, wurde die Voraussetzung ihrer Anordnung im übrigen teilweise erheblich eingeschränkt. Die Neufassung der Vorschrift stellt klar, daß die SV als das schärfste staatliche Reaktionsmittel den Charakter einer letzten Notmaßnahme der Kriminalpolitik haben muß. Das Sicherheitsbedürfnis der Bevölkerung rechtfertigt die Anordnung der SV nur dann, wenn es sich um einen Verbrecher handelt, der durch e r h e b l i c h e Straftaten die Allgemeinheit wiederholt beunruhigt hat. Straftaten von geringer oder mittlerer Schwere dürfen grundsätzlich nicht mehr Anlaß zur SV geben (vgl. BGH 24, 153 ff., 160 ff.). Siehe hierzu ausführlich unten IV 1. II. Die formellen Voraussetzungen des Abs. 1. 1. Abs. 1 Nr. 1 setzt zunächst voraus, daß der Täter vor der neuen Tat mindestens zweimal wegen vorsätzlicher Straftaten zu Freiheitsstrafen verurteilt worden ist. a) Als Freiheitsstrafe i.S. der Vorschrift gelten die Freiheitsstrafe des § 18 sowie die Jugendstrafe des § 17 JGG. b) Die den früheren Verurteilungen zugrundeliegenden Straftaten müssen so erheblich gewesen sein, daß sie zu einer Freiheitsstrafe von mindestens 1 Jahr
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geführt haben. Eine Gesamtstrafe als Vorverurteilung reicht n u r dann aus, wenn in ihr eine Einzelstrafe von mindestens einem J a h r enthalten ist (vgl. Horstkotte JZ 1970, 152, 155; Lackner-Maassen 4 b ; a.A. Schönke-Schröder 10, Dreher 2 A). c) Durch die in Abs. 3 enthaltene Verweisung auf § 17 Abs. 3 S. 1 wird klargestellt, daß die Verurteilung zu einer Gesamtstrafe als eine einheitliche Verurteilung gilt. Die Voraussetzungen des Abs. 1 Nr. 1 sind also nicht gegeben, wenn zwar zwei Verurteilungen vorliegen, diese aber nachträglich gemäß § 76 StGB oder § 460 StPO auf eine Gesamtstrafe zurückgeführt wurden. Die zweite der beiden Vorverurteilungen muß also auf jeden Fall nach Rechtskraft der ersten Vorverurteilung begangen worden sein (vgl. Horstkotte JZ 1970, 152, 155; Lackner-Maassen 4b, b b ; a. A. Dreher 2 A b). 2. Nach Abs. 1 Nr. 2 ist weiter erforderlich, daß der Täter vor Begehung der neuen T a t wegen der in Abs. 1 Nr. 1 bezeichneten Taten f ü r die Zeit von mindestens zwei Jahren Freiheitsstrafe verbüßt oder sich im Vollzug einer freiheitsentziehenden Maßregel der Sicherung und Besserung (z.B. in einer Heil- oder Pflegeanstalt oder in einer Trinkerheilanstalt) befunden hat. E r muß also die Schärfe des Gesetzes bereits in erheblicher Form verspürt haben, so daß man sagen kann, daß er sich von der neuen Tat nicht h a t abhalten lassen, obwohl er bereits hinreichend gewarnt war. Unerheblich ist dabei, ob die Vollzugsdauer von insgesamt mindestens 2 Jahren auf eine, zwei oder mehrere Verurteilungen zurückgeht. E s kann aber nur auf Verurteilungen zu Freiheitsstrafen von mindestens 1 J a h r zurückgegriffen werden. So genügt es z.B., wenn A wie folgt vorbestraft ist: 1. Verurteilung wegen Betrugs mit 1 J a h r Freiheitsstrafe, hiervon verbüßt eine Teilstrafe von 8 Monaten; 2. Verurteilung wegen schweren Diebstahls mit 1 J a h r Freiheitsstrafe, Strafe voll verbüßt; 3. Verurteilung wegen Kaubs zu 2 Jahren Freiheitsstrafe, Teilstrafe von 10 Monaten verbüßt, dann Strafunterbrechung. Die Voraussetzungen des § 42 e Abs. 1 würden dagegen nicht vorliegen, wenn die 1. Verurteilung nur in Höhe der verbüßten 8 Monate erfolgt wäre. I n diesem Fall dürfte nämlich auf die 1. Vorstrafe nicht zurückgegriffen werden, und die Strafverbüßimg aufgrund der 2. und 3. Verurteilung hätte die Mindestdauer von 2 Jahren nicht erreicht. 3. Die neue Tat muß so erheblich gewesen sein, daß sie zu einer Verurteilung von mindestens 2 Jahren Freiheitsstrafe f ü h r t . Neben lebenslanger Freiheitsstrafe kommt die SV nicht in Betracht. Stehen mehrere Taten zur Aburteilung, f ü r die eine G e s a m t s t r a f e zu bilden ist, so ist nicht die Höhe der Gesamtstrafe entscheidend. Vielmehr ist erforderlich, daß mindestens eine der E i n z e l s t r a f e n , aus denen die Gesamtstrafe zu bilden ist, die Höhe von mindestens 2 Jahren Freiheitsstrafe erreicht. 4. Nach § 66 idF. des 2. StrRG ist weiter erforderlich, daß die neue Tat nach Vollendung des 25. Lebensjahres begangen wurde. Diese Einschränkung hängt damit zusammen, daß f ü r Erwachsene unter 27 Jahren eine Unterbringung in einer sozialtherapeutischen Anstalt vorgesehen ist. Zur Zeit bestehen jedoch solche Anstalten noch nicht. Trotzdem sollte entsprechend der bisherigen Praxis die SV bei Tätern unter 25 Jahren n u r ganz ausnahmsweise angeordnet werden. m . Die formellen Voraussetzungen des Abs. 2. 1. Ausnahmsweise kann die öffentliche Sicherheit die SV auch f ü r solche Personen erfordern, die bisher überhaupt nicht oder nur geringfügig vorbestraft sind. Hierher gehören insbesondere solche Fälle, in denen es einem Gewaltverbrecher oder Serientäter gelungen ist, sich jahrelang seiner Verantwortung zu entziehen. 2. E s ergibt sich aus der N a t u r der SV als letzter Notmaßnahme der Kriminalpolitik (s.o. I 2), daß hinsichtlich der einzelnen, zur Aburteilung stehenden Taten noch strengere Anforderungen zu stellen sind als im Falle des Abs. 1. I m einzelnen sind erforderlich:
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a) mindestens drei vorsätzliche Straftaten; diese dürfen untereinander nicht in Fortsetzungszusammenhang stehen, sondern müssen r e c h t l i c h s e l b s t ä n d i g sein; b) Straftaten, die noch nicht abgeurteilt sind, dürfen nur dann der SV zugrunde gelegt werden, wenn sie Gegenstand der Anklage und des Eröffnungsbeschlusses sind und gleichzeitig abgeurteilt werden (BGH 25, 44); c) alle drei Straftaten müssen so erheblich sein, daß der Täter f ü r jede von ihnen eine Freiheitsstrafe von mindestens 1 J a h r verwirkt h a t ; d) der Täter muß zu einer Gesamtstrafe von mindestens 3 J a h r e n verurteilt werden. 3. I m Gegensatz zu § 42 e Abs. 1 Nr. 1 ist bei Vorliegen der Voraussetzungen des Abs. 2 die Anordnung der SV nicht zwingend; es handelt sich vielmehr um eine Kann-Vorschrift. Der Richter soll die Möglichkeit haben, sich auf die Verhängung einer hohen Freiheitsstrafe zu beschränken, sofern erwartet werden kann, der Täter werde sich die Strafe hinreichend zur Warnung dienen lassen. IV. Die materiellen Voraussetzungen. 1. Der Täter muß einen Hang zu erheblichen Straftaten besitzen. a) Die Ursache des Hangs ist unerheblich. Insbesondere wird die Anordnung der SV nicht dadurch ausgeschlossen, daß der Täter sich aus Willensschwäche zu seinen Taten h a t hinreißen lassen (BGH 24, 160f.). Aber auch verminderte Zurechnungsfähigkeit steht der Anordnung der SV nicht entgegen (BGH a.a.O.). b) Erheblich sind nach der beispielhaften Erwähnung in Abs. 1 Nr. 3 vor allem solche Straftaten, durch die das O p f e r s e e l i s c h o d e r k ö r p e r l i c h s c h w e r ges c h ä d i g t wird (z.B. durch Vergewaltigung, sexuelle Nötigung, Vornahme sexueller Handlungen an Kindern) oder durch die s c h w e r e r w i r t s c h a f t l i c h e r S c h a d e n entsteht. Hierbei ist nicht erforderlich, daß das Opfer aus wirtschaftlichen Gründen besonders schadensempfindlich ist (BGH 24, 160, 162). Auch Bankeinbrüche, Raubüberfälle auf Geldinstitute jeder Art oder die Erpressung von Großunternehmern kann zur Anordnung der SV führen. Ein „schwerer wirtschaftlicher Schaden" kann aber auch dann vorliegen, wenn der Täter eine große Betrugskampagne inszeniert, bei der die einzelnen Betroffenen nur einen verhältnismäßig geringen Schaden erleiden, der Gesamtschaden aber beträchtlich ist (vgl. Begr. d. Sonderausschusses, S. 20 der BT-Drucksache V/4094; BGH 24, 153ff. betr. 22 Betrugstaten mit einem Gesamtschaden von 9000,— DM). Abgesehen von den beiden im Gesetz besonders hervorgehobenen Fallgrappen gehören hierher alle Straftaten, durch die die Bevölkerung besonders beunruhigt wird, z.B. nächtliche Überfälle auf Passanten, auch wenn diese nicht seelisch oder körperlich schwer geschädigt werden und die Beute nicht als schwerer wirtschaftlicher Schaden angesehen werden kann. Straftaten von geringem oder mittlerem Schweregrad reichen zur Anordnung der SV grundsätzlich nicht mehr aus. Andererseits ist es nicht erforderlich, daß ein Verbrechen oder ein besonders schwerer Fall eines Vergehens den Gegenstand des Verfahrens bildet; auch Taten der mittleren Kriminalität können zur Anordnung der SV führen, wenn sie einen hohen Schweregrad aufweisen und der Rechtsfriede empfindlich gestört worden ist (vgl. B G H 24, 153). Bei sog. Serientätern k o m m t es f ü r die Beurteilung des Schweregrads nicht auf die Einzeltat, sondern auf die Gesamtwürdigung an (BGH 24, 153, 155; Celle N J W 1970, 1199; Greiser N J W 1971, 789). 2. Der Täter muß auf Grund seines Hangs zu erheblichen Straftaten für die Allgemeinheit gefährlich sein. a) Wegen des Z e i t p u n k t s der Gefährlichkeitsprognose s.o. I 1. b) Eine Gefahr f ü r die A l l g e m e i n h e i t liegt auch dann vor, wenn die Gefahr nur f ü r einzelne Personen besteht und nur durch die Anordnung der SV abgewendet
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werden kann, z.B. wenn jemand ständig seine Angehörigen, seine Arbeitskollegen oder Nachbarn tätlich angreift, u m ihnen nach dem Leben zu trachten. Von der SV kann in solchen Fällen n u r dann abgesehen werden, wenn die Möglichkeit besteht, die Beziehungen zwischen dem Verurteilten u n d seinen Opfern so zu ändern, d a ß keine Gefahr mehr f ü r diese besteht. Die Gefahr einer wirtschaftlichen Schädigung einer bestimmten Einzelperson wird deshalb die SV grundsätzlich nicht rechtfertigen (vgl. Begr. d. Sonderausschusses, S. 20 d. BT-Drueksache V/4094). Bei Vermögens- u n d Eigentumsdelikten kommt es entscheidend auf die Häufigkeit der begangenen und der zu erwartenden Taten an, wobei Zechprellereien und ähnliche Bagatelldelikte mangels Erheblichkeit auszuscheiden sind (vgl. B G H 24, 153 ff.). 3. Die Beurteilung als gefährlicher Hangtäter muß auf einer Gesamtwürdigung des Täters u n d seiner Taten beruhen. Sowohl die früheren Taten als auch die neu abzuurteilende T a t müssen „symptomatisch" sein f ü r den Hang des Täters zu erheblichen Straftaten u n d die sich hieraus ergebende Gefährlichkeit f ü r die Allgemeinheit (sog.Symptomtaten, vgl. BGH 24, 153, 156f.). Handelt es sich bei der Vorverurteilung u m eine Gesamtstrafe, so kann sie nur dann als Grundlage f ü r die Anordnung der SV herangezogen werden, wenn sie eine Symptomtat enthält, f ü r die eine Einzelstrafe von mindestens 1 J a h r ausgesprochen wurde (BGH 24, 243). 4. Bei jeder Anordnung der SV ist sorgfältig zu prüfen, ob sie nicht gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verstößt. Wie schon eingangs (I 2) angedeutet, gehören kleine Zechpreller u n d Diebe, die die öffentliche Sicherheit u n d damit den Rechtsfrieden nicht schwerwiegend stören, sondern die Allgemeinheit n u r belästigen, nicht in die SV. Dies ergibt sich nicht n u r aus dem Grundsatz des § 42 a Abs. 2 (neu eingeführt durch das 1. StrRG), sondern auch aus den in § 42 e Abs. 1 Nr. 3 aufgeführten Beispielen (vgl. B G H 24, 153ff., 160.ff; Stgt D J 1971, 61; Krhe N J W 1971, 204). V. Der in Abs. 3 enthaltene Hinweis auf § 17 Abs. 3 bezieht sich teils auf die Einordnimg einer G e s a m t s t r a f e (§ 17 Abs. 3 S. 1, siehe auch oben I I l c ) , teils auf die Bedeutung der Anrechnung der U n t e r s u c h u n g s h a f t . Die Verweisung auf § 17 Abs. 4 befaßt sich m i t der Ausscheidung von Taten, die länger als 5 J a h r e zurückliegen. E r gilt sowohl f ü r Abs. 1 Nr. 1 als auch für Abs. 1 Nr. 2. VI. Abs. 4 bezieht sich vor allem auf A u s l a n d s t a t e n , aber auch auf Taten, die in der D D R begangen wurden.
§ 4 2 f [Dauer der Unterbringung:] (1) Die Unterbringung in einer Trinkerheilanstalt oder einer Entziehungsanstalt darf v o m Beginn der Unterbringung a n nicht länger als zwei Jahre dauern. Die Dauer der Unterbringung in einer Heil- oder Pflegeanstalt und der Sicherungsverwahrung ist an keine Frist gebunden. (2) Ist keine Höchstfrist vorgesehen oder ist die Frist noch nicht abgelaufen, so ordnet das Gericht die Entlassung des Untergebrachten an, sobald verantwortet werden kann z u erproben, ob der Untergebrachte außerhalb des Maßregelvollzugs keine mit Strafe bedrohten Handlungen mehr begehen wird. (3) D a s Gericht kann jederzeit prüfen, ob die Entlassung des Untergebrachten nach Absatz 2 anzuordnen ist. Es muß dies vor Ablauf bestimmter Fristen prüfen. Die Fristen betragen bei der Unterbringung in einer Trinkerheilanstalt oder einer Entziehungsanstalt sechs Monate, in einer Heil- oder Pflegeanstalt ein Jahr, in der Sicherungsverwahrung zwei Jahre.
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(4) Das Gericht kann die in Absatz 3 genannten Fristen kürzen. Es kann im Rahmen der gesetzlichen Prüfungsfristen auch Fristen festsetzen, vor deren Ablauf ein Antrag auf Prüfung unzulässig ist. (5) Die in Absatz 3 genannten Fristen laufen vom Beginn der Unterbringung an. Lehnt das Gericht die Anordnung der Entlassung ab, so beginnen die Fristen mit der Entscheidung von neuem. (6) Ordnet das Gericht die Unterbringung in einer Trinkerheilanstalt oder einer Entziehungsanstalt nach § 42 c an, so ist eine frühere Anordnung der gleichen Maßregel erledigt. Die durch das 1. StrRG neu gefaßte Vorschrift regelt die Dauer der freiheitsentziehenden Maßnahmen sowie das Prüfungsverfahren während des Vollzugs. 1. Zeitlieh befristet ist nur die Unterbringung in einer Trinkerheüanstalt oder in einer Entziehungsanstalt. Diese darf nicht länger als 2 Jahre dauern (Abs. 1 S. 1). Die Dauer der Unterbringung in einer Heil- oder Pflegeanstalt oder in der SV ist dagegen an keine Frist gebunden (Abs. 1 S. 2). Zu beachten ist jedoch § 67 d i . d . F . des 2. StrRG (abgedruckt im Anhang 8), wonach die erstmalige Unterbringung in SV die Dauer von 10 Jahren nicht überschreiten darf. 2. Nach Abs. 2 ist der Untergebrachte bedingt zu entlassen, sobald verantwortet werden kann zu erproben, ob er sich auch außerhalb des Maßregelvollzugs gesetzmäßig führen kann. Entgegen der früheren Rechtslage ist also nicht mehr zu prüfen, ob der Zweck der Unterbringung erreicht ist. Die neue Regelung entspricht im wesentlichen der Neufassung des § 26 (Aussetzung eines Strafrests). Wie dort ist die Entscheidung über die Entlassimg in Freiheit mit einem R i s i k o verbunden, das jedoch im Interesse der Resozialisierung des Untergebrachten vom Gesetzgeber bewußt in Kauf genommen wurde. Die Grenzen dieses Risikos sind relativ und hängen von den Umständen des Einzelfalls ab. Handelt es sich um einen Verurteilten, bei dem ein gefährlicher Hang zu Straftaten gegen Leib oder Leben festgestellt wurde, so darf die Entlassung nur dann angeordnet werden, wenn ein verhältnismäßig hoher Grad an Wahrscheinlichkeit besteht, daß er sich in Zukunft, nach seiner Entlassung, straffrei führen wird. Dasselbe gilt bei gefährlichen Sittlichkeitsverbrechern, die sich vorwiegend an Kindern und Jugendlichen vergangen haben (vgl. KG J R 1970, 428). Bei Dieben und Betrügern wird dagegen das mit der Entlassung verbundene Risiko etwas großzügiger in Kauf genommen werden können. Insbesondere können fortgesetzte Betrügereien kleinerer Art in der Regel nicht mehr als erheblich i. S. der Vorschrift angesehen werden; beachtlich ist nur die Gefahr solcher Verfehlungen, die so erheblich sind, daß sie geeignet wären, bei Vorliegen der übrigen Voraussetzungen gemäß § 42 e die Anordnung der Sicherungsverwahrung zu begründen (vgl. Hamburg J R 1970, 349; Krhe N J W 1971, 204; D J 1971, 358; Stgt D J 1971, 61). 3. Die Abs. 3—5 befassen sich mit den Fristen, innerhalb deren die Voraussetzungen der weiteren Unterbringung zu prüfen sind. Diese Prüfungsfristen wurden gegenüber der bisherigen Rechtslage erheblich verkürzt. Die hiermit verbundene Mehrbelastung von Anstalt, Staatsanwaltschaft und Gericht wurde vom Gesetzgeber bewußt in Kauf genommen, damit die mit der Unterbringung befaßten Stellen sich öfter als bisher über die Erfolge der Behandlung und die Fortdauer des gefährlichen Zustands Rechenschaft geben (vgl. Begr. d. Sonderausschusses, S. 22 d. BT-Drucksache V/4094). 4. Anders als in § 26 wird die Einwilligung des Untergebrachten in seine Entlassung nicht vorausgesetzt. Er ist aber vor jeder Entscheidung zu hören (Anspruch auf rechtliches Gehör, vgl. BVerfG N J W 1964, 293 zu § 42f a. F.). Er muß insbesondere auch Gelegenheit haben, zu der über ihn abgegebenen Beurteilung der Anstalts-
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Verwaltung Stellung zu nehmen. Eine Ausnahme hiervon kann nur dann anerkannt werden, wenn durch die Bekanntgabe des vollen Wortlauts oder des wesentlichen Inhalts der Stellungnahme der Zweck der Unterbringung vereitelt oder eine Gefahr f ü r Leib oder Leben des Anstaltspersonals hervorgerufen würde. 5. Gegen alle im Prüfungsverfahren ergehenden Entscheidungen ist die sofortige Beschwerde gegeben (vgl. §§ 462, 463a StPO). 6. Die besondere Regelung des Abs. 6 bezieht sich nur auf die Trinkerheilanstalt und die Entziehungsanstalt, da nur diese Maßregeln zeitlich begrenzt sind (vgl. § 42 f Abs. 1). Die Vorschrift h a t zur Folge, daß nur die Höchstdauer der neu angeordneten Unterbringung zu beachten ist. Eine Zusammenrechnung der noch zur Verfügung stehenden Frist f ü r die alte Maßregel mit der Höchstfrist der neuen Maßregel findet also nicht statt. Der Vollzug einer früher angeordneten Maßregel wird auch nicht auf die Höchstdauer der neuen Maßregel angerechnet. Befindet sich der Täter zur Zeit der neuen Anordnung im Vollzug der früher angeordneten Maßregel, so wird die Behandlung ohne Unterbrechung aufgrund der neuen Anordnung fortgesetzt. War er aus dem Vollzug der früheren Maßregel bedingt entlassen, so bedarf es keines Widerrufs mehr, da ja nur noch die neu angeordnete Maßregel zu vollziehen ist. Besonderheiten gelten, wenn die Voraussetzungen einer nachträglichen Gesamtstrafe vorliegen (vgl. § 76 Abs. 2). I n diesem Fall findet Abs. 6 keine Anwendung. Ist die spätere Anwendung wegen einer T a t erfolgt, die der Täter v o r der früheren Anordnung einer Maßregel nach § 42 c begangen hat, so ist nur eine einzige Unterbringungsanordnung zu treffen. In diesem Fall wird der bisherige Vollzug der Maßregel auf die Höchstdauer des Abs. 1 angerechnet.
§ 42 g [Späterer Beginn der Unterbringung] (1) Wird eine Freiheitsstrafe vor einer zugleich angeordneten Unterbringung vollzogen, so prüft das Gericht vor dem Ende des Vollzugs der Strafe, ob der Zweck der Maßregel die Unterbringung noch erfordert. Ist das nicht der Fall, so ordnet das Gericht an, daß die Unterbringung nicht vollstreckt wird. (2) Sind außer i m Falle des Absatzes 1 seit der Rechtskraft des Urteils drei Jahre verstrichen, ohne daß mit dem Vollzug der Unterbringung begonnen worden ist, so darf sie nur noch vollzogen werden, wenn das Gericht es anordnet. Die Anordnung ist nur zulässig, w e n n der Zweck der Maßregel die nachträgliche Unterbringung erfordert. In die Frist wird die Zeit nicht eingerechnet, i n der der Unterzubringende auf behördliche Anordnung i n einer Anstalt verwahrt wird. 1. Die Vorschrift betrifft die Fälle, in denen einer angeordneten Unterbringung eine Freiheitsstrafe vorausgeht, deren Wirkung auf den Täter aber nicht unbedacht bleiben soll, bevor der Maßregelvollzug beginnt. Die Ausgangssituation dieser Vorschrift wird sich daher hauptsächlich bei der Sicherungsverwahrung ergeben. Bei den anderen freiheitsentziehenden Maßregeln (§§ 42b und 42c) wirkt sie sich n u r dann aus, wenn das erkennende Gericht nicht von der Möglichkeit des § 456b StPO Gebrauch macht, den Vollzug der Maßregel vor dem Strafvollzug anzuordnen. 2. Abs. 1 Satz 1 zieht in den Fällen der Sicherungsverwahrung die Konsequenzen aus der neuen Regelung des § 42 e, wonach die Aburteilung des Täters maßgebender Zeitpunkt f ü r die Bewertung seiner Gefährlichkeit ist. Dies macht eine erneute Überprüfung der Notwendigkeit der Maßregel am Ende des Strafvollzugs erforderlich. Ob der Zweck der Maßregel (Sicherung der Allgemeinheit) die Unterbringung noch erfordert, entscheidet sich daher in erster Linie nach den Wirkungen des Strafvollzugs und den dabei mit dem Verurteilten gemachten Erfahrungen. Der
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Maßregelvollzug wird zu verneinen sein, wenn erwartet werden kann, daß der Verurteilte seinen früheren Hang, erhebliche Straftaten zu begehen, beherrschen kann und mithin nicht mehr gefährlich erscheint (vgl. § 42h Abs. 3 Halbsatz 1 und dort Anm. 3). Diese Erwartung kann mit Hilfe von Auflagen (§ 42h Abs. 2) oder durch Zuordnung eines Bewährungshelfers günstiger gestaltet werden. 3. Ordnet das Gericht an, daß die Maßregel nicht vollzogen wird, so bedeutet das keinen endgültigen Verzicht auf die Vollstreckung dieser Maßregeln, sondern — ebenso wie in den Fällen des § 42 f — nur eine bedingte Aussetzung der Unterbringung. 4. Die Regelung des Abs. 2, die dem früheren § 42 g entspricht, macht den Vollzug einer Maßregel von einer neuerlichen Anordnung und Prüfung ihrer Notwendigkeit abhängig, wenn der Verurteilte seit der Rechtskraft ihrer Anordnung insgesamt 3 Jahre in Freiheit gelebt hat, ohne daß mit dem Maßregel Vollzug begonnen wurde. 5. Zum Verfahren siehe § 463a Abs. 3 StPO.
§ 4 3 h [Entlassung: u n d Widerruf der Entlassung:] (1) Ist keine Höchstfrist der Unterbringung vorgesehen oder ist die Frist noch nicht abgelaufen, so gilt die Entlassung des Untergebrachten nur als bedingte Aussetzung der Unterbringung. Dasselbe gilt für die Anordnung nach § 42 g Abs. 1 Satz 2. ( 2 ) Das Gericht kann dem Verurteilten besondere Pflichten auferlegen und ihm einen Bewährungshelfer bestellen. Es kann solche Anordnungen auch nachträglich treffen, ändern oder aufheben. (3) Zeigt der Verurteilte durch sein Verhalten in der Freiheit, daß der Zweck der Maßregel seine Unterbringimg erfordert, und ist die Vollstreckung der Maßregel noch nicht verjährt, so ordnet das Gericht die Vollstreckung an. (4) Die Dauer der Unterbringung in einer Trinkerheilanstalt oder einer Entziehungsanstalt darf auch im Falle einer Anordnung nach Absatz 3 insgesamt die gesetzliche Höchstdauer der Maßregel nicht überschreiten. 1. Die Entlassung des Untergebrachten aus der Sicherungsverwahrung oder der Heil- und Pflegeanstalt oder seine vorzeitige Entlassung aus der Trinkerheilanstalt oder Entziehungsanstalt ist immer nur eine bedingte Aussetzung der jeweiligen Maßregel. Hingegen ist die Entlassung aus der Trinkerheilanstalt oder Entziehungsanstalt nach Ablauf der zweijährigen Höchstdauer unwiderruflich. 2. I m Rahmen der bedingten Aussetzung können nach dem Ermessen des Gerichts durch Auferlegung besonderer Pflichten (z.B. durch bestimmte Auflagen und Weisungen, insbesondere aber durch Bestellung eines Bewährungshelfers) der Zweck der Maßregel weiter verfolgt und dem Entlassenen zugleich die Rückkehr in die Freiheit erleichtert werden (Abs. 2). Ist z.B. aus medizinischen Gründen die bedingte Entlassung eines an Schizophrenie Erkrankten aus der Heilanstalt nur zu verantworten, wenn der Untergebrachte sich jeder Führung eines Kraftfahrzeugs enthält, so kann das Gericht bei der Entlassung eine entsprechende Auflage erteilen (vgl. Hamm G A 1972, 214). 3. Widerruf: Wird der Untergebrachte nach erlangter Freiheit erneut straffällig oder zeigt er auf andere Weise, daß seine Unterbringung aus Sicherungs- oder Besserungsgründen noch notwendig erscheint oder die Aussetzung nicht gerechtfertigt war, so hat das Gericht die bedingte Aussetzung zu widerrufen und die weitere Vollstreckung der Maßregel anzuordnen. Verstöße gegen besondere Auflagen und Weisungen, selbst kleinere Straftaten reichen für sich allein zum Widerruf
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§§ 43i—4SI
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noch nicht aus (vgl. Celle NJW 1958, 33; Mittelbach JR 1958, 151). Der Sonderausschuß für die Strafrechtsreform ging im übrigen davon aus, daß sich die Gerichte hinsichtlich der Widerrufsgründe auch schon vor Inkrafttreten des 2. StrRG an § 67g Abs. 1 bis 3 i.d.F. des 2.StrRG (Anhang 8) orientieren werden (siehe BTDrucksache V/4094 S. 23). Neben dem Widerruf der bedingten Entlassung betrifft Abs. 3 auch die nachträgliche Anordnimg einer Vollstreckung, die zunächst gemäß § 42g Abs. 1 unterblieben war. Der Widerruf ist ausgeschlossen, wenn bereits Vollstreckungsverjährung eingetreten ist. 4. Rechtsmittel: sofortige Beschwerde (vgl. §§ 462, 463a StPO). § 4 3 i [Beschäftigung: der Untergebrachten] (1) Die Untergebrachten k ö n n e n innerhalb oder außerhalb der Anstalt a u f eine ihren Fähigkeiten angemessene Weise beschäftigt werden. (2) Die i n Sicherungsverwahrung Untergebrachten d ü r f e n n u r m i t ihrer Z u s t i m m i m g außerhalb der Anstalt beschäftigt werden. Die Vorschrift schließt sich der Regelung des neuen § 21 an. Während Abs. 1 für alle auf Grund der §§ 42b, 42c und § 42e Untergebrachten gilt, fordert Abs. 2 die Z u s t i m m u n g für eine Beschäftigung außerhalb der Anstalt nur von den in der Sicherungsverwahrung Festgehaltenen. In den übrigen Fällen der freiheitsentziehenden Maßregeln ist eine Zustimmung zur Außenarbeit nicht erforderlich, da sie ohnehin von dem ärztlichen Behandlungsplan mit umfaßt sein wird und dieser durch eine förmliche Zustimmungserklärung gefährdet werden könnte. § 43 k
[aufgehoben]
§ 431 [Untersagung der Berufsausübung] (1) Wird j e m a n d wegen eines Verbrechens oder Vergehens, das e r u n t e r Mißbrauch seines Berufs oder Gewerbes oder u n t e r grober Verletzung der i h m k r a f t seines Berufs oder Gewerbes obliegenden Pflichten begangen h a t , zu Freiheitsstrafe von mindestens drei Monaten verurteilt, so k a n n i h m das Gericht zugleich a u f die D a u e r von mindestens einem u n d höchstens f ü n f J a h r e n die Ausübung des Berufs, Gewerbes oder Gewerbezweiges u n t e r sagen, w e n n dies erforderlich ist, u m die Allgemeinheit vor weiterer Gefährd u n g zu schützen. (2) Solange die Untersagung w i r k s a m ist, darf der Verurteilte den Beruf, das Gewerbe oder den Gewerbezweig a u c h nicht f ü r einen anderen ausüben oder d u r c h eine von seinen Weisungen abhängige Person f ü r sich ausüben lassen. (3) § 32 Abs. 1 , 2 gilt entsprechend. Wird die Vollstreckung der Freiheitsstrafe oder einer neben der Strafe erkannten, mit Freiheitsentziehimg verbundenen Maßregel der Sicherung u n d Besserung bedingt ausgesetzt, so wird die Probezeit auf die Frist angerechnet. (4) Das Gericht k a n n die Untersagung der Berufsausübung wieder a u f heben, w e n n der Zweck der Maßregel ihre Fortdauer nicht m e h r erforderlich erscheinen läßt. Die A u f h e b u n g ist frühestens zulässig, n a c h d e m die Maßregel ein J a h r gedauert h a t . Sie gilt n u r als bedingte Aussetzimg der U n t e r s a g u n g u n d k a n n bis z u m Ablauf der i m Urteil f ü r ihre Dauer festgesetzten Zeit widerrufen werden; die D a u e r der Untersagung darf a u c h i m Falle des Widerr u f s insgesamt die i m Urteil f ü r ihre D a u e r festgesetzte Zeit nicht überschreiten.
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§
4 2 m
1. Die Vorschrift wird in der Praxis hauptsächlich gegen b e t r ü g e r i s c h e V e r t r e t e r a n g e w a n d t , aber auch gegen unzuverlässige Ä r z t e , A p o t h e k e r und G a s t w i r t e . Aus der neueren Rspr. siehe BVerfG NJW1969, 742: Ein Berufsverbot wegen eines politischen Delikts stellt keinen Verstoß gegen Art. 18 GG dar, wenn die strafbare Handlung in einem Verstoß gegen das Parteiverbot gemäß Art. 21 Abs. 2 GG besteht. 2. Die Dauer des Berufsverbots beträgt 1—5 Jahre (Abs. 1). Die F r i s t beginnt nicht schon mit Rechtskraft des Urteils, sondern an dem Tag, an dem die gleichzeitig ausgesprochene Freiheitsstrafe (nicht unter 3 Monaten) verbüßt, verjährt oder erlassen ist (§ 32 Abs. 2 i.V. mit Abs. 3). Wegen A b k ü r z u n g der Frist siehe Abs. 4. 3. Zuwiderhandlungen sind gemäß § 145 c strafbar. 4. Aus dem neueren Schrifttum siehe besonders Lang-Hinrichsen, Heinitz-Festschr. S. 477. § 42 m
[ Entziehung; der Fahrerlaubnis]
(1) Wird jemand wegen einer mit Strafe bedrohten Handlung, die er bei oder i m Zusammenhang mit dem Führen eines Kraftfahrzeugs oder unter Verletzung der Pflichten eines Kraftfahrzeugführers begangen hat, verurteilt oder nur deshalb nicht verurteilt, weil seine Zurechnungsunfähigkeit erwiesen oder nicht auszuschließen ist, so entzieht ihm das Gericht die Fahrerlaubnis, wenn sich aus der Tat ergibt, daß er zum Führen von Kraftfahrzeugen ungeeignet ist. Einer weiteren Prüfung nach § 42 a Abs. 2 bedarf es nicht. (2) Ist die mit Strafe bedrohte Handlung in den Fällen des Absatzes 1 ein Vergehen 1. der Gefährdung des Straßenverkehrs (§ 315c), 2. der Trunkenheit im Verkehr (§ 316), 3. der Verkehrsflucht (§ 142), obwohl der Täter weiß oder wissen kann, daß bei dem Unfall ein Mensch getötet oder nicht unerheblich verletzt worden oder an fremden Sachen bedeutender Schaden entstanden ist, oder 4. der Volltrunkenheit (§ 330a), die sich auf eine der mit Strafe bedrohten Handlungen nach den Nummern 1, 2 oder 3 bezieht, so ist der Täter in der Regel als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen anzusehen. (3) Die Fahrerlaubnis erlischt mit der Rechtskraft des Urteils. Ein von einer deutschen Behörde erteilter Führerschein wird i m Urteil eingezogen. I. Die Vorschriften über die Fahrerlaubnisentziehung (FE) wurden durch das 2. VerkSichG vom 26. 11. 1964 neu gefaßt. Die früher in § 42m zusammengefaßten Regelungen finden sich jetzt in den §§ 42m bis 42o. Aus der Neufassung besonders hervorzuheben ist die in § 42 m Abs. 2 vorgenommene Aufzählung besonders schwerwiegender Verkehrsdelikte, durch deren Begehung der Täter grundsätzlich als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen erscheint, so daß nur ausnahmsweise vom Entzug der Fahrerlaubnis abgesehen werden kann. § 42 n befaßt sich mit der Dauer der S p e r r f r i s t . Von besonderer praktischer Bedeutung ist hierbei vor allem die sich aus § 42 n Abs. 4 bis 6 ergebende Möglichkeit, die Zeit, während der dem Täter die Fahrerlaubnis gemäß § l i l a StPO vorläufig entzogen worden war oder während der sein Führerschein sonst amtlich verwahrt wurde, auf die endgültige Sperrfrist anzurechnen. § 42 o befaßt sich mit der F E bei Inhabern a u s l ä n d i s c h e r F a h r a u s w e i s e . Über das Verhältnis der F E zum F a h r v e r b o t siehe § 37 Anm. I.
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§ 43m
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IL Die Voraussetzungen im einzelnen: 1. Der Angeklagte muß sich durch die Tat als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen erwiesen haben. a) Die Vorschrift ist nicht nur bei eigentlichen Verkehrsverstößen, sondern auch bei sonstigen strafbaren Handlungen anwendbar, sofern diese im Zusammenhang mit der Führung eines Kraftfahrzeugs stehen oder sonst unter Verletzung der Pflichten eines Kfz-Führers begangen wurden und auf einen allgemeinen Charaktermangel schließen lassen. Dies kann insbesondere der Fall sein, wenn jemand ein Kraftfahrzeug zur Begehung vorsätzlicher Straftaten wie Diebstahl, Zollvergehen oder Sittlichkeitsdelikten benutzt. Ein nur äußerer — örtlicher oder zeitlicher — Zusammenhang zwischen Tat und Fahrt genügt allerdings nicht; erforderlich ist vielmehr, daß das Führen des Kraftfahrzeugs dem Täter für die Vorbereitung oder Durchführung der Straftat oder anschließend für ihre Ausnutzung oder Verdeckimg dienlich sein soll (BGH 22, 328). So fehlt es z. B. an einem für die Fahrerlaubnisentziehung erheblichen Zusammenhang, wenn der Täter sich erst nach Beendigung der Fahrt zur Vergewaltigung entschließtund das Fahrzeug dann anschließend auch nicht zur Flucht benutzt (BGH a.a.O.). Selbst bei Betrügereien kann der Besitz eines Kraftfahrzeugs von entscheidender Bedeutung sein, z. B. wenn der Täter das Fahrzeug benutzt, um sich den Anschein von Kreditwürdigkeit zu verschaffen, oder wenn er sich durch Betrug in den Besitz eines Mietwagens setzt, um dann auf Kosten anderer seiner Fahrleidenschaft frönen (BGH 5, 179) oder Diebesgut abtransportieren zu können (Köln VerkMitt. 1971 Nr. 93). § 42 m kommt schließlich auch dann in Betracht, wenn ein Kraftfahrer, der wegen seiner verkehrswidrigen Fahrweise von anderen Verkehrsteilnehmern zur Bede gestellt wird, gegen diese tätlich wird (Köln NJW 1963, 2379). Wegen weiterer Einzelheiten siehe Anm. I I 2 zu § 37. b) Die Entscheidung, ob sich der Angeklagte durch die Tat als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen erwiesen hat setzt eine sorgfältige Abwägung der Gesamtumstände voraus (BGH 5, 168). Kegelmäßig kommt es dabei nicht nur auf die Tat selbst an, sondern auch auf die Persönlichkeit des Täters und sonstige Umstände, die einen Schluß auf sein Verantwortungsbewußtsein im Verkehr zulassen. Erstmalige Verfehlungen können die Entziehung der Fahrerlaubnis daher nurdann rechtfertigen, wenn sie besonders schwerwiegend sind (BGH 7, 165, 176). Diese Voraussetzungen sind i.d.R. dann zu bejahen, wenn der Täter ein im Katalog des Abs. 2 aufgeführtes Delikt begangen hat. Das Gesetz geht davon aus, daß die Verantwortungslosigkeit in diesen Fällen so schwerwiegend ist, daß der Eignungsmangel keiner weiteren Begründimg mehr bedarf. Andererseits wäre es verfehlt, ausnahmslos einen zum Entzug der Fahrerlaubnis führenden Eignungsmangel anzunehmen. Selbst bei Trunkenheit am Steuer lassen sich Fälle denken, bei denen man nicht von einem offensichtlichen Eignungsmangel sprechen kann. Beispiele: A erkennt, daß er selbst nicht mehr fahrtüchtig ist. Er überläßt daher seiner Ehefrau das Steuer. Da diese jedoch mangels ausreichender Fahrpraxis nicht in der Lage ist, den kalten Motor zu starten, startet A den Wagen selbst, überläßt dann aber das Steuer sofort wieder seiner Frau. — Oder: Die Ehefrau des A hat den Familienwagen gut nach Hause gebracht, scheut sich aber, den Wagen in die enge Garage zu fahren. Da A den Wagen nicht auf der stark belebten Straße stehen lassen will und sich ungeachtet seines Alkoholgenusses noch sicherer fühlt als seine nüchterne Ehefrau, übernimmt er es selbst, den Wagen ohne Gefahr oder Behinderung anderer in die Garage zu fahren. In diesen Fällen dürfte ein Fahrverbot nach § 37 i. V. mit einer angemessenen Geldstrafe ausreichen, um A auf seine Verkehrspflichten hinzuweisen. c) Bei U n f a l l f l u c h t ist es im Einzelfall oft schwierig, die Feststellung zu treffen, ob an fremden Sachen ein „bedeutender Schaden" entstanden ist. Mit Rücksicht
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auf die sehr einschneidende Wirkung der F E sollte man hier verhältnismäßig strenge Anforderungen stellen. So kann die Flucht nach Verursachung eines Parkschadens von etwa 10.— DM zwar als Unfallflucht bestraft werden; ein „bedeutender Schaden" liegt damit aber noch nicht vor. Andererseits wird ein bedeutender Schaden in der Regel dann vorliegen, wenn sich die voraussichtlichen Reparaturkosten der 500.-DMGrenze nähern (vgl. Dreher 2 C b, cc). 2. Maßgebender Zeitpunkt f ü r die Beurteilung der Eignung oder Nichteignung ist der Z e i t p u n k t d e r U r t e i l s f i n d u n g (BGH 7, 165, 175). Entscheidend ist, ob nach der Überzeugung des Gerichts auch f ü r die Zukunft zu befürchten ist, daß der Täter, wenn man ihm die Fahrerlaubnis nicht entzieht, noch weitere erhebliche Verkehrsdelikte begehen wird. Der oben erörterte Katalog erleichtert zwar die Beweisführung in der Richtung, enthebt das Gericht aber nicht der Pflicht, die Besonderheit des Einzelfalls, insbesondere auch die Persönlichkeit des Täters, zu berücksichtigen (vgl. Lackner J Z 1965,121; Schönke-Schröder Rn. 31). Von gewisser Bedeutung kann auch die Frage sein, wie lange dem Täter im Ermittlungsverfahren die Fahrerlaubnis gemäß § 111 a StPO entzogen war. K a n n z. B. die Hauptverhandlung erst 1 J a h r nach der Tat durchgeführt werden, weil der Angeklagte durch den Unfall selbst schwer verletzt worden war und monatelang im Krankenhaus lag, so kann man bei Fehlen erschwerender Umstände ohne weiteres den Standpunkt vertreten, daß der Angeklagte durch die Zeit der vorläufigen Fahrerlaubnisentziehung und der eigenen Verletzung so nachhaltig gewarnt ist, daß von ihm in Zukunft keine weitere Gefahr mehr droht (BayObLG N J W 1971, 206; Weigelt D A R 1965, 16; Schönke-Schröder R n . 52). Nach der zuletzt zitierten Entscheidung des BayObLG soll ein Verzicht auf eine Fahrerlaubnisentziehung sogar dann in Betracht kommen, wenn die vorläufige Entziehung noch nicht die Dauer der gesetzlichen Mindestsperrfrist erreicht hat. Dies erscheint jedoch zumindest dann zweifelhaft, wenn — wie in dem vom BayObLG entschiedenen Fall — die Voraussetzungen des § 42 n Abs. 3 vorliegen, der Angeklagte sich also bereits wiederholt als unzuverlässig erwiesen hat. 3. Körperliche Mängel, die der Angeklagte erst durch die T a t selbst oder später erlitten hat, z.B. Erblindung, müssen außer Betracht bleiben. Sie dürfen weder die Entziehung der Fahrerlaubnis als solche noch die Dauer der Entziehung beeinflussen (BGH 7, 165, 174; 15, 393). Hier einzuschreiten ist nicht Aufgabe der Justiz, sondern der Verwaltung (vgl. §§ 3, 4 StVG, §§ 2, 3 StVZO). HI. Als Maßregel der Sicherung und Besserung wird die Entziehung der Fahrerlaubnis grundsätzlich n e b e n d e r S t r a f e ausgesprochen. Sie ist aber auch dann zulässig, wenn das Gericht gem. § 16 von Strafe absieht (vgl. BayObLG VerkMitt. 1972 Nr. 41; h.L.) oder wenn der Angeklagte nur wegen erwiesener oder möglicher Zurechnungsunfähigkeit freigesprochen werden muß, andererseits aber feststeht, daß er auf jeden Fall ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen ist (Hamm N J W 1959, 2318; BGH 14, 68). Bei Zurechnungsunfähigkeit kann die Fahrerlaubnis auch im S i c h e r u n g s v e r f a h r e n gemäß §§ 429a ff. StPO entzogen werden (BGH 13, 91). IV. I m Jugendstrafrecht kann die F E nicht nur neben einer Jugendstrafe, sondern auch neben Z u c h t m i t t e l n oder E r z i e h u n g s m a ß r e g e l n angeordnet werden. Die Neufassung h a t dies dadurch klargestellt, daß § 42 m nicht mehr von Verurteilung zu Strafe, sondern nur noch von Verurteilung spricht. V. Form der FE: Seit der Neufassung des § 407 Abs. 2 StPO durch das 2. VerkSichG kann die Fahrerlaubnis nicht nur durch U r t e i l , sondern auch durch S t r a f b e f e h l entzogen werden, sofern die Sperrfrist die Dauer eines Jahres nicht überschreitet. U n z u l ä s s i g ist die Anordnung einer F E im Strafverfügungsverfahren, im Privatklageverfahren oder im Bußgeldverfahren.
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VI. Wirkung der FE: Mit Rechtskraft des Urteils bzw. Strafbefehls e r l i s c h t die F a h r e r l a u b n i s (Abs. 3 Satz 1). Der Täter darf kein führerscheinpflichtiges Fahrzeug mehr führen, bevor er eine neue Fahrerlaubnis erworben hat. War der Führerschein von einer deutschen Behörde ausgestellt worden (Normalfall), so ist er e i n z u z i e h e n (Abs. 3 S. 2). Wird dem Verurteilten später, nach Ablauf der Sperrfrist des § 42 n, eine neue Fahrerlaubnis erteilt, so erhält er einen neuen Führerschein. In diesem Punkt unterscheiden sich die Folgen der Fahrerlaubnisentziehung wesentlich von denen des Fahrverbots. Beim Fahrverbot muß der Beschuldigte seinen Führerschein nur hinterlegen. Nach Ablauf der Verbotsfrist erhält er ihn wieder zurück. Über die Regelung bei Führerscheinen, die von einer ausländischen Behörde ausgestellt worden sind, siehe § 42 o. VII. Prozessual ist folgendes zu beachten: 1. Die vorläufige FE: Gemäß § l i l a StPO kann dem Beschuldigten die Fahrerlaubnis schon im Ermittlungsverfahren vorläufig entzogen werden, wenn dringende Gründe für die Annahme bestehen, daß die Voraussetzungen einer endgültigen Entziehung gemäß § 42m vorliegen. Die vorläufige FE ist vor allem dann geboten, wenn ein Delikt aus dem Katalog des § 42 m Abs. 2 vorliegt. Seit der Neufassung des § l i l a StPO durch das EGOWiG 1968 können — entsprechend der Rechtslage in § 42n Abs. 2 — bestimmte Arten von Kraftfahrzeugen (z.B. landwirtschaftliche Fahrzeuge) vom vorläufigen Entzug der Fahrerlaubnis ausgenommen werden. Auf diese Möglichkeit sollte der Polizeibeamte, der den Führerschein sicherstellt, den Beschuldigten in geeigneten Fällen hinweisen. Nimmt das Gericht antragsgemäß (oder von Amts wegen) eine bestimmte Fahrzeugklasse vom vorläufigen Entzug aus, so muß der Beschuldigte für diese Klasse bei der Verwaltungsbehörde einen neuen Führerschein beantragen. 2. Der Entzug der Fahrerlaubnis erfolgt, wie bereits unter Y dargelegt, durch Urteil oder Strafbefehl. 3. Rechtsmittelbeschränkung auf die Frage der FE und die Dauer der Sperrfrist ist grundsätzlich zulässig (vgl. Ffm N J W 1973, 815; Lackner-Maassen Anm. 9 zu § 42 n; a.A. Dreher 4 B m. weit. Nachw.; siehe auch § 23 Anm. 9), es sei denn, daß im Einzelfall ein untrennbarer Zusammenhang mit der Strafzumessung besteht (vgl. Köln VerkMitt. 1971 Nr. 94). 4. Als Maßregel der Sicherung und Besserung unterliegt die FE gemäß §§ 331, 358 I I StPO dem Verbot der reformatio in peius (sog. Verschlechterungsverbot). VII. Fährt der Täter trotz entzogener Fahrerlaubnis ein führerscheinpflichtiges Fahrzeug, so macht er sich eines Vergehens gemäß § 21 StVG schuldig. Als Nebenfolge droht die Einziehung des Fahrzeugs.
§ 42 n [ D a u e r der Sperrfrist] (1) Entzieht das Gericht die Fahrerlaubnis, so bestimmt es zugleich, daß für die Dauer von sechs Monaten bis zu fünf Jahren oder für immer keine neue Fahrerlaubnis erteilt werden darf (Sperre). Hat der Täter keine Fahrerlaubnis, so wird nur die Sperre angeordnet. (2) Das Gericht kann von der Sperre bestimmte Arten von Kraftfahrzeugen ausnehmen, wenn besondere Umstände die Annahme rechtfertigen, daß der Zweck der Maßregel dadurch nicht gefährdet wird.
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(3) D a s Mindestmaß der Sperre beträgt ein J a h r , wenn gegen den Täter in den letzten drei J a h r e n vor der T a t bereits einmal eine Sperre angeordnet worden ist. (4) War dem Täter die Fahrerlaubnis wegen der Tat vorläufig entzogen (§ l i l a der Strafprozeßordnung), so verkürzt sich das Mindestmaß der Sperre u m die Zeit, in der die vorläufige Entziehung wirksam war. E s darf jedoch drei Monate nicht unterschreiten. (5) Die Sperre beginnt mit der Rechtskraft des Urteils. I n die Frist wird die Zeit einer wegen der Tat angeordneten vorläufigen Entziehung eingerechnet, soweit sie nach Verkündung des Urteils verstrichen ist, in dem die der Maßregel zugrunde liegenden tatsächlichen Feststellungen letztmals geprüft werden konnten. (6) I m Sinne der Absätze 4 und 5 steht der vorläufigen Entziehung der Fahrerlaubnis die Verwahrung, Sicherstellung oder Beschlagnahme des Führerscheins ( § 9 4 der Strafprozeßordnung) gleich. (7) Ergibt sich Grund zu der Annahme, daß der Täter z u m Führen von Kraftfahrzeugen nicht mehr ungeeignet ist, so k a n n das Gericht die Sperre vorzeitig aufheben. Die Aufhebung ist frühestens zulässig, wenn die Sperre sechs Monate, in den Fällen des Absatzes 3 ein J a h r gedauert h a t ; Absatz 5 Satz 2 und Absatz 6 gelten entsprechend. 1. Wird die Fahrerlaubnis entzogen, so muß das Gericht gleichzeitig eine Sperrfrist aussprechen, innerhalb der dem Angeklagten von der Verwaltungsbehörde keine neue Fahrerlaubnis erteilt werden darf. Diese Frist beträgt nach Abs. 1 Satz 1 mindestens 6 Monate, höchstens 5 Jahre. Die Höchstdauer von 5 Jahren darf auch im Falle einer nachträglichen Gesamtstrafenbildung nicht überschritten werden (vgl. B G H 24, 205). In besonders schweren Fällen, bei denen eine Besserung des Angeklagten nicht mehr zu erwarten ist (siehe hierzu Köln VerkMitt. 1971 Nr. 94), kann die Wiedererteilung der Fahrerlaubnis auch f ü r immer untersagt werden. Hatte der Angeklagte noch keine Fahrerlaubnis besessen oder wurde ihm die Fahrerlaubnis bereits in einem früheren Verfahren entzogen, so kommt eine Entziehung der Fahrerlaubnis nicht in Betracht. Das Gericht hat in diesen Fällen jedoch die Möglichkeit, eine s e l b s t ä n d i g e S p e r r f r i s t anzuordnen, innerhalb deren dem Angeklagten keine Fahrerlaubnis erteilt werden darf (Abs. 1 Satz 2). Für die Berechnung der isolierten Sperrfrist gelten die Absätze 3—6 entsprechend (vgl. LG Dortmund N J W 1973, 1336). Die Verwaltungsbehörde ist an die vom Gericht bestimmte Sperrfrist gebunden. Sie darf dem Verurteilten vor Ablauf der Sperrfrist keine Fahrerlaubnis erteilen. Andererseits ist sie nach Ablauf der Sperrfrist zur Erteilung bzw. Wiedererteilung der Fahrerlaubnis nicht verpflichtet (vgl. BVerwG N J W 1964, 608). 2. Abs. 2 gibt die Möglichkeit, bestimmte Fahrzeugarten von der Sperre auszunehmen. Die Rechtslage entspricht der Rechtslage beim Fahrverbot, von dem ebenfalls bestimmte Fahrzeugarten ausgenommen werden können (vgl. § 37Anm. V). Eine Ausnahmeregelung nach Abs. 2 kommt allerdings nur dann in Betracht, wenn der Sicherungszweck der Maßregel hierdurch nicht beeinträchtigt wird. Wird die Fahrerlaubnis wegen eines allgemeinen Charaktermangels entzogen, z . B . wegen Trunkenheit am Steuer oder Unfallflucht, so ist es grundsätzlich unbeachtlich, welche Art von Kraftfahrzeug der Täter jeweils führt (Saarbrücken N J W 1970, 1053; Hamm DAR 1971, 330; Dreher 3). Auch wirtschaftliche Interessen haben regelmäßig außer Betracht zu bleiben. Entscheidend ist allein die geringere Gefährlichkeit (vgl. Stgt VerkMitt. 1973 Nr 60). 11 Pettere-Preisendanz, StGB, 28. Auflage
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K o m m t eine Ausnahmeregelung nach Abs. 2 in Betracht, so können gemäß § 1X1 a Abs. 1 S. 2 StPO bereits bei der vorläufigen F E zur Vermeidung unbilliger H ä r t e n bestimmte Fahrzeugarten vom vorläufigen Entzug ausgenommen werden. 3. Bei Wiederholungstätern, gegen die in den letzten 3 Jahren vor der T a t schon einmal eine Sperrfrist festgesetzt wurde, sieht Abs. 3 eine Mindestsperrfrist von 1 J a h r vor. Diese kann nur unter den Voraussetzungen des Abs. 4 vinterschritten werden. I n Fällen chronischer Trunkenheitsdelinquenz ist im allgemeinen eine Fahrerlaubnisentziehung auf Lebenszeit angebracht (OLG H a m m VerkMitt. 1971, 4). 4. Die in Abs. 1 und Abs. 3 festgesetzten Mindestsperrfristen von 6 Monaten bzw. 1 J a h r können nach Abs. 4 verkürzt werden, wenn der Täter bereits vor der Entscheidung gemäß § 42 m auf Grund vorläufiger Maßnahmen nicht mehr in der Lage war, von seiner Fahrerlaubnis Gebrauch zu machen. Hierbei macht es keinen Unterschied, ob das Gericht gemäß § 111 a StPO eine förmliche Entscheidung über die vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis getroffen hatte (so die Situation des Abs. 4) oder ob lediglich der Führerschein sichergestellt, beschlagnahmt oder sonst verwahrt worden war (so die Situation des Abs. 6). I n sämtlichen Fällen war der Täter bereits vor der endgültigen Entscheidung durch amtliche Maßnahmen vorläufig aus dem Verkehr gezogen. 5. Die Mindestsperrfrist beträgt gemäß Abs. 4 S. 2 auch unter Berücksichtigung der Zeit der vorläufigen FE 3 Monate. Beispiele: a) Der Amtsrichter in A-Dorf hält bei dem Angeklagten X eine Sperrfrist von 8 Monaten f ü r angemessen. W a r X infolge der vorläufigen F E bereits 4 Monate ohne Führerschein, so wird der Richter im Urteil eine Sperrfrist von 4 Monaten festsetzen. b) Abwandlung: War X infolge der vorläufigen F E bereits 6 Monate ohne Führerschein, so kann diese Zeit nicht voll angerechnet werden. Der Richter muß in diesem Fall auf die gesetzliche Mindestsperrfrist von 3 Monaten erkennen. c) Weitere Abwandlung: W a r X bereits 8 Monate oder länger infolge einer vorläufig gegen ihn ergriffenen Maßnahme ohne Führerschein, so liegt es nahe, daß der Richter einen weiteren Entzug der Fahrerlaubnis nicht mehr f ü r erforderlich hält. E r kann und muß in diesem Fall von einer Entziehung der Fahrerlaubnis absehen und dem Angeklagten unter Aufhebung der vorläufig gegen ihn ergriffenen Maßnahmen den Führerschein zurückgeben (vgl. Schönke-Schröder R n . 11). Dies gilt auch dann, wenn es sich bei der T a t um einen sog. Regelfall gemäß § 42m Abs. 2 gehandelt h a t (siehe auch oben § 42m Anm. I I 2). Ein Vergleich der soeben dargelegten drei Beispiele zeigt, daß bei gleicher T a t und gleicher rechtlicher Beurteilung der Angeklagte im Falle c) a m besten gestellt ist. In diesem Fall entfällt nämlich nicht nur der Ausspruch der F E und die damit automatisch verbundene Kostenfolge, sondern zugleich auch die Notwendigkeit, bei der Verwaltungsbehörde eine neue Fahrerlaubnis zu beantragen. Auch im Bundeszentralregister erscheint die F E nicht. Diese Gesichtspunkte bedeuten f ü r den Angeklagten im Falle c) erhebliche Vorteile. Andererseits muß vermieden werden, ihn nur deshalb schlechter zu stellen als in den beiden anderen Fällen, weil es — gleich aus welchen Gründen — nicht möglich war, seine Sache früher zu verhandeln. Einen gewissermaßen optischen Ausgleich könnte der Richter im Falle c) dadurch bewirken, daß er ein 3 monatiges Fahrverbot ausspricht, das aber gemäß § 60 Abs. 4 durch die Zeit der vorläufigen F E als verbüßt gilt. Der Angeklagte im Falle b), der ganz offensichtlich am schlechtesten gestellt ist — er ist am längsten ohne Führerschein, muß die Kosten der F E tragen und außerdem bei der Verwaltungsbehörde eine neue Fahrerlaubnis beantragen, was erfahrungsgemäß mit weiterem Zeitverlust, auf jeden Fall aber mit neuen Kosten ver-
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bunden ist —, könnte den Effekt der Lösung zu c) dadurch erreichen, daß er Berufung einlegt. I n diesem Falle müßte der Berufungsrichter in der Berufungshauptverhandlung erneut die Frage prüfen, ob die Entziehung der Fahrerlaubnis weiterhin erforderlich ist, um den durch die T a t zutage getretenen Eignungsmangel zu beseitigen. Dies wird man nach Ablauf der vom Amtsrichter f ü r erforderlich gehaltenen 8-Monatsfrist nicht mehr sagen können. Da der Angeklagte nicht deshalb schlechter gestellt werden darf, weil er von seinem Recht auf Rechtsmittel Gebrauch gemacht hat, wird das Berufungsgericht nicht umhin können, die in 1. Instanz ausgesprochene F E wegfallen zu lassen. Damit wäre auch im Falle b) die gleiche Rechtslage wie im Falle c) hergestellt (vgl. OLG Köln VerkMitt. 1966 Nr. 138). 6. Die Berechnung der Sperrfrist richtet sich nach Abs. 5. Nach Abs. 5 S. 1 beginnt die Sperrfrist mit der Rechtskraft des Urteils. Dies gilt jedoch nur, wenn dem Angeklagten die Fahrerlaubnis nicht vorläufig entzogen war, was nur ausnahmsweise der Fall sein dürfte. War dem Angeklagten dagegen die Fahrerlaubnis im Zeitpunkt der Entscheidung vorläufig entzogen oder war sein Führerschein verwahrt, sichergestellt oder beschlagnahmt (Normalfall), so wird die Zeit zwischen der Verkündung des Urteils in der letzten Tatsacheninstanz und der Rechtskraft voll angerechnet (Abs. 5 S. 2). I m Strafbefehlsverfahren kommt es entgegen der noch in der Vorauf!, vertretenen Meinung nicht auf den Zeitpunkt der Zustellung, sondern auf den Erlaß des Strafbefehls an, da zu diesem Zeitpunkt die letzte tatrichterliche Prüfung möglich war, während der Tag der Zustellung vom Richter weder bestimmt noch genau vorausberechnet werden kann (vgl. LG Freiburg N J W 1968, 1971; Lacknor-Maassen 6; Dreher 5 B). Nach Rücknahme eines gegen den Strafbefehl eingelegten Einspruchs gilt Abs. 5 S. 2 entsprechend, d.h. die zwischen dem Erlaß des Strafbefehls und der Rücknahme des Einspruchs verstrichene Zeit der vorläufigen F E wird auf die im Strafbefehl ausgesprochene Sperrfrist angerechnet. 7. I n der Revisionsinstanz f ü h r t die Regelung des Abs. 5 S. 2 bei einem Rechtsmittel des Angeklagten zu folgenden Ergebnissen: a) Läuft die in der letzten Tatsacheninstanz ausgesprochene Sperrfrist bereits vor der Revisionsentscheidung ab, so kann der Angeklagte unabhängig vom weiteren Verlauf des Revisionsverfahrens bei der Verwaltungsbehörde eine neue Fahrerlaubnis beantragen (vgl. F f m N J W 1973, 1335 im Anschluß an Kaiser N J W 1973, 493). b) Läßt es der Angeklagte in der Hoffnung, einen Freispruch, zumindest aber eine Aufhebung der F E zu erzielen, trotz Ablaufs der Sperrfrist auf die Entscheidung des Revisionsgerichts ankommen und will diese das Urteil b e s t ä t i g e n , so ist die Revision des Angeklagten mit der Maßgabe zu verwerfen, daß die ausgesprochene Sperrfrist gegenstandslos geworden ist (vgl. Schönke-Schröder R n . 14 b). Die Fahrerlaubnis ist in diesem Fall rechtskräftig ontzogen worden. Der Verurteilte erhält also seinen alten Führerschein nicht mehr zurück, sondern muß sich bei der Verwaltungsbehörde um eine neue Fahrerlaubnis bemühen (vgl. F f m N J W 1973, 1335). c) Hebt das Revisionsgericht auf die Revision des Angeklagten das Urteil der letzten Tatsacheninstanz auf unter gleichzeitiger Z u r ü c k v e r w e i s u n g , so ist nach Ablauf der vom letzten Tatrichter ausgesprochenen Sperrfrist der Beschluß über die vorläufige F E aufzuheben, sofern unter Berücksichtigung der oben unter 5 dargelegten Grundsätze in der erneuten Hauptverhandlung nicht mehr mit einer Entziehung gemäß § 42m gerechnet werden kann (OLG Celle VRS 28, 190; Str.). Zum Ganzen siehe auch Kaiser N J W 1973, 493. 8. Abs. 7 befaßt sich mit der vorzeitigen Aufhebung der Sperrfrist. Eine solche Maßnahme kommt, wie sich aus Satz 2 ergibt, grundsätzlich nur bei l ä n g e r e n S p e r r f r i s t e n in Betracht. Die Mindestsperrfristen des Abs. 3 (6 Monate bzw. 1 Jahr) dürfen keinesfalls unterschritten werden. 11
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§§ 42 o—43
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Die vorzeitige A u f h e b u n g ist n u r zulässig, w e n n der Verurteilte n e u e T a t s a c h e n vorbringt, die eine a n d e r e Beurteilung seiner Persönlichkeit rechtfertigen u n d eine weitere G e f ä h r d u n g der Allgemeinheit m i t Sicherheit ausschließen (vgl. K r h e N J W 1960, 587; R ü t h L K 29ff.; Lackner-Maassen 7; a . A . K ö l n N J W 1960, 2255). G u t e F ü h r u n g genügt grundsätzlich nicht. Auch wirtschaftliche u n d berufliche Schwierigkeiten, die bei der E n t z i e h u n g der F a h r e r l a u b n i s bereits e r k e n n b a r waren, sind keine neuen T a t s a c h e n in diesem Sinn. Die Sperrfrist k a n n jedoch a b g e k ü r z t werden, wenn sich die Lebensverhältnisse des Verurteilten d u r c h Eheschließung oder Berufswechsel so grundlegend v e r ä n d e r t h a b e n , d a ß e r mit Sicherheit keine Gefahr m e h r f ü r die Allgemeinheit darstellt. Die E n t s c h e i d u n g über die vorzeitige A u f h e b u n g erfolgt d u r c h B e s c h l u ß (vgl. §§ 462, 463 a Abs. 3 S t P O ) .
§ 42 o [Anwendung: auf Ausländer] (1) Darf der Täter nach den für den internationalen Kraftfahrzeugverkehr geltenden Vorschriften im Inland Kraftfahrzeuge führen, ohne daß ihm von einer deutschen Behörde ein Führerschein erteilt worden ist, so ist die Entziehung der Fahrerlaubnis nur zulässig, wenn die Tat gegen Verkehrsvorschriften verstößt. Die Entziehung hat in diesem Falle die Wirkung eines Verbots, während der Sperre im Inland Kraftfahrzeuge zu führen, soweit es dazu im innerdeutschen Verkehr einer Fahrerlaubnis bedarf. (2) In ausländischen Fahrausweisen werden die Entziehung der Fahrerlaubnis und die Sperre vermerkt. 1. Die E n t z i e h u n g einer ausländischen F a h r e r l a u b n i s ist n u r bei Verstößen gegen Verkehrsvorschriften zulässig. Diese Privilegierung b e r u h t auf d e m I n t e r n a t i o n a l e n A b k o m m e n ü b e r d e n S t r a ß e n v e r k e h r v o m 19. 9. 1949, d a s zwar v o n der B R D n i c h t ratifiziert, v o m Gesetzgeber a b e r t r o t z d e m berücksichtigt w u r d e (vgl. R ü t h L K 1). 2. Ähnlich der Regelung beim F a h r v e r b o t (siehe § 37 Abs. 3 S. 3) wird in ausländischen F ü h r e r s c h e i n e n die Entziehung nur eingetragen. E i n e B e s c h l a g n a h m e u n d E i n z i e h u n g des Führerscheins ist n i c h t zulässig. Die F a h r e r l a u b n i s e n t z i e h u n g g e m ä ß § 42 o e n t s p r i c h t somit p r a k t i s c h einem langfristigen F a h r v e r b o t . 3. Z u r E i n t r a g u n g des V e r m e r k s k a n n der F ü h r e r s c h e i n beschlagnahmt w e r d e n (§ 4 6 3 b Abs. 2 S t P O ) .
§ 42 p
[Mehrere Maßregrein nebeneinander]
Maßregeln der Sicherung und Besserung können nebeneinander angeordnet werden.
Zweiter Abschnitt: Versuch (§§ 43—46 a) § 43
[Tersuch]
(1) Wer den Entschluß, ein Verbrechen oder Vergehen zu verüben, durch Handlungen, welche einen Anfang der Ausführung dieses Verbrechens oder Vergehens enthalten, betätigt hat, ist, wenn das beabsichtigte Verbrechen oder Vergehen nicht zur Vollendung gekommen ist, wegen Versuchs zu bestrafen. (2) Der Versuch eines Vergehens wird jedoch nur in den Fällen bestraft, in welchen das Gesetz dies ausdrücklich bestimmt.
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§ 4 3
I. Vorbemerkung Der Versuch ist nur bei Verbrechen und solchen Vergehen strafbar, bei denen das Gesetz ausdrücklich auch die versuchte Tatbegehung unter Strafe gestellt h a t , z.B. bei Diebstahl und Sachbeschädigung. I n wenigen Ausnahmefällen sind wegen ihrer besonderen Gefährlichkeit auch V o r b e r e i t u n g s h a n d l u n g e n unter Strafe gestellt (vgl. §§ 80, 151, 218 Abs. 4, 234a Abs. 3, 311a, 316c Abs. 3). II. Voraussetzungen 1. S u b j e k t i v erforderlich ist der Tatentschluß, eine als Verbrechen oder Vergehen mit Strafe bedrohte Handlung zu begehen. Der Tatentschluß muß a l l e s u b j e k t i v e n T a t b e s t a n d s m e r k m a l e des in Frage stehenden Delikts umfassen. Dort, wo beim vollendeten Delikt bedingter Vorsatz genügt, ist dieser auch beim Versuch ausreichend. Verlangt der in Frage stehende Tatbestand über den Vorsatz hinaus weitere subjektive Tatbestandsmerkmale (Motive, Absichten, Tendenzen), so müssen diese auch beim Versuch gegeben sein. Ein f a h r l ä s s i g e r V e r s u c h ist begrifflich ausgeschlossen. 2. O b j e k t i v ist erforderlich, daß der Täter seinen Tatentschluß, ein Verbrechen oder Vergehen zu verüben, durch Handlungen betätigt h a t , die den Anfang einer Ausführung darstellen. Die Handlung muß einerseits über das Stadium von Planung und Vorbereitung hinausgegangen sein, andererseits darf das Delikt noch nicht vollendet sein. I m einzelnen: a) Zur Abgrenzung von Versuch und Vorbereitungshandlung werden teils subjektive, teils objektive Merkmale herangezogen. Der Anfang einer Ausführung i.S. von § 43 ist dann gegeben, wenn der verbrecherische Wille in einer Handlung zutage tritt, die nach dem G e s a m t p l a n d e s T ä t e r s unmittelbar zur Gefährdung des geschützten Rechtsguts führen soll. b) Beispiele aus der Rechtsprechung des BGH: aa) BGH N J W 52, 514 ( = MDR 52, 243): Drei Angeklagte wollten einen Kassenboten berauben, der mit einer bestimmten Straßenbahn eintreffen sollte. Sie hatten ihren Plan aufs sorgfältigste vorbereitet und lauerten zum vorgesehenen Zeitpunkt dem Kassenboten auf. Dieser erschien aber nicht, worauf die Angeklagten ihren Plan aufgaben und sich zurückzogen. Der BGH nahm versuchten R a u b an und lehnte — folgerichtig — Straflosigkeit nach § 46 ab. bb) BGH N J W 1952, 430 (gegen RG72, 66): Kein Versuch, sondern nur straflose Vorbereitungshandlung, wenn ein Versicherungsnehmer eine gegen Diebstahl versicherte Sache beiseite schafft, um sie der Versicherung als gestohlen zu melden. cc) BGH 6, 302: Die Verabredung eines Täters mit einem Kind, das er bei einem späteren Zusammentreffen zur Verleitung oder Duldung sexueller Handlungen bestimmen will, ist schon der Beginn des Verleitens. Der Entscheidung lagen zwei Fälle zugrunde: I m einen Fall h a t t e der Angeklagte ein 12 jähriges Mädchen zum Mitkommen aufgefordert und ihm ein Geldgeschenk von 5,— DM in Aussicht gestellt. Er hatte dabei die Absicht, im unmittelbaren Anschluß an die Aufforderung das Mädchen an eine geeignete Stelle zu führen und dort mit ihm sexuelle Handlungen vorzunehmen. I m anderen Fall h a t t e er ein ebenfalls 12 Jahre altes Mädchen angesprochen und aufgefordert, gegen Abend (!) zum Festplatz zu kommen. E r werde ihm dann Schokolade kaufen und mit ihm Karussell fahren. Bis zum Abend waren es noch mehrere Stunden. Das Kind ging nur zum Schein auf das Angebot ein. Der BGH h a t in beiden Fällen das Vorliegen strafbarer Versuchshandlungen bejaht und zur Begründung u.a. darauf hingewiesen, daß die Notwendigkeit, Kinder vor unsittlichen Anträgen nachdrücklich zu schützen, Grund gebe, die Grenze zwischen Vorbereitung und Versuch weit vorzuverlegen. Dieses Anliegen des B G H ist durchaus zu begrüßen. Andererseits erscheint die Entscheidung, soweit sie den
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2. Fall betrifft, dogmatisch nicht unbedenklich, da eine u n m i t t e l b a r e Gefährdung des Mädchens wegen der zeitlichen Zäsur von immerhin mehreren Stunden weder objektiv noch in der Vorstellung des Täters gegeben war (vgl. Bockelmann J Z 1954, 468; J Z 1955, 193; Dreher § 43 Anm. 1 C; sachlich übereinstimmend auch Celle N J W 1972, 1823 sowie Rudolphi J u S 1973, 20). dd) B G H LM Nr. 22 zu § 211: Versuchter Mord, wenn der Täter in einen Kaum einschleicht, in den nach seiner Ansicht das Opfer bald eintreten wird. I n der Begründung stellt der B G H darauf ab, es sei erforderlich, daß das planmäßige Handeln des Täters im ungestörten Fortgang unmittelbar zur Erfüllung des gesetzlichen Tatbestands führen soll. ee) BGH 22, 80: versuchter Diebstahl, wenn der Täter durch B ü t t e l n an den Vorderrädern feststellt, ob das Lenkradschloß des P K W , den er entwenden will, betätigt ist oder nicht. c) Das 2. StrRG ist bestrebt, durch eine Neufassung der Versuchsdefinition (vgl. § 22 idF. des 2. StrRG, Anh. 8) eine uferlose Ausweitimg des Versuchs auf Kosten der straflosen Vorbereitungshandlung zu verhindern. Versuch ist nur das u n m i t t e l b a r e Ansetzen zur Tatbestandsverwirklichung. Die Vorschrift kann bereits heute in Grenzfällen zur Interpretation des geltenden Rechts herangezogen werden (vgl. Rudolphi J u S 1973, 20; Blei J A 1973, StR 41). HI. Der untaugliche Versuch 1. Begriff. Von einem untauglichen Versuch spricht man, wenn die Handlung des Täters von vornherein nicht geeignet ist, den tatbestandsmäßigen Erfolg herbeizuführen. Diese Ungeeignetheit kann ihren Grund haben a) in der Untauglichkeit des Subjekts, b) in der Untauglichkeit des Objekts, c) in der Untauglichkeit des Mittels. 2. Strafbarkeit. Als G r u n d f ü r d i e S t r a f b a r k e i t d e s V e r s u c h s wird heute allgemein die A u f l e h n u n g d e s T ä t e r s g e g e n d i e R e c h t s o r d n u n g angesehen (sogenannte subjektive Versuchstheorie). Diese ist aber auch dann gegeben, wenn der Versuch infolge derUntauglichkeitdesMittels,des Objekts oder seinermangelnden Täterqualifikation von Anfang an zum Scheitern verurteilt war. Außerdem ist, genau genommen, jeder Versuch dadurch, daß der erstrebte Erfolg ausbleibt, untauglich. Eine unterschiedliche Behandlung von „tauglichem" und „untauglichem" Versuch ist daher sachlich nicht begründet. I m Gegensatz zur Strafbarkeit des Versuchs mit untauglichen Mitteln und des Versuchs am untauglichen Objekt ist die Strafbarkeit des V e r s u c h s d e s u n t a u g l i c h e n S u b j e k t s teilweise bestritten. a) Allgemein anerkannt wird die Strafbarkeit des Versuchs des untauglichen Subjekts nur dort, wo ihr eine Untauglichkeit des Objekts korrespondiert, z. B. wenn im Falle des § 173 Abs. 1 (Blutschande) der Mann das von ihm mißbrauchte Mädchen irrig f ü r seine leibliche Tochter hält. I n diesen Fällen ist die U n t a u g l i c h k e i t d e s S u b j e k t s n u r r e l a t i v , nicht absolut, d.h. die Strafdrohung richtet sich nicht nur an bestimmte Personengruppen, z.B. Beamte, Ärzte oder Anwälte, sondern an alle Rechtsgenossen. b) Bestritten ist die Behandlung der Fälle, in denen sich die Strafdrohung nur an bestimmte Personengruppen, z.B. Beamte, Ärzte, Anwälte, Eltern oder Erzieher richtet. Hier wird im Schrifttum teilweise die Ansicht vertreten, es liege ein (strafloses) W a h n v e r b r e c h e n vor, wenn jemand eine nur f ü r die jeweilige Personengruppe strafbare Handlung vornimmt in der irrigen Annahme, er gehöre zu dieser Gruppe. Dies kann zumindest nicht in dieser Allgemeinheit anerkannt werden. Die besondere T ä t e r e i g e n s c h a f t , z.B. die Beamteneigenschaft, wird heute allgemein
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als o b j e k t i v e s T a t b e s t a n d s m e r k m a l aufgefaßt, das vom Vorsatz des Täters u m f a ß t sein muß. So kann wegen Amtsunterschlagung nur bestraft werden, wer weiß, daß er Beamter ist und die unterschlagene Sache in amtlicher Eigenschaft empfangen oder in amtlichem Gewahrsam h a t (vgl. Lackner-Maassen § 350 Anm. 6). Hierbei ist allerdings ausreichend, daß der Täter die T a t u m s t ä n d e kennt, aus denen die Beamteneigenschaft hervorgeht (BGH 8, 321, 323). E r muß also wissen, daß seine Tätigkeit sich aus der Staatsgewalt ableitet und staatlichen Zwecken dient; er braucht dagegen nicht den rechtlich zutreffenden Schluß zu ziehen, daß er Beamter i. S. von § 359 ist. Eine rechtlich falsche Subsumtion kann ihn nicht entlasten (vgl. Lackner-Maassen §359 Anm. 5; F f m N J W 1953, 1076). Hieraus folgt für den umgekehrten Fall: Nimmt der Täter irrig Tatumstände a n , die eine besondere Täterqualifikation begründen würden, so liegt strafbarer Versuch vor; eine falsche rechtliche Würdigung kann ihn dagegen nicht belasten. N u r im letztgenannten Fall kann m a n von einem Wahnverbrechen sprechen. Beispiele: aa) W a h n v e r b r e c h e n , wenn ein Angeklagter in der H V falsche Angaben macht in der irrigen Meinung, er mache sich dadurch s t r a f b a r ; V e r s u c h (allerdings mangels ausdrücklicher Strafdrohung nicht strafbar), wenn er lügt in der irrigen Annahme, er werde als Zeuge vernommen. bb) W a h n v e r b r e c h e n , wenn jemand den Beischlaf mit seiner Nichte f ü r strafbare Blutschande hält; V e r s u c h , wenn er irrig glaubt, seine Nichte sei seine eigene Tochter (vgl. R G 47, 189; 66, 126). Sachlich übereinstimmend Maurach AT 510ff., Schönke-Schröder R n . 41, Bruns, „Der untaugliche Täter im Strafrecht" (Schriftenreihe der Juristischen Studiengesellschaft Karlsruhe, 1955, Heft 17); Busch L K 49; Dreher 2 B a ; Lackner-Maassen § 43 Anm. 2 sowie § 359 Anm. 5; a.A. Baumann 497, Welzel 194, wonach der Versuch des untauglichen Subjekts einen Unterfall des Wahndelikts darstellen soll; f ü r Straflosigkeit auch § 25 Abs. 3 AE. Zum Ganzen siehe auch B G H 8, 321, 323. IV. Der abergläubische Versuch Auch die subjektive Versuchstheorie (s.o. I I I 2) kann nicht völlig auf objektive Elemente verzichten. Das zeigt sich bei der Behandlung des sogenannten irrealen oder abergläubischen Versuchs (Totbeten, Behexen, Verwendung sog. Sympathiemittel, vgl. R G 33, 321). Hier ist auch nach der subjektiven Versuchstheorie ein strafwürdiges Verhalten nicht gegeben. Der Auflehnungswille des Täters erregt nicht Besorgnis, sondern Mitleid (Maurach AT 510). Der Täter ist nicht gefährlich. Für die subjektive Versuchstheorie bleibt die Ausscheidung des straflosen abergläubischen Versuchs aus dem Strafbarkeitsbereich immer schwierig. Ein Abtreibungsversuch mit Brombeerblättertee ist — auch vom verbrecherischen Willen aus betrachtet — nicht gefährlicher als der Versuch, die Leibesfrucht durch Beten oder Fluchen abzutöten. Gleichwohl wird man im 1. Fall (Brombeerblättertee) vom Boden der subjektiven Versuchstheorie aus wegen der Realität des Mittels konsequent einen strafbaren Versuch annehmen müssen, während der 2. Fall (Totbeten oder Behexen) als abergläubischer Versuch straflos bleibt. Das 2. StrRG (vgl. § 23 Abs. 3 idF. des 2. StrRG, Anh. 8) vermeidet die sich bei der Abgrenzung von strafbarem untauglichem Versuch und straflosem abergläubischem Versuch auftretenden Schwierigkeiten elegant: „ H a t der Täter aus grobem Unverstand verkannt, daß der Versuch nach der Art des Gegenstandes, an dem, oder des Mittels, mit dem die T a t begangen werden sollte, überhaupt nicht zur Vollendung führen konnte, so kann das Gericht von Strafe absehen oder die Strafe nach seinem Ermessen mildern." Auf der Grundlage des heutigen Rechts kann sich die Praxis in vielen Fällen mit § 153 StPO helfen.
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V. Das Wahnverbrechen 1. Begriff: Vom straf barenVersuch streng zu unterscheiden ist das Wahnverbrechen. Beim Wahnverbrechen glaubt der Täter, gegen ein Strafgesetz zu verstoßen, das gar nicht besteht oder das zwar besteht, sich aber nicht auf die begangene Handlung erstreckt. 2. Beispiele: a) Irrige Annahme, gleichgeschlechtliche Handlungen seien generell mit Strafe bedroht; b) irrige Annahme, auch der Geschlechtsverkehr zwischen Onkel und Nichte sei als Blutschande s t r a f b a r ; c) irrige Annahme eines aus dem Ausland zurückkehrenden Touristen, auch der persönliche Reisebedarf sei zollpflichtig; d) irrige Annahme, Gebrauchsanmaßung sei generell mit Strafe bedroht; e) irrige Annahme eines Kraftfahrers, er sei nach einem Unfall auch dann wartepflichtig, wenn nur er allein geschädigt wurde (vgl. BGH 8, 263). In all diesen Fällen ist eine Strafbarkeit nicht gegeben. 3. Ein strafloses Wahndelikt liegt ferner dann vor, wenn jemand in Kenntnis aller Tatumstände sein an sich tatbestandsmäßiges, aber durch einen Rechtfertigungsgrund gedecktes Verhalten f ü r strafbar hält. B e i s p i e l : Aglaubt, er mache sich auch dann des Totschlags schuldig, wenn er den ihn angreifenden B in Notwehr tötet. Kein Wahndelikt, sondern versuchter Totschlag liegt dagegen vor, wenn A nicht erkannt hat, daß B gerade im Begriff war, ihn anzugreifen, und die Tötimg des B die einzige Rettungsmöglichkeit war (vgl. Vorbem. AT, Abschn. B VI 5e, S. 24). 4. Aus dem neueren Schrifttum siehe besonders Engisch in Heinitz-Festschrift S. 185ff. sowie Blei J A 1973, StR 55ff., 73ff.; 93ff.; 109£f.; 127 ff. VI. Besondere Erscheinungsformen des Versuchs 1. Bei der mittelbaren Täterschaft ist bereits jede Einwirkung auf den in Aussicht genommenen Tatmittler als Beginn der Ausführungshandlung anzusehen (vgl. Vorbem. AT, Abschn. H I I 5, S. 58). 2. Bei den unechten Unterlassungsdelikten liegt Versuch immer dann vor, wenn der zur Erfolgsabwendung Verpflichtete in Kenntnis seiner Garantenstellung nichts unternimmt, obwohl er nach Sachlage tätig werden müßte, oder wenn er pflichtwidrig seine bisherige Tätigkeit aufgibt. Beispiel: Eine Mutter gibt ihrem Kleinkind mit Tötungsvorsatz mehrere Tage keine Nahrung. Versuch kann aber auch dann vorliegen, wenn jemand nur irrig Tatumstände annimmt, die eine — objektiv nicht gegebene — Erfolgsabwendungspflicht begründen würden. B e i s p i e l : A sieht, wie ein Kind ins Wasser fällt und zu ertrinken droht. E r glaubt irrig, es sei sein eigenes K i n d ; dennoch bleibt er untätig. Entsprechendes gilt, wenn jemand objektiv gar keine Möglichkeit h a t , den Erfolg abzuwenden, dies aber nicht erkennt und gleichwohl untätig bleibt. B e i s p i e l : A verschuldet mit seinem P K W einen Unfall, bei dem ein Radfahrer schwer verletzt wird. U m sich seiner Verantwortung zu entziehen, begeht er Unfallflucht und nimmt dabei billigend in Kauf, daß der Radfahrer ohne sofortige ärztliche Betreuung an den Folgen seiner Verletzungen sterben wird. I n diesem Fall liegt versuchte Tötung durch Unterlassen nicht nur dann vor, wenn der Radfahrer doch noch gerettet werden kann, sondern auch dann, wenn er zwar stirbt, sich aber nicht mehr mit Sicherheit feststellen läßt, daß eine Rettung objektiv noch möglich war. Kein Versuch, sondern ein strafloses Wahndelikt (s.o.V) liegt dagegen vor, wenn jemand in Kenntnis aller Tatumstände irrig eine Garantenpflieht annimmt, die objektiv nicht besteht (vgl. BGH 16, 155, 160). B e i s p i e l : Ein Angeklagter nimmt irrig an, er mache sich dadurch der Beihilfe zum Meineid schuldig, daß er in der
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Versuch
§§ 4 4 — 4 6
Hauptverhandlung die Angaben eines wahrheitswidrig zu seinen Gunsten aussagenden Zeugen, auf den er zuvor keinerlei Einfluß ausgeübt hat, vor der Vereidigung nicht richtig stellt. Aus dem neueren Schrifttum siehe besonders Herzberg MDR 1973, 89.
§44
rStrafmaß]
(1) Das versuchte Verbrechen oder Vergehen kann milder bestraft werden als das vollendete. (2) Ist das vollendete Verbrechen mit lebenslanger Freiheitsstrafe bedroht, so kann auf Freiheitsstrafe nicht unter drei Jahren erkannt werden. (3) In den übrigen Fällen kann die Strafe bis auf ein Viertel des Mindestbetrages der auf das vollendete Verbrechen oder Vergehen angedrohten Freiheits- und Geldstrafe ermäßigt werden. 1. B e i s p i e l : Beträgt die gesetzliche Mindeststrafe 10 Jahre Freiheitsstrafe, z. B. bei Kaub mit Todesfolge oder Brandstiftung mit Todesfolge (§§ 251, 307), so kann die Strafe gemäß § 44 Abs. 3 bis auf 2 Jahre und 6 Monate gemildert werden. 2. Die Vorschrift findet entsprechende Anwendung bei einer Bestrafung unter den Voraussetzungen der §§ 49 a, 51 Abs. 2, 55 Abs. 2, beim verschuldeten Verbotsirrtum (vgl. BGH 2, 194, 210 und Vorbein. A T Abschn. B V I I 2c) sowie bei § 50 Abs. 2. 3. Ist der Versuch unter den Voraussetzungen der §§51 Abs. 2,55 Abs. 2 begangen worden oder befand sich der Angeklagte in einem verschuldeten Verbotsirrtum, so ist eine doppelte Milderung möglich, d.h. die gesetzliche Mindeststrafe kann theoretisch auf Vio herabgesetzt werden (vgl. BGH N J W 1962, 498; Dreher 2). Nach Inkrafttreten des 2. StrRG wird dies nicht mehr möglich sein (vgl. § 50 idF. des 2. StrRG, abgedruckt in Anh. 8).
§ 45
e b eil straf en u n d -folgren]
Die Vorschrift wurde durch das 1. StrRG aufgehoben. Eine Strafe wegen Versuchs kann, wie die Aufhebung klarstellt, die gleichen Nebenfolgen auslösen wie die Strafe für die vollendete Tat.
§ 46
[ Straflosigrkeit d e s V e r s u c h s ]
Der Versuch als solcher bleibt straflos, wenn der Täter 1. die Ausführung der beabsichtigten Handlung aufgegeben hat, ohne daß er an dieser Ausführung durch Umstände gehindert worden ist, welche von seinem Willen unabhängig waren, oder 2. zu einer Zeit, zu welcher die Handlung noch nicht entdeckt war, den Eintritt des zur Vollendung des Verbrechens oder Vergehens gehörigen Erfolges durch eigene Tätigkeit abgewendet hat. I. Vorbemerkung Das Gesetz unterscheidet in § 46 den R ü c k t r i t t vom unbeendeten Versuch (§ 46 Nr. 1) und die t ä t i g e R e u e bei einem beendeten Versuch (§ 46 Nr. 2). In beiden Fällen handelt es sich um einen persönlichen Strafaufhebungsgrund. Hieraus folgt: 1. § 46 ist erst zu prüfen, wenn festgestellt ist, daß der Täter, dessen Tat im Versuchsstadium zurückgeblieben ist, rechtswidrig und schuldhaft gehandelt hat.
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§
46
Strafgesetzbuch
2. Nur derjenige Täter oder Teilnehmer kann sieh auf die strafbefreiende Wirkung von § 46 berufen, in dessen Person die Rücktrittsvoraussetzungen begründet sind. Hierbei ist zu beachten, daß Mittäter, Anstifter und Gehilfen im allgemeinen schlechter gestellt sind als ein Alleintäter. E s genügt nämlich nicht, daß der Mitt ä t e r bzw. Teilnehmer sich nur von der weiteren Tatausführung fernhält. Straffreiheit kann sich bei mehreren Teilnehmern nur verdienen, wer den Erfolgseintritt vereitelt, zumindest aber seinen bereits geleisteten Tatbeitrag völlig eliminiert, z. B. sich vor Begehung der T a t von den anderen Teilnehmern das zur Verfügung gestellte Werkzeug zurückgeben läßt. Hierbei ergeben sich folgende Möglichkeiten: a) erfolgreiche Veranlassung der übrigen Tatbeteiligten, von der weiteren Tatausführung Abstand zu nehmen; b) Verständigung des Opfers oder der Polizei; c) eigenhändiges Eingreifen zur Erfolgsabwendung, z.B. Abschneiden der Zündschnur bei einem Sprengstoffattentat; d) vollständige Beseitigung des eigenen Tatbeitrags. Führen die übrigen Tatbeteiligten später die T a t doch noch durch, aber auf Grund eines neugefaßten Entschlusses, so wird hierdurch der bereits zurückgetretene Teilnehmer nicht mehr belastet. Gibt dagegen der Täter den Tatplan zur Täuschung des sich reuig bemühenden Teilnehmers nur scheinbar auf, so kann dieser sich nicht auf § 46 berufen, wenn die T a t entgegen seiner Erwartung doch ausgeführt wird. Unbillige H ä r t e n können dann nur durch das Strafmaß ausgeglichen werden. Anders nur, wenn die T a t unabhängig von dem früheren Verhalten des zurücktretenden Mittäters begangen wird. I n diesem Fall ist § 49 a Abs. 4 entsprechend anzuwenden. II. Der Bücktritt vom unbeendeten Versuch (§ 46 Nr. 1) 1. R ü c k t r i t t i.S. von § 46 Nr. 1 setzt voraus, daß der Täter noch nicht alles get a n hat, was nach seiner Vorstellung erforderlich war, um den Erfolg herbeizuführen. Die Abgrenzung vom beendeten Versuch erfolgt also rein subjektiv. B e i s p i e l : Eine Schwangere n i m m t ein P r ä p a r a t zur Abtreibung ein. Der Versuch ist beendet, wenn sie die eingenommene Dosis f ü r ausreichend hält, nicht beendet, wenn sie der Meinung ist, noch eine weitere Dosis einnehmen zu müssen; auf objektive Eignung oder Nichteignung kommt es dabei in keinem Falle an. 2. Entscheidende Voraussetzung f ü r die Annahme strafbefreienden R ü c k t r i t t s ist die Freiwilligkeit der Umkehr. Nach der vielzitierten F r a n k ' s c h e n F o r m e l (Frank 18. Aufl. § 46 II) sagt sich der Täter beim freiwilligen R ü c k t r i t t : „Ich will nicht mehr zum Ziel kommen, selbst wenn ich es noch könnte". Maßgebend ist demnach die Vorstellung des Täters. Hieraus folgt, daß die Untauglichkeit von Mittel oder Objekt der Annahme strafbefreienden Rücktritts nicht entgegensteht, sofern der Täter die Tatvollendung noch f ü r möglich hält. Umgekehrt schließt auch ein vermeintliches Hindernis die Freiwilligkeit des Rücktritts aus, wenn der Täter irrigerweise annimmt, seinen Tatplan nicht mehr verwirklichen zu können. Beispiele: a) A steigt in einen Kiosk ein, u m aus der Ladenkasse DM 200,— zu entwenden, die er zur Auslösung seines verpfändeten Motorrads dringend benötigt. Mit einem geringeren Betrag ist ihm nicht gedient. Wenn n u n A in der Kasse n u r DM 5,— Wechselgeld vorfindet und diesen Betrag enttäuscht liegen läßt, so liegt kein strafbefreiender freiwilliger Rücktritt vor: A kann seinen ursprünglichen Plan — die Entwendung von 200,— DM — nicht mehr realisieren (vgl. B G H 4,56). Anders ist zu entscheiden, wenn sich A über den Kasseninhalt keine Gedanken gemacht hatte, sondern mit unbestimmtem Diebstahlsvorsatz eingestiegen war (vgl. R G 70, 1).
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Versuch
§ 4 6
b) D e r in d e r W o h n u n g des X b e s c h ä f t i g t e E i n b r e c h e r A h ö r t , wie X g e r a d e telefoniert. E r g l a u b t , X h a b e ihn b e m e r k t u n d benachrichtige die Polizei. I n Wirklichkeit a h n t X nichts, sondern spricht m i t seiner F r e u n d i n . W e n n A n u n a u s F u r c h t , a n d e r weiteren T a t a u s f ü h r u n g gehindert zu werden, flieht, ohne e t w a s m i t z u n e h m e n , so ist sein R ü c k t r i t t n i c h t freiwillig. A n d e r s ist jedoch zu entscheiden, w e n n X zwar t a t s ä c h l i c h die Polizei r u f t , A jedoch d a v o n n i c h t s m e r k t u n d n u r a u s F u r c h t , n a c h d e r T a t e r m i t t e l t u n d b e s t r a f t zu w e r d e n , v o n seinem V o r h a b e n a b l ä ß t (s.u. 3c). 3. D a s Motiv zum Rücktritt m u ß n i c h t ethisch billigenswert sein. Die S t r a f f r e i h e i t wird n i c h t als B e l o h n u n g f ü r g u t e s V e r h a l t e n g e w ä h r t , s o n d e r n weil Schlimmeres v e r h ü t e t w u r d e . E i n ethisch billigenswerter R ü c k t r i t t s g r u n d , z . B . Scheu, seelische E r s c h ü t t e r u n g , R e u e oder Selbstbesinnung, h a t lediglich insofern Bedeut u n g , als bei seinem Vorhandensein regelmäßig S t r a f f r e i h e i t n a c h § 46 Ziff. 1 eing r e i f t . E s k o m m t a u c h n i c h t d a r a u f a n , o b der A n s t o ß z u m R ü c k t r i t t v o n a u ß e n kommt. E n t s c h e i d e n d ist n u r , d a ß d e r T ä t e r H e r r s e i n e r E n t s c h l ü s s e bleibt und die A u s f ü h r u n g seines V e r b r e c h e n s p l a n s noch f ü r mögl i c h h ä l t (vgl. B G H 7, 296). Beispiele: a) S t r a f b e f r e i e n d e r R ü c k t r i t t ist a n z u n e h m e n , wenn d e r T ä t e r von e i n e m Vergewaltigungsversuch a b l ä ß t , weil d a s Opfer zu einer List greift u n d verspricht, sich alsbald a n einem geeigneteren Ort freiwillig hinzugeben (vgl. B G H a . a . O . sowie 1 S t r R 49/68 bei D a l l i n g e r M D R 1969,15ff.). Hiergegen l ä ß t sich n i c h t einwenden, d e r R ü c k t r i t t sei unfreiwillig, d a es d e m T ä t e r nicht gelungen sei, d e n V e r k e h r seinem ursprünglichen T a t p l a n folgend zu erzwingen; entscheidend ist allein, d a ß es der T ä t e r n a c h wie vor f ü r möglich hielt, u n g e a c h t e t d e r lockenden Versprec h u n g e n f ü r die Z u k u n f t seinen ursprünglichen T a t p l a n — h i c e t n u n c — a u c h gegen d e n Willen des Mädchens zu realisieren (vgl. M a u r a c h A T 522). b) Anders ist jedoch zu entscheiden, w e n n d a s Opfer einer Vergewaltigung sieh d e r d r o h e n d e n G e w a l t a n w e n d u n g n u r d a d u r c h zu entziehen weiß, d a ß es sich auf d e r Stelle hingibt. Von diesem Augenblick a n ist G e w a l t a n w e n d u n g mangels weiteren Wid e r s t a n d s g a r nicht m e h r möglich. O b d e r T ä t e r dies e r k a n n t h a t , ist u n e r h e b l i c h ; e r ist in j e d e m Fall wegen v e r s u c h t e r Vergewaltigung zu b e s t r a f e n ( R G J W 1934, 2335; 35, 2734; M a u r a c h A T 522). — B e a c h t e : H a t t e der T ä t e r in d e m zuletzt e r w ä h n t e n Fall d e n W i d e r s t a n d bereits m i t d e n t a t b e s t a n d s m ä ß i g e n Mitteln des § 177 ausgeschaltet, so erfolgt die B e s t r a f u n g n a t ü r l i c h n i c h t wegen versuchter, s o n d e r n wegen vollendeter Vergewaltigung. c) Unfreiwillig ist n a c h B G H 9, 49 d e r R ü c k t r i t t a u c h d a n n , w e n n d e r T ä t e r v o m Vergewaltigungsversuch n u r deshalb a b l ä ß t , weil die angefallene F r a u ihn entgegen seiner E r w a r t u n g k e n n t u n d er aus diesem G r u n d Strafanzeige e r w a r t e t . Die Bed e n k e n M a u r a c h s (AT 521 u n d B T 434) gegen diese E n t s c h e i d u n g sind n i c h t v o n d e r H a n d zu weisen, d a F u r c h t v o r S t r a f e a n sich noch n i c h t die Freiwilligkeit des R ü c k t r i t t s ausschließt (vgl. R G 47, 78; 54, 326; 57, 316). d) Unfreiwillig ist der R ü c k t r i t t schließlich a u c h d a n n , w e n n d e r T ä t e r v o n d e r Überfallenen F r a u n u r deshalb a b l ä ß t , weil sie ihre Regel h a t u n d d a h e r f ü r seine Zwecke u n b r a u c h b a r ist ( B G H 20, 279 m . A r n . L a c k n e r J R 1966, 106). 4. N u r die endgültige Aufgabe der T a t a u s f ü h r u n g v e r s c h a f f t S t r a f f r e i h e i t . E s genügt allerdings, d a ß d e r T ä t e r auf die F o r t f ü h r u n g des in concreto b e g o n n e n e n U n t e r n e h m e n s verzichtet. N i c h t erforderlich ist daher, d a ß er sich entschließt, nie wieder einen e r n e u t e n Angriff auf d a s g e f ä h r d e t e O b j e k t zu begehen. Beispiele: a) S t r a f l o s i g k e i t t r i t t ein, w e n n der T ä t e r freiwillig
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§
46
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aa) den Tatort mit seinem gesamten Werkzeug verläßt, um vielleicht demnächst erneut die T a t zu versuchen; bb) einen Mordanschlag auf seinen politischen Gegner aufgibt, u m irgendwelche Fassanten nicht zu gefährden, dabei aber bereits plant, bei nächster Gelegenheit — wenn er seinen Gegner ohne Begleitung trifft •—• die T a t doch noch zu begehen (s. auch BGH 10, 129). b) Die S t r a f b a r k e i t b l e i b t d a g e g e n b e s t e h e n , wenn der Täter aa) den bereits begonnenen Einbruchdiebstahl unter Zurücklassung des Werkzeugs am Tatort u m einen Tag verschiebt, da ihm der nächste Tag noch günstiger erscheint; bb) nur das Werkzeug wechselt (s. auch hierzu BGH 10, 129); cc) den Einbruchsplan aufgibt, u m sich dafür einzuschleichen. 5. Nur der Versuch als solcher bleibt straflos. Tatbestände, die bis zum Zeitpunkt des Rücktritts bereits erfüllt waren, werden von § 46 nicht erfaßt. Man spricht in solchen Fällen von einem qualifizierten Versuch. B e i s p i e l : Wenn A nach Vorlage einer unechten Urkunde, die er selbst angefertigt hat, um sich durch Täuschung rechtswidrige Vermögensvorteile zu verschaffen, vom Betrugsversuch zurücktritt, so bleibt die bereits vollendete Urkundenfälschung von der Freiwilligkeit des Rücktritts unberührt. Tatbestände, die wegen Spezialität, Konsumtion oder Subsidiarität vom Versuch konsumiert würden, erhalten ihre eigenständige Bedeutung zurück, wenn der Versuch nach § 46 straflos bleibt. So können als vollendete Delikte übrig bleiben: a) bei versuchtem R a u b oder versuchter räub. Erpressung: Nötigung (§ 240), Freiheitsberaubung (§ 239) oder Körperverletzung (§§ 223ff.); b) bei versuchter Vergewaltigung: sexuelle Nötigung (§ 178), Beleidigung (§ 185) und Körperverletzung (§§ 223ff.); c) bei versuchtem Einbruchs- oder Nachschlüsseldiebstahl: Hausfriedensbruch (§ 123) und Sachbeschädigung (§ 303); d) bei versuchter Tötung: Abtreibung (§218) oder Körperverletzung (§§223ff; siehe hierzu BGH J R 1952,414; BGH 16,122 sowie Vorbemerkung I I I 1 vor § 211). Bestritten ist, ob diese Grundsätze auch dann gelten, wenn das verbleibende Delikt nur eine G e f ä h r d u n g des Rechtsguts bedeutet, dessen Verletzung durch den Tb. erfaßt wird, dessen Begehung der Täter freiwillig aufgegeben hat. Ein Teil des Schrifttums (vgl. Schönke-Schröder R n . 39 a) nimmt hier an, daß die straf befreiende Wirkung des Rücktritts sich auch auf das bereits vollendete Gefährdungsdelikt erstreckt (ebenso BGH 14, 378 zu § 49 a Abs. 2 nach Rücktritt von einem versuchten Raub). Diese Ansicht kann jedoch nicht überzeugen. H ä t t e der Täter sich nämlich auf das Gefährdungsdelikt (z.B. §§ 151, 310a) beschränkt, ohne darüber hinaus die Verletzung des geschützten Rechtsguts zu versuchen, so wäre er auf jeden Fall wegen des Gefährdungsdelikts zu bestrafen. Sein Entschluß, keinen weitergehenden Angriff auf das gefährdete Rechtsobjekt zu unternehmen, könnte ihn nicht von Strafe freistellen. E r darf daher nicht dafür privilegiert werden, daß er ein bestimmtes Rechtsobjekt nicht nur gefährdet, sondern zusätzlich noch versucht hat, es zu verletzen. So wäre es unbillig, wollte m a n einen Täter, der unter den Voraussetzungen des § 151 ein Münzverbrechen vorbereitet hat, nur deshalb für straffrei erklären, weil er versucht hat, mit den hergestellten Platten usw. Falschgeld herzustellen. Die Strafbarkeit gemäß § 151 darf in diesem Fall durch einen freiwilligen Rücktritt von dem versuchten Münzverbrechen nicht berührt werden (vgl. Mäurach AT 526). Der ganze Komplex ist z.Zt. äußerst bestritten (vgl. Maurach a.a.O. mit weit. Nachw.). Übereinstimmend in allen Punkten Dreher § 46 Anm. 2, § 49a Anm. 5A.
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Versuch
§
4«
m . Tätige Reue nach beendetem Versuch ( § 4 6 Nr. 2) 1. Der Versuch ist beendet, wenn der Täter alles getan h a t , was nach seiner Vorstellung erforderlich war, um den tatbestandsmäßigen Erfolg herbeizuführen. So liegt z.B. eindeutig ein beendeter Versuch vor, wenn eine Frau, um ihre Leibesfrucht abzutöten, ein ihr hierzu geeignet erscheinendes Mittel bereits geschluckt hat. Nicht so eindeutig zu beurteilen sind dagegen die Fälle, in denen der Täter sich keine bestimmten Gedanken über die Zahl der Handlungen zu machen pflegt, die erforderlich sind, um den erstrebten Erfolg eintreten zu lassen. Wer z.B. sein Opfer dadurch zu töten beabsichtigt, daß er es mit einem Werkzeug niederschlägt, wird in der Regel von dem Willen beherrscht sein, so lange auf das Opfer einzuschlagen, bis dieses t o t ist. Hieraus folgt, daß in solchen Fällen der zuerst geführte Schlag selbst dann noch nicht zur Annahme eines beendeten Versuchs führt, wenn der Täter annahm, schon dieser erste Schlag würde ausreichen, um den Tod herbeizuführen. Hieraus folgt weiter: Läßt der Täter, nachdem er die Erfolglosigkeit des ersten Schlages erkannt hat, von seinem Vorhaben ab, so sind nicht die Voraussetzungen des§ 46 Nr. 2, sondern die des § 46 Nr. 1 zu prüfen (BGH 22,176 = J R 1 9 6 9 , 105 m. krit. Anm. Dreher; siehe auch Blei J A 1969, S t R S. 91 f.). Liegt ein beendeter Versuch vor, so bleibt der Täter nach dem Wortlaut des § 46 Nr. 2 straflos, wenn er v o r d e r E n t d e c k u n g der T a t den Erfolg d u r c h e i g e n e T ä t i g k e i t abwendet. So bleibt bei dem vorstehenden Beispiel die S straflos, wenn sie — etwa mit Hilfe eines Brechmittels — das Abtreibungsmittel wieder ausscheidet, bevor dieses wirken kann und bevor jemand etwas von ihrer T a t erfahren hat. 2. Der k r i m i n a l p o l i t i s c h e Z w e c k der Vorschrift ist der gleiche wie bei § 46 Nr. 1: Belohnt werden soll der Täter, der sich durch seine erfolgsabwendende Aktivität als weniger gefährlich erweist als ein anderer, der rücksichtslos seinen Verbrechensplan zu Ende f ü h r t (vgl. B G H 7, 296 m. Anm. Traub N J W 1956, 1183). So wie den Täter sein böses Streben mit der Versuchsstrafe belastet — auch wenn es objektiv völlig ungefährlich ist (die Fälle des sogenannten untauglichen Versuchs) — so soll das gute Streben ihn von Strafe freistellen. Dieser Leitgedanke ist von entscheidender Bedeutung f ü r die Beurteilung von Grenzfällen, wenn die Anwendbarkeit des unglücklich gefaßten § 46 Nr. 2 zweifelhaft erscheint. 3. I m einzelnen: a) Straffreiheit t r i t t nur ein, wenn die Handlung noch nicht entdeckt ist. Die T a t ist entdeckt, wenn sie von jemand bemerkt ist, von dem die Verhinderung der T a t oder die Veranlassung einer Strafverfolgung zu erwarten ist (BGH 24, 48). Bestritten ist, ob sich der Täter auch dann auf § 46 Nr. 2 berufen kann, wenn die T a t zwar objektiv entdeckt war, der Täter sie aber f ü r noch nicht entdeckt hielt (oder umgekehrt: Wie ist zu entscheiden, wenn die T a t zwar objektiv noch nicht entdeckt ist, der Täter aber irrig glaubt, sie sei bereits entdeckt?). B e i s p i e l : A versteckt in der Wohnung des B eine Zeitzünderbombe, die den B bei seiner Rückkehr um 19 Uhr töten soll. Durch Zufall entdeckt das Hausmädchen u m 18 Uhr die Zeitzünderbombe. Während sich das Mädchen zur Polizei begibt, u m den Fund zu melden, kehrt A von Reue ergriffen um 18.15 Uhr in die Wohnung des B zurück und entfernt den Apparat, bevor das Mädchen, von dessen Entdeckung A nichts weiß, den Polizeibeamten den eigenartigen Fund zeigen kann. H a t sich A durch seine tätige Reue Straffreiheit verdienen können ? Nach einer im neueren Schrifttum immer mehr im Vordringen begriffenen Ansicht läßt sich die Frage, ob die T a t noch nicht entdeckt ist, nur vom Standpunkt des Täters aus beurteilen (vgl. Maurach AT 523, Lackner-Maassen § 46 Anm. 4c, Schönke-Schröder 35, Busch L K 39). Dieser Ansicht ist beizutreten. Wenn das Gesetz auf die Nichtentdeckung der T a t als Voraussetzung f ü r die Möglichkeit strafbefreiender tätiger Reue abstellt,
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so d e s h a l b , weil es die E n t d e c k u n g a l s V e r m u t u n g d a f ü r a n s i e h t , d a ß der T ä t e r n i c h t m i t der a u c h bei § 46 N r . 2 erforderlichen F r e i w i l l i g k e i t seinen Verbrechensplan aufgegeben h a t . D a ß es a u c h bei § 46 N r . 2 e n t s c h e i d e n d a u f die Freiwilligkeit a n k o m m t , zeigen die n e u e i n g e f ü h r t e n Sonderregelungen d e r t ä t i g e n R e u e in den §§ 4 9 a , 83a, 84 Abs. 5, 87 Abs. 3, 129 Abs. 6, 316a Abs. 2, 316c Abs. 4. Die E n t d e c k u n g der T a t k a n n deshalb nicht als unwiderlegbare V e r m u t u n g f ü r mangelnde Freiwilligkeit angesehen werden. E s wäre unbillig, d e m in U n k e n n t n i s der tatsächlichen erfolgten E n t d e c k u n g zur Erfolgsabwendung t ä t i g werdenden T ä t e r die Straffreiheit zu versagen. Folgt m a n der hier v e r t r e t e n e n Ansicht, so bleibt A in d e m o b e n a n g e f ü h r t e n Beispiel straflos. S t r a f f r e i h e i t ist jedoch z u versagen, w e n n der T ä t e r irrig seine T a t f ü r e n t d e c k t hielt, w ä h r e n d sie in Wirklichkeit n i c h t e n t d e c k t w a r . So wie hier M a u r a c h A T 523, B u s c h L K 39, Lackner-Maassen 4 c ; a.A. K o h l r a u s c h - L a n g e A n m . V I I 2 a , Schönke-Schröder R n . 34 u n d B a u m a n n 506, die in der hier vertretenen Ansicht eine unzulässige, gegen d e n G r u n d s a t z „ n u l l u m crimen sine lege" v e r s t o ß e n d e Analogie sehen. Diese Bedenken sind jedoch u n b e g r ü n d e t , w e n n m a n die F r a g e , ob die T a t e n t d e c k t ist, k o n s e q u e n t n a c h der Vorstellung des T ä t e r s beurteilt u n d wie bei § 46 N r . 1 u n m i t t e l b a r auf die Freiwilligkeit abstellt. I n diesem Sinn h a t inzwischen a u c h das 2. S t r R G die F r a g e gesetzgeberisch entschieden (vgl. § 24 i . d . F . des 2. S t r R G , siehe A n h a n g 8). W e n n m a n d a v o n a u s g e h t , d a ß n u r die W a h r n e h m u n g d e r T a t d u r c h solche Personen schadet, v o n denen der T ä t e r die Vereitelung des Erfolgs oder die Veranlassung einer S t r a f v e r f o l g u n g zu e r w a r t e n h a t , so folgt hieraus: § 46 N r . 2 wird nicht d a d u r c h ausgeschlossen, d a ß die T a t w a h r g e n o m m e n wird aa) v o n Personen, die d e r reuige T ä t e r selbst beizieht, u m d e n E r f o l g a b z u wenden, z.B. Arzte, möglicherweise sogar Polizeibeamte; bb) von Teilnehmern a n der T a t , Angehörigen oder sonstigen V e r t r a u t e n , die der T ä t e r v o r oder n a c h der T a t eingeweiht h a t u n d v o n denen er ein H a n d e l n gegen seine Interessen nicht e r w a r t e t ; cc) von Personen, die d e n U n r e c h t s g e h a l t der T a t nicht erfassen u n d d a h e r a u c h keinen T a t v e r d a c h t schöpfen können, z. B. kleine K i n d e r . E n t d e c k u n g d u r c h d e n V e r l e t z t e n : Von i h m d r o h t d e m T ä t e r g r u n d sätzlich i m m e r die G e f a h r einer Erfolgsvereitelung bzw. Strafanzeige ( B G H 24, 48). D a s gilt i d R . a u c h d a n n , w e n n es sich bei d e m Verletzten u m einen Angehörigen des T ä t e r s h a n d e l t . H i e r a u s f o l g t : Überall, wo der T ä t e r einen offenen Angriff f ü h r t , z. B. bei R a u b , E r p r e s s u n g u n d gewissen Fällen von Mord u n d Totschlag, ist s t r a f befreiende tätige Reue grundsätzlich ausgeschlossen (vgl. B G H 24, 48; N J W 1972, 2004; Busch L K 38; a . A . D r e h e r N J W 1971, 1046 m . weit. Nachw.). E i n e n u r scheinbare A u s n a h m e von diesem G r u n d s a t z b r i n g t die schon m e h r f a c h zitierte u n d sehr i n s t r u k t i v e E n t s c h e i d u n g B G H J R 1952, 414: W e n n d a s Opfer so schwer verletzt ist, d a ß es ohne Hilfe des T ä t e r s v e r b l u t e n m ü ß t e , so h a t der T ä t e r von dieser Seite weder Erfolgshinderung noch Strafanzeige zu b e f ü r c h t e n . E r k a n n sich d a h e r d u r c h t ä t i g e R e u e noch Straflosigkeit n a c h § 46 N r . 2 verdienen, w a s allerdings die Möglichkeit einer B e s t r a f u n g n a c h § 223 a n i c h t ausschließt (vgl. B G H a . a . O . u n d oben I I 5; ebenso der Sache n a c h B G H 21, 216). b) Der T ä t e r m u ß d e n Erfolg d u r c h eigene Tätigkeit abwenden, aa) Nicht erforderlich ist, d a ß der T ä t e r d e n Erfolg eigenhändig v e r h i n d e r t . Straffreiheit k a n n sich a u c h verdienen, wer H i l f s k r ä f t e (Ärzte, F e u e r w e h r usw.) heranzieht, u m den Erfolg a b z u w e n d e n (vgl. B G H N J W 1973, 632). bb) Lange streitig w a r die Frage, ob tätige R e u e a u c h beim s o g e n a n n t e n u n t a u g l i c h e n V e r s u c h z u Straflosigkeit f ü h r e n k a n n . D a s Reichsgericht (vgl. R G 68, 309) lehnte in solchen Fällen die A n w e n d b a r k e i t v o n § 46 N r . 2 a b m i t d e r B e g r ü n d u n g , d a ß ein Erfolg, der ü b e r h a u p t nicht e i n t r e t e n k a n n , a u c h n i c h t
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mehr abgewendet werden könne. Diese Ansicht führte zu dem unbefriedigenden Ergebnis, daß der Täter, dessen Angriff objektiv eine stärkere Gefährdung des geschützten Rechtsguts bedeutet, besser gestellt war als ein anderer, dessen Angriff nie zum Ziel führen kann. Auch wenn man den Grand der Strafbarkeit des Versuchs nicht in der Gefährlichkeit der Tat, sondern in der Gefährlichkeit des Täters sieht, lassen sich keine überzeugenden Gründe dafür finden, den mit tauglichen Mitteln vorgehenden Täter besser zu stellen als den, der — möglicherweise aus Unverstand handelnd —• gar nicht gefährlich werden kann. Eine befriedigende Lösung bietet hier die von der h. L. vorgeschlagene, inzwischen auch vom BGH (BGH 11, 324; N J W 1969,1073) vertretene Auslegung: Unterbleibt die T a t ohne Zutun des Täters, so genügt sein freiwilliges und ernsthaftes Bemühen, die Begehung zu verhindern. Derselbe Rechtsgedanke findet sich in den §§ 49 a Abs. 4, 83 a Abs. 3, 129 Abs. 6S.2,138 Abs. 4 S.2, 316 a Abs. 2 S.2, wo es ebenfalls entscheidend darauf ankommt, daß der Täter freiwillig zur Erfolgshinderung tätig wurde. H a t der Täter allerdings die Erfolglosigkeit seines Angriffs erkannt, so kann von einem freiwilligen und ernsthaften Bemühen, den Erfolg zu verhindern, nicht mehr gesprochen werden. cc) Was f ü r die Behandlung der tätigen Reue beim untauglichen Versuch gilt, muß auch dort gelten, wo der E r f o l g s e i n t r i t t v o n d r i t t e r S e i t e , aber ohne Kenntnis des sich reuig bemühenden Täters abgewendet wurde (vgl. Maurach AT 524; Lackner-Maassen Anm. 4 b ; in BGH N J W 1973, 632 offen gelassen). dd) Tritt der Erfolg ungeachtet der Bemühungen des Täters, ihn zu verhindern, doch ein, so ist der Täter wegen (vollendeter) Tatbegehung zu bestrafen (BGH N J W 1973, 632f.). Die tätige Reue wirkt sich in diesem Fall nur im Strafmaß aus. IV. Sonderfälle 1. Bei den unechten Unterlassungsdelikten ist der Versuch nach h. L. dann beendet, wenn der zur Erfolgsabwendung Verpflichtete die nach seiner Meinung letzte Möglichkeit, den Erfolg abzuwenden, ungenutzt verstreichen läßt (vgl. Schröder J u S 1962, 86). B e i s p i e l : Eine Mutter gibt ihrem Kleinkind mit Tötungsvorsatz mehrere Tage lang keine Nahrung, bis das Kind wie leblos daliegt und die Mutter sich sagt, daß jede Hilfe jetzt zu spät ist. I n den meisten Fällen dieser Art ist nun allerdings eine strafbefreiende tätige Reue ausgeschlossen, da der Täter, der keine Erfolgsabwendungsmöglichkeit mehr sieht, in aller Regel auch nichts mehr unternehmen wird, um den Erfolg abzuwenden. In dem oben zitierten Beispiel kommt § 46 Nr. 2 also nur dann in Betracht, wenn die Mutter, von Reue ergriffen, in der vagen Hoffnung, das Kind doch noch zu retten, einen Arzt hinzuzieht. Gelingt diesem wider Erwarten die Rettung, so bleibt die Mutter straflos; stirbt das Kind, so kann sich die tätige Reue allenfalls im Strafmaß auswirken. Das Beispiel zeigt, daß auch bei einem beendeten Versuch eines unechten Unterlassungsdelikts strafbefreiende tätige Reue nicht ausgeschlossen ist. Diese Fälle dürften allerdings die Ausnahme darstellen. Lönnies (Rücktritt und tätige Reue bei den unechten Unterlassungsdelikten, N J W 1962,1950) macht daher den Vorschlag, den Zeitpunkt für die Annahme eines beendeten Versuchs vorzuverlegen und den V e r s u c h s c h o n d a n n a l s b e e n d e t a n z u s e h e n , w e n n der T ä t e r zur E r f o l g s a b w e n d u n g mehr t u n muß, als die Rechtsordnung von ihm verlangt. Auf unser Beispiel übertragen würde dies bedeuten, daß der Versuch schon dann beendet wäre, wenn die Mutter glaubt, daß das Kind schon so schwach geworden ist, daß die Fortsetzung der bisherigen Ernährung nicht ausreicht, vielmehr ärztliche Hilfe erforderlich ist, um das Leben des Kindes zu erhalten. F ü r die Auffassung von Lönnies spricht die Parallele zu den Begehungsdelikten, bei denen m a n einen unbeendeten Versuch auch nur solange annimmt, als der Täter einfach durch Auf-
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§ 46a
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gäbe seiner weiteren Tätigkeit — also durch bloße Untätigkeit — den Erfolgseint r i t t verhindern kann. Muß er mehr tun, z. B. die bereits gelegte Zeitzünderbombe wieder entfernen, so liegt ein beendeter Versuch vor, bei dem der Täter sich n u r unter den Voraussetzungen des § 46 Nr. 2 Straflosigkeit verdienen kann. 2. B e g r i f f l i c h a u s g e s c h l o s s e n s i n d R ü c k t r i t t u n d t ä t i g e R e u e b e i m vollendeten Delikt. Allerdings gibt es auch von diesem Grundsatz einige gesetzlich geregelte Ausnahmen. Die bekanntesten sind: a) § 158 Abs. 1: Bei Meineid (§ 154), falscher Versicherung an Eides Statt (§ 156) und fahrlässiger uneidücher Aussage (§ 153) k a n n das Gericht von Strafe absehen, wenn die falsche Aussage rechtzeitig berichtigt wurde. b) § 163 Abs. 2: Bei einem fahrlässigen Falscheid (§163 Abs. 1) tritt obligatorisch Straflosigkeit ein, wenn die falsche Aussage rechtzeitig berichtigt wurde. c) § 310: Wer vorsätzlich oder fahrlässig einen Brand verursacht hat, bleibt straflos, wenn er den Brand wieder löscht, bevor dieser entdeckt und weiterer Schaden entstanden war. Weitere Beispiele finden sich in den §§ 49b Abs. 3, 129 Abs. 6, 139 Abs. 4 StGB, 395 AO. 3. Entsprechendes gilt bei den sog. Unternehmenstatbeständen (§§81,82, 122,316a, 316c Abs. 1 Nr. 2, 357, 360 Abs. 1 Ziff. 5). Nach der L e g a l d e f i n i t i o n in § 46a ist bei den Unternehmenstatbeständen der Versuch der Vollendung gleichgestellt. Hieraus folgt: § 46 findet keine Anwendung. Rücktritt und tätige Reue können nur dort zu Straffreiheit führen, wo das Gesetz eine derartige Rechtswirkung ausdrücklich vorsieht. Das ist der Fall bei § 83 a für die §§ 81, 82 und bei § 316 a Abs. 2 f ü r Abs. 1. Nach diesen Sonderregelungen kann das Gericht von Strafe absehen oder die Strafe mildern, wenn der Täter aus freien Stücken seine Tätigkeit aufgibt und den Erfolg abwendet. Unterbleibt der Erfolg ohne Zutun des Täters, so genügt sein ernstliches Bemühen, den Erfolg abzuwenden (§§ 83a, Abs. 3, 316a Abs. 2 Satz 2). 4. Auch bei selbständig unter Strafe gestellten Vorbereitungshandlungen führt tätige Reue nur dort zu Straflosigkeit, wo das Gesetz eine derartige Rechtswirkung ausdrücklich vorsieht, z. B. in § 83 a Abs. 2 f ü r § 83 und in § 49a Abs. 3 f ü r die Fälle des Abs. 2, in § 311b Abs. 1 S. 3 für § 311a und in § 316c Abs. 4 für die Fälle des Abs. 3. Bei § 234a Abs. 3 ist § 49a Abs. 3 analog anzuwenden (vgl. BGH 6, 85). V. Das 2. StrRG gibt die bisherige Unterscheidung zwischen beendetem und nicht beendetem Versuch auf und trifft für alle Fälle des Versuchs eine einheitliche Regelung (vgl. § 24 i.d.F.des 2. StrRG, abgedruckt in Anhang 8). Hierbei wird in wenigen Sätzen all das zusammengefaßt, was Schrifttum und Rechtsprechung zur Interpretation des § 46 herausgearbeitet haben.
§ 46 a
[Begriff des Unternehmens]
Unternehmen einer Tat im Sinne dieses Gesetzes ist deren Versuch und deren Vollendung. 1. Die früher systemwidrig in § 87 enthaltene Legaldefinition wurde durch das 8. StrRÄndG in den Allgemeinen Teil eingegliedert. Zu den Unternehmensdelikten i.S. der Vorschrift gehören z.B. die §§ 81, 82, 122, 184 Abs. 1 Nr. 2, 157, 292, 316a, 316c, 357, 360 Abs. 1 Nr. 5. 2. Strafbefreiende t ä t i g e R e u e ist bei Unternehmensdelikten nur ausnahmsweise möglich. Siehe hierzu ausführlich § 46 Anm. IV 3. 3. Aus dem Schrifttum siehe insbesondere Burkhardt, Das Unternehmensdelikt und seine Grenzen, JZ 1971, 352.
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Teilnahme
§ 4 7
Dritter Abschnitt: Teilnahme (§§ 47—50) Vorbemerkung 1. Sind mehrere an einer strafbedrohten Handlung beteiligt, so kommt als Teilnahmeform je nach Sachlage Täterschaft, Anstiftung oder Beihilfe in Betracht. A n s t i f t u n g und B e i h i l f e werden üblicherweise unter dem gemeinsamen Oberbegriff T e i l n a h m e zusammengefaßt und der Täterschaft gegenübergestellt. Innerhalb der T ä t e r s c h a f t wiederum unterscheidet man die u n m i t t e l b a r e T ä t e r s c h a f t , die m i t t e l b a r e T ä t e r s c h a f t , die M i t t ä t e r s c h a f t und die N e b e n t ä t e r s c h a f t . Gesetzlich geregelt sind nur die Anstiftung (§ 48), die Beihilfe (§ 49) und die Mittäterschaft (§ 47), ferner die v e r s u c h t e A n s t i f t u n g (§ 49a). Der Täterbegriff als solcher sowie die mittelbare Täterschaft und die Nebentäterschaft als besondere Erscheinungsformen der Täterschaft wurden von Rspr. und Wissenschaft entwickelt. 2. Eingehende Ausführungen über das Wesen von Täterschaft und Teilnahme finden sich in den Vorbemerkungen zum Allgemeinen Teil, Abschnitt H, S. 51 ff.
§ 4V
[Mittäterschaft]
Wenn mehrere eine strafbare Handlung gemeinschaftlich ausführen, so wird jeder als Täter bestraft. 1. Mittäterschaft setzt voraus, daß mehrere Personen in bewußtem und gewolltem Zusammenwirken a r b e i t s t e i l i g auf die Tatbestandsverwirklichung hinwirken. Mittäterschaft ist daher n u r b e i v o r s ä t z l i c h e r , nicht auch bei fahrlässiger Tatbegehung möglich. 2. Mittäterschaft ist echte Täterschaft. Der Mittäter muß daher alle Voraussetzungen erfüllen, die auch der Alleintäter erfüllen muß. I m einzelnen ist zu beachten: a) Bei e i g e n h ä n d i g e n D e l i k t e n (vgl. Vorbem. AT, Abschn. B I 6, S. 11) ist M i t t ä t e r s c h a f t b e g r i f f l i c h a u s g e s c h l o s s e n . Leisten mehrere Zeugen in einem Strafverfahren einen Meineid, so sind sie auch dann als Alleintäter zu bestrafen, wenn sie ihre Falschaussage vorher abgesprochen haben. b) Bei den sogenannten S o n d e r d e l i k t e n (z.B. Amtsdelikte, tinechte Unterlassungsdelikte, vgl. Vorbem. AT, Abschn. B I 7, S. 11) kommt als Mittäter nur in Betracht, wer auch als Alleintäter in Betracht kommen könnte. Außenstehende können — ebenso wie bei den eigenhändigen Delikten — nur Anstifter oder Gehilfen sein. Wenn z.B. ein Nichtbeamter gemeinsam mit einem Beamten eine diesem amtlich anvertraute Urkunde fälscht, so kommt für den Nichtbeamten nur Bestrafung aus § 267 in Betracht. Die darüberhinaus vorliegende Beihilfe zur Urkundenfälschung im Amt (§§ 348 Abs. 2/49) wird, da die Strafe gemäß § 50 Abs. 3 aus § 267 zu entnehmen wäre, durch die eigene Täterschaft konsumiert. c) Der Mittäter muß die T a t a l s e i g e n e w o l l e n (vgl. Vorbem. AT, Abschn.H I 2,3, S . 6 1 f . ) . D i e T a t h e r r s c h a f t ist nur I n d i z für das Vorliegen von Mittäterschaft und im Einzelfall verzichtbar (BGH 16, 12). Nach dem im wesentlichen subjektiv bestimmten Täterbegriff des BGH ist nicht der äußere Tatbeitrag entscheidend, sondern die innere Einstellung derTatbeteiligten. Der Mittäter muß seinen eigenen Tatbeitrag nicht nur als Förderung fremden Tuns, sondern als Teil der einander ergänzenden Tätigkeiten aller Beteiligten und umgekehrt die Handlungen der übrigen Beteiligten als Ergänzung seines eigenen Tatanteils ansehen (BGH 4 StR 25/68 bei Martin DAR 1969,142 m. weit.Nachw.). 12 Pettera-Preisendanz, StGB, 28. Aufl.
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§48
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3. Erforderlich ist eine gemeinschaftliche Tatausführung. Dies setzt n i c h t notwendig voraus, daß alle Mittäter e i g e n h ä n d i g die eigentliche Tatausführung vornehmen. So kann Mittäter eines Diebstahls auch der sein, der in der Hoffnung auf einen Anteil an der Beute Schmiere steht. Nach BGH 16, 12 genügt es sogar, wenn ein Komplize den anderen durch die Zusage, später für das erforderliche Benzin aufzukommen, dazu überredet, zwecks Vornahme einer gemeinsamen Autofahrt einen P K W zu entwenden. Zum Ganzen siehe auch oben 2 c. 4. Geht einer der Mittäter weiter, als die anderen wußten und wollten, so spricht man von einem Exzeß des Mittäters. Für diesen sind die übrigen Mittäter nicht verantwortlich. B e i s p i e l : A und B verabreden, aus einem unverschlossenen Stall ein Schwein zu stehlen und für sich zu verwerten. B steht Schmiere, während A sich zu dem Stall begibt und feststellt, daß die Tür wider Erwarten verschlossen ist. Er bricht sie auf und holt das Schwein heraus. B kann nur wegen gemeinschaftlichen einfachen Diebstahls (§§ 242, 47) bestraft werden, während f ü r A ein Regelfall i.S. von § 243 Nr. 1 vorliegt. 5. Wer sich erst im Laufe der Tat einem anderen als Mittäter anschließt (sogenannte sukzessive Mittäterschaft), muß sich die bis dahin verwirklichten Tatbestandsmerkmale zurechnen lassen, soweit sie ihm bekannt und bei der unter seiner Mitwirkung erfolgten weiteren Tatausführung noch wirksam waren (BGH 2, 344). B e i s p i e l : A sieht, wie B in die Wohnung des X einbricht, um dort einen Diebstahl zu begehen. Wenn er sich nunmehr die günstige Situation zunutze macht und gemeinsam mit B die Wohnung ausräumt, so ist er nicht nur wegen eines gemeinschaftlichen einfachen Diebstahls, sondern wegen eines in Mittäterschaft begangenen Einbruchsdiebstahls (§§ 243 Nr. 1, 47) zu bestrafen. Dagegen liegt ein einfacher Diebstahl vor, wenn A die von B geschaffene Lage nur ausnutzt, ohne irgendwie mit B zusammenzuarbeiten (vgl. BGH 2, 346; F f m N J W 1969, 1915; Maurach AT 661). 6. Zur Frage, unter welchen Voraussetzungen sich ein Mittäter durch Bücktritt oder tätige Reue Straffreiheit verdienen kann, siehe § 46 Anm. I. 7. Zur A b g r e n z u n g g e g e n ü b e r d e r B e i h i l f e siehe Vorbem. AT, Abschn. H I 2, 3 (S. 51 ff.). 8. I n einigen, vom Gesetz besonders hervorgehobenen Fällen wirkt sich die Mittäterschaft s t r a f s c h ä r f e n d aus. Siehe hierzu §§ 123 Abs. 2, 223a, 244 Abs. 1 Nr. 3 und 250 Abs. 1 Nr. 2. § 48 [Anstiftung:] (1) Als Anstifter wird bestraft, wer einen anderen zu der von demselben begangenen mit Strafe bedrohten Handlung durch Geschenke oder Versprechen, durch Drohung, durch Mißbrauch des Ansehens oder der Gewalt, durch absichtliche Herbeiführung oder Beförderung eines Irrtums oder durch andere Mittel vorsätzlich bestimmt hat. (2) Die Strafe des Anstifters ist nach demjenigen Gesetz festzusetzen, welches auf die Handlung Anwendung findet, zu welcher er wissentlich angestiftet hat. 1. Begriff: Anstiftung ist die vorsätzliche Bestimmung eines anderen zu einer vorsätzlichen, mit Strafe bedrohten Handlung. 2. Die in Aussicht genommene Tat kann ein V e r b r e c h e n , ein V e r g e h e n , aber auch eine Ü b e r t r e t u n g sein.
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§ 48
3. Nur die vorsätzliche Anstiftung ist strafbar. Der Vorsatz des Anstifters muß alle Tatbestandsmerkmale der in Aussicht genommenen T a t umfassen, ohne daß andererseits erforderlich ist, daß der Anstifter alle Einzelheiten der Tatausführung kennt. a) F ü r einen Exzeß des Täters haftet der Anstifter nicht. Dies gilt sowohl dann, wenn der Täter erheblich über das hinausgeht, was der Anstifter gewollt h a t , als auch dann, wenn er etwas ganz anderes t u t . Beispiele: aa) A stiftet den B an, X zu verprügeln. Wenn B nun X totschlägt, so ist B — je nach Art seines Vorsatzes — wegen Mordes, Totschlags oder vorsätzlicher Körperverletzung mit Todesfolge zu bestrafen. F ü r A kommt dagegen nur Anstiftung zur Körperverletzimg (§§ 223, 48) in Betracht. bb) A möchte dem X schaden. E r stiftet daher den B an, bei X einen Einbruch zu begehen. Wenn X nun wider Erwarten bei der Tatbegehung auf einen Nachtwächter stößt und diesen niederschießt, so kann A für die Gewalttätigkeit des B nicht verantwortlich gemacht werden. b) U n e r h e b l i c h e A b w e i c h u n g e n zwischen der ausgeführten T a t und der Vorstellung des Anstifters können diesen nicht entlasten. B e i s p i e l : A stiftet B an, den vor der Hauptpost abgestellten Volkswagen des X zu entwenden. Wenn B n u n nicht den VW des X, sondern den daneben stehenden Opel des Y entwendet, da dieser leichter kurzzuschließen ist, so ist dies f ü r die Strafbarkeit des A wegen Anstiftung zum Diebstahl unerheblich. 4. Zum Vorsatz des Anstifters gehört auch der Vollendungswille. Wer n u r den Versuch einer Straftat will, z . B . um einen anderen zu prüfen, ob er einer strafbaren Handlung überhaupt fähig ist (agent provocateur), begeht keine Anstiftung. Eine Bestrafung wegen Anstiftung entfällt in diesem Falle auch dann, wenn es entgegen der Vorstellung des Anstifters doch zur Vollendung der T a t k o m m t . Denkbar ist hier jedoch die Möglichkeit einer Bestrafung wegen fahrlässiger Begehung, sofern diese mit Strafe bedroht ist. B e i s p i e l : A redet, ohne ernstlich mit dieser Möglichkeit zu rechnen, solange auf B ein, dieser solle doch seine ihm leid gewordene Ehefrau vergiften, bis B schließlich, ohne daß A es verhindern kann, seine F r a u tatsächlich vergiftet. B ist gemäß § 211, A gegebenenfalls nach § 222 zu bestrafen. 5. Auch der Täter muß vorsätzlich handeln. a) E s gibt k e i n e A n s t i f t u n g z u v o r s a t z l o s e n T a t e n (vgl. B G H 9, 370). Anstiftung bedeutet das Hervorrufen eines Tatentschlusses. Einen Tatentschluß kann aber nur fassen, wer alle tatbestandserheblichen Umstände kennt, d . h . vorsätzlich handelt. Einzelheiten siehe BGH a . a . O . 374 sowie Vorbem. AT, A b s c h n . H V 2c, S. 61. b) Handelt der in Aussicht genommene T ä t e r e n t g e g e n d e r V o r s t e l l u n g d e s A n s t i f t e r s n i c h t v o r s ä t z l i c h , sondern nur fahrlässig oder überhaupt schuldlos, so kommt nur Bestrafung wegen v e r s u c h t e r A n s t i f t u n g in Betracht. Diese ist allerdings nur bei Verbrechen strafbar, vgl. § 49 a. c) Weiß der Hintermann, daß der die T a t Ausführende ohne Vorsatz handelt, so liegt m i t t e l b a r e T ä t e r s c h a f t vor. Siehe hierzu ausführlich Vorbem. AT, Abschn. H I I 3 a, S. 55. 6. Als Mittel der Anstiftung nennt das Gesetz G e s c h e n k e , V e r s p r e c h e n , D r o h u n g , M i ß b r a u c h d e s A n s e h e n s , G e w a l t und H e r b e i f ü h r u n g o d e r F ö r d e r u n g e i n e s I r r t u m s . Die Aufzählung ist nur beispielhaft, wie der ausdrückliche Hinweis auf die Möglichkeit anderer Mittel zeigt. I n der Praxis überwiegen die „anderen Mittel", insbesondere der einfache R a t , eine S t r a f t a t 12
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zu begehen. Geht der Anstifter mit Gewalt oder Drohung vor oder mißbraucht er sein Ansehen, u m einen anderen zu einer Straftat zu veranlassen, so liegt in aller Regel entgegen dem Wortlaut des § 48 keine Anstiftung, sondern m i t t e l b a r e T ä t e r s c h a f t vor, da in diesem Fall nämlich der Wille zur Tatherrschaft nicht bei dem liegt, der die T a t ausführt, sondern bei dem, der ihn zur T a t treibt. (Siehe hierzu ausführlich Vorbem. AT, A b s c h n . H I , I I , S. 51 ff.) Dasselbe gilt, wenn jemand einen anderen zu einer T a t veranlaßt, von dem er weiß, daß ihm der Vorsatz fehlt. 7. War der Täter bereits zur T a t entschlossen („omni modo facturus"), so liegt keine vollendete, sondern nur v e r s u c h t e A n s t i f t u n g vor. Diese ist gemäß § 49 a nur bei Verbrechen strafbar. Wurde der bereits zur Tat entschlossene Täter durch die Aufforderung in seinem Tatentschluß bestärkt, so besteht die Möglichkeit, wegen B e i h i 1 f e zu bestrafen. § 49 a ist dann als schwächere Teilnahmeform subsidiär (vgl. Schönke-Schröder § 49a ß n . 5; Busch L K § 49a B n . 11). 8. Anstiftung zu einem qualifizierten Delikt (z.B. R a u b mit Waffen, § 2S0 Abs. 1 Nr. 1) wird nicht schon dadurch ausgeschlossen, daß der Angestiftete bereits entschlossen war, die Tat als solche zu begehen, aber ohne die ihm vom Anstifter angeratene Qualifizierung (BGH 19, 339; Maurach AT 687; Lackner-Maassen 3; Stree, Heinitz-Festschr. S. 277; a.A. Cramer J Z 1965, 30; Schönke-Schröder 4a). B e i s p i e l : Der zum R a u b entschlossene B greift erst auf Anraten des A bei der Tatbegehimg zu einer Waffe. 9. Wegen Anstiftung zu erfolgsqualifizierten Delikten (z. B. §§ 177 Abs. 3,226,251) siehe ausführlich § 56 Aiun. 2. 10. Die Strafe des Anstifters ist, soweit kein Exzeß des Täters vorliegt (s.o. 3a), dem Gesetz zu entnehmen, gegen das der Täter verstößt. Bleibt die T a t im V e r s u c h s s t a d i u m , so kann auch der Anstifter nur wegen Anstiftung zum Versuch bestraft werden. T u t der Täter weniger, als der Anstifter wollte, so k o m m t dies auch dem Anstifter zugute. B e i s p i e l : A stiftet B an, einen Meineid zu leisten. Wenn B n u n zwar falsch aussagt, aber wider Erwarten nicht vereidigt wird, so kann auch A insoweit nur wegen Anstiftung zur uneidlichen Falschaussage (§§ 153, 48) bestraft werden. Diese Bestrafung kann aber nur den objektiven Unrechtsgehalt der T a t erfassen. U m auch den subjektiven Unrechtsgehalt erfassen zu können, ist es erforderlich, A außerdem noch wegen versuchter Anstiftung zum Meineid (§§ 154, 49a) zu bestrafen. Die Anstiftung zur uneidlichen Falschaussage und die versuchte Anstiftung zum Meineid stehen in diesem Fall in Idealkonkurrenz (vgl. BGH 9, 131; Busch L K § 49a R n . 10). § 4 9
[Beibille]
(1) Als Gehilfe wird bestraft, wer dem Täter zur Begehung einer als Verbrechen oder Vergehen mit Strafe bedrohten Handlung durch Rat oder Tat wissentlich Hilfe geleistet hat. (2) Die Strafe des Gehilfen ist nach demjenigen Gesetz festzusetzen, welches auf die Handlung Anwendimg findet, zu welcher er wissentlich Hilfe geleistet hat, kann jedoch nach den über die Bestrafung des Versuchs aufgestellten Grundsätzen ermäßigt werden. 1. Begriff: Beihilfe ist die vorsätzliche Förderung der vorsätzlichen T a t eines anderen. Sie kann, zeitlich gesehen, bis zur tatsächlichen Beendigung der T a t geleistet werden (vgl. BGH 4, 132). Über die Abgrenzung zur Mittäterschaft siehe Vorbem. AT Abschn. H I 2, 3, S. 51 sowie § 47 Anm. 2 c, über die Abgrenzung zur Begünstigung siehe § 257 Anm. 2. 2. I m Gegensatz zur Anstiftung ist die Beihilfe nur bei V e r b r e c h e n und V e r g e h e n , n i c h t auch bei Ü b e r t r e t u n g e n strafbar.
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§ 4 »
3. Wie bei der Anstiftung muß sich auch bei der Beihilfe der Vorsatz des Gehilfen auf alle Tatbestandsmerkmale der geförderten T a t erstrecken. Ein E x z e ß d e s T ä t e r s ist dem Gehilfen nicht zuzurechnen. 4. Zum Vorsatz des Gehilfen gehört auch der Vollendungswille. Wer nur zum Schein eine fremde T a t unterstützt, ohne deren Vollendung zu wollen, kann nicht wegen Beihilfe bestraft werden (sogenannte S c h e i n b e i h i l f e ) . B e i s p i e l : A gibt der zur Abtreibung entschlossenen S ein Mittel, von dem er weiß, daß es völlig ungeeignet ist. Nimmt die S das Mittel, so h a t sie sich einer versuchten Abtreibung (§§ 21S Abs. 1, 43) schuldig gemacht; A kann mangels Vorsatzes nicht bestraft werden. E r h a t nicht die Vollendung, sondern nur den Versuch gewollt. E s liegt somit n u r straflose Scheinbeihilfe vor. 5. Wie die Anstiftung ist auch die Beihilfe nur bei vorsätzlichen Taten strafbar (s.o. § 48 Anm. 5 m. weit. Nachweisen). 6. Die Mittel der Beihilfe sind unbeschränkt. Beihilfe ist die vorsätzliche U n t e r s t ü t z u n g fremder T a t . Sie kann entweder durch Verbesserung der äußeren Bedingungen geleistet werden (sog. p h y s i s c h e oder t e c h n i s c h e Beihilfe) oder dadurch, daß der Täter durch Katschläge oder irgendwelche Zusicherungen in seinem Tatentschluß bestärkt wird (sog. p s y c h i s c h e oder i n t e l l e k t u e l l e Beihilfe). a) Beispiel f ü r einen Fall physischer Beihilfe: A verschafft dem B das Tatwerkzeug. b) Beispiel f ü r einen Fall psychischer Beihilfe: A gibt dem B den B a t , wie er am besten in das H a u s des X einbrechen kann. B e a c h t e : Nur bei der psychischen, nicht auch bei der physischen Beihilfe ist erforderlich, daß der Täter die ihm zuteil gewordene Unterstützung kennt. Wenn A beispielsweise f ü r B, während dieser einen Einbruch begeht, Schmiere steht, kann er auch dann wegen Beihilfe bestraft werden, wenn B gar nichts davon weiß. 7. Beihilfe kann auch durch Unterlassen geleistet werden. Dies setzt objektiv voraus, daß sowohl die Pflicht als auch die Möglichkeit besteht, den drohenden Erfolg abzuwenden. Subjektiv ist erforderlich, daß der zur Erfolgsabwendung Verpflichtete alle seine Erfolgsabwendungspflicht begründenden Tatumstände und die Erfolgsabwendungsmöglichkeit kennt und daß er untätig bleibt in dem Bewußtsein, hierdurch eine fremde T a t zu unterstützen. Sehr bestritten ist die Frage, ob und unter welchen Voraussetzungen die Pflicht besteht, einen Selbstmord zu verhindern (siehe hierzu Vorbem. V vor § 211), ferner die Frage, unter welchen Voraussetzungen eine Prozeßpartei verpflichtet ist, einen Zeugen vom Meineid abzuhalten (siehe hierzu § 154 Anm. 6). 8. Ist die dem Täter zuteil gewordene U n t e r s t ü t z u n g f ü r die Tatbegehung objektiv ohne jeden Einfluß und wird auch der Tatentschluß des Täters durch sie nicht bestärkt, so liegt nur v e r s u c h t e B e i h i l f e vor (h. L . ; a.A. R G 68,113). Aus dem neueren Schrifttum zur Frage der Kausalität der Beihilfe siehe insbesondere Class, Stock-Festschr. S. 126; Dreher MDR 1972, 553; Schaffstein, HonigFestschr. S. 169; Samson. Hypothetische Kausalverläufe im Strafrecht, 1972 S. 49, 160; Vogler, Heinitz-Festschr. S. 295. 9. Die Strafe des Gehilfen ist, soweit kein Exzeß des Täters vorliegt (s.o. 3), dem Gesetz zu entnehmen, gegen das der Täter verstößt, jedoch kann die Strafe gem. § 49 Abs. 2 nach Versuchsgrundsätzen (§ 44) gemildert werden. Bleibt die T a t im V e r s u c h s s t a d i u m , so kann auch der Gehilfe nur wegen Beihilfe zum Versuch bestraft werden. Die Strafe kann in diesem Fall d o p p e l t g e m i l d e r t werden, d . h . die nach Versuchsgrundsätzen gem. § 44 ohnehin schon gemilderte Strafe kann gemäß § 49 Abs. 2 nochmals gemildert werden (vgl. Busch L K 29).
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49a
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T u t der Täter weniger, als der Gehilfe wollte, z.B. begeht der Täter entgegen der Vorstellung des Gehilfen keinen schweren, sondern nur einen einfachen Diebstahl, so kommt dies nach allgemeinen Akzessorietätsgrundsätzen auch dem Gehilfen zugute (vgl. Vorbein. AT, Abschn. H V 2, S. 60f.).
§ 49 a
[Erfolgrlose Teilnahme]
(1) Wer einen anderen zu bestimmen versucht, eine als Verbrechen mit Strafe bedrohte Handlung zu begehen, wird nach den für den Versuch des Verbrechens geltenden Vorschriften (§ 44) bestraft. (2) Ebenso wird bestraft, wer eine als Verbrechen mit Strafe bedrohte Handl u n g verabredet, das Anerbieten eines anderen annimmt, eine solche Handlung zu begehen, oder sich zu einem Verbrechen bereit erklärt. (3) Nach diesen Vorschriften wird nicht bestraft, wer aus freien Stücken 1. eine als Verbrechen mit Strafe bedrohte Handlung verhindert, nachdem er einen anderen zu dieser Handlung zu bestimmen versucht oder das Anerbieten eines anderen hierzu angenommen hat, 2. nach der Verabredimg einer als Verbrechen mit Strafe bedrohten Handlung seine Tätigkeit aufgibt und die Handlung verhindert, 3. seine Erklärung widerruft, durch die er sich zu einem Verbrechen bereit erklärt hat. (4) Unterbleibt die Tat ohne sein Zutun oder wird sie unabhängig von sein e m vorausgegangenen Verhalten begangen, so genügt sein freiwilliges oder ernsthaftes Bemühen, die Begehung zu verhindern. I. § 49a Abs. 1 befaßt sich mit der erfolglosen Anstiftung. Diese ist n u r b e i V e r b r e c h e n s t r a f b a r , n i c h t auch bei Vergehen und Übertretungen. (Siehe jedoch die in den §§ 106a Abs. 2, 159, 357 getroffenen Sonderregelungen, ferner §§ 28, 34 WStG). 1. Die in Aussicht genommene Tat muß f ü r den in Aussicht genommenen T ä t e r ein Verbrechen sein. Unerheblich ist dagegen, ob sie im Falle ihrer Ausführung auch f ü r den A n s t i f t e r ein Verbrechen wäre (vgl. B G H 6, 308, Dreher N J W 53, 313, GA 1954, 11, 16 und MDR 55, 119; Börker J R 56, 286; Busch L K 21, Dreher 2 C, Welzel 118; a.A. Schönke-Schröder R n . 28ff„ Maurach AT 701 und Mezger. Blei AT 300, wonach es auf die Deliktsnatur in der Person des Anstifters ankommen soll). Die verursachte Anstiftung zu einem Verbrechen im Amt fällt deshalb auch dann unter § 49 a, wenn die Amtseigenschaft nicht straf begründend, sondern strafschärfend ist, der Anstifter also im Falle erfolgreicher Anstiftung aufgrund der Regelung des § 50 Abs. 3 nur wegen eines Vergehens bestraft werden könnte. B e i s p i e l : Der Untersuchungsgefangene A bittet den Aufsichtsbeamten X, ihn während der Außenarbeiten entweichen zu lassen. K ä m e dieser der Bitte nach, so würde er sich eines Verbrechens gemäß § 347 Abs. 1 schuldig machen; A wäre gemäß § 50 Abs. 3 nur aus dem Strafrahmen des § 121 Abs. 1, somit wegen eines Vergehens zu bestrafen. Trotzdem kommt f ü r ihn § 49 a in Betracht, wenn X sich weigert, ihn laufen zu lassen (vgl. BGH 6, 309). Die Strafe ist dann allerdings gemäß § 50 Abs. 3 dem Strafrahmen des § 121 Abs. 1 zu entnehmen. 2. Besonderheiten sind nur bei den Tatbeständen zu beachten, die ausschließlich aus Gründen der T ä t e r w ü r d i g u n g zu Verbrechen werden, z.B. weil der Täter gewerbs- oder gewohnheitsmäßig gehandelt h a t (vgl. § 260). Früher gehörten hierher auch die mit Wirkung v. 1.4. 1970 weggefallenen Vorschriften über Rückfalldiebatahl und Rückfallbetrug (§§ 244, 264). Die Ausscheidung dieser Fälle aus dem Anwendungsbereich des § 49a ergibt sich aus dessen Anliegen, den Strafbarkeitszeitpunkt bei bestimmten, besonders gefährlichen Delikten zum Schutz der Allgemeinheit
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§ 49 a
möglichst weit vorzuverlegen. Insbesondere sollen K a p i t a l v e r b r e c h e n möglichst schon in ihrem Ansatz b e k ä m p f t werden können. E i n Verbrechen i.S. des § 49 a liegt also n u r d a n n vor, wenn die in Aussicht genommene T a t wegen der besonderen Schutzwürdigkeit des K e c h t s g u t s oder wegen der F o r m der Begehung sich als Verbrechen darstellt, nicht dagegen, wenn sie n u r aus G r ü n d e n in der Person d e s T ä t e r s z u m Verbrechen wird (vgl. Dreher GA 1954, 11, 16). Die besondere Problem a t i k d e r versuchten A n s t i f t u n g zur Abtreibung ist inzwischen gegenstandslos geworden, n a c h d e m alle F o r m e n der A b t r e i b u n g seit d e m 1. S t r R G m i t W i r k i m g v o m 1. 9. 1969 n u r noch als Vergehen m i t S t r a f e b e d r o h t sind. 3. § 49 a Abs. 1 e r f a ß t n i c h t n u r die Fälle, in d e n e n d e r in Aussicht g e n o m m e n e T ä t e r d a s Ansinnen, ein Verbrechen zu begehen, von A n f a n g a n z u r ü c k w e i s t . D i e Vorschrift k o m m t a u c h d a n n in B e t r a c h t , wenn es aus a n d e r e n G r ü n d e n nicht z u r T a t k o m m t , z . B . w e n n der in Auasicht genommene T ä t e r z u n ä c h s t zusagt, sich s p ä t e r a b e r die Sache a n d e r s überlegt, ferner d a n n , wenn er bereits zur T a t entschlossen war („omni m o d o f a c t u r u s " , vgl. § 48 A n m . 7). 4. § 49 a e n t f ä l l t , w e n n der A n g e s t i f t e t e sich zwar zur T a t entschließt, diese d a n n a b e r im V e r s u c h s s t a d i u m b l e i b t . I n diesem Fall erfolgt die B e s t r a f u n g n i c h t wegen v e r s u c h t e r A n s t i f t u n g , s o n d e r n wegen A n s t i f t u n g z u m V e r s u c h . Beide Begriffe sind s t r e n g z u t r e n n e n . 5. V e r s u c h t e A n s t i f t u n g z u r A n s t i f t u n g i s t v e r s u c h t e A n s t i f t u n g u n d als solche g e m ä ß § 49 a Abs. 1 s t r a f b a r . Versuchte A n s t i f t u n g zur Beihilfe ist dagegen als v e r s u c h t e B e i h i l f e seit der N e u f a s s u n g des § 4 9 a d u r c h d a s 3. Str.R Ä n d G v o m 4. 8. 1953 n i c h t s t r a f b a r . W e r also einen a n d e r e n vergeblich a u f f o r d e r t , i h m bei einem R a u b Schmiere zu stehen, m a c h t sich h i e r d u r c h noch n i c h t s t r a f b a r . S t r a f b a r w ä r e dagegen die A u f f o r d e r u n g , sich als M i t t ä t e r a n e i n e m R a u b zu beteiligen oder einen D r i t t e n z u einem R a u b a n z u s t i f t e n . (Zum G a n z e n siehe B G H 7, 234.) 6. Teilnahme a n einer versuchton A n s t i f t u n g gemäß § 49 a Abs. 1 ist n u r in der F o r m der A n s t i f t u n g s t r a f b a r . a) W e n n A d e n B a u f f o r d e r t , X zu einem R a u b a n z u s t i f t e n , X a b e r d a s A n s i n n e n des B zurückweist, so ist B wegen v e r s u c h t e r A n s t i f t u n g , A wegen A n s t i f t u n g zu einer v e r s u c h t e n A n s t i f t u n g z u m R a u b z u b e s t r a f e n . b) B e i h i l f e z u r v e r s u c h t e n A n s t i f t u n g ist zwar begrifflich d e n k b a r , a b e r n i c h t s t r a f b a r . Die Straflosigkeit ergibt sich a u s der E r w ä g i m g , d a ß a u c h die v e r s u c h t e Beihilfe n i c h t s t r a f b a r ist, obwohl d o r t der R e c h t s f r i e d e n w e s e n t ü c h s t ä r k e r g e f ä h r d e t ist (vgl. B G H 14, 156). W e n n schon s t r a f l o s bleibt, wer d e m z u m Mord entschlossenen T ä t e r d a s Messer in die H a n d d r ü c k t , d a s dieser d a n n a b e r bei der T a t a u s f ü h r u n g n i c h t b e n u t z t , so m u ß erst r e c h t s t r a f l o s bleiben, wer einem a n d e r e n ein Messer gibt, d a m i t dieser m i t größerer Aussicht auf Erfolg einen D r i t t e n z u m Mord a n s t i f t e n k a n n . 7. K o n k u r r e n z e n : § 4 9 a ist s u b s i d i ä r gegenüber Versuch u n d Vollendung der in d e n F o r m e n des § 4 9 a vorbereiteten T a t . I m einzelnen: a) S u b s i d i a r i t ä t ist a u c h d a n n a n z u n e h m e n , w e n n A z u n ä c h s t m e h r e r e P e r s o n e n vergeblich z u r Teilnahme a u f f o r d e r t , d a n n a b e r die g e p l a n t e T a t allein oder m i t d r i t t e n P e r s o n e n a u s f ü h r t (BGH 8, 38). b) K e i n e S u b s i d i a r i t ä t , w e n n der T ä t e r sich zwar z u r T a t e n t s c h l i e ß t , a b e r bei der T a t a u s f ü h r u n g h i n t e r d e r Vorstellung des A n s t i f t e r s z u r ü c k b l e i b t . B e i s p i e l : A s t i f t e t B a n , als Zeuge vor Gericht einen Meineid zu leisten. W e n n B n u n wider E r w a r t e n nicht vereidigt wird, sondern n u r uneidlich falsch aussagt, so ist A nicht n u r wegen A n s t i f t u n g zur uneidlichen Falschaussage, sondern a u ß e r d e m — in I d e a l k o n k u r r e n z (§73) — wegen versuchter A n s t i f t u n g z u m Meineid zu b e s t r a f e n (vgl. B G H 9, 131). E i n e B e s t r a f u n g n u r wegen A n s t i f t i m g z u r uneid-
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§ 49b
Strafgesetzbuch
liehen Falschaussage würde zwar den objektiven, nicht aber den subjektiven TJnrechtsgehalt der Tat erfassen. A stünde sogar besser da, als wenn B das Ansinnen, einen Meineid zu leisten, ganz von sich gewiesen hätte. 8. Die Strafe richtet sich nach den Bestimmungen über die Strafbarkeit des Versuchs (§ 44). In den Fällen, in denen die Tat nur wegen bestimmter, in der Person des Täters begründeter Umstände Verbrechenscharakter hat, sonst aber nur ein Vergehen wäre (z.B. § 347), ist außerdem § 50 Abs. 3 zu beachten (s.o. I 1). II. § 49 a Abs. 2 stellt bestimmte weitere Handlungen im Vorfeld des Verbrechens unter Strafe und zwar 1. die Verabredung, eine als Verbrechen mit Strafe bedrohte Handlung zu begehen, 2. das Sichbereiterklären zu einem Verbrechen, 3. die Annahme des Anerbietens eines anderen, ein Verbrechen zu begehen. V e r a b r e d u n g ist vorbereitete Mittäterschaft. Ein S i c h b e r e i t e r k l ä r e n i.S. der Vorschrift liegt nicht nur dann vor, wenn sich jemand dazu bereit erklärt, ein Verbrechen als T ä t e r zu begehen; es genügt, wenn er sich dazu bereit erklärt, einen Dritten zu einem Verbrechen a n z u s t i f t e n . Die Bereitschaft, sich an einem Verbrechen als G e h i l f e zu beteiligen, fällt dagegen, nachdem auch die versuchte Beihilfe nicht mehr strafbar ist, nicht unter den Anwendungsbereich der Vorschrift. Aus dem gleichen Grund macht sich auch nur der strafbar, der das A n e r b i e t e n annimmt, ein Verbrechen als T ä t e r zu begehen oder einen anderen zu einem Verbrechen a n z u s t i f t e n . N i c h t s t r a f b a r ist die Annahme des Angebots, sich an einem Verbrechen als G e h i l f e zu beteiligen. Die Frage, ob ein V e r b r e c h e n vorliegt, richtet sich auch hier grundsätzlich nach dem in Aussicht genommenen Täter (s.o. I 1). Alle als tatbestandsmäßig in Frage kommenden Handlungen müssen e r n s t l i c h gemeint sein. B e i s p i e l : A und B sprechen am Biertisch über die Möglichkeit, wie man einen Raubüberfall auf die X-Bank inszenieren könnte. Während A die Sache ernst nimmt und glaubt, auch B wolle sich an der Tat beteiligen, hält dieser alles nur für einen Scherz. Hier kommt kein „Verabreden" in Betracht, wohl aber hat A sich B gegenüber zu einem Verbrechen bereit erklärt und außerdem dessen Anerbieten, sich an einem Verbrechen zu beteiligen, angenommen. Daß das Anerbieten des B nicht ernsthaft gemeint war, ist unerheblich (vgl. BGH 10, 388). DI. § 49 a Abs. 3 und Abs. 4 befassen sich mit der tätigen Reue. Wie bei § 46 kommt Straflosigkeit nur dann in Betracht, wenn der Täter f r e i w i l l i g die Tat verhindert bzw. seine Erklärung widerruft, durch die er sich zu einem Verbrechen bereit erklärt hat. Der Rechtsgedanke des Abs. 4 findet sich noch in verschiedenen Spezialvorschriften über die tätige Reue (vgl. .§§ 83 a Abs. 3, 129 Abs. 6 Satz 2, 139 Abs. 4 Satz 2, 316a Abs. 2 Satz 2, 316c Abs. 4 Satz 2) und ist auch bei § 46 Nr. 2 analog anzuwenden (vgl. § 46 Anm. I I I 3 b). IV. Über die Neuregelung der versuchten Anstiftung durch das 2. StrRG siehe § 30 AT 75 sowie Busch, Maurach-Festschr. S. 245. § 4 9 b [Mordkomplott] (1) Wer an einer Verbindung teilnimmt, die Verbrechen wider das Leben bezweckt oder als Mittel für andere Zwecke in Aussicht nimmt, oder wer eine solche Verbindimg unterstützt, wird mit Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren bestraft. (2) In besonders schweren Fällen ist die Strafe Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu fünf Jahren. 184
Teilnahme
§ 5 0
(3) Nach diesen Vorschriften wird nicht bestraft, wer der Behörde oder dem Bedrohten so rechtzeitig Nachricht gibt, daß ein in Verfolgung der Bestrebungen der Verbindung beabsichtigtes Verbrechen wider das Leben verhindert werden kann. 1. Die V e r b i n d u n g muß auf längere Zeit bestimmt sein. Die Verabredung eines einzelnen Verbrechens genügt nicht. 2. Kommt das Verbrechen zur A u s f ü h r u n g und erledigt sich dadurch der Zweck der Verbindung, so ist § 49 b für die an der Ausführung beteiligten Täter und Teilnehmer subsidiär (RG 59, 377). 3. T ä t i g e R e u e führt nur unter den Voraussetzungen des Abs. 3 zu Straffreiheit. Austritt aus der Verbindung genügt nicht.
§ SO
[Strafe nach eigener Schuld; besondere persönliche M e r k m a l e ]
(1) Sind mehrere an einer Tat beteiligt, so ist jeder ohne Bücksicht auf die Schuld des anderen nach seiner Schuld strafbar. (2) Fehlen besondere persönliche Eigenschaften, Verhältnisse oder U m stände (besondere persönliche Merkmale), welche die Strafbarkeit des Täters begründen, beim Teilnehmer, so ist dessen Strafe nach den Vorschriften Uber die Bestrafung des Versuchs zu mildern. (3) Bestimmt das Gesetz, daß besondere persönliche Merkmale die Strafe schärfen, mildern oder ausschließen, so gilt ¿es nur für den Täter oder Teilnehmer, bei dem sie vorliegen. 1. § 50 Abs. 1 enthält den Grundsatz der sog. limitierten Akzessorietät, d.h. jeder Teilnehmer ist ohne Rücksicht auf die Schuld des anderen nach seiner eigenen Schuld strafbar. Einzelheiten und Beispiele siehe Vorbem. A T , Abschn. H V 2, S. 60. 2. Der durch das EGOWiG 1968 neu eingeführte § 50 Abs. 2 gibt die Möglichkeit, die Strafe des Teilnehmers zu mildern, wenn beim Täter strafbegründende persönliche Merkmale vorliegen, die beim Teilnehmer fehlen. B e i s p i e l : Der Nichtbeamte A stiftet den Beamten B zu einer Rechtsbeugung (§ 336) an. Da eine Rechtsbeugung nur von einem Beamten begangen werden kann (sog. echtes Amtsdelikt, vgl. Vorbem. 4 vor § 331), ist die Amtseigenschaft für B ein strafbegründendes persönliches Merkmal, das nur bei ihm, nicht bei A vorliegt. Nach der früheren Rechtslage hätte aber auch A als Anstifter mit Zuchthaus bis zu 5 Jahren bestraft werden müssen. Die Möglichkeit einer Strafmilderung war nicht vorgesehen. § 50 Abs. 2 a.F. bezog sich nur auf strafschärfende oder strafmildernde persönliche Merkmale, nicht auch auf straf begründende persönliche Merkmale. Auf Grund der neuen Rechtslage ist dagegen die Strafe des Anstifters gemäß § 50 Abs. 2 n. F. nach Versuchsgrundsätzen zu mildern. Weitere Einzelheiten und Beispiele siehe Vorbem. A T , Abschn. H V 3 (S. 62). 3. § 50 Abs. 3 entspricht der Sache nach dem früheren Abs. 2. I m Gegensatz zu Abs. 2 n. F. befaßt sich Abs. 3 mit solchen persönlichen Merkmalen, die die Strafe nioht begründen, sondern schärfen, mildern oder ausschließen. Solche Merkmale belasten oder entlasten nur den Täter oder Teilnehmer, in dessen Person sie vorliegen. B e i s p i e l : Der Nichtbeamte A stiftet den Beamten B zur Fälschung einer dem B amtlich anvertrauten Urkunde an. Die Urkundenfälschung im Amt (§ 348 Abs. 2) ist ein sog. unechtes Amtsdelikt, da eine Urkundenfälschung auch von einem Nichtbeamten begangen werden kann. Die Amtseigenschaft ist somit ein strafschärfendes persönliches Merkmal, das der Regelung des § 50 Abs. 3 unterliegt.
185
§ SOa
Strafgesetzbuch
Die Strafe des Anstifters A ist daher nicht dem Strafrahmen des § 348 Abs. 2, sondern dem des § 267 zu entnehmen. Weitere Einzelheiten und Beispiele siehe Vorbem. AT, Abschn. H V 4 (S. 64 f.). § 50 a
[Tertreiungsberechtigte
Organe,
Gesellschafter und gesetzliche Vertreter]
(1) Handelt jemand 1. als vertretungsberechtigtes Organ einer juristischen Person oder als Mitglied eines solchen Organs, 2. als vertretungsberechtigter Gesellschafter einer Personenhandelsgesellschaft oder 3. als gesetzlicher Vertreter eines anderen, so ist ein Gesetz, nach dem besondere persönliche Merkmale die Strafbarkeit begründen, auch auf den Vertreter anzuwenden, wenn diese Merkmale zwar nicht bei ihm, aber bei dem Vertretenen vorliegen. (2) Ist jemand von dem Inhaber eines Betriebes oder einem sonst dazu Befugten 1. beauftragt, den Betrieb ganz oder zum Teil zu leiten, oder 2. ausdrücklich beauftragt, in eigener Verantwortung Pflichten zu erfüllen, die den Inhaber des Betriebes treffen, und handelt er auf Grund dieses Auftrags, so ist ein Gesetz, nach dem besondere persönliche Merkmale die Strafbarkeit begründen, auch auf den Beauftragten anzuwenden, wenn diese Merkmale zwar nicht bei ihm, aber bei dem Inhaber des Betriebes vorliegen. Dem Betrieb i m Sinne des Satzes 1 steht das Unternehmen gleich. Handelt jemand auf Grund eines entsprechenden A u f trages für eine Stelle, die Aufgaben der öffentlichen Verwaltung wahrnimmt, so ist Satz 1 sinngemäß anzuwenden. (3) Die Absätze 1 und 2 sind auch dann anzuwenden, wenn die Rechtshandlung, welche die Vertretungsbefugnis oder das Auftragsverhältnis begründen sollte, unwirksam ist. I. Die durch das EGOWiG 1968 neu eingeführte Vorschrift bringt in Anlehnung an § 14 E 1962 eine Erweiterung des Täterkreises bei den sog. Sonderdelikten, d.h. bei solchen Delikten, die nur von bestimmten Personen begangen werden können (vgl. Vorbem. AT, Abschn. B I 7, S. 11). Nach der früheren Rechtslage ergaben sich verschiedentlich unbefriedigende Ergebnisse, wenn derjenige, der alle Tätereigenschaften in seiner Person erfüllte, die tatbestandsmäßige Handlung nicht selbst vornahm, sondern einen anderen für sich handeln ließ. In diesen Fällen konnte der Hintermann nur dann bestraft werden, wenn die Voraussetzungen der mittelbaren Täterschaft vorlagen. Der Tatausführende wiederum kam als Täter nicht in Betracht, weil ihm die erforderliche Tätereigenschaft (z.B. die Eigenschaft als Arbeitgeber, Gewerbetreibender oder Unternehmer) fehlte. Als Gehilfe konnte er nur dann bestraft werden, wenn er die Tat mit Wissen und Wollen desjenigen beging, der die erforderliche Tätereigenschaft besaß. Gerade dieser Nachweis war jedoch in der Praxis oft nur schwer zu führen, so daß dann schließlich niemand strafrechtlich verantwortlich gemacht werden konnte. Aufgabe des neuen § SOa ist es, diese als unbefriedigend empfundene Lücke im Strafbarkeitsbereich zu schließen. Der besondere Anwendungsbereich der Vorschrift liegt auf dem Gebiet des Nebenstrafrechts, wo es bisher allerdings schon verschiedentlich Sonderbestimmungen gab, die den gleichen kriminalpolitischen Zweck erstrebten (vgl. z.B. §§ 151 GewO, 48 ArzneimittelG, 19 KriegswaffenG). Durch § 50a sind diese Sonderbestimmungen
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Teilnahme
§ SOa
weitgehend gegenstandslos und aufgehoben worden, soweit sie in ihrem Anwendungsbereich nicht über § SOa hinausgehen. (Siehe hierzu Art. 150 Abs. 2 EGOWiG sowie Stgt D J 1969, 126.) F ü r den Bereich der Ordnungswidrigkeiten ist § 33 OWiG zu beachten, der eine entsprechende Regelung enthält. II. Der Begriff der besonderen persönlichen Merkmale ist identisch mit dem gleichlautenden Begriff in § 50 Abs. 2. Auf die Ausführungen zu § 50 (vgl. Vorbem. AT, Abschn. H V 3,4 sowie § 50 A r n . 2, 3) kann daher insoweit verwiesen werden. I n Betracht kommen vor allem persönliche Merkmale wie die Eigenschaft als Arbeitgeber, Gewerbetreibender und Unternehmer, aber auch die Schuldnereigenschaft in §§ 239ff. KO. So ist es z. B. entgegen der bisherigen Rechtslage (vgl. LG Osnabrück N J W 1969, 338) möglich, den Geschäftsführer eines in Konkurs gegangenen Einzelkaufmanns gemäß § 240 Abs. 1 Kr. 4 KO zu bestrafen, wenn er es unterlassen hat, die vorgeschriebenen Bilanzen zu ziehen. Der Geschäftsführer ist zwar nicht selbst Schuldner; er fällt jedoch unter den Personenkreis des § 50 a Abs. 2. III. Die Voraussetzungen, unter denen sich der Handelnde besondere persönliche Merkmale, die nicht bei ihm selbst vorliegen, zurechnen lassen muß, sind in Abs. 1 Nr. 1 bis 3 sowie in Abs. 2 des § 50a abschließend aufgezählt. Das Gesetz unterscheidet dabei zwei Fallgruppen: 1. Die 1. Fallgruppe (Abs. 1) erfaßt a) vertretungsberechtigte O r g a n e einer j u r i s t i s c h e n P e r s o n und Mitglieder solcher Organe, z.B. Vorstandsmitglieder einer AG, Geschäftsführer einer G m b H (Einzelheiten siehe § 42 Anm. 2); b) die v e r t r e t u n g s b e r e c h t i g t e n G e s e l l s c h a f t e r einer P e r s o n e n h a n d e l s g e s e l l s c h a f t , z.B. einer OHG oder einer KG, nicht jedoch Gesellschafter, die keine Vertretungsmacht haben, insbesondere Kommanditisten; c) g e s e t z l i c h e V e r t r e t e r ; hierher gehören vor allem Eltern und Vormünder, aber auch Konkursverwalter, Vergleichs- und Nachlaßverwalter sowie Testamentsvollstrecker (vgl. Lackner-Maassen 3; Bode N J W 1969, 212). Nicht hierher gehört dagegen der sog. gewillkürte Vertreter, z.B. der Stellvertreter eines Betriebsinhabers, der auf Grund vertraglicher Vereinbarung f ü r die Einhaltung der Sicherheitsvorschriften verantwortlich ist. I n diesem Fall kann sich die strafrechtliche Verantwortlichkeit jedoch aus Abs. 2 ergeben. 2. Die 2. Fallgruppe (Abs. 2) befaßt sich mit der strafrechtlichen H a f t u n g von Personen, die innerhalb eines Betriebs im Auftrag des Inhabers oder eines sonstigen Befugten bestimmte verantwortliche Funktionen wahrnehmen. Sie erfaßt keineswegs alle Personen, die als Vertreter des Betriebsinhabers tätig werden. Dies würde zu einer unangemessenen Ausweitung des Strafbarkeitsbereichs führen. Besondere persönliche Merkmale, die zwar bei dem Inhaber des Betriebs oder Unternehmens, nicht aber bei seinem Beauftragten vorliegen, werden letzterem nach Abs. 2 nur dann zugerechnet, wenn er beauftragt ist, entweder den Betrieb ganz oder teilweise zu leiten (Nr. 1) oder in eigener Verantwortung Pflichten zu erfüllen, die den Inhaber des Betriebs treffen (Nr. 2). I m einzelnen: a) Unter Betrieb versteht man jede räumlich-technische Einheit, in der mehrere Personen unter Einsatz von Sachmitteln zur Erreichung eines bestimmten, nicht notwendig wirtschaftlichen Zwecks unter einer einheitlichen Leitung nicht nur vorübergehend zusammengefaßt sind. Art, Umfang und Rechtsform des B e t r i e b s sind unerheblich. E r f a ß t werden nicht nur Fabrik- und Gewerbebetriebe, sondern auch freie Berufe, z.B. die Praxis eines Arztes, die Kanzlei eines Anwalts oder das Büro eines Architekten. U m jeden Zweifel insoweit auszuschließen, ist in Abs. 2 Satz 2 das Unternehmen dem Betrieb gleichgestellt. Unternehmen ist eine kapital-
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§5©a
Strafgesetzbuch
mäßige Einheit, die auch aus mehreren Betrieben bestehen kann. Ein präzise faßbarer Unterschied zwischen beiden Begriffen besteht allerdings nicht (vgl. Bode N J W 1969, 212, Dreher Anm. 4A). b) I m Falle des Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 muß der Täter beauftragt sein, den Betrieb bzw. das Unternehmen ganz oder teilweise zu leiten. Der Auftrag kann von dem Inhaber selbst oder einem sonst Befugten, z. B. einem Prokuristen, erteilt werden. I m Gegensatz zu dem engeren Tb. der Nr. 2 muß der Auftrag nicht „ausdrücklich" erteilt werden. E s genügt auch die stillschweigende Übertragung leitender Funktionen. Eigenmächtige Eingriffe in die Betriebsleitung begründen andererseits eine strafrechtliche Verantwortlichkeit erst von dem Zeitpunkt an, von dem an sie von der Betriebsleitung ausdrücklich oder stillschweigend gebilligt werden. Unerheblich ist, ob die Funktionen des Beauftragten auf kaufmännischem oder technischem Gebiet liegen. c) I m Falle des Abs. 2 S. 1 Nr. 2 muß der Täter beauftragt sein, Pflichten zu erfüllen, die an sich nur den Inhaber des Betriebs oder Unternehmens treffen. Hierher gehören z.B. die Pflichten, die sich f ü r einen Betriebsinhaber in seiner Eigenschaft als Halter der betriebseigenen Kraftfahrzeuge ergeben (vgl. SchönkeSchröder § 50a R n . 16), ferner die sich f ü r einen Arbeitgeber aus den einschlägigen Arbeitsschutz- und Arbeitszeitvorschriften ergebenden Pflichten. I m Gegensatz zu Nr. 1 ist im Falle der Nr. 2 nicht erforderlich, daß der Beauftragte innerhalb des Betriebs eine l e i t e n d e Funktion bekleidet. Andererseits muß ihm ausdrücklich der Auftrag erteilt worden sein, bestimmte Pflichten innerhalb des Betriebs zu erfüllen. Eine nur stillschweigende Übertragung bzw. Übernahme bestimmter Pflichten genügt hier nicht (vgl. OLG Stgt D J 1969, 126). I n eigener Verantwortung handelt der Beauftragte, wenn er in eigener, freier Entscheidimg Maßnahmen zu treffen hat, deren Anordnung normalerweise dem Betriebsinhaber selbst zusteht. Der eigenverantwortliche Charakter einer solchen Tätigkeit geht nicht dadurch verloren, daß der Beauftragte dem Betriebsinhaber oder einem anderen Repräsentanten des Betriebs über seine Tätigkeit Rechenschaft abzulegen h a t und seine Tätigkeit innerbetrieblich überprüft wird. d) Zu den Stellen, die Aufgaben der öffentlichen Verwaltung wahrnehmen (Abs. 2 Satz 3), gehören zunächst Behörden und Verwaltungsdienststellen aller Art, ferner Anstalten und Körperschaften des öffentlichen Rechts. Die Rechtsform ist unerheblich. Es macht daher keinen Unterschied, ob es sich um eine selbständige oder u m eine unselbständige Anstalt des öffentlichen Rechts handelt. Sinn und Zweck der Vorschrift ist es, eine sachlich nicht gerechtfertigte Differenzierung zwischen Betrieben der Privatwirtschaft einerseits und Verwaltungsstellen der öffentlichen H a n d andererseits zu vermeiden. Der Fuhrpark einer Behörde m u ß genauso sorgfältig gewartet werden wie der Fuhrpark eines privaten Spediteurs. Entsprechendes gilt f ü r die Einhaltung der Vorschriften über Arbeitszeit und Arbeitsschutz. e) Liegen die Voraussetzungen des Abs. 2 vor, so ist der Beauftragte strafrechtlich genauso zu behandeln, wie wenn er selbst Inhaber des Betriebs (Unternehmens) oder Leiter der Verwaltungsstelle wäre. E r kann sich nicht darauf berufen, daß ihm eine bestimmte, im Gesetz vorausgesetzte Tätereigenschaft fehlt. Hierin liegt, wie bereits unter I erwähnt, das besondere Anliegen der Vorschrift, die sich hauptsächlich auf dem Gebiet des Nebenstrafrechts auswirken dürfte. IV. Die Unwirksamkeit der Rechtshandlung, auf der die Vertretungsbefugnis bzw. das Auftragsverhältnis beruht, steht der Anwendbarkeit der Absätze 1 und 2 nicht entgegen (vgl. Abs. 3). Der Vertreter oder sonst Beauftragte kann sich daher nicht darauf berufen, der Vertrag, durch den er zum Vertreter oder Beauftragten berufen wurde, sei wegen eines Formfehlers nichtig gewesen. Dies gilt allerdings nur in den Fällen, in denen er — «ingeachtet des Formfehlers — den ihm übertragenen Aufgabenkreis übernommen hat. Abs. 1 und 2 finden da-
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Gründe, welche die Strafe ausschließen oder mildern gegen keine Anwendung, wenn der Vertreter oder Beauftragte unter Berufung auf den Formfehler allen Beteiligten klar zu erkennen gibt, daB er in Zukunft keine Pflichten mehr übernehmen werde. V. Wie bei allen Sonderdelikten (s.o. I) ist auf der subj. Tatseite erforderlich, daß der Täter die Umstände, aus denen sich seine besondere Täterqualifikation i.S. von § 50a ergibt, kennt. So läßt z.B. in den Fällen des Abs. 2 ein I r r t u m über den Auftrag als solchen oder über den Inhalt und Umfang des Auftrags nach § 69 den Vorsatz entfallen. I n Betracht kommt nur Bestrafung wegen fahrlässiger Tatbegehung, sofern diese im Einzelfall unter Strafe gestellt ist und der I r r t u m auf Fahrlässigkeit beruht.
Vierter Abschnitt: Gründe, welche die Strafe ausschließen ode r mildern (§§ 51—72) Vorbemerkung I. Übersicht. Der 4. Abschnitt behandelt teils Rechtfertigungs- und Schuldausschließungsgründe (§§ 51—55), teils Prozeßvoraussetzungen und Prozeßhindernisse (§§ 61—72). § 56 befaßt sich mit der H a f t u n g bei erfolgsqualifizierten Delikten, § 59 mit den Wirkungen des Tatbestandsirrtums und § 60 mit der Anrechnimg der Untersuchungshaft und der vorläufigen Fahrerlaubnisentziehung. Strafmilderungsgründe enthalten § 51 Abs. 2 und § 55 Abs. 2. Da das Gesetz selbst eine einheitliche Systematik vermissen läßt, wurden die dogmatischen Grundlagen bereits in den Vorbemerkungen zum Allgemeinen Teil dargelegt^ und zwar der Verbrechensaufbau in Abschn. B I I , S. 13, die Rechtfertigungsgründe in Abschn. B VI 3—5, S. 21 ff., die Schuldausschließungsgründe in Abschn. B V I I 2, 3, S. 25 ff-, die persönlichen Strafausschließungsgründe in Abschn. D, S. 43 ff., die Prozeßvoraussetzungen und Prozeßhindernisse in Abschn. F , S. 48 ff. II. Die im Strafgesetzbuch enthaltenen Rechtfertigungsgriinde ( N o t w e h r , W a h r n e h m u n g b e r e c h t i g t e r I n t e r e s s e n bei den Tatbeständen der Beleidigung, E i n w i l l i g u n g in eine Körperverletzung) werden bei der Kommentierung der jeweiligen Gesetzesateile erörtert (vgl. §§ 53, 193, 226a). Ausführungen über das Z ü c h t i g u n g s r e c h t finden sich in Anm. I I I zu § 223. Von besonderer Bedeutung sind außerdem die N o t s t a n d s r e c h t e des BGB (§§ 228, 904), der sogenannte ü b e r g e s e t z l i c h e N o t s t a n d , d a s S e l b s t h i l f e r e c h t gemäß § 229 BGB, die E i n w i l l i g u n g des Verletzten, soweit sie nicht schon in § 226a erfaßt ist, ferner die m u t m a ß l i c h e E i n w i l l i g u n g u n d d a s H a n d e l n im I n t e r e s s e des V e r l e t z t e n . Diese Rechtfertigungsgründe werden im folgenden behandelt. I . Nach § 228 BGB (sog. V e r t e i d i g u n g s n o t s t a n d ) handelt nicht rechtswidrig, wer eine fremde S a c h e b e s c h ä d i g t oder z e r s t ö r t , u m eine durch sie drohende Gefahr von sich oder einem anderen abzuwenden, wenn a) die Beschädigung oder Zerstörung zur Abwendimg der Gefahr erforderlich ist und b) der Schaden nicht außer Verhältnis zu der Gefahr steht. B e i s p i e l : A sieht, wie ein bissiger H u n d ein kleines Kind anfällt. E r ergreift einen Stock und schlägt den H u n d tot.
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Strafgesetzbuch ( B e a c h t e : Eine Pflicht zum Schadensersatz besteht nur dann, wenn der Handelnde die Gefahr verschuldet hat.) 2. Nach § 904 BGB (sog. a g g r e s s i v e r N o t s t a n d ) ist gerechtfertigt, wer auf eine fremde Sache einwirkt, wenn a) die Einwirkung zur Abwendung einer gegenwärtigen Gefahr notwendig und b) der drohende Schaden gegenüber dem aus der Einwirkung entstehenden Schaden unverhältnismäßig groß ist. Als E i n w i r k u n g gilt nicht nur die Beschädigung oder Zerstörung der Sache, sondern auch deren Wegnahme. B e i s p i e l : A reißt eine Zaunlatte los, um sich gegen einen H u n d verteidigen zu können. Schlägt er den H u n d tot, so ist die Tötung des Hundes gemäß § 228 BGB und die Beschädigung des Zauns gemäß § 904 BGB gerechtfertigt. ( B e a c h t e : Einwirkungen gemäß § 904 BGB verpflichten immer zum Schadensersatz.) 3. Der übergesetzliche Notstand. a) Der von der Rechtslehre entwickelte und in der Rechtsprechung seit der E n t scheidung RG 61, 242 (Urt. vom 11. 3. 1927) anerkannte ü b e r g e s e t z l i c h e N o t s t a n d beruht ebenso wie die oben behandelten Notstandsrechte des BGB auf dem Gedanken der Güterabwägung. Eine Rechtfertigung u n t e r dem Gesichtspunkt des übergesetzlichen Notstands setzt zunächst voraus, d a ß die T a t begangen wird, u m bei einer gegenwärtigen, auf andere Weise nicht abwendbaren G e f a h r f ü r e i n R e c h t s g u t die Gefahr von sich oder einem anderen abzuwenden. Unerheblich ist dabei, ob die Gefahr verschuldet war. Weiter erforderlich ist jedoch, daß die A b w ä g u n g d e r w i d e r s t r e i t e n d e n I n t e r e s s e n , namentlich der betroffenen Rechtsgüter und des Grades der ihnen drohenden Gefahren, das geschützte Interesse das beeinträchtigte wesentlich überwiegt (so jetzt auch § 34 i. d. F . des 2. StRG, abgedruckt in Anhang 8). Eine Pflichtenkollision ist dagegen nicht erforderlich; es genügt vielmehr das Vorliegen und Abwägen widerstreitender Interessen (vgl. Ddf N J W 1970, 674 zu § 12 OWiG). b) Die Tat muß ein angemessenes Mittel sein, um die Gefahr abzuwenden. Hieran fehlt es z.B., wenn andere, weniger einschneidende Mittel zur Verfügung stehen oder wenn der Gefährdete aufgrund von Sonderpflichten (z. B. berufliche Pflichten, etwa bei Polizei u n d Feuerwehr) die Gefahr bestehen muß oder wenn die Tat einen unzumutbaren Eingriff in das Recht auf Achtung der Menschenwürde darstellt (z.B. Erzwingen einer Blutentnahme, u m bei einem Schwerverletzten gleicher Blutgruppe eine Bluttransfusion durchführen zu können, vgl. Begründung zu § 34 i.d.F. des 2.StrRG, S. 15 der BT-Drucksache V/4095). Zu den „klassischen" FäUen des übergesetzlichen Notstands gehört dagegen die Anerkennung der medizinisch indizierten Schwangerschaftsunterbrechung als Rechtfertigungsgrund (siehe hierzu ausführlich § 218 Anm. VII). c) Beispiele aus der höchstrichterlichen R s p r . : aa) Wer einem betrunkenen Kraftfahrer, notfalls mit Gewalt, den Zündschlüssel wegnimmt, u m die Allgemeinheit vor Schaden zu bewahren, handelt nicht rechtswidrig; der K r a f t f a h r e r h a t daher kein Notwehrrecht (OLG Koblenz N J W 1963, 1991). bb) Setzt ein Arzt das Gesundheitsamt oder die Verkehrsbehörde davon in Kenntnis, daß sein Patient an epileptischen Anfällen leidet, so verletzt er zwar sein Berufsgeheimnis (§ 300), handelt aber nicht rechtswidrig (OLG München MDR 1956, 565).
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Gründe, welche die Strafe aussehließen oder mildem co) Wer in angetrunkenem Zustand m i t seinem Pkw einen anderen P k w verfolgt, in dem eine F r a u offensichtlich entführt werden soll, erfüllt zwar den Tatbestand des § 316, kann aber durch übergesetzlichen Notstand gerechtfertigt sein (vgl. Celle N J W 1969, 1775). Entsprechendes gilt f ü r eine Geschwindigkeitsüberschreitimg, um einen anderen K r a f t f a h r e r auf die von seinem Fahrzeug ausgehende Gefahr aufmerksam zu machen, z.B. wenn die Ladung herunterzufallen droht oder ein Ziegelstein zwischen die Zwillingsreifen eines Lkw eingeklemmt ist (vgl. Ddf N J W 1970, 674). d) Handelt es sich um gleichrangige Rechtsgüter, so kommt eine Rechtfertigung nach den Grundsätzen des übergesetzlichen Notstands nur in Betracht, wenn ein r e c h n e r i s c h f e s t s t e l l b a r e r W e r t u n t e r s c h i e d besteht. Beispiel: Der Weichenwärter W leitet-eine Rangierlok, deren Fahrer das Haltsignal überfahren hat, auf ein Nebengeleis, auf dem lediglich einem leeren Güterwagen Gefahr droht. E r verhindert damit, daß die Lok auf einen Zug mit wertvoller Ladung prallt. Eine Rechtfertigung unter dem Gesichtspunkt des übergesetzlichen Notstands entfällt jedoch, wenn sich gleichrangige Rechtsgüter gegenüberstehen, deren W e r t v e r h ä l t n i s n i c h t r e c h n e r i s c h m e ß b a r ist, insbesondere wenn es sich um höchstpersönliche Rechtsgüter wie Leib und Leben handelt. B e i s p i e l : Der Weichenwärter W lenkt, um einen Zusammenstoß mit einem Kindertransport zu vermeiden, eine führerlose Lok in eine Gruppe von Streckenarbeitern, von denen drei getötet werden. Hier kommt keine Rechtfertigung in Betracht, sondern n u r Ausschluß der Schuld, da W das kleinere Übel gewählt hat (s.u. III). Rechtswidrig, wenngleich nicht notwendig schuldhaft, waren daher auch die 1939—1942 vorgenommenen Massentötungen von unheilbaren Geisteskranken, die nach der unwiderlegbaren Einlassung der später in den sogenannten E u t h a n a s i e p r o z e s s e n zur Verantwortung gezogenen Ärzte nur zu dem Zweck erfolgten, eine größere Anzahl anderer, weniger schwer erkrankter Patienten zu retten (vgl. Mäurach AT 391; Welzel 184; Lackner-Maassen I 3c vor § 51). Ebenso zu beurteilen sind die Fälle, in denen jemand einen Menschen auf Kosten eines anderen rettet, andererseits aber feststeht, daß ohne sein Eingreifen beide verloren wären. B e i s p i e l : A kann bei einer schwierigen Bergtour das Leben seines Freundes B nur dadurch retten, daß er das Seil k a p p t und dadurch den weiter unten an dem Seil hängenden C opfert (vgl. Welzel 185, Maurach AT 280, Schönke-Schröder Rn. 93 vor § 51). Auch hier entfällt nur die Schuld, nicht bereits die Rechtswidrigkeit. A war nicht berechtigt, dem Schicksal in der Weise vorzugreifen, daß er den C zugunsten des gleichfalls gefährdeten B vorzeitig tötete. E r h a t zwar, indem er das kleinere Übel wählte, menschlich verständlich gehandelt. Dies kann ihn jedoch nicht rechtfertigen, sondern nur entschuldigen. Die sog. N o t w e h r p r o b e (vgl. Maurach AT 327) bestätigt diese Ansicht: Wollte m a n das Vorgehen des A als gerechtfertigt ansehen, so wäre C seinerseits nicht berechtigt, sich gegen A zur Wehr zu setzen. Eine derartige Konsequenz wäre jedoch untragbar. Einzelheiten und weitere Beispiele s.u. I I I . e) Befindet sich der Täter in einer Pflichtenkollision, d. h. kann er von mehreren einander widersprechenden Pflichten nur eine erfüllen, so ist er n u r dann gerechtfertigt, wenn er die h ö h e r w e r t i g e P f l i c h t erfüllt. Hierher gehört der bereits in den Vorbem. AT, Abschn. C I 5b, S. 37 erwähnte Kinderheimbrandfall. Handelt es sich um g l e i c h w e r t i g e P f l i c h t e n , so bleibt die Rechtswidrigkeit bestehen, jedoch entfällt die Schuld, wenn der Täter das kleinere Übel gewählt h a t , zumindest aber keine bessere Entscheidung treffen konnte. Einzelheiten und Beispiele s.u. I I I sowie Mangakis, Pflichtenkollision als Grenzsituation des Strafrechts, ZStW 84, 447 ff. f) Unerheblich ist, ob der Interessenkonflikt verschuldet war (RG 61, 242, 255; h.L.). Eine Rechtfertigung entfällt andererseits, wenn der Täter die Notlage ab-
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Strafgesetzbuch sichtlich herbeigeführt hat, um das geringerwertige Rechtsgut verletzen zu können. Rechtsmißbrauch rechtfertigt nicht (vgl. Vorbem. A T , Abschn. B V I 5b, S. 24). g) Wie alle übrigen Rechtfertigungsgründe verlangt auch der übergesetzliche Kotstand, daß der Täter den Willen hat, recht zu handeln (sog. subj. Kongruenz). Er muß insbesondere alle Tatumstände, die die Grundlage der Güterabwägung darstellen, kennen und den Rettungszweck verfolgen. Entgegen BGH 3, 7 ist allerdings nicht erforderlich, daß derjenige, der objektiv recht handelt und auch subjektiv den Willen hat, recht zu handeln, die erforderliche Güterabwägung g e w i s s e n h a f t vorgenommen hat. Es genügt, daß er sie überhaupt vorgenommen hat (h.L., vgl. Schönke-Schröder Rn. 59 vor § 51; Lackner-Maassen I 3c vor § 51). Fehlt das subjektive Rechtfertigungselement, so erfolgt Bestrafung nach Versuchsgrundsätzen (bestr., vgl. Vorbem. A T , Abschn. B V I 5e, S. 24). h) Aus dem neueren Schrifttum siehe besonders Lenckner, Der rechtfertigende Notstand, 1965; Lampe N J W 1968, 88; Küper JuS 1971, 474; Mangakis ZStW 84, 447. i) Das 2. StrRG enthält in § 34 (siehe Anh. 8) im wesentlichen die zum übergesetzlichen Notstand bisher herausgearbeiteten Grundsätze. 4. § 229 BGB gibt bei Fehlen obrigkeitlicher Hilfe folgende S e l b s t h i l f e r e c h t e : a) Wegnahme oder Beschädigung von Sachen, b) Festnahme eines fluchtverdächtigen Schuldners, c) Brechung von Widerstand gegen eine Handlung, die der andere zu dulden verpflichtet ist. B e i s p i e l e : Der Gastwirt G hält gewaltsam einen Zechpreller fest. — Oder: Ein Arzt, dessen Wagen streikt, n i m m t , gewaltsam den Wagen des X weg, um damit einen Schwerverletzten in die nächste Klinik zu bringen. Siehe ferner die sich aus den §§ 561, 859, 860 BGB ergebenden Selbsthilferechte des Vermieters, des Besitzers und des Besitzdieners. 5. Die Einwilligung des Verletzten wird unter folgenden Voraussetzungen als Rechtfertigungsgrund anerkannt: a) Der Einwilligende muß T r ä g e r des a n g e g r i f f e n e n R e c h t s g u t s und zur V e r f ü g u n g über dieses b e f u g t sein. B e a c h t l i c h ist die Einwilligung demnach vor allem bei den Vermögens- und Eigentumsdelikten (z.B. bei Unterschlagung und Sachbeschädigung), aber auch bei der Beleidigung und bei der Körperverletzung, für die § 226a eine ausdrückliche Regelung enthält. U n b e a c h t l i c h dagegen ist die Einwilligung bei Tötungen (vgl. § 216), ferner bei der falschen Anschuldigung, da diese sich rechtsgutmäßig nicht nur gegen den Denunzierten, sondern auch gegen die staatliche Rechtspflege richtet (vgl. BGH 5, 66). b) Der Einwilligende muß die erforderliche g e i s t i g e R e i f e und U r t e i l s k r a f t besitzen, um sich der Bedeutimg des Angriffs und seiner Einwilligung bewußt zu sein (vgl. BGH 8, 357, 358; 23, 1, 4). Hieran kann es vor allem bei Geisteskranken, Betrunkenen, Kindern und Jugendlichen fehlen. c) Die Tat darf nicht gegen die g u t e n S i t t e n verstoßen. Diese in § 226a ausdrücklich getroffene Regelung gilt auch für alle übrigen Fälle, in denen eine Rechtfertigung durch Einwilligung in Betracht kommt. Die Tat ist sittenwidrig, wenn sie dem Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden zuwiderläuft (vgl. BGH 4, 88, 91). Eine Rechtfertigung kommt daher nicht in Betracht bei Verletzungen auf sadistisch-masochistischer Grundlage, zur Vorbereitung eines Versicherungsbetrugs oder im Rahmen einer Abtreibung. d) Auch bei f a h r l ä s s i g e n D e l i k t e n kann sich die Einwilligung des Verletzten als Rechtfertigungsgrund auswirken. In diesen Fällen will der Einwilligende zwar
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Gründe, welche die Strafe ausschließen oder mildern nicht den Erfolg, aber er nimmt das R i s i k o seines Eintritts in Kauf. Einzelheiten siehe § 226 a Anm. 3 c. e) Die E i n w i l l i g u n g m u ß d e m T ä t e r b e k a n n t s e i n . Dies ergibt sich aus dem für alle Rechtfertigungsgründe geltenden Grundsatz, wonach nur der gerechtfertigt ist, der auch recht handeln will (vgl. Vorbem. AT, Abschn. B VI 5 c, S. 24). Kennt der Täter die Einwilligung nicht, so kommt eine Rechtfertigung nicht in Betracht. Die B e s t r a f u n g erfolgt allerdings nur w e g e n e i n e s v e r s u c h t e n D e l i k t s , da sich die T a t lediglich durch ihren Handlungsunwert auszeichnet (vgl. Vorbem. AT, Abschn. B VI öe, S. 24). f) Ein I r r t u m über die Einwilligung ist ein T b . - I r r t u m i. S. von § 59, wenn der Täter irrig Umstände annimmt, bei deren Vorliegen er durch Einwilligung gerechtfertigt wäre. Siehe hierzu BGH 8, 357, 358: N i m m t der Täter irrig an, ein von ihm geschlechtlich mißbrauchtes 14 jähriges Mädchen habe nach seinen Erfahrungen die Bedeutung der Geschlechtsehre erfaßt und auch erkannt, daß es sie durch den geschlechtlichen Verkehr preisgebe, so ist eine vorsätzliche Beleidigung nicht gegeben; der Vorsatz bleibt dagegen bestehen, wenn der Täter irrig glaubt, die Einwilligung des Mädchens rechtfertige sein Verhalten schlechthin. I n diesem Fall würde lediglich ein Verbotsirrtum vorliegen. g) Bereits der T a t b e s t a n d , nicht erst die Rechtswidrigkeit, e n t f ä l l t in den Fällen, in denen der entgegenstehende Wille des Verletzten geschriebenes oder ungeschriebenes Merkmal des objektiven Tatbestands ist. So ist schon der Tatbestand des Hausfriedensbruchs nicht erfüllt, wenn A den B zu sich in die Wohnung bittet und B dieser Einladung folgt. Von einem,.Eindringen" kann hier mit Rücksicht auf die ausgesprochene Einladung nicht gesprochen werden. Entsprechendes gilt bei der Nötigung (§ 240), bei der Erpressung (§ 253), bei der Vergewaltigung (§ 177), aber auch beim Diebstahl (§ 242) und bei der Verletzung fremden Jagdrechts (§292). 6. Der Einwilligung gleichgestellt ist die mutmaßliche Einwilligung. Diese bewirkt einen Ausschluß der Rechtswidrigkeit, wenn der Verletzte wegen Krankheit, Abwesenheit oder aus sonstigen Gründen die Einwilligung nicht erteilen kann, bei objektiver Beurteilung aber seine Einwilligung zu erwarten gewesen wäre. Wenn z. B. ein Vertreter, dem sein gesamtes Bargeld entwendet worden ist und der keine Möglichkeit hat, sich mit seinem Geschäftsherrn in Verbindung zu setzen, die ihm anvertraute, an sich unverkäufliche Musterkollektion verkauft, um die Hotelkosten für sich und seine Untervertreter bezahlen zu können, so ist zwar der Tatbestand der Unterschlagung erfüllt; das Verhalten ist aber nicht rechtswidrig, da jeder vernünftige Geschäftsherr mit einer derartigen Maßnahme einverstanden gewesen wäre. Das Handeln im Interesse des Verletzten stellt einen Unterfall der mutmaßlichen Einwilligung dar. B e i s p i e l e : A schlägt die Wohnungstür des B ein, um diesen vor dem drohenden Gastod zu befreien. - Oder: A dringt bei einem Rohrbruch in das H a u s des auf Reisen befindlichen B ein, um zu verhindern, daß dessen Kellergeschoß überflutet wird. Auch in diesen Fällen tritt eine Rechtfertigung nur ein, wenn man bei objektiver Beurteilung die Einwilligung des Verletzten unterstellen kann. — Oder: Operation eines bewußtlos in die Klinik eingelieferten Schwerverletzten. In allen Fällen, in denen die Einwilligung des Verletzten nach objektivem Urteil zu erwarten war, ist es f ü r die Rechtfertigung unerheblich, ob der Verletzte dann später auch tatsächlich einverstanden ist. Etwas anderes gilt nur, wenn der entgegenstehende Wille des Verletzten dem Täter im Zeitpunkt der T a t aus irgendwelchen Umständen bereits bekannt war. 13 Pettere-Preiaendanz, StGB, 28. Aufl.
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Strafgesetzbuch m . Die gesetzlichen Schuldausschließungsgründe ( Z u r e c h n u n g s u n f ä h i g k e i t infolge Geisteskrankheit oder Taubstummheit, N ö t i g u n g s n o t s t a n d , N o t w e h r e x z e ß und N o t s t a n d ) werden bei der Kommentierung der jeweiligen Gesetzesstelle erörtert (vgl. §§51, 52, 53 Abs. 3 54, 55). Sie haben alle gemeinsam, daß sie Situationen berücksichtigen, in denen dem Täter r e c h t m ä ß i g e s V e r h a l t e n n i c h t z u g e m u t e t werden kann oder in denen man dem Täter aus anderen Gründen k e i n e n p e r s ö n l i c h e n V o r w u r f machen kann, wenn er sich nicht rechtmäßig verhält. Dieser Grundgedanke führte nicht nur zur Entwicklung des V e r b o t s i r r t u m s (vgl. Vorbem. AT, Abschn. B VTI 2 c, S. 26 und § 59 Anm. 6), sondern auch zur Anerkennung des übergesetzlichen Schuldausschließungsgrunds der schuldausschließenden Pflichtenkollision (vgl. Welzel 184 f., Maurach A T 388 ff. sowie Gallas in Mezger-Festschrift 311 ff. mit weiteren Nachweisen). Eine solche kommt in Betracht, wenn der Täter sich bei m e h r e r e n g l e i c h w e r t i g e n P f l i c h t e n in einer Z w a n g s l a g e befindet, die ihn aus rechtlichen oder sittlichen Gründen zu einer Entscheidung zwingt, ohne daß die Möglichkeit besteht, alle Pflichten zu erfüllen. Entscheidet sich der Täter in einer derartigen Zwangslage zugunsten der einen oder anderen Pflicht, so verletzt er die übrigen, ohne daß die MögUchkeit einer Rechtfertigung besteht, da der rechtfertigende übergesetzliche Notstand nur dann in Betracht kommt, wenn der Täter sich zugunsten einer höherwertigen Pflicht entscheidet (s.o. I I 3). Andererseits kann dem Täter k e i n S c h u l d v o r w u r f gemacht werden. E s ist in solcher Situation immer noch besser, etwas zu tun als nichts zu tun. Dies gilt insbesondere dann, wenn der Täter von mehreren in Betracht kommenden Übeln das kleinere wählt. I m einzelnen: 1. D i e Wahl des kleineren Übels e n t s c h u l d i g t i m m e r . Hierher gehören die bereits oben unter I I 3 b erwähnten Beispiele. Von einer schuldausschließenden Wahl des kleineren Übels kann auch in den Fällen gesprochen werden, in denen der Täter bei d e m V e r s u c h , d a s b e d r o h t e R e c h t s g u t v o r dem s i c h e r e n U n t e r g a n g zu r e t t e n , e i n e a n d e r e , n e u e G e f a h r s e t z t , die aber noch die Möglichkeit einer Rettung offenläßt. I n solchen Fällen ist es immer noch b e s s e r , s c h l e c h t bzw. r i s k a n t zu h a n d e l n a l s ü b e r h a u p t n i c h t z u h a n d e l n und damit das Opfer mit Sicherheit preiszugeben. 2. Befand sich der Täter in einer Pflichtenkollision (aber nur dann, s.u. 3), so kommt ein Schuldausschluß auch dann in Betracht, wenn der Täter nicht das kleinere Übel gewählt hat, d.h. wenn zwischen dem geopferten und dem geretteten Rechtsgut weder ein qualitativer noch ein quantitativer Unterschied besteht, der Täter aber keine Möglichkeit hatte, seiner beiden Rechtsgütern gegenüber bestehenden Rechtspflicht zu genügen. B e i s p i e l e : a) Ein Arzt wird zu zwei Schwerverletzten gerufen, kann aber nur einen versorgen, der andere muß verbluten (vgl. Maurach AT 395). b) Ein Familienvater (A) sieht, wie seine Kinder X und Y ins Wasser fallen. E r kann nur ein Kind retten, das andere ertrinkt. I n beiden Fällen wird man von einer tatbestandsmäßigen und rechtswidrigen Tötung durch Unterlassen auszugehen haben. Die Rechtsordnung kann dem Täter jedoch keinen Schuldvorwurf machen. Sie kann ihm auch nicht vorschreiben, welche von mehreren gleichwertigen Pflichten er zu erfüllen hat. E s macht also keinen Unterschied, ob A in dem Beispiel b) das Kind X oder das Kind Y rettet. Anders zu beurteilen wäre dagegen folgende A b w a n d l u n g des Beispiels b ) : Von den beiden Kindern ist nur X das Kind des A. Das Kind Y ist ein fremdes Kind. Rettet A sein eigenes Kind, so erfüllt sein Verhalten gegenüber dem anderen Kind den Tatbestand der unterlassenen Hilfeleistung (§ 330c). E r handelt aber nicht rechtswidrig, da die sich aus seiner Garantenstellung als Vater ergebende Rechts-
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Gründe, welche die Strafe ausschließen oder mildern pflicht gegenüber seinem eigenen Kind, bei deren Verletzung er sich wegen Tötung durch Unterlassen strafbar machen würde, der allgemeinen Beistandspflicht gemäß § 330 c vorgeht. Auf § 54 muß nicht zurückgegriffen werden, da — wie ausgeführt — bereits die Rechtswidrigkeit entfällt. Hieraus ergibt sich umgekehrt, daß A sich nicht zu seiner Rechtfertigung auf § 330 c berufen kann, wenn er das fremde Kind rettet und das eigene ertrinken läßt. Auch die Schuld bleibt in diesem Fall bestehen; sie dürfte allerdings nur als gering zu bewerten sein. 3. Befindet sich der Täter in k e i n e r P f l i c h t e n k o l l i s i o n und wählt er durch sein Eingreifen auch nicht das kleinere Übel, so ist er weder gerechtfertigt noch entschuldigt, wenn er die Gefahr lediglich von einem Rechtsgut auf das andere ablenkt. B e i s p i e l : A sieht, wie bei einem Schiffbruch B und C um eine rettende Planke kämpfen. Der Ausgang des Kampfes ist ungewiß. Wenn A den Kampf dadurch beendet, daß er den B mit einer Pistole niederstreckt, so ist er weder gerechtfertigt noch entschuldigt. Rechtfertigende Nothilfe entfällt, da sowohl B als auch C durch ihre beiderseits vorgetragenen Angriffe rechtswidrig handeln; Schuldausschluß entfällt, da A sich weder in einer Pflichtenkollision befand noch das kleinere Übel wählte. Die Schuld entfiele nur dann, wenn C ein Angehöriger des A wäre (dann § 54) oder wenn die Gefahr bestünde, daß ohne das Eingreifen des A sowohl B als auch C umkommen könnten. I n diesem letzteren Fall h ä t t e A das kleinere Übel gewählt (zum Ganzen siehe auch oben I I 3 d - e ) . 4. B e s o n d e r h e i t e n sind bei den unechten Unterlassungsdelikten und bei den Fahrlässigkeitsdelikten zu beachten. Hier entfällt die Schuld immer schon dann, wenn dem Täter bei Würdigung aller Umstände ein rechtmäßiges Verhalten nicht zumutbar ist. Beispiele: a) A, der ein Zeltlager f ü r 14-und 15jährige Jugendliche beiderlei Geschlechts leitet, erfährt eines Nachts durch Zufall, daß einige der ihm anvertrauten Jugendlichen die ihnen zugewiesenen Zelte verlassen und sich in die Zelte der Mädchen begeben haben. E r stellt fest, daß es in den Zelten der Mädchen bereits munter zugeht und es offensichtlich auch schon zu sexuellen Handlungen gekommen ist. Da er sich darüber im klaren ist, daß die Eltern der Jugendlichen mit derartigen Zuständen nicht einverstanden sind (andernfalls würde bereits das tatbestandsausschließe'nde Erzieherprivileg des § 180 Abs. 1 eingreifen), versucht er, die Jungen zur Rückkehr in ihre Zelte zu veranlassen. Dies gelingt ihm jedoch weder mit guten Worten noch mit Drohungen. E r könnte sich allenfalls mit Gewalt oder mit fremder Hilfe durchsetzen. Ein solches Vorgehen ist ihm jedoch bei Würdigung aller Umstände nicht zuzumuten. Der Vorwurf eines Vergehens gemäß § 180 Abs. 1 Nr. 2 wird in diesem Fall durch mangelnde Zumutbarkeit rechtmäßigen Verhaltens entkräftet. Dem A ist lediglich zuzumuten, am nächsten Tag dafür zu sorgen, daß die Jugendlichen, falls sie nicht zur Einsicht kommen, das Lager freiwillig verlassen oder von ihren Eltern abgeholt werden. b) Der Landarbeiter A brennt auf Geheiß seines Arbeitgebers in der Nähe eines Getreidespeichers altes Gestrüpp nieder. E r weiß, daß dies nicht ungefährlich ist, wagt aber keine Einwendungen, da er fürchtet, seine Stellung zu verlieren. I m übrigen vertraut er darauf, daß es zu keinem Unglück kommt. F ä n g t der Getreidespeicher dann trotz aller Vorsichtsmaßnahmen Feuer, so hängt die Frage der Zumutbarkeit rechtmäßigen Verhaltens und damit die Strafbarkeit wegen fahrlässiger Brandstiftung gemäß § 309 davon ab, wie groß einerseits die drohende Gefahr der Entlassung und andererseits die Brandgefahr war. Hierbei sind alle Umstände des Einzelfalles zu würdigen. 13»
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Strafgesetzbuch
c) Ein Kraftfahrer, der sich mit einem offensichtlich fahruntüchtigen Lastzug in den Verkehr begibt und infolge Versagens der Bremsanlage einen tödlichen Unfall verschuldet, kann sich zu seiner Entschuldigung nicht darauf berufen, er habe seinen Arbeitgeber zwar auf den Zustand des Fahrzeugs hingewiesen, dieser habe aber eine Reparatur aus finanziellen Gründen abgelehnt und ihm mit Entlassung gedroht, falls er die Fahrt nicht ausführe. Die Gefahr der Entlassung ist bei der Situation auf dem heutigen Arbeitsmarkt nicht so schwerwiegend zu beurteilen wie die Gefahr, die von einem verkehrsuntüchtigen Lastzug ausgeht. IV. Von den Rechtfertigungs- und Schuldausschließungsgründen streng zu unterscheiden sind die p e r s ö n l i c h e n S t r a f a u s s c h l i e ß u n g s g r ü n d e , die o b j e k t i v e n S t r a f b a r k e i t s b e d i n g u n g e n sowie die P r o z e ß v o r a u s s e t z u n g e n . Siehe hierzu Vorbem. AT, Abschn. B I I , S. 13 sowie die Abschn. D, E, F, S. 43 ff. § 51 [Zurechnungrsmifähigrkeit] (1) Eine strafbare Handlung ist nicht vorhanden, wenn der Täter zur Zeit der Tat wegen Bewußtseinsstörung, wegen krankhafter Störung der Geistestätigkeit oder wegen Geistesschwäche unfähig ist, das Unerlaubte der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln. (2) War die Fähigkeit, das Unerlaubte der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, zur Zeit der Tat aus einem dieser Gründe erheblich vermindert, so kann die Strafe nach den Vorschriften Uber die Bestrafung des Versuchs gemildert werden. 1. Zurechnungsunfähig ist, wer nicht in der Lage ist, a) das Unrecht der Tat zu erkennen o d e r b) nach dieser Einsicht zu handeln. Die Voraussetzungen von § 61 Abs. 1 können also auch dann vorliegen, wenn der Täter zwar genau weiß, daß er Unrecht tut, er andererseits aber nicht die Fähigkeit besitzt, nach dieser Einsicht zu handeln. 2. Als Ursachen der Zurechnungsunfähigkeit kommen in Betracht: Bewußtseinsstörung, krankhafte Störung der Geistestätigkeit und Geistesschwäche. Im einzelnen: a) Bewußtseinsstörungen können die Zurechnungsfähigkeit auch dann ausschließen, wenn sie nicht krankhaft sind (BGH 11, 20). Beispiele: S c h l a f t r u n k e n h e i t , H y p n o s e , F i e b e r , aber auch hochgradige Z o r n - oder A n g s t a f f e k t e , und zwar selbst dann, wenn sie verschuldet sind (vgl. BGH 7, 325; 11, 20). Bei T r u n k e n h e i t liegt eine Bewußtseinsstörung nicht erst dann vor, wenn es sich um eine sinnlose Trunkenheit handelt; es genügt schon eine starke Trübung des Bewußtseins. Schließlich kann auch ein übermäßig starker G e s c h l e c h t s t r i e b zum Ausschluß der strafrechtlichen Verantwort\mg führen (sog. Hypersexualität, vgl. BGH 14, 30 sowie N J W 1962, 1779). Ist die Bewußtseinsstörimg v e r s c h u l d e t , so ist zu prüfen, ob sich der Täter unter dem Gesichtspunkt der sogenannten actio libera in causa (s. u. 3) oder wegen Vollrauschs gemäß § 330 a strafbar gemacht hat. b) Als krankhafte Störung der Geistestätigkeit haben a l l e P s y c h o s e n dauernder oder vorübergehender Art zu gelten, vor allem die besonders hervorgehobene Geistesschwäche (Erscheinungsformen: Idiotie, Imbezillität, Debilität). Weitere Beispiele: chronischer M o r p h i n i s m u s (OGHBZ 3, 109), fortgeschrittene T r u n k s u c h t (OLG Hamm MDR 1955,143), epileptoide Wesensveränderung (BGH 23,356) und abartige g e s c h l e c h t l i c h e T r i e b h a f t i g k e i t (BGH MDR 1955, 368).
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I n den letztgenannten Fällen ist zu beachten, daß die zutage getretene Hemmungslosigkeit den T ä t e r nicht entschuldigt, wenn sie lediglich auf C h a r a k t e r m ä n g e l n oder sittlicher Schwäche beruht ( B G H M D R 1955, 368). E i n e P s y c h o p a t h i e , die nur aus Charaktermängeln besteht und sich in einer kriminellen Veranlagung erschöpft, ist keine Geistesschwäche oder sonstige krankhafte Störung der Geistestätigkeit und fällt daher nicht unter § 51 Abs. 1 ( B G H 14, 30 sowie M D R 1958, 528). c) Über den Fall, daß die Bewußtseinsstörung erst während der Tatausführung eintritt und — zumindest teilweise — auf die ersten Tathandlungen zurückzuführen ist, siehe ausführlich § 59 Anm. 5 a. 3. Die sog. actio libera in causa. a) Ungeachtet der im Zeitpunkt der Tatausführung vorliegenden Zurechnungsunfähigkeit ist der T ä t e r wegen v o r s ä t z l i c h e r T a t b e g e h u n g zu bestrafen, wenn er sich in den Zustand der Zurechnungsunfähigkeit versetzt hatte, aa) um in diesem Zustand eine bestimmte vorsätzliche Straftat, z. B . eine Brandstiftung, zu begehen, oder bb) obwohl er als s i c h e r vorausgesehen hatte, daß er in diesem Zustand eine bestimmte vorsätzliche S t r a f t a t begehen wird, oder cc) obwohl er es als m ö g l i c h vorausgesehen hatte, daß er in seinem Zustand eine vorsätzliche S t r a f t a t begehen wird; in diesem F a l l muß noch hinzukommen, daß er die Möglichkeit einer vorsätzlichen S t r a f t a t billigend in K a u f nimmt. b) Wegen f a h r l ä s s i g e r T a t b e g e h u n g ist zu bestrafen, wenn der T ä t e r sich in einen seine Zurechnungsfähigkeit ausschließenden Zustand versetzt und dabei aa) zwar die Möglichkeit sieht, daß er in seinem Zustand eine (vorsätzliche oder fahrlässige) S t r a f t a t begehen wird, andererseits aber pflichtwidrig darauf vertraut, daß es zu keiner S t r a f t a t kommt, oder bb) infolge Fahrlässigkeit gar nicht erkannt hatte, daß er eine (vorsätzliche oder fahrlässige) S t r a f t a t begehen könnte. c) Alle Fälle der actio libera in causa haben gemeinsam, daß sie den für die B e urteilung der Schuldfrage entscheidenden Z e i t p u n k t v o r v e r l e g e n auf einen Zeitpunkt, in dem der T ä t e r noch frei in seinen Entschlüssen, somit strafrechtlich verantwortlich war. Die Fälle, in denen der T ä t e r sich Mut antrinkt, um alle noch bestehenden Hemmungen zu verlieren, können mit der mittelbaren T ä t e r schaft verglichen werden: Der T ä t e r benutzt gewissermaßen sein zurechnungsunfähiges „ I c h " zu einer T a t , die er sonst nicht begehen könnte. Diese Falle sind allerdings in der Praxis selten. Häufiger sind die Fälle, in denen der T ä t e r nicht an die möglichen Folgen des Zustands denkt, in den er sich versetzt. B e i s p i e l : A trinkt sich einen Rausch an, obwohl er weiß, daß er noch mit dem P K W nach Hause fahren muß. Verschuldet er dann in volltrunkenem Zustand mit seinem P K W einen tödlichen Unfall, so erfolgt die Bestrafung wegen fahrlässiger Tötung gemäß § 222. Wegen des Verhältnisses der a . l . i . c . zu § 330 a siehe Anm. 6 zu § 330 a . 4. Von einer verminderten Zurechnungsfähigkeit spricht man, wenn die oben genannten Ursachen eine erhebliche Verminderung des Einsichts- oder Hemmungsvermögens zur Folge haben. Die verminderte Zurechnungsfähigkeit führt gemäß § 51 Abs. 2 nicht zum Schuldausschluß, sondern gibt lediglich die Möglichkeit einer Strafmilderung. I m einzelnen ist folgendes zu beachten: a) B e i v e r m i n d e r t e r E i n s i c h t s f ä h i g k e i t trifft § 51 Abs. 2 nur den Fall, daß die verminderte Einsichtsfähigkeit tatsächlich zu einem F e h l e n d e r E i n s i c h t geführt hat ( B G H 21,27). Die Fälle mangelnder Einsicht Bind in der Praxis allerdings verhältnismäßig selten. Häufiger sind die Fälle, in denen der T ä t e r zwar weiß, daß er Unrecht tut, sich aber infolge v e r m i n d e r t e n Hemmungsvermögens gleichwohl zur T a t entschließt. Auch diese Fälle unterliegen dem Anwendungs-
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bereich des § 51 Abs. 2, sofern das verminderte Hemmungsvermögen Krankheitswert hat. b) Liegen die Voraussetzungen des § 51 Abs. 2 vor, so kann die Strafe nach V e r s u c h s g r u n d s ä t z e n (§ 44) gemildert werden. Ob das Gericht die Strafe mildert, steht in seinem pflichtgemäßen Ermessen. Will das Gericht die verminderte Zurechnungsfähigkeit strafmildernd berücksichtigen, so kann es, anstatt die Strafe nach Versuchsgrundsätzen (§§ 51 Abs. 2/44) zu bilden, auch den Strafrahmen, der bei Vorliegen mildernder Umstände vorgesehen ist, anwenden (BGH 16, 360). Dies wird insbesondere dann in Frage kommen, wenn die Strafmilderung nach Versuchsgrundsätzen nicht ausreichend erscheint. In besonders leichten Fällen kann das Gericht sogar eine d o p p e l t e S t r a f m i l d e r u n g vornehmen, d.h. es kann die bei Vorliegen mildernder Umstände zulässige Mindeststrafe noch zusätzlich gemäß §§ 51 Abs. 2/44 nach Versuchsgrundsätzen mildern (vgl. BGH a.a. O.). Nach Inkrafttreten des 2. StrRG kommt eine doppelte Strafmilderung allerdings nicht mehr in Betracht (vgl. § 50 idF. des 2. StrRG, abgedruckt in Anh. 8). c) Liegen die Voraussetzungen der actio libera in causa vor (s.o. 3), so besteht kein gesetzlicher Anlaß zur Strafmilderung (vgl. Koblenz DAR 1973, 75). Beispiel: A versetzt sich in einen seine Zurechnungsfähigkeit erheblich vermindernden Rauschzustand, obwohl er weiß, daß er anschließend noch mit seinem P K W fahren muß. Verschuldet er dann in diesem Zustand einen folgenschweren Unfall, so ist für eine Strafmilderung gemäß § 51 Abs. 2 kein Raum (vgl. Koblenz a. a. O.; LacknerMaassen V 3 m. weit. Nachw.). 5. Sowohl bei Zugrundelegung von § 51 Abs. 1 als auch von § 51 Abs. 2 besteht die Möglichkeit, anstatt bzw. neben der Strafe die Unterbringung in einer Heil- oder Pflegeanstalt anzuordnen (vgl. § 42 b). Diese Möglichkeit besteht auch dann, wenn unklar bleibt, ob die Voraussetzungen von § 51 Abs. 1 oder Abs. 2 vorliegen (vgl. BGH 18, 167). Eine Strafe kann in diesem Fall allerdings nicht verhängt werden. Zum Ganzen siehe auch § 42 b Anm. 3. Steht bereits nach Abschluß des Ermittlungsverfahrens mit Sicherheit fest, daß der Täter zurechnungsunfähig i. S. von § 51 Abs. 1 ist, andererseits aber die öffentliche Sicherheit seine Unterbringung erfordert, so erhebt die Staatsanwaltschaft keine Anklage, sondern sie beantragt seine Unterbringung im sog. S i c h e r u n g s v e r f a h r e n gemäß § 429a StPO. Siehe auch § 126a StPO.
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[Nötigiiiigsnotetand]
(1) Eine strafbare Handlung ist nicht vorhanden, wenn der Täter durch unwiderstehliche Gewalt oder durch eine Drohung, welche mit einer gegenwärtigen, auf andere Weise nicht abwendbaren Gefahr für Leib oder Leben seiner selbst oder eines Angehörigen verbunden war, zu der Handlung genötigt worden ist. (2) Als Angehörige im Sinne dieses Strafgesetzes sind anzusehen Verwandte und Verschwägerte auf- und absteigender Linie, Adoptiv- und Pflegeeltern und -kinder, Ehegatten und deren Geschwister, Geschwister und deren Ehegatten und Verlobte. I. Der Nötigungsnotstand schafft einen Schuldausschließungsgrund. E r beruht auf dem Gedanken, daß die Rechtsordnung von einem Menschen, der sich oder einen nahen Angehörigen in einer unmittelbaren Gefahr für Leib oder Leben sieht, keine heldenhafte Haltung und Selbstaufopferung verlangen kann.
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II. Die Voraussetzungen im einzelnen: 1. Der Täter muß unter dem Druck einer unwiderstehlichen Gewalt oder einer Drohung stehen, die f ü r ihn oder einen nahen Angehörigen mit einer unmittelbaren, auf andere Weise nicht abwendbaren Gefahr f ü r Leib oder Leben verbunden ist. a) Als Gewalt kommen nur solche E i n w i r k u n g e n in Betracht, die den W i l l e n d e s G e n ö t i g t e n b e e i n f l u s s e n (sog. vis compulsiva). B e i s p i e l : A prügelt den B solange, bis dieser sich dazu hergibt, einen Wechsel zu fälschen. N i c h t hierher gehören die Fälle, in denen jemand unter einem unmittelbar körperlich wirkenden Druck zu einem Verhalten gezwungen wird, das schon gar nicht als Handlung im Rechtssinn angesehen werden kann, etwa wenn in dem oben gebrachten Beispiel A gewaltsam die H a n d des B zur Unterschrift unter den Wechsel f ü h r t (sog. vis absoluta, vgl. Vorbem. AT, Abschn. B I I I 2, S. 14). In diesen Fällen fehlt es schon an einer tatbestandsmäßigen Handlung, so daß nach Schuld, ausschließungsgründen nicht gesucht werden muß. b) Unwiderstehlich ist die Gewalt, wenn der Genötigte nicht in der Lage ist, ihr mit Aussicht auf Erfolg Widerstand entgegenzusetzen. c) Unter Drohung versteht man die Ankündigung eines Übels. Dieses muß hier mit einer gegenwärtigen Gefahr f ü r Leib oder Leben des Täters oder eines nahen Angehörigen verbunden sein. U n e r h e b l i c h ist, ob die Drohung e r n s t gemeint war. E s genügt, daß sie f ü r ernst gehalten werden konnte und vom Täter für ernst gehalten wurde. d) Nur bei Gefahr für Leib oder Leben entfällt die Schuld. Geringfügige Gefahren genügen nicht. Bei Gefahren für andere Rechtsgüter, z. B. Ehre, Freiheit, Vermögen, kommt ein Schuldausschluß gemäß § 52 nie in Betracht. e) Gegenwärtig ist eine Gefahr dann, wenn sie nach menschlicher Erfahrung ohne alsbaldige Abwehrmaßnahmen den Eintritt eines Schadens als sicher, zumindest aber als höchstwahrscheinlich erscheinen läßt (vgl. BGH N J W 1951, 769). Auch eine D a u e r g e f a h r kann gegenwärtig sein, wenn sie jederzeit in einen Schaden umschlagen kann, z.B. wenn A zugunsten des B einen Meineid leistet, weil dieser ihm mit Totschlag droht, falls er richtig aussage. Die Gefahr könnte in diesem Fall sogar dann als gegenwärtig angesehen werden, wenn B zwar noch in H a f t ist, aber jederzeit mit seiner Entlassung gerechnet werden muß (vgl. B G H 5, 371, 373). 2. Die Gefahr darf auf andere Weise nicht abwendbar sein. Wenn auch das Gesetz von einem schuldlos in Gefahr geratenen Menschen keine heldenhafte Haltung und Selbstaufopferung verlangen kann, so läßt es andererseits die als Ausweg aus der Gefahr gewählte Verletzung fremder Rechtsgüter nicht deshalb straflos, weil sie f ü r den Täter die einfachste und bequemste Lösung darstellt. J e schwerer die Verletzung eines fremden Rechtsguts wiegt, um so mehr muß verlangt werden, daß der Genötigte gewissenhaft prüft, ob sein Verhalten wirklich der einzige Ausweg aus der Gefahr ist (vgl. BGH N J W 1952, 111, 113; B G H 18, 311). 3. I m Gegensatz zum Notstand gemäß § 54 kommt ein Schuldausschluß gemäß § 52 auch dann in Betracht, wenn die Zwangslage verschuldet ist. Allerdings sind auch hier — wie bei § 51 — die Grundsätze der a c t i o l i b e r a i n c a u s a zu beachten (vgl. § 51 Anm. 3). Wer sich freiwillig in eine Lage begibt, von der er weiß, daß ihm eine Nötigung zu einer b e s t i m m t e n strafbaren Handlung durch unwiderstehliche Gewalt oder Drohimg mit Gefahr f ü r Leib oder Leben bevorsteht, kann nachher nicht zur Entschuldigung vorbringen, er sei seiner Entschlußfreiheit beraubt worden (vgl. BayObLG MDR 1955, 247, Lackner-Maassen 3a). 4. Subjektiv ist erforderlich, daß der Täter die Z w a n g s l a g e k e n n t (vgl. Vorbem. AT, Abschn. B V I I 3 b, S. 27). Nimmt der Täter umgekehrt n u r irrig Tatumstände an, bei deren Vorliegen er gemäß § 52 entschuldigt wäre, so
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entfällt nach Auffassung des Bundesgerichtshofs der Vorsatz (vgl. B G H 5, 374; 18, 311, 312; sehr zweifelhaft, vgl. § 59 Anm. 3). Dies gilt insbesondere f ü r die Fälle, in denen der Täter nicht erkennt, daß die Gefahr auch auf andere Weise als durch Verletzung fremder Interessen abgewendet werden kann, z.B. durch Flucht oder durch Mitteilung an die Polizei. Wieder anders zu beurteilen sind die Fälle, in denen der Täter über die r e c h t l i c h e n V o r a u s s e t z u n g e n des Nötigungsnotstands irrt, z.B. wenn er glaubt, eine Flucht aus der Zwangslage sei ihm nicht zumutbar, oder wenn er glaubt, er sei auch dann entschuldigt, wenn nur eine Gefahr f ü r sein Vermögen oder seine Freiheit besteht. B e i s p i e l : A droht dem B, er werde ihn wegen eines früher begangenen Diebstahls anzeigen, wenn er sich nicht an einem neuen Diebstahl beteilige. Hier liegen objektiv die Voraussetzungen des § 52 nicht vor (keine Gefahr f ü r Leib oder Leben); B kann sich auch nicht auf fehlenden Vorsatz berufen (siehe jedoch § 154c StPO). III. I n Abs. 2 wird festgelegt, wer unter den Begriff der Angehörigen fällt. Diese B e g r i f f s b e s t i m m u n g g i l t f ü r d a s g e s a m t e S t r a f g e s e t z b u c h . I m einzelnen : 1. Zu den V e r w a n d t e n a u f - u n d a b s t e i g e n d e r L i n i e gehören insbesondere Eltern, Großeltern, Kinder und Enkelkinder, und zwar auch dann, wenn die Verwandtschaft auf einer nichtehelichen Abstammung beruht. Entscheidend ist die Blutsverwandtschaft. V e r w a n d t e i n d e r S e i t e n l i n i e (Onkel, Tante, Nichte, Neffe) gehören nicht hierher. 2. Zu den V e r s c h w ä g e r t e n a u f - u n d a b s t e i g e n d e r L i n i e gehören insbesondere Schwiegereltern und Schwiegerkinder, aber auch Stiefeltern und Stiefkinder. Unerheblich ist, ob die Ehe, auf der die Schwägerschaft beruht, zur Zeit der T a t noch besteht oder ob sie nichtig oder anfechtbar ist. E s genügt, daß eine f o r m e l l g ü l t i g e E h e vorliegt. Die Schwägerschaft wird auch nicht durch den Tod eines Ehegatten berührt (BGH 7, 385). 3. Ob ein A d o p t i v v e r h ä l t n i s vorliegt, richtet sich nach dem bürgerlichen Recht (§§ 1741 ff. BGB). 4. Das Verhältnis der P f l e g e e l t e r n zu den P f l e g e k i n d e r n wird charakterisiert durch die engen Beziehungen, die denen zwischen natürlichen Eltern und Kindern sittlich gleichwertig sind. Es muß auf Dauer berechnet sein und ein gewisses Unterordnungsverhältnis schaffen. Sind diese Voraussetzungen einmal gegeben, so bleibt die Rechtslage unberührt, auch wenn das Pflegekind selbständig wird. 5. E h e g a t t e n und deren G e s c h w i s t e r gelten nur dann als Angehörige, wenn die E h e formell gültig ist, also nicht, wenn sie geschieden, aufgehoben oder f ü r nichtig erklärt ist. 6. Als G e s c h w i s t e r gelten alle Personen, die mindestens einen Elternteil gemeinsam haben, also auch Halbgeschwister. Als Angehörige gelten ferner die E h e g a t t e n d e r G e s c h w i s t e r . So ist A nicht nur ein Angehöriger des Bruders seiner Frau, sondern auch ein Angehöriger der Frau seines Bruders. I n beiden Fällen handelt es sich u m echte Schwägerschaft. Der Bruder der F r a u und die F r a u des Bruders sind dagegen in ihrem Verhältnis untereinander keine Angehörige i.S. von § 52 Abs. 2 (sog. Schwippschwägerschaft). 7. V e r l o b t e sind Personen, die sich ein ernstgemeintes, nicht sittenwidriges Eheversprechen gegeben haben. Sittenwidrig ist das Eheversprechen insbesondere dann, wenn einer der Partner noch in einer gültigen Ehe lebt. Auch das Eheversprechen eines Heiratsschwindlers kann ein Verlöbnis i.S. der Vorschrift nicht begründen (BGH 3, 215).
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[Notwehr]
(1) Eine strafbare Handlung ist nicht vorhanden, wenn die Handlung durch Notwehr geboten war. (2) Notwehr ist diejenige Verteidigung, welche erforderlich ist, um einen gegenwärtigen, rechtswidrigen Angriff von sich oder einem anderen abzuwenden. (3) Die Überschreitung der Notwehr ist nicht strafbar, wenn der Täter in Bestürzung, Furcht oder Schrecken über die Grenzen der Verteidigung hinausgegangen ist. I. Die Anerkennung der Notwehr als Rechtfertigungsgrund beruht auf der Erwägung, daß Recht vor Unrecht nicht weichen muß. Wer sich oder einen anderen einem gegenwärtigen, rechtswidrigen Angriff ausgesetzt sieht, darf alle Maßnahmen ergreifen, die objektiv erforderlich sind, um den Angriff abzuwehren. II. Die Voraussetzungen im einzelnen: 1. Es muß eine N o t w e h r s i t u a t i o n , d.h. ein gegenwärtiger, rechtswidriger Angriff vorliegen. a) Notwehrfähig ist jedes Rechtsgut, also nicht nur Leib und Leben, sondern auch Vermögen, Eigentum, Freiheit, ferner der Anspruch auf Gemeingebrauch und der Anspruch auf Integrität der Intimsphäre. So ist z.B. eine Frau, die in ihrer Wohnung beim Baden oder bei ihrer Toilette von einem sog. Spanner belästigt wird, berechtigt, diesen — notfalls mit Gewalt — zu vertreiben. An einer rechtlich geschützten Intimsphäre fehlt es jedoch, wenn sich ein Liebespaar in einem öffentlichen Park beim Liebesspiel beobachtet fühlt (vgl. Schönke-Schröder Rn. 7 m. weit. Nachw.). Verteidigt sich der Angegriffene selbst, so spricht man von N o t wehr. Wird das Rechtsgut eines anderen verteidigt (der im Gegensatz zu §§62, 54 kein Angehöriger sein muß), so spricht man von N o t h i l f e . b) Angriff ist jede Handlung, die auf die Verletzung eines Rechtsguts hinzielt. Der Angriff kann auch in einem pflichtwidrigen U n t e r l a s s e n bestehen, z. B. wenn eine Mutter es versäumt, ihrem Kind ausreichende Nahrung zukommen zu lassen. c) Gegenwärtig ist jeder Angriff, der gerade stattfindet oder unmittelbar bevorsteht (vgl. RG 67, 337, 339; BGH N J W 1973, 255; Maurach A T 312; LacknerMaassen 2c). Wielange ein Angriff noch als gegenwärtig angesehen werden kann, ist Tatfrage. So ist keine Notwehr mehr möglieh, wenn A dem B eine Ohrfeige gegeben hat und weitere Schläge nicht zu befürchten sind. Schlägt B zurück, so kann er sich nicht auf § 53 berufen (siehe jedoch § 233). Der Angriff des A war bereits beendet. Die rechtliche Vollendung des Tatbestands und die t a t s ä c h l i c h e B e e n d i gung des Angriffs, auf die es entscheidend ankommt, fallen hier zusammen. Anders beim Diebstahl. Dieser ist zwar mit der Wegnahme rechtlich vollendet. Tatsächlich beendet ist er aber erst, wenn es dem Täter gelungen ist, die entwendete Sache aus dem Herrschaftsbereich des Geschädigten wegzuschaffen und seinen eigenen Gewahrsam zu sichern. Solange ist Notwehr zulässig. Wer also einen Dieb auf frischer Tat beobachtet, ist berechtigt, ihn zu verfolgen und ihm, notfalls mit Gewalt, die Beute wieder abzunehmen (vgl. RG 55, 82). Trifft der Geschädigte dagegen den Dieb erst wieder nach 4 Wochen mit der bei der Tat erbeuteten Sache, so kann das Recht zur Wegnahme nur aus den Bestimmungen über das Selbsthilferecht (§§ 229, 230, 859 BGB) abgeleitet werden. Siehe hierzu Vorbem. I I 4 vor § 51. d) Rechtswidrig ist jeder Angriff, der der materiellen Rechtsordnimg widerspricht und den der Angegriffene daher nicht dulden muß. Nur ein Mensch kann rechtswidrig handeln. Die Abwehr von T i e r a n g r i f f e n richtet sich nach den Notstands-
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rechten des BGB (vgl. Vorbem. I I 1 vor § 51). U n e r h e b l i c h ist, ob der Angriff s c h u l d h a f t vorgetragen wird. Notwehr ist daher auch gegen Angriffe von Kindern oder Geisteskranken zulässig (siehe aber unten 6). 2. Die V e r t e i d i g u n g s h a n d l u n g m u ß zur Abwehr des Angriffs e r f o r d e r l i c h sein. Die Erforderlichkeit der Verteidigung ist o b j e k t i v zu beurteilen, und zwar unter Berücksichtigung der besonderen Umstände des Einzelfalls. Entscheidend sind dabei die S t ä r k e u n d H a r t n ä c k i g k e i t d e s A n g r i f f s sowie die M i t t e l , die dem Angegriffenen zur Verfügung stehen. Bei mehreren wirksamen Mitteln ist grundsätzlich das mildere zu wählen. Genügt z.B. ein Schreckschuß, um einen Einbrecher zu vertreiben, so ist ein gezielter Schuß unzulässig. Dem Angegriffenen ist jedoch grundsätzlich nicht zumutbar, sich im Rahmen seiner Abwehr auf einen Kampf einzulassen, dessen Ausgang ungewiß ist. E r darf vielmehr das Mittel wählen, das mit Gewißheit eine sofortige Beendigung des Kampfes gewährleistet (BGH GA 1969,23). Aber auch dieser Grundsatz gilt nicht uneingeschränkt. Besonders bei einem Streit unter Ehegatten oder sonstigen nahen Angehörigen ist ein besonders strenger Maßstab an die Erforderlichkeit des Verteidigungsmittels anzulegen. Die Wahl eines möglicherweise tödlich wirkenden Abwehrmittels ist grundsätzlich auch dann nicht gerechtfertigt, wenn die Anwendung milderer Mittel die Beseitigung der Gefahr nicht oder nicht mit Sicherheit erwarten läßt (BGH N J W 1969, 802 betr. eine Ehefrau, die ihren Mann dadurch tötete, daß sie mit der Spitze ihres Schirms einen heftigen Stoß gegen seinen Kopf führte). Etwas anderes gilt n u r dann, wenn der Angreifer offensichtlich nach dem Leben trachtet. Zum Ganzen siehe auch unten 6 sowie Deubner N J W 1969, 1184. 3. Subjektiv ist erforderlich, daß der Täter mit Verteidigungswillen handelt. Fehlt dieser, so kommt eine Rechtfertigung durch Notwehr selbst dann nicht in Betracht, wenn die Handlung objektiv erforderlich war, u m den Angriff abzuwehren. Hierher gehören zwei Fallgruppen: a) Der T ä t e r k e n n t g a r n i c h t d i e G e f a h r , in der er sich befindet. B e i s p i e l : A schießt B nieder, ohne zu wissen, daß dieser seinerseits gerade im Begriff ist, auf ihn zu schießen. b) Der Täter h a t die N o t w e h r s i t u a t i o n a b s i c h t l i c h p r o v o z i e r t , um einen Anlaß zu haben, seinem Gegner zu schaden. B e i s p i e l : A hänselt den B solange, bis dieser zum Messer greift und sich auf ihn stürzt. Genau das h a t A gewollt. E r greift nunmehr zur Pistole und schießt B nieder. I n beiden Fällen kommt eine Rechtfertigung nicht in Betracht. Fraglich ist nur, ob der Täter wegen eines vollendeten oder nur wegen eines versuchten Delikts zu bestrafen ist. Während man im Fall a) mit Rücksicht auf die objektive Rechtmäßigkeit der Handlung nur Versuch annehmen kann (vgl. Vorbem. AT, Abschn. B V I 5e, S. 24), ist im Fall b) wegen vollendeter Tatbegehimg zu bestrafen. Dies ergibt sich aus der Erwägung, daß im Fall b) der Täter den Angriff des Gegners selbst in der H a n d hatte, m a n also nicht sagen kann, er sei objektiv im Recht gewesen (sogenannte actio illicita in causa, vgl. Sehröder J R 1962, 188). Das eigentlich vorwerfbare Handeln liegt — ähnlich wie bei der actio libera in causa (vgl. § 51 Anm. 3) — nicht in der Abwehrmaßnahme, sondern in dem früheren Verhalten des Täters, durch das die Notwehrsituation überhaupt erst heraufbeschworen wurde (vgl. Schröder a.a.O.). 4. Auch bei Fahrlässigkeitstaten k o m m t rechtfertigende Notwehr in Betracht, sofern die Abwehr objektiv erforderlich und subjektiv von einem Verteidigungswillen getragen war (vgl. OLG H a m m N J W 1962,1169). B e i s p i e l : A will den Angreifer B durch einen Warnschuß abschrecken, verletzt ihn dabei aber aus Versehen am Bein. Ergibt sich nachträglich, daß ein gezielter Schuß zur Verteidigung objek-
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tiv erforderlich war, so ist A durch Notwehr gerechtfertigt. Subjektiv genügt, daß A den Schuß abgab, um sich zu verteidigen. 5. Bei der Nothilfe ist zu beachten, daß diese n i c h t g e g e n d e n W i l l e n d e s A n g e g r i f f e n e n ausgeübt werden darf. Wenn der Verletzte den Angriff nicht abwehren will, steht auch einem anderen nicht das Recht zu, seine Hilfe aufzudrängen (vgl. B G H 5, 246, 247; Lackner-Maassen Anm. 2e). 6. Das Recht zur Notwehr endet dort, wo seine Ausübung als Rechtsmißbrauch erscheint. Der in § 53 enthaltene Grundgedanke, daß Recht vor Unrecht nicht weichen muß, h a t in jüngster Zeit erhebliche Einschränkungen erfahren. Hierdurch werden insbesondere drei Fallgruppen betroffen: a) die Abwehr von G e i s t e s k r a n k e n , K i n d e r n und anderen, offensichtlich schuldlos handelnden Personen; b) die Abwehr von p r o v o z i e r t e n A n g r i f f e n ; c) die Abwehr von Angriffen auf g e r i n g w e r t i g e R e c h t s g ü t e r . I m einzelnen: Zu a) und b): Schon das Reichsgericht h a t in RG 71, 134 klargestellt, daß der Angegriffene zwar grundsätzlich nicht verpflichtet ist, sein Heil in der Flucht zu suchen, er aber andererseits dort a u s w e i c h e n muß, wo dies ohne Preisgabe oder Gefährdung berechtigter Interessen möglich und zumutbar ist. Diese Voraussetzungen können sowohl bei der Fallgruppe a) als auch bei der Fallgruppe b) bejaht werden. Wer also ein Kind, das ihn mit einer harmlosen Waffe bedroht, einfach niederschlägt, obwohl er ausweichen könnte, ist nicht gerechtfertigt. Schwierigkeiten treten dort auf, wo ein A u s w e i c h e n n i c h t m e h r m ö g l i c h ist. Hier wird m a n dem Angegriffenen das Recht, sich — soweit erforderlich — nach K r ä f t e n zu verteidigen, nicht absprechen können. E s ist dann aber jeweils weiter zu prüfen, ob der Angegriffene sich nicht schon dadurch s t r a f b a r gemacht h a t , daß er es überhaupt zu einer Situation kommen ließ, in der er sich nur noch durch aktive Gegenwehr verteidigen konnte. Dies gilt insbesondere f ü r die Fälle, in denen der Angegriffene die N o t w e h r s i t u a t i o n v o r s ä t z l i c h h e r b e i g e f ü h r t h a t , um einen Anlaß zu haben, der ihm scheinbar das Recht zu Gegenmaßnahmen verleiht. Wer in einer derartigen Situation den Angreifer niederschlägt, kann auch dann wegen vorsätzlicher Tötung oder Körperverletzung zur Verantwortung gezogen werden, wenn er im Zeitpunkt der Ausführungshandlung sich tatsächlich nur durch aktive Gegenwehr verteidigen konnte. I n diesen Fällen wird es auch oft an einem echten Verteidigungswillen fehlen (s.o. 3b). H a t der Angegriffene die Notwehrlage fahrlässig herbeigeführt, so ist ihm zunächst zuzumuten, dem Angriff, soweit möglich, auszuweichen oder sich mit einem möglichst ungefährlichen Verteidigungsmittel zu verteidigen. So darf insbesondere nicht zur „Trutzwehr" übergegangen werden, solange auch „Schutzwehr" Aussicht auf erfolgreiche Verteidigung bietet (vgl. BGH 24, 356 m. zust. Anm. Roxin N J W 1972, 1821 und Schröder J u S 1973, 157). Andererseits ist der Angegriffene — ungeachtet der von ihm ausgegangenen Provokation — nicht verpflichtet, sich mißhandeln zu lassen. E r darf vielmehr, falls dies unumgänglich ist, notfalls sogar zum Messer oder einer sonstigen Waffe greifen (BGH a.a.O.). Allerdings ist dann unter dem Gesichtspunkt der sog. actio illicita in causa weiter zu prüfen, ob der Angegriffene im Zeitpunkt der von ihm ausgegangenen Provokation die sich hieraus später ergebende Not wehrsituation mit ihren Folgen (Notwendigkeit, den provozierten Angreifer zu töten oder zu verletzen) hätte voraussehen können und müssen. Bei Bejahung dieser Frage ist der Angegriffene wegen fahrlässiger Tatbegehung zur Verantwortung zu ziehen, wenn ihm schließlich keine andere Wahl mehr bleibt, als den gereizten Angreifer niederzuschlagen. B e i s p i e l : A hänselt den als leicht reiz-
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bar bekannten B solange, bis dieser sich auf ihn stürzt und nur mit der Waffe zurückgehalten werden kann. Aus dem Schrifttum siehe ergänzend Schröder J R 1962, 187 und die dort zitierte Rechtsprechung (BGH MDR 1958, 13; B G H N J W 1962, 308; Neustadt N J W 1961, 2076), ferner Rudolphi, Notwehrexzeß nach provoziertem Angriff, J u S 1969, 461; LencknerGA 1961, 299 und J Z 1973, 252; Baumann MDR 1962, 349; Roxin ZStW 75, 541; Himmelreich GA 1966, 129; Bockelmann in Honig-Festschrift, 1970, S. 19; Schmidhäuser ebenda S. 185; Bertel ZStW 84, 1; Fr.-Chr. Schroeder, MaurachFestschrift, S. 127. Zu c): Wie bereits eingangs erwähnt (s.o. I I l a ) , sind a l l e R e c h t s g ü t e r n o t w e h r f ä h i g . Hieran h a t auch die durch Gesetz vom 7. 8. 1952 Bundesrecht gewordene Menschenrechtskonvention (siehe Anhang 3) nichts geändert. Auch wenn Art. 2 Abs. 2 M R K beispielsweise die Tötung eines Menschen zur Verteidigung von Vermögen, Eigentum, Freiheit usw. nicht ausdrücklich als Rechtfertigungsgrund zuläßt, so kann es andererseits nicht als Zweck der MRK angesehen werden, die innerstaatlichen Regelungen des Notwehrrechts innerhalb der einzelnen Mitgliedstaaten auf einen einheitlichen Nenner zu bringen und die Tötung eines Menschen nur zur Abwehr eines Angriffs auf Leib oder Leben als gerechtfertigt anzusehen. Die MRK will vielmehr nur solche Ausgestaltungen des Notwehrrechts ausschließen, die dem Zweck der Konvention grundsätzlich widersprechen und sich bedenkenlos über das Rechtsgut Leben hinwegsetzen. Diese Voraussetzungen sind aber bei der z.Z. äußerst sozialethisch orientierten Auslegung des §53, nach der jeder Rechtsmißbrauch ausgeschaltet wird, nicht gegeben. Auch das 2. StrRG hat daher darauf verzichtet, die derzeitige Fassung der Notwehr zu ändern. § 32 i.d.F. des 2. StrRG (Anh. 8) entspricht im wesentlichen dem heutigen § 63. (Die Einzelheiten über die Auswirkung der M R K sind z.Z. noch äußerst bestritten. Übereinstimmend v. Weber ZStW 65, 345, Maurach AT 315, Mezger-Blei AT 133, Bockelmann, Engisch-Festschr. S. 456 sowie Krüger N J W 1970, 1483, der zu Recht darauf hinweist, daß die MRK das Notwehrrecht des innerstaatlichen deutschen Strafrechts n u r im Bereich der sog. Staatsnotwehr verändert hat. Zum Ganzen siehe auch Schönke-Schröder Vorbem. 72ff. vor § 51 sowie § 53 R n . 2f., vor allem aber die Niederschriften der Strafrechtskommission, 2. Bd. S. 231 ff.). Eine Güterabwägung zwischen dem gefährdeten und dem durch die Verteidigung verletzten Rechtsgut ist grundsätzlich nicht erforderlich. Recht muß vor Unrecht nicht weichen. Einschränkungen des Notwehrrechts sind nur dort geboten, wo das durch die Abwehr betroffene Rechtsgut zu dem geschützten in einem unerträglichen Mißverhältnis steht (vgl. Schönke-Schröder R n . 21, Baldus L K 21, Dreher 4 C b, BayObLG N J W 1954, 1477; N J W 1963, 824). In diesen Fällen kann sich eine rücksichtslose Ausübung des Notwehrrechts als Rechtsmißbrauch darstellen, der die Verteidigung auch dann rechtswidrig macht, wenn sie zur Abwehr des Angriffs erforderlich ist. Ein solcher Rechtsmißbrauch liegt insbesondere dann vor, wenn jemand zur Verteidigung geringwertiger Sachgüter ein Menschenleben aufs Spiel setzt. Ein Blick auf § 228 BGB bestätigt diese Einschränkung des Notwehrrechts (vgl. Schönke-Schröder R n . 21). Wenn es schon rechtswidrig ist, einen wertvollen H u n d zu töten, der einem H u h n nachjagt, so kann es noch weniger als rechtmäßig angesehen werden, wenn jemand zum Schutz einer geringwertigen Sache einen Menschen schwer verletzt oder tötet. Auch in der Rechtsprechung h a t sich dieser Gedanke immer mehr durchgesetzt (vgl. OLG Stuttgart DRZ 1949, 42 m . Anm. Gallas, BayObLG MDR 1954, 564 und N J W 1963, 824). 7. Auch im Straßenverkehr sind die Notwehrrechte unter dem Gesichtspunkt des Rechtsmißbrauchs eingeschränkt. So liegt eine durch nichts gerechtfertigte Nötigung vor, wenn ein Kraftfahrer sich dadurch Zugang zu einer Parklücke verschafft, daß er Fußgänger, die ihm im Weg stehen, mit seinem Wagen zur Seite
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drängt (vgl. BayObLG N J W 1963, 824; Hbg N J W 1968,662f.). Eine rechtswidrige Nötigung liegt auch dann vor, wenn ein Kraftfahrer auf der Autobahn zum Zwecke des Überholens seinen Vordermann durch dichtes Auffahren und ständiges Signalgeben veranlaßt, die Überholfahrbahn freizugeben (vgl. BGH 19, 263). Zum Ganzen siehe auch Ddf N J W 1961, 1783 und Baumann N J W 1961, 1745 sowie die Ausführungen zu § 240. III. Ein Notwehrexzeß liegt vor, wenn jemand im Rahmen seiner Verteidigung über das objektiv erforderliche Maß hinausgeht, z.B. wenn jemand einen gezielten Schuß abgibt, obwohl nach Sachlage eine Drohung mit der Waffe, zumindest aber ein Warnschuß auch genügt hätten. Der Notwehrexzeß ist immer r e c h t s w i d r i g . Der Täter ist jedoch e n t s c h u l d i g t , wenn er aus B e s t ü r z u n g , F u r c h t oder S c h r e c k e n über die Grenzen der Verteidigung hinausgegangen ist (Abs. 3). Bestürzung, Furcht und Schrecken müssen nicht die ausschließlichen Gründe für die Notwehrüberschreitung sein. So ist es z. B. unschädlich, wenn sich zum Schrecken auch noch Wut gegen den Angreifer gesellt (vgl. BGH GA 1969, 23ff.). IV. Von Putativnotwehr spricht man, wenn eine Notwehrlage objektiv nicht gegeben ist, der Täter vielmehr nur irrig glaubt, es liege ein gegenwärtiger, rechtswidriger Angriff vor. B e i s p i e l : A schießt auf B, weil er glaubt, dieser wolle ihn mit einem zum Schlag erhobenen Knüppel niederschlagen; in Wirklichkeit aber hatte B nur einen „Spaß" gemacht. In allen Fällen der Putativnotwehr handelt der Täter rechtswidrig. Auch der Vorsatz bleibt unberührt. Der Täter befindet sich jedoch in einem Irrtum, der in den Rechtsfolgen einem vorsatzausschließenden Tb.-Irrtum gleichzustellen ist (vgl. §59Anm. 2). Beruht sein Irrtum auf Fahrlässigkeit, so besteht die Möglichkeit, wegen fahrlässiger Begehung zu bestrafen, sofern diese im Einzelfall mit Strafe bedroht ist (vgl. § 59 Abs. 2). Die S c h u l d e n t f ä l l t dagegen, wenn der I r r t u m nach Sachlage u n v e r m e i d b a r war. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn der Irrtum über die Erforderlichkeit der Abwehrmaßnahme auf Bestürzung, Furcht oder Schrecken zurückzuführen ist (vgl. § 63 Abs. 3). Kein vorsatzausschließender Tatbestandsirrtum, sondern ein V e r b o t s i r r t u m liegt vor, wenn der Täter in Kenntnis aller Tatumstände sich zu einer Abwehrmaßnahme berechtigt glaubt, die objektiv — z.B. wegen Rechtsmißbrauchs — nicht gerechtfertigt ist. Hier entfällt die Schuld nur dann, wenn der Irrtum für den Täter bei Würdigung aller Umstände unvermeidbar war. V. Von einem Putativnotwehrexzeß spricht man, wenn der Täter nicht nur irrig eine Notwehrlage annimmt, sondern darüber hinaus infolge Bestürzung, Furcht oder Schrecken (oder aus einem anderen, ähnlichen Grund) über das Maß der Verteidigung hinausgegangen ist, das bei einem tatsächlich gegen ihn geführten Angriff erforderlich gewesen wäre. Hier besteht die Möglichkeit der Bestrafung wegen f a h r l ä s s i g e r Tatbegehung, wenn dem Täter das Entstehen seines Irrtums trotz seiner Bestürzung usw. vorgeworfen werden kann (vgl. BGH N J W 1968,1885). Kann ihm dagegen bei Würdigung aller Umstände weder daraus ein Vorwurf gemacht werden, daß er einen gegenwärtigen, rechtswidrigen Angriff für gegeben hielt, noch daraus, daß er das Maß der Abwehr verkannt hat, das gegen den von ihm angenommenen Angriff notwendig war, so kann er auch nicht wegen fahrlässiger Tatbegehung bestraft werden; er ist vielmehr entschuldigt (vgl. BGH aaO.). §54 [Notetand] Eine strafbare Handlung ist nicht vorhanden, wenn die Handlung außer dem Falle der Notwehr in einem unverschuldeten, auf andere Weise nicht zu beseitigenden Notstand zur Rettung aus einer gegenwärtigen Gefahr für Leib oder Leben des Täters oder eines Angehörigen begangen worden ist.
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1. Der Notstand schafft einen Schuldausschließungsgrund. Die Vorschrift beruht auf dem Gedanken, daß die Rechtsordnung von einem Menschen, der sich oder einen nahen Angehörigen in einer unmittelbaren Gefahr f ü r Leib oder Leben sieht, kein rechtmäßiges Verhalten bis zur Selbstaufopferung verlangen kann. 2. Die Voraussetzungen sind im wesentlichen dieselben wie bei dem in § 52 geregelten Nötigungsnotstand. Hier wie dort muß sich der Täter oder ein naher Angehöriger in einer gegenwärtigen Gefahr f ü r Leib oder Leben befinden. Hier wie dort darf die Gefahr auf andere Weise nicht abwendbar sein. Auf die Anmerkungen I I 1 d, e und I I 2 zu § 52 wird insoweit verwiesen. I m Gegensatz zu § 52 darf der Notstand nicht verschuldet sein. B e i s p i e l : A und B treiben nach einem Schiffbruch in einem Boot im Ozean. A wird lebensmüde und wirft seine letzten Lebensmittel über Bord. Wenn er n u n wenig später seinen Entschluß bereut und seinem Leidensgenossen B dessen eiserne Kation mit Gewalt wegnimmt, so daß dieser elend umkommt, so kann A sich, wenn er schließlich gerettet wird, gegenüber dem Vorwurf des Raubs mit Todesfolge (§§ 249, 251) nicht auf § 54 berufen. §54 wird dagegen n i c h t s c h o n d a d u r c h a u s g e s c h l o s s e n , d a ß d i e G e f a h r , aus der sich der Notstand entwickelt h a t , v e r s c h u l d e t wurde (vgl. Maurach AT 400; Welzel 180). B e i s p i e l : A und B unternehmen eine riskante Bergtour, in deren Verlauf sich A nur dadurch retten kann, daß er das Seil, an dem auch B hängt, k a p p t und dadurch B zum Absturz bringt. Geht es u m die Rettung eines A n g e h ö r i g e n , so kommt es darauf an, ob d i e s e r die Notlage selbst verschuldet h a t (vgl. Welzel 180, Schönke-Schröder R n . 9). Eine unverschuldete, auf andere Weise nicht zu beseitigende Notstandslage kann auch dann vorliegen, wenn die angerufenen Behörden gegen ein tyrannisches Familienoberhaupt nicht energisch genug einschreiten (BGH NJW1966,1824). 3. Die Rettungshandlung muß objektiv g e e i g n e t und e r f o r d e r l i c h sein, um die Gefahrenlage zu beseitigen. S u b j e k t i v ist erforderlich, daß der Täter die Gefahrenlage kennt und die rechtswidrige Handlung in der Absicht vornimmt, der Gefahr zu entgehen (siehe auch § 52 Anm. I I 4 und Vorbem. AT, Abschn. B V I I 3 b, S. 27). 4. § 54 wird eingeschränkt f ü r Personen, die k r a f t ihres Berufes oder aus sonstigen Gründen eine erhöhte Gefahrtragungspflicht haben. Dies gilt insbesondere a) f ü r S o l d a t e n , die beispielsweise einen rechtmäßigen Befehl nicht mit der Begründung verweigern können, im Falle einer Ausführung des Befehls drohe ihnen Gefahr f ü r Leib oder Leben (vgl. § 6 WStG); b) f ü r S e e l e u t e , die ihre Dienstpflichten auch dann erfüllen müssen, wenn ihnen hierdurch Gefahr droht (vgl. § 29 Abs. 2—4 Seemannsgesetz vom 26. 7. 1957, BGBl. I I 713); c) f ü r P o l i z e i b e a m t e , die z.B. einen flüchtigen Verbrecher auch dann verfolgen müssen, wenn dieser bewaffnet ist ( s i n n l o s e Selbstaufopferung kann natürlich auch hier nicht verlangt werden); d) f ü r F e u e r w e h r l e u t e , Ä r z t e , Angehörige von B e r g - und S e e n o t d i e n s t e n , die durch ihre haupt- oder nebenberufliche Tätigkeit zwangsläufig gewissen Gefahren ausgesetzt sind; e) bei r e c h t m ä ß i g e n A m t s h a n d l u n g e n , gegen die Widerstand auch dann verboten ist, wenn die Amtshandlung auf einem I r r t u m beruht. So darf ein auf Grund ordnungsgemäß ergangenen Haftbefehls Inhaftierter die Beamten der H a f t anstalt auch dann nicht niederschlagen, wenn er objektiv unschuldig ist. I m Interesse der Aufrechterhaltung der Staatsordnung muß der Betroffene auch in diesen Fällen auf die gesetzlich vorgesehenen Rechtsmittel und Rechtsbehelfe verwiesen werden. Siehe hierzu ausfuhrlich § 113 Anm. 2.
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Gründe, welche die Strafe ausschließen oder mildern
§§ 55—56
5. Auftretende Irrtumsprobleme werden ebenso wie beim Nötigungsnotstand behandelt (vgl. § 62 Anm. II 4 sowie Vorbem. AT, Absehn. B VII 3d, S. 28). 6. Teilnehmer können sich gemäß § 50 Abs. 1 nur dann auf § 54 berufen, wenn dessen Voraussetzungen auch in ihrer Person gegeben sind (vgl. Vorbem. AT Abschn. B VII 3f, S. 28). Ist dies nicht der Fall, so kommt je nach Sachlage Anstiftimg oder Beihilfe in Betracht. Mittelbare Täterschaft liegt vor, wenn der Hintermann in Kenntnis aller Tatumstände und mit dem Willen zur Tatherrschaft die Notstandslage eines anderen entscheidend beeinflußt. Nutzt er dagegen eine fremde Notstandslage nur aus, ohne sie entscheidend zu beeinflussen, so kommt Anstiftung oder Beihilfe in Betracht (siehe hierzu die Beispiele in Vorbem. AT Abschn. H II 3c, S. 56). 7. Die N o t s t a n d s r e c h t e des BGB und der ü b e r g e s e t z l i c h e N o t s t a n d wurden bereits in Vorbem. II 1, 2, 3 vor § 51 erörtert.
§ 55
[Taubstumme]
(1) Ein Taubstummer ist nicht strafbar, wenn er in der geistigen Entwicklung zurückgeblieben und deshalb unfähig ist, das Unerlaubte der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln. (2) War die Fähigkeit, das Unerlaubte der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, zur Zeit der Tat aus diesem Grunde erheblich vermindert, so kann die Strafe nach den Vorschriften über die Bestrafung des Versuchs gemildert werden. 1. Abs. 1 schafft einen S c h u l d a u s s c h l i e ß u n g s g r u n d , Abs. 2 behandelt einen Fall g e m i l d e r t e r S c h u l d . 2. Als t a u b s t u m m i. S. der Vorschrift gelten nur solche Personen, die entweder bereits von Geburt an oder doch immerhin schon so früh ohne Gehör waren, daß sie die Sprache nicht erlernen konnten und deshalb in ihrer sittlichen und geistigen Entwicklung zurückgeblieben sind (vgl. RG 67, 239). 3. Sowohl Vinter den Voraussetzungen des Abs. 1 als auch des Abs. 2 kann die Unterbringung in einer H e i l - oder P f l e g e a n s t a l t angeordnet werden, wenn die öffentliche Sicherheit es erfordert (vgl. § 42b).
§ 56
[Erfolgrsqualifizierte Delikte]
Knüpft das Gesetz an eine besondere Folge der Tat eine höhere Strafe, so trifft diese den Täter nur, wenn er die Folge wenigstens fahrlässig herbeigeführt hat. 1. Begriff: Als erfolgsqualifizierte Delikte werden alle Tatbestände bezeich net, bei denen der Grundtatbestand dadurch eine Qualifizierung erfährt, daß durch seine Begehimg oder bei seiner Begehung ein weiterer, besonders straferschwerender Erfolg eintritt. Dieser qualifizierende Erfolg muß nach § 56 w e n i g s t e n s f a h r l ä s s i g herbeigeführt worden sein, d. h. die Schuld des Täters muß sich nicht nur auf die Verwirklichung des Grundtatbestands, sondern auch auf den qualifizierenden Erfolg erstrecken. B e i s p i e l : A gibt dem B eine leichte Ohrfeige, ohne zu wissen, daß B mit einem skrofulösen Augenleiden behaftet ist. Verliert B infolge des Schlages das Sehvermögen, so kommt nur eine Bestrafung wegen vorsätzlicher einfacher Körperverletzung (§ 223) in Betracht. § 224 greift nicht ein, da die schwere Folge der Tat für A nicht vorhersehbar war. Bei einigen neueingefügten erfolgsqualifizierenden Delikten muß der straferschwerende Erfolg minde-
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§ 5 6
Strafgesetzbuch
stens leichtfertig verursacht worden sein (vgl. §§ 177 Abs. 3, 178 Abs. 3, 239aAbs. 3, 239b Abs. 2, 316c Abs. 2). 2. Entgegen dem Wortlaut, aber entsprechend dem Sinn der Vorschrift gilt § 56 nicht nur f ü r den Täter, sondern auch f ü r den Teilnehmer (BGH 19, 339, 341). Auch dieser ist f ü r den schweren Erfolg nur dann verantwortlich, wenn er f ü r ihn vorhersehbar war. B e i s p i e l : A stiftet B an, X zu verprügeln. Dieser kommt gerade aus der Klinik, in der er sich einer schweren Operation unterziehen mußte, was zwar dem B, nicht jedoch dem A bekannt war. Unter den Schlägen des B brechen bei X die kaum verheilten Operationswunden wieder auf; X stirbt. Diese Folge war nach Sachlage zwar f ü r B, nicht jedoch f ü r A voraussehbar. Hieraus folgt: B ist als Täter wegen Körperverletzung mit Todesfolge (§ 226) zu bestrafen; f ü r A kommt dagegen nur Anstiftung zur Körperverletzung (§§ 223, 48) in Betracht. Umgekehrt ist gemäß § 50 Abs. 1 der Teilnehmer auch dann wegen des erfolgsqualifizierten Delikts zu bestrafen, wenn die schwere Tatfolge zwar f ü r ihn, nicht aber f ü r den Täter vorhersehbar war. Dies wäre in dem oben angeführten Beispiel dann der Fall, wenn zwar A, nicht aber B gewußt h a t , daß X gerade nach schwerer Krankheit aus dem Krankenhaus entlassen wurde. (Hat A die näheren Umstände nicht n u r gekannt, sondern auch den schweren Erfolg, nämlich den Tod des X, gewollt und deshalb den nichtsahnenden B zur T a t verleitet, so kommt f ü r ihn vorsätzliche Tötung in mittelbarer Täterschaft in Betracht, während B sich nur wegen einfacher Körperverletzung zu verantworten hat.) 3. Übersicht über die erfolgsqualifizierten Delikte: Die bekanntesten sind Körperverletzung mit Todesfolge (§ 226), schwere Körperverletzung (§§ 224, 225), Vergewaltigung mit Todesfolge (§ 177 Abs. 3), Freiheitsberaubung mit Todesfolge (§ 239 Abs. 3) und Raub mit Todesfolge (§ 251). Siehe ferner §§ 178 Abs. 3, 221 Abs. 3, 229 Abs. 2, 239 Abs. 2 u n d 3, 239a Abs. 3, 239b Abs. 2, 307 Nr. 1, 309, 312, 314, 316c Abs. 2, 321 Abs. 2, 324, 326, 327 Abs. 2, 328 Abs. 2, 340 Abs. 2. 4. Konkurrenzen: Da § 56 hinsichtlich des schweren Erfolgs mindestens Fahrlässigkeit voraussetzt, wird die f a h r l ä s s i g e T ö t u n g durch die erfolgsqualifiziert e n Delikte immer k o n s u m i e r t . Idealkonkurrenz kommt entgegen BGH 20, 269 u n d der h. L. im Schrifttum nie in Betracht, da bereits das erfolgsqualifizierte Delikt in der Lage ist, den Unrechtsgehalt der T a t objektiv wie subjektiv voll zu erfassen (BGH 8, 54; Dreher § 56 Anm. 2, siehe auch Vorbem. AT, Abschn. J I I I 2b, S. 74f.). Anders bei v o r s ä t z l i c h e r T ö t u n g : Hier kann weder eine Bestrafung nach dem erfolgsqualifizierten Delikt noch eine Bestrafung wegen Mords oder Totschlags den Unrechtsgehalt der T a t voll erfassen. Beide Delikte stehen daher in Idealkonkurrenz. B e i s p i e l : Bei einem Kaub schlägt der Täter solange auf sein sich heftig zur Wehr setzendes Opfer ein, bis dieses tot zusammenbricht. Hier bestehen keine Bedenken, bei der Verurteilung sowohl auf § 211 als auch auf § 251 zurückzugreifen, wenn der Täter den Tod seines Opfers als sichere oder mögliche Tatfolge in Kauf genommen h a t (BGH 9, 135; 19, 102; N J W 1965, 2116). N u r w e g e n v o r s ä t z l i c h e r T ö t u n g ist jedoch zu bestrafen, wenn schon der Grundtatbestand des erfolgsqualifizierten Delikts infolge Gesetzeskonkurrenz mit dem Tötungsdelikt nicht in Idealkonkurrenz stehen könnte. Dies ist der Fall bei der Körperverletzung mit Todesfolge (§ 226), bei der Aussetzung mit Todesfolge (§ 221 Abs. 3) und bei der Giftbeibringung m i t Todesfolge (§ 229 Abs. 2). I n diesen Fällen kommt bei Vorliegen von Tötungsvorsatz infolge Subsidiarität schon der jeweilige Grundtatbestand (§§ 223, 221 Abs. 1,229 Abs. 1) nicht in Betracht. 5. Aus dem neueren Schrifttum siehe Fuchs N J W 1966, 868, Widmann M D B 1966, 554, sowie Hruschka GA 1967, 42.
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Gründe, welche die Strafe ausschließen oder mildern §§57,58
§
59
[weggefallen]
§ 59 [Taibestandsirrtum] (1) Wenn jemand bei Begehung einer strafbaren Handlung das Vorhandensein von Tatumständen nicht kannte, welche zum gesetzlichen Tatbestand gehören oder die Strafbarkeit erhöhen, so sind ihm diese Umstände nicht zuzurechnen. (2) Bei der Bestrafung fahrlässig begangener Handlungen gilt diese Bestimmung nur insoweit, als die Unkenntnis selbst nicht durch Fahrlässigkeit verschuldet ist. 1. Vorsatzausschließend ist nur der Tatbestandsirrtum i.e.S., d.h. der I r r t u m über solche Merkmale, die den Unrechtsgehalt des jeweiligen Tatbestands bestimmen (sog. Unrechtstatbestand, vgl. Dreher I I F l c ; Lackner-Maassen I I I 3 b, bb). a) Beispiele: Der Vorsatz entfällt, wenn jemand eine fremde Sache zerstört in der irrigen Annahme, die Sache gehöre ihm selbst ( = I r r t u m über das Tb.-Merkmal fremd). — Oder: Der kurzsichtige Jäger A schießt bei einer Jagd auf den leichtsinnig in sein Schußfeld geratenen Jagdgast X, den er in der Dämmerung für ein aufgescheuchtes Wildschwein hält ( = Irrtum über das Tb.-Merkmal Mensch). — Oder: A verkauft einen Fernsehapparat, der ohne sein Wissen vom Gerichtsvollzieher wegen einer Forderung gegen seine Ehefrau gepfändet worden war ( = Irrtum über das Tb.-Merkmal Pfändung in § 137). b) Bei den sogenannten normativen Tatbestandsmerkmalen, d . h . Tatbestandsmerkmalen, die ihre eigentliche Bedeutung erst durch eine rechtliche Wertung erhalten, genügt es, daß der Täter die Tatumstände kennt, die der Wertung zugrundeliegen, und daß er die Bedeutung dieser Tatumstände im Rechtsleben — wenngleich laienhaft — kennt (sogenannte P a r a l l e l w e r t u n g i n d e r L a i e n s p h ä r e ) . Wer beispielsweise eine Fahrkarte der Bundesbahn verfälscht, kann den Vorwurf der Urkundenfälschung nicht dadurch entkräften, daß er zu seiner Verteidigung vorbringt, er habe geglaubt, die Fahrkarte sei keine Urkunde. Hier genügt es, daß der Täter weiß, daß die Fahrkarte geeignet und bestimmt ist, rechtserhebliche Tatsachen (Fahrtstrecke, Gültigkeitsdauer usw.) zu beweisen. Ist dies der Fall, so liegt kein vorsatzausschließender Tatbestandsirrtum, sondern ein unbeachtlicher S u b s u m t i o n s i r r t u m vor. c) Liegt ein Tatbestandsirrtum i.e.S. vor, so entfällt der Vorsatz ohne Rücksicht darauf, ob der Irrtum f ü r den Täter vermeidbar war oder nicht. War der I r r t u m v e r m e i d b a r , so kommt Bestrafung wegen fahrlässiger Begehung in Betracht, sofern diese bei dem in Frage stehenden Tatbestand mit Strafe bedroht ist (vgl. § 59 Abs. 2). Kann dem Täter auch keine Fahrlässigkeit zur Last gelegt werden oder ist die fahrlässige Tatbegehimg nicht mit Strafe bedroht, so ist eine strafbare Handlung überhaupt nicht gegeben. 2. Bestritten ist die Behandlung des Irrtums über die tatsächlichen Voraussetzungen eines Rechtfertigungsgrunds. B e i s p i e l e : A schießt auf B in der irrigen Annahme, dieser greife ihn mit einem Messer bedrohlich an (Fall der Putativnotwehr). — Oder: A hilft seinem Freund F beim Räumen seines Zimmers und wirft dabei verschiedene Sachen in die Mülltonne, wobei er irrig davon ausgeht, F habe ihm dazu den Auftrag gegeben ( = Irrtum über das Vorliegen einer rechtfertigenden Einwilligung). I n Fällen dieser Art ist zunächst festzustellen, daß der Täter über die Rechtswidrigkeit seines Verhaltens irrt und sich damit in einem Verbotsirrtum befindet. Für die Einordnung eines Irrtums als Verbotsirrtum macht es keinen 14 Peters-Prelaendanz, StGB, 28. Aufl.
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Unterschied, aus welchen Gründen er sein Verhalten f ü r erlaubt hält. Das Unrechtsbewußtsein fehlt ihm nicht nur, wenn er die Verbotsnorm, gegen die er verstößt, nicht kennt, sondern auch dann, wenn er die Verbotsnorm zwar kennt, aber irrig glaubt, sich auf einen Rechtfertigungsgrund berufen zu können. Bezieht sich der I r r t u m auf einen Rechtfertigungsgrund, so macht es wiederum keinen Unterschied, ob sich der Täter über Art und Umfang oder über die tatsächlichen Voraussetzungen des Rechtfertigungsgrunds irrt (vgl. Lackner-Maassen I I I 3 b, b b ; Backmann J u S 1972, 452). Dieser Ausgangspunkt ist heute im wesentlichen gesichert. Bestritten ist nur die rechtliche Behandlung des Verbotsirrtums, insbesondere des hier in Frage stehenden Irrtums über die tatsächlichen Voraussetzungen eines Rechtfertigungsgrunds. a) Nach Ansicht des Reichsgerichts war ein Verbotsirrtum des Täters grundsächlich unbeachtlich (error iuris nocet). Weder zur Annahme des Vorsatzes noch zur Begründung der Schuld hielt es das R G für erforderlich, daß der Täter das Bewußtsein der Rechtswidrigkeit hatte oder wenigstens hätte haben können. In enger Anlehnung an den Wortlaut des § 59 wurde grundsätzlich nur der I r r t u m ü b e r T a t u m s t ä n d e als beachtlich angesehen, und zwar ohne Rücksicht darauf, ob sich der I r r t u m auf den sog. Unrechtstatbestand (s.o. 1) oder auf solche Tatumstände erstreckte, bei deren Vorliegen die Rechtswidrigkeit oder die Schuld entfallen wäre. Sämtliche Formen des Tatirrtums •— und damit auch der hier in Frage stehende I r r t u m über die tatsächlichen Voraussetzungen eines Rechtfertigungsgrunds •— wurden gemäß § 59 als vorsatzausschließender Tatbestandsirrtum behandelt. Der R e c h t s i r r t u m war demgegenüber grundsätzlich unbeachtlich. E r wurde nur dann einem vorsatzausschließenden Tatbestandsirrtum gleichgestellt, wenn er sich auf sog. außerstrafrechtliche Rechtsbegriffe oder Rechtssätze (Normen) bezog. Als „außerstrafrechtlich" galten solche Begriffe und Normen, die das Strafrecht aus anderen Rechtsgebieten, insbesondere aus dem Zivilrecht, unselbständig übernommen hatte. Zur Gruppe des vorsatzausschließenden außerstrafrechtlichen Irrtums gehörte z.B. Fremdheit der Sache bei den Eigentumsdelikten (vgl. RG 42, 44). Zusammenfassend siehe Härtung, Der Rechtsirrtum in der Rechtsprechung des Reichsgerichts, DRZ 1949, 342. b) Nach der sog. Vorsatztheorie, die in Frontstellung zu der mit dem Schuldprinzip unvereinbaren Rspr. des RG entstanden ist (vgl. Lackner-Maassen I I 5 b) und deren Anliegen es ist, das vom RG unbeachtet gebliebene Unrechtsbewußtsein in den Verbrechensaufbau einzubeziehen, ist das U n r e c h t s b e w u ß t s e i n B e s t a n d t e i l d e s V o r s a t z e s . Vorsätzlich handelt nur, wer sich der Rechtswidrigkeit seines Verhaltens bewußt ist. Nur der „dolus malus" zieht eine Bestrafung wegen vorsätzlicher Tatbegehung nach sich. Fehlt das Unrechtsbewußtsein, so kommt lediglich Bestrafung wegen fahrlässiger Tatbegehung in Betracht, sofern der I r r t u m auf Fahrlässigkeit beruhte und die fahrlässige Tatbegehung mit Strafe bedroht ist (vgl. § 59 Abs. 2). aa) Nach der sog. strengen Vorsatztheorie, die früher vor allem von Binding (Normen I I I [1908] 289), Nagler (LK 6. Aufl. [1944] S. 379f., 482ff.) und Mezger (Lehrbuch, 1. Aufl. 1931, S. 331) vertreten wurde, sich aber auch noch im neueren Schrifttum findet (vgl. z.B. Schröder MDR 1950, 646; 1951, 387; 1953, 70; ZStW 65, 178; Schönke-Schröder § 59 R n . 76ff.; Lang-Hinrichsen J R 1952, 184, 302, 356; J Z 1953, 362; GA 1957, 225; ZStW 63, 332; Sauer ZStW 69, 11; Baumann 225 sowie Schmidhäuser 327) macht es für die rechtliche Beurteilung des Verbotsirrtums keinen Unterschied, aus welchem Grund das Unrechtsbewußtsein gefehlt hat. Nur das aktuelle Unrechtsbewußtsein begründet den Vorsatz. bb) Nach der sog. eingeschränkten Vorsatztheorie (vgl. Mezger N J W 1951, 500; 1953, 2; L K 8. Aufl. 1957 § 59 Anm. 17b; Nowakowski ZStW 65, 383) kann sich der Täter dagegen nicht auf einen vorsatzausschließenden Tatbestandsirrtum berufen,
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wenn ihm das Unrechtsbewußt.sein aufgrund einer reehtsfeindlichen oder rechtsblinden Einstellung zur Rechtsordnung gefehlt hat. I n diesen Fällen genügt das sog. potentielle Unrechtsbewußtsein, d.h. der Täter wird so behandelt, wie wenn er das Unrechtsbewußtsein gehabt hätte. (Zum Ganzen siehe auch Schmidhäuser in Mayer-Festschrift S. 317.) Bei dem hier in Frage stehenden I r r t u m über die tatsächlichen Voraussetzungen eines Rechtfertigungsgrunds kämen beide Formen der Vorsatztheorie zu dem Ergebnis, daß der Täter nicht vorsätzlich gehandelt h a t und deshalb allenfalls wegen fahrlässiger Tatbegehung bestraft werden kann, sofern diese mit Strafe bedroht ist (z.B. im ersten der beiden eingangs genannten Beispiele) und der I r r t u m auf Fahrlässigkeit beruhte. c) Beide Formen der unter b) dargestellten Vorsatztheorie konnten sich — abgesehen von den gegen sie dogmatisch erhobenen Bedenken (vgl. Welzel 161 ff., Maurach 458ff.) — in der Praxis schon deshalb nicht durchsetzen, weil sie überall dort zu kriminalpolitisch untragbaren Ergebnissen führten, wo der Täter „rechtsfahrlässig" (und damit vorwerfbar) ohne Unrechtsbewußtsein gehandelt h a t und deshalb nicht wegen vorsätzlicher Tatbegehung bestraft werden kann, andererseits aber auch nicht wegen fahrlässiger Tatbegehung bestraft werden kann, weil diese nur bei wenigen Tatbeständen mit Strafe bedroht ist. Der Bundesgerichtshof hat sich deshalb bereits früh in seiner Grundsatzentscheidung vom 18. 3. 1952 (BGH [GrSen] 2, 194) auf den Boden der sog. Schuldtheorie gestellt. Anliegen der Schuldtheorie ist es, in Abkehr von der Rspr. des RG das Unrechtsbewußtsein als grundsätzlich beachtliches Verbrechenselement zu berücksichtigen, aber nicht als Bestandteil des Vorsatzes, sondern als selbständiges Schuldelement. Vorsatz und Unrechtsbewußtsein sind streng zu trennen, und zwar ohne Rücksicht darauf, ob man den Vorsatz in Übereinstimmung mit dem herkömmlichen Verbrechensaufbau als Schuldelement oder im Anschluß an die Erkenntnisse der finalen Handlungslehre (siehe hierzu Vorbem. AT, Abschn. B V 3, S. 18) als subj. Tb.-Merkmal behandelt. I m Gegensatz zur Vorsatztheorie wird der Schuldvorwurf andererseits nicht erst dadurch begründet, daß der vorsätzlich handelnde Täter sich der Rechtswidrigkeit seines Verhaltens aktuell bewußt war; entscheidend ist allein, d a ß er unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls aufgrund seiner persönlichen Kenntnisse und intellektuellen Fähigkeiten bei der ihm möglichen u n d zumutbaren Gewissensanspannung in der Lage gewesen wäre, die Rechtswidrigkeit seines Verhaltens zu erkennen (sog. potentielles Unrechtsbewußtsein, vgl. B G H 2, 194, 200; 4, 1, 236). War der Verbotsirrtum unter Anwendung dieser Maßstäbe unvermeidbar, so entfällt die Schuld; war der I r r t u m dagegen in vorwerf barer ( = schuldhafter) Weise vermeidbar, so bleibt die Schuld bestehen, die Strafe kann jedoch in analoger Anwendung von § 51 Abs. 2 nach Versuchsgrundsätzen gemildert werden (vgl. BGH 2, 194, 209) sowie Vorbem. AT, Abschn. B V I I 2 c, S. 26). aa) Nach der sog. strengen Schuldtheorie (im Schrifttum vertreten u.a. von Eb. Schmidt SJZ 1948, 574; 1950, 835; MDR 1950, 691; Bockelmann N J W 1950, 830; H ä r t u n g N J W 1951, 210; Warda J R 1950, 549; Heitzer N J W 1953, 210; Maurach AT 454ff., 468ff.; Welzel 164ff.) gelten die vorstehend entwickelten Grundsätze über die Behandlung des Verbotsirrtums ohne Rücksicht auf dessen Art und Ursache. Insbesondere wird auch der hier in Frage stehende I r r t u m über die tatsächlichen Voraussetzungen eines Rechtfertigungsgrunds nach diesen Grundsätzen behandelt. Wer z.B. in vermeintlicher Notwehr (Putativnotwehr) einen anderen tötet oder verletzt, handelt auf jeden Fall vorsätzlich. War der I r r t u m unvermeidbar, so entfällt jedoch die Schuld; war der I r r t u m in vorwerf barer Weise vermeidbar, so bleibt die Schuld bestehen, die für die Vorsatztat (§§ 212, 223ff.) angedrohte Strafe kann jedoch nach Versuchsgrundsätzen gemildert werden. § 59 ist dagegen weder direkt noch analog anwendbar. 14*
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bb) I m Gegensatz zur strengen Schuldtheorie räumt die sog. eingeschränkte Schuldtheorie — allerdings mit unterschiedlicher Begründung — dem I r r t u m über die tatsächlichen Voraussetzungen eines Rechtfertigungsgrunds eine Sonderstellung ein, die dazu führt, daß § 69 entweder direkt oder analog Anwendung findet. a) Der BGH erzielt dieses Ergebnis dadurch, daß er in Fortführung der Rspr. des R G jeden Tatirrtum und damit auch den I r r t u m über die tatsächlichen Voraussetzungen eines Rechtfertigungsgrunds der Regelung des § 59 unterstellt, ohne sich dabei allerdings klar zu entscheiden, ob in diesen Fällen bereits der Vorsatz entfällt oder ob der Täter nur in den Rechtsfolgen einem vorsatzlos handelnden Täter gleichzustellen ist (vgl. B G H 2, 211; 3, 105, 194, 271f.). Der Gesetzestext selbst läßt beide Möglichkeiten offen. I m Schrifttum wird die Rspr. des B G H allerdings überwiegend dahin interpretiert, daß in diesen Fällen der Vorsatz entfällt. ß) Zu gleichen Ergebnissen kommt die sog. Lehre von den negativen Tatbestandsmerkmalen (begründet von Ad. Merkel, Lehrbuch 1889 S. 82; fortgeführt von F r a n k ZStW 14, 363; neuerdings wieder aufgenommen von Arthur K a u f m a n n J Z 1954, 653; J Z 1956, 353; ZStW 76, 543; Roxin ZStW 76, 582). Diese Lehre geht davon aus, daß sich der Vorsatz auf alle Merkmale beziehen muß, die den materiellen Unrechtsgehalt der T a t begründen. Hierher gehören nicht nur die unrechtsbegründenden Merkmale des jeweiligen Tatbestands, sondern auch die sog. negativen Tatbestandsmerkmale, d . h . alle rechtfertigenden Elemente, bei deren Vorliegen von einem tatbestandsmäßigen Unrecht nicht gesprochen werden kann. Nach der Lehre von den negativen Tatbestandsmerkmalen ist die Rechtswidrigkeit zwar kein positives Tatbestandsmerkmal, auf das sich der Vorsatz beziehen muß (hier zeigt sich der Unterschied gegenüber der Vorsatztheorie), ihr Mangel jedoch ein negatives. Eine derartige Verflechtung von Tatbestandsmäßigkeit und Rechtswidrigkeit ist jedoch n u r auf der Grundlage eines zweiteiligen Verbrechensaufbaus möglich. E r verbietet sich dagegen auf der Grundlage eines dreistufigen Verbrechensaufbaus, der Tatbestandsmäßigkeit, Rechtswidrigkeit und Schuld streng trennt und den Vorsatz als subj. Tb.-Merkmal versteht, das aufbaumäßig vor der Rechtswidrigkeit zu prüfen ist. Nach dem dreistufigen Verbrechensaufbau schließen die Rechtfertigungsgründe nicht die Tatbestandsmäßigkeit, sondern die Rechtswidrigkeit aus. Demnach ist der I r r t u m über das Vorliegen eines Rechtfertigungsgrunds auch kein Tb.-Irrtum, sondern ein Verbotsirrtum (vgl. Welzel S. 169). Zur Kritik der Lehre von den negativen Tatbestandsmerkmalen siehe insbesondere auch Armin K a u f m a n n J Z 1955, 37; Eb. Schmidt ZStW 67, 437; Welzel J Z 1952, 596; ZStW 67, 197, 209; Gallas ZStW 67, 1 sowie Hirsch, Die Lehre von den negativen Tatbestandsmerkmalen, 1960. y) Mit dem hier vertretenen Verbrechensaufbau zwanglos in Einklang bringen läßt sich eine in den letzten Jahren immer mehr im Vordringen begriffene Auffassung, die zu weitgehend gleichen Ergebnissen f ü h r t wie die Lehre von den negativen Tatbestandsmerkmalen, sich von dieser jedoch in der Begründung wesentlich unterscheidet. Nach dieser im Schrifttum vor allem von Jescheck (347ff.), Dreher (F 1 c), Lackner-Maassen (III 3 b, bb), Gallas (ZStW 67, 1, 29) und Krümpelmann (GA 1968, 129) vertretenen Auffassung, die man als Lehre vom Erlaubnistatbestand bezeichnen könnte, schließt der I r r t u m über die tatsächlichen Voraussetzungen eines Rechtfertigungsgrunds zwar nicht den Vorsatz aus; er ist jedoch in seinen R e c h t s f o l g e n einem vorsatzausschließenden Tatbestandsirrtum gleichzustellen. Vorsatzausschließend ist nur der I r r t u m über den sog. Unrechtstatbestand, d.h. der I r r t u m über die unrechtstypisierenden Merkmale des jeweiligen Tatbestands (s.o. 1). Der I r r t u m über rechtfertigende Tatumstände, die den sog. Erlaubnistatbestand begründen, kann schon deshalb kein vorsatzausschließender Tatbestandsirrtum sein, weil er sich nicht auf den Tatbestand, sondern auf die Rechtswidrigkeit bezieht (vgl. Welzel 169); er h a t mit dem Irrtum über den Unrechtstatbestand je-
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doch gemeinsam, daß in beiden Fällen der Handlungsunwert hinter dem Erfolgsunwert zurückbleibt. I n beiden Fällen irrt der Täter über Merkmale, die den materiellen Unrechtsgehalt begründen; er verkennt die Situation, aus der sich die Rechtswidrigkeit seines Verhaltens ergibt. Diese gemeinsame Grundlage läßt es geboten erscheinen, den I r r t u m über den Erlaubnistatbestand in seinen Rechtsfolgen dem I r r t u m über den Unrechtstatbestand gleichzustellen und wie diesen dem Anwendungsbereich des § 59 zu unterstellen. E s entfällt aber, um dies nochmals klarzustellen, nicht der Vorsatz, sondern nur die Vorsatzstrafe. Insoweit unterscheidet sich der hier vertretene Standpunkt von der Lehre von den negativen Tatbestandsmerkmalen, die bei sonst sachlich übereinstimmenden Ergebnissen davon ausgeht, daß der I r r t u m über den Erlaubnistatbestand ebenso wie der I r r t u m über den Unrechtstatbestand bereits den Vorsatz ausschließt. Die Frage, ob der I r r t u m über den Erlaubnistatbestand den Vorsatz oder nur die Vorsatzstrafe ausschließt, ist nicht nur rein theoretischer Natur. Die praktische Bedeutung des Unterschieds besteht darin, daß im einen Fall bereits der subj. Tb. entfällt, im anderen Fall dagegen erst die Schuld. Hieraus wiederum ergeben sich wesentliche Folgerungen f ü r die Behandlung von Teilnehmern, die sich ihrerseits nicht in einem strafrechtlich relevanten I r r t u m befinden. Nach der hier vertretenen Auffassung ist strafbare Teilnahme an einer Tat, bei der sich der Täter in einem I r r t u m über den Erlaubnistatbestand befindet, ohne weiteres möglich (vgl. Dreher F 1 c). Unabhängig von der rechtlichen Wirkung des I r r t u m s über den Erlaubnistatbestand ist die Frage der T e r m i n o l o g i e . Unterstellt m a n den I r r t u m über den Erlaubnistatbestand in seinen Rechtsfolgen dem § 69, so bestehen keine durchgreifenden Bedenken, ihn ebenso wie den I r r t u m über den Unrechtstatbestand als Tatbestandsirrtum zu bezeichnen. Der Begriff Tatbestandsirrtum wäre somit Qberbegriff f ü r den I r r t u m über den Unrechtstatbestand und den I r r t u m über den Erlaubnistatbestand, und zwar ohne Rücksicht darauf, daß bei diesem der Vorsatz, bei jenem nur die Vorsatzstrafe entfällt. Zum Ganzen siehe auch Dreher, Der I r r t u m über Rechtfertigungsgründe, Heinitz-Festschr. S. 207. S) War der Irrtum über den Erlaubnistatbestand verschuldet, so erfolgt nach allen Formen der eingeschränkten Schuldtheorie Bestrafung wegen fahrlässiger Tatbegehung, sofern diese im Einzelfall mit Strafe bedroht ist. Der gegen den Täter zu erhebende Schuldvorwurf besteht in diesem Fall darin, daß er fahrlässig einen folgenschweren I r r t u m h a t aufkommen lassen. d) Das 2. StrRG (abgedruckt in Anh. 8) h a t sich in § 17 ausdrücklich zur Schuldtheorie bekannt. Dies ergibt sich aus § 17 S. 2, wonach bei einem verschuldeten (vermeidbaren) Verbotsirrtum die f ü r das Vorsatzdelikt angedrohte Strafe gemildert werden kann, während nach der Vorsatztheorie nur eine Bestrafung wegen fahrlässiger Tatbegehimg in Betracht kommen könnte. Die Vorsatztheorie wird deshalb nach Inkrafttreten des 2. StrRG nur noch historische Bedeutung haben. Vom Gesetzgeber leider nicht entschieden wurde der Streit zwischen der strengen und der eingeschränkten Schuldtheorie. Die ursprünglich in § 20 E 1962 vorgesehene Fassung, die klar zugunsten der eingeschränkten Schuldtheorie ausgefallen war, wurde bewußt nicht übernommen, um die Entscheidung, ob es sich bei dem I r r t u m über die Voraussetzungen eines Rechtfertigungsgrunds um einen Tatbestandsoder Verbotsirrtum oder um einen I r r t u m eigener Art handelt, wie bisher der Rspr. und Lehre zu überlassen (vgl. Zweiter Schriftlicher Bericht des Sonderausschusses f ü r die Strafrechtsreform, S. 9 der BT-Drucksache V/4095). Der Praktiker h a t damit vom Gesetzgeber — einmal mehr — Steine statt Brot erhalten. 3. Der Irrtum über die tatsächlichen Voraussetzungen eines Schuldausschließungsgrunds berührt weder den Vorsatz noch das Unrechtsbewußtsein (vgl. SchönkeSchröder 130, Lackner-Maassen I I I 3d, Dreher I I F 2, Mezger-Blei AT 212f.). Der Täter kennt alle unrechtstypisierenden Tatbestandsmerkmale und will auch ihre
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Verwirklichung. E s handelt damit vorsätzlich. E r weiß auch, daß er gegen eine Verbotsnonn verstößt und kann sich daher nicht auf fehlendes Unrechtsbewußtsein berufen. Andererseits kann der Irrtum nicht schlechthin als unbeachtlich behandelt werden. Der Täter, der sich nur irrtümlich in einer Notstandslage wähnt, befindet sieh psychologisch in der gleichen Situation, wie wenn er sich tatsächlich in einer Notstandslage befinden würde. Ein Teil des Schrifttums (z.B. SchönkeSchröder 130f.) behandelt daher in Übereinstimmung mit dem Bundesgerichtshof (BGH 5, 371, 374; 18, 311f.) den Irrtum über die tatsächlichen Voraussetzungen eines Schuldausschließungsgrundes wie einen Irrtum über die tatsächlichen Voraussetzungen eines Rechtfertigungsgrundes. Bei Zugrundelegung dieser Ansicht kommt gemäß § 59 allenfalls Bestrafung wegen fahrlässiger Tatbegehung in Betracht, soweit diese unter Strafe gestellt ist und dem Täter Fahrlässigkeit zur Last gelegt werden kann. Demgegenüber gehen Welzel (182), Mezger-Blei (AT 212), Maurach (AT 393, 480), Dreher (§ 54 Anm. 6) und Lackner-Maaesen (§ 59 Anm. I I I 3 d), in sachlicher Übereinstimmung mit dem Entwurf 1962 (§ 40 Abs. 2) und dem 2. S t r R G (§ 35 Abs. 2) davon aus, daß es sich bei dem Irrtum über die tatsächlichen Voraussetzungen eines Schuldausschließungsgrundes nicht um einen Quasi-Tatbestandsirrtum, sondern um einen Quasi-Verbotsirrtum handelt. Folgt man dieser Ansicht, so ist der Täter so zu stellen, als ob er sich in einem Verbotsirrtum befunden hätte. Der Schuldvorwurf entfällt also nur, wenn der Irrtum unvermeidbar war. War der Irrtum vermeidbar, so kann die für die vorsätzliche Tatbegehung vorgesehene Strafe wie beim Verbotsirrtum analog § 51 Abs. 2 nach Versuchsgrundsätzen gemildert werden. Die letztgenannte Ansicht verdient den Vorzug. Sie verhindert, daß wesensmäßig verschiedene Probleme willkürlich gleich behandelt werden. Wie auch in der Begründung des Entwurfs 1962 klar zum Ausdruck kommt, muß es nicht nur in der Begründung, sondern auch im Ergebnis für den Schuldvorwurf einen Unterschied machen, ob die Sachlage, die sich der irrende Täter vorstellt, seine T a t rechtfertigen oder entschuldigen würde. Für die hier vertretene Ansicht spricht schließlich auch wieder der Vergleich mit dem umgekehrten Fall: Begeht jemand eine tatbestandsmäßige und rechtswidrige T a t , ohne zu wissen, daß er sich in einer Notstandslage befindet, aus der er sich nur durch diese T a t retten kann, so ist er — anders als bei Unkenntnis objektiv vorliegender Rechtfertigungselemente — nicht nur wegen versuchter, sondern wegen vollendeter Tatbegehung zu bestrafen. 4. Die gesetzliche Regelung des § 59 gilt n i c h t n u r f ü r s t r a f b e g r ü n d e n d e , s o n d e r n a u c h f ü r straferhöhende Umstände. B e i s p i e l : Wer seinen Vater mißhandelt, ohne zu wissen, daß es sein Vater ist (z.B. infolge Verwechslung in der Dunkelheit), kann nicht nach § 223 Abs. 2, sondern nur wegen eines Vergehens nach § 223 Abs. 1 bestraft werden. 5. Der Irrtum über den Kausalverlauf ist dann beachtlich, wenn der tatsächliche Geschehnisablauf von der Vorstellung des Täters so sehr abweicht, daß er von diesem nicht mehr beherrscht wird und ihm daher auch nicht zugerechnet werden kann. Dies gilt insbesondere für die sog. atypischen Geschehnisabläufe. B e i s p i e l : A schießt mit Tötungsvorsatz auf X , verletzt diesen aber nur leicht am Arm. Wenn B dann anschließend auf dem Weg zum Arzt bei einem Verkehrsunfall ums Leben kommt, so handelt es sich insoweit um eine wesentliche Abweichung des tatsächlichen vom vorgestellten Geschehnisablauf, die vom Vorsatz des A nicht umfaßt war. A ist demnach nur wegen versuchter vorsätzlicher Tötung zu bestrafen. (Weitere Einzelheiten und Beispiele siehe Vorbem. AT, Abschn. B I V 4, S. 16). a) Unwesentliche Abweichungen des tatsächlichen Geschehnisablaufs gegenüber dem vorgestellten Geschehnisablauf sind rechtlich ohne Bedeutimg; sie schließen den Vorsatz nicht aus. Der Vorsatz muß sich zwar auf den ganzen Geschehnisablauf erstrecken; da aber alle Einzelheiten dieses Ablaufs erfahrungs-
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gemäß nicht immer voraussehbar sind, können unwesentliche Abweichungen den Täter nicht entlasten. Unwesentlich sind alle Abweichungen, die sich in den Grenzen der allgemeinen Lebenserfahrung halten, d.h. im Kähmen adäquater Kausalität liegen (vgl. BGH 23, 135; Welzel 73). B e i s p i e l : A stürzt den X mit Tötungsvorsatz über das Geländer einer Brücke in einen Fluß. Wenn X entgegen der Vorstellung des A bereits vor Erreichen der Wasseroberfläche auf einen Brückenpfeiler aufschlägt und sich hierbei tödliche Verletzungen zuzieht, so kann A sich nicht mit vorsatzausschließender Wirkung darauf berufen, der Tod sei entgegen seiner Vorstellung nicht durch Ertrinken, sondern durch ein „atypisches Ereignis" eingetreten. W e i t e r e B e i s p i e l e aus der Rspr. des BGH zu §§ 211ff.: keine wesentliche Abweichung, wenn der Täter durch die ersten, noch im Zustand der Zurechnungsfähigkeit gegen das Opfer geführten Hammerschläge in einen die Zurechnungsfähigkeit ausschließenden Blutrausch gerät (BGH 7, 325). Dem gleich steht der Fall, daß der Täter schon bei Beginn des Zustechens oder Zuschlagens in eine seine Zurechnungsfähigkeit ausschließende Affektamnesie gerät, die sich aus seinem vorausgegangenen Verhalten entwickelt hat und nicht durch äußere, von seiner Persönlichkeit unabhängige Einflüsse ausgelöst worden ist. Daß der Täter diese Beeinträchtigung seiner Zurechnungsfähigkeit bei Beginn der Tatausführung vorausgesehen hat oder zumindest hätte voraussehen können (so die sog. actio libera in causa, vgl. § 51 Anm. 3), ist in Fällen dieser Art nicht erforderlich; es genügt vielmehr, daß er im Versuchsstadium noch zurechnungsfähig war und das weitere Geschehen „adäquat" verlaufen ist (BGH 23, 133, 136). V e r n e i n t wurde eine adäquate Verursachung in folgendem Fall (BGH GA 1956, 26): A wollte seine Ehefrau auf deren Verlangen durch Pistolenschüsse töten. Als diese ohne tödliche Wirkung blieben und A sich schon im Zustand der Zurechnungsunfähigkeit befand, tötete er seine Frau auf deren inständiges Bitten (!?) auf andere Weise, nämlich durch Hammerschläge auf den Kopf sowie durch Messerstiche ins Herz und in die Kehle. In diesem Fall kann die Bestrafung nur wegen eines versuchten Vergehens gemäß § 216 erfolgen. Nicht einmal Versuch liegt vor, wenn die Tat zwar noch im Zustand der Zurechnungsfähigkeit geplant und vorbereitet wird, der Täter aber bereits vor der eigentlichen Tatausführung in einen seine Zurechnungsfähigkeit ausschließenden Zustand gerät und die Tat dann in diesem Zustand begeht. Hier liegt — von dem Fall der actio libera in causa abgesehen — eine strafbare Handlung überhaupt nicht vor; in Betracht kommt lediglich eine Unterbringung in einer Heil- oder Pflegeanstalt gemäß § 42 b (vgl. BGH 23, 356). b) Eine besondere Erscheinungsform des Irrtums über den Kausalverlauf stellen die Fälle dar, in denen der Täter den Erfolg nicht schon durch die zu diesem Zweck vorgenommene Handlung, sondern dadurch erreicht, daß er in der irrigen Annahme, der erstrebte Zweck sei bereits erreicht, eine weitere, anderen Zwecken dienende Handlung vornimmt. Die Problematik dieser unter dem unklaren und rechtsgeschichtlich überholten Begriff des dolus generalis bekannten Fälle besteht darin, daß die entscheidende, den Erfolg auslösende Handlung nicht mehr vom Vorsatz des Täters getragen wird. B e i s p i e l : A würgt den X mit Tötungsvorsatz so lange, bis X bewußtlos zusammenbricht. Anschließend hängt er, um einen Selbstmord vorzutäuschen, den vermeintlichen Toten am Fensterkreuz auf. Die nach Auffindung der Leiche durchgeführte Sektion (siehe hierzu §§ 87, 169 StPO) ergibt, daß X entgegen der Vorstellung des A nicht schon durch das Würgen, sondern erst durch das — von A ursprünglich gar nicht beabsichtigte — Aufhängen gestorben ist. Die Behandlung dieser Fälle ist sehr bestritten. Während die Rspr. (vgl. R G 67r 258; OGH BZ 1, 75; BGH MDR 1952, 16; 7, 329; 14, 193) sowie die h.L. im Schrifttum (vgl. Jescheck 211; Schönke-Schröder 26; Dreher I I D 2; Lackner-Maassen I I 2a; Mayer JZ 1956, 110) eine unwesentliche Abweichung des tatsächlichen vom vorgestellten Kausalverlauf und demzufolge vollendete Tötung annehmen, liegt nach einer im
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Vordringen begriffenen Mindermeinung n u r versuchte Tötung vor (vgl. Maurach AT 281; Welzel 74; Frank I X ; Mezger L K (8. Aufl.) 21 d ; Engisch, Untersuchungen über Vorsatz und Fahrlässigkeit, 1930, S. 72; Maiwald ZStW 78, 30; Backmann J u S 1972, 196, 199). Die letztgenannte Ansicht verdient den Vorzug, d a n u r sie den Umstand, daß die entscheidende Tötungshandlung nicht mehr vom Vorsatz des Täters getragen war, gebührend berücksichtigt. Der Umstand, daß der Tod aufgrund einer vom Vorsatz des Täters nicht mehr getragenen und vom Täter ursprünglich nicht einmal eingeplanten Handlung eingetreten ist, muß als wesentliche Abweichung des tatsächlichen vom vorgestellten Kausalverlauf gewertet werden. Der Fall darf nicht anders beurteilt werden als der von Schönke-Schröder a.a.O. als Beispiel f ü r eine wesentliche Abweichung des Kausalverlaufs gebrachte Fall, daß der Täter das vermeintliche tote Opfer in seinem P K W an einen abgelegenen Ort fahren will, u m es dort zu verscharren, unterwegs aber einen Unfall verschuldet, bei dem das Opfer dann tatsächlich ums Leben kommt. Sowohl im Ausgangsfall (Tod des vermeintlich toten Opfers durch Aufhängen) als auch in dem Beispiel von Schröder kann dem Täter lediglich zur Last gelegt werden, daß er nach dem Tötungsversuch den Tod des Opfers fahrlässig verursacht hat. Diese fahrlässige Tötung tritt realkonkurrierend zu dem Tötungsversuch hinzu (vgl. Maiwald a. a. O. 58). Zur Annahme einer vorsätzlichen Tötung käme m a n im Ausgangsfall nur, wenn der Täter bei Vornahme der späteren Handlung (Aufhängen) mit der — wenn auch n u r geringen — Möglichkeit gerechnet hatte, das Opfer lebe noch, er den Tod des Opfers aber mit letzter Sicherheit bewirken wollte. Vollendete vorsätzliche Tötung liegt weiter dann vor, wenn das Aufhängen des Opfers zum ursprünglichen Tatplan des Täters gehört hat. I n diesem Fall müßten Würgen und Aufhängen als einheitlicher Vorgang bewertet werden, für dessen rechtliche Beurteilung es unwesentlich ist, ob das Opfer schon durch das Würgen oder erst durch das Aufhängen gestorben ist (a. A. Maiwald a . a . O . 36f., der auch hier nur versuchte Tötimg annimmt). c) Probleme wirft auch der u m g e k e h r t e F a l l auf: Wie ist zu entscheiden, wenn der Tod durch eine Handlung eintritt, die nach dem Tatplan noch nicht die entscheidende Tötungshandlung sein sollte. B e i s p i e l : A will während einer Eisenbahnfahrt X in der Absicht betäuben, ihn seiner Barschaft zu berauben und anschließend, u m einen Unfall vorzutäuschen, aus dem Zug zu werfen. Entgegen der Vorstellung des A f ü h r t jedoch bereits der erste Schlag, der X nur betäuben sollte, zum Tod. Der Unterschied zu den oben unter b) erörterten Fällen besteht darin, daß hier der zum Tod führende Schlag Bestandteil des vom Tötungsvorsatz getragenen Gesamtplans war. A h a t sich deshalb des vollendeten Mordes in Tateinheit m i t besonders schwerem Kaub (§ 251) schuldig gemacht (vgl. R G D S t R 1939, 177; B G H GA 1955, 123; Welzel 74; Mäurach AT 282). 6. Nicht hierher gehört der eigentliche Verbotsirrtum. Dieser läßt den Vorsatz unberührt. Der Täter ist jedoch entschuldigt, wenn sein I r r t u m unvermeidbar war. War der I r r t u m vermeidbar, so kann die Strafe analog § 51 Abs. 2 nach Versuchsgrundsätzen gemildert werden. Einzelheiten u n d Beispiele siehe Vorbem. AT, Abschn. B V I I 2 c, S. 26 f. 7. Nicht hierher gehören ferner der I r r t u m über p e r s ö n l i c h e S t r a f a u s s c h l i e ß u n g s g r ü n d e , o b j e k t i v e S t r a f b a r k e i t s b e d i n g u n g e n und P r o zeßvoraussetzungen. 8. B e s o n d e r e E r s c h e i n u n g s f o r m e n des Irrtums. a) Von einem error in persona ( = I r r t u m ü b e r d i e P e r s o n ) spricht man, wenn der Täter die Person, gegen die sich sein Angriff richtet, mit einer anderen verwechselt. Ein solcher I r r t u m ist rechtlich unbeachtlich, wenn die T a t unter dem gleichen rechtlichen Gesichtspunkt zu beurteilen gewesen wäre, wenn sie sich gegen die Person gerichtet hätte, die der Täter an sich verletzen wollte. B e i s p i e l :
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Gründe, welche die Strafe ausschließen oder mildern
§ GO
A will den X töten und legt sich zu diesem Zweck a m Wegrand auf die Lauer. Wider Erwarten erscheint aber nicht X , sondern Y, den A in der Dunkelheit f ü r X hält und niederschießt. Eine derartige P e r s o n e n v e r w e c h s l u n g ist r e c h t l i c h u n b e a c h t l i c h . Sie schließt weder den Vorsatz noch das Unrechtsbewußtsein aus. A durfte weder den X noch den Y töten. E r ist demnach wegen vollendeter vorsätzlicher Tötung zu bestrafen. Der I r r t u m über die Person ist jedoch d a n n wesentlich, wenn die T a t ohne die Personenverwechslung rechtlich anders zu beurteilen gewesen wäre. I n diesen Fällen kann Bich der I r r t u m zugunsten des Täters auswirken. Dies gilt insbesondere dann, wenn der Täter ohne die Personenverwechslung gerechtfertigt gewesen wäre. B e i s p i e l : Der auf Vorposten liegende Soldat A schießt einen eigenen Mann an, von dem er irrig annimmt, es sei ein angreifender Feind. Hier kommt n u r fahrlässige Körperverletzung bzw. Tötung in Betracht (s.o. 2). b) Von einem error in objecto ( = I r r t u m ü b e r d i e S a c h e ) spricht m a n , wenn der Täter die Sache, gegen die sich sein Angriff richtet, mit einer anderen verwechselt. Hier finden die Grundsätze über den error in persona (siehe oben a) entsprechende Anwendung. Die Verwechslung ist unerheblich, wenn die rechtliche Beurteilung der T a t auch ohne sie die gleiche gewesen wäre. B e i s p i e l : A will dem X dadurch Schaden zufügen, daß er ihm die Reifen seines P K W zerschneidet. I n der Dunkelheit verwechselt er aber den P K W des X mit dem des Y. Ergebnis: Strafbarkeit des A wegen vollendeter vorsätzlicher Sachbeschädigung. Nur Versuch dagegen, wenn A aus Versehen seinen eigenen P K W beschädigt. In diesem Fall hätte er nämlich keine fremde Sache beschädigt. c) Ein beachtlicher ( = vorsatzausschließender) I r r t u m über den Geschehnisablauf (s.o. 5) liegt immer dann vor, wenn der Täter eine andere Person trifft als die, auf die er gezielt h a t t e (sogenannte aberratio ictus oder A b i r r u n g ) . B e i s p i e l : A will X töten, sein Schuß trifft aber den danebenstehenden Y. Hier kommt n u r v e r s u c h t e T ö t u n g des X in Betracht. Diese steht in Idealkonkurrenz mit f a h r l ä s s i g e r T ö t u n g , wenn A sich bei Abgabe des Schusses h ä t t e sagen können und müssen, daß er nicht X , sondern Y treffen würde (vgl. OLG Neustadt N J W 1 9 6 4 , 311 mit weit. Nachweisen). Aus dem jüngeren Schrifttum siehe besonders Backmann, Die Rechtsfolgen der aberratio ictus, J u S 1971, 113. d) Weitere B e s o n d e r h e i t e n sind bei den u n e c h t e n U n t e r l a s s u n g s d e l i k t e n zu beachten. Siehe hierzu ausführlich BGH 16, 155 sowie Vorbem. AT, Abschn. C I 6, S. 38.
§ 60
[Anrechnung1 der Untersucbiuigrshaft
u.a.]
(1) Hat der Verurteilte aus Anlaß einer Tat, die Gegenstand des Verfahrens ist oder gewesen ist, Untersuchungshaft oder eine andere Freiheitsentziehung erlitten, so -wird sie auf zeitige Freiheitsstrafe und auf Geldstrafe angerechnet. Das Gericht kann jedoch anordnen, daß die Anrechnung ganz oder z u m Teil unterbleibt, wenn sie i m Hinblick auf das Verhalten des Verurteilten nach der Tat nicht gerechtfertigt ist. (2) Wird eine rechtskräftig verhängte Strafe in einem späteren Verfahren durch eine andere Strafe ersetzt, so wird auf diese die frühere Strafe angerechnet, soweit sie vollstreckt ist. (3) Ist der Verurteilte wegen derselben Tat i m Ausland bestraft worden, so wird auf die neue Strafe die ausländische angerechnet, soweit sie vollstreckt ist. Für eine andere i m Ausland erlittene Freiheitsentziehung gilt Absatz 1 entsprechend.
217
§ 6 0
Strafgesetzbuch
( 4 ) Für die Anrechnung der Dauer einer vorläufigen Entziehung der F a h r erlaubnis ( § l i l a der Strafprozeßordnung) auf das Fahrverbot nach § 37 gilt Absatz 1 entsprechend. La diesem Sinne steht der vorläufigen Entziehung der Fahrerlaubnis die Verwahrung, Sicherstellung oder Beschlagnahme des Führerscheins ( § 9 4 der Strafprozeßordnung) gleich. 1. Seit der Neufassung der Vorschrift durch das 1. StrRG ist die aus Anlaß der Tat erlittene U - H a f t (siehe hierzu §§ 112ff., 230 Abs. 2 StPO) oder andere Freiheitsentziehung grundsätzlich anzurechnen, und zwar nicht nur auf zeitige Freiheitsstrafen, sondern auch auf Geldstrafen. Der Übergang von der fakultativen zur obligatorischen Anrechnung der U - H a f t beruht auf der Erwägung, daß dem Untersuchungsgefangenen aus Gründen prozessualer Natur ein Opfer an seiner Freiheit auferlegt wird, obwohl er bis zum Urteil als unschuldig zu gelten hat. Dieses zusätzliche Opfer soll durch die automatische Anrechnung der U - H a f t ausgeglichen werden (vgl. Schröder J R 1971, 28). Aus dem Schrifttum siehe insbesondere auch Dreher, Zweifelsfragen zur Anrechnung der U - H a f t nach der Neufassung des § 60 StGB, M D R 1970, 965; Dencker M D R 1971, 627. a) Über U-Haft siehe §§ 112ff., 230 Abs. 2 StPO. Zu den Fällen anderer Freiheitsentziehung gehören insbesondere die einstweilige Unterbringung in einer Heiloder Pflegeanstalt gemäß § 126 a StPO oder aufgrund landesrechtlicher Bestimmungen (vgl. B G H bei Daliinger M D R 1971, 363; Dreher 2 A a ; Lackner-Maassen 2 a), die Auslieferungshaft (vgl. B G H G A 1956, 120), sämtliche Formen einer Freiheitsentziehung aufgrund § 127 StPO (vgl. Lackner-Maassen 2 a; Pohlmann RPfleger 1970, 265, 270; a. A . Baumgartner M D R 1970, 190 betr. Festnahme durch Privatpersonen), die Unterbringung aufgrund §§ 71 Abs. 2, 72 Abs. 3, 73 JGG sowie die stationäre Untersuchung gemäß § 81 StPO, nicht jedoch die Zeit einer körperlichen Untersuchimg oder Blutentnahme gemäß § 81 a StPO (vgl. L G Oldenburg RPfleger 1970, 175 m. abl. Anm. Pohlmann; Lackner-Maassen 2a). Der Disziplinararrest nach § 10 Abs. 1 Nr. 6 der Wehrdisziplinarordnung gehört zwar nicht immittelbar hierher, da er schon von seiner Zweckrichtung her gesehen der U - H a f t nicht gleichgestellt werden kann (vgl. Celle N J W 1965, 926; Dreher 2 A a ; Lackner-Maassen 7; a . A . Tröndle L K 19), ist aber nach h.M. gleichwohl auf die erkannte Strafe grundsätzlich voll anzurechnen (vgl. B V e r f G N J W 1967, 1651; |Celle N J W 1968, 1103; Oldenburg N J W 1968, 2256), und zwar nicht nur auf Freiheitsstrafe, sondern auch auf Geldstrafe (vgl. § 39 Abs. 3 d StrVoUstrO; F f m N J W 1971,; 852; Lackner-Maassen 7). b) Die Freiheitsentziehung muß aus Anlaß einer Tat erfolgt sein, die Gegenstand des Strafverfahrens ist oder gewesen ist. Danach ist nicht notwendig, daß der Täter die Freiheitsentziehimg gerade aus Anlaß der Tat, deretwegen er zu Strafe verurteilt wird, erlitten hat. Es genügt auch eine Freiheitsentziehung aus Anlaß einer anderen Tat, die Gegenstand desselben Strafverfahrens ist oder war. W i r d z . B . jemand in demselben Verfahren wegen Diebstahls z . N . des A verurteilt, gleichzeitig aber von der Anklage eines weiteren Diebstahls z. N . des B freigesprochen, so muß die erlittene Untersuchungshaft auch dann auf die Strafe angerechnet werden, wenn sie ausschließlich wegen des Diebstahls z. N . des B angeordnet worden war. c) Unerheblich ist, in welcher Lage des Verfahrens der Beschuldigte die Freiheitsentziehung erlitten hat. Auch die während des Rechtsmittelverfahrens erlittene U - H a f t ist bei der abschließenden Entscheidung grundsätzlich in vollem Umfang anzurechnen. Nicht ausdrücklich geregelt wurde die früher sehr bestrittene Frage, ob die im Rechtsmittelverfahren erlittene U - H a f t auch dann angerechnet werden kann oder muß, wenn es infolge R ü c k n a h m e d e s R e c h t s m i t t e l s zu einer abschließenden gerichtlichen Entscheidung nicht mehr kommt. Die frühere Praxis ging überwiegend dahin, die nach Urteilsverkündung bis zum Eintritt der Rechts-
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Gründe, welche die Strafe ausschließen oder mildern
§ SO
k r a f t erlittene U - H a f t nur unter den beschränkten Voraussetzungen des § 450 StPO anzurechnen. Nach § 460 StPO kann aber n u r die U - H a f t angerechnet werden, die der Angeklagte erlitten hat, seit er auf Rechtsmittel verzichtet oder das eingelegte Rechtsmittel zurückgenommen h a t oder seitdem die Einlegungsfrist ungenutzt abgelaufen ist. Hieran kann nicht mehr festgehalten werden. Aufgrund der neuen Rechtslage, derzufolge die U - H a f t k r a f t Gesetzes angerechnet wird, wenn das Gericht nicht ausdrücklich das Gegenteil anordnet, m u ß jetzt bei der Strafvollstreckung über § 450 StPO hinausgehend auch die Zeit angerechnet werden, die bis zur Rücknahme des vom Angeklagten eingelegten Rechtsmittels verstrichen ist (vgl. Stgt D J 1970, 112; F f m N J W 1970, 1140; Ddf N J W 1970, 768; München N J W 1970, 1141; h.L.). Siehe jetzt auch § 39 StrVollstrO idF. v. 20.10. 1970. 2. Ausnahmsweise kann das Gericht auch anordnen, daß die Anrechnung ganz oder zum Teil unterbleibt. Dies ist jedoch nur möglich aus Gründen, die sich aus dem V e r h a l t e n d e s T ä t e r s n a c h d e r T a t ergeben. Art und Schwere der T a t selbst können nicht Anlaß zur Versagung der Anrechung geben. Als Grund, der zu einer Anordnung nach Abs. 1 Satz 2 führen kann, kommt in erster Linie ein Verhalten des Täters in Betracht, das nicht seiner Verteidigung dient, sondern erkennbar darauf abzielt, die Untersuchungshaft zu verlängern (z.B. um sich durch die spätere Anrechnung ungerechtfertigte Vorteile bei der Strafvollstreckung zu verschaffen) o d e r den Zweck verfolgt, das Verfahren aus anderen Gründen böswillig zu verschleppen (BGH 23, 307 m . Anm. Schröder J R 1971, 28). Unter diesen Gesichtspunkten können auch F l u c h t v o r b e r e i t u n g e n und F l u c h t v e r s u c h e einen Grund f ü r die Versagung der Anrechnung darstellen. Hierbei ist jedoch zu berücksichtigen, daß solche Handlungen, die selbst Haftgrund sind und gerade deshalb zur Inhaftierung führen, nicht zugleich auch zu einer Versagung der Anrechnung der H a f t führen können. Dies wäre ein vom Gesetz nicht gewolltes Übel. Deshalb k o m m t eine Nichtanrechnung der H a f t nur dort in Betracht, wo Fluchtvorbereitungen oder Fluchtversuche auch tatsächlich zu einer Verschleppung des Verfahrens geführt haben (BGH a.a.O.). Beruht eine Verzögerung des Verfahrens darauf, daß der Beschuldigte seine prozessualen Rechte und Möglichkeiten voll ausschöpft, so ist f ü r eine Ausnahmeentscheidung nach Abs. 1 S. 2 kein R a u m . Die Einlegung von R e c h t s m i t t e l n rechtfertigt deshalb auch dann nicht die Versagung der Anrechnung der H a f t , wenn mit ihr eine Verlängerung des Verfahrens bezweckt sein sollte (s.o. l b ) . Da der Angeklagte nicht verpflichtet ist, dem Gericht bei der Aufklärung des Sachverhalts zu helfen oder gar an seiner Überführung mitzuwirken, kann die Anrechnung der Untersuchungshaft nicht mit der Begründung versagt werden, der Angeklagte habe h a r t n ä c k i g g e l e u g n e t (vgl. BGH J Z 1956, 695; N J W 1956, 1845 zu § 60 a.F.). Auch anmaßendes oder u n g e h ö r i g e s B e n e h m e n in der Hauptverhandlung kann die Versagung nicht begründen. 3. Absatz 2 behandelt die Anrechnung von Strafen, die in einem früheren Verfahren verhängt worden sind. Wird z.B. wegen mehrerer Taten nachträglich eine G e s a m t s t r a f e gebildet (§ 76) und ist eine in sie einbezogene Strafe bereits zum Teil vollstreckt, so muß die vollstreckte Strafe, auch soweit sie durch Anrechnung von Untersuchungshaft oder anderer Freiheitsentziehung als vollstreckt gilt, auf die Gesamtstrafe angerechnet werden. Auch im W i e d e r a u f n a h m e v e r f a h r e n ist die Anrechnung einer bereits vollstreckten Strafe erforderlich, wenn wegen derselben T a t eine andere Strafe gebildet wird. 4. Ist die U - H a f t anzurechnen (Regelfall), so bedarf es entgegen der früheren Rechtslage keines besonderen Ausspruchs im Urteilstenor. Dies gilt auch bei Verurteilung zu Geldstrafe. Umrechnungsmaßstab ist in diesem Fall die Ersatzfreiheitsstrafe (BGH 24, 29 m. zust. Anm. Schröder J R 1971,296). Wird gleichzeitig auf
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Strafgesetzbuch
§ 6 1
Freiheits- und Geldstrafe erkannt, so ist die U-Haft zunächst auf die Freiheitsstrafe anzurechnen. Ein besonderer Ausspruch im Urteilstenor ist jetzt nur noch dann erforderlich, wenn die Anrechnung nach Abs. 1 Satz 2 ausnahmsweise ganz oder zum Teil unterbleiben soll. Ebenso ist die Anrechnung einer früheren Strafe unter den Voraussetzungen des Abs. 2 im Urteil auszusprechen. 5. Abs. 3 (Anrechnung von Auslandsstrafen) will verhindern, daß jemand wegen derselben Tat mehrfach bestraft wird. Die praktische Bedeutung ist gering, da die Strafverfolgungsbehörden gemäß § 153 b Abs. 3 StPO die Möglichkeit haben, von einer Strafverfolgung abzusehen, wenn wegen der im Ausland begangenen Tat im Ausland schon eine Strafe vollstreckt worden ist und die im Inland zu erwartende Strafe nach Anrechnung der ausländischen nicht mehr ins Gewicht fallen würde. Auslandsstrafen, die zur Bewährung ausgesetzt worden sind, fallen nicht unter Abs. 3. 6. Abs. 4 befaßt sich mit den Auswirkungen, die eine bereits vor dem Urteil angeordnete vorläufige, die Fahrerlaubnis beschränkende Maßnahme auf ein im Urteil ausgesprochenes Fahrverbot hat. Siehe hierzu ausführlich § 37 Anm. I I I 3. Setzt sich das Urteil mit der Frage der Anrechnung der vorläufigen Fahrerlaubnisentziehung auf die Dauer des ausgesprochenen Fahrverbots nicht auseinander, so gilt die gesetzliche Regelfolge der Anrechnung (vgl. Köln VRS 44 [1973] 14). Wird nach einer vorläufigen Maßnahme abschließend die endgültige Entziehung der Fahrerlaubnis angeordnet (§ 42 m), so ist Abs. 4 nicht anwendbar. Für diesen Fall gelten die besonderen Vorschriften des § 42n Abs. 4 bis 6. 7. Die Anrechnimg der Untersuchungshaft oder einer anderen Freiheitsentziehung gilt als Verbüßung der Strafe und ist daher rückfallbegründend (siehe § 17 Abs. 3 Satz 2). § 61
[Strafantragr]
Eine Handlung, deren Verfolgung nur auf Antrag eintritt, ist nicht zu verfolgen, wenn der zum Antrag Berechtigte es unterläßt, den Antrag binnen drei Monaten zu stellen. Diese Frist beginnt mit dem Tage, seit welchem der zum Antrag Berechtigte von der Handlung und von der Person des Täters Kenntnis gehabt hat. 1. Der Strafantrag ist bei allen Antragsdelikten eine Prozeß Voraussetzung. Es ist daher von Amts wegen in jeder Lage des Verfahrens zu prüfen, ob der erforderliche Strafantrag ordnungsgemäß gestellt worden ist. Aus dem Schrifttum siehe insbesondere Reiss, RPfleger 1967, 375. 2. Alle Antragsdelikte zeichnen sich dadurch aus, daß sie h ö c h s t p e r s ö n l i c h e R e c h t s g ü t e r schützen. Ein Teil der Antragsdelikte ist auch im Privatklageweg verfolgbar (vgl. § 374 Abs. 1 StPO). 3. Zu den b e k a n n t e s t e n A n t r a g s d e l i k t e n gehören alle Formen der Beleidigung (§§ 185ff.), die Körperverletzung in den Fällen der §§ 223, 230, der Hausfriedensbruch (§ 123) und die Sachbeschädigung (§ 303). Diese Delikte sind zugleich Privatklagedelikte. 4. A n t r a g s b e r e c h t i g t ist grundsätzlich nur der Verletzte. Siehe jedoch §§ 65, 196, 232 Abs. 3. 5. Da das A n t r a g s r e c h t h ö c h s t p e r s ö n l i c h ist, kann es nicht vererbt werden (RG 43, 335). Siehe jedoch § 77 Abs. 2 idF. des 2. StrRG. 6. Die F o r m des S t r a f a n t r a g s ist in § 158 StPO geregelt (abgedruckt in Anhang 4, Abschn. L).
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Gründe, welche die Strafe ausschließen oder mildern § § 6 2
—64
7. Die A n t r a g s f r i s t beträgt gemäß § 61 d r e i M o n a t e . Sie beginnt mit dem Tag, an dem der Antragsberechtigte Kenntnis von T a t und Täter erlangt hat. Fällt das Ende der Frist auf einen Sonn- oder Feiertag, so wird diese bis zum Ablauf des folgenden Werktags verlängert (vgl. Stuttgart N J W 1961, 790). Dasselbe gilt, wenn das Fristende atifeinem Samstag fällt (BayObLG N J W 1971, 108). B e s o n d e r h e i t e n sind bei wechselseitigen Beleidigungen und Körperverletzungen zu beachten (vgl. §§ 198,232 Abs. 3). Richtet sich das Antragsdelikt gegen ein minderjähriges Kind, so beginnt die Frist zu laufen, sobald Vater o d e r Mutter von der T a t und dem Täter Kenntnis erlangt haben (BGH 22, 103; Kohlhaas J R 1972, 326). 8. Da der Strafantrag k e i n e P r o z e ß h a n d l u n g i . e . S . darstellt, finden bei versäumter Frist die Vorschriften der Strafprozeßordnung über die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (§§ 44 ff. StPO) keine Anwendung. Der Antragsberechtigte hat es jedoch nicht „unterlassen", rechtzeitig Strafantrag zu stellen, wenn er hierzu gar nicht in der Lage war, z . B . wegen schwerer Erkrankung oder aus rechtlichen Gründen (BGH 2, 124; Hamm N J W 1970, 578; Dreher 2 B d ; Lackner-Maassen 6). 9. Der Strafantrag muß nicht ausdrücklich als solcher bezeichnet werden. E s genügt, wenn der Antragsberechtigte eindeutig zum Ausdruck bringt, daß er die Verfolgung einer bestimmten Person wegen einer bestimmten strafbaren Handlung wünscht. Daher kann auch eine „ S t r a f a n z e i g e " unter den Voraussetzungen des § 158 Abs. 2 StPO (siehe Anhang 4, Abschn. L ) als rechtsgültiger Strafantrag angesehen werden. 10. Die R ü c k n a h m e d e s S t r a f a n t r a g s ist in § 64 geregelt. 11. H e h l e r e i (§ 259) ist auch dann strafbar, wenn bei einem Antragsdelikt wegen der Vortat kein Strafantrag gestellt worden ist (vgl. B G H GA 1965, 537, Lackner-Maassen § 259 Anm. 3 c). Das gleiche gilt bei der s a c h l i c h e n B e g ü n s t i g u n g (vgl. § 257 Anm. 4b). Anders jedoch bei der p e r s ö n l i c h e n B e g ü n s t i g u n g : Hier kann der ratio legis entsprechend bei Antragsdelikten eine strafbare Begünstigung nur dann vorliegen, wenn hinsichtlich der Vortat ein Strafantrag vorliegt (vgl. § 257 Anm. 4a). Nicht erforderlich ist allerdings, daß sich der Strafantrag auch gegen den Begünstiger richtet. Weder die Hehlerei noch die Begünstigung werden dadurch zu Antragsdelikten, daß die Vortat ein Antragsdelikt ist. 12. P r o z e s s u a l zu beachten sind §§ 127 Abs. 3, 130, 206a, 260 Abs. 3 StPO. Zweifel an der Rechtzeitigkeit des Strafantrags gehen zugunsten des Beschuldigten (vgl. Lackner-Maassen 6; Dreher 2 B e). § 6 2
[ H e h r e r e Ajntragrsberechtfgrte]
Wenn von mehreren zum Antrag Berechtigten einer die dreimonatige Frist versäumt, so wird hierdurch das Recht der übrigen nicht ausgeschlossen. Bei Antragsdelikten, die zugleich P r i v a t k l a g e d e l i k t e sind, siehe auch § 375 StPO. § 63
[weggefallen]
§ 6 4
[Rücknahme des
Strafantrags]
Die Zurücknahme des Antrags ist nur in den gesetzlich besonders vorgesehenen Fällen und nur bis zur Verkündung eines auf Strafe lautenden Urteils zulässig. 1. Die Rücknahme ist nur dort z u l ä s s i g , wo das Gesetz sie ausdrücklich vorsieht, z . B . bei der Beleidigung (§ 194), beim Hausfriedensbruch (§ 123 Abs. 3) und
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§ 6 5
Strafgesetzbuch
bei der Nahrurigs- und Genußmittelentwendung (§ 370 Nr. 5 Abs. 2), neuerdings auch bei der Körperverletzung (§ 232) und allen Fällen der Entführung (§ 238 Abs. 1). 2. Nach Verkündung eines a u f S t r a f e l a u t e n d e n U r t e i l s kann der Strafantrag nicht mehr zurückgenommen werden. Der Erlaß eines S t r a f b e f e h l s steht hier einem Urteil nicht gleich, wohl aber ein Urteil, das auf U n t e r b r i n g u n g in einer Heil- oder Pflegeanstalt lautet (RG 72, 354). 3. Die Rücknahme wird erst dann w i r k s a m , wenn die entsprechende Erklärung der Stelle vorliegt, die zuständigkeitshalber mit der Sache befaßt ist, nach Anklageerhebimg demnach das Gericht (vgl. BGH 16, 105). 4. Wird der Antrag in zulässiger Weise zurückgenommen und muß die Tat nicht unter einem anderen rechtlichen Gesichtspunkt von Amts wegen weiter verfolgt werden, so ist das V e r f a h r e n e i n z u s t e l l e n . Ist die Sache bereits bei Gericht anhängig, so erfolgt die Einstellung vor der Hauptverhandlung gemäß § 206 a StPO durch Beschluß, nach Beginn der Hauptverhandlung gemäß § 260 Abs. 3 StPO durch Urteil. Wegen der K o s t e n siehe § 470 StPO. 5. Die Rücknahme des Antrags gilt als V e r z i c h t auf diesen. Sie kann weder widerrufen noch wegen Irrtums usw. angefochten werden. § 65 [Antragsmöndigkeit] (1) Der Verletzte, welcher das achtzehnte Lebensjahr vollendet hat, ist selbständig zu dem Antrag auf Bestrafung berechtigt. Solange er minderjährig ist, hat unabhängig von seiner eigenen Befugnis auch sein gesetzlicher Vertreter das Recht, den Antrag zu stellen. (2) Ist der Verletzte geschäftsunfähig oder hat er das achtzehnte Lebensjahr noch nicht vollendet, so ist sein gesetzlicher Vertreter der zur Stellung des Antrags Berechtigte. 1. K i n d e r , J u g e n d l i c h e unter 18 Jahren sowie Personen, die aus sonstigen Gründen n i c h t g e s c h ä f t s f ä h i g sind, z.B. Geisteskranke, haben kein eigenes Antragsrecht. An ihrer Stelle antragsberechtigt ist der g e s e t z l i c h e V e r t r e t e r (Abs. 2). 2. H e r a n w a c h s e n d e ( = Minderjährige über 18 Jahren) sind zur Stellung eines Antrags berechtigt. Daneben hat aber auch der g e s e t z l i c h e V e r t r e t e r ein Antragsrecht (Abs. 1). Dasselbe gilt für sonstige beschränkt Geschäftsfähige i.S. von § 114 BGB. 3. Wer gesetzlicher Vertreter ist, bestimmt sich nach b ü r g e r l i c h e m R e c h t . a) Bei b e s t e h e n d e r E h e steht den Eltern das Antragsrecht grundsätzlich gemeinsam zu (vgl. §§ 1626 Abs. 2, 1627 BGB). Der Antrag muß daher von beiden Elternteilen gestellt werden (vgl. BVerfG N J W 1959, 1483). Es genügt jedoch, wenn ein Elternteil den Antrag mit Einverständnis bzw. nachträglicher Zustimmung des anderen Elternteils stellt (vgl. BayObLG J R 1961, 72). Wegen der Fristberechnung s.o. § 61 Anm. 7. b) Ist e i n E l t e r n t e i l t a t s ä c h l i c h v e r h i n d e r t , die elterliche Gewalt auszuüben (z.B. wegen längerer Krankheit oder Abwesenheit), oder r u h t d i e elterliche Gewalt eines Elternteils (z.B. wegen Geschäftsunfähigkeit, § 1673 BGB), so übt der andere Teil die elterliche Gewalt allein aus (§ 1678 Abs. 1 BGB). Einer Pflegerbestellung bedarf es in diesem Fall nicht. Dasselbe gilt, wenn einem Elternteil die g e s e t z l i c h e V e r t r e t u n g e n t z o g e n wird (§ 1679 Abs. 1 BGB), ferner wenn er selbst als T ä t e r oder T e i l n e h m e r des zum Nachteil des Minderjährigen begangenen Delikts in Betracht kommt. (Siehe hierzu auch BGH N J W 1963, 2378: Wird einem Vater ein Sittlichkeitsdelikt zum Nachteil seines Kindes zur Last gelegt
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Gründe, welche die Strafe ausschließen oder mildern
§§
6?
und versteht das Kind nicht den Sinn der Belehrung über das Zeugnisverweigerungsrecht gemäß § 52 StPO, so genügt es, wenn das Gericht die Entscheidung der Mutter einholt.) Zum Ganzen siehe auch Kohlhaas J R 1972, 326. c) Bei g e s c h i e d e n e r E h e ist der Elternteil antragsberechtigt, dem die P e r s o n e n s o r g e zukommt. d) Steht der Minderjährige nicht unter elterlicher Gewalt, so ist der V o r m u n d antragsberechtigt. e) Ein P f l e g e r ist nur dann zu bestellen, wenn beide Elterateile tatsächlich oder rechtlich verhindert sind, die elterliche Gewalt auszuüben (siehe oben b), oder wenn nur noch ein Elternteil vorhanden ist und bei diesem die Voraussetzungen von b) vorliegen. f) Für n i c h t e h e l i c h e Kinder siehe §§ 1705ff. BGB (grundsätzlich Antragsrecht der Mutter). § 66 [Verjährung:] (1) Durch Verjährung werden die Strafverfolgung und die Strafvollstreckung ausgeschlossen. (2) Die Strafverfolgung von Verbrechen nach § 220 a (Völkermord) und die Vollstreckung von Strafen wegen Völkermordes (§ 220a) verjähren nicht. 1. Auch die Verjährung ist ein V e r f a h r e n s h i n d e r n i s und als solches von Amts wegen in jeder Lage des Verfahrens zu beachten. Sie beruht auf der Erwägung, daß nach Ablauf gewisser Fristen das Sühnebedürfnis nachläßt und auch die Strafverfolgung erfahrungsgemäß auf immer größere Schwierigkeiten stößt. 2. Das Gesetz unterscheidet zwei Formen der Verjährung: die V e r f o l g u n g s v e r j ä h r u n g (§§ 67—69) und die V o l l s t r e c k u n g s v e r j ä h r u n g (§§ 70—72). Erstere hindert bereits die Verurteilung und führt innerhalb des Verfahrens zu dessen Einstellung (vgl. §§ 206a, 260 I I I StPO), letztere hindert lediglich die Vollstreckung bereits rechtskräftig erkannter Strafen. 3. Abs. 2 wurde durch Art. 1 des 9. StrRÄndG v. 4. 8. 1969 neu eingefügt. § 67 [ Strafverfolgrangrsverjährungr] (1) Die Stafverfolgung von Verbrechen, die nicht in § 66 Abs. 2 genannt sind, verjährt in 1. dreißig Jahren, wenn sie mit lebenslanger Freiheitsstrafe bedroht sind, 2. zwanzig Jahren, wenn sie im Höchstmal] mit Freiheitsstrafe von mehr als zehn Jahren bedroht sind, 3. zehn Jahren, wenn sie mit einer geringeren Freiheitsstrafe bedroht sind. (2) Die Strafverfolgung von Vergehen, die i m Höchstbetrag mit einer längeren als dreimonatigen Freiheitsstrafe bedroht sind, verjährt in fünf Jahren, von anderen Vergehen in drei Jahren. (3) Die Strafverfolgung von Übertretungen verjährt in drei Monaten. (4) Die Verjährung beginnt mit dem Tage, an welchem die Handlung begangen ist, ohne Rücksicht auf den Zeitpunkt des eingetretenen Erfolges. (5) Mit der Verjährung der Strafverfolgung erlischt auch die Befugnis, auf Grund der Tat Maßregeln der Sicherung und Besserung anzuordnen. 1. Zu Abs. 1—3: a) Ob eine Tat als Verbrechen, Vergehen oder Übertretimg anzusehen ist, richtet sich nach der Strafdrohung, nicht nach der im Einzelfall verwirkten Strafe (sog. a b s t r a k t e B e t r a c h t u n g s w e i s e , vgl. § 1 Abs. 4).
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Strafgesetzbuch
b) Abs. 1 wurde durch das 9. StrRÄndG v . 4 . 8 . 1 9 6 9 neu gefaßt. Hauptanliegen dieses Änderungsgesetzes war es, den Eintritt der Verfolgungsverjährung für NSGewaltverbrechen weiter hinauszuschieben. Die Verjährungsfrist für M o r d und andere, mit lebenslanger Freiheitsstrafe bedrohte Verbrechen wurde von bisher 20 auf 30 Jahre heraufgesetzt, die Verjährungsfrist für T o t s c h l a g und andere, mit einer Freiheitsstrafe von mehr als 10 Jahren bedrohte Verbrechen wurde von bisher 15 auf 20 Jahre erhöht. Für die Verjährung von NS-Gewaltverbrechen ergibt sich hieraus im einzelnen folgendes: aa) Für t ä t e r s c h a f t l i c h begangenen Mord beginnt die Verjährungsfrist nach dem sog. BerechnungsG v. 13. 4. 1965 (BGBl. I 315), dessen Verfassungsmäßigkeit inzwischen vom BVerfG bestätigt wurde (vgl. N J W 1969,1059), erst am 1.1.1950. I h r Ende fällt nach der Neufassung des § 67 Abs. 1 auf den 31. 12. 1979. Um jeden Zweifel hinsichtlich der B ü c k w i r k u n g der neuen Verjährungsfrist auszuschließen, wurde in Art. 3 des 9. StrRÄndG ausdrücklich bestimmt, daß die neuen Fristen auch für früher begangene Taten Anwendung finden, soweit sie nicht nach altem Recht bereits verjährt waren. Dies kann jedoch bei einem täterschaftlich begangenen Mord nicht der Fall sein, da unter Berücksichtigung des oben erwähnten sog. BerechnungsG die 20jährige Verjährungsfrist des § 67 Abs. 1 a.F. erst am 31. 12. 1969 abgelaufen wäre. bb) Für die Beihilfe zum Mord ergibt sich folgende Rechtslage: Betrachtet man mit dem B G H die Mordmerkmale der 1. und 3. Gruppe in § 21] Abs. 2 als täterbezogene, strafbegründende Merkmale i.S. von § 50 Abs. 2 (vgl. Vorbem. AT, Abschn. H V 3 f ) , so ist die Strafe nach Versuchsgrundsätzen zu mildern, sofern die besonderen Mordmerkmale nicht auch in der Person des Gehilfen vorliegen. Die gesetzliche Höchststrafe beträgt dann nur noch 15 Jahre und unterliegt damit der Regelung des § 67 Abs. 1 Nr. 2, d.h. die T a t verjährt schon nach 20 Jahren. Diese Frist beginnt, da das sog. BerechnungsG nur für Verbrechen gilt, die mit lebenslanger Freiheitsstrafe bedroht sind, nicht erst am 1. 1. 1950, sondern bereits am 8. 5. 1945 (vgl. § 3 der VO zur Beseitigung nationalsozialistischer Eingriffe in die Strafrechtspflege vom 23. 5. 1947, VOB1. BZ S. 65, B G H 22, 375, 382). Nicht einheitlich beurteilt werden kann jedoch das Ende der Frist. Nach Art. 3 des 9. S t r R ÄndG gilt nämlich die neue 20 jährige Frist nur dann für früher begangene T a t e n , wenn diese nicht nach altem Recht bei Inkrafttreten der neuen Bestimmungen bereits verjährt waren. Nach § 67 a . F . betrug die Verjährungsfrist für Mordbeihilfe aber nur 15 Jahre. Hieraus folgt: Wurde der Lauf der Verjährung nicht vor dem 8. 5. 1960 durch eine richterliche Handlung unterbrochen, so ist die Verjährung bereits an diesem Tag eingetreten (vgl. B G H 22, 375). Die neuen, längeren Verjährungsfristen finden auf solche Taten keine Anwendung. cc) Für Totschlag gelten die Ausführungen unter bb) entsprechend. Wurde die bisherige 15 jährige Verjährungsfrist nicht gemäß § 68 durch eine richterliche Handlung unterbrochen, so war die T a t mit Ablauf des 8. 5. 1960 verjährt. Die neue 20jährige Verjährungsfrist kann deshalb den Eintritt der Verjährung nur dann beeinflussen, wenn die alte 15 jährige Verjährungsfrist infolge einer richterlichen Handlung bei Inkrafttreten des 9. StrRÄndG noch nicht abgelaufen war. 2. Zu Abs. 4: Ungeachtet des irreführenden Wortlauts der Vorschrift b e g i n n t d i e V e r j ä h r u n g grundsätzlich erst mit dem E i n t r i t t d e s t a t b e s t a n d s m ä ß i g e n E r f o l g s . Die Verjährung kann nicht schon eintreten, bevor überhaupt der tatbestandsmäßige Erfolg eingetreten ist (vgl. Schönke-Schröder R n . 4). Die Formulierung „ohne Rücksicht auf den Zeitpunkt des eingetretenen Erfolgs" kann sinngemäß nur so verstanden werden, daß aus der Tatbestandsverwirklichung resultierende, weitergehende Erfolge für den Beginn der Verjährungsfrist unerheblich sind (vgl. B G H 11, 119, 121; BayObLG J R 1958, 468 m. weit. Nachweisen). B e i s p i e l e : Bei einem von A verschuldeten Verkehrsunfall wird X schwer verletzt^
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Gründe, welche die Strafe ausschließen oder mildern
§
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stirbt aber erst 10 Monate später. Hier beginnt die Verjährungsfrist nicht schon am Tag des Unfalls, sondern erst mit dem Tod des X . — O d e r : Ein Ofensetzer schließt einen Ofen falsch an. Wenn der Fehler 6 Jahre später zu einem Brand führt, so ist das Vergehen der fahrlässigen Brandstiftung (§ 309) zu diesem Zeitpunkt noch nicht verjährt. — A n d e r e r s e i t s : Wenn A den B bei einer Schlägerei verletzt und B erst nach 11 Jahren in Siechtum verfällt, so ist das Verbrechen der schweren Körperverletzung (§ 224) zu diesem Zeitpunkt bereits verjährt. I n diesem Fall ist die eingetretene schwere Tatfolge nicht der tatbestandsmäßige Erfolg, sondern ein weitergehender Umstand, der zu der bereits vollendeten T a t (§ 223) hinzutritt und ihr nur noch einen besonderen Charakter gibt. — O d e r : Die Verjährung eines Anstellungsbetrugs beginnt bereits mit dem Abschluß des Anstellungsvertrags; die späteren Gehaltszahlungen sind lediglich Nachwirkungen des mit der Anstellung vollendeten Betrugs und daher ohne Einfluß auf den Lauf der Verjährung (BGH 22, 38). 3. Besonderheiten: a) Beim V e r s u c h kommt es auf den Zeitpunkt der Auaführungshandlung a n ; bei der v e r s u c h t e n A n s t i f t u n g ist die Einwirkung auf den in Aussicht genommenen Täter entscheidend. b) Bei A n s t i f t u n g , B e i h i l f e und m i t t e l b a r e r T ä t e r s c h a f t kommt es auf den Zeitpunkt der Tatbegehung an. Wenn z.B. A dem B zur Begehung eines bestimmten Mords einen Revolver gibt, B aber erst nach 10 Monaten die T a t ausführt, so beginnt die Verjährungsfrist erst an diesem Tag. c) Bei f o r t g e s e t z t e r T a t b e g e h u n g beginnt auch die Verjährung des 1. Teilakts erst mit Abschluß des letzten Teilakts. Dies ergibt sich aus der Erwägung, daß die fortgesetzte T a t eine sogenannte rechtliche Handlungseinheit darstellt (vgl. Vorbem. AT, Abschn. J IV, S. 77fif.). Die sogenannten K o l l e k t i v d e l i k t e sind demgegenüber rechtlich selbständige Handlungen, so daß sich hier keine Besonderheiten ergeben (vgl. Vorbem. AT, Abschn. J IV 3 f , S. 81). d) Bei D a u e r d e l i k t e n (z.B. Freiheitsberaubung, Fahnenflucht, Besitz von Diebeswerkzeug) beginnt die Verjährungsfrist erst mit Beseitigung des rechtswidrigen Zustands. Dies gilt auch f ü r Teilnehmer, und zwar ohne Bücksicht darauf, ob sie an der späteren Aufrechterhaltung des rechtswidrigen Zustands noch mitgewirkt haben oder nicht. Erforderlich ist lediglich, daß sich ihr Vorsatz im Zeitpunkt ihres Tatbeitrags auf die gesamte Dauer der T a t erstreckt h a t (BGH 20, 227 gegen Stgt N J W 1962, 2311). e) Bei den U n t e r l a s s u n g s d e l i k t e n beginnt die Verjährungsfrist mit dem Wegfall der Pflicht zum Handeln. K o m m t es zu einem tatbestandsmäßigen Erfolg, so bestimmt dieser den Beginn der Verjährungsfrist. f) Gesetzliche Sonderregelungen finden sich u. a. in § 145 Abs. 2 GewO sowie im Presserecht, vgl. § 15 des bayerischen PresseG, § 12 des hessischen PresseG und § 24 des bad.-württ. PresseG (Verjährungsfrist jeweils 6 Monate). g) Ordnungswidrigkeiten vorjähren grundsätzlich in 6 Monaten (vgl. § 27 Abs. 2 Nr. 4 OWiG; siehe jedoch die Ausnahmefälle des § 27 Abs. 2 Nr. 1—3), V e r k e h r s o r d n u n g s w i d r i g k e i t e n bereits in 3 Monaten (vgl. § 26 Abs. 3 StVG). 4. Ist zweifelhaft, ob eine T a t bereits verjährt ist, so gehen diese Z w e i f e l z u g u n s t e n d e s T ä t e r s (in dubio pro reo, vgl. BGH 18, 274). 5. Ist die Strafverfolgung verjährt, so können auch Maßregeln der Sicherung und Besserung nicht mehr angeordnet werden (vgl. Abs. 5). Nicht hierher gehört jedoch die Einziehung, soweit diese eine Sicherungsmaßnahme ohne Strafcharakter ist (vgl. §41b Abs. 2 sowie B G H 23,64). 15 Pettera-Prelaendanz, StGB, 28. Aufl.
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§ 6 8
§ 68
Strafgesetzbuch
[Unterbrechung: der Verfolg:u n g s v e r j ährungr]
(1) Jede Handlung des Richters, welche wegen der begangenen Tat gegen den Täter gerichtet ist, unterbricht die Verjährung. (2) Die Unterbrechung wirkt nur gegenüber demjenigen, auf den sich die Handlung bezieht. (3) Nach der Unterbrechung beginnt eine neue Verjährung. (4) Wird ein Gesetz, das bei Beendigung der Tat gilt, vor der Entscheidung geändert und verkürzt sich hierdurch die Frist der Verjährung, so bleiben U n terbrechungshandlungen, die vor dem Inkrafttreten des neuen Rechts vorgenommen worden sind, wirksam, auch wenn im Zeitpunkt der Unterbrechung die Verfolgung nach dem neuen Recht bereits verjährt gewesen wäre. 1. Nur Handlungen eines R i c h t e r s können die Verjährung unterbrechen, nicht auch Handlungen der Staatsanwaltschaft und der Polizei. 2. Die richterliche Handlung muß dazu b e s t i m m t und g e e i g n e t sein, das Verfahren sachlich zu fördern (BGH 9, 198). Hierzu ist erforderlich, daß der Richter rechtlich in der Lage ist, gegen den Täter vorzugehen. Diese Voraussetzungen fehlen bei einem Richter, der m a n g e l s sachlicher Z u s t ä n d i g k e i t zu einer Sachentscheidung nicht befugt ist und auch nicht als ersuchter Richter tätig wird. So kann beispielsweise die von einem Amtsrichter nach Einlegung der Berufung vorgenommene Fahrerlaubnisentziehung gemäß § l i l a StPO die Verjährung nicht unterbrechen, da der Amtsrichter zu einer derartigen Amtshandlung nach Einlegung eines Rechtsmittels nicht mehr befugt ist (Hamm D A R 1958, 330). Demgegenüber ist der Mangel der ö r t l i c h e n Unzuständigkeit nach h.M. (vgl. Krhe DJ 1962, 109; Stgt N J W 1968, 1304; Hamm D A R 1973,163; Lackner-Maassen 2) nicht so erheblich, daß ihm die unterbrechende Wirkung abgesprochen werden könnte (zw., vgl. Preisendanz N J W 1961, 1805 unter Bezugnahme auf Hamm D A R 1958, 330 und N J W 1961, 232; Schreiber N J W 1961, 2344). 3. H a n d l u n g e n , die o f f e n s i c h t l i c h nur den Z w e c k v e r f o l g e n , die V e r j ä h r u n g zu u n t e r b r e c h e n , können diesen Zweck nicht erreichen. Hierher gehören insbesondere solche Handlungen, die ebenso gut und schnell auch von der Staatsanwaltschaft selbst vorgenommen werden könnten, z. B. die Anforderung einer Auskunft aus dem Bundeszentralregister oder der Verkehrszentralkartei (BGH 15, 234), aber auch sachlich n i c h t g e b o t e n e V e r n e h m u n g e n von Beschuldigten oder Zeugen (vgl. OLG Stuttgart N J W 1962,2311). A n d e r s natürlich, wenn ein Beschuldigter oder Zeuge bei Polizei oder Staatsanwaltschaft keine oder nur inivollständige Angaben gemacht hat oder die Staatsanwaltschaft aus einem sonstigen, sachlich gerechtfertigten Grund gemäß § 162 StPO Antrag auf richterliche Vernehmung stellt (vgl. OLG Stuttgart a.a.O.). In diesen Fällen wird die Verjährung unterbrochen. Weitere klassische Beispiele für Handlungen, die die Verjährung unterbrechen: Haftbefehl, Strafbefehl, Strafverfügung, Zustellung der Anklage, EröfEnungsbeschluß, Bestimmung eines Termins zur Hauptverhandlung sowie die Hauptverhandlung selbst; ferner: die richterliche Anordnung, dem Verteidiger Akteneinsicht zu gewähren (BayObLG JR 1967, 105); die Verfügung, das angefochtene Urteil dem Beschwerdeführer zuzustellen (BGH 21, 25f.); die richterliche Verfügung auf der Revisionsbegründung: „1. Gesehen; 2. An die Geschäftsstelle" (Hamm J M B I N R W 1968, 57); — o d e r : die dienstliche Äußerung des Richters (Hamm N J W 1970, 156). Nicht ausreichend sind andererseits die Unterzeichnung des Protokolls der Hauptverhandlung (BGH 24, 377) sowie die Abfassung und Unterzeichnung der schriftlichen Urteilsgründe (BGH 12, 194). Von den richterlichen Entscheidungen und Maßnahmen, die sich auf die U-Haft beziehen, unterbrechen nur solche die Verjährung, die den Zweck der Haft be-
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Gründe, welche die Strafe ausschließen oder mildern
§ 69
treffen, nicht aber solche, die ausschließlich aus den Erfordernissen der Vollzugsanstalt gerechtfertigt sind; so unterbrechen Verfügungen des Vorsitzenden, durch die dem Gefangenen gestattet wird, persönliche Angelegenheiten zu regeln, die Verjährung nicht (vgl. Köln N J W 1969, 888). Zum Ganzen siehe auch Woesner N J W 1957, 1862; Dünnebier J R 1957, 188 sowie BGH 16, 193 (betr. Wiedervorlage Verfügungen ). 4. Der durch das 4. StrRG eingefügte Abs. 4 will gewährleisten, daß Unterbrechungshandlungen, die vor Inkrafttreten eines neuen, milderen Gesetzes vorgenommen worden sind, auch dann wirksam bleiben, wenn die Verfolgung nach neuem Recht wegen der kürzeren Verjährungsfristen im Zeitpunkt der Unterbrechungshandlung bereits verjährt wäre. Die Vorschrift entspricht damit der bereits früher in Art. 94 des 1. StrRG für den Bereich dieses Gesetzes getroffenen Regelung. Sie wird vor allem dann von Bedeutung, wenn durch Reformgesetze Verbrechen in Vergehen umgewandelt werden. 5. Ist die Strafverfolgung gem. § 154a StPO auf einzelne Gesetzesverletzungen, die durch dieselbe Handlung begangen worden sind, beschränkt worden, so unterbrechen richterliche Handlungen die Verjährung hinsichtlich der Tat in vollem Umfang. Demnach bleiben auch die vorläufig ausgeschiedenen Gesetzesverletzungen weiter verfolgbar (BGH 22, 105). § 6 9 [ R ü b e n d e r Verfolgruiigr»Verjährung:] (1) Die Verjährung ruht während der Zeit, in welcher auf Grund gesetzlicher Vorschrift die Strafverfolgung nicht begonnen oder nicht fortgesetzt werden kann. Ist der Beginn oder die Fortsetzung eines Strafverfahrens von einer Vorfrage abhängig, deren Entscheidung in einem anderen Verfahren erfolgen muß, so ruht die Verjährung bis zu dessen Beendigung. (2) Ist zur Strafverfolgung ein Antrag oder eine Ermächtigung nach dem Strafgesetz erforderlich, so wird der Lauf der Verjährimg durch den Mangel des Antrags oder der Ermächtigung nicht gehindert. 1. A u f G r u n d g e s e t z l i c h e r V o r s c h r i f t ruht die Verjährung a) in der Zeit, während der gemäß Art. 46 Abs. 2 GG ein Bundestagsabgeordneter infolge seiner I m m u n i t ä t nicht zur Verantwortung gezogen werden kann (bei Landtagsabgeordneten siehe § 152a StPO). Hierbei ist zu beachten, daß die Immunität erst von dem Zeitpunkt an zum Ruhen der Verjährung führt, an dem die Strafverfolgungsbehörden von der Abgeordneteneigenschaft des Täters Kenntnis erlangen (BGH 20, 248); b) in den Fällen der §§164 Abs. 3 und 191, solange das Verfahren noch nicht abgeschlossen ist; c) für Verbrechen, die in der NS-Zeit aus p o l i t i s c h e n G r ü n d e n nicht verfolgt werden konnten (vgl. BGH 18, 367). In diesen Fällen war die Strafverfolgung allgemein bis zum 8. 5. 1945 gehemmt (BGH aaO.). Darüber hinaus hat der Bundestag durch Gesetz vom 13. 4. 1965 (BGBl. I 315) beschlossen, daß bei Verbrechen, die mit lebenslangem Zuchthaus bedroht sind, die Zeit bis zum 31. 12. 1949 bei der Berechnung der Verjährungsfrist außer Betracht zu bleiben hat. Die Verfassungsmäßigkeit dieses sog. Berechnungsgesetzes wurde inzwischen vom BVerfG anerkannt (vgl. N J W 1969, 1059). d) Bei Verfahren gegen Angehörige der a u s l ä n d i s c h e n S t a t i o n i e r u n g s k r ä f t e , die dem NATO-Truppenstatut unterliegen, ist folgendes zu beachten: Unterliegt die Tat der ausschließlichen deutschen Gerichtsbarkeit, so ergeben sich keine Besonderheiten. Unterliegt sie der konkurrierenden Gerichtsbarkeit, so ruht die Verjährung infolge des generellen Verzichts der BRD auf die ihr zustehenden 15»
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§ 7 0
Strafgesetzbuch
Rechte solange, bis die deutschen Behörden entweder den generellen Verzicht widerrufen haben oder bis seitens der Stationierungskräfte ein Übernahmeersuchen eingeht. Die Einzelheiten sind bestritten (vgl. OLG Celle N J W 1965, 1673, LG Krefeld N J W 1965, 310, LG Duisburg N J W 1965, 643, Schwenk N J W 1965, 2242). 2. Bis zur E n t s c h e i d u n g e i n e r V o r f r a g e in einem anderen Verfahren ruht die Verjährung in den Fällen der §§ 164 Abs. 3, 171,191, 238 Abs. 2, ferner bei Vorlage im sog. Normenkontrollverfahren nach Art. 100 GG (BGH 24, 6). N i c h t hierher gehört der Fall, daß das Gericht gemäß § 262 Abs. 2 StPO die Untersuchung aus Z w e c k m ä ß i g k e i t s g r ü n d e n bis zur gerichtlichen Klärung einer zivilrechtlichen Streitfrage aussetzt, über die es gemäß § 262 Abs. 1 StPO auch selbst entscheiden könnte (vgl. Lackner-Maassen 2 b). 3. Solange die Verjährung ruht, wird die V e r j ä h r u n g s f r i s t g e h e m m t . H a t t e die Verjährungsfrist vor dem Ruhen bereits begonnen, so beginnt sie nach dem Ruhen (anders als bei der Unterbrechimg gemäß § 68) nicht wieder von neuem, sondern läuft einfach weiter. 4. Abs. 2 enthält eine Ausnahme von dem Grundsatz des Abs. 1, indem das F e h l e n d e s S t r a f a n t r a g s oder der zur Strafverfolgung erforderlichen E r m ä c h t i g u n g den Ablauf der Verjährungsfrist nicht hemmt. Es ist daher (vor allem bei Übertretungen, vgl. § 370 Nr. 5 Abs. 2) durchaus denkbar, daß die Tat schon verjährt ist, bevor die dann allerdings nur noch theoretische Antragsfrist zu laufen beginnt, z.B. wenn der Antragsberechtigte erst nach Ablauf der Verjährungsfrist Kenntnis von der Tat erlangt.
§ 70
(yollstreckungrsverjährungr]
(1) Die Vollstreckung rechtskräftig erkannter Strafen, die nicht in § 66 Abs. 2 genannt sind, verjährt, wenn 1. auf lebenslange Freiheitsstrafe erkannt ist, in dreißig Jahren; 2. auf Freiheitsstrafe von mehr als zehn Jahren erkannt ist, in zwanzig Jahren; 3. auf Freiheitsstrafe von mehr als fünf bis zu zehn Jahren erkannt ist, in fünfzehn Jahren; 4. auf Freiheitsstrafe von mehr als zwei bis zu fünf Jahren erkannt ist, in zehn Jahren; 5. auf Geldstrafe von mehr als fünfhundert Deutsche Mark oder wegen eines Verbrechens oder Vergehens auf Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren erkannt ist, in fünf Jahren; 6. auf Geldstrafe bis zu fünfhundert Deutsche Mark oder wegen einer Übertretung auf Freiheitsstrafe erkannt ist, in zwei Jahren. (2) Die Vollstreckung einer rechtskräftig angeordneten Maßregel der Sicherung und Besserung verjährt in zehn Jahren. Ist die Unterbringung in einer Trinkerheilanstalt oder einer Entziehungsanstalt angeordnet, so beträgt die Frist fünf Jahre. (3) Die Verjährung beginnt mit dem Tage, an welchem das Urteil rechtskräftig geworden ist. 1. I m Gegensatz zur Verfolgungsverjährung kommt es bei der Vollstreckungsverjährung nicht auf die angedrohte, sondern auf die im Einzelfall erkannte Strafe an ( k o n k r e t e B e t r a c h t u n g s w e i s e ) .
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Gründe, welche die Strafe ausschließen oder mildern
§§ VI,
tt2
2. Die Vollstreckungsverjährung b e g i n n t grundsätzlich a m Tage der R e c h t s k r a f t . Wird die rechtskräftig erkannte Strafe später gemäß § 76 StGB oder § 460 StPO in eine n a c h t r ä g l i c h e G e s a m t s t r a f e einbezogen, so beginnt die Verjährung der Gesamtstrafe mit der Rechtskraft der ihr zugrundeliegenden neuen E n t scheidung (RG 60, 207). 3. B e s o n d e r h e i t e n g e l t e n f ü r d e n J u g e n d a r r e s t : sein Vollzug ist unzulässig, wenn seit Eintritt der Rechtskraft 1 J a h r verstrichen ist (§ 87 Abs. 4 JGG). § 7 1
[Ruhen der
Vollstreckungrsverjährungr]
Ist auf Freiheitsstrafe und Geldstrafe zugleich oder neben einer Strafe auf eine mit Freiheitsentziehung verbundene Maßregel der Sicherung und Besserung erkannt, so verjährt die Vollstreckung der einen Strafe oder Maßregel nicht früher als die der anderen. 1. B e i s p i e l : A wird wegen Untreue zu einer Freiheitsstrafe von 3 Jahren sowie zu einer Geldstrafe von 1000,— DM verurteilt. Die Vollstreckung der Freiheitsstrafe verjährt hier gemäß § 70 Abs. 1 Nr. 4 in 10 J a h r e n ; die Vollstreckung der Geldstrafe würde dagegen gemäß § 70 Abs. 1 Nr. 6 bereits in 5 Jahren verjähren. § 71 bewirkt jedoch, daß auch die Geldstrafe bis zum Ablauf von 10 J a h r e n nach Rechtskraft des Urteils vollstreckt werden kann. Die Vorschrift will verhindern, daß sich der Täter durch die Verbüßung der einen Strafe dem Vollzug der anderen Strafe (oder Maßregel der Sicherung oder Besserung) entzieht. E s wäre besser, hier nicht von einem Ruhen, sondern von einer V e r l ä n g e r u n g der Vollstreckungsverjährung zu sprechen. Genau genommen wird die kürzere Frist der längeren angeglichen. 2. W e i t e r e F ä l l e , in denen die Vollstreckung ruht, sieht das Gesetz in §§ 24 Abs. 3, 26 Abs. 3 vor ( S t r a f a u s s e t z u n g z u r B e w ä h r u n g bzw. Aussetzung des Strafrestes). I m J u g e n d s t r a f r e c h t sind die Vorschriften der §§ 22 Abs. 2, 88 Abs. 5 J G G zu beachten (Ruhen der Verjährung, wenn eine Jugendstrafe zur Bewährung ausgesetzt oder der zu Jugendstrafe Verurteilte bedingt entlassen wird). Die bedingte Aussetzung der Unterbringung gemäß § 42 h begründet dagegen kein Ruhen der Vollstreckungsverjährung. § V2
[Unterbrechung: der Vollstreckungrsverjährungr]
(1) Jede auf Vollstreckung der Strafe oder Maßregel gerichtete Handlung derjenigen Behörde, welcher die Vollstreckung obliegt, sowie die z u m Zwecke der Vollstreckung erfolgende Festnahme des Verurteilten unterbricht die Verjährung. (2) Nach der Unterbrechung der Vollstreckung der Strafe oder Maßregel beginnt eine neue Verjährung. 1. Wie bei der Verfolgungsverjährung muß auch bei der Vollstreckungsverjährung die vollstreckende Behörde s a c h l i c h u n d ö r t l i c h z u s t ä n d i g sein. 2. B e i s p i e l e f ü r Handlungen, die die Verjährung unterbrechen: Ladung zum Straf antritt, Erlaß eines Vorführungs- oder Haftbefehls, ferner die Gewährimg von zeitlich begrenztem Strafaufschub. N i c h t a u s r e i c h e n d sind Entscheidungen über Gnadengesuche und die Gewährung von zeitlich unbegrenztem Strafaufschub.
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§ 7 3
Strafgesetzbuch
Fünfter Abschnitt: Strafbemessung bei mehreren Gesetzesverletzungen (§§ 73—77) Vorbemerkung Der 5. Abschnitt des StGB -wurde durch das 1. StrRG vollständig neu gefaßt. Gegenstand der §§ 73—77 ist die Frage, nach welchen Gesichtspunkten die Strafe zu bilden ist, wenn jemand durch eine oder mehrere Handlungen mehrere Straftatbestände verwirklicht hat. Das Gesetz selbst befaßt sich lediglich mit der sog. I d e a l k o n k u r r e n z (§ 73) und der sog. R e a l k o n k u r r e n z (§§ 74—77). Gesetzlich nicht geregelt sind die Erscheinungsformen der sog. G e s e t z e s k o n k u r r e n z und die f o r t g e s e t z t e T a t . Siehe hierzu im einzelnen die Ausführungen in den Vorbemerkungen zum Allg. Teil (Absehn. J , S. 71 ff.). § 7 3
ITdeiilkonkurrenz]
(1) Verletzt dieselbe Handlung mehrere Strafgesetze oder dasselbe Strafgesetz mehrmals, so wird nur auf eine Strafe erkannt. (2) Sind mehrere Strafgesetze verletzt, so wird die Strafe nach dem Gesetz bestimmt, das die schwerste Strafe androht. Sie darf nicht milder sein, a b die anderen anwendbaren Gesetze es zulassen. (3) Geldstrafe muß oder kann das Gericht neben Freiheitsstrafe gesondert verhängen, wenn eines der anwendbaren Gesetze sie neben Freiheitsstrafe vorschreibt oder zuläßt. (4) Auf Nebenstrafen, Nebenfolgen, Maßregeln der Sicherung und Besserung, Einziehung, Unbrauchbarmachimg und Verfall muß oder kann erkannt werden, wenn eines der anwendbaren Gesetze sie vorschreibt oder zuläßt. 1. Voraussetzungen: Idealkonkurrenz i.S. von § 73 setzt voraus, daß der Täter a) durch e i n e Handlung mehrere Tatbestände oder denselben Tatbestand mehrmals verwirklicht und b) der Unrechtsgehalt der Tat nur durch Bestrafung aus a l l e n verwirklichten Tatbeständen voll erfaßt werden kann. Ob die Voraussetzungen zu a) vorliegen, d . h . ob e i n e Handlung vorliegt, ist im wesentlichen eine Frage tatsächlicher Art, wobei es entscheidend darauf ankommt, ob die Tat sich bei n a t ü r l i c h e r B e t r a c h t u n g s w e i s e als einheitlicher Vorgang darstellt.(Siehe hierzu ausführlich Vorbem. AT, Abschn. J I, S. 71 f.). Durch die Neufassung ausdrücklich aufgeführt und zur Idealkonkurrenz gerechnet werden nun auch die Fälle, in denen durch eine Handlung derselbe Tatbestand mehrmals verwirklicht wird (sog. g l e i c h a r t i g e I d e a l k o n k u r r e n z ) , z.B. wenn ein Schuß mehrere Menschen verletzt oder eine beleidigende Äußerung mehreren Personen zugerufen wird. Beim Z u s a m m e n t r e f f e n m e h r e r e r T a t m o d a l i t ä t e n desselben Tatbestands in einer Handlung liegt allerdings noch keine Idealkonkurrenz i.S. des § 73 vor. Vielmehr wird der Tatbestand nur einmal verletzt. So ist z.B. der Tatbestand des § 292 nur einmal erfüllt, wenn der Täter dem Wild erst nachstellt, es fängt und anschließend erlegt. Auch die einzelnen Mordmerkmale können untereinander nicht in I d K . stehen, vielmehr liegt auch dann nur ein Mord vor, wenn mehrere Mordmerkmale verwirklicht sind. Dasselbe gilt für die einzelnen Fälle des schweren Raubs. Bei der weiteren Frage, ob der TJnrechtsgehalt der Tat eine Anwendung a l l e r verwirklichten Tatbestände verlangt, handelt es sich um eine Frage der r e c h t l i c h e n W e r t u n g , die von der Struktur und dem Zweck der jeweils verwirklichten
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Straf bemeasimg bei mehreren Gesetzesverletzungen
§
73
Tatbestände abhängt. F ü h r t die rechtliche Wertung zu dem Ergebnis, daß bereits e i n Tatbestand allein ausreicht, um den Unrechtsgehalt der Tat zu erfassen, so spricht man von G e s e t z e s k o n k u r r e n z . Diese kann ihrerseits bei Vorliegen von Tateinheit in drei Erscheinungsformen auftreten ( S p e z i a l i t ä t , K o n s u m t i o n und S u b s i d i a r i t ä t ) . Siehe hierzu ausführlich Vorbem. AT, Abschn. J H I , S. 73ff. 2. Beispiel: A zwingt seine 15jährige Tochter B unter Anwendung körperlicher Gewalt zum Geschlechtsverkehr und verletzt sie dabei so schwer, daß sie an den Folgen der T a t stirbt. Hier kommen folgende Tatbestände in Betracht (in Gruppen zusammengefaßt): a) §§ 173 Abs. 1, 174 Abs. 1, 177 Abs. 1, 3, 178 Abs. 1, 3, 185; b) §§ 223, 223a, 226, 222; c) §§ 239, 240. Bei natürlicher Betrachtungsweise wurden alle Tatbestände durch e i n e H a n d l u n g verwirklicht. Damit ist aber noch nichts darüber gesagt, ob alle Tatbestände auch in Idealkonkurrenz stehen. Die r e c h t l i c h e W e r t u n g f ü h r t hier zu folgenden Erwägungen: a) Da jede Vergewaltigung (§ 177) regelmäßig mit einem Angriff auf die Ehre der vergewaltigten Frau (§ 185) sowie mit einer Nötigung (§ 240) und einer zumindest vorübergehenden Freiheitsbeschränkung (§ 239) verbunden ist, werden diese Bestimmungen von§ 177 k o n s u m i e r t (vgl. Vorbem. AT, Abschn. J I I I 2b, S. 74f.). I m Verhältnis zu § 178 Abs. 1 ist S p e z i a l i t ä t anzunehmen, so daß auch diese Bestimmung neben § 177 keine rechtlich selbständige Bedeutung haben kann (vgl. Vorbem. AT, Abschn. J . I I I 2a, S. 73f.). § 177 Abs. 1 wiederum h a t gegenüber der in § 177 Abs. 3 (Vergewaltigung mit Todesfolge) getroffenen Regelung keine selbständige Bedeutung (Spezialität des qualifizierten Tatbestands gegenüber dem Grundtatbestand). b) Das Verbrechen gemäß § 226 (Körperverletzung mit Todesfolge) setzt notwendig eine vorsätzliche Körperverletzung und — wegen § 56 — eine fahrlässige Tötung voraus. Damit entfällt eine selbständige Bedeutung dieser Tatbestände. Aber auch § 223 a wird durch § 226 konsumiert, da die zum Tod führende Körperverletzung zwar nicht notwendig, wohl aber regelmäßig unter den qualifizierenden Umständen des § 223 a begangen wird. c) F ü r ein i d e a l k o n k u r r i e r e n d e s Z u s a m m e n t r e f f e n kommen somit nur noch folgende Tatbestände in Betracht: §§ 173 Abs. 1, 174 Abs. 1, 177 Abs. 3, 226. 3. Liegen die Voraussetzungen des § 73 vor, so müssen a l l e v e r w i r k l i c h t e n T a t b e s t ä n d e im Urteilstenor erscheinen. Die Tatbestände, bezüglich derer Gesetzeskonkurrenz gegeben ist, erscheinen demgegenüber nicht im Urteilstenor. 4. Die Strafe wird nach dem sogenannten Absorptionsprinzip gebildet, d . h . sie wird dem Tatbestand entnommen, der im Einzelfall die s c h w e r s t e S t r a f e androht. Bei der Ermittlung der schwersten Strafdrohung kommt es auf die gesetzlichen Strafrahmen an, aus denen die Strafe im konkreten Fall zu bilden ist, so daß auch der durch das Vorliegen eines besonders schweren Falles erweiterte oder bei minder schweren Fällen eingeengte Strafrahmen bedeutsam wird. Entscheidend sind dabei in erster Linie immer die H a u p t s t r a f e n . Erst wenn diese in ihrem höchst zulässigen Strafmaß gleich sind, kommt es auf etwaige Hebenstrafen und Mindeststrafen an. Beispiele: a) Wenn A eine Amtsunterschlagung in Idealkonkurrenz mit Betrug begeht, so enthält § 350 gegenüber § 263 die schwerere Strafe, da § 350 bei gleicher Strafhöhe (Freiheitsstrafe bis zu 5 Jahren) eine gesetzliche Mindeststrafe von 3 Monaten vorsieht.
231
§ 7 4
Strafgesetzbuch
b) Bei Idealkonkurrenz zwischen Amtsunterschlagung und Untreue ist § 266 gegenüber § 350 das schwerere Delikt, da § 266 als zweite Hauptstrafe neben Freiheitsstrafe zwingend Geldstrafe vorsieht. 5. Die milderen Strafbestimmungen werden bei Vorliegen von Idealkonkurrenz a b s o r b i e r t ( = aufgezehrt), sind aber doch nicht ganz bedeutungslos, und zwar insofern, als ihre Mindeststrafe nicht unterschritten werden darf (vgl. Abs. 2 Satz 2). Sieht das mildere Gesetz neben der Freiheitsstrafe eine Geldstrafe zwingend vor, so muß diese auch im Falle der Idealkonkurrenz neben der schwersten Strafe verhängt werden. So muß z.B. bei Idealkonkurrenz zwischen schwerer Amtsunterschlagung (§ 351) und Untreue (§ 266) die Freiheitsstrafe dem Strafrahmen des § 351 entnommen werden. Daneben tritt die in § 266 zwingend vorgeschriebene Geldstrafe. Wo die Verhängung einer Geldstrafe neben einer Freiheitsstrafe im Ermessen des Gerichts steht, bleibt es auch bei Idealkonkurrenz dem Gericht überlassen, die Geldstrafe aus der milderen Strafdrohung neben der Strafe aus dem schwereren Gesetz zu verhängen (Abs. 3). Entsprechendes gilt f ü r Nebenstrafen und Nebenfolgen aller Art (Abs. 4). [RealkonkurrenzJ § V4 (1) Hat jemand mehrere Straftaten begangen, die gleichzeitig abgeurteilt werden, und dadurch mehrere zeitige Freiheitsstrafen oder mehrere Geldstrafen verwirkt, so wird auf eine Gesamtstrafe erkannt. (2) Trifft zeitige Freiheitsstrafe mit Geldstrafe zusammen, so wird auf eine Gesamtstrafe erkannt. Jedoch kann das Gericht auf Geldstrafe auch gesondert erkennen; soll in diesen Fällen wegen mehrerer Straftaten Geldstrafe verhängt werden, so wird insoweit auf eine Gesamtgeldstrafe erkannt. (3) § 73 Abs. 3,4 gilt entsprechend. 1. Voraussetzungen: Realkonkurrenz i. S. von § 74 setzt voraus, daß der Täter a) durch m e h r e r e H a n d l u n g e n entweder m e h r e r e T a t b e s t ä n d e o d e r d e n s e l b e n T a t b e s t a n d m e h r f a c h verwirklicht und b) die rechtliche Wertung ergibt, daß w e d e r G e s e t z e s k o n k u r r e n z in der Form der straflosen Vor- oder Nachtat vorliegt, n o c h ein Fall einer rechtlichen Handlungseinheit im Sinne einer sogenannten f o r t g e s e t z t e n T a t gegeben ist. Ob man von m e h r e r e n H a n d l u n g e n sprechen kann, ist im wesentlichen eine Frage tatsächlicher Art, wobei es entscheidend auf die sogenannte n a t ü r l i c h e B e t r a c h t u n g s w e i s e ankommt. Wenn beispielsweise A den Apfelbaum des X schüttelt und anschließend 50 kg Äpfel zusammenliest und abfährt, so stellt sich dieser Vorgang bei natürlicher Betrachtungsweise auch dann als einheitliche Handlung dar, wenn A zur Tatbegehimg eine Stunde benötigt und zweimal fahren muß, um die Äpfel wegzuschaffen. Es wäre verfehlt, hier etwa von einem fortgesetzten Diebstahl zu sprechen. (Ein solcher würde jedoch dann vorliegen, wenn A vorgefaßtem Tatplan entsprechend heute den Apfelbaum des X und morgen den Birnbaum des Y aberntet.) Eine einheitliche Handlung wäre selbst dann anzunehmen, wenn A während seiner eigenmächtigen Erntearbeit gegen den Eigentümer X, von diesem zur Rede gestellt, zur Verteidigung seiner Beute tätlich vorgeht (sogenannter räuberischer Diebstahl, vgl. § 252). Die weitere Frage, ob der Unrechtsgehalt der mehreren Handlungen nur durch B e s t r a f u n g a l l e r H a n d l u n g e n erfaßt werden kann, ist dagegen eine solche der r e c h t l i c h e n W e r t u n g , die teils vom Zweck der in Frage stehenden Handlungen, teils von der Struktur der verwirklichten Tatbestände abhängt. Führt die rechtliche Wertung zu dem Ergebnis, daß die eine von mehreren Straftaten sich gegenüber einer anderen als s t r a f l o s e V o r - o d e r N a c h t a t darstellt, so kommt eine selbständige Bestrafung wegen dieser Handlung unter dem Gesichtspunkt der
232
Strafbemessung bei mehreren Gesetzesverletzungen
§ 75
Realkonkurrenz i. S. von § 74 nicht in Betracht (siehe hierzu ausführlich Vorbem. AT, Abschn. J I I I 2d, S. 76). Dasselbe gilt, wenn die rechtliche Wertung zu dem Ergebnis führt, daß mehrere, in tatsächlicher Hinsieht an sich selbständige Handlungen sich als rechtliche Handlungseinheit i.S. einer sogenannten f o r t g e s e t z t e n T a t darstellen (siehe hierzu ausführlich Vorbem. AT, Abschn. J IV, S. 77 f.). 2. Sind die obengenannten Voraussetzungen gegeben, so ist gemäß § 75 aus den einzelnen Strafen eine Gesamtstrafe zu bilden, und zwar nicht nur bei zeitigen F r e i h e i t s s t r a f e n , sondern auch beim Zusammentreffen mehrerer G e l d s t r a f e n sowie beim Zusammentreffen von F r e i h e i t s s t r a f e n u n d G e l d s t r a f e n . I m letztgenannten Fall ergeben sich folgende Möglichkeiten: a) Nach Abs. 2 S. 1 hat das Gericht g r u n d s ä t z l i c h auf eine G e s a m t s t r a f e zu erkennen. Diese kann nach § 75 Abs. 1 S. 1 nur in einer Gesamtfreiheitsstrafe bestehen. b) Das Gericht kann auf die G e l d s t r a f e auch g e s o n d e r t erkennen (Abs. 2 S. 2). Dies kommt vor allem dann in Betracht, wenn ein Bedürfnis besteht, die nur geldstrafenwürdigen Taten von den anderen Taten deutlich abzuheben, z.B. wenn jemand wegen eines Diebstahls eine längere Freiheitsstrafe verwirkt hat, neben die dann noch eine Geldstrafe wegen eines Verkehrsdelikts tritt (vgl. Begründung zu § 68E 1962). Handelt es sich um m e h r e r e G e l d s t r a f e n , die realkonkurrierend zu einer Freiheitsstrafe hinzutreten, mit dieser aber aus den soeben erwähnten Gründen nicht zu einer Gesamtfreiheitsstrafe verbunden werden sollen, so hat das Gericht neben der Freiheitsstrafe auf eine Gesamtgeldstrafe zu erkennen (Abs. 2 S. 3). c) Wird in einem der verletzten Gesetze G e l d s t r a f e z w i n g e n d neben einer Freiheitsstrafe angedroht, so muß die Geldstrafe neben der zu bildenden Gesamtfreiheitsstrafe verhängt werden (Abs. 3 i.V. mit § 73 Abs. 3; siehe auch § 73 Anm. 5). Trifft eine solche Geldstrafe mit einer weiteren Geldstrafe zusammen, die nach Abs. 2 S. 2 selbständig ausgesprochen werden soll, so ist aus den einzelnen Geldstrafen eine Gesamtstrafe zu bilden, die dann selbständig neben die Freiheitsstrafe tritt. B e i s p i e l : A hat eine Untreue sowie eine fahrlässige Körperverletzung begangen. Für die Untreue hält das Gericht neben einer Freiheitsstrafe von 6 Monaten eine Geldstrafe von 1000,— DM für angemessen, während es wegen der fahrlässigen Körperverletzung auf eine Geldstrafe von 200,— DM erkennen möchte. I n diesem Fall wäre es dann nach § 75 Abs. 2 S. 2 möglich, neben der Freiheitsstrafe auf eine Gesamtgeldstrafe von etwa 1100,— DM zu erkennen. 3. Abs. 3 stellt klar, daß Nebenstrafen und Nebenfolgen nicht in die Gesamtstrafe einbezogen, sondern — wie im Falle der Idealkonkurrenz — selbständig ausgesprochen werden.
§ V5 [Bildung: der Gesamtstrafe] (1) Die Gesamtstrafe wird durch Erhöhung der verwirkten höchsten Strafe, bei Strafen verschiedener Art durch Erhöhung der ihrer Art nach schwersten Strafe gebildet. Dabei werden die Person des Täters und die einzelnen Straftaten zusammenfassend gewürdigt. (2) Die Gesamtstrafe darf die Summe der Einzelstrafen nicht erreichen. Sie darf bei Freiheitsstrafen fünfzehn Jahre nicht übersteigen. Jedoch darf sie, wenn die Freiheitsstrafen nur wegen Übertretungen verhängt sind, drei Monate nicht übersteigen. (3) Ist eine Gesamtstrafe aus Freiheits- und Geldstrafe zu bilden, so ist bei der Bestimmung der Summe der Einzelstrafen die für den Fall der Uneinbringlichkeit der Geldstrafe festgesetzte Freiheitsstrafe maßgebend.
233
§ 7 5
Strafgesetzbuch
(4) Die Ersatzfreiheitsstrafe für eine Gesamtgeldstrafe darf, w e n n diese nur wegen Übertretungen verhängt ist, drei Monate, i m übrigen zwei Jahre nicht übersteigen. 1. Wie auch nach früher geltendem Recht wird die Gesamtstrafe durch die Erhöhung der verwirkten schwersten Strafe nach Maßgabe der Absätze 2 bis 4 gebildet (sog. Asperationsprinzip). Die verwirkte schwerste Strafe wird in diesem Zusammenhang als E i n s a t z s t r a f e bezeichnet. 2. Die Erhöhung der Einsatzstrafe wird nach Abs. 2 durch ein relatives und ein absolutes Höchstmaß begrenzt. Das relative ist in der Weise bestimmt, daß die Gesamtstrafe die Summe der verwirkten Einzelstrafen nicht erreichen darf. Das absolute Höchstmaß der Gesamtstrafe ist dem Höchstmaß zeitiger Freiheitsstrafen entsprechend (vgl. § 18 Abs. 2) auf 15 Jahre, bei Übertretungen auf 3 Monate begrenzt. F ü r die Gesamtstrafenbildung im Zusammenhang mit einer G e l d s t r a f e gibt die jeweilige Ersatzfreiheitsstrafe die entsprechende Vergleichsgröße f ü r die Berechnung der höchst zulässigen Gesamtstrafe ab (Abs. 3). Dies gilt jedoch n u r bis zur Einführung des Tagessatzsystems bei Geldstrafen durch das 2. StrRG (vgl. §§ 54 Abs. 2 und 3, 40ff. idF. des 2. StrRG, siehe Anh. 8). 3. F ü r die Bildung der Gesamtstrafe innerhalb des abgesteckten Strafrahmens gibt Abs. 1 Satz 2 dem Richter noch eine besondere Zumessungsrichtlinie. Bei der Gesamtstrafenbildung müssen die Person des Täters und die einzelnen Straftaten zusammenfassend gewürdigt werden. Damit soll darauf hingewiesen werden, daß die einzelnen Taten Ausfluß einer einheitlichen Täterpersönlichkeit sind und als ein Inbegriff, nicht als bloße Summe einzelner Taten zu beurteilen sind. I n der Gesamtstrafe soll daher auch das Verhältnis der einzelnen Straftaten zueinander, ihr Zusammenhang, ihre größere oder geringere Selbständigkeit und das gesamte in den Straftaten hervortretende Verschulden des Täters Berücksichtigung finden (vgl. Begründung zu § 69 E 1962). 4. Die schriftlichen Urteilsgründe müssen erkennen lassen, welche Gesichtspunkte bei der Gesamtstrafenbildung maßgeblich waren (BGH 24,268 m. Anm. Jagusch N J W 1972, 454). Eine erschöpfende Darstellung ist hierbei allerdings grundsätzlich nicht erforderlich. Die Gesamtstrafe ist nur dann eingehender zu begründen, wenn die Einsatzstrafe nur geringfügig überschritten oder die Summe der Einzelstrafen nahezu erreicht wird (BGH a.a.O.). 5. Absehließendes Beispiel: A h a t folgende Straftaten begangen, die als rechtlich selbständige Handlungen in Realkonkurrenz stehen: einen Diebstahl, eine Untreue sowie eine Übertretung nach § 360 Nr. 8. Das Gericht hält folgende Einzelstrafen f ü r tat- und schuldangemessen: f ü r den Diebstahl eine Freiheitsstrafe von 6 Monaten, f ü r die Untreue eine Freiheitsstrafe von 8 Monaten sowie eine Geldstrafe von 300,—DM und f ü r die Übertretung eine Geldstrafe von 40,— DM. Will das Gericht nach § 74 Abs. 2 S. 2 auf die Geldstrafe für die Übertretimg gesondert erkennen, so h a t es aus den beiden Freiheitsstrafen eine Gesamtfreiheitsstrafe zu bilden, deren Höhe zwischen 8 Monaten und 1 Tag als unterste Grenze und 13 Monaten als oberste Grenze liegen müßte. (Beachte: Freiheitsstrafen von einem J a h r und länger wurden nur nach vollen Monaten und Jahren bemessen, vgl. § 19.) Neben die auf diese Weise zu bildende Gesamtfreiheitsstrafe müßte eine Gesamtgeldstrafe treten, deren Höhe auf mindestens 301,— DM und höchstens 339,— DM zu bemessen wäre. I n der Praxis kommen solche Grenzwerte allerdings k a u m vor. Zu denken wäre etwa an eine Gesamtfreiheitsstrafe von 1 J a h r und eine Gesamtgeldstrafe von 330,— DM.
234
Strafbemessung bei mehreren Gesetzesverletzungen § 96
[Nachträgliche
§
76
Gesamtstraienbildnng:]
(1) Die § § 7 4 und 75 sind auch anzuwenden, wenn ein rechtskräftig Verurteilter, bevor die gegen ihn erkannte Strafe vollstreckt, verjährt oder erlassen ist, wegen einer anderen Straftat verurteilt wird, die er vor der früheren Verurteilung begangen hat. Als frühere Verurteilung gilt das Urteil in dem früheren Verfahren, in dem die zugrundeliegenden tatsächlichen Feststellungen letztmals geprüft werden konnten. (2) Rechtsfolgen der in § 73 Abs. 4 bezeichneten Art, auf die in der früheren Entscheidung erkannt war, sind aufrechtzuerhalten, soweit sie nicht durch die neue Entscheidung gegenstandslos werden. 1. Der Zweck der Vorschrift beruht auf dem Gedanken, daß ein Angeklagter, der mehrere Taten begangen hat, die aus irgendwelchen Gründen in v e r s c h i e d e n e n V e r f a h r e n abgeurteilt werden, nicht anders gestellt werden soll, als wenn alle Taten in e i n e m , und zwar in dem ersten Verfahren, abgeurteilt worden wären (vgl. BGH 7, 180f. zu § 79 a.F.). 2. Voraussetzungen: a) Die neu abzuurteüende Tat muß v o r d e r f r ü h e r e n V e r u r t e i l u n g begangen worden sein. Als frühere Verurteilung gilt der Zeitpunkt der Verkündung des Urteils, in dem die zugrundeliegenden tatsächlichen Festellungen letztmals geprüft werden konnten. Maßgeblicher Zeitpunkt kann also auch noch eine Verurteilung in der Berufungsinstanz sein. b) Das f r ü h e r e U r t e i l , dessen Straffestsetzung zur Bildung einer Gesamtstrafe herangezogen werden soll, muß im Zeitpunkt der späteren Aburteilung bereits r e c h t s k r ä f t i g sein. c) Die früher erkannte S t r a f e , die auch eine Geldstrafe sein kann, darf noch n i c h t v o l l s t r e c k t , v e r j ä h r t oder e r l a s s e n sein. 3. Beispiel: A begeht am 1. Februar einen Diebstahl und am 1. März einen Betrug. Zunächst wird der Diebstahl aufgedeckt. A wird durch Urteil des Amtsgerichts vom 20. Mai zu einer Freiheitsstrafe von 3 Monaten verurteilt. Wenig später, noch bevor A die Strafe verbüßt hat, wird auch der am 1. März begangene Betrug aufgedeckt. Es kommt zu einem neuen Verfahren. Nach dem Ergebnis der am 10. August durchgeführten Hauptverhandlung hält der Richter eine Freiheitsstrafe von 5 Monaten für tat- und schuldangemessen. Ohne die Sonderregelung des § 76 müßte A, wenn beide Strafen rechtskräftig werden, 3 + 5 = 8 Monate Freiheitsstrafe verbüßen. Wäre dagegen der am 1. März begangene Betrug bereits in der Verhandlung am 20. Mai mit abgeurteilt worden, so hätte die gemäß §§ 74, 75 zu bildende Gesamtstrafe keinesfalls die Höhe von 8 Monaten erreichen dürfen. Nach § 76 besteht die Möglichkeit, A so zu stellen, wie wenn auch der Betrug am 20. Mai mit abgeurteilt worden wäre. 4. Nebenstrafen, Nebenfolgen und Maßregeln werden in die Gesamtstrafe nicht einbezogen (vgl. §§ 74 Abs. 3 und 73 Abs. 4). I n der Kegel folgt daraus, daß die in der früheren Entscheidimg angeordneten Nebenstrafen, Nebenfolgen und Maßregeln aufrechtzuerhalten sind. Es besteht jedoch die Möglichkeit, daß sie durch die neue Entscheidung gegenstandslos werden. Nur in diesem Falle ist ihre frühere Anordnung aufzuheben. Die zeitliche Höchstdauer einer Maßregel, z.B. die Sperrfrist für die Wiedererteilung einer Fahrerlaubnis, darf nicht überschritten werden. Sie beginnt mit der Rechtskraft des früheren Urteils (vgl. BGH DAR 1971, 332). 5. Besonderheiten: a) Wurde die frühere Strafe zur B e w ä h r u n g ausgesetzt, so steht dies einer nachträglichen Gesamtstrafenbildung nicht entgegen. Siehe hierzu § 77 Anm. 2.
235
Strafgesetzbuch b) Die frühere Strafe kann auch in einer O e s a m t s t r a f e bestehen. Diese ist dann bei der neuen Gesamtstrafenbildung in ihre Einzelstrafen aufzulösen. Die neue Gesamtstrafe braucht zwar nicht höher zu sein als die alte Gesamtstrafe (vgl. BGH N J W 1973, 63), muß jedoch mindestens die Höhe der alten Gesamtstrafe erreichen (vgl. BGH 7, 183; a.A. BGH 15, 164; Schönke-Schröder 28; Dreher 1 D ) ; andererseits darf sie die Summe der alten Gesamtstrafe und der neu hinzukommenden Einzelstrafen nicht übersteigen (BGH 15, 164; Krhe DJ 1965, 119; Stgt N J W 1968, 1731; a.A. Schönke-Schröder a.a.O.). B e i s p i e l : A wird am 1. 3. wegen zweier Diebstähle zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 3 Monaten verurteilt, gebildet aus Einzelstrafen von je 2 Monaten Freiheitsstrafe. Ein weiterer, vor dem 1. 3. begangener Diebstahl wird am 1. 6. abgeurteilt. Wiederum hält der Richter eine Freiheitsstrafe von 2 Monaten für angemessen. Die gemäß § 76 nachträglich zu bildende Gesamtstrafe beträgt nunmehr mindestens 3 Monate und höchstens 5 Monate. Dies ergibt sich aus der Erwägung, daß der Richter, der am 1. 3. mit der Sache befaßt war, wahrscheinlich eine zwischen diesen Grenzen liegende Strafe gewählt hätte. Er hätte wohl kaum auf weniger als 3 Monate, aber auch bestimmt nicht auf mehr als 5 Monate erkannt, wenn ihm auch die 3. Tat bekannt gewesen wäre. c) Ist die einzubeziehende Strafe ganz oder zum T e i l v o l l s t r e c k t , etwa durch Anrechnung von Untersuchungshaft, so muß diese Vollstreckung auf die nachträglich gebildete Gesamtstrafe angerechnet werden (siehe § 60 Abs. 2 und dort Anm. 3). d) Von der Möglichkeit des § 76 kann in jeder Tatsacheninstanz, also auch noch in der B e r u f u n g s i n s t a n z , Gebrauch gemacht werden. Dies gilt selbst dann, wenn die einzubeziehende Strafe erst zwischen dem Verfahren erster Instanz und der Berufungshauptverhandlung rechtskräftig geworden ist. e) Ist die nachträgliche Gesamtstrafenbildung gemäß § 76 versehentlich unterblieben, so kann sie gemäß § 460 StPO durch Beschluß nachgeholt werden. Das Gericht ist jedoch verpflichtet, unter den Voraussetzungen des § 76 die nachträgliche Oesamtstrafe bereits im Urteil zu bilden. Es darf die Gesamtstrafenbildung nicht dem Beschluß verfahren gemäß § 460 StPO überlassen (vgl. BGH 12, 1 zu § 79 a.F.), es sei denn, daß das in die Gesamtstrafe einzubeziehende frühere Urteil zwar rechtskräftig geworden ist, der Angeklagte aber mit einer gewissen Aussicht auf Erfolg Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (vgl. BGH 23, 98) oder Wiederaufnahme des Verfahrens beantragt hat. Zum Ganzen siehe auch Hamm N J W 1970, 1200; Küper N J W 1970, 1559; MDR 1970, 885.
§ 77 [Gesamtstrafe u n d Strafaussetzung:] (1) Hat jemand mehrere Straftaten begangen, so ist für die Strafaussetzung nach § 23 die Höhe der Gesamtstrafe maßgebend. (2) Ist in den Fällen des § 76 Abs. 1 die Vollstreckung der in der früheren Entscheidung verhängten Freiheitsstrafe ganz oder für den Strafrest zur Bewährung ausgesetzt und wird auch die Gesamtstrafe zur Bewährung ausgesetzt, so verkürzt sich das Mindestmaß der neuen Bewährungszeit um die bereits abgelaufene Bewährungszeit, jedoch nicht auf weniger als ein Jahr. Wird die Gesamtstrafe nicht zur Bewährung ausgesetzt, so gilt § 25 Abs. 3 entsprechend. 1. Zum Grundsatz des Abs. 1 siehe § 23 Anm. I I , 4. 2. Abs. 2 befaßt sich mit der S t r a f a u s s e t z u n g zur Bewährung bei träglicher Oesamtstrafenbildung:
236
nach-
Strafbemessung bei mehreren Gesetzesverletzungen
§ § TS, 7 0
a) Wurde die frühere Strafe zur Bewährung ausgesetzt, so steht dies einer nachträglichen Gesamtstrafenbildung nicht entgegen. Mit der Einbeziehung der früheren Strafe in die nachträglich gebildete Gesamtstrafe kommt die früher ausgesprochene Strafaussetzung zur Bewährung in Wegfall, da der Täter durch die nachträgliche Gesamtstrafenbildung nach § 76 so gestellt werden soll wie bei einheitlicher und gleichzeitiger Aburteilung. Das mit der nachträglichen Gesamtstrafenbildung befaßte Gericht hat dann erneut über die Strafaussetzung zu entscheiden. b) Wird auch die Gesamtstrafe zur Bewährung ausgesetzt, so muß dem Verurteilten die bereits abgelaufene B e w ä h r u n g s z e i t a n g e r e c h n e t werden. Es muß ihm aber von der Rechtskraft der neuen Verurteilung an mindestens ein Jahr an Bewährungszeit verbleiben (Abs. 2 S. 1). 3. Wird die nachträglich gebildete Gesamtstrafe entgegen der ersten Bestrafimg nicht zur Bewährung ausgesetzt und hat der Verurteilte während der früheren Bewährungszeit bereits Leistungen erbracht, so entspricht es der Billigkeit, ihm diese entsprechend der Regelung in § 25 Abs. 3 auf die Gesamtstrafe anzurechnen (Abs. 2 S. 2). §§ »8, V»
[aufgehoben]
237
Zweiter Teil Von den einzelnen Verbrechen, Vergehen und Übertretungen und deren Bestrafung Vorbemerkung zu den Abschnitten Friedensverrat (§§ 80, 80a), Hochverrat (§§ 81 bis 83 a) und Gefährdung des demokratischen Rechtsstaats ( § § 84—92 b) sowie Landesverrat und Gefährdung der äußeren Sicherheit (§§ 93—101a) 1. Die sog. Staatsschutzdelikte gehen in ihrer heutigen Form im wesentlichen auf das 8. StrRÄndG vom 25. 6. 1968 (BGBl. I 741) zurück, das die lange geforderte, umfassende Reform der gesamten Materie brachte. Einige Vorschriften wurden dann nochmals durch das 1. StrRG einer redaktionellen Änderung unterzogen. 2. Die am 1. 8. 1968 in K r a f t getretene Neufassung der Staatsschutzdelikte ist in zwei Abschnitte gegliedert. Der 1. Abschnitt enthält in seinem 1. Titel den neu eingeführten Tatbestand des Friedensverrats (§§80, 80a), während der 2. Titel sich mit der klassischen Materie des Hochverrats befaßt (§§ 81—83a); die im 3. Titel unter der Überschrift „Gefährdung des demokratischen Rechtsstaats" (§§ 84—-92b) zusammengefaßten Tatbestände entsprechen im wesentlichen den früheren Tatbeständen der S t a a t s g e f ä h r d u n g , in denen bestimmte Formen des gewaltlosen Umsturzes (sog. k a l t e R e v o l u t i o n ) unter Strafe gestellt waren. Der 2. Abschnitt enthält in den §§ 93—101a mit dem Landesverrat eine weitere klassische Form des Angriffs gegen den Staat. Anliegen dieser Bestimmungen ist es, die S c h w ä c h u n g d e r ä u ß e r e n S i c h e r h e i t gegenüber anderen Staaten durch Verrat von Staatsgeheimnissen und ähnliche Straftaten zu verhindern. 3. Der Schutzbereich der neuen Vorschriften erstreckt sich nicht nur auf die Bundesrepublik als ganze, sondern auch auf die einzelnen Länder. Darüber hinaus sind die Vorschriften über den Landesverrat und eine Reihe weiterer Vorschriften aus dem Bereich der Staatsschutzdelikte und der Delikte gegen die Landesverteidigung entsprechend anwendbar zum Schutz der NATO-Partner und ihrer in der B R D stationierten Truppen, außerdem zum Schutz der in Berlin anwesenden Truppen der Drei Westmächte. Wegen der Einzelheiten wird insoweit auf Art. 5 des 8. StrRÄndG Bezug genommen. 4. I n Berlin gelten die neuen Staatsschutzbestimmungen nur mit Einschränkungen (vgl. Art. 9 des 8. StrRÄndG). Nicht anwendbar sind insbesondere die §§ 84, 85 Abs. 1 Nr. 1, 86 Abs. 1 Nr. 1 sowie die Vorschriften zum Schutz von NATO und Bundeswehr. 5. Wegen der Zuständigkeit zur Aburteilung der Staatsschutzdelikte siehe §§ 74 a, 120 GVG. 6. Prozessual ist zu beachten, daß der Verfolgungszwang (sog. Legalitätsprinzip) durch das 8. StrRÄndG wesentlich gelockert worden ist. Siehe hierzu §§ 153 b, 153 c und § 153d StPO.
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Hochverrat
§ 8©
7. Über Umfang und Probleme des am 13. 7. 1968 in K r a f t getretenen StraffreiheitsG 1968 siehe Greiser N J W 1968, 1869. 8. Aus dem Schrifttum zur Reform der Staatsschutzdelikte siehe Woesner N J W 1968, 2129; Müller-Emmert N J W 1968,2134; Lüttger J R 1969, 121 sowie K r a u t h , Kurfess und Wulf J Z 1968, 577, 609, 731.
Erster Abschnitt Friedensverrat, Hochverrat und Gefahrdung des demokratischen Rechtsstaates Erster Titel Friedensverrat
§ 80
[Vorbereitung: eines A n g r i f f s k r i e g s ]
Wer einen Angriffskrieg (Artikel 26 Abs. 1 des Grandgesetzes), a n dem die Bundesrepublik Deutschland beteiligt sein soll, vorbereitet und dadurch die Gefahr eines Krieges für die Bundesrepublik Deutschland herbeiführt, wird mit lebenslanger Freiheitsstrafe oder mit Freiheitsstrafe nicht unter zehn Jahren bestraft. 1. Die Vorschrift erfüllt den Verfassungsauftrag des Art. 26 Abs. 1 S. 2 GG. Was ein Angriffskrieg ist, wird allerdings weder im Grundgesetz noch in § 80 definiert. Einer Klärung bedürfte insbesondere die Frage, wieweit ein sog. Präventivkrieg als Angriffskrieg zu gelten h a t (vgl. Nahostkrise 1967 zwischen Israel und seinen arabischen Nachbarstaaten). Dasselbe gilt f ü r kriegerische Konflikte, die dadurch entstehen, daß eine nationale Minderheit oder bestimmte politische Gruppen eines Staates eine andere Macht um bewaffnete Hilfe ersuchen. Rein praktisch gesehen dürfte die Frage, wann ein Angriffskrieg vorliegt, mehr politischer als rechtlicher N a t u r sein und letzten Endes von dem entschieden werden, der den Krieg siegreich beendet hat. Aus dem Schrifttum siehe insbesondere Wengler, Das völkerrechtliche Gewaltverbot (1967) sowie Schroeder JZ 1969, 41. 2. Rechtssystematisch gesehen enthält § 80 ein sog. Vorbereitungsdelikt, d.h. nicht erst die Durchführung, sondern bereits die Vorbereitung des Angriffskriegs ist selbständig unter Strafe gestellt. Als Vorbereitung h a t hierbei jede Handlung zu gelten, die nach der Vorstellung des Täters geeignet ist, den geplanten Krieg unter Einbeziehung der B R D zu fördern. 3. Nicht erforderlich ist, daß der geplante Krieg zum Ausbruch kommt. Es genügt vielmehr bereits der Eintritt einer Kriegsgefahr. Diese ist keine objektive Strafbarkeitsbedingung, sondern ein echtes Tatbestandsmerkmal, auf das sich der Vorsatz des Täters beziehen muß. W a n n man im Einzelfall schon von einer echten Gefahr eines Krieges sprechen kann, ist Tatfrage und wird nicht einfach zu entscheiden sein. Nicht ausreichend ist jedenfalls die abstrakte Möglichkeit eines Krieges. Die Gefahr muß so konkret sein, daß man nach allgemeiner Lebenserfahrung jederzeit mit dem Ausbruch eines Krieges rechnen muß. H a t die Vorbereitungshandlung nicht zu einer solchen Folge geführt, so liegt strafbarer Versuch vor (vgl. Schönke-Schröder 7; a.A. Dreher Anm. 2, wonach in diesem Fall n u r § 80 a in Betracht kommen soll). 4. Die Auslösung des Krieges selbst wird vom Gesetz nicht ausdrücklich erwähnt, m u ß aber als intensivste Form der Vorbereitung ebenfalls unter den Tatbestand des § 80 subsumiert werden.
239
S§80a,
81
Strafgesetzbuch
5. Täter kann auch ein Ausländer, Tatort auch das Ausland sein (vgl. §§ 3, 4 Abs. 1, Abs. 3 S. 2). 6. Der subjektive Tatbestand erfordert Vorsatz. Dieser muß sich auf alle Tb.Merkmale erstrecken, insbesondere auf den Eintritt einer Kriegsgefahr (s.o. 3). 7. IdK. ist möglich mit §§ 94, 99, 100a; §§ 49a, 80a, 100 sind subsidiär. § S O a [Aufstachelung; z u m Angriffskrieg:] Wer im räumlichen Geltungsbereich dieses Gesetzes öffentlich, in einer Versammlung oder durch Verbreiten von Schriften, Ton- oder Bildträgern, Abbildungen oder Darstellungen zum Angriffskrieg (§ 80) aufstachelt, wird mit Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren bestraft. 1. § 80 a bringt einen wegen seiner Gefährlichkeit selbständig unter Strafe gestellten Sonderfall der erfolglosen Anstiftung, durch den § 80 ergänzt wird. 2. Als Aufstacheln gilt jeder propagandistische Versuch, die öffentliche Meinung für einen Angriffskrieg zu gewinnen, sofern dieser Versuch öffentlich, in einer Versammlung oder durch Verbreiten von Schriften, Ton- oder Bildträgern, Abbildungen oder Darstellungen erfolgt. a) Öffentlich ist die Tat, wenn sie von einem nach Herkunft und Zahl unbestimmten Personenkreis wahrgenommen werden kann, z.B. bei einer lauten Unterhaltung in einem Zug, Gasthaus oder Theater, vor allem aber auch bei Demonstrationen auf offener Straße. b) Als Versammlung gilt jedes räumliche Zusammentreffen einer Mehrzahl von Personen zur Erörterung oder Verfolgung bestimmter Zwecke. Nicht hierher gehören Familientreffen und ähnliche rein private Veranstaltungen. Im übrigen jedoch ist nicht erforderlich, daß die Versammlung öffentlich ist; die Alternative dient vielmehr gerade der Erfassung solcher Äußerungen, die mangels Öffentlichkeit sonst nicht tatbestandsmäßig wären. Der Begriff Versammlung ist hier enger als im VersammlG (vgl. Dreher Anm. 2 m. weit. Kachweisen). c) Eine Schrift usw. ist verbreitet, sobald sie einer größeren Anzahl von Personen zugeleitet worden ist. Unerheblich ist, ob diese Personen der Zahl oder dem Namen nach bekannt und bestimmt sind oder nicht. 3. Gegenüber § 80 ist § 80a subsidiär; I d K . ist möglich mit §§ 89, 90, 90a, 100, 110, 111.
Zweiter Titel Hochverrat § 8 1 [Hochverrat gegen den Bond] (1) Wer es unternimmt, mit Gewalt oder durch Drohimg mit Gewalt 1. den Bestand der Bundesrepublik Deutschland zu beeinträchtigen oder 2. die auf dem Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland beruhende verfassungsmäßige Ordnung zu ändern, wird wegen Hochverrats gegen den Bund mit lebenslanger Freiheitsstrafe oder mit Freiheitsstrafe nicht unter zehn Jahren bestraft. (2) In minder schweren Fällen ist die Strafe Freiheitsstrafe bis zu zehn Jahren. 1. Über den Begriff des Unternehmens siehe § 46a.
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Hochverrat
§ 8 3
2. § 81 Nr. 1 behandelt den sog. Bestandshochverrat, Kr. 2 den Bog. Verfassungahochverrat. a) Im Falle des Bestandshochverrats (Nr. l)geht das Ziel des Täters dahin, die bestehende Ordnung in gebietsmäßiger Hinsicht zu verändern. Hierher gehört vor allem das Ziel, die BRD unter Verlust ihrer eigenen Souveränität unter fremde Botmäßigkeit zu bringen. Tatbestandsmäßig wäre qber auch das Ziel, einzelne Teile der BRD abzutrennen und einem fremden Staatswesen einzuverleiben oder auch zu verselbständigen. Bestritten ist, ob zum Gebiet der BRD auch Berlin gehört. Zum Ganzen siehe auch § 92 Anm. 2. b) I m Falle des Verfassungshochverrats (Nr. 2) geht das Ziel des Täters dahin, die durch das Grundgesetz normierten Grundlagen des politischen Lebens in der BRD einer Änderung zu unterziehen. Geschützt sind insbesondere das durch die Verfassung festgelegte Spannungsverhältnis zwischen Gesetzgebung, Verwaltung und Rechtsprechung, die Rechtsstellung der politischen Parteien und das föderalistische Prinzip, das die Rechtsstellung der Länder garantiert. Geschützt sind ferner alle in § 92 Abs 2 aufgeführten Verfassungsgrundsätze. Die Beispiele lassen sich daher beliebig vermehren, zumal der Begriff der verfassungsmäßigen Ordnung in § 81 weiter greift als der Begriff der Verfassungsgrundsätze in § 92 Abs. 2. Er umfaßt z.B. auch sämtliche Grundrechte (vgl. Dreher Anm. 2 B a m. weit. Nachweisen). Als Ä n d e r u n g der verfassungsmäßigen Ordnung gilt nicht schon eine Störung oder Beeinträchtigung im Einzelfall. Erforderlich ist vielmehr, daß grundlegende, durch die Verfassung garantierte Institutionen entweder überhaupt beseitigt oder auf nicht nur vorübergehende Dauer in ihrer Funktion wesentlich beeinträchtigt werden. Hierher würde z.B. der gewaltsame Sturz der Bundesregierung gehören, ferner die Beseitigung von Bundestag und Bundesrat, die Besetzung von Rundfunk- und Fernsehstationen oder die Besetzung der Gerichtsgebäude, um die Ausübung einer ordnungsmäßigen Gerichtsbarkeit zu verhindern. Die Besetzung eines einzelnen Gerichtsgebäudes wäre dagegen nur eine Störung der verfassungsmäßigen Ordnimg, noch keine Änderung. 3. Tatmittel sind Gewalt bzw. Drohung mit Gewalt. Gewalt i. S. der Vorschrift ist nicht nur die körperliche Kraftentfaltung, sondern jeder körperlich wirkende Zwang. Tatbestandsmäßig können daher auch Massendemonstrationen und Generalstreiks sein. Problematisch bleibt allerdings, unter welchen Voraussetzungen ein an sich zulässiger Streik oder eine Demonstration zu rechtswidriger Gewalt werden. Es handelt sich immerhin um Rechte mit Verfassungsrang. Andererseits dürfen Streik und Demonstration in einem demokratischen Rechtsstaat nicht zu Umsturz und Anarchie führen. Leider hat der Gesetzgeber auf eine gesetzliche Regelung dieser Konfliktslage bewußt verzichtet und es der Rechtsprechung überlassen, die Grenzen zwischen zulässigen und mißbräuchlichen Formen von Streik und Demonstration zu ziehen (vgl. Woesner N J W 1968, 2130f.). Rechtsmißbräuchlich und damit rechtswidrige Gewalt sind jedoch zumindest solche Methoden des politischen Kampfs, die zu einer Lähmung des gesamten öffentlichen und wirtschaftlichen Lebens und dadurch zu chaotischen Zuständen führen. Dies kann z. B. der Fall sein bei Ausfall von Strom, Gas, Wasser oder durch eine Störung der Lebensmittelversorgung (vgl. BGH 8, 102, LM Nr. 6 zu § 81 aF., Dreher 3). 4. Tätige Reue führt nur unter den Voraussetzungen des § 83 a zu Straflosigkeit. § 8 3 [ H o c h v e r r a t greifen e i n L a n d ] (I) Wer es unternimmt, mit Gewalt oder durch Drohung mit Gewalt 1. das Gebiet eines Landes ganz oder zum Teil einem anderen Land der Bundesrepublik Deutschland einzuverleiben oder einen Teil eines Landes von diesem abzutrennen oder 16 Pettera-Preisend&nz, StGB, 28. Aufl.
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§§ 83, 83 a
Strafgesetzbuch
2. die auf der Verfassung eines Landes beruhende verfassungsmäßige Ordnung zu ändern, wird wegen Hochverrats gegen ein Land mit Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren bestraft. (2) In minder schweren Fällen ist die Strafe Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren. Die Vorschrift dient dem verfassungsmäßig garantierten Schutz der einzelnen Bundesländer. Die Ausführungen zu § 81 gelten entsprechend.
§ 83 [VorbereitungrslismcllunsrenJ (1) Wer ein bestimmtes hochverräterisches Unternehmen gegen den Bund vorbereitet, wird mit Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren, in minder schweren Fällen mit Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu fünf Jahren bestraft. (2) Wer ein bestimmtes hochverräterisches Unternehmen gegen ein Land vorbereitet, wird mit Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren bestraft. 1. Hier wird bereits die Vorbereitung eines bestimmten hochverräterischen Unternehmens i.S. der §§ 81, 82 selbständig unter Strafe gestellt. a) Vorbereitung ist jede Tätigkeit, die nach der Vorstellung des Täters geeignet ist, das geplante Unternehmen zu fördern, z.B. die Abfassung und Herstellung von Druckschriften. Eine konkrete Gefahr für den Staat muß noch nicht eingetreten sein.
b) Nur die Vorbereitung eines bestimmten hochverräterischen Unternehmens
erfüllt den Tatbestand, d.h. das geplante Unternehmen muß nach Angriffsgegenstand und Angriffsziel bereits feststehen (z.B. gewaltsamer Sturz der Regierung). Auch hinsichtlich Ort, Zeit und Art der Durchführung des Unternehmens müssen schon konkrete Vorstellungen bestehen. 2. Tätige Reue führt nur unter den Voraussetzungen des § 83 a zu Straflosigkeit. 3. Für Auslandstaten eines Ausländers ist (wie schon bei den vorausgegangenen Tatbeständen) § 4 Abs. 3 Nr. 2 zu beachten.
4. Wegen Nebenstrafen und Nebenfolgen siehe §§ 92a, b.
5. IdK ist möglich mit §§ 84—89 und 129; § 49 a ist subsidiär.
§ 8 3 a [Tätige Rene] (1) In den Fällen der § § 8 1 und 82 kann das Gericht die Strafe nach seinem Ermessen mildern (§ 15) oder von einer Bestrafung nach diesen Vorschriften absehen, wenn der Täter freiwillig die weitere Ausführung der Tat aufgibt und eine von ihm erkannte Gefahr, daß andere das Unternehmen weiter ausführen, abwendet oder wesentlich mindert oder wenn er freiwillig die Vollendung der Tat verhindert. (2) In den Fällen des § 83 kann das Gericht nach Absatz 1 verfahren, wenn der Täter freiwillig sein Vorhaben aufgibt und eine von ihm verursachte und erkannte Gefahr, daß andere das Unternehmen weiter vorbereiten oder es ausführen, abwendet oder wesentlich mindert oder wenn er freiwillig die Vollendung der Tat verhindert. (3) Wird ohne Zutun des Täters die bezeichnete Gefahr abgewendet oder wesentlich gemindert oder die Vollendung der Tat verhindert, so genügt sein freiwilliges und ernsthaftes Bemühen, dieses Ziel zu erreichen. 1. Die Vorschrift enthält Sonderfälle der tätigen Reue, wobei sich Abs. 1 auf die Unternehmenstatbestände der §§ 81, 82 und Abs. 2 auf die in § 83 selbständig unter Strafe gestellte Vorbereitung eines hochverräterischen Unternehmens bezieht.
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Gefährdung des demokratischen Rechtsstaates
§ 8 4
Die Notwendigkeit der Sonderregelung des § 83 a ergibt sich daraus, daß sowohl bei den Unternehmensdelikten als auch bei den selbständig unter Strafe gestellten Vorbereitungshandlungen die allgemeinen Vorschriften über Rücktritt und tätige Reue keine Anwendung finden können (vgl. § 46 Anm. IV 3, 4). 2. Im Gegensatz zur Regelung des § 46 steht es im pflichtgemäßen Ermessen des Gerichts, ob es von der Möglichkeit einer Strafmilderung Gebrauch machen oder gar von Strafe absehen will. Abs. 3 entspricht der Regelung in § 49 a Abs. 4. 3. Prozessual zu beachten sind § 153a StPO (Durchbrechung des Legalitätsprinzips zugunsten des Opportunitätsprinzips) und § 465 StPO (Angeklagter trägt die Kosten, auch wenn von Strafe abgesehen wird).
Dritter Titel Gefährdung des demokratischen Rechtsstaates § 84
[Verstoß gregren E n t s c h e i d u n g e n des Bundesverfassungsgerichts] (1) Wer als Rädelsführer oder Hintermann im räumlichen Geltungsbereich dieses Gesetzes den organisatorischen Zusammenhalt 1. einer vom Bundesverfassungsgericht für verfassungswidrig erklärten Partei oder 2. einer Partei, von der das Bundesverfassungsgericht festgestellt hat, daß sie Ersatzorganisation einer verbotenen Partei ist, aufrechterhält, wird mit Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren bestraft. Der Versuch ist strafbar. (2) Wer sich in einer Partei der in Absatz 1 bezeichneten Art als Mitglied betätigt oder wer ihren organisatorischen Zusammenhalt unterstützt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren bestraft. (3) Wer einer anderen Sachentscheidung des Bundesverfassungsgerichts, die im Verfahren nach Artikel 21 Abs. 2 des Grundgesetzes oder im Verfahren nach § 33 Abs. 2 des Parteiengesetzes erlassen ist, oder einer vollziehbaren Maßnahme zuwiderhandelt, die im Vollzug einer in einem solchen Verfahren ergangenen Sachentscheidung getroffen ist, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren bestraft. Den in Satz 1 bezeichneten Verfahren steht ein Verfahren nach Artikel 18 des Grundgesetzes gleich. (4) In den Fällen des Absatzes 1 Satz 2 und der Absätze 2 und 3 Satz 1 kann das Gericht bei Beteiligten, deren Schuld gering und deren Mitwirkung von untergeordneter Bedeutung ist, die Strafe nach seinem Ermessen mildern (§ 15) oder von einer Bestrafung nach diesen Vorschriften absehen. (5) In den Fällen der Absätze 1 bis 3 Satz 1 kann das Gericht die Strafe nach seinem Ermessen mildern (§ 15) oder von einer Bestrafung nach diesen Vorschriften absehen, wenn der Täter sich freiwillig und ernsthaft bemüht, das Fortbestehen der Partei zu verhindern; erreicht er dieses Ziel oder wird es ohne sein Bemühen erreicht, so wird der Täter nicht bestraft. 1. Die Vorschrift knüpft an die früher in § 9 0 a getroffene Regelung an, bringt jedoch verschiedene, nicht unwesentliche Änderungen. So ist vor allem die Tätigkeit oder Mitgliedschaft in einer Ersatzorganisation einer verbotenen Partei erst dann strafbar, wenn das Bundesverfassungsgericht den Charakter der Organisation als Ersatzorganisation festgestellt hat. Neu ist auch die in Abs. 3 vorgenommene Einbeziehung von Verstößen gegen Entscheidungen, die das BVerfG im Feststellungsverfahren nach § 33 Abs. 2 PartG getroffen hat (s.u. 6.). 16*
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§
84
Strafgesetzbuch
2. Als Partei i. S. des Abs. 1 und 2 gilt jede Vereinigung i. S. von § 2 PartG. Die Partei muß vom BVerfG für verfassungswidrig erklärt worden sein. Dieses Schicksal haben bisher nur die S R P und die K P D erlitten (vgl. B V e r f G E 2, 1; 5, 85). Wegen des Verfahrens siehe Art. 21 I I GG i.V. mit § 46 BVerfGG. 3. Ob eine Partei eine Ersatzorganisation einer verbotenen Partei ist, muß zunächst von zuständiger Stelle festgestellt werden. Erst wenn diese Feststellung getroffen ist, erfüllen die Mitgliedschaft in einer solchen Partei oder ihre Förderung den Tatbestand einer strafbaren Handlung. Das Verfahren über die Feststellung der Verfassungsmäßigkeit ist in § 33 PartG geregelt. Hierbei ist zu beachten, daß nach § 33 Abs. 2 PartG die Zuständigkeit des BVerfG nur für solche Ersatzorganisationen gegeben ist, die schon v o r dem Verbot der als verfassungswidrig festgestellten Partei — natürlich nicht als deren Ersatzorganisationen — bestanden haben und entweder im Bundestag oder in einem Landtag vertreten sind. F ü r alle übrigen Ersatzorganisationen sind zur Feststellung der Verfassungswidrigkeit die Verwaltungsbehörden zuständig (vgl. § 33 Abs. 3 PartG i.V. mit § 8 Abs. 2 VereinsG). Die Unterstützung solcher Ersatzorganisationen ist nicht nach § 84, sondern nach § 85 strafbar. Eine Entscheidung des BVerfG im Feststellungsverfahren nach §33 Abs. 2 PartG ist bisher noch nicht ergangen. 4. Die Tathandlung nach Abs. 1 ist die Aufrechterhaltung des organisatorischen Zusammenhalts der verbotenen Partei oder Ersatzorganisation. Hierher gehört jedes Verhalten, das darauf abzielt, die Partei trotz des Verbots in ihrem Bestand zu erhalten (vgl. B G H 20, 287 zu § 90 a i.d.F. des VereinsG). Unerheblich ist, ob dies offen oder geheim in der Form einer Untergrundbewegung geschieht. Unerheblich ist auch, ob die Partei unter ihrem alten Namen oder — zur Verschleierung ihrer Identität — unter einem neuen Namen in Erscheinung tritt. Entscheidend ist allein, daß der organisatorische Apparat der Partei in seinen wesentlichen Funktionen fortgeführt wird. 5. Täter kann nur ein Rädelsführer oder Hintermann sein. Diese Begriffe begegnen später nochmals in den Tatbeständen der §§85, 88, und § 129 Abs. 4. a) Rädelsführer sind Mitglieder, die in der verbotenen Partei eine führende Rolle spielen (vgl. B G H 19, 109ff.; 20, 121 ff.). b) Hintermänner sind Außenstehende, die sich als sog. Drahtzieher beteiligen (vgl. B G H 20, 123). Unerheblich ist, ob der Rädelsführer bzw. Hintermann zu den geistigen Köpfen der Bewegung gehört oder ob er sie wirtschaftlich fördert. Entscheidend sind allein Bedeutung und Ausmaß seines Einflusses auf die Organisation insgesamt. E r muß entweder selbst zu den Führungskräften gehören oder durch sein Tun „gleichsam an der Führung teilhaben" (BGH 19, 109). 6. Abs. 2 erfaßt denjenigen, der sich in einer verbotenen Partei oder Ersatzorganisation als Mitglied betätigt oder ihren organisatorischen Zusammenhang unterstützt. a) Eine Mitgliedschaft i. S. der Vorschrift setzt nicht notwendig voraus, daß der Täter listenmäßig als Mitglied erfaßt ist, regelmäßig bestimmte Mitgliedsbeiträge bezahlt oder eine offizielle Mitgliedskarte (Parteibuch) besitzt. Entscheidend ist vielmehr, daß er in Übereinstimmimg mit der Partei nicht nur vorübergehend für diese tätig wird (vgl. B G H 18, 299f. zu § 9 0 a a . F . ) . Der Besuch einzelner Veranstaltungen oder der Bezug von Zeitschriften, j a selbst das Verteilen von Werbematerial oder das Kassieren von Beiträgen reicht für sich allein nicht aus, wenn die übrigen Voraussetzungen fehlen (vgl. B G H 20, 74, 291). Auch die förmliche Mitgüedschaft erfüllt für sich allein noch nicht den Tatbestand (vgl. Woesner N J W 1968, 2129, 2132). Dieser ist vielmehr erst dann erfüllt, wenn das Mitglied sich als
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Gefährdung des demokratischen Rechtsstaates
§ 8 5
solches b e t ä t i g t , d.h. über die Zahlung der Beiträge hinaus aktiv tätig wird, z.B. durch Vorträge oder Werben von Mitgliedern. b) Die 2. Alt. des Abs. 2 bezieht sich auf Nichtmitglieder (Außenstehende), die den organisatorischen Zusammenhalt unterstützen. Unterstützung ist zu Täterschaft verselbständigte Beihilfe (BGH 20, 89). Erfaßt werden sollen vor allem die Geldgeber der Organisation, die nach außen nicht in Erscheinung treten wollen, aber auch noch nicht als Drahtzieher angesehen werden können (sonst Abs. 1). Werbung und einfache ideologische Parteinahme genügen für sich allein noch nicht, wohl aber systematische und intensive Propaganda (vgl. Woesner N J W 1968,2129,2132). 7. Abs. 3 schafft eine Strafdrohung für Verstöße a) gegen andere Sachentscheidungen des BVerfG im Verbotsverfahren nach Art. 21 Abs. 2 GG, im Feststellungsverfahren nach § 33 Abs. 2 PartG sowie im Grundrechtsentziehungsverfahren nach Art. 18 GG; b) gegen vollziehbare Maßnahmen zum Vollzug einer Sachentscheidung im Rahmen eines Verfahrens der in a) erwähnten Art. Unter a) fallen z.B. Verstöße gegen einstweilige Anordnungen gemäß § 32 BVerfGG (nicht jedoch gegen prozessuale Entscheidungen, z.B. gegen Beschlagnahme und Durchsuchungen gemäß § 38 BVerfGG).Unter b) würde z.B. die Beiseiteschaffung von Vermögensgegenständen fallen, die gemäß § 46 BVerfGG eingezogen wurden. 8. Der subj. Tb. erfordert in allen Fällen Vorsatz. Der Täter muß insbesondere wissen, daß die Partei vom BVerfG verboten oder als Ersatzorganisation festgestellt worden ist. Unerheblich ist dagegen, ob er die Entscheidung als richtig anerkennt oder nicht. Unerheblich sind auch die Motive der Tat. Sie können sich allenfalls bei der Strafzumessung auswirken (siehe auch Abs. 4 und 5). 9. Die Abs. 4 und 5 schaffen unter bestimmten Voraussetzungen die Möglichkeit, die Strafe zu mildern oder von Strafe abzusehen. Beide Absätze wurden durch das 1. StrRG redaktionell an die allgemeine Vorschrift des neuen § 15 angepaßt. 10. IdK ist möglich mit §§ 83, 86—89,129. § 20 Abs. 1 VereinsG tritt als subsidiär zurück. 11. Prozessual zu beachten sind die §§ 153 b, c StPO (Opportunitätsprinzip). Sachlich zuständig sind die sog. politischen Strafkammern (§ 74a Abs. 1 Nr. 2 GVG). 12. Wegen Nebenstrafen und Nebenfolgen siehe §§ 92a, b.
§ 85
[Verstoß g e g e n V c r e i n i j f n n R S T f r b o t ]
(1) Wer als Rädelsführer oder Hintermann im räumlichen Geltungsbereich dieses Gesetzes den organisatorischen Zusammenhalt 1. einer Partei oder Vereinigimg, von der im Verfahren nach § 33 Abs. 3 des Parteiengesetzes unanfechtbar festgestellt ist, daß sie Ersatzorganisation einer verbotenen Partei ist, oder 2. einer Vereinigung, die unanfechtbar verboten ist, weil sie sich gegen die verfassungsmäßige Ordnimg oder gegen den Gedanken der Völkerverständigung richtet, oder von der unanfechtbar festgestellt ist, daß sie Ersatzorganisation einer solchen verbotenen Vereinigung ist, aufrechterhält, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren bestraft. Der Versuch ist strafbar. (2) Wer sich in einer Partei oder Vereinigung der in Absatz 1 bezeichneten Art als Mitglied betätigt oder wer ihren organisatorischen Zusammenhalt unterstützt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren bestraft. (3) § 84 Abs. 4 und 5 gilt entsprechend.
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§ 8 6
Strafgesetzbuch
X. Die Vorschrift bringt eine Ergänzung des § 84. Sie entspricht im wesentlichen der früher in § 90 b i.d.F. des VereinsG getroffenen Regelung. Neu ist jedoch Abs. 1 Nr. 1 (eine Vorschrift, die in Berlin nicht gilt, vgl. Art. 9 I I Nr. 1 des 8. StrRÄndG). 2. Durch Abs. 1 Nr. 1 werden Parteien und Vereinigungen erfaßt, die im Verfahren nach § 33 Abs. 3 PartG unanfechtbar als Ersatzorganisation einer verbotenen Partei festgestellt worden sind. a) Über Partei siehe § 84 Anm. 2 und 3. b) Vereinigung ist jeder Verein i. S. von § 2 VereinsG, d. h. eine Mehrheit von natürlichen oder juristischen Personen, die sich für längere Zeit zu einem gemeinsamen Zweck freiwillig zusammengeschlossen und einer organisierten Willensbildung unterworfen haben. c) Die Partei bzw. Vereinigung muß im Verfahren nach § 33 Abs. 3 PartG unanfechtbar als Ersatzorganisation einer verbotenen Partei festgestellt worden sein. Zuständig für dieses Verfahren ist — anders als im Verfahren nach § 33 Abs. 2 PartG — nicht das BVerfG, sondern die Verwaltungsbehörde (vgl. § 33 Abs. 3 PartG i.V. mit §§ 3, 8 VereinsG). d) Ist die Entscheidung noch nicht rechtskräftig, liegt aber schon eine vollziehbare Feststellung i.S. von § 2 Abs. 4 VereinsG vor, so richtet sich die Strafbarkeit nicht nach § 85, sondern nach § 20 Abs. 1 VereinsG. 3. Abs. 1 Nr. 2 bezieht sich auf Vereinigungen, die im Verfahren nach §§ 3ff. VereinsG unanfechtbar verboten worden sind. Zuständig für das Verbotsverfahren ist wiederum die Verwaltungsbehörde (§ 3 Abs. 2 VereinsG). Ist das Verbot bereits vollziehbar (vgl. § 3 Abs. 4 VereinsG), aber noch nicht unanfechtbar, so ergibt sich die Strafbarkeit aus § 20 Abs. 1 VereinsG. 4. Tathandlang und Täterkreis sind die gleichen wie in § 84. Auf die dortigen Ausführungen kann insoweit verwiesen werden (vgl. § 84 Anm. 4—7). 5. Zum Ganzen siehe auch § 84 Anm. 8—12. § 86
[Verbreitung: von Propagrandamitteln verfiissunffswidrifrer Organisationen]
(1) Wer Propagandamittel 1. einer vom Bundesverfassungsgericht für verfassungswidrig erklärten Partei oder einer Partei oder Vereinigung, von der unanfechtbar festgestellt ist, daß sie Ersatzorganisation einer solchen Partei ist, 2. einer Vereinigung, die unanfechtbar verboten ist, weil sie sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder gegen den Gedanken der Völkerverständigung richtet, oder von der unanfechtbar festgestellt ist, daß sie Ersatzorganisation einer solchen verbotenen Vereinigung ist, 3. einer Regierung, Vereinigung oder Einrichtung außerhalb des räumlichen Geltungsbereichs dieses Gesetzes, die für die Zwecke einer der in den Nummern 1 und 2 bezeichneten Parteien oder Vereinigungen tätig ist, oder 4. Propagandamittel, die nach ihrem Inhalt dazu bestimmt sind, Bestrebungen einer ehemaligen nationalsozialistischen Organisation fortzusetzen, im räumlichen Geltungsbereich dieses Gesetzes verbreitet oder zur Verbreitung innerhalb dieses Bereichs herstellt, vorrätig hält oder in diesen Bereich einführt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren bestraft. (2) Propagandamittel im Sinne des Absatzes 1 sind nur solche Schriften, Ton- oder Bildträger, Abbildungen oder Barstellungen, deren Inhalt gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung oder den Gedanken der Völkerverständigung gerichtet ist.
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Gefährdung des demokratischen Rechtsstaates (3) lichen licher (4)
§ 8 6
Absatz 1 gilt nicht, wenn die Handlung i m Rahmen der staatsbürgerAufklärung, der Abwehr verfassungswidriger Bestrebungen oder ähnZwecke vorgenommen wird. § 84 Abs. 4 gilt entsprechend.
1. Die Vorschrift, deren Abs. 1 Nr. 1 sowie Nr. 3 i.V. mit Nr. 1 in Berlin nicht gelten (vgl. Art. 9 Abs. 2 Nr. 1 des 8. StrRÄndG), findet keine Anwendung auf Zeitungen und Zeitschriften, die außerhalb des räumlichen Geltungsbereichs des StGB in ständiger, regelmäßiger Folge erscheinen und dort allgemein und öffentlich vertrieben werden (Art. 8 d. 8. StrÄndG idF d. G. vom 24. 3. 1971, BGBl. I 265). 2. Der Begriff der Fropagandamittel ist in Abs. 2 abschließend definiert. a) Die f r e i h e i t l i c h e d e m o k r a t i s c h e G r u n d o r d n u n g erfaßt nicht nur die in § 81 Abs. 1 Nr. 2 geschützte verfassungsmäßige Ordnimg der B R D und die in § 92 Abs. 2 definierten Verfassungsgrundsätze, sondern schlechthin die tragenden Grundsätze jeder freiheitlichen Demokratie. b) Die Gedanken der V ö l k e r v e r s t ä n d i g u n g werden bestimmt durch das Ziel, eine friedliche Koexistenz aller Völker unter Ausschluß jeder Gewalt zu erreichen. c) Unerheblich ist, aus welcher Zeit die staatsgefährdenden Propagandamittel stammen. So können auch aggressive Filme sowie Liedertexte, Reden und Aufsätze aus der NS-Zeit als Propagandamittel i.S. des Abs. 2 angesehen werden (wichtig f ü r § 86 Abs. 1 Nr. 4). 3. Hinsichtlich der Herkunft des Propagandamaterials ist folgendes zu beachten: a) Abs. 1 Nr. 1 und 2 erfassen Propagandamittel von Parteien und Vereinigungen, deren Aufrechterhaltung oder Unterstützimg unter den Voraussetzungen der §§ 84, 85 nach diesen Vorschriften strafbar wäre. Liegt eine noch nicht rechtskräftige, aber bereits vollzugsfähige Entscheidung der Verbotsbehörde vor (vgl. § 3 Abs. 4 VereinsG), so kommt eine Strafbarkeit nur unter den Voraussetzungen des § 20 Abs. 1 VereinsG in Betracht. b) Abs. 1 Nr. 3 erfaßt Propagandamaterial von Regierungen, Vereinigungen und Einrichtungen außerhalb des gesetzlichen Geltungsbereichs (z.B. aus der DDR), soweit diese f ü r die unter Abs. 1 Nr. 1 und 2 fallenden Gruppen tätig wurden. c) Ohne Rücksicht auf die H e r k u n f t unterliegt Propagandamaterial dem Anwendungsbereich der Vorschrift, wenn es seinem Inhalt nach dazu bestimmt ist, Bestrebungen einer ehemaligen NS-Organisation forzusetzen (Nr. 4). Als NS-Organisation gilt die NSDAP mit sämtlichen ihr ehemals angeschlossenen Verbänden. Tatbestandsmäßig sind vor allem Aufsätze, Reden und Lieder, deren Inhalt nach dem Urteil eines verständigen Beurteilers die Unterdrückung des Judentums oder anderer Volksgruppen verherrlicht. Unerheblich ist, ob die Aufsätze usw. noch aus der NS-Zeit stammen oder erst in jüngerer Zeit gefertigt wurden. Entscheidend ist allein das in ihnen enthaltene aggressive Gedankengut. 4. Als Tathandlung kommen in Betracht das Verbreiten, Herstellen und Vorrätighalten sowie die Einfuhr. a) V e r b r e i t e n ist wie in § 184 (siehe d o r t A n m . 7d) jede Weitergabe mit dem Ziel, das Material einem größeren Personenkreis zugänglich zu machen. S t r a f b a r ist das Verbreiten nur, wenn es innerhalb des Geltungsbereichs des StGB erfolgt. I n Berlin gilt die Vorschrift nur beschränkt (s.o. 1). b) Das H e r s t e l l e n (zu dem auch das früher in § 93 erwähnte Vervielfältigen gehört) und das V o r r ä t i g h a l t e n sind auch dann strafbar, wenn die H a n d l u n g außerhalb des Geltungsbereichs des StGB vorgenommen wird, jedoch muß die Absicht der Verbreitimg innerhalb des Geltungsbereichs vorliegen. c) Die E i n f u h r ist bereits mit dem Überschreiten der Grenze vollendet. Beihilfe ist jedoch noch bis zum Erreichen des Bestimmungsorts möglich (vgl. Dreher Anm. 4 m. weit. Nachw.).
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§ 8 6 a
Strafgesetzbuch
d) N i c h t hierher gehört das früher in § 93 aufgeführte B e z i e h e n von staatsgefährdendem Propagandamaterial. Der Bezug aus dem Ausland ist auch nicht als „Einfuhr" strafbar, wenn er nur der eigenen Information dient. 5. Der subj. Tb. erfordert Vorsatz, wobei bedingter Vorsatz hinsichtlich aller Tb.Merkmale ausreicht (BGH 19, 223 zu § 93 a.F.). Motive und Ziele des Täters sind unerheblich, sofern kein Fall des Abs. 3 vorliegt. So können sich z. B. ein Druckereibesitzer, der ständig verfassungswidrige Schriften druckt, oder ein Fuhrunternehmer, der solche Schriften tonnenweise einführt, nicht darauf berufen, sie würden den Inhalt der Schriften nicht billigen und die Arbeit ohne Bücksicht auf den Inhalt der Schrift nur ihres Verdienstes wegen ausführen (vgl. BGH aaO.). 6 Die Sozialadäquanzklausel des Abs. 3 schließt nur solche Verhaltensweisen aus dem Anwendungsbereich der Vorschrift aus, die deren Schutzzweck offensichtlich nicht zuwiderlaufen. Nicht ausreichend zum Ausschluß der Tatbestandsmäßigkeit ist deshalb die Absicht, anderen dazu zu verhelfen, „sich ein eigenes Bild zu verschaffen" (BGH 19, 221, 225). Die Vorschrift will vielmehr nur verhindern, daß auch solche Verhaltensweisen von der Strafdrohung des Abs. 1 erfaßt werden, die von der Allgemeinheit gebilligt und daher in strafrechtlicher Hinsicht im sozialen Leben gänzlich unverdächtig, d.h. sozial adäquat sind (vgl. BGH 23, 226). Der Rahmen des sozialadäquaten Verhaltens wird jedoch gesprengt, wenn f ü r die verfassungsfeindliche und aufgelöste Partei geworben werden soll. Es wäre mit Art. 21 Abs. 2 GG unvereinbar, einer Partei, die gerade wegen ihrer Verfassungsfeindlichkeit aus dem politischen Leben ausgeschaltet worden ist, das Recht zuzubilligen, durch eine organisierte Aktion staatsbürgerliche Aufklärung zu betreiben (BGH a.a.O.). 7. Abs. 4 verweist auf die Mitläuferklausel des § 84 Abs. 4. 8. IdK ist möglich mit §§ 83—85, 89—90b. 9. Prozessual zu beachten sind: a) das sog. Verbringungsverbots- oder ÜberwachungsG. Siehe hierzu ausführlich Lüttger MDR 1961, 809; b) § 7 4 a I 2 G V G (Zuständigkeit der sog. politischen Strafkammern); c) §§ 153b, c StPO (Opportunitätsprinzip). 10. Wegen Nebenfolgen siehe §§ 92a, b. §86a
[Verwendung; von K e n n z e i c h e n verfassungswidriger Organisationen]
(1) Wer im räumlichen Geltungsbereich dieses Gesetzes Kennzeichen einer der in § 86 Abs. I Nr. 1, 2 und 4 bezeichneten Parteien und Vereinigungen öffentlich, in einer Versammlung oder in von ihm verbreiteten Schriften, Ton- oder Bildträgern, Abbildungen oder Darstellungen verwendet oder wer solche Kennzeichen in diesem Bereich verbreitet, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren bestraft. (2) Kennzeichen i m Sinne des Absatzes 1 sind namentlich Fahnen, Abzeichen, Uniformstücke, Parolen und Grußformen. (3) § 84 Abs. 4 und § 86 Abs. 3 gelten entsprechend. 1. Anliegen der Vorschrift ist es, den politischen Frieden in der Bundesrepublik Deutschland vor Störungen zu schützen (vgl. BGH 25, 30). Der Eintritt einer konkreten Gefährdung des politischen Friedens oder der naheliegenden Gefahr einer solchen Gefährdung ist nicht erforderlich. Es handelt sich somit um ein abstraktes Gefahrdungsdelikt (BGH a.a.O.). In Berlin ist die Vorschrift nur beschränkt anwendbar. Sie gilt dort nicht, soweit es sich um Kennzeichen von Organisationen 248
Gefährdung des demokratischen Rechtsstaates
§ 8 7
handelt, die vom BVerfG für verfassungswidrig erklärt worden sind (vgl. Art. 9 Abs. 2 Nr. 1 des 8. StrÄndG). 2. Zu den verbotenen Kennzeichen gehören nicht nur die in Abs. 2 genannten Fahnen, Abzeichen (z.B. Parteizeichen der NSDAP), Uniformen, Parolen und Grußformen (z.B „Heil Hitler" oder „Sieg Heil" unter gleichzeitigem Erheben des rechten Arms, vgl. B G H 25, 30), sondern schlechthin alle sichtbaren und hörbaren Symbole. So können z . B . auch das „Horst-Wessel-Lied" oder das Hitler-Bild Kennzeichencharakter haben (vgl. B G H M D R 1965, 923; BayObLG N J W 1962, 1878; Dreher 2B). 3. Die Kennzeichen müssen Symbole einer bestimmten verbotenen Partei oder Vereinigung sein. Die Ausführungen in Anm. 3 a) und c) zu § 86 gelten entsprechend. 4. Die Tathandlung besteht im Verwenden der verbotenen Symbole. Dieses muß unter bestimmten qualifizierenden Umständen (öffentlich, in einer Versammlung usw.) erfolgen. Siehe hierzu § 80a Anm. 2 a. Verwenden bedeutet „irgendeinen Gebrauch machen"; der Verwendungszweck ist nur für die Frage bedeutsam, ob ein Ausnahmefall nach Abs. 3 vorliegt (BGH 23, 267). — Dem Verwenden gleichgestellt ist das Verbreiten (Weitergabe mit dem Ziel, die Symbole einem größeren Personenkreis zugänglich zu machen). 5. Abs. 3 verweist auf die Mitläuferklausel des § 84 Abs. 4. 6. Die Verweisung des Abs. 3 auf die Sozialadäquanzklausel des § 86 Abs. 3 gibt die Möglichkeit, solche Verhaltensweisen aus dem Anwendungsbereich der Vorschrift auszuklammern, die ihrem Schutzzweck (s.o. 1) offensichtlich nicht zuwiderlaufen (vgl. B G H 25, 30 m. zust. Anm. Blei J A 1973, S t R 43). Hierher gehört zunächst die in § 86 Abs. 3 ausdrücklich hervorgehobene Verwendung im Rahmen der staatsbürgerlichen Aufklärung (z.B. im Schulunterricht) sowie zur Abwehr verfassungswidriger Bestrebungen. Zu den „ähnlichen Fällen" gehören z . B . Faschingsumzüge, Ausstellungen, Theateraufführungen und Filme, in denen die Ziele und Verhältnisse der verbotenen bzw. verfassungswidrigen Organisationen rein historisch dargestellt oder karikiert, nicht aber verherrlicht werden sollen. Der Bereich der tatbestandsausschließenden Sozialadäquanz wird jedoch regelmäßig dann gesprengt, wenn die Kennzeichen als politische Kampfmittel verwendet werden. Da es das Ziel des § 86 a ist, bestimmte Kennzeichen aus dem Bild des politischen Lebens grundsätzlich zu verbannen, kommt es nicht darauf an, ob die Verwendung dieser Kennzeichen mit einer verfassungsfeindlichen Absicht verbunden ist; auch eine bekenntnishafte Verwendung ist nicht erforderlich (BGH a.a.O., Blei a.a.O., a.A. Willms L K 5, Schönke-Schröder 5). Der politische Friede kann vielmehr auch dadurch gefährdet werden, daß die verbotenen Kennzeichen verwendet werden, um dem politischen Gegner eine — tatsächliche oder vermeintliche — Übereinstimmung mit den Zielen einer als verfassungsfeindlich verbotenen Organisation vorzuhalten (BGH a.a.O.). Unter Aufgabe der noch in der Vorauflage vertretenen Ansicht muß deshalb auch das Beschmieren von Hausfassaden oder Wahlplakaten mit Symbolen aus der NS-Zeit als tatbestandsmäßig angesehen werden. Dasselbe gilt für die bei Demonstrationen häufig zu beobachtende Begrüßung der Polizei mit „Sieg Heil"-Rufen, um auf diese Weise den Beamten vorzuwerfen, sie würden sich bei ihrem Einsatz nazistischer Methoden bedienen. Eine Ausnahme kann hier nur dann gelten, wenn es sich um die einmalige Entgleisung einzelner handelt, die nur kurz in das äußere Erscheinungsbild tritt und keine Nachwirkungen auf Dritte befürchten läßt (BGH a.a.O.). 7. Der subj. T b . erfordert Vorsatz. Die Ausführungen zu § 86 (Anm. 5) gelten entsprechend. Ergänzend ist zu betonen, daß eine verfassungsfein dliche^Absicht, insbesondere eine bekenntnishafte Verwendung des Kennzeichens, nicht erforderlich ist (vgl. B G H 25, 30f.).
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§ 8 7
Strafgesetzbuch
8. Idk. ist möglich mit §§ 84—86, 89—90b. § 15 Abs. 1 Nr. 2 TitelG geht als lex specialis vor. 9. Prozessual beachte § 74a I 2 Nr. 2 GVG (Zuständigkeit der sog. politischen Strafkammern), §§ 153b, c StPO (Opportunitätsprinzip). 10. Wegen Nebenfolgen siehe §§ 92a, b. 11. Aus dem Schrifttum siehe besonders Greiser, Die Sozialadäquanz der Verwendung von NS-Kennzeichen bei Demonstrationen, N J W 1969, 1155 sowie N J W 1972, 1556. § 87
[Torbereitung: von Sabotagrehandlniigren]
(1) Mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren wird bestraft, wer einen Auftrag einer Regierung, Vereinigung oder Einrichtung außerhalb des räumlichen Geltungsbereichs dieses Gesetzes zur Vorbereitung von Sabotagehandlungen, die in diesem Geltungsbereich begangen werden sollen, dadurch befolgt, daß er 1. sich bereit hält, auf Weisung einer der bezeichneten Stellen solche Handlungen zu begehen, 2. Sabotageobjekte auskundschaftet, 3. Sabotagemittel herstellt, sich oder einem anderen verschafft, verwahrt, einem anderen überläßt oder in diesen Bereich einführt, 4. Lager zur Aufnahme von Sabotagemitteln oder Stützpunkte für die Sabotagetätigkeit einrichtet, unterhält oder überprüft, 5. sich zur Begehung von Sabotagehandlungen schulen läßt oder andere dazu schult oder 6. die Verbindimg zwischen einem Sabotageagenten (Nummer 1 bis 5) und einer der bezeichneten Stellen herstellt oder aufrechterhält, und sich dadurch wissentlich für Bestrebungen gegen den Bestand oder die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland oder gegen Verfassungsgrundsätze einsetzt. (2) Sabotagehandlungen im Sinne des Absatzes 1 sind 1. Handlungen, die den Tatbestand der §§ 109 e, 305, 306, 308, 311, 312, 313, 315, 315b, 316b, 317, 321 oder der §§ 40, 41 des Atomgesetzes verwirklichen, und 2. andere Handlungen, durch die der Betrieb eines für die Landesverteidigung, den Schutz der Zivilbevölkerung gegen Kriegsgefahren oder für die Gesamtwirtschaft wichtigen Unternehmens dadurch verhindert oder gestört wird, daß eine dem Betrieb dienende Sache zerstört, beschädigt, beseitigt, verändert oder unbrauchbar gemacht oder daß die für den Betrieb bestimmte Energie entzogen wird. (3) Das Gericht kann die Strafe nach seinem Ermessen mildern (§ 15) oder von einer Bestrafung nach diesen Vorschriften absehen, wenn der Täter freiwillig sein Verhalten aufgibt und sein Wissen so rechtzeitig einer Dienststelle offenbart, daß Sabotagehandlungen, deren Planung er kennt, noch verhindert werden können. 1. Die Vorschrift erfaßt bestimmte Vorbereitungshandlungen, die darauf abzielen, den Bestand oder die Sicherheit der BRD oder Verfassungsgrundsätze zu beeinträchtigen. In B e r l i n gilt die Vorschrift nicht, soweit sie sich auf § 109e und auf Angelegenheiten der Landesverteidigung bezieht (vgl. Art. 9 Abs. 2 Nr. 1 des 8. StrRÄndG). 2. Der Täter muß im Auftrag einer Regierung, Vereinigung oder Einrichtung außerhalb des räumlichen Geltungsbereichs des StGB handeln. Die Vorschrift ent-
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§ 8 8
hält insoweit Elemente des bereits erörterten § 86 Abs. 1 Nr. 3 (Verbreiten von Propagandamitteln von fremden Regierungen usw.). Zu den E i n r i c h t u n g e n gehören z.B. fremde Nachrichtendienste. 3. Die Bestrebungen, die der Täter durch die Befolgung des Auftrags unterstützt, müssen gegen Bestand oder Sicherheit der BRD oder gegen Verfassungsgrundsätze gerichtet sein. Die Vorschrift enthält insoweit Elemente des Hoch- und Landesverrats (vgl. §§ 81 ff., 93ff.). Wegen Verfassungsgrundsätze siehe § 92 Abs. 2. 4. Die Sabotagehandlungen, zu deren Vorbereitung der Täter mitwirkt, sind in Abs. 2 abschließend aufgeführt. Es handelt sich um typisch gemeingefährliche Delikte. Nicht erforderlich ist, daß die Sabotagehandlung zur Ausführung kommt. 5. Die Tathandlungen sind in Abs. 1 Nr. 1—6 abschließend aufgeführt. Es handelt sich um typische Agententätigkeiten. 6. Der subj. Tb. erfordert Vorsatz hinsichtlich aller Tatbestandsmerkmale. Der Täter muß also wissen, daß er den Auftrag einer fremden Regierung usw. befolgt und daß seine Tätigkeit der Vorbereitung von Sabotageakten dient. Insoweit genügt bedingter Vorsatz. Er muß sich außerdem bewußt sein, daß er sich f ü r Bestrebungen gegen den Bestand oder die Sicherheit der B R D bzw. gegen Verfassungsgrundsätze einsetzt. Bedingter Vorsatz genügt insoweit nicht („wissentlich"). Nicht erforderlich ist dagegen, daß es dem Täter darauf ankommt, die staatsgefährdenden Bestrebungen einer fremden Regierung usw. zu unterstützen (vgl. SchönkeSchröder § 88 R n . 20; zu eng dagegen Dreher 7). Es ist vor allem nicht erforderlich, daß er sich mit den staatsgefährdenden Zielen identifiziert. Der Tb. ist vielmehr auch dann erfüllt, wenn es dem Täter nur um das Geld geht (insoweit wieder übereinstimmend Dreher a.a.O.). 7. Abs. 3 bringt einen Sonderfall der tätigen Reue. Die Vorschrift wurde durch das 1. StrRG dem neuen § 15 redaktionell angepaßt. 8. Wegen Nebenfolgen siehe § 92 a. 9. Idk ist möglich mit § 83. Gelangen die vorzubereitenden Sabotageakte i. S. von Abs. 2 in das Stadium des § 49 a oder kommt es gar zum Versuch oder zur Vollendung der Sabotageakte, so ist § 87 subsidiär. 10. Prozessual beachte § 74a I 2 Nr. 2 GVG (Zuständigkeit der sog. polit. Strafkammern) sowie §§ 153b, c StPO (Opportunitätsprinzip).
§ 88
[Verfassungrsfeindliche S a b o t a g e ]
(1) Wer als Rädelsführer oder Hintermann einer Gruppe oder, ohne mit einer Gruppe oder für eine solche zu handeln, als einzelner absichtlich bewirkt, daß i m räumlichen Geltungsbereich dieses Gesetzes durch Störhandlungen 1. die Post oder dem öffentlichen Verkehr dienende Unternehmen oder Anlagen, 2. Fernmeldeanlagen, die öffentlichen Zwecken dienen, 3. Unternehmen oder Anlagen, die der öffentlichen Versorgung mit Wasser, l i c h t , Wärme oder Kraft dienen oder sonst für die Versorgung der Bevölkerung lebenswichtig sind, oder 4. Dienststellen, Anlagen, Einrichtungen oder Gegenstände, die ganz oder überwiegend der öffentlichen Sicherheit oder Ordnimg dienen, ganz oder zum Teil außer Tätigkeit gesetzt oder den bestimmungsmäßigen Zwecken entzogen werden, und sich dadurch absichtlich für Bestrebungen gegen den Bestand oder die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland oder gegen Verfassungsgrundsätze einsetzt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren bestraft. (2) Der Versuch ist strafbar.
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§
Strafgesetzbuch
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1. Die Vorschrift ergänzt die §§ 316b, 317, mit denen Idk. möglich ist. 2. Täter können sein a) Rädelsführer oder Hintermänner einer Gruppe (siehe hierzu § 84 Anm. 5); b) Einzeltäter ohne Gruppenzusammenhang. 3. Als Störhandlung gilt jede Handlung, durch welche die in § 88 geschützten Objekte (Post, Bahn, Versorgungsbetriebe usw.) ganz oder teilweise lahmgelegt oder ihrem bestimmungsgemäßen Zweck entzogen werden. Hierher gehören zunächst die in den §§ 316b, 317 genannten Sabotagehandlungen (Zerstören, Beschädigen usw.), ferner Zwangsmaßnahmen wie illegale Streiks, Aussperrung von arbeitswilligen Betriebsangehörigen, Betriebsbesetzungerl. A u s s p e r r u n g und S t r e i k waren früher in § 90 besonders hervorgehoben. Die Tatsache, daß diese Merkmale in § 88 nicht mehr erwähnt sind, hindert indes nicht, sie gleichwohl als Störhandlungen zu behandeln. Es fehlt jedoch die Rechtswidrigkeit, wenn Aussperrung und Streik arbeitsrechtlich zulässig oder sonst sozialadäquat sind. Strafbar bleibt dann lediglich der Rädelsführer oder Hintermann, sofern er sich von verfassungswidrigen Zielen leiten ließ (vgl. Dreher Anm. 6). Zum Ganzen siehe auch § 81 Anm. 3. 4. Der subj. Tb. erfordert Absicht, d.h. es muß dem Täter darauf ankommen, daß der Taterfolg erreicht wird. Insoweit geht § 88 über § 87 hinaus (vgl. SchönkeSchröder 20). 5. Wegen Nebenfolgen siehe §§ 92a, b. 6. Idk. ist möglich mit §§ 316b, 317, 321. — §§ 81—83 gehen vor. 7. Siehe auch § 87 Anm. 10.
§ 89
[Zersetzung:]
(1) Wer auf Angehörige der Bundeswehr oder eines öffentlichen Sicherheitsorgans planmäßig einwirkt, um deren pflichtmäßige Bereitschaft zum Schutze der Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland oder der verfassungsmäßigen Ordnung zu untergraben, und sich dadurch absichtlich für Bestrebungen gegen den Bestand oder die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland oder gegen Verfassungsgrundsätze einsetzt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren bestraft. (2) Der Versuch ist strafbar. (3) § 84 Abs. 4 güt entsprechend. 1. Die Vorschrift entspricht in eingeschränkter Form dem früheren § 91. Geschützt sind Bestand und Sicherheit der B R D sowie die in § 92 Abs. 2 definierten Verfassungsgrundsätze. In Berlin gilt § 89 nicht, soweit es sich um Einwirkung auf Angehörige der Bundeswehr handelt (Art. 9 Abs. 2 Nr. 1 des 8. StrRÄndG). 2. Die Tathandlung besteht in der Einwirkung auf Angehörige der Bundeswehr oder eines öffentlichen Sicherheitsorgans. a) Zu den öffentlichen Sicherheitsorganen gehören vor allem Polizei und Grenzschutz, aber auch Verfassungsschutz und Nachrichtendienste, nicht jedoch Justizorgane (die Entscheidungen BGH 4, 291 und 6, 64 sind insoweit durch die einschränkende Neufassung des Gesetzes gegenstandslos geworden). b) Einwirken ist jede Tätigkeit, die darauf abzielt, den beschriebenen Personenkreis derart zu beeinflussen, daß das Pflichtgefühl des Beamten, Soldaten usw. im allgemeinen erschüttert wird. Das Erstreben eines pflichtwidrigen Handelns im Einzelfall genügt nur dann, wenn der Täter zugleich das Pflichtgefühl des Beamten oder Soldaten schlechthin erschüttern will (vgl. BGH 6, 64). Die Form der Einwirkung ist unerheblich. In Betracht kommen vor allem Drohung und Bestechung.
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Gefährdung des demokratischen Rechtsstaates
§ 90
Nicht erforderlich ist, daß die Einwirkung erfolgreich war; es genügt, daß sie dem Soldaten oder Beamten zur Kenntnis gelangte (BGH 4, 291 f.; 18, 151, 156). 3. Der subj. Tb. erfordert zunächst Vorsatz. Außerdem muß der Täter a) p l a n m ä ß i g handeln. Nicht ausreichend sind daher spontane Aktionen. Die Einwirkung muß vielmehr Bestandteil eines vom Täter oder Dritten aufgestellten Programms sein. b) die A b s i c h t verfolgen, die pflichtgemäße Bereitschaft des Soldaten oder Beamten zum Schutz von Sicherheit und Ordnving zu u n t e r g r a b e n , d.h. sein Pflichtgefühl im allgemeinen, schlechthin zu erschüttern (s.o. 2b sowie BGH 4, 291; 6, 64). Absicht bedeutet den bestimmten Vorsatz in dem Sinn, daß es dem Täter auf die allgemeine Erschütterung des Pflichtgefühls ankommt (BGH 18, 151). c) sich absichtlich für Bestrebungen gegen Bestand oder Sicherheit der BRD oder gegen Verfassungsgrundsätze einsetzen. Siehe hierzu § 87 Anm. 6. 4. Abs. 3 verweist auf die Mitläuferklausel des § 84 Abs. 4. 5. Wegen Nebenfolgen siehe §§ 92a, b. 6. Idk. ist möglich mit §§ 83, 86, 86a, 90—90b, 109d, 332. Gegenüber § 81 ist § 89 subsidiär. 7. Prozessual beachte § 74 a GVG (Zuständigkeit der sog. polit. Strafkammern) und §§ 153 b, c StPO (Opportunitätsprinzip). § 9 0 [Verunglimpfung: des Bundespräsidenten] (1) Wer öffentlich, i n einer Versammlung oder durch Verbreiten yon Schriften, Ton- oder Bildträgern, Abbildungen oder Darstellungen den Bundespräsidenten verunglimpft, wird mit Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren bestraft. (2) In minder schweren Fällen kann das Gericht die Strafe nach seinem Ermessen mildern (§ 15), wenn nicht die Voraussetzungen des § 187a erfüllt sind. (3) Die Strafe ist Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis z u fünf Jahren, wenn die Tat eine Verleumdung ist oder wenn der Täter sich durch die Tat absichtlich für Bestrebungen gegen den Bestand der Bundesrepublik Deutschland oder gegen Verfassungsgrundsätze einsetzt. (4) Die Tat wird nur mit Ermächtigung des Bundespräsidenten verfolgt. 1. Die Vorschrift entspricht im wesentlichen dem früheren § 95. Geschützt sind Amt und Person des Bundespräsidenten während seiner Amtsperiode (BGH 16, 338, 341). Unerheblich ist dabei, ob der Bundespräsident in seiner amtlichen Eigenschaft oder privat angegriffen wird (BGH 11, 13). 2. Verunglimpfen ist eine nach Form, Inhalt, Begleitumständen oder Beweggrund erheblichere Ehrenkränkung; geringere, unwesentliche Entgleisungen bleiben außer Betracht (BGH 12, 364; 16, 339). Unerheblich ist, ob die Verunglimpfung in der Form eines Werturteils, einer Tatsachenbehauptung oder auf andere Weise erfolgt, z.B. durch eine besonders verletzende Karikatur. B e i s p i e l e aus der Entscheidung BGH 16, 338: Tatbestandsmäßig ist die Äußerung, der Bundespräsident sei gewählt worden wie der Vorsitzende eines Kaninchenzüchtervereins und habe das Amt nur deshalb erhalten, weil er ungefährlich, da schwach, sei. Der BGH weist zu Recht darauf hin, daß im politischen Leben harte Kritik zwar zulässig sein muß. Sie muß jedoch in sachlicher Form geschehen. Es darf sich nicht wiederholen, daß die vom Gesetz besonders geschützten Repräsentanten, Symbole und Einrichtungen der BRD vor Gericht keinen oder nur unzulänglichen Schutz
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Strafgesetzbuch
§90a
finden, wie dies bei einzelnen Entscheidungen des früheren Reichsgerichts zu b e k l a g e n w a r (vgl. B G H
a.a.O.).
3. Die Tat muß unter bestimmten erschwerenden Umständen, nämlich öffentlich, in einer Versammlung usw. begangen worden sein. Siehe hierzu § 80a Anm. 2. Verunglimpfende Äußerungen im privaten Kreis reichen nicht aus. 4. Abs. 3 bringt eine Strafschärfung (Freiheitsstrafe nicht unter 6 Monaten), wenn die Tat eine V e r l e u m d u n g (§§ 187, 187a II) darstellt oder der Täter sich für v e r f a s s u n g s f e i n d l i c h e B e s t r e b u n g e n einsetzt (siehe hierzu § 87 Anm. 6). 5. Idk. ist vor allem möglich mit §§ 90a, 90b; die allgemeinen Beleidigungstatbestände der §§ 185ff. sind dagegen subsidiär (BGH 16, 338, 341). 6. Die Ermächtigung des Bundespräsidenten zur Strafverfolgung ist eine Prozeßvoraussetzung (siehe hierzu § 197 Anm. 1 u n d 2). Beachte weiter § 74a GVG (Zuständigkeit der sog. polit. Strafkammern) und §§ 153b—d StPO (Opportunitätsprinzip). 7. Wegen Geldstrafe und Einziehung siehe §§ 92 a, b. § 9© a Mißachtung: des Staates und seiner Symbole] (X) Wer öffentlich, in einer Versammlung oder durch Verbreiten von Schriften, Ton- oder Bildträgern, Abbildungen oder Darstellungen 1. die Bundesrepublik Deutschland oder eines ihrer Länder oder ihre verfassungsmäßige Ordnung beschimpft oder böswillig verächtlich macht oder 2. die Farben, die Flagge, das Wappen oder die Hymne der Bundesrepublik Deutschland oder eines ihrer Länder verunglimpft, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren bestraft. (2) Ebenso wird bestraft, wer eine öffentlich gezeigte Flagge der Bundesrepublik Deutschland oder eines ihrer Länder oder ein von einer Behörde öffentlich angebrachtes Hoheitszeichen der Bundesrepublik Deutschland oder eines ihrer Länder entfernt, zerstört, beschädigt, unbrauchbar oder unkenntlich macht oder beschimpfenden Unfug daran verübt. Der Versuch ist strafbar. (3) Die Strafe ist Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren, wenn der Täter sich durch die Tat absichtlich für Bestrebungen gegen den Bestand der Bundesrepublik Deutschland oder gegen Verfassungsgrundsätze einsetzt. 1. Die Vorschrift entspricht im wesentlichen dem früheren § 96. Geschützt sind die BRD und ihre Länder sowie die verfassungsmäßige Ordnung in Bund und Ländern (Nr. 1), außerdem die Symbole von Bund und Ländern (Nr. 2). Nach BGH N J W 1957, 1727 erstreckt sich der Schutz auch auf West-Berlin. 2. Täter kann jeder sein, auch Funktionäre, Mitglieder und Anhänger einer politischen Partei. Das Parteienprivileg des Art. 21 GG bewirkt in diesem Zusammenhang keinen Rechtfertigungsgrund (BGH 19, 311). 3. Die Tathandlungen des Abs. 1 : a) Als B e s c h i m p f e n gilt jede durch Form oder Inhalt besonders verletzende Äußerung der Mißachtung (BGH 7, 110). Wann die Äußerung besonders verletzend ist, richtet sich nach den Umständen des Einzelfalls, vor allem nach dem Zusammenhang, in dem die Äußerung gefallen ist. Äußerungen, die aus Unmut, Gedankenlosigkeit oder Oberflächlichkeit gemacht worden sind, können daher nicht ohne weiteres als „beschimpfend" gewertet werden (BGH a.a.O.). b) Der Begriff des V e r ä c h t l i c h m a c h e n s geht weiter als der Begriff des Beschimpfens. Hierher gehört bereits jede wertende Äußerung, durch die die BRD, eines ihrer Länder oder die verfassungsmäßige Ordnung „als der Achtung der
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Gefährdung des demokratischen Rechtsstaates
§ 9 0 1>
Staatsbürger unwert oder unwürdig hingestellt wird" (BGH 3, 346; 7, 111). B ö s w i l l i g handelt der Täter, wenn er trotz Kenntnis des Unrechts aus bewußt feindlicher Gesinnung handelt (h.L., vgl. Dreher 2 B m. weit. Nachw.). B e i s p i e l e aus der Rechtsprechung: Vergleich der BRD mit einer „frischgestrichenen Coca-ColaBude" (BGH 3, 346); oder: Bezeichnung der BRD als „Unrechtsstaat" (BGH 7, 111). Zum Ganzen siehe auch Köln GA 1972, 214. c) Über V e r u n g l i m p f e n siehe § 90 Anm. 2. 4. Die Tatbegehung muß — wie in § 90 — unter bestimmten qualifizierenden Umständen, nämlich öffentlich, in einer Versammlung usw. erfolgen. Siehe hierzu § 80a Anm. 2. 5. Abs. 2 schützt Flaggen und Hoheitszeichen vor Tätlichkeiten. a) Flaggen sind nur dann geschützt, wenn sie ö f f e n t l i c h g e z e i g t werden; dies kann auch durch einen Privatmann erfolgen (AG Peine N J W 1951, 518). b) Hoheitszeichen sind nur dann geschützt, wenn sie von einer Behörde öffentlich angebracht sind. Hierher gehören z.B. die Bundes- oder Landeswappen an Grenzpfählen, Ministerien und sonstigen Dienstgebäuden, ferner die Kokarden an Dienstmützen (OLG Braunschweig N J W 1953, 875; h.L., vgl. Sehönke-Schröder 15). 6. Als Tathandlung nach Abs. 2 kommen in Betracht: Entfernen, Zerstören, Beschädigen, Unbrauchbarmachen und Unkenntlichmachen, außerdem das Verüben beschimpfenden Unfugs. Dem Sinn der Vorschrift entsprechend ist eine weite Auslegung geboten. B e i s p i e l e : Anspeien einer Flagge oder eines Hoheitszeichens, Umsägen eines beflaggten Fahnenmastes (BGH bei Wagner GA 1961,18), verächtliches Antippen an die Dienstkokarde (OLG Braunschweig N J W 1953,875, m . E . zu weitgehend), Bemalen der Flagge mit nazistischen oder kommunistischen Emblemen, Anhäufung von Unrat vor einem Fahnenmast, aber auch das Absingen obszöner, nazistischer oder kommunistischer Lieder kann hierher gerechnet werden. 7. Idk. ist möglich vor allem mit §§ 90, 90b, 304. 8. Beachte § 74 a GVG (Zuständigkeit der sog. polit. Strafkammern bei verfassungsgefährdender Absicht des Täters) und §§ 153b—d StPO (Opportunitätsprinzip). Wegen G e l d s t r a f e siehe § 92a, wegen Einziehung § 92b. § 9 0 b [Verunglimpfung* t o 1 i Verfassungrsorgranen] (1) Wer öffentlich, in einer Versammlung oder durch Verbreiten von Schriften, Ton- oder Bildträgern, Abbildungen oder Darstellungen ein Gesetzgebungsorgan, die Regierung oder das Verfassungsgericht des Bundes oder eines Landes oder eines ihrer Mitglieder in dieser Eigenschaft in einer das Ansehen des Staates gefährdenden Weise verunglimpft und sich dadurch absichtlich für Bestrebungen gegen den Bestand der Bundesrepublik Deutschland oder gegen Verfassungsgrundsätze einsetzt, wird mit Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren bestraft. (2) Die Tat wird nur mit Ermächtigung des betroffenen Verfassungsorgans oder Mitglieds verfolgt. 1. Geschützt sind a) die G e s e t z g e b u n g s o r g a n e von Bund und Ländern (z.B. Bundestag, Bundesrat, die Landtage der Länder, der Bayerische Senat sowie die Bürgerschaften von Hamburg und Bremen), b) die R e g i e r u n g e n von Bund und Ländern, c) die V e r f a s s u n g s g e r i c h t e von Bund und Ländern, insbesondere das Bundesverfassungsgericht, 255
§ 91
Strafgesetzbuch
d) die M i t g l i e d e r der genannten Organe, allerdings nicht in ihrer Eigenschaft als Privatpersonen oder Politiker, sondern nur als Angehörige der Organe, in denen sie tätig sind (so schon BGH 8, 191, 193 zu § 97 a.F., jetzt durch die Formulierung „in dieser Eigenschaft" klargestellt). 2. Die Tathandlung besteht im Verunglimpfen. Siehe hierzu § 90 Anm. 2. 3. Die Tat muß unter bestimmten qualifizierenden Umständen (öffentlich, in einer Versammlung usw.) begangen worden sein. Siehe hierzu § 80a Anm 2. 4. Die Verunglimpfung muß in einer das Ansehen des Staates gefährdenden Weise erfolgen. Der Tb. wird dadurch zu einem konkreten G e f ä h r d u n g s d e l i k t . 5. Subjektiv ist neben dem Vorsatz erforderlich, daß sich der Täter für verfassungswidrige Bestrebungen einsetzt. Siehe hierzu § 87 Anm. 6. 6. Die Ermächtigung des durch die Tat betroffenen Verfassungsorgans oder Mitglieds ist eine Prozeßvoraussetzung. Siehe hierzu § 197 Anm. 1 und 2. 7. Idk. ist möglich vor allem mit §§ 90, 90a, ebenso mit §§ 185—187 (BGH 6, 159; 8, 193). 8. Prozessual beachte § 74 a GVG (Zuständigkeit der polit. Strafkammern) und §§153 b—d StPO (Opportunitätsprinzip). Siehe auch § 92 a (Geldstrafe) und § 92 b (Einziehung). § 91
[Anwendungsbereich]
Für Straftaten nach den Vorschriften dieses Titels gilt dieses Gesetz 1. in den Fällen der §§ 84, 85 und 87 nur, wenn die Tat durch eine in seinem räumlichen Geltungsbereich ausgeübte Tätigkeit begangen wird, 2. in den Fällen der §§ 86, 86 a und 88 nur, wenn die Tat in seinem räumlichen Geltungsbereich begangen wird, 3. in den Fällen des § 90 a Abs. 1 und des § 90 b nur, wenn die Tat in seinem räumlichen Geltungsbereich begangen wird oder der Täter Deutscher ist und seine Lebensgrundlage in diesem Bereich hat. Die Vorschrift bringt eine Einschränkung der allgemeinen Vorschriften der § 3ff.Sie beseitigt die „unverantwortliche Hybris" des bisherigen Rechts, jemanden nur deshalb mit Strafe zu bedrohen, weil er in seiner Heimat in Übereinstimmung mit der Regierung seines Landes sich politisch gegen die BRD betätigt (vgl. MüllerEmmert N J W 1968, 2134f.). 1. Der räumliche Geltungsbereich des StGB umfaßt die in der Präambel des GG aufgeführten Länder sowie das Saarland (vgl. Ges. v. 30. 6. 1959, BGBl I 313), Berlin jedoch nur mit Einschränkungen (vgl. Art. 9 Abs. 2 des 8. StrRÄndG). Von den hier in Frage stehenden Vorschriften gelten die §§ 84 Abs. 1—3, 85 Abs. 1 Nr. 1, 85 Abs. 2 i.V. mit Abs. 1 Nr. 1 sowie § 87, soweit er sich auf § 109e und auf Angelegenheiten der Landesverteidigung bezieht, in Berlin nicht. 2. Unter Tätigkeit i.S. der Nr. 1 ist nicht die Tatbestandsverwirklichimg als Ganze zu verstehen, sondern nur die vom Täter selbst ausgeführte Handlung. Unerheblich ist daher vor allem, wo der Erfolg eintritt. Nicht hierher gehört z.B. der Fall, daß jemand vom Ausland aus eine verbotene Partei durch Geldspenden unterstützt. Auch T e i l n e h m e r sind nur dann strafbar, wenn sie ihre Tätigkeit im Geltungsbereich des StGB entfalten. Unerheblich ist dabei, ob auch der Haupttäter innerhalb des Geltungsbereichs tätig wurde (vgl. Dreher 2).
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Gemeinsame Vorschriften
§ 9 3
3. Im Falle der Nr. 2 ist der Strafbarkeitsbereich etwas weiter gefaßt. Für die Frage, ob die Tat im Geltungsbereich des StGB begangen wurde, ist auf die allgemeine Vorschrift des § 3 Abs. 3 zurückzugreifen. Der Tatort liegt demnach auch dann im Geltungsbereich des StGB, wenn der Täter seine Tätigkeit zwar innerhalb des Geltungsbereichs entfaltet, der Erfolg aber außerhalb eintritt oder eintreten soll und umgekehrt. T e i l n e h m e r sind sowohl dann strafbar, wenn sie ihre eigene Tätigkeit innerhalb des Geltungsbereichs entfalten, als auch dann, wenn sie von einem Ort außerhalb des Geltungsbereichs aus an einer Tat mitwirken, die innerhalb des Geltungsbereichs begangen wird. Bei allen sog. D i s t a n z d e l i k t e n ist jedoch § 153b Abs. 2 StPO zu beachten ( O p p o r t u n i t ä t s p r i n z i p ) . 4. Im Falle der Nr. 3, die sich mit der Mißachtung des Staates und seiner Symbole (§ 90a Abs. 1) sowie mit der Verunglimpfung von Verfassungsorganen (§ 90b) befaßt, ist die Tat nur dann strafbar, wenn sie innerhalb des Geltungsbereichs des StGB begangen wird (siehe hierzu Anm. 3) oder wenn sie von einem Deutschen begangen wird, der seine Lebensgrundlage innerhalb des Geltungsbereichs hat. Nicht strafbar ist daher z.B. ein Bürger der DDR, der die Tat in der DDR begeht. 5. Da § 90a Abs. 2 (Tätlichkeiten gegen Flaggen und Hoheitszeichen) in § 92 Nr. 3 nicht erwähnt ist, gelten insoweit die §§ 3 ff. uneingeschränkt. Dasselbe gilt für die Tatbestände der §§ 89, 90.
Vierter Titel Gemeinsame Vorschriften § 93
[Begriffsbestimmungren]
(1) Im Sinne dieses Gesetzes beeinträchtigt den Bestand der Bundesrepublik Deutschland, wer ihre Freiheit von fremder Botmäßigkeit aufhebt, ihre staatliche Einheit beseitigt oder ein zu ihr gehörendes Gebiet abtrennt. (2) Im Sinne dieses Gesetzes sind Verfassungsgrundsätze 1. das Recht des Volkes, die Staatsgewalt in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung auszuüben und die Volksvertretung in allgemeiner, unmittelbarer, freier, gleicher und geheimer Wahl zu wählen, 2. die Bindung der Gesetzgebung an die verfassungsmäßige Ordnung und die Bindung der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung an Gesetz und Recht, 3. das Recht auf die Bildimg und Ausübung einer parlamentarischen Opposition, 4. die Ablösbarkeit der Regierung und ihre Verantwortlichkeit gegenüber der Volksvertretung, 5. die Unabhängigkeit der Gerichte und 6. der Ausschluß jeder Gewalt- und Willkürherrschaft. (3) Im Sinne dieses Gesetzes sind 1. Bestrebungen gegen den Bestand der Bundesrepublik Deutschland solche Bestrebungen, deren Träger darauf hinarbeiten, den Bestand der Bundesrepublik Deutschland zu beeinträchtigen (Absatz 1), 17
Pettere-Preisendanz, StGB, 28. Aufl.
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§»Sa
Strafgesetzbuch
2. Bestrebungen gegen die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland solche Bestrebungen, deren Träger darauf hinarbeiten, die äußere oder innere Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland zu beeinträchtigen, 3. Bestrebungen gegen Verfassungsgrundsätze solche Bestrebungen, deren Träger darauf hinarbeiten, einen Verfassungsgrundsatz (Absatz 2 ) z u beseitigen, außer Geltung zu setzen oder z u untergraben. 1. Die Vorschrift entspricht dem früheren § 88. Sie ist von Bedeutung für die Tatbestände der §§ 81, 83 (Hochverrat) und der §§ 87—90b (staatsgefährdende Sabotage, Zersetzung der Bundeswehr usw., Verunglimpfung des Bundespräsidenten, des Staates und seiner Symbole, Verunglimpfung von Verfassungsorganen). 2. Die Beeinträchtigung des Bestands der BRD (Abs. 1) kann in drei verschiedenen Formen den Tb. verwirklichen, nämlich a) durch Aufheben der Freiheit von f r e m d e r B o t m ä ß i g k e i t , z.B. dadurch, daß die B R D in ein Protektorat oder einen Satellitenstaat verwandelt wird oder auf andere Weise ihre völkerrechtliche oder faktische Unabhängigkeit oder Handlungsfreiheit verliert. Nicht hierher gehört der in Art. 24 GG vorgesehene Anschluß an ein kollektives Sicherheitssystem; b) durch B e s e i t i g u n g d e r s t a a t l i c h e n E i n h e i t , z.B. durch Verwandlung des derzeitigen Bundesstaats in einen Staatenbund oder durch Herauslösen einzelner Bundesländer aus dem derzeitigen Staatsverband; c) durch G e b i e t s a b t r e n n u n g . Zum Gebiet der B R D gehören alle in der Präambel des GG aufgeführten Länder und das Saarland; bestritten ist, ob auch Berlin hierher zu rechnen ist (bejahend u . a . Dreher 2 C; Lackner-Maassen 2 a, cc). 3. Abs. 2 definiert den Begriff der Verfassungsgrundsätze. Geschützt sind alle wesentlichen Institutionen und Grundlagen der verfassungsmäßigen Ordnung. Hierbei ist zu beachten, daß der Begriff der v e r f a s s u n g s m ä ß i g e n O r d n u n g weiter geht, indem er z.B. auch alle Grundrechte umfaßt. Siehe hierzu vor allem die Ausführungen zu § 81 Abs. 1 Nr. 2 (sog. Verfassungshochverrat). 4. Zu den in Abs. 2 aufgeführten Verfassungsgrundsätzen, die den Kern unserer freiheitlich-demokratischen Grundordnung bilden, siehe folgende Artikel des Grundgesetzes: a) Zu Nr. 1: Art. 20 I I , 28 I, 38 I, 79 I I I ; b) Zu Nr. 2: Art. 20 I I I , 79 I I I ; c) Zu Nr. 3: Art. 21; d) Zu Nr. 4: Art. 67; e) Zu Nr. 5: Art. 97; f) Zu Nr. 6: Art. 20 I I I , 79 I I I . 5. Die in Abs. 3 definierten staatsgefährdenden Bestrebungen finden sich als Tb.-Merkmale in den §§ 87—90b. § 9 2 a [Geldstrafe, Nebenfolgren] Wegen der nach den Vorschriften dieses Abschnitts strafbaren Handlungen kann erkannt werden 1. neben einer Freiheitsstrafe aus den §§ 80, 81 bis 83 Abs. 1 auf Geldstrafe in unbeschränkter Höhe; 2. neben einer Freiheitsstrafe aus den §§ 80 a, 83 Abs. 2, § § 8 4 bis 90 b auf Geldstrafe; 3. neben einer Freiheitsstrafe von mindestens sechs Monaten auf Nebenfolgen nach § 31 Abs. 2, 5; 4. neben jeder Freiheitsstrafe aus den § § 8 0 bis 86, 87 bis 89 auf die Zulässigkeit von Polizeiaufsicht.
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§ 92 b
Die durch das 1. StrRG neu gefaße Vorschrift bringt eine Ergänzung der §§ 27 ff. (Geldstrafe) und der §§ 31ff. (Amtsunfähigkeit) sowie §§ 38, 39 (Polizeiaufsicht). Sie entspricht inhaltlich weitgehend den früheren §§ 85, 98.
§ 9 3 b [Einziehung:] (1) Ist eine Straftat nach diesem Abschnitt begangen worden, so können 1. Gegenstände, die durch die Tat hervorgebracht oder zu ihrer Begehung oder Vorbereitung gebraucht worden oder bestimmt gewesen sind, und 2. Gegenstände, auf die sich eine Straftat nach den §§ 80 a, 86, 86a, 9 0 bis 90 b bezieht, eingezogen werden. § 40 a ist anzuwenden. (2) Hat der Täter für die Begehung einer in diesem Abschnitt mit Strafe bedrohten Handlung ein Entgelt empfangen, so ist das Entgelt oder ein ihm entsprechender Geldbetrag einzuziehen. Die Einziehung kann unterbleiben, soweit sie für den Betroffenen eine unbillige Härte wäre oder der Betroffene das Empfangene vor der Entscheidimg über die Einziehung verbraucht und nicht dabei zur Vereitelung der Einziehung gehandelt hat; das gleiche gilt, wenn der Wert des Empfangenen gering ist. 1. Die Vorschrift enthält keine abschließende Sonderregelung für die Einziehung von Gegenständen bei Straftaten nach den §§ 80ff., sondern bringt lediglich eine Ergänzung der allgemeinen Einziehungsbestimmungen der §§ 40 ff. (vgl. BGH 23, 208). Hieraus folgt, daß für eine Ermessensentscheidung nach § 92 b Abs. 1 kein Raum ist, wenn die Voraussetzungen des § 41 vorliegen. Das Gericht ist jedoch in jedem Fall unter verfassungsrechtlichen Gründen (Art. 5 Abs. 1 GG) zur Abwägung verpflichtet, ob der Einziehung ein berechtigtes Informationsbedürfnis des Bürgers entgegensteht (BGH a.a.O.). 2. Abs. 1 Nr. 1 enthält gegenüber dem allgemeinen Grundsatz des § 40 Abs. 1 nichts Neues. Der Einziehung unterliegen die Tatmittel und Taterzeugnisse (sog. producta et instrumenta sceleris). 3. Abs. 1 Nr. 2 erweitert die Möglichkeit der Einziehung in den Fällen der §§ 80a (Aufstacheln zum Angriffskrieg), 86, 86a (Propagandamittel und Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen) und 90—90 b (Vervmgiimpfung des Bundespräsidenten usw.) auf die sog. B e z i e h u n g s g e g e n s t ä n d e . So könnte man z. B. die Fahne einer unanfechtbar verbotenen rechts- oder linksradikalen Vereinigung, die im Rahmen einer öffentlichen Versammlung dieser Vereinigung als „Saalschmuck" dient, zwar nicht ohne weiteres als „instrumentum sceleris" ansehen. Sie ist jedoch ein Gegenstand, auf den sich die Tat des § 86 a bezieht und unterliegt damit der Einziehung gemäß § 92 b Abs. 1 Nr. 2. Infolge der Verweisungsvorschrift des § 40 Abs. 4 sind bei der Anordnung der Einziehung die einschränkenden Bestimmungen des § 40 Abs. 2 zu beachten. Die Einziehung darf also — sofern kein Fall des § 40 a vorliegt — nur ausgesprochen werden, wenn der Beziehungsgegenstand dem Täter oder Teilnehmer gehört oder wenn die Einziehung zum Schutz der Allgemeinheit erforderlich ist. Die allgemeine Vorschrift des § 41 ist in diesem Zusammenhang nur dann von Bedeutung, wenn eine bestimmte Schrift usw. bei der konkreten Tat weder die Rolle des Tatmittels oder Taterzeugnisses noch die des Beziehungsgegenstands gespielt hat, § 92 b also nicht einschlägig ist (h.L., vgl. Dreher § 92b Anm. 2). So können z.B. gemäß § 41 auch solche verunglimpfende Schriften eingezogen werden, die zwar noch nicht verbreitet wurden, wohl aber bereits zur Verbreitung bestimmt waren. § 92 b wird also durch § 41 17*
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§93
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ergänzt (siehe auch oben Anm. 1). Eine weitere Ergänzung ergibt sich aus der nach § 92b Abs. 1 Satz 2 möglichen Anwendbarkeit des § 40a. 4. Abs. 2 gibt die Möglichkeit, dem Täter den aus der Tat gezogenen Gewinn zu entziehen. Ihrem Anliegen nach entspricht die Vorschrift dem in § 335 geregelten Verfall von Vorteilen, die dem Täter auf Grund einer Bestechung zugeflossen sind. Zu beachten sind die drei Ausnahmetatbestände, bei deren Vorliegen von einer Entscheidung nach Abs. 2 abgesehen werden kann.
Zweiter Abschnitt: Landesverrat und Gefahrdung der äußeren Sicherheit § 93 [Staatsgeheimnisse] (1) Staatsgeheimnisse sind Tatsachen, Gegenstände oder Erkenntnisse, die nur einem begrenzten Personenkreis zugänglich sind und vor einer fremden Macht geheimgehalten werden müssen, um die Gefahr eines schweren Nachteils für die äußere Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland abzuwenden. (2) Tatsachen, die gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung oder unter Geheimhaltung gegenüber den Vertragspartnern der Bundesrepublik Deutschland gegen zwischenstaatlich vereinbarte Rüstungsbeschränkungen verstoßen, sind keine Staatsgeheimnisse. 1. Die Vorschrift entspricht im wesentlichen dem früheren § 99. I n Abs. 1 wird der Grundbegriff des Staatsgeheimnisses definiert. Abs. 2 befaßt sich mit den sog. illegalen Staatsgeheimnissen. 2. Der Begriff des Staatsgeheimnisses (Abs. 1) wurde durch das 8. StrRÄndG vom 25. 6. 1968 neu gefaßt und hierbei gegenüber der früheren Rechtslage erheblich eingeschränkt (vgl. BGH 24, 72ff.sowie Bericht des Sonderausschusses f ü r die Strafrechtsreform, BT-Drucks. V/2860, S. 15ff.). Eine wesentliche Änderung gegenüber § 99 a F. bedeutet zunächst die Beschränkung des Geheimhaltungsbereichs auf Angelegenheiten der äußeren Sicherheit. Hierher gehören jedoch nicht nur rein militärtechnische Belange der Landesverteidigung, sondern auch die der äußeren Sicherheit dienende nachrichtendienstliche Abwehr einschließlich ihrer aktiven Tätigkeit (vgl. BGH a.a.O.). Grundsätzlich ausgeschieden aus dem Geheimnisbegriff sind andererseits die sog. diplomatischen Geheimnisse. Diese werden nur noch dann durch die §§ 93ff.geschützt, wenn sie gerade im Interesse der äußeren Sicherheit geheimgehalten werden müssen (vgl. BGH a.a.O.). Eine weitere Einengung des Geheimnisbegriffs gegenüber § 99 aF. ergibt sich aus den verschärften Anforderungen an das Geheimhaltungsgebot. Die §§ 93ff. kommen nur noch dann zur Anwendung, wenn durch den Verrat die Gefahr eines s c h w e r e n Nachteils droht (s. unter 2c, dd). I m einzelnen ist folgendes zu beachten: a) Zu den geschützten Tatsachen, Gegenständen und Erkenntnissen gehören z.B. Waffensysteme aller Art, Zeichnungen, Skizzen und Modelle von militärischen Anlagen, Funkschlüssel usw., aber auch die Bereitschaft einer bestimmten Person zum Landesverrat oder ihre Stellung innerhalb eines Ab Wehrdienstes. (Siehe hierzu vor allem BGH 20, 342ff„ 374; 24, 72ff.)Weitere Beispiele s.u. 2c, cc.
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Landesverrat und Gefährdung der äußeren Sicherheit
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b) Die Tatsachen usw. müssen geheim, d.h. nur einem begrenzten Personenkreis zugänglich sein. W a n n man noch von einem b e g r e n z t e n P e r s o n e n k r e i s sprechen kann, ist Tatfrage. Der Kreis muß jedenfalls so klein sein, daß er noch übersehbar ist und man andererseits ein allgemeines Bekanntwerden nicht befürchten muß. Ist die Tatsache usw. allgemein z u g ä n g l i c h , z.B. eine f ü r den Verkehr freigegebene Straße oder Brücke, so kann von einem Geheimnis grundsätzlich nicht gesprochen werden. Dasselbe gilt f ü r offenkundige Tatsachen, die gar nicht geheimhaltungsfähig sind, z.B. ein Bunkerbau mitten in der Stadt (vgl. BGH NJW1965,1190). Aus dem gleichen Grund kann auch die bloße Zusammenstellung offenkundiger Einzeltatsachen (z.B. die Einzelheiten eines bestimmten Küstenoder Straßenabschnitts) nicht als Geheimnis angesehen werden. Die sog. M o s a i k t h e o r i e ist durch die Neufassung des Gesetzes insoweit gegenstandslos geworden. Dagegen kann die B e d e u t u n g einer allgemein zugänglichen Tatsache usw. nach wie vor ein Geheimnis sein, wenn sie nur einem bestimmten Personenkreis bekannt ist, z.B. die Bedeutimg einer Brücke im Rahmen eines bestimmten strategischen Plans. Dasselbe gilt f ü r neue Erkenntnisse, die aus bekannten Tatsachen gewonnen werden. Aus der Rspr. des B G H zur früheren Rechtslage siehe besonders BGH 7,234f. betr. Verlauf einer Straße und B G H 15,17 betr. Rüstungspotential der BRD. c) Die Tatsache usw. m u ß geheimhaltungsbedürftig sein, d . h . ihre Geheimhaltung vor einer fremden Macht muß erforderlich sein, um die Gefahr eines schweren Nachteils für die äußere Sicherheit der B R D abzuwenden. aa) Bei der f r e m d e n M a c h t kann es sich auch um eine befreundete oder gar verbündete Macht handeln. Geheimnisse innenpolitischer N a t u r werden dagegen nur durch die §§ 353b, 353c geschützt, die ergänzend zu beachten sind. bb) Die G e f a h r e i n e s s c h w e r e n N a c h t e i l s muß dadurch drohen, daß die fremde Macht das Geheimnis n u n auch kennt und es gegen die Interessen der B R D benützen oder irgendwie auswerten kann. cc) Der ä u ß e r e n S i c h e r h e i t der B R D entsteht ein Nachteil, wenn ihre Fähigkeit, sich gegen Angriffe und Störungen von außen zu verteidigen, beeinträchtigt wird. Dies kann nicht nur durch den Verrat von politisch wichtigen Tatsachen erfolgen, sondern auch durch Verrat von wichtigen Tatsachen aus dem Bereich von Wirtschaft und Technik, soweit sich Auswirkungen auf die äußere Sicherheit ergeben können. Hierher gehören vor allem Berichte über militärische Erfindungen (und zwar selbst dann, wenn sie den interessierten Behörden noch gar nicht bekannt sind), über den Stand der Luftfahrtindustrie und -technik, der Raketen- und Strahltriebstechnik, der Fernmeldetechnik und des Schiffbaues. Auch der Verrat eines deutschen Agentennetzes kann die äußere Sicherheit gefährden (vgl. Woesner N J W 1968, 2129, 2133). dd) Ob der drohende Nachteil s c h w e r wiegt, ist Tatfrage und im einzelnen nicht leicht zu entscheiden. I n Betracht kommen n u r Nachteile von „wirklich gewichtiger Bedeutung" f ü r die äußere Sicherheit der Bundesrepublik (vgl. B G H 24, 72, 7 8 ; K r a u t h J Z 1968,610;Dreher A n m . 2 C c ) , z . B . d u r c h fortgesetzte Lieferung von geheimen Lageberichten des BND, deren fachkundige Erfassung und systematische Auswertung es einem fremden Nachrichtendienst ermöglichen, die geheimen Quellen des BND in bestimmten Zielgebieten einzukreisen und zu enttarnen (vgl. BGH a . a . O . im Fall Sütterlin). Als nicht ausreichend angesehen wurde andererseits die Ausspähung einer Referentenvorlage über den Plan einer Konferenz der deutschen Botschafter in Afrika, obwohl auch hierdurch nachrichtendienstliche Belange berührt wurden (BGH a . a . O . 78). 3. Abs. 2 befaßt sich mit den sog. illegalen Staatsgeheimnissen, mit denen sich unter der früheren Rechtslage vor allem die bereits oben erwähnte Entscheidung BGH 20, 342 ff. befaßt hat. Die Vorschrift stellt klar, daß bestimmte verfassungs-
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feindliche Vorgänge schon tatbestandsmäßig nicht zu den geschützten Staatsgeheimnissen gehören. Auszuscheiden sind: a) Tatsachen (Sachverhalte, Vorgänge usw.), die gegen die f r e i h e i t l i c h e demok r a t i s c h e Grundordnung verstoßen. Die Vorschrift nimmt damit Bezug auf die in Art. 18, 21 GG garantierten höchsten Grundwerte, die dem demokratischen Verfassungsstaat im Gegensatz zu dem als Gewalt- und Willkürherrschaft gekennzeichneten totalitären Staat eigen sind, z.B. die Volkssouveränität, die Gewaltenteilung, die Verantwortlichkeit und Ablösbarkeit der Regierung, das Prinzip der Rechtsstaatlichkeit, die Unabhängigkeit der Gerichte und das Mehrparteienprinzip mit dem Recht auf verfassungsmäßige Bildung und Ausübung einer Opposition (vgl. BGH 20, 342, 365 m. weit. Nachw.). b) Tatsachen, die gegen z w i s c h e n s t a a t l i c h v e r e i n b a r t e R ü s t u n g s b e s c h r ä n k u n g e n verstoßen. Hierher gehört vor allem der innerhalb der NATOVereinbarungen erfolgte Verzicht der BRD auf Herstellung von ABC-Waffen sowie auf Herstellung weittragender Geschosse (Raketen), größerer Kriegsschiffe und bestimmter Flugzeuge. 4. Ungeachtet des Umstands, daß illegale Staatsgeheimnisse nach Abs. 2 keine Staatsgeheimnisse im Rechtssinn darstellen, kann ihr Verrat unter gewissen Voraussetzungen doch strafbar sein. Siehe hierzu § 97 a nebst Anmerkungen. 5. Nimmt der Täter nur irrig an, ein Staatsgeheimnis sei illegal, so ist § 97 b zu beachten. § 9 4 [Landesverrat] (1) Wer ein Staatsgeheimnis 1. einer fremden Macht oder einem ihrer Mittelsmänner mitteilt oder 2. sonst an einen Unbefugten gelangen läßt oder öffentlich bekanntmacht, um die Bundesrepublik Deutschland zu benachteiligen oder eine fremde Macht zu begünstigen, und dadurch die Gefahr eines schweren Nachteils für die äußere Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland herbeiführt, wird wegen Landesverrats mit Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr bestraft. (2) In besonders schweren Fällen ist die Strafe lebenslange Freiheitsstrafe oder Freiheitsstrafe nicht unter fünf Jahren. Ein besonders schwerer Fall liegt in der Regel vor, wenn der Täter 1. eine verantwortliche Stellung mißbraucht, die ihn zur Wahrung von Staatsgeheimnissen besonders verpflichtet, oder 2. durch die Tat die Gefahr eines besonders schweren Kachteils für die äußere Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland herbeiführt. 1. Die Vorschrift enthält ein konkretes Gefährdungsdelikt. Über den Begriff „schwerer Nachteil für die äußere Sicherheit der B R D " siehe § 93 Anm. 2c. 2. Die Tathandlung des Abs. 1 Nr. 1 besteht darin, daß der Täter ein Staatsgeheimnis (siehe hierzu § 93) einer fremden Macht oder einem ihrer Mittelsleute mitteilt. Über „fremde Macht" siehe § 93 Anm. 2c, aa. M i t t e l s m a n n ist jeder, der bereit ist, die ihm zugänglich gemachte Mitteilung an eine fremde Macht weiterzugeben. Hierher gehören insbesondere Angehörige fremder Nachrichtendienste und sonstige Agenten. Die Form der Mitteilung (mündlich, schriftlich, durch Boten oder Funk) ist unerheblich. Bei Verrat von illegalen Geheimnissen i.S. von § 93 Abs. 2 beachte § 97 a. 3. Die Tathandlung des Abs. 1 Nr. 2 erfaßt jede Mitteilung eines Staatsgeheimnisses an sonstige Unbefugte sowie die öffentliche Bekanntmachung. Unbe-
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f u g t e r ist jeder, der kein Recht auf die Mitteilung hat. Ein Auskunftsrecht haben insbesondere die Untersuchungsausschüsse des Bmidestags, nicht jedoch jeder einzelne Abgeordnete (vgl. Schönke-Schröder 10, Dreher § 93 Anm. 4 B, bestr.). Als ö f f e n t l i c h e B e k a n n t m a c h u n g gilt insbesondere die Verbreitung durch Presse, Kundfunk und Fernsehen. I l l e g a l e G e h e i m n i s s e i.S. von § 93 Abs. 2 werden durch Abs. 1 Nr. 2 nicht erfaßt (vgl. § 97 a, der sich n u r auf § 94 Abs. 1 Nr. 1 bezieht). 4. Der subj. Tb. erfordert Vorsatz, in den Fällen der Ziff. 2 außerdem die Absicht, entweder die B R D zu benachteiligen oder irgendeine fremde Macht zu begünstigen, d . h . ihr irgendeinen Vorteil zukommen zu lassen. Als Absicht genügt der bestimmte Vorsatz. Der Täter muß also entweder den Nachteil bzw. Vorteil als sichere Folge seines Verhaltens voraussehen, oder es muß ihm auf die Erreichung des Nachteils bzw. Vorteils ankommen. Das Motiv ist unerheblich. Die tatbestandsmäßige Absicht wird insbesondere nicht dadurch ausgeschlossen, daß der Täter sich von irgendeinem eigenen Vorteil leiten ließ. Fehlt die tatbestandsmäßige Absicht, 8o kommt nur Strafbarkeit gemäß § 95 in Betracht. 5. Der Versuch ist s t r a f b a r (Verbrechen), beginnt aber erst mit dem unmittelbaren Ansetzen zur Mitteilungshandlung (vgl. BGH 24, 72, 78; Dreher 5). Das Fotografieren der geheimen Unterlagen und das Bereitlegen des Materials zur Weiterleitung an den Mittelsmann eines fremden Geheimnisses stellt noch keinen versuchten Landesverrat dar, sondern erfüllt lediglich den Tb. des § 96 (vgl. B G H a . a . O . im Fall Sütterlin). 6. Gemäß § 4 Abs. 3 Nr. 2 ist die T a t auch dann strafbar, wenn sie von einem Ausländer im Ausland begangen wurde. 7. Idk. ist möglich mit §§ 133, 242, 333, 353b. Gegenüber §§ 95, 353c geht § 94 vor. 8. Prozessual beachte §§ 120 I 3 GVG (Zuständigkeit des OLG), 153b—d StPO (Opportunitätsprinzip).
§ 95
[Offenbaren von Staatsgeheimnissen]
(1) Wer ein Staatsgeheimnis, das von einer amtlichen Stelle oder auf deren Veranlassung geheimgehalten wird, a n einen Unbefugten gelangen läßt oder öffentlich bekanntmacht und dadurch die Gefahr eines schweren Nachteils für die äußere Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland herbeiführt, wird wegen Offenbarens von Staatsgeheimnissen mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu f ü n f Jahren bestraft, wenn die Tat nicht in § 94 mit Strafe bedroht ist. (2) Der Versuch ist strafbar. (3) I n besonders schweren Fällen ist die Strafe Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren. § 94 Abs. 2 Satz 2 ist anzuwenden. 1. Die durch das 1. StrRG dem neuen Freiheitsstrafensystem angepaßte Vorschrift bringt eine Ergänzung des in § 94 geregelten Landesverrats. Die Tathandlungen entsprechen denen des § 94 Abs. 1 Nr. 2, jedoch ohne die dort geforderte Absicht, die B R D zu benachteiligen oder eine fremde Macht zu begünstigen. Erfaßt werden soll vor allem der sog. publizistische Verrat, dem nicht zugleich das Odium des Landesverrats anhaftet. I l l e g a l e G e h e i m n i s s e i.S. von § 93 Abs. 2 werden nicht erfaßt (vgl. § 97 a). 2. Der Begriff des Staatsgeheimnisses entspricht dem des § 93 Abs. 1, jedoch m i t der Einschränkung, daß das Geheimnis von einer amtlichen Stelle oder auf deren
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Veranlassung geheimgehalten wird. Zu den a m t l i c h e n S t e l l e n zählen alle Stellen, die staatliche Aufgaben zu erfüllen haben, ohne Rücksicht darauf, ob sie zur Exekutive, zur Legislative oder in den Bereich der Rechtsprechung gehören. Zu erwähnen sind vor allem militärische Dienststellen sowie Institutionen des Verfassungsschutzes und des Bundesnachrichtendienstes. Aber auch die Untersuchungsausschüsse des Bundestags können hierher gerechnet werden. Eine G e h e i m h a l t u n g i.S. der Vorschrift setzt voraus, daß irgendeine Vorsorge getroffen wurde, um ein allgemeines Bekanntwerden zu verhindern, z.B. durch Verschluß oder Absperrung, durch besonders erlassene Geheimhaltungsvorschriften oder durch Verpflichtung aller mit dem Geheimnis vertrauten Personen zur Geheimhaltung. Nicht hierher gehören Geheimnisse, die den zuständigen Stellen noch gar nicht bekannt waren, z.B. Erfindungen, von denen nur der Erfinder selbst und seine Mitarbeiter wissen. 3. Der subj. Tb. erfordert Vorsatz, wobei bedingter Vorsatz genügt. Der Vorsatz muß sich auch auf die Gefahr eines schweren Nachteils für die äußere Sicherheit der BRD erstrecken. Eine darüber hinausgehende besondere Absicht wie in § 94 Abs. 1 Nr. 2 ist nicht erforderlich. 4. Gegenüber § 94 ist § 95 subsidiär. Die Ausführungen unter § 94 Anm. 6—8 gelten im übrigen entsprechend.
§ 96
[Verschaffung: von Staatsgeheimnissen]
(1) Wer sich ein Staatsgeheimnis verschafft, u m es zu verraten (§ 94), wird wegen landesverräterischer Ausspähung mit Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren bestraft. (2) Wer sich ein Staatsgeheimnis, das von einer amtlichen Stelle oder auf deren Veranlassung geheimgehalten wird, verschafft, um es zu offenbaren (§ 95), wird wegen Auskundschaftung von Staatsgeheimnissen mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren bestraft. Der Versuch ist strafbar. 1. Die Vorschrift entspricht dem früheren § 100 Abs. 2. Sowohl in Abs. 1 als auch in Abs. 2 werden Vorbereitungshandlungen selbständig unter Strafe gestellt. §96 tritt demzufolge als s u b s i d i ä r zurück, wenn es zu einem vollendeten oder versuchten Verbrechen oder Vergehen gemäß §§ 94 f. kommt. 2. Die Tathandlung besteht in beiden Tatbeständen (Abs. 1 und Abs. 2) darin, daß sich der Täter ein Staatsgeheimnis verschafft. Über S t a a t s g e h e i m n i s siehe § 93. Auf i l l e g a l e G e h e i m n i s s e findet die Vorschrift entsprechende Anwendung, wenn der Täter sich ein Geheimnis verschafft, um es in landesverräterischer Absicht an eine fremde Macht oder einen ihrer Mittelsmänner zu verraten (vgl. § 97 a Satz 2). 3. Der subj. Tb. erfordert neben dem Vorsatz die Absicht, ein Verbrechen oder Vergehen gemäß §§ 94 f. zu begehen. Beide Merkmale müssen bereits zu dem Zeitpunkt vorliegen, zu dem der Täter sich das Staatsgeheimnis verschafft. Nicht hierher gehört der Fall, daß sich der Täter zunächst nur aus purer Neugierde ein Staatsgeheimnis verschafft und dann erst den Plan faßt, es zu verraten (§ 94) oder sonst Unbefugten mitzuteilen (§ 95). Nicht hierher gehört auch der Fall, daß der Täter durch Zufall, ohne sein Zutun, von einem Staatsgeheimnis Kenntnis erlangt. 4. Der Versuch ist sowohl bei Abs. 1 als auch bei Abs. 2 strafbar. Als Versuch genügt z.B. schon die Kontaktaufnahme mit einem Geheimnisträger (vgl. BGH 6, 385 sowie bei Wagner GA 1961, 143 C Nr. 1). 5. Gegenüber §§ 94, 95 ist § 96 subsidiär. Die Ausführungen unter § 94 Anm. 6—8 gelten im übrigen entsprechend.
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Landesverrat und Gefährdung der äußeren Sicherheit
§ 97, 9 7 &
§ 97 [Preisgrabe von Staatsgeheimnissen] (1) Wer ein Staatsgeheimnis, das von einer amtlichen Stelle oder auf deren Veranlassung geheimgehalten wird, an einen Unbefugten gelangen läßt oder öffentlich bekanntmacht und dadurch fahrlässig die Gefahr eines schweren Nachteils für die äußere Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland verursacht, wird wegen Preisgabe von Staatsgeheimnissen mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren bestraft. (2) Wer ein Staatsgeheimnis, das von einer amtlichen Stelle oder auf deren Veranlassung geheimgehalten wird und das ihm kraft seines Amtes, seiner Dienststellung oder eines von einer amtlichen Stelle erteilten Auftrages zugänglich war, leichtfertig an einen Unbefugten gelangen läßt und dadurch fahrlässig die Gefahr eines schweren Nachteils für die äußere Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland verursacht, wird wegen leichtfertiger Preisgabe von Staatsgeheimnissen mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren bestraft. (3) Die Tat wird nur mit Ermächtigung der Bundesregierung verfolgt. 1. Die Vorschrift entspricht im wesentlichen dem früheren § 100c. Das objektive Tatbild des Abs. 1 entspricht dem des § 95. Auch subjektiv besteht mit § 95 insoweit Übereinstimmung, als die P r e i s g a b e v o r s ä t z l i c h erfolgen muß. I m Unterschied zu § 96 f ü h r t der Täter aber die G e f a h r eines schweren Nachteils f ü r die äußere Sicherheit der BRD nicht vorsätzlich, sondern nur f a h r l ä s s i g herbei. 2. Abs. 2 enthält ein S o n d e r d e l i k t , das nach Art der Amtsdelikte nur von bestimmten Personen begangen werden kann. Hinsichtlich der Preisgabe an Unbefugte genügt L e i c h t f e r t i g k e i t , d.h. grobe Fahrlässigkeit. Hinsichtlich der aus der leichtfertigen Preisgabe entstehenden Gefahr eines schweren Nachteils i.S. von § 93 I genügt F a h r l ä s s i g k e i t . Bei vorsätzlicher Preisgabe ergibt sich Strafbarkeit aus dem schwereren Tatbestand des § 97 Abs. 1, bei vorsätzlicher Herbeiführung der Gefahr sogar aus § 95. 3. Die fahrlässige Preisgabe ist — im Gegensatz zum früheren § 100 c Abs. 2 — weder nach Abs. 1 noch nach Abs. 2 strafbar. 4. Über die Bedeutung der Ermächtigung als Prozeßvoraussetzung siehe § 197 Anm. 1 und 2. Die Ausführungen unter §94 Anm. 6—8 gelten im übrigen entsprechend.
§ 97 a
[Verrat illegraler Staatsgeheimnisse]
Wer ein Geheimnis, das wegen eines der in § 93 Abs. 2 bezeichneten Verstöße kein Staatsgeheimnis ist, einer fremden Macht oder einem ihrer Mittelsmänner mitteilt und dadurch die Gefahr eines schweren Nachteils für die äußere Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland herbeiführt, wird wie ein Landesverräter (§ 94) bestraft. § 96 Abs. 1 in Verbindung mit § 94 Abs. 1 Nr. 1 ist auf Geheimnisse der in Satz 1 bezeichneten Art entsprechend anzuwenden. 1. Auch wenn die illegalen Geheimnisse nach § 93 Abs. 2 keine Staatsgeheimnisse i.e.S. sind, so besteht doch ein Bedürfnis dahingehend, daß sie nicht zum Nachteil für die äußere Sicherheit der BRD einer fremden Macht in die Hände gespielt werden. Erfaßt werden soll in erster Linie der Agent, der f ü r einen fremden Nachrichtendienst arbeitet, nicht dagegen der Journalist, der einen Mißstand öffentlich rügt. Ein neuer Fall Ossietzky kann sich nicht mehr ereignen (vgl. Woesner N JW1968, 2129, 2133).
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§ 9 7 b
Strafgesetzbuch
2. Die Vorschrift kommt auch dann zur Anwendung, wenn der Täter den illegalen Charakter des Geheimnisses nicht erkannt hat. 3. Aus dem S c h r i f t t u m zum illegalen Staatsgeheimnis siehe besonders Breithaupt NJW 1968, 1712 und Hirsch N J W 1968, 2330. § 9V b [Irrige Annahme eines illegalen Geheimnisses] (1) Handelt der Täter in den Fällen der § § 94 bis 97 In der irrigen Annahme, das Staatsgeheimnis sei ein Geheimnis der in § 97 a bezeichneten Art, so wird er, wenn 1. dieser Irrtum ihm vorzuwerfen ist, 2. er nicht in der Absicht handelt, dem vermeintlichen Verstoß entgegenzuwirken, oder 3. die Tat nach den Umständen kein angemessenes Mittel zu diesem Zweck ist, nach den bezeichneten Vorschriften bestraft. Die Tat ist in der Regel kein angemessenes Mittel, wenn der Täter nicht zuvor ein Mitglied des Bundestages u m Abhilfe angerufen hat. (2) War dem Täter als Beamten oder als Soldat der Bundeswehr das Staatsgeheimnis dienstlich anvertraut oder zugänglich, so wird er auch dann bestraft, wenn nicht zuvor der Beamte einen Dienstvorgesetzten, der Soldat einen Disziplinarvorgesetzten u m Abhilfe angerufen hat. Dies gilt für Personen, die im Sinne des § 353 b Abs. 2 oder des § 353c Abs. 2 verpflichtet worden sind, entsprechend. 1. Die Vorschrift regelt einen Sonderfall des Tatbestandsirrtums. Sie geht davon aus, daß alle obj. und subj. Merkmale der §§94—97 verwirklicht sind, dem Täter jedoch nicht widerlegt werden kann, daß er das verratene, offenbarte, verschaffte oder preisgegebene Staatsgeheimnis für ein illegales Geheimnis i. S. von § 93 Abs. 2 gehalten hat. Nach allgemeinen Grundsätzen (vgl. § 59) würde ein solcher Irrtum den Vorsatz entfallen lassen und damit die Möglichkeit einer Bestrafung nach den §§ 94—97 ausschließen. In Betracht käme nur eine Bestrafung wegen fahrlässiger Begehungsweise, sofern der Irrtum im Einzelfall auf Fahrlässigkeit beruht und das Gesetz für diesen Fall eine besondere Strafdrohung schafft. Anstatt dessen wird in § 97 b eine Sonderregelung getroffen, die zwar politisch praktikabel sein mag, rechtssystematisch jedoch völlig aus dem Rahmen fällt und auch rechtsstaatlich nicht ganz unbedenklich ist (vgl. Schönke-Schröder 1, Dreher 2, Lackner-Maassen 5). Die Möglichkeit, sich auf einen vorsatzausschließenden Tatbestandsirrtum zu berufen, wird jedenfalls durch § 97 b weitgehend eingeschränkt. 2. Aufgrund der Sonderregelung des § 97 b bleibt der Täter nur dann straflos, wenn a) der I r r t u m für ihn u n v e r m e i d b a r war, d.h. wenn er alle möglichen und zumutbaren Erkenntnisquellen ausgeschöpft hat, b) er unwiderlegbar in der A b s i c h t gehandelt hat, den vermeintlich drohenden Verstoß gegen die freiheitlich demokratische Grundordnung oder gegen zwischenstaatlich vereinbarte Rüstungsbeschränkungen entgegenzuwirken, c) die tatbestandsmäßige Handlung ein a n g e m e s s e n e s Mittel zur Erreichung des erstrebten Zwecks darstellt. Straffreiheit tritt nur dann ein, wenn a l l e unter a) bis c) genannten Voraussetzungen erfüllt sind. Vor allem an der letzten Anforderung dürften in der Praxis die meisten Versuche scheitern, sich auf einen schuldausschließenden Irrtum zu berufen. Mit Rücksicht auf die berechtigten Sicherheitsinteressen der Bundes-
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Landesverrat und Gefährdung der äußeren Sicherheit
§ 98
republik hat der Täter grundsätzlich das Mittel zu wählen, das am wenigsten gefährlich ist. Eine tatbestandsmäßige Handlung nach §§ 94—97 dürfte daher nur ganz ausnahmsweise das angemessene Mittel darstellen. Auf jeden Fall sollte sich der Täter vorher an ein Mitglied des B T gewandt haben (vgl. Abs. 1 Satz 2). 3. Für Beamte und Soldaten, denen das Geheimnis dienstlich anvertraut oder zugänglich ist, stellt Abs. 2 die z u s ä t z l i c h e P f l i c h t auf, daß sie vor einer tatbestandsmäßigen Handlung nach §§ 94—97 zunächst an einen Dienst- bzw. Disziplinarvorgesetzten herantreten. Nur wenn auch dieser Schritt erfolglos geblieben ist und die übrigen, oben unter 2 a) bis c) dargelegten Voraussetzungen erfüllt sind, bleibt der Beamte bzw. Soldat straflos. 4. Im Ergebnis unproblematisch sind die Fälle, in denen auch der Verrat illegaler Geheimnisse nach § 97 a mit gleicher Strafe bedroht ist wie der Verrat eines echten Staatsgeheimnisses. Der (bedenklichen) Systematik des § 97 b entspricht es, den Täter nur dann nach § 97 a „wie" einen Landesverräter zu bestrafen, wenn die oben unter 2 a) bis c) dargelegten Voraussetzungen vorliegen. Nach der allgemeinen Regelung des § 59 dagegen müßte die Bestrafung bei jedem Irrtum über die Legalität nach den Grundsätzen des § 97 a erfolgen, womit dem Täter allerdings im Ergebnis nicht viel geholfen wäre. § 98
[Liandesverräterische
TorbereUnngshandlungen]
(1) Wer 1. für eine fremde Macht eine Tätigkeit ausübt, die auf die Erlangung oder Mitteilung von Staatsgeheimnissen gerichtet ist, oder 2. gegenüber einer fremden Macht oder einem ihrer Mittelsmänner sich zu einer solchen Tätigkeit bereit erklärt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren bestraft, wenn die Tat nicht in den § § 94, 96 Abs. 1 mit Strafe bedroht ist. In besonders schweren Fällen ist die Strafe Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren; § 94 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 gilt entsprechend. (2) Das Gericht kann die Strafe nach seinem Ermessen mildern (§ 15) oder von einer Bestrafung nach diesen Vorschriften absehen, wenn der Täter freiwillig sein Verhalten aufgibt und sein Wissen einer Dienststelle offenbart. Ist der Täter in den Fällen des Absatzes 1 Satz 1 von der fremden Macht oder einem ihrer Mittelsmänner zu seinem Verhalten gedrängt worden, so wird er nach dieser Vorschrift nicht bestraft, wenn er freiwillig sein Verhalten aufgibt und sein Wissen unverzüglich einer Dienststelle offenbart. 1. Die Vorschrift übernimmt gemeinsam mit § 99 die Aufgabe des früheren § lOOe. Im Gegensatz zum früheren § lOOe ist aber nicht schon die Aufnahme und Unterhaltung bestimmter Beziehungen strafbar. Sowohl bei § 98 Abs. 1 als auch bei § 99 Abs. 1 ist vielmehr erforderlich, daß der Täter bereits Handlungen vorgenommen hat, die auf die Vorbereitung eines Landesverrats hinzielen. 2. Zu Abs. 1 Nr. 1: a) Die Tätigkeit muß für eine fremde Macht ausgeübt werden. Über „fremde Macht" siehe § 93 Anm. 2 c, aa. „Für" eine fremde Macht wird die Tätigkeit auch dann ausgeübt, wenn der Täter zwar keinen Auftrag dieser Macht hat, aber in deren Interessen handelt und beabsichtigt, ihr das Staatsgeheimnis irgendwie zukommen zu lassen. Tätigkeiten in diesem Sinn sind vor allem die Aufnahme von Kontakten zu Personen oder Dienststellen, bei denen man das Staatsgeheimnis vermutet, oder die Errichtung von Funkanlagen zur Durchgabe der eingehenden Nachrichten. b) Gegenstand der Tätigkeit muß die Erlangung oder Mitteilung von Staatsgeheimnissen sein. Über „Staatsgeheimnis" siehe § 93 Abs. 1. Illegale Geheimnisse i.S. von
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§99
Strafgesetzbuch
§ 93 Abs. 2 gehören nicht hierher (siehe jedoch § 97 a Satz 2, wonach auch der strafbar ist, der sich ein illegales Geheimnis zum Verrat an eine fremde Macht verschafft, und § 99, der ebenfalls illegale Geheimnisse einbezieht). 3. Zu Abs. 1 Nr. 2: Die Vorschrift stellt — ähnlich wie die allgemeine Vorschrift des § 49 a Abs. 2, die jedoch nur bei Verbrechen gilt — mit dem Sich-bereit-Erklären eine bestimmte Vorbereitungshandlung selbständig unter Strafe. Bezieht sich die Erklärung nicht nur auf eine allgemeine „Tätigkeit" i.S. der Nr. 1, sondern auf ein bereits konkret in Aussicht genommenes Verbrechen nach § 94 oder § 96 Abs. 1, so kommt nicht §98, sondern § 49a i.V. mit §§94, 96 Abs. 1 zur Anwendung. 4. Der subj. Tb. erfordert Vorsatz. Der Täter muß vor allem wissen, daß es sich um ein Staatsgeheimnis i. S. von § 93 handelt und daß seine Tätigkeit einer fremden Macht dient. Bedingter Vorsatz genügt. 5. Der durch das 1. StrRG redaktionell dem neuen § 15 angepaßte Abs. 2 befaßt sich mit Sonderfällen tätiger Reue. Die allgemeine Vorschrift des § 46 kann keine Anwendung finden, da die Tat durch die vorgenommene Tätigkeit bzw. Erklärung bereits vollendet ist. 6. Gemäß § 4 Abs. 3 Nr. 2 ist die Tat auch dann strafbar, wenn sie von einem Ausländer im Ausland begangen wird. 7. Idk. ist vor allem möglich mit §§ 99, 133, 242, 267, 333, 353b. Gegenüber §§ 94, 96 Abs. 1 ist § 98 als sog. Vorfeldschutzvorschrift subsidiär (vgl. BGH 24, 80). Dies gilt auch dann, wenn diese Tatbestände nur i.V. mit § 49 a gegeben sind. 8. Prozessual beachte §§ 120 I 3 GVG (Zuständigkeit des OLG), 153b—d StPO (Opportunitätsprinzip). 9. Siehe auch § 101 (Geldstrafe und Nebenfolgen) und § 101a (Einziehung). g 9 9 [Tätigkeit für fremde Geheimdienste] (1) Wer 1. für den Geheimdienst einer fremden Macht eine geheimdienstliche Tätigkeit gegen die Bundesrepublik Deutschland ausübt, die auf die Mitteilung oder Lieferung von Tatsachen, Gegenständen oder Erkenntnissen gerichtet ist, oder 2. gegenüber dem Geheimdienst einer fremden Macht oder einem seiner Mittelsmänner sich zu einer solchen Tätigkeit bereit erklärt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren bestraft, wenn die Tat nicht in den §§ 94, 96 Abs. 1, in § 97 a oder in § 97 b in Verbindung mit den §§ 94, 96 Abs. 1 mit Strafe bedroht ist. (2) In besonders schweren Fällen ist die Strafe Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren. Ein besonders schwerer Fall liegt in der Regel vor, wenn der Täter Tatsachen, Gegenstände oder Erkenntnisse, die von einer amtlichen Stelle oder auf deren Veranlassung geheimgehalten werden, mitteilt oder liefert und wenn er 1. eine verantwortliche Stellung mißbraucht, die ihn zur Wahrung solcher Geheimnisse besonders verpflichtet, oder 2. durch die Tat die Gefahr eines schweren Nachteils für die Bundesrepublik Deutschland herbeiführt. (3) § 98 Abs. 2 gilt entsprechend. 1. Die Vorschrift übernimmt gemeinsam mit § 98 die Aufgabe des früheren § lOOe. Wie bei § 98 handelt es sich im Falle des Abs. 1 Nr. 1 um ein T ä t i g k e i t s d e l i k t , während in Abs. 1 Nr. 1 das Sich-bereit-Erklären zu einer geheimdienstlichen Tätigkeit i.S. der Nr. 1 unter Strafe gestellt wird.
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§
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2. Zu Abs. 1 Nr. 1 : Die Tätigkeit muß f ü r den Geheimdienst einer fremden Macht ausgeübt werden und auf die Mitteilung und Lieferung von Tatsachen, Gegenständen oder Erkenntnissen beliebiger Art gerichtet sein. Nicht erforderlich ist, daß der Täter sieh vorher dazu ausdrücklich bereit erklärt h a t (vgl. BGH N J W 1973, 1288). a) Über fremde Macht siehe § 93 Anm. 2 c, aa. b) Als Geheimdienst gilt jede staatlich beherrschte oder gelenkte Institution, die f ü r die politische Führung des eigenen Staates Nachrichten und sonstige Erkenntnisse über die politische, militärische und wirtschaftliche Lage eines fremden Staates unter Einsatz von Agenten systematisch sammelt und auswortet. Die Rechtsform einer solchen Institution ist unerheblich. Nicht hierher gehören private Pressedienste, soweit sie nicht nur die äußere Form eines Nachrichtendienstes darstellen. c) Der Begriff der Tätigkeit ist weit auszulegen. E r f a ß t werden alle Personen, die an der Aktivität des geheimdienstlichen Apparats teilnehmen. Eine Eingliederung in die Organisation des Geheimdienstes (z.B. als Agent oder Kurier) ist nicht erforderlich (BGH 24, 369). Täter kann deshalb auch eine Person sein, die — freiwillig oder unfreiwillig — in den Einflußbereich eines fremden Geheimdienstes geraten ist und im Kähmen der n u n einsetzenden Vernehmungen bereitwillig auf alle Fragen Auskunft gibt (vgl. B G H a.a.O.). Die Frage, ob die betreffende Person lediglich ein Ausforschungsobjekt ist oder ob sie aus der Sicht eines objektiven Betrachters aktiv an der Tätigkeit des Geheimdienstes mitwirkt, dürfte allerdings im Einzelfall nur sehr schwer zu entscheiden sein. Tatbestandsmäßig ist jedes Verhalten, das darauf abzielt, dem fremden Geheimdienst brauchbares Material zu liefern, und zwar unabhängig davon, ob das Material den fremden Geheimdienst erreicht (BGH N J W 1973,1288). Unerheblich ist, ob sich das Material auf militärische, politische oder wirtschaftliche Objekte bezieht. Wie bei § 98 (siehe dort Anm. 2 a) ist nicht erforderlich, daß der Täter einen ausdrücklichen Auftrag des fremden Geheimdienstes hat. E r m u ß n u r „ f ü r " ihn, d.h. zu seinen Gunsten tätig werden. Hierher gehört vor allem die Aufnahme von Verbindungen zu Kontaktpersonen und Geheimnisträgern, der Versuch, letzteren durch Bestechung zur Lieferimg von Nachrichten zu gewinnen, die Einrichtung von Funkanlagen und sog. toten Briefkästen und ähnliche, typische Agententätigkeiten. N i c h t ausreichend ist eine Kontaktaufnahme zu verfassungsfeindlichen oder nachrichtendienstlichen Organisationen außerhalb des Bundesgebiets, die nicht auf die Lieferung von Material abzielt. Die Unterhaltung von „Beziehungen" ist noch keine „Tätigkeit" i.S. von § 99 (vgl. Müller-Emmert N J W 1968, 2134f.). d) Die Tätigkeit muß gegen die BRD, d. h. gegen deren Interessen gerichtet sein. Diese Voraussetzungen können auch dann vorliegen, wenn sich die Tätigkeit unmittelbar gegen ein anderes Land richtet, die Interessen der B R D hierdurch jedoch zumindest mittelbar berührt werden, z.B. bei Spionage zum Nachteil eines NATOPartners. e) Das dem fremden Geheimdienst zu liefernde Material (Tatsachen, Gegenstände oder Erkenntnisse) muß nicht geheim sein. Der Tb. ist in dieser Richtung sehr weit gefaßt. Der Unrechtsgehalt der Tat besteht schlechthin in der konspirativen Tätigkeit f ü r fremde Mächte, und zwar ohne Rücksicht darauf, ob im Einzelfall eine Gefahr f ü r die Sicherheitsinteressen der B R D zu befürchten ist oder nicht. Handelt es sich um Staatsgeheimnisse i.S. von § 93 Abs. 1, so kommt infolge der Subsidiaritätsklausel nicht § 99, sondern Bestrafung nach § 94 Abs. 1 Nr. 1 oder § 96 Abs. 1 in Betracht. 3. Hinsichtlich des Abs. 1 Nr. 2 kann auf die Ausführungen zu § 98 (Anm. 3) verwiesen werden. 4. Der subj. Tb. erfordert Vorsatz, wobei bedingter Vorsatz genügt.
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§ § IOO, I O O »
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5. Abs. 2 verweist auf die in § 98 enthaltene Sonderregelung der tätigen Reue. Siehe hierzu § 98 Anm. 5. 6. Idk. ist möglich mit § 98. Die Ausführungen unter § 98 Anm. 6—9 gelten im übrigen entsprechend. § IOO [ F r i e d e n s g r e f ä h r d e n d e Beziehuiigren] (1) Wer als Deutscher, der seine Lebensgrundlage im räumlichen Geltungsbereich dieses Gesetzes hat, in der Absicht, einen Krieg oder ein bewaffnetes Unternehmen gegen die Bundesrepublik Deutschland herbeizuführen, zu einer Regierung, Vereinigung oder Einrichtung außerhalb des räumlichen Geltungsbereichs dieses Gesetzes oder zu einem ihrer Mittelsmänner Beziehungen aufnimmt oder unterhält, wird mit Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr bestraft. (2) In besonders schweren Fällen ist die Strafe lebenslange Freiheitsstrafe oder Freiheitsstrafe nicht unter fünf Jahren. Ein besonders schwerer Fall liegt in der Regel vor, wenn der Täter durch die Tat eine schwere Gefahr für den Bestand der Bundesrepublik Deutschland herbeiführt. (3) In minder schweren Fällen ist die Strafe Freiheitsstrafe von einem Jahr bis z u fünf Jahren. 1. Täter kann nur ein Deutscher sein, der seine Lebensgrundlage in der B R D hat. Unerheblich ist dagegen, ob er die Tat im Ausland begeht (vgl. § 4 Abs. 3). 2. Die Tathandlung besteht in der Aufnahme oder Unterhaltung von Beziehungen zu einer Regierung, Vereinigung oder Einrichtung außerhalb der BRD. Kontakte zu Mittelsmännern genügen bereits. a) Als B e z i e h u n g gilt jede in Übereinstimmimg mit dem Partner eingegangene, auf gewisse Dauer angelegte Verbindung. Unerheblich ist, von wem die Initiative zu dieser Verbindung ausgegangen ist. b) Als R e g i e r u n g gilt nur die legitime Regierung eines anderen Staates. Zu den im Tatbestand genannten V e r e i n i g u n g e n und E i n r i c h t u n g e n müssen jedoch neben offiziellen Institutionen (z. B. Nachrichtendiensten) auch fremde Untergrundorganisationen gerechnet werden. 3. Der subj. Tb. erfordert neben dem Vorsatz die Absicht einen Krieg oder ein bewaffnetes Unternehmen gegen die BRD herbeizuführen. a) Eine A b s i c h t in diesem Sinn liegt dann vor, wenn es dem Täter —• gleich aus welchem Grund — auf den Krieg bzw. das bewaffnete Unternehmen ankommt. b) Als b e w a f f n e t e s U n t e r n e h m e n gilt jedes bewaffnete Vorgehen, z.B. in der Form von sog. Kommandounternehmen, wie sie nach dem Waffenstillstand im Krieg zwischen Israel und seinen arabischen Nachbarstaaten an der Tagesordnung sind. 4. Der Versuch ist strafbar (Verbrechen). Beachte auch § 49a. 5. Idk. ist möglich mit §§ 83, 84ff., 87ff., 98f., 109f. Die Ausführungen unter § 98 Anm. 8, 9 gelten im übrigen entsprechend. § IOO a
[Gefährdung: durch Fälschungren]
(1) Wer wider besseres Wissen gefälschte oder verfälschte Gegenstände, Nachrichten darüber oder unwahre Behauptungen tatsächlicher Art, die im Falle ihrer Echtheit oder Wahrheit für die äußere Sicherheit oder die Bezie-
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Landesverrat und Gefährdung der äußeren Sicherheit
§
101
hangen der Bundesrepublik Deutschland zu einer fremden Macht von Bedeutung wären, an einen anderen gelangen läßt oder öffentlich bekanntmacht, um einer fremden Macht vorzutäuschen, daß es sich um echte Gegenstände oder um Tatsachen handele, und dadurch die Gefahr eines schweren Nachteils für die äußere Sicherheit oder die Beziehungen der Bundesrepublik Deutschland zu einer fremden Macht herbeiführt, wird mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren bestraft. (2) Ebenso wird bestraft, wer solche Gegenstände durch Fälschimg oder Verfälschung herstellt oder sie sich verschafft, um sie in der in Abs. 1 bezeichneten Weise zur Täuschung einer fremden Macht an einen anderen gelangen zu lassen oder öffentlich bekanntzumachen und dadurch die Gefahr eines schweren Nachteils für die äußere Sicherheit oder die Beziehungen der Bundesrepublik Deutschland zu einer fremden Macht herbeizuführen. (3) Der Versuch ist strafbar. (4) In besonders schweren Fällen ist die Strafe Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr. Ein besonders schwerer Fall liegt in der Regel vor, wenn der Täter durch die Tat einen besonders schweren Nachteil für die äußere Sicherheit oder die Beziehungen der Bundesrepublik Deutschland zu einer fremden Macht herbeiführt. 1. Die Vorschrift entspricht dem früheren § 100a, verzichtet jedoch auf die bisherige Anlehnung an den Begriff des Staatsgeheimnisses. Sie beruht auf der Erwägung, daß auch die Weitergabe von Falschmeldungen usw. die Gefahr eines schweren Nachteils für die äußere Sicherheit der B R D bewirken kann. Ebenso besteht die Gefahr folgenschwerer Verstimmungen in den Beziehungen zum Ausland. 2. In Abs. 2 werden bestimmte V o r b e r e i t u n g s h a n d l u n g e n selbständig unter Strafe gestellt. Der Tb. ist bereits mit der Herstellung bzw. dem Sich-Verschaffen erfüllt, so daß mangels einer Sondervorschrift strafbefreiende tätige Reue dann nicht mehr möglich ist. 3. Idk. ist möglich mit §§ 83£f., 99, 267.
§ lOl
[Geldstrafe, NebenfolgenJ
Wegen der nach den Vorschriften dieses Abschnitts strafbaren Handlungen kann erkannt werden 1. neben einer Freiheitsstrafe aus den §§ 94, 95 Abs. 3, § 96 Abs. 1, § 97 a, aus § 97 b in Verbindung mit den §§ 94, 95 Abs. 3, § 96 Abs. 1, aus den §§ 100 und 100 a Abs. 4 auf Geldstrafe in unbeschränkter Höhe; 2. neben einer Freiheitsstrafe aus § 95 Abs. 1,2, § 96 Abs. 2, § 97 Abs. 1, aus § 97b in Verbindung mit § 95 Abs. 1, 2, § 96 Abs. 2, § 97 Abs. 1, aus § 98 Abs. 1, den § § 9 9 und 100 a Abs. 1 bis 3 auf Geldstrafe; 3. neben einer wegen einer vorsätzlichen Tat verhängten Freiheitsstrafe von mindestens sechs Monaten auf Nebenfolgen nach § 31 Abs. 2, 5; 4. neben jeder Freiheitsstrafe aus den §§ 94, 95 Abs. 3, § 96 Abs. 1, § 97 a, aus § 97 b in Verbindung mit den §§ 94, 95 Abs. 3, § 96 Abs. 1, aus § 98 Abs. 1 und den §§99 bis 100 a auf die Zulässigkeit von Polizeiaufsicht. Siehe die Ausführungen zu § 92 a.
271
gg
lOla—103
Strafgesetzbuch
g l O l a [Einziehung:] (1) Ist eine Straftat n a c h diesem Abschnitt begangen worden, so k ö n n e n 1. Gegenstände, die d u r c h die Tat hervorgebracht oder zu ihrer Begehung oder Vorbereitung g e b r a u c h t worden oder bestimmt gewesen sind, "und 2. Gegenstände, die Staatsgeheimnisse sind, u n d Gegenstände der in § 100 a bezeichneten Art, auf die sich die Tat bezieht, eingezogen werden. § 40 a ist anzuwenden. Gegenstände der in Satz 1 Nr. 2 bezeichneten Art werden a u c h ohne die Voraussetzungen des § 40 Abs. 2 eingezogen, w e n n dies erforderlich ist, u m die Gefahr eines schweren Nachteils f ü r die äußere Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland abzuwenden; dies gilt a u c h dann, w e n n n u r eine mit Strafe bedrohte H a n d l u n g begangen worden ist. (2) § 92 b Abs. 2 gilt entsprechend. Die Vorschrift bringt — ähnlich wie § 92b für die Tatbestände der §§ 80ff. — eine Erweiterung der allgemeinen Einziehungsvorschriften des § 40.
Dritter Abschnitt: Handlungen gegen ausländische Staaten (§§ 102—104 b) Vorbemerkung Die heutige Fassung der §§ 102—104b geht im wesentlichen auf das 3. StrRÄndGes. vom 4. 8. 1953 zurück. G r u n d g e d a n k e der Bestimmungen dieses Abschnitts ist es, jede Störung der guten Beziehungen zum Ausland und damit diplomatische oder gar kriegerische Verwicklungen zu verhindern. Die einzelnen S t r a f t a t b e s t ä n d e sind in den §§ 102—104 enthalten. § 104a enthält je zwei S t r a f b a r k e i t s b e d i n g u n g e n und P r o z e ß v o r a u s s e t zungen, die als solche vom Vorsatz des Täters nicht umfaßt sein müssen. § 104 b befaßt sich mit möglichen N e b e n s t r a f e n und N e b e n f o l g e n . Innerdienstlich ist für die StA Nr. 224 RiStBV zu beachten (beschleunigte Beweissicherung, Berichtspflichten usw.). g 102
[Angriff auf ausländische Repräsentanten]
W e r einen Angriff auf Leib oder Leben eines ausländischen Staatsoberhauptes, eines Mitgliedes einer ausländischen Regierung oder eines im Bundesgebiet beglaubigten Leiters einer ausländischen diplomatischen Vertretung begeht, w ä h r e n d sich der Angegriffene i n amtlicher Eigenschaft i m Inland a u f h ä l t , wird mit Freiheitsstrafe bis zu f ü n f J a h r e n , in besonders schweren Fällen mit Freiheitsstrafe nicht u n t e r einem J a h r bestraft, soweit nicht i n anderen Vorschriften eine schwerere Strafe angedroht ist. g 103 [Beleidigung ausländischer Repräsentanten] W e r ein ausländisches Staatsoberhaupt oder wer mit Beziehung auf ihre Stellung ein Mitglied einer ausländischen Regierung, das sich i n amtlicher Eigenschaft i m Inland a u f h ä l t , oder einen i m Bundesgebiet beglaubigten Leiter einer ausländischen diplomatischen Vertretung beleidigt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei J a h r e n , i m Falle der verleumderischen Beleidigung mit Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu f ü n f J a h r e n bestraft.
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Straftaten gegen Verfassungsorgane usw.
§ § 104—105
§ 104 [Aasländische Hoheitszeichen] (1) Wer eine auf Grund von Rechtsvorschriften oder nach anerkanntem Brauch öffentlich gezeigte Flagge eines ausländischen Staates oder wer ein Hoheitszeichen eines solchen Staates, das von einer anerkannten Vertretung dieses Staates öffentlich angebracht worden ist, entfernt, zerstört, beschädigt oder unkenntlich macht oder wer beschimpfenden Unfug daran verübt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. (2) Der Versuch ist strafbar. § 104 a [ProzeßVoraussetzungen] Die Vergehen dieses Abschnittes werden nur verfolgt, wenn die Bundesrepublik z u dem anderen Staat diplomatische Beziehungen unterhält, die Gegenseitigkeit verbürgt ist und auch zur Zeit der Tat verbürgt war, ein Strafverlangen der ausländischen Regierung vorliegt und die Bundesregierung die Ermächtigung zur Strafverfolgung erteilt. Die Ermächtigung kann zurückgenommen werden. § 104 b [Nebenstrafen und Nebenfolgren] (1) Im Falle des § 102 gilt § 92 a entsprechend mit der Maßgabe, daß neben einer Freiheitsstrafe auf Geldstrafe erkannt werden kann. (2) In den Fällen der §§ 103 und 104 ist die Vorschrift des § 200 Uber die öffentliche Bekanntmachung der Verurteilung entsprechend anzuwenden, wenn die Tat öffentlich oder in einer Versammlung begangen worden ist. An die Stelle des Beleidigten tritt der Staatsanwalt.
Vierter Abschnitt: Straftaten gegen Verfassungsorgane sowie bei Wahlen und Abstimmungen (§§ 105—108 d) Vorbemerkung Die derzeitige Fassung dieses Abschnitts (§§ 105—108d) geht im wesentlichen auf das 3. StrRÄndG vom 4. 8. 1953 zurück. Die §§ 105, 106, 108 wurden jedoch durch das 8. StrRÄndG neu gefaßt. Anliegen der §§ 105—106b ist es, die reibungslose Tätigkeit der Verfassungsorgane zu gewährleisten. Die folgenden Bestimmungen schützen den W ä h l e r w i l l e n . Der B e g r i f f d e r W a h l ist in § 108d gesetzlich definiert. § 105 [TVötigrungr von Verfassungrsorgranen] (1) Wer 1. ein Gesetzesorgan des Bundes oder eines Landes oder einen seiner Ausschüsse, 2. die Bundesversammlung oder einen ihrer Ausschüsse oder 18 Petters-Preisendanz, StGB, 28. Aufl.
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§ 106
Strafgesetzbuch
3. die Regierung oder das Verfassungsgericht des Bundes oder eines Landes rechtswidrig mit Gewalt oder durch Drohung mit Gewalt nötigt, ihre Befugnisse nicht oder in einem bestimmten Sinne auszuüben, wird mit Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren bestraft. (2) In minder schweren Fällen ist die Strafe Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren. 1. Die durch das 8. StrRÄndG neugefaßte Vorschrift enthält einen Sondertatbestand der Nötigung. Geschützt sind die wichtigsten Verfassungsorgane des Bundes und der Länder. Die Vorschrift geht insoweit über die frühere Fassimg hinaus, nach der nur die Gesetzgebungsorgane und ihre Mitglieder geschützt waren. 2. Täter kann auch ein Mitglied der geschützten Verfassungsorgane sein. 3. Die Tathandlung besteht darin, daß die geschützten Organe genötigt werden, ihre Befugnisse nicht oder nicht in einem bestimmten Sinn auszuüben. Zum Begriif der N ö t i g u n g siehe die Ausführungen zu § 240. 4. Im Gegensatz zur Nötigung des § 240 enthält § 105 keinen sog. offenen oder ergänzungsbedürftigen Tatbestand, bei dem die Verbotsmaterie nicht erschöpfend beschrieben ist, so daß der Unrechtsgehalt der Tat erst durch Rückgriff auf die dem Tatbestand zugrundeliegende Norm ermittelt werden kann (vgl. Vorbem. A T , Abschn. B VT 2, S. 21 f.). Zur Bestimmung der Rechtswidrigkeit bedarf es daher auch keines Rückgriffs auf die Formel des § 240 Abs. 2 (a.A. die h.L., vgl. SchönkeSchröder 10; Schwelm L K 16f.; Lackner-Maassen 4; Dreher 3 sowie Woesner N J W 1968, 2129, 2131, wonach § 240 Abs. 2 entsprechend anwendbar sein soll, was jedoch schon deshalb bedenklich erscheint, weil § 240 Abs. 2 einen besonders groben Angriff auf die Entschlußfreiheit und einen erhöhten Grad sittlicher Mißbilligung erfordert, vgl. § 240 Anm. 5). Die besondere Erwähnung der Rechtswidrigkeit in § 105 kann ähnlich wie bei anderen Tatbeständen (z.B. in § 303) nur als Hinweis dahin verstanden werden, daß es auch bei § 105 Fälle geben kann, bei denen eine tatbestandsmäßige Nötigung von Verfassungsorganen ausnahmsweise nicht rechtswidrig ist. Hierbei ist zu beachten, daß die Rechtswidrigkeit nicht schon deshalb entfällt, weil der durch die Nötigimg erstrebte Zweck als solcher nicht rechtswidrig ist. Nur wenn auch das zur Erreichung eines rechtmäßigen Zwecks eingesetzte Mittel rechtmäßig, d.h. rechtsstaatlich legitim ist, kann die Rechtswidrigkeit entfallen. Bei Gewalt und Drohung mit Gewalt als tatbestandsmäßigen Mitteln lassen sich Situationen, bei denen die Rechtswidrigkeit verneint werden könnte, jedoch praktisch kaum denken. Dies gilt auch für Streiks und Demonstrationen, soweit diese in Gewalt ausarten. Rechtmäßig wäre jedoch die Anwendung des in Art. 37 GG vorgesehenen Bundeszwangs gegenüber einem Bundealand (eine Konfliktsituation, die bisher noch nicht eingetreten ist). 4. Idk. ist möglich mit §§ 81f. und § 106. Gegenüber § 240 geht § 105 als das speziellere Delikt vor. 5. Prozessual beachte §§ 153c, 153d StPO (Absehen von Strafe) und § 120 Abs. 1 Nr. 5 GVG (Zuständigkeit des OLG).
§ 106
[ N ö t i g u n g des B u n d e s p r ä s i d e n t e n u n d von Mitgliedern von Verfassungrsorgranen]
(1) Wer 1. den Bundespräsidenten oder 2. ein Mitglied a) eines Gesetzgebungsorgans des Bundes oder eines Landes,
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Straftaten gegen Verfassungsorgane usw.
§§ 106 a, 106 b
b) der Bundesversammlung oder c) der Regierung oder des Verfassungsgerichts des Bundes oder eines Landes rechtswidrig mit Gewalt oder durch D r o h u n g mit einem empfindlichen Übel nötigt, seine Befugnisse nicht oder i n einem b e s t i m m t e n Sinne auszuüben, wird mit Freiheitsstrafe von drei M o n a t e n bis zu f ü n f J a h r e n bestraft. (2) Der Versuch ist s t r a f b a r . (3) I n besonders schweren Fällen ist die Strafe Freiheitsstrafe von einem J a h r bis zu zehn J a h r e n . Neufassung durch das 8. StrRÄndG. Im Gegensatz zur früheren Fassung -wird jetzt auch der Fall erfaßt, daß ein Parlamentsmitglied oder ein sonstiges Mitglied der in §§ 105, 106 geschützten Verfassungsorgane genötigt wird, seine Stimme in bestimmter Richtung abzugeben. Nicht erfaßt wird dagegen der Fall, daß ein Parlamentsmitglied durch Täuschung oder Bestechung in seiner Entscheidung beeinflußt wird. Die Ausführungen zu § 105 gelten im übrigen entsprechend. § 106 a [Ilannkreisferletzung] (1) W e r innerhalb des befriedeten Bannkreises u m das Gebäude eines Gesetzgebungsorgans des Bundes oder eines Landes sowie des Bundesverfassungsgerichts a n öffentlichen Versammlungen u n t e r freiem H i m m e l oder Aufzügen teilnimmt u n d dadurch vorsätzlich Vorschriften verletzt, die über den Bannkreis erlassen worden sind, wird mit Freiheitsstrafe bis z u sechs Monat e n oder m i t Geldstrafe bestraft. (2) W e r zu Versammlungen oder Aufzügen auffordert, die u n t e r Verletzung der i n Absatz 1 genannten Vorschriften innerhalb eines befriedeten B a n n kreises stattfinden sollen, wird mit Freiheitsstrafe bis zu zwei J a h r e n bestraft. 1. Beachte hierzu § 16 VersG (Anhang 5) und die B a n n m e i l e n g e s e t z e von Bund und Ländern. Das BundesbannmeilenG vom 6. 8. 1955 (BGBl. I 504) wurde zuletzt durch Ges. vom 28. 5. 1969 (BGBl. I 449) geändert. 2. Abs. 2 enthält einen S o n d e r f a l l v e r s u c h t e r A n s t i f t u n g . § 106 b
[Verletzung1 der parlamentarischen Haus» Ordnung:]
(1) W e r vorsätzlich gegen Anordnungen verstößt, die ein Gesetzgebungsorgan des Bundes oder eines Landes oder dessen Präsident über das Betreten des Gebäudes des Gesetzgebungsorgans oder des dazu gehörenden Grundstücks oder über das Verweilen oder die Sicherheit u n d Ordnung i m Gebäude oder a u f d e m Grundstück allgemein oder i m Einzelfall erläßt, wird mit Geldstrafe oder mit Freiheitsstrafe bis zu drei Monaten bestraft, soweit nicht in anderen Vorschriften eine schwerere Strafe angedroht ist. Die Tat wird n u r mit E r m ä c h t i gung des Präsidenten des Gesetzgebungsorgans verfolgt. (2) Die Strafvorschrift des Absatzes 1 gilt bei A n o r d n u n g e n eines Gesetzgebungsorgans des Bundes oder seines Präsidenten weder f ü r die Mitglieder des Bundestages noch f ü r die Mitglieder des Bundesrates u n d der Bundesregierung sowie ihre Beauftragten, bei A n o r d n u n g e n eines Gesetzgebungsorgans eines Landes oder seines Präsidenten weder f ü r die Mitglieder der Gesetzgebungsorgane dieses Landes noch f ü r die Mitglieder der Landesregierung u n d ihre B e a u f t r a g t e n . 18*
275
§§ 107, 107 a
Strafgesetzbuch
Diese Bestimmung enthält einen S o n d e r f a l l des H a u s f r i e d e n s b r u c h s und geht daher § 123 Abs. 1 vor. Hinter § 123 Abs. 2 tritt § 106b jedoch infolge der Subsidiaritätsklausel zurück. Mit §§ 105, 106 ist Realkonkurrenz möglich.
§ lOi
l » i » Iii Verhinderung: o d e r - S t ö r u n g ]
(1) Wer mit Gewalt oder durch Drohung mit Gewalt eine Wahl oder die Feststellung ihres Ergebnisses verhindert oder stört, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren, in besonders schweren Fällen mit Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr bestraft. (2) Der Versuch ist strafbar. 1. Geschützt ist der W a h l v o r g a n g als solcher. Der einzelne Wähler wird durch § 108 geschützt. 2. Der B e g r i f f der W a h l ist in § 108d gesetzlich definiert. 3. § 240 tritt als subsidär zurück, mit § 108 ist jedoch Idk. möglich. 4. Beispiel: Alis Protest gegen die angeblich verfehlte Gebietsreform einer Landesregierung blockieren bei einer Landtagswahl radikale Gruppen den Zugang zu bestimmten Wahllokalen, so daß eine größere Anzahl Bürger ihr Wahlrecht nicht ausüben kann. Hier kommt neben § 107 in Tateinheit § 108 in Betracht.
§ lOV a
[Unbefugtes Wählen;
Wahlfälschung:]
(1) Wer unbefugt wählt oder sonst ein unrichtiges Ergebnis einer Wahl herbeiführt oder das Ergebnis verfälscht, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren bestraft. (2) Ebenso wird bestraft, wer das Ergebnis einer Wahl unrichtig verkündet oder verkünden läßt. (3) Der Versuch ist strafbar. 1. U n b e f u g t w ä h l t , wer kein Wahlrecht hat oder doppelt wählt. Auch die Wahl unter falschem Namen gehört hierher. 2. Ein u n r i c h t i g e s E r g e b n i s führt herbei, wer einen Unbefugten (s.o. 1) zur Wahl zuläßt, falsche Wahllisten aufstellt oder ähnliche Handlungen vornimmt, durch die das Wahlergebnis beeinflußt wird. 3. Das E r g e b n i s v e r f ä l s c h t , wer nach Abschluß der Wahl unbefugt Stimmzettel entfernt oder hinzufügt. Auch die falsche Auszählung und Auswertung der Stimmen gehört hierher (vgl. R G 20, 420; 56, 389; h.L.). 4. T ä t e r nach Abs. 2 kann nur sein, wer die ö f f e n t l i c h e A u f g a b e hat, das Wahlergebnis zu verkünden bzw. verkünden zu lassen, oder wer sich eine derartige Aufgabe anmaßt (in diesem Fall ist IdJEC. mit § 132 möglich). 5. Der auf der subj. Tatseite erforderliche Vorsatz (bedingter Vorsatz genügt) muß sich insbesondere auf die mangelnde Befugnis zum Wählen bzw. darauf erstrecken, daß das herbeigeführte oder verkündete Ergebnis, unrichtig ist (vgl. Schwelm L K 6; Dreher 2; Lackner-Maassen 1; Schröder JZ 1957, 584; a.A. Hamm N J W 1957, 638). 6. IdK. ist möglich mit §§ 107, 267, 274, 360 Nr. 8. Gegenüber § 107b geht § 107a vor.
276
Straftaten gegen Verfassungsorgane usw.
§§ 107 b — 108
a
§ lOVb [Yorbereitungshandlungren] Wer 1. seine Eintragung in die Wählerliste (Wahlkartei) durch falsche Angaben erwirkt, 2. einen anderen als Wähler einträgt, von dem er weiß, daß er keinen Anspruch auf Eintragung hat, 3. die Eintragung eines Wahlberechtigten als Wähler verhindert, obwohl er dessen Wahlberechtigung kennt, 4. sich als Bewerber für eine Wahl aufstellen läßt, obwohl er nicht wählbar ist, wird mit Freiheitsstrafe bis zu sechs Monaten oder mit Geldstrafe bestraft, soweit nicht in anderen Vorschriften eine schwerere Strafe angedroht ist. Hier werden bestimmte V o r b e r e i t u n g s h a n d l u n g e n zu dem Vergehen des § 107a unter Strafe gestellt. Zu beachten ist die S u b s i d i a r i t ä t s k l a u s e l .
§ 1 0 7 c (Verletzung: d e s W a h l g e h e i m n i s s e s ] Wer einer dem Schutz des Wahlgeheimnisses dienenden Vorschrift in der Absicht zuwiderhandelt, sich oder einem anderen Kenntnis davon zu verschaffen, wie jemand gewählt hat, wird mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren bestraft. Die als Blankett-Tb. gefaßte Vorschrift schützt das Wahlgeheimnis. Nicht hierher gehört die Erkundung, ob jemand überhaupt gewählt hat.
§ 108
[Wahlbeeinflussung:]
(1) Wer rechtswidrig mit Gewalt, durch Drohung mit einem empfindlichen Übel, durch Mißbrauch eines beruflichen oder wirtschaftlichen Abhängigkeitsverhältnisses oder durch sonstigen wirtschaftlichen Druck einen anderen nötigt oder hindert, zu wählen oder sein Wahlrecht in einem bestimmten Sinne auszuüben, wird mit Freiheitsstrafe bis zu f ü n f Jahren, in besonders schweren Fällen mit Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren bestraft. Daneben kann auf Geldstrafe erkannt werden. (2) Der Versuch ist strafbar. 1. Die Vorschrift will die a b s o l u t e F r e i h e i t d e s W ä h l e r s , ob und wie er wählen will, sicherstellen. N i c h t hierher gehören Überredung und Täuschung. Siehe jedoch § 108a. 2. I d K . ist möglich mit §§ 107, 107a. Gegenüber § 240 geht § 108 vor.
§ 108 a [Irreführung: des Wählers] (1) Wer durch Täuschung bewirkt, daß jemand bei der Stimmabgabe Uber den Inhalt seiner Erklärung irrt oder gegen seinen Willen nicht oder ungültig wählt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren bestraft. (2) Der Versuch ist strafbar. § 107a ist nach h. A. subsidiär (zw.).
277
§§ 108 b — 108 d
Strafgesetzbuch
§ lOSb [Wahlbestechungr] (1) Wer einem anderen dafür, daß er nicht oder in einem bestimmten Sinne wähle, Geschenke oder andere Vorteile anbietet, verspricht oder gewährt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren und mit Geldstrafe bestraft. (2) Ebenso wird bestraft, wer dafür, daß er nicht oder in einem bestimmten Sinne wähle, Geschenke oder andere Vorteile fordert, sich versprechen läßt oder annimmt. (3) Das Entgelt oder dessen Wert kann im Urteil eingezogen werden. 1. Die S t r a f d r o h u n g richtet sich — ähnlich wie bei der Beamtenbestechung gemäß §§ 332, 333 — sowohl gegen den S t i m m e n k ä u f e r als auch gegen den S t i m m e n v e r k ä u f e r . Sollen die beiderseitigen Versprechungen innerem Vorbehalt entsprechend nicht eingehalten werden, so ist ungeachtet deren Sittenwidrigkeit IdK. mit Betrug (§ 263) möglich. 2. Nicht hierher gehört die Bestechung eines Abgeordneten mit dem Ziel, ihn bei der Ausübung seines Stimmrechts innerhalb eines bestimmten parlamentarischen Gremiums zu beeinflussen (vgl. § 108d). § 108 c [Verlust der Wählbarkeit usw.] In den Fällen der §§ 107, 107a, 108 und 108b kann neben Freiheitsstrafe von mindestens sechs Monaten auf den Verlust der Fähigkeit, Rechte aus öffentlichen Wahlen zu erlangen, und den Verlust des Rechts, in öffentlichen Angelegenheiten zu wählen oder zu stimmen, erkannt werden. Die Vorschrift wurde durch das l . S t r R G neu gefaßt. An Stelle des Verlusts der bürgerlichen Ehrenrechte, der nach § 34 Nr. 3 a. F. auch den Verlust der Wählbarkeit sowie des Wahl- und Stimmrechts zur Folge hatte, ist jetzt nur noch diese Nebenfolge zulässig.
§ 108 d [Begrriff der Wahl] Die Vorschriften der §§ 107 bis 108 c gelten für Wahlen zu den Volksvertretungen und für sonstige Wahlen und Abstimmungen des Volkes im Bund, in den Ländern, Gemeinden und Gemeindeverbänden. Einer Wahl oder Abstimmung steht das Unterschreiben eines Wahlvorschlages oder das Unterschreiben für ein Volksbegehren gleich. 1. Die Legaldefinition erfaßt a) Wahlen zu den Volksvertretungen; hierher gehören insbesondere Bundestags-, Landtags-, Bürgerschafts-, Kreistags- und Gemeinderatswahlen; b) Sonstige Wahlen und Abstimmungen des Volkes im Bund, in den Ländern, Gemeinden und Gemeindeverbänden; hierher gehören insbesondere Volksbegehren und Volksbefragungen, wie sie auf Bundesebene z.B. in Art. 29,118 GG vorgesehen sind; c) das Unterachreiben eines Wahlvorschlags oder für ein Volksbegehren (Satz 2). 2. Entgegen dem ursprünglich weiter gefaßten RegE nicht erfaßt werden Wahlen und Abstimmungen innerhalb der Volksvertretungen sowie andere Wahlen in öffentlichen Angelegenheiten, z.B. innerhalb der Berufsorganisationen oder kirchliche Wahlen. Für Betriebsratswahlen siehe § 119 BetriebsVerfG. 3. Aus dem Schrifttum siehe Dreher JZ 1953, 427 sowie Wolf, Straftaten bei Wahlen und Abstimmungen, Bonn 1961. 278
Schutz der Landesverteidigung
§§ 109, 109a
Fünfter Abschnitt: Schutz der Landesverteidigung (§§ 109—109k) Vorbemerkung Die Vorschriften dieses Abschnitts gehen auf das 4. StrRÄndG vom 11. 6. 1957 zurück und ergänzen das WehrStG vom 30. 3. 1957. Teilweise handelt es sich um Tatbestände, die für den Fall, daß sie von einem Soldaten erfüllt werden, unter die in Anhang 3 abgedruckten Sonderbestimmungen des WehrStG fallen. Siehe dort insbesondere §§ 16—20. Gemäß Art. 7 des 4.StrRÄndG vom 11. 6. 1957 (BGBl. I 597, letztes ÄndG vom 20. 5.1970, BGBl. I 505) dienen die §§ 109ff. mit gewissen Einschränkungen auch dem Schutz der nichtdeutschen NATO-Vertragsstaaten. I n Berlin gelten die Vorschriften dieses Abschnitts jedoch nicht. Aus dem Schrifttum siehe insbesondere Lackner JZ 1957, 401; Kohlhaas N J W 1957, 932. § 109
[Selbstverstümmelung;]
(1) Wer sich oder einen anderen mit dessen Einwilligung durch Verstümmelung oder auf andere Weise zur Erfüllung der Wehrpflicht untauglich macht oder machen läßt, wird mit Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren bestraft. (2) Führt der Täter die Untauglichkeit nur zeitweise oder für eine einzelne Art der Verwendung herbei, so ist die Strafe Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren. (3) Der Versuch ist strafbar. 1. Die W e h r p f l i c h t ergibt sich aus §§ 1—3 WehrpflG. Wehrpflichtig ist auch der K r i e g s d i e n s t v e r w e i g e r e r , der zivilen Ersatzdienst zu leisten hat. 2. Subjektiv ist V o r s a t z erforderlich. Bedingter Vorsatz genügt. 3. Wird die Tat von einem S o l d a t e n an sich oder einem anderen begangen, so kommt ausschließlich § 17 WStG in Betracht. 4. I d K . ist mit §§ 223 ff. möglich (die Einwilligung rechtfertigt nicht, vgl. § 226a). § 109 a [WclirpfliclitcntziehungrJ (1) Wer sich oder einen anderen durch arglistige, auf Täuschung berechnete Machenschaften der Erfüllung der Wehrpflicht dauernd oder zeitweise, ganz oder für eine einzelne Art der Verwendung entzieht, wird mit Freiheitsstrafe bis z u fünf Jahren bestraft. (2) Der Versuch ist strafbar. 1. Art und Umfang der W e h r p f l i c h t ergeben sich aus dem WehrpflichtG (vgl. § 109 Anm. 1). 2. Als T a t h a n d l u n g kommen nur a r g l i s t i g e , a u f T ä u s c h u n g b e r e c h n e t e M a c h e n s c h a f t e n in Betracht, z.B. Vorspiegeln nicht vorhandener Krankheiten, Vorlage falscher oder gefälschter Gesundheitszeugnisse. 3. Subjektiv ist V o r s a t z erforderlich; bedingter Vorsatz genügt. 4. Wird die Tat von einem S o l d a t e n begangen, der entweder sich oder einen anderen Soldaten der Wehrpflicht entziehen möchte, so kommt nur § 18 WStG in Betracht. 5. IdK. kommt in Betracht mit §§ 267, 277, 279.
279
3 loofo
Strafgesetzbuch
§ 109 b
[Verleitung: eines Soldaten zur Befehlsverweigerung;]
(1) Wer vorsätzlich einen Soldaten der Bundeswehr verleitet, einen Befehl nicht zu befolgen, und dadurch die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland, die Schlagkraft der Truppe, Leib oder Leben eines Menschen oder ihm nicht gehörende Sachen von bedeutendem Wert gefährdet, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren bestraft. (2) Der Versuch ist strafbar. (3) In besonders schweren Fällen ist die Strafe Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren. (4) Wer in den Fällen des Absatzes 1 die Gefahr fahrlässig herbeiführt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. (5) Die Tat ist nicht rechtswidrig, wenn der Befehl nicht verbindlich ist, insbesondere wenn er nicht zu dienstlichen Zwecken erteilt ist oder die Menschenwürde verletzt oder wenn durch das Befolgen ein Verbrechen oder Vergehen begangen würde. Dies gilt auch, wenn der Täter irrig annimmt, der Befehl sei verbindlich. (6) Begeht ein Soldat der Bundeswehr Anstiftung zum Ungehorsam, so sind die Vorschriften des Wehrstrafgesetzes anzuwenden. 1. Abs. 1 stellt einen besonderen Fall der Anstiftung selbständig unter Strafe. Begeht der Soldat die ihm angesonnene Befehlsverweigerung, so macht er selbst sich gemäß §§ 19, 44, 45 WStG strafbar. 2. Tathandlung ist die Anstiftung eines Soldaten zur Befehlsverweigerung. Als Tatfolge verlangt der Tatbestand eine Gefährdung der Bundesrepublik, der Schlagkraft der Truppe, von Menschenleben oder bedeutenden Sachwerten. 3. Der s u b j e k t i v e T a t b e s t a n d des Abs. 1 erfordert Vorsatz, wobei bedingter Vorsatz ausreicht. F a h r l ä s s i g k e i t führt nur unter den Voraussetzungen des Abs. 4 zur Strafbarkeit, d.h. wenn der Täter zwar vorsätzlich einen Soldaten zur Befehlsverweigerung anstiftet, hierbei aber infolge Fahrlässigkeit nicht an die möglichen Tatfolgen denkt. 4. Die Tat ist nicht rechtswidrig, wenn der B e f e h l u n v e r b i n d l i c h ist (vgl. Abs. 5 Satz 1). Die Aufzählung der Voraussetzungen, unter denen der Befehl unverbindlich ist (Verletzung der Menschenwürde usw.), ist nur beispielhaft. Ein Befehl ist z.B. auch dann unverbindlich, wenn er objektiv nicht ausführbar ist oder eine sinnlose Aufopferung des Soldaten bedeuten würde. 5. Behandlung der Irrtumsprobleme : a) Erkennt der Täter nicht die sich aus der Befehlaverweigerung ergebende Gefahr, so kommt nur Abs. 4 in Betracht (s.o. 3). b j Hält der Täter den Befehl nur irrig für verbindlich, während er in Wirklichkeit unverbindlich ist, so liegt entgegen den allgemeinen Grundsätzen kein strafbarer Versuch, sondern ein strafloses Wahndelikt vor (vgl. Abs. 5 Satz 2). c) Hält der Täter umgekehrt einen objektiv verbindlichen Befehl für unverbindlich und seine Tat daher für nicht rechtswidrig, so kommen die für die irrige Annahme eines Rechtfertigungsgrunds entwickelten allgemeinen Grundsätze zur Anwendung: Nimmt der Täter i r r i g T a t u m s t ä n d e an, bei deren Vorliegen der Befehl unverbindlich wäre, so ist er einem vorsatzlos handelnden Täter gleichzustellen (vgl. § 59 Anm. 2); nimmt er jedoch in Kenntnis aller Tatumstände nur auf Grund einer f a l s c h e n W e r t u n g an, der Befehl sei unverbindlich, so handelt es sich um einen Verbotsirrtum, der nur dann zum Schuldausschluß führt, wenn
280
Schutz der Landesverteidigung
§§ lOOc,
lOOd
er unvermeidbar war (vgl. Vorbem. AT, Abschn. B VTI 2e, S. 26 f. sowie LacknerMaassen 5). d) B e a c h t e : Nimmt ein S o l d a t irrig an, der ihm erteilte Befehl sei unverbindlich, so gilt die in § 22 Abs. 2 und 3 WStG getroffene S o n d e r r e g e l u n g , durch die die allgemeinen Bestimmungen über Tatbestands- und Verbotsirrtum im Interesse der militärischen Disziplin wesentlich eingeschränkt werden. 6. § 109b Abs. 2 stellt den Versuch unter Strafe. Genau genommen handelt es sich um einen S o n d e r f a l l d e r v e r s u c h t e n A n s t i f t u n g . 7. Begeht ein Soldat eine Tat nach Abs. 1, d.h. stiftet er einen anderen Soldaten zu einer Befehlaverweigerung mit schweren Folgen an, so sind auf Grund der ausdrücklichen Regelung in Abs. 6 nur die Vorschriften des WStG i. V. mit § 48 anwendbar. § 109b kommt jedoch dann in Betracht, wenn die Anstiftung erfolglos geblieben ist. In diesem Fall hat die Bestrafung gemäß § 109b Abs. 2 zu erfolgen (s.o. 5). § 109 c [Anstiftung: und Beihilfe zur Fahnenflucht] (1) Wer einen Soldaten der Bundeswehr verleitet, eigenmächtig seine Truppe oder Dienststelle zu verlassen oder ihr fernzubleiben, u m sich der Verpflichtung zum Wehrdienst dauernd oder für die Zeit eines bewaffneten Einsatzes zu entziehen oder die Beendigung des Wehrdienstverhältnisses zu erreichen, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren bestraft. (2) Der Versuch ist strafbar. (3) Wer es einem Soldaten der Bundeswehr erleichtert, mit der in Absatz 1 bezeichneten Absicht eigenmächtig seine Truppe oder Dienststelle zu verlassen oder ihr fernzubleiben, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren bestraft. (4) Begeht ein Soldat der Bundeswehr Anstiftung oder Beihilfe zur Fahnenflucht, so sind die Vorschriften des Wehrstrafgesetzes anzuwenden. 1. Auch hier werden T e i l n a h m e h a n d l u n g e n selbständig unter Strafe gestellt. Abs. 1 behandelt die A n s t i f t u n g zur Fahnenflucht, Abs. 2 die v e r s u c h t e A n s t i f t u n g , Abs. 3 die B e i h i l f e . Die Fahnenflucht selbst ist in § 16 WStG unter Strafe gestellt. 2. Begeht ein S o l d a t Anstiftung oder Beihilfe zur Fahnenflucht, so sind nach der ausdrücklichen Bestimmimg des Abs. 4 die Vorschriften des WStG (§16 WStG i. V. mit §§ 48, 49 StGB) anwendbar. Anders bei der versuchten Anstiftung. Diese kann, da § 16 WStG kein Verbrechen, sondern nur ein Vergehen ist, auch bei einem Soldaten nur gemäß § 109 c Abs. 2 bestraft werden. § 109d [Aufstellung: unwahrer Tatsachenbehauptungren] (1) Wer unwahre oder gröblich entstellte Behauptungen tatsächlicher Art, deren Verbreitung geeignet ist, die Tätigkeit der Bundeswehr zu stören, wider besseres Wissen zum Zwecke der Verbreitimg aufstellt oder solche Behauptungen in Kenntnis ihrer Unwahrheit verbreitet, u m die Bundeswehr in der Erfüllung ihrer Aufgabe der Landesverteidigung zu behindern, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren bestraft. (2) Der Versuch ist strafbar. 1. Anliegen der Vorschrift ist es zu verhindern, daß die Moral der Truppe durch Lügenpropaganda zersetzt wird. Erfaßt werden jedoch nur unwahre oder gröblich entstellte Behauptungen tatsächlicher Art, nicht auch diskriminierende Werturteile und Meinungsäußerungen, z.B. der Vorwurf des Faschismus oder des Militarismus. Die Vorschrift hat deshalb in der Praxis keine große Bedeutung erlangt (vgl. Greiser N J W 1973, 231).
281
§
Strafgesetzbuch
109e
2. Die T a t h a n d l u n g b e s t e h t im Aufstellen u n d V e r b r e i t e n u n w a h r e r oder g r o b e n t s t e l l t e r T a t s a c h e n b e h a u p t u n g e n . Diese m ü s s e n geeignet sein, die T ä t i g k e i t d e r B u n d e s w e h r z u stören. E i n e derartige S t ö r u n g liegt z . B . d a n n v o r , w e n n g a n z e T r u p p e n t e i l e in U n r u h e oder in eine S t i m m u n g v e r s e t z t werden, a u s d e r h e r a u s sieh P a n i k , A u f r u h r oder allgemeine F a h n e n f l u c h t ergeben k ö n n e n . D a ß eine S t ö r u n g dieser A r t t a t s ä c h l i c h e i n t r i t t , ist n i c h t erforderlich. E s g e n ü g t bereits die k o n k r e t e G e f a h r e i n e r S t ö r u n g . Die V o r s c h r i f t wird d a d u r c h zu e i n e m k o n kreten Gefährdungsdelikt. 3. D e r subj. T b . e r f o r d e r t z u n ä c h s t Vorsatz, wobei bedingter Vorsatz n i c h t a u s reicht (vgl. die F o r m u l i e r u n g e n „wider besseres W i s s e n " u n d „in K e n n t n i s i h r e r U n w a h r h e i t " ) . D e r Ausschluß des bedingten Vorsatzes h a t sich jedoch als Mangel erwiesen, d a im R a h m e n der zuweilen e r b i t t e r t g e f ü h r t e n Angriffe gegen die B u n d e s wehr häufig H a l b w a h r h e i t e n u n d V e r m u t u n g e n b e w u ß t u n g e p r ü f t ü b e r n o m m e n w e r d e n (vgl. Greiser N J W 1973, 231). Der T ä t e r m u ß weiter die Absicht h a b e n , die B u n d e s w e h r in der E r f ü l l u n g ihrer A u f g a b e der Landesverteidigung zu behind e r n . Der T a t b e s t a n d ist d a h e r nicht erfüllt, w e n n der T ä t e r sich n u r wichtig m a c h e n will. 4. I d K . ist möglich m i t §§ 91, 100 a, 164, 186, 187, 187a. 5. B e a c h t e §§ 109 i, k (Nebenfolgen) sowie §§ 153c, 153d S t P O (Absehen v o n S t r a f e ) u n d § 7 4 a Abs. 1 N r . 3 GVG (Zuständigkeit der sog. polit. S t r a f k a m m e r n ) . § lOOe
[Sabotage]
( 1 ) W e r vorsätzlich e i n W e h r m i t t e l oder e i n e E i n r i c h t u n g oder A n l a g e , die g a n z oder v o r w i e g e n d der Landesverteidigung oder d e m S c h u t z der Zivilb e v ö l k e r u n g g e g e n K r i e g s g e f a h r e n dient, u n b e f u g t zerstört, beschädigt, v e r ändert, unbrauchbar m a c h t oder beseitigt u n d dadurch die Sicherheit der Bundesrepublik D e u t s c h l a n d , die Schlagkraft der Truppe oder M e n s c h e n l e b e n g e f ä h r d e t , wird m i t Freiheitsstrafe v o n drei M o n a t e n bis z u f ü n f J a h r e n b e straft. ( 2 ) E b e n s o wird bestraft, w e r w i s s e n t l i c h e i n e n s o l c h e n G e g e n s t a n d oder d e n d a f ü r b e s t i m m t e n W e r k s t o f f f e h l e r h a f t herstellt oder liefert u n d dadurch w i s s e n t l i c h die i n A b s a t z 1 b e z e i c h n e t e Gefahr herbeiführt. ( 3 ) D e r V e r s u c h ist strafbar. ( 4 ) I n besonders s c h w e r e n F ä l l e n ist die Strafe Freiheitsstrafe v o n e i n e m J a h r bis z u z e h n J a h r e n . ( 5 ) W e r die Gefahr i n d e n F ä l l e n des A b s a t z e s 1 fahrlässig, i n d e n F ä l l e n d e s A b s a t z e s 2 n i c h t w i s s e n t l i c h , aber vorsätzlich oder fahrlässig h e r b e i f ü h r t , wird m i t Freiheitsstrafe bis z u f ü n f J a h r e n bestraft, s o w e i t n i c h t i n a n d e r e n Vorschriften eine schwerere Strafe a n g e d r o h t ist. 1. Z u Abs. 1: a) W e h r m i t t e l sind Gegenstände, die n a c h ihrer N a t u r oder auf G r u n d besonderer Z w e c k b e s t i m m u n g f ü r d e n b e w a f f n e t e n E i n s a t z d e r T r u p p e geeignet u n d b e s t i m m t sind, z . B . W a f f e n aller A r t , Munition, G a s m a s k e n , Militärfahrzeuge (auch r e q u i r i e r t e P r i v a t f a h r z e u g e ) , technische I n s t r u m e n t e wie R a d a r a n l a g e n , a b e r a u c h Tiere, die z u m T r a n s p o r t v o n Kriegsmaterial b e s t i m m t sind. b) Geschützt sind ferner E i n r i c h t u n g e n u n d A n l a g e n , die g a n z oder v o r wiegend d e r L a n d e s v e r t e i d i g u n g oder d e m Schutz der Zivilbevölkerung d i e n e n . H i e r h e r gehören B u n k e r , Munitionslager, Militärflugplätze, ferner L u f t s c h u t z a n lagen (öffentliche Keller, Stollen, Sirenen). c) Die T a t h a n d l u n g b e s t e h t i m Z e r s t ö r e n , Beschädigen, V e r ä n d e r n , U n b r a u c h b a r m a c h e n oder Beseitigen.
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Schutz der Landesverteidigung
§ 109i
d) Als T a t f o l g e verlangt der Tatbestand eine Gefährdung der Sicherheit der BRD, der Schlagkraft der Truppe oder von Menschenleben. e) S u b j e k t i v ist V o r s a t z erforderlich; bedingter Vorsatz genügt. Siehe jedoch Abs. 5. 2. Abs. 2 wendet sich gegen den H e r s t e l l e r und L i e f e r a n t e n der in Abs. 1 geschützten Wehrmittel, Anlagen und Einrichtungen sowie der dafür bestimmten Werkstoffe. Hier ist hinsichtlich der in Abs. 1 als Tatfolge bezeichneten Gefahr der bestimmte Vorsatz erforderlich. Siehe jedoch Abs. 5. 3. Der V e r s u c h ist sowohl bei Abs. 1 als auch bei Abs. 2 strafbar. 4. Wegen N e b e n s t r a f e n und N e b e n f o l g e n siehe §§ 109i,k. 5. IdK. ist möglich mit §§ 242, 246. Gegenüber § 315 geht § 109e vor. 6. Prozessual beachte §§ 153c, 153d StPO (Absehen von Strafe) sowie § 74a Abs. 1 Nr. 3 GVG (Zuständigkeit der sog. polit. Strafkammern). § 109 f [Sammeln von militärischen Nachrichten] (1) Wer vorsätzlich für eine Dienststelle, eine Partei oder eine andere Vereinigung außerhalb des räumlichen Geltungsbereichs dieses Gesetzes, für eine verbotene Vereinigung oder für einen ihrer Mittelsmänner 1. Nachrichten über Angelegenheiten der Landesverteidigung sammelt, 2. einen Nachrichtendienst betreibt, der Angelegenheiten der Landesverteidigung zum Gegenstand hat, oder 3. für eine dieser Tätigkeiten anwirbt oder sie unterstützt und dadurch Bestrebungen dient, die gegen die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland oder die Schlagkraft der Truppe gerichtet sind, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren bestraft, soweit nicht in anderen Vorschriften eine schwerere Strafe angedroht ist. Ausgenommen ist eine zur Unterrichtung der Öffentlichkeit i m Rahinen der üblichen Presse- oder Funkberichterstattung ausgeübte Tätigkeit. (2) Der Versuch ist strafbar. 1. Durch die ersatzlose Streichung des § 92 a.F.hat die Vorschrift praktisch an Bedeutung gewonnen. I m Gegensatz zu § 92 a.F. ist nicht erforderlich, daß der Täter mit staatsgefährdender Absicht handelt. Es genügt, daß er sich in den Dienst von Bestrebungen stellt, die gegen die Sicherheit der BRD oder gegen die Schlagkraft der Truppe gerichtet sind. Es ist auch nicht erforderlich, daß die Angelegenheit der Landesverteidigung, auf die sich der Nachrichtendienst usw. bezieht, z.B. eine strategisch wichtige Straße oder ein Marine- oder Luftstützpunkt, sich im räumlichen Geltungsbereich des StGB befindet. 2. Subjektiv ist V o r s a t z erforderlich, wobei bedingter Vorsatz genügt. Der Täter muß insbesondere wissen (oder billigend in Kauf nehmen), daß die von ihm gesammelten Nachrichten usw. für eine ausländische Dienststelle, Partei usw. bestimmt sind und daß er sich durch seine Tätigkeit in den Dienst von Bestrebungen stellt, die der Sicherheit des Landes oder der Schlagkraft der Truppe schaden könnten. Eine darüber hinausgehende staatsgefährdende Absicht ist nicht erforderlich. 3. Das P r e s s e p r i v i l e g des Abs. 1 Satz 2 schließt bereits den Tatbestand aus, ist also nicht nur ein Rechtfertigungs- oder Schuldausschli,eßungsgrund. Als nicht üblich dürfte eine Berichterstattung dann zu gelten haben, wenn sie sich in Detailschilderungen verliert, an deren Kenntnisnahme das breite Publikum kein Interesse hat. In einem solchen Fall besteht zum mindesten der dringende Verdacht, daß mit solchen Schilderungen ein ausländischer Nachrichtendienst bedient werden soll.
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§8 lOOgr, 109 h
Strafgesetzbuch
4. Zu beachten ist die S u b s i d i a r i t ä t s k l a u s e l . § 109f ist insbesondere subsidiär hinter §§ 94—96, 98, 99. IdK ist dagegen möglich mit § 109g. 5. Wegen N e b e n s t r a f e n und N e b e n f o l g e n siehe §§ 109i,k. 6. P r o z e s s u a l beachte §§ 153b—dSt PO (Absehen von Strafe) sowie § 74 Abs. 1 Nr. 3 GVG (Zuständigkeit der sog. polit. Strafkammern). § 109gr
[Abbilden und Beschreiben militärischer Anlagren]
(1) W e r vorsätzlich von einem Wehrmittel, einer militärischen Einrichtung oder Anlage oder einem militärischen Vorgang eine Abbildung oder Beschreibung anfertigt oder eine solche Abbildung oder Beschreibimg a n einen a n d e r e n gelangen läßt u n d dadurch wissentlich die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland oder die Schlagkraft der Truppe gefährdet, wird m i t Freiheitsstrafe bis zu f ü n f J a h r e n bestraft. (2) W e r vorsätzlich von einem L u f t f a h r z e u g a u s eine Lichtbildaufnahme von einem Gebiet oder Gegenstand i m räumlichen Geltungsbereich dieses Gesetzes anfertigt oder eine solche A u f n a h m e oder eine d a n a c h hergestellte Abbildung a n einen anderen gelangen läßt u n d dadurch wissentlich die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland oder die Schlagkraft der Truppe gefährdet, wird mit Freiheitsstrafe bis zu zwei J a h r e n bestraft, soweit nicht die Tat n a c h Absatz 1 s t r a f b a r ist. (3) Der Versuch ist s t r a f b a r . (4) W e r in den Fällen des Absatzes 1 die Abbildung oder Beschreibung vorsätzlich a n einen anderen gelangen läßt u n d d a d u r c h die Gefahr nicht wissentlich, aber vorsätzlich oder leichtfertig herbeiführt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu zwei J a h r e n oder mit Geldstrafe bestraft. Die Tat ist jedoch nicht s t r a f b a r , w e n n der Täter mit Erlaubnis der zuständigen Dienststelle gehandelt h a t . 1. Die T a t o b j e k t e sind die gleichen wie bei der Wehrmittelsabotage in § 109e. Auch der Z w e c k der V o r s c h r i f t ist derselbe: Es soll verhindert werden, daß die Sicherheit des Landes oder die Schlagkraft der Truppe gefährdet werden. 2. Subjektiv ist in Abs. 1 und Abs. 2 V o r s a t z erforderlich, wobei bedingter Vorsatz nicht genügt. Siehe jedoch Abs. 4, der dem § 109e Abs. 5 entspricht. 3. Die in Abs. 4 genannte E r l a u b n i s der z u s t ä n d i g e n B e h ö r d e ist ein S t r a f a u s s c h l i e ß u n g s g r u n d , auf den sich der Vorsatz nicht erstrecken muß. 4. IdK. ist insbesondere möglich mit §§ 98, 99, 109 f. Zu beachten ist ferner das L u f t v e r k e h r s G i.d.F. vom 4. 11. 1968 (BGBl. I 1113), wonach a u ß e r h a l b d e s F l u g d i e n s t e s Luftbilder nur mit behördlicher Erlaubnis gefertigt und in Verkehr gebracht werden dürfen. Verstöße hiergegen werden als Ordnungswidrigkeiten mit Geldbuße geahnet (vgl. § 61 a.a.O.). Gegenüber §§ 94—96 ist § 109g subsidiär. 5. Beachte §§ 109i, k (Nebenfolgen), 153b—153d StPO (Absehen von Strafe) und § 74 Abs. 1 Nr. 3 GVG (Zuständigkeit der sog. politischen Strafkammern). g 109 h [Anwerben für fremden Wehrdienst] (1) W e r i m Inland oder als Deutscher i m Ausland zugunsten einer a u s ländischen Macht einen Deutschen z u m Wehrdienst in einer militärischen oder militärähnlichen Einrichtung anwirbt oder ihren W e r b e r n oder dem Wehrdienst einer solchen Einrichtung z u f ü h r t , wird m i t Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu f ü n f J a h r e n bestraft. (2) Der Versuch ist s t r a f b a r . 284
Widerstand gegen die Staatsgewalt
§109i,
lOOk
1. Die Vorschrift dient vor allem der Erhaltung der deutschen W e h r - u n d Arbeitskraft. 2. Wird die Tat im I n l a n d begangen, so kommen als Täter auch Ausländer in Betracht. Wird sie im A u s l a n d begangen, so richtet sich die Strafdrohung nur gegen Deutsche. 3. I d K . ist möglich mit §§ 144, 234, ferner mit § 109c. 4. Beachte §§ 109i, k. § 1091 [Aebens trafen] Wegen der in diesem Abschnitt mit Strafe bedrohten Handlungen kann erkannt werden 1. neben Freiheitsstrafe auf Geldstrafe; 2. neben einer Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr aus § 109 e Abs. 1 bis 3 sowie § 109f auf Nebenfolgen nach § 31 Abs. 2, 5; 3. neben einer Freiheitsstrafe aus den in Nummer 2 bezeichneten Vorschriften und aus § 109 e Abs. 4 auf die Zulässigkeit von Polizeiaufsicht. Die Vorschrift entspricht der in § 92 a für die Tatbestände des 1. Abschnitts getroffenen Regelung. Ihre derzeitige Fassung geht auf das 1. StrBG zurück. § 1 0 9 k [Einziehung:] (1) Ist eine Straftat nach den §§ 109d bis 109g begangen worden, so können 1. Gegenstände, die durch die Tat hervorgebracht oder zu ihrer Begehung oder Vorbereitung gebraucht worden oder bestimmt gewesen sind, und 2. Abbildungen, Beschreibungen und Aufnahmen, auf die sich eine Straftat nach § 109 g bezieht, eingezogen werden. § 40 a ist anzuwenden. Gegenstände der in Satz 1 Nr. 2 bezeichneten Art werden auch ohne die Voraussetzungen des § 40 Abs. 2 eingezogen, wenn das Interesse der Landesverteidigung es erfordert; dies gilt auch dann, wenn nur eine mit Strafe bedrohte Handlung begangen worden ist. (2) § 92 b Abs. 2 gilt entsprechend. Die durch das 8. StrRÄndG neu eingeführte Vorschrift ersetzt den früheren § 109i Abs. 2 lind entspricht der in § 92 b für die Tatbestände des 1. Abschnitts getroffenen Regelung.
Sechster Abschnitt: Widerstand gegen die Staatsgewalt (§§ 110—122b) Vorbemerkungen 1. Die Widerstandsdelikte wurden durch das 3. StrRG vom 20. 5. 1970 (BGBl. 1 505) grundlegend umgestaltet. Im Vordergrund der Reform stand das Bemühen, das noch aus dem J a h r 1871 stammende sog. Demonstrationsstrafrecht, das durch die Unruhen der letzten Jahre aus seinem jahrzehntelangen Dornröschenschlaf gerissen wurde und zunehmend öffentlicher Kritik ausgesetzt war, zu „demokratisieren" und so zu gestalten, daß „friedliches Demonstrieren kein Risiko mehr darstellt" (Abg. de With in der BT-Sitzung vom 18. 3. 1970, S. 1947 des stenographischen Berichts). Andererseits mußte der Schutz der Allgemeinheit vor Aus-
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Strafgesetzbuch schreitungen im Zusammenhang mit Demonstrationen nach wie vor gewährleistet bleiben. Nach monatelangen Beratungen der parlamentarischen Gremien hat der BT-Sonderausschuß f ü r die Strafrechtsreform eine Lösung gefunden, die nach Ansicht seines Berichterstatters de With (a.a.O. S. 1947) „verfassungskonform und auf der Höhe unserer Zeit" ist und vom Bundestag in seiner Sitzung vom 18. 3. 1970 gegen die Stimmen der CDU/CSU-Fraktion verabschiedet wurde. Die bisherigen Vorschriften über Aufruhr (§ 115) und Landfriedensbruch (§ 125) wurden in den §§ 125, 125a neu zusammengefaßt und so gestaltet, daß sich n u r noch die eigentlichen Gewalttäter, ihre Teilnehmer und ihre Hintermänner s t r a f b a r machen. Der bisher in § 116 als Vergehen strafbare sog. Auflauf wurde durch Art. 2 des 3. StrRG zu einer Ordnungswidrigkeit herabgestuft (abgedruckt hinter § 114), die §§ 23, 29 Abs. 4 des Versammlungsgesetzes wurden ersatzlos gestrichen. 2. Die übrigen Vorschriften des 3. StrRG betrafen im wesentlichen weitere Tatbestände des 6. Abschnitts des Strafgesetzbuchs. a) § 110 (öffentliche Aufforderung zum Ungehorsam gegen Gesetze, Verordnungen usw.) wurde als „Relikt obrigkeitlichen Denkens" (vgl. Bericht des Sonderausschusses, S. 2 der BT-Drucksache VI/502) ersatzlos gestrichen. Zur Begründung wurde u . a . darauf hingewiesen, daß alle wirklich strafwürdigen Fälle durch § 111 erfaßt werden könnten und außerdem sowohl das Zivilrecht als auch das öffentliche Recht, vor allem das Polizeirecht und das Disziplinarrecht der öffentlichen Lehranstalten, ausreichend Möglichkeiten zu Gegenmaßnahmen bieten würden. b) § 111 blieb in geänderter Form erhalten. c) In § 113 wurde Abs. 1 redaktionell geändert, in Abs. 2 wurde eine Strafdrohung f ü r besonders schwere Fälle aufgenommen, in Abs. 3 wurde klargestellt, daß der Widerstand gegen eine nicht rechtmäßige Amtshandlung auch dann nicht strafb a r ist, wenn der Täter sie irrig f ü r rechtmäßig hält, während umgekehrt Abs. 4 die Möglichkeit bietet, bei einem Täter, der schuldhaft annimmt, die objektiv rechtmäßige Amtshandlung sei rechtswidrig, die Strafe zu mildern oder ganz von Strafe abzusehen. Der schuldlos irrende Täter, dem auch nicht zuzumuten ist, sich mit Rechtsmitteln gegen die vermeintlich rechtswidrige Amtshandlung zu wehren, bleibt immer straflos. d) § 114 a. F. (Beamtennötigung) wurde ersatzlos gestrichen. Die bisher u n t e r die Vorschrift fallenden Nötigungen werden jetzt durch den allgemeinen Tatbestand des § 240 erfaßt. e) § 114 n . F . erweitert den Anwendungsbereich des § 113 auf Personen, die. zwar keine Beamte sind, dessen ungeachtet jedoch hoheitsrechtliche Aufgaben erfüllen oder zur Unterstützung bei Vollstreckungshandlungen herangezogen werden und deshalb gesteigerten Gefahren ausgesetzt sind. Die Vorschrift bildet einen gewissen Ersatz dafür, daß der früher in § 117 enthaltene Tatbestand des Forstwiderstands aufgehoben wurde. f) Über die Aufhebung der §§ 115, 116 (Aufruhr und Auflauf) siehe oben Vorbem. 1. g) Die Strafvorschriften über den Forstwiderstand (§§ 117, 118) wurden aufgehoben. Die im Interesse des Forst- und Jagdschutzes tätigen Personen sind hierdurch jedoch nicht schutzlos den Angriffen der Wilderer preisgegeben. Soweit es sich um Beamte handelt, fallen Widerstandshandlungen gegen Vollstreckungsmaßnahmen sowie tätliche Angriffe unter § 113; soweit der Forst- und Jagdschutz durch Privatpersonen versehen wird, kann Abs. 1 des neuen § 114 eingreifen. 3. Aus dem Schrifttum zu den vorausgegangenen Entwürfen sind folgende Veröffentlichungen hervorzuheben: Müller-Emmert Z R P 1970, 1; Eb. Schmidt ZStW Bd. 82, 1; Baumann und Frosch J Z 1970, 113 (zum SPD/FDP-Entwurf) sowie Frosch Z R P 1970,53 und Baumann Z R P 1970, 56 (zum CDU/CSU-Entwurf). Zum
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Widerstand gegen die Staatsgewalt
§§ H O ,
111
Ganzen siehe auch Blei J A 1969, StR S. 65, 85, 207; 1970 StR S. 83; ferner Tiedemann J Z 1969, 717 sowie Strafrechtspolitik und Dogmatik in den Entwürfen zu einem dritten Strafrechtsreformgesetz, 1970. Zum 3. StrRG selbst siehe vor allem Dreher N J W 1970, 1153.
§ llO
[Aufforderung: zum Ungehorsam]
[Aufgehoben durch das 3. StrRG, s. o. Vorbem. 2]
§ 1 1 1 [Öffentliche Aufforderung: z u r B e g e h n n g mit S t r a f e b e d r o h t e r Handlungen] (1) Wer öffentlich, in einer Versammlung oder durch Verbreiten von Schriften, Ton- oder Bildträgern, Abbildungen oder Darstellungen zu einer mit Strafe bedrohten Handlung auffordert, wird wie ein Anstifter bestraft. (2) Bleibt die Aufforderung ohne Erfolg, so ist die Strafe nach den Vorschriften über die Bestrafung des Versuchs zu mildern. 1. Sinn und Zweck der durch das 3. StrRG neu gefaßten Vorschrift ist es, drohenden Eskalationen möglichst frühzeitig mit den Mitteln des Strafrechts begegnen zu können. Von der A n s t i f t u n g des § 48 unterscheidet sich § 111 dadurch, daß die Aufforderung nicht gegenüber einer bestimmten Person erfolgt, sondern öffentlich, in einer Versammlung oder durch Verbreiten von Schriften usw. E r f a ß t werden soll vor allem derjenige, der in Krisenzeiten vor Demonstrationen und ähnlichen Aktionen die Menge „ a u f h e i z t " und hierdurch rational nicht mehr kontrollierbare Instinkte weckt. 2. Öffentlich ist die Aufforderung, wenn sie von einem größeren, nach H e r k u n f t und Zahl unbestimmten Personenkreis wahrgenommen werden kann, z . B . im Rahmen einer öffentlichen Diskussion, bei einer Wahlversammlung oder bei einem sog. Teach-in, aber auch bei einer laut geführten Unterhaltung in einem Gasthaus oder in einer Schule sowie auf offener Straße. Öffentlichkeit des Orts ist nicht erforderlich, in der Regel aber ausreichend (vgl. R G 63, 431; 73, 90; Dreher 2 D a ) . 3. Versammlung ist wie in § 80 a (siehe dort Anm. 2 b) jedes räumliche Zusammentreffen einer Mehrzahl von Personen zur Erörterung oder Verfolgung bestimmter Zwecke. Nicht hierher gehören Familientreffen und ähnliche rein private Veranstaltungen. Andererseits ist nicht erforderlich, daß die Versammlung öffentlich ist. Diese Tatbestandsalternative will vielmehr gerade solche Äußerungen erfassen, die mangels Öffentlichkeit sonst nicht tatbestandsmäßig wären. Zum Ganzen siehe auch Frohwein N J W 1969, 1081. 4. Über das Verbreiten von Schriften, usw. siehe § 41 Anm. 1. Zu den Schriften gehören vor allem auch Flugblätter. Eine Schrift ist verbreitet, wenn sie einem größeren, f ü r den Täter nicht mehr kontrollierbaren Personenkreis zugänglich gemacht worden ist (BGH 13, 257). 5. Aufforderung ist jede Einwirkung auf andere mit dem Ziel, diese zur Begehung einer mit Strafe bedrohten Handlung zu veranlassen. Dies kann auch in verklausulierter, f ü r jeden Eingeweihten jedoch eindeutig verständlicher Form erfolgen, wie dies in letzter Zeit verschiedentlich in sog. Aufheizflugblättern geschehen ist (vgl. Bericht des Berliner Polizeipräsidenten Hübner vor dem Strafrechts-Sonderausschuß, S. 39 des Protokolls vom 12. 1. 1970). I m Unterschied zur Anstiftung ist nicht erforderlich, daß sich die Aufforderung an eine bestimmte Person oder Personengruppe richtet. Entscheidend ist allein, daß sie öffentlich, in einer Versammlung usw. erfolgt (s. o. Anm. 1—4). Wird die Aufforderung von dem Adressaten
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fig
112,113
Strafgesetzbuch
nicht verstanden, wird sie von ihm nicht befolgt oder bleibt sie aus einem sonstigen Grund ohne Erfolg, so ergibt sich die Strafbarkeit aus Abs. 2. 6. Durch die Formulierung mit Strafe bedrohte Handlung wurde zunächst klargestellt, daß die Tat, zu der aufgefordert wird, nicht schuldhaft begangen sein muß. Es genügt vielmehr eine tatbestandsmäßige und rechtswidrige T a t , deren rechtliches Wesen als Brandstiftung, Mord usw. f ü r den Engeweihten eindeutig verständlich und bestimmbar ist, ohne daß sie andererseits bereits in ihren Einzelheiten konkretisiert sein muß. So genügt es z.B., wenn eine Menschenmenge durch Flugblätter ohne nähere Bezeichnung von Zeit, Ort und Objekt aufgefordert wird, die Kaufhäuser anzuzünden und die Banken zu plündern (vgl. RG 65, 202; Dreher 2 C, Lackner-Maassen 4). Zu beachten ist ferner, daß — entgegen dem ursprünglichen SPD/FDP-Antrag — bis zum Inkrafttreten des 2. StrRG auch die Aufforderung zu einer Ü b e r t r e t u n g als Vergehen bestraft werden kann. Die Strafe beträgt dann allerdings, da der Täter „wie ein Anstifter" bestraft wird, Freiheitsstrafe bis zu 6 Wochen. Die Aufforderung zu einer O r d n u n g s w i d r i g k e i t wird von § 111 nicht erfaßt, sollte aber bei einer künftigen Reform selbst als Ordnungswidrigkeit eingestuft werden (vgl. Dreher N J W 1970, 1156). 7. Der subj. Tb. erfordert Vorsatz, wobei bedingter Vorsatz ausreicht. Nicht erforderlich ist, daß der Täter die Begehung der Tat, zu der er auffordert, tatsächlich will; es genügt, wenn er billigend in Kauf nimmt, daß seine Aufforderung ernst genommen wird (vgl. Dreher 4). Ein Irrtum über die Rechtswidrigkeit der Tat, zu der aufgefordert wird, berührt nicht den Vorsatz, sondern lediglich das Unrechtsbewußtsein (Verbotsirrtum, vgl. Dreher 4). 8. Abs. 2 enthält einen Sonderfall der versuchten Anstiftung. Die Strafe ist nach Versuchsgrundsätzen (§ 44) zu mildern. 9. IdK. ist möglich mit §§ 80a, 89, 125, 130. Gegenüber der Anstiftung des §48 ist § 111 subsidiär (vgl. Dreher N J W 1970, 1153, 1156).
§ 112
[aufgehoben]
§113
[Widerstand gegen
Tollgtrecbung^beamte]
(1) Wer einem Beamten oder Soldaten der Bundeswehr, der zur Vollstrekkung von Gesetzen, Rechtsverordnungen, Urteilen, Gerichtsbeschlüssen oder Verfügungen berufen ist, bei der Vornahme einer solchen Amts- oder Diensthandlung mit Gewalt oder durch Drohung mit Gewalt Widerstand leistet oder ihn dabei tätlich angreift, wird mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. (2) In besonders schweren Fällen ist die Strafe Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren. Ein besonders schwerer Fall liegt in der Regel vor, wenn 1. der Täter oder ein anderer Beteiligter eine Waffe bei sich führt, u m diese bei der Tat zu verwenden oder 2. der Täter durch eine Gewalttätigkeit den Angegriffenen in die Gefahr des Todes oder einer schweren Körperverletzimg (§ 224) bringt. (3) Die Tat ist nicht nach dieser Vorschrift strafbar, wenn die Amts- oder Diensthandlung nicht rechtmäßig ist. Dies gilt auch dann, w e n n der Täter irrig annimmt, die Amts- oder Diensthandlung sei rechtmäßig.
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Widerstand gegen die Staatsgewalt
8 113
(4) Nimmt der Täter bei Begehung der Tat irrig an, die Amts- oder Diensthandlung sei nicht rechtmäßig, und konnte er den Irrtum vermeiden, so kann das Gericht die Strafe nach seinem Ermessen mildern ( § 1 5 ) oder bei geringer Schuld von einer Bestrafung nach dieser Vorschrift absehen. Konnte der Täter den Irrtum nicht vermeiden und war ihm nach den i h m bekannten Umständen auch nicht zuzumuten, sich mit Rechtsbehelfen gegen die vermeintlich rechtswidrige Amts- oder Diensthandlung zu wehren, so ist die Tat nicht nach dieser Vorschrift strafbar; war ihm dies zuzumuten, so kann das Gericht die Strafe nach seinem Ermessen mildern (§ 15) oder von einer Bestrafimg nach dieser Vorschrift absehen. I. Die durch das 3. StrRG neu gefaßte Vorschrift enthält einen Sondertatbestand der Nötigung und unterscheidet sich von diesen zunächst dadurch, daß zur Beurteilung der Rechtswidrigkeit ein Rückgriff auf § 240 Abs. 2 nicht erforderlich ist: Widerstand gegen eine rechtmäßige Vollstreckungshandlung ist schlechthin rechtswidrig, ohne daß es besonderer Umstände bedarf. Andererseits wird bei einem Widerstand gemäß § 113 der Täter dadurch privilegiert, daß § 113 gegenüber der allgemeinen Regelung des § 240 den niedrigeren Grundstrafrahmen sowie — seit der Neufassung durch das 3. StrRG — in Abs. 4 eine täterfreundlichere Irrtumsregelung enthält (beides gerechtfertigt durch die besondere psychische Ausnahmesituation, in der sich der durch eine Vollstreckungshandlung Betroffene befindet). Der durch das Fehlen einer dem § 240 Abs. 2 entsprechenden Regelung begründete erhöhte strafrechtliche Schutz der Vorschrift erstreckt sich — wie schon nach früherem Recht — auf zivile und militärische Vollstreckungsbeamte. Der besondere Schutz von Personen, die zu ihrer Unterstützung zugezogen werden (früher in Abs. 3 geregelt) sowie solcher Privatpersonen, deren sich der Staat sonst zur Erfüllung seiner Aufgaben bedient, wird durch die Neufassung des § 114 gewährleistet. Die Pläne der CDU/CSU-Fraktion, den erhöhten strafrechtlichen Schutz allgemein auf Behörden, Beamte und Soldaten auszudehnen, und zwar auch hinsichtlich solcher Amts- und Diensthandlungen, die sich nicht als typische Vollstreckungs- und Vollzugshandlungen darstellen, fanden keine Mehrheit. 1. Vollstreckungsbeamter ist jeder Beamte, der durch sein Amt zur Vollstreckung des Staatswillens berufen ist und zu diesem Zweck tätig wird (RG 41, 85; 61, 298). a) Zu den Vollstreckungsbeamten gehören insbesondere die Beamten des P o l i z e i d i e n s t e s , Z o l l b e a m t e , F e l d h ü t e r , G e r i c h t s v o l l z i e h e r und V o l l z u g s b e a m t e d e r F i n a n z v e r w a l t u n g . Nicht erforderlich ist, daß es sich um einen Beamten im staatsrechtlichen Sinn handelt. Geschützt sind vielmehr alle Personen, deren Tätigkeit aus der Staatsgewalt abgeleitet ist und staatlichen Zwecken dient ( B e a m t e i m s t r a f r e c h t l i c h e n S i n n , vgl. § 359). b) Die A m t s h a n d l u n g , bei deren Vornahme dem Beamten Widerstand geleistet wird, kann keine behebige sein. Nur typische V o l l s t r e c k u n g s h a n d l u n g e n unterliegen dem besonderen Schutz der Vorschrift. Hierher gehören nur solche Handlungen, die auch gegen den Willen des durch sie Betroffenen e r z w u n g e n werden können, z.B. Beschlagnahmen, Durchsuchungen, die Entnahme von Blutproben und Pfändungen, n i c h t dagegen die polizeiliche Vernehmung von Beschuldigten und Zeugen (BayObLG N J W 1962, 2072 = J R 1963, 68 m. zust. Anm. Dünnebier) und sonstige Ermittlungstätigkeiten (OLG Zweibrücken N J W 1966, 1086). Auch die Dienstfahrt eines Polizeistreifenwagens ist für sich allein keine Vollstreckungshandlung (Hamm JMB1NRW 1965, 44). 2. Soldaten der Bundeswehr genießen den erhöhten strafrechtlichen Schutz ebenfalls nur, soweit sie zu Vollstreckungen berufen sind. I n Betracht kommen vor 19
Pettera-Preisendana, StGB, 28. Aufl.
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§
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allem Feldjäger und militärische Wachen zur Sicherung militärischer Anlagen. Soldaten der in der B R D stationierten Truppen der nichtdeutschen NATO-Vertragsstaaten sind nach Art. 7 I I Nr. 5 des 4. StrRÄndG idF. des 3. S t r R G den deutschen Soldaten gleichgestellt. Wird die Widerstandshandlung nicht von einem Zivilisten, sondern einem Soldaten begangen, so gehen die spezielleren §§ 24, 25 WStG dem § 113 vor (vgl. Dreher 1 B m. weit. Nachw.). 3. Über den erhöhten strafrechtlichen Schutz nichtbeamteter Hilfspersonen (früher in Abs. 3 geregelt) siehe jetzt § 114. II. Die Rechtmäßigkeit der Amtsausübung ist, wie sich aus der speziellen Irrtumsregelung in Abs. 3 S. 2 und Abs. 4 ergibt, kein Tatbestandsmerkmal, sondern eine Voraussetzung der Rechtswidrigkeit, auf die sich der Vorsatz des Täters nicht beziehen muß (vgl. KG N J W 1972, 781f; Dreher 3 A, 5 B ; N J W 1970, 1153, 1158; Lackner-Maassen 6, 8). Insoweit h a t sich an der bisherigen Rechtslage (siehe hierzu vor allem BGH 4, 161 ff.; 21, 334, 364f.) nichts geändert. Auch die sachlichen Voraussetzungen, unter denen eine Amtshandlung rechtmäßig ist, sind die gleichen geblieben (vgl. Dreher N J W 1970, 1153, 1158). Insbesondere wäre es verfehlt, n u r nichtige Vollstreckungshandlungen als nicht rechtmäßig zu behandeln (vgl. Günther, N J W 1973, 309). 1. Zu den wesentlichen Voraussetzungen einer rechtmäßigen Amtsausübung gehören : a) die örtliche Zuständigkeit (vgl. B G H 4, 110; OLG H a m m N J W 1954, 206). So kann ein Beamter eines Wohnungsamts nicht außerhalb seines Amtsbezirks rechtmäßig eine Wohnung beschlagnahmen; die Bahnpolizei h a t polizeiliche Befugnisse nur auf dem Bahngebiet (vgl. B G H a . a . O . 112). Andererseits ist die polizeiliche Aufgabe, Verbrechen zu verhüten, allgemeiner Art. Ein P o l i z e i b e a m t e r handelt daher auch dann rechtmäßig, wenn er außerhalb seines eigentlichen Amtsbezirks gegen eine strafbare Handlung einschreitet. Über die L a n d e s g r e n z e n hinaus darf er jedoch n u r unter den Voraussetzungen des § 167 GVG einschreiten, d. h. wenn es darum geht, die Verfolgung eines Flüchtigen auf das Gebiet eines anderen Bundeslandes fortzusetzen und den Flüchtigen dort zu ergreifen. Weitere Ausnahmen können nur durch Landesgesetze oder Staatsverträge zwischen den einzelnen Bundesländern geschaffen werden (vgl. OLG H a m m a . a . O . ) ; b) die sachliche Zuständigkeit, d.h. die Amtshandlung muß in den Kreis der Amtsgeschäfte des Beamten gehören. Diese Voraussetzungen fehlen z . B . bei einem Polizeibeamten, der sich in rein privatrechtliche Auseinandersetzungen einmischt, ebenso bei einem Richter, der selbst einmal eine P f ä n d u n g vornehmen möchte. Andererseits wird die Rechtmäßigkeit der Amtsausübung nicht d a d u r c h beeinträchtigt, daß der Beamte gerade nicht im Dienst ist und daher auch keine Dienstkleidung trägt (vgl. B G H 4, 110, 111; OLG Neustadt J R 1959, 28); c) die Beachtung der wesentlichen Förmlichkeiten, z.B. die Einhaltung von § 759 ZPO, wonach der Gerichtsvollzieher, wenn er auf Widerstand trifft oder weder den Schuldner noch ein Familienmitglied vorfindet, zwei erwachsene Personen oder einen Gemeinde- oder Polizeibeamten als Zeugen hinzuzuziehen h a t (vgl. BGH 5, 93); o d e r : das Vorzeigen des Haftbefehls gem. § 909 S. 2 ZPO bei Verhaftung des Schuldners zur Erzwingung einer eidesstattl. Versicherung (Ddf. JMB1NRW 1965, 271); o d e r : die Zuziehung von Zeugen zur Zwangsvollstreckung, wenn nicht die Gefahr besteht, daß der Schuldner bis zum Eintreffen der Zeugen den Erfolg der Pfändung vereiteln wird (Hbg J R 1955, 272). Entsprechendes gilt f ü r die Zuziehung von Zeugen bei einer Durchsuchung im strafrechtl. Ermittlungsverfahren (Stgt N J W 1971, 629);
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Widerstand gegen die Staatsgewalt
§
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d) pflichtgemäße Ausübung des Ermessens, wenn die Amtshandlung in das Ermessen des Beamten gestellt ist. So ist die Anordnung einer Blutentnahme auch dann rechtmäßig, wenn sich nachher ergibt, daß der Alkoholgehalt n u r unwesentlich war, der durch die Anordnung betroffene K r a f t f a h r e r aber durch seine Fahrweise, durch sein Auftreten oder auf sonstige Weise den Verdacht einer stärkeren Alkoholeinwirkung h a t aufkommen lassen. Entscheidend ist allein, ob der Beamte im Bewußtsein seiner Verantwortung und unter bestmöglicher pflichtgemäßer Abwägung aller ihm erkennbarer Umstände die Handlung f ü r nötig und sachlich gerechtfertigt halten durfte (BGH VRS 1970, 115). Hieraus folgt: I r r t sich der B e a m t e über die t a t s ä c h l i c h e n V o r a u s s e t z u n g e n seines E i n s c h r e i t e n s , z.B. nimmt er infolge einer Personenverwechslung oder eines sich später nicht bestätigenden Tatverdachts einen Unschuldigen fest, so w i r d d i e A m t s h a n d l u n g h i e r d u r c h g r u n d s ä t z l i c h n i c h t r e c h t s w i d r i g . Anders nur dann, wenn der Beamte sein pflichtgemäßes Ermessen überschreitet, z . B . wenn er eine Person festnimmt, die ein einwandfreies Alibi nachweisen kann und f ü r jeden vernünftigen Betrachter als Täter ausscheiden m u ß . Liegt dagegen ein R e c h t s i r r t u m vor, d.h. irrt sich der Beamte über die rechtlichen Voraussetzungen seiner Amtsbefugnisse, so kann ein solcher I r r t u m die fragliche Handlung niemals zu einer rechtmäßigen machen; sie ist vielmehr rechtswidrig, und ein Widerstand gegen sie ist nicht nach § 113 s t r a f b a r , sondern wird im allgemeinen durch Notwehr gerechtfertigt (Hamm BA 1964, 558 betr. Widerstand gegen eine dem § 81a StPO nicht entsprechende Blutentnahme durch einen Medizinalassistenten). e) F ü h r t ein Beamter einen für ihn bindenden Befehl aus, der der materiellen Rechtslage nicht entspricht, so ist zunächst davon auszugehen, daß der Beamte stets rechtmäßig handelt, wenn er einen von dem örtlich und sachlich zuständigen Vorgesetzten erteilten, nicht offensichtlich rechtswidrigen Befehl im Vertrauen auf seine Rechtmäßigkeit in gesetzlicher Form vollzieht (KG N J W 1972, 781). I m übrigen gelten die unter a) bis d) entwickelten Grundsätze, d.h. die Rechtmäßigkeit der Vollzugshandlung wird nicht dadurch berührt, daß der ihr zugrundeliegende Auftrag (z.B. Haftbefehl, Vorführungsbefehl, Beschlagnahmebeschluß, Pfändungsbefehl) von falschen Voraussetzungen ausging. Wenn z. B. A a u f Grund eines H a f t b e f e h l s zur Festnahme ausgeschrieben ist, so ist seine Festnahme auch dann rechtmäßig, wenn A unschuldig ist. Der Polizeibeamte, der mit der Festnahme beauftragt wird, ist grundsätzlich weder berechtigt noch verpflichtet, die Rechtmäßigkeit des Haftbefehls zu prüfen. Sollte A allerdings behaupten, der Haftbefehl sei inzwischen aufgehoben worden, so wäre der Polizeibeamte verpflichtet (unbeschadet der Pflicht, den Festgenommenen unverzüglich dem nächsten Amtsrichter vorzuführen), sich so schnell wie möglich (fernschriftlich oder fernmündlich) über die tatsächlichen Verhältnisse zu erkundigen. Noch eindeutiger liegt der Fall, wenn A durch Vorlage einer beglaubigten Abschrift des entsprechenden Gerichtsbeschlusses nachweisen kann, daß der Haftbefehl aufgehoben ist. Hier wäre die Festnahme auf Grund der Ausschreibung eine rechtswidrige Amtshandlung (es sei denn, daß der Verdacht der Fälschung besteht). Grundsätzlich anders ist die Rechtslage, wenn der b i n d e n d e B e f e h l nicht n u r auf einer Verkennung der Sachlage beruht, sondern bereits f o r m e l l r e c h t s w i d r i g ist, insbesondere wenn er von einer unzuständigen Stelle erlassen ist und die wesentlichen Förmlichkeiten nicht beachtet wurden (siehe oben a bis c). B e i s p i e l : Der Polizeibeamte P erhält von seinem Vorgesetzten den Auftrag, die Wohnung des X zur Nachtzeit zu durchsuchen, obwohl die Voraussetzungen des § 104 StPO offensichtlich nicht vorliegen. Hier ist die Durchsuchung ungeachtet der f ü r P bindenden Wirkung des Auftrags rechtswidrig. Hieraus folgt: Setzt X sich gegen die rechtswidrige Durchsuchung zur Wehr, so handelt er nicht rechtswidrig. Eine andere Frage ist, ob P sich seinerseits eines Hausfriedensbruchs im Amt (§ 342) schuldig 19»
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§
113
Strafgesetzbuch
gemacht hat. Hierzu ist folgendes zu sagen: P h a t zwar tatbestandsmäßig i.S. von § 342 gehandelt; sein Verhalten ist auch rechtswidrig. Eine Schuld trifft ihn aber nur dann, wenn er die Rechtswidrigkeit seines Auftrags und damit seiner eigenen T a t entweder erkannt h a t oder h ä t t e erkennen können. Siehe hierzu auch die f ü r den militärischen Bereich geltende Sondervorschrift des § 5 WStG (abgedruckt in Anhang 3). 2. Gegen eine rechtswidrige Vollstreckungshandlung gibt es keinen nach § 1X3 strafbaren Widerstand (vgl. Abs. 3 S. 1). Die Formulierung „nach dieser Vorschrift" in Abs. 3 S. 1 weist jedoch darauf hin, daß der Widerstand nach anderen Vorschriften (in Betracht kommen vor allem die §§ 223ff.) auch bei Rechtswidrigkeit der Vollstreckungshandlung s t r a f b a r sein kann. Dies gilt insbesondere f ü r die Fälle, in denen der Täter die Rechtswidrigkeit der Vollstreckungshandlung nicht erkannt hat, ihm also der Wille fehlte, sich gegen Unrecht zu wehren. Auch der (dogmatisch an sich entbehrliche) Hinweis in Abs. 3 S. 2 will nur die Strafbarkeit nach §113, nicht aber auch die Strafbarkeit nach anderen Vorschriften ausschließen. Werden durch die Widerstandshandlung andere Tatbestände verwirklicht (z.B. §§ 223ff.), so kann sich der Täter nur dann auf Notwehr berufen, wenn er die Rechtswidrigkeit der Vollstreckungshandlung erkannt h a t und ihm nicht zuzumuten war, sich durch die Einlegung von Rechtsmitteln oder Rechtsbehelfen gegen die Vollstreckungshandlung zu wehren (vgl. Dreher 3 D sowie N J W 1970, 1163, 1159 unter Hinweis auf die in Abs. 4 S. 2 getroffene Regelung). Keinesfalls aber darf der Täter bei der Abwehr über das erforderliche Maß der Verteidigung hinausgehen. m . Die Tathandlung besteht entweder im Leisten von Widerstand oder in einem tätlichen Angriff. 1. Widerstand ist jede gegen den Beamten gerichtete Tätigkeit, die nach der Vorstellung des Täters geeignet ist, die Durchführung der Vollzugshandlung zu verhindern oder zu erschweren. Der Widerstand muß durch Anwendung von G e w a l t oder durch B e d r o h u n g m i t G e w a l t geleistet werden. a) Gewalt ist jede gegen den Beamten gerichtete Kraftentfaltung. Rein passiver Widerstand genügt nicht. Andererseits ist nicht erforderlich, daß die unter Aufwendung von Körperkraft vorgenommene, gegen den Beamten gerichtete Handlung u n m i t t e l b a r gegen dessen Person gerichtet ist, z. B. daß der Täter gegen den Beamten schlägt oder tritt oder sich loszureißen versucht. Auch eine n u r m i t t e l b a r gegen die Person des Beamten gerichtete Einwirkimg kann den Tatbestand verwirklichen (vgl. B G H 18, 133; Dreher Anm. 4 A). B e i s p i e l e : Ein Schuldner A verbarrikadiert die Tür, u m den Gerichtsvollzieher a m Betreten der Wohnung zu hindern (vgl. BGH a.a.O.). — O d e r : A f ä h r t mit seinem P K W in schneller F a h r t durch die Stadt, u m auf diese Weise den auf das Trittbrett seines Wagens gesprungenen Polizeibeamten abzuschütteln (vgl. B G H VRS 19, 188). — O d e r : A f ä h r t bei einer Verkehrskontrolle in voller F a h r t auf einen Beamten zu, so daß dieser sich nur durch einen Sprung zur Seite retten kann (vgl. BGH 14, 395; 15, 138, 145; H a m m N J W 1973, 1240). — O d e r : A klammert sich an seinem Wagen fest, so daß er nur mit Gewalt zwecks Entnahme einer Blutprobe zur Wache gebracht werden kann. — O d e r : Abgabe eines Schreckschusses (BGH 23, 126). Auch bei der Auflösung unfriedlicher D e m o n s t r a t i o n e n kann es zu Widerstandshandlungen kommen. Hierbei ist jedoch zu beachten, daß nach der Auffassung des BT-Sonderausschusses f ü r die Strafrochtsreform der Begriff der Gewalt in § 113 enger auszulegen ist als beim Tatbestand der Nötigung in § 240 (vgl. S. 4 der BT-Drucksache VI/502; ebenso Schönke-Schröder 20; Maurach BT 632). Die Notwendigkeit einer solchen einschränkenden Auslegung ergibt sich schon aus der Gleichstellung der Gewalt mit dem tätlichen Angriff (vgl. Schönke-Schröder a. a. O.). So kann beispielsweise ein Sitzstreik, selbst wenn man ihn mit der sehr weit-
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Widerstand gegen die Staatsgewalt
§
113
gehenden Entscheidung B G H 23, 46 ff. auch ohne Hinzutreten weiterer Umstände als rechtswidrige Nötigung beurteilt, keinesfalls als strafbarer Widerstand nach § 113 behandelt werden (in B G H 23, 46, 51 offen gelassen). Andererseits hat es der Sonderausschuß bewußt vermieden, den Ausdruck Gewalt durch den noch engeren Begriff „Gewaltätigkeit", wie er sich in Abs. 2 Nr. 2 und in § 125 findet, zu ersetzen (vgl. BT-Drucksache VI/502, S. 4). b) Bedrohung mit Gewalt erfüllt nur dann den Tatbestand, wenn sie nach dem Vorsatz des Täters von dem Beamten ernst genommen werden soll. 2. Tätlicher Angriff ist jede u n m i t t e l b a r gegen den Körper des Beamten gerichtete Kraftentfaltung, wobei es auf den Erfolg nicht ankommt. B e i s p i e l : A hetzt seinen Hund auf den sich seinem Haus nähernden Polizeibeamten oder Gerichtsvollzieher. — O d e r : A wirft einen Stein gegen den sich ihm nähernden Vollzugsbeamten. I n vielen Fällen wird dieselbe Handlung sowohl die Voraussetzungen des gewaltsamen Widerstands als auch die des tätlichen Angriffs erfüllen. IV. S u b j e k t i v ist Vorsatz erforderlich, wobei bedingter Vorsatz genügt. Der Täter muß insbesondere wissen, daß er es mit einem Vollzugsbeamten zu tun hat und daß dieser eine Vollzugshandlung vornimmt. A u f d i e R e c h t m ä ß i g k e i t d e r A m t s h a n d l u n g m u ß s i c h d e r V o r s a t z d a g e g e n n i c h t e r s t r e c k e n . Die Rechtmäßigkeit der Amtshandlung ist, wie bereits oben (Anm. I I ) erwähnt, kein Tatbestandsmerkmal. Hieran hat sich auch durch die Neufassimg der Vorschrift selbst dann nichts geändert, wenn man die Rechtmäßigkeit der Amtshandlung in Übereinstimmung mit der heute h . L . nicht mehr als objektive Strafbarkeitsbedingung, sondern als Voraussetzimg der Rechtswidrigkeit ansieht (s. o. I I m. Nachw.). I m einzelnen: 1. Der über die Rechtmäßigkeit der Vollstreckungshandlung irrende Täter kann sich niemals auf einen vorsatzauschließenden Tatbestandsirrtum berufen, wobei es keinen Unterschied macht, ob sich der Irrtum auf die tatsächlichen Voraussetzungen der Vollstreckungshandlung oder ganz allgemein auf ihre rechtliche Zulässig keit bezieht. I n beiden Fällen befindet sich der Täter in einem Verbotsirrtum. Nach der hier im Anschluß an die Rspr. und die h. L . im Schrifttum vertretenen eingeschränkten Schuldtheorie wäre der Täter jedoch bei Anwendung der allgemeinen Irrtumsgrundsätze (vgl. § 59 Anm. 2) dann einem vorsatzlos handelnden Täter gleichzustellen, wenn er bei seinem Widerstand irrig Tatumstände annahm, bei deren Vorliegen die Vollstreckungshandlung rechtswidrig gewesen wäre. Zu einer so weitgehend täterfreundlichen Irrtumsregelung wollte und konnte der Gesetzgeber sich j edoch mit Rücksicht auf das berechtigte Schutzbedürfnis des rechtmäßig handelnden Vollstreckungsorgans nicht entschließen. E s wurde deshalb in Abs. 4 eine äußerst differenzierte Irrtumsregelung geschaffen, durch die einerseits das Schuldprinzip gewahrt, andererseits durch die sog. Rechtsbehelfsklausel der Schutz der Vollstreckungsorgane auch in Zukunft hinreichend gewährleistet ist. 2. I m einzelnen sieht Abs. 4 folgende besondere Irrtumsregelung v o r : a) War der Irrtum über die Rechtmäßigkeit der Vollstreckungshandlung v e r m e i d b a r , so kann die Strafe nach § 15 gemildert werden. Bei geringer Schuld kann sogar ganz von Strafe abgesehen werden (fakultativer persönlicher Strafausschließungsgrund). Prozessual sind im letztgenannten Fall vor allem die §§ 153 a, 465 Abs. 1 S. 2 StPO zu beachten. b) War der Irrtum u n v e r m e i d b a r , so entfällt die Schuld, wenn dem Täter bei Würdigung aller Umstände nicht zugemutet werden konnte, sich mit Rechtsbehelfen gegen die vermeintlich rechtswidrige Vollstreckungshandlung zu wehren (sog. Rechtsbehelfsklausel, vgl. Abs. 4 S. 2). Solange Rechtsbehelfe möglich und zumutbar sind, darf der durch eine vermeintlich rechtswidrige Amtshandlung
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§
113
Strafgesetzbuch
Betroffene grundsätzlich nicht zur gewaltsamen Selbsthilfe greifen (vgl. D r e h e r N J W 1970, 1153, 1159). Ein Rechtsbehelf ist d e m T ä t e r insbesondere d a n n zuzum u t e n , wenn ihm oder einem n a h e n Angehörigen aus der Vollstreckungshandlung kein irreparabler Nachteil d r o h t oder wenn der Schaden, den er d e m B e a m t e n bei erfolgreichem Widerstand zufügen m ü ß t e , außer Verhältnis zu d e m ihm selbst drohenden Nachteil s t e h t (vgl. Dreher a a O . sowie Lackner-Maassen 8 c ; siehe a u c h Begr. zu § 419 E 1962). c) W a r der I r r t u m zwar unvermeidbar, das Ergreifen von R e c h t s m i t t e l n jedoch z u m u t b a r , so bleibt die Schuld bestehen; das Gericht k a n n jedoch — wie bei einem vermeidbaren I r r t u m über die Rechtmäßigkeit der Vollstreckungsh a n d l u n g — die Strafe nach seinem Ermessen mildern oder ganz von Strafe a b sehen. E i n I r r t u m über die Z u m u t b a r k e i t ist nicht schlechthin unbeachtlich (so jedoch Lackner-Maassen 8 c), sondern f ü h r t nach allgemeinen Grundsätzen (vgl. § 59 A n m . 3) d a n n z u m Schuldausschluß, wenn er bei Würdigung aller U m s t ä n d e f ü r d e n T ä t e r unvermeidbar war. d) K e i n r e c h t l i c h r e l e v a n t e r I r r t u m liegt vor, wenn der T ä t e r die Rechtslage zwar richtig einschätzt, sie jedoch f ü r falsch hält (vgl. Dreher N J W 1970, 1153, 1159). Dies gilt insbesondere d a n n , wenn er der bestehenden R e c h t s o r d n u n g m i t einer feindseligen H a l t u n g gegenübertritt. e) Verwirklicht der Täter bei seinem Widerstand in Tateinheit noch w e i t e r e T a t b e s t ä n d e (in B e t r a c h t k o m m e n vor allem die §§ 223ff.), so gelten die allgemeinen zur P u t a t i v n o t w e h r entwickelten Grundsätze (vgl. § 53 Anm. IV). V. Absatz 2 bringt eine Strafschärfimg f ü r besonders schwere Fälle, wobei zwei Regelbeispiele ausdrücklich hervorgehoben werden: 1. Zu den Waffen i.S. von Abs. 2 Nr. 1 gehören nicht n u r Schußwaffen, sondern Waffen aller Art, auch Waffen im nichttechnischen Sinn, z . B . Messer, Stöcke, Steine usw. I n allen Fällen ist jedoch die — zumindest bedingte — Absicht d e s betreffenden Täters oder Teilnehmers erforderlich, die Waffe bei der T a t zu verwenden. Diese Z w e c k b e s t i m m u n g s k l a u s e l gilt auch — anders als in § 244 Abs. 1 N r . 1 — f ü r Schußwaffen. Maßgeblich f ü r diese Regelung war die Überlegung, d a ß Fälle denkbar sind, in denen jemand, der in durchaus rechtmäßiger Weise eine Schußwaffe m i t sich f ü h r t , z . B . ein Jäger, u n e r w a r t e t in eine K o n f r o n t a t i o n m i t einem Vollstreckungsbeamten gerät u n d im Falle eines Widerstands ohne die Zweckbestimmungsklausel n u r deshalb m i t einer Freiheitsstrafe nicht u n t e r 6 M o n a t e n b e s t r a f t werden m ü ß t e , weil er zufällig eine Schußwaffe mit sich g e f ü h r t h a t (vgl. Begründung des Sonderausschusses, S. 5 der BT-Drucksache VI/502). 2. Der in Abs. 2 Nr. 2 enthaltene Begriff der Gewalttätigkeit ist wesentlich enger als der Gewaltbegriff in Abs. 1 oder gar in § 240 (vgl. B G H 23, 46 ff. u n d OLG Stgt N J W 1969, 1776 zu § 125 a.F.). Gewalttätig handelt n u r , wer a g g r e s s i v gegen Personen oder Sachen vorgeht u n d d a d u r c h den B e a m t e n , gegen den Bich d e r Widerstand richtet, in die (konkrete) Gefahr des Todes oder einer schweren K ö r p e r verletzung i.S. von § 224 bringt (z. B. durch Zufahren auf einen Polizeibeamten, u m die Freigabe der F a h r b a h n zu erzwingen, vgl. Koblenz D A R 1973, 219). Subjektiv ist erforderlich, daß der T ä t e r sich dieser Gefahr bewußt ist. Bedingter Vorsatz genügt. VI. IdK. ist insbesondere möglich m i t den §§ 123, 185, 223£f., 303, ebenso m i t § 125 (vgl. Lackner-Maassen § 125 A n m . 9; a.A. Dreher 7). Gegenüber §§ 24 f. W S t G t r i t t § 113 zurück. Mit § 240 ist I d K . n u r ausnahmsweise möglich, z . B . wenn der W i d e r s t a n d gegen eine bereits eingeleitete Vollstreckungshandlung zugleich der Verhinderung zukünftiger Amtshandlungen dient (vgl. Lackner-Maassen 11). I m übrigen jedoch geht § 113 als lex specialis vor.
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Widerstaad gegen die Staatsgewalt
§§
114—119
§ 114 [ W i d e r s t a n d gregren nicht-beamtete H i l l s p e r s o n e n ] (1) Der Amtshandlung eines Beamten im Sinne des § 113 stehen Vollstreckungshandlungen von Personen gleich, die die Rechte und Pflichten eines Polizeibeamten haben oder Hilfsbeamte der Staatsanwaltschaft sind, ohne als Beamte angestellt (§ 359) zu sein. (2) § 113 gilt entsprechend zum Schutz von Personen, die zur Unterstützung bei der Amts- oder Diensthandlung zugezogen sind. 1. Zweck der durch das 3. StrRG neu gefaßten Vorschrift ist es, auch solchen Personen, die zwar keine Beamte sind, deren sich der Staat jedoch zur Erfüllung hoheitlicher Aufgaben bedient und die er dadurch einer erhöhten Gefahr aussetzt, den gleichen strafrechtlichen Schutz zukommen zu lassen wie den Beamten i.S. des § 359 (vgl. Begründung des Sonderausschusses, S. 6 der BT-Drucksache VI/502). 2. Die geschützten Personengruppen im einzelnen: a) Die Bedeutung des Abs. 1 ergibt sich in erster Linie aus der Streichung der früher in den §§ 117, 118 enthaltenen Vorschriften über den F o r s t w i d e r s t a n d , für die § 114 einen gewissen Ersatz darstellt. So haben nach § 25 Abs. 2 Bundesjagdgesetz neben den zuständigen öffentlichen Stellen die von der zuständigen Behörde bestätigten J a g d a u f s e h e r , sofern sie Berufsjäger oder forstlich ausgebildet sind, innerhalb ihres Dienstbezirks in Angelegenheiten des Jagdschutzes die Rechte und Pflichten von Polizeibeamten und sind in dieser Eigenschaft Hilfsbeamte der Staatsanwaltschaft. Nehmen sie in Ausübung ihrer Rechte und Pflichten Vollstrekkungshandlungen vor, so sind diese im Falle eines Widerstands oder tätlichen Angriffs den Amtshandlungen eines Beamten i.S. von § 113 gleichgestellt. Entsprechendes gilt für Vollstreckungsmaßnahmen von Personen, die aufgrund besonderer Vorschriften über den Forst-, Feld- oder Fischereischutz zur Verhütung von Straftaten oder Ordnungswidrigkeiten tätig werden, ohne Beamte zu sein. Sind sie Beamte, so greift unmittelbar § 113 ein. Widerstand gegen den Jagdausübungsberechtigten selbst fällt nicht unter § 113, sondern unterliegt dem allgemeinen Tatbestand der Nötigung, so daß zur Beurteilung der Rechtswidrigkeit auf § 240 Abs. 2 zurückgegriffen werden muß. b) Unter den besonderen Schutz des Abs. 2 fallen Personen aller Art, insbesondere auch Privatpersonen, die von einem Vollstreckungs- oder Vollzugsbeamten i.S. von § 113 oder einer in § 114 Abs. 1 aufgeführten Person zur Unterstützung bei einer Vollzugshandlung zugezogen worden sind. Nicht „zugezogen" in diesem Sinn ist eine Person, die freiwillig hilft. 3. Der subj. Tb. erfordert Vorsatz, wobei bedingter Vorsatz genügt. Der Täter muß insbesondere die spezifische Funktion der Hilfsperson erkannt haben.
§§ 115 — 119
[weggefallen]
Die §§ 115—118 wurden durch das 3. StrRG aufgehoben (vgl. Vorbem. 1 vor § 110), § 119 durch das 1. StrRG. Der frühere Vergehenstatbestand des § 116 (Auflauf) wurde gemäß Art. 2 des 3. StrRG in eine Ordnungswidrigkeit umgewandelt. Diese hat folgenden Wortlaut:
Unerlaubte
Ansammlung
(1) Ordnungswidrig handelt, wer sich einer öffentlichen Ansammlung anschließt oder sich nicht aus ihr entfernt, obwohl ein Träger von Hoheitsbefugnissen die Menge dreimal rechtmäßig aufgefordert hat, auseinanderzugehen.
295
§ 121
Strafgesetzbuch
(2) Ordnungswidrig handelt auch der Täter, der fahrlässig nicht erkennt, daß die Aufforderung rechtmäßig ist. (3) Die Ordnungswidrigkeit kann im. Falle des Absatzes 1 mit einer Geldbuße bis zu tausend Deutsche Mark, im Falle des Absatzes 2 mit einer Geldbuße bis zu fünfhundert Deutsche Mark geahndet werden. § 12© [Gefangrenenbefreiuiigr] (1) Wer einen Gefangenen aus der Gefangenenanstalt oder aus der Gewalt der bewaffneten Macht, des Beamten oder desjenigen, unter dessen Beaufsichtigung, Begleitung oder Bewachung er sich befindet, vorsätzlich befreit oder ihm zur Selbstbefreiung vorsätzlich behilflich ist, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren bestraft. (2) Der Versuch ist strafbar. 1. G e f a n g e n e r i.S. der §§ 120—122 ist jeder, der durch ein berechtigtes Organ der Staatsgewalt seiner Freiheit beraubt ist, also nicht nur der S t r a f g e f a n g e n e und U n t e r s u c h u n g s g e f a n g e n e , sondern auch der nach § 127 Abs. 2 StPO vorläufig Festgenommene. (Dagegen sind die von einer Privatperson gemäß § 127 Abs. 1 StPO Festgenommenen keine Gefangenen.) Als Gefangener gilt nach § 122a auch der in S i c h e r u n g s v e r w a h r u n g Untergebrachte. Die in einer Heil- oder Pflegeanstalt (§ 42b) oder einer Trinkerheilanstalt (§ 42c) Untergebrachten sowie die Fürsorgezöglinge fallen unter § 122b. 2. Die T a t h a n d l u n g besteht a) in dem B e f r e i e n des Gefangenen oder b) in der B e i h i l f e z u r Selbstbefreiung, z.B. Festhalten des Beamten, um dadurch dem Festgenommenen die Flucht zu ermöglichen. 3. U n e r h e b l i c h ist, ob die F e s t n a h m e s a c h l i c h b e g r ü n d e t war. Auch der Unschuldige darf nicht aus dem Gewahrsam der Staatsgewalt befreit werden, sondern muß sich auf die ihm rechtsstaatlich garantierten Rechtsmittel und Rechtsbehelfe beschränken. 4. U n e r h e b l i c h ist ferner, an welchem O r t der Gefangene befreit wird. Auch die Befreiung aus einer K r a n k e n a n s t a l t , in die der Gefangene während seiner Inhaftierung zur Beobachtung oder Behandlung eingeliefert worden ist, fällt unter den Anwendungsbereich der Vorschrift. Entsprechendes gilt, wenn ein Gefangener zu E r n t e a r b e i t e n eingesetzt wird und während dieser Zeit vorübergehend auf einem G u t s h o f untergebracht ist. 5. Die A u f s i c h t s p e r s o n e n , aus deren Gewalt der Gefangene befreit wird, können auch P r i v a t p e r s o n e n sein, z.B. Krankenpfleger, die den Gefangenen während eines vorübergehenden Krankenhausaufenthalts zu beaufsichtigen haben (siehe oben 4). 6. Die S e l b s t b e f r e i u n g ist als solche s t r a f l o s . Dies gilt nach BGH 17, 369 auch für Gefangene, die ohne Gewaltanwendung g e m e i n s c h a f t l i c h fliehen und sich dabei gegenseitig Hilfe leisten. 7. Die A n s t i f t u n g richtet sich nach allgemeinen Teilnahmegrundsätzen. Auch der G e f a n g e n e , der einen Dritten anstiftet, ihn zu befreien oder ihm bei der Selbstbefreiung behilflich zu sein, kann nach st. aber zw. Rspr. wegen Anstiftung bestraft werden (vgl. BGH 5, 75, 81; 17, 236; 17, 369; a.A. die h.L. im Schrifttum, vgl. Schönke-Schröder 12, Maurach BT 656, Lackner-Maassen 5, Deubner N J W 1962, 2260).
296
Widerstand gegen die Staatsgewalt
§§ 131,
122
8. Die B e i h i l f e zur Selbstbefreiung ist in § 120 zu einem selbständigen Sondertatbestand erhoben. Täter kann auch ein G e f a n g e n e r sein, der einem Mitgefangenen bei dessen Flucht behilflich ist. Dies gilt allerdings nicht, wenn es sich um eine gemeinschaftliche Flucht handelt (s.o. 6). 9. Gemäß Abs. 2 ist auch der V e r s u c h unter Strafe gestellt. I m Falle der 2. Alternative des Tatbestands (Beihilfe zur Selbstbefreiung) liegt Versuch schon dann vor, wenn der Täter eine Handlung vornimmt, die nach seiner Vorstellung geeignet ist, die Selbstbefreiung des Gefangenen zu ermöglichen. Daß der Gefangene zu diesem Zeitpunkt bereits zur Flucht entschlossen ist, ist nicht erforderlich. Genau genommen handelt es sich hier um einen Fall v e r s u c h t e r B e i h i l f e , die nach allgemeinen Teilnahmegrundsätzen ohne die in § 120 getroffene Sonderregelung nicht strafbar wäre. 10. B e i s p i e l : A versteckt in einer Tafel Schokolade ein Sägeblatt, um seinem Bruder B auf diese Weise die Möglichkeit zur Flucht zu verschaffen. Gelingt es B, das Fenstergitter seiner Zelle zu durchsägen und zu fliehen, so ist A wegen eines vollendeten Delikts gemäß § 120 in der Form der Beihilfe zur Selbstbefreiung strafbar. (Das A n g e h ö r i g e n p r i v i l e g bei der Begünstigung in § 257 Abs. 2 findet im Rahmen des § 120 k e i n e A n w e n d u n g . ) B selbst hätte sich — abgesehen von der Sachbeschädigung — in diesem Fall nur dann strafbar gemacht, wenn er A zur Tat angestiftet hätte (s.o. 7). — A b w a n d l u n g : Wird das Sägeblatt von einem Aufsichtsbeamten rechtzeitig entdeckt, so hat A sich eines versuchten Vergehens gemäß § 120 in der Form der versuchten Beihilfe zur Selbstbefreiung schuldig gemacht (s. o. 9). Entsprechendes gilt, wenn B das Sägeblatt zwar erhält, aber keinen Gebrauch davon macht. 11. I d K . ist möglich mit Begünstigung (§§ 257, 258) sowie mit Beihilfe zur Sachbeschädigung (§§ 303, 49). § 121 geht vor. § 1 2 1
[Entweichenlassen von Gefangenen]
Wer vorsätzlich einen Gefangenen, mit dessen Beaufsichtigung oder Begleitung er beauftragt ist, entweichen läßt oder dessen Befreiung befördert, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren bestraft. 1. Als T ä t e r kommen insbesondere K r a n k e n p f l e g e r in Betracht (vgl. § 120 Anm. 4 und 5). Wird die Tat von einem B e a m t e n begangen, so greift die Sonderbestimmung des § 347 ein. 2. Wegen T e i l n a h m e d e s G e f a n g e n e n siehe § 120 Anm. 7. 3. Die früher in Abs. 2 enthaltene Strafdrohung für die f a h r l ä s s i g e Tatbegehung wurde durch das 1. StrRG beseitigt. Die Tat ist jetzt nur noch bei v o r s ä t z l i c h e r Begehung strafbar, wobei bedingter Vorsatz genügt. 4. Der V e r s u c h ist zwar nicht ausdrücklich mit Strafe bedroht. Die versuchte T a t kann jedoch durch eine Bestrafung gemäß § 120 Abs. 2 erfaßt werden. 5. I d K . ist möglich mit § 257. § 120 wird konsumiert (siehe jedoch Anm. 4). 122
[Gefangrenenmeuterei]
(1) Gefangene, welche sich zusammenrotten und mit vereinten Kräften die Anstaltsbeamten oder die mit der Beaufsichtigung Beauftragten angreifen, denselben Widerstand leisten oder es unternehmen, sie zu Handlungen oder Unterlassungen zu nötigen, werden wegen Meuterei mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren bestraft.
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§
133
Strafgesetzbuch
(2) Gleiche Strafe tritt ein, w e n n Gefangene sich zusammenrotten und mit vereinten Kräften einen gewaltsamen Ausbruch unternehmen. (3) Diejenigen Meuterer, welche Gewalttätigkeiten gegen die Anstaltsbeamten oder die mit der Beaufsichtigung Beauftragten verüben, werden mit Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren bestraft; auch kann auf Zulässigkeit von Polizeiaufsicht erkannt werden. 1. Abs. 1 behandelt die eigentliche Meuterei, Abs. 2 den g e w a l t s a m e n A u s b r u c h . Abs. 3 bringt eine S t r a f s c h ä r f u n g f ü r solche Gefangenen, die über die in Abs. 1 und Abs. 2 beschriebenen Handlungen hinaus T ä t l i c h k e i t e n verüben. Über den Begriff des G e f a n g e n e n siehe § 120 Anm. 1. 2. Ein Zusammenrotten liegt vor, wenn sich mindestens zwei Gefangene zusammenschließen, u m mit vereinten K r ä f t e n entweder eine Meuterei i. S. von Abs. 1 oder einen Ausbruch i.S. von Abs. 2 zu unternehmen. Hierzu ist nicht erforderlich, daß alle Beteiligten die zur Tatbestandsverwirklichung notwendigen Handlungen vornehmen. E s genügt, daß einer handelt, während die übrigen ihm billigend zur Seite stehen. 3. Die Meuterei des Abs. 1 besteht darin, daß die Gefangenen entweder a) die Anstaltsbeamten oder die sonst mit ihrer Beaufsichtigung beauftragten Personen (Krankenpfleger usw.) a n g r e i f e n oder b) W i d e r s t a n d leisten oder c) es u n t e r n e h m e n , die Beamten bzw. Aufsichtspersonen zu irgendwelchen Handlungen oder Unterlassungen zu n ö t i g e n . Wegen der Tatbestandsmerkmale Angriff, Widerstand und Nötigung siehe die Ausführungen zu §§ 113, 240. 4. Richtet sich die Meuterei gegen eine r e c h t s w i d r i g e A m t s h a n d l u n g des Anstaltsbeamten, z.B. gegen einen ungesetzlichen Essensentzug, so gelten die zu § 113 entwickelten Grundsätze, d.h. der Widerstand kann durch N o t w e h r gerechtfertigt sein (vgl. Schönke-Schröder § 122 R n . 5ff.). 5. Ein gewaltsamer Ausbruch i.S. von Abs. 2 liegt nicht nur dann vor, wenn die Gefangenen mit vereinten Kräften den Versuch unternehmen, die ihrer Flucht entgegenstehenden s a c h l i c h e n V e r w a h r u n g s m i t t e l mit Gewalt zu beseitigen, z . B . durch Zersägen der Fenstergitter oder wenn sie die Zellendecke durchbrechen, um über den Speicher und das Dach ins Freie fliehen zu können. Nach B G H 16, 34 liegt ein gewaltsamer Ausbruch i. S. von Abs. 2 auch dann vor, wenn Gefangene sich der Verwahrung dadurch entziehen, daß sie G e w a l t g e g e n d i e A u f s i c h t s b e a m t e n verüben. 6. Soweit sich die T a t als U n t e r n e h m e n s d e l i k t darstellt (siehe hierzu § 46a), ist s t r a f b e f r e i e n d e r R ü c k t r i t t nicht mehr möglich, sobald die Tat einmal in das Versuchsstadium eingetreten ist. Haben zwei Meuterer beispielsweise einmal damit begonnen, ihre Fenstergitter zu durchsägen, so bleibt ihre Strafbarkeit gemäß § 122 Abs. 2 auch dann bestehen, wenn sie ihre Tätigkeit freiwillig aufgeben (BGH 15, 198). R ü c k t r i t t und tätige Reue können sich hier n u r im Strafmaß auswirken. 7. Abs. 3 enthält eine e r h ö h t e S t r a f d r o h u n g f ü r solche Meuterer, die Gewalttätigkeiten gegen Aufsichtsbeamte verüben. a) Als G e w a l t t ä t i g k e i t e n kommen alle Angriffe auf die Person des Aufsichtsbeamten in Betracht. Hierbei ist nicht erforderlich, daß der Beamte verletzt wird. Daher ist auch ein fehlgehender Steinwurf eine Gewalttätigkeit, ebenso das Einsperren des Beamten in eine Zelle. Andererseits muß aus der Schwere der angedrohten Strafe (Freiheitsstrafe bis zu 10 Jahren) entnommen werden, daß der Gesetzgeber nicht jedes, selbst mit unbedeutender Gewalt verbundene Handeln durch
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Widerstand gegen die Staatsgewalt
§ § 122 a—122b
Abs. 3 erfaßt wissen wollte. Vielmehr erfüllen nur G e w a l t h a n d l u n g e n v o n e i n e m g e w i s s e n G e w i c h t den Tb. des Abs. 3 (BGH 20, 305, 308). Hieran fehlt es z.B., wenn ein Gefangener lediglich versucht, sich aus dem Griff des ihn festhaltenden Beamten zu lösen (BGH a.a.O.; Lackner-Maassen 4). Siehe auch § 113 Anm. V 2 sowie § 125 Anm. 2 a. b) Grundsätzlich trifft die erhöhte Strafdrohung des Abs. 3 nur die Meuterer, die e i g e n h ä n d i g gewalttätig werden. Nach BGH 12, 129 genügt es jedoch, daß ein Mittäter mit dem gewalttätigen Angreifer so eng zusammenwirkt, daß er sich dessen Gewaltanwendung als eigene Tat anrechnen lassen muß. Wird ein Meuterer von den übrigen zu den Gewalttätigkeiten a n g e s t i f t e t , so kommt für die Anstifter neben der eigenen Täterschaft gemäß Abs. 1 noch (idealkonkurrierend) Anstiftung zu Abs. 3 in Betracht (BGH 8, 295). c) Da die Tat des Abs. 3 ein V e r b r e c h e n i.S. von § 1 darstellt, kann sich die Strafbarkeit auch aus § 49a ergeben. B e i s p i e l : Die Gefangenen A und B verabreden, den Aufsichtsbeamten X beim nächsten Rundgang niederzuschlagen, ihm die Schlüssel abzunehmen und dann zu fliehen. Ihr Plan scheitert jedoch, da der Mitgefangene C den X rechtzeitig warnt. Die Strafbarkeit von A und B ergibt sich in diesem Fall aus § 122 Abs. 3 i.V. mit § 49a Abs. 2 (vgl. BGH 8, 294; H a m m N J W 1959, 1237). 8. I d K . ist möglich mit §§ 211 ff., 223£f., 303. Gegenüber §§ 113, 240 geht § 122 vor. § 122 a
[Sicherungrsverwahrte]
In den Fällen der § § 120 bis 122 steht einem Gefangenen gleich, wer i n Sicherungsverwahrung untergebracht ist. § 122 b
[Befreiung; ans sonstigen Anstalten]
(1) Wer, abgesehen von den Fällen der §§ 120, 121, 122a, vorsätzlich jemanden, der auf behördliche Anordnung in einer Anstalt untergebracht ist, aus der Verwahrung befreit oder ihm das Entweichen erleichtert, wird mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. (2) Der Versuch ist strafbar. (3) Die Strafverfolgung tritt nur auf Antrag der Behörde ein, welche die Verwahrung bewirkt hat. Die Vorschrift bezieht sich insbesondere auf die Befreiung von Personen, die in einer H e i l - o d e r P f l e g e a n s t a l t , oder in einer T r i n k e r h e i l a n s t a l t untergebracht sind, ferner auf F ü r s o r g e z ö g l i n g e . Die Unterbringung muß auf Grund b e h ö r d l i c h e r A n o r d n u n g erfolgt sein, z.B. auf Grund angeordneter vorläufiger oder endgültiger F ü r s o r g e e r z i e h u n g . Der Tatbestand ist dagegen nicht erfüllt, wenn die Unterbringung auf freiwilliger Basis erfolgte, z . B . wenn ein Schwachsinniger auf Veranlassung seines Vormunds in einer Heil- oder Pflegeanstalt untergebracht war (vgl. BGH 9,262) oder wenn die Heimunterbringung eines Jugendlichen auf Veranlassung seiner Eltern im Wege der sogenannten Freiwilligen Erziehungshilfe (§§ 62ff. JWG) erfolgt war (vgl. BGH N J W 1963,1412). Siehe jedoch § 86 JWG. — Mit § 257 a ist IdK. möglich.
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§123
Strafgesetzbuch
Siebenter Abschnitt: Verbrechen und Vergehen wider die öffentliche Ordnung (§§ 123—145 d) § 133 [Hausfriedensbruch] (1) Wer in die Wohnung, i n die Geschäftsräume oder in das befriedete Besitztum eines anderen oder in abgeschlossene Räume, welche zum öffentlichen Dienst oder Verkehr bestimmt sind, widerrechtlich eindringt, oder wer, wenn er ohne Befugnis darin verweilt, auf die Aufforderung des Berechtigten sich nicht entfernt, wird wegen Hausfriedensbruchs mit Geldstrafe oder mit Freiheitsstrafe bis zu drei Monaten bestraft. (2) Ist die Handlung von einer mit Waffen versehenen Person oder von mehreren gemeinschaftlich begangen worden, so tritt Geldstrafe oder Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr ein. (3) Die Verfolgung tritt nur auf Antrag ein. Die Zurücknahme des Antrags ist zulässig. 1. Geschützt wird das Hausrecht, d.h. das Recht, in bestimmten örtlichkeiten frei schalten und walten zu können. Zur Wahrung des Hausrechts kann auch ein minderjähriger Familienangehöriger berechtigt sein, und zwar selbst dann, wenn er hierzu keine ausdrückliche Vollmacht besitzt (BGH 21, 224). Zu den geschützten Räumlichkeiten gehören: a) die Wohnung, d.h. alle Räumlichkeiten, die einer Einzelperson oder einer Personengruppe zum Aufenthalt dienen oder zur Benutzung freistehen (vgl. RG 12, 132; h. L.), und zwar auch dann, wenn sie zur Tatzeit nicht benutzt werden, z. B. Wochenendhäuser, Sommerhäuser, Jagdhütten, nicht jedoch Rohbauten, Häuser oder Wohnwagen, die noch nicht bezogen sind oder durch den Auszug der Mieter leer stehen. Die letztgenannten Räumlichkeiten fallen jedoch in der Regel unter den Begriff des ebenfalls durch § 123 geschützten Besitztums (vgl. Schäfer LK 9). Nicht erforderlich ist, daß die Räumlichkeit ihren Benutzem zum ständigen Aufenthalt, insbesondere zum Übernachten dient. Als „Wohnung" geschützt sind deshalb auch Hotelzimmer, Obdachlosenunterkünfte, Schlafstätten und Campingzelte (vgl. Schäfer LK 9; a. A. hier noch die Voraufl.). Unerheblich ist weiter, ob die „Wohnung" fest mit dem Boden verbunden oder beweglich ist. Geschützt sind deshalb auch Wohnwagen, Zirkuswagen, Wohnschiffe, Camping-Busse und Campingzelte, nicht jedoch Kraftfahrzeuge, die keine besonderen Vorrichtungen zum „Wohnen" haben. Zur Wohnung gehören schließlich auch Nebenräume wie Treppenhäuser, Keller, Flure, Toiletten usw., aber auch Hausgärten und Höfe (vgl. BayObLG J R 1965, 265; Schäfer LK 7); b) Geschäftsräume, z.B. Läden, Verkaufsstände, Verkaufswagen (vgl. RG 13, 315), Tankstellen, Büros, Fabrikhallen, Zirkuszelte, Festzelte, Baubuden; c) das befriedete Besitztum, z.B. leerstehende Häuser und Wohnungen, Rohbauten, Ställe und Scheunen, Sportplätze, Kirchhöfe, Friedhöfe, eingezäunte Lagerplätze und Gärten, n i c h t jedoch die in § 368 Ziff. 9 genannten Weiden, Schonungen usw. „Befriedet" ist ein Besitztum zunächst dann, wenn es von seinem berechtigten Inhaber in äußerlich erkennbarer Weise durch zusammenhängende Schutzwehren gegen das willkürliche Betreten durch andere gesichert worden ist (vgl. BayObLG J R 1970, 466 m. weit. Nachw.). Solche zusammenhängenden Schutzwehren sind
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Verbrechen und Vergehen wider die öffentliche Ordnung
§
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jedoch entbehrlich, wenn das Besitztum f ü r jedermann erkennbar zu einer Wohnung oder einem Geschäftsraum gehört, z.B. der zu einem Geschäftshaus gehörende H o f r a u m (vgl. BayObLG a . a . O . mit zust. Anm. Schröder). d) abgeschlossene Bäume, die zum öffentlichen Dienst oder Verkehr bestimmt sind. aa) A b g e s c h l o s s e n ist ein Raum, wenn er eine dem befriedeten Besitztum entsprechende bauliche Begrenzung aufweist, die das beliebige Betreten durch Außenstehende verhindern soll (vgl. Schäfer LK 16; Dreher 2 D). Nicht hierher gehört also der Fall, daß ein „Interner" Räume betritt, zu denen ihm der Zugang aufgrund einer dienstlichen Anordnung verboten ist, z.B. wenn ein Angestellter der Staatsanwaltschaft in den Asservatenraum eindringt, um sich Pornohefte „auszuleihen", oder wenn ein Reisender der 2. Klasse unbefugt ein Abteil der 1. Wagenklasse benutzt oder wenn ein Gefangener sich nach dem Hofgang unbefugt in die Zelle eines anderen Gefangenen begibt (vgl. RG 28, 192; Schäfer L K 16; Dreher 2 D). bb) Zum ö f f e n t l i c h e n D i e n s t bestimmt sind alle Räume, deren Zweck darin besteht, daß in ihnen nach den Vorschriften des öffentlichen Rechts öffentliche Angelegenheiten verrichtet werden. Hierher gehören insbesondere Behörden- und Parlamentsgebäude (RG 47, 278), aber auch Strafvollzugsanstalten (RG 28, 193), Wahllokale (RG 46, 406) und Schulhäuser (RG GA Bd. 49, 121) sowie Kirchen. cc) Zum ö f f e n t l i c h e n V e r k e h r bestimmt sind alle Betriebsgebäude und Beförderungsmittel der öffentlichen Verkehrsbetriebe. Öffentlich ist der Verkehr, wenn er der Allgemeinheit zugänglich ist, d.h. von jedermann in Anspruch genommen werden kann. Unerheblich ist, ob Träger des Verkehrsbetriebs die öffentliche H a n d (z.B. Bundesbahn, Bundespost, Gemeinde usw.) oder ein privater Unternehmer ist. Geschützt sind insbesondere Betriebsgebäude einschließlich der Nebengebäude von Post, Bahn und öffentlichen Nahverkehrsbetrieben, Eisenbahn- und Straßenbahnwagen (RG 75, 357), Linienomnibuase sowie Schiffe und Fähren des öffentlichen Linienverkehrs (nicht jedoch, wenn die letztgenannten Verkehrsmittel zur Tatzeit von privaten Gesellschaften zu privaten Zwecken gemietet sind). Zur Problematik des Bahnhofsverbots siehe Celle MDR 1965, 595; 1966, 944. 2. Die T a t h a n d l u n g der 1. Alternative des Tatbestands besteht im widerrechtlichen Eindringen. a) E i n d r i n g e n ist jedes Betreten der geschützten Räumlichkeiten gegen den ausdrücklichen oder mutmaßlichen Willen des Berechtigten. Gewaltsames Vorgehen ist nicht erforderlich; es genügt vielmehr die Überwindung „geistiger Barrieren" (vgl. Maurach BT 182; Schäfer L K 21; Dreher 3 A). Hausfriedensbruch begeht deshalb auch, wer sich den Zugang in ein befriedetes Besitztum durch Täuschung verschafft, obwohl er weiß, daß der Berechtigte ihm in Kenntnis der tatsächlich verfolgten Absichten den Zutritt verweigern würde (vgl. R G GA Bd. 49, 287; OLG München N J W 1972, 2275 m. Anm. Otto N J W 1973, 668), oder wer auf der Suche nach einem Parkplatz seinen Wagen einfach im Hofraum eines fremden Gebäudes abstellt, obwohl er dort keine Geschäfte zu erledigen h a t und deshalb damit rechnen muß, daß der Berechtigte mit dem Abstellen des Pkw nicht einverstanden ist (vgl. BayObLG J R 1970, 467 m. zust. Anm. Schröder). Auch das K a u f h a u s öffnet seine Tore nur für Personen, die Waren kaufen oder sich über das Angebot informieren wollen, nicht jedoch f ü r Diebe. Hausfriedensbruch begeht daher, wer das K a u f h a u s in der Absicht des Diebstahls betritt (vgl. Maurach BT 182; Schäfer L K 25; a.A. Welzel 333; Schönke-Schröder 15b; Lackner-Maassen 3: Hausfriedensbruch in derartigen Fällen nur dann, wenn schon das äußere Erscheinungsbild von dem generell gestatteten Verhalten abweicht, z.B. wenn ein maskierter Bankräuber mit vorgehaltener Pistole die Schalterhalle einer Bank betritt). Nach der hier vertretenen Ansicht liegt Hausfriedensbruch weiter dann vor, wenn jemand ein öffent-
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§
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Strafgesetzbuch
liches V e r k e h r s m i t t e l in der Absicht b e t r i t t , den üblichen F a h r p r e i s n i c h t zu e n t r i c h t e n (wichtig f ü r die Fälle, in denen der T ä t e r sich — e t w a a u s politischen G r ü n d e n , u m d e n „ N u l l t a r i f " zu demonstrieren — offen weigert, d e n F a h r p r e i s z u e n t r i c h t e n , § 2 6 5 a also nicht in B e t r a c h t k o m m t ; vgl. § 265a A n m . 3). •— I n allen Fällen ist nicht erforderlich, d a ß der T ä t e r m i t seinem ganzen K ö r p e r e i n d r i n g t . So g e n ü g t es beispielsweise, wenn ein Bettler seinen F u ß zwischen die T ü r stellt (vgl. B G H bei Dallinger M D R 1955, 144). b) W i d e r r e c h t l i c h b e d e u t e t soviel wie r e c h t s w i d r i g . Die R e c h t s w i d r i g k e i t ist ausgeschlossen, w e n n d a s H a u s r e c h t einem s t ä r k e r e n R e c h t weichen m u ß . So h a n d e l t ein G e r i c h t s v o l l z i e h e r , der in eine W o h n u n g e i n d r i n g t , u m zu p f ä n d e n , zwar t a t b e s t a n d s m ä ß i g , a b e r n i c h t rechtswidrig (vgl. §§ 758£f. Z P O ) . Dasselbe gilt f ü r einen P o l i z e i b e a m t e n , d e r in eine W o h n u n g e i n d r i n g t , u m eine Beschlagn a h m e v o r z u n e h m e n (§§ 94, 98 S t P O ) . D a s R e c h t , gegen d e n a u s d r ü c k l i c h e n oder m u t m a ß l i c h e n Willen des H a u s r e c h t s i n h a b e r s dessen R ä u m e zu b e t r e t e n , k a n n sich a u c h a u s d e m P r i v a t r e c h t ergeben, z . B . w e n n ein E i n z e l h ä n d l e r sich seinem L i e f e r a n t e n gegenüber vertraglich verpflichtet, die kartellrechtlich zulässigen Preisb i n d u n g s a b s p r a c h e n einzuhalten, d . h . die p r e i s g e b u n d e n e n A r t i k e l n i c h t u n t e r Preis z u v e r k a u f e n . E r ist in diesem Fall verpflichtet, s o g e n a n n t e n T e s t k ä u f e r n (Personen, die sich d u r c h P r o b e k ä u f e von der E i n h a l t u n g der A b s p r a c h e n ü b e r zeugen wollen) den Z u t r i t t zu g e s t a t t e n (vgl. L G F r a n k f u r t N J W 1963, 1022 m . A n m , H a n a c k J u S 1964, 355; im Ergebnis übereinstimmend a u c h Schönke-Sehröder R n . 15c). F ü r P r e s s e v e r t r e t e r beachte § 6 Abs. 2 V e r s a m m l G ( A n h a n g 5). — Die Rechtswidrigkeit k a n n schließlich a u c h d u r c h ü b e r g e s e t z l i c h e n Notstand ausgeschlossen w e r d e n (vgl. OLG München N J W 1972, 2275 b e t r . K o n t a k t p e r sonen der Polizei, die sich zwecks V o r n a h m e von T e s t k ä u f e n Z u t r i t t in die U n t e r k ü n f t e v o n R a u s c h g i f t h ä n d l e r n verschafft h a t t e n ) . c) D e r T b . k a n n a u c h d u r c h U n t e r l a s s e n verwirklicht w e r d e n . Diese F o r m der T a t b e s t a n d s v e r w i r k l i c h u n g k o m m t d a n n in B e t r a c h t , w e n n d a s widerrechtliche Eindringen als solches a u s irgendeinem G r u n d nicht s t r a f b a r war, z. B . weil es o h n e Vorsatz erfolgte, d e r T ä t e r sich d a n n a b e r n a c h Wegfall d e r die S t r a f b a r k e i t ausschließenden U m s t ä n d e pflichtwidrig nicht unverzüglich wieder e n t f e r n t (vgl. B G H 21, 224; Schäfer L K 23; Schröder J R 1967, 304; J R 1970, 467f.). 3. Die 2. Alternative des T a t b e s t a n d s , die gegenüber der 1. Alt. des T b . n u r subsidiäre B e d e u t u n g h a t (vgl. B G H 21, 224; Schäfer L K 51), stellt das u n b e f u g t e Verweilen in einer W o h n u n g usw. u n t e r Strafe. a) Auch hier ist der e n t g e g e n s t e h e n d e W i l l e d e s B e r e c h t i g t e n (ungeschriebenes) T a t b e s t a n d s m e r k m a l . E r m u ß hier allerdings in einer a u s d r ü c k l i c h e n E r k l ä r u n g d e s B e r e c h t i g t e n (z.B. A u f f o r d e r u n g , d a s L o k a l z u verlassen) seinen Niederschlag finden. b) U n b e f u g t ist d a s Verweilen d a n n , w e n n der T ä t e r kein besonderes R e c h t z u m Verweilen h a t , h i n t e r dem das H a u s r e c h t z u r ü c k t r e t e n m u ß (s. o. A n m . 2 b). So k ö n n e n z . B . Pressevertreter, die sich d u r c h ihren Presseausweis o r d n u n g s g e m ä ß ausweisen, nicht von einer öffentlichen V e r s a m m l u n g ausgeschlossen werden (vgl. § 6 Abs. 2 VersammlG, a b g e d r u c k t in Anh. 5). c) B e i s p i e l e : A weist d e n Malergesellen M a u s d e m H a u s , d a dieser seine H a u s a n g e s t e l l t e belästigt. K o m m t M der A u f f o r d e r u n g n i c h t n a c h , so begeht er H a u s f r i e d e n s b r u c h . E r k a n n sich insbesondere n i c h t d a r a u f b e r u f e n , er h a b e v o n seinem Meister d e n A u f t r a g erhalten, die W o h n u n g zu t ü n c h e n . — O d e r : A weist seine H a u s a n g e s t e l l t e H wegen ständiger H e r r e n b e s u c h e oder Diebereien a u s d e m H a u s . I n diesem F a l l m a c h t sich die H eines H a u s f r i e d e n s b r u c h s schuldig, w e n n sie d a s H a u s n i c h t unverzüglich v e r l ä ß t . A m u ß allerdings dulden, d a ß die H ihre Sachen in aller R u h e p a c k t u n d notfalls noch eine N a c h t bleibt, bis sie eine a n d e r e
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Verbrechen und Vergehen wider die öffentliche Ordnung
§
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Unterkunft gefunden hat. — O d e r : Ein Gastwirt ist berechtigt, einen Gast, der sich ungebührlich benimmt, auch dann aus dem Lokal zu weisen, wenn er die bestellten Speisen und Getränke noch nicht verzehrt hat. E r ist ferner berechtigt, bestimmten, ihm unerwünschten Personen von vornherein das Lokal zu verbieten. Die betreffenden Personen können sich in diesem Fall nicht darauf berufen, das Lokal sei doch öffentlich. d) S c h w i e r i g k e i t e n können sich ergeben, wenn das H a u s r e c h t m e h r e r e n P e r s o n e n z u s t e h t , die sich über die Geltendmachung nicht einigen können. B e i s p i e l : Ehemann A bringt seinen Freund F mit nach Hause in die eheliche Wohnung. Als F im Laufe des Abends immer lauter wird und anfängt, obszöne Reden zu führen, weist ihn F r a u A aus dem Haus. F bleibt jedoch unter Berufung auf die von A ausgesprochene Einladung. A selbst h a t nichts dagegen, daß F bleibt. Hier ist zunächst festzustellen, daß das Hausrecht beiden Ehegatten zusteht (vgl. H a m m N J W 1955, 761; 1965, 2067), und zwar auch dann, wenn der Mietvertrag nur mit einem Ehegatten abgeschlossen wurde (vgl. Stgt D J 1972, 156). Das bedeutet aber nicht, daß beide Ehegatten das Hausrecht nur gemeinsam ausüben könnten. Vielmehr ist jeder berechtigt, unerwünschte Gäste aus dem Haus zu weisen. Gegen den Willen des Mitberechtigten kann er dies allerdings nur, wenn sich die Geltendmachung nicht als Rechtsmißbrauch darstellt, (vgl. Stgt a.a.O.) Da hiervon nach Sachlage keine Rede sein kann, h a t F sich durch sein weiteres Verweilen eines Hausfriedensbruchs schuldig gemacht. Siehe hierzu auch B G H N J W 1952, 975 und unten Anm. 5. e) Sehr bestritten ist die Frage, ob sich jemand dadurch eines Hausfriedensbruchs schuldig machen kann, daß er sich zwar mit Billigung des Mieters, aber gegen den Willen des Vermieters in einer Mietwohnung aufhält. Die Frage wird von einigen Oberlandesgerichten (OLG Köln MDR 1954, 359; N J W 1966, 265; Braunschweig N J W 1966, 263 m. abl. Anm. Schröder) f ü r den Fall bejaht, daß der Vermieter von seinem Mieter verlangen kann, daß die ihm unerwünschten Besuche unterbleiben. Ähnlich Weimar J R 1970, 58, der dem Hauseigentümer das Recht zuspricht, gegenüber dem Besucher eines Mieters dann ein rechtsverbindliches Hausverbot auszusprechen, wenn der Mieter durch den E m p f a n g des Besuchers gegen seine vertraglichen Pflichten verstößt, z.B. wenn er seinen Kindern in der Zeit von 14—16 Uhr in der Mietwohnimg durch einen Musiklehrer Klavierunterricht erteilen läßt, obwohl nach der Hausordnung während dieser Zeit jedes Klavierspielen untersagt ist. Dies erscheint jedoch bedenklich. Der Mieter muß das Recht haben zu bestimmen, wen er bei sich in der Wohnung haben will oder nicht. Fühlt sich der Vermieter hierdurch in seinen Interessen verletzt, so kann er gegen den Mieter auf Unterlassung klagen (vgl. § 550 BGB) oder ihm kündigen (vgl. Schröder a . a . O . ; Welzel 333). f) Strafbar wird das unbefugte Verweilen erst, wenn der Täter die geschützten Räumlichkeiten trotz A u f f o r d e r u n g nicht verläßt. Einmalige Aufforderung genügt. Nicht erforderlich ist, daß die Aufforderung in ausdrücklicher Form erfolgt. Es genügt, daß der Täter aus dem schlüssigen Verhalten des Berechtigten die Rechtswidrigkeit seines weiteren Verweilens erkennen kann (z. B. durch ein Glockenzeichen am Ende der Öffnungszeit eines Museums, Friedhofs usw., vgl. Schäfer L K 53). 4. S t ö r u n g e n d e s H a u s f r i e d e n s , die weder als widerrechtliches Eindringen noch als unbefugtes Verweilen angesehen werden können, z.B. nächtliche Anrufe, lautes Poltern gegen Tür oder Fensterläden, Steinwürfe usw., fallen nicht unter den Anwendungsbereich der Vorschrift, können jedoch u . U . durch andere Straftatbestände erfaßt werden. I n Betracht kommen hier vor allem Beleidigung, Körperverletzung, grober Unfug und ruhestörender Lärm (§ 360 Ziff. 11) sowie § 366 Ziff. 7.
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Strafgesetzbuch
5. Subjektiv ist Vorsatz erforderlich. Der Täter muß insbesondere wissen (oder billigend in Kauf nehmen), daß er gegen den erklärten Willen des Berechtigten in dessen Wohnung usw. eindringt oder darin verweilt. I m Falle des Verweilens muß der Täter außerdem wissen, daß er aufgefordert wurde, das Lokal zu verlassen. Der Vorsatz bleibt dagegen bestehen, wenn der Täter in Kenntnis aller Tatumstände nur irrig glaubt, er habe ein besonderes Recht zum Eindringen oder Verweilen. Ein derartiger Irrtum ist nach den Grundsätzen des V e r b o t s i r r t u m s zu beurteilen (vgl. Vorbem. AT, Abschn. B V I I 2 c, S. 26 f.). So könnte sich in dem oben unter 3d gebrachten Beispiel F nicht auf fehlenden Vorsatz berufen, wenn er zu seiner Verteidigung vorbringt, er habe geglaubt, Frau A sei nicht berechtigt gewesen, ihn aus dem Haus zu weisen. 6. Ein erschwerter Hausfriedensbruch liegt vor (Abs. 2), wenn der Täter m i t W a f f e n versehen ist oder die T a t von mehreren g e m e i n s c h a f t l i c h begangen wir d. a) Als Waffe genügt jedes g e f ä h r l i c h e W e r k z e u g , d.h. jeder Gegenstand, der geeignet ist, Körperverletzungen erheblicher Art herbeizuführen, z.B. ein Knüppel oder Spazierstock. Bei diesen sogenannten Waffen im untechnischen Sinn ist allerdings subjektiv erforderlich, daß der Täter die Absicht hat, die gefährlichen Werkzeuge zum Schlagen, Stechen usw. notfalls zu gebrauchen (sogenannte b e d i n g t e G e b r a u c h s a b s i c h t ) . Bei den Waffen im technischen Sinn (z.B. Revolver, Gaspistole) ist dies nicht erforderlich. Hier genügt das B e w u ß t s e i n d e s M i t s i c h f ü h r e n s . Objektiv ist allerdings erforderlich, daß die Waffe auch einsatzbereit ist. So ist eine Pistole ohne Munition nur dann eine Waffe i.S. der Vorschrift, wenn der Täter die Absicht hat, sie notfalls zum Schlagen oder Werfen zu benutzen. b) Gemeinschaftlich bedeutet wie bei der Mittäterschaft bewußtes und gewolltes Zusammenwirken unter gleichzeitiger Anwesenheit von mindestens zwei Personen am Tatort. Nicht erforderlich ist, daß alle Mittäter in die geschützten Räumlichkeiten eindringen. Es genügt z.B., wenn A in das Haus eindringt und B von der Straße aus sein Vorgehen absichert (vgl. RG 55, 60; h. L.). 7. Konkurrenzen. a) § 123 tritt zurück hinter §§ 124, 342. b) Delikte, die g e l e g e n t l i c h eines Hausfriedensbruchs begangen werden, z.B. ein Diebstahl oder eine Körperverletzung, treten zum Hausfriedensbruch grundsätzlich in Realkonkurrenz. Dies gilt nach BGH 18, 29 auch dann, wenn der Hausfriedensbruch z u m Z w e c k e i n e r a n d e r e n S t r a f t a t , z.B. einer Vergewaltigung oder eines Diebstahls, begangen wird. Siehe hierzu ausführlich Vorbem. AT, Abschn. J V 4, S. 82 f. c) Abs. 2 kann mit §§ 35, 53 Abs. 3 Nr. l c WaffG in IdK. treten. Wegen des Verhältnisses zu § 106b siehe dort. 8. Die Tat wird nur auf A n t r a g verfolgt. Beachte ferner § 374 StPO (Privatklagedelikt). § 124 [Schwerer Hausfriedensbruch] Wenn sich eine Menschenmenge öffentlich zusammenrottet und in der Absicht, Gewalttätigkeiten gegen Personen oder Sachen mit vereinten Kräften zu begehen, in die Wohnung, in die Geschäftsräume oder in das befriedete Besitztum eines anderen oder in abgeschlossene Bäume, welche zum öffentlichen Dienst bestimmt sind, widerrechtlich eindringt, so wird jeder, welcher an diesen Handlungen teilnimmt, mit Freiheitsstrafe von einem Monat bis zu zwei Jahren bestraft. 1. Die durch das 3. StrRG nicht berührte V o r s c h r i f t enthält einen pualifizierten Fall des Hausfriedensbruchs.
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Verbrechen und Vergehen wider die öffentliche Ordnung
§
125
2. Über Menschenmenge siehe § 125 Anm. 2b, aa, über Zusammenrotten § 122 Anm. 2. Ergänzend ist hervorzuheben, daß eine friedliche Versammlung nicht schon dadurch zu einer „zusammengerotteten Menschenmenge" wird, daß einzelne Teilnehmer Gewalttätigkeiten begehen, ohne daß die übrigen Teilnehmer sich hiermit solidarisch erweisen (vgl. Dreher 1 B mit Nachw.). — Über öffentlich siehe § 111 Anm. 2. 3. Das Eindringen (siehe hierzu § 123 Anm. 2) muß in der Absicht erfolgen, mit vereinten Kräften Gewalttätigkeiten gegen Personen oder Sachen zu begehen. Gewalttätigkeit ist enger als Gewalt. Siehe hierzu sowie über das Tb.-Merkmal mit vereinten Kräften § 125 Anm. 2 a. 4. Die Tathandlung besteht in der Teilnahme an den vorstehend beschriebenen Handlungen, und zwar sowohl an der Zusammenrottung als auch am Eindringen. Persönliches Eindringen ist nicht erforderlich, sofern die Voraussetzungen der Mittäterschaft vorliegen, der Täter sich also das Eindringen der anderen als eigenes Verhalten zurechnen lassen muß (RG 55, 35; h.L.), z.B. wenn er vor dem Gebäude „Schmiere" steht oder das Gebäude gegen anrückende Polizeikräfte verteidigt. Auch Mitläufer, die sich nur als Neugierige an der Zusammenrottung und dem Eindringen beteiligen, handeln tatbestandsmäßig, nicht jedoch Ärzte, Sanitäter oder sog. Abwiegler (BGH N J W 1954, 1694), ferner nicht Journalisten, die sich rein aus beruflichen Gründen in der Menge aufhalten, ohne dabei selbst in die geschützten Räumlichkeiten einzudringen (vgl. Dreher 2, Janknecht GA 1969, 38). 5. Der Vorsatz erfordert das Bewußtsein, an einer unfriedlichen Menschenmenge teilzunehmen, die mit vereinten Kräften in eine der geschützten Räumlichkeiten eindringt. Der Täter muß auch erkennen (bedingter Vorsatz genügt), daß die Menge die Absicht verfolgt, Gewalttätigkeiten zu begehen. Nicht erforderlich ist dagegen, daß auch er selbst diese Absicht verfolgt (wichtig f ü r Mitläufer). 6. IdK. ist möglich mit §§ 125, 223ff., 250, 255.
§ 135
[Liandfriedensbruch]
(1) Wer sich an 1. Gewalttätigkeiten gegen Menschen oder Sachen oder 2. Bedrohungen von Menschen mit einer Gewalttätigkeit, die aus einer Menschenmenge in einer die öffentliche Sicherheit gefährdenden Weise mit vereinten Kräften begangen werden, als Täter oder Teilnehmer beteiligt oder wer auf die Menschenmenge einwirkt, u m ihre Bereitschaft zu solchen Handlungen zu fördern, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren bestraft, soweit die Tat nicht in anderen Vorschriften mit schwererer Strafe bedroht ist. (2) Soweit die in Absatz 1 Nr. 1, 2 bezeichneten Handlungen in § 113 mit Strafe bedroht sind, gilt § 113 Abs. 3, 4 sinngemäß. 1. Die Neufassung der Vorschrift über den Landfriedensbrach bildet das Kernstück des 3. StrRG, stellt gleichzeitig aber dessen umstrittenste Vorschrift dar. Sowohl in den parlamentarischen Gremien als auch unter den vom Sonderausschuß gehörten Sachverständigen und Auskunftspersonen in dem am 12./13. 1. 1970 durchgeführten öffentlichen Hearing fehlte es nicht an warnenden Stimmen, die sich m i t ernst zu nehmenden Argumenten dafür einsetzten, in weitgehender Übereinstimmung mit dem früheren Recht bereits das bloße Verbleiben in einer den öffentlichen Frieden gefährdenden Menschenmenge, aus der heraus erkennbar Gewalttätigkeiten begangen werden, unter strafrechtliche Sanktion zu stellen. Gegen die ursprünglich 20 Pettera-Preisendanz, StGB, 28. Aufl.
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§
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Strafgesetzbuch
im SPD/FDP-Entwurf (BT-Drucksache ATI/139) vorgesehene Beschränkung der Strafbarkeit auf Personen, die unmittelbar als Täter oder Teilnehmer an Gewalttätigkeiten in Erscheinung treten, wurde insbesondere geltend gemacht, bei einer solchen Beschränkung werde der Tatbestand praktisch bedeutungslos, da Gewalttätigkeiten gegen Personen und Sachen bereits nach den allgemeinen Vorschriften des Strafrechts als Tötung, Körperverletzung, Freiheitsberaubung, Nötigung oder Sachbeschädigung bestraft werden könnten (vgl. z.B. Bockelmann und Lackner in der Sitzung des Sonderausschusses am 12./13. 1. 1970, S. 171, 203 der stenographischen Niederschriften). Eine solche Beschränkung wäre vor allem aber auch nicht in der Lage gewesen, die nach den Theorien der Massenpsychologie und den Erfahrungen der letzten Jahren hinreichend bekannte Sog- und Schutzwirkung der hinter den eigentlichen Gewalttätern stehenden Masse in befriedigender Weise strafrechtlich zu erfassen : Die angeheizte Masse vergrößert die Bereitschaft zu Gewaltakten, ihre Anonymität fördert die potentielle Täterschaft; die Verfolgung des radikalen Kerns, der die eigentlichen Gewalttätigkeiten verübt, wird erschwert. Hinzu kommt, daB selbst offensichtliche Agitatoren, die die Masse durch Sprechchöre oder auf ähnliche Weise anheizen, nur in den seltensten Fällen als Täter und meist auch nicht als Gehilfen erfaßt werden können, da es f ü r die Annahme von Beihilfe nicht ausreicht, daß die Unzufriedenheit der Menge gesteigert wird. F ü r die Annahme von Beihilfe ist vielmehr erforderlich, daß die Voraussetzungen f ü r ganz konkrete Gewalttätigkeiten nachweisbar verbessert werden (vgl. Lackner a.a.O.). Andererseits mußte eine Lösung gefunden werden, die verhindert, daß Demonstranten, die ihre Demonstration fortführen wollen, ohne selbst an Gewalttätigkeiten beteiligt zu sein, sowie unbeteiligte Passanten, Presseleute, Neugierige, vor allem aber auch Ärzte, Sanitäter und sog. Abwiegler ebenfalls in Gefahr geraten, allein wegen ihrer Anwesenheit in der Menge wegen Landfriedensbruchs in ein Strafverfahren gezogen zu werden. Unter Abwägung dieser Gesichtspunkte wurde dann schließlich die vom Bundestag am 18. 3. 1970 verabschiedete Fassung des Sonderausschusses herausgearbeitet, wonach neben Tätern und Teilnehmern auch die sog. Anheizer bestraft werden, d . h . solche Personen, die auf die Menschenmenge einwirken, um ihre Bereitschaft zu Gewalttätigkeiten und Bedrohungen zu fördern. Friedliches Demonstrieren ist dagegen nicht mehr mit der Gefahr einer Strafverfolgung verbunden. Selbst bei einer polizeilichen Auflösung einer Demonstration kann deren Fortsetzung nach Art. 2 des 3. StrRG (abgedruckt nach § 114) nur noch als Ordnungswidrigkeit geahndet werden. 2. Die Tathandlung des Abs. 1 Ziff. 1 besteht entweder in der VerÜbung von Gewalttätigkeiten gegen Menschen oder Sachen o d e r in der Teilnahme an solchen Gewalttätigkeiten o d e r in der Einwirkung auf eine Menschenmenge mit dem Ziel, deren Bereitschaft zu solchen Gewalttätigkeiten zu fördern. I m einzelnen : a) Der Begriff der Gewalttätigkeit ist wesentlich enger als der in letzter Zeit von der höchstrichterlichen Rechtsprechung sehr weit gezogene Gewaltbegriff bei Nötigung und Raub. Tatbestandsmäßig sind nur solche Handlungen, durch die der Täter a g g r e s s i v gegen Personen oder Sachen vorgeht, vor allem, wenn strafbare Handlungen wie Mord und Totschlag, Körperverletzung und Sachbeschädigung begangen werden. Aber auch die Errichtung von Straßensperren zur Lahmlegung des Verkehrs oder eines bestimmten Betriebs muß nach inzwischen gefestigter höchstrichterlicher Rechtsprechung als Gewalttätigkeit beurteilt werden (vgl. BayObLG N J W 1969, 63; Stgt N J W 1969, 1543; Celle N J W 1970, 206 zu § 125 a.F.). Nach B G H 23, 46, 53 genügt sogar schon das Wegdrängen eines Polizeibeamten oder das Umwerfen eines Gegenstands. Folgt man dieser sehr weitgehenden Rechtsprechung, so muß man konsequent auch das Werfen von Eiern, Farbbeuteln oder Tomaten als Gewalttätigkeit beurteilen. Keinesfalls ausreichend ist jedoch ein rein passives Verhalten, z. B. ein Sitzstreik auf den Schienen einer Straßenbahn, auch wenn dieser
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§
135
nach B G H 23, 46ff. eine mit den Mitteln der Gewalt begangene rechtswidrige Nötigung darstellt. Auch das gewaltlose Besetzen einer Dienststelle durch Demonstranten wird nicht dadurch zur Gewalttätigkeit, daß der Dienstbetrieb durch die mit der großen Zahl der Demonstranten verbundenen Störungen zum Erliegen kommt (vgl. Stgt N J W 1969, 1776). Zum Ganzen siehe auch Ott N J W 1969, 454, 2023 und Kreuzer N J W 1970, 670 (nachgeschobene Anmerkung zu Celle N J W 1970, 206). b) Die Gewalttätigkeit muß aus einer Menschenmenge in eitler die öffentliche Sicherheit gefährdenden Weise mit vereinten Kräften begangen worden sein. aa) Menschenmenge ist eine größere Ansammlung von Personen, die man nicht auf den ersten Blick zählen kann. Nach einer nicht veröffentlichten Entscheidung des BGH vom 13. 7. 1960 (2 StR 291/60) kann bereits eine Ansammlung von 11 Jugendlichen eine solche Menschenmenge darstellen. bb) Die Gewalttätigkeiten müssen „ a u s " der Menschenmenge begangen werden. Nicht erforderlich ist, daß die Menge als ganze sich mit den Ausschreitungen identifiziert oder solidarisch fühlt. cc) Die Gewalttätigkeiten müssen mit vereinten Kräften begangen werden. Mittäterschaft i. S. von § 47 ist ebensowenig erforderlich wie eine vorherige Absprache. Es genügt, daß die Gewalttätigkeiten von einzelnen Teilnehmern verübt werden, die Ausschreitungen aber der psychischen Grundhaltung der versammelten Menge entsprechen (vgl. Schönke-Schröder R n . 6 zu § 115 a.F.) Selbst die Ausschreitungen eines einzelnen können den Tatbestand verwirklichen, wenn die anderen billigend zu ihm stehen (vgl. RG J W 1933, 429; BayObLG N J W 1955,1806; Schönke-Schröder R n . 6 zu § 115 a.F.). — B e i s p i e l : A schlägt bei einer Demonstration die Scheiben eines Gebäudes ein. Eine Gruppe von 10 bis 15 weiteren Demonstranten sichert ihn gegen Identifizierung und Festnahme in der Weise ab, daß sie sich mit Fahnen und Transparenten schützend hinter ihn stellt. N i c h t ausreichend sind andererseits Aktionen einzelner, die vom Willen der übrigen Teilnehmer nicht getragen werden. dd) Die öffentliche Sicherheit ist gefährdet, wenn die Ausschreitungen geeignet sind, in der Bevölkerung das Bewußtsein aufkommen zu lassen, daß Ruhe und Friede nicht mehr gewährleistet sind. Dies kann auch dann der Fall sein, wenn sich die Aktion nur gegen bestimmte Personen, Personengruppen oder Objekte richtet. Ist die öffentliche Sicherheit in dieser Weise gefährdet, so ist die Friedlichkeitsschranke des Art. 8 Abs. 1 GG überschritten; die versammelte Menge kann sieh im Falle einer polizeilichen Auflösung nicht mehr auf das Grundrecht der Versammlungsfreiheit berufen. c) Täter ist zunächst jeder, der selbst oder durch einen anderen (mittelbare Täterschaft) Gewalttätigkeiten verübt. Ein Fall der Täterschaft liegt aber auch f ü r den vor, der sich an den Gewalttätigkeiten nur als T e i l n e h m e r beteiligt. Durch die besondere Struktur des Tatbestands werden Anstiftung und Beihilfe zu einem besonderen Fall der Täterschaft erhoben. B e i h i l f e ist — wie auch sonst — jede vorsätzliche Unterstützung fremder Tat. Sie kann nach allgemeinen Grundsätzen entweder durch Verbesserung der äußeren Bedingungen geleistet werden (sog. physische oder technische Beihilfe) oder dadurch, daß der eigentliche Täter durch Ratschläge oder auf sonstige Weise in seinem Tatentschluß bestärkt wird (sog. psychische oder intellektuelle Beihilfe). — B e i s p i e l e f ü r physische Beihilfe: Anfertigung sogen. Molotow-Cocktails, Verteilung von Eiern, Farbbeuteln und ähnlichen Wurfgeschossen; — oder: Abschirmen eines gewalttätigen Demonstranten, um ihn vor Identifizierung und Festnahme zu sichern und ihm die ungestörte Fortsetzung seines Treibens zu ermöglichen. — B e i s p i e l e f ü r psychische Beihilfe: Erteilen von Ratschlägen, wie man Molotow-Cocktails herstellt und verwendet; — oder: Zurufe an den radikalen 20»
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§
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Strafgesetzbuch
Kern der Menge, um die dort agierenden Täter zur Fortsetzung bereits begonnener Gewaltakte zu ermuntern. d) I n allen Erscheinungsformen setzt die Beihilfe, wie bereits oben unter Anm. 1 dargelegt, wesensmäßig voraus, daß die G e w a l t t ä t i g k e i t e n durch den als Beihilfe zu wertenden Tatbeitrag n a c h w e i s b a r g e f ö r d e r t werden u n d der Gehilfe einen solchen Erfolg n a c h w e i s b a r g e w o l l t , zumindest aber billigend in seine Vorstellung einbezogen hat. Ein derartiger Nachweis ist in der Praxis erfahrungsgemäß nur schwer zu führen. Dies gilt vor allem f ü r den Nachweis des Vorsatzes. Andererseits besteht ein erhebliches öffentliches Interesse daran, auch diejenigen strafrechtlich verfolgen zu können, die durch Sprechchöre, Zurufe und Gesten oder durch ähnliche Agitationen in gefährlicher Weise die Menge anheizen. Diese Erwägungen führten schließlich dazu (s. o. Anm. 1), daß der Bundestag sich, entschloß, über den ursprünglichen SPD/FDP-Entwurf hinausgehend auch den als Täter eines Landfriedensbruchs zu behandeln, der — ohne selbst nachweisbar als Täter oder Teilnehmer an Gewalttätigkeiten beteiligt zu sein — auf die Menschenmenge einwirkt, um ihre Bereitschaft zu Gewalttätigkeiten zu fördern. Einwirken in diesem Sinn ist jede Beeinflussung von Teilnehmern der versammelten Menge, mit dem Ziel, diese „aufzuheizen", z.B. durch Mitführen von aggressiven, zu Gewalttaten auffordernden Spruchbändern, durch Verteilen von entsprechend aggressiven Hetz-Flugblättern, vor allem aber durch Anstimmen von Sprechchören, in denen zu Gewaltakten auf, gefordert wird. Die bloße Anwesenheit in der Menge reicht dagegen nicht mehr aus, um den Tatbestand des Landfriedensbruchs zu verwirklichen. Wer sich n u r als Neugieriger in der Menge aufhält oder lediglich die friedlich begonnene Demontrationfriedlich fortführen möchte, kann nicht mehr wegen Landfriedensbruch bestraft werden, sondern begeht allenfalls eine Ordnungswidrigkeit nach Art. 2 des 3. StrRG. Das friedliche Demonstrieren soll nicht mehr mit dem Risiko einer Strafverfolgung verbunden sein (s. o. Vorbem. I 1). Andererseits setzt das Tatbestandsmerkmal „einwirken" nicht voraus, daß der Täter sich selbst in der Menge aufhält. Die Einwirkung kann auch von außen erfolgen, z.B. in der Weise, daß die eigentlichen Agitatoren sich im Hintergrund halten und von dort aus die Aktionen durch ihre Mittelsmänner steuern. e) Der subj. Tb. erfordert bei allen Tatbestandsalternativen Vorsatz, wobei bedingter Vorsatz grundsätzlich ausreicht. Lediglich bei der letzten Tb-Alternative ist die A b s i c h t des Täters erforderlich, die Bereitschaft der Menge zu unfriedlichem Verhalten zu fördern, d.h. es m u ß dem Täter auf diesen Erfolg ankommen. Bei einem bestreitenden oder die Aussage verweigernden Beschuldigten kann das Vorliegen der aufwieglerischen Absicht auch aus den äußeren Umständen geschlossen werden. 3. I n Abs. 1 Nr. 2 wird die Bedrohung mit einer Gewalttätigkeit der VerÜbung von Gewalttätigkeiten gleichgestellt. Die angedrohte Gewalttätigkeit kann sich auch gegen Sachen richten, z.B. Drohung, die Einsatzfahrzeuge der Polizei in Brand zu setzen. Die Ausführungen unter Anm. 2 gelten im übrigen entsprechend. 4. Teilnahme: Anstiftung und Beihilfe zu Gewalttätigkeiten und Bedrohung mit Gewalttätigkeiten sind aufgrund der besonderen Struktur des Tatbestands zu selbständigen Formen der Täterschaft erhoben (s. o. 2). I m übrigen richtet sich die Teilnahme nach allgemeinen Vorschriften. Wenn z.B. A den X dazu anstiftet, bei einer Demonstration aggressive Hetzflugblätter zu verteilen und auf diese Weise die Menge anzuheizen, so liegt hierin eine nach den §§ 125, 48 strafbare Anstiftung zum Landfriedensbruch, falls nicht aufgrund besonderer Umstände nach allgemeinen Grundsätzen ein Fall der Mittäterschaft anzunehmen ist. 5. Abs. 2 bezieht sich auf die Fälle, in denen die nach § 125 Abs. 1 tatbestandsmäßigen Handlungen zugleich Widerstandshandlungen i.S. von § 113 sind. Die
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Verbrechen und Vergehen wider die öffentliche Ordnung
§ 125 a
Verweisung auf § 113 Abs. 3 stellt klar, daß aus der Menge heraus verübte Gewalttätigkeiten gegen Polizeibeamte und sonstige Vollstreckungsbeamte bzw. deren Bedrohung mit Gewalttätigkeiten nur dann nach § 125 als Landfriedensbruch strafbar sind, wenn die Beamten sich in rechtmäßiger Ausübung ihres Amtes befunden haben. Die Verweisung auf Abs. 4 des § 113 gibt die Möglichkeit, den Irrtum über die Rechtmäßigkeit der Amtsausübung des angegriffenen oder bedrohten Beamten als schuldausschließend oder schuldmildernd zu behandeln und gegebenenfalls von Strafe abzusehen. 6. Konkurrenzen: Idealkonkurrenz ist vor allem möglich mit §§ 113, 223, 303. I m Verhältnis zu den §§ 211, 212,223a, 224,226 wirkt sich dagegen die S u b s i d i a r i t ä t s k l a u s e l aus, d.h. § 125 kommt neben diesen Vorschriften nicht zur Anwendung. § 125 a [Besonders schwere Fälle] In besonders schweren Fällen des § 125 ist die Strafe Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren. Ein besonders schwerer Fall liegt in der Regel vor, wenn der Täter 1. eine Schußwaffe bei sich führt, 2. eine andere Waffe bei sich führt, u m diese bei der Tat zu verwenden, 3. durch eine Gewalttätigkeit einen anderen in die Gefahr des Todes oder einer schweren Körperverletzung (§ 224) bringt oder 4. plündert oder bedeutenden Schaden an fremden Sachen anrichtet. 1. Die Vorschrift bringt — ähnlich wie § 113 Abs. 2 — eine Strafschärfung f ü r besonders schwere Fälle. Der Vergehenscharakter der Tat wird durch die Annahme eines besonders schweren Falls nicht berührt. 2. Zu den vier Regelbeispielen: a) Abweichend von der Regelung des § 113 Abs. 2 (siehe dort Anm. V) genügt bei S c h u ß w a f f e n das Bewußtsein des Mitsichführens. Eine Gebrauchsabsicht ist nicht erforderlich. § 125 a Nr. 1 entspricht damit insoweit der Begelung des § 244 Abs. 1 Nr. 1, so daß wegen der Einzelheiten auf die Ausführungen unter § 244 Anm. I I 1 verwiesen werden kann. Abweichend von der Regelung des § 244 trifft die Strafschärfung jedoch immer nur den Täter, der s e l b s t die Schußwaffe bei sich geführt hat. b) Bei s o n s t i g e n W a f f e n (Waffen im technischen Sinn, soweit nicht schon unter Nr. 1 fallend, sowie Waffen im nicht technischen Sinn) ist wie in § 113 Abs. 2 und § 244 Abs. 1 Nr. 2 eine — mindestens bedingte — Gebrauchsabsicht erforderlich. Die Strafschärfung trifft (wie auch in Nr. 1) nur den Täter, der die Waffe selbst mit sich führt. c) Zu Nr. 3 siehe § 113 Anm. V2. d) Nr. 4 enthält Elemente des früheren § 125 Abs. 2, ohne daß die Tat dadurch jedoch zum Verbrechen wird. 3. I m Gegensatz zur früheren Rechtslage (§ 125 Abs. 2 a.F.) sowie entgegen dem CDU/CSU-Entwurf (BT-Drucksache VI/261) und gegen die Stellungnahme des Richterbundes sowie einiger Landesjustizverwaltungen hat man darauf verzichtet, den Fall des sog. Rädelsführers in den Katalog des § 125 a aufzunehmen. Dies schließt allerdings nicht aus, die Agitation eines Rädelsführers auch ohne Erwähnung im Katalog des § 125 a als besonders schweren Fall zu werten, wenn sie sich im Einzelfall tatsächlich als besonders strafwürdig erwiesen hat (vgl. Begründung des Sonderausschusses, S. 10 der BT-Drucksache VI/502).
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§§ 1 3 6 — 1 2 9 § 126
Strafgesetzbuch
[Landzwang]
Wer durch Androhung eines gemeingefährlichen Verbrechens den öffentlichen Frieden stört, wird mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr bestraft. 1. Der öffentliche Frieden ist gestört, wenn mindestens ein Teil der Bevölkerung in seinem Sicherheitsbewußtsein erschüttert ist. Siehe hierzu § 130 Anm. 1 sowie Borkemann und Hesselberger, Die strafrechtliche Beurteilung anonymer Bombendrohungen, N J W 1972, 1789. 2. Die Vorschrift verlangt keinen bestimmten Adressaten. Die Drohung kann daher auch einem Privatmann, einer Zeitungsredaktion oder anderen „Anlaufstellen" übermittelt werden (vgl. Berkemann und Hesselberger a.a.O. 1789). 3. Zu den gemeingefährlichen Verbrechen gehören alle Verbrechen (nicht auch Vergehen) des 27. Abschnitts, z. B. Brandstiftung und vorsätzliche Überschwemmung, aber auch die Verbrechen des Atomgesetzes sowie alle sonstigen Verbrechen, durch deren Androhung der öffentliche Friede erheblich gestört wird (z.B. Mord, Totschlag oder Geiselnahme, vgl. Schönke-Schröder Rn. 3; a.A. Dreher lb). Unerheblich ist, ob das angedrohte Verbrechen überhaupt realisierbar ist oder ob es so früh angedroht wird, daß die Ausführung auf jeden Fall rechtzeitig verhindert werden kann (vgl. Berkemann und Hesselberger a.a.O. 1970). 4. Subjektiv ist Vorsatz erforderlich. Der Täter muß wissen, zumindest aber damit rechnen und billigend in Kauf nehmen, daß seine Drohung ernst genommen wird und geeignet ist, Unruhe zu stiften. Hieran fehlt es, wenn er nicht mit der Weitergabe seiner an bestimmte Einzelpersonen gerichteten Drohung rechnet.
§ 12V
[Bildung: bewaffneter H a u f e n ]
(1) W e r unbefugterweise einen bewaffneten Haufen bildet oder befehligt oder eine Mannschaft, von der er weiß, daß sie ohne gesetzliche Befugnis gesammelt ist, mit Waffen oder Kriegsbedürfnissen versieht, wird mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren bestraft. (2) Wer sich einem solchen bewaffneten Haufen anschließt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr bestraft. 1. Ein H a u f e n ist eine Mehrheit von Personen, die sich zu einem gemeinsamen bedrohlichen oder gewalttätigen Zweck zusammenschließt. 2. Eine M a n n s c h a f t setzt im Gegensatz zu einem Haufen eine militärähnliche Disziplin sowie eine gewisse Organisation voraus. 3. Als W a f f e n kommen nur Waffen im technischen Sinn in Betracht, z.B. Gewehre, Pistolen. Dies ergibt sich aus dem Zusammenhang mit den gleichzeitig aufgeführten K r i e g s b e d ü r f n i s s e n . 4. Mit § 81 ist I d K . möglich. Siehe auch § 16 KriegswafTenG vom 20.4. 1961 (BGBl. I 444).
§ 128
[Geheimbündelei]
Die Vorschrift wurde durch das 8. StrRÄndG v. 25. 6. 1968 aufgehoben.
§129
[Verbrecherische Vereinigrungren]
(1) Wer eine Vereinigung gründet, deren Zwecke oder deren Tätigkeit darauf gerichtet sind, strafbare Handlungen zu begehen, oder wer sich an einer solchen Vereinigung als Mitglied beteiligt, für sie wirbt oder sie unterstützt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren bestraft.
310
Verbrechen und Vergehen wider die öffentliche Ordnung
§
129
(2) Absatz 1 ist nicht anzuwenden, 1. wenn die Vereinigung eine politische Partei ist, die das Bundesverfassungsgericht nicht für verfassungswidrig erklärt hat, 2. wenn die Begehung von strafbaren Handlungen nur ein Zweck oder eine Tätigkeit von untergeordneter Bedeutung ist oder 3. soweit die Zwecke oder die Tätigkeit der Vereinigung strafbare Handlungen nach den §§ 84 bis 87 betreffen. (3) Der Versuch, eine in Abs. 1 bezeichnete Vereinigung zu gründen, ist strafbar. (4) Gehört der Täter zu den Rädelsführern oder Hintermännern oder liegt sonst ein besonders schwerer Fall vor, so ist auf Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren zu erkennen. Daneben kann Polizeiaufsicht zugelassen werden. (5) Das Gericht kann bei Beteiligten, deren Schuld gering und deren Mitwirkung von untergeordneter Bedeutung ist, die Strafe nach seinem Ermessen mildern (§ 15) oder von einer Bestrafung nach den Absätzen 1 und 3 absehen. (6) Das Gericht kann die Strafe nach seinem Ermessen mildern (§ 15) oder von einer Bestrafung nach diesen Vorschriften absehen, wenn der Täter 1. sich freiwillig und ernsthaft bemüht, das Fortbestehen der Vereinigung oder die Begehung einer ihren Zielen entsprechenden Straftat zu verhindern, oder 2. freiwillig sein Wissen so rechtzeitig einer Dienststelle offenbart, daß Straftaten, deren Planung er kennt, noch verhindert werden können; erreicht der Täter sein Ziel, das Fortbestehen der Vereinigung zu verhindern, oder wird es ohne sein Bemühen erreicht, so wird er nicht bestraft. 1. Die Vorschrift wurde in letzter Zeit wiederholt geändert. Die derzeitige Fassung geht auf das 1. StrRG zurück, durch das mit Wirkung vom 1. 4. 1970 der Strafrahmen des Abs. 4 gemildert und die Absätze 5 und 6 dem neuen § 15 redaktionell angepaßt wurden. Sachliche Änderungen wurden bereits durch das Vereinsgesetz vom 5. 8. 1964 und durch das 8. StrRÄndG vom 25. 6. 1968 vorgenommen. 2. Wie bei den §§ 84, 85 handelt es sich bei § 129 um ein sog. Organisationsdelikt. Im Gegensatz zu den Fällen der §§ 84, 85 ist es jedoch bei § 129 nicht erforderlich, daß die Vereinigimg von einem Gericht oder einer Verwaltungsbehörde zunächst als verfassungswidrig oder als verboten erklärt werden muß. 3. Über den Begriff der Vereinigung siehe § 85 Anm. 2b. Z w e c k der Vereinigung muß die Begehung strafbarer Handlungen sein. Dieser Zweck muß jedoch nicht identisch sein mit dem Endziel oder dem hauptsächlichen Zweck der Vereinigung (vgl. BGH 15, 261). E s genügt vielmehr, daß die geplanten strafbaren Handlungen das Endziel nur vorbereiten sollen oder daß sie nur einen Nebenzweck der Vereinigung bilden (BGH a.a.O.). Die Art der strafbaren Handlung ist unerheblich. Auch Straftaten nach den §§ 185—187 können den Gegenstand einer nach § 129 strafbaren Tätigkeit einer Vereinigung bilden (vgl. BGH 20, 88 betr. einer Vereinigung, die eine planmäßige Hetze gegen die Bundesregierung und die Justizorgane betrieben hat). Über wichtige Ausnahmen siehe Abs. 2. 4. Die Tathandlung besteht in der Gründung der Vereinigung. Als G r ü n d u n g gilt jede Neubildung. Dem gleichgestellt ist der Fall, daß sich jemand in der Vereinigung als M i t g l i e d betätigt. Siehe hierzu ausführlich § 84 Anm. 6a. Weiterhin gleichgestellt sind W e r b u n g und U n t e r s t ü t z u n g . Siehe hierzu § 84 Anm. 6b. 5. Abs. 2 bringt eine Reihe wichtiger Ausnahmen, bei deren Vorliegen eine strafbare Handlung i.S. von Abs. 1 nicht vorliegt. Politische Parteien können nach 311
§§ 129 a, 130
Strafgesetzbuch
Abs. 2 Nr. 1 erst dann unter § 129 fallen, wenn sie das BVerfG für verfassungswidrig erklärt hat. Nach Abs. 2 Nr. 2 scheiden auch die Fälle aus, in denen die Begehung strafbarer Handlungen für die Zwecke oder die Tätigkeit der Vereinigung nur von untergeordneter Bedeutung ist. Allerdings können auch verhältnismäßig geringfügige Delikte wie Sachbeschädigungen, Beleidigungen usw. dann den Tb. des Abs. 1 verwirklichen, wenn sie fortgesetzt und planmäßig betrieben werden, um bestimmte Personen oder Gruppen zu terrorisieren (siehe auch oben Anm. 3). Nach Abs. 2 Nr. 3 sind weiter ausgenommen die Tatbestände der §§ 84—87, zu denen noch die nur aus technischen Gründen nicht aufgenommenen Verstöße nach § 20 Abs. 1 Nr. 1—4 VereinsG treten (vgl. S. 13 des BT-Ausschußberichts vom 6. 3. 1964 sowie Dreher Anm. 3). 6. Der subj. Tb. erfordert Vorsatz. Dieser muß Bich vor allem auf die kriminellen Zwecke der Vereinigung erstrecken. Bedingter Vorsatz genügt. 7. Der Versuch ist nur bei der Gründung der Vereinigung strafbar (Abs. 3). 8. Abs. 4 bringt eine Strafschärfung für Bädeisführer und Hintermänner sowie für besonders schwere Fälle. Über Rädelsführer und Hintermänner siehe § 84 Anm. 5. Der Strafrahmen wurde durch das 1. StrRG erheblich gemildert. Die Tat ist jetzt auch im Falle des Abs. 4 nur noch als V e r g e h e n strafbar. 9. Die Mitläuferklausel des Abs. 5 entspricht der in § 84 Abs. 4 getroffenen Regelung. Abs. 6 enthält — ähnlich wie § 84 Abs. 5 — einen Sonderfall der tätigen Reue. Beide Absätze wurden durch das 1. StrRG dem neuen § 15 angepaßt. 10. Idk. ist möglich mit §§ 84, 85. Mit den Straftaten, die dem Zweck der Vereinigung entsprechend begangen werden, kommt Idk. in Betracht, soweit der Täter als tätiges Mitglied verurteilt wird; bei allen übrigen Tatbestandsalternativen ist R K anzunehmen (vgl. Schönke-Schröder Rn. 28, Dreher 7). § 129 a
[aufgehoben]
§ 130 [Volksverbeizungr] Wer in einer Weise, die geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören, die Menschenwürde anderer dadurch angreift, daß er 1. zum Haß gegen Teile der Bevölkerung aufstachelt, 2. zu Gewalt- oder Willkürmaßnahmen gegen sie auffordert oder 3. sie beschimpft, böswillig verächtlich macht oder verleumdet, wird mit Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren bestraft. Daneben kann auf Geldstrafe erkannt werden. 1. G e s c h ü t z t e s R e c h t s g u t der durch das 6. StrRÄndG vom 30. 6. 1960 neu gefaßten Vorschrift ist — ebenso wie in § 126 und neuerdings in § 166 — der ö f f e n t l i c h e F r i e d e , d.h. das Bewußtsein der Bevölkerung, in Ruhe und Frieden zu leben. Daneben dient die Vorschrift dem S c h u t z d e r p o l i t i s c h e n , s o z i a l e n u n d r e l i g i ö s e n M i n d e r h e i t e n , die erfahrungsgemäß immer wieder Angriffen ausgesetzt sind (z.B. Juden, aber auch Gastarbeiter, vgl. OLG Celle MDR 1970, 940 sowie Schultz MDR 1971, 21, Lohse N J W 1971, 1245ff. und Römer N J W 1971, 1735). 2. a) b) c)
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Als T a t h a n d l u n g kommen in Betracht: Aufstacheln zum H a ß ; Auffordern zu Gewalt- oder anderen Willkürmaßnahmen; Beschimpfen, böswilliges Verächtlichmachen.
Verbrechen und Vergehen wider die öffentliche Ordnung
§
131
3. Der Tatbestand ist nur dann erfüllt, wenn durch eine der oben genannten Handlungen die M e n s c h e n w ü r d e anderer in besonders schwerwiegender Form angegriffen wird. Beleidigungen geringerer Art genügen nicht, wohl aber Äußerungen wie: „Die Kerle hat man vergessen zu vergasen." Diskriminierende Schilder mit der Aufschrift „Gastarbeiter unerwünscht", wie sie verschiedentlich von Gastwirten an ihren Lokalen angebracht werden, enthalten zwar eine nach § 185 strafbare Kollektivbeleidigung, erfüllen aber noch nicht den Tatbestand der Volksverhetzung (vgl. Römer N J W 1971, 1735 unter Hinweis auf die Gesetzesmaterialien). 4. Weitere Tatbestandsvoraussetzung ist, daß die T a t g e e i g n e t ist, den ö f f e n t l i c h e n F r i e d e n zu s t ö r e n (s.o. 1). Ob dies der Fall ist, ist Tatfrage. Äußerungen im engeren Kreis werden in aller Regel nicht ausreichen, wohl aber öffentlich gemachte Äußerungen, Schriften und Filmvorführungen. 5. Aus der R e c h t s p r e c h u n g des B G H siehe vor allem B G H 17, 28 und B G H 19, 63 (NS-Film „ J u d Süß" als verfassungsfeindlich und volksverhetzend), ferner B G H 21, 371: Wer im Wahlkampf einen jüdischen Bewerber auf einem Plakat durch Hinzufügen des Wortes „ J u d e " kennzeichnet und damit die Forderung nach Ausschluß des Juden von öffentl. Ämtern zum Ausdruck bringt, erfüllt den Tb. der Volksverhetzung nach § 130 Nr. 1. 6. I d K . ist möglich mit §§ 111, 131, 185—187a. § 140 ist subsidiär. § 1 3 1
V e r h e r r l i c h u n g : v o n G e w a l t ; A u fS t a c h e l ung: z u m Rassenhaß (1) Wer Schriften, Ton- oder Bildträger, Abbildungen oder Darstellungen, die Gewalttätigkeiten gegen Menschen in grausamer oder sonst unmenschlicher Weise schildern und dadurch eine Verherrlichung oder Verharmlosung solcher Gewalttätigkeiten ausdrücken oder die z u m Rassenhaß aufstacheln, 1. verbreitet, 2. öffentlich ausstellt, anschlägt, vorführt oder sonst zugänglich m a c h t , 3. einer Person unter achtzehn J a h r e n anbietet, überläßt, zugänglich m a c h t oder 4. herstellt, bezieht, liefert, vorrätig hält, anbietet, ankündigt, anpreist, in den räumlichen Geltungsbereich dieses Gesetzes einzuführen oder daraus auszuführen unternimmt, u m sie oder a u s ihnen gewonnene Stücke i m Sinne der Nummern 1 bis 3 zu verwenden oder einem anderen eine solche Verwendung zu ermöglichen, wird mit Freiheitsstrafe bis zu einem J a h r oder mit Geldstrafe bestraft. (2) Ebenso wird bestraft, wer eine Darbietung des in Absatz 1 bezeichneten Inhalts durch R u n d f u n k verbreitet. (3) Die Absätze I und 2 gelten nicht, wenn die Handlung der Berichterstattung über Vorgänge des Zeitgeschehens oder der Geschichte dient. ( 4 ) Abs. 1 Nr. 3 ist nicht anzuwenden, wenn der zur Sorge f ü r die Person Berechtigte handelt. 1. Die durch das 4. StrRG neu eingeführte Vorschrift tritt an die Stelle des alten § 131 (Staatsverleumdung), der mit Rücksicht auf andere Tatbestände mit gleicher Zielsetzung (z.B. §§ 90a, 90b, 109d, 187, 187a Abs. 2) entbehrlich erschien (vgl. Ber. BT-Drucks. VI/3521 S. 4). Anliegen der Vorschrift ist es, den einzelnen und die Allgemeinheit vor Gewalttätigkeiten zu schützen, und zwar in der Weise, daß schon dem Aufkommen aggressiver Verhaltensweisen oder Einstellungen entgegengewirkt wird (vgl. Ber. a.a.O. S. 6). Geschütztes Rechtsgut ist somit zunächst—ähnlich wie in den §§ 126, 130, 166 — der ö f f e n t l i c h e F r i e d e (d.h. das Bewußtsein der Bevölkerung, in Ruhe und Frieden leben zu können), außerdem die E r h a l t u n g d e r H u m a n i t ä t in einer Gesellschaft, in der den Bürgern täglich vor Augen geführt wird, daß die Lösimg eines Konflikts letztlich nur durch Rücksichtslosigkeit und 313
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Gewalt möglich sein soll (vgl. E y r i c h P r o t . V I I S. 45). D e r N a c h w e i s , d a ß bes t i m m t e Gewalttätigkeiten u n d rassistische P r o g r o m e auf den u n g ü n s t i g e n E i n f l u ß von Gewaltdarstellungen in Schriften, F i l m e n usw. z u r ü c k z u f ü h r e n sind, w i r d sich zwar im Einzelfall n u r schwer f ü h r e n lassen. Andererseits d ü r f t e a u f g r u n d d e r j ü n g s t e n Forschungsergebnisse feststehen, d a ß Gewaltdarstellungen z u m i n d e s t geeignet sind, eine l a t e n t v o r h a n d e n e Aggressionsbereitschaft zu wecken b z w . zu v e r s t ä r k e n u n d zu aktivieren (vgl. Ber. a . a . O . S. 6). Die Vorschrift stellt sich somit als abstraktes Gefährdungsdelikt d a r . E r g ä n z e n d zu b e a c h t e n ist § 6 G j S i . V . m i t der in § 21 G j S e n t h a l t e n e n S t r a f d r o h u n g f ü r b e s t i m m t e Vertriebs- u n d W e r b e v e r b o t e (abgedruckt in A n h . I C ) . Aus d e n Gesetzesmaterialien siehe insbesondere den Gesetzesentwurf d e r B u n d e s regierung (BT-Drucks. VI/1552), die schriftlichen Berichte (Ber.) des S o n d e r a u s . schusses f ü r die S t r a f r e c h t s r e f o r m (BT-Drucks. VI/3521 u n d 7/514) sowie die P r o tokolle ü b e r die B e r a t u n g e n des Sonderausschusses w ä h r e n d d e r 6. u n d 7. Legislaturperiode (Prot. V I u n d P r o t . V I I ) . 2. Tatobjekte sind Schriften usw. (siehe hierzu § 41 A n m . 1), die in g r a u s a m e r oder sonst unmenschlicher Weise Gewalttätigkeiten gegen Menschen schildern. a) D e r Begriff der Gewalttätigkeit, d e r bereits in den §§ 113 Abs. 2 N r . 2 u n d 125 Abs. 2 begegnet, ist enger als der Gewaltbegriff in den §§ 113 Abs. 1, 240, 249. Gew a l t t ä t i g h a n d e l t , wer aggressiv gegen einen a n d e r e n vorgeht u n d diesen d a d u r c h der u n m i t t e l b a r e n G e f a h r einer erheblichen Beeinträchtigung seiner körperlichen oder seelischen I n t e g r i t ä t aussetzt. N i c h t erforderlich ist, d a ß d a s O p f e r gefoltert oder geschlagen u n d h i e r d u r c h verletzt oder gar getötet wird. A u c h d a s E i n s p e r r e n in einen ü b e r h i t z t e n oder u n t e r k ü h l t e n R a u m , das A n b i n d e n a n einen B a u m oder das gewaltsame Teeren u n d F e d e r n eines Menschen sind G e w a l t t ä t i g k e i t e n . N i c h t ausreichend ist dagegen ein pflichtwidriges Unterlassen (z.B. E r t r i n k e n - , Verbrennen* oder Erfrierenlassen, vgl. Blei J A 1973, S t R 32f.) oder E i n w i r k u n g e n auf d a s menschliche Gehirn, u m die Persönlichkeit zu v e r ä n d e r n (vgl. K r ü g e r P r o t . V I S. 1870). b) N u r Gewalttätigkeiten gegen Menschen verwirklichen d e n T a t b e s t a n d . Auf die A u f n a h m e von Gewalttätigkeiten gegen Sachen u n d Tiere w u r d e b e w u ß t verzichtet (vgl. Ber. S. 7). c) D e r Grund der Gewalttätigkeit ist unerheblich. A u c h die Schilderang gerechtfertigter G e w a l t a n w e n d u n g ( z . B . b e i einem r e c h t m ä ß i g e n oder als r e c h t m ä ß i g d a r gestellten Polizeieinsatz) k a n n den T b . verwirklichen, sofern dessen übrige Voraussetzungen vorliegen (vgl. L a u f h ü t t e P r o t . V I S. 1866f.; Blei J A 1973, S t R 38). d) Die Schilderung der Gewalttätigkeit m u ß „in g r a u s a m e r oder sonst u n m e n s c h licher W e i s e " erfolgen. E s g e n ü g t also n i c h t , d a ß eine g r a u s a m e oder s o n s t U n menschliche Gewalttätigkeit (z.B. eine B o m b a r d i e r u n g oder eine Folterszene) ü b e r h a u p t dargestellt wird. E n t s c h e i d e n d ist somit nicht der I n h a l t der Darstellung, sondern deren F o r m (wenngleich andererseits n i c h t d a r a u f verzichtet w e r d e n k a n n , d a ß a u c h der I n h a l t eine g r a u s a m e oder sonst unmenschliche G e w a l t t ä t i g k e i t b e t r i f f t , vgl. Blei a . a . O . ; u n k l a r Ber. S. 7). e) Grausam oder sonst unmenschlich ist die Schilderung, w e n n sie die Gewaltt ä t i g k e i t e n in allen Einzelheiten „ g e n ü ß l i c h " darstellt (vgl. S t u r m P r o t . V I S. 1872), wobei beide Begriffe sich weitgehend decken. „ G r a u s a m " ist die Schilderung insbesondere d a n n , w e n n die Leiden des Opfers u n d die rohe oder rücksichtslose E i n stellung des T ä t e r s in allen Details dargestellt werden (z.B. genaue Schilderung einer F o l t e r - oder Vergewaltigungsszene). U n t e r d e m Begriff „sonst u n m e n s c h lich" fallen Darstellungen, die — a u c h w e n n d a s Merkmal des Quälens oder Schmerzzufügens fehlt — ebenso bedenklich erscheinen, weil sie eine m e n s c h e n v e r a c h t e n d e u n d rücksichtslose Tendenz z u m A u s d r u c k bringen (z.B. Filme, in d e n e n j e m a n d
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Verbrechen und Vergehen wider die öffentliche Ordnung
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aus roher und unbarmherziger Gesinnung oder einfach deshalb, weil es ihm „ S p a ß " macht, bedenkenlos und kaltblütig Menschen erschießt, vgl. Ber. S. 7; Horstkotte Prot. VI S. 1869). Nicht tatbestandsmäßig ist dagegen die „distanzierte oder verfremdete" Beschreibung eines an sich grausamen und unmenschlichen Vorgangs (vgl. Ber. S. 7). f) Der Anwendungsbereich der Vorschrift wird weiterhin dadurch eingeschränkt, daß durch die Schilderung eine Verherrlichung oder Verharmlosung der Crewalttätigkeit zum Ausdruck kommt. aa) Eine „Verherrlichung" liegt insbesondere dann vor, wenn die Schilderung eine offene oder verdeckte Werbung für Gewalthandlungen zum Ausdruck bringt (vgl. Sturm Prot. VI S. 1872), z.B. dadurch, daß diese als reizvoll oder als besonders geeignete Möglichkeit zur Erlangung von Anerkennung und R u h m oder zur Lösung schwieriger Konfliktsituationen geschildert werden. Teilweise kann insoweit auf die Auslegung des § 1 Abs. 1 S. 2 GjS in den Entscheidungen der Bundesprüfstelle f ü r jugendgefährdende Schriften sowie auf Rspr. und Schrifttum zu dieser Vorschrift zurückgegriffen werden (vgl. Ber. S. 7). bb) Eine „Verharmlosung" liegt vor, wenn die Gefährlichkeit und die unheilvollen Folgen der Gewalt „heruntergespielt werden", z. B. daß dadurch, die Gewalt als akzeptable, jedenfalls nicht verwerfliche Möglichkeit zur Lösung von Konflikten hingestellt wird (vgl. Ber. S. 7). cc) Nicht erfaßt werden dagegen nüchterne Berichterstattung (besonders klargestellt in Abs. 3) sowie solche Darstellungsformen, denen es darauf ankommt, die unheilvollen Auswirkungen der Gewalt mitsamt den zugrundeliegenden Ursachen dem kritischen Bewußtsein des Betrachters (Lesers, Hörers) näherzubringen. dd) Unerheblich ist, ob der Autor der Darstellung mit dieser eine verherrlichende oder verharmlosende Tendenz verfolgte; es genügt, daß diese Tendenz durch die Darstellung „zum Ausdruck k o m m t " . Unerheblich ist schließlich auch, ob die Darstellung im Einzelfall geeignet war, verrohend zu wirken, zu korrumpieren oder ganz allgemein zu aggressivem Verhalten anzureizen. Der Gesetzgeber wollte bewußt vermeiden, daß der Streit über die Wirkung von Gewaltdarstellung in jedem Einzelfall durch die Anhörung von Sachverständigen in den Gerichtssaal getragen wird (vgl. Ber. S. 7). Die exzessiven Gewaltdarstellungen sind vielmehr schon deshalb unter Strafe gestellt worden, weil man des R i s i k o einer brutalisierenden oder rassendiskriminierenden Wirkung ausschalten will. g) Den verherrlichenden und verharmlosenden Gewaltdarstellungen gleichgestellt sind solche, die zum Rassenhaß aufstacheln. Die Vorschrift ergänzt insoweit den Tb. des § 130. 3. Der äußerst weit gefaßte Kreis der Tathandlungen (Herstellen, Verbreiten, öffentlich Ausstellen usw.), die auf ein totales Verbreitungsverbot abzielen (vgl. Ostman von der Leye, Prot. V I I S. 47), entspricht dem des § 184 Abs. 3 und d ü r f t e bei der Auslegung in der Praxis keine Schwierigkeiten bereiten. Hinsichtlich der Ein- und Ausfuhr handelt es sich um sog. Unternehmensdelikte, d . h . der Versuch ist der Vollendung gleichgestellt (vgl. § 46 a). Der Einfuhr gleichzustellen ist die Durchfuhr (vgl. Schleswig N J W 1971, 2319). Über „öffentlich" in Abs. 1 Nr. 2 siehe § 80 Anm. 2, § 111 Anm. 2. 4. Der auf der subj. Tatseite erforderliche Vorsatz muß sich insbesondere auf die als straf bedürftig angesehene Tendenz der Darstellung erstrecken, wobei bedingter Vorsatz genügt. Nicht erforderlich ist dagegen, daß der Täter selbst diese Tendenz verfolgt (vgl. Ber. S. 8). Erkennt der Täter die Tendenz der Darstellung, so kann er sich auch nicht durch „Tricks" entlasten, z.B. dadurch, daß er sich zu Beginn oder am Ende des Werks von den geschilderten Gewalttätigkeiten distanziert oder vor ihnen warnt (vgl. Ber. S. 8).
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§ 133
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5. Unter den Begriff Bundfunk in Abs. 2 fallen sowohl der Tonfunk als auch der Bildfunk. Die besondere Hervorhebung des Rundfunks erschien erforderlich, da sich während der Beratungen Zweifel ergaben, ob auch Live-Sendungen als „Darstellungen" anzusehen sind. Als Täter kommt grundsätzlich nur in Betracht, wer f ü r die Sendung verantwortlich bzw. mitverantwortlich ist, insbesondere also Autor, Produzent und Regisseur. Personen, die allein mit der technischen Vorbereitung und Durchführung einer Sendung befaßt sind, scheiden als Täter aus (vgl. Ber. S. 8), kommen jedoch u.U. als Gehilfen in Betracht. 6. Das Berichterstatterprivileg des Abs. 3 führt bereits nach den Grundsätzen der Sozialadäquanz zum Tatbestandsausschluß. I m übrigen dürfte es in den Fällen der nüchternen Berichterstattung bereits an der verherrlichenden bzw. verharmlosenden Tendenz der Schilderung fehlen. Das Erzieherprivileg des Abs. 4 entspricht der in den §§ 180 Abs. 1 S. 2, 184 Abs. 4 getroffenen Regelung. Einzelheiten s. § 180 Anm. 5 7. IdK. ist möglich mit §§ 130, 184 Abs. 3. Die Strafvorschriften des GjS sind demgegenüber subsidiär.
§ 132 [Amtsanmaßung:] Wer unbefugt sich mit der Ausübung eines öffentlichen Amtes befaßt oder eine Handlung vornimmt, welche nur kraft eines öffentlichen Amtes vorgenommen werden darf, wird mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. 1. Ö f f e n t l i c h e s A m t ist jede h o h e i t l i c h e T ä t i g k e i t im unmittelbaren oder mittelbaren Staatsdienst. Nicht hierher gehören Kirchenämter sowie fiskalische Tätigkeiten (vgl. BGH 12, 30 betr. Einkauf von Waren unter der Vorspiegelung, das Geschäft im Auftrag einer bestimmten Strafanstedt zu tätigen). 2. Die 1. Alternative des Tatbestands ( u n b e f u g t e A u s ü b u n g e i n e s ö f f e n t 1 i c h e n A m t e s) setzt voraus, daß sich der Täter als Inhaber eines öffentlichen Amts ausgibt, das er in Wirklichkeit nicht bekleidet. B e i s p i e l : Agibt sich als Kriminalbeamter aus und nimmt in Ausnutzung des bei den betroffenen Personen entstehenden Irrtums Handlungen vor, die nur von der Polizei vorgenommen werden dürfen, z.B. Durchsuchungen, Beschlagnahmen, Personenkontrollen. 3. Die 2. Alternative des Tatbestands setzt im Gegensatz zur 1. Alternative nicht voraus, daß der Täter sich wahrheitswidrig als Beamter ausgibt. Es genügt, daß er eine Handlung vornimmt, die nur kraft eines öffentlichen Amtes vorgenommen werden darf. B e i s p i e l e : Ein Privatdetektiv nimmt eine Personenkontrolle vor. — O d e r : Ein Straßenwart kassiert wegen falschen Parkens 5,— DM als Verwarnungsgeld. 4. In beiden Alternativen kann auch ein B e a m t e r als Täter in Betracht kommen, nämlich dann, wenn er sich Befugnisse anmaßt, die ihm nicht zustehen. 5. N i c h t hierher gehört der A m t s m i ß b r a u c h eines Beamten, d.h. wenn ein Beamter im Rahmen seiner Zuständigkeit eine unzulässige oder sachwidrige Entscheidung trifft. 6. N i c h t hierher gehört ferner der Fall, daß jemand zwar als Beamter auftritt, aber k e i n e A m t s h a n d l u n g vornimmt, zumindest keine solche hoheitlicher Art (vgl. BGH 12, 30; GA 1967, 114). In solchen Fällen kommt je nach Sachlage § 132 a oder ein Verstoß gegen das Gesetz über Titel, Orden und Ehrenzeichen in Betracht. 7. Subjektiv ist V o r s a t z erforderlich. 8. IdK. kommt in Betracht mit §§ 132a, 242, 253, 263.
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§ 132 a
§ 132 a
[ U n b e f u g t e s F ü h r e n von T i t e l n u n d Tragren von Uniformen]
(1) Wer unbefugt 1. inländische oder ausländische Amts- oder Dienstbezeichnungen, Titel oder Würden führt, 2. inländische oder ausländische Uniformen, Amtskleidungen oder Amtsabzeichen trägt oder 3. eine Berufstracht oder ein Berufsabzeichen für Betätigung in der Krankenoder Wohlfahrtspflege trägt, die im Inland staatlich anerkannt oder genehmigt sind, wird mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr und mit Geldstrafe oder mit einer dieser Strafen bestraft. (2) Den in Absatz 1 Nr. 1 bis 3 genannten Bezeichnungen, Titeln, Würden, Uniformen, Kleidungen, Trachten oder Abzeichen stehen solche gleich, die ihnen zum Verwechseln ähnlich sind. (3) Die Vorschriften der Absätze 1 und 2 gelten auch für Amtsbezeichnungen, Titel, Würden, Amtskleidungen und Amtsabzeichen der Religionsgesellschaften des öffentlichen Rechts sowie für Berufstrachten und Berufsabzeichen der von ihnen anerkannten religiösen Vereinigungen oder religiösen Genossenschaften. (4) Gegenstände, auf die sich eine Straftat nach Abs. 1 Nr. 2 oder 3, allein oder in Verbindung mit Abs. 2 oder 3 bezieht, können eingezogen werden. I. Abs. 1 Kr. 1 schützt Amts- und Dienstbezeichnungen, Titel und Würden. 1. Zu den A m t s - u n d D i e n s t b e z e i c h n u n g e n gehören vor allem die mit einem bestimmten Amt verbundenen Bezeichnungen wie Richter am Amtsgericht, Staatsanwalt, Amtsanwalt, Regierungsrat, Forstrat, Studienrat, Polizeikommissar, Gerichtsvollzieher, ferner Berufabezeichnungen von Berufen, die mit öffentlichrechtlichen Befugnissen verbunden sind, z . B . Prüfstatiker, Fleischbeschauer, Rechtsbeistand, Rechtsanwalt, n i c h t j e d o c h s o n s t i g e B e r u f s b e z e i c h n u n g e n wie Fabrikant, Direktor, Student, Jurist, Chemiker, Gastwirt, Großhändler usw.
2. Verschiedene B e r u f s b e z e i c h n u n g e n , die nicht zu den in § 132a geschützten Amts- und Dienstbezeichnungen gehören, sind durch S o n d e r b e s t i m m u n g e n außerhalb des StGB geschützt. Hierbei sind zu beachten: a) für den M e i s t e r t i t e l im Handwerk die §§ 51,117 Abs. 1 Nr. 3 HandwerksO; b) für Ä r z t e § 13 Nr. 1 BundesärzteO idF. v. 4.2.1970 (BGBl I. 237); c) für Z a h n ä r z t e § 18 Nr. 2 Ges. üb. d. Ausübung der Zahnheilkunde vom 31. 3. 1952 (BGBl. I 221, 251); d) für H e i l p r a k t i k e r § 1 Abs. 3 HeilpraktikerG vom 17. 2.1939 (RGBl. I 251); e) für m e d i z i n i s c h - t e c h n i s c h e A s s i s t e n t e n § 12 Ges. v. 8.9.1971 ( B G B l . I 1515); für M a s s e u r e und K r a n k e n g y m n a s t e n § 14 Ges. v. 21. 12. 1958 (BGBl. I 985); f) für A r c h i t e k t e n landesrechtliche Bestimmungen, z . B . § 2 des Bad.-Württemb. ArchitektenG. vom 5. 12. 1955 (GBl. 265); g) für A p o t h e k e r § 13 Nr. 1 BApothO vom 5. 6. 1968 (BGBl. I 601); h) für W i r t s c h a f t s p r ü f e r § 133 Ges. vom 24. 7. 1961 (BGBl. I 1049); i) für pharmazeutisch-technische Assistenten § 10 des Ges. v. 18. 3. 1968 (Ordnungswidrigkeit). k) Die Berufsbezeichnung I n g e n i e u r ist nur noch nach Landesrecht geschützt, nachdem das BVerfG § 8 IngenieurG v. 7. 7. 1965 (BGBl. I 601) für verfassungswidrig erklärt hat (vgl. BGBl. 1969 I 1444).
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Strafgesetzbuch
3. Zu den geschützten T i t e l n gehören nicht nur die bereits erwähnten Amtsund Dienstbezeichnungen, sondern vor allem die n i c h t m i t e i n e m A m t v e r b u n d e n e n E h r e n t i t e l wie Sanitätsrat, Pharmazierat, Professor. Siehe hierzu auch das Ges. üb. Titel, Orden und Ehrenzeichen vom 26. 7. 1957 (BGBl. I 844). 4. Die unbefugte Führimg eines a k a d e m i s c h e n G r a d e s ist nicht nach § 132a, sondern nach § 5 Abs. l a des Ges. üb. d. F ü h r u n g akad. Grade vom 7. 6. 1939 (RGBl. I 985) zu bestrafen (vgl. BGH 9, 4 2 ; N J W 1960, 1308), das als Landesrecht nach wie vor gültig ist (vgl. BVerwG MDR 1960, 1038). 5. Zu den geschützten W ü r d e n gehören z.B. die Würde eines Ehrenbürgers einer Gemeinde sowie die Würde eines Ehrensenators einer Universität. 6. Die T a t h a n d l u n g besteht im unbefugten „ F ü h r e n " der Amtsbezeichnimg usw. Eine Amtsbezeichnung usw. führt, wer sie f ü r sich in Anspruch nimmt. Nicht ausreichend ist die bloße Duldung der Anrede durch andere (vgl. RG 33, 305). Da die Vorschrift in erster Linie dem Schutz der Allgemeinheit dient (h.L., vgl. Schönke-Schröder R n . 1), ist der Gebrauch einer dem Täter nicht zustehenden Amts- oder Dienstbezeichnimg im p r i v a t e n B e r e i c h nur dann tatbestandsmäßig, wenn er in einer Weise erfolgt, die nach Art und Intensität die Interessen der Allgemeinheit berührt (vgl.Stgt N J W 1969,1777; Blei J A 1969, StR S. 231). Einmaliger und vorübergehender Gebrauch genügen deshalb n u r dann, wenn dadurch bei einer Mehrzahl von Personen die Vorstellung hervorgerufen werden soll, dem Täter stehe die Dienstbezeichnung zu. Hieran fehlt es z.B., wenn sich jemand im rein privaten Bereich einer Bekannten, u m dieser zu imponieren, als Major der Bundeswehr ausgibt, obwohl er in Wirklichkeit nur Feldwebel ist (vgl. Stgt a.a.O.). II. Abs. 1 Nr. 2 schützt Uniformen, Amtskleidungen und Amtsabzeichen. 1. Zu den U n i f o r m e n gehören vor allem die Uniformen der Polizei, der Bundeswehr und des Bundesgrenzschutzes, aber auch die Dienstkleidungen von Zoll, Bundesbahn, Bundespost und Feuerwehr. Einheitliche Berufskleidungen sonstiger Berufe (Taxifahrer, Dienstmänner) sind nur dann geschützt, wenn sie durch polizeiliche Vorschriften geregelt sind. 2. Zu den A m t s k l e i d u n g e n gehören vor allem die Roben und Barette der Richter, Staatsanwälte, Rechtsanwälte und Hochschullehrer. Auch hier ist erforderlich, daß die Kleidung durch öffentlich-rechtliche Bestimmungen geregelt ist. 3. A m t s a b z e i c h e n sind Zeichen, die, ohne zur Uniform oder Amtstracht zu gehören, den Träger a b Inhaber eines bestimmten Amts kenntlich machen, z.B. die Armbinden von Hilfspolizisten oder Luftschutzwarten. III. Abs. 1 Nr. 3 schützt die Berufstrachten und Berufsabzeichen von anerkannten Organisationen, die in der Kranken- oder Wohlfahrtspflege tätig sind, z . B . die Berufstrachten des Roten Kreuzes und der Diakonissen. IV. Nach Abs. 2 erstreckt sich das Verbot auch auf solche Kleidungen, Trachten und Abzeichen, die den in Abs. 1 geschützten zum Verwechseln ähnlich sind. Hierbei ist ein o b j e k t i v e r M a ß s t a b anzulegen. So sind eine Skimütze und ein Regenmantel bei objektiver Betrachtungsweise den Uniformen des Zolldienstes auch dann nicht zum Verwechseln ähnlich, wenn sie in der Dunkelheit tatsächlich f ü r Uniformen gehalten werden (vgl. BGH N J W 1953, 753). V. Nach Abs. 3 erstreckt sich der Schutz der Vorschrift auch auf Amtsbezeichnungen, Titel, Würden, Amtskleidungen und Amtszeichen von Religionsgesellschaften (z.B. Talar eines Geistlichen) sowie auf Berufstrachten und Berufsabzeichen der von ihnen anerkannten religiösen Genossenschaften (z.B.Ordenstracht eines Mönchs oder einer Ordensschwester). 318
Verbrechen und Vergehen wider die öffentliche Ordnung
§
133
VI. Rechtswidrig ist die Tat nur, wenn bei einer Mehrzahl von Personen der Anschein erweckt wird, daß der Träger der Dienstkleidung usw. einem bestimmten Beruf usw. angehört (vgl. Stgt N J W 1969, 1777 sowie oben Anm. X 6). Hierauf muß sich auch der Vorsatz erstrecken (bedingter Vorsatz genügt, vgl. R G 6 1 , 9 ; BayObLG GA 1961, 152). Die Rechtswidrigkeit entfällt daher, wenn eine Verwechslungsgefahr nicht besteht, insbesondere wenn der Träger offensichtlich nur einen „Spaß" macht, z.B. als Schauspieler auf der Bühne oder bei Faschingsveranstaltungen (vgl. R G 61, 8; Schönke-Schröder 12; Welzel 513; teilweise a.A. Mösl L K 16). VII. Der durch das EGOWiG 1968 neu eingeführte Abs. 4 gibt die Möglichkeit, die Gegenstände, auf die sich die Tat bezieht (Uniformen, Amtskleidungen, Amtsabzeichen, Berufstrachten und Berufsabzeichen) einzuziehen. Nach der bisherigen Rechtslage war dies zweifelhaft, weil die sog. Beziehungsgegenstände nicht ohne weiteres als „Tatwerkzeuge" angesehen werden können. Da ein Hinweis auf § 40 a fehlt, ist die Einziehung täterfremder Gegenstände (z. B. Uniformen, die im Eigentum eines Kostümverleihers stehen) nur unter den Voraussetzungen des § 40 Abs. 2 Nr. 2 zulässig. § 133
[Gewahrsamsbruch]
(1) Wer eine Urkunde, ein Register, Akten oder einen sonstigen Gegenstand, welche sich zur amtlichen Aufbewahrung a n einem dazu bestimmten Orte befinden, oder welche einem Beamten oder einem Dritten amtlich übergeben worden sind, vorsätzlich vernichtet, beiseite schafft oder beschädigt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu f ü n f Jahren bestraft. (2) Ist die Handlung in gewinnsüchtiger Absicht begangen, so tritt Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren ein. 1. Tatobjekt können a l l e G e g e n s t ä n d e sein, die sich in amtlicher Auf bewahrung befinden oder einem Beamten amtlich übergeben worden sind. N i c h t hierher gehören Gegenstände des allgemeinen A m t s b e s i t z e s , insbesondere Sachen, die einer Behörde zum Gebrauch oder Verbrauch zugewiesen sind, z.B. Brennstoffe, Formulare, Schreibmaterial, aber auch Geld in einer öffentlichen Kasse, das zur Auszahlung bestimmt ist (vgl. B G H 18, 312). Hier kommt nur Diebstahl oder Unterschlagung in Betracht. 2. Die Tathandlung besteht im Vernichten, Beschädigen oder Beiseiteschaffen. a) Vernichtet ist eine Sache, wenn sie a u f h ö r t zu bestehen. z.B. Verbrennen von Akten. b) Als Beschädigen genügt jede Handlung, durch die die Brauchbarkeit der Sache beeinträchtigt wird, und zwar ohne Rücksicht darauf, ob dies mit einer Verletzung oder Veränderung der Substanz verbunden ist. B e i s p i e l e : Der Tatbestand ist erfüllt, wenn jemand an einer Urkunde Radierungen oder Streichungen vornimmt und dadurch den Inhalt der Urkunde verändert. — Der Tatbestand ist dagegen nicht erfüllt, wenn jemand in einer Gerichtsakte Notizen macht oder den unbeschriebenen Teil eines Schriftsatzes herausreißt, um diesen zu Notizen oder als Lesezeichen zu verwenden, oder wenn jemand aus alten, abgelegten Akten interessante Briefmarken ablöst. c) Beiseitegeschafft ist ein Gegenstand, wenn er von der Stelle entfernt wird, an der er sich zur amtlichen Verwahrung befand. Auch eine n u r v o r ü b e r g e h e n d e Entfernung kann genügen, z.B. wenn ein Anwalt, dem nach dem Stand des Ermittlungsverfahrens noch keine Akteneinsicht gewährt werden kann, die Akten heimlich f ü r ein paar Stunden entwendet, um sie einzusehen oder zu fotokopieren. Nicht erforderlich ist ferner, daß die Sache aus den Amtsräumen entfernt wird. Der
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§§ 134—136
Strafgesetzbach
Tatbestand wäre daher in dem zuletzt gebrachten Beispiel selbst dann erfüllt, wenn der Anwalt die in der Geschäftsstelle der Staatsanwaltschaft verwahrten Akten nur auf das im selben Gebäude gelegene Anwaltszimmer nimmt. Der Tatbestand kann schließlich auch dadurch verwirklicht werden, daß ein Beamter oder Angestellter einen bei seiner Behörde eingehenden Schriftsatz absichtlich falsch einordnet, so daß er nicht mehr rechtzeitig verwertet werden kann. 3. Täter kann j e d e r sein, a u c h d e r B e a m t e s e l b s t , der die Sachen in amtlicher Verwahrung hat oder dem sie amtlich übergeben wurden (vgl. BGH 5, 155). Eine A u s n a h m e hiervon ist nur dann zu machen, wenn es im Ermessen des Beamten steht, ob er die Sache weiter in amtlichem Gewahrsam halten oder freigeben soll, und wenn er sie dann — wenngleich pflichtwidrig— an den berechtigten Empfänger freigibt (vgl. BGH a.a.O. 161). B e i s p i e l : Der Polizeibeamte A beschlagnahmt den Führerschein des Kraftfahrers X unter dem Verdacht der Trunkenheit am Steuer. Als X jammert, läßt A sich schließlich erweichen und gibt den Führerschein wieder zurück. Hier käme zwar eine Strafbarkeit wegen Begünstigung im Amt (§ 346), aber kein Gewahrsamsbruch in Betracht. Anders wäre nur dann zu entscheiden, wenn bereits ein richterlicher Beschlagnahmebeschluß vorgelegen hätte. In diesem Fall hätte A schon formell keinen Ermessensspielraum gehabt. 4. Zu Abs. 2: Gewinnsüchtige Absicht ist nur dann gegeben, wenn die Handlung auf einer u n g e w ö h n l i c h e n , s i t t l i c h b e s o n d e r s a n s t ö ß i g e n S t e i g e r u n g d e s E r w e r b s s i n n s beruht (BGH 1, 388). Siehe auch § 27a. 5. IdK. ist möglich mit §§ 242, 246, 350, 370 Abs. 1 Nr. 5, ferner mit §§ 136, 137, 267, 274 Nr. 1, 303. — § 348 Abs. 2 geht gegenüber § 133 Abs. 1 vor, nicht jedoch gegenüber § 133 Abs. 2 (BGH 9, 4).
§ 134 [Beschädigung: amtlicher Bekanntmachungen] Wer öffentlich angeschlagene Bekanntmachungen, Verordnungen, Befehle oder Anzeigen von Behörden oder Beamten böswillig abreißt, beschädigt oder verunstaltet, wird mit Geldstrafe oder mit Freiheitsstrafe bis zu sechs Monaten bestraft. Subjektiv ist neben dem Vorsatz B ö s w i l l i g k e i t erforderlich. Böswillig ist mehr als mutwillig und setzt regelmäßig eine feindselige Haltung voraus. §§ 134a—135
[aufgehoben]
§136 [Siegelbrach] Wer unbefugt ein amtliches Siegel, welches von einer Behörde oder einem Beamten angelegt ist, u m Sachen zu verschließen, zu bezeichnen oder in Beschlag zu nehmen, vorsätzlich erbricht, ablöst oder beschädigt oder den durch ein solches Siegel bewirkten amtlichen Verschluß aufhebt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu sechs Monaten oder mit Geldstrafe bestraft. 1. B e i s p i e l e : Ablösen oder Überkleben (vgl. Köln N J W 1968, 2116) der vom Gerichtsvollzieher an der Pfandsache angebrachten Siegelmarke. — O d e r : Aufbrechen eines von der BundesbahnVerwaltung mit einer Plombe versehenen Waggons. — O d e r : Betreten einer Trinkhalle, die amtlich geschlossen und mit einem Sperrschild versehen ist (Ffm N J W 1959, 1288; Mösl LK 7; a.A. SchönkeSchröder 7). — O d e r : Öffnen eines von der Staatsanwaltschaft verschlossenen und mit einem Dienstsiegel versehenen Briefumschlags mit Beweismitteln. — O d e r : Fortführung der Bauarbeiten, obwohl die Baubehörde die Einstellung der Bau-
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Verbrechen und Vergehen wider die öffentliche Ordnung
§
137
arbeiten verfügt und die Versiegelungsverfügung an der Baubude hat anheften lassen (Köln MDR 1971, 67; Mösl LK 7). 2. U n e r h e b l i c h ist, ob die amtliche Maßnahme sachlich gerechtfertigt oder gar geboten war. G e s c h ü t z t e s R e c h t s g u t ist die durch die amtliche Versiegelung in Erscheinung getretene s t a a t l i c h e A u t o r i t ä t . 3. Subjektiv ist V o r s a t z erforderlich. Bedingter Vorsatz genügt. Der Vorsatz fehlt, wenn der Täter irrig annimmt, die Beschlagnahme sei hinfällig geworden, z.B. wenn ein Schuldner glaubt, mit der Befriedigung des Gläubigers sei auch die vom Gerichtsvollzieher vorgenommene Pfändung gegenstandslos geworden. 4. IdK. ist möglich mit §§ 133, 137, 303, 304. § 13? [Terstrickniigrsbriicli] Wer Sachen, welche durch die zuständigen Behörden oder Beamten gepfändet oder in Beschlag genommen worden sind, vorsätzlich beiseite schafft, zerstört oder in anderer Weise der Verstrickung ganz oder teilweise entzieht, wird mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe bestraft. 1. Als Tatobjekte kommen alle Sachen in Betracht, die durch die zuständigen Behörden oder Beamten gepfändet oder in Beschlag genommen worden sind. a) Zu den S a c h e n gehören auch Bestandteile eines Grundstücks, z.B. Gebäude, nicht abgeerntete Früchte, Bäume, Maschinen usw. b) Die Pfändung bzw. Beschlagnahme muß von einem ö r t l i c h u n d s a c h l i c h z u s t ä n d i g e n B e a m t e n vorgenommen worden sein, und zwar unter E i n h a l t u n g d e r w e s e n t l i c h e n F o r m v o r s c h r i f t e n . So liegt eine ordnungsgemäße Pfändung nur dann vor, wenn der Gerichtsvollzieher die Sache in Besitz nimmt oder, wenn er sie im Gewahrsam des Schuldners beläßt, mit einem Siegel versieht (vgl. § 808 ZPO). Fällt das Siegel nachträglich ab, so bleibt die Pfändung hierdurch unberührt (vgl. Hamm N J W 1956, 1889). Nicht erforderlich ist, daß das Pfandsiegel sofort ins Auge fällt. Es genügt, wenn es bei Anwendung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt von Dritten erkannt werden kann, z.B. im Innern eines P K W neben der Tür (vgl. Oldenburg J R 1954, 33). c) Die öffentlich-rechtliche Verstrickung wird nicht dadurch berührt, daß sie m a t e r i e l l - r e c h t l i c h n i c h t g e r e c h t f e r t i g t i s t . Es gelten hier dieselben Grundsätze wie für die Rechtmäßigkeit der Amtsausübung in § 113 (siehe dort Anm.II). Eine ordnungsgemäße Pfändung kann daher auch dann vorliegen, wenn der Gerichtsvollzieher eine gemäß § 811 ZPO unpfändbare Sache pfändet oder wenn er eine Sache pfändet, die dem Schuldner nicht gehört, oder wenn er eine Pfändung vornimmt, obwohl der Schuldner inzwischen die Forderung beglichen hat. Der Schuldner darf in diesen Fällen weder Widerstand leisten noch die Siegelmarke entfernen noch eine der in § 137 unter Strafe gestellten Handlungen vornehmen. Es bleibt ihm oder dem sonst durch die Pfändung zu Unrecht Betroffenen nichts anderes übrig, als die gesetzlich vorgesehenen Rechtsmittel oder Rechtsbehelfe zu ergreifen (vgl. §§ 766, 767, 771 ZPO). 2. Die Tathandlung besteht darin, daß der Täter die verstrickte Sache beiseiteschafft, zerstört oder in anderer Weise ganz oder teilweise der Verstrickung entzieht. a) Wegen B e i s e i t e s c h a f f e n siehe § 133 Anm. 2c. — B e i s p i e l e : Der Schuldner verkauft die gepfändete Sache unter gleichzeitiger Übergabe an den Käufer. — O d e r : Er nimmt sie beim Umzug mit, ohne den Gläubiger zu verständigen. b) Wegen Z e r s t ö r e n siehe § 133 Anm. 2a. 21
Petters-Preisendanz, StGB, 28. Aufl.
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§ 138
Strafgesetzbuch
c) Eine V e r s t r i c k u n g s e n t z i e h u n g i n a n d e r e r W e i s e liegt vor, wenn die Verfügungsgewalt der Behörde ganz oder teilweise, dauernd oder vorübergehend aufgehoben wird, z.B. durch Täuschung über den Verbleib oder durch Austausch mit einer anderen, minderwertigeren Sache, n i c h t dagegen durch Verkauf der Sache ohne gleichzeitige Besitzübertragimg (vgl. H a m m N J W 1956, 1889). 3. Täter kann jeder sein, vor allem der E i g e n t ü m e r der Sache, aber auch der B e a m t e , der die gepfändete oder beschlagnahmte Sache in seinem Besitz hat. Anders nur dann, wenn es im Ermessen des Beamten steht, ob er die Sache weiter in Beschlag halten soll (vgl. § 133 Anm. 3 sowie BGH ö, 156ff.). 4. Subjektiv ist Vorsatz erforderlich. Hierzu genügt, daß der Täter weiß oder billigend in Kauf nimmt, daß die Sache von einem zuständigen Beamten in Beschlag genommen worden ist. Auf die Rechtmäßigkeit der Beschlagnahme muß sich der Vorsatz dagegen nicht erstrecken. Nimmt der Täter irrig an, die Verstrickung sei materiell-rechtlich unwirksam oder durch die zwischenzeitlich erfolgte Befriedigung des Gläubigers gegenstandslos geworden, so befindet er sich nicht in einem Tatbestands-, sondern in einem Verbotsirrtum (vgl. Dreher 4, Welzel 516; a.A. Schönke-Schröder 14 und Lackner-Maassen 5, wonach es sich u m einen Tb.Irrtum handeln soll). 5. IdK. ist möglich mit §§ 133, 136, 242, 246, 263, 288.
§ 1 3 8 [Xichtanzeiffc von Verbrechen] (1) Wer von dem Vorhaben oder der Ausführung eines Friedensverrats nach § 80, eines Hochverrats nach den §§ 81 bis 83 Abs. 1, eines Landesverrats oder einer Gefährdung der äußeren Sicherheit nach den §§ 94 bis 96, 97a, 100, eines Mordes, eines Totschlags, eines Münzverbrechens, eines Rauhes, einer räuberischen Erpressung, eines Verbrechens gegen die persönliche Freiheit nach den §§ 234, 234 a, 239a, 239b, eines Menschenhandels nach § 181 Nr. 2 oder eines gemeingefährlichen Verbrechens zu einer Zeit, zu der die Ausführung oder der Erfolg noch abgewendet werden kann, glaubhaft erfährt und es unterläßt, der Behörde oder dem Bedrohten rechtzeitig Anzeige zu machen, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren bestraft. (2) In besonders schweren Fällen ist die Strafe Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu fünf Jahren. (3) Wer die Anzeige leichtfertig unterläßt, obwohl er von dem verbrecherischen Vorhaben glaubhaft erfahren hat, wird mit Freiheitsstrafe bis z u einem Jahre oder mit Geldstrafe bestraft. 1. Nur bevorstehende Verbrechen unterliegen der Anzeigepflicht des § 138. Unerheblich ist, ob das Verbrechen tatsächlich begangen wird. (Siehe jedoch § 139 Abs. 1.) Die unterlassene Anzeige bereits b e g a n g e n e r V e r b r e c h e n kann sich unter Umständen als Begünstigung darstellen (vgl. § 257 Anm. 6c). Nicht alle Verbrechen unterliegen der Anzeigepflicht, sondern nur die in § 138 ausdrücklich erwähnten. 2. Als Täter kommt j e d e r in Betracht, der glaubhaft von dem geplanten Verbrechen Kenntnis erlangt. A u s g e n o m m e n sind Personen, die selbst als Täter oder Teilnehmer der geplanten T a t in Betracht kommen. Es wäre abwegig, auch diese Personen in den Kreis der Anzeigepflichtigen einzubeziehen. Anzeigepflichtig ist somit nur, wer mit der geplanten Tat selbst nichts zu tun hat (vgl. BGH 19, 167 m. Anm. Schröder J R 1964, 227, Schönke-Schröder Rn. 14£f.). Wegen weiterer Ausnahmen siehe § 139 Abs. 2 und 3.
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Verbrechen und Vergehen wider die öffentliche Ordnung
§
139
3. Zum Umfang der Anzeigepflicht: a) Die Pflicht zur Anzeige b e g i n n t , sobald jemand g l a u b h a f t von einem geplanten Verbrechen Kenntnis erlangt. Ein Gerücht, an das m a n selbst nicht glaubt, verpflichtet noch nicht zur Anzeige. Keine Pflicht zur Anzeige besteht auch dann, wenn das geplante Verbrechen überhaupt nicht ausführbar ist. b) Die Pflicht zur Anzeige e n t f ä l l t , wenn Ausführung oder Erfolg des Verbrechens ohnehin nicht mehr abgewendet werden können. c) Wer r e c h t z e i t i g von einem geplanten Verbrechen Kenntnis erlangt, m u ß auch rechtzeitig Anzeige erstatten. d) Die Anzeige ist entweder der Behörde oder dem B e d r o h t e n gegenüber zu erstatten. 4. Der s u b j e k t i v e T a t b e s t a n d erfordert Vorsatz. Der Anzeigepflichtige muß wissen, mindestens aber f ü r möglich halten, daß ein bestimmtes Verbrechen geplant ist. E r muß weiter wissen, daß er noch die Möglichkeit hat, den Bedrohten oder die Polizei in Kenntnis zu setzen. 5. Nach Abs. 3 macht sich strafbar, wer die Anzeige leichtfertig, d.h. grol> f a h r l ä s s i g unterläßt, obwohl er von dem Verbrechen glaubhaft erfahren h a t . Leichtfertig handelt vor allem, wer ohne vernünftigen Grund zu lange mit der Anzeige zögert oder wer, ohne sich überhaupt zu bemühen, eine Anzeige f ü r zwecklos betrachtet. 6. Ein Irrtum über die Pflicht zur Anzeige ist nach den Grundsätzen des Verbotsirrtums zu behandeln (BGH 19, 296). Wegen der rechtlichen Behandlung des Verbotsirrtums siehe Vorbem. AT, Abschn. B V I I 2c, S. 26f.
§ 1 3 9
[Ausnahmen]
(1) Ist i n den Fällen des § 138 die Tat nicht versucht worden, so kann von Strafe abgesehen werden. (2) Ein Geistlicher ist nicht verpflichtet anzuzeigen, was i h m in seiner Eigenschaft als Seelsorger anvertraut worden ist. (3) Wer eine Anzeige unterläßt, die er gegen einen Angehörigen (§ 52) erstatten müßte, ist straffrei, wenn er sich ernstlich bemüht hat, ihn von der Tat abzuhalten oder den Erfolg abzuwenden, es sei denn, daß es sich u m einen Mord oder Totschlag handelt. Unter denselben Voraussetzungen ist ein Rechtsanwalt, Verteidiger oder Arzt nicht verpflichtet anzuzeigen, was i h m in dieser Eigenschaft anvertraut worden ist. (4) Straffrei ist, wer die Ausführung oder den Erfolg der Tat anders als durch Anzeige abwendet. Unterbleibt die Ausführung oder der Erfolg der Tat ohne Zutun des zur Anzeige Verpflichteten, so genügt zu seiner Straflosigkeit sein ernstliches Bemühen, den Erfolg abzuwenden. 1. Abs. 1 gibt die Möglichkeit, von Strafe abzusehen, wenn die Tat nicht ins Versuchsstadium getreten ist. E s handelt sich hier um einen f a k u l t a t i v e n S t r a f a u s s c h l i e ß u n g s g r u n d , für den prozessual § 153a StPO zu beachten ist (siehe auch Vorbem. AT, Abschn. D, S. 43ff.). 2. K e i n e A n z e i g e p f l i c h t besteht f ü r Geistliche im Rahmen ihrer seelsorgerischen Tätigkeit (Abs. 2), ferner f ü r Arzte, Rechtsanwälte und Verteidiger, sofern es sich nicht u m Mord oder Totschlag handelt und sofern sie sich ernstlich bemüht haben, den Täter von der geplanten Tat abzuhalten oder den Erfolg abzuwenden (Abs. 3 Satz 2). Die hier genannten Personen scheiden bereits tatbestandsmäßig aus dem Kreis der Täter aus (vgl. Schönke-Schröder § 139 R n . 2 f.; str.). 21'
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§§ 140— 143
Strafgesetzbuch
3. Angehörige der Täter und Teilnehmer an der geplanten Tat sind im Gegensatz zu den unter 2) genannten Personen an sich anzeigepflichtig, aber e n t s c h u l d i g t , wenn sie sich ernstlich bemühen, die Tat zu verhindern, und wenn es sich nicht um Mord oder Totschlag handelt (vgl. Abs. 3 Satz 1). 4. Eine weitere privilegierende Sonderregelung enthält § 139 Abs. 4 für den Fall, daß der Anzeigepflichtige die Tat selbst verhindert. B e i s p i e l : A bittet seinen Freund F um Gift, um damit seine Frau umzubringen. F verhindert die Tat dadurch, daß er A ein absolut harmloses Pulver gibt. — O d e r : A erfährt von einem Sprengstoffanschlag. Da er die in Frage kommenden Täter kennt, aber nicht anzeigen will, entfernt oder vernichtet er einfach den Sprengkörper. — Die R e c h t s n a t u r der Vorschrift ist umstritten. Während die h.L. in ihr einen persönlichen Strafaufhebungsgrund sieht (vgl. Lackner-Maassen 3, Welzel 518), entfällt nach Schönke - Schröder (Rn. 6) bereits die Tatbestandsmäßigkeit. Dieser Ansicht ist der Vorzug zu geben, da die Abwendung des drohenden Verbrechens als gleichwertige Alternative zur Anzeige behandelt werden muß. Die Bedeutung des Unterschieds zwischen beiden Auffassungen zeigt sich vor allem auf dem Gebiet der Teilnahme. Die in Abs. 4 Satz 2 getroffene Regelung entspricht § 49 a Abs. 4 sowie einigen Sondervorschriften des Besonderen Teils, z.B. den §§ 83a Abs. 3, 129 Abs. 6, 239a Abs. 3 S. 2 und 316a Abs. 2 S. 2. § 140
[Öffentliche Itilligrimg: v o n V e r b r e c h e n ]
(1) Wer eine der in § 138 Abs. 1 genannten mit Strafe bedrohten Handlangen belohnt oder öffentlich billigt, nachdem sie begangen oder ihre Begehung versucht worden ist, wird, soweit nicht in anderen Vorschriften eine schwerere Strafe angedroht ist, mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren bestraft. Daneben kann auf Geldstrafe erkannt werden. (2) In besonders schweren Fällen beträgt die Freiheitsstrafe mindestens ein Jahr und höchstens fünf Jahre. 1. Nur die ö f f e n t l i c h e Belohnung oder Billigung bestimmter Kapitalverbrechen ist strafbar. Wegen öffentlich siehe § 80 Anm. 2a. B i l l i g e n bedeutet „gutheißen" (BGH 22, 282, 286). Um nicht jede entfernte Form des Beifalls bereits als tatbestandsmäßige Handlung erfassen zu müssen, ist eine einschränkende Auslegung erforderlich. Der Tb. ist nur dann erfüllt, wenn der Täter in klarer, eindeutiger Form bestimmte konkrete Straftaten gutheißt, z.B. das Attentat auf einen bestimmten Politiker. Nicht ausreichend ist deshalb ein allgemeines Bekenntnis zu einem „politischen Widerstandsrecht" und zur angeblichen Rechtmäßigkeit tatsächlich geleisteten Widerstands, sofern nicht gleichzeitig bestimmte Straftaten ausdrücklich gebilligt werden (BGH a.a.O. 288). 2. Zu beachten ist die S u b s i d i a r i t ä t s k l a u s e l . § 130 geht vor. § 1 4 1 [aufgehoben] Siehe jetzt § 109h. § 143 [TerketirsunfaUflucht] (1) Wer sich nach einem Verkehrsunfall der Feststellung seiner Person, seines Fahrzeugs oder der Art seiner Beteiligung an dem Unfall vorsätzlich durch Flucht entzieht, obwohl nach den Umständen in Frage kommt, daß sein Verhalten zur Verursachung des Unfalls beigetragen hat, wird mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren und mit Geldstrafe oder mit einer dieser Strafen bestraft. (2) Der Versuch ist strafbar.
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Verbrechen und Vergehen wider die öffentliche Ordnung
§ 143
( 3 ) In besonders schweren Fällen ist die Strafe Freiheitsstrafe nicht unter sechs Monaten. 1. Vorbemerkung. Es ist heute allgemein anerkannt, daß der Gesetzeszweck der Vorschrift nicht darin besteht, der Polizei eine umfassende Verfolgung aller mit einem Unfall verbundenen Verkehrsdelikte zu ermöglichen. Die Vorschrift dient vielmehr ausschließlich dem Schutz der Unfallbeteiligten (BGH 8, 263; 12, 253; BVerfG VerkMitt. 1963, 77; BayObLG NJW 1970, 717). Jeder Unfallbeteiligte hat ein berechtigtes Interesse daran, daß die durch den Unfall entstandenen Schäden ordnungsgemäß geklärt und der materiellen Rechtslage entsprechend reguliert werden. Dieses Interesse kann grundsätzlich nur dadurch gewahrt werden, daß sämtliche Unfallbeteiligten sich an Ort und Stelle auseinandersetzen und für den Fall, daß eine sofortige Einigung nicht erreicht werden kann, die Polizei hinzuziehen. Wegen der Möglichkeit von Ausnahmen siehe unten Anm. 6. Über Gesetzesgeschichte und Reformbestrebungen siehe Lackner DAR 1972, 263 sowie Spiegel DAR 1972, 291, vor allem aber den kritischen Aufsatz von Händel DAR 1973, 60. 2. Als Verkehrsunfall gilt jedes Ereignis im Straßenverkehr, durch das ein Mensch getötet oder verletzt wurde oder das zu einer nicht völlig belanglosen Sachbeschädigung geführt hat (vgl. BGH 8, 263f.; 24, 382f.). Im einzelnen: a) Ein Sachschaden begründet nur dann wegen G e r i n g f ü g i g k e i t keine Wartepflicht, wenn die durch ihn wirklich oder möglicherweise entstandenen Rechtsbeziehungen so unbedeutend sind, daß Ersatzansprüche üblicherweise nicht geltend gemacht werden. Schäden über 10,— DM können im allgemeinen nicht mehr als b e l a n g l o s angesehen werden (vgl. BayObLG NJW 1970, 717; Hamm N J W 1971, 1470; a.A. Ddf VerkMitt. 1972 Nr. 29: angesichts der fortschreitenden Geldentwertung und der sich hieraus ergebenden Verteuerung der Kfz-Reparaturen muß die Mindestschadenshöhe über 10,— DM liegen; zw.). b) Ob der Unfall v e r s c h u l d e t wurde, ist u n e r h e b l i c h . Ein Verkehrsunfall i.S. der Vorschrift liegt selbst dann vor, wenn sich jemand in erkennbar s e l b s t m ö r d e r i s c h e r A b s i c h t vor die Räder eines herannahenden Fahrzeugs wirft (vgl. BGH 12, 263, 255). Ein Unfall liegt schließlich auch dann vor, wenn das Schadensereignis v o r s ä t z l i c h herbeigeführt wurde (st. Rspr., vgl. BGH 24, 382 m. Nachw.; a.A. Roxin N J W 1969, 1261; Dünnebier GA 1957, 33, 42; Cramer, Straßenverkehrsrecht § 142 Rn. 12; Jagusch, Straßenverkehrsrecht, 19. Aufl. § 142 Anm. 4), es sei denn, daß das Fahrzeug ausschließlich als Werkzeug zur Verwirklichung eines außerhalb des Straßenverkehrs liegenden Erfolgs benutzt wird, z.B. um den Nebenbuhler zu töten oder das Gartentor des feindlichen Nachbarn zu zerstören (vgl. BGH a.a.O. 384). Unfallflucht begeht deshalb auch, wer das ihn wegen anderer Straftaten verfolgende Polizeifahrzeug vorsätzlich rammt und dann weiterfährt, um sich auch hinsichtlich dieses Vorfalls den Feststellungen zu entziehen (Sachverhalt von BGH 24, 382). o) Unfälle auf W a s s e r s t r a ß e n werden von der Vorschrift nicht erfaßt (BGH N J W 1960, 829). 3. Täter kann jeder sein, dessen Verhalten nach den Umständen des Einzelfalls zur Verursachung des Unfalls beigetragen haben kann. Die Wartepflicht richtet sich insbesondere nicht nur an die Fahrer von Kraftfahrzeugen, sondern auch an R a d f a h r e r und F u ß g ä n g e r . Ob die Beteiligung schuldhaft war, ist unerheblich (s.o. 2b). Es ist sogar nicht einmal erforderlich, daß die Verursachung eindeutig feststeht; es genügt, daß sie nach den Umständen in Frage kommt. Zur Frage, unter welchen Voraussetzungen sich auch ein F a h r z e u g h a l t e r , der selbst nicht gefahren ist, einer Unfallflucht schuldig machen kann, siehe BayObLG N J W 1966, 557 sowie unten Anm. 13.
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4. Die Tathandlung besteht in der Flucht. Als Flucht gilt j e d e r ä u m l i c h e E n t f e r n u n g v o m U n f a l l o r t , durch die der Unfallbeteiligte die Feststellung seiner Person, seines Fahrzeugs oder der Art seiner Beteiligung vereitelt oder erschwert. a) Auch eine nur geringe Ortsveränderung kann als „Flucht" angesehen werden, wenn sie bewirkt, daß der Täter nicht mehr oder nicht mehr ohne weiteres als Unfallbeteiligter erkennbar oder feststellbar ist (vgl. B G H V R S 5, 287; 9, 136; B a y O b L G J R 1969, 429). Hieran fehlt es, wenn ein Unfallbeteiligter, der dem anwesenden anderen Unfallbeteiligten persönlich bekannt ist, mit dessen Kenntnis — gleich aus welchen Gründen — eine nahegelegene Gaststätte aufsucht (vgl. BayObLG a . a . O . mit zust. Anm. Schröder). b) Die Flucht erfolgt normalerweise von der Unfallstelle aus. Dies ist jedoch nicht zwingend erforderlich. Unfallflucht kommt z . B . auch dann in Betracht, wenn der Täter nach zunächst zulässiger Entfernung nicht mehr zum Unfallort zurückkehrt (siehe »inten 8) oder wenn er sich heimlich aus der Polizeiwache entfernt, bevor es gelungen ist, seine Personalien festzustellen (vgl. Schröder N J W 1966,1001). c) S o n s t i g e H a n d l u n g e n des Unfallbeteiligten, die den gleichen Zweck erstreben, fallen nicht unter den Anwendungsbereich der Vorschrift. So kann insbesondere N a c h t r u n k zur Verschleierung der AlkoholeinWirkung im Zeitpunkt des Unfalls nicht als Unfallflucht bestraft werden (BayObLG J R 1969, 429). E r wirkt sich jedoch, wenn aus anderen Gründen Unfallflucht vorliegt, für diese strafschärfend aus (BGH 17, 143). Auch die Reparatur beschädigter Fahrzeugteile und die E n t f e r n u n g e i n e s H i n w e i s z e t t e l s , den der Unfallbeteiligte nach dem Unfall (z.B. einem Parkschaden) an dem von ihm beschädigten Fahrzeug angebracht hat, fällt für sich allein nicht unter § 142 (siehe jedoch § 274 Anm. I 7). 5. Nicht jede Flucht nach einem Unfall erfüllt den Tatbestand. Hinzukommen muß, daß der Unfallbeteiligte eine Wartepflicht hatte, d.h. daß er verpflichtet war, solange an der Unfallstelle zu verbleiben, bis die im Interesse der Geschädigten erforderlichen Feststellungen über den Unfallhergang getroffen worden sind. Diese Wartepflicht ist u n g e s c h r i e b e n e s T a t b e s t a n d s m e r k m a l der Vorschrift und wird deren Sinn und Zweck entnommen (BGH 8, 263, 265). Sie wird nicht dadurch berührt, daß der Verursacher des Unfalls bei den zu erwartenden Feststellungen der Polizei mit einer Strafverfolgung wegen einer anderen Straftat rechnen muß. Wartepflichtig ist deshalb auch, wer mit einem von ihm gestohlenen P K W einen Unfall verursacht. Dies gilt selbst dann, wenn nur das gestohlene Fahrzeug beschädigt worden ist (vgl; B a y O b L G bei Rüth D A R 1973, 204). 6. Die Wartepflicht entfällt, a) für Verkehrsteilnehmer, die nur s i c h s e l b s t v e r l e t z t oder e i g e n e s E i g e n t u m b e s c h ä d i g t haben und an andere Unfallbeteiligte keine Ansprüche stellen wollen; b) wenn alle Unfallbeteiligten a u s d r ü c k l i c h auf sofortige Feststellungen an Ort und Stelle v e r z i c h t e n ; c) wenn der V e r z i c h t des durch den Unfall Geschädigten u n t e r s t e l l t werden kann, z . B . wenn dieser selbst pflichtwidrig die Unfallstelle verlassen hat B a y O b L G N J W 1958, 511) oder wenn bei dem Unfall lediglich eine im Eigentum eines Angehörigen, Freundes, Nachbarn oder des Arbeitgebers stehende Sache beschädigt worden ist und der Schadensverursacher damit rechnen kann, daß der Geschädigte keine sofortigen Feststellungen an Ort und Stelle wünscht, sondern sich mit der späteren Regulierung des Schadens begnügen wird (vgl. OLG Hbg N J W 1960, 1482; OLG Hamm N J W 1971, 1470). Minderjährige können auf sofortige Feststellungen am Unfallort nur dann rechtswirksam verzichten, wenn
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sie eine genügende Vorstellung von der Bedeutung und Tragweite des Verzichts haben; bei Kindern unter 12 Jahren sind diese Voraussetzungen grundsätzlich nicht gegeben (vgl. Krhe, Urt. v. 22. 6. 1972— 3 Ss 72/72). d) bei B a g a t e l l u n f ä l l e n , wenn der Geschädigte nicht sofort erreichbar ist u n d der Täter in der ernstlichen Absicht, den Schaden zu regulieren, dem Geschädigten durch eine schriftliche Mitteilung oder durch eine zuverlässige Mittelsperson seinen Namen und seine Anschrift hinterläßt oder ihn wenig später selbst von dem Unfall in Kenntnis setzt (BayObLG N J W 1968, 1896; N J W 1970, 717; Hamm N J W 1971, 1470). Andererseits ist der Unfallbeteiligte nicht berechtigt, den am Unfallort anwesenden Geschädigten einfach auf das amtliche Kennzeichen seines Fahrzeugs hinzuweisen. Entfernt er sich vom Unfallort, ohne dem Geschädigten auf dessen Verlangen seinen Namen und seine Anschrift zu nennen und durch Vorzeigen des Führerscheins oder eines Personalausweises zu belegen, so begeht er auch dann Unfallflucht, wenn er das Fahrzeug an der Unfallstelle zurückläßt und die Art seiner Unfallbeteiligung keiner Klärung bedarf (BGH 16, 139). Dies ergibt sich aus der Erwägung, daß sich auf Grund des amtlichen Kennzeichens die Person des verantwortlichen Fahrers nicht immer rasch und zuverlässig ermitteln läßt (vgl. B G H a.a.O.). Selbstverständlich bleibt auch bei Bagatellunfällen die Wartepflicht dann bestehen, wenn einer der Beteiligten darauf besteht, daß die erforderlichen Feststellungen durch die Polizei an Ort und Stelle getroffen werden (BayObLG J R 1966, 145). Wegen Ausnahmen siehe den folgenden Abschnitt e). e) wenn der Unfallverursacher bei einem einfach liegenden Sachverhalt dem Geschädigten gegenüber die S c h u l d a n e r k e n n t und sich bereit erklärt hat sowie willens und fähig ist, den Schaden zu ersetzen (vgl. Oldenburg N J W 1968,20X9). E r ist in einem solchen Fall nicht verpflichtet, polizeiliche Feststellungen, insbesondere eine Blutentnahme, abzuwarten und zwar selbst dann nicht, wenn der Geschädigte dies verlangen sollte (OLG Oldenburg a . a . O . ; Krhe N J W 1973, 378). Die Wartepflicht bleibt jedoch bestehen, wenn die Identität des Schädigers, seiner Haltereigenschaft oder seiner Haftpflichtversicherung nicht mit der erforderlichen Sicherheit feststeht und zu erwarten ist, daß durch eine polizeiliche Unfallaufnahme die erforderlichen Feststellungen ermöglicht oder erleichtert werden (Krhe a.a.O.). 7. Die Dauer der Wartepflicht kann nicht einheitlich beurteilt werden. Grundsätzlich ist jeder Unfallbeteiligte verpflichtet, so lange an der Unfallstelle zu verbleiben, bis der Feststellungsberechtigte oder die in seinem Interesse handelnden Personen (Polizei, Sachverständige u.a.m.) alle zur Aufklärung erforderlich erscheinenden Maßnahmen getroffen haben. Ist der Feststellungsberechtigte zunächst nicht erreichbar, so richtet sich die Dauer der Wartepflicht nach Art und Umfang des Schadens. J e g e r i n g e r d e r S c h a d e n , d e s t o g e r i n g e r d i e A n f o r d e r u n g e n a n d i e W a r t e p f l i c h t . So kann man bei einem unbedeutenden Parkschaden, insbesondere zur Nachtzeit, nicht verlangen, daß der Schädiger stundenlang auf das Eintreffen des ihm unbekannten Geschädigten oder der Polizei wartet. E r darf sich andererseits auch in solchen Fällen nur dann von der Unfallstelle entfernen, wenn er in der ernstlichen Absicht, den Schaden zu ersetzen, dem Geschädigten auf andere Weise die Möglichkeit gibt, sich mit ihm zwecks Regulierung des Schadens in Verbindung zu setzen (s.o. 6d). Wie er das tut, richtet sich nach den Umständen des Einzelfalls. So hat das OLG Schleswig eine Wartezeit von 15 Minuten als avisreichend angesehen, wenn bei einem Unfall zur Nachtzeit lediglich an einem Zaun und an der Gartenbepflanzung leichter Sachschaden entstanden ist und der Verursacher des Unfalls das unfallbeteiligte Fahrzeug an der Unfallstelle zurückläßt (vgl. D A R 1969, 49). Bei einem Unfall mit Sachschaden von 500,— DM an einer Straßenlaterne ist jedoch selbst bei Nacht eine Wartezeit von 20 Minuten nicht ausreichend (Koblenz V R S 43 [1972], 423).
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Bei schweren Unfällen, insbesondere bei Unfällen, in deren Verlauf ein Mensch schwer verletzt oder getötet wurde, sind strengere Anforderungen zu stellen. Hier ist den Unfallbeteiligten u.U. stundenlanges Warten, auch zur Nachtzeit, ohne weiteres zumutbar. 8. Eine Pflicht zur alsbaldigen (unverzüglichen) Rückkehr besteht, wenn sich ein Unfallbeteiligter zunächst aus einem rechtfertigenden oder entschuldigenden Grund von der Unfallstelle entfernt hat, z.B. um Verletzte fortzuschaffen oder sich selbst in ärztliche Behandlung zu begeben (vgl. BGH 18, 114, 118 m. weit. Nachweisen) oder um von einem in der Nähe gelegenen Telefonanschluß aus die Polizei zu verständigen (Ffm N J W 1967, 2072) oder um einer drohenden körperlichen Mißhandlung zu entgehen (BGH VRS 36, 20ff.). Eine Pflicht zur Rückkehr besteht auch dann, wenn ein Unfallbeteiligter erst auf der W e i t e r f a h r t Kenntnis von seiner Unfallbeteiligung erlangt (vgl. BGH a.a.O.). Kehrt der Unfallbeteiligte pflichtgemäß an die Unfallstelle zurück, so ist er weiter verpflichtet, die erforderlichen Feststellungen zu ermöglichen. Es genügt also nicht, daß er sich unter die Schar der Neugierigen drängt; er muß sich als Unfallbeteiligter zu erkennen geben und die zur Aufklärung seiner Beteiligung notwendigen Feststellungen dulden (vgl. BGH a.a.O. sowie Krhe D A R 1965, 24). Dasselbe gilt, wenn ein Unfallbeteiligter, der sich in Unkenntnis seiner Beteiligung vom Unfallort entfernt hat, durch Zufall wieder an diesen zurückkehrt und jetzt erst mit seiner Unfallbeteiligung rechnet (BGH 20, 258 betr. einen Omnibusfahrer, der nach 2 Stunden aus einer Entfernung von 25 km wieder an die Unfallstelle zurückkam und diese in Gegenrichtung passierte). Die B e g r ü n d u n g der Pflicht zur Rückkehr ergibt sich aus der Erwägung, daß der Unfallbeteiligte, der durch seine — vorsatzlose, gerechtfertigte oder entschuldigte — Entfernung von der Unfallstelle die berechtigten Interessen der übrigen Unfallbeteiligten gefährdet hat, verpflichtet ist, den Zustand wiederherzustellen, den er durch seine Entfernung vom Unfallort beseitigt hat. Die Rückkehrpflicht ist somit keine zusätzliche, in § 142 nicht erfaßte Pflicht, sondern ergibt sich unmittelbar aus der durch § 142 geschützten Wartepflicht (OLG Saarbrücken N J W 1968, 1890). Zum Ganzen siehe auch Schröder N J W 1966, 1001 sowie Bindokat N J W 1966, 1906. 9. Die Pflicht zur Rückkehr entfällt, wenn ein r ä u m l i c h e r und z e i t l i c h e r Z u s a m m e n h a n g m i t d e m U n f a l l g e s c h e h e n n i c h t mehr g e g e b e n ist, z.B. wenn ein Unfallbeteiligter erst nach Tagen von seiner Unfallbeteiligung Kenntnis erlangt. In diesem Fall besteht auch keine Pflicht, den Unfall bei der Polizei zu melden (vgl. BGH 7, 112, 117; 18, 114, 118). Das F l u c h t v e r b o t d a r f n i c h t in ein M e l d e g e b o t u m g e s t a l t e t w e r d e n (BGH 7, 117). 10. Die Flucht ist vollendet, wenn sich der Täter so weit entfernt hat, daß er nicht ohne weiteres erreichbar oder als Beteiligter feststellbar ist (vgl. BGH L M Nr. 3). Bis dahin liegt Versuch vor. 11. Der Versuch ist gemäß Abs. 2 strafbar. Ein solcher liegt vor, a) wenn die Flucht nicht gelingt, b) wenn jemand nur irrig annimmt, er sei an einem Unfall beteiligt gewesen. K e i n V e r s u c h , sondern ein (strafloses) W a h n d e l i k t liegt vor, wenn jemand flieht in der irrigen Annahme, er sei auch dann zum Warten verpflichtet, wenn nur er selbst bei dem Unfall verletzt oder geschädigt wurde (vgl. BGH 8, 263). Nur eine (straflose) Vorbereitungshandlung liegt vor, wenn der Unfallverursacher in der Absicht, anschließend die Flucht zu ergreifen, sein beschädigtes Fahrzeug wieder startklar macht oder wenn er einen bei der Schwere des Unfalls keineswegs ausreichenden
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Zettel mit seinem Namen und seiner Anschrift an der Windschutzscheibe des beschädigten Wagens befestigt (vgl. H a m m N J W 1971, 1470). 12. Der subjektive Tatbestand erfordert Vorsatz, wobei b e d i n g t e r V o r s a t z hinsichtlich aller Tatbestandsmerkmale g e n ü g t . Der V o r s a t z fehlt, wenn der Täter den Unfall gar nicht bemerkt h a t oder wenn er ihn zwar bemerkt hat, aber irrig annimmt, es sei lediglich ein belangloser Schaden entstanden, der keine Wartepflicht begründet. Da sich der Vorsatz auch auf das Tb-Merkmal „Flucht" (s.o. 4) erstrecken muß, ist erforderlich, daß der Täter durch seine Entfernung vom Unfallort die Feststellung seiner Person, seines Fahrzeugs oder der Art seiner Beteiligung vereiteln oder erschweren will. Hieran kann es fehlen, wenn er aus Verwirrung oder Bestürzung handelt oder wenn er den Unfallort verläßt, u m sich in ärztliche Behandlung zu begeben (Ffm VRS 28 [1965] 262) oder um einer drohenden körperlichen Mißhandlung zu entgehen (BGH VHS 36 [1969] 20ff.). Dasselbe gilt, wenn der Unfallbeteiligte sich n u r deshalb entfernt, weil er von einem in der Nähe gelegenen Telefonanschluß aus die Polizei verständigen will (Ffm N J W 1967, 2072). I n diesen Fällen wird dann allerdings wieder die oben unter Anm. 8 erörterte Rückkehrpflicht von Bedeutimg. Der Vorsatz entfällt schließlich auch dann, wenn es dem Täter ausschließlich darum geht, sich den Feststellungen der Polizei zu entziehen, ohne daß er dadurch gleichzeitig die Feststellungsinteressen des Geschädigten verletzt (vgl. K G VRS 1967, 275; Krhe N J W 1973, 378, 380). Glaubhaft ist eine solche Einlassung des Unfallverursachers in der Regel allerdings nur, wenn er den Geschädigten vor oder unverzüglich nach der Flucht wahrheitsgetreu über seine Person und den Unfall unterrichtet hat (vgl. H a m m VRS 41, 108; Mühlhaus 5). Verletzt der Unfallverursacher im Bestreben, sich den Feststellungen der Polizei zu entziehen, gleichzeitig auch das Feststellungsinteresse des Geschädigten (Regelfall), so kann er sich nicht darauf berufen, es sei ihm nur d ä m m gegangen, sich der drohenden Blutprobe zu entziehen (vgl. Koblenz VRS 43 [1972], 181, 432). Der Vorsatz bleibt schließlich auch dann bestehen, wenn ein Unfallbeteiligter in Kenntnis aller t a t bestandserheblichen Umstände lediglich glaubt, er sei zum Warten oder, wenn er sich bereits entfernt hat, zur Rückkehr an die Unfallstelle nicht verpflichtet. Ein solcher Irrtum wäre ein Verbotsirrtum. Dasselbe gilt, wenn der Täter nach Verursachung eines größeren Schadens irrig annimmt, es genüge, an der Windschutzscheibe des beschädigten Pkw einen Zettel mit dem Kennzeichen des eigenen Fahrzeugs anzubringen (vgl. Krhe Urt. vom 3. 12. 1970 — 1 Ss 299/70). 13. Teilnahme ist nach allgemeinen Grundsätzen strafbar. M i t t ä t e r kann n u r sein, wer selbst warte- und duldungspflichtig ist (BGH 15, 1). Sind diese Voraussetzungen nicht gegeben, so kommt — auch bei eigenem Interesse an dem Gelingen der Flucht — n u r Anstiftung oder Beihilfe in Betracht. Beihilfe liegt schon dann vor, wenn der wartepflichtige Unfallbeteiligte in seinem Entschluß, sich durch Flucht seiner Verantwortung zu entziehen, durch Zurufe oder auf andere Weise bestärkt wird. Beihilfe durch U n t e r l a s s e n ist nach allg. Grundsätzen nur dann strafbar, wenn eine Rechtspflicht besteht, die Flucht zu verhindern. Eine solche Pflicht trifft insbesondere den Fahrzeughalter (Ddf VerkMitt. 1966 Nr. 76). 14. Ein besonders schwerer Fall (Abs. 3) kommt insbesondere in Betracht, a) wenn bei dem Unfall ein M e n s c h s c h w e r v e r l e t z t o d e r g e t ö t e t wurde und der Täter die Möglichkeit einer solchen Folge e r k a n n t h a t (BGH 12, 253, 256); ein s i c h e r e s W i s s e n um die Schwere der Folgen ist dagegen n i c h t e r f o r d e r l i c h (BGH VRS 23, 286, 288; 28, 359, 361); b) wenn die Flucht ungewöhnlich hartnäckig, rücksichtslos und gefährlich durchgeführt wurde (BGH 18, 9).
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Entscheidend sind jeweils die Umstände des Einzelfalls. So ist z. B., auch wenn die Voraussetzungen von a) oder b) gegeben sind, das Vorliegen eines besonders schweren Falles abzulehnen, wenn der Flüchtige später zur Unfallstelle zurückgekehrt ist und zur Unfallaufklärung beigetragen hat (vgl. BGH VRS 44 [1973], 266). 15. Neben der Strafe kann auf E n t z i e h u n g d e r F a h r e r l a u b n i s (vgl. § 42m Abs. 2), in ausgesprochen leichten Fällen auch auf ein F a h r v e r b o t nach § 37 erkannt werden. Das Fahrzeug, das zur Flucht benutzt wurde, kann e i n g e z o g e n werden (vgl. B G H 10, 337). 16. Konkurrenzen a) I d e a l k o n k u r r e n z kommt in Betracht mit unterlassener Hilfeleistung (§ 330c) u n d Verlassen Hilfloser (§ 221), ferner mit Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte (§ 113) und Nötigung (§ 240). b) R e a l k o n k u r r e n z besteht zwischen der Unfallflucht und dem vorausgegangenen Unfall, der sich normalerweise als fahrlässige Tötung oder Körperveretzung (§§ 222, 230), gegebenenfalls i.V. mit fahrlässiger Straßenverkehrsgefährdung (§ 315c Abs. 1 Nr. l a ) oder einem Verstoß gegen die StVO darstellt. Unfall und Unfallflucht werden auch dann nicht zu einer Tateinheit i. S. von § 73 zusammengefaßt, wenn beide Delikte in angetrunkenem Zustand oder ohne Führerschein begangen wurden. Hierbei macht es nach BGH 21, 203 keinen Unterschied, ob der Täter nach dem Unfall anhält und aussteigt, um sich die Folgen zu betrachten, oder ob er, durch den Unfallablauf nicht zum Halten gezwungen, die Unfallfolgen im Fahren erkennt und in sein Bewußtsein aufnimmt. Entscheidend ist allein seine innere Willensrichtung, die in allen Fällen dadurch gekennzeichnet ist, daß der Täter sich trotz des Unfalls und den erkannten Folgen entschließt, die F a h r t fortzusetzen. Dieser Entschluß ist ein neuer, selbständiger Entschluß (ebenso schon früher Stgt N J W 1964,1913undKrüger N J W 1966,489). Dem steht nicht entgegen, daß zwischen dem alkoholbedingten Unfall einerseits und der nachfolgenden Unfallflucht andererseits p r o z e s s u a l T a t i d e n t i t ä t i.S. von § 264 StPO besteht (vgl. BGH N J W 1970, 255.) Diese erstreckt sich dann allerdings nicht mehr auf eine nach Beendigimg der Unfallflucht während der weiteren Trunkenheitsfahrt begangenen neuen fahrlässigen Straßenverkehrsgefährdung (BGH a.a.O.). 17. Aus der prozessualen Tatidentität von Unfall und Unfallflucht (s.o. Anm. 16) wurde verschiedentlich der Schluß gezogen, daß eine Rechtsmittelbeschränkung auf die Frage der Unfallflucht unzulässig sei (vgl. Köln N J W 1971, 1 5 6 ; H a m m N J W 1971, 770). Dieser Schluß ist jedoch nicht zwingend, da sich Unfall und Unfallflucht ungeachtet der prozessualen Tatidentität materiellrechtlich als selbständige Handlungen i.S. von § 74 darstellen (vgl. BGH 21, 203) und sich die Frage der Unfallflucht unabhängig davon beurteilen läßt, ob der Unfall schuldhaft verursacht wurde oder nicht. Eine Rechtsmittelbeschränkung auf die Frage der Unfallflucht ist daher grundsätzlich zulässig (BGH 24, 185). Eine einheitliche Beurteilung von Unfall und Unfallflucht ist nur in den Fällen geboten, in denen der Angeklagte den Unfall in fahruntüchtigem Zustand verschuldet h a t und auch die anschließende Unfallflucht in Tateinheit mit Trunkenheit am Steuer steht (BGH 25, 72). Ergibt nämlich die erneute Verhandlung, daß eine Unfallflucht nicht vorliegt (z.B. aus subjektiven Gründen), so wäre die Weiterfahrt nach dem Unfall gegenüber dem Unfallgeschehen keine rechtlich selbständige Handlung mehr und könnte deshalb im Falle einer wirksam vorgenommenen Rechtsmittelbeschränkung überhaupt nicht mehr berücksichtigt werden. Dies würde vor allem dann zu einer unbilligen Privilegierung des Angeklagten führen, wenn dieser nach dem Unfall noch eine größere Strecke in fahruntüchtigem Zustand zurückgelegt h a t (vgl. BGH a.a.O.).
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§ § 143—145 d
§ 143 (Ternachlässigrungr der Aufsichtspflicht] Die Vorschrift wurde durch das 4. StrRG aufgehoben. Zur Begründung siehe Ber. S. 9 f. der BT-Drucksache VT/3521. § 144 [Verleitung: zur Auswanderung:! Wer es sich zum Geschäft macht, Deutsche unter Vorspiegelung falscher Tatsachen oder wissentlich mit unbegründeten Angaben oder durch andere auf Täuschung berechnete Mittel zur Auswanderung z u verleiten, wird mit Freiheitsstrafe von einem Monat bis zu zwei Jahren bestraft. 1. V e r l e i t e n setzt voraus, daß der Täter sein Opfer durch T ä u s c h u n g zur Auswanderung bestimmt, z.B. indem er ihm Verdienstmöglichkeiten vorspiegelt, die in Wirklichkeit gar nicht vorhanden sind. Wer zur Auswanderung ohnehin schon fest entschlossen war, kann nicht mehr verleitet werden. 2. Nur die g e s c h ä f t s m ä ß i g e Tatbegehung ist mit Strafe bedroht. Geschäftsmäßig handelt, wer beabsichtigt, die Tat zu wiederholen und sie zu einem wiederkehrenden Bestandteil seiner Beschäftigung zu machen. Sind subjektiv diese Voraussetzungen gegeben, so genügt objektiv bereits eine einzige Handlung, um den Tatbestand zu erfüllen. 3. Siehe ergänzend §§ 43ff. des AuswanderungsG vom 9. 6. 1897 (RGBl. 463), zuletzt geändert durch Art. 6 Nr. 3 des 4. StrRG, sowie die VO über Mißstände im Auswanderungswesen vom 14. 2. 1924 (RGBl. I 107). IdK. ist möglich mit §§ 180a Abs. 3, 181 Nr. 2. §§ 1 4 5 , 1 4 5 a , 145 b
[aufgehoben]
§ 145 c [Verbotene Berufsausübung:] Wer einen Beruf oder ein Gewerbe ausübt oder ausüben läßt, solange ihm dies nach § 42 1 untersagt ist, wird mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren und mit Geldstrafe oder mit einer dieser Strafen bestraft. 1. Z w e c k der Bestimmimg ist es, den gerichtlichen Entscheidungen gemäß § 421 Nachdruck zu verleihen. 2. A n s t i f t u n g und B e i h i l f e sind nach allgemeinen Grundsätzen möglich. Nicht strafbar ist jedoch, wer mit dem Täter lediglich ein Geschäft abschließt, z.B. wer einem Handelsvertreter, von dem er weiß, daß er Berufsverbot hat, aus Mitleid etwas abkauft. S 145 d [Vortiiuschung: einer Straftat] Wer einer Dienststelle des Staates wider besseres Wissen die Begehung einer Straftat vortäuscht oder die Dienststelle über die Person eines an einer Straftat Beteiligten zu täuschen sucht, wird mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft, soweit die Tat nicht nach anderen Vorschriften mit schwererer Strafe bedroht ist. 1. G e s c h ü t z t e s R e c h t s g u t ist die staatliche Rechtspflege. Die Vorschrift will verhindern, daß der Strafverfolgungsapparat, insbesondere die Polizei, sinnlos in Anspruch genommen oder in falsche Richtung gelenkt wird. Nicht geschützt ist dagegen die Polizei in ihrer Funktion als Sicherheits- u n d
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§ 145 d
Strafgesetzbuch
Ordnungsbehörde. Die Ankündigung künftiger Straftaten fällt deshalb nur dann unter den Anwendungsbereich der Vorschrift, wenn der Täter gleichzeitig wahrheitswidrig behauptet, er habe die angekündigte Straftat bereits in strafbarer Weise begonnen (vgl. Berkemann und Hesselberger, Die strafrechtliche Beurteilung anonymer Bombendrohungen, N J W 1972, 1789). 2. Die 1. Alternative des Tatbestands stellt die Vortäuschung einer Straftat unter Strafe, die objektiv nicht begangen wurde. B e i s p i e l e : A täuscht einen Einbruch vor, um eigene Unterschlagungen zu verdecken oder um einen Versicherungsbetrug vorzubereiten. — O d e r : A meldet einen Raubüberfall, nur um zu sehen, wie lange die Polizei braucht, um den Tatort zu erreichen. — O d e r : A bringt bewußt der Wahrheit zuwider vor, er habe einen Totschlag begangen, dabei aber in Notwehr gehandelt (vgl. Oldenburg N J W 1952, 1225). Auch hier sind die Strafverfolgungsbehörden verpflichtet, sich um eine Klärung der Vorgänge zu bemühen. Nicht hierher gehören a) die Ankündigung k ü n f t i g e r Straftaten (s. o. Anm. 1); b) die Vortäuschung eines S e l b s t m o r d s , um eine tatsächlich begangene Straftat, z.B. eine fahrlässige Tötung oder eine Körperverletzung mit Todesfolge, zu verdecken. Dies ergibt sich aus der Erwägung, daß der Selbstmord keine Straftat darstellt und daher auch keine weiteren polizeilichen Ermittlungen mit dem Ziel einer Strafverfolgung auslöst. Der Täter will hier gerade verhindern, daß polizeiliche Ermittlungen eingeleitet werden; c) eine Sachdarstellung, die absolut ungeeignet ist, ein Einschreiten der Strafverfolgungsbehörden nach sich zu ziehen, z.B. wenn jemand anzeigt, er habe vor 15 Jahren, also in längst verjährter Zeit, eine Sachbeschädigung oder einen Diebstahl begangen (siehe auch § 164 Anm. 5 sowie Maurach BT 704f.); d) bloße Ü b e r t r e i b u n g e n (z.B. Verdoppelung des Gestohlenen oder Auf bauschung des Schadens beim Betrug) oder die Vortäuschimg einer qualifizierten Form einer tatsächlich begangenen Straftat (Hamm N J W 1971, 1324). Der Tb. des § 145d ist in solchen Fällen nur dann erfüllt, wenn durch Weglassen oder Hinzudichten von Tatumständen die tatsächlich begangene Tat in ihrem Charakter völlig verändert wird, z B. wenn eine Körperverletzung als schwerer Raub dargestellt wird (vgl. Hamm a.a.O.). Nicht erforderlich ist, daß es tatsächlich gelingt, die Behörde zu täuschen. Es genügt, daß die Sachdarstellung bei wahrem Vortrag des Anzeigers geeignet gewesen wäre, ein Einschreiten zwecks Strafverfolgung auszulösen (vgl. Maurach a.a.O.). 3. Die 2. Alternative des Tatbestands stellt die Täuschung über die Person eines Tatbeteiligten unter Strafe. Während die 1. Alternative jede grundlose Inanspruchnahme der Strafverfolgungsbehörden verhindern will, geht es in der 2. Alternative darum zu verhindern, daß die Ermittlungen in falsche Richtung gelenkt werden. B e i s p i e l : A behauptet bewußt der Wahrheit zuwider, nicht X , sondern eine nach bestimmten, erfundenen Merkmalen beschriebene unbekannte Person komme für einen bestimmten Diebstahl in Betracht. Auch die f a l s c h e S e l b s t b e z i c h t i g u n g gehört hierher, ferner die A n z e i g e g e g e n U n b e k a n n t , wenn der Täter tatsächlich bekannt ist. N i c h t hierher gehört der Fall, daß j emand lediglich den Verdacht von dem eigentlichen Täter a b l e n k t , ohne positiv auf andere Fährten hinzuweisen, z.B. durch die bewußt wahrheitswidrige Angabe, von nichts zu wissen oder den Täter nicht zu kennen, oder durch Verschaffen eines falschen Alibis. (Hier kommt jedoch Begünstigung in Betracht.) Auch der T ä t e r der S t r a f t a t selbst kann sich eines Vergehens gemäß § 145d, 2. Alt. schuldig machen, wenn er bestimmte positive Handlungen vornimmt, um die
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Münzverbrechen und Münzvergehen
§ 146
Polizei auf falsche Spuren zu setzen, z.B. wenn er selbst zur Polizei geht und dort Anzeige gegen Unbekannt erstattet (vgl. BGH 6, 255). Nicht ausreichend ist jedoch, wenn der Täter lediglich die ihm zur Last gelegte Tat bestreitet. In diesem Fall macht er nur von einem prozessualen Recht Gebrauch. Auch die Berufung auf den berühmten „Unbekannten" ist nicht tatbestandsmäßig (vgl. Maurach BT 705 f.). N i c h t h i e r h e r gehört schließlich der Fall, daß der Täter einer Straftat den Sachverhalt wahrheitswidrig so darstellt, daß der Verdacht auf eine andere Person fällt, für die sich derselbe Sachverhalt aber nicht als strafbare Handlung darstellt (BGH 19, 305). B e i s p i e l : Nach einem unverschuldet erlittenen Verkehrsunfall behauptet A, der keine Fahrerlaubnis besitzt, nicht er, sondern sein Beifahrer B, der im Besitz einer Fahrerlaubnis ist, habe den Wagen geführt. 4. Der subjektive Tatbestand verlangt hinsichtlich der Täuschimg in beiden Alternativen u n b e d i n g t e n V o r s a t z („wider besseres Wissen"). I m übrigen genügt bedingter Vorsatz. 5. Konkurrenzen: Infolge der S u b s i d i a r i t ä t s k l a u s e l tritt §145d hinter allen Delikten mit einer schwereren Strafdrohung zurück. Dies gilt vor allem für das Verhältnis zur falschen Anschuldigung (§ 164), zur uneidlichen Falschaussage (§ 153) und zum Meineid (§ 154). I m Verhältnis zur Begünstigung (§ 257) kommt es darauf an, ob ein Fall eigennütziger Begünstigung vorliegt, denn nur diese enthält gegenüber § 145 d die schwerere Strafdrohung. Die einfache Begünstigung kann demgegenüber mit § 145d in IdK. treten. IdK. ist fernermöglich mit § 126 (vgl. Berkemann und Hesselborger, Die strafrechtliche Beurteilung anonymer Bombendrohungen, N J W 1972, 1789, 1792).
Achter Abschnitt: Münzverbrechen und Münzvergehen (§§ 146—152) Vorbemerkung 1. G e s c h ü t z t e s R e c h t s g u t ist die Sicherheit des Zahlungsverkehrs. 2. Alle Verbrechen und Vergehen dieses Abschnitts unterliegen dem sogenannten W e l t r e c h t s p r i n z i p , d . h . das deutsche Strafrecht gilt auch f ü r Taten, die ein Ausländer im Ausland begeht (vgl. § 4 Abs. 3 Nr. 7). 3. Die Münzverbrechen (nicht auch die Münzvergehen) unterliegen der A n z e i g e p f l i c h t des § 138. 4. E r g ä n z e n d zu beachten neben den Straftatbeständen dieses Abschnitts sind die §§ 275, 276, 360 Abs. 1 Nr. 4—6, 364 sowie die VO über Herstellung von Medaillen und Marken v. 27. 12. 1928 (RGBl. 1929 I 2). § 146 [Falschmünzerei und Münzfälschung:] (1) Wer inländisches oder ausländisches Metallgeld oder Papiergeld nachmacht, u m das nachgemachte Geld als echtes zu gebrauchen oder sonst in Verkehr zu bringen, oder wer in gleicher Absicht echtem Gelde durch Veränderung an demselben den Schein eines höheren Wertes oder verrufenem Gelde durch Veränderung an demselben das Ansehen eines noch geltenden gibt, wird mit Freiheitsstrafe nicht unter zwei Jahren bestraft; auch ist Polizeiaufsicht zulässig. (2) Sind mildernde Umstände vorhanden, so tritt Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren ein.
333
§
147
Strafgesetzbuch
1. Geld ist jedes vom Staat oder einer von ihm ermächtigten Stelle als Wertträger beglaubigte und zum Umlauf im öffentlichen Verkehr bestimmte Z a h l u n g s m i t t e l ( B G H 23, 231). Auch a u s l ä n d i s c h e s G e l d unterliegt dem Anwendungsbereich der Vorschrift. 2. Die 1. Alternative des Tatbestands stellt die eigentliche Falschmünzerei, d. h. das Naohmachen von Geld, unter Strafe, und zwar als V e r b r e c h e n . Sie entspricht dem 1. Alternativtatbestand der Urkundenfälschung. Erfaßt wird demnach jede Herstellung unechten Geldes. Eine Geldnote ist u n e c h t , wenn sie nicht oder nicht in der vorliegenden Form von dem stammt, der als ihr Aussteller erscheint. Tatbestandsmäßig ist deshalb auch die Herstellung von sog. Systemnoten, d.h. von Geldscheinen, die nach einem bestimmten System aus mehreren Teilstücken echter Banknoten gleichen Werts zusammengesetzt sind (vgl. B G H 23, 229; Lackner-Maassen 2a). Das nachgemachte Geld muß dem echten z u m V e r w e c h s e l n ä h n l i c h sein. Unter Berücksichtigung der Erfahrungstatsache, daß im täglichen Leben kaum jemand das erhaltene Geld näher auf seine Echtheit untersucht, sind an die Verwechslungsfähigkeit keine allzu strengen Anforderungen zu stellen (vgl. B G H N J W 1954, 564). Lediglich p l u m p e F ä l s c h u n g e n scheiden aus dem Anwendungsbereich der Vorschrift aus. Hier kommt jedoch V e r s u c h in Betracht, wenn der Täter möglichst vorbildgetreue Stücke herstellen wollte. 3. Die 2. Alternative des Tatbestands stellt die Münzverfälschung unter Strafe. Unter v e r r u f e n e m Geld versteht man nicht mehr gültige Zahlungsmittel. Wird verrufenes Geld ohne Veränderung als echtes in Verkehr gebracht, so liegt Betrug vor. 4. Subjektiv ist neben dem V o r s a t z die Absicht erforderlich, das nachgemachte oder verfälschte Geld als echtes zu gebrauchen oder sonst in Verkehr zu bringen. Nicht strafbar ist demnach, wer zunächst nur einige P r o b e s t ü c k e herstellen will (siehe jedoch § 151), oder wer nur seine Kunst zeigen will, etwa um eine Wette zu gewinnen. Der Tatbestand ist dagegen erfüllt, wenn der Täter die Absicht hat, das Falschgeld zu Einkäufen zu benutzen, bei der Bank einzuwechseln oder für den Einwurf in W a r e n a u t o m a t e n zu verwenden. Nicht erforderlich ist, daß der Täter einen rechtswidrigen Vermögensvorteil erstrebt. Der Tatbestand ist daher auch dann erfüllt, wenn die Tat in der Absicht begangen wird, das Falschgeld zu verschenken oder gemeinnützigen Zwecken zukommen zu lassen. Auch in diesem Fall ist das Falschgeld in Verkehr gebracht. 5. Die Tat ist bereits mit der Herstellung des Falschgelds v o l l e n d e t . Die spätere Ausgabe, sofern sie schon bei der Herstellung des Falschgelds beabsichtigt war, ist n i c h t g e s o n d e r t s t r a f b a r . War die spätere Ausgabe zunächst nicht beabsichtigt, so kommt § 147 in Betracht. 6. Konkurrenzen: Zwischen den einzelnen Herstellungs- und Verbreitungsakten ist i.d.R. Fortsetzungszusammenhang gegeben ( B G H Urt. vom 17. 3. 1970 — 1 StR 491/69 —, in B G H 23, 229 nicht mit abgedruckt; Schönke-Schröder 12). Mit Betrug ist I d K . möglich (vgl. BGH M D R 1952, 563; Schönke-Schröder 12). Gegenüber § 267 geht § 146 vor.
§ 147
[Verbreitung- von F a l s c h g e l d ]
Dieselben Strafbestimmungen finden auf denjenigen Anwendung, welcher das von ihm ohne die vorbezeichnete Absicht nachgemachte oder verfälschte Geld als echtes in Verkehr bringt, sowie auf denjenigen, welcher nachgemachtes oder verfälschtes Geld sich verschafft und solches entweder in Verkehr bringt oder zum Zwecke der Verbreitung aus dem Ausland einführt.
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Münzverbrechen und Münzvergehen
§148
1. § 147 erfaßt zunächst den Fall, daß jemand Falschgeld verbreitet, das er ohne Verbreitungsabsicht hergestellt h a t (seltener Fall). 2. Häufiger sind die Fälle, in denen jemand Falschgeld in Verkehr bringt, das er sich zuvor von dritter Seite verschafft hat. Diese Voraussetzungen können auch danq gegeben sein, wenn der Täter das Falschgeld g e f u n d e n oder durch eine s t r a f b a r e H a n d l u n g , z.B. durch Diebstahl, Kaub oder Betrug, in seine Verfügungsgewalt gebracht hat. Nicht erforderlich ist, daß der Täter schon beim Besitzerwerb die Absicht hat, das Falschgeld als echtes in Verkehr zu bringen (vgl. Schönke-Schröder 9). Erfüllt ist ist der Tb. allerdings immer erst dann, wenn der Täter das Falschgeld tatsächlich als echtes in Verkehr bringt. B e i s p i e l : A hat f ü r seine Münzsammlung eine gefälschte Münze erworben. Als er später eine echte Münze gleicher Prägung erwerben kann, setzt er die gefälschte wieder in Umlauf. I n V e r k e h r g e b r a c h t ist das Geld auch dann, wenn es an einen E i n g e w e i h t e n weitergegeben wird, der es seinerseits wieder unter die Leute bringen will (BGH 1, 143). S u b j e k t i v ist erforderlich, daß der Täter spätestens bei der Besitzerlangung die F ä l s c h u n g a l s s o l c h e e r k a n n t h a t , wobei bedingter Vorsatz genügt. Erkennt er die Fälschung erst später, so kommt nur die mildere Bestimmung des § 148 (Vergehen) in Betracht. 3. Der 3. Alternativtatbestand stellt die Einfuhr von Falschgeld unter Strafe. Sie muß in der Absicht erfolgen, das Falschgeld zu verbreiten. Daß diese Absicht verwirklicht wird, ist nicht erforderlich. Der Tatbestand ist daher schon dann erfüllt, wenn der Täter an der Grenze festgenommen werden kann. 4. Konkurrenzen: Da ein Verstoß gegen § 147 nicht notwendig mit einem Betrug verbunden ist (auch die Weitergabe an einen Eingeweihten erfüllt den Tatbestand, s.o. 2), ist I d K . mit Betrug möglich. Ist bereits die Besitzerlangung s t r a f b a r (etwa als Diebstahl, Unterschlagung oder Raub), so ist auch I d K . m i t §§ 242, 246, 249 denkbar.
§ 148 [Abschieben von Falschgeld] (1) Wer nachgemachtes oder verfälschtes Geld als echtes empfängt und nach erkannter Unechtheit als echtes in Verkehr bringt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Monaten oder mit Geldstrafe bestraft. (2) Der Versuch ist strafbar. 1. Die Vorschrift setzt voraus, daß der Täter das Geld als echtes empfangen hat. Sie will vor allem die Situation desjenigen berücksichtigen, der im täglichen Zahlungsverkehr — sei es böswillig, sei es versehentlich — mit Falschgeld bedient worden ist und dann, nachdem er die Situation erkannt h a t , den S c h a d e n a u f a n d e r e a b w ä l z e n möchte. § 148 findet aber auch dann Anwendung, wenn jemand Falschgeld durch strafbare Handlung, etwa durch Diebstahl, Unterschlagung oder Kaub, in seine Verfügungsgewalt gebracht hat, ohne zu wissen, daß es sich um Falschgeld handelt (vgl. RG 67, 294). 2. Das Falschgeld muß als echtes in Verkehr gebracht werden. Wie bei § 147 genügt auch hier die W e i t e r g a b e a n e i n e n E i n g e w e i h t e n , sofern zu erwarten ist, daß dieser das Geld wieder als echtes in Umlauf setzen wird. Nicht hierher gehört jedoch der Fall, daß jemand das Falschgeld an einen S a m m l e r weitergibt. 3. Teilnahme ist nach allgemeinen Grundsätzen strafbar. Wer einem Geprellten den B a t gibt, das Falschgeld wieder unter die Leute zu bringen, u m sich auf diese Weise schadlos zu halten, macht sich der A n s t i f t u n g zu § 148 schuldig. Hilfelei-
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§§ 149, ISO
Strafgesetzbuch
stung beim Abschieben begründet Beihilfe. Beihilfe zu § 148 u n d nicht T ä t e r s c h a f t gemäß § 147 liegt aber auch d a n n vor, wenn j e m a n d o h n e e i g e n e s I n t e r e s s e es f ü r einen schuldlos Geprellten übernimmt, das Falschgeld selbst u n t e r die Leute zu bringen. 4. Beispiel: F r a u A klagt ihrem Sohn S, sie sei beim Einkauf m i t einem falschen 10,— DM-Schein geprellt worden. W e n n S es n u n f ü r seine M u t t e r ü b e r n i m m t , das Falschgeld wieder u n t e r die Leute zu bringen, u n d die A d e m zustimmt, so h a t sich F r a u A gemäß § 148, S wegen Beihilfe hierzu s t r a f b a r gemacht. E s wäre unbefriedigend, wollte m a n hier S als T ä t e r gemäß § 147 u n d seine M u t t e r wegen Beihilfe hierzu bestrafen. E s darf f ü r die A im Ergebnis keinen Unterschied machen, ob sie das Geld selbst oder über ihren Sohn wieder u n t e r die Leute bringt. Anders zu beurteilen wäre der Fall, wenn S sich vorgefaßtem T a t e n t s c h l u ß entsprechend v o n seiner M u t t e r die H ä l f t e des Erlöses geben läßt. I n diesem Fall will er nämlich die T a t als eigene. E s bestehen d a n n keine Bedenken, S gemäß § 147 zu bestrafen. F ü r die A m ü ß t e es jedoch auch hier dem Gesetzeszweck entsprechend bei einer B e s t r a f u n g gemäß § 148 bleiben. Sie darf nicht dadurch schlechter gestellt werden, daß S sich von ihr noch eine Belohnung geben läßt. ( B e a c h t e : Die Einzelheiten sind in diesem Zusammenhang äußerst bestritten. So wie hier in allen P u n k t e n Maurach B T 506, Dreher 1 B ; siehe auch H a m m D R Z 1949, 477). 5. Konkurrenzen: Gegenüber Betrug geht § 148 als das speziellere Gesetz vor (vgl. Schönke-Schröder 7; Welzel 421). Die von der h.M. (vgl. R G 54, 219; 67, 297; B G H 3, 154, 156; Herdegen L K 4; Maurach B T 506) angenommene Tateinheit zwischen beiden Delikten würde die in § 148 geschaffene Privilegierung illusorisch machen u n d ist deshalb abzulehnen. Der h. M. ist n u r d a n n beizutreten, wenn der T ä t e r das Falschgeld d u r c h Diebstahl oder eine andere S t r a f t a t erworben h a t t e . I n diesen Fällen besteht kein Grund zur Privilegierung (vgl. Schönke-Schröder 7). § 149 [Fälschung: von Wertpapieren] D e m Papiergeld werden gleichgeachtet die auf den Inhaber lautenden Schuldverschreibungen, Banknoten, A k t i e n oder deren Stelle vertretende Interimsscheine oder Quittungen, sowie die z u diesen Papieren gehörenden Zins-, Gewinnanteils- oder Erneuerungsscheine, w e l c h e v o n e i n e m Staate oder v o n einer zur Ausgabe solcher Papiere berechtigten Stelle ausgestellt sind. Die §§ 146—148 finden auf die hier erwähnten I n h a b e r p a p i e r e entsprechende Anwendung. Die sogenannten N a m e n s p a p i e r e (z.B. Wechsel, Namensaktien) unterliegen der Regelung der §§ 267ff.
§ ISO
[Münz V e r r i n g e r u n g : ]
( 1 ) W e r echte, z u m U m l a u f bestimmte Metallgeldstücke durch Beschneiden, Abfeilen oder a u f andere Art verringert u n d als vollgültig i n Verkehr bringt, oder wer solche verringerte M ü n z e n gewohnheitsmäßig oder i m Einverständnis m i t dem, welcher sie verringert hat, als vollgültig i n Verkehr bringt, wird m i t Freiheitsstrafe bis z u f ü n f Jahren bestraft, neben welcher a u f Geldstrafe erkannt werden kann. ( 2 ) Der Versuch ist strafbar. Die eigentliche Münzverringerung wird in der Fachsprache als „ K i p p e n " , das Inverkehrbringen verringerter Münzen als „ W i p p e n " bezeichnet. Die Vorschrift ist praktisch n u r bei wertvollen Gold- u n d Silbermünzen von Bedeutung.
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Falsche uneidliche Aussage und Meineid § 151
§§ 151,
IS2
rVorbereitungrshandlungreii]
Wer Stempel, Siegel, Stiche, Platten oder andere zur Anfertigung von Metallgeld, Papiergeld oder dem letzteren gleichgeachteten Papieren dienliche Form e n z u m Zwecke eines Münzverbrechens angeschafft oder angefertigt hat, wird mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren bestraft. 1. Hier werden bestimmte Vorbereitungshandlungen wegen ihrer besonderen Gefährlichkeit selbständig unter Strafe gestellt. K o m m t es zu einer vollendeten oder versuchten Falschmünzerei i.S. von § 146, so tritt die Vorschrift als s u b s i d i ä r zurück. Bleibt die Falschmünzerei im Stadium des Versuchs, so lebt § 151 wieder auf, sobald der Täter den Versuch freiwillig aufgibt (sog. qualifizierter Versuch, vgl. § 46 Anm. I I 5 sowie Dreher 2; a.A. Lackner-Maassen 4). 2. Siehe ergänzend § 360 Abs. 1 Nr. 4. § 1 5 3 [Einziehung;] Ist eine Straftat nach diesem Abschnitt begangen worden, so werden das nachgemachte, verfälschte oder verringerte Geld, die nachgemachten oder verfälschten Wertpapiere sowie die in § 151 bezeichneten Fälschungsmittel eingezogen. 1. Neufassung durch das EGOWiG 1968. Die Einziehung ist — wie schon in § 152 a . F . — zwingend vorgeschrieben, bei täterfremden Gegenständen jedoch nur unter den Voraussetzungen des § 40 Abs. 2 Nr. 2 möglich (vgl. § 40 Abs. 4). I n der täglichen Gerichtspraxis dürfte diese Beschränkung keine Schwierigkeiten bereiten, da bei Falschgeld usw. grundsätzlich die Gefahr weiterer Straftaten besteht. 2. Ist der Täter unbekannt (gerade bei den Münzdelikten häufiger Fall), so erfolgt die Einziehung im sog. obj. Verfahren nach § 41b.
Neunter Abschnitt: Falsche uneidliche Aussage und Meineid (§§ 153—163) Vorbemerkung 1. G e s c h ü t z t e s R e c h t s g u t aller Tatbestände des 9. Abschnitts ist die staatliche Rechtspflege. Dies gilt auch für die eigentlichen E i d e s d e l i k t e , nämlich den Meineid (§ 154), die falsche Versicherung an Eides Statt (§§ 156, 163) und den fahrlässigen Falscheid (§ 163). Siehe hierzu vor allem BGH 8, 301, 309. 2. Da die staatliche Rechtspflege nur durch solche Aussagen beeinträchtigt werden kann, die objektiv der Wirklichkeit widersprechen, ist die Frage, ob eine Aussage falsch ist, o b j e k t i v zu beurteilen (sog. objektive Theorie, vgl. BGH 7, 148; h . L . ; a.A. Gallas GA 1957, 315 m. Nachw.). Auf die innere Einstellung des Täters kommt es für die Frage, ob eine Aussage falsch ist, nur dort an, wo gerade die Überzeugung oder Erinnerung den Gegenstand der Aussage bildet. Hieraus folgt: a) Beschwört jemand eine Aussage, die objektiv falsch ist, die er aber f ü r richtig hält, so kommt zwar kein Meineid gemäß § 154, Vöhl aber f a h r l ä s s i g e r F a l s c h e i d (§ 163) in Betracht, sofern der I r r t u m auf Fahrlässigkeit beruht. b) Beschwört jemand eine objektiv richtige Aussage in der Meinung, sie sei falsch, so kommt nur v e r s u c h t e r , nicht vollendeter Meineid in Betracht. Vollen22 Petters-Preiaendanz, StGB, 28. Aufl.
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g 153
Strafgesetzbuch
deter Meineid jedoch, wenn der Täter ausdrücklich über seine Überzeugung oder Erinnerung auszusagen hatte. 3. Nur der Meineid gemäß § 154 ist ein V e r b r e o h e n i.S. von § 1. Alle übrigen Straftatbestände des Abschnitts (§§ 153, 156, 160, 163) enthalten nur V e r g e h e n . 4. Der Versuch ist nur beim Meineid und im Falle des § 160 strafbar. Immer strafbar ist die v e r s u c h t e A n s t i f t u n g (vgl. § 159). § 160 enthält einen Ersatz für die fehlende Möglichkeit, m i t t e l b a r e T ä t e r s c h a f t anzunehmen. Der durch das 1. StrRG mit Wirkung vom 1. 4. 1970 aufgehobene § 161 befaßte sich mit möglichen N e b e n s t r a f e n und N e b e n f o l g e n . 5. Aus dem neueren Schrifttum über die Reform der Aussagedelikte siehe Hirsch, Über die Gesellschaftsbezogenheit des Eides, Heinitz-Festschr. S. 139; Zipf, Die Problematik des Meineids innerhalb der Aussagedelikte, Maurach-Festschr. S. 415.
§ 153
[Uneidliche Falschaussagre]
W e r vor Gericht oder vor einer anderen zur eidlichen Vernehmung von Zeugen oder Sachverständigen zuständigen Stelle als Zeuge oder Sachverständiger uneidlich vorsätzlich falsch aussagt, wird mit Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren, in schweren Fällen mit Freiheitsstrafe nicht unter einem J a h r bestraft. 1. Als T ä t e r kommen nur Zeugen und Sachverständige in Betracht, n i c h t die Partei im Zivilprozeß (siehe jedoch § 154), ferner nicht der Beschuldigte im Strafprozeß. 2. Die Aussage muß falsch sein. Siehe hierzu Vorbem. 2. 3. Die Aussage muß erfolgen vor Gericht oder einer anderen zur eidlichen Vernehmung von Zeugen und Sachverständigen zuständigen Stelle. Nicht zuständig sind Polizei und Staatsanwaltschaft, wohl aber die Untersuchungsausschüsse des Bundestags gemäß Art. 44 GG. 4. S u b j e k t i v ist Vorsatz erforderlich. Der Täter muß wissen, daß er als Zeuge oder Sachverständiger vernommen wird, daß seine Aussage falsch ist und daß die ihn vernehmende Stelle zur Abnahme von Eiden zuständig ist. Bedingter Vorsatz genügt hinsichtlich aller Tatbestandsmerkmale. 5. Teilnahme ist nach allgemeinen Grundsätzen strafbar. B e i h i l f e kann auch durch U n t e r l a s s e n begangen werden, sofern eine besondere Rechtspflicht zur Verhinderung der Falschaussage besteht. (Siehe hierzu ausführlich § 154 Anm. 6.) Sagt der zum Meineid Angestiftete entgegen der Vorstellung des Anstifters nur uneidlich falsch aus, so ist der Anstifter wegen erfolgloser Anstiftung zum Meineid (§§ 154, 49a) in I d K . mit Anstiftung zur vorsätzlichen uneidlichen Falschaussage (§§ 153, 48) zu bestrafen (vgl. B G H 9, 131). 6. Mittelbare Täterschaft ist b e g r i f f l i c h a u s g e s c h l o s s e n , da § 153 — wie alle übrigen Tatbestände dieses Abschnitts — ein e i g e n h ä n d i g e s D e l i k t enthält (vgl. Vorbem. AT, Abschn. B I 6, S. l l f . ) . Die fehlende Möglichkeit, mittelbare Täterschaft anzunehmen, wird jedoch durch § 160 ersetzt. 7. Der Versuch ist mangels ausdrücklicher Strafdrohung nicht strafbar, wohl aber die versuchte Anstiftung (vgl. § 159). 8. Konkurrenzen. a) M e h r e r e f a l s c h e A u s s a g e n können untereinander in F o r t s e t z u n g s z u s a m m e n h a n g stehen, und zwar auch dann, wenn sie in verschiedenen Instanzen
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Falsche uneidliche Aussage und Meineid
§ 154
erfolgen. Die Annahme von Fortsetzungszusammenhang wird auch nicht dadurch ausgeschlossen, daß die eine Aussage beschworen wurde, die andere nicht (BGH 8, 301). b) I d K . ist möglich mit §§ 164, 186, 187, 257, 258, 263, mit fahrlässigem Falscheid (§ 163) dagegen nur ausnahmsweise, nämlich dann, wenn jemand vorsätzlich falsch aussagt und dabei fahrlässig der irrigen Auffassung ist, diese Aussage werde vom Eid nicht umfaßt, z.B. wenn ein Zeuge in der irrigen Meinung, der Eid beziehe sich nicht auch auf die Angaben zur Person, bewußt der Wahrheit zuwider aussagt, er sei ledig, während er in Wirklichkeit geschieden ist. 9. Siehe auch §§ 157, 158.
§ 154
[Meineid]
(1) Wer vor Gericht oder vor einer anderen zur Abnahme von Eiden zuständigen Stelle vorsätzlich falsch schwört, wird mit Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr bestraft. (2) Sind mildernde Umstände vorhanden, so ist die Strafe Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren. 1. Im Gegensatz zur uneidlichen Falschaussage gemäß § 153 kommen als Täter eines Meineids nicht nur Z e u g e n und S a c h v e r s t ä n d i g e in Betracht, sondern auch die P a r t e i im Zivilprozeß. Beseitigt wurde jedoch der O f f e n b a r u n g s e i d nach den Vorschriften des BGB, der ZPO, der KO und der VerglO. An seine Stelle ist mit Wirkung vom 1. 7. 1970 die Abgabe einer eidesstattlichen Versicherung getreten (vgl. §§ 259—261, 2006, 2028, 2057 BGB, 807, 883, 889, 899ff. ZPO, 125 KO, 69 VerglO, jeweils in der Fassung des Gesetzes zur Änderung des RechtspflegerG vom 27. 6. 1970, BGBl. I 911). Wegen E i d e s u n m ü n d i g e n siehe unten Anm. 7. 2. Die Aussage muß falsch sein (vgl. Vorbem. 2 vor § 153). 3. Für die Eidesleistung genügt, daß der Täter die Worte spricht: „Ich schwöre". Nicht erforderlich ist, daß er dabei die Hand zum Schwur erhebt. Auch die religiöse Beteuerungsformel ist verzichtbar (vgl.§§ 66c I I / I I I StPO; 481 II/III ZPO). Über die Reformbedürftigkeit der Eidesformel siehe Woesner N J W 1973, 169. 4. Der Eid muß vor Gericht oder einer anderen zuständigen Stelle geleistet werden. Siehe hierzu § 153 Anm. 3. 5. Subjektiv ist Vorsatz erforderlich. Siehe hierzu § 153 Anm. 4, ferner: Der Täter muß wissen, daß die falsche Aussage von seinem Eid umfaßt wird. Der Vorsatz entfällt daher, wenn ein Zeuge falsche Personalien angibt und später den Eid leistet in der irrigen Annahme, dieser beziehe sich nur auf die Angaben zur Sache, nicht auch auf die Angaben zur Person. Hier kommt nur fahrlässiger Falscheid in Idealkonkurrenz mit vorsätzlicher uneidlicher Falschaussage in Betracht (§§ 153, 163, 73). 6. Teilnahme ist nach allgemeinen Grundsätzen strafbar. B e i h i l f e kann auch durch U n t e r l a s s e n geleistet werden, sofern eine besondere Rechtspflicht besteht, die Aussageperson vom Meineid abzuhalten. Eine derartige Rechtspflicht kann jedoch nur ausnahmsweise angenommen werden. So können für eine P a r t e i im Z i v i l p r o z e ß weder die sich aus § 138 ZPO ergebende Wahrheitspflicht noch die Benennung eines Zeugen für eine unwahre Behauptung noch das wahrheitswidrige Bestreiten des gegnerischen Vorbringens für sieh allein die Rechtspflicht begründen, 22*
339
§
154
Strafgesetzbuch
die Falsohausaage bzw. den Meineid eines Zeugen zu verhindern (vgl. B G H 4, 327; 5, 322; 17, 321). Vielmehr müssen noch besondere Umstände hinzukommen, die die Gefahr einer Falschaussage bzw. eines Meineids begründen oder verstärken, z . B . wenn die Partei einem zum Meineid entschlossenen Zeugen zu verstehen gegeben hat, daß sie keine Erklärung abgegeben habe oder abgeben werde, die der beabsichtigten Aussage entgegensteht (BGH 2, 129), oder wenn eine Partei noch während des Scheidungsverfahrens ihre ehewidrigen Beziehungen mit dem Zeugen fortsetzt, nachdem dieser von der Gegenpartei als Ehebruchszeuge benannt worden ist (BGH 14, 229). Beihilfe durch p o s i t i v e s T u n liegt dagegen vor, wenn eine Partei im Zivilprozeß oder ein Beschuldigter im Strafprozeß vor der Vereidigimg des Zeugen auf Frage des Gerichts ausdrücklich erklärt, er habe zu der Aussage des Zeugen keine Erklärung abzugeben (vgl. B G H N J W 1958,956). Die Beihilfe ist hier darin zu sehen, daß der Zeuge in seinem Entschluß, die falsche Aussage auch auf seinen Eid zu nehmen, bestärkt wird. I n krassem Gegensatz zu der allgemeinen Tendenz, die Fälle der Meineidsbeihilfe durch Unterlassen möglichst einzuschränken, steht die Entscheidung K G J R 1969, 27 m. Anm. Lackner, derzufolge ein Vater, der wegen einer Übertretung als Angeklagter vor Gericht stand, f ü r verpflichtet gehalten wurde, seinen Sohn davon abzuhalten, mit Rücksicht auf die verwandtschaftlichen Beziehungen zu seinen Gunsten falsch auszusagen. Die Entscheidung ist entschieden abzulehnen (vgl. Lackner a.a.O. sowie Blei J A 1969, StR S. 50). 7. Die Strafbarkeit eines Meineids wird nicht dadurch berührt, daß die V e r e i d i g u n g p r o z e s s u a l u n z u l ä s s i g war, z.B. wenn ein Zeuge wegen E i d e s u n m ü n d i g k e i t oder V e r d a c h t s d e r T a t b e t e i l i g u n g nicht h ä t t e vereidigt werden dürfen (vgl. § 60 StPO). Bei Eidesunmündigen ist jedoch gemäß § 3 J G G genau zu prüfen, ob sie schon in der Lage waren, die Bedeutung des Eides und den Unrechtsgehalt der Tat zu erkennen und nach dieser Einsicht zu handeln (vgl. RG [GrSen] 36, 284, 295; Willms L K 11; Dreher 3 B vor § 163; Lackner-Maassen 1; a.A. Schönke-Schröder R n . 30 vor § 153: bei eidesunmündigen Personen h a t das Verständnis vom Wesen des Eides k r a f t unwiderlegbarer Vermutung als ausgeschlossen zu gelten). Zum Ganzen siehe neuerdings auch Quedenfeld J Z 1973, 238. Eine S t r a f m i l d e r u n g gemäß § 154 Abs. 2 kommt vor allem in Betracht, wenn der Meineid von einer Person geleistet wird, die sich in einem G e w i s s e n s k o n f l i k t befindet, z.B. wenn der Meineid zugunsten eines Angehörigen geleistet wird oder wenn der Täter im Falle einer wahrheitsgemäßen Aussage berechtigte Interessen hätte aufs Spiel setzen müssen. Hierher gehören auch die Fälle, in denen ein Zeuge, dem ein Z e u g n i s v e r w e i g e r u n g s r e c h t gemäß §§ 52 StPO, 383 ZPO zustand, hierüber versehentlich nicht belehrt wurde, ferner der Fall, daß die Belehrung gemäß § 55 StPO unterblieben ist oder ein T a t v e r d ä c h t i g e r entgegen der zwingenden Vorschrift des § 60 Nr. 2 StPO vereidigt worden ist (vgl. B G H N J W 1958, 1832; BGH 8, 186; 19, 115). Siehe auch § 157. 8. Konkurrenzen. a) Mehrere Eidesverletzungen können untereinander in F o r t s e t z u n g s z u s a m m e n h a n g stehen. B e i s p i e l : A bekundet als Zeuge vorgefaßtem Tatentschluß zufolge sowohl in erster als auch in zweiter Instanz bewußt der Wahrheit zuwider, sein Bruder B sei zur fraglichen Zeit zusammen mit ihm im Kino gewesen. Fortsetzungszusammenhang wäre hier auch dann möglich, wenn A in einer der beiden Verhandlungen als Angehöriger des A gemäß § 61 Nr. 2 StPO unvereidigt geblieben wäre. Dies ergibt sich aus der Erwägung, daß der M e i n e i d kein eigenständiges Delikt mit selbständigem Unrechtsgehalt, sondern lediglich eine e r s c h w e r t e F o r m d e r u n e i d l i c h e n F a l s c h a u s s a g e darstellt (vgl. B G H [GrSen] 8, 301 unter Aufgabe der früheren Rspr.).
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Falsche uneidliche Aussage und Meineid
§ 155
b) I d K . ist möglieh mit §§ 164, 186f., 257f., 263. Gegenüber § 145d geht § 154 vor. 9. Wahlfeststellung a) Kann das Gericht nicht feststellen, welche von m e h r e r e n e i d l i c h e n A u s s a g e n desselben Täters falsch ist, so hindert dies eine Verurteilung wegen Meineids nicht. In den Urteilsgründen ist dann lediglich festzustellen, daß entweder diese oder jene Aussage falsch iat (vgl. § 2b Anm. 3a). b) Ist von zwei Aussagen e n t w e d e r d i e e i d l i c h e o d e r d i e u n e i d l i c h e f a l s c h , so erfolgt die Verurteilung nach den Grundsätzen der Wahlfeststellung. Die Strafe ist in diesem Fall dem milderen Gesetz, normalerweise also dem Tatbestand des § 153, zu entnehmen (vgl. BGH N J W 1957,1886). Ausnahmsweise ist jedoch die eidliche Aussage zugrunde zu legen, wenn dies zu einer milderen Bestrafung führen kann, z.B. wenn sich der Angeklagte zwar hinsichtlich der eidlichen Aussage, nicht aber hinsichtlich der uneidlichen auf den Eidesnotstand des § 157 berufen könnte (vgl. BGH 13, 70). c) Bleibt unklar, ob jemand einen Falscheid v o r s ä t z l i c h o d e r f a h r l ä s s i g geleistet hat, so ist zu seinen Gunsten davon auszugehen, daß er nur fahrlässig gehandelt hat (vgl. BGH 4, 340; 17, 210). Siehe hierzu auch § 2 Anm. 5b. d) Wahlfeststellung ist schließlich auch dann möglich, wenn sich nicht mehr feststellen läßt, ob jemand einen anderen zunächst wissentlich f a l s c h a n g e s c h u l d i g t o d e r bei einer späteren richterlichen Vernehmung a l s Z e u g e d i e U n w a h r h e i t g e s a g t h a t (vgl. Braunschweig N J W 1959, 1144). B e i s p i e l : Die A erstattet Anzeige bei der Polizei unter der Behauptung, ihr Vater habe sie vergewaltigt. Später bekundet sie vor Gericht, alles sei gelogen.
§ 155
[Eidesgrleiche Versicherung:]
Der Ableistung eines Eides wird gleichgeachtet, wenn 1. ein Mitglied einer Religionsgesellschaft, welcher das Gesetz den Gebrauch gewisser Beteuerungsformeln anstelle des Eides gestattet, eine Erklärung unter der Beteuerungsformel seiner Religionsgesellschaft abgibt; 2. derjenige, welcher als Partei, Zeuge oder Sachverständiger einen Eid geleistet hat, in gleicher Eigenschaft eine Versicherung unter Berufung auf den bereits früher in derselben Angelegenheit geleisteten Eid abgibt, oder ein Sachverständiger, welcher als solcher ein für allemal vereidigt ist, eine Versicherung auf den von ihm geleisteten Eid abgibt; 3. ein Beamter eine amtliche Versicherung unter Berufung auf seinen Diensteid abgibt. 1. Zu Nr. 1 siehe §§ 66e StPO, 484 ZPO. 2. B e i s p i e l zu Nr. 2: I n einem Strafverfahren gegen A wird X zunächst in der Hauptverhandlung 1. Instanz vor dem Schöffengericht, dann nochmals in der Berufungsinstanz vor der Großen Strafkammer des Landgerichts als Zeuge vernommen. Wurde er in 1. Instanz auf seine Aussage vereidigt, so genügt in der Berufungsinstanz die B e r u f u n g a u f d e n b e r e i t s g e l e i s t e t e n E i d , um die Aussage einer eidlichen Aussage gleichzuachten. Eine nochmalige Vereidigung ist nicht erforderlich (vgl. § 67 StPO). Ist die Aussage falsch, so hat sich X eines Meineids oder eines fahrlässigen Falscheids schuldig gemacht (§ 154 i.V. m. § 155 Nr. 2). Siehe ferner §§ 72, 79 Abs. 3 StPO, 398 I I I , 402, 410 II, 451 ZPO. 3. Nr. 3 kommt in der Praxis selten vor.
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§
156
Strafgesetzbuch
8 1 5 6 [Falsche Tersicherang a n Eides Siati] Wer vor einer zur Abnahme einer Versicherung a n Eides Statt zuständigen Behörde eine solche Versicherung wissentlich falsch abgibt oder unter Berufung auf eine solche Versicherung wissentlich falsch aussagt, wird mit Freiheitsstrafe von einem Monat bis zu drei Jahren bestraft. 1. Die Form der eidesstattlichen Versicherung ist u n e r h e b l i c h . Die Abgabe kann m ü n d l i c h o d e r s c h r i f t l i c h erfolgen. Der Tatbestand ist dagegen noch nicht erfüllt, wenn jemand die eidesstattliche Versicherung seinem Anwalt vorlegt und dieser vorsichtshalber die Erklärung noch nicht an das Gericht oder die sonst zuständige Stelle weiterleitet, sondern lediglich erklärt, er besitze eine eidesstattliche Versicherimg mit einem bestimmten Inhalt. Dies gilt selbst dann, wenn der Anwalt eine A b s c h r i f t der in seinen Händen befindlichen eidesstattlichen Versicherung vorlegt (vgl. RG 70, 133). 2. Die Zuständigkeit der Behörde ist ein o b j e k t i v e s T a t b e s t a n d s m e r k m a l , auf das sich der Vorsatz beziehen muß (BGH 24, 38). I m einzelnen: a) Die Behörde muß zunächst a l l g e m e i n zur Abnahme von eidesstattlichen Versicherungen z u s t ä n d i g sein. Diese Voraussetzung ist auch ohne besondere gesetzliche Bestimmungen dann gegeben, w e n n e i n e B e h ö r d e a u f G r u n d e i n e s f ö r m l i c h e n B e w e i s v e r f a h r e n s s e l b s t ä n d i g e E n t s c h e i d u n g e n zu t r e f f e n h a t . Allgemein zuständig in diesem Sinn sind insbesondere die Gerichte der Zivil- und Strafgerichtsbarkeit, die Verwaltungs-, Sozial- und Arbeitsgerichte, Finanzämter und Finanzgerichte, Notare, Landratsämter, Landesversicherungsanstalten, Arbeitsämter im Kindergeldverfahren (vgl. § 36 Satz 2 KGKG), n i c h t jedoch Polizei und Staatsanwaltschaft, Krankenkassen, Wohnungs- und Fürsorgeämter. b) Darüber hinaus ist erforderlich, daß die eidesstattliche Versicherung r e c h t l i c h n i c h t v ö l l i g w i r k u n g s l o s ist (vgl. BGH 5, 69; 13, 154; 17, 303; BGH J R 1962, 464). Wirkungslos ist die eidesstattliche Versicherung dann, wenn sie in dem Verfahren, zu dem sie eingereicht wird, oder über den Gegenstand, auf den sie sich bezieht, nicht abgenommen werden darf, z. B. wenn ein Angeklagter im Strafprozeß zum Beweis seiner Unschuld dem Gericht eine eidesstattliche Versicherung vorlegt (BGH 24, 38) oder wenn eine Partei im Zivilprozeß ihre Klagebehauptimg durch eine eidesstattliche Versicherung erhärten will. c) W e i t e r e B e i s p i e l e : I m Bereich der ZPO ist die Abgabe einer eidesstattlichen Versicherung überall dort zulässig, wo es genügt, eine t a t s ä c h l i c h e B e h a u p t u n g g l a u b h a f t z u m a c h e n (vgl. § 294 ZPO), z.B. wenn es darum geht, ein Z e u g n i s v e r w e i g e r u n g s r e c h t glaubhaft zu machen (vgl. §§ 386, 44 ZPO), vor allem aber im A r m e n r e c h t s v e r f a h r e n (vgl. § 118a ZPO), im Z w a n g s v o l l s t r e c k u n g s v e r f a h r e n (vgl. §§ 707, 719, 769, 771, 813a ZPO) und bei der e i n s t w e i l i g e n V e r f ü g u n g (vgl. §936 i.V. mit § 920 Abs. 2 ZPO). A u s n a h m e n : §§ 44 Abs. 2, 406 Abs. 3, 511a Abs. 3, 546 Abs. 3 ZPO. Siehe auch BGH 13, 154: Das Gericht ist nicht zuständig, im Offenbarungseidsverfahren dem Schuldner eine eidesstattliche Versicherung darüber abzunehmen, daß er gegen die Entscheidung, durch die sein Widerspruch gegen die Pflicht zur Eidesleistung verworfen worden ist, ein Rechtsmittel eingelegt habe (vgl. § 900 Abs. 5 ZPO). I m Bereich der StPO gibt es eine dem § 294 ZPO entsprechende Bestimmung für die Zulässigkeit von eidesstattlichen Versicherungen zur Glaubhaftmachung nicht. Dies bedeutet nun allerdings nicht, daß eidesstattliche Versicherungen im Bereich der StPO generell unzulässig und wirkungslos sind. So ist es zulässig, daß ein Zeuge zur Glaubhaftmachung seines Z e u g n i s v e r w e i g e r u n g s r e c h t s (vgl. § 56 StPO) eine eidesstattüche Versicherung abgibt (vgl. RG 58, 147). Geht es
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Falsche uneidliche Aussage und Meineid
§
156
um die Glaubhaftmachung eines W i e d e r e i n s e t z u n g s g r u n d s (vgl. § 45 S t P O ) oder eines Gesuchs um A b l e h n u n g e i n e s R i c h t e r s , so wird in der Rechtsprechung zwar die eidesstattliche Versicherung von Zeugen, nicht aber eine solche des Beschuldigten als zulässig angesehen (vgl. R G 57, 53; 70, 268; B a y O b L G N J W 1954, 204). Unzulässig sind eidesstattliche Versicherungen im W i e d e r a u f n a h m e v e r f a h r e n (vgl. B G H 17, 303). 3. Eine besondere Bedeutung hat die seit dorn 1. 7. 1970 an die Stelle des früheren Offenbarungseids getretene eidesstattliche Versicherung in den Fällen der §§ 259—261, 2006, 2028, 2057 B G B , 807, 883, 899ff. ZPO, 125 K O , 69 VerglO (jeweils in der Fassung des Gesetzes zur Änderung des RechtspflegerG usw. vom 27. 6. 1970, B G B l . I 911). I n der Praxis werden in diesem Zusammenhang, wie bisher, die Fälle des § 807 ZPO im Vordergrund stehen. Nach § 807 Abs. 2 ZPO hat der Schuldner zu Protokoll des Rechtspflegers (über dessen Zuständigkeit siehe § 20 Nr. 17 RechtspflegerG) an Eides Statt zu versichern, daß er die von ihm verlangten Angaben nach bestem Wissen und Gewissen r i c h t i g u n d v o l l s t ä n d i g gemacht hat. Die eidesstattliche Versicherung (EV) kann daher auch dann „falsch" sein, wenn das Vermögensverzeichnis unvollständig ist. I m einzelnen: a) Die E V erfaßt Angaben des Schuldners über seine p e r s ö n l i c h e n V e r h ä l t n i s s e (Personalien) nur, soweit sie für den Gläubiger von Interesse sind, z . B . wenn jemand ein Arbeitsverhältnis verschweigt und dadurch den Zugriff des Gläubigers erschwert (BGH 11, 223). Der Tatbestand des § 156 ist dagegen nicht erfüllt, wenn ein arbeitsloser Eisenanstreicher sich der Wahrheit zuwider als Malermeister bezeichnet (vgl. B G H a.a.O.). Auch falsche Angaben über die b e r u f l i c h e T ä t i g k e i t sind ganz allgemein dann unschädlich, wenn sich aus der richtigen Berufsangabe für den Gläubiger kein Zugriff auf greifbare Vermögensstücke des Schuldners ergeben würde ( B G H N J W 1968,2251). Ob die irrige Annahme des Schuldners, er müsse auch insoweit wahre Angaben machen, einen Versuch begründet (so B G H 11, 226) oder ob es sich nur um ein Wahndelikt handelt (so B G H 14, 345), kann nach der Umwandlung des Offenbarungseids in eine eidesstattliche Versicherung auf sich beruhen, da der Versuch in § 156 nicht mit Strafe bedroht ist. b) Auch u n p f ä n d b a r e S a c h e n müssen angegeben werden. Dies ergibt sich aus der Erwägung, daß in der Regel keineswegs alles, was der Schuldner für unpfändbar hält, wirklich unpfändbar ist und in manchen Fällen auch die Möglichkeit einer sogenannten Austauschpfändung besteht, vgl. § 811a ZPO. Der Gläubiger h a t also ein berechtigtes Interesse daran, daß auch die unpfändbaren Gegenstände des Schuldners im Vermögensverzeichnis aufgeführt werden. (Siehe hierzu R G 71, 300; B G H N J W 1956, 756; B G H 13, 345, 349; 14, 345, 348.) c) Auch unter E i g e n t u m s v o r b e h a l t gekaufte Gegenstände müssen angegeben werden. Dies ergibt sich aus der Erwägung, daß der Abschluß eines Kaufvertrags unter Eigentumsvorbehalt dem Käufer ein A n w a r t s c h a f t s r e c h t verschafft, das als Bestandteil seines Vermögens anzusehen ist. Das Anwartschaftsrecht ist auch dann anzugeben, wenn zu seiner Ausübung mehr aufgewendet werden muß, als das Recht selbst oder die hinter ihm stehende Sache wert ist. Dies ergibt sich aus der Erwägung, daß die wirtschaftliche Verwertbarkeit eines solchen Rechts Wandlungen unterworfen ist (BGH 13, 345). Entsprechendes gilt für Sachen, die z u r S i c h e r u n g ü b e r e i g n e t sind. d) Völlig w e r t l o s e S a c h e n , z . B . ein alter, unbrauchbarer Ofen, müssen nicht angegeben werden. e) F o r d e r u n g e n unterliegen auch dann der Offenbarungspflicht, wenn sie zweifelhaft, bestritten oder mit Rechten Dritter belastet sind und daher z.Z. der Eidesleistung nicht oder nur mit Schwierigkeiten geltend gemacht werden können (vgl. B G H 13, 345, 350).
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§ 157
Strafgesetzbuch
f) F a l s c h e A n g a b e n zu F r a g e n , d i e g e m ä ß § 8 0 7 Z P O n i c h t b e a n t w o r t e t w e r d e n m ü s s e n , begründen keine Strafbarkeit (BGH 19,126 m. weit. Nachw.) B e i s p i e l : Hat der Schuldner ein früher in seinem Besitz befindliches Radio vor der Eidesleistung an einen Freund veräußert, so ist er gemäß § 807 Abs. 1 Nr. 1 ZPO nicht verpflichtet, hierüber Angaben zu machen. Gibt er bei Abgabe der E V der Wahrheit zuwider an, er habe das Radio verloren oder vernichtet, so liegt lediglich ein strafloses Wahndelikt vor (vgl. B G H 14, 345). g) Eine falsche Versicherung an Eides Statt liegt auch dann vor, wenn der Schuldner Sachen als sein Eigentum angibt, die ihm gar nicht gehören. Hier läuft der Gläubiger nämlich Gefahr, daß er Pfändungen vornehmen läßt, die der Gefahr einer Drittwiderspruchsklage gemäß § 771 ZPO ausgesetzt sind, während gleichzeitig wertvolle Zeit für den Zugriff auf schuldnereigene Gegenstände verloren geht (vgl. B G H 7, 375). 4. Subjektiv ist Vorsatz erforderlich. Der Täter muß wissen, daß seine Erklärung falsch oder unvollständig ist und daß er sie vor einer zuständigen Stelle abgibt. Bedingter Vorsatz genügt. Bei f a h r l ä s s i g e r Begehungsweise siehe § 163 Abs. 1. 5. Der Versuch ist nicht strafbar, wohl aber die v e r s u c h t e A n s t i f t u n g (vgl. § 159). 6. Teilnahme ist nach allgemeinen Grundsätzen strafbar. B e i h i l f e liegt z . B . dann vor, wenn A für B eine Dissertation anfertigt, obwohl er weiß, daß B bei Abgabe der Arbeit der Fakultät gegenüber eidesstattlich versichern muß, daß er die Arbeit ohne fremde Hilfe gefertigt habe (vgl. R G 75, 112). Wegen v e r s u c h t e r A n s t i f t u n g siehe § 159; die V e r l e i t u n g e i n e s G u t g l ä u b i g e n o d e r G e i s t e s k r a n k e n ist gemäß § 160 strafbar. 7. Konkurrenzen: I d K . ist vor allem denkbar mit §§ 169, 171, 263, 272. 8. Siehe auch §§ 157, 158. § 15V [Gidesnotstand] ( 1 ) H a t e i n Zeuge oder Sachverständiger sich eines Meineids, einer falschen Versicherung a n Eides Statt oder einer falschen uneidlichen Aussage schuldig gemacht, so k a n n das Gericht die Strafe n a c h seinem E r m e s s e n mildern ( § 1 5 ) und i m F a l l e uneidlicher Aussage a u c h ganz von Strafe a b sehen, wenn der Täter die Unwahrheit gesagt h a t , u m von e i n e m Angehörigen oder von sich selbst die Gefahr einer gerichtlichen Bestrafung abzuwenden. ( 2 ) Das Gericht k a n n a u c h dann die Strafe n a c h seinem Ermessen mildern ( § 15) oder ganz von Strafe absehen, wenn ein n o c h nicht Eidesmündiger uneidlich falsch ausgesagt hat. 1. Die Vorschrift gilt nur für Zeugen und Sachverständige, nicht auch für die Partei im Zivilprozeß und den Schuldner im Verfahren zur Erzwingung einer eidesstattlichen Versicherung (siehe hierzu § 156 Anm. 3). Auch A n s t i f t e r und G e h i l f e n können die Vergünstigungen des Eidesnotstands nicht für sich in Anspruch nehmen (BGH 1, 23; 3, 320; Dreher 1 ; Lackner-Maassen 2 ; Maurach B T 699f.; a . A . Bemmann, Mayer-Festschrift 485, 491 m. weit. Nachw.). 2. I m Falle einer u n e i d l i c h e n F a l s c h a u s s a g e (§ 153) kann das Gericht von Strafe absehen, bei einer E i d e s v e r l e t z u n g gemäß §§ 154, 156 kann die Strafe nur gemildert werden. Die Art der Milderung richtet sich nach dem durch das 1. S t r R G mit Wirkung v. 1. 4. 1970 neu eingeführten § 15. 3. Der Täter muß in der Absicht handeln, die Gefahr einer gerichtlichen Bestrafung wegen einer früher begangenen Straftat von sich oder einem Angehörigen abzuwenden. Nicht ausreichend ist die Gefahr, wegen einer Ordnungswidrigkeit
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Falsche uneidliche Aussage und Meineid
§ 158
verfolgt zu werden (BayObLG N J W 1971, 630). Unerheblich ist, ob tatsächlich die Gefahr einer gerichtlichen Bestrafung besteht. Entscheidend ist die V o r s t e l l u n g d e s T ä t e r s . Der Begriff des A n g e h ö r i g e n ist § 52 Abs. 2 zu entnehmen. Siehe dort Anm. I I I . 4. Als Vortaten kommen alle strafbaren Handlungen in Betracht, auch Aussagedelikte gemäß §§ 153 ff. Auf § 157 kann sich daher auch der berufen, der in 2. Instanz nur deshalb an seiner schon in 1. Instanz gemachten falschen Aussage festhält, weil er fürchtet, im Falle einer wahrheitsgemäßen Aussage wegen seiner falschen Aussage in 1. Instanz zur Verantwortung gezogen zu werden. Dies gilt allerdings nicht, wenn die Voraussetzungen des Fortsetzungszusammenhangs gegeben sind. I n diesem Fall müßten die Aussagen in 1. und 2. Instanz als e i n h e i t l i c h e F a l s c h a u s s a g e gewertet werden,so daß für §157 kein Raum bleibt (BGH [GrSen] 8,319).Ebensowenig kann sich auf § 157 berufen, wer in derselben Instanz eine zunächst uneidlich gemachte Falschaussage nur deshalb beschwört, weil er fürchtet, wegen der uneidlichen Falschaussage bestraft zu werden. Dies ergibt sich aus der Erwägimg, daß die Falschaussage ihre eigenständige Bedeutung verliert, sobald der Täter sie auf seinen Eid nimmt (vgl. BGH a.a.O.). 5. Die Vorschrift findet auch dann Anwendung, wenn der Täter die Zwangslage verschuldet hat. Beispiel: A sagt als Zeuge falsch aus, weil er befürchtet, bei wahrheitsgemäßen Angaben wegen falscher Anschuldigung zur Verantwortung gezogen zu werden (vgl. BGH 7, 332). 6. Die Möglichkeit, die Strafe zu mildern oder ganz von Strafe abzusehen, besteht gemäß Abs. 2 auch f ü r u n e i d l i c h e F a l s c h a u s s a g e n von Eidesunmündigen, d.h. Personen, die zwar das 14., aber noch nicht das 16. Lebensjahr vollendet haben (vgl. § 60 Nr. 1 StPO). § 157 ist hier aber nur zu prüfen, wenn sich nicht bereits aus § 3 JGG ergibt, daß der Jugendliche mangels Reife für die Tat strafrechtlich nicht verantwortlich ist. Wegen einer e i d l i c h e n F a l s c h a u s s a g e eines Eidesunmündigen siehe § 154 Anm. 7. 7. A n d e r e S t r a f t a t e n , die mit einer unter den Voraussetzungen des § 157 begangenen Falschaussage t a t e i n h e i t l i c h zusammentreffen, z.B. Betrug, Begünstigung, falsche Anschuldigung, behalten ihre eigenständige Bedeutung. Die Strafe kann natürlich auch hier nach allgemeinen Grundsätzen gemildert werden. Die Möglichkeit, von Strafe ganz abzusehen, besteht dagegen nicht. 8. Prozessual beachte §§ 153a, 465 Abs. 1 S. 2 StPO. § 158
[Tätige Reue]
(1) Das Gericht kann die Strafe wegen Meineids, falscher Versicherung a n Eides Statt oder falscher uneidlicher Aussage nach seinem Ermessen mildern (§ 15) oder von Strafe absehen, wenn der Täter die falsche Angabe rechtzeitig berichtigt. (2) Die Berichtigung ist verspätet, wenn sie bei der Entscheidung nicht mehr verwertet werden kann oder aus der Tat ein Nachteil für einen anderen entstanden ist oder wenn schon gegen den Täter eine Anzeige erstattet oder eine Untersuchung eingeleitet worden ist. (3) Die Berichtigung kann bei der Stelle, der die falsche Angabe gemacht worden ist oder die sie im Verfahren zu prüfen hat, sowie bei einem Gericht, einem Staatsanwalt oder einer Polizeibehörde erfolgen. 1. Die durch das 1. StrRG mit Wirkung v. 1. 4. 1970 dem neuen § 15 angepaßte Vorschrift enthält einen persönlichen Strafaufhebungs- bzw. Strafmilderungsgrund. Sie bezieht sich auf alle Fälle der §§ 153, 154, 156. Ihre Besonderheit besteht darin,
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§
158
Strafgesetzbuch
daß der Täter sich durch tätige Reue ausnahmsweise auch noch n a c h V o l l e n d u n g d e s D e l i k t s Straffreiheit verschaffen kann. Blieb die Tat im V e r s u c h s s t a d i u m , so ist — wie auch sonst — zu prüfen, ob der Täter sich mit strafbefreiender Wirkung auf § 46 berufen kann. B e i s p i e l : A bekundet als Zeuge vor dem Schöffengericht bewußt der Wahrheit zuwider, der Angeklagte X habe sich zur Tatzeit in seiner Wohnung aufgehalten, könne also die ihm zur Last gelegte T a t nicht begangen haben. Nachdem er zum Nachsprechen der Eidesformel angesetzt hat, kommen ihm Bedenken. Wenn er n u n seine Atissage freiwillig berichtigt, so ist zunächst festzustellen, daß er sich eines versuchten Meineids schuldig gemacht hat, dieser aber gemäß § 46 Nr. 1 straflos bleibt. Eine Bestrafung wegen uneidlicher Falschaussage nach § 153 kann ebenfalls nicht erfolgen, da ein Aussagedelikt in jedem Fall nur der Würdigung unter dem Blickwinkel des § 154 unterliegt, sobald es zum Versuch dieses Verbrechens gekommen ist. 2. Auch Teilnehmer (Anstifter und Gehilfen) können sich auf die Vergünstigungen des § 158 berufen, allerdings nur dann, wenn sie selbst mit Erfolg auf eine rechtzeitige Berichtigung hingewirkt haben. Die Tatsache, daß der Täter die Aussage rechtzeitig berichtigt h a t , genügt f ü r sich allein noch nicht, u m auch dem Teilnehmer Straffreiheit oder Strafmilderung zu verschaffen. Einzelheiten siehe BGH N J W 1951, 727 und B G H 4, 172. 3. Auf die versuchte Tat ist § 158 nur dann anwendbar, wenn sich die Straffreiheit nicht schon aus § 46 ergibt (BGH 4, 173). Dies wäre etwa dann der Fall, wenn die Aussage zwar rechtzeitig, aber nicht freiwillig berichtigt worden ist (vgl. B G H a.a.O.). 4. Die Berichtigung verlangt eine e i n d e u t i g e u n d a u s d r ü c k l i c h e E r k l ä r u n g . Die unrichtige Darstellung m u ß in allen nicht völlig nebensächlichen P u n k ten durch Mitteilung der Wahrheit ersetzt werden. Es genügt daher nicht, daß der Täter seine unrichtige Darstellung nur widerruft oder bei einer späteren Vernehmung sich darauf beschränkt, nach Belehrung gemäß § 55 StPO die weitere Aussage zu verweigern (vgl. BGH 18, 348). Da die Berichtigung mehr ist als ein Widerruf, genügt es auch nicht, daß der Täter sich darauf beschränkt, bei einer erneuten Vernehmung eine richtige Darstellung zu geben. Dies wäre lediglich ein Widerspruch zu der früheren Aussage. E r muß vielmehr eindeutig zu erkennen geben, daß die frühere Aussage falsch war (BGH 21, 115). 5. Die Berichtigung ist verspätet (vgl. Abs. 2), wenn sie a) bei der Entscheidung nicht mehr verwertet werden kann oder b) bereits ein Nachteil f ü r einen anderen entstanden ist oder c) bereits Anzeige erstattet oder eine Untersuchung eingeleitet worden ist. Zu a ) : Eine r e c h t s k r ä f t i g e Entscheidung ist nicht erforderlich; es m u ß aber eine Entscheidung ergangen sein, die die jeweilige Instanz abschließt. Zu b): Als N a c h t e i l gilt jede Beeinträchtigung der Rechtsstellung, die über die bloße Verschlechterung der Beweislage hinausgeht (vgl. B G H N J W 1962,2164 mit weit. Nachweisen und Beispielen). Zu c): Ob der Täter w e i ß , daß bereits eine Anzeige gegen ihn vorliegt bzw. daß ein Verfahren gegen ihn eingeleitet ist, ist unerheblich, da es bei § 158 — anders als bei §§ 46, 49a Abs. 3 u n d 4 — nicht auf die Freiwilligkeit, sondern nur auf die Rechtzeitigkeit ankommt (vgl. B G H 4, 172, 175). 6. Ob das Gericht die Strafe mildert oder ganz von Strafe absieht, steht in seinem Ermessen (vgl. § 15). 7. Prozessual zu beachten sind §§ 153a, 465 Abs. 1 Satz 2 StPO.
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Falsche uneidliehe Aussage und Meineid
§ §159»
160
§ 1 5 9 [Erfolglose Anstiftung:] Die Vorschriften über die Bestrafung der erfolglosen Anstiftung bei Verbrechen (§ 4 9 a Abs. 1, Abs. 3 Nr. 1 und Abs. 4) gelten entsprechend für die Fälle der. falschen uneidlichen Aussage und der wissentlichen Abgabe einer falschen Versicherung an Eides Statt. 1. Anliegen der Vorschrift ist es, den Anwendungsbereich des § 49 a auf die Vergehenstatbestände der §§ 153, 156 auszudehnen. Die Strafbarkeit der versuchten Anstiftung zum Meineid ergibt sich dagegen unmittelbar aus § 49 a. Kommt es aufgrund der Einwirkung des Anstifters zu einem Versuch der §§ 153, 156, der jedoch mangels Strafdrohung nicht strafbar ist, so findet § 159 keine Anwendung. § 49 a kommt zwar auch dann in Betracht, wenn die Tat im Falle ihrer Ausführung nur zu einem Versuch hätte führen können; dieser Gedanke darf jedoch nicht auf § 159 übertragen werden, da § 49a sich nur auf Verbrechen bezieht, bei denen der Versuch immer strafbar ist, während er bei den §§ 153, 156 nie strafbar ist (BGH 24, 38 m. zust. Anm. Blei J A 1971, StR S. 79 sowie abl. Anm. Dreher MDB 1971, 410 und Schröder JZ 1971, 564). Wie BGH 24, 38 jedoch auch Willms L K 2. 2. Wie bei § 49a muß auch bei § 159 der Vorsatz des Anstifters daraufgerichtet sein, daß der von ihm Aufgeforderte v o r s ä t z l i c h falsch aussagt bzw. v o r s ä t z l i c h eine falsche Versicherung an Eides Statt abgibt. Hält er die Aussageperson f ü r gutgläubig, so kommt nicht § 159, sondern § 160 in Betracht. 3. B e i s p i e l : Der Angeklagte A fordert seinen Bruder B auf, ihm als Zeuge vor Gericht der Wahrheit zuwider zu bestätigen, er sei zur fraglichen Tatzeit zu Hause gewesen, könne also den ihm zur Last gelegten Diebstahl nicht begangen haben. A weiß, daß B als Angehöriger nicht vereidigt werden wird (vgl. § 61 Nr.2 StPO). Sagt B tatsächlich falsch aus, so ist A wegen Anstiftung zur vorsätzlichen uneidlichen Falschaussage gemäß §§ 153, 48 zu bestrafen. § 159 ist ohne Bedeutung. § 159 kommt jedoch dann in Betracht, weifn B sich entweder weigert, Angaben zu machen (vgl. § 62 StPO), oder wenn er entgegen der Erwartung des A wahre Angaben macht.
§ 1®0 [Verleitung: zur Falschaussage] (1) Wer einen anderen zur Ableistung eines falschen Eides verleitet, wird mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren bestraft; wer einen anderen zur Ableistung einer falschen Versicherung an Eides Statt oder einer falschen uneidlichen Aussage verleitet, wird mit Freiheitsstrafe bis zu sechs Monaten bestraft. (2) Der Versuch ist strafbar. 1. Die Vorschrift bezieht sich nicht nur auf den Meineid, sondern auch auf die Tatbestände der §§ 153, 156. Sie ersetzt die fehlende Möglichkeit, mittelbare Täterschaft anzunehmen (vgl. Vorbem. A T , Abschn. B I 6, S. 11), und setzt im Normalfall voraus, daß die Aussageperson gutgläubig ist und derjenige, der sie zur Aussage verleitet, dies auch weiß. Der Begriff des V e r l e i t e n s ist also — ähnlich wie in § 144 — in aller Regel mit einer T ä u s c h u n g verbunden. B e i s p i e l : A bittet B, ihm als Zeuge vor Gericht zu bestätigen, er sei am 10. 1. mit ihm im Kino gewesen. B kann sich zwar nicht mehr recht erinnern, läßt sich aber von A überzeugen und sagt vor Gericht dementsprechend aus. In Wirklichkeit waren A und B nicht am 10. 1., sondern erst am 11. 1. im Kino, wie A genau wußte. Wird B auf seine in gutem Glauben gemachte, objektiv falsche Aussage vereidigt, so kommt für ihn Strafbarkeit wegen fahrlässigen Falscheids (§ 163 Abs. 1) in Betracht; A ist gemäß § 160 zu bestrafen.
347
§§ 161,
163
Strafgesetzbuch
2. § 160 kommt ferner dann in Betracht, wenn die Aussageperson zwar nicht gutgläubig, dafür aber geisteskrank ist und der Hintermann dies weiß. Hier käme normalerweise mittelbare Täterschaft in Betracht. D a aber alle Aussagedelikte eigenhändige Delikte sind, mittelbare Täterschaft somit ausscheidet, kann auch dieser Fall nur durch § 160 erfaßt werden (vgl. Schönke-Schröder 1; Mezger-Blei BT 277; sehr bestr.). 3. Der Versuch ist gemäß Abs. 2 unter Strafe gestellt. Versuch k o m m t vor allem dann in Betracht, wenn die Aussageperson, die zu einer Falschaussage verleitet werden soll, entweder überhaupt nicht vernommen wird oder entgegen der Vorstellung des Hintermanns richtig aussagt. 4. Behandlung der Irrtumsprobleme: a) § 160 kommt auch dann zur Anwendung, wenn die A u s s a g e p e r s o n e n t gegen der Vorstellung des H i n t e r m a n n s nicht gutgläubig, sondern v o r s ä t z l i c h f a l s c h a u s s a g t , z.B. einen Meineid schwört. Anstiftung zum Meineid scheidet aus, da der Hintermann nicht den Anstiftervorsatz hatte. Die Frage, ob die Bestrafung wegen Anstiftung zum Meineid oder gemäß § 160 zu erfolgen hat, wirkt sich hier besonders deshalb aus, weil der Strafrahmen des § 160 f ü r den Täter wesentlich günstiger ist als eine Bestrafung wegen Anstiftung zum Meineid. Genau genommen ist die vorsätzliche Tatbegehung seitens der Aussageperson aus der Sicht des Hintermanns ein Tatumstand, f ü r den der Hintermann nach allgemeinen Grundsätzen (§ 59) nicht haftet. Anders ist zu entscheiden, wenn der Hintermann bei der Einwirkung auf die Aussageperson damit gerechnet h a t , diese werde die wahre Sachlage erkennen und dennoch falsch aussagen. Dann bestünden keine Bedenken, den Hintermann wegen Anstiftung zum Meineid zu bestrafen. So aber kommt nur § 160 in Betracht. Verfehlt wäre es auch, wollte man den Hintermann mit der Begründung, der Tatbestand des § 160 sei mangels Gutgläubigkeit der Aussageperson nicht erfüllt, nur wegen Versuchs (§§ 160, 43) bestrafen. Eine derartige Bestrafung könnte den objektiven Unrechtsgehalt der T a t nicht erfassen. Der Hintermann darf durch den Umstand, daß die Aussageperson entgegen seiner Vorstellung mehr getan, nämlich vorsätzlich falsch ausgesagt h a t , nicht schlechter, andererseits auch nicht besser gestellt werden (vgl. BGH 21, 116; Schönke-Schröder 12; Lackner-Maassen Anm. 4; a.A. Maurach BT 698; Dreher 3; Gallas, Engisch-Festschr. S. 600 sowie Welzel 534, die nur Versuch annehmen.) b) § 160 kommt schließlich auch dann zur Anwendung, wenn die A u s s a g e p e r s o n e n t g e g e n d e r V o r s t e l l u n g d e s H i n t e r m a n n s g u t g l ä u b i g ist. Auch hier scheidet Anstiftung aus, da Anstiftung ohne vorsätzliche H a u p t t a t begrifflich nicht denkbar ist (vgl. Vorbem. AT, Abschn. H V 2c, S. 61 f.). Die Bestrafung nur gemäß § 160 ist in diesem Fall jedoch nicht geeignet, auch den subjektiven Unrechtsgehalt der T a t zu erfassen. Der Hintermann wollte mehr erreichen, als er erreicht h a t : er wollte einen Meineid, nicht nur einen fahrlässigen oder gar schuldlosen Falscheid. Bei dieser Sachlage erscheint es geboten, neben § 160 idealkonkurrierend noch wegen versuchter Anstiftung zum Meineid (§§ 154, 49a) zu bestrafen. Nur so können sowohl der objektive als auch der subjektive Unrechtsgehalt der T a t erfaßt werden (vgl. Hruschka J Z 67, 210; sehr str., vgl. Gallas, Engisch-Festschr. S. 600). § 1 6 1 [Nebenslrafen u n d Xebcnfolgren] Durch das 1. StrKG mit Wirkung vom 1.4.1970 aufgehoben. §
163
348
[aufgehoben]
Falsche Anschuldigung
§163
§ § 163, 164
[Fahrlässiger Falscheid]
(1) Wenn eine der in §§ 154 bis 156 bezeichneten Handlungen aus F a h r lässigkeit begangen worden ist, so tritt Freiheitsstrafe bis zu einem J a h r ein. (2) Straflosigkeit tritt ein, wenn der Täter die falsche Angabe rechtzeitig berichtigt. Die Vorschriften des § 158 Abs. 2 und 3 gelten entsprechend. 1. Nur der fahrlässige Falscheid und die fahrlässige falsche Versicherung an Eides Statt sind strafbar, nicht auch die fahrlässige uneidliche Falschaussage. Seit der Ersetzung des Offenbarungseids durch eidesstattliche Versicherungen steht in der Praxis vor allem dieser Komplex im Vordergrund. Hierbei ist zu beachten, daß jeder, der eine eidesstattliche Versicherung abgibt, bei Auftreten etwaiger Zweifel über die Richtigkeit seiner Angaben verpflichtet ist, in geeigneter Weise Erkundigungen einzuholen (vgl. Krhe 6 A 1971, 59). Demgegenüber ist ein Zeuge weder im Strafprozeß noch im Zivilprozeß verpflichtet, sich auf die Vernehmung besonders vorzubereiten. 2. Die Vorschrift kommt auch dann zur Anwendung, wenn unklar bleibt, ob der Täter vorsätzlich oder fahrlässig gehandelt hat (vgl. B G H 4, 341; 17, 210). 3. Wegen I d K . mit § 153 siehe oben § 154 Anm. 5.
Zehnter Abschnitt: Falsche Anschuldigung (§§ 164f.) § 164 [Falsche Anschuldigung] (1) Wer einen anderen bei einer Behörde oder einem zur Entgegennahme von Anzeigen zuständigen Beamten oder militärischen Vorgesetzten oder öffentlich wider besseres Wissen einer strafbaren Handlung oder der Verletzung einer Amts- oder Dienstpflicht in der Absicht verdächtigt, ein behördliches Verfahren oder andere behördliche Maßnahmen gegen ihn herbeizuführen oder fortdauern zu lassen, wird wegen falscher Anschuldigung mit Freiheitsstrafe von einem Monat bis zu f ü n f J a h r e n bestraft. (2) Ebenso wird bestraft, wer in gleicher Absicht bei einer der i m Absatz 1 bezeichneten Stellen oder öffentlich über einen anderen wider besseres Wissen eine sonstige Behauptung tatsächlicher Art aufstellt, die geeignet ist, ein behördliches Verfahren oder andere behördliche Maßnahmen gegen ihn herbeizuführen oder fortdauern zu lassen. (3) Solange ein infolge der gemachten Anzeige eingeleitetes Verfahren anhängig ist, soll mit dem Verfahren und mit der Entscheidung über die falsche Anschuldigung innegehalten werden. 1. Verdächtigen in Abs. 1 bedeutet die Vornahme von Handlungen, die einen Verdacht hervorrufen sollen. Behaupten in Abs. 2 ist enger als verbreiten und bedeutet soviel wie a l s w a h r h i n s t e l l e n . Wer also nicht selbst verdächtigt, sondern nur eine fremde Verdächtigung, deren Unrichtigkeit er nicht kennt, an die für die Prüfung zuständige Behörde weiterleitet, erfüllt nicht den Tatbestand der falschen Anschuldigung (vgl. B G H 14, 240, 244). Ein Verdächtigen kann auch dann vorliegen, wenn der Täter einer Behörde Belastungsmaterial in die Hände spielt, z . B . durch anonyme Zuleitung gefälschter Urkunden.
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§164
Strafgesetzbuch
2. Die Verdächtigung muß o b j e k t i v u n w a h r sein. Diese Voraussetzung liegt nicht nur dann vor, wenn die behauptete T a t überhaupt nicht begangen wurde, sondern auch dann, wenn sie zwar begangen wurde, aber nicht von dem, auf den der Verdacht gelenkt wird. Entscheidend ist immer, ob sich das t a t s ä c h l i c h e V o r b r i n g e n des Anzeigers als falsch erweist. Keine falsche Anschuldigung liegt daher vor, wenn das tatsächliche Vorbringen richtig ist, der Anzeiger nur einen falschen rechtlichen Schluß aus dem von ihm unterbreiteten Tatsachenmaterial gezogen hat. 3. Die Verdächtigung muß sich g e g e n e i n e n a n d e r e n richten. Diese Voraussetzung kann auch dann vorliegen, wenn der Verdacht auf eine andere Person fällt als auf diejenige, die der Täter an sich verdächtigen wollte ( B G H 9, 240). Die falsche S e l b s t b e z i c h t i g u n g fällt dagegen nicht unter den Anwendungsbereich der Vorschrift (siehe jedoch § 145d). 4. Erforderlich ist weiter, daß die Verdächtigung ö f f e n t l i c h , bei einer B e h ö r d e oder einem zur Entgegennahme von Anzeigen zuständigen B e a m t e n ( z . B . einem Polizeibeamten oder einem Staatsanwalt, vgl. § 158 StPO) erhoben wird. Bei Soldaten genügt es, wenn die gegen sie erhobenen Vorwürfe bei einem ihrer militärischen Vorgesetzten vorgebracht werden. 5. I s t Gegenstand der Verdächtigung eine s t r a f b a r e H a n d l u n g , so ist folgendes zu beachten: Da das in § 164 geschützte Rechtsgut die staatliche Rechtspflege ist, genügt es nicht, daß die behauptete Straftat objektiv und subjektiv den Tatbestand eines bestimmten Strafgesetzes erfüllt. E r f o r d e r l i c h ist vielmehr, daß die von dem Anzeiger behauptete T a t — unterstellt, sein Vortrag wäre richtig — n i c h t n u r t a t b e s t a n d s m ä ß i g , s o n d e r n a u c h r e c h t s w i d r i g , s c h u l d h a f t u n d v e r f o l g b a r ist. Diese Voraussetzungen fehlen, wenn schon nach dem Vortrag des Anzeigers der Verdächtigte sich auf einen Rechtfertigungsgrund, einen Schuldausschließungsgrund oder einen persönlichen Strafausschließungsgrund berufen könnte oder die behauptete T a t längst verjährt oder amnestiert wäre. I n diesem Fall würden die Strafverfolgungsbehörden überhaupt nicht tätig werden, so daß begrifflich nur V e r s u c h in Betracht kommt, der aber bei § 164 nicht tinter Strafe gestellt ist. 6. Die Verdächtigung kann auch darin bestehen, daß jemand zwar keiner strafbaren Handlung, wohl aber einer V e r l e t z u n g s e i n e r A m t s - o d e r D i e n s t p f l i c h t beschuldigt wird. B e i s p i e l : Einem Staatsanwalt wird vorgeworfen, er stelle leichtfertig Verfahren ein. 7. Der Tatbestand des Abs. 2 erweitert den Anwendungsbereich der Vorschrift auf solche Beschuldigungen, die zwar weder eine strafbare Handlung noch die Verletzung einer Amts- oder Dienstpflicht enthalten (sonst Abs. 1), aber dennoch generell geeignet sind, gegen den Beschuldigten ein behördliches Verfahren oder sonstige behördliche Maßnahmen herbeizuführen oder fortdauern zu lassen. a) Zu den b e h ö r d l i c h e n V e r f a h r e n und M a ß n a h m e n gehören vor allem Bußgeldverfahren nach dem OWiG (vgl. Herdegen L K 19), vormundschaftsgerichtliche Maßnahmen zur Entziehung des Personensorgerechts, ferner Verfahren, die zur Entziehung einer Approbation oder Konzession führen können, sowie Verwaltungsmaßnahmen zur Unterbringung eines Geistes- oder Suchtkranken in einer Anstalt. Zivilprozessuale Entscheidungen sind dagegen keine „behördlichen" Maßnahmen i. S. von § 164. b) Die Beschuldigung muß — wie bei Abs. 1 — B e h a u p t u n g e n l i c h e r A r t enthalten. Bloße Werturteile genügen nicht.
350
tatsäch-
Falsche Anschuldigung
§
165
8. Der subjektive Tatbestand erfordert, daß der Täter a) die falsche Anschuldigung w i d e r b e s s e r e s W i s s e n erhoben h a t ; er muß also von der Unwahrheit der aufgestellten Behauptung überzeugt gewesen sein; b) die A b s i c h t verfolgt hat, ein b e h ö r d l i c h e s V e r f a h r e n oder andere behördliche Maßnahmen gegen den Verdächtigten herbeizuführen oder fortdauern zu lassen. Diese Absicht muß nicht das Motiv gewesen sein. Dolus directus genügt (BGH 5, 66; 13, 219; Str.). c) Die früher in Abs. 5 enthaltene Strafdrohung für die mit b e d i n g t e m V o r s a t z oder l e i c h t f e r t i g begangene falsche Anschuldigung ist durch das 1. StrRG mit Wirkung vom 1. 9. 1969 ersatzlos aufgehoben worden. Damit wurde der Rechtszustand wiederhergestellt, wie er bereits vor der Änderung der Vorschrift durch das Gesetz vom 26. 6. 1933 bestanden hatte. Der hauptsächliche Grund zur Aufhebung des Abs. 5 waren die in der Praxis auftretenden Abgrenzungsschwierigkeiten, die zu einer unerfreulichen Rechtsunsicherheit geführt haben. So war es z. B. immer wieder zweifelhaft, ob ein Bestohlener Strafanzeige gegen eine Person richten darf, gegen die sich sein erster Verdacht richtet. Sehr schwierig zu entscheiden war dabei insbesondere die Frage, wieweit jemand verpflichtet ist, vor Erstattung einer Strafanzeige eigene Nachforschungen anzustellen. Auch rechtspolitisch wurden gegen die Strafdrohung des Abs. 5 vielfach Bedenken erhoben. Auf der Grundlage des in § 152 Abs. 2 StPO verankerten Legalitätsprinzips ist die StA gehalten, Anzeigen, die sich als unbegründet erwiesen haben, unter dem Gesichtspunkt einer strafbaren falschen Anschuldigung zu überprüfen. Jeder, der eine solche Anzeige erstattet hat, läuft daher Gefahr, daß sich die Ermittlungen jetzt gegen ihn selbst richten. Dies kann zum Schaden der Rechtspflege zu der unerwünschten Folge führen, daß gerade gewissenhafte und zuverlässige, aber auch ängstliche Bürger vor einer Mitarbeit bei der Verbrechensbekämpfung zurückschrecken (vgl. Begründung za § 444 E 1962). Durch die Aufhebung des Abs. 6 ist der zu Unrecht Verdächtigte keineswegs schutzlos geworden. Jede bedingt vorsätzliche oder leichtfertige falsche Anschuldigung kann — wie bisher — unter dem Gesichtspunkt der üblen Nachrede (§ 186) verfolgt und bestraft werden. Es steht dann im Belieben des Verdächtigten, ob er Strafantrag stellen soll oder nicht. Wird Strafantrag gestellt, so hat der StA nach allgemeinen Grundsätzen zu prüfen, ob ein öffentliches Interesse an der Strafverfolgung besteht oder ob er den Antragsteller auf den Privatklageweg verweist (vgl. §§ 374 I 2, 376 StPO). 9. Da § 164 nicht nur die Interessen des zu Unrecht Angeschuldigten, sondern vor allem auch die staatliche Rechtspflege schützt, ist die E i n w i l l i g u n g d e s A n g e s c h u l d i g t e n u n e r h e b l i c h (BGH 5, 66). Dieser macht sich u.U. sogar der Teilnahme schuldig. 10. Konkurrenzen: Abs. 1 und Abs. 2 können mit §§ 153ff., 239, 257ff. und §§ 185, 187 in I d e a l k o n k u r r e n z stehen. § 145d tritt subsidiär hinter § 164 zurück. 11. Abs. 3 schafft ein von Amts wegen zu berücksichtigendes, zwingendes V e r f a h r e n s h i n d e r n i s (BGH 8, 133). Verfahren i.S. der Vorschrift ist nicht erst das gerichtliche Verfahren, sondern bereits das staatsanwaltschaftliche Ermittlungsverfahren (BGH 8, 151). § 165 [Bekanntmachiuigrsbefugiiis] (1) Wird wegen falscher Anschuldigung auf Strafe erkannt, so ist zugleich dem Verletzten die Befugnis zuzusprechen, die Verurteilung auf Kosten des Schuldigen öffentlich bekanntzumachen. Die Art der Bekanntmachung sowie die Frist zu derselben ist in dem Urteil zu bestimmen.
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§ 166
Strafgesetzbuch
( 2 ) D e m Verletzten ist a u f K o s t e n des S c h u l d i g e n e i n e A u s f e r t i g u n g des Urteils z u erteilen. Die Vorschrift e n t h ä l t z w i n g e n d e s R e c h t . Sie findet keine A n w e n d u n g , wenn der zu U n r e c h t Angeschuldigte in die V e r d ä c h t i g u n g eingewilligt h a t ( B G H 5, 66).
Elfter Abschnitt: Vergeheil, welche sich auf Religion und Weltanschauung beziehen (§§
166—168)
§ 1 6 6 [Beschimpfung: eines religiösen oder weltanschaulichen Bekenntnisses] ( 1 ) W e r öffentlich oder durch Verbreiten v o n Schriften, T o n - oder Bildträgern, A b b i l d u n g e n oder D a r s t e l l u n g e n den I n h a l t des religiösen oder w e l t a n s c h a u l i c h e n B e k e n n t n i s s e s anderer in einer W e i s e beschimpft, die g e e i g n e t ist, d e n ö f f e n t l i c h e n Frieden z u stören, wird m i t Freiheitsstrafe bis z u drei J a h r e n oder m i t Geldstrafe bestraft. ( 2 ) Ebenso wird bestraft, w e r öffentlich oder durch Verbreiten v o n Schriften, T o n - oder Bildträgern, Abbildungen oder D a r s t e l l u n g e n eine i m I n l a n d besteh e n d e Kirche oder andere Religionsgesellschaft oder W e l t a n s c h a u u n g s v e r e i n i g u n g , ihre E i n r i c h t u n g e n oder Gebräuche i n einer W e i s e beschimpft, die g e e i g n e t ist, den öffentlichen Frieden z u stören. I. Die d u r c h d a s 1. StrRG eingeführte N e u f a s s u n g verzichtet b e w u ß t auf d e n f r ü heren T a t b e s t a n d der G o t t e s l ä s t e r u n g . H i e r d u r c h w i r d d e m Mißverständnis vorgebeugt, G o t t k ö n n e Gegenstand eines weltlichen Schutzes sein; a u ß e r d e m werden vor Gericht u n n ö t i g e Diskussionen ü b e r den Gottesbegriff vermieden (Beg r ü n d u n g des Sonderausschusses). Die N e u f a s s u n g der Vorschrift g e h t d a v o n aus, d a ß geschütztes Rechtsgut nicht d a s religiöse E m p f i n d e n des einzelnen, sondern d e r ö f f e n t l i c h e F r i e d e ist, der d u r c h grobe Verletzungen des Toleranzgebots i n F o r m von B e s c h i m p f u n g e n einer Kirche, Religionsgesellschaft, W e l t a n s c h a u u n g s vereinigung usw. g e f ä h r d e t wird. Dies k a n n auch in der Weise geschehen, d a ß der von Angehörigen einer solchen Gemeinschaft v e r e h r t e G o t t b e s c h i m p f t wird (Beg r ü n d u n g des Sonderausschusses). Z u m G a n z e n siehe a u c h Zipf N J W 1969, 1944. II. Die einzelnen T a t b e s t ä n d e : 1. Abs. 1 s c h ü t z t d e n Inhalt des religiösen oder weltanschaulichen Bekenntnisses. a) Der Anwendungsbereich der Vorschrift e r f a ß t nicht n u r Bekenntnisse kollektiver N a t u r , d . h . die Bekenntnisse von Kirchen, Religionsgemeinschaften u n d Weltanschauungsvereinigungen; geschützt ist a u c h d a s B e k e n n t n i s desjenigen, d e r sich z u b e s t i m m t e r Ü b e r z e u g u n g b e k e n n t , a b e r keine organisatorischen B i n d u n g e n eingehen will. b) Die T a t h a n d l u n g b e s t e h t im Beschimpfen des Bekenntnisses. Beschimpfend sind alle abfälligen Ä u ß e r u n g e n , die sich d u r c h F o r m u n d I n h a l t als r o h u n d besonders verletzend darstellen. D e r Begriff e n t s p r i c h t in e t w a d e m Tb.-Merkmal „ v e r u n g l i m p f e n " in d e n §§ 90, 9 0 a u n d 9 0 b . c) Die T a t m u ß u n t e r b e s t i m m t e n erschwerenden U m s t ä n d e n , n ä m l i c h öffentlich oder durch Verbreiten von Schriften usw. begangen worden sein. Ü b e r öffentlich siehe § 80 a A n m . 2 a . E i n e Schrift usw. ist verbreitet, sobald sie einer größeren
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Vergehen, welche sich auf Religion und Weltanschauung beziehen
§
167
Anzahl von Personen zugegangen ist. Unerheblich ist, ob diese Personen der Zahl oder dem Namen nach bekannt und bestimmt sind. d) Die Beschimpfung muß geeignet sein, den öffentlichen Frieden zu stören. Dieser Begriff ist bereits aus den §§ 126, 130 bekannt. Sinn und Zweck dieser Vorschriften ist es, das friedliche Zusammenleben aller Rechtsgenossen zu garantieren, ohne Rücksicht auf die Art ihrer Herkunft sowie ihrer politischen, weltanschaulichen oder religiösen Anschauungen. Die besondere Aufgabe des § 166 besteht darin, die friedliche Koexistenz der verschiedenen Bekenntnisse zu gewährleisten. Hieraus folgt, daß nicht jede beschimpfende Äußerung in der Öffentlichkeit oder durch Verbreiten von Schriften usw. den Tb. erfüllt. Der öffentliche Friede i.S. des § 166 ist vielmehr nur dann gestört, wenn die Äußerung bei Würdigung aller Umstände des Einzelfalls geeignet ist, in bestimmten Kreisen der Bevölkerung, insbesondere bei den durch die Äußerung unmittelbar betroffenen Personen oder Gruppen, das Gefühl aufkommen zu lassen, ihr Bekenntnis werde nicht mehr toleriert. Nicht erforderlich ist, daß tatsächlich ein solches Gefühl der Unsicherheit aufkommt. Es genügt schon die Eignung schlechthin. 2. Abs. 2 schützt die Kirchen, Religionsgesellschaften und Weltanschauungsvereinigungen vor Beschimpfung. Die Erweiterung des Schutzbereichs gegenüber der bisherigen Fassung des § 166 und auch gegenüber dem E 1962 beruht auf der verfassungsrechtlich gebotenen Gleichstellung von religiösen und weltanschaulichen Bekenntnissen (vgl. Art. 4 I GG) sowie von Religionsgesellschaften und Weltanschauungsvereinigungen (vgl. Art. 140 GG i.V. mit Art. 137 V I I der Weimarer Reichsverfassung). Hinsichtlich der Tathandlung (Beschimpfen) und ihrer Form (öffentlich usw.) sowie ihre Eignung, den öffentlichen Frieden zu gefährden, siehe oben Anm. I I 1. III. Der subj. Tb. erfordert Vorsatz, wobei bedingter Vorsatz genügt. Der Täter muß insbesondere auch wissen und billigend in Kauf nehmen, daß seine Äußerung geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören. Bei einer unbedachten, impulsiven Äußerung kann dieses Bewußtsein fehlen. IV. Idk. ist möglich mit §§ 167, 167a, 168, 185, 303f.
§ 16V [Störung: des Gottesdienstes] (1) W e r 1. den Gottesdienst oder eine gottesdienstliche H a n d l u n g einer i m I n l a n d bestehenden Kirche oder anderen Religionsgesellschaft absichtlich u n d i n grober Weise stört oder 2. a n einem Ort, der d e m Gottesdienst einer solchen Religionsgesellschaft gewidmet ist, beschimpfenden U n f u g verübt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei J a h r e n oder mit Geldstrafe bestraft. (2) D e m Gottesdienst stehen entsprechende Feiern einer i m Inland b e stehenden Weltanschauungsvereinigung gleich. I. Die durch das 1. StrRG eingeführte Neufassung verzichtet in Abweichung von der früheren Fassung und entgegen dem Entwurf 1962 bewußt auf eine Strafdrohung für den Fall, daß jemand einen anderen gewaltsam oder durch Androhung eines Übels daran hindert, einen Gottesdienst abzuhalten oder an einem Gottesdienst teilzunehmen. Der Verzicht auf eine besondere Strafdrohung erfolgte mit Rücksicht darauf, daß der strafrechtliche Schutz gegen Nötigungen dieser Art bereits durch andere Straftatbestände, insbesondere durch § 240, hinreichend gewährleistet ist (Begründung des Sonderausschusses in Anlehnung an die Begründung des AE). 23 Petters-Preisendanz, StGB, 23. Aufl.
353
§ 16V
Strafgesetzbuch
Q. Die einzelnen Tatbestände: 1. Der 1. Alternativtatbestand (Abs. 1 Nr. 1) will den ungestörten Verlauf des Gottesdienstes und einzelner gottesdienstlicher Handlungen gewährleisten. a) Gottesdienst ist die Vereinigung der Mitglieder einer Kirche oder Religionsgesellschaft zur religiösen Erbauung durch Verehrung und Anbetung Gottes nach den Vorschriften, Gebräuchen und Formen ihrer Gemeinschaft (vgl. SchönkeSchröder B n . 2, Dreher 2 A). Gottesdienste einer im Inland nicht bestehenden, d . h . ausländichen Kirche oder Religionsgemeinschaft sind wie im früheren Recht in den Schutz der Vorschrift nicht mit einbezogen, wohl aber Feiern einer im Inland bestehenden Weltanschauungsvereinigung (vgl. Abs. 2). Zu den im Inland bestehenden Religionsgesellschaften gehören z.B. die Baptistengemeinde (vgl. RG 31, 237) und die Heilsarmee (vgl. RG 39, 388). Unerheblich ist der Ort, an dem der Gottesdienst abgehalten wird. Nicht nur der Gottesdienst in einer Kirche, sondern auch ein Wald- oder Feldgottesdienst sind geschützt. b) Zu den ebenfalls geschützten gottesdienstlichen Handlungen gehören vor allem Taufe, Trauung und Beerdigung sowie kirchliche Prozessionen, nicht dagegen Andachtsübungen einzelner. Auch bei dieser Tatbestandsalternative ist unerheblich, an welchem Ort die gottesdienstliche Handlung vorgenommen wird (wichtig f ü r Straßen- und Feldprozessionen). c) Die Tathandlung besteht in der groben Störung des Gottesdienstes oder der gottesdienstlichen Handlung. I m Gegensatz zur früheren Fassung ist die Strafbarkeit nicht auf Störungen bestimmter Art beschränkt; erfaßt werden vielmehr Störungen aller Art, insbesondere die schon früher hervorgehobene Erregung von Lärm oder Unordnung. Da nur grobe Störungen den Tatbestand verwirklichen, scheiden unwesentliche Beeinträchtigungen aus. d) Absichtlich handelt, wem es darauf ankommt, den Gottesdienst zu stören. Erfaßt werden soll vor allem der böswillige Störer, der sich aus niedrigen Beweggründen, z.B. aus H a ß oder einer atheistischen Aversion heraus zur T a t hinreißen läßt. Böswillig wäre z.B. eine Demonstration kirchenfeindlicher Gruppen während des Gottesdienstes, um diesen in eine politische Diskussion,.umzufunktionieren". Nicht böswillig wäre dagegen z.B. das Bestreben einer grundsätzlich kirchenfreundlich eingestellten Gemeindegruppe, durch Zwischenrufe während der Predigt eine Diskussion über geforderte Reformen zu erreichen. Entgegen dem Vorschlag des Sonderausschusses wurde der Tb. aber nicht auf böswillige Störungen beschränkt. Der Begriff „absichtlich" geht über „böswillig" hinaus. E r erfaßt auch solche Fälle, in denen der Täter an sich durchaus billigenswerte Ziele erstrebt, dabei aber einen Weg wählt, der von der Allgemeinheit mißbilligt wird. Tatbestandsmäßig kann daher auch das Verhalten der in dem letzten Beispiel erwähnten kirchenfreundlichen Gruppe sein, sofern man die Störung als „grob" bezeichnen m u ß . Abgrenzungsschwierigkeiten werden sich in diesem Zusammenhang gerade in subj. Hinsicht kaum vermeiden lassen. e) Die Rechtswidrigkeit kann entfallen durch Notwehr (z.B. bei Erwiderung auf beleidigende Angriffe durch den Geistlichen während dessen Predigt, vgl. R G 21, 168), ferner durch übergesetzlichen Notstand (z.B. wenn der Gottesdienst wegen eines in der Gemeinde ausgebrochenen Brandes gestört wird oder wenn wegen eines Unfalls ein am Gottesdienst teilnehmender Arzt gesucht wird). 2. Der 2. Alternativtatbestand (Abs. 1 Nr. 2) schützt die Stätten des Gottesdienstes vor beschimpfendem Unfug. Die Vorschrift ersetzt den letzten Alternativtatbestand des früheren § 166. a) Wie beim 1. Alternativtatbestand sind nur inländische Religionsgesellschaften geschützt (s.o. l a ) . Örtlich gesehen u m f a ß t der Schutz vor allem Kirchen, aber auch 354
Vergehen, welche sich auf Religion usw. beziehen
§§ 167a,
168
Kapellen, Betsäle und sonstige Räume, deren ausschließliche, zumindest aber überwiegende Bestimmung darin besteht, dem Gottesdienst zu dienen. Nicht erfaßt werden Orte, die nur einzelnen gottesdienstlichen Handlungen gewidmet oder zu religiösen Versammlungen bestimmt sind. Hier kommt nur § 166 in Betracht (vgl. Begründung zu § 189 E 1962). b) Die Tathandlung besteht im Verüben beschimpfenden Unfugs. Hierher gehört jede Handlung, durch die der Andachtscharakter des Ortes roh herabgewürdigt wird, z.B. durch Verunreinigung oder Verwüstung, aber auch durch Vornahme sexueller Handlungen (vgl. BGH 9, 140). c) Der subj. Tb. erfordert Vorsatz. Dieser muß sich insbesondere darauf erstrecken, daß die Handlung als rohe Herabwürdigung des Andachtscharakters empfunden wird. Bedingter Vorsatz genügt. m . Idk. ist möglich mit §§ 166, 167 a, 303, 304.
§ 16V a [Störung einer Bestattungsfeier] Wer eine Bestattungsfeier absichtlich oder wissentlich stört, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. 1. Soweit eine Bestattungsfeier sich als gottesdienstliche Handlung einer im Inland bestehenden Kirche oder anderen Religionsgesellschaft darstellt (Normalfall), fällt ihre absichtliche Störung bereits unter § 167 Abs. 1 Nr. 1. Anliegen des § 167 a ist es, auch weltlichen Bestattungsfeiern strafrechtlichen Schutz zukommen zu lassen. Außerdem u m f a ß t der Begriff der Bestattungsfeier nicht n u r die Vorgänge, die unmittelbar im Zusammenhang mit der Beerdigung oder Einäscherung stehen, sondern auch einen Leichenzug oder eine im Trauerhaus abgehaltene Bestattüngsfeierlichkeit (Begründung zu § 190 E 1962). 2. Die Tathandlung besteht wie bei § 167 Abs. 1 Nr. 1 in der Störung. Siehe hierzu § 167 Anm. I I l c . 3. Der subjektive Tb. erfordert Vorsatz. Der Täter m u ß absichtlich oder wissentlich handeln. Absichtlich handelt, wem es darauf ankommt, die Feier zu stören; wissentlich handelt, wer weiß oder als sicher voraussieht, daß die Feier gestört wird (vgl. § 17 E 1962). 4. Idk. ist möglich mit §§ 166, 167, 168, 189. § 168
[Störung: der
Totenruhe]
(1) Wer unbefugt aus dem Gewahrsam des Berechtigten eine Leiche, Leichen teile oder die Asche eines Verstorbenen wegnimmt, wer daran oder an einer Beisetzungsstätte beschimpfenden U n f u g verübt oder wer eine Beisetzungsstätte zerstört oder beschädigt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren bestraft. (2) Der Versuch ist strafbar. 1. Die Vorschrift eiithält d r e i T a t b e s t ä n d e . 2. Der erste Tatbestand stellt die W e g n a h m e v o n L e i c h e n , L e i c h e n t e i l e n sowie der A s c h e eines Verstorbenen aus dem Gewahrsam des Berechtigten unter Strafe. a) L e i c h e n kommen als Tatobjekte nur dann in Betracht, wenn sie nicht in fremdem Eigentum stehen. Wer also eine an die Anatomie überlassene Leiche entwendet, kann sich wegen Diebstahls, nicht aber gemäß § 168 s t r a f b a r machen. Zu den L e i c h e n t e i l e n gehören auch Transplantate. 23*
355
§16»
Strafgesetzbuch
b) W e g n a h m e bedeutet wie beim Diebstahl Gewahrsamsbruch. Nicht hierher gehört daher eine Sektion gegen den Willen der Hinterbliebenen. Dasselbe gilt f ü r die Transplantation von Organen eines im Krankenhaus Verstorbenen (vgl. SchönkeSchröder 6). Stellt sich eine Organtransplantation — ausnahmsweise — als tatbestandsmäßige Wegnahme dar, so dürfte sie in der Regel durch übergesetzlichen Notstand gerechtfertigt sein (vgl. Heinitz, Rechtliche Fragen der Organtransplantation, Schriftenreihe der Juristischen Gesellschaft Berlin, Heft 35, S. 25f.) Zum Ganzen siehe auch v. Bubnoff GA 1968, 65; Bockelmann, Das Strafrecht des Arztes, 1968, S. 97 sowie Geilen, Probleme der Organtransplantation, JZ 1971, 41 (zugleich Besprechung des „Gütgemann-Urteils", LG Bonn, JZ 1971, 56ff.). c) Als B e r e c h t i g t e kommen nicht nur die Hinterbliebenen in Betracht (diese können sogar selbst Täter sein), sondern auch die Polizei, die Krankenhaus- oder Friedhofsverwaltung. 3. Der zweite Tatbestand schützt die im ersten Tatbestand geschützten Leichen usw. sowie die Beisetzungsstätten vor b e s c h i m p f e n d e m U n f u g . B e i s p i e l e : Anbringung nationalsozialistischer Embleme am Grab eines Widerstandskämpfers, Absingen obszöner Lieder bei einer Beerdigung, Abladen von Unrat auf einem Grab usw. 4. Der dritte Tatbestand stellt die Z e r s t ö r u n g oder B e s c h ä d i g u n g e i n e r B e i s e t z u n g s s t ä t t e unter Strafe. Geschützt sind nicht nur der Grabhügel als solcher, sondern auch das Grabmal und die eingepflanzten Gewächse, nicht dagegen die lose aufgelegten Kränze und Blumen. I m letztgenannten Fall kommt jedoch je nach Sachlage Diebstahl oder Sachbeschädigung in Betracht, u . U . auch der zweite Tatbestand des § 168. Das gleiche gilt, wenn jemand auf einem Grab Blumen pflückt, ohne dadurch das Grab als solches zu beschädigen. 5. Subjektiv ist V o r s a t z erforderlich. 6. IdK. ist möglich mit §§ 166£f., 304. Ergänzend zu beachten sind die landesrechtlichen Gesetze über das Friedhofs- und Leichenwesen, z.B. in Bad.-Wttbg. das BestattungsG vom 21. 7. 1970 (GBl. S. 395ff.).
Zwölfter Abschnitt: Straftaten gegen den Personenstand, die Ehe und die Familie (§§ 16^—173) § 169
Personenstandsfälschung:
(1) Wer ein Kind unterschiebt oder den Personenstand eines anderen gegenüber einer zur Führung von Personenstandsbüchern zuständigen Behörde falsch angibt oder unterdrückt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. (2) Der Versuch ist strafbar. 1. Die durch das 4. StrRG neugefaßte Vorschrift erstreckt sich nur noch auf solche Manipulationen, durch welche die behördliche Feststellung des Personenstands gefährdet wird. Falsche Angaben im privaten Bereich werden also nicht mehr erfaßt. Eine weitere Korrektur bezieht sich auf den Strafrahmen, der unter gleichzeitiger Beseitigung der Strafschärfung bei gewinnsüchtiger Absicht auf eine Höchststrafe von zwei Jahren Freiheitsstrafe beschränkt wurde.
356
Straftaten gegen den Personenstand usw.
§
169
2. Der Personenstand ist das f a m i l i e n r e c h t l i c h e V e r h ä l t n i s einerlebenden Person zu einer anderen lebenden Person (RG 25, 189; 56, 134), und zwar ohne Rücksicht darauf, auf welche Weise die rechtlichen Beziehungen zustandegekommen sind. Die Rechtsbeziehungen können daher sowohl durch die (eheliche oder nichteheliche) Abstammung als auch durch Eheschließung, Legitimation, Adoption oder Ehelichkeitserklärung begründet worden sein. 3. Die Tathandlung besteht a) im Unterschieben eines Kindes, d.h. Herstellen eines Zustands, der ein Kind als leibliches Kind einer F r a u erscheinen läßt, die es nicht geboren h a t (z.B. durch Austausch in einer Entbindungsstation); b) in falschen Angaben über den Personenstand eines anderen gegenüber einer zur Führung von Personenstandsbüchern (Familienbuch, Geburtenbuch, Sterbebuch, vgl. §§ 1,12f.PStG) zuständigen Behörde. B e i s p i e l e : F r a u A veranlaßt aus Mitleid, daß das nichteheliche Kind ihrer Hausgehilfin beim Geburtsregister als ihr eigenes K i n d angemeldet wird (vgl. R G 36, 137). — O d e r : Die ledige Hausangestellte H benennt bewußt wahrheitswidrig den X als Vater ihres Kindes (vgl. R G 72, 114). — O d e r : Todeserklärung einer Person, die in Wirklichkeit noch lebt (OLG Kassel N J W 1949, 518); c) in der Unterdrückung des Personenstands, d.h. wenn ein Zustand herbeigeführt wird, der verhindert oder wenigstens erschwert, daß das wirkliche familienrechtliche Verhältnis einer Person zur Geltung kommt (RG 77, 51 ff.). B e i s p i e l : Die A beschwört im Unterhaltsprozeß ihres nichtehelichen Kindes gegen ihren früheren Freund F bewußt der Wahrheit zuwider, sie habe nur mit F Verkehr gehabt (vgl. R G a.a.O.). H a t t e die A während der Empfängniszeit Mehrverkehr, so müßte die Frage nach der Vaterschaft ungeklärt bleiben. Die Unaufklärbarkeit der Vaterschaft wäre dann der wahre Personenstand. Dieser wird durch das Verschweigen des Mehrverkehrs unterdrückt. — Auch die A u s s e t z u n g eines Kindes sowie die Unterlassung der gesetzlich vorgeschriebenen Mitteilungen stellen eine Erschwerung der behördlichen Feststellungen und damit eine Unterdrückung des Personenstands dar (vgl. S. 11 d. BT-Drucks. VI/1552). — Eine Unterdrückimg des Personenstands kann schließlich auch darin gesehen werden, daß die Mutter eines nichtehelichen Kindes wahrheitswidrig behauptet, den Erzeuger nicht zu kennen oder mit mehreren Männern Verkehr gehabt zu haben (vgl. R G 41, 304; 70, 19). 4. Keine strafbare Handlung liegt vor, a) wenn ein in der Ehe geborenes, jedoch nicht von dem Ehemann stammendes Kind als ehelich angemeldet wird (vgl. Ber. S. 11 der BT-Drucks. ATI/3521). Dies folgt aus der Erwägung, daß das Kind gemäß §§ 1591, 1593 BGB als ehelich gilt und keine Pflicht zur Anfechtung der Ehelichkeit besteht; b) wenn der von der Mutter eines nichtehelichen Kindes als Erzeuger benannte Mann wahrheitswidrig die Vaterschaft anerkennt (vgl. Ber. S. 11 a . a . O . unter Bezugnahme auf die konstitutive Bedeutung der Anerkennung; ebenso LacknerMaassen 3 a ; die in R G 70, 237 und von der h . L . früher vertretene Gegenansicht ist durch die Neufassung des Rechts der nichtehelichen Abstammung überholt); c) wenn die Kindesmutter sich weigert, den Erzeuger zu nennen (vgl. Ber. S. 12 a.a.O.) oder wenn sie in dem vom Jugendamt als Pfleger des Kindes (siehe hierzu § 1706 BGB) angestrengten Zivilrechtsstreit zur Feststellung der Vaterschaft von ihrem sich aus § 383 Abs. 1 ZPO ergebenden Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch m a c h t ; 5. Subjektiv ist Vorsatz erforderlich, wobei bedingter Vorsatz genügt. Der Vorsatz muß darauf gerichtet sein, die wahren Verhältnisse falsch darzustellen oder zu verdunkeln. Das M o t i v i s t u n e r h e b l i c h . Vorsatz liegt daher auch dann vor,
357
§ § 1 7 0 — 1VO b
Strafgesetzbuch
wenn es z.B. der Mutter eines nichtehelichen Kindes nur darum geht, den Unterhalt f ü r ihr Kind zu sichern oder das blutschänderische Verhältnis zu ihrem Vater zu verschleiern (vgl. RG 70, 18; Schönke-Schröder Rn. 12; Maurach BT 410; unklar RG 72, 114; 77, 52). 6. IdK. ist möglich mit §§ 153ff., 271, 263. § IVO, IVO a
[Ehebetrug, Verschleuderung der Familienhabe; aufgehoben durch das 4. StrRG, vgl. S. 12 der BT-Drucks. VI/1552]
§ IVOb Verletzung: d e r Unterhaltspflicht Wer sich einer gesetzlichen Unterhaltspflicht entzieht, so daß der Lebensbedarf des Unterhaltsberechtigten gefährdet ist oder ohne die Hilfe anderer gefährdet wäre, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. Die Neufassung der Vorschrift durch das 4. StrRG brachte in sachlicher Hinsicht folgende Änderungen gegenüber der früheren Rechtslage: Die Strafobergrenze wurde von fünf auf drei Jahre herabgesetzt; außerdem wurde die in der Praxis ohnehin bedeutungslose Strafbarkeit des Versuchs aufgehoben. Die übrigen Änderungen brachten lediglich eine sprachliche Vereinfachimg ohne sachliche Änderungen. 1. Eine gesetzliche Unterhaltspflicht besteht a) gegenüber dem E h e g a t t e n , und zwar auch dann, wenn die Ehe geschieden ist (vgl. §§ 1359ff. BGB, 58£f. EheG); b) gegenüber allen V e r w a n d t e n in g e r a d e r L i n i e (Eltern, Großeltern, Kinder, Enkel), vgl. §§ 1601ff. BGB; c) gegenüber dem n i c h t e h e l i c h e n K i n d , sobald die Vaterschaft durch Anerkennung (vgl. § § 1600 b £f. BGB) oder durch gerichtliche Entscheidung (vgl. § 1600n BGB) festgestellt ist oder einstweilige Anordnungen gemäß § 1615 o BGB oder §§ 641 d ff. ZPO getroffen worden sind (vgl. Lackner-Maassen 2 a); d) bei der sogenannten S c h e i n v a t e r s c h a f t , d.h. bei der nicht auf blutmäßiger Abstammung beruhenden Unterhaltspflicht des Ehemanns, der die Ehelichkeit eines von ihm nicht gezeugten, aber in der Ehe geborenen Kindes nicht oder erfolglos angefochten hat (vgl. § 1591 BGB sowie BGH 12, 166; BayObLG N J W 1961 1415); e) gegenüber dem A d o p t i v k i n d (vgl. § 1766 BGB; BGH 12, 172). 2. Eine Bindung des Strafrichters an vorausgegangene U r t e i l e i m Z i v i l p r o z e ß tritt nach h. A. nur bei sogenannten S t a t u s u r t e i l e n ein, d.h. Urteilen, die rechtsgestaltende Wirkungen haben (vgl. §§ 640, 644 ZPO), n i c h t dagegen bei U n t e r h a l t s u r t e i l e n . Der Strafrichter ist daher grundsätzlich nicht gehindert, das Bestehen einer Unterhaltspflicht zu verneinen, obwohl der Angeklagte im Zivilprozeß rechtskräftig zur Unterhaltszahlung verurteilt worden ist (BGH 5, 106); umgekehrt kann er die Unterhaltspflicht bejahen, obwohl der Unterhaltsanspruch rechtskräftig abgewiesen wurde (Stgt N J W 1960, 2204; LK 9). Besonderheiten gelten f ü r die Unterhaltspflicht gegenüber n i c h t e h e l i c h e n Kindern. Sowohl die Anerkennung als auch die gerichtliche Feststellung der Vaterschaft stehen seit der Neuregelung der Materie in den §§ 1600 a ff. BGB durch das NichtEhelKG einem Statusurteil, an das der Strafrichter gebunden ist, gleich (vgl. L K 12f.). Keine Bindungswirkung besteht jedoch in den Fällen, in denen sich die Unterhaltspflicht zivilrechtlich lediglich aus einer einstweiligen Verfügimg oder Anordnung gemäß den §§ 1615 o BGB und 641d ZPO ergibt (vgl. L K Rn. 14; Lackner-Maassen 2a).
358
Straftaten gegen den Personenstand usw.
§
IVOb
3. Die größte Schwierigkeit bietet in der Praxis die Frage der Leistungsfähigkeit des Unterhaltspflichtigen. Die meisten Beschuldigten wenden ein, sie seien unter Berücksichtigung ihrer sonstigen Verpflichtungen ohne Gefährdung ihres eigenen Unterhalts nicht in der Lage gewesen, ihrer Unterhaltspflicht nachzukommen. Hierbei ist im einzelnen folgendes zu beachten: a) Der Tatbestand ist schon dann erfüllt, wenn der Beschuldigte bei gutem Willen wenigstens t e i l w e i s e in der Lage gewesen wäre, seiner Unterhaltspflicht nachzukommen, ohne seine eigene Existenz zu gefährden. b) Der Beschuldigte ist v e r p f l i c h t e t , s e i n e A r b e i t s k r a f t z w e c k m ä ß i g e i n z u s e t z e n und jede ihm zumutbare Arbeit anzunehmen. Auch ein B e r u f s o d e r A r b e i t s p l a t z w e c h s e l , der die Leistungsfähigkeit erhöht, ist grundsätzlich zumutbar (vgl. OLG Celle N J W 1971, 718 sowie h . L . , vgl. Schönke-Schröder 16). E s gibt selbstverständlich auch Ausnahmen. So ist es z . B . dem erwachsenen Sohn eines Landwirts, der allein den ererbten elterlichen Hof bewirtschaftet, nicht ohne weiteres zumutbar, den Hof aufzugeben und einer unselbständigen Tätigkeit nachzugehen (vgl. Ddf J M B 1 N R W 1964, 166; Schönke-Schröder R n . 16). Andererseits ist jeder Berufswechsel zu vermeiden, der die Leistungsfähigkeit auf nicht nur vorübergehende Zeit beeinträchtigt (vgl. Stgt J R 1963, 29). c) Sind mehrere Unterhaltsberechtigte vorhanden, so richtet sich die Rangfolge nach dem Zivilrecht, insbesondere den §§ 1609 Abs. 1 B G B und 850 d Abs. 2 ZPO. Der früher bestehende Vorrang der ehelichen gegenüber den nichtehelichen Kindern ist durch das NichtEhelKG beseitigt worden. 4. Die Tathandlung besteht darin, daß der Unterhaltspflichtige sich seiner Unterhaltspflicht entzieht. Ein Sichentziehen liegt vor allem dann vor, wenn der Täter bei bestehender Leistungsfähigkeit nicht zahlt, seinen gut bezahlten A r b e i t s p l a t z a u f g i b t oder ständig den A r b e i t s p l a t z w e c h s e l t , um sich drohenden Lohnpfändungen zu entziehen. Der Tatbestand ist aber auch dann erfüllt, wenn der Unterhaltspflichtige seine z u k ü n f t i g e L e i s t u n g s u n f ä h i g k e i t v o r s ä t z l i c h h e r b e i f ü h r t , z . B . wenn er einen aufwendigen Lebenswandel führt, dem Glücksspiel frönt und seinen Beruf immer mehr vernachlässigt (vgl. B G H 14, 165). Die (eheliche oder nichteheliche) Mutter erfüllt ihre gesetzliche Unterhaltspflicht bereits dadurch, daß sie die Kinder betreut und versorgt. Eine Verletzung der Unterhaltspflicht kommt für sie vor allem dann in Betracht, wenn sie den von ihr geführten Haushalt im Stich läßt, ohne in anderer Weise zum Unterhalt der Kinder beizutragen (vgl. Hamm N J W 1964, 2316; Schönke-Schröder 13f.; a.A. Krhe N J W 1973, 108: nur die Unterlassung einer Unterhaltszahlung, die durch Geldrente zu erbringen ist, erfüllt den Tb., nicht auch die Verletzung anderer familienrechtlicher Fürsorge- und Betreuungspflichten; zw.), oder wenn sie ihre Kinder in ein Heim gibt, ohne sich um die finanzielle Seite der Unterbringimg zu kümmern (vgl. L K 25). 5. Der Lebensbedarf des Unterhaltsberechtigten muß ohne die Hilfe anderer gefährdet sein. Der in der Praxis wichtigste, seit der Neufassung durch das 4. S t r R G allerdings nicht mehr ausdrücklich hervorgehobene Fall ist die Unterstützung des Unterhaltsberechtigten durch das Jugendamt oder andere öffentliche Institutionen. Ein „ a n d e r e r " i . S . der Vorschrift ist auch die (eheliche oder nichteheliche) M u t t e r , die über ihren Anteil hinaus für den Lebensbedarf aufkommt. Keine Gefährdung ist gegeben, wenn der Unterhaltsberechtigte über e i g e n e , a u s r e i c h e n d e E i n k ü n f t e verfügt. I n diesem Fall hat die Verletzung nur zivilrechtliche, nicht aber strafrechtliche Bedeutung. Eigene Einkünfte sind nur dann außer Betracht zu lassen, wenn der Unterhaltsberechtigte — insbesondere in den Fällen, in denen das Ausbleiben der Leistungen des Unterhaltspflichtigen
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§§ 17«C, IVOd
Strafgesetzbuch
ihn dazu zwingt — unter Aufbietung aller K r ä f t e über das zumutbare Maß hinaus arbeitet (vgl. § 58 EheG sowie BayObLG FamRZ 1962, 120). 6. Lebt ein unterhaltsberechtigtes Kind in der DDR, so richtet sich die Unterhaltspflicht des n i c h t e h e l i c h e n V a t e r s in entsprechender Anwendung von Art. 21 EGBGB nach den dort geltenden Gesetzen, wenn die Kindesmutter z.Z. der Geburt des Kindes dort ihren gewöhnlichen Aufenthalt hatte (vgl. BayObLG J R 1966,226 = N J W 1966,1173 m. weit. Nachw.). Da auch in der DDR die Unterhaltsanspriiche des nichtehelichen Kindes denen des ehelichen Kindes angeglichen sind, richtet sich die Unterhaltspflicht des Vaters ausschließlich nach seiner L e i s t u n g s f ä h i g k e i t , wobei nach der Rspr. der DDR-Gerichte die beiden Elternteile nicht als Gesamtschuldner, sondern anteilig haften (BayObLG a.a.O.). I n der Regel erfüllt die nichteheliche Mutter ihren Anteil an der Unterhaltspflicht (wie bei ehelichen Kindern) dadurch, daß sie die Pflege und Erziehung des Kindes übernimmt. J e nach ihren wirtschaftlichen Verhältnissen kann sie aber darüber hinaus noch zu Geldleistungen verpflichtet sein, was sich zugunsten des nichtehelichen Vaters auswirkt. Ist der unterhaltspflichtige Vater nicht in der Lage, den Unterhalt ohne Gefährdung seines eigenen standesgemäßen ( = angemessenen) Unterhalts zu leisten, so ist § 1603 BGB anzuwenden, und zwar auch die gesteigerte Unterhaltspflicht des Abs. 2 (vgl. BayObLG a.a.O.). 7. Subjektiv ist Vorsatz erforderlich; bedingter Vorsatz genügt. Der Täter muß die Umstände kennen, die seine U.-Pflicht begründen, zumindest aber mit ihrem Vorliegen rechnen. E r muß außerdem wissen, daß er in der Lage ist, seiner U.Pflicht zumindest teilweise nachzukommen. Der Vorsatz entfällt daher, wenn der Täter infolge Fahrlässigkeit keine Möglichkeit sieht, wie er seiner U.-Pflicht nachkommen kann, z. B. durch Berufs- oder Arbeitsplatzwechsel. Dagegen bleibt der Vorsatz unberührt, wenn der Täter irrig glaubt, eine Änderung seiner Lebensführung, insbesondere ein Berufs- oder Arbeitsplatzwechsel, sei nicht zumutbar. Immer wieder tragen rechtskräftig zur Unterhaltszahlung verurteilte Beschuldigte im Strafverfahren zu ihrer Verteidigung vor, sie seien gar nicht der Vater des unterhaltsberechtigten Kindes. Dieser Einwand ist bei e h e l i c h e n K i n d e r n unerheblich, solange die Ehelichkeit nicht mit Erfolg angefochten ist; er läßt den Vorsatz nicht entfallen. Dies ergibt sich aus der Erwägung, daß die gesetzliche Unterhaltspflicht bereits durch die Tatsache begründet wird, daß das Kind in der Ehe geboren wurde (s.o. Anm. l d ) . Entsprechend zu beurteilen ist die Rechtslage bei nichtehelichen Kindern, bei denen sich die Vaterschaft des Beschuldigten aus einer Anerkennung oder gerichtlichen Feststellung ergibt (s.o. Anm. 2). 8. Konkurrenzen: Wer sich seiner gesetzlichen U.-Pflicht gegenüber mehreren, nicht zusammenlebenden Unterhaltsberechtigten entzieht, begeht mehrere selbständige Handlungen i. S. von § 74 (vgl. BGH 18, 376). I d K . ist möglich mit §§ 170 d, 361 Nr. 5. § IVO c
[Verlassen Schwangerer; aufgehoben durch das 4. StrRG, vgl. S. 13 der BT-Drucks. VI/1552]
§ lVOd
Verletzung: der Fürsorge- oder
Erziehuiigrspilicbt
Wer seine Fürsorge- oder Erziehungspflicht gegenüber einer Person unter sechzehn Jahren gröblich verletzt und dadurch den Schutzbefohlenen in die G«fahr bringt, in seiner körperlichen oder psychischen Entwicklung erheblich geschädigt zu werden, einen kriminellen Lebenswandel zu führen oder der Prostitution nachzugehen, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.
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Straftaten gegen den Personenstand usw.
§ IVOd
1. Geschütztes Rechtsgut der durch das 4. StrRG neu gefaßten Vorschrift ist die normale Entwicklung von Kindern und Jugendlichen, wobei das Schutzalter von 14 auf 16 Jahre heraufgesetzt wurde. Der Eintritt einer nachweisbaren Fehlentwicklung ist nicht erforderlich. Es handelt sich somit um ein abstraktes Gefährdungsdelikt. Aus den Gesetzesmaterialien siehe insbesondere den Regierungsentwurf (BTDrucks. VI/1552) und den schriftlichen Bericht (Ber.) des Sonderausschusses für die Strafrechtsreform (BT-Drucks. VI/3521). 2. Als Täter kommen insbesondere die Eltern des Kindes bzw. Jugendlichen in Betracht, außerdem Adoptiv- und Pflegeeltern, ferner Heimleiter und Veranstalter von Ferienlagern (vgl. Ber. S. 15), n i c h t jedoch Kindermädchen oder sonstige Personen, denen das Kind bzw. der Jugendliche nur vorübergehend anvertraut ist. 3. Die Tathandlung besteht in einer gröblichen Verletzung der Fürsorge- oder Erziehungspflicht. „Gröblich" ist die Verletzimg insbesondere, wenn sie von längerer Dauer ist oder systematisch betrieben wird. Bei besonders schwerwiegenden Pflichtverletzungen kann sich auch eine einmalige Verfehlung als „gröblich" darstellen (vgl. Ber. S. 16). 4. Tatfolge muß die Gefahr einer erheblichen Entwicklungsschädigung sein. a) Die Gefahr einer Schädigung der k ö r p e r l i c h e n Entwicklung besteht insbesondere, wenn das Kind bzw. der Jugendliche längere Zeit unter schlechten hygienischen Voraussetzungen in primitiven Unterkünften leben muß, wenn es an der erforderlichen Nahrung fehlt, wenn Krankheiten nicht behandelt werden oder die Gefahr einer Infektion durch ansteckende Krankheiten besteht (vgl. Ber. S. 15). b) Die Gefahr einer Schädigung der p s y c h i s c h e n Entwicklung besteht, wenn das Kind bzw. der Jugendliche einer ständigen oder außergewöhnlichen seelischen Belastung ausgesetzt wird, z. B. durch ständigen oder häufigen K o n t a k t mit kriminellen oder asozialen Elementen oder dadurch, daß eine F r a u im selben Zimmer, in dem ihre 13jährige Tochter schläft, ständig mit verschiedenen Männern den Geschlechtsverkehr ausübt (vgl. B G H 3, 56); auch ständige Isolierung von der Umwelt kann zu psychischen Störungen führen (vgl. Ber. S. 15). c) Die Gefahr eines k r i m i n e l l e n L e b e n s w a n d e l s oder des Abgleitens in die P r o s t i t u t i o n dürfte in vielen Fällen die Folge einer psychischen Fehlentwicklung sein, setzt eine solche aber nicht voraus (vgl. Ber. S. 16). Durch die Einbeziehung des Schutzes vor krimineller Verwahrlosimg schließt § 170d zumindest teilweise die Lücke, die durch die gleichzeitige Aufhebung des § 143 entstanden ist. Die Gefahr des Abgleitens in einen kriminellen Lebenswandel ist vor allem dann gegeben, wenn der Jugendliche sich häufig in Zuhälter- oder Hehlerkreisen oder in der Drogenszene a u f h ä l t . 5. Der subj. Tb. erfordert Vorsatz, wobei bedingter Vorsatz ausreicht. Der Täter muß insbesondere die Umstände kennen (oder mit ihrem Vorliegen rechnen), aus denen sich die Gefahr einer Fehlentwicklung ergibt. E r muß sich außerdem dieser Gefahren bewußt sein. Die falsche Bewertung, insbesondere die Unterbewertung der Gefahren, berührt dagegen nicht den Vorsatz, sondern nur das Unrechtsbewußtsein. Entgegen der früheren Rechtslage ist auch nicht mehr erforderlich, daß der Täter gewissenlos handelt. 6. Konkurrenzen: Da der Tb. keine Subsidiaritätsklausel mehr enthält, besteht die Möglichkeit der Tateinheit mit den §§ 223ff, aber auch mit §§ 222, 230, ferner mit Beihilfe zu solchen Straftaten, die der Jugendliche mit Wissen des Erziehungsberechtigten begeht. Ergibt sich die Gefährdung erst aus einer Mehrzahl von Handlungen, so stellt deren Gesamtheit eine einheitliche Straftat dar (BGH 8,92).
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§§
m - i 7 3
Strafgesetzbuch
§ 1V1 Doppelehe W e r eine E h e schließt, o b w o h l er verheiratet ist, oder wer m i t e i n e m Verheirateten eine E h e schließt, wird m i t Freiheitsstrafe bis z u drei Jahren oder m i t Geldstrafe bestraft. 1. Die Neufassung der Vorschrift d u r c h das 4. StrRG brachte eine wesentliche Einschränkung des S t r a f r a h m e n s (die T a t ist jetzt n u r noch Vergehen) u n t e r gleichzeitiger A u f h e b u n g der S t r a f b a r k e i t des Versuchs; außerdem wurde f r ü h e r die in Abs. 3 enthaltene Sonderregelung f ü r die Verjährung, wonach der Beginn der Verj ä h r u n g bis zur Auflösung oder Nichtigerklärung einer der beiden bigamischen E h e n aufgehoben wurde, ersatzlos gestrichen. Die übrigen Änderungen b r a c h t e n n u r eine sprachliche Vereinfachung. Geschütztes Rechtsgut ist die staatliche E h e o r d n u n g , die auf d e m Grundsatz der Monogamie b e r u h t (vgl. § 5 EheG). Aus den Gesetzesmaterialien siehe besonders den Regierungsentwurf (BT-Drucks. VI/1552) sowie den schriftlichen Bericht (Ber.) des Sonderausschusses f ü r die Strafrechtsreform (BT-Drucks. VI/3521). 2. Verheiratet ist, wer in einer formell gültigen E h e lebt, solange diese weder d u r c h Tod oder Scheidung aufgelöst noch rechtskräftig für nichtig erklärt oder aufgehoben worden ist. Formell gültig ist die Ehe, wenn sie u n t e r B e a c h t u n g des § 11 E h e G geschlossen wurde. Auf den materiellen Bestand der E h e k o m m t es nicht a n . Ü b e r Nichtigkeit der E h e siehe §§ 16 ff. EheG, über A u f h e b u n g der E h e §§ 28 £f. E h e G , über Scheidung §§ 41ff. E h e G . B e s o n d e r h e i t e n sind zu beachten bei einer Wiederverheiratung im Falle der Todeserklärung eines früheren E h e g a t t e n (siehe hierzu § 38 Abs. 2 EheG), bei Ausländerehen im Ausland (siehe hierzu A r t . 11 E G B G B ) , aber auch im I n l a n d (siehe hierzu A r t . 13 Abs. 3 E G B G B u n d § 15a EheG) sowie f ü r die E h e eines Deutschen im Ausland (siehe hierzu das Ges. v. 4. 5. 1870 i d F . v o m 14. 5. 1936, RGBl. I 447). 3. Die Tathandlung besteht im Schließen einer neuen, formell gültigen E h e zu einem Zeitpunkt, zu dem die frühere E h e noch besteht. Da die Vorschrift kein Dauerdelikt, sondern ein sog. Zustandsdelikt enthält (nur die Herstellung, nicht auch die Aufrechterhaltung des rechtswidrigen Zustands ist m i t S t r a f e bedroht), ist das F ü h r e n der bigamischen oder polygamischen E h e als solches nicht s t r a f b a r . Vollendet ist die T a t mir dem Zustandekommen einer formell gültigen E h e (siehe hierzu § 11 E h e G sowie oben 2). Der Versuch ist seit der Neufassung der Vorschrift d u r c h das 4. S t r R G nicht mehr s t r a f b a r . 4. Der subj. Tb. erfordert Vorsatz, wobei bedingter Vorsatz genügt (vgl. Ber. S. 17). 5. F ü r Teilnehmer findet § 50 Abs. 2 keine Anwendimg, d a der Unrechtsgehalt der T a t nicht durch besondere persönliche Merkmale, sondern d u r c h den Verstoß gegen die staatliche E h e o r d n u n g begründet w i r d (vgl. Lackner-Maassen 5 ; a . A . Dreher 2 B ; Heimann-Trosien L K 8). 6. IdK. ist möglich mit §§ 156, 169, 271. § 1V2
[ E h e b r a c h ; aufgehoben d u r c h das 1. S t r R G ]
§ 1 7 3 Beischlaf zwischen Verwandten ( 1 ) W e r m i t e i n e m Verwandten absteigender Linie den Beischlaf vollzieht, wird m i t Freiheitsstrafe bis z u drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. ( 2 ) W e r m i t e i n e m Verwandten aufsteigender Linie den Beischlaf vollzieht, wird m i t Freiheitsstrafe bis z u zwei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. Ebenso werden Geschwister bestraft, die miteinander den Beischlaf vollziehen.
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Straftaten gegen den Personenstand usw.
§
173
( 3 ) Verwandte absteigender Linie und Geschwister werden nicht nach dieser Vorschrift bestraft, wenn sie zur Zeit der Tat noch nicht achtzehn J a h r e alt waren. 1. Die Neufassung der Vorschrift durch das 4. StrRG brachte zunächst für den am Inzest beteiligten Verwandten aufsteigender Linie (Vater, Großvater usw.) eine wesentliche Ermäßigung des Strafrahmens (die Tat ist jetzt nur noch ein Vergehen). Außerdem wurde die Strafbarkeit des Inzests unter Verschwägerten ersatzlos beseitigt. Aus den Gesetzesmaterialien siehe besonders den Regierungsentwurf (BT-Drucks. VI/1552), den schriftlichen Bericht (Ber.) des Sonderausschusses für die Strafrechtsreform (BT-Drucks. VI/3521) sowie die Protokolle über die Beratungen des Sonderausschusses unter besonderer Berücksichtigung des SachverständigenHearings am 23., 24. und 25. 11. 1970 (Prot. V I S. 844ff.). Geschütztes Rechtsgut ist der durch Art. 6 GG garantierte Schutz von Ehe und Familie. Nach den vorliegenden wissenschaftlichen Untersuchungen bedeuten Inzestbeziehungen in der Regel eine schwere Belastung für die Familie. Sie führen außerdem oft, vor allem bei dem jüngeren Inzestpartner, zu erheblichen psychischen Störungen (vgl. BT-Drucks. VI/1552 S. 14 sowie Ber. V I S. 17 unter Bezugnahme auf die Ergebnisse des Sachverständigen-Hearings). Hinzu kommt die nach den Ergebnissen der wissenschaftlichen Forschung außerordentlich große Gefahr, daß Kinder, die aus einer Inzestbeziehung hervorgegangen sind, infolge der erhöhten Möglichkeit der Summierung rezessiver Erbanlagen eine äußerst ungünstige Entwicklung nehmen und dadurch die Familie noch weiter belasten. Mit Rücksicht auf ihren Schutzgedanken wurde die Vorschrift aus dem 13. Abschnitt des StGB herausgenommen und systematisch konsequent dem 12. Abschnitt zugeordnet. 2. Die Strafdrohung des Abs. 1 richtet sich gegen Verwandte aufsteigender Linie (sog. Aszendenten). Sie ist höher als die des Abs. 2, weil das Gesetz davon ausgeht, daß die Initiative in der Regel von dem älteren Inzestpartner ausgeht und dieser auch in erster Linie die Verantwortung für die Beziehungen zu tragen hat. Nach den vorliegenden wissenschaftlichen Untersuchungen ist der weitaus häufigste Fall des Inzests der Beischlaf des 30-bis 40jährigenVaters mit der 13-bis 17jährigen Tochter (vgl. Ber. V I S. 17). Unerheblich ist, ob die Verwandtschaft auf einer ehelichen oder einer nichtehelichen Abstammung beruht. Entscheidend ist allein die Blutsverwandtschaft. 3. Beischlaf ist die Vereinigung der Geschlechtsorgane in der Weise, daß das männliche Glied mindestens teilweise in die Scheide eingedrungen ist (BGH 16, 175; h.L.). Unerheblich ist, ob es dabei zum Samenerguß gekommen ist. Andere sexuelle Handlungen fallen nicht unter den Anwendungsbereich der Vorschrift, können aber gemäß §§ 174, 175, 176 strafbar sein. Der Versuch ist seit der Neufassung der Vorschrift durch das 4. StrRG nicht mehr strafbar. 4. Die Strafdrohung des Abs. 2 richtet sich gegen Verwandte absteigender Linie (sog. Deszendenten) und Geschwister. Zu den Geschwistern gehören auch die sog. Halbgeschwister (Geschwister, die nur e i n e n Elternteil gemeinsam haben). N i c h t m e h r e r f a ß t wird der Beischlaf zwischen Verschwägerten auf- und absteigender Linie (z.B. zwischen Schwiegervater und Schwiegertochter oder zwischen Stiefvater und Stieftochter). Nicht hierher gehört schließlich der Beischlaf zwischen Verwandten in der Seitenlinie vom 3. Grad ab (z.B. zwischen Onkel und Nichte oder zwischen Vetter und Base). 5. Der auf der subj. Tatseite erforderliche Vorsatz muß sich auf die tatsächlichen blutsmäßigen Abstammungsverhältnisse beziehen, wobei bedingter Vorsatz genügt. Nicht vorsätzlich handelt z . B . ein Vater, der irrig annimmt, seine Tochter ent-
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Strafgesetzbuch stamme einer vorehelichen oder außerehelichen Beziehung seiner F r a u zu einem anderen Mann. 6. Abs. 3 bringt f ü r Inzestpartner unter 18 Jahren einen persönlichen Strafausschließungsgrund, der auf der Erwägung beruht, nach Aufdeckung des belastenden Inzestverhältnisses von dem Jugendlichen jede zusätzliche Belastung fernzuhalten (vgl. Ber. VI S. 18). 7. F ü r Teilnehmer ist § 50 Abs. 2 zu beachten (str., vgl. Lackner-Maassen 7 m. weit. Nachw.). 8. IdK. ist möglich mit §§ 170d, 174, 176, 177.
Dreizehnter Abschnitt: Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung (§§ 174—184c)* Vorbemerkungen: 1. Der 13. Abschnitt, der früher die Überschrift „Verbrechen und Vergehen wider die Sittlichkeit" trug, faßt eine Reihe von heterogenen Tatbeständen zusammen, die es schwer machten, eine neue gemeinsame Überschrift zu finden (vgl. Ber. S. 19 der BT-Drucks. VI/3521 und S. 5 der BT-Drucks. 7/514). Alle neuen Vorschriften haben gemeinsam, daß sie sich darauf beschränken, unter Berücksichtigung des in den letzten Jahren — tatsächlich oder vermeintlich — vollzogenen Wandels in den sittlichen Anschauungen der Allgemeinheit nur noch solche Verhaltensweisen unter Strafe zu stellen, die nach den Ergebnissen der wissenschaftlichen Forschung als wirklich sozialschädlich angesehen werden. 2. Hinsichtlich des Aufbaus und der Reihenfolge der einzelnen Tatbestände h a t sich der Gesetzgeber ungeachtet verschiedener kritischer Stimmen (vgl. Ber. S. 19 der BT-Drucks. VI/3521) im wesentlichen an das früher geltende Recht angelehnt, obwohl die einzelnen Tatbestände teilweise recht erheblich umgestaltet wurden. Die §§ 174—174 b verfolgen das Anliegen, den sexuellen Mißbrauch bestimmter Autoritätsverhältnisse zu verhindern (lediglich in § 174 Abs. I Nr. 1 und Nr. 3 wurde auf eine Mißbrauchsklausel verzichtet), § 175 regelt die Strafbarkeit der Homosexualität, die jetzt nur noch unter dem Gesichtspunkt des Jugendschutzes verfolgt wird, § 176 schützt entsprechend der früher in § 176 Nr. 3 getroffenen Regelung Kinder bis zum 14. Lebensjahr vor verfrühter Konfrontation mit der Sexualität, die §§ 177—179 schützen die sexuelle Selbstbestimmung gegen Gewalt usw., die §§ 180^— 181a, die als das Kernstück der Reform bezeichnet werden (vgl. Ber. S. 2 der BT-Drucks. VI/3521), bringen eine umfassende Neuregelung der Strafvorschriften über Kuppelei, Prostitution und Zuhälterei; 182 behandelt wie bisher die Verführung Minderjähriger, die §§ 183,183a bringen eine Neuregelung des Exhibitionismus, § 184 regelt mit der Pornographie einen der bis zuletzt am meisten umstrittenen Komplexe, in den §§ 184 a, 184 b werden bestimmte Auswüchse der Prostitution erfaßt, § 184 c schließlich bringt eine Legaldefinition des Begriffs der sexuellen Handlungen, der den früher verwendeten Begriff der Unzucht ablöst. Die Überschriften der einzelnen Vorschriften sind jetzt erstmals amtlich. 3. Aus den Gesetzesmaterialien siehe insbesondere den 1970 vorgelegten Gesetzentwurf der Bundesregierung (BT-Drucks. VI/1552), den noch in der 6. Legislatur* Der Gesetzestext aller T a t b e s t ä n d e dieses Abschnitts b e r u h t auf der v o m B u n d e s t a g a m 7. 6. 1973 auf der Grundlage der B T - D r u c k s a c h e 7/514 (Bericht u n d A n t r a g des Sonderausschusses f ü r die Strafreohtsform) verabschiedeten F a s s u n g des 4. S t r R G . Die Ergebnisse der B e r a t u n g e n des Vermittlungsausschusses k o n n t e n nooh eingearbeitet werden. Sollten sich in der E n d p h a s e der parlamentarischen B e r a t u n g e n weitere Ä n d e r u n g e n ergeben, so werden diese in einem Einlageblatt berücksichtigt.
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Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung
§
1V4
periode vorgelegten schriftlichen Bericht (Ber. V I ) des Sonderausschusses für die Strafrechtsreform (BT-Drucks. VI/3521), der durch die vorzeitige Auflösung des Bundestags im Plenum nicht mehr in 2. und 3. Lesung behandelt werden konnte, jedoch zur Grundlage des in der 7. Legislaturperiode von den Fraktionen der SPD und F D P neu eingebrachten Gesetzentwurfs wurde (BT-Drucks. 7/80), und schließlich den am 7. 5. 1973 vorgelegten Bericht (Ber. V I I ) des Sonderausschusses für die Strafrechtsreform (BT-Drucks. 7/514) sowie die Protokolle über die Beratungen dieses Ausschusses in der 6. und 7. Legislaturperiode (Prot. V I bzw. Prot. V I I ) unter besonderer Berücksichtigung des am 23.—25. 11. 1970 durchgeführten Sachverständigen-Hearings (Prot. V I S. 843ff.). Aus dem Schrifttum zur Reform der Sexualdelikte siehe insbesondere das Gutachten von Hanack zum 47. Deutschen Juristentag inNürnberg (1968);fernerEser, Die Sexualität in der Strafrechtsreform, JurA 1970, 218; Kohlhaas, Empfiehlt es sich, die Grenzen des Sexualstrafrechts neu zu bestimmen?, DRiZ 1968, 281; Schroeder, Die Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung nach dem Entwurf eines 4. StrRG, Z R P 1971, 14; Wahle, Zur Reform des Sexualstrafrechts, 1969. Bokkelmann, Zur Reform des Sexualstrafrechts, Maurach-Festschr. S. 391.
§ 174
Sexueller M i ß b r a u c h von Schutzbefohlenen
(1) W e r sexuelle Handlungen 1. an einer Person unter sechzehn Jahren, die ihm zur Erziehung, zur Ausbildung oder zur Betreuung in der Lebensführung anvertraut ist, 2. an einer Person unter achtzehn Jahren, die ihm zur Erziehung, zur Ausbildung oder zur Betreuung in der Lebensführung anvertraut oder im Rahmen eines Dienst- oder Arbeitsverhältnisses untergeordnet ist, unter Mißbrauch einer mit dem Erziehungs-, Ausbildungs-,Betreuungs-, Dienstoder Arbeitsverhältnis verbundenen Abhängigkeit oder 3. an seinem noch nicht achtzehn Jahre alten Kind oder Adoptivkind vornimmt oder an sich von dem Schutzbefohlenen vornehmen läßt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. (2) W e r unter den Voraussetzungen des Absatzes 1 Nr. 1 bis 3 1. sexuelle Handlungen vor dem Schutzbefohlenen vornimmt oder 2. den Schutzbefohlenen dazu bestimmt, daß er sexuelle Handlungen vor ihm vornimmt, u m sich oder den Schutzbefohlenen hierdurch sexuell zu erregen, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. (3) Der Versuch ist strafbar. (4) I n den Fällen des Absatzes 1 Nr. 1 oder des Absatzes 2 in Verbindung mit Absatz I Nr. 1 kann das Gericht von einer Bestrafung nach dieser Vorschrift absehen, wenn bei Berücksichtigung des Verhaltens des Schutzbefohlenen das Unrecht der Tat gering ist. 1. Die durch das 4. StrRG neu gefaßte Vorschrift dient dem Schutz Jugendlicher gegen sexuellen Mißbrauch in bestimmten Abhängigkeitsverhältnissen. Sie berücksichtigt die wissenschaftlich gesicherte Erkenntnis, daß Jugendliche häufig nicht reif, erfahren, selbstbewußt oder sicher genug sind, i ™ sich etwaigen sexuellen Wünschen ihrer durch ihre Position überlegenen Eltern, Erzieher, Ausbilder oder Betreuer zu widersetzen, was häufig zu psychischen Konfliktsituationen führen kann (vgl. Ber. V I S. 20). Über die Gesetzesgeschichte und die Gesetzesmaterialien siehe Vorbem. 1—3.
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§
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Stafgesetzbuch
2. Die einzelnen Gruppen der Schutzbefohlenen. a) Zu Abs. 1 Nr. 1: Jugendliche unter 16 Jahren, die jemandem zur Erziehung, Ausbildung oder Betreuung anvertraut sind, werden im Rahmen dieses besonderen Lebensbereichs uneingeschränkt geschützt. aa) I n sachlicher Übereinstimmung mit der früheren Rechtslage (siehe hierzu vor allem BGH 13, 352ff., 22, 315) geht das Gesetz davon aus, daß die Vornahme sexueller Handlungen an oder vor Jugendlichen unter 16 Jahren im Rahmen der hier in Frage stehenden Lebensbereiche schlechthin einen Mißbrauch des Abhängigkeitsverhältnisses darstellt, ohne daß es einer besonderen Mißbrauchsklausel bedarf. Der Täter kann sich demnach nicht darauf berufen, er habe seine Stellung als Vater, Lehrer usw. nicht ausgenutzt, sondern der Jugendliche habe freiwillig mitgemacht oder sogar den Anstoß zu den sexuellen Handlungen gegeben (vgl. Ber. V I S. 21). Ist letzteres allerdings tatsächlich der Fall, so kann unter Umständen ein Absehen von Strafe gemäß Abs. 4 in Betracht kommen. B e i s p i e l : eine 15jährige Schülerin verführt auf dem Landheim einen 25jährigen Referendar. bb) Die Umschreibung der von sexuellen Handlungen schlechthin freizuhaltenden Lebensbereiche knüpft im wesentlichen an das frühere Recht an. Die Jugendlichen müssen dem Täter zur Erziehung, Ausbildung oder Betreuung in der Lebensf ü h r u n g anvertraut sein. Durch die neu aufgenommene Formulierung „in der Lebensführung" wurde in sachlicher Übereinstimmung mit der Rspr. zu § 174 Nr. 1 a . F . klargestellt, daß ein B e t r e u u n g s v e r h ä l t n i s (hierzu gehört auch das nicht mehr ausdrücklich erwähnte Aufsichtsverhältnis) nur dann relevant ist, wenn sich der Betreuer f ü r die Lebensführung, die sittliche Haltung und die geistige Entwicklung des Jugendlichen verantwortlich fühlen muß (vgl. Ber. VI S. 21). Dasselbe gilt auch f ü r die A u s b i l d u n g s v e r h ä l t n i s s e (vgl. Ber. a . a . O . sowie B G H 21, 196, 199 zu § 174 Nr. 1 a.F.). Ein Unterordnungsverhältnis, das rein von der Sacher her begründet ist (z.B. die Einweisung in eine mechanische Tätigkeit an einer Maschine), reicht f ü r sich allein nicht aus. Erforderlich ist vielmehr, daß das Verhältnis der Über- und Unterordnung über die rein sachlichen Beziehungen hinaus in den persönlichen, allgemein menschlichen Bereich eingreift. Hierbei sind immer die Umstände des Einzelfalls entscheidend. So kann z.B. ein minderjähriger Fahrschüler seinem F a h r l e h r e r zur Ausbildung anvertraut sein, wenn der Fahrlehrer über den eigentlichen Unterricht hinaus die Pflicht zu einer gewissen Obhut f ü r den ihm anvertrauten Fahrschüler h a t (BGH a . a . O . unter Ablehnung der zu engen Entscheidung OLG Stgt N J W 1961, 2171). Zum Ganzen siehe auch Seibert N J W 1962, 61 und Lackner J R 1968, 190 ff. Als Täter kommen in B e t r a c h t : a) E l t e r n , A d o p t i v - und P f l e g e e l t e r n , der V o r m u n d ; S t i e f e l t e r n n u r dann, wenn sie sich wie leibliche Eltern um Erziehung und Ausbildung des Kindes kümmern; ß) L e h r e r , G e i s t l i c h e , H e i m l e i t e r , soweit sie eine geistige und sittliche Überordnung über den Schüler haben. Diese Voraussetzungen liegen i . d . R . auch bei einem P r i v a t l e h r e r vor (vgl. B G H 1 StR 562/64 — U r t . v. 2. 2. 1965), z.B. einem Klavierlehrer, oder einem Studenten, der Nachhilfeunterricht gibt, nur ausnahmsweise jedoch bei einem Fahrlehrer (s. o. vor a); y) L e h r m e i s t e r (u.U. auch Rechtsanwälte gegenüber ihren Lehrlingen, B G H 8, 278); ö) Leiter von J u g e n d h e r b e r g e n (BGH N J W 1957, 1201), Jugendführer und Lagerleiter. b) Zu Abs. 1 Nr. 2: Bei Jugendlichen zwischen 16 und 18 Jahren begründet die Vornahme sexueller Handlungen — wenn nicht der besondere Fall der Nr. 3 vor-
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liegt -— auch im Rahmen der im Gesetz näher umschriebenen Lebensbereiche f ü r sich allein noch keine Strafbarkeit. Erforderlich ist vielmehr, daß der Täter das bestehende Abhängigkeits- bzw. Unterordnungsverhältnis mißbraucht. aa) Der Begriff Mißbrauch der Abhängigkeit ist enger als die Formulierung „zur Unzucht mißbrauchen" in § 174 Nr. 2 a. F. (vgl. Ber. VI S. 22). Während früher weder eine tatsächliche Abhängigkeit festgestellt werden mußte noch ausdrücklich verlangt wurde, daß der Täter die m i t seiner autoritären Stellung verbundene Überlegenheit ausgenutzt oder auf den Schutzbefohlenen Druck ausgeübt hatte, ist nunmehr zur Tatbestandsverwirklichung erforderlich, daß der Täter den ihm unterstellten Jugendlichen bewußt einer Drucksituation aussetzt oder eine schon vorhandene Drucksituation ausnutzt (vgl. Ber. a.a.O.). Der Mißbrauch ergibt sich auch nicht schon aus dem Erziehungs-, Ausbildungs- oder Unterordnungsverhältnis als solchem, sondern muß — entgegen der Rspr. zu § 174 Nr. 2 a . F . — vom Gericht in jedem Einzelfall genau festgestellt werden. Nicht erforderlich ist allerdings, daß der Täter zur Erreichung seines Ziels mit den Mitteln der Nötigung vorgeht; es genügt vielmehr, daß er — offen, versteckt oder durch schlüssiges Verhalten — in dem Jugendlichen die Befürchtung ernster Nachteile f ü r den Fall hervorruft, daß er sich nicht willfährig zeigt (vgl. Ber. a.a. O.). B e i s p i e l : Ein Lehrer läßt bei einer 17jährigen versetzungsgefährdeten Schülerin durchblicken, daß er sich auf der Lehrerkonferenz vor dem Abschlußzeugnis f ü r ihre Versetzung einsetzen werde, falls sie bereit sei, sich mit ihm auf sexueller Basis einzulassen. Ein Mißbrauch i. S. der Vorschrift würde dann auch vorliegen, wenn die Schülerin, u m ihre Versetzung zu sichern, sich aus eigener Initiative dem Lehrer als Partnerin f ü r sexuelle Handlungen angeboten und der Lehrer dieses Motiv erkannt h ä t t e (vgl. Ber. a.a.O.). E s ist also — entgegen der in § 133 AE vorgeschlagenen Regelung •— nicht erforderlich, daß der Täter sich den Schutzbefohlenen gefügig macht. Nicht hierher gehören dagegen solche Kontakte, bei denen das Abhängigkeits- oder Unterordnungsverhältnis zwischen dem Erzieher, Ausbilder usw. einerseits und dem Schutzbefohlenen andererseits keine Rolle spielt, insbesondere nicht als Druckmittel eingesetzt wird. Solche Kontakte mögen zwar pädagogisch unerwünscht sein, weil sie die Handlungsfreiheit des Erziehers (Ausbilders usw.) einschränken und Spannungen in der Gruppe der Auszubildenden hervorrufen können; sie sind aber nicht so sozialschädlich, daß sie unter Strafe gestellt werden müssen. Entsprechendes gilt für die Altersgruppe der 18 — 21jährigen, bei denen — entgegen dem früheren Recht — bewußt auf einen besonderen Schutz vor sexuellen Handlungen im Rahmen der hier in Frage stehenden Lebensbereiche verzichtet wurde (vgl. Ber. a.a.O.). bb) Zu den besonders geschützten Lebensbereichen gehören zunächst die schon in Nr. 1 genannten (s.o. lit. a, bb), außerdem Unterordnungsverhältnisse im Rahmen eines Dienst- oder Arbeitsverhältnisses. Zu den hier geschützten Personengruppen gehören insbesondere jugendliche Hilfsarbeiter, die im Gegensatz zu gleichaltrigen Schülern und Lehrlingen nicht unter den Schutz der Nr. 1 fallen. Die Abhängigkeit des Hilfarbeiters von seinem Arbeitgeber mag zwar geringer sein als die eines Schülers oder Lehrlings, dem es darum geht, ein bestimmtes Ausbildungsziel zu erreichen; es lassen sich aber auch im Rahmen von Arbeits- und Dienstverhältnissen Situationen denken, in denen eine „Autoritätsperson" das Unterordnungsverhältnis zur Erfüllung ihrer sexuellen Wünsche ausnutzt (vgl. Ber. VI S. 23). B e i s p i e l : Eine Abteilungsleiterin gewinnt eine ihr unterstellte jugendliche Arbeiterin dadurch zu gleichgeschlechtlichen Handlungen, daß sie ihr im Betrieb leichtere Arbeit zuweist und es duldet, daß die Arbeiterin kommt und geht, wann es ihr beliebt. Zu beachten ist, daß die Mißbrauchsklausel der Nr. 2 auch dann gilt, wenn der in einem Arbeits- oder Dienstverhältnis stehende jugendliche Arbeiter das 16. Lebensjahr noch nicht vollendet hat.
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§ 174
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cc) Als Täter kommen über den bereits oben (lit. a, cc) erwähnten Täterkreis hinaus insbesondere leitende Angestellte, Abteilungsleiter, Meister, Gesellen, Gruppenführer, Vorarbeiter und Einrichter am Fließband in Betracht (vgl. Ber. V I S. 24). c) Abs. 1 Nr. 3, der sich auf Kinder und Adoptivkinder, nicht auch auf Stiefkinder bezieht, dürfte in der Praxis keine besondere Bolle spielen, da die meisten einschlägigen Fälle bereits durch Nr. 1 oder Nr. 2 erfaßt werden können. Die Vorschrift bekommt eigentlich nur dann Bedeutung, wenn dem Täter die elterliche Gewalt entzogen wurde oder ihm das Kind nicht zur Erziehung oder Betreuung anvertraut ist, ferner für die Fälle, in denen (nur wichtig für Abs. 1 Nr. 2) ein Mißbrauch des Unterordnungsverhältnisses nicht nachweisbar ist. 3. Die Tathandlung der 1. Alt. des Abs. 1 besteht in der Vornahme sexueller Handlungen (siehe hierzu § 184c) „an" dem Schutzbefohlenen, setzt also voraus, daß es zu einer körperlichen Berührung zwischen Täter und Opfer kommt. Dem gleich steht der Fall, daß der Täter sexuelle Handlungen an sich von dem Schutzbefohlenen vornehmen läßt, d.h. veranlaßt oder duldet (2. Alt. des Abs. 1). Auch in diesem Fall ist eine körperliche Berührung zwischen Täter und Opfer erforderlich. 4. Zu Abs. 2: a) Die unter der früheren Rechtslage so bestrittene Frage, ob auch die Vornahme sexueller Handlungen „vor" einem anderen ein Unzuchttreiben „mit" diesem darstellt (vgl. BGH 4, 323; 5, 88; 8, 1), wurde jetzt gesetzgeberisch dadurch gelöst, daß die Vornahme sexueller Handlungen „vor" einem anderen in Abs. 2 Nr. 1 einer Sonderregelung unterzogen wurde (siehe auch die entsprechende Regelung in § 176 Abs. 5 Nr. 1). Die Verwirklichung dieses Tatbestands setzt voraus, daß der Schutzbefohlene den äußeren Vorgang der Handlung unmittelbar wahrnimmt, d.h. sieht oder hört oder sonst irgendwie bemerkt. Nicht erforderlich ist allerdings, daß er auch die sexuelle Bedeutung der Handlung erkennt (vgl. Ber. VI S. 25). Gewisse Einschränkungen ergeben sich andererseits aus dem subj. Tatbestand (s.u. 5). Da die Tat in der Regel typisch exhibitionistische Züge aufweist, besteht gemäß § 183 Abs. 3 i.V. mit Abs. 4 Nr. 2 die Möglichkeit, eine Freiheitsstrafe zwecks Durchführung einer Heilbehandlung auch dann zur Bewährung auszusetzen, wenn die Prognose im Zeitpunkt des Urteils (also noch vor der Heilbehandlung) ungünstig ist. b) Der Vornahme sexueller Handlungen „an" oder „vor" einem Schutzbefohlenen gleich steht der Fall, daß der Täter den Schutzbefohlenen dazu bestimmt, sexuelle Handlungen vor ihm vorzunehmen (Abs. 2 Nr. 2). Nicht hierher gehört der Fall, daß jemand sich darauf beschränkt, den Schutzbefohlenen nur gewähren zu lassen (anders noch die weitergehende Fassung der BT-Drucksachen VI/1552, VI/3521 und 7/80, vgl. Ber. V I I S. 5). B e i s p i e l : Ein Vollzugsbeamter beobachtet zufällig, wie zwei Gefangene in einer Zelle homosexuelle Handlungen vornehmen. Das pflichtwidrige Gewährenlassen sexueller Handlungen seitens eines Schutzbefohlenen ist nach der neuen Rechtslage für sieh allein nur unter den Voraussetgen des § 180 oder dann strafbar, wenn hierdurch die strafbare Handlung eines anderen gefördert wird. B e i s p i e l : A duldet den Geschlechtsverkehr seines 17 jährigen Sohnes mit seiner 15jährigen Tochter (Strafbarkeit des A gemäß § 180 Abs. 1 in Tateinheit mit Beihilfe zu § 173 Abs. 2 S. 2). 5. Der subj. Tb. erfordert Vorsatz, wobei bedingter Vorsatz genügt. Im Falle des Abs. 1 Nr. 2 muß der Vorsatz insbesondere auch das Bewußtsein umfassen, ein Erziehungsverhältnis usw. auszunutzen. Die Fälle des Abs. 2 erfordern zusätzlich die Absicht des Täters, entweder sich oder den Schutzbefohlenen sexuell zu erregen, und zwar gerade durch dessen Anwesenheit (vgl. RegE S. 15 der BT-Drucks. VI/1552). Nicht tatbestandsmäßig ist deshalb der Fall, daß die sexuellen Handlungen aus —• wie auch immer zu bewertenden — pädagogischen Gesichtspunkten lediglich Auf-
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Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung
§ 174 a
klärungsz wecken dienen sollen (vgl. RegE a.a.O.)- Nicht hierher gehört auch der Fall, daß Eltern infolge Raumnot in demselben Zimmer, in dem auch ihre 14jährige Tochter schläft, geschlechtlich miteinander verkehren (anders allerdings, wenn sie gerade durch das Bewußtsein, daß die Tochter den Vorgang miterlebt, sexuelle Erregung erstreben). 6. I m Interesse eines umfassenden Jugendschutzes wurde in Abs. 3 der Versuch unter Strafe gestellt. 7. Bei geringem Unrechtsgehalt der Tat kann das Gericht gemäß Abs. 4 in den Fällen des Abs. 1 Nr. 1 und des Abs. 2 i. V. mit Abs. 1 Nr. 1 (also nicht bei Mißbrauch eines Erziehungsverhältnisses usw.) von Strafe absehen. I n Betracht kommen beispielsweise Fälle, in denen es n u r zu sexuellen Handlungen von geringerer Intensit ä t gekommen ist (vgl. RegE S. 15 der BT-Drucks. VI/1552) sowie sog. Konfliktsfälle, z.B. wenn wenn sich ein junger Lehrer von einer bereits erfahrenen, über ihr Alter gereiften 15jährigen Schülerin verführen läßt. P r o z e s s u a l ist f ü r diese Fälle § 153 a StPO zu beachten. 8. IdK. ist möglich mit §§ 173, 174 a, b, 175, 176, 177f., 180ff., 182, 240. Gegenüber § 183 geht § 174 Abs. 2 Nr. 1 als die speziellere Regelung vor.
§ 174 a Sexueller Mißbrauch von Gefangenen, behördlich Verwahrten oder Kranken in Anstalten (1) Wer sexuelle Handlungen 1. an einem Gefangenen oder 2. an einem auf behördliche Anordnimg Verwahrten, der i h m zur Erziehung, Ausbildung, Beaufsichtigung oder Betreuung anvertraut ist, unter Mißbrauch seiner Stellung vornimmt oder an sich von dem Gefangenen oder Verwahrten vornehmen läßt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu f ü n f Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. (2) Ebenso wird bestraft, wer den Insassen einer Anstalt für Kranke oder Hilfsbedürftige, der i h m zur Beaufsichtigung oder Betreuung anvertraut ist, dadurch mißbraucht, daß er unter Ausnutzung der Krankheit oder Hilfsbedürftigkeit sexuelle Handlungen an i h m vornimmt oder an sich von dem Insassen vornehmen läßt. (3) Der Versuch ist strafbar. 1. Die durch das 4. StrRG neu eingefügte Vorschrift enthält Elemente des früheren § 174 Abs. 1 Nr. 2 und ergänzt den ausschließlich auf den Jugendschutz abgestellten § 174. Geschütztes Rechtsgut ist die sexuelle Selbstbestimmung von Personen, die als Gefangene oder aufgrund behördlicher Anordnung ihrer persönlichen Freiheit beraubt sind (Abs. 1) bzw. sich als Kranke oder Hilfsbedürftige in einer entsprechenden Anstalt befinden (Abs. 2). Beide Personengruppen stehen aufgrund ihrer besonderen Situation naturgemäß in einer starken Abhängigkeit zum Aufsichts-, Betreuungs- bzw. Pflegepersonal. I n den Fällen des Abs. 1 besteht ein weiterer Schutzzweck darin, das Ziel der Verwahrung nicht durch unerwünschte sexuelle Kontakte mit dem Aufsichtspersonal zu beeinträchtigen. Schließlich geht es auch u m den Schutz des Vertrauens der Öffentlichkeit in die Integrität des Anstaltspersonals (vgl. Ber. VI S. 25). Über Gesetzesgeschichte und Gesetzesmaterialien siehe Vorbem. vor § 174. 2. Der geschützte Personenkreis des Abs. 1 erfaßt Gefangene (siehe hierzu § 120 Anm. 1) sowie sonstige Personen, die auf behördliche Anordnung verwahrt werden 24 Petters-Preisendanz, StGB, 28. Aufl.
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§
174a
Strafgsetzbuch
(siehe hierzu Anm. zu § 122 b), nicht dagegen Personen, die sich auf freiwilliger Basis in einem Internat, Erziehungsheim oder Jugendwohnheim usw. befinden (vgl. Ber. VT S. 26; V I I S. 6). Der Ort der Verwahrung ist unerheblich. Entscheidend ist allein der Status des Verwahrten (vgl. Ber. VI S. 25). Aus dem gleichen Grunde ist es auch unerheblich, ob der sexuelle Mißbrauch innerhalb der Anstalt, bei Außenarbeiten oder auf dem Transport erfolgt. Nicht ausreichend sind dagegen sexuelle Kontakte während einer Haftunterbrechung oder eines „Urlaubs". 3. Der Gefangene bzw. auf behördliche Anordnung Verwahrte m u ß dem Täter zur Erziehung, Ausbildung, Beaufsichtigung oder Betreuung anvertraut sein. Zu den E r z i e h e r n und A u s b i l d e r n gehören z.B. Lehrer, Werkmeister und ähnliche Personen, die nicht notwendig zugleich auch Bewachungs- oder Betreuungsfunktionen wahrnehmen müssen. Das Merkmal B e a u f s i c h t i g u n g , auf das in § 174 verzichtet wurde und das sich in § 174 a vor allem auf das reine Bewachungspersonal bezieht (z.B. bei Außenarbeiten oder auf dem Transport), setzt keine engeren oder länger dauernden Beziehungen zwischen Täter und Opfer voraus. Entsprechendes gilt f ü r das Merkmal B e t r e u u n g . I m Unterschied zu § 174 (siehe dort Anm. 3a, bb) ist eine Betreuung „in der Lebensführung" nicht erforderlich. E s genügt vielmehr auch eine nur vorübergehende Betreuung (z.B. durch eine Krankenschwester, die kranke Fürsorgezöglinge nur stundenweise betreut; vgl. Ber. VI S. 25). 4. Die Tathandlung des Abs. 1 entspricht der des § 174 Abs. 1 (siehe dort Anm. 3), während auf eine dem § 174 Abs. 2 entsprechende Tathandlung bewußt verzichtet wurde. Dieser in den parlamentarischen Beratungen stark [umstrittene Verzicht beruht auf der Erwägung, daß bei jugendlichen Gefangenen oder Verwahrten ohnehin auf § 174 Abs. 2 zurückgegriffen werden könne und Erwachsene von sexuellen Handlungen ohne körperliche Kontakte nicht so nachhaltig beeinträchtigt würden, daß ein Strafbedürfnis anzuerkennen sei (vgl. Ber. VI S. 27; zw.). 5. Der Täter muß die Tat unter Mißbrauch seiner Stellung begehen. Dieser Begriff ist wesentlich weiter als der Begriff „Mißbrauch der Abhängigkeit" in § 174 Abs. 1 Nr. 2. Anders als in der letztgenannten Vorschrift ist es bei § 174a Abs. 1 zur Tatbestandsverwirklichung nicht erforderüch, daß der Täter auf den Gefangenen oder Verwahrten einen Druck ausübt oder eine bereits vorhandene Drucksituation ausnützt. Der Täter mißbraucht vielmehr seine Stellung schon dadurch, daß er die sich ihm durch seine Tätigkeit in einer Vollzugs-, Verwahrungs- oder Fürsorgeanstalt bietende Gelegenheit in illegaler Weise ausnutzt (vgl. Ber. V I S. 26 sowie B G H 2, 93, 95; 8, 26; 9, 13 zu § 174 Nr. 2 a.F.). Der Täter kann sich also nicht darauf berufen, der Gefangene oder Verwahrte sei mit den sexuellen Handlungen einverstanden gewesen oder habe gar die Initiative ergriffen. Derartige Umstände können sich allenfalls strafmildernd auswirken. Eine Ausnahme von dieser bewußt strengen Beurteilung ist nur f ü r solche Fälle denkbar, in denen das durch die Anstaltsgewalt begründete Verhältnis vollkommen in den Hintergrund tritt, z.B. wenn eine Gefangene oder Verwahrte schon vor ihrer Aufnahme in die Anstalt mit einem Beamten des Vollzugsdienstes verheiratet oder verlobt war (vgl. Ber. VI S. 26). 6. Der geschützte Personenkreis des Abs. 2 erfaßt Kranke und Hilfsbedürftige, die dem Täter in entsprechenden (öffentlichen oder privaten) Anstalten zur Beaufsichtigung oder Betreuung anvertraut sind (siehe hierzu oben Anm. 3). Als Täter kommen insbesondere Ärzte, Pfleger und Krankenschwestern in Betracht. Die Tathandlung entspricht der des Abs. 1 (s.o. Anm. 2), ohne daß sich Besonderheiten ergeben. Die Mißbrauchsklausel ist jedoch enger gefaßt als in Abs. 1. Der Tb. ist nicht schon dann erfüllt, wenn der Betreuer bzw. die Aufsichtsperson die sich ihm bietende Gelegenheit zu sexuellem Kontakt ausnützt. Erforderlich ist vielmehr die „Ausnutzung der Krankheit oder Hilfsbedürftigkeit". Hieran fehlt es in der Kegel, wenn die Initiative von dem Patienten ausgeht (vgl. Ber. VI S. 27).
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Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung
§ 174 b
7. Der subj. Tb. erfordert Vorsatz. Der Täter muß insbesondere die Tatumstände kennen, die den Vorwurf des Mißbrauchs seiner Stellung (Abs. 1) bzw. der Krankheit oder Hilfsbedürftigkeit (Abs. 2) begründen. Bedingter Vorsatz genügt. 8. In Abs. 3 ist der Versuch unter Strafe gestellt. Zweifelhaft erseheint allerdings, ob schon die vergebliche Aufforderung an Schutz- oder Pflegebefohlene, mit dem Täter sexuelle Handlungen vorzunehmen, als Anfang] der Ausführung angesehen werden kann (so jedoch Ber. VI S. 27). 9. Für Teilnehmer ist § 50 Abs. 2 zu beachten. 10. IdK. ist möglich mit §§ 173, 174, 174b, 175, 176, 177, 179, 240, 332. Bei wiederholten sexuellen Handlungen mit derselben Person ist Fortsetzungszusammenhang möglich, nicht aber bei sexuellen Handlungen mit verschiedenen Personen (vgl. Vorbem. AT, Abschn. J IV 2, S. 78). § 174 b Sexueller Hißbrauch unter Ausnutzung: einer Amtsstellungr (1) Wer als Beamter, der zur Mitwirkung an einem Strafverfahren oder an einem Verfahren zur Anordnung einer freiheitsentziehenden Maßregel der Sicherung und Besserung oder einer behördlichen Verwahrung berufen ist, unter Mißbrauch der durch das Verfahren begründeten Abhängigkeit sexuelle Handlungen an demjenigen, gegen den sich das Verfahren richtet, vornimmt oder an sich von dem anderen vornehmen läßt, wird mit Freiheitsstrafe bis z u fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. (2) Der Versuch ist strafbar. 1. Die durch das 4. StrRG neu eingeführte Vorschrift enthält — ebenso wie § 174 a — Elemente des früheren § 174 Abs. 1 Nr. 2, ist jedoch wesentlich enger gefaßt als dieser. Geschütztes Rechtsgut ist in erster Linie die sexuelle Selbstbestimmung von Personen, die als Beschuldigte oder Betroffene in ein Strafverfahren oder in ein Verfahren zur Anordnung einer freiheitsentziehenden Maßregel der Sicherung und Besserung verwickelt sind. Ein weiterer Schutzzweck der Vorschrift besteht darin, das Vertrauen der Öffentlichkeit in die Objektivität und Integrität der Strafverfolgungsorgane zu gewährleisten (vgl. Ber. VI S. 28). Die Vorschrift gehört damit im weiteren Sinn zu den Amtsdelikten. Über Gesetzesgeschichte und Gesetzesmaterialien siehe Vorbem. 3 vor '§ 174 unter besonderer Berücksichtigung des Beitrags von Horstkotte (Prot. VI S. 1372). 2. Täter kann nur ein Beamter sein, der zur Mitwirkung an einem Strafverfahren usw. berufen ist. a) Zur Mitwirkung an einem Strafverfahren (einschließlich Ermittlungsverfahren) berufen sind vor allem Richter, Staatsanwälte, Polizeibeamte, Beamte der Steuerund Zollfahndung, Beamte der Bahnpolizei sowie Bürgermeister, soweit sie nach Landesrecht (z.B. in Bad.-Wttbg., vgl. BGH 12, 277) als Ortspolizeibehörde tätig sind. b) Zur Mitwirkung a n einer freiheitsentziehenden Maßregel der Sicherung und Besserung (siehe hierzu §§ 42 b, c, e sowie § 65 idF. des 2. StrRG) berufen sind vor allem Richter, Staatsanwälte und Polizeibeamte, ferner beamtete Ärzte, die Gutachten über das Vorliegen der Voraussetzungen der beabsichtigten Unterbringung zu erstatten haben. c) Zur Mitwirkung an einer behördlichen Verwahrung (in Betracht kommen insbesondere der Arrest nach der Wehrdisziplinarordnung, die Unterbringung in einer HeU- oder Pflegeanstalt aufgrund der landesrechtlichen Unterbringungsgesetze, die 24»
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§ 175
Strafgesetzbuch
Abschiebungshaft und die H a f t nach § 16 des Ausländergesetzes, die zwangsweise Unterbringung in einem Krankenhaus gemäß § 37 Abs. 2 des Bundesseuchengesetzes, die Verwahrung aufgrund der Polizei- und Ordnungsgesetze der Länder sowie die Unterbringung nach § 26 des Bundessozialhilfegesetzes, vgl. Ber. VI S. 29) berufen sind die Beamten der hierfür jeweils zuständigen Dienststellen, aber auch beamtete Ärzte, die z.B. über das Vorliegen der Voraussetzungen landesrechtlicher Unterbringungsgesetze usw. zu befinden haben (Ber. VI S. 29). 3. Geschützt sind n u r Personen, die in ein Strafverfahren oder ein anderes der in Anm. 2 näher bezeichneten Verfahren verwickelt wurden. Auf den Schutz von Personen, denen andere hoheitliche Amtshandlungen drohen (z.B. Zwangsvollstrekkung, Ausweisung usw.) wurde entgegen dem Vorschlag des Bundesrates (siehe hierzu S. 41 f. der BT-Drucks. VI/1552) bewußt verzichtet, um den Tb. nicht zu weit auszudehnen. Ein besonderes Schutzbedürfnis vor sexuellen Übergriffen besteht n u r bei solchen hoheitlichen Maßnahmen, von denen die Gefahr eines Freiheitsentzugs ausgehen kann (vgl. RegE S. 16, Ber. VI S. 29). Aus ähnlichen Erwägungen wurde auch entgegen der Regelung in § 174 Abs. 1 Nr. 2 a . F . darauf verzichtet, sexuelle Übergriffe unter Ausnutzung eines innerdienstlichen Abhängigkeitsverhältnisses unter Strafe zu stellen (vgl. RegE S. 16, Ber. V I S. 28). Auf diesem Bereich genügen die dem Jugendschutz dienenden neuen Bestimmungen in § 174 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 2 sowie die allgemeinen Straftatbestände der §§ 177, 178, 185, 240, ferner die Sanktionen des Disziplinarrechts, u m den erforderlichen Schutz untergeordneter Bediensteter zu gewährleisten. 4. Die Tathandlung entspricht der des § 174 Abs. 1 (siehe dort Anm. 3). Wie bei § 174a (siehe dort Anm. 4) wurde auf die strafrechtliche Sanktionierung der in § 174 Abs. 2 beschriebenen Handlungen bewußt verzichtet. 5. Die Mißbrauchsklausel ist enger gefaßt als in § 174a Abs. 1 u n d entspricht ungefähr der Mißbrauchsklausel des § 174 a Abs. 2. E s genügt also nicht schon der Mißbrauch der Stellving (siehe hierzu § 174 a Anm. 5); erforderlich ist vielmehr der Mißbrauch der durch das Verfahren begründeten Abhängigkeit. I n der Praxis werden sich allerdings die meisten Fälle, in denen ein Beamter die sich ihm aufgrund seiner Stellung bietende Gelegenheit zu sexuellen Handlungen ausnutzt, mit Rücksicht auf die überlegene Stellung des Beamten einerseits und die starke Abhängigkeit des von dem Verfahren Betroffenen andererseits zugleich auch als Mißbrauch der durch das Verfahren begründeten Abhängigkeit darstellen. Jedoch lassen sich Fälle, bei denen diese Abhängigkeit keine Rolle spielt, nicht ausschließen (vgl. Ber. VI S. 29). 6. Hinsichtlich Vorsatz, Versuch, Teilnahme und Konkurrenzen gelten die Ausführungen zu § 174a (siehe dort Anm. 7—10) entsprechend.
§ 175 Homosexuelle Handlungen (1) Ein Mann über achtzehn Jahre, der sexuelle Handlungen an einem Mann unter achtzehn Jahren vornimmt oder von einem Mann unter achtzehn Jahren an sich vornehmen läßt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu f ü n f Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. (2) Das Gericht kann von einer Bestrafung nach dieser Vorschrift absehen, wenn 1. der Täter zur Zeit der Tat noch nicht einundzwanzig Jahre alt war oder 2. bei Berücksichtigung des Verhaltens desjenigen, gegen den sich die Tat richtet, das Unrecht der Tat gering ist. 1. Die erst durch das 1. StrRG grundlegend geänderte Vorschrift wurde durch das 4. StrRG einer erneuten Reform unterzogen, die im Regierungsentwurf an sich noch nicht vorgesehen war (vgl. S. 17 der BT-Drucks. VI/1552). Die Strafbarkeit der
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Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung
§
175
männlichen Homosexualität wurde nunmehr konsequent auf den Jugendschutz beschränkt, wobei das Schutzalter des bisherigen Rechts (§ 175 Abs. 1 Nr. 1) von 21 Jahren auf 18 J a h r e herabgesetzt wurde. Die Herabsetzung des Schutzalters beruhte u . a . auf den zwischenzeitlich gewonnenen Untersuchungsergebnissen, daß bei Jugendlichen im Alter von 18 Jahren die Triebrichtung in der Regel bereits festliegt, eine unerwünschte Umprägung zur Homosexualität also - normalerweise — nicht mehr zu befürchten ist (vgl. Ber. VI S. 30). Auf die Übernahme der früheren Nr. 2 des § 175 Abs. 1 (Ausnutzung bestimmter Abhängigkeitsverhältnisse) konnte deshalb verzichtet werden, weil die in diesem Zusammenhang wirklich strafwürdigen Fälle teils durch den neuen § 174 Abs. 1 Nr. 2, teils durch § 240 erfaßt werden. Auf die Übernahme der früheren Nr. 3 des § 175 Abs. 1 (homosexuelle Prostitution), die in der Gerichtspraxis nur eine verhältnismäßig geringe Rolle gespielt h a t , wurde ebenfalls ersatzlos verzichtet. Soweit der sog. Strichjunge Kontakte mit älteren Männern aufnimmt, die derartige Kontakte selbst suchen, besteht kein unabweisbares Strafbedürfnis; soweit er Kontakte zu Jugendlichen aufnimmt, ergibt sich die Strafbarkeit ohnehin auch aus der Neufassung der Vorschrift. Die sog. Begleitkriminalität, die keinesfalls unterschätzt werden darf (von Bedeutung ist insbesondere die Gefahr der Erpressimg), kann — ebenso wie bei der weiblichen Prostitution —• ohne Rücksicht darauf verfolgt werden, ob die Prostitution selbst auch strafbar ist oder nicht (vgl. Ber. VI S. 29 ff.). Über Gesetzesgeschichte und Gesetzesmaterialien siehe Vorbem. 3 vor § 174. 2. Täter kann n u r ein Mann über 18 Jahren sein. Bei Heranwachsenden (Altersgruppe 18—21 Jahre) besteht gemäß Abs. 2 Nr. 1 die Möglichkeit, von Strafe abzusehen. Siehe hierzu näher unten Anm. 6. Bei Jugendlichen unter 18 Jahren, die das Straf barkeitsalter noch nicht erreicht haben, wird das Jugendamt die geeigneten Maßnahmen zu treffen haben, um eine ungünstige Entwicklung, insbesondere das Abgleiten in die Kriminalität, zu verhindern. 3. Die Tathandlung entspricht der des § 174 Abs. 1 (siehe dort Anm. 3), setzt also voraus, daß es zwischen dem Täter und seinem Partner zu körperlichen Kontakten kommt. Auf die strafrechtliche Sanktionierung der in § 174 Abs. 2 erfaßten Handlungen (Vornahme sexueller Handlungen „ v o r " einem anderen usw.) wurde dagegen — ebenso wie in den §§ 174 a, b — verzichtet. Damit ist die frühere höchstrichterliche Rechtsprechung zu § 175 (vgl. B G H 4, 323; 5, 88; 8,1) gegenstandslos geworden. Die gleichzeitige Selbstbefriedigung mehrerer sowie die Selbstbefriedigung in Gegenwart eines anderen, der denVorgang „geflissentlich" betrachtet, erfüllt den Tatbestand in seiner derzeitigen Fassimg nicht mehr. Andererseits ist — wie bisher — nicht erforderlich, daß der Täter seinen jugendlichen Partner zu den sexuellen Handlungen verführt (vgl. Ber. V I I S. 7). 4. Das Schutzalter des Partners wurde, wie bereits oben unter Anm. 1 angeführt, auf 18 Jahre herabgesetzt. 5. Der Vorsatz muß sich insbesondere auf das Schutzalter des Partners erstrecken. Bedingter Vorsatz genügt. 6. Ein Absehen von Strafe ist gemäß A b s . 2 zunächst wie schon früher (vgl. § 175 Abs. 3 a.F.) bei Heranwachsenden (Altersgruppe 18—21 Jahre) möglich, außerdem dann, wenn bei Berücksichtigung des Verhaltens des jugendlichen Partners das „Unrecht der T a t gering" ist (Nr. 2). Hierher gehören vor allem die Fälle, in denen die Initiative von dem jugendlichen Partner ausgegangen ist, insbesondere wenn es sich bei diesem um einen sog. Strichjungen handelt, den man streng genommen schon gar nicht als „Tatopfer" betrachten kann (vgl. Ber. V I I S. 8). 7. IdK. ist möglich mit §§ 174—174b und § 176, außerdem mit § 240. 8. Prozessual zu beachten ist § 153a StPO (für die Fälle des Abs. 2) sowie § 154c StPO (wenn der Täter Opfer einer Erpessung wurde).
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§176
Strafgesetzbuch
g 176 Sexueller Mißbrauch von Kindern (1) Wer sexuelle Handlungen an einer Person unter vierzehn Jahren (Kind) vornimmt oder an sich von dem Kind vornehmen läßt, wird mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren, in minder schweren Fällen mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. (2) Ebenso wird bestraft, wer ein Kind dazu bestimmt, daß es sexuelle Handlungen an einem Dritten vornimmt oder von einem Dritten an sich vornehmen läßt. (3) In besonders schweren Fällen ist die Strafe Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren. Ein besonders schwerer Fall liegt in der Regel vor, wenn der Täter 1. mit dem Kind den Beischlaf vollzieht oder 2. das Kind bei der Tat körperlich schwer mißhandelt. (4) Verursacht der Täter durch die Tat leichtfertig den Tod des Kindes, so ist die Strafe Freiheitsstrafe nicht unter fünf Jahren. (5) Mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer 1. sexuelle Handlungen vor einem Kind vornimmt, 2. ein Kind dazu bestimmt, daß es sexuelle Handlungen vor ihm oder einem Dritten vornimmt, oder 3. auf ein Kind durch Vorzeigen pornographischer Abbildungen oder Darstellungen, durch Abspielen von Tonträgern pornographischen Inhalts oder durch entsprechende Reden einwirkt, um sich, das Kind oder einen anderen hierdurch sexuell zu erregen. (6) Der Versuch ist strafbar; dies gilt nicht für Taten nach Absatz 5 Nr. 3. 1. Die d u r c h das 4. S t r H G n e u g e f a ß t e Vorschrift t r i t t a n die Stelle des f r ü h e r e n § 176 Abs. 1 N r . 3. Sie verfolgt wie bisher d a s Anliegen, die gesunde (normale) E n t wicklung des K i n d e s vor allzu f r ü h e n sexuellen Erlebnissen zu s c h ü t z e n (vgl. Ber. V I S. 34f. sowie B G H 15, 118, 121 zu § 176 a . F . ) , b r i n g t jedoch gegenüber der f r ü h e r e n Rechtslage sowohl im A u f b a u der einzelnen T a t b e s t ä n d e als a u c h hinsichtlich des S t r a f r a h m e n s wesentliche Ä n d e r u n g e n : Die T a t ist j e t z t grundsätzlich n u r noch als Vergehen m i t einer H ö c h s t s t r a f e von zehn J a h r e n Freiheitsstrafe s t r a f b a r (vgl. Abs. 1 u n d Abs. 2); in m i n d e r schweren Fällen e n t f ä l l t sogar die f ü r d e n Regelfall vorgesehene Mindeststrafe v o n sechs Monaten, w ä h r e n d in besonders schweren Fällen auf Freiheitsstrafe nicht u n t e r einem J a h r zu erkennen ist (Abs. 3). Lediglich wenn d e r T ä t e r d u r c h die T a t leichtfertig den Tod des K i n d e s v e r u r s a c h t h a t , stellt sich die T a t als Verbrechen d a r (vgl. Abs. 4). I n Abs. 5 w e r d e n d r e i F a l l g r u p p e n besonderer A r t b e h a n d e l t , bei denen es nicht zu körperlichen B e r ü h r u n g e n zwischen d e m K i n d u n d d e m T ä t e r oder einem D r i t t e n k o m m t , die a b e r gleichwohl als schädlich f ü r die E n t w i c k l u n g des K i n d e s angesehen werden müssen. Abs. 6 regelt die S t r a f b a r k e i t des Versuchs. Ü b e r Gesetzesgeschichte u n d Gesetzesmaterialien siehe V o r b e m . 3 vor § 174. 2. Geschützt sind Kinder unter 14 Jahren. Die p a r l a m e n t a r i s c h e n B e r a t u n g e n ergaben keine hinreichende Veranlassung, d a s Schutzalter, wie verschiedentlich angeregt (vgl. z . B . Schorsch P r o t . V I S. 981, 987), a u f 12 J a h r e h e r a b z u s e t z e n (vgl. Ber. V I S. 35). D a s Geschlecht des K i n d e s ist unerheblich.
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Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung
§
Ii16
3. Täter kann jeder sein, ohne Rücksieht auf Alter (sofern strafmündig) und Geschlecht. Die Vorschrift kommt daher auch bei homosexuellen Handlungen in Betracht. 4. Die Tathandlung des Abs. 1 entspricht der des § 174 Abs. 1 (siehe dort Anm. 3), setzt also voraus, daß es zwischen Täter und Opfer zu körperlichen Berührungen kommt. Abs. 2 erweitert den Strafbarkeitsbereich auf den Fall, daß der Täter das Kind bestimmt (veranlaßt), sexuelle Handlungen (siehe hierzu § 184c) an einem Dritten vorzunehmen oder an sich von einem Dritten vornehmen zu lassen. Auch in diesem Fall muß es zu körperlichen Kontakten gekommen sein. Bei dem Dritten kann es sich auch um ein Kind handeln. B e i s p i e l : A veranlaßt auf einem Kinderspielplatz die Kinder X und Y , miteinander sexuelle Spiele zu treiben. Sexuelle Handlungen ohne körperliche Kontakte (z.B. exhibitionistische Handlungen) werden durch Abs. 5 erfaßt (s.u. Anm. 8). Die nach früherem Recht teilweise so bestrittene Frage, ob auch diese Fälle strafbar sind (vgl. B G H 1, 168; 15, 118; 17, 280), ist damit gegenstandslos geworden. 5. Der auf der subj. Tatseite erforderliche Vorsatz muß sich insbesondere auch auf das Alter des Kindes erstrecken, wobei bedingter Vorsatz genügt. Eine besondere wollüstige Absicht oder Tendenz des Täters ist (anders als in Abs. 5) nicht erforderlich. Tatbestandsmäßig handelt deshalb auch, wer aus bloßer Neugierde oder aus dubiosen pädagogischen Motiven heraus zwei Kinder veranlaßt, miteinander sexuelle Spiele zu treiben (vgl. Ber. VI S. 36). 6. Der Vollzug des Beischlafs (siehe hierzu § 173 Anm. 3) begründet in der Regel einen besonders schweren Fall i. S. des Abs. 3. Ausnahmen sind jedoch auch hier denkbar (z.B. bei partnerschaftlichen, auf einem echten Liebesverhältnis beruhenden Beziehungen zwischen einem 19jährigen Schüler und einer 13jährigen Schülerin, vgl. Ber. VI S. 36). Ein besonders schwerer Fall i.S. von Abs. 3 liegt in der Regel auch dann vor, wenn der Täter das Kind körperlich schwer mißhandelt. Aber auch der wiederholte Mißbrauch eines Kindes oder die Hervorrufung schwerer psychischer Störungen können die Annahme eines besonders schweren Falles rechtfertigen. Zu den minder schweren Fällen (vgl. Abs. 1 letzter Halbsatz), bei denen auch auf Geldstrafe erkannt werden kann, gehören vor allem relativ harmlose Manipulationen sowie solche Fälle, bei denen die Initiative von dem Kind ausgegangen ist (z.B. einer frühreifen 13jährigen Schülerin), 7. Die Strafschärfung des Abs. 4, die die Tat zum Verbrechen macht (benannter Strafschärfungsgrund), setzt voraus, daß der Täter leichtfertig den Tod des Kindes verursacht hat. a) Die Verursachung des Todes ist nach den allgemeinen Grundsätzen der Bedingungs- oder Äquivalenztheorie zu bestimmen (siehe hierzu Vorbem. AT, Abschn. B IV 2, S. 15). Der Tod des Kindes ist z . B . auch dann verursacht, wenn das Kind auf der Flucht vor dem Täter unvorsichtig über die Straße läuft und hierbei von einem P K W tödlich erfaßt wird oder wenn das Kind aus Verzweiflung Selbstmord begeht. b) Der Täter handelt leichtfertig, wenn er sich „grob fahrlässig", d.h. in besonders leichtsinniger oder gleichgültiger Weise, über die naheliegende Möglichkeit eines tödlichen Ausgangs hinwegsetzt. Einzelheiten und Beispiele siehe § 239 a Anm. V I I I 2 und § 316c Anm. VI 2. Ist der Tod Folge einer brutalen Behandlung des Kindes, so liegen in der Regel gleichzeitig die Voraussetzungen des § 177 Abs. 3 oder die des § 178 Abs. 3 vor c) Die Strafschärfung des Abs. 2 greift auch dann ein (allerdings mit der Möglichkeit der Strafmilderung gemäß § 44), wenn der Tod als Folge der nur versuchten
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Strafgesetzbuch
Tat eintritt, z.B. wenn das Kind sich dadurch dem Täter zu entziehen sucht, daß es auf der Fahrt zum ausgewählten Tatort aus dem fahrenden P K W flieht, nachdem der Täter zuvor trotz der Bitten des Kindes nicht angehalten h a t ; — oder: Beim Versuch, das Kind zu bestimmten sexuellen Handlungen zu nötigen, wendet der Täter so intensive Gewalt an, daß das Kind stirbt, bevor der Täter seine sexuellen Wünsche befriedigen kann (siehe auch § 239 a Anm. V I I I 3 und § 316 c Anm. VI 2). 8. Sämtliche Fallgruppen des Abs. 5 haben gemeinsam, daß sie — anders als Abs. 1 und 2 — keine körperlichen Kontakte des Kindes mit dem Täter oder einem Dritten voraussetzen, mit Rucksicht auf die möglichen psychischen Reaktionen des Kindes aber ebenso sozialschädlich sein können wie die Tathandlungen der Absätze 1 und 2. I m einzelnen: a) Die Tathandlung der Nr. 1, die in der Regel typisch exhibitionistischen Charakter aufweist und deshalb der besonderen Regelung des § 183 Abs. 3 i.V. mit Abs. 4 Nr. 2 unterliegt (Möglichkeit der Strafaussetzung zur Bewährung zum Zwecke der Durchführung einer Heilbehandlung, und zwar selbst bei Wiederholungsgefahr vor dieser Heilbehandlung, vgl. Ber. VI S. 37), entspricht der des § 174 Abs. 2 Nr. 1 (siehe dort Anm. 4a). b) Die Tathandlung der Nr. 2 entspricht der in § 174 Abs. 2 Nr. 2 (siehe dort Anm. 4b), jedoch mit dem Unterschied, daß auch solche sexuellen Handlungen, die das Kind auf Veranlassung des Täters vor einem Dritten vornimmt, tatbestandsmäßig sind. c) Die Strafdrohung der Nr. 3 beruht auf der Erwägung, daß nach den bisherigen Erfahrungen Täter sexuelle Handlungen mit Kindern vielfach dadurch vorbereiten und einleiten, daß sie diesen pornographische Bilder etc. zeigen, um auf diese Weise die Bereitschaft des Kindes zu sexuellen Handlungen zu testen und zu fördern. Über pornographische Abbildungen usw. siehe § 184. Sexualbezogene Abbildungen usw., die nicht unter den Begriff der Pornographie fallen, reichen zur Tatbestandsverwirklichung nicht aus (vgl. Ber. VI S. 37). d) Der auf der subj. Tatseite erforderliche Vorsatz muß sieh insbesondere auf das Alter des Kindes erstrecken, wobei bedingter Vorsatz genügt. Ähnlich wie bei § 174 Abs. 2 ist jedoch zusätzlich die Absicht erforderlich, entweder sich, das Kind oder einen Dritten sexuell zu erregen. Siehe hierzu die Ausführungen unter § 174 Anm. 5. 9. Über die Strafbarkeit des Versuchs siehe Abs. 6 sowie die bisherige Rspr. zu § 176 Abs. 1 Nr. 3 (vgl. BGH 6, 303 sowie Anm. I I 2 b, cc zu § 43). Nach den Vorstellungen des Sonderausschusses für die Strafrechtsreform liegt ein strafbarer Versuch spätestens dann vor, wenn der Täter das Kind an den Ort gelockt hat, an dem er die unter Strafe gestellten Handlungen vornehmen will (vgl. Ber. VI S. 38). 10. IdK. ist möglich mit §§ 173, 174—174b, 175, 177—179, 182, 240, im Falle des Abs. 4 außerdem mit §§ 177 Abs. 3, 178 Abs. 3, 226. Gegenüber § 183 geht § 176 Abs. 5 Nr. 1 als die speziellere Regelung vor.
Vergewaltigung: § 1?? (1) Wer eine Frau mit Gewalt oder durch Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben zum außerehelichen Beischlaf mit ihm oder einem Dritten nötigt, wird mit Freiheitsstrafe nicht unter zwei Jahren bestraft. (2) In minder schweren Fällen ist die Strafe Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren. (3) Verursacht der Täter durch die Tat leichtfertig den Tod des Opfers, so ist die Strafe Freiheitsstrafe nicht unter fünf Jahren.
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§ m
1. Die durch das 4. StrRG neu gefaßte Vorschrift tritt an die Stelle des 1. Alternativtatbestands in § 177 Abs. 1 a . F . Der 2. Alternativtatbestand des § 177 Abs. 1 a . F . ist in § 179 Abs. 2 aufgegangen. Die Strafuntergrenze des Regelstrafrahmens in Abs. 1 wurde von einem J a h r auf zwei J a h r e angehoben. Gleichzeitig wurde jedoch die gesetzliche Mindeststrafe in minder schweren Fällen von einem J a h r auf sechs Monate herabgesetzt, so daß nunmehr auch bei Vergewaltigung — entgegen der früheren Rechtslage — Strafaussetzung zur Bewährung gewährt werden kann. Geschütztes Rechtsgut ist die sexuelle Selbstbestimmung der Frau. Über Gesetzesgeschichte und Gesetzesmaterialien siehe Vorbem. 3 vor § 174. 2. Wie die Neufassung der Vorschrift jetzt klarstellt, kommt in sachlicher Übereinstimmung mit der Rspr. zu § 177 a. F. (vgl. BGH 6, 226) als Täter nicht nur in Betracht, wer selbst den abgenötigten Beischlaf vollzieht, sondern auch derjenige, der unter allgemeinen täterschaftlichen Voraussetzungen an der Gewaltanwendung oder an der tatbestandsmäßigen Drohung mitgewirkt h a t (wichtig f ü r die sog. Gruppennotzucht). Mittäter kann auch eine F r a u sein, die im einverständlichen Zusammenwirken mit einem Mann gewaltsam ein Mädchen festhält, damit der Mann mit dem Mädchen den Beischlaf vollziehen kann. Schließlich kann sich sogar der Ehemann der vergewaltigten Frau eines Verbrechens gemäß § 177 schuldig machen, nämlich dann, wenn er seine Frau mit Gewalt usw. zum Geschlechtsverkehr mit einem Dritten zwingt. 3. Opfer kann jede weibliche Person sein, ohne Rücksicht auf Alter, Stand oder Bescholtenheit (also auch eine Prostituierte, die mit ihrem Freier nicht handelseinig geworden ist). 4. Die Tathandlung besteht in der Nötigung zum außerehelichen Beischlaf. Der erzwungene Beischlaf mit dem Ehemann erfüllt also nicht den Tatbestand (anders nur, wenn die Ehe rechtskräftig geschieden, f ü r nichtig erklärt oder aufgehoben ist), kann jedoch unter dem Gesichtspunkt der Nötigung, u . U . auch der Körperverletzung strafbar sein (vgl. Ber. V I S. 39). Über Beischlaf siehe § 173. Anm. 3 5. Tatmittel sind a) die Anwendung von Gewalt, d.h. jede als körperlicher Zwang empfundene Einwirkung zur Ausschaltung eines geleisteten oder erwarteten Widerstandes. Tatbestandsmäßig sind hierbei nicht nur solche Einwirkungen, die den Beischlaf unmittelbar ermöglichen (sog. vis absoluta, z.B. Würgen bis zur Bewußtlosigkeit, gewaltsames Auseinanderdrücken der Beine usw.); der Tb. ist vielmehr auch dann erfüllt, wenn der Täter die Frau in der F o r m der sog. vis compulsiva dazu bringt, ihren Widerstand aufzugeben oder schon gar keinen Widerstand zu leisten, z.B. wenn er gleich von Anfang an durch Ohrfeigen, durch Abgabe eines Schreckschusses oder durch Bedrohung mit einer tatsächlichen oder vorgetäuschten Waffe (vgl. BGH 23, 126 zu §§ 249ff.) zu verstehen gibt, daß jeder Widerstand sinnlos ist, und dadurch ihren Widerstandswillen lähmt. Gewalt kann schließlich auch in der Weise verübt werden, daß der Täter den Widerstand der Frau dadurch ausschaltet, daß er ihr — gewaltsam, heimlich oder durch Täuschung — betäubende Mittel oder Alkohol verabfolgt (vgl. Ber. VT S. 38; Schönke-Schröder 5; Lackner-Maassen 3a zu § 177 a.F.). Nicht tatbestandsmäßig ist dagegen der Fall, daß die durch die vorausgegangene Nötigung sexuell erregte F r a u freiwillig in den Beischlaf einwilligt (vgl. BGH GA 1968, 84). I n diesem Fall kommt n u r eine Strafbarkeit gemäß § 178 in Tateinheit mit versuchter Vergewaltigung in Betracht (vgl. BGH GA 1964, 377; N J W 1965, 1284; Maurach BT 443; Lackner-Maassen 2); b) Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib und Leben (siehe hierzu § 52 Anm. 1 c—e). Nicht erforderlich ist, daß der Täter die Frau selbst bedroht. Es genügt, daß er eine ihr nahestehende Person (sog. Sympathieperson, siehe auch Anm. VI 2 b zu
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§ 239a) bedroht, z.B. Ehemann oder Kinder (vgl. Maurach BT 440; Dreher 2 A b ; Lackner-Maassen 3 b). 6. Der auf der subj. Tatseite erforderliche Vorsatz muß insbesondere das Bewußtsein umfassen, daß das Opfer das Vorgehen des Täters als Gewalt bzw. Drohung mit gegenwärtiger Gefahr f ü r Leib oder Leben empfindet. Bedingter Vorsatz genügt. 7. Zu den minder schweren Fällen i. S. von Abs. 2, bei denen Strafen ausgesprochen werden können, die —entgegen der früheren Rechtslage (s.o. 1) — sogar zur Bewährung ausgesetzt werden können, gehören insbesondere die von Hanack (Gutachten R n . 67) erwähnten Fälle: Gewaltanwendung gegen eine Prostituierte, die mit dem Täter zuvor stundenlang gezecht und Zärtlichkeiten ausgetauscht, außerdem schon früher Geschlechtsverkehr mit ihm h a t t e ; — oder: Gewaltanwendung gegen eine Prostituierte, die unmittelbar vor dem vereinbarten Verkehr vom Täter weiteres Geld verlangt; — oder: Gewaltanwendung gegen ein Mädchen, mit dem der Täter schon wiederholt Intimverkehr hatte, das aber aus irgendeiner Laune heraus sich ausnahmsweise den Wünschen des Täters widersetzt. Hierzu gehören weiter alle Fälle, in denen das Opfer den Täter durch Handlungen provoziert hat, die der Täter als Vorbereitungen zum Verkehr aufgefaßt h a t (vgl. Ber. VI S. 40). 8. Die in Abs. 3 unter erhöhte Strafdrohung gestellte Vergewaltigung mit Todesfolge tritt an die Stelle der früher in § 178 getroffenen Regelung, ist aber insofern enger gefaßt, als bewußte oder unbewußte Fahrlässigkeit nicht mehr ausreicht; die Strafschärfung tritt vielmehr nur dann ein, wenn der Täter den Tod des Opfers l e i c h t f e r t i g verursacht hat. Siehe hierzu ausführlich Anm. 7 zu § 176. 9. Der Versuch ist strafbar (Verbrechen). Keine versuchte Vergewaltigung, sondern nur eine sexuelle Nötigung gemäß § 178 liegt vor, wenn der Täter mit Gewalt sexuelle Handlungen an einer Frau vornimmt, um sie geschlechtlich zu erregen und damit zur Einwilligung in den Geschlechtsverkehr geneigt zu machen (vgl. BGH N J W 1965, 1284 sowie oben 5a). Bei freiwilligem Rücktritt vom Versuch ist zu prüfen, ob sich der Täter nicht schon wegen eines vollendeten Delikts gemäß §§ 174, 178, 185, 223 f. schuldig gemacht h a t (sog. qualifizierter Versuch, vgl. § 46 Anm. 5). Aus der Rspr. zur Freiwilligkeit des Rücktritts siehe § 46 Anm. 3. 10. IdK. ist möglich mit §§ 173, 174—174b, 176, 223ff„ 239. Gegenüber §§ 178, 185 geht § 177 vor. § 1 7 8
S e x u e l l e Nötigrnngr
(1) Wer einen anderen mit Gewalt oder durch Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben nötigt, außereheliche sexuelle Handlungen des Täters oder eines Dritten an sich zu dulden oder an dem Täter oder einem Dritten vorzunehmen, wird mit Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren bestraft. (2) In minder schweren Fällen ist die Strafe Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu f ü n f Jahren. (3) Verursacht der Täter durch die Tat leichtfertig den Tod des Opfers, so ist die Strafe Freiheitsstrafe nicht unter f ü n f Jahren. 1. Die durch das 4. StrRG neu gefaßte Vorschrift schützt, wie § 177, die Freiheit der sexuellen Selbstbestimmung. Sie t r i t t an die Stelle des früheren § 176 Abs. 1 N r . l , sieht jedoch bei minder schweren Fällen eine niedrigere Mindeststrafe vor (vgl. Abs. 2). Über Gesetzesgeschichte und Gesetzesmaterialien siehe Vorbem. 3 vor § 174. 2. Täter kann sowohl ein Mann als auch eine Frau sein. Durch die Neufassung der Vorschrift ist weiter klargestellt, daß — entsprechend der Rechtslage bei § 177 (siehe dort Anm. 2) —• als Täter nicht nur in Betracht kommt, wer die abgenötigten
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sexuellen Handlungen (siehe hierzu § 184c) selbst vornimmt; Täter kann vielmehr auch derjenige sein, der unter allgemeinen täterschaftlichen Voraussetzungen an der Gewaltanwendung oder der tatbestandsmäßigen Drohung n u r teilnimmt, um einem Dritten die Vornahme sexueller Handlungen zu ermöglichen. Mittäter kann schließlich auch sein, wer selbst weder gewalttätig wird noch an den sexuellen Handlungen unmittelbar beteiligt ist, wohl aber andere hierzu durch Zurufe anfeuert (vgl. B G H LM Nr. 3 zu § 176 Nr. 1 a.F.). 3. Opfer kann jede Person sein, ohne Rücksicht auf Alter, Geschlecht, Stand oder Bescholtenheit. 4. Die Tathandlung besteht in der Nötigung, außereheliche sexuelle Handlungen (siehe hierzu § 184c) des Täters oder eines Dritten an sich zu dulden oder an dem Täter oder einem Dritten vorzunehmen. Hinsichtlich der letzten Alternative geht die neue Fassung der Vorschrift über § 176 Abs. 1 Nr. 1 a . F . hinaus. Nicht erfaßt wird jedoch der Fall, daß das Opfer genötigt wird, sexuelle Handlungen an sich selbst vorzunehmen (siehe jedoch §§ 174 Abs. 2 Nr. 2, 176 Abs. 5 Nr. 2). Die Beschränkung auf a u ß e r h e l i c h e sexuelle Handlungen bedeutet nicht, daß der Ehemann der genötigten Frau schlechthin als Täter ausscheidet. Der Ehemann macht sich vielmehr dann gemäß § 178 strafbar, wenn er seine Frau mit Gewalt usw. zwingt, mit einem Dritten sexuelle Handlungen vorzunehmen. 5. Hinsichtlich der Tatmittel gelten die Ausführungen zu § 177 (siehe dort Anm. 5) entsprechend. Zu beachten ist, daß die Gewalt immer Mittel zum Zweck sein muß. I n aller Kegel geht die Gewaltanwendung der sexuellen Handlung voraus. Gewaltanwendung und sexuelle Handlung können aber auch zeitlich zusammenfallen, z. B. wenn ein Arzt die entkleidet vor ihm stehende Patientin an sich preßt und versucht, ihre Oberschenkel gewaltsam auseinanderzudrücken (Sachverhalt von B G H 17, 1) oder wenn der Täter, weil er noch nie eine unbekleidete F r a u gesehen hat, in wollüstiger Absicht einer sich wehrenden, weinenden und schreienden Frau gewaltsam die Kleider vom Körper reißt (BGH N J W 1970, 1645). Die G e w a l t a n w e n d u n g m u ß a b e r a u c h h i e r M i t t e l z u m Z w e c k s e i n ; ist sie Selbstzweck, z.B. bei sadistisch motivierten Züchtigungen, so kommt § 178 nicht in Betracht. Der Tb. ist daher nicht erfüllt, wenn das Opfer die sadistischen Züchtigungen f r e i w i l l i g duldet (vgl. B G H 17, 4). 6. Hinsichtlich Vorsatz, minder schwere Fälle (Abs. 2), sexuelle Nötigung mit Todesfolge (Abs. 3), Versuch und Konkurrenzen gelten die Ausführungen zu § 177 (siehe dort Anm. 6—10) entsprechend.
§ IVO
Sexueller Mißbrauch
Widerstandsunfähiger
(1) Wer einen anderen, der 1. wegen einer krankhaften seelischen Störung, wegen einer tiefgreifenden Bewußtseinsstörung oder wegen Schwachsinns oder einer schweren anderen seelischen Abartigkeit z u m Widerstand unfähig ist oder 2. körperlich widerstandsunfähig ist, dadurch mißbraucht, daß er unter Ausnutzung der Widerstandsunfähigkeit außereheliche sexuelle Handlungen an i h m vornimmt oder an sich von dem Opfer vornehmen läßt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu f ü n f Jahren oder m i t Geldstrafe bestraft. (2) Wird die Tat durch Mißbrauch einer Frau z u m außerehelichen Beischlaf begangen, so ist die Strafe Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren, in minder schweren Fällen Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren.
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1. Die durch das 4. StrRG neu eingeführte Vorschrift tritt an die Stelle des früheren § 176 Abs. 1 Nr. 2 und des 2. Alternativtatbestandea in § 177 Abs. 1, ist jedoch wesentlich weiter gefaßt als die Tatbestände des früheren Rechts. Geschütztes Rechtsgut ist die Integrität widerstandsunfähiger Personen gegen sexuellen Mißbrauch. I m Gegensatz zum früheren Recht erstreckt sich der Schutz nicht n u r auf Frauen, sondern auch auf Männer, und zwar gegen sexuelle Übergriffe jeder Art. Der Mißbrauch einer F r a u zum außerehelichen Beischlaf wird als qualifizierter Fall in Abs. 2 als Verbrechen unter erhöhte Strafdrohung gestellt. Über G e s e t z e s g e s c h i c h t e und G e s e t z e s m a t e r i a l i e n der Vorschrift, deren jetzige Fassung wesentlich von der des Regierungsentwurfs abweicht, siehe Vorbem. 3 vor § 174. 2. Geschützt sind alle Personen (ohne Rücksicht auf Alter und Geschlecht), die aufgrund eines krankhaften psychischen oder körperlichen Defekts widerstandsunfähig, d . h . nicht in der Lage sind, hinsichtlich der in Frage stehenden sexuellen Handlungen einen eigenen freien Willen zu fassen oder einen an sich vorhandenen Abwehrwillen zu realisieren, Der Zustand der Widerstandsunfähigkeit muß in jedem Einzelfall f ü r den Zeitpunkt der T a t nachgewiesen werden. So besteht z. B. kein Anlaß, schizophrene Personen außerhalb der akuten Schübe in den Schutz der Vorschrift einzubeziehen (vgl. Ber. V I S. 41; Hanack, Gutachten R n . 112). 3. Die Widerstandsunfähigkeit kann in Anlehnung a n § 20 idF. des 2. StrRG beruhen a) auf einer krankhaften seelischen Störung, d.h. einer von der Norm abweichenden, tiefgreifenden Beeinträchtigung der Denktätigkeit, der Willensbildung, des Gefühls- oder Trieblebens (vgl. RG 73, 122; B G H 14, 30; GA 1962, 185; N J W 1962, 1779; Maurach AT 432). Als Ursachen dieser Beeinträchtigung kommen alle Geisteskrankheiten in Betracht, und zwar sowohl die sog. exogenen Psychosen (Störungen, die auf einer hirnorganischen Ursache beruhen, z.B. einer unfallbedingten Hirnverletzung, eines hirnorganisch begründeten Abbaus der Persönlichkeit, einer durch Alkohol- oder Drogenmißbrauch begründeten Intoxikation oder einer angeborenen Epilepsie) als auch die sog. endogenen Psychosen (klinisch nicht exakt nachweisbare Veränderungen der Persönlichkeit, zu deren bekanntesten Erscheinungsformen die Schizophrenie sowie die manisch-depressiven Gemütsstimmungen gehören). Aber auch schwere Fälle der S a t y r i a s i s (krankhafte Steigerung des Geschlechtstriebs beim Mann) und der N y m p h o m a n i e (krankhaft übersteigerter Geschlechtstrieb bei der Frau) können als krankhafte seelische Störungen angesehen werden; b) auf einer tiefgreifenden Bewußtseinsstörung. Über Bewußtseinsstörung siehe § 51 Anm. 2a. „Tiefgreifend" ist die Bewußtseinsstörung, wenn sie das seelische Gefüge des Betroffenen zerstört oder erheblic h erschüttert h a t (vgl. Ber. S. 11 der BT-Drucks. V/4095 zu §§ 20, 21 idF. des 2. StrRG). Ursache und Dauer der Bewußtseinsstörung sind unerheblich. Entscheidend ist allein, daß sie zur Tatzeit zum Ausschluß der Widerstandsfähigkeit geführt h a t ; c) auf Schwachsinn, d. h. auf einer angeborenen Intelligenzschwäche ohne nachweisbare Ursache (vgl. S. 140 der amtlichen Begründung zu § 24 E 1962; Maurach AT 435). Der Schwachsinn ist, wie der Sprachgebrauch des Gesetzes zeigt, eine Unterart der seelischen Abartigkeit. Sie begegnet hauptsächlich in den Erscheinungsformen der Idiotie (allenfalls Erreichung der Entwicklungsstufe eines 6jährigen Kindes), der Imbezillität (allenfalls Erreichung der Entwicklungsstufe bis zum Beginn der Pubertät) und der Debilität (Stehenbleiben auf der Entwicklungsstufe bei Abschluß der Pubertät), kann aber auch als Senilität (Altersschwäche) sowie bei entwicklungsgestörten Taubstummen auftreten; d) auf anderen seelischen Abartigkeiten, die zwar nicht krankhaft sind (sonst liegt bereits lit. a vor), die Persönlichkeit aber so verformen, daß sie „Krankheitswert" haben. Hierher gehören in diesem Zusammenhang vor allem psychopathische bzw.
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§
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neurotische Störungen des Sexualtriebs, die so intensiv sind, daß sie die Einsichtsoder Steuerungsfähigkeit des Betroffenen ausschalten und diesen dadurch gegen sexuelle Einflüsse widerstandsunfähig machen. Dies gilt insbesondere (falls nicht schon die Voraussetzungen von lit. a vorliegen) für die Fälle der Satyriasis und der Nymphomanie. Willensschwäche oder sonstige reine Charaktermängel reichen hierzu allerdings nicht aus; e) auf einem körperlichen Mangel (vgl. Abs. 1 Kr. 2), z. B. wenn das Opfer gelähmt oder gefesselt ist und sich aus diesem Grunde nicht wehren kann. Nicht hierher, sondern unter die Gruppe lit. b gehören dagegen die von Hanack ZStW 77, 448 f. angeführten Fälle, daß das Opfer durch Alkoholkonsum oder Müdigkeit „gelähmt" ist. Bei einer intensiven „Lähmung" aufgrund eines Schrecks oder einer Überrumpelung kann jedoch u. U. auch körperliche Widerstandsunfähigkeit angenommen werden. Uber weitere schwierig zu entscheidende Grenzfälle siehe H a n a c k a . a. 0 . 4 4 9 . 4. Täter kann (entgegen der früheren Rechtslage, s.o. 1) auch eine F r a u sein. 5. Die Tathandlung entspricht der des § 174 Abs. 1 (siehe dort Anm. 3), ist jedoch — wie in § 178 — auf außereheliche sexuelle Handlungen beschränkt. Der Ehegatte der widerstandsunfähigen Person kann also, wenn er sexuelle Handlungen eines Dritten veranlaßt oder fördert, nie Täter (Mittäter), sondern n u r Anstifter oder Gehilfe sein. 6. Die Mißbrauchsklausel entspricht der in den §§ 174 Abs. 1 Nr. 2, 174 a Abs. 2, 174 b getroffenen Regelung. Sie stellt klar, daß nicht schon jeder sexuelle K o n t a k t mit einer widerstandsunfähigen Person strafbar ist, sondern nur dann, wenn der Täter die widerstandsunfähige Person unter Ausnutzung der Widerstandsunfähigkeit mißbraucht. Durch diese einengende Formulierung wird der Anwendungsbereich der Vorschrift auf die wirklich strafbedürftigen Fälle beschränkt. a) An einer Ausnutzung der Widerstandsfähigkeit fehlt es z.B., wenn eine schwachsinnige F r a u zu einem Mann ein festes partnerschaftliches Verhältnis unterhält oder wenn die sexuellen Kontakte im Rahmen der sonstigen persönlichen Beziehungen n u r eine untergeordnete Rolle spielen. Es kann nicht Aufgabe der Vorschrift sein, geistig oder körperlich behinderte Personen dadurch von sexuellen Kontakten auszuschließen, daß der Partner unter Strafdrohung gestellt wird (vgl. Ber. VI S. 41). b) Nicht jede Ausnutzung der Widerstandsunfähigkeit bedeutet zugleich einen Mißbrauch der jeweils betroffenen Person. Durch diese weitere Einschränkung des Tatbestandes werden z.B. die Fälle aus dem Strafbarkeitsbereich ausgeschlossen, bei denen es unter befreundeten oder gar verlobten Partnern nach gemeinsamem Alkoholgenuß im fortgeschrittenen Stadium der „Feier" zu sexuellen Handlungen kommt, die die betreffenden Personen — f ü r den Partner erkennbar — im nüchternen Zustand nicht vorgenommen hätten (vgl. Ber. VI S. 41; Hanack, Gutachten R n . 113). Von einem „Mißbrauch" kann normalerweise auch dann nicht gesprochen werden, wenn sich ein Mann mit einer f ü r ihn erkennbar nymphomanen F r a u einläßt (anders nur, wenn deren Krankheit in exzessiver, möglicherweise sogar gesundheitsschädigender Weise bewußt ausgenutzt wird). Unter Berücksichtigung dieser einschränkenden Elemente verbleiben f ü r den Anwendungsbereich der Vorschrift in erster Linie die Fälle, in denen es zu sexuellen Übergriffen gegenüber Personen kommt, mit denen der Täter sonst in keinem näheren K o n t a k t steht, insbesondere keine sexuellen Kontakte unterhält, und die ihm auch sonst durch ihr vorausgegangenes Verhalten keinen Anlaß zu sexuellen Handlungen gegeben haben. B e i s p i e l e : Ein Arzt vergeht sich an einer Patientin während der Narkose; — oder: Vornahme sexueller Handlungen an einer Frau, die offensichtlich unter dem Einfluß von Drogen halbnackt durch die Gegend irrt.
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§ ISO
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7. G e m ä ß Abs. 2 wird die T a t z u m Verbrechen, w e n n eine (psychisch oder körperlich) widerstandsunfähige F r a u zum außerehelichen Beischlaf mißbraucht w i r d (über Beischlaf siehe § 173 A n m . 3). I m übrigen setzt die Vorschrift alle übrigen Merkmale des Abs. 1 voraus. E i n m i n d e r schwerer Fall liegt insbesondere d a n n v o r , w e n n d e r T ä t e r sich d u r c h die günstige Situation h a t v e r f ü h r e n lassen, ohne d a ß er selbst die treibende K r a f t gewesen ist. 8. Der auf der s u b j . Tatseite erforderliche Vorsatz m u ß sich insbesondere auf den Z u s t a n d der (psychischen oder körperlichen) W i d e r s t a n d s u n f ä h i g k e i t e r s t r e c k e n . Bedingter Vorsatz g e n ü g t . 9. D e r Versuch ist n u r in d e n Fällen des Abs. 2 s t r a f b a r . 10. IdK. ist möglich m i t §§ 173—178, ferner m i t §§ 223ff., 239ff.
§ 180 Förderung: sexueller Handlungen Minderjähriger* (1) Wer sexuellen Handlungen einer Person unter sechzehn Jahren an oder vor einem Dritten oder sexuellen Handlungen eines Dritten an einer Person unter sechzehn Jahren 1. durch seine Vermittlung oder 2. durch Gewähren oder Verschaffen von Gelegenheit Vorschub leistet, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. Satz 1 Nr. 2 ist nicht anzuwenden, wenn der zur Sorge f ü r die Person Berechtigte handelt; dies gilt nicht, wenn der Sorgeberechtigte durch das Vorschubleisten seine Erziehungspflicht gröblich verletzt. (2) Wer eine Person unter achtzehn Jahren bestimmt, sexuelle Handlungen gegen Entgelt an oder vor einem Dritten vorzunehmen oder von einem Dritten an sich vornehmen zu lassen, oder wer solchen Handlungen durch seine Vermittlung Vorschub leistet, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. (3) Wer eine Person unter achtzehn Jahren, die ihm zur Erziehung, zur Ausbildung oder zur Betreuung i n der Lebensführung anvertraut oder im Rahmen eines Dienst- oder Arbeitsverhältnisses untergeordnet ist, unter Mißbrauch einer mit dem Erziehungs-, Ausbildungs-, Betreuungs-, Dienst- oder Arbeitsverhältnis verbundenen Abhängigkeit bestimmt, sexuelle Handlungen an oder vor einem Dritten vorzunehmen oder von einem Dritten an sich vornehmen zu lassen, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. (4) In den Fällen der Absätze 2 und 3 ist der Versuch strafbar. ,1. Die d u r c h d a s 4. S t r R G grundlegend n e u gestaltete Vorschrift g e h t d a v o n aus, d a ß die F ö r d e r u n g sexueller H a n d l u n g e n f ü r sich allein noch kein s t r a f b e d ü r f t i g e s U n r e c h t darstellt. Die Mittel des S t r a f r e c h t s sollen vielmehr n u r gegen solche Förd e r u n g s h a n d l u n g e n eingesetzt werden, d u r c h die ein schutzwürdiges R e c h t s g u t beeinträchtigt w i r d u n d die d e r Beeinflussung d u r c h das S t r a f r e c h t zugänglich sind (vgl. Ber. V I S. 42). I n k o n s e q u e n t e r Verfolgung dieserTendenz w u r d e die S t r a f b a r keit der F ö r d e r u n g s h a n d l u n g e n b e s c h r ä n k t auf d e n Jugendschutz (§ 180) sowie a u f b e s t i m m t e sozialschädliche Formen der Förderung bzw. Ausbeutimg der Prostitution (§§ 180a, 181, 181a). Alle übrigen F o r m e n der sog. K u p p e l e i sind dagegen — e n t gegen der f r ü h e r e n F a s s u n g des Gesetzes — selbst d a n n nicht s t r a f b a r , w e n n die F ö r d e r i m g gewohnheitsmäßig oder aus E i g e n n u t z erfolgt. E i n G a s t w i r t , der a n einen 19jährigen Schüler u n d dessen 16jährige F r e u n d i n ein Doppelzimmer v e r m i e t e t , k a n n deshalb, w e n n e r u n t e r A u s n u t z u n g der U n e r f a h r e n h e i t der j u n g e n L e u t e * siehe Fußnote S. 364
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einen überhöhten Preis fordert, nur noch wegen Wuchers, aber nicht mehr wegen Kuppelei bestraft werden. Auch die Ehegattenkuppelei ist — entgegen der von der Opposition in den parlamentarischen Gremien bis zuletzt mit beachtlichen Argumenten vertretenen Forderung — selbst dann nicht strafbar, wenn ein Ehegatte die außerehelichen sexuellen Handlungen des anderen Ehegatten aktiv fördert oder gar vermittelt. Über Gesetzesgeschichte und Gesetzesmaterialien siehe Vorbem. 3. vor § 174. 2. Die Schutzaltersgrenze des Abs. 1 wurde auf 16 Jahre festgesetzt. Anliegen der Vorschrift ist es zu verhindern, daß Jugendliche im Alter von 14 und 15 Jahren von Dritten mißbräuchlich in sexuelle Handlungen hineingezogen und dadurch der Gefahr einer Fehlentwicklung auf sexuellem Gebiet ausgesetzt werden (vgl. Ber. V I S. 42). Die Vorschrift kommt aber auch bei Kindern unter 14 Jahren in Betracht (unklar insoweit Ber. VI S. 44). Jugendliche im Alter von 16 und 17 Jahren sind nur unter den engeren Voraussetzungen der Absätze 2 und 3 geschützt. 3. Die Tathandlung besteht (wie schon in § 180 a.F.) darin, daß der Täter den sexuellen Handlungen (siehe hierzu § 184c) durch seine Vermittlung oder durch Gewähren oder Verschaffen von Gelegenheit Vorschub leistet. a) Vorschubleisten ist jede Verbesserung der Bedingungen für die Vornahme sexueller Handlungen. Unerheblich ist, ob es dann auch tatsächlich zu sexuellen Handlungen kommt (vgl. Ber. V I S. 44; B G H 24, 249). b) Vermittlung ist die Herstellung der persönlichen Beziehungen zwischen den Partnern, z.B. durch Veranstaltung einer „Sex-Party", durch Adressenvermittlung oder durch Beschäftigung jugendlicher Callgirls oder Animierdamen. Der Tb. kann aber auch in „harmloserer" Form verwirklicht werden, z.B. dadurch, daß A seine 15jährige Schwester dazu überredet, mit seinem Freund sexuelle Beziehungen aufzunehmen. c) Ein Gewähren oder Verschaifen von Gelegenheit liegt insbesondere dann vor, wenn der Täter dem Jugendlichen oder seinem Partner Räume zur Verfügung stellt. Weitere B e i s p i e l e (teilweise übereinstimmend mit lit. b): Veranstaltung von „Sex-Parties", Adressenvermittlung, Hingabe von Geld, u m dem Jugendlichen den Besuch bestimmter Veranstaltungen oder eines Bordells zu ermöglichen (RG 51, 46; Dreher 3 B ; Lackner-Maassen 4 a); o d e r : Ablenken oder Bestechen eines Hotelportiers, damit dieser nichts gegen eine von oder mit Jugendlichen veranstaltete Sex-Party unternimmt. d) Der Tb. kann auch durch Unterlassen verwirklicht werden, sofern der Unterlassende rechtlich verpflichtet und tatsächlich in der Lage ist, den sich anbahnenden sexuellen Handlungen Einhalt zu bieten. Als Täter kommen insoweit vor allem solche Personen in Betracht, denen der Jugendliche zu Erziehung, zur Ausbildung oder zur Betreuung in der Lebensführung anvertraut ist (siehe hierzu§ 174 Anm. 2a). Zu beachten ist in diesem Zusammenhang allerdings das tatbestandsausschließende Erziehungsprivileg des Satzes 2 (s.u. Anm. 5). e) Unerheblich ist, von wem die Initiative ausgegangen ist. Der Tb. ist deshalb auch dann verwirklicht, wenn der Täter die Förderung n u r auf Veranlassung des Jugendlichen oder seines Partners vornimmt und den in Aussicht genommenen sexuellen Handlungen ablehnend gegenübersteht (vgl. Ber. V I S. 44). 4. Der subj. Tb. erfordert Vorsatz, wobei bedingter Vorsatz genügt. Da zur Tatbestandsverwirklichung nicht erforderlich ist, daß es zu sexuellen Handlungen k o m m t , genügt es, wenn der Täter weiß oder billigend in Kauf nimmt, daß er f ü r die etwaige Vornahme solcher Handlungen günstigere Bedingungen schafft. Das Motiv des Täters ist unerheblich. Anders als unter der früheren Rechtslage ist es insbesondere nicht erforderlich, daß der Täter aus Eigennutz oder gewohnheits-
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mäßig handelt. Der Tb. wird auch nicht dadurch ausgeschlossen, daß der Täter selbst an den sexuellen Handlungen teilnehmen will (wichtig für den sog. Triolenverkehr, vgl. B G H 11, 94 zu § 180 a.F.). Unerheblich ist schließlich, ob die Initiative von dem Jugendlichen oder einem Dritten ausgegangen ist (s.o. 3e). 5. Völlig neu und auch im ausländischen Strafrecht ohne Parallele (vgl. Jescheck Prot. VI S. 1101) ist das Erzieherprivileg in Abs. 1 S. 2, bei dessen Vorliegen bereits die Tatbestandsmäßigkeit (also nicht erst die Schuld) entfällt. a) Primäres Anliegen der Vorschrift ist es, die Fälle des sog. pädagogischen Notstands aus dem Bereich der Tatbestandsmäßigkeit auszuschließen. Gemeint sind insbesondere die Fälle, in denen es den Eltern eines noch nicht 16 Jahre alten Jugendlichen nicht zugemutet werden kann, diesen von seiner sexuellen Aktivität abzuhalten (vgl. Ber. VI S. 45). Soweit das „Vorschubleisten" in derartigen Fällen in einem Unterlassen zu sehen war (Regelfall), entfiel die Strafbarkeit der Eltern schon nach früherem Recht unter dem Gesichtspunkt des übergesetzlichen schuldausschließenden Notstands (vgl. Ber. VI S. 45). Die jetzige Fassung des Gesetzes schließt die Tatbestandsmäßigkeit über die bisherige Rechtslage hinaus auch für die Fälle aus, in denen das Gewähren bzw. Verschaffen von Gelegenheit durch aktives Tun erfolgt, z . B . wenn eine Mutter unter dem Druck der Verhältnisse den 19jährigen Freund ihrer 15jährigen Tochter in die Wohnung aufnimmt, nachdem die Tochter gedroht hat, andernfalls das Haus zu verlassen oder sich das Leben zu nehmen. b) Ein weiteres Anliegen der Vorschrift besteht darin, dem Erziehungsberechtigten einen gewissen Spielraum in der Sexualerziehung einzuräumen (vgl. Ber. VI S. 45). Hierzu gehört z . B . der Fall, daß die Eltern der sexuellen Betätigung ihrer 15jährigen Tochter zwar ablehnend gegenüberstehen und auch kein pädagogischer Notstand in dem oben beschriebenen Sinn vorliegt, sie aber ein striktes Verbot, obwohl sie es durchsetzen könnten, für pädagogisch verfehlt halten (vgl. Ber. a.a.O.). c) Aufgrund der ursprünglich vorgesehenen, vom Bundestag in der Sitzung am 7. 6. 1973 bereits verabschiedeten Fassung des Abs. 1 S. 2 war weiter vorgesehen, auch solche Personen, die mit Einwilligung des Erziehungsberechtigten Förderungshandlungen vornehmen, in das Erzieherprivileg einzubeziehen (sog. verlängertes Erzieherprivileg). Diese Regelung wurde jedoch in der Endphase der parlamentarischen Beratungen wieder fallen gelassen. Auch ohne das verlängerte Erzieherprivileg bleiben jedoch solche Personen straflos, die auf Weisung des Erziehungsberechtigten nur untergeordnete Förderungshandlungen vornehmen. Beispiel: Eine Hausangestellte richtet auf Anordnung des Haushaltsvorstands das gemeinsame Nacht lager für die 15jährige Tochter des Hauses und deren Freund. Die Straflosigkeit ergibt sich in diesen Fällen aus dem Gesichtspunkt der Teilnahme an einer nicht tatbestandsmäßigen Handlung. Tatbestandsmäßig handelt jedoch der Leiter eines Ferienlagers, der mit Einwilligung der jeweiligen Eltern duldet, daß Jugendliche beiderlei Geschlechts im gleichen Zimmer oder Zelt übernachten. Entsprechendes gilt für Verwandte, Reiseleiter, Lehrer usw. d) Ausgenommen vom Erzieherprivileg des Satzes 2 sind zunächst die Fälle des Abs. 1 Nr. 1 (Vorschubleisten durch Vermittlung), ferner die Fälle, in denen der Sorgeberechtigte durch das Vorschubleisten oder die Einwilligung seine Erziehungspflicht gröblich verletzt (2. Halbsatz des Satzes 2). „Gröblich" ist die Verletzung der Erziehungspflicht z.B., wenn dem bzw. der Jugendlichen Gelegenheit zur Prostitution, zum ständigen Partnerwechsel, zum Inzest oder zur Sodomie gewährt wird (in diesen Fällen kommt die Tateinheit mit § 170 d in Betracht).
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6. Anliegen des Abs. 2 ist es, Jugendliche von entgeltlichen sexuellen Handlungen fernzuhalten, durch die sie in die Gefahr kommen könnten, in die Prostitution abzugleiten. Nach den Ergebnissen der wissenschaftlichen Forschung hat nämlich ein beträchtlicher Teil der Prostituierten bereits in jugendlichem Alter erste Erfahrungen mit der bezahlten Hingabe gemacht (vgl. RegE, S. 24 der BT-Drucksache VI/1552). a) Mit Rücksicht auf die mangelnde Lebenserfahrung und die leichte Beeinflußbarkeit des charakterlich noch nicht gefestigten Jugendlichen wurde das Schutzalter auf 18 Jahre festgesetzt. b) Die Tathandllung der 1. Alternative besteht darin, daß der Täter den Jugendlichen bestimmt, gegen Entgelt sexuelle Handlungen an einem Dritten vorzunehmen oder von einem Dritten an sich vornehmen zu lassen. Dem gleich steht der Fall, daß der Jugendliche bestimmt wird, selbst sexuelle Handlungen vor einem Dritten vorzunehmen. B e i s p i e l : Ein Barbesitzer veranlaßt eine 17jährige Angestellte, im Rahmen seiner Stripteaseschau einen „scharfen" Striptease gegen entsprechende Bezahlung zu zeigen. c) Die Tathandlung der 2. Alternative besteht darin, daß der Täter zu den in lit. b) beschriebenen sexuellen Handlungen durch seine Vermittlung Vorschub leistet. B e i s p i e l : A vermittelt einem Barbesitzer eine Jugendliche, die bereit ist, gegen Bezahlung „scharfen" Striptease zu zeigen. d) Gegen Entgelt wird eine sexuelle Handlung vorgenommen, wenn eine Zuwendung an den Jugendlichen der ausschlaggebende Beweggrund für seine sexuelle Handlung ist. Der Jugendliche und sein Partner müssen sich (ausdrücklich oder stillschweigend) darüber geeinigt haben, daß die sexuellen Handlungen im Austausch gegen die geleistete oder zugesagte Zuwendung erfolgen soll (vgl. RegE a.a.O. S. 24). Nicht ausreichend ist es, wenn der Jugendliche durch ein Geschenk lediglich in eine geneigte Stimmung versetzt werden soll oder wenn es um den Gewinn einer Wette geht. Die als Entgelt geleistete oder zugesagte Zuwendung muß wirtschaftlichen Wert haben. In Betracht kommen demnach nicht nur Geldzahlungen und Sachwerte, sondern auch Urlaubsreisen (vgl. RegE a.a.O. S. 24). 7. Abs. 3 bringt eine Ergänzimg des § 174 Abs. 1 Nr. 2. Hinsichtlich des geschützten Personenkreises, des Täterkreises und der Mißbrauchsklausel kann auf die Ausführungen zu § 174 (Anm. 2) Bezug genommen werden. Die Tathandlung entspricht der 1. Alternative des § 180 Abs. 2 (s.o. Anm. 6b). 8. Wie bei § 174 (siehe dort Abs. 3) ist im Interesse eines möglichst umfassenden Jugendschutzes in Abs. 4 der Versuch in den Fällen der Absätze 2 und 3 unter Strafe gestellt. Dies bedeutet, daß in diesen Fällen bereits die erfolglose Aufforderung, sexuelle Handlungen an oder vor einem Dritten vorzunehmen bzw. von einem Dritten an sich vornehmen zu lassen, strafbar ist (vgl. RegE a.a.O. S. 24). 9. Konkurrenzen: Abs. 1 kann in IdK. treten mit Anstiftung und Beihilfe zu den §§ 173ff., bei Abs. 2 und Abs. 3 ist IdK. vor allem mit § 174 Abs. 1 Nr. 2 und § 174 Abs. 2 Nr. 2 möglich, wenn der Täter selbst an den sexuellen Handlungen des Schutzbefohlenen teilnimmt bzw. diesen zu solchen Handlungen vor sich und einem Dritten bestimmt. IdK. ist weiter möglich mit §§ 180 a, 181, 181 a, 240.
§ I S O a Förderung: d e r Prostitution (1) Wer gewerbsmäßig einen Betrieb unterhält oder leitet, in dem Personen der Prostitution nachgehen und in dem 1. diese in persönlicher oder wirtschaftlicher Abhängigkeit gehalten werden oder 26 Petters-Freisendanz, StGB, 28. Aufl.
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2. die Prostitutionsausübung durch Maßnahmen gefördert wird, welche über das bloße Gewähren von Wohnung, Unterkunft oder Aufenthalt und die damit üblicherweise verbundenen Nebenleistungen hinausgehen, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. ( 2 ) Ebenso wird bestraft, wer 1. einer Person unter achtzehn Jahren zur Ausübung der Prostitution Wohnung, gewerbsmäßig Unterkunft oder gewerbsmäßig Aufenthalt gewährt oder 2. einen anderen, dem er zur Ausübung der Prostitution Wohnung gewährt, zur Prostitution anhält oder im Hinblick auf sie ausbeutet. ( 3 ) W e r einen anderen gewerbsmäßig anwirbt, umihndazuzubringen,daßer der Prostitution nachgeht, oder um ihn zur Prostitutionsausübung in einem fremden Land zu veranlassen, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. ( 4 ) W e r eine Person unter einundzwanzig Jahren der Prostitutionsausübung zuführt oder auf sie einwirkt, um sie zur Aufnahme oder Fortsetzung der Prostitution zu bestimmen, wird mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren bestraft. ( 5 ) In den Fällen der Absätze 3 und 4 ist der Versuch strafbar. 1. Die durch das 4. StrRG neu eingeführte Vorschrift geht davon aus, daß aus rechtlichen und kriminalpolitischen Gesichtspunkten nicht alle Prostitutionsbetriebe verboten werden können. Dies gilt insbesondere für die sog. Eros-Center (Dirnenwohnheime), Kontaktbars und Dirnenstraßen, wie sie in fast allen Großstädten zu finden sind. Die Duldung solcher Einrichtungen hat die positive Wirkung, daß die Allgemeinheit wirksamer vor der mit der Straßenprostitution verbundenen Gefahren und Belästigungen geschützt werden kann. Strafbedürftig sind nur bestimmte sozialschädliche Auswüchse auf dem Gebiet der Prostitutionsförderung. § 180a hat diese strafbedürftigen Auswüchse in vier selbständigen Tatbeständen (Abs. 1—4) zusammengefaßt. Über Gesetzesgeschichte und Gesetzesmaterialien siehe Vorbem. 3 vor § 174 unter besonderer Berücksichtigimg der Ausführungen von Horstkotte in der Sitzung des Sonderausschusses für die Strafrechtsreform am 21. 3. 1973 (Prot. V I I S. 54ff.). 2. Anliegen des Abs. I ist es, die persönliche und wirtschaftliche Unabhängigkeit und damit zugleich auch die sexuelle Selbstbestimmung der in einem Prostitutionsbetrieb tätigen Prostituierten zu gewährleisten. a) Täter kann nur sein, wer gewerbsmäßig (siehe hierzu § 260 Anm. 2) einen Prostitutionsbetrieb unterhält (d.h. in eigenem Namen und auf eigene Rechnung betreibt) oder leitet (d.h. verantwortlich für einen anderen betreibt). Mitarbeiter des Betriebs kommen grundsätzlich nur als Anstifter oder Gehilfen in Betracht. Täter können sie nur unter den Voraussetzungen des § 50a Abs. 2 Nr. 2 sein. b) Von einem Prostitutionsbetrieb kann nur dort gesprochen werden, wo mehrere Personen (als solche kommen auch Männer in Betracht) in den Räumen des Betriebs der Prostitution nachgehen. Unerheblich ist, ob auch das Anwerben der Freier in diesen Räumen erfolgt. Das Merkmal „Betrieb" besagt, daß eine gewisse Gesamtorganisation vorhanden sein muß, in die die Prostituierten eingefügt sind (vgl. RegE S. 26 der BT-Drucks. VI/1552). c) Nach Abs. 1 Nr. 1 müssen die Prostituierten in persönlicher oder wirtschaftlicher Abhängigkeit „gehalten" werden. Hierzu ist eine gezielte Einwirkung auf ihre persönliche oder wirtschaftliche Unabhängigkeit erforderlich (vgl. RegE a.a.O. S. 26). Solche Einwirkungen kommen hauptsächlich dort vor, wo Zuhälter ganz
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oder teilweise die Kontrolle über d e n Betrieb a n sich gezogen h a b e n . D e r I n h a b e r bzw. Leiter des Betriebs ist f ü r diese Mißstände a u c h d a n n v e r a n t w o r t l i c h , w e n n er sie nicht selbst hergestellt h a t . E s genügt, d a ß er sie v o n einem D r i t t e n ü b e r n i m m t , ohne sie zu ä n d e r n , oder wenn er d u l d e t , d a ß sie in d e m von i h m u n t e r h a l t e n e n oder geleiteten Betrieb von D r i t t e n h e r b e i g e f ü h r t werden (vgl. R e g E a . a . O . S. 25). d) Abs. 1 Nr. 2 e n t h ä l t ein a b s t r a k t e s Gefährdungsdelikt. Die Vorschrift berücksichtigt zunächst, d a ß sich der Nachweis einer Abhängigkeit i.S. d e r N r . 1 — gerade wenn eine solche vorliegt — in der P r a x i s n u r selten beweisen l ä ß t . Sie berücksichtigt weiter, d a ß b e s t i m m t e Maßnahmen zur Förderung der Prostitution erf a h r u n g s g e m ä ß geeignet sind, die P r o s t i t u i e r t e n in eine Abhängigkeit zu bringen, die es zu vermeiden gilt. aa) Strafrechtlich irrelevant ist d a s Gewähren v o n W o h n u n g , U n t e r k u n f t oder A u f e n t h a l t u n d die d a m i t üblicherweise v e r b u n d e n e n Nebenleistungen. D a s bed e u t e t , d a ß Leistungen, die im Beherbergungsgewerbe oder bei p r i v a t e n Zimmerv e r m i e t u n g e n üblich sind, a u c h in Dirnenwohnheimen g e w ä h r t werden d ü r f e n . Z u d e n zulässigen Nebenleistungen gehören z . B . die E i n r i c h t u n g von P a r k p l ä t z e n , die Besorgung der Zimmerreinigung, die Verpflegung der P r o s t i t u i e r t e n u n d ihrer Besucher, die U n t e r h a l t u n g v o n N o t r u f a n l a g e n u n d G e m e i n s c h a f t s r ä u m e n sowie Gestellung des f ü r die A u f r e c h t e r h a l t u n g des Betriebs erforderlichen Personals einschließlich des P f ö r t n e r s , der z. B. (wie a u c h sonst in H o t e l s üblich) d a s Z i m m e r einer b e s t i m m t e n Person bezeichnen u n d über An- oder Abwesenheit A u s k u n f t geben k a n n (vgl. Ber. V I I S. 9). Diese typischen u n d auch sonst im Beherbergungsgewerbe üblichen Nebenleistungen bei der Gewährung v o n W o h n u n g u n d U n t e r k u n f t d ü r f t e n u n b e s t r e i t b a r zulässig sein. Zulässig ist a b e r a u c h die E i n r i c h t u n g sog. Kontakthöfe, die es d e n P r o s t i t u i e r t e n ermöglichen, m i t ihren Freiern a u ß e r h a l b des eigentlichen Gebäudes K o n t a k t a u f z u n e h m e n . D a derartige E i n r i c h t u n g e n n i c h t zwanglos u n t e r den Begriff des Gewährens v o n W o h n u n g u n d U n t e r k u n f t subs u m i e r t werden können, w u r d e in der Schlußphase der p a r l a m e n t a r i s c h e n Berat u n g e n noch das Tb.-Merkmal Gewähren von A u f e n t h a l t a u f g e n o m m e n (vgl. P r o t . V I I S. 54 ff.). E i n strafloses Gewähren von A u f e n t h a l t stellt a u c h der Betrieb sog. Kontaktbars u n d ähnlichen R ä u m l i c h k e i t e n d a r , in denen die P r o s t i t u i e r t e n sich d a r a u f beschränken, K o n t a k t e a n z u b a h n e n , u m sieh d a n n m i t ihren Freiern in a n d e r e R ä u m l i c h k e i t e n zu begeben (vgl. H o r s t k o t t e P r o t . V I I S. 55). Z u d e n zulässigen Nebenleistungen gehört schließlich auch das Aufstellen von G u m m i s c h u t z a u t o m a t e n sowie die E i n r i c h t u n g v o n Alarmglocken u n d Spiegeln a n der Decke (vgl. H o r s t k o t t e a . a . O . S. 56f.). bb) Z u den unzulässigen Nebenleistungen, bei denen die Gefahr der B e g r ü n d u n g eines Abhängigkeitsverhältnisses v e r m u t e t wird, o h n e d a ß sie im Einzelfall n a c h gewiesen werden m ü ß t e , gehören z . B . die Zuweisung oder V e r m i t t l u n g eines Freiers a n eine b e s t i m m t e Prostituierte, die Festsetzimg b e s t i m m t e r „ Q u o t e n " v o n Freiern f ü r die einzelnen Mädchen, die Anwesenheitspflicht der Mädchen z u b e s t i m m t e n Zeiten sowie W e t t b e w e r b s v e r b o t e in d e m Sinn, d a ß die Mädchen a u ß e r h a l b des Betriebs ihrem Gewerbe n i c h t n a c h g e h e n d ü r f e n (vgl. B e r . V I I S. 9 ; H o r s t k o t t e P r o t . V I I S. 57). Eine unzulässige M a ß n a h m e mit bordellartigem C h a r a k t e r w ä r e es auch, wenn der Dirnenlohn nicht v o n der jeweiligen P r o s t i t u i e r t e n , s o n d e r n v o m P f ö r t n e r oder einer sonstigen zentralen Stelle kassiert w ü r d e . I n s g e s a m t gesehen bleibt a u c h u n t e r der jetzigen Rechtslage in § 180 a Abs. 1 N r . 1 u n d N r . 2 all d a s s t r a f b a r , w a s n a c h der R s p r . des B G H zu § 180 Abs. 2 a . F . (vgl. N J W 1964, 2023) als U n t e r h a l t u n g eines Bordells oder bordellartigen Betriebs u n t e r S t r a f e gestellt w a r (vgl. L a u f h ü t t e P r o t . V I I S. 58). 3. Anliegen des Abs. 2 Nr. 1 ist es, Jugendliche a u s d e m Prostituiertenmilieu herauszuhalten. Insbesondere soll verhindert werden, d a ß J u g e n d l i c h e in Prostit u i e r t e n w o h n h e i m e n u n d Eros-Centern a u f g e n o m m e n w e r d e n . 25'
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a) Als Täter kommen vor allem Inhaber und Leiter von typischen Prostitutionsbetrieben (so.o. 2 b) sowie Vermieter sog. Absteigequartiere in Betracht. Tatbestandsmäßig handelt aber auch der Inhaber eines Nachtlokals, der es zuläßt, daß eine noch nicht 18jährige Prostituierte in seinem Lokal Kontakte a n k n ü p f t (vgl. Ber. V I I S. 9; Horstkotte Prot. V I I S. 55). Private Zimmervermieter handeln nur dann tatbestandsmäßig, wenn die jugendliche Prostituierte mit ihrem Wissen in den gemieteten Räumen ihrem Gewerbe nachgeht. b) Die Gewährung von Wohnung usw. muß zur Ausübung der Prostitution erfolgen. Hierher gehören insbesondere die unter lit. a) aufgeführten Fälle. Nicht tatbestandsmäßig handelt jedoch, wer sich darauf beschränkt, einer jugendlichen Prostituierten, die ihr Gewerbe an anderer Stelle ausübt, Wohnung usw. zu gewähren (vgl. Ber. VI S. 48). c) Über gewerbsmäßig siehe § 260 Anm. 2. I m Falle des Wohnunggewährens ist Gewerbsmäßigkeit nicht erforderlich. Tatbestandsmäßig handelt deshalb z.B. auch, wer eine aus dem Elternhaus oder einem Erziehungsheim entlaufene Jugendliche gefälligkeitshalber bei sich aufnimmt und ihr die Möglichkeit gibt, in seinen Räumen der Prostitution nachzugehen. 4. Anliegen des Abs. 2 Nr. 2 ist es, Prostituierte (und zwar ohne Rücksicht auf ihr Alter) vor Ausbeutung zu bewahren. a) Die Vorschrift, die mit §§ 302 e, f in I d K . treten kann, wendet sich insbesondere gegen die Inhaber typischer Prostitutionsbetriebe (vgl.RegE a. a. O. S. 27), aber auch gegen solche Personen, die in der Nähe von Truppenübungsplätzen und ähnlichen Bedarfszentren zu ausbeuterischen Preisen Wohnungen an Prostituierte vermieten (vgl. Ber. V I I S. 9). Nicht erfaßt wird dagegen (abweichend von der Fassung des RegE) der Vermieter eines Absteigequartiers, der nicht Wohnung (d.h. die Möglichkeit eines auf Dauer bestimmten Aufenthalts), sondern nur Unterkunft oder Aufenthalt gewährt (vgl. Ber. VII S. 10). b) Ein Anhalten zur Prostitution liegt vor allem dann vor, wenn der Vermieter die Prostituierte zu fleißigerer Tätigkeit anspornt, damit sie die Miete bezahlen kann. c) Ein Ausbeuten, d.h. eigensüchtiges u n d planmäßiges Ausnützen, liegt vor, wenn L'eistung und Gegenleistung in einem deutlichen Mißverhältnis stehen, wobei alle Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen sind. Die Berechnung eines sog. Unbequemlichkeitszuschlags ist grundsätzlich zulässig. Es liegt auf der H a n d , daß die ständig ein- und ausgehenden Besucher Lärm und Unruhe mit sich bringen und oft — wenigstens bei privaten Vermietern — den Ruf des Hausos schädigen. Auch die den Prostituierten gewährten Nebenleistungen (siehe hierzu oben Anm. 2 d) sind bei der Bewertung des Mietpreises zu berücksichtigen. Liegt ein tatbestandsmäßiges Ausbeuten vor, so ist es unerheblich, wer den Mietvertrag geschlossen h a t und wer die Miete bezahlt. Dies kann z.B. auch der „Verlobte" der Prostituierten oder ein Zuhälter sein (vgl. B G H 10, 192 zu § 180 Abs. 3 a.F.). 5. Anliegen des Abs. 3 ist es, Personen, die bisher überhaupt noch nicht oder n u r im eigenen Land der Prostitution nachgegangen sind, vor den Gefahren zu bewahren, die von organisierten Zuhälterorganisationen, Call-Girl-Ringen u n d ähnlichen Agenturen ausgehen. a) Täter kann jeder sein, der aus eigener Initiative oder in fremdem Auftrag handelt. Über gewerbsmäßig siehe § 260 Anm. 2. Nicht tatbestandsmäßig, da nicht gewerbsmäßig, handelt z. B. eine Prostituierte, die ihre volljährige Freundin veranlaßt, ebenfalls dieser Tätigkeit nachzugehen.
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b) Die vom Täter in Aussicht genommene Person ist angeworben, wenn sie sich zu der ihr angetragenen Tätigkeit bereit erklärt. Nicht erforderlich ist, daß sie die Tätigkeit bereits aufnimmt. Weist die in Aussicht genommene Person das Ansinnen des Werbers zurück, so ergibt sich dessen Strafbarkeit aus Abs. 5 (Versuch). c) Das Ziel der Anwerbung kann einmal darin bestehen, daß eine Person, die bisher noch nicht der Prostitution nachgegangen ist, nunmehr dieser Tätigkeit nachgeht. Dem gleich steht der Fall, daß eine ehemalige Prostituierte, die sich von der Prostitution gelöst hat, dazu gebracht werden soll, ihre frühere Tätigkeit wieder aufzunehmen (vgl. RegE a . a . O . S. 27). Schließlich handelt auch tatbestandsmäßig, wer eine Prostituierte mit dem Ziel anwirbt, ihre Tätigkeit in ein anderes Land zu verlegen.'Hierbei macht es keinen Unterschied, ob sie ihre Tätigkeit vom Inland ins Ausland oder umgekehrt verlegen soll (vgl. Ber. V I I S. 10). 6. Anliegen des Abs. 4 ist es zu verhindern, daß Personen unter 21 J a h r e n zur Prostitution gebracht werden. Geschützt sind nicht n u r Minderjährige, die bisher der Prostitution noch nicht nachgegangen sind, sondern auch solche, die sich von der Prostitution wieder lösen wollen oder schon gelöst haben. Anders als im Falle des Abs. 3 ist es nicht erforderlich, daß der Täter gewerbsmäßig handelt. Tatbestandsmäßig handelt deshalb auch eine Prostituierte, die ihre 19 J a h r e alte Freundin dazu überredet, sich ihrer Tätigkeit anzuschließen. 7. Der subj. Tb. erfordert bei allen Fallgruppen Vorsatz, wobei bedingter Vorsatz genügt. Der Vorsatz m u ß sich in den Fällen des Abs. 1 insbesondere auf das Vorliegen der unter Strafe gestellten Mißstände erstrecken, aus denen sich die Abhängigkeit (Abs. 1 Nr. 1) bzw. die gesetzlich vermutete Gefahr der Abhängigkeit (Abs. 1 Nr. 2) ergibt. Nicht erforderlich ist, daß der Täter diese Mißstände billigt. Es genügt, daß er sie kennt oder mit ihrem Vorliegen rechnet, aber dennoch nichts dagegen unternimmt. I n den Fällen der Absätze 2 Nr. I und 4 muß sich der Vorsatz auch auf das Alter der geschädigten Person beziehen. Eine über den Vorsatz hinausgehende Absicht ist n u r in den Fällen der Absätze 3 und 4 erforderlich (s.o. Anm. 5c, 6). Eigennutz ist n u r im Falle des Abs. 2 Nr. 2 erforderlich. 8. Der Versuch ist in den Fällen der Abs. 3 und 4 s t r a f b a r . 9. Die Strafbarkeit der Teilnahme richtet sich nach allgemeinen Grundsätzen. I m Falle des Abs. 1 ist u . U . § 50a zu berücksichtigen (s.o. Anm. 2a). Da die neuen Tatbestände durchweg als Schutzgesetze zugunsten der Prostituierten bzw. der vor zu frühem Abgleiten in die Prostitution zu bewahrenden Personen anzusehen sind, kann die Prostituierte bzw. die vor dem Abgleiten in die Prostitution zu schützende Person sich selbst nicht wegen Anstiftung oder Beihilfe s t r a f b a r machen (sog. notwendige Teilnahme, vgl. Vorbem. AT, Abschn. H VI, S. 67ff.). 10. Konkurrenzen: I d K . ist möglich innerhalb der einzelnen Absätze des § 180a, außerdem mit den §§ 174£f., 180, 181, 181a, 223ff., 239fl., 302e, f. Da geschütztes Rechtsgut bei allen Tatbeständen des § 180 a das sexuelle Selbstbestimmungsrecht ist, somit ein höchstpersönliches Rechtsgut der jeweils betroffenen Person, kommt bei mehreren betroffenen Personen Fortsetzungszusammenhang nur in den Fällen des Abs. 1 in Betracht, wo die Unterhaltung bzw. Leitung eines mit Mißständen behafteten Betriebs unter Strafe gestellt ist, nicht jedoch in den Fällen der Abs. 2—4. 11. Beachte ferner § 4 Abs. 3 Nr. 4 (Auslandstaten von Ausländern) sowie § 2 der Bußgeldvorschriften des 4. StrRG (unzulässige Werbung f ü r Prostitution; abgedruckt in Anhang 9).
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§ 181 Menschenhandel Wer einen anderen 1. mit Gewalt, durch Drohung mit einem empfindlichen Übel oder durch List dazu bringt, daß er der Prostitution nachgeht, oder 2. anwirbt oder wider seinen Willen durch List, Drohung oder Gewalt entführt, um ihn unter Ausnutzung der Hilflosigkeit, die mit seinem Aufenthalt in einem fremden Land verbunden ist, zu sexuellen Handlungen zu bringen, die er an oder vor einem Dritten vornehmen oder von einem Dritten an sich vornehmen lassen soll, wird mit Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren, in minder schweren Fällen mit Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren bestraft. 1. Die durch das 4. StrRG neu eingefügte Vorschrift erfaßt zwei Fallgruppen, die für die Strafverfolgungspraxis der Bundesrepublik bisher keine nennenswerte Bedeutung gehabt haben. Die Notwendigkeit der Vorschrift ergab sich insbesondere aus der Verpflichtimg, einen Straftatbestand zu schaffen, der dem Internationalen Übereinkommen zur Unterdrückung des Frauen- und Kinderhandels entspricht. Dieser Verpflichtung war der deutsche Gesetzgeber bisher dadurch gerecht geworden, daß er in § 180 a. F. jede eigennützige Kuppelei unter Strafe gestellt hatte (vgl. RegE S. 28 der BT-Drucksache VI/1552). Durch die Schaffimg der neuen Vorschrift gegen den Menschenhandel konnte gleichzeitig § 48 des Gesetzes über das Auswanderungswesen vom 9. 6.1897 (arglistige Verleitung zur Auswanderung u.a.) aufgehoben werden (vgl. Art. 6 Nr. 3 des 4. StrRG). 2. Geschützt sind Personen beiderlei Geschlechts und aller Altersgruppen. 3. Nr. 1 stellt, soweit der Täter mit Gewalt oder durch Drohung mit einem empfindlichen Übel vorgeht, einen als Verbrechen unter erhöhte Strafdrohung gestellten Sonderfall der Nötigung dar, so daß insoweit auf die Ausführungen zu § 240 verwiesen werden kann. In den Fällen der List (siehe hierzu § 234 Anm. 3) wirkt sich die Vorschrift straf begründend aus. Vollendet ist die Tat, wenn das Opfer dazu gebracht wird, die Prostitution aufzunehmen oder gegen seinen Willen fortzuführen. Nicht tatbestandsmäßig ist dagegen der Fall, daß eine Prostituierte durch Gewalt usw. dazu gebracht wird, ihre Tätigkeit an anderer Stelle oder in anderer Weise fortzuführen (vgl. RegE a.a.O. S. 28). 4. Der Tb. der Nr. 2 ist bereits mit dem Anwerben bzw. Entführen verwirklicht. a) Im Gegensatz zu § 180 a Abs. 3 ist nicht erforderlich, daß das Anwerben (siehe hierzu Anm. 5b zu § 180a) gewerbsmäßig erfolgt. Unerheblich ist auch, zu welcher Tätigkeit das Opfer angeworben wird. B e i s p i e l : A engagiert eine junge Tänzerin zu einer angeblich seriösen Tournee rund um die Welt, während er in Wirklichkeit beabsichtigt, das Mädchen in irgendeiner Stripteasebar im nahen Osten unterzubringen und alsdann ihrem Schicksal zu überlassen. b) Über Entführen siehe § 237 Anm. 3. Auch die Mittel der Entführung sind die gleichen wie bei § 237, so daß auf die Ausführungen zu dieser Vorschrift Bezug genommen werden kann. c) Der subj. Tb. erfordert neben dem Vorsatz die Absicht, das Opfer unter Ausnutzung der auslandstypischen Hilflosigkeit (z.B. mangelnde Verständigungsmöglichkeit, Mittellosigkeit) zu den im Tb. näher beschriebenen sexuellen Handlungen zu veranlassen. Im Gegensatz zu § 237 ist nicht erforderlich, daß es dann tatsächlich zu einer Hilflosigkeit oder zu den sexuellen Handlungen kommt. 5. Der Versuch ist in beiden Alternativtatbeständen strafbar (Verbrechen).
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§ 181a
6. Konkurrenzen: Gegenüber §§ 239, 240 geht § 181 als das speziellere Gesetz vor. I d K . ist insbesondere möglich mit § 180 a Abs. 3 (wegen des zusätzlichen Merkmals der Gewerbsmäßigkeit tritt diese Vorschrift nicht hinter § 181 zurück), ferner mit §§ 181a, 234, 235, 237, 239a, 239b.
§ 181a
Zuhälterei
(1) Mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren wird bestraft, wer 1. einen anderen, der der Prostitution nachgeht, ausbeutet oder 2. seines Vermögensvorteils wegen einen anderen bei der Ausübung der Prostitution überwacht, Ort, Zeit, Ausmaß oder andere Umstände der Prostitutionsausübung bestimmt oder Maßnahmen trifft, die den anderen davon abhalten sollen, die Prostitution aufzugeben, und im Hinblick darauf Beziehungen zu dem anderen unterhält, die über den Einzelfall hinausgehen. (2) Mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer gewerbsmäßig die Prostitutionsausübimg eines anderen durch Vermittlung sexuellen Verkehrs fördert und im Hinblick darauf Beziehungen zu dem anderen unterhält, die über den Einzelfall hinausgehen. (3) Nach den Absätzen 1 und 2 wird auch bestraft, wer die in Absatz 1 Nr. 1 und 2 genannten Handlungen oder die in Absatz 2 bezeichnete Förderung gegenüber seinem Ehegatten vornimmt. 1. Die durch das 4. StrRG (über Gesetzesmaterialien und Schrifttum siehe Vorbem. 3 vor § 174) neu gefaßte Vorschrift hält entgegen dem Vorschlag des A E und dem Gutachten von Hanack (a.a.O. Rz. 304ff.) an der Strafbarkeit der Zuhälterei grundsätzlich fest, stellt diese jedoch nicht mehr als Verbrechen, sondern nur noch als Vergehen Vinter Strafe. Anliegen der Vorschrift ist es, die Prostituierten in ihrer persönlichen und wirtschaftlichen Bewegungsfreiheit zu schützen. Diese Freiheit wird insbesondere dann beeinträchtigt, wenn Zuhälter sich—wie dies in den letzten Jahren zunehmend beobachtet wurde (vgl. RegE S. 29 der BT-Drucks. VI/1552) — zu Gruppen zusammenschließen und versuchen, die Prostituierten dadurch zu organisieren, daß sie sowohl die Reviere der Straßenprostitution als auch die Dirnenwohnheime (Eros-Center) unter ihre Kontrolle bringen, um bestimmen zu können, welche Prostituierte in welchem Bezirk ihrer Tätigkeit nachgehen darf oder nicht. Mit der verschiedentlich geforderten Aufhebung des § 181a würde diese Gruppenbildung erleichtert und möglicherweise dazu führen, daß zusätzlich ausländische Zuhälter noch mehr als bisher in das Gebiet der Bundesrepublik einströmen. Eine derartige Entwicklung ist schon deshalb zu vermeiden, weil nach dem Ergebnis neuerer polizeistatistischer Untersuchungen Personen, gegen die wegen Zuhälterei ermittelt wird, überdurchschnittlich mit Vorstrafen aus dem Bereich der allgemeinen Kriminalität, insbesondere auch der schweren Kriminalität, belastet sind (vgl. RegE a.a.O. S. 29). Diesem Leitgedanken der neuen Vorschrift entspricht es, daß entgegen der früheren Rechtslage jetzt nur noch der s o z i a l s c h ä d l i c h e Zuhälter, der die Prostituierte in die Gefahr der persönlichen oder wirtschaftlichen Abhängigkeit bringt, im Vordergrund der Strafverfolgung steht. Nicht mehr bestraft wird dagegen, wer sich darauf beschränkt, Beiträge zu seinem Lebensunterhalt entgegenzunehmen, ohne die Prostituierte auszubeuten oder eine in Abs. 1 Nr. 2 genannte Tätigkeit zu entfalten. 2. Geschützt sind Personen beiderlei Geschlechts, ohne Rücksicht auf das Alter. Täter kann (entgegen dem früheren Recht und dem RegE) auch eine Frau sein.
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Weibliche Täter finden sich hauptsächlich im Management von Eros-Centern und sog. Massagesalons. 3. Zu Abs. 1: a) Die Tathandlung der Nr. 1 besteht im Ausbeuten. Entgegen der früheren Rechtslage liegt eine „ausbeuterische Zuhälterei" nicht schon dann vor, wenn der Täter seinen Lebensunterhalt ganz oder teilweise aus den Einkünften der (oder des) Prostituierten bezieht; auch die Rspr. des B G H zur gemeinsamen Wirtschaftsführung, wonach ein Ausbeuten dann vorliegt, wenn die Beträge des Täters zur gemeinschaftlichen Wirtschaftsführung hinter dem Nutzen zurückbleiben, den er selbst aus der gemeinschaftlichen Wirtschaftsführung zieht (vgl. B G H 4, 316; 15, 5), ist durch die Neufassung des § 181 a gegenstandslos geworden. E s genügt nicht mehr, daß die Einkünfte der Prostituierten ausgebeutet werden; erforderlich ist vielmehr, daß die Prostituierte ausgebeutet, d. h. in ihrer Arbeitskraft rücksichtslos ausgenutzt wird. Dies liegt insbesondere dann vor, wenn der Täter, um selbst einen aufwendigen Lebenstil führen zu können, die Prostituierte zu fleißigerer Tätigkeit antreibt, ihr dann aber nur die Einkünfte beläßt, die sie zur Bestreitimg eines Lebensbedarfs benötigt, der gerade noch über dem Existenzminimum liegt. Eine Gefährdung der Lebensexistenz oder eines „angemessenen" Lebensunterhalts ist jedoch nicht erforderlich. Der Tb. kann auch dadurch verwirklicht werden, daß der Täter es aus eigensüchtigen Motiven einer gut verdienenden Prostitmerten durch fortgesetzte Beschränkung ihrer Einkünfte unmöglich macht, einen höheren Lebensstandard zu erreichen oder gar eine bürgerliche Existenz aufzubauen. Dadurch, daß nicht mehr auf den Bezug des Lebensunterhalts abgestellt wird, kann — entgegen der früheren Rechtslage — Täter auch sein, wer die durch Ausbeutung erlangten Mittel nicht für sich selbst verwendet, sondern an andere weiterleitet, z . B . einer von Zuhältern gegründeten Kapitalgesellschaft zuführt (vgl. R e g E a.a.O. S. 30). Auch der Chef einer Zuhälterbande, der die Prostituierten durch seine Verbindungsleute ausbeuten läßt, kann durch die Neufassimg der Vorschrift besser erfaßt werden als nach früherem Recht. b) Die Tathandlungen der Nr. 2 erfassen entsprechend dem Schutzzweck der Vorschrift (s.o. 1) nicht mehr den „harmlosen" Zuhälter, der die Prostituierte mit seinem Wagen in ihr Revier fährt und sich dort aufhält, um sie bei etwaigen Zwischenfällen zu beschützen. aa) Überwachen ist mehr als „schützend bewachen". Tatbestandsmäßig handelt z.B., wer eine Prostituierte ständig beobachtet (oder beobachten läßt), um die Zahl der Freier feststellen und damit die mutmaßlichen Einkünfte besser schätzen zu können. — Oder: Durchführen von Kontrollen, um zu erreichen, daß die Prostituierte fleißig ihrer Tätigkeit nachgeht und sich nicht zu oft oder zu lange in Lokalen aufhält, in denen sie keine Freier erwarten kann. bb) Die Tb.-Merkmale Bestimmung von Ort, Zeit und Ausmaß oder anderen Umständen der Prostitutionsausübung zielen auf den organisierten Einsatz der Prostituierten ab, z. B. wenn der Täter eine von ihm abhängige Dirne durch seinen Einfluß dazu bringt, aus bestimmten Anlässen ihr gewohntes Revier zu verlassen und ihre Tätigkeit in eine andere Stadt zu verlegen, in der er sich — etwa wegen eines dort stattfindenden Kongresses oder einer internationalen Sportveranstaltung (Olympiade, Fußballweltmeisterschaft usw.) — größere Verdienstmöglichkeiten erhofft. — Oder: A zwingt eine von ihm abhängige Dirne, sich mit Farbigen einzulassen, obwohl sie dies nicht will. cc) Eine tatbestandsmäßige Maßnahme, die die Prostituierte davon abhalten soll, die Prostitution aufzugeben, ist z . B . das Wegnehmen der Ausweispapiere oder die Drohung mit einer Anzeige wegen Beischlafdiebstahls. Der Täter ergreift aber auch dann „Maßnahmen", wenn er die Prostituierte durch Schläge zwingt, weiter ihrer
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Tätigkeit nachzugehen. I n den letztgenannten Fällen kommt tateinheitlich außerdem der Verbrechenstatbestand des § 181 Nr. 1 in Betracht (vgl. § 181 Anm. 3). c) Die in Nr. 1 und Nr. 2 aufgeführten Handlungen sind nur dann strafbar, wenn der Täter zu der (oder dem) Prostituierten Beziehungen unterhält, die über den Einzelfall hinausgehen. E r f a ß t wird also nur eine solche Ausbeutung, Überwachung usw., die im Kähmen eines auf eine gewisse Dauer ausgerichteten Verhältnisses zwischen dem Täter und der Prostituierten erfolgt, in dem die Prostitutionsausübung einen maßgeblichen Bezugspunkt darstellt. Durch diese Einschränkung wird klargestellt, daß Personen, die f ü r eine gewerbliche oder handwerkliche Leistung, die sie einer Prostituierten erbringen (z.B. eine Kosmetikerin, Masseuse, Friseuse oder ein Zimmervermieter), unter Ausbeutung der guten Einkommensverhältnisse der Prostituierten von dieser wucherische Preise verlangen, nicht unter den Anwendungsbereich der Vorschrift fallen. I n diesen Fällen fehlt es an den typisch „zuhälterischen Beziehungen". Andererseits verlangt der Tb. keine „zuhälterischen Beziehungen" im herkömmlichen Sinn. Insbesondere ist nicht erforderlich, daß zwischen dem Täter und der Prostituierten ein enges persönliches Verhältnis besteht, in dessen Rahmen sich die Prostituierte an den Zuhälter „anlehnt" (so die Rspr. zu § 181 a a.F., vgl. B G H LM § 181a Anm. 6; Köln N J W 1967, 455f.). Andern, falls könnte z. B. der Chef einer Zuhälterbande oder eines Callgirl-Rings, der die Prostituierte n u r über Mittelsmänner dirigiert und ausbeutet, nicht erfaßt werden. Gerade diesen Typ des Zuhälters will das Gesetz aber in erster Linie treffen. U m dies zu ermöglichen, wurde die ursprünglich vorgesehene Fassung der Vorschrift, die auf das Unterhalten „zuhälterischer Beziehungen" abstellte, durch die jetzige Fassung ersetzt (vgl. Ber. VI S. 50). 4. Der Tb. des Abs. 2 erfaßt die gewerbsmäßige Vermittlung außerehelichen sexuellen Verkehrs. a) Als gewerbsmäßige Vermittler (über gewerbsmäßig siehe § 260 Anm. 2) kommen insbesondere die Manager sog. Call-Girl-Ringe und ähnlicher Agenturen in Betracht, aber auch sog. Schlepper, die gewerbsmäßig Straßenpassanten anwerben und den Prostituierten zuführen (vgl. Ber. VI S. 50). b) Wie im Falle des Abs. 1 wird der Anwendungsbereich der Vorschrift dadurch eingeschränkt, daß der Tb. nur dann verwirklicht ist, wenn der Täter im Hinblick auf die von ihm gewerbsmäßig betriebene Vermittlung sexuellen Verkehrs zu der (oder dem) Prostituierten Beziehungen unterhält, die über den Einzelfall hinausgehen. Nicht hierher gehört deshalb z.B. ein Hotelportier, der gelegentlich einem Gast f ü r ein Trinkgeld einen „Tip" gibt, oder ein Taxifahrer, der einen Fahrgast gegen Entgelt zu einer ihm bekannten Prostituierten f ü h r t , ohne mit dieser nähere Beziehungen zu unterhalten (vgl. Ber. VI S. 50). Die Ausführungen unter Anm. 3c gelten im übrigen entsprechend. 5. Die Strafdrohung des Abs. 3 richtet sich gegen Eheleute, die die Prostitution des anderen Ehepartners in den Formen des Abs. 1 oder Abs. 2 ausbeuten, überwachen usw. oder gewerbsmäßig durch Vermittlung sexuellen Verkehrs fördern. Auf diese Weise bleiben wenigstens die gravierendsten Fälle der Ehegattenkuppelei s t r a f b a r . Das Vorliegen von Beziehungen, „die über den Einzelfall hinausgehen", m u ß im Falle des Abs. 3 nicht nachgewiesen werden (vgl. RegE a.a.O, S. 31; Ber. V I S. 51). 6. Der subj. Tb. erfordert bei allen Alternativtatbeständen Vorsatz. Bei Abs. 1 ist außerdem (als Tatmotiv) das Streben nach einem Vermögensvorteil erforderlich. F ü r die Nr. 1 ergibt sich dies aus dem Wesen des Tb.-Merkmals „ausbeuten", f ü r die Nr. 2 unmittelbar aus dem Text. Bei Abs. 2 übernimmt das Tb.-Merkmal gewerbsmäßig (siehe hierzu § 260 Anm. 2) ebenfalls die Funktion, die Tatbestandsmäßigkeit
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auf die Fälle zu beschränken, in denen der Täter sich aus seiner Vermittlertätigkeit eine Einnahmequelle nicht nur vorübergehender Art verschaffen möchte. 7. Der Versuch ist entgegen der früheren Rechtslage nicht mehr mit Strafe bedroht. 8. Die Strafbarkeit der Teilnahme richtet sich nach allgemeinen Grundsätzen. Da die neuen Tatbestände durchweg als Schutzgesetze zugunsten der von Abhängigkeit zu bewahrenden Prostituierten anzusehen sind, kann die Prostituierte selbst nicht wegen Anstiftimg oder Beihilfe strafbar sein. Die Entscheidung BGH 19, 107 ist durch die Neufassung der Vorschrift gegenstandslos geworden. 9. Konkurrenzen: I d K . ist möglich innerhalb der einzelnen Absätze des § 181a, außerdem mit den §§ 174ff., 180f., 239ff., 302e, f. Da das geschützte Rechtsgut bei allen Tatbeständen des § 181a das sexuelle Selbstbestimmungsrecht der Prostituierten ist, somit ein höchstpersönliches Rechtsgut der jeweils betroffenen Person, kommt bei mehreren betroffenen Personen Fortsetzungszusammenhang nicht in Betracht.
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Verführung:
(1) Wer ein Mädchen unter sechzehn Jahren dazu verführt, mit ihm den Beischlaf zu vollziehen, wird mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe bestraft. (2) Die Tat wird nur auf Antrag verfolgt. Die Verfolgung der Tat ist ausgeschlossen, wenn der Täter die Verführte geheiratet hat. (3) Bei einem Täter, der zur Zeit der Tat noch nicht einundzwanzig Jahre alt war, kann das Gericht von einer Bestrafung nach dieser Vorschrift absehen. 1. Die durch das 4. StrRG neu gefaßte Vorschrift geht davon aus, daß die psychische Entwicklung von Mädchen im Alter von 14 und 15 Jahren noch nicht abgeschlossen ist, es also verfehlt wäre, Mädchen dieser Altersgruppe so zu behandeln, als ob sie uneingeschränkt in der Lage wären, in sexueller Hinsicht die für sie richtige Entscheidung zu treffen und die ihrem Entwicklungsstand nicht entsprechenden Zumutungen sexueller Art abzuwehren (vgl. Ber. S. 51 der BT-Drucks. VI/3521 sowie BGH 22, 154 zu § 182 a. F.). Anliegen der Vorschrift ist es somit, 14und 15jährige Mädchen, die noch nicht über die erforderliche Reife und Erfahrung verfügen, vor sexuellem Mißbrauch und der damit verbundenen Gefahr einer psychischen Belastung zu bewahren. Über Gesetzesgeschichte und Gesetzesmaterialien siehe Vorbem. 3 vor § 174. 2. Geschützt sind Mädchen unter 16 Jahren. Da Mädchen unter 14 Jahren dem speziellen Schutz des § 176 (siehedort Abs. 3) unterliegen, beschränkt sich der Anwendungsbereich der Vorschrift auf die Altersgruppe der 14 und 15jährigen Mädchen. Im Gegensatz zur früheren Fassung des § 182 kommt es nicht mehr darauf an, ob das Mädchen schon „bescholten" war, d.h. schon früher dem Täter oder einem Dritten den Beischlaf gestattet hatte. Es ist in der Tat nicht einzusehen, daß ein Mädchen nur deshalb dem Schutzbereich des Tatbestands entzogen werden soll, weil es aufgrund mangelnder Reife und Erfahrung schon früher einem ähnlichen sexuellen Mißbrauch zum Opfer gefallen war. 3. Täter kann nur sein, wer den Beischlaf (siehe hierzu § 173 Anm. 3) selbst vollzieht. 4. Das Mädchen ist verführt, wenn es dem Täter gelungen ist, durch eine besonders intensive Einwirkung auf den Willen des Mädchens oder durch Ausnutzimg der sexuellen Unerfahrenheit und geminderten Widerstandskraft der Betroffenen sein Ziel zu erreichen (vgl. Ber. V I S. 51).
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5. Nicht tatbestandsmäßig sind dagegen solche psychischen Beeinflussungen, die m i t den „leichteren F o r m e n einer A n s t i f t u n g vergleichbar" sind(vgl. B e r . V I S. 51). N i c h t hierher gehört d e r Fall, d a ß d a s Mädchen selbst die I n i t i a t i v e ergriffen h a t . A u ß e r h a l b des T a t b e s t a n d s bleiben schließlich solche E i n w i r k u n g e n , m i t d e n e n ein Mädchen im R a h m e n eines e c h t e n Liebesverhältnisses z u m Beischlaf geneigt g e m a c h t wird (vgl. Ber. V I S. 51). Andererseits w i r d die T a t b e s t a n d s m ä ß i g k e i t nicht d a d u r c h ausgeschlossen, d a ß d a s Mädchen d e n Beischlaf n u r w i d e r s t r e b e n d oder a u s Angst d u l d e t . Geht d e r T ä t e r allerdings m i t Gewalt v o r oder n ö t i g t er d a s sich i h m widersetzende Mädchen m i t gegenwärtiger Gefahr f ü r Leib oder Leben, so k o m m t n i c h t § 182, sondern § 177 z u r A n w e n d u n g . L ä ß t sich s p ä t e r n i c h t m e h r m i t der erforderlichen Sicherheit^ klären, ob das Mädchen m i t den Mitteln des § 177 oder d u r c h V e r f ü h r u n g z u m Beischlaf g e b r a c h t w u r d e , so erfolgt die B e s t r a f u n g wegen V e r f ü h r u n g , u n d zwar ohne Rückgriff auf die G r u n d s ä t z e der Wahlfeststellung. Dies ergibt sich aus der E r w ä g u n g , d a ß die T a t b e s t ä n d e der Vergewaltigung (§ 177) u n d d e r V e r f ü h r u n g (§ 182) u n t e r e i n a n d e r in einem Stufenverhältnis stehen, wobei die V e r f ü h r u n g das mildere Gesetz darstellt (vgl. B G H 22, 154 m i t k r i t . A n m . D e u b n e r N J W 1969, 145). 6. D e r auf der s u b j . Tatseite erforderliche Vorsatz m u ß sich insbesondere a u c h auf das Alter des Mädchens erstrecken, wobei b e d i n g t e r V o r s a t z g e n ü g t . 7. Der Versuch ist n i c h t s t r a f b a r . 8. Die S t r a f b a r k e i t der Teilnahme richtet sich n a c h allgemeinen G r u n d s ä t z e n . 9. G e m ä ß Abs. 2 w i r d die T a t n u r auf Antrag verfolgt. Dieser k a n n n i c h t zurückg e n o m m e n w e r d e n (vgl. § 64). Die spätere Eheschließung zwischen d e m T ä t e r u n d d e r V e r f ü h r t e n b e g r ü n d e t einen persönlichen Strafausschließungsgrund, auf d e n sich etwaige Teilnehmer n i c h t b e r u f e n k ö n n e n . 10. Abs. 3 gibt die Möglichkeit, bei Jugendlichen u n d H e r a n w a c h s e n d e n v o n S t r a f e abzusehen. Dies k o m m t v o r allem d a n n in B e t r a c h t , w e n n die I n t e n s i t ä t der E i n w i r k u n g a n der u n t e r e n Grenze des Tatbestandsbereichs liegt oder w e n n d e r Jugendliche bzw. H e r a n w a c h s e n d e eine d a u e r n d e B i n d u n g zu d e n v o n i h m verf ü h r t e n Mädchen a n g e s t r e b t h a t . Prozessual sind in diesem Z u s a m m e n h a n g § 153a S t P O (Einstellung a u ß e r h a l b d e r H a u p t v e r h a n d l u n g ) u n d § 465 Abs. 1 S. 2 S t P O ( K o s t e n ) zu beachten. 11.Konkurrenzen: I d K . ist insbesondere m i t den §§ 173, 174 Abs. 1, 174a, 174b, 179 Abs. 2 möglich. Ü b e r das Verhältnis zu § 176 s.o. A n m . 2, ü b e r das V e r h ä l t n i s zu § 177 s . o . A n m . 5. Bei Teilnehmern k o m m t insbesondere I d K . m i t § 180 in B e t r a c h t . § 1 8 3 ExhibitionistiNche Handlungen ( 1 ) E i n M a n n , der e i n e andere P e r s o n durch e i n e exhibitionistische H a n d l u n g belästigt, wird m i t Freiheitsstrafe bis z u e i n e m Jahr, oder m i t Geldstrafe bestraft. ( 2 ) D i e Tat wird n u r a u f A n t r a g verfolgt, e s s e i d e n n , daß die Strafverfolg u n g s b e h ö r d e w e g e n des besonderen öffentlichen Interesses a n der Strafverf o l g u n g e i n E i n s c h r e i t e n v o n A m t s w e g e n f ü r g e b o t e n hält. ( 3 ) D a s Gericht k a n n die Vollstreckung einer Freiheitsstrafe a u c h d a n n zur B e w ä h r u n g a u s s e t z e n , w e n n z u erwarten ist, daß der Täter erst n a c h einer l ä n g e r e n H e i l b e h a n d l u n g k e i n e exhibitionistischen H a n d l u n g e n m e h r vorn e h m e n wird. ( 4 ) A b s a t z 3 gilt a u c h , w e n n e i n M a n n oder e i n e F r a u w e g e n einer exhibitionistischen Handlung
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1. nach einer anderen Vorschrift die i m Höchstmaß Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder Geldstrafe androht, oder 2. nach § 174 Abs. 2 Nr. 1 oder § 176 Abs. 5 Nr. 1 bestraft wird. 1. Die durch das 4. StrRG grundlegend neu gefaßte Vorschrift geht davon aus, daß exhibitionistische Handlungen dem in unserem Kulturkreis entwickelten Schamgefühl der Allgemeinheit widersprechen (vgl. Ber. S. 53 der BT-Drucks. VI/3521). Ihr Anliegen ist es, den Einzelnen vor einer ungewollten Konfrontation mit exhibitionistischen Handlungen zu schützen, und zwar ohne Rücksicht darauf, ob diese Konfrontation in der Öffentlichkeit oder im privaten Bereich erfolgt. Insoweit geht der Anwendungsbereich der Vorschrift über § 183 a . F . hinaus. Auf das Merkmal der Öffentlichkeit kommt es n u r noch in dem neu eingefügten § 183 a an. Die gesetzliche Höchststrafe wurde von zwei J a h r e n auf ein J a h r Freiheitsstrafe herabgestezt. Über Gesetzesmaterialien zum 4. StrRG siehe Vorbem. 3 vor § 174. 2. Geschützt sind Personen beiderlei Geschlechts, ohne Rücksicht auf das Alter. Täter kann jedoch nur — anders als in § 183 a . F . u n d § 183a — nur ein Mann sein. 3. Exhibitionistische Handlungen sind solche Handlungen, mit denen ein Mann einer anderen Person ohne deren Einverständnis sein entblößtes Glied vorweist, u m sich entweder allein dadurch oder zusätzlich durch Beobachten der Reaktion der betroffenen Person oder durch Masturbieren sexuell zu befriedigen (vgl. Ber. VI S. 53). Unerheblich ist, ob der Täter zu der betroffenen Person eine gewisse räumliche Distanz einhält oder ob er näheren Kontakt zu ihr sucht, indem er sie auf sich aufmerksam macht, anspricht oder gar berührt. Gliedentblößungen zu anderen Zwecken, z.B. zur Provokation oder als Vorbereitung f ü r weitergehende sexuelle Übergriffe, die unter andere Strafvorschriften fallen (z.B. §§ 177, 178), bleiben außerhalb des Tatbestands (vgl. Ber. VI S. 53). 4. Die mit der exhibitionistischen Handlung konfrontierte Person ist belästigt, wenn sie sich bedroht fühlt oder in ihrem sittlichen oder ästhetischen Empfinden verletzt wird, insbesondere wenn sie Schrecken oder Abscheu empfindet u n d dadurch in ihrem psychischen Wohlbefinden beeinträchtigt wird. Unerheblich ist, ob die Belästigung in der Öffentlichkeit oder in der Privatsphäre (z.B. in einem Hotelzimmer) erfolgt. 5. Der auf der subj. Tatseite erforderliche Vorsatz muß sich insbesondere auf die Belästigung erstrecken, d . h . der Täter muß wissen oder damit rechnen und billigend in Kauf nehmen, daß seine Handlung von einem anderen, der sich dadurch belästigt fühlt, wahrgenommen wird. 6. Der Versuoh ist mangels Strafdrohung nicht strafbar. 7. Gemäß Abs. 2 wird die T a t grundsätzlich nur auf Antrag verfolgt. Dieser k a n n nicht mehr zurückgenommen werden (vgl. § 64). U m den Strafverfolgungsbehörden die Möglichkeit zu geben, einen ihnen bekannt gewordenen strafbedürftigen Fall auch dann zu verfolgen, wenn ein Strafantrag nicht gestellt wird, sieht Abs. 2 weiter vor, daß die T a t auch von Amts wegen verfolgt werden kann, wenn die Strafverfolgungsbehörde (StA) dies wegen des besonderen öffentlichen Interesses f ü r geboten hält. Diese dem § 232 nachgebildete Regelung gibt der Strafverfolgungsbehörde einen weiten Ermessungsspielraum (vgl. Ber. VI S. 55). Die StA wird das besondere öffentliche Interesse an der Strafverfolgung vor allem dann bejahen, wenn es sich um einen Rückfalltäter handelt, wenn sich konkrete Anhaltspunkte f ü r Wiederholungsgefahr ergeben oder wenn Gegenstand des Verfahrens eine besonders aggressive exhibitionistische Belästigung ist. Fehlen derartige Umstände u n d zwingen auch nicht Gesichtspunkte der Generalprävention zur Bejahung des besonderen
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öffentlichen Interesses, so besteht regelmäßig kein Anlaß zur Verfolgung von Amts wegen (vgl. Ber. VT S. 55). Die von der StA in Rahmen ihres Ermessensspielraums getroffene Entscheidung ist weder im Klageerzwingungsverfahren (vgl. § 172 Abs. 2 S. 3 StPO) noch im Verwaltungsrechtsweg (vgl. BVerwG N J W 1959, 448) noch im Verfahren nach §§ 23 ff. EGGVG (vgl. BGH 16, 225) nachprüfbar, sondern kann allenfalls mit der Dienstaufsichtsbeschwerde angefochten werden. Bejaht die StA das besondere öffentliche Interesse, so ist auch der Strafrichter an diese Entscheidung gebunden (vgl. BGH 16, 225; h . L . ; a. A. Lackner-Maasaen Anm. 4d zu § 232; Hirsch L K R n . 8 m. weit. Nachw.). 8. Abs. 3 gibt die Möglichkeit, bei Verhängung einer Freiheitsstrafe Strafaussetzung zur Bewährung auch dann zu gewähren, wenn zu erwarten ist, daß der Täter erst nach längerer Heilbehandlung keine exhibitionistischen Handlungen mehr vornehmen wird, d . h . wenn eine günstige Prognose erst langfristig gestellt werden kann. Zweck dieser Regelung ist es, auch einem Täter, bei dem im Zeitpunkt der Urteilsfindung noch akute Wiederholungegefahr besteht, die Möglichkeit zu geben, sich in Freiheit einer Heilbehandlung zu unterziehen. Das Gesetz geht hierbei davon aus, daß die Heilungschancen bei einer Behandlung in Freiheit größer sind als im Strafvollzug. Gerade bei einem Exhibitionisten besteht nämlich die Gefahr, daß die vorhandenen Hemmungen und Kontaktschwierigkeiten sowie das gestörte Verhältnis zur Sexualität im allgemeinen und zum anderen Geschlecht im besonderen durch die mit der H a f t verbundene Isolation noch vertieft werden. Voraussetzung f ü r eine Strafaussetzung trotz Wiederholungsgefahr im Zeitpunkt der Urteilsfindung ist jedoch, daß der Täter sich bereit erklärt, die ihm seitens des Gerichts erteilten Weisungen hinsichtlich einer Heilbehandlung zu befolgen (vgl. § 24 b Abs. 3, 4). Außerdem muß die Erwartung bestehen, daß der Täter in der Lage sein wird, sich mit Aussicht auf Erfolg einer solchen Heilbehandlung zu unterziehen. Durch die in Abs. 3 getroffene Regelung nimmt das Gesetz bewußt in K a u f , daß der Täter während der Bewährungsfrist zunächst weiter gelegentlich exhibitionistische Handlungen vornehmen wird (vgl. Ber. VI S. 56). Hieraus folgt, daß f ü r den Fall einer — einkalkulierten — Rückfälligkeit während der Bewährungszeit die gewährte Strafaussetzung grundsätzlich nicht zu widerrufen ist, das Gesetz sich vielmehr darauf beschränken kann, flankierende Maßnahmen nach § 25 Abs. 2 anzuordnen. 9. Die in Abs. 3 getroffene Regelung hinsichtlich einer erweiterten Möglichkeit der Strafaussetzung zur Bewährung findet gemäß Abs. 4 Nr. 2 auch dann Anwendung, wenn dadurch die exhibitionistische Handlung die besonderen Tatbestände des § 174 Abs. 2 Nr. 1 (Vornahme sexueller Handlungen vor einem Schutzbefohlenen) oder des § 176 Abs. 5 Nr. 1 (sexuelle Handlungen vor einem Kind) erfüllt werden. Abs. 4 Nr. 1 bezieht sich insbesondere auf den Fall, daß eine exhibitionistische Handlung zugleich den Tatbestand der Beleidigung verwirklicht. Nach der ursprünglich vorgesehenen Fassung des Abs. 4, die zunächst nicht in zwei Nummern unterteilt war, wurde der Tb. des § 185 neben den §§ 174 Abs. 2 Nr. 1 und 176 Abs. 5 Nr. 1 ausdrücklich aufgeführt. Diese ursprünglich vorgesehene Regelung wurde jedoch wieder aufgegeben, da sie den Eindruck hätte entstehen lassen, als ob der Gesetzgeber in jeder exhibitionistischen Handlung zugleich eine Beleidigung sehen wollte. Eine derartige Entscheidung dieser von der Rspr. noch nicht abschließend geklärten Frage war jedoch nicht beabsichtigt (vgl. Ber. V I I S. 10). 10. Konkurrenzen: Werden durch eine exhibitionistische Handlung mehrere Personen belästigt, so liegt nur eine T a t nach § 183 vor (vgl. BGH 4, 303). I d K . ist möglich mit § 185, wenn durch die Handlung zugleich eine Mißachtung der belästigten Person zum Ausdruck gebracht wird. Gegenüber § 183 a geht § 183 aufgrund der in § 183 a enthaltenen Subsidiaritätsklausel vor. Andererseits tritt § 183 hinter den spezielleren Regelungen der §§ 174 Abs. 2 Nr. 1 und 176 Abs. 5 Nr. 1 zurück (vgl. R e g E S . 32; Ber. V I S . 53).
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§ 183 a
Strafgesetzbuch
§ 183a Erregung: öffentlichen Ärgernisses Wer öffentlich sexuelle Handlungen vornimmt und dadurch absichtlich oder wissentlich ein Ärgernis erregt, wird mit Freiheitstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe bestraft, wenn die Tat nicht in § 183 mit Strafe bedroht ist. 1. Die d u r c h das 4. S t r R G n e u eingefügte Vorschrift e n t h ä l t E l e m e n t e des f r ü h e ren § 183 u n d ergänzt den n e u e n T b . des § 183, demgegenüber sie a u f G r u n d d e r Subsidiaritätsklausel keine selbständige B e d e u t u n g h a t . Anliegen d e r Vorschrift ist es, den Einzelnen u n d die Allgemeinheit vor einer ungewollten K o n f r o n t a t i o n m i t sexuellen H a n d l u n g e n zu schützen. D e r Unterschied gegenüber § 183 b e s t e h t einmal d a r i n , d a ß die T a t n u r d a n n s t r a f b a r ist, w e n n sie öffentlich begangen wird. Außerd e m sind keine typisch exhibitionistischen H a n d l u n g e n erforderlich. Weitere Unterschiede ergeben sich im s u b j . Tb., der Absicht oder d i r e k t e n V o r s a t z e r f o r d e r t . Schließlich ist die T a t a u c h ohne S t r a f a n t r a g der betroffenen P e r s o n v o n A m t s wegen zu verfolgen. Ü b e r die Gesetzesmaterialien z u m 4. S t r R G siehe V o r b e m . 3 v o r § 174. 2. Geschützt sind Personen beiderlei Geschlechts, ohne R ü c k s i c h t a u f das Alter. D e r Schutz der Vorschrift e r f a ß t allerdings — d e m Anliegen der V o r s c h r i f t e n t sprechend (s.o. 1) — n u r solche Personen, die ungewollt m i t einer sexuellen H a n d lung k o n f r o n t i e r t werden. E s k a n n n i c h t A u f g a b e der Vorschrift sein, a u c h solche P e r s o n e n zu schützen, die z . B . eine Stripteaseschau oder eine ähnliche Veranstalt u n g in K e n n t n i s dessen, w a s sie e r w a r t e t , a u s Interesse, Neugierde oder sonstigen G r ü n d e n besuchen (vgl. B e r . V I S. 57). Täter k a n n — a n d e r s als in § 183 — a u c h eine F r a u sein. 3. Als Tathandlung k o m m e n sexuelle H a n d l u n g e n aller A r t (siehe hierzu § 184c) in B e t r a c h t , n i c h t n u r exhibitionistische H a n d l u n g e n . A u c h sexuelle H a n d l u n g e n u n t e r E h e l e u t e n k ö n n e n , w e n n sie sich vor der Öffentlichkeit abspielen, d e n T b . verwirklichen. 4. Öffentlich ist die T a t , w e n n sie v o n einem n a c h H e r k u n f t u n d Z a h l u n b e s t i m m t e n Personenkreis w a h r g e n o m m e n w e r d e n k a n n , ohne d a ß es h i e r z u besonderer Mühe bedarf. a) Öffentlich i s t die H a n d l u n g insbesondere, w e n n sie auf einem öffentlichen P l a t z oder einer S t r a ß e , in einem K a u f h a u s , in allgemein zugängüchen Teilen von großen W o h n - oder B ü r o h ä u s e r n , in F a b r i k e n , K a s e r n e n , Schulen u s w . vorgenomm e n w i r d oder v o n d o r t a u s w a h r g e n o m m e n w e r d e n k a n n . Bei L o k a l e n , die v o n beliebigen Personen b e t r e t e n w e r d e n k ö n n e n , ist die Öffentlichkeit a u c h d a n n gegeben, wenn f ü r d e n E i n t r i t t ein E n t g e l d zu e n t r i c h t e n ist (vgl. Ber. V I S. 57). b) Hinsichtlich der Einzelheiten und Grenzfälle k a n n auf die höchstrichterliche Rspr. zu § 183 a . F . zurückgegriffen w e r d e n : W i r d die T a t n u r v o n P e r s o n e n wahrg e n o m m e n , die d u r c h besondere, auf freiwilliger Basis b e r u h e n d e persönliche Beziehungen m i t e i n a n d e r v e r b u n d e n sind, so ist sie a u c h d a n n n i c h t öffentlich, w e n n der in F r a g e k o m m e n d e Personenkreis v e r h ä l t n i s m ä ß i g groß ist (Köln N J W 1970, 670 m . k r i t . A n m . Schröder J R 1970, 430). N i c h t öffentlich sind demzufolge d a s abgeschlossene, n i c h t einsehbare Freigelände eines F r e i k ö r p e r k u l t u r v e r e i n s (Köln a . a . O . ) oder das L o k a l eines s t u d e n t i s c h e n P r i v a t c l u b s . E i n e die Öffentlichkeit des O r t s ausschließende innere V e r b u n d e n h e i t der betroffenen Personen w u r d e dagegen v e r n e i n t f ü r die I n s a s s e n einer S t r a f a n s t a l t ( R G 49,147) u n d f ü r in e i n e m N ä h s a a l z u s a m m e n g e f a ß t e Arbeiterinnen, sofern ihre Zahl groß i s t u n d ihr persönlicher B e s t a n d s t ä n d i g wechselt ( B G H 11, 282). 5. Vollendet ist die T a t , w e n n eine P e r s o n , die m i t der sexuellen H a n d l u n g ungewollt (siehe hierzu A n m . 2) k o n f r o n t i e r t w u r d e , tatsächlich Ärgernis g e n o m m e n h a t , d . h . i n ihrem Scham- u n d Sittlichkeitsempfinden verletzt w o r d e n ist. E s g e n ü g t
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Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung
§ 184
also nicht, daß die Handlung nur geeignet war, ein Ärgernis zu erregen. Wird die Tat von einem Kind wahrgenommen, so ist der Tb. nur dann erfüllt, wenn das Kind sich der geschlechtlichen Beziehung der Handlung bewußt ist und sich gerade deshalb in seinem Schamgefühl verletzt fühlt (vgl. BGH N J W 1970, 1855 m. Anm. Geilen N J W 1970, 2304; KG J R 1965, 29; Schönke-SchröderRn. 4 zu §183 a . F . ; Lackner-Maassen Anm. 4 zu § 183 a.F.). 6. Der subj. Tb. erfordert Absicht oder direkten Vorsatz. Der Täter handelt absichtlich, wenn es ihm gerade darauf ankommt, durch eine sexuelle Handlung einen anderen in seinem Scham- oder Sittlichkeitsempfinden zu verletzen. Mit direktem Vorsatz handelt der Täter, wenn er als sichere oder notwendige Folge voraussieht, daß ein anderer, der ungewollt mit einer sexuellen Handlung konfrontiert wird, durch diese in seinem Scham- oder Sittlichkeitsempfinden verletzt wird. Erfaßt wird also in erster Linie der Provokateur, der einen anderen durch sein Verhalten „schocken" will. Nicht hierher gehört dagegen der Fall, daß das Scham- und Sittlichkeitsempfinden eines anderen durch Unachtsamkeit oder mangelnde Rücksichtnahme verletzt wird (z.B. durch ein Liebespaar, das am Strand nicht genügend Rücksicht auf die Anwesenheit anderer nimmt, vgl. Ber. VI S. 57). 7. Konkurrenzen: H a t die Tat exhibitionistischen Charakter, so kommt aufgrund der Subsidiaritätsklausel nur die speziellere Vorschrift des § 183 in Betracht. In diesen Fällen bekommt § 183 a nur dann Bedeutung, wenn der für § 183 erforderliche Strafantrag nicht gestellt ist und nach dem Ermessen der StA auch kein besonderes öffentliches Interesse an der Strafverfolgung von Amts wegen bestehen sollte (was aber bei einer öffentlich vorgenommenen sexuellen Handlung, durch die absichtlich oder wissentlich ein Ärgernis erregt wurde, in der Praxis kaum denkbar ist). Wird eine exhibitionistische Handlung — ausnahmsweise — unter dem rechtlichen Gesichtspunkt des § 183 a verfolgt, so ist hinsichtlich der Frage der Strafaussetzung zur Bewährung § 183 Abs. 3 i.V. mit Abs. 4 Nr. 1 zu beachten. IdK. ist möglich mit §§ 167, 175, 184 b, 185. § 184
Verbreitung pornographischer Schriften*
(1) Wer pornographische Schriften, Ton- oder Bildträger, Abbildungen oder Darstellungen 1. einer Person unter achtzehn Jahren anbietet, überläßt oder zugänglich macht, 2. an einem Ort, der Personen unter achtzehn Jahren zugänglich ist oder von ihnen eingesehen werden kann, ausstellt, anschlägt, vorführt oder sonst zugänglich macht, 3. i m Einzelhandel außerhalb von Geschäftsräumen, in Kiosken oder anderen Verkaufsstellen, die der Kunde nicht zu betreten pflegt, i m Versandhandel oder i n gewerblichen Leihbüchereien oder Lesezirkeln einem anderen anbietet oder überläßt, 4. i m Wege des Versandhandels in den räumlichen Geltungsbereich dieses Gesetzes einzuführen unternimmt, 5. öffentlich an einem Ort, der Personen unter achtzehn Jahren zugänglich ist oder von ihnen eingesehen werden kann, oder durch Verbreiten von Schriften außerhalb des Geschäftsverkehrs mit dem einschlägigen Handel anbietet, ankündigt oder anpreist, 6. an einen anderen gelangen läßt, ohne von diesem hierzu aufgefordert zu sein, * (siehe Fußnote 3. 364)
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7. in einer öffentlichen Filmvorführung gegen ein Entgelt zeigt, das ganz oder überwiegend für diese Vorführung verlangt wird, 8. herstellt, bezieht, liefert, vorrätig hält oder in den räumlichen Geltungsbereich dieses Gesetzes einzuführen unternimmt, u m sie oder aus ihnen gewonnene Stücke i m Sinne der Nummern 1 bis 7 zu verwenden oder einem anderen eine solche Verwendung zu ermöglichen, oder 9. auszuführen unternimmt, u m sie oder aus ihnen gewonnene Stücke i m Ausland unter Verstoß gegen die dort geltenden Strafvorschriften zu verbreiten oder öffentlich zugänglich zu machen oder eine solche Verwendung zu ermöglichen, wird mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe bestraft. (2) Ebenso wird bestraft, wer eine pornographische Darbietung durch Rundfunk verbreitet. (3) Wer pornographische Schriften, Ton- oder Bildträger, Abbildungen oder Darstellungen, die Gewalttätigkeiten, den sexuellen Mißbrauch von Kindern oder sexuelle Handlungen von Menschen mit Tieren z u m Gegenstand haben, 1. verbreitet, 2. öffentlich ausstellt, anschlägt, vorführt oder sonst zugänglich macht oder 3. herstellt, bezieht, liefert, vorrätig hält, anbietet, ankündigt, anpreist, i o den räumlichen Geltungsbereich dieses Gesetzes einzuführen oder daraus auszuführen unternimmt, u m sie oder aus ihnen gewonnene Stücke i m Sinne der Nummern 1 oder 2 zu verwenden oder einem anderen eine solche Verwendung zu ermöglichen, wird mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe bestraft. (4) Absatz 1 Nr. 1 ist nicht anzuwenden, wenn der zur Sorge für die Person Berechtigte handelt. 1. Anliegen der durch das 4. StrRG neu gefaßten, in den parlamentarischen Beratungen bis zuletzt umstrittenen Vorschrift ist es, das Pornographieverbot auf die Fälle zu beschränken, die ausgesprochen sozialschädlich sind und bei denen ein geschütztes Rechtsgut deutlich erkennbar verletzt wird. Zu diesen schutzbedürftigen Rechtsgütern gehören insbesondere der Schutz der Jugend vor zu früher Konfrontation mit Pornographie (siehe hierzu Abs. 1 Nr. 1—5 und Nr. 7, Abs. 2 sowie die Straftatbestände des GjS), außerdem das Interesse des einzelnen, nicht ungewollt mit Pornographie konfrontiert zu werden (siehe hierzu Abs. 1 Nr. 6 und Nr. 7, Abs. 2 sowie die Bußgeldvorschriften des 4. StrRG, (abgedruckt in Anh. 9). Ein umfassendes Herstellungs- und Verbreitungsverbot besteht lediglich hinsichtlich der sog. harten Pornographie (sadistische, pädophile und sodomitische Erzeugnisse, vgl. Abs. 3). I m übrigen jedoch soll der „mündige" Bundesbürger das Recht haben, sich pornographische Erzeugnisse zu beschaffen (allerdings nicht in Kiosken, Leihbüchereien usw. sowie im Versandhandel, vgl. Abs. 1 Nr. 3 und Nr. 4) und auch pornographische Filme zu betrachten (allerdings nicht in öffentlichen Lichtspieltheatern und im Fernsehprogramm, vgl. Abs. 1 Nr. 7 sowie Abs. 2). Ergänzend zu beachten sind die Bußgeldvorschriften des 4. StrRG abgedruckt in Anh. 9) sowie die Straftatbestände des GjS, die auch die fahrlässige Tatbegehung unter Strafe stellen (vgl. § 21 Abs. 3 GjS, abgedruckt in Anh. 1 C). Wegen des Inkrafttretens der neuen Vorschrift siehe Anhang 10. 2. Nach der Vorstellung des Sonderausschusses (vgl. Ber. VI S. 60) sind pornographisch alle Erzeugnisse, die ausschließlich oder überwiegend auf die Erregung eines sexuellen Reizes bei dem Leser, Betrachter, Hörer usw. abzielen u n d dabei die im
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E i n k l a n g m i t allgemeinen gesellschaftlichen Wertvorstellungen gezogenen Grenzen des sexuellen A n s t a n d s eindeutig überschreiten. Diese Definition, die in i h r e m K e r n auf d e n Definitionsvorschlag des R e g E z u r ü c k g e h t ( a . a . O . S. 32), stellt in i h r e m 1. Teil auf die Tendenz der Darstellung a b (Erregung eines sexuellen Reizes); der 2. Teil der Definition, der n o r m a t i v e n C h a r a k t e r t r ä g t , verfolgt n i c h t e t w a d a s Ziel, einen b e s t i m m t e n moralischen S t a n d a r d des D u r c h s c h n i t t s b ü r g e r s als M a ß s t a b zur Beurteilung d e r P o r n o g r a p h i e a u f r e c h t z u e r h a l t e n , sondern will es ermöglichen, d e n Pornographiebegriff a n v e r ä n d e r t e gesellschaftliche Wertvorstellungen a n z u p a s s e n . D a m i t wird klargestellt, d a ß Darstellungen, die z w a r einen sexuellen Anreiz auslösen, a b e r von der Gesellschaft a k z e p t i e r t werden (z.B. Titelbilder m a n c h e r Illustrierten), aus d e m Bereich d e r Pornographie ausscheiden (vgl. Ber. V I S. 60). a) Die vorstehend wiedergegebene Definition des Pornographiebegriffs d e c k t sich im wesentlichen m i t der Auslegung, die der Bundesgerichtshof in seiner Grundsatzentscheidung v o m 22. 7. 1969 (Fanny-Hill-Urteil, B G H 23, 40) d e m Merkmal d e r „ u n z ü c h t i g e n " Schrift in § 184 a. F . gegeben h a t (vgl. Ber. V I S.. 60; H a n a c k J Z 1970, 41; Sax, G u t a c h t e n S. 29). I n dieser E n t s c h e i d u n g wird d a r a u f h i n g e w i e s e n , d a ß die A n s c h a u u n g e n d a r ü b e r , wo die Toleranzgrenze gegenüber geschlechtsbezogenen Darstellungen zu ziehen ist, zeitbedingt u n d d a m i t einem W a n d e l u n t e r zogen sind. E i n solcher W a n d e l h a t sieh gerade in d e n letzten J a h r e n vollzogen (siehe hierzu a u c h H a n a c k , G u t a c h t e n R n . 354f.). Auch w e n n m a n die „Sexwelle" in b e s t i m m t e n Filmen, Illustrierten usw. a u ß e r B e t r a c h t l ä ß t , so zeigen vor allem a u c h e r n s t h a f t e Darstellungen, d a ß die Sexualität als ein G r u n d p r o b l e m des menschlichen Lebens h e u t e offen b e t r a c h t e t u n d sachlich e r ö r t e r t wird. Angesichts dieser E n t w i c k l u n g k ö n n e n Darstellungen geschlechtsbezogener Vorgänge n u r noch bei Vorliegen besonderer U m s t ä n d e als pornographisch angesehen w e r d e n . Anhaltsp u n k t e d a f ü r , d a ß eine Schrift usw. a u c h n a c h diesen g e w a n d e l t e n A n s c h a u u n g e n pornographisch ist, k ö n n e n sich z . B . aus einer aufdringlichen, verzerrenden u n d unrealistischen Darstellung ergeben, aber a u c h a u s der Verherrlichung v o n Ausschweifungen oder P e r v e r s i t ä t e n u n d schließlich a u s der obszönen Ausdrucksweise (vgl. B G H a . a . O . ; B a y O b L G M D R 1970, 941; H a m m N J W 1970, 1754; 1971, 1758; B r e m e n N J W 1972, 1678; sachlich übereinstimmend a u c h H a n a c k , G u t a c h t e n R n . 360 sowie P r o t . V I S. 1114ff. t r o t z der gegen die Definition des R e g i e r u n g s e n t w u r f s erhobenen Bedenken). Obwohl der Begriff der Pornographie, wie dargelegt, sachlich m i t d e m Begriff der „ u n z ü c h t i g e n S c h r i f t " , so wie der B G H ihn im „ F a n n y - H i l l U r t e i l " einschränkend i n t e r p r e t i e r t h a t , im wesentlichen identisch ist, h a t m a n d e m s t ä r k e r auf die neuere Sexual- u n d Literaturwissenschaft bezogenen Begriff der P o r n o g r a p h i e gegenüber d e m m e h r emotional belasteten Begriff der „ u n z ü c h t i g e n S c h r i f t " d e n Vorzug gegeben (vgl. R e g E a . a . O . S. 33; Ber. V I S. 60; siehe a u c h H a n a c k , G u t a c h t e n R n . 360). b) W e r k e der Wissenschaft u n d K u n s t unterliegen m i t R ü c k s i c h t auf A r t . 5 Abs. 3 S. 1 GG besonderen Beurteilungskriterien. Bei e c h t e n wissenschaftlichen W e r k e n k a n n schon begrifflich nicht von Pornographie gesprochen w e r d e n (anders bei pseudo-wissenschaftlichen A b h a n d l u n g e n , bei denen P o r n o g r a p h i e n u r m i t d e m D e c k m a n t e l einer angeblichen Wissenschaftlichkeit v e r b r ä m t wird). Bei K u n s t werken s t e h t ebenfalls die Frage im Vordergrund, o b im Einzelfall ü b e r h a u p t von K u n s t gesprochen w e r d e n k a n n . Der Kunstbegriff darf d a b e i — insbesondere bei zeitgenössischer K u n s t — nicht zu eng g e f a ß t werden. K u n s t w e r k e i g e n s c h a f t ist i m m e r d a n n a n z u n e h m e n , wenn ein künstlerischer Gestaltungswille e r k e n n b a r e n Niederschlag g e f u n d e n h a t (vgl. Ddf N J W 1964, 562; Stgt N J W 1969, 1779). I s t dies der Fall, so k o m m t es n i c h t d a r a u f a n , ob das W e r k einen besonderen künstlerischen R a n g e i n n i m m t u n d ob es allgemeine A n e r k e n n u n g f ü r sich b e a n s p r u c h e n k a n n . Die K u n s t e i g e n s e h a f t wird a u c h nicht d a d u r c h b e r ü h r t , d a ß d a s W e r k n u r wegen seiner erotischen Sensation B e a c h t u n g findet (vgl. Stgt a . a . O . ) . W i r d die K u n s t 26
Petters-Preisendanz, StGB, 28. Aufl.
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Werkeigenschaft bejaht, so ist für § 184 schon tatbestandsmäßig kein Raum, da die Begriffe Kunst und Pornographie sich gegenseitig ausschließen (vgl. Badura Prot. V I S. 1097). Hier zeigt sich der entscheidende Vorteil der Verwendung des Begriffs „pornographische" Schriften usw. anstelle des früher verwendeten Begriffs der „unzüchtigen" Schriften usw. Es mag zwar „obszöne" Kunst geben, d.h. Kunst, die den herrschenden Auffassungen über Geschlechtsmoral zuwiderläuft (und damit „unzüchtig" im herkömmlichen Sinn ist); es gibt jedoch keine pornographische Kunst. Geht man von dieser Ausschlußwirkung der Begriffe Kunst und Pornographie aus, so bedarf es zur Legitimierung eines Kunstwerks keines Rückgriffs auf die in A r t 5 Abs. 3 GG garantierte Kunstfreiheit (vgl. Badura a.a.O.). Zielt die Tendenz eines Werkes ausschließlich oder überwiegend auf die Erregung eines sexuellen Reizes beim Betrachten ab und werden hierbei die im Einklang mit allgemeinen gesellschaftlichen Wertvorstellungen gezogenen Grenzen des sexuellen Anstands eindeutig überschritten (Definition von Pornographie, s.o. 2a), so kann nicht mehr von „ K u n s t " gesprochen werden. Aus der jüngeren Rspr. vor der Gesetzesänderung siehe insbesondere das bereits oben zitierte Fanny-Hill-Urteil des B G H ( B G H 23, 40), ferner Köln GA 1968, 344 (Helen-Vita-Schallplatte), Ddf N J W 1970, 671 (obszöne Karnevalslieder) sowie Hamm N J W 1971, 1758 (betr. Sex-Filme). Weitere Nachweise bei Hanack JZ 1970, 41 (Besprechung von B G H 23, 40) und Sax a.a.O. Zum Ganzen siehe auch Knies N J W 1970, 15 sowie Leiss N J W 1971, 1201; J R 1972, 184. c) Bei der Frage, ob eine Schrift usw. Kunst oder Pornographie ist, kommt es grundsätzlich auf die Gesamttendenz des Werkes und seine Beurteilung an. Eine Schrift wird nicht schon dadurch pornographisch, daß einzelne Stellen als pornographisch zu beurteilen sind. In diesen Fällen kann eine pornographische Schrift jedoch dadurch entstehen, daß die pornographischen Stellen zusammengestellt und gesondert verbreitet werden, gegebenenfalls in einer Kombination mit pornographischen Elementen anderer Schriften (vgl. Maurach B T 455; Dreher 2 A d zu § 184 a.F.; Lackner-Maassen 4a zu § 184 a.F.). d) Die Darstellung des nackten menschlichen Körpers enthält nur bei Hinzutreten besonderer Umstände pornographischen Charakter. Dies ist nach den oben unter lit. a) entwickelten Grundsätzen dann der Fall, wenn die Darstellung ausschließlich oder überwiegend auf die Erregung eines sexuellen Reizes abzielt und die Grenzen des sexuellen Anstands eindeutig überschreitet, z.B. durch herausfordernde Stellungen, durch betonte Hervorhebimg der Geschlechtsmerkmale (vgl. B G H bei Dallinger M D R 1970, 13), durch Beibehaltung halbverhüllender Kleidungsstücke (vgl. Dreher 2 Ac zu § 184 a.F.), vor allem aber im Zusammenhang mit Szenen, die unter § 184 Abs. 3 fallen. 3. Über Schriften, Tonträger usw. siehe § 41 Anm. 1. 4. Die Tathandlungen des Abs. 1. a) Die dem Jugendschutz dienenden Nr. 1 und Nr. 2 sind der Regelung des § 3 GjS nachgebildet, Nr. 3 entspricht dem Tb. des § 4 GjS. Sämtliche Tb.-Merkmale sind im Interesse eines umfassenden Jugendschutzes weit auszulegen. Erfaßt wird z.B. auch der Fall, daß jemand eine pornographische Schrift im Wartezimmer eines Arztes auslegt, obwohl sie dort auch von Jugendlichen gelesen werden kann. „Ausgestellt" i. S. der Nr. 2 ist eine Schrift auch dann, wenn sie in einem neutralen Umschlag im Schaufenster einer Buchhandlung ausliegt (a. A . RegE a.a.O. S. 34, allerdings aufgrund der damals noch engeren Fassung). Die Vertriebs- und Werbebeschränkungen der Nr. 3—5 verfolgen das Ziel, Jugendlichen den Zugang zu pornographischen Erzeugnissen möglichst zu erschweren. b) Die in Nr. 6 unter Strafe gestellte unverlangte Zusendung pornographischer Erzeugnisse (bereits die Werbeprospekte hierfür können pornographischen Charak-
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ter haben, z . B . durch Zusammenstellung einschlägiger Leseproben) bedeutet einen groben Eingriff in die Intimsphäre (vgl. R e g E a.a.O. S. 34). Hinzu kommt, daß durch die unverlangte Zusendung pornographischer Erzeugnisse auch die Interessen des Jugendschutzes berührt werden (RegE a.a.O.). c) Das Verbot der öffentlichen Vorführung pornographischer Filme (Nr. 7) dient primär dem Jugendschutz. Erfahrungsgemäß ist nämlich eine zuverlässige Alterskontrolle an den Kassen der Kinos nicht gewährleistet. Gleichzeitig dient die Vorschrift dem Schutz vor ungewollter Konfrontation mit Pornographie (z.B. im Beiprogramm, das dem Besucher vorher i . d . R . nicht bekannt ist). Erfaßt werden nur „öffentliche" Vorführungen, nicht auch Vorführungen in privaten Clubs oder in Privatwohnungen (Einzelheiten s. § 183 a Anm. 4). Zur Tatbestandsmäßigkeit gehört weiter, daß die Vorführung gegen ein Entgelt gezeigt wird, das ganz oder überwiegend für die Vorführung verlangt wird. Nicht hierher gehören demnach Vorführungen in Nachtclubs, in denen die Unkosten durch die Getränkepreise abgegolten werden, sofern der Aufschlag für die Vorführung in der Endabrechnung nicht überwiegt (vgl. Ber. V I S. 61). d) I n Nr. 8 werden bestimmte Vorbereitungshandlungen selbständig unter Strafe gestellt. Anliegen der Nr. 9 ist es, Konflikten mit dem Ausland vorzubeugen (vgl. Ber. V I I S. 11). Strafbar ist das Unternehmen der Ausfuhr nur dann, wenn der Täter die Absicht hat, die pornographischen Erzeugnisse im Ausland unter Verstoß gegen die dort geltenden Strafvorschriften (die der Täter kennen muß) zu verbreiten oder öffentlich zugänglich zu machen. Nicht ausreichend ist dagegen die Mitnahme als Reiselektüre oder um sie Freunden im Ausland für deren persönlichen Bedarf mitzubringen. 5. Anliegen des Abs. 2, der pornographische Darstellungen durch Rundfunk unter Strafe stellt, ist es, alle Bürger vor unverlangter Konfrontation mit Pornographie zu schützen sowie Kinder und Jugendliche vor den Gefahren der Pornographie zu bewahren. Zum Rundfunk gehören der Ton- und Bildfunk (Radio und Fernsehen). 6. Abs. 3 enthält ein umfassendes Verbot der Herstellung und Verbreitung sadistischer, pädophiler und sodomitischer Pornographie (sog. harte Pornographie). a) Die das umfassende Herstellungs- und Verbreitungsverbot rechtfertigende Sozialschädlichkeit pornographischer Erzeugnisse, die Gewalttätigkeiten zum Gegenstand haben (sadistische Pornographie) besteht einmal in der Gefahr, daß Personen, die ohnehin zu einer Sexualbetätigung mit sadistischem Einschlag neigen, durch das einschlägige pornographische Material zu einer solchen sexuellen Betätigung aktiviert werden (vgl. R e g E a . a . O . S. 35; Ber. V I S. 5, 61 f.). Hinzu kommt die weitere Gefahr, daß noch nicht voll ausgereifte junge Menschen in ihrer seelischen E n t wicklung und in ihrer sozialen Orientierung beeinträchtigt werden, wenn ihnen derartiges Material infolge seiner breiten Streuung leichter zugänglich sein wird (RegE a.a.O.). Über den Begriff „Gewalttätigkeit", der sich auch in den §§ 113 Abs. 2 Nr. 2 , 1 2 5 Abs. 2 und§ 131 findet, siehe § 131 Anm. 2 a. I n Betracht kommen vor allem pornographische Schilderungen bzw. Darstellungen von Vergewaltigungen und sexuell motivierte Folterungen sowie sexuell motivierten Tötungen und Körperverletzungen (vgl. R e g E S. 36). b) Die Strafbedürftigkeit pornographischer Erzeugnisse, die den sexuellen Mißbrauch von Kindern (pädophile Pornographie) zum Gegenstand haben, ergibt sich aus den gleichen Erwägungen wie die Strafbedürftigkeit der sadistischen Pornographie (s.o. lit. a). Außerdem gilt es zu verhindern, daß Kinder als Modelle für einschlägige fotografische Aufnahmen mißbraucht werden (vgl. R e g E a.a.O. S. 35f.). Unter den Begriff „sexueller Mißbrauch von Kindern" fallen alle Handlungen, die in § 176 unter Strafe gestellt sind. c) Die im R e g E ursprünglich noch nicht vorgesehene Strafbarkeit pornographischer Erzeugnisse, die sexuelle Handlungen von Menschen mit Tieren zum Gegen 29*
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stand haben (sodomitische Pornographie), rechtfertigt sich aus der Gefahr, daß unglücklich veranlagte labile Personen durch derartige Erzeugnisse u . U . zu Handlungen verleitet werden, die ihre Menschenwürde zutiefst verletzen. Anliegen der Vorschrift ist es, vor allem junge, charakterlich noch nicht ausgereifte Menschen vor dem Abgleiten in die menschenunwürdige Sodomie zu bewahren. d) Der Kreis der Tathandlungen entspricht dem des § 131. Ein pornographisches Erzeugnis ist v e r b r e i t e t (vgl. Nr. 1), wenn es einem größeren, nicht notwendig unbestimmten Personenkreis zugänglich gemacht wird (vgl. B G H 13, 257 zu § 184 a.F.). Als Täter kommen daher hauptsächlich Verleger, Buch- und Zeitschriftenhändler sowie Versandhäuser in Betracht. Die vertrauliche Weitergabe an einzelne Personen, z.B. das Ausleihen im Freundeskreis, genügt daher nicht, wohl aber der Verkauf oder Verleih im Rahmen eines zu diesem Zweck geschaffenen Vereins (vgl. BGH a.a.O.). 7. Über das sog. Erzieherprivileg des Abs. 4, das sich auch in den §§ 131 Abs. 4, 180 Abs. 1 S. 2 sowie in § 21 Abs. 4 GjS findet, siehe § 180 Anm. 5. 8. Der subj. Tb. erfordert Vorsatz, wobei bei allen Tatbeständen bedingter Vorsatz genügt. Der Vorsatz muß sich insbesondere auf den pornographischen Charakter des Erzeugnisses erstrecken. Allerdings schließt die irrige Beurteilung eines objektiv pornographischen Erzeugnisses bei Kenntnis seines Inhalts den Vorsatz nicht aus. Der Täter befindet sich insoweit in einem unbeachtlichen Subsumtionsirrtum (vgl. Lackner-Maassen Anm. I I 2 b zu § 59). 9. Konkurrenzen: Die Tatbestände der Abs. 1—3 können untereinander in I d K . stehen. IdK.ist weiterhin möglich zwischen Abs. 3 und § 131. Die dem Jugendschutz dienende Strafvorschrift des § 21 GjS ist subsidiär. 10. Prozessual ist folgendes zu beachten: a) Soweit die Einfuhr gesetzlich verboten ist (vgl. § 184 Abs. 3 Nr. 3 sowie § 184 Nr. 3 der in Anm. 11 abgedruckten Übergangsfassung), können die eingehenden Sendungen bei der Zollabfertigung nicht Freigut werden (vgl. § 15 Abs. 1 Nr. 1 ZollG). Die Zollbehörde kann in diesem Fall die Wiederausfuhr unter zollamtlicher Überwachving anordnen (vgl. 9 Abs. 2 ZollG sowie Meyer J R 1972, 188). Dies gilt auch dann, wenn eingehende Postsendungen gemäß § 6 Abs. 7 ZollG zur Zollabfertigung dem zuständigen Zollamt zugeleitet werden. Das in Art. 10 GG geschützte Postgeheimnis wird in diesem Fall nicht verletzt. Die Zollbehörden sind jedoch nicht berechtigt, die beanstandeten Sendungen den Strafverfolgungsbehörden zuzuleiten, um ihre Beschlagnahme und Einziehung zu ermöglichen (BGH 23, 329 m. Anm. Meyer J R 1971, 162; a.A. früher u.a. Stgt N J W 1969, 1545; H a m m N J W 1970, 1754; Dreher 2 B b zu § 184 a.F.). § 6 Abs. 7 ZollG ist als grundrechtseinschränkende Ausnahmevorschrift eng auszulegen. Die Post darf die Sendungen lediglich dem Zoll stellen, aber nicht anderen staatlichen Stellen den Zugriff erleichtern. Dies ergibt sieh insbesondere aus der Erwägung, daß ein Verfahren, wie es § 2 des Gesetzes zur Überwachung strafrechtlicher und anderer Verbringungsverbote vom24.5.1961(BGB1. I 607) in Staatsschutzsachen eingeführt hat, in dem später erlassenen PostG fehlt. Auch § 99 StPO läßt eine Beschlagnahme nur in einem bereits anhängigen Verfahren gegen eine bestimmte Person zu. Werden pornographische Erzeugnisse ohne vorhergehenden gerichtlichen Beschlagnahmebeschluß den Strafverfolgungsbehörden zugeleitet, so zieht die hierin liegende Verletzung von Art. 10 GG ein prozessuales Verwertungsverbot nach sich (Krhe N J W 1973, 208). Es wird deshalb Aufgabe des Gesetzgebers sein, den Dienststellen des Post- und Zolldienstes eine klare Rechtsgrundlage zu geben, die es ihnen ermöglicht, die Sendungen den Strafverfolgungsbehörden zuzuleiten, da sonst das Anliegen des Gesetzes, eine Überschwemmung der Bundesrepublik mit hartem Pornomaterial aus dem Ausland zu verhindern, nicht verwirklicht werden kann. Bis dahin muß es bei der oben erwähnten Regelung der
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§ § 9 Abs. 2, 15 Abs. 1 Nr. 1 ZollG verbleiben, wenn der Inhalt der Sendung einem gesetzlichen Einfuhrverbot zuwiderläuft. Verstößt der Inhalt der Sendung zwar gegen kein Einfuhrverbot, ist er aber gleichwohl strafbar, so hat die Post nach Beendigung der Zollabfertigung § 13 Abs. 1 Nr. 1 PostO zu beachten, wonach die Post gehalten ist, die Sendung von der weiteren Beförderung auszuschließen (vgl. Meyer J R 1972, 188f.). b) Ist die Tat zwar nach altem Recht, nicht aber nach neuem Recht strafbar, so gilt § 2 Abs. 2 Satz 2. Ist die Tat zwar noch nach der Übergangsregelung (siehe Anh. 10), nicht aber nach der endgültigen Neufassimg des § 184 strafbar, so kann die StA — trotz § 2 Abs. 3 — gemäß Art. 8 Abs. I des 4. StrRG von Strafverfolgung absehen. Ist im letztgenannten Fall die Klage bereits erhoben, so kann das Gericht das Verfahren mit Zustimmung der StA einstellen (vgl. Art. 8 Abs. 2 des 4. StrRG). c) Entschädigungsansprüche nach dem StrEG sind in den unter lit. b) aufgeführten Fällen gemäß Art 9 des 4. StrRG ausgeschlossen (wichtig für Beschlagnahmen von pornographischen Erzeugnissen). d) Rechtskräftig verhängte Strafen und sonstige Rechtsfolgen, die noch nicht vollstreckt worden sind, dürfen nicht mehr vollstreckt werden, wenn die ihnen zugrundeliegenden Taten nach neuem Recht nicht mehr mit Strafe oder Geldbuße bedroht sind (vgl. Art. 10 Abs. 1 des 4. StrRG). e) Hinsichtlich der Tilgung einer bereits erfolgten Eintragung im BZR siehe § 46 BZRG sowie Art. 10 Abs. 7 des 4. StrRG.
§ 184 a Ausübung: der verbotenen Prostitution Wer einem durch Rechtsverordnung erlassenen Verbot, der Prostitution an bestimmten Orten Uberhaupt oder zu bestimmten Tageszeiten nachzugehen, beharrlich zuwiderhandelt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu sechs Monaten oder mit Geldstrafe bestraft. 1. Die Vorschrift, die den früheren Übertretungstatbestand dos § 361 Nr. 6c ersetzt, war bereits im Rahmen des 2. StrRG als § 184 c verkündet worden (vgl. BGBl. 1969 I S. 717) und sollte zusammen mit diesem in Kraft treten. Sie wurde dann aber in das früher in Kraft tretende 4. StrRG übernommen und dessen Sprachgebrauch angepaßt. 2. Anliegen der Vorschrift ist es, beharrlich wiederholte Verstöße gegen Sperrbezirkverordnungen nicht nur als Ordnungswidrigkeiten zu ahnden (siehe hierzu Art. 2 § 2 Abs. 1 Nr. 1 des 4. StrRG, abgedruckt in Anh. 9), sondern als Vergehen unter Strafe zu stellen. Die Einstufung als Vergehen wirkt sich nicht nur durch die härteren Sanktionen, sondern vor allem auch durch die Eintragung im BZR aus. Dies wird vor allem dann von praktischer Bedeutung, wenn die Prostituierte nach einer rechtskräftigen Verurteilung ihre Tätigkeit in eine andere Stadt verlegt, in der sie den Polizeibehörden noch nicht bekannt ist. 3. Die Einrichtung sog. Sperrbezirke ist nur durch RechtsVO möglich. Art. 3 des 10. StrÄndG (durch Art. 6 Nr. 1 des 4. StrRG dem neuen Sprachgebrauch angepaßt) gibt den Verwaltungsbehörden die Möglichkeit, „zum Schutze der Jugend und des öffentlichen Anstands" die Ausübung der Prostitution durch Rechtsverordnungen örtlich und zeitlich zu beschränken. Zuständig sind die Landesregierungen, die jedoch ihre Zuständigkeit auf die höheren Verwaltungsbehörden (z.B. Regierungspräsidien) übertragen können. Ein totales Verbot ist nur bei Gemeinden bis zu
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50 000 E i n w o h n e r n sowie — u n a b h ä n g i g v o n der E i n w o h n e r z a h l — f ü r öffentliche S t r a ß e n , Wege, P l ä t z e u n d sonstige O r t e zulässig, die v o n d o r t a u s eingesehen w e r d e n k ö n n e n (sog. Straßenstrich). D a s V e r b o t u m f a ß t d e n g e s a m t e n Bereich des Sperrbezirks, einschließlich der u n b e b a u t e n Teile ( B G H 23,174; Stgt D J 1968,50). Die Möglichkeit, den Straßenstrich zeitlich zu beschränken, d i e n t vor allem d e m Schutz der Schulkinder. W e r d e n Sperrbezirke b e s t i m m t , so müssen diese klar b e s t i m m t sein (BVerwG N J W 1964, 512). Unzulässig sind W o h n b e s c h r ä n k u n g e n auf b e s t i m m t e S t r a ß e n oder H ä u s e r b l o c k s z u m Zwecke der A u s ü b u n g der P r o s t i t u t i o n (Kasernierung). Die erlassenen V e r o r d n u n g e n h a b e n nicht n u r polizeilichen, s o n d e r n strafrechtlichen C h a r a k t e r , so d a ß ein N o r m e n k o n t r o l l v e r f a h r e n v o r d e m V G H unzulässig ist (VGH M a n n h e i m N J W 1968, 2076). 4. Beharrlich ist die Zuwiderhandlung, w e n n sie m e h r f a c h wiederholt begangen w i r d (vgl. Zweiter Schriftlicher Bericht, S. 48 B T - D r u c k s . V/4095). Dies setzt i m Regelfall v o r a u s , d a ß die P r o s t i t u i e r t e bereits wegen einer Ordnungswidrigkeit gem. A r t . 2 § 2 Abs. 1 N r . 1 (siehe A n h . 9) m i t einem Bußgeld belegt w o r d e n ist. N i c h t erforderlich ist, d a ß die Z u w i d e r h a n d l u n g i m m e r im gleichen Sperrbezirk begangen w i r d . D e r T b . ist a u c h d a n n erfüllt, w e n n die P r o s t i t u i e r t e , u m d e n ständigen Polizeikontrollen zu entgehen, ihre T ä t i g k e i t in d e n Sperrbezirk einer a n d e r e n Gemeinde verlegt. 5. D e r auf der s u b j . Tatseite erforderliche Vorsatz m u ß sich insbesondere d a r a u f erstrecken, d a ß die P r o s t i t u t i o n i n einem Sperrbezirk a u s g e ü b t w i r d ( B G H 23, 167). B e d i n g t e r Vorsatz g e n ü g t . 6. IdK. ist möglich m i t § 184b. Gegenüber A r t . 2 § 2 Abs. 1 N r . 1 des 4. S t r R G (siehe A n h . 9) g e h t § 184a vor (vgl. § 17 OWiG).
§ 184b
Jugendgefährdende Prostitution
Wer der Prostitution 1. in der Nähe einer Schule oder anderen Ortlichkeit, die zum Besuch durch Personen unter achtzehn Jahren bestimmt ist, oder 2. in einem Haus, in dem Personen unter achtzehn Jahren wohnen, in einer Weise nachgeht, die diese Personen sittlich gefährdet, wird mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe bestraft. 1. Ü b e r die Gesetzesgeschichte der Vorschrift, die d e n f r ü h e r e n Ü b e r t r e t u n g s t a t b e s t a n d des § 361 N r . 6 b ersetzt, siehe § 184a A n m . 1. Die V o r s c h r i f t d i e n t d e m J u g e n d s c h u t z . I h r Anliegen i s t es, K i n d e r u n d Jugendliche aus d e m gefährlichen Milieu der P r o s t i t u t i o n h e r a u s z u h a l t e n . Andererseits w u r d e u n t e r A b weichung v o n der i n § 223 N r . 1 E 1962 vorgeschlagenen Regelung d a r a u f verzichtet, eine d e m f r ü h e r e n § 361 N r . 6 a e n t s p r e c h e n d e Vorschrift z u schaffen, die a u c h die P r o s t i t u t i o n in der N ä h e von K i r c h e n u n d a n d e r e n der Religionsausübung dienenden G e b ä u d e n u n t e r Strafe stellt. Dieser Verzicht w u r d e d a m i t b e g r ü n d e t , es sei „ z u m i n d e s t zweifelhaft, o b die Reiligionsausübung wirklich d u r c h derartige Verhaltensweisen beeinträchtigt werden k a n n " . Hierbei wird v e r k a n n t , d a ß es n i c h t n u r u m die B e e i n t r ä c h t i g u n g der Religionsausübung, s o n d e r n a u c h u m d e n Schutz des P i e t ä t s e m p f i n d e n s d e r Besucher einer K i r c h e oder einer a n d e r e n S t ä t t e d e r Religionsausübung geht. W i r d die P r o s t i t u t i o n „ a n " einem Ort, der d e m Gottesdienst gewidmet ist, ausgeübt, so g r e i f t § 1 6 7 Abs. 1 N r . 1 ein.
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§ 1.84 C
2. Der Schutzbereich der Nr. 1 erfaßt Schulen aller Art, in denen schulpflichtige Kinder und Jugendliche ausgebildet werden (insbesondere Grund- und Hauptschulen, Berufsschulen und Gymnasien, nicht jedoch Universitäten), ferner andere Ortlichkeiten, die zum Besuch durch Personen unter 18 Jahren bestimmt sind. Hierzu gehören insbesondere Kinderspielplätze, Kindergärten und Jugendheime, aber auch Sportheime und Sportanlagen, soweit diese ausschließlich oder überwiegend zur Benutzung durch Kinder und Jugendliche bestimmt sind. 3. Der Schutzbereich der Nr. 2 erfaßt Häuser, in denen Kinder oder Jugendliche wohnen. Über Wohnung siehe § 123 Anm. l a . 4. Sowohl im Falle der Nr. 1 als auch im Falle der Nr. 2 ist zur Tatbestandsverwirklichung •— wie schon auf der Grundlage des früheren § 361 Nr. 6 b — erforderlich, daß Kinder oder Jugendliche durch die Ausübimg der Prostitution sittlich gefährdet werden. Dies ist immer schon dann der Fall, wenn die Gefahr besteht, daß die geschützten Personen das mit der Prostitution verbundene Treiben (z.B. das Anwerben der Freier, deren ständiges Kommen und Gehen oder gar die Vornahme sexueller Handlungen) beobachten oder sonst wahrnehmen können. Bei Kindern unter drei Jahren, die früher aus dem Schutzbereich der Vorschrift ausgenommen waren, wird es hieran in der Regel fehlen. 5. Der subj. Tb. erfordert Vorsatz, der sich auf das Vorhandensein der im Tb. beschriebenen örtlichkeiten und die Möglichkeit einer sittlichen Gefährdung von Kindern und Jugendlichen erstrecken muß. Bedingter Vorsatz genügt. 6. IdK. ist möglich mit §§ 170d, 183a, 184b.
§ 184 c
BegrriiFsfoestimmuiigren
I m Sinne dieses Gesetzes sind 1. sexuelle Handlungen nur solche, die im Hinblick auf das jeweils geschützte Rechtsgut von einiger Erheblichkeit sind, 2. sexuelle Handlungen vor einem anderen nur solche, die vor einem anderen vorgenommen werden, der den Vorgang wahrnimmt. 1. Die durch das 4. StrRG neu eingefügte Legaldefinition, die auf die Terminologie des A E zurückgreift, tritt an die Stelle des früheren Begriffs der unzüchtigen Handlung. Die neue Terminologie wurde bei dem Sachverständigen-Hearing am 23.—25. 11. 1970 vor dem BT-Sonderausschuß für die Strafrechtsreform von fast allen Sachverständigen befürwortet (vgl. Badura, Prot. V I S. 1095; Hanack Prot. V I S. 1113; Lantzke Prot. V I S. 1124; Buchhorn Prot. V I S . 1131; ablehnend dagegen Peters Prot. V I S . 1120; kritisch auch Matthes Prot. V I S. 1010). Sie ist nach der Überzeugung ihrer Befürworter präziser und sachlicher als die frühere Terminologie und verleitet weniger zu einer moralisch-emotionalen Wertung als der frühere Begriff der unzüchtigen Handlung. Entscheidend ist jetzt nicht mehr die Frage, ob durch eine gesehlechtsbezogene Handlung das „allgemeine Scham- und Sittlichkeitsgefühl" verletzt worden ist; entscheidend ist allein die Sozialschädlichkeit im Hinblick auf das jeweils geschützte Rechtsgut. 2. Sexuelle Handlungen sind alle Verhaltensweisen, die eine Beziehung zur Sexualität haben und bei denen es dem Täter darum geht, seine eigene Geschlechtslust
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oder die eines anderen zu erregen oder zu befriedigen. Tatbestandsmäßig, d.h. strafrechtlich erheblich, sind derartige Handlungen nach der einschränkenden Legaldefinition in Nr. 1 allerdings nur, wenn sie „im Hinblick auf das geschützte Rechtsgut von einiger Erheblichkeit sind". a) Durch die Beschränkung der Tatbestandsmäßigkeit einer geschlechtsbezogenen Handlung auf die Fälle von einiger Erheblichkeit wird der Anwendungsbereich der §§ 174 ff. gegenüber der früheren Rechtslage bewußt eingeschränkt. Durch die Versachlichung des Begriffs unter gleichzeitiger Befreiung von moralisch-emotionalen Wertungen scheiden Handlungen, die zwar das „allgemeine Scham- und Sittlichkeitsgefühl" verletzen, aber nicht schädlich, sondern nur geschmacklos sind, aus dem Bereich der strafrechtlichen Erheblichkeit aus. Dasselbe gilt für flüchtige Berührungen mehr zufällig wirkender Art, die zwar von sexuellen Motiven des Täters gestragen sind, wegen ihrer versteckten Form oder ihrer Geringfügigkeit aber nicht als Beeinträchtigung der sexuellen Integrität betrachtet werden können. b) Ob die sexuelle Handlung von solcher Intensität ist, daß sie eine erhebliche Beeinträchtigung der sexuellen Integrität darstellt, ist im Hinblick auf das jeweils geschützte Bechtsgut unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls wertend zu entscheiden. E s handelt sich deshalb um ein normatives Tatbestandsmerkmal, das nicht einheitlich, sondern nur relativ interpretiert werden kann, und zwar teleologisch, d.h. ausgerichtet an dem Zweck, den der jeweilige Tatbestand verfolgt. So macht es z. B . einen Unterschied, ob jemand einem 6jährigen Kind oder einem 15jährigen, vollentwickelten Mädchen an die Brust greift. I m erstgenannten Fall wäre das Vorliegen einer sexuellen Handlung zu verneinen, im letztgenannten Fall dagegen zu bejahen (vgl.Lantzke Prot. V I S . 1124). Manipulationen am Geschlechtsteil wären dagegen im einen wie im anderen Fall als sexuelle Handlung zu werten. c) Die in Nr. 2 definierten sexuellen Handlungen vor einem anderen (siehe hierzu § 174 Abs. 2, 176 Abs. 4 Nr. 1, 2) stellen einen Unterfall der Nr. 1 dar, sind also ebenfalls nur dann tatbestandsmäßig, wenn sie im Hinblick auf das geschützte Rechtsgut von einiger Erheblichkeit sind. Hierfür ist zunächst erforderlich, daß die Handlung von einem anderen wahrgenommen wird, und zwar von dem, vor dem sie vorgenommen wird. Hierauf muß sich auch der Vorsatz des Täters beziehen, wobei bedingter Vorsatz genügt. Der Vorsatz fehlt daher, wenn der Täter in der Nähe eines Kinderspielplatzes aus einem vermeintlich sicheren Versteck heraus sich am Anblick der Kinder sexuell erregt und dabei Manipulationen an seinem Geschlechtsteil vornimmt, wobei er wider Erwarten beobachtet wird. Grundsätzlich nicht erforderlich ist andererseits, daß derjenige, vor dem die sexuelle Handlung vorgenommen wird, diese in ihrer sexuellen Bedeutung erkennt (vgl. Ber. V I S. 25 sowie Anm. 4 a zu § 174). Die Tatbestandsmäßigkeit ist in solchen Fällen nur dann zu verneinen, wenn nach Sachlage eine Beeinträchtigung der sexuellen Integrität mit Sicherheit auszuschließen ist, z . B . wenn sexuelle Handlungen vor einem Säugling vorgenommen werden. Subjektiv ist zu beachten, daß der Täter die Absicht haben muß, entweder sich, die geschützte Person oder einen Dritten sexuell zu erregen, und zwar gerade dadurch, daß die geschützte Person die sexuellen Handlungen wahrnimmt. B e i s p i e l : Ein Ehepaar kann sich nach längerer Ehe nur noch dadurch geschlechtliche Befriedigung verschaffen, daß ihre 13jährige Tochter ihr Treiben mit Interesse verfolgt. Nicht tatbestandsmäßig ist dagegen der Fall, daß die Eltern nur aus Raumnot in dem gleichen Zimmer, in dem auch die 13jährige Tochter schläft, geschlechtlich miteinander verkehren und dabei in Kauf nehmen, daß das Kind den Vorgang miterlebt. Nicht hierher gehört schließlich auch der Fall, daß eine sexuelle Handlung aus — wie auch immer zu wertenden — pädagogischen Motiven nur zu Aufklärungszwecken vorgenommen wird (vgl. RegE S. 15 der BT-Drucks. VI/1552). d) Hat die vor einem anderen vorgenommene sexuelle Handlung exhibitionistischen Charakter, so ist § 183 Abs. 3 und Abs. 4 zu beachten (erweiterte Möglichkeit
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Beleidigung der Strafaussetzung zur Bewährung zwecks Durchführung einer sozialtherapeutischen Behandlung). 3. Beleuchtung der früheren Bspr. unter dem Gesichtspunkt des neuen Rechts: a) Mangels „Erheblichkeit" für das geschützte Rechtsgut gegenstandslos sind alle Entscheidungen, in denen eine objektiv nicht geschlechtsbezogene (neutrale) Handlung nur deshalb für „unzüchtig" erklärt wurde, weil sie von sexuellen Motiven des Täters getragen war (vgl* B G H 2, 167; 17, 280). Hierher gehört z . B . der Fall einer von sexuellen Motiven getragenen körperlichen Züchtigung (vgl. R G 67, 110). Sadistische oder masochistische Züchtigungen sind nur dann sexuelle Handlungen, wenn dies auch nach den äußeren Umständen klar erkennbar ist (z. B . beim Auspeitschen eines nackten Mädchens, vgl. B G H 13, 138). b) Der außereheliche Beischlaf ist zwar zweifellos eine sexuelle Handlung. E r bekommt strafrechtliche Relevanz jedoch nicht schon dadurch, daß er gegen das „allgemeine Scham- und Sittlichkeitsgefühl" breiter Bevölkerungsschichten verstößt und damit „unzüchtig" im herkömmlichen Sinn ist (vgl. R G 8, 172; 71, 13; B G H [GrSen] 6, 46; 17, 232); entscheidend ist allein, ob durch seinen Vollzug bzw. durch seine Förderung in sozialschädlicher Weise ein schutzbedürftiges Rechtsgut (z.B. die sexuelle Integrität eines Kindes) erheblich beeinträchtigt wird. c) Das Abküssen eines Kindes kann zwar geschmacklos sein, wird aber mangels der erforderlichen Erheblichkeit für die in § 176 geschützte «ingestörte sexuelle Entwicklung nicht schon dadurch zu einer strafrechtlich relevanten Handlung, daß es von sexuellen Motiven getragen ist. Anders jedoch bei sog. Zungenküssen, die darauf abzielen, das Kind sexuell zu erregen und zu intensiveren Handlungen bereit zu machen (vgl. OGH BZ 2, 333; B G H 18, 169). d) Das Photographieren von Kindern in „anstößiger Stellung" (vgl. B G H 15, 278) kann nur dann unter dem Gesichtspunkt des § 176 Abs. 5 strafrechtliche Bedeutung erhalten, wenn das Kind veranlaßt wird, Manipulationen an seinem Geschlechtsteil oder andere Handlungen von ähnlicher Intensität vorzunehmen. Auf jeden Fall überholt ist die Entscheidung B G H 17, 280, derzufolge der Täter sich schon dann strafbar macht, wenn er ein Kind veranlaßt, den Rock hochzuheben, damit er den Schlüpfer sehen kann. e) Der früher so umstrittene Fall, daß der Täter ein Kind bestimmt, „unzüchtige" Reden anzuhören oder selbst zu führen (vgl. B G H 1, 168; 15, 118) oder „geflissentlich" obszöne Bilder zu betrachten (vgl. B G H 1, 291; 15, 122), wird jetzt durch die Sonderregelung des § 176 Abs. 5 Nr. 3 erfaßt, allerdings beschränkt auf pornographische Erzeugnisse und „entsprechende" Reden.
Vierzehnter Abschnitt: Beleidigung (§§ 185—200) Vorbemerkungen I. Geschütztes Rechtsgut der §§ 185ff. ist die E h r e . Eine Sonderstellung nimmt lediglich der Tatbestand des § 189 ein, der das Andenken an einen Verstorbenen vor Verunglimpfung schützt. Aus dem neueren Schrifttum siehe insbesondere Otto, Persönlichkeitsschutz durch strafrechtlichen Schutz der Ehre, Schwinge-Festschr. S. 71. II. Ehre ist der Anspruch eines Menschen auf Achtung seiner Persönlichkeit ( B G H 1, 289; 11, 228). 1. Dieser G e l t u n g s a n s p r u c h steht jedem Menschen zu, also auch K i n d e r n und G e i s t e s k r a n k e n . Unerheblich ist, ob diese Personen in der Lage sind, die
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Strafgesetzbuch
§ 185
Bedeutung der Ehre und der gegen sie geführten Angriffe zu erfassen. Ihr Anspruch auf Achtung bleibt durch etwa vorliegende Mängel in dieser Richtung unberührt. 2. Der Begriff der Ehre ist m e h r s c h i c h t i g . Eine Beleidigung liegt nicht nur vor, wenn das E h r g e f ü h l oder der g u t e R u f verletzt werden, sondern auch, wenn sich der Angriff gegen die G e s c h l e c h t s e h r e oder die b e r u f l i c h e oder g e s e l l s c h a f t l i c h e S t e l l u n g richtet, die der Betroffene sich geschaffen hat. Die übliche Unterscheidung zwischen innerer und äußerer Ehre (vgl. BGH 11, 70) kann diese Mehrschichtigkeit nicht immer voll erfassen. m . Strafbar ist auch die Beleidigung eines Einzelnen unter einer Kollektivbezeichnung. B e i s p i e l : A bezeichnet alle Richter eines Landgerichts als bestechlich. Beleidigt und somit zur Stellung eines Strafantrags berechtigt ist in diesen Fällen jeder, auf den sich die Äußerung bezieht. In unserem Beispiel könnte also jeder Richter des betreffenden Landgerichts Strafantrag wegen Beleidigung stellen. Aus der Rspr. des BGH siehe besonders BGH 11, 208; 16, 57 betr. Beleidigung der in Deutschland lebenden Juden. IV. Auch Personengemeinschaften sind beleidigungsfähig, soweit sie r e c h t l i c h a n e r k a n n t e , gesellschaftliche oder wirtschaftliche Aufgaben erfüllen und einen e i n h e i t l i c h e n W i l l e n bilden können (vgl. BGH 6, 186). Diese Voraussetzungen können auch bei Personengemeinschaften vorliegen, die nicht als rechtsfähiger Verein eingetragen sind und auch sonst nicht in der Form einer juristischen Person betrieben werden. Die R e c h t s f o r m i s t u n e r h e b l i c h . Als beleidigungsfähige Gemeinschaften kommen b e i s p i e l s w e i s e in Betracht: das Deutsche Rote Kreuz, Religionsgemeinschaften, Kapitalgesellschaften des Handelsrechts (vgl. BGH 6, 186), politische Parteien (vgl. LG Würzburg NJW1959,1934), Gewerkschaften, Sportvereine, Studentische Vereinigungen, n i c h t d a g e g e n Rauchclubs, Skatrunden, Totogemeinschaften, Tanzzirkel und ähnliche, hauptsächlich der Unterhaltung dienende Vereinigungen. In diesen Fällen ist jedoch eine Beleidigung einzelner Personen unter einer Kollektivbezeichnung denkbar (s.o. I I I ) . Antragsberechtigt ist dann aber nur jeder für sich. Dasselbe gilt, wenn Mitglieder einer F a m i l i e beleidigt werden. Die Familie als solche ist dagegen nicht beleidigungsfähig (vgl. BGH N J W 1951,531; BGH6,192; Schönke-Schröder Rn. 6ff., Herdegen L K 22, jeweils vor § 185). Der Rechtsschutz der einzelnen Familienmitglieder wird hierdurch in keiner Weise beeinträchtigt, da jeder, auf den sich die Beleidigung bezieht, selbständig zur Stellung eines Strafantrags bzw. zur Erhebung einer Privatklage berechtigt ist. In vielen Fällen läßt sich auch denken, daß ein Familienmitglied m i t t e l b a r dadurch b e l e i d i g t wird, daß ein anderes Familienmitglied unmittelbar in seiner Ehre verletzt wird, z.B. Beleidigung des Ehemanns und Familienvaters durch Vornahme sexueller Handlungen mit Frau und Tochter (vgl. BayObLG MDR 1958, 264 m. weit. Nachw.). Beleidigt und antragsberechtigt sind in diesem Fall sowohl das unmittelbar als auch das nur mittelbar betroffene Familienmitglied. Bedenken gegen diese Ausweitung des Ehrschutzes finden sich neuerdings mit beachtlichen Argumenten bei Herdegen LK 21 ff. vor § 185).
§ 185
[Beleidigung]
Die Beleidigung wird m i t Geldstrafe oder mit Freiheitsstrafe bis z u einem Jahr und, wenn die Beleidigung mittels einer Tätlichkeit begangen-wird, mit Geldstrafe oder mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren bestraft. I. Die in § 185 unter Strafe gestellte Beleidigung ist der Grund- und Auffangtatbestand des gesamten Abschnitts. Der Begriff der Beleidigung ist im Gesetz nicht definiert. Man ist sich jedoch darüber einig, daß als Beleidigung jede K u n d g a b e
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der Nicht-oder M i ß a c h t u n g zu gelten hat (st. Rspr. sowie h.L., vgl. B G H 1,288; Lackner-Maassen 4). N i c h t h i e r h e r gehören die in den §§ 186—187a erfaßten Formen der R u f g e f ä h r d u n g durch falsche oder nicht erweisliche Tatsachenbehauptungen Dritten gegenüber sowie die in § 189 unter Strafe gestellte V e r u n g l i m p f u n g V e r s t o r bener. II. Unter den Anwendungsbereich der Vorschrift fallen somit: 1. Tatsachenbehauptungen dem Betroffenen gegenüber, die geeignet sind, diesen in seiner Ehre zu verletzen. Tatsachenbehauptungen sind Äußerungen, die eine nach Art, Zeit und Begleitumständen genau bestimmte Tatsache enthalten (vgl. B G H 11, 329; Ddf N J W 1970, 905). a) B e i s p i e l : A sagt zu B : „Sie haben gestern meine Uhr gestohlen". Richtet sich die Äußerung zugleich an Dritte, so ist wegen der damit verbundenen R u f . gefährdung I d K . mit § 186 möglich (vgl. Lackner-Maassen § 186 Anm. 9 ; Str.). b) R e c h t s w i d r i g ist nur die u n v e r d i e n t e K u n d g a b e d e r M i ß a c h t u n g . Hieraus folgt: Erweist sich die behauptete Tatsache als wahr, so entfällt — anders als bei § 186 (siehe dort Anm. 2) — nicht erst die Strafbarkeit, sondern bereits der objektive Unrechtsgehalt der T a t . Niemand hat Anspruch darauf, besser behandelt zu werden, als er es verdient. Was wahr ist, darf man auch sagen. Berührt aber die U n w a h r h e i t d e r b e h a u p t e t e n T a t s a c h e nicht nur die Strafbarkeit, sondern bereits den materiellen Unrechtsgehalt der T a t , so bestehen keine Bedenken, prozessual wie auch sonst bei etwaigen Zweifeln zugunsten des Beschuldigten davon auszugehen, daß die behauptete Tatsache wahr ist („in dubio pro reo"). Diese unterschiedliche Behandlung gegenüber der Rechtslage in § 186 ist keineswegs willkürlich, sondern entspricht dem verschiedenen Anliegen und Aufbau der Tatbestände. Eine dem Betroffenen selbst gegenüber geäußerte Beleidigung kann in der Regel schnell geklärt werden, wenn ein Irrtum vorliegt. Äußerungen Dritten gegenüber sind viel gefährlicher, da der Betroffene hier schutzlos der Gefährdung seines Rufs ausgesetzt ist. c) Folgt man der hier vertretenen Ansicht, daß die Wahrheit der behaupteten Tatsache nicht erst die Strafbarkeit, sondern bereits die Rechtswidrigkeit entfallen läßt, so ist ein I r r t u m über die Wahrheit der behaupteten Tatsache als T a t b e s t a n d s i r r t u m i . S . von § 59 zu behandeln (vgl. § 59 Anm. 2; bestr. — so wie hier im Ergebnis BayObLG N J W 1959, 5 7 ; Köln N J W 1964, 2121; Schönke-Schröder R n . 3, 17; a. A. Lackner-Maassen 5, 7, wonach die strengere Regelung in § 186 entsprechende Anwendung finden soll). Besonderheiten ergeben sich lediglich im Falle des § 190 Satz 2 (vgl. § 190 Anm. 2). d) Läßt sich entweder die Unwahrheit der behaupteten Tatsache nicht erweisen oder hat sich der Täter in einem Irrtum über die Unwahrheit der behaupteten T a t sache befunden, so kommt eine Bestrafung wegen Beleidigung nur noch unter dem Gesichtspunkt einer F o r m a l b e l e i d i g u n g in Betracht. Siehe hierzu § 192. e) Wegen Rechtfertigung durch W a h r n e h m u n g b e r e c h t i g t e r I n t e r e s s e n siehe § 193. 2. Alle Werturteile, die eine Mißachtimg zum Ausdruck bringen. Unerheblich ist, ob sie dem Betroffenen ins Gesicht gesagt oder Dritten gegenüber geäußert werden. B e i s p i e l : A nennt den B einen elenden Schurken oder einen „alten Nazi" (vgl. Ddf N J W X970, 905). Werturteile u n t e r l i e g e n g r u n d s ä t z l i c h n i c h t d e m W a h r h e i t s b e w e i s . Das gilt vor allem dann, wenn das Werturteil die Persönlichkeit des Beleidigten in ihrer Gesamtheit trifft. Man kann nicht beweisen, daß jemand ein elender Schurke oder ein übles Schwein ist. Man kann allenfalls beweisen, daß er eine Handlung
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begangen hat, die gegen die Sittenordnung verstößt. Auch bei der oben erwähnten Beschimpfung als „alter N a z i " kommt es zumindest dann, wenn der Täter den Betroffenen nur in seiner Ehre kränken wollte, um seinen Ärger abzureagieren, nicht darauf an, ob der Betroffene Mitglied der N S D A P war oder ihr gesinnungsmäßig nahestand (vgl. Ddf N J W 1970, 905). Die Grenzen sind oft recht schwer zu ziehen. A u s n a h m s w e i s e sind auch Werturteile einem Wahrheitsbeweis zugänglich, nämlich dann, wenn sie erkennbar auf konkrete Tatsachen Bezug nehmen. Solche Werturteile sind wie die ihnen zugrunde liegenden Tatsachen zu beurteilen. Werden sie zusammen mit diesen Tatsachen geäußert, so teilen sie deren rechtliches Schicksal. B e i s p i e l : A sagt zu B : „Sie sind unehrlich; Sie haben mich jetzt schon zweimal bestohlen." Ist der von A ausgesprochene Verdacht begründet, so erfaßt der Wahrheitsbeweis auch den Vorwurf der Unehrlichkeit. Das hat zur Folge, daß die an sich tatbestandsmäßige Beleidigung nicht rechtswidrig ist: Ein Dieb hat keinen Anspruch darauf, von dem Bestohlenen nicht der Unehrlichkeit bezichtigt zu werden (s.o. I I 1 b). Ein Rückgriff auf § 193 ist in diesem Fall nicht erforderlich. 3. Symbolische Handlungen, die eine Mißachtimg ausdrücken, z.B. Ausspucken vor dem Betroffenen, Aushängen seiner Fotografie an anstößiger Stelle, etwa in einer Bedürfnisanstalt. Hierher gehört auch das bei Kraftfahrern so beliebte Zeigen eines „ V o g e l s " (vgl. Ddf N J W 1960, 1072; VerkMitt. 1972 Nr. 30). 4. Tätlichkeiten, insbesondere Ohrfeigen, soweit sie eine Mißachtung zum Ausdruck bringen sollen. Der Tb. der tätlichen Beleidigung, die vom Gesetz als e r s c h w e r t e r F a l l d e r B e l e i d i g u n g besonders hervorgehoben wird, setzt eine körperliche Berührung nicht unbedingt voraus. Daher kann auch ein fehlgegangener Schlag oder Wurf den Tatbestand erfüllen. 5. Die Zumutung strafbarer oder sexueller Handlungen, soweit der hierdurch Betroffene keinen Anlaß zu derartigem Ansinnen gegeben hat. B e i s p i e l : Die Dirne A verspricht dem gegen sie wegen verbotener Prostitution einschreitenden Polizeibeamten P die kostenlose Gestattung des Verkehrs, falls er von einer Anzeige absehe und sie in Zukunft nicht mehr behellige. (Hier kommt außerdem noch in I d K . Bestechung in Betracht.) 6. Sonstige Formen der Mißachtung. Siehe hierzu folgende B e i s p i e l e aus der höchstrichterlichen Rechtsprechung: a) Führen obszöner Reden ( B G H 12, 42); b) unverlangte Zusendung von Aufklärungsschriften und entsprechenden Prospekten ( B G H 11, 67; O L G Stgt, Urt. v . 26. 1. 66, 1 Ss 618/65; zw.); c) Züchtigung fremder Kinder in Anwesenheit des Erziehungsberechtigten ( O L G Koblenz N J W 1955, 602); d) Weitergabe von Fotos, in denen die abgebildete Person in zweifelhafter Stellung gezeigt wird ( B G H 9, 17); e) das Ansprechen eines Erwachsenen in der „ D u " - F o r m (Ddf N J W 1960, 1072). H I . In allen bisher erörterten Fällen ist streng darauf zu achten, ob die als Beleidigung empfundene Äußerung oder Handlung auch wirklich als Kundgabe der Mißachtung aufgefaßt werden kann. Es gibt kaum eine Äußerung oder Handlung, die schlechthin als Beleidigung angesehen werden kann. E n t s c h e i d e n d s i n d i m m e r d i e U m s t ä n d e d e s E i n z e l f a l l s . Hierbei sind insbesondere Alter, Bildungsgrad und Stellung des Täters, die persönlichen Beziehungen zwischen den Beteiligten, das soziale Rangverhältnis, der Verkehrston in den betreffenden sozialen Schichten sowie die Ortsüblichkeit bestimmter Ausdrücke zu berücksichtigen (vgl. O L G Hamm D A R 1957, 214; O L G Ddf N J W 1960, 1072). Auch Bekundungen
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persönlicher Verstimmung, Unhöflichkeiten, Taktlosigkeiten, Beweise schlechter Kinderstube oder fehlender Selbstzucht, selbst Grobheiten müssen nicht immer ehrverletzenden Charakter haben. Sie können vielmehr nur dann als Kundgabe der Mißachtung und damit als Beleidigung angesehen werden, wenn der Täter durch sie den anderen als minderwertig hinstellen oder ihn sonst in seiner Ehre angreifen will (vgl. OLG Ddf a.a.O.). Unter diesen Umständen kann ausnahmsweise auch ein Ulk oder Scherz eine Beleidigung darstellen. Mit anderen Worten: E s kommt immer darauf an, wer was zu wem sagt. Dieselbe Äußerung kann je nach den Umständen im einen Fall eine schwere Beleidigung, im anderen Fall nur ein harmloser Scherz, vielleicht sogar eine kameradschaftliche Anerkennung sein. E s darf nur darauf hingewiesen werden, wie unterschiedlich das berühmte „Götz-Zitat 1 ' oder das Zeigen eines sogenannten „Vogels" verwendet und aufgenommen wird. Dies gilt aber auch sonst. Wer beispielsweise zu einem erfahrenen Kriminalrat sagt, er habe die Rechtskenntnisse eines Anfängers und verstehe von Kriminalistik rein gar nichts, erfüllt damit den Tb. der Beleidigung. Einem Polizeianwärter im 1. Ausbildungsjahr gegenüber wäre eine derartige Äußerung allenfalls eine Anregung zu intensiver Arbeit. IV. Vollendet ist die Beleidigung, wenn sie einem anderen zugegangen ist. Nicht erforderlich ist, daß die beleidigende Äußerung dem zugeht, für den sie bestimmt ist. B e i s p i e l : A schickt seinem Arbeitgeber einen von Beleidigungen strotzenden Brief. Wird dieser von der Sekretärin des Arbeitgebers geöffnet und gelesen, so ist der Tb. schon zu diesem Zeitpunkt erfüllt. Wenn A nun, von Reue ergriffen, zum Sekretariat eilt und um Rückgabe seines Briefs bittet, so kommt tätige Reue gemäß § 46 Kr. 2 nicht mehr in Betracht. Dasselbe gilt, wenn ein Kaufmann seiner Sekretärin einen beleidigenden Brief diktiert (vgl. R G J W 24, 911; L G Hannover NdsRpfl 1966,23; Schönke-Schröder 19). Nicht erforderlich ist, daß der Beleidigte den S i n n d e r B e l e i d i g u n g e r f a ß t hat bzw. überhaupt erfassen kann. Liegen aber die Verhältnisse so, daß niemand den.Eindruck einer Mißachtung erhalten kann, z. B . weil keiner der Anwesenden die Sprache versteht, in der die Äußerung ergeht, so kommt nur V e r s u c h in Betracht, der jedoch s t r a f l o s ist (vgl. Frank § 185 Anm. I). Der Fall ist genau so zu behandeln, wie wenn jemand einem anderen ein Schimpfwort zuruft, das dieser infolge zu weiter Entfernung nicht verstehen kann. V. Der subjektive Tatbestand erfordert Vorsatz. Der Täter muß wissen, daß seine Äußerung einem anderen zugeht und daß sie objektiv eine Mißachtung zum Ausdruck bringt. Bedingter Vorsatz genügt. Der V o r s a t z e n t f ä l l t z.B., wenn der Täter ein S e l b s t g e s p r ä c h führt und gar nicht weiß, daß ihm jemand zuhört, oder wenn er T a g e b u c h e i n t r a g u n g e n macht, ohne zu wissen, daß diese von Unbefugten gelesen werden, oder wenn ein Dritter ohne sein Wissen einen beleidigenden B r i e f absendet, bei dem er noch Bedenken hatte, ob er ihn in dieser Form aufgeben sollte. Besteht die Beleidigung in einer T a t s a c h e n b e h a u p t u n g dem Betroffenen gegenüber, so läßt auch die irrige Annahme, die behauptete Tatsache sei wahr, den Vorsatz entfallen (s.o. I I l c ) . In diesen Fällen kommt lediglich F a h r l ä s s i g k e i t in Betracht, die jedoch nicht strafbar ist. VI. Die Rechtswidrigkeit kann entfallen 1. bei Tatsachenbehauptungen durch Führung des W a h r h e i t s b e w e i s e s (s.o. II lb); 2. durch W a h r n e h m u n g b e r e c h t i g t e r I n t e r e s s e n (vgl. § 193); 3. durch E i n w i l l i g u n g , wenn diese ernstlich und in Bedeutung ihrer Tragweite erteilt wird (vgl. Vorbem. I I 5 vor § 51). Der Rechtfertigungsgrund der Einwilligung kommt vor allem dann in Betracht, wenn die Beleidigung in der Vornahme oder
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Zumutung einer sexuellen Handlung zu sehen ist. Aus der höchstrichterlichen Rechtsprechung sind in diesem Zusammenhang folgende Entscheidungen von besonderer Bedeutung: a) RG 75, 179, 181: Die Einwilligung eines 15-jährigen Mädchens in den Beischlaf ist in der Regel selbst dann unbeachtlich, wenn das Mädchen schon vorher GV hatte; b) BGH 5, 362: Der GV mit einem 16-jährigen Mädchen ist nicht beleidigend» wenn das Mädchen sich wegen fortgeschrittener Entwicklung der Bedeutung des Wertes seiner Geschlechtsehre und deren Wahrung bewußt geworden ist; c) BGH 23, 1, 4: Die Einwilligung einer Frau, die infolge einer frühkindlichen Hirnschädigung intelligenzmäßig einem 6-jährigen Kind gleich steht, ist unbeachtlich. Ist die Einwilligung objektiv imbeachtlich, so ist auf der s u b j e k t i v e n T a t s e i t e folgendes zu beachten: Der Täter muß wissen oder damit rechnen, daß er durch seine Handlungsweise die Ehre des Mädchens mißachtet. Dies kann z.B. fehlen, wenn er ein echtes Liebesverhältnis unterhält und daran denkt, mit dem Mädchen in dauernder Verbindung zu bleiben (BGH 5, 364). Der Vorsatz entfällt ferner, wenn der Täter irrig annimmt, das Mädchen habe nach ihren Erfahrungen bereits die Bedeutung der Geschlechtsehre erfaßt und erkannt, daß sie diese durch die Duldung des Verkehrs preisgebe (BGH 8, 358). Dagegen liegt nur ein Verbotsirrtum vor, wenn der Täter lediglich glaubt, die Einwilligung schließe schlechthin die Rechtswidrigkeit aus (BGH a.a.O.). 4. bei Ä u ß e r u n g e n im F a m i l i e n k r e i s . Hier wird teilweise auch der Standpunkt vertreten, daß es schon an einer Kundgabe fehlt, also bereits der Tatbestand entfällt (vgl. Welzel 308; Schönke-Schröder § 185 Rn. 8). Dies gilt auch für Gespräche eines Rechtsanwalts mit seinem Mandanten (vgl. Lackner-Maassen 4 b; a.A. Stgt N J W 1963, 119 m. abl. Anm. Rutkowsky). Feststeht jedenfalls, daß jeder Mensch einen Kreis braucht, in dem er sich restlos aussprechen kann. VH. I d K . ist vor allem möglich mit §§ 113, 183, 223ff. Durch die spezielleren §§ 174, 176—178, 182 wird § 185 i.d.R. konsumiert (vgl. BGH 8, 357; GA 1966, 338); IdK. mit diesen Tatbeständen nur dann, wenn aufgrund besonderer Umstände der Unreehtsgehalt der Tat über das zur Tatbestandsverwirklichung erforderliche Mindestmaß hinausgeht (vgl. BGH a.a.O.; h.L.).
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(Üble Nachrede]
Wer in Beziehung auf einen anderen eine Tatsache behauptet oder verbreitet, welche denselben verächtlich zu machen oder in der öffentlichen Meinung herabzuwürdigen geeignet ist, wird, wenn nicht diese Tatsache erweislich wahr ist, wegen Beleidigung mit Geldstrafe oder mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr und, wenn die Beleidigung öffentlich oder durch Verbreitung von Schriften, Ton- oder Bildträgern, Abbildungen oder Darstellungen begangen ist, mit Geldstrafe oder mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren bestraft. 1. Unterden AnwendungsbereichderVorschriftfallennur r u f g e f ä h r d e n d e Tatsachenbehauptungen Dritten gegenüber. B e i s p i e l : A sagt zu B : „ X hat mich bestohlen". Werturteile und Tatsachenbehauptungen dem Betroffenen selbst gegenüber werden durch § 185 erfaßt (siehe dort Anm. I, I I 1). 2. Zweck der Vorschrift ist es, den guten Ruf zu schützen. Diesem Gesetzeszweck entsprechend ist der Unreehtsgehalt der Tat schon dann gegeben, wenn der gute Ruf einer Person durch die Behauptung oder Verbreitung ehrenrühriger Tatsachen g e f ä h r d e t wird. Die Unwahrheit der behaupteten oder verbreiteten Tat-
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sache gehört hier — anders als in § 185 (siehe dort Anm. I I l b ) — weder zum Tatbestand noch zur Rechtswidrigkeit. Nach dem eindeutigen Wortlaut des Gesetzes, der sich mit dem dargelegten Gesetzeszweck deckt, berührt der Wahrheitsbeweis nicht den objektiven Unrechtsgehalt der Tat, sondern lediglich deren Strafbarkeit. M.a.W.: Die N i c h t e r w e i s l i c h k e i t der T a t s a c h e ist eine o b j e k t i v e Bed i n g u n g d e r S t r a f b a r k e i t , auf die sich der Vorsatz des Täters nicht erstrecken muß. Siehe auch unten Anm. 8. 3. Die Einordnung des Wahrheitsbeweises als Strafausschließungsgrund bedeut e t keine Umkehr der Beweislast. Wie auch sonst ist das Gericht verpflichtet, den Behauptungen des Beschuldigten von Amts wegen nachzugehen. § 186 bringt jedoch eine D u r c h b r e c h u n g d e s G r u n d s a t z e s , d a ß b e s t e h e n d e Z w e i f e l z u g u n s t e n d e s B e s c h u l d i g t e n z u v e r w e r t e n s i n d . Der Grundsatz „im Zweifel f ü r den Angeklagten" gilt hier ausnahmsweise nicht. Der Angeklagte trägt somit das Beweisrisiko. Der Normbefehl des § 186 kann auf folgende Formel gebracht werden: „ D u sollst nicht lästern! Wer lästert, t u t dies auf eigene Gefahr." Oder, noch kürzer ausgedrückt: „ L ä s t e r n a u f e i g e n e G e f a h r " . 4. Die T a t h a n d l u n g besteht im Behaupten oder Verbreiten der rufgefährdenden Tatsache. a) Behaupten bedeutet a l s w a h r h i n s t e l l e n . Die Form, in der dies geschieht, ist unerheblich. Der Tatbestand kann vor allem auch dadurch erfüllt werden, daß jemand gegen einen anderen einen Verdacht ausspricht. b) Unter Verbreiten fällt jede W e i t e r g a b e e i n e r v o n a n d e r e n a u f g e s t e l l t e n B e h a u p t u n g . Auch hier ist die Form unerheblich. Die Weitergabe eines Gerüchts erfüllt den Tb. selbst dann, wenn es gleichzeitig als fragwürdig bezeichnet wird. Auch in der Form einer Fragestellung kann der Tb. verwirklicht werden. B e i s p i e l : A fragt den B, ob er auch schon gehört habe, daB X wegen Diebstahls aus seiner Arbeitsstelle entlassen worden sei. 5. Die Tatsache muß geeignet sein, denjenigen, auf den sich die Äußerung bezieht, verächtlich zu machen oder in der öffentlichen Meinung herabzuwürdigen. Daß dieser Erfolg tatsächlich eintritt, ist nicht erforderlich. E s genügt die objektive Eignung. § 186 ist somit ein a b s t r a k t e s G e f ä h r d u n g s d e l i k t . a) V e r ä c h t l i c h m a c h e n bedeutet, den anderen als eine Person hinstellen, die ihren Pflichten im sozialen Leben nicht gerecht wird. b) I n d e r ö f f e n t l i c h e n M e i n u n g h e r a b g e w ü r d i g t ist jemand, wenn sein guter Ruf geschmälert wird. I n der Praxis treffen beide Formen oft zusammen. 6. Die Rechtswidrigkeit kann entfallen (vgl. § 185 Anm. VI) a) durch Wahrnehmung berechtigter Interessen (§ 193), b) wenn derjenige, auf den sich die Äußerung bezieht, das fragliche G e r ü c h t s e l b s t i n U m l a u f g e s e t z t h a t (vgl. K G J R 1954, 355 m. Anm. Bockelmann J R 1954, 327), c) bei Ä u ß e r u n g e n i m F a m i l i e n k r e i s bzw. in der sog. I n t i m s p h ä r e (vgl. § 185 Anm. V I 4). 7. Subjektiv ist Vorsatz erforderlich. Der Täter muß wissen, daß die von ihm behauptete oder verbreitete Tatsache geeignet ist, den anderen verächtlich zu machen bzw. in der öffentlichen Meinung herabzuwürdigen (s.o. 5). Nicht erforderlich ist dagegen die Kenntnis der Unwahrheit (s.o. 2). 8. Der Wahrheitsbeweis schließt, wie oben (Anm. 2) dargelegt, n u r die Strafbarkeit, nicht schon die Tatbestandsmäßigkeit oder Rechtswidrigkeit aus (BGH 11,273). E r ist erst erbracht, wenn der einer rufgefährdenden Äußerung zugrundeliegende T a t s a c h e n k e r n e r w i e s e n ist (vgl. B G H 18, 182). Wird z.B. ein Minister m i t einem Sittenskandal in Verbindung gebracht, so ist der Wahrheitsbeweis erst geführt,
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wenn erwiesen ist, daß der Minister tatsächlich etwas mit der Sache zu t u n h a t t e , z.B. Kunde eines sogenannten Call-Girl-Rings war. Es genügt dagegen nicht der Nachweis, daß ein derartiges Gerücht umging und einige Abgeordnete der Sache nachgehen wollen. Wer ein rufgefährdendes Gerücht verbreitet, erbringt nicht schon dadurch den Wahrheitsbeweis, daß er dartut, auch andere hätten das Gerücht verbreitet (BGH a.a.O.). 9. E r s c h w e r t ist die üble Nachrede, wenn sie öffentlich usw. erfolgt. Wegen öffentlich siehe § 80a Anm, 2. In diesem Fall ist auch § 200 ( B e k a n n t m a c h u n g s b e f u g n i s ) zu beachten. 10. Wegen des Verhältnisses zu § 185 siehe dort Anm. I I l a . 8 187 [Verleumdung;] (1) Wer wider besseres Wissen in Beziehung auf einen anderen eine unwahre Tatsache behauptet oder verbreitet, welche denselben verächtlich zu machen oder in der öffentlichen Meinung herabzuwürdigen oder dessen Kredit zu gefährden geeignet ist, wird wegen verleumderischer Beleidigung mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren und, wenn die Verleumdung öffentlich oder durch Verbreitung von Schriften, Ton- oder Bildträgern, Abbildungen oder Darstellungen begangen ist, mit Freiheitsstrafe von einem Monat bis zu fünf Jahren bestraft. (2) Sind mildernde Umstände vorhanden, so kann die Freiheitsstrafe bis auf einen Tag ermäßigt oder auf Geldstrafe erkannt werden. 1. § 187 enthält einen Sonderfall der üblen Nachrede und unterscheidet sich von dieser in folgenden Punkten: a) Die U n w a h r h e i t der behaupteten oder verbreiteten Tatsache ist ein o b j e k t i v e s T a t b e s t a n d s m e r k m a l und muß als solches vom V o r s a t z des Täters umfaßt sein. Der Täter muß positiv w i s s e n , daß er eine unwahre Tatsache behauptet oder verbreitet. Bedingter Vorsatz genügt nicht. b) P r o z e s s u a l gehen wie üblich etwaige Z w e i f e l z u g u n s t e n d e s T ä t e r s („in dubio pro reo"). Bleibt unklar, ob die rufgefährdende Tatsache nicht doch wahr ist, oder läßt sich nicht mit letzter Sicherheit nachweisen, daß der Täter die Unwahrheit der von ihm behaupteten oder verbreiteten Tatsache gekannt hat, so kommt nur Bestrafung wegen übler Nachrede gemäß § 186 in Betracht. Dort trägt der Angeklagte das Beweisrisiko (vgl. § 186 Anm. 3). 2. Der Tatbestand der Kreditgefährdung schützt das Vertrauen, das jemand hinsichtlich der Erfüllung seiner Verbindlichkeiten genießt. Die kreditgefährdende Tatsache muß nicht ehrenrührig sein. B e i s p i e l : A verbreitet, um dem B zu schaden, das Gerücht, B habe infolge unredlichen Verhaltens eines Angestellten erhebliche Zahlungsschwierigkeiten und müsse seinen Betrieb bald schließen. 3. IdK. ist vor allem mit §§ 164 Abs. 1, 239 denkbar. § 187 a [Politische üble Nachrede] (1) Wird gegen eine im politischen Leben des Volkes stehende Person öffentlich, in einer Versammlung oder durch Verbreitung von Schriften, Ton- oder Bildträgern, Abbildungen oder Darstellungen eine üble Nachrede (§ 186) aus Beweggründen begangen, die mit der Stellung des Beleidigten i m öffentlichen Leben zusammenhängen, und ist die Tat geeignet, sein öffentliches Wirken 416
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§ 189
erheblich zu erschweren, so ist die Strafe Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren. (2) Eine Verleumdung (§ 187) wird unter den gleichen Voraussetzungen mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren bestraft. 1. Die Vorschrift dient dem besonderen Ehrenschutz der in der Politik tätigen Personen, wobei Abs. 1 der üblen Nachrede des § 186 und Abs. 2 der Verleumdung des § 187 entspricht. 2. G e s c h ü t z t sind alle Persönlichkeiten, die auf das politische Leben des Volkes einen erheblichen Einfluß ausüben (BGH 4, 339). Hierher gehören vor allem die Begierungsmitglieder des Bundes und der Länder, die Mitglieder des Bundestags und der Länderparlamente (BGH 3, 74; N J W 1952, 194), aber auch die Spitzen der Gewerkschaften und der Arbeitgeberverbände, ferner die Richter des Bundesverfassungsgerichts (BGH 4, 338). 3. Über die Tatbestandsmerkmale der §§ 186, 187 hinausgehend müssen folgende V o r a u s s e t z u n g e n vorliegen: a) Die Tat muß geeignet sein, das ö f f e n t l i c h e W i r k e n des Betroffenen erheblich zu erschweren. Beispiel: Ein Minister wird als bestechlich bezeichnet oder mit einem Sittenskandal in Verbindung gebracht. b) Die üble Nachrede bzw. Verleumdung muß in einer bestimmten, besonders gefährlichen Form ( ö f f e n t l i c h usw.) erfolgen. c) Der Täter muß aus B e w e g g r ü n d e n handeln, die mit der Stellung des Beleidigten im öffentlichen Leben zusammenhängen. Diese Voraussetzungen sind immer dann gegeben, wenn es dem Täter darum geht, den Beleidigten „abzuschießen", d.h. ihn als für sein Amt oder seine Stellung ungeeignet hinzustellen. Andererseits sind politische Motive nicht unbedingt erforderlich; auch Sensationslust kann genügen (BGH 4, 119). 4. Gemäß § 194 wird die Tat nur auf A n t r a g verfolgt. Siehe ferner § 200 ( B e k a n n t m a c h u n g s b e f u g n i s ) und § 374 Abs. 1 Nr. 2 StPO ( P r i v a t k l a g e delikt).
§ 188
[Buße]
(1) In den Fällen der §§ 186 und 187 kann auf Verlangen des Beleidigten, wenn die Beleidigung nachteilige Folgen für die Vermögensverhältnisse, den Erwerb oder das Fortkommen des Beleidigten mit sich bringt, neben der Strafe auf eine an den Beleidigten zu zahlende Buße erkannt werden. (2) Eine erkannte Buße schließt die Geltendmachung eines weiteren Entschädigungsanspruchs aus. 1. Die Vorschrift bezieht sich entgegen ihrem Wortlaut auch auf die politische üble Nachrede bzw. Verleumdung gemäß § 187 a, da diese lediglich eine erschwerte Form der Vergehen gemäß §§ 186, 187 darstellt. 2. 6. 2. (vgl(vgl.
Die H ö h e der Buße beträgt 3—10000 DM (vgl. Art. I V der VO vom 1924, RGBl. I 44). Der Beleidigte hat den Betrag, den er verlangt, zu beziffern §§ 404, 406d StPO). Über diesen Betrag darf der Richter nicht hinausgehen Herdegen L K 5).
3. Die G e l t e n d m a c h u n g des Anspruchs auf Buße erfolgt im sogenannten A d h ä s i o n s v e r f a h r e n gemäß §§ 403—406d StPO (vgl. Anhang 4, Abschn. K V I I ) . 27 Petters-Preisendanz, StGB, 28. Aufl.
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§ 189, 190 § 189
Strafgesetzbuch
[Verunglimpfung: des A n d e n k e n s Verstorbener]
(1) Wer das Andenken eines Verstorbenen verunglimpft, wird mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. (2) Die Verfolgung tritt nur auf Antrag der Eltern, der Kinder, des Ehegatten oder der Geschwister des Verstorbenen ein. (3) Hat der Verstorbene Antragsberechtigte im Sinne des Absatzes 2 nicht hinterlassen oder sind sie vor Ablauf der Antragsfrist gestorben, so entfällt das Erfordernis des Strafantrages, wenn der Verstorbene sein Leben als Opfer einer Gewalt- und Willkürherrschaft verloren hat und die Verunglimpfung damit zusammenhängt. 1. G e s c h ü t z t e s R e c h t s g u t ist das A n d e n k e n an den Verstorbenen, nicht dessen Ehre. Die Ehre ist als Bestandteil der Persönlichkeit mit dieser untergegangen. Was bleibt, ist das Andenken. 2. V e r u n g l i m p f e n ist mehr als beleidigen. Tatbestandsmäßig sind nur solche Beleidigungen, die nach Form, Inhalt, Begleitumständen oder Beweggrund eine e r h e b l i c h e r e E h r v e r l e t z u n g bedeuten (vgl.BayObLGJZ 1951,786; siehe auch § 90 Anm. 2). 3. Der subjektive Tb. erfordert V o r s a t z . Ist der Beleidigte entgegen der Vorstellung des Täters noch gar nicht tot, so kommt wegen der Verschiedenartigkeit der in den beiden Tatbeständen geschützten Rechtsgüter (s.o. 1) weder § 185 noch § 189 in Betracht (vgl. RG 26, 33; Schönke-Schröder Rn. 5; Lackner-Maassen Anm. 4; Str.). Begrifflich liegt ein Versuch gemäß § 189 vor, der aber nicht strafbar ist. Entsprechendes gilt für den umgekehrten Fall. 4. Die Tat ist nur auf A n t r a g verfolgbar (Abs. 2). Antragsberechtigt sind nur die nächsten Angehörigen. Sind solche nicht vorhanden, so ist eine Bestrafung ausgeschlossen, es sei denn, daß die besonderen Voraussetzungen des Abs. 3 vorliegen. 5. I d K . ist möglich mit § 185, wenn gleichzeitig eine noch lebende Person beleidigt wird, ferner mit §§ 167a, 168.
§ 190
[Wahrheitsbeweis]
Ist die behauptete oder verbreitete Tatsache eine strafbare Handlung, so ist der Beweis der Wahrheit als erbracht anzusehen, wenn der Beleidigte wegen dieser Handlung rechtskräftig verurteilt worden ist. Der Beweis der Wahrheit ist dagegen ausgeschlossen, wenn der Beleidigte wegen dieser Handlung vor der Behauptung oder Verbreitung rechtskräftig freigesprochen worden ist. 1. § 190 bedeutet eine D u r c h b r e c h u n g des für den Strafprozeß geltenden Grundsatzes der f r e i e n B e w e i s w ü r d i g u n g (vgl. § 261 StPO). 2. Z w e c k der Vorschrift ist es zu verhindern, daß der Verdacht einer strafbaren Handlung, der bereits Gegenstand eines rechtskräftig durch Sachurteil abgeschlossenen Strafverfahrens war, im Rahmen eines neuen Verfahrens wegen Beleidigung oder übler Nachrede bzw. Verleumdung erneut geprüft werden kann und muß. Es ist ein Anliegen der Rechtssicherheit und des Rechtsfriedens, daß über dieselbe Frage keine abweichenden Entscheidungen ergehen. § 190 Satz 2 dient darüber hinaus dem berechtigten Anliegen eines rechtskräftig Freigesprochenen, in Zukunft nicht mehr erneut der ihm zur Last gelegten strafbaren Handlung bezichtigt zu werden. Diesem Gesetzeszweck entsprechend bezieht sich § 190 Satz 2 nur auf solche Äuße-
418
Beleidigung
§§ 191, 193
rangen, die der Rechtskraft des Freispruchs zeitlich nachfolgen (vgl. BayObLG J R 1960, 468). Aus dem Gesetzeszweck des § 190 Satz2 folgt weiter, daß auch bei einer dem Betroffenen gegenüber gemachten, somit unter § 185 fallenden Äußerung n i c h t nur der Wahrheitsbeweis, sondern auch die B e r u f u n g auf fehlenden V o r s a t z a u s g e s c h l o s s e n i s t (vgl. BayObLG a.a.O.). Bei der üblen Nachrede gemäß § 186 kann sich der Täter ohnehin nicht auf fehlenden Vorsatz berufen (vgl. § 186 Anm. 2, 7), so daß sich insoweit keine Besonderheiten ergeben. 3. Der A n w e n d u n g s b e r e i c h der Vorschrift erstreckt sich auf a l l e T a t b e s t ä n d e d i e s e s A b s c h n i t t s , bei denen der Wahrheitsbeweis irgendwie von Bedeutung ist. Unerheblich ist, ob der Wahrheitsbeweis im Einzelfall die Tatbestandsmäßigkeit, die Rechtswidrigkeit oder nur die Strafbarkeit entfallen läßt. 4. Ein Beschluß nach § 204 Abs. 2 StPO (Ablehnung der Eröffnung des Hauptverfahrens) steht im Falle der Rechtskraft einem rechtskräftigen Freispruch gleich (vgl. Stgt N J W 1960, 1872; LG München N J W 1969, 759; a.A. die h.L., vgl. Herdegen L K 12). § 191 [Aussetzung: des Verfahrens] Ist wegen der strafbaren Handlung zum Zwecke der Herbeiführung eines Strafverfahrens bei der Behörde Anzeige gemacht, so ist bis zu dem Beschluß, daß die Eröffnung der Untersuchung nicht stattfinde, oder bis zur Beendigung der eingeleiteten Untersuchung mit dem Verfahren und der Entscheidung über die Beleidigung innezuhalten. 1. § 191 bringt eine Ergänzung des § 190 und will ebenfalls die Entstehung widersprüchlicher Entscheidungen verhindern. Die Vorschrift entspricht der f ü r die falsche Anschuldigung in § 164 Abs. 3 getroffenen Regelung und muß als z w i n g e n d e s R e c h t angesehen werden (vgl. BGH 8, 133, 137). 2. Endet das wegen der behaupteten Straftat anhängige Verfahren mit E i n s t e l l u n g oder F r e i s p r u c h , so ist mit der Rechtskraft dieser Entscheidung der Weg offen zur Fortsetzung des Verfahrens wegen Beleidigung oder übler Nachrede bzw. Verleumdung. Die Beweisregel des § 190 Satz 2 gilt in diesem Fall allerdings nicht (vgl. § 190 Anm. 2). Endet das Strafverfahren mit einer rechtskräftigen V e r u r t e i l u n g , so ist damit wegen der Beweisregel des § 190 Satz 1 auch das Schicksal des Verfahrens wegen Beleidigung weitgehend entschieden. Da der Wahrheitsbeweis als erbracht anzusehen ist, kann eine Verurteilung nur noch unter den Voraussetzungen des § 192 erfolgen. 3. Solange mit dem Verfahren wegen Beleidigung innezuhalten ist, r u h t d i e V e r j ä h r u n g (vgl. § 69 Abs. 1). § 193
[Formalbeleidigrungr bei gelungenem Wahrheitsbeweis] Der Beweis der Wahrheit der behaupteten oder verbreiteten Tatsache schließt die Bestrafung nach Vorschrift des § 185 nicht aus, wenn das Vorhandensein einer Beleidigung aus der Form der Behauptung oder Verbreitung oder aus den Umständen, unter welchen sie geschah, hervorgeht. 1. Die Vorschrift bezieht sich auf a l l e T a t b e s t ä n d e d i e s e s A b s c h n i t t s , bei denen der Wahrheitsbeweis irgendwie von Bedeutung ist. Auch wer die Wahrheit sagt, darf dabei nicht beleidigend werden. 2. Eine b e s o n d e r e B e l e i d i g u n g s a b s i c h t ist n i c h t e r f o r d e r l i c h (vgl. Herdegen LK 6, Dreher 3, Lackner-Maassen Anm. 3; a.A. RG 40, 317; Schönke27*
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§ 193
Strafgesetzbuch
Schröder Rn. 1). Es genügt, daß der Täter sich der besonderen Umstände usw., aus denen sich die Beleidigung ergibt, und der ehrverletzenden Wirkung bewußt ist. 3. B e i s p i e l : A berichtet als Hochzeitsgast von den vorehelichen Erlebnissen der Braut und den Vorstrafen des Bräutigams.
§ 193 [Wahrnehmung berechtigter Interessen] Tadelnde Urteile Uber wissenschaftliche, künstlerische oder gewerbliche Leistungen, desgleichen Äußerungen, welche zur Ausführung oder Verteidigung von Rechten oder zur Wahrnehmung berechtigter Interessen gemacht werden, sowie Vorhaltungen und Bügen der Vorgesetzten gegen ihre Untergebenen, dienstliche Anzeigen oder Urteile von Seiten eines Beamten und ähnliche Fälle sind nur insofern strafbar, als das Vorhandensein einer Beleidigung aus der Form der Äußerung oder aus den Umständen, unter welchen sie geschah, hervorgeht. 1. § 193 enthält einen Rechtfertigungsgrund. Genau genommen handelt es sich um einen Sonderfall des e r l a u b t e n R i s i k o s (vgl. Welzel 320). Die Vorschrift gibt die Möglichkeit, eine zur Wahrnehmung berechtigter Interessen in angemessener Form gemachte ehrverletzende oder rufgefährdende Äußerung auch dann als gerechtfertigt anzusehen, wenn sich der Wahrheitsbeweis nicht führen läßt. § 193 ist daher immer erst dann zu prüfen, wenn der Wahrheitsbeweis nicht geführt werden kann (BGH 11, 273; Roxin N J W 1967,793) und auch andere Rechtfertigungsgründe nicht eingreifen (vgl. Lackner-Maassen 2). 2. Der Anwendungsbereich der Vorschrift beschränkt sich im wesentlichen auf T a t s a c h e n b e h a u p t u n g e n im Rahmen des § 186. a) F o r m a l b e l e i d i g u n g e n sind in aller Regel zur Wahrnehmung berechtigter Interessen nicht geeignet. Im übrigen weist das Gesetz in § 193 ausdrücklich darauf hin, daß die Strafbarkeit von Formalbeleidigungen durch die Wahrnehmung berechtigter Interessen unberührt bleibt. B e i s p i e l : Ein Kraftfahrer darf einem anderen Kraftfahrer auch dann keinen „Vogel" zeigen und unflätige Schimpfworte an den Kopf werfen, wenn dieser andere sich nicht verkehrsgerecht benommen hat (vgl. OLG Ddf N J W 1960, 1072). Eine besondere B e l e i d i g u n g s a b s i c h t ist hier — ebenso wie in § 192 — n i c h t e r f o r d e r l i c h . Vorsatz genügt. b) W e r t u r t e i l e unterliegen einer Rechtfertigung durch § 193 nur dann, wenn sie erkennbar auf bestimmte konkrete Vorgänge Bezug nehmen und damit praktisch Tatsachenbehauptungen gleichkommen (vgl. § 185 Anm. I I 2). c) Die übrigen in § 185 Anm. I I 3, 4, 5, 6 genannten Formen der Mißachtung scheiden schon deshalb aus dem Bereich des § 193 aus, weil sie sich zur Wahrnehmung berechtigter Interessen nicht eignen. Dasselbe gilt für Verunglimpfungen gemäß § 189, soweit es sich nicht um reine Tatsachenbehauptungen handelt. d) Ehrverletzende T a t s a c h e n b e h a u p t u n g e n , die d e m B e t r o f f e n e n g e g e n ü b e r geäußert werden, somit unter § 185 fallen, könnten an sich der Wahrnehmung berechtigter Interessen dienen. Hier besteht jedoch kein Bedürfnis, auf §193 zurückzugreifen. Gelingt nämlich der Wahrheitsbeweis, so entfällt bereits die Rechtswidrigkeit (vgl. § 185 Anm. I I l b ) . Steht andererseits die Unwahrheit der behaupteten bzw. verbreiteten Tatsache positiv fest, so ist ein Irrtum des Täters hierüber einem vorsatzausschließenden Tatbestandsirrtum gleichzustellen (vgl. § 185 Anm. I I l c ) . e) V e r l e u m d u n g e n gemäß § 187 bzw. § 187a Abs. 2 fallen schon deshalb nicht unter den Anwendungsbereich des § 193, weil der Täter hier positiv weiß, daß er die Unwahrheit sagt. E r nimmt also nicht nur das Risiko der Unwahrheit auf sich (s.o. 1). Es wäre nun allerdings verfehlt, wollte man bei der Verleumdung schlecht-
420
Beleidigung
§
193
hin die Möglichkeit einer Bechtfertigung ausschließen. Man wird vielmehr dort, wo die Verleumdung das e i n z i g e M i t t e l ist, u m berechtigte Interessen wahrzunehmen, dem Täter die Berufung auf den ü b e r g e s e t z l i c h e n K o t s t a n d nicht versagen können (vgl. Welzel 321,Maurach BT 157). B e i s p i e l e : A ist imBegriff, sich ohne triftigen Grund von seiner E h e f r a u zu trennen und m i t seinem „Verhältnis" zusammenzuziehen. U m das zu verhindern, bezeichnet die Ehefrau ihrem Mann gegenüber das „Verhältnis" bewußt wahrheitswidrig als eine „liederliche Person, die mit schon mindestens 5 Männern zusammengelebt h a t " . — O d e r : Ein unschuldig Angeklagter behauptet vor Gericht wider besseres Wissen rufgefährdende Tatsachen, u m die Glaubwürdigkeit eines Zeugen zu erschüttern, der ihn seinerseits bewußt wahrheitswidrig belastet. 3. Der Täter m u ß in Wahrnehmung berechtigter Interessen gehandelt haben. a) Nicht erforderlich ist die Wahrnehmung höherwertiger Interessen. Die verfolgten Interessen dürfen aber nicht dem Becht oder den guten Sitten zuwiderlaufen (BG 34, 222; h.L., vgl. Lackner-Maassen Anm. 3). b) Die verfolgten Interessen müssen n i c h t u n m i t t e l b a r e i g e n e sein und auch nicht unbedingt den Täter persönlich angehen (wichtig f ü r Presse, Auskunfteien, Familienangehörige, nahe Freunde, vgl. BayObLG N J W 1965,58). § 193 greift demgemäß auch dann ein, wenn der Täter I n t e r e s s e n d e r A l l g e m e i n h e i t wahrnimmt. Dies ist von besonderer Bedeutung f ü r die A n z e i g e v o n S t r a f t a t e n , durch die der Täter nicht unmittelbar selbst betroffen ist. Man wird hier sagen müssen, daß jeder Bürger ein berechtigtes Interesse an der Erhaltung des Bechtsfriedens und der Aufklärung von Straftaten h a t . 4. Eine Bechtfertigung nach § 193 setzt weiter voraus, daß die Ehrverletzung bzw. Bufgefährdung v o m S t a n d p u n k t d e s T ä t e r s a u s zur Wahrnehmung berechtigter Interessen erforderlich war. B e i s p i e l : A hört gesprächsweise, sein Nachbar B betreibe eine Falschmünzerei. E r zeigt B hierauf bei der Polizei an. Stellt sich heraus, daß der Verdacht unbegründet war, so darf eine Bechtfertigung gemäß § 193 nicht mit der Begründung abgelehnt werden, die Anzeige sei objektiv gar nicht erforderlich gewesen. Gerade diese Fälle sollen durch § 193 erfaßt werden. H ä t t e sich nämlich der Verdacht der Falschmünzerei bestätigt, so wäre ein Bückgriff auf § 193 gar nicht nötig, da mit dem Wahrheitsbeweis die Strafbarkeit ohnehin entfiele. Bei kritischen Presseberichten ist zu beachten, daß die Namensnennung n u r dann gerechtfertigt ist, wenn es sich um Personen handelt, die derart im öffentlichen Leben stehen, daß die Information nur und gerade im Zusammenhang mit dem Namen des Betroffenen ihren Informationswert erhält (vgl. Stgt N J W 1972, 2320). 5. Der Täter darf nicht leichtfertig handeln. Leichtfertig, d.h. grobfahrlässig handelt, wer bei gewissenhafter, ihm möglicher und zumutbarer Ausschöpfung der vorhandenen Informationsquellen h ä t t e erkennen können, daß die Unterlagen f ü r seine Behauptung unzuverlässig oder unzulänglich sind. Dies gilt auch im W a h l k a m p f (vgl. Stgt D J 1968, 344). Bei A n z e i g e n a n d i e z u s t ä n d i g e B e h ö r d e dürfen die Anforderungen an die Informationspflicht nicht zu hoch gestellt werden, da der Anzeiger meist nicht die Möglichkeit der Wahrheitserforschung h a t , andererseits aber ein öffentliches Interesse an der Aufdeckung und Aufklärung von Straftaten besteht. I m übrigen soll ja gerade erst die Strafverfolgungsbehörde die wahren Vorgänge aufdecken. Besonders strenge Anforderungen an die Informationspflicht sind dagegen bei ö f f e n t l i c h e n B e s c h u l d i g u n g e n zu stellen. Das gilt auch f ü r die P r e s s e , der man heute allgemein das Becht zuspricht, die Interessen der Allgemeinheit wahrzunehmen. Dieses Zugeständnis bedeutet f ü r die Presse natürlich keinen Freibrief. Nach B G H 18, 182 h a t die Presse nur dann ein Becht zu entsprechenden Äußerungen, wenn tatsächlich ein aner-
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§§ 1 9 4 - 1 9 V
Strafgesetzbuch
kennenswertes Interesse an der Mitteilung besteht. Vorgänge der privaten Lebensführung begründen ein solches anerkennenswertes Interesse grundsätzlich nicht. Sie werden auch nicht schon dadurch zu Angelegenheiten des öffentlichen Lebens, daß sie eine im öffentlichen Leben stehende Person betreffen. Die B e f r i e d i g u n g d e r S e n s a t i o n s l u s t kann f ü r die Presse ebensowenig wie f ü r den Privatmann unter dem Gesichtspunkt des § 193 zu einer Rechtfertigung führen. Die Nennung des Namens der von dem Bericht betroffenen Person wird deshalb nur ausnahmsweise durch § 193 gerechtfertigt sein (s.o. 4). Außerdem ist ein Journalist, der ehrenrührige Tatsachen über einen anderen verbreitet, grundsätzlich verpflichtet, dem Betroffenen vor der Veröffentlichung des Berichts die Möglichkeit zur Stellungsnahme zu geben (vgl. Stgt N J W 1972, 2320). 6. S u b j e k t i v ist erforderlich, daß der Täter die A b s i c h t hat, b e r e c h t i g t e I n t e r e s s e n w a h r z u n e h m e n . Verfolgt er daneben noch andere Zwecke, so ist dies allerdings unschädlich. § 194 [Straiantragr] Die Verfolgung einer Beleidigung tritt nur auf Antrag ein. Die Zurücknahme des Antrags (§§ 185 bis 193) ist zulässig. 1. Der erforderliche Strafantrag kann nicht dadurch ersetzt werden, daß die Staatsanwaltschaft wie bei der Verfolgung gewisser Körperverletzungen in entsprechender Anwendung von § 232 Abs. 1 ein besonderes öffentliches Interesse annimmt (vgl. BGH 7, 256). 2. Ohne Strafantrag verfolgbar ist nur die Verunglimpfung Verstorbener im Falle des § 189 Abs. 3. Eine weitere Ausnahme findet sich in § 197. § 19S
[aufgehoben]
§ 196 [Antragrsrecht des Vorgesetzten] Wenn die Beleidigung gegen eine Behörde, einen Beamten, einen Religionsdiener oder ein Mitglied der bewaffneten Macht, während sie in der Ausübung ihres Berufs begriffen sind, oder in Beziehung auf ihren Beruf begangen ist, so haben außer den unmittelbar Beteiligten auch deren amtliche Vorgesetzte das Recht, den Strafantrag zu stellen. B e i s p i e l : Polizeimeister P wird während seines Dienstes von einem rabiaten Verkehrsteilnehmer angepöbelt. Strafantragsberechtigt ist in diesem Fall nicht nur P, sondern auch sein Amtsvorgesetzter. Wer als Amtsvorgesetzter anzusehen ist, richtet sich nach der internen Organisation der Behörde. § 19V [Politische Körperschaften] Eines Antrags bedarf es nicht, wenn die Beleidigung gegen ein Gesetzgebungsorgan des Bundes oder eines Landes oder gegen eine andere politische Körperschaft begangen worden ist. Dieselbe darf jedoch nur mit Ermächtigung der beleidigten Körperschaft verfolgt werden. 1. I m Gegensatz zu den übrigen Tatbeständen des 14. Abschnitts, die nur auf Antrag verfolgbar sind, handelt es sich bei § 197 um ein e c h t e s O f f i z i a l d e l i k t . Hieraus folgt, daß die StA bei Kenntnis der beleidigenden Äußerung v o n A m t s w e g e n die Ermittlungen aufzunehmen und zu prüfen hat, ob die zur Strafverfolgung erforderliche Ermächtigung erteilt wird. Sie darf also nicht wie bei Antragsdelikten warten, bis der Verletzte selbst kommt und Strafantrag stellt. Hier 422
Beleidigung
§§ 198, 199
zeigt sich der U n t e r s c h i e d z w i s c h e n S t r a f a n t r a g u n d E r m ä c h t i g u n g . Ein weiterer Unterschied besteht darin, daß die Ermächtigung an keine Form und Frist gebunden ist (RG 18, 382) und nicht zurückgenommen werden kann (vgl. RG 33, 66; Herdegen LK 3). 2. Wird die Ermächtigung nicht erteilt, so liegt ein P r o z e ß h i n d e r n i s vor, das zur Einstellung des Verfahrens führt (vgl. § 260 Abs. 3 StPO). Insoweit sind die Folgen dieselben wie beim Fehlen eines Strafantrags. 3. Zu den „ a n d e r e n p o l i t i s c h e n K ö r p e r s c h a f t e n " i.S. der Vorschrift gehören vor allem Gemeinde- und Kreisräte, nicht dagegen die politischen Parteien und deren Fraktionen ( Ddf N J W 1966, 1235; siehe jedoch Vorbem. IV vor § 185). Richtet sich die Beleidigung nicht nur gegen die politische Körperschaft als Ganze, sondern auch gegen ihre einzelnen Mitglieder, so ist I d K . mit § 185 möglich. § 198 [Antragsfrist bei wechselseitigen Beleidigungen] Hat bei wechselseitigen Beleidigungen ein Teil Strafantrag gestellt, so ist der andere Teil bei Verlust seines Rechtes verpflichtet, den Strafantrag spätestens vor Schluß der Verhandlung in erster Instanz zu stellen, hierzu aber auch dann berechtigt, wenn zu jenem Zeitpunkt die dreimonatige Frist bereits abgelaufen ist. 1. Die ü b l i c h e A n t r a g s f r i s t von 3 Monaten (vgl. § 61) wird hier t e i l s v e r k ü r z t , t e i l s v e r l ä n g e r t . Anders als bei § 199 ist nicht erforderlich, daß die beiderseitigen Beleidigungen auf der Stelle erwidert wurden. Es genügt ein Zusammenhang im weitesten Sinn. 2. B e i s p i e l : A schreibt seinem langjährigen Feind B am 1. Mai einen von Beleidigungen strotzenden Brief. B stellt gegen A Strafantrag. Kommt es daraufhin am 10. Juli zu einer Hauptverhandlung, so kann A noch bis zum Schluß dieser Verhandlung Strafantrag wegen eines auf demselben Streitfall beruhenden Briefs stellen, den ihm B schon am 1. März hatte zukommen lassen, gegen den er aber zunächst nichts unternehmen wollte. § 198 käme jedoch nicht mehr in Betracht, wenn A den Brief des B schon am 1. Januar erhalten hätte. In diesem Fall wäre nämlich am 1. Mai das Antragsrecht des A schon erloschen gewesen. Ein erloschenes Antragsrecht kann aber auch durch § 198 nicht mehr verlängert werden. 3. § 198 gilt auch für w e c h s e l s e i t i g e Abs. 3.
Körperverletzungen,
vgl. § 232
§ 199 [Kompensation] Wenn eine Beleidigung auf der Stelle erwidert wird, so kann der Richter beide Beleidiger oder einen derselben für straffrei erklären. 1. Die Vorschrift enthält einen fakultativen Strafausschließungsgrund (siehe hierzu Vorbem. AT, Abschn. D 3, S. 44). Sie beruht auf dem Gedanken, daß einerseits derjenige, der eine Beleidigung auf der Stelle erwidert, in einer verständlichen Erregung handelt, andererseits aber auch nur noch ein geringes oder gar kein Interesse daran besteht, die vorangegangene Beleidigung zu bestrafen, nachdem der Beleidigte Selbstvergeltung geübt hat (vgl. RG 70, 330). 2. Anwendungsbereich: Die Vorschrift bezieht sich auf alle Tatbestände des 14. Abschnitts. Wegen der Kompensation von Beleidigung und Körperverletzung siehe § 233. I m einzelnen ist folgendes zu beachten:
423
6 200
Strafgesetzbuch
a) Die beiderseitigen Beleidigungen müssen t a t b e s t a n d s m ä ß i g , r e c h t s w i d r i g und s c h u l d h a f t sein. Auf § 199 kann sich daher nicht berufen, wer die Beleidigung eines Geisteskranken auf der Stelle erwidert, es sei denn, daß er die Geisteskrankheit nicht kennt. Der Irrtum über die Rechtswidrigkeit der Erstbeleidigung ist nach den Grundsätzen des Verbotsirrtums zu behandeln (OLG Hbg N J W 1966, 1977 m. zust. A r n . Deubner N J W 1967, 63). b) § 199 kommt auch dann zur Anwendung, wenn die Einlassung des Beschuldigten, auch er sei beleidigt worden, zwar nicht eindeutig bewiesen ist, andererseits aber nicht widerlegt werden kann. Der Grundsatz „ i m Z w e i f e l f ü r d e n A n g e k l a g t e n " gilt auch hier (BGH 10, 373; Bay ObLGNJW 1959, 58). Die Vorschrift kommt sogar selbst dann in Betracht, wenn der P a r t n e r der Auseinandersetzung r e c h t s k r ä f t i g f r e i g e s p r o c h e n worden ist, das neuerdings mit der Sache befaßte Gericht aber Zweifel an seiner Unschuld hat (vgl. OLG Celle N J W 1959, 542). 3. Auf der Stelle erwidert ist eine Beleidigung, wenn sie durch die G e m ü t s e r r e g u n g verursacht worden ist, die durch die vorangegangene Beleidigung ausgelöst worden ist. Ein unmittelbarer örtlicher und zeitlicher Zusammenhang zwischen beiden Beleidigungen ist nicht unbedingt erforderlich (RG 70, 331). 4. § 199 setzt grundsätzlich voraus, daß derjenige, der eine Beleidigung erwidert, zugleich auch der durch die vorangegangene Beleidigung Betroffene ist (sogenannte Wechselseitigkeit). Die Vorschrift ist aber a u s n a h m s w e i s e auch dann anwendbar, wenn ein A n g r i f f a u f e i n e d e m T ä t e r n a h e s t e h e n d e P e r s o n vergolten wird (vgl. KG J R 1957, 388 mit weit. Nachw.). B e i s p i e l : A erwidert eine seiner Frau zugefügte Beleidigung. 5. P r o z e s s u a l ist vor allem § 468 StPO zu beachten: Der Angeklagte trägt die K o s t e n des Verfahrens auch dann, wenn er zwar für schuldig befunden, aber f ü r straffrei erklärt wird. § 200 [Bekanntmachiingrsbefugmis] (1) Wird wegen einer öffentlich oder durch Verbreitung von Schriften, Ton- oder Bildträgern, Abbildungen oder Darstellungen begangenen Beleidigung auf Strafe erkannt, so ist zugleich dem Beleidigten die Befugnis zuzusprechen, die Verurteilung auf Kosten des Schuldigen öffentlich bekanntzumachen. Die Art der Bekanntmachung sowie die Frist zu derselben ist in dem Urteil zu bestimmen. (2) Erfolgte die Beleidigung in einer Zeitung oder Zeitschrift, so ist der verfügende TeU des Urteils auf Antrag des Beleidigten durch die öffentlichen Blätter bekanntzumachen, und zwar wenn möglich durch dieselbe Zeitung oder Zeitschrift und in demselben Teil und mit derselben Schrift, wie der Abdruck der Beleidigung geschehen. (3) Dem Beleidigten ist auf Kosten des Schuldigen eine Ausfertigimg des Urteils zu erteilen. Die Vorschrift enthält eine N e b e n s t r a f e und ist z w i n g e n d e s R e c h t . Ein Antrag des Beleidigten ist nicht erforderlich. Der Beleidigte ist andererseits natürlich nicht verpflichtet, von der ihm zugesprochenen Veröffentlichungsbefugnis Gebrauch zu machen.
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Verbrechen und Vergehen wider das Leben
vor § 2 1 1
Fünfzehnter Abschnitt: Zweikampf (§§ 201—210) Der ganze Abschnitt wurde durch das 1. StrRG mit Wirkung vom 1. 9. 1969 aufgehoben. Der Entwurf zum EGStGB 1974 sieht vor, an dieser Stelle die Strafvorschriften gegen die Verletzung des persönlichen Lebens- und Geheimnisbereichs zusammenzufassen (vgl. S. 21 f. der BT — Drucks. 7/550). Aua dem Schriftt u m zu diesem Komplex siehe insbesondere Arzt, Der strafrechtliche Schutz der Intimsphäre, 1970.
Sechzehnter Abschnitt: Verbrechen und Vergehen wider das Leben (§§ 211—222) Vorbemerkungen I. Übersicht. Der 16. Abschnitt enthält m e h r e r e K o m p l e x e v o n T a t b e s t ä n d e n , die sich in ihrem Unrechtsgehalt wesentlich unterscheiden: die Tatbestände der v o r s ä t z l i c h e n T ö t u n g (§§211, 212, 216, 217), die A b t r e i b u n g (§§ 218—220), den V ö l k e r m o r d (§ 220a), die A u s s e t z u n g (§ 221) und die f a h r l ä s s i g e T ö t u n g (§ 222). Aus dem neueren Schrifttum zur Abgrenzung der Tötungsdelikte untereinander und gegenüber anderen Tatbeständen siehe insbesondere Krey J u S 1971, 86, 141, 192, 250, 306. II. Grundtatbestand der vorsätzlichen Tötung ist der in § 212 unter Strafe gestellte T o t s c h l a g . Der in § 211 unter Strafe gestellte Mord stellt sich demgegenüber als Qualifizierung dar, während § 216 (Tötung auf Verlangen) und § 217 (Kindstötung) privilegierte Fälle der vorsätzlichen Tötung enthalten. Diese Einordnung entspricht der h . L . im Schrifttum (vgl. Welzel J Z 1952, 72, Maurach B T 22, Schönke-Schröder R n . 4ff. vor §211 mit weit. Nachw.). Ihre Berechtigung ergibt sich vor allem aus der Erwägung, daß Grundtatbestand immer der Tatbes t a n d ist, der die Mindestvoraussetzungen enthält, die den Unrechtsgehalt des jeweiligen Deliktstypus bestimmen. Dies kann hier nur der Totschlag sein, der schlechthin jede vorsätzliche Tötung umfaßt, die nicht unter den erschwerenden Umständen des § 211 oder unter den mildernden Umständen der §§216, 217 begangen wird. Die a b w e i c h e n d e M e i n u n g d e s B u n d e s g e r i c h t s h o f s (vgl. B G H 1, 368; 2, 251; 6, 329; 13, 162, 165), wonach die Tatbestände der vorsätzlichen Tötung nicht n u r graduell, sondern auch artmäßig verschieden sind, kann demgegenüber nicht überzeugen. Der Unterschied der Meinungen zeigt sich vor etilem auf dem Gebiet der Teilnahme (vgl. § 211 Anm. 4). Siehe hierzu ausführlich Vorbem. AT, Absehn. H V 3f (S. 64) und das dort zitierte Schrifttum. III. Das Verhältnis der Tötungsdelikte zu den Tatbeständen der .vorsätzlichen Körperverletzung. 1. Entgegen der früher h . L . im Schrifttum h a t sich der Bundesgerichtshof im Anschluß an Schönke-Schröder (§ 212 R n . 13ff.) auf den Standpunkt gestellt, daß der T ö t u n g s v o r s a t z d e n K ö r p e r v e r l e t z u n g s v o r s a t z n i c h t a u s s c h l i e ß t (vgl. B G H 16,122; ebenso Schmitt J Z 1962, 389). Zur Begründung wird darauf hingewiesen, daß die K ö r p e r v e r l e t z u n g n o t w e n d i g e s D u r c h g a n g s s t a d i u m f ü r d i e T ö t u n g ist u n d deshalb notwendig vom Tötungsvorsatz u m f a ß t wird. a) Die Vereinbarkeit von Tötungs- und Körperverletzungsvorsatz bedeutet nicht, daß bei jeder vorsätzlichen Tötung zugleich auch wegen vorsätzlicher Körperverletzung zu bestrafen ist. Eine I d e a l k o n k u r r e n z i.S. von § 73 ist vielmehr
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g r u n d s ä t z l i c h ausgeschlossen. Die T a t b e s t ä n d e d e r K ö r p e r v e r l e t z u n g treten als s u b s i d i ä r zurück, sobald die Möglichkeit besteht, wegen vollendeter oder versuchter vorsätzlicher Tötung zu bestrafen. Dies gilt auch dann, •wenn der Täter in erster Linie verletzten wollte und den Tod seines Opfers nur billigend in Kauf genommen hat (BGH 21, 265; Schönke-Schröder § 212 Rn. 14). b) Die Vereinbarkeit von Tötungs- und Körperverletzungsvorsatz wird hauptsächlich dann von Bedeutung, wenn der Täter von einem T ö t u n g s v e r s u c h bei dem das Opfer bereits verletzt worden ist, f r e i w i l l i g z u r ü c k t r i t t . Da bei einem freiwilligen Rücktritt nur der Versuch als solcher straflos bleibt (vgl. § 46), besteht nach der vom BGH vertretenen Ansicht ohne weiteres die Möglichkeit, den Täter wegen einfacher vorsätzlicher (§ 223) oder gefährlicher Körperverletzung (§ 223a) zu bestrafen. 2. Für das Verhältnis zur schweren K ö r p e r v e r l e t z u n g (§ 224) gilt folgendes : a) Ist das T ö t u n g s d e l i k t v o l l e n d e t , so entfällt § 224 schon tatbestandsmäßig, da § 224 voraussetzt, daß das Opfer die Tat überlebt. b) Liegt nur v e r s u c h t e T ö t u n g vor, so kann diese mit § 224 in I d e a l k o n k u r r e n z treten. Subsidiarität ist abzulehnen, da der Unrechtsgehalt der Tat durch eine Bestrafung nur wegen versuchter Tötung nicht voll erfaßt werden kann (vgl. Schmitt a. a. O. 392; a. A. BGH 22, 248 gegen die Auffassung des GenBA: die schwere Folge ist nur im Strafmaß zu berücksichtigen). Das Bedürfnis, zusätzlich auf die schwerere Strafdrohung des § 224 zurückzugreifen, besteht vor allem bei einer versuchten Tötung auf Verlangen (§216), die nur Vergehenscharakter besitzt, während die schwere Körperverletzung des § 224 selbst bei Zubilligung mildernder Umstände (vgl. § 228) immer ein Verbrechen i.S. von § 1 darstellt. Das Ergebnis mag zunächst befremden, da bei einer geglückten Tötung auf Verlangen der Täter nur wegen eines Vergehens gemäß § 216 zu bestrafen ist, bei I d K . zwischen §§ 216, 43 einerseits und § 224 andererseits die Strafe aber aus dem Strafrahmen des § 224 zu entnehmen ist. Dieses Ergebnis ist jedoch bei genauerer Betrachtimg gar nicht so unbefriedigend. Zunächs werden dem Täter in aller Regel im Hinblick auf sein Tatmotiv gemäß § 228 mildernde Umstände zugebilligt werden können, so daß die Strafe dann doch dem § 216 zu entnehmen ist (bei § 73 konkrete Betrachtungsweise!). I m übrigen hat der Gesetzgeber sich eben auf den Standpunkt gestellt, daß die Verstümmelung bzw. dauernde Entstellung des Opfers ernster zu beurteilen ist als die Tötung auf Verlangen. Der Entwurf 1962 hält in § 147 an diesem Standpunkt fest. So gesehen ist es keineswegs unbillig, bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 224 auf diese Bestimmung auch dann zurückzugreifen, wenn an sich die Möglichkeit besteht, wegen versuchter Tötung zu bestrafen. Es wäre im Gegenteil unbefriedigend, bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 224 auf diese Vorschrift nur wegen des zusätzlich vorliegenden Tötungsvorsatzes zu verzichten. Die Entscheidung BGH 22, 248 ist inzwischen auch im Schrifttum auf Widerspruch gestoßen (vgl. Blei JA 1969, StR S. 49f., Jakobs N J W 1969,437, Schönke-Schröder § 212 Rn. 14b sowie Lackner. Maassen § 211 Anm. I I b ) . c) Tritt der Täter freiwillig vom Tötungsversuch zurück, so bleibt die Strafbarkeit gemäß § 224 unberührt, da gemäß § 46 nur der Versuch als solcher straflos bleibt (sog. qualifizierter Versuch). 3. Für das Verhältnis zur b e a b s i c h t i g t e n s c h w e r e n K ö r p e r v e r l e t z u n g (§ 225) ist folgendes zu beachten: a) I d K . zwischen einem v o l l e n d e t e n T ö t u n g s d e l i k t und § 225 scheidet wegen der Unvereinbarkeit der Folgen aus. b) I d K . zwischen einem v e r s u c h t e n T ö t u n g s d e l i k t und § 225 ist nur bei bedingtem Tötungsvorsatz denkbar, d.h. wenn es dem Täter vor allem darum ging,
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das Opfer zu verstümmeln bzw. dauernd zu entstellen, und er dabei billigend in K a u f nahm, daß sein Opfer den Folgen seiner Verletzungen erliegen -werde. I n diesem Fall neigt auch der B G H in der bereits oben zitierten Entscheidung B G H 22, 248ff. zu I d K . War dagegen nicht der Tötungsvorsatz, sondern der Verstümmelungsvorsatz bedingt, so kommt nicht § 226, sondern § 224 in Betracht. Siehe hierzu oben Anm. 2. 4. Der Tatbestand des § 226 ( K ö r p e r v e r l e t z u n g m i t T o d e s f o l g e ) bietet in diesem Zusammenhang keine Schwierigkeiten. Handelte der Täter mit T ö t u n g s v o r s a t z , so kommt von vornhereinnur eine Bestrafung gemäß § § 211 ff. in Betracht. 5. Für das Verhältnis zu § 229 ( G i f t b e i b r i n g u n g ) gelten die Ausführungen zu § 225 entsprechend. Die selbständige Bedeutung des § 229 neben den Tötungsdelikten ist vor allem dann von Bedeutung, wenn der Täter von einer versuchten Tötung freiwillig zurücktritt. F ü r diesen Fall besteht die Möglichkeit, wegen Giftbeibringung gemäß § 229 zu bestrafen, wenn dieser Tatbestand bereits erfüllt ist (vgl. Schönke-Schröder § 212 R n . 15, Maurach B T 105, Lackner-Maassen § 229 Anm. 3). IV. Über das Verhältnis zu anderen Tatbeständen, insbesondere zur A b t r e i b u n g (§ 218) und zur A u s s e t z u n g (§ 221), siehe die Anmerkungen zu diesen Tatbeständen. V. Teilnahme an fremdem Selbstmord ist straflos, da der Selbstmord selbst keine mit Strafe bedrohte Handlung darstellt. Strafbar sind dagegen die Fälle, in denen T ö t u n g i n m i t t e l b a r e r T ä t e r s c h a f t oder f a h r l ä s s i g e T ö t u n g in Betracht kommt. Unter bestimmten Voraussetzungen kann sich die Strafbarkeit desjenigen, der einen fremden Selbstmord nicht hindert, auch aus § 330 c ( u n t e r l a s s e n e H i l f e l e i s t u n g ) ergeben. Die Einzelheiten sind äußerst bestritten. Aus dem neuern Schrifttum siehe insbesondere die unter Anm. 2 zitierten Besprechungen der Entscheidung B G H 24, 342, ferner Kohlhaas, Das Recht auf den eigenen Tod, N J W 1973, 548, sowie Bringewat, Selbstmord, Suizidpatient und Arztpflichten im Strafrecht, N J W 1973, 540 (Rezension zu BayObLG N J W 1973, 565). 1. Strafbare Tötung in m i t t e l b a r e r T ä t e r s c h a f t liegt vor, wenn das Opfer durch Zwang oder Täuschung in den Tod getrieben wird. B e i s p i e l e : A zwingt B mit vorgehaltener Pistole, Gift einzunehmen. — O d e r : A veranlaßt den ahnungslosen B , eine Starkstromleitung zu berühren. — O d e r : A versetzt sein Opfer planmäßig in eine seelische Depression, in der es keinen anderen Ausweg mehr sieht, als aus dem Leben zu scheiden. — O d e r : A spiegelt seiner Frau vor, sie habe ein unheilbares Leiden, und es sei wohl besser, sie nehme gleich ein schnell wirkendes Gift, als langsam dahinzusiechen. I n all diesen Fällen hat das Opfer nicht die freie, unbeeinflußte Entscheidung über die Fortdauer seines Lebens. E s handelt, bewußt oder unbewußt, als Werkzeug in der Hand eines anderen, der seinen Tod will und auch den Willen zur Tatherrschaft hat, somit mittelbarer Täter ist. 2. Erkennt der Hintermann seine den anderen beherrschende Rolle nicht, so kommt Bestrafung wegen f a h r l ä s s i g e r T ö t u n g in Betracht. B e i s p i e l : A nörgelt so lange an seiner 16-jährigen Tochter herum, bis diese keinen Ausweg mehr sieht und sich das Leben nimmt. Die vielerörterte Entscheidung B G H 24, 342 ( = N J W 1972, 1207 m. Anm. von Eis = J R 1972, 426 m. Anm. Welp), wonach die fahrlässige Verursachimg eines Selbstmords schon doshalb nicht strafbar sein kann, weil auch die vorsätzliche Förderung eines Selbstmords nicht strafbar ist, kann nur für die Fälle Richtigkeit beanspruchen, bei denen unter gleichen Voraussetzungen die vorsätzliche Förderung eines Selbstmords mangels Tatherrschaft des Mit-
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wirkenden nicht als Tötung in mittelbarer Täterschaft zu beurteilen wäre (vgl. Kohlhaas J R 1973, 53; Blei J A 1972, StR 155; 1973, StR 61). 3. S t r a f l o s e T e i l n a h m e a m S e l b s t m o r d liegt vor, wenn sich jemand lediglich darauf beschränkt, einen anderen zum Selbstmord anzustiften oder einen bereits bestehenden Entschluß zum Freitod zu fördern. Im Falle der Beihilfe ist es unerheblich, ob diese durch positives Tun oder durch Unterlassen begangen wird. Grundsätzlich unerheblich ist auch, ob der Täter eine Beistandspflicht hatte. Wer die freie Entscheidung eines anderen, aus dem Leben zu scheiden, respektiert, indem er nichts unternimmt, um ihn von seinem Schritt zurückzuhalten, mag zwar eine moralische Schuld auf sich laden, macht sich aber nicht strafbar (bestr.; im wesentlichen übereinstimmend BGH 13, 162; Gallas J Z 1960, 649, 686; Dreher J R 1967, 269; Schönke-Schröder 17 vor §211). B e i s p i e l e : A gibt seinem verschuldeten Freund B den Rat, sich zu erschießen. Da F keine Pistole hat, stellt ih™ A seine eigene zur Verfügung. — Oder: A unternimmt nichts zur Rettung seiner Schwiegermutter, die sich vor seinen Augen in einen Teich stürzt (BGH 13, 162). — Andere Grundsätze gelten nur dort, wo dem Selbstmord erkennbar kein verantwortlicher Wille zugrunde liegt, z.B. beim Selbstmord eines Geisteskranken, eines Betrunkenen oder eines Kindes. In diesen Fällen kommt für solche Personen, die eine besondere Beistandspflicht hatten (Eltern, Vormund, Krankenpfleger usw.), eine Strafbarkeit wegen vorsätzlicher oder fahrlässiger Tötung durch Unterlassen in Betracht (s. o. Anm. 2). 4. Bestritten ist die Frage, ob die Nichthinderung eines Selbstmords als u n t e r l a s s e n e H i l f e l e i s t u n g gemäß § 330c strafbar ist. Die Entscheidung hängt davon ab, ob man einen Selbstmordversuch als Unglücksfall ansieht. Während der Bundesgerichtshof diese Frage nach anfänglichem Schwanken bejaht (vgl. BGH 6, 147ff.; 13, 162, 169), verhält sich das Schrifttum überwiegend ablehnend (vgl. Dreher J R 1967, 271, Schönke-Schröder § 330c Rn. 7, Welzel S. 471). Unstreitig sind lediglich die Fälle, in denen der Lebensmüde aufgrund einer Geisteskrankheit oder aus ähnlichen Gründen nicht in der Lage ist, die Tragweite seiner Entscheidung voll zu erfassen oder wenn Dritte durch den Selbstmordversuch gefährdet werden. Ein Unglücksfall liegt aber auch dann vor, wenn der Lebensmüde unter dem unmittelbaren Eindruck der akuten Todesgefahr seinen Entschluß ändert und gerettet werden möchte (vgl. Gallas J Z 1954, 642; 1960, 691; a.A. SchönkeSchröder § 330c Rn. 7). Zum Ganzen siehe auch Dallinger J R 68, 6: In jedem Einzelfall ist genau zu prüfen, ob eine Verhinderung des Selbstmords zumutbar war. Bei außergewöhnlicher Konfliktslage kann die Zumutbarkeit und damit die Schuld entfallen. 5. Besondere Schwierigkeiten bei der Abgrenzimg strafloser Teilnahme am Selbstmord und strafbarer Tötung auf Verlangen ergeben sich beim einseitig fehlgeschlagenen D o p p e l s e l b s t m o r d , d.h. wenn zwei Personen gemeinsam aus dem Leben scheiden wollen, aber einer überlebt. B e i s p i e l e : a) A und seine Geliebte G beschließen, gemeinsam zu sterben. Wenn A das Gift besorgt, das beide gleichzeitig einnehmen, aber nur die G an den Folgen des Gifts stirbt, während A gerettet werden kann, so finden die Regeln über die Straflosigkeit der Beihilfe zu fremdem Selbstmord Anwendung: A hat lediglich eine fremde Tat unterstützt. Das gilt aber nur, solange G jederzeit frei darüber bestimmen konnte, ob und wie sie ihrem Leben ein Ende machen wollte (BGH 19,139; SchönkeSchröder § 216 Rn. 17; Maurach BT 41; Lackner-Maassen § 216 Anm. 3). b) Wenn A für beide die entscheidende Todesursache setzt, z.B. durch öffnen des Gashahnes, während die G die Fenster abdichtet, liegt ebenfalls straflose Beihilfe zum Selbstmord vor: Die Tat stellt sich als gemeinsamer Selbstmord dar, bei dem sich die Beteiligten gegenseitig unterstützten.
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c) Anders ist zu entscheiden, wenn die Tatherrschaft, auf die es in diesem Zusammenhang entscheidend ankommt (BGH 19, 135), allein bei A liegt, während die G nicht mehr tut, als den Tod zu erdulden, z.B. wenn A die G erschießt oder mit dem Messer tötet. In derart gelagerten Fällen ist A als Täter wegen Tötung auf Verlangen zu bestrafen (vgl. § 216). d) Wenn A seiner Geliebten das Verlangen, getötet zu werden, durch Täuschung ablistet, etwa durch Vorspiegelung, er wolle ihr in den Tod nachfolgen, so liegt keine straflose Beihilfe zum Selbstmord vo,r. Es ist hierbei ohne Bedeutung, ob er die Tötungshandlung selbst vornimmt oder ob er die Tatausführung der G überläßt. Entscheidend ist, daß er sein Opfer unter Hervorrufung eines Motivirrtums in den Tod treibt. Für die Annahme strafloser Beihilfe fehlt es vor allem auch an der in subjektiver Beziehung erforderlichen Unterordnung des eigenen Willens unter den fremden Willen. Hier kann auch § 216 nicht eingreifen, denn wer das Verlangen, getötet zu werden, durch Täuschung provoziert, kann sich nicht auf die privilegierende Vorschrift berufen. § 3 1 1 [Mord] (1) Der Mörder -wird mit lebenslanger Freiheitsstrafe bestraft. (2) Mörder ist, wer a u s Mordlust, zur Befriedigung des Geschlechtstriebs, a u s Habgier oder sonst a u s niedrigen Beweggründen, heimtückisch oder g r a u s a m oder mit gemeingefährlichen Mitteln oder u m eine andere Straftat zu ermöglichen oder zu verdecken, einen Menschen tötet. 1. Der Mordtatbestand in seiner derzeitigen Fassung berücksichtigt d r e i F a l l g r u p p e n , die wegen ihrer besonderen Verwerflichkeit eine erhöhte Sühne fordern. § 211 Abs. 2 enthält nicht nur normierte Regelfälle, sondern eine abschließende Regelung des Mordtatbestands (vgl. BGH 9, 385; 11, 139). Es ist somit nicht möglich, bei Vorliegen eines der im Gesetz genannten Mordmerkmale den Mordtatbestand als nicht erfüllt anzusehen mit der Begründung, die Tat erscheine bei Würdigung der Tatumstände und der Täterpersönlichkeit nicht so verwerflich, daß sie nur mit lebenslanger Freiheitsstrafe gesühnt werden könne. Mörder ist demnach jeder, der ein Mordmerkmal erfüllt. Eine darüber hinausgehende Würdigung von Tat und Täter ist unzulässig (vgl. BGH a.a.O. sowie GA 1971, 155; h . L . ; a. A. Schönke-Schröder 6). 2. Die einzelnen Mordmerkmale: a) Aus M o r d l u s t handelt, wer eine unnatürliche Freude an der Vernichtung eines Menschenlebens empfindet (BGH N J W 1953, 1440). b) Z u r B e f r i e d i g u n g d e s G e s c h l e c h t s t r i e b s tötet, wem die Tötung seines Opfers ein Mittel zur geschlechtlichen Befriedigung ist. Das ist vor allem dann der Fall, wenn der Täter gerade im Tötungsakt geschlechtliche Befriedigung sucht (sogenannter Lustmord), aber auch, wenn er den Tod will, um sich ein der Leiche seines Opfers zu befriedigen (BGH 7, 353). Damit ist der Anwendungsbereich der Vorschrift jedoch nicht erschöpft. Nach BGH 19, 105 (ebenso Maurach BT 31) ist schlechthin jeder Sittlichkeitsverbrecher, der gegen sein Opfer Gewalt anwendet, um seine Geschlechtslust ungestört befriedigen zu können, und der dabei den Tod seines Opfers als mögliche Folge der Gewaltanwendung billigend in Kauf nimmt, Mörder. c) Aus H a b g i e r tötet, wer sich durch ein übertriebenes Streben nach wirtschaftlichen Vorteilen leiten läßt. Hierbei ist unerheblich, ob der Täter einen tatsächlichen Gewinn erzielen oder nur Aufwendungen vermeiden will. Hauptanwen-
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dungsbereich der Vorschrift ist der sog. Raubmord. Ein Handeln aus Habgier kommt aber auch dann in Betracht, wenn der Täter sich seiner Unterhaltspflicht entziehen will (BGH 10, 399). d) Ein s o n s t i g e r n i e d r i g e r B e w e g g r u n d liegt vor, wenn das Tatmotiv nach allgemeiner sittlicher Wertung auf tiefster Stufe steht und deshalb besonders verwerflich ist (BGH 3, 132; N J W 1967, 1141). B e i s p i e l e : Tötung des Ehegatten, um den Geliebten heiraten zu können (vgl. BGH 3, 132; LM Nr. 34), ungehemmte Selbstsucht, Rache, Haß. Bei Eifersucht kommt es auf die Umstände des Einzelfalls an. Auch hier kann Tötung aus einem niedrigen Beweggrund angenommen werden, wenn der Täter sich zur Tat treiben ließ, ohne seinem Vernichtungswillen den erforderlichen und ihm möglichen Widerstand entgegengesetzt zu haben, mit dem er auch anderen Leidenschaften und Trieben zu begegnen hat (BGH 3, 132; 22, 13). Aus niedrigen Beweggründen handelt schließlich auch, wer aus nichtigem Anlaß in einer plötzlichen Wutaufwallung und in jäh aufloderndem Vernichtungswillen seinem Gegner nach dem Leben trachtet (BGH N J W 1967,1140). S u b j e k t i v genügt, daß der Täter die Umstände kennt, die die Tat als besonders verwerflich erscheinen lassen. Nicht erforderlich ist dagegen, daß er selbst seine Beweggründe als niedrig beurteilt (BGH N J W 1967, 1140 m. weit. Nachw.). Zum Ganzen siehe auch Jakobs N J W 1969, 489 und Hassemer J u S 1971, 626. e) H e i m t ü c k i s c h tötet, wer das Opfer unter bewußter A u s n u t z u n g d e r A r g - u n d W e h r l o s i g k e i t tötet (BGH 18, 88; 19, 321 ; 23, 120). Der Täter b r a u c h t diese Arg- und Wehrlosigkeit nicht selbst herbeigeführt oder bestärkt zu haben. Argund wehrlos ist daher auch, wer sich im Vertrauen darauf, daß ihm nichts geschehen werde, zum Schlafen niederlegt (BGH 23, 119 m. zust. Anm. Dreher MDR 1970, 248). Es ist auch nicht erforderlich, daß der Täter die Arg- und Wehrlosigkeit absichtlich ausnutzt. Es genügt vielmehr, daß er die Umstände, die das Opfer als argund wehrlos erscheinen lassen, kennt und sich dennoch zur Tat entschließt (BGH NJW1967, 1141). A r g l o s kann auch sein, wer allgemein Grund zur Vorsicht hat, deshalb eine Waffe trägt und sich bewachen läßt. Entscheidend ist, daß das Opfer zur Zeit der Tatbegehung von der Seite des Täters mit einem Angriff nicht gerechnet h a t (BGH 18,88 mit weit. Nachw.). Hieran fehlt es, wenn der Täter seinem Opfer in offen feindseliger Haltung entgegentritt, mag das Opfer auch zu diesem Zeitpunkt nicht gerade mit einem Angriff auf sein Leben gerechnet haben (BGH 20, 301). Hierher gehören alle die Fälle, in denen der entscheidenden Tötungshandlung bereits andere Tätlichkeiten geringerer Intensität vorausgegangen sind (BGH a.a.O.). Andererseits ist die T a t immer dann heimtückisch, wenn der Täter sein Opfer planmäßig in einen Hinterhalt lockt (BGH 22, 77; Lackner-Maassen Anm. 7). Dies gilt selbst dann, wenn der Täter später, bei der eigentlichen Tatausführung, dem Opfer in offen feindseliger Haltung aus dem Hinterhalt entgegentritt und dem Opfer dadurch noch eine gewisse Abwehrmöglichkeit läßt (BGH a.a.O.). Heimtücke entfällt, wenn das Opfer gar nicht in der Lage ist, Argwohn zu schöpfen, wie dies bei K l e i n k i n d e r n der Fall ist (BGH 4, 11 ; 8, 216). Hier kommt Heimtücke nur dann in Betracht, wenn der Täter entweder die Arglosigkeit der Aufsichtsperson mißbraucht oder wenn er besondere Vorkehrungen trifft, um die instinktive Abwehr des Kleinkinds auszuschalten, z.B. wenn er das zur Tötung bestimmte Gift unter die Nahrung des Kindes mischt (vgl. BGH 8, 216). Die Tötung eines S c h l a f e n d e n gehört dagegen zu den klassischen Beispielen der Heimtücke ; wer sich zum Schlafen niederlegt, vertraut grundsätzlich darauf, daß ihm während des Schlafs nichts geschehen werde (BGH 23, 119 m. zust. Anm. Dreher MDR 1970, 248). Wieder anders ist die Rechtslage bei einem B e w u ß t l o s e n : Der Bewußtlose wird von einem Zustand übermannt, den er selbst nicht herbeigeführt h a t und den er auch nicht zu hindern vermag. E r kann daher auch nicht in der Er> Wartung, ihm werde niemand etwas anhaben, getäuscht werden (BGH a.a.O.).
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Verbrechen und Vergehen wider das Leben
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Weiter erforderlieh ist, daß der Täter dem Opfer gegenüber eine f e i n d s e l i g e H a l t u n g einnimmt (BGH 9, 385). Hieran fehlt es, wenn der Täter glaubt, zum Besten seines Opfers zu handeln, z . B . wenn ein Ehemann seine schlafende, unheilbar kranke Frau nur aus Mitleid tötet, um sie von ihrem Leiden zu befreien. f) G r a u s a m tötet, wer dem Opfer aus gefühlloser, unbarmherziger Gesinnung besondere Schmerzen oder Qualen zufügt (BGH 3, 180). Das äußere Tatbild allein genügt nicht. Andererseits muß die gefühllose, unbarmherzige Gesinnung keine allgemeine Tätereigenschaft sein. E s genügt, wenn sie sich durch die Tat offenbart. Auf jeden Fall aber muß sieh der Täter der Qual seines Opfers bewußt gewesen sein (BGH bei Daliinger MDR 1968, 895). B e i s p i e l e : Das Opfer wird zu Tode gefoltert. — O d e r : Der Täter läßt sein Opfer verhungern oder verdursten. — War der Täter sich der Qual seines Opfers nicht bewußt, so liegt nur Totschlag vor. Die Umstände, die die Tat objektiv als grausam erscheinen lassen, können jedoch im Kähmen der §§ 212, 213 als straferschwerend berücksichtigt werden (vgl. B G H bei Dallinger MDR 1968, 895). g) G e m e i n g e f ä h r l i c h ist ein Mittel vor allem dann, wenn der Täter die Auswirkungen nicht in der Hand hat, z . B . wenn er sein Opfer mit einer Maschinenpistole auf offener Straße überfällt, so daß noch weitere Personen gefährdet werden. Hierher gehören auch Tötung durch Brand, Überschwemmimg oder Verbreitung von Seuchen. h) Zur V e r d e c k u n g e i n e r S t r a f t a t handelt z.B., wer einen Tatzeugen erschießt, von dem er Entdeckung oder Festnahme befürchtet, oder wenn ein flüchtiger Kraftfahrer auf einen ihm entgegentretenden Polizeibeamten zufährt und dabei billigend in K a u f nimmt, daß der Beamte stehen bleibt und tödlich überfahren wird (BGH 15, 291 sowie 2 StR 186/68 bei Martin DAR 1969,141). In beiden Fällen kommt es dem Täter gerade auf den T o d d e s O p f e r s a l s M i t t e l z u r V e r d e c k u n g e i n e r S t r a f t a t an, da er von diesem Gefahr erwartet. N i c h t hierher gehört dagegen der Fall, daß der Täter den Tod nicht als Mittel zur Flucht, sondern n i x als Folge der Flucht in Kauf nimmt, z . B . wenn sich ein Kraftfahrer nach einem Unfall nicht um das schwer verletzte Opfer kümmert, um schneller fliehen zu können (BGH 7, 287). i) Z u r E r m ö g l i c h u n g e i n e r S t r a f t a t handelt z.B., wer einen Pförtner niederschlägt, um einen Einbruch begehen zu können. Wie bei der Verdeckungsabsicht muß es dem Täter gerade auf den Tod des Opfers zur Ermöglichung einer Straftat ankommen (BGH 23, 176, 194). In diesem Fall kommt die Tatbestandsalternative auch bei bedingtem Vorsatz in Betracht (BGH a.a.O.). 4. Die Abgrenzung von Täterschaft und Teilnahme ist gerade beim Mordtatbestand von besonderer Bedeutung, da abgesehen von der neuerdings in § 50 Abs. 2 getroffenen Regelung nur bei der B e i h i l f e gemäß § 49 Abs. 2 die Möglichkeit besteht, von der sonst zwingend vorgeschriebenen lebenslangen Freiheitsstrafe abzusehen. Siehe hierzu ausführlich Vorbem. AT, Abschn. H I 2, S. 51 f. I m übrigen richtet sich die Strafbarkeit des Teilnehmers nach allgemeinen Grundsätzen, wobei die Anwendbarkeit der akzessorietätsdurchbrechenden Regelungen des § 50 Abs. 2, 3 davon abhängt, in welchem Verhältnis die Tatbestände der vorsätzlichen Tötung untereinander stehen (vgl. Vorbem. I I vor § 211). a) Folgt man der vom B G H in st. Rspr. vertretenen Ansicht, wonach Mord und Totschlag selbständige Tatbestände mit verschiedenem Unrechtsgehalt darstellen, bo kann § 50 Abs. 3 f ü r d e n g e s a m t e n B e r e i c h d e s § 2 1 1 k e i n e A n w e n d u n g finden, da in diesem Fall a l l e M o r d m e r k m a l e s t r a f b e g r ü n d e n d sind, § 50 Abs. 3 sich jedoch nicht auf strafbegründende Merkmale bezieht (vgl. § 50 Anm. 3). Nach Ansicht des B G H kommt es vielmehr entscheidend nach allg e m e i n e n A k z e s s o r i e t ä t s g r u n d s ä t z e n (§ 50 Abs. 1) darauf an, ob der Teil-
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nehmer das Vorliegen der Mordmerkmale in der Person des Täters gekannt hat. Hat er sie gekannt, so belasten sie ihn; hat er sie nicht gekannt, so liegt ein Exzeß des Täters vor, für den er gemäß § 59 nicht haftet. Eine Strafmilderung nach § 50 Abs. 2 kommt bei Zugrundelegung der Auffassung des B G H nur für die täterbezogenen Mordmerkmale der 1. und 3. Gruppe, nicht jedoch bei den tatbezogenen Mordmerkmalen der 2. Gruppe in § 211 Abs. 2 in Betracht (vgl. B G H 22, 375; 23, 39, 103ff.). Aber auch bei den Mordmerkmalen der 1. und 3. Gruppe greift die Strafmilderung des § 50 Abs. 2 nicht ein, wenn das den Täter belastende Mordmerkmal beim Teilnehmer zwar fehlt, dieser aber aus einem anderen niedrigen Beweggrund gehandelt hat (vgl. B G H 23, 39). b) Folgt man der hier im Anschluß an die h.l